Emotionen in der Romantik: Repräsentation, Ästhetik, Inszenierung. Salzburger Kolloquium der Internationalen Arnim-Gesellschaft 9783110280005, 9783110279955

The Romantic mode and representations of emotion would seem to be a perfect fit. By focusing on the esthetics of emotion

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German Pages 288 Year 2012

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Table of contents :
Vorwort
REPRÄSENTATION EXISTENZIELLER GEFÜHLE
Menschwerdung durch Gefühle -Gefühlserregung durch eine Übermenschliche: Schillers »Jungfrau von Orleans« zwischen Aufklärung und Romantik
Liebestod: Goethe »Der Gott und die Bajadere« und Günderrode »Die Malabarischen Witwen«
»Man müsste ihn so lieben können, dass man für ihn sterben würde«: Emotionen im Märchen »Blaubart« und Arnims Bearbeitung in seinem Roman »Die Kronenwächter«
Fremde Gefühle: Ferne Frauen in Achim von Arnims Erzählungen
Liebe und Körperlichkeit in L. Achim von Arnims »Gräfin Dolores« und in Goethes »Wahlverwandtschaften«
Inszenierte sinnlichkeit: Zur Funktion der Erotik-Darstellungen bei Heine
Gezähmte Gefühle: Ernst von Feuchtersleben und Ferdinand Raimund
ÄSTHETIK DER GEFÜHLE
»Du fühlst es besser, fühlst es tief und - schweigst«: Liebe, Schönheit und Kunst in Goethes »Torquato Tasso«
»Eine wahre Geschichte zur lehrreichen Unterhaltung armer Fräulein«: Zur Emotionalisierung in Arnims »Gräfin Dolores«
»Durch die Kunst läst sich dieses ahnden«: Achim von Arnim im Kontext zeitgenössischer Konzepte von Gefühlserkenntnis der Kunst
Hinter Glas: Romantische Facetten eines modernen Topos bei Hoffmann, Arnim und Tieck
GATTUNGSTYPISCHE INSZENIERUNG VON GEFÜHLEN
»Ja, wenn man Tränen schreiben könnte«: Erzählte Tränen, gespielte Tränen um 1800
»Was klingt im Ohr, was schlägt das Herz?« Arnims Lyrik zwischen Vitalismus und religiöser Besinnung
Erkenntnis unter Blättern: Affekt und Selbstgefühl in Arnims Gedicht »Waldgeschrey« / »Stolze Einsamkeit«
Die Emotionalisierung der Berichterstattung im »Preußischen Correspondenten« durch Achim von Arnim
Tiecks geneigter Leser: Leserapostrophen als Symptome des Zweifels des Autors über die Wirkung seiner Texte
Literaturverzeichnis
Register
Verzeichnis der Beiträgerinnen und Beiträger
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Emotionen in der Romantik: Repräsentation, Ästhetik, Inszenierung. Salzburger Kolloquium der Internationalen Arnim-Gesellschaft
 9783110280005, 9783110279955

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Schriften der Internationalen Arnim-Gesellschaft Band 9

Emotionen in der Romantik Repräsentation, Ästhetik, Inszenierung Salzburger Kolloquium der Internationalen Arnim-Gesellschaft Herausgegeben von Antje Arnold und Walter Pape

De Gruyter

ISBN 978-3-11-027995-5 e-ISBN 978-3-11-028000-5 ISSN 1439-7889 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalogue record for this book is available from the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2012 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/Boston Satz: Walter Pape, Köln Gesamtherstellung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII

REPRÄSENTATION EXISTENZIELLER GEFÜHLE Daniel Fulda Menschwerdung durch Gefühle – Gefühlserregung durch eine Übermenschliche: Schillers »Jungfrau von Orleans« zwischen Aufklärung und Romantik . . . . 3 Barbara Becker-Cantarino Liebestod: Goethe »Der Gott und die Bajadere« und Günderrode »Die Malabarischen Witwen« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Roswitha Burwick »Man müsste ihn so lieben können, dass man für ihn sterben würde«: Emotionen im Märchen »Blaubart« und Arnims Bearbeitung in seinem Roman »Die Kronenwächter« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Sheila Dickson Fremde Gefühle: Ferne Frauen in Achim von Arnims Erzählungen . . . . . . 53 Claudia Nitschke Liebe und Körperlichkeit in L. Achim von Arnims »Gräfin Dolores« und in Goethes »Wahlverwandtschaften« . . . . . . . . . . . 69 Hartmut Kircher Inszenierte Sinnlichkeit: Zur Funktion der Erotik-Darstellungen bei Heine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Ulrike Tanzer Gezähmte Gefühle: Ernst von Feuchtersleben und Ferdinand Raimund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99

VI

Inhalt

ÄSTHETIK DER GEFÜHLE Bernd Hamacher »Du fühlst es besser, fühlst es tief und – schweigst«: Liebe, Schönheit und Kunst in Goethes »Torquato Tasso« . . . . . . . . . . . . 115 Antje Arnold »Eine wahre Geschichte zur lehrreichen Unterhaltung armer Fräulein«: Zur Emotionalisierung in Arnims »Gräfin Dolores« . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Urs Büttner »Durch die Kunst läst sich dieses ahnden«: Achim von Arnim im Kontext zeitgenössischer Konzepte von Gefühlserkenntnis der Kunst . . . . . . . . . . . 139 Gert Theile Hinter Glas: Romantische Facetten eines modernen Topos bei Hoffmann, Arnim und Tieck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155

GATTUNGSTYPISCHE INSZENIERUNG VON GEFÜHLEN Walter Pape »Ja, wenn man Tränen schreiben könnte«: Erzählte Tränen, gespielte Tränen um 1800 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Christof Wingertszahn »Was klingt im Ohr, was schlägt das Herz?« Arnims Lyrik zwischen Vitalismus und religiöser Besinnung . . . . . . . . . . 185 Jan Oliver Jost-Fritz Erkenntnis unter Blättern: Affekt und Selbstgefühl in Arnims Gedicht »Waldgeschrey« / »Stolze Einsamkeit« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Jürgen Knaack Die Emotionalisierung der Berichterstattung im »Preußischen Correspondenten« durch Achim von Arnim . . . . . . . . . . . . 233 Stefan Nienhaus Tiecks geneigter Leser: Leserapostrophen als Symptome des Zweifels des Autors über die Wirkung seiner Texte . . . . . . . . . . . . . . 243 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Verzeichnis der Beiträgerinnen und Beiträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276

Vorwort

1810 erscheint Achim von Arnims Roman Armut, Reichtum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores – Anlass genug für das Kolloquium der Internationalen ArnimGesellschaft, sich im Dolores-Jubiläumsjahr 2010 einigen der Hauptthemen dieses komplexen Werkes zuzuwenden, das die Hauptfigur des vierteiligen Romans, Dolores, in ihrem Namen bereits paradigmatisch verkörpert: den geschriebenen Gefühlen, den dargestellten Schmerzen oder, wissenschaftlich gesprochen, der literarischen Narrativierung und Repräsentation von Emotionen. Jacob Grimm, der den verwilderten Roman überhaupt nicht mochte, gesteht Arnim jedoch »im einzelnen, in Gefühl und Wahrnehmung [...] die größte Lebendigkeit und Wahrheit zu«1. Heinrich Heine hingegen meinte, Arnim verstehe es nicht, die Empfindungen der Leser »entweder angenehm an[zu]regen oder [zu] verletzen: das Volk will bewegt werden«; Arnim sei »kein Dichter des Lebens, sondern des Todes« gewesen, denn »die Figuren tummeln sich hastig, sie bewegen die Lippen, als wenn sie sprächen, aber man sieht nur ihre Worte, man hört sie nicht«2. Solche gegensätzlichen Urteile – papierne Worte versus Lebendigkeit – gelten dem fundamentalen Bereich der Bewegung, der Emotionen. Gerade die Todesszenen belegen, wie Arnim versucht überkommene Diskurse des Schmerzes (»Worte Christi«) mit »größter Lebendigkeit und Wahrheit« und individuellem Schmerz (»da füllte ein Blutstrom den betenden Mund«) zu verbinden: Sie fühlte sich sehr schwach und begehrte die letzte Ölung aus den Händen ihres Sohnes Johannes, der sie ihr mit Würde und Heiligung erteilte; die Fackeln erhellten das stille Zimmer, in welchem nur das Schluchzen ihrer Lieben zuweilen die fromme Segnung unterbrach, draußen hatte Sturm die Himmelsfackeln ausgelöscht und die Schiffe wurden entmastet vorübergetrieben. Dolores betete mit Erhebung und segnete die Ihren, sie gedachte der am Morgen aufgefundenen Worte Christi: ›Wahrlich ich sage dir, heute wirst du mit mir im Paradiese sein‹; da füllte ein Blutstrom den betenden Mund, ihr Tod war kein Kampf mehr wie ihr Leben, sondern der Anfang des Friedens. Sie starb den vierzehnten Juli, an demselben Tage, in derselben Mitternachtstunde, in welcher sie vor vierzehn Jahren die heilige Treue gegen Gott und ihren Mann gebrochen.3

Das Beispiel des Sterbens der Dolores (zuvor sind fast gleichzeitig die Fürstin und ihr unfreiwilliger Liebhaber qualvoll an Gift gestorben) in diesem schmerzensrei1

2 3

Jacob Grimm an Achim v. Arnim, Kassel, 24. 9. 1810 – Steig (Hrsg.): Achim von Arnim und die ihm nahe standen, Bd. 3, S. 71–75, hier S. 72. Heine: Die romantische Schule – Sämtliche Schriften, Bd. 3, S. 457 und 458. Arnim: Werke in sechs Bänden, Bd. 1, S. 671.

VIII

Vorwort

chen Roman, in dem nicht nur dem Grafen »das Blut [...] in schrecklicher Verwirrung durcheinander« läuft4, fokussiert damit etwas, das scheinbar so neutral und versachlicht mit dem heutigen Begriff ›Emotion‹ erfasst ist, in Wirklichkeit jedoch vielmehr in einer langen und keineswegs eindeutigen Begriffshistorie zu betrachten ist: Dolores, die Schmerzensreiche, hat ihren emotionsgeschichtlichen Hintergrund nicht nur in der christlichen Bildlichkeit, sondern auch im Begriff der Leidenschaft bzw. des Affekts, der passiones bzw. pathe. Die Leidenschaft – und so auch Dolores – betont das passive, erleidende Element des Affiziertseins. Zurückgehend auf die stoische Tradition sind die Affekte dort als Krankheit der Seele (morbus) aufgeführt, während Cicero diese als perturbatio, eine Störung, Verwirrung bzw. Unruhe indiziert: »Quoniam, quae Graeci ʌȐKȘ vocant, nobis perturbationes appellari magis placet quam morbos [...].«5 Weder ist damit freilich das Spektrum einer komplexen Traditionslinie erfasst, noch können die so genannten Emotionen in geradezu aufklärerischem Impetus als Opposition zur ratio erfasst werden.6 Die ›romantische‹ literarische Neuperspektivierung des schwer fassbaren Phänomens ›Emotion‹ stellt die Forschung vor die Herausforderung, den von Thomas Anz ebenso griffig wie kategorisierend postulierten emotional turn7 in seiner Komplexität wahrzunehmen und darzustellen; dabei sind heutige populärwissenschaftliche und alltagssprachliche Herangehensweisen an die Begrifflichkeiten ebenso zu berücksichtigen wie die zeitgenössische Diskursvielfalt, innerhalb derer Emotionen versprachlicht werden und auf die nicht zuletzt die Literatur zurückgreift. Das Wissen vom Menschen, das einen sprunghaften Zugewinn um 1800 erfährt, sowie der historische (Wissens-)Kontext jeder Emotionsdarstellung sind notwendige Hintergrundinformationen für die wissenschaftliche Analyse literarischer Emotionen. Die Vielfalt der Begriffe ist auch ein sprachliches Problem, ein anderes ist die Crux einer ›adäquaten‹ Versprachlichung von Emotionen: das Sprechen über existenzielle Emotionen, die ästhetische Annäherung an Emotionen oder die Inszenierung von Emotionen in den unterschiedlichen literarischen Gattungen und Genres. Rüdiger Schnell hat das Problem jüngst insofern auf den Punkt gebracht, als er fragt, ob in der Literatur bei der Narrativierung von Emotionen – denn anders ist ein Sprechen darüber nicht denkbar – diese als vorgängige Entitäten vorausgesetzt werden oder immer erst durch die Versprachlichung konstruiert werden, es sich also um symbolische Repräsentationen handelt.8 Emotionen als Codes aufzufassen bedeutet dementsprechend, mit der Suggestion von vorgängigen Emotionen zu handeln. Die im Kolloquium vorgestellten literarischen und außerliterarischen Texte kreisen alle letztlich um die Frage, wie und ob Emotionen in Worte gefasst werden können, welche ›angemessen‹ repräsentieren, was außersprachlich, unvermittelbar 4 5 6 7 8

Ebenda, S, 668. Cic. Tusc. Disp. VI, 10. Vgl. ausführlich Guckes: Stoische Ethik. Anz: Kulturtechniken der Emotionalisierung. Vgl. Schnell: Erzähler – Protagonist – Rezipient. Oder: Was ist der Gegenstand der literaturwissenschaftlichen Emotionsforschung?, S. 1–51. Vgl. auch Voss: Narrative Emotionen; vgl. außerdem Winko: Kodierte Gefühle.

Vorwort

IX

und subjektiv bleiben muss, soll es als ›authentisch‹ erfahren werden. Die Literatur um 1800 und insbesondere die Romantik arbeitet sich an dem Problem ab, wie der Eindruck ausgedrückt werden kann: in Arnims Gedicht »Waldgeschrey« beispielsweise titelgebend durch den Schrei, der im Wald verhallt, aber kein Gegenüber mehr findet; in Goethes Torquato Tasso im Gegenteil durch das Verstummen versinnbildlicht oder in Arnims ›exotischen‹ Erzählungen, die die kulturelle Konventionalisierung von Emotionsdarstellung thematisieren. Die Äußerung von Emotionen ist schließlich in höchstem Maße an ihren Ausdruck und damit an Kontexte gebunden, was Siegfried J. Schmidt zu der Schlussfolgerung führt, »nicht alle Emotionen [seien] für alle Medien gleichermaßen tauglich.«9 Er hebt hervor, »daß die jeweilige Medientechnologie deshalb so wichtig ist, weil sie den Emotionen gewissermaßen einen wahrnehmbaren und erlebbaren Körper gibt«.10 Und gerade bei Arnims Dolores ist die Medien- oder Gattungszuordnung derart vielfältig, dass das »chaotisch wirkende Gemisch aus Roman, Novelle, Sage, Mythos, Legende, Fabel, Anekdote, Predigt, Drama, Essay, Gedicht, Elegie, Lied, Reflexion und Aphorismus«11 sich gerade der ›Darstellungsnot‹ bei der ›Repräsentation existenzieller Gefühle‹ von Schmerz, Gefühl und Affekt verdankt. So stellt Daniel Fulda in seinem Beitrag exemplarisch an Schillers romantischer Tragödie Jungfrau von Orleans heraus, dass es sich bei Emotionen um »anthropologische Unverzichtbarkeiten« handelt. Anhand der Opposition von Gefühl und Vernunft – und insbesondere an Johannas Übermenschlichkeit, die sie als »Herzlose« qualifiziert – auf Figurenebene und der wirkungsästhetischen Konsequenzen aus dieser den Sehgewohnheiten des Publikums ungewohnten Anlage entwickelt Fulda Schillers Tragödienkonzept unter dem Blickwinkel einer Autonomisierung der Emotionen. In ihrem Beitrag stellt Barbara Becker-Cantarino Goethes Der Gott und die Bajadere dem Sonett Die Malabrischen Witwen Günderrodes unter dem Blickwinkel der Darstellung von Emotionen gegenüber. Goethes »Liebeskonzept als Affektmanipulation«, ein »orientalisierter Liebestod« wird von Günderrode intertextuell aufgenommen und zum »ewigen Liebesbund« stilisiert. Beide Texte seien, so Becker-Cantarino, Anfangsfiguren für eine »Remystifikation der Liebe als vermeintlich orientalische Erotik [...], verweben sie doch Leben und Liebesproblematik zu einem Liebestod, der in seiner philosophischen Idealität und zugleich Abgehobenheit seinesgleichen sucht.« Emotionen im Märchen sind (auch) Ausdruck eines Prozesses kulturtypologischer Normierung, so dass Roswitha Burwick von Emotionen als Codes ausgeht, die sie exemplarisch an den Märchen-Fassungen des Blaubart und insbesondere Arnims recht freier Bearbeitung dieses Märchens – gerade in Hinsicht auf die Darstellung der Emotionen – in den Kronenwächtern offenlegt. Durch die Einbettung des Märchens in den Roman zeige sich, dass Arnim vor dem Hintergrund 9 10 11

Schmidt: Medien und Emotionen, S. 35. Ebenda, S. 31. Arnim: Werke in sechs Bänden, Bd. 1, S, 753 (»Struktur und Gehalt«).

X

Vorwort

der Typenhaftigkeit von Märchencharakteren gerade das Gegenteil inszeniere; Burwick spricht von einem dargestellten »Zeitraum der ›Metamorphose‹«, es handle sich »mehr [um] ein Experiment mit zwischenmenschlichen Gefühlen und ein Ausspielenlassen der Emotionen in all ihren Schattierungen als geschlechterspezifisch festgelegtes Verhalten.« Scheint uns schon die Gefühlswelt des Blaubart fremd, so untersucht Sheila Dickson in ihrem Beitrag »fremde Emotionskulturen« in Erzähltexten Arnims, um die Problematik der Vermittlung von Emotionen daran zu verdeutlichen. Beispiele dafür sind Mistris Lee, Melück Maria Blainville oder Isabella von Ägypten. Dickson konstatiert schließlich: »Arnim kodiert in seinen Erzählungen Emotionen in den Gegensätzen Frau/Mann und deutsch/ausländisch, um anhand der dadurch entstehenden Missverständnisse und Konfrontationen die Schwierigkeiten darzustellen, Gefühle auszudrücken und zu verstehen, erst recht, wenn sie fremd sind.« Die körperliche Seite der Emotionen, insbesondere der Liebe und ihrer Neubestimmung um 1800, sind Thema von Claudia Nitschke; sie stellt zwischen Goethes Wahlverwandtschaften und Arnims Gräfin Dolores eine »Verschiebung« fest, »die Körperlichkeit anders markiert und verortet.« Die Inszenierung von Emotionen funktioniere in beiden Texten gleichwohl grundsätzlich anders. Letztlich benenne und anerkenne Arnim die Körperlichkeit (der Liebe) »deutlicher als Goethe, als Prämisse«, bekräftige jedoch, nicht zuletzt durch den eindrücklichen Ausgang des Romans, ihre strenge Regulierung anhand von Dolores’ mahnendem Beispiel. Heines Emotionsdarstellungen sind ein virtuoses Plädoyer für Sinnlichkeit und gegen »biedermeierliche Doppelmoral« und bürgerliche »Affektkontrolle«, wie Hartmut Kircher an zahlreichen Beispielen belegt. Die Inszenierung der Sinnlichkeit sei dabei aufs Genaueste kalkuliert, nicht zuletzt als hervorgerufen durch die politische Zensur oder vor dem autobiographischen Hintergrund zu interpretieren. Zensur und Repression im Vormärz umgeht der österreichische Autor Ferdinand Raimund durch Genres, die sich durch romantische Gattungsmischung auszeichnen – Zauberstücke und Märchendramen – und denen eine bestimmte Darstellung der Emotionen eigentümlich ist. Den Hintergrund dieser Ausführungen Ulrike Tanzers bildet die Seelendiätetik des Arztes und Vormärz-Schriftstellers Ernst von Feuchtersleben, der auf das aristotelische mesotes-Ideal und seine Aktualisierungen durch den Sensualismus rekurriert. Der Dimension der ›Ästhetik der Gefühle‹ im Sinne der textuellen Emotionalisierungsstrategien rückt in den Beiträgen von Bernd Hamacher, Antje Arnold, Urs Büttner und Gert Theile in den Fokus. Bernd Hamacher legt eine Analyse der ›verfehlten Gefühle‹ Torquato Tassos vor, indem er zeigt, dass Tasso weder »situationsadäquates Verhalten« – allerdings nicht mehr im Sinne höfischer Moralistik – beherrscht noch einsehen kann, dass Emotionen im Gegenüber letztlich nicht zu erkennen sind und umgekehrt. Goethes Tasso wird so als modernes Stück gelesen. Hamachers Ausblick bezieht sich auf den späten Goethe: »Es geht nicht mehr um den Ausdruck der Empfindung, das Leiden selbst, sondern darum, was das Leiden auslöst, die epochale historische Veränderung, die den Hintergrund für Tassos Problematik bildet.«

Vorwort

XI

Im Mittelpunkt der Untersuchungen Antje Arnolds steht Arnims Gräfin Dolores. Anhand des als programmatisch verstandenen Untertitels »Eine wahre Geschichte zur lehrreichen Unterhaltung armer Fräulein aufgeschrieben von Ludwig Achim von Arnim« werden Emotionalisierungsstrategien des Textes entlang der horazischen Norm prodesse aut delectare nachgezeichnet und mit Romanstruktur und Unterhaltungsfunktion in Korrespondenz gebracht. Ästhetik war zunächst »scientia cognitionis sensitivae«, »die Wissenschaft von der sinnlichen Erkenntnis«12; in seinem Beitrag entwickelt Urs Büttner Arnims Überlegungen zur Erkenntnisform der Kunst als »Gefühlserkenntnis der Kunst« en detail und im Rückgriff auf die Begriffsgeschichte im 18. Jahrhundert am Begriff der ›Ahndung‹. Gert Theiles Überlegungen zur Glasmetapher widmen sich des angemessenen Emotionsausdrucks angesichts einer komplexer werdenden (Um-) Welt um 1800 und er zeigt exemplarisch, wie diese moderne romantische GlasBildlichkeit bei Arnim, Tieck und Hoffmann zum Einsatz gebracht wird. Die Gattungsabhängigkeit der unterschiedlichen Inszenierung von Gefühlen macht Walter Pape deutlich. Er untersucht insbesondere, wie Tränen be-/geschrieben oder besprochen werden, ob dem Schreiben von Tränen Grenzen gesetzt sind und wie andere stumme oder beredte Formen des Schmerzes verbalisiert oder in der Performanz dargestellt werden. Goethes Torquato Tasso, seine Natürliche Tochter sowie Kleists Penthesilea dienen ihm als dramatische, Goethes Wahlverwandtschaften und Arnims Gräfin Dolores, die von den Zeitgenossen oft kontrastiert wurden, als erzählerische Beispiele. Christof Wingertszahn untersucht in seinem Beitrag Emotionsdarstellungen in Arnims Lyrik (insbesondere dem romantischen Lied als ›Gefühlsprotokoll‹), die nicht nur auf die Diskurse der Zeit um 1800 zurückzuführen sind, sondern auch auf seine eigenen naturwissenschaftlichen Studien, insbesondere zum Vitalismus, exemplarisch am Oppositionspaar Freude und Trauer vorgeführt. Wingertszahn resümiert, »Arnims Spontaneitätsgestus könnte man als Bekenntnis des romantischen Lyrikers zum Affektausbruch in Gedichtform werten«, der allerdings immer kalkuliert ist. Arnims Gedicht »Waldgeschrey«, in dem die Forschung auch eine subjektlose Sprachgebärde sehen wollte, dient Jan Oliver Jost-Fritz als Beispiel, das Problem lyrischer Subjektivität bei Achim von Arnim neu zu fassen: Arnim beschreibe metapoetisch eine anthropologisch fundierte Konstitution von Subjektivität (wobei er wie Wingertszahn auf die naturwissenschaftlichen Studien Arnims verweist), bei der sich der Schluss des Gedichts auch der Transzendierung des Subjekts öffne. Die große politische Bedeutung der Erregung von Emotionen kennen wir aus Kleists oder Ernst Moritz Arndts Versuchen des politischen Engagements, die gleichermaßen von Nationalgefühl und Nationalhass getragen sind. Achim von Arnim steht diesen Extremen ferner, bedient sich aber, wie Jürgen Knaack schreibt, im Preußischen Correspondenten »der gesamten zur Verfügung stehenden Palette literarischer Formen und emotionaler Sprache« und führt damit im Tagesjournalismus eine neue Sprache ein. 12

Baumgarten: Ästhetik, S. 10 u. 11 (§ 1).

XII

Vorwort

Dass beim Marathon-Vorlesen Tiecks seine »beiden Zuhörer alle Augenblick an einzuschlafen« anfingen, war ihm eine »Lehre über die Unzuverlässigkeit des Publikums«. Die durchweg durchaus auch emotionalen Beziehungen zwischen Autor und intendiertem oder realen Leser arbeit Stefan Nienhaus präzise heraus, indem er zeigt, wie Tieck mit der »versteckten Form der fiktiv-auktorialen Leserapostrophe alle möglichen wahrscheinlichen und unwahrscheinlichen Erwartungen parodistisch skizziert und zurückgewiesen« hat. Der »Zweifel des Autors über die Wirkung seiner Texte« beschleicht natürlich auch jeden Literaturwissenschaftler, und, wie Nienhaus feststellt, spricht ein »eingeschlafenes Publikum [...] das schrecklichste Urteil über den Text«. In der wunderschön gelegenen Edmundsburg in Salzburg – wo die Internationale Arnim-Gesellschaft mit dem Blick auf die Altstadt, die Franziskanerkirche und den Dom dank der Gastfreundschaft der Universität Salzburg, insbesondere von Ulrike Tanzer, dank Frau Eva Alteneder vom Stefan-Zweig-Zentrum, dank eines Zuschusses der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Organisation durch Norbert Wichard tagen konnte – also in diesem 1696 von Edmund Sinnhuber, dem Abt von St. Peter, als Sommersitz errichteten Schlösschen taten die vorgetragenen Texte keine schreckliche Wirkung, im Gegenteil: Alle lauschten den Vortragenden, diskutierten, beides natürlich nicht ohne Emotionen, und man musste niemandem mit Eichendorffs irrem Spielmann zurufen: »Schau nicht so lüstern zum Fenster hinaus!« Auf Seiten der Leser der Beiträge erhoffen sich die Beiträger des 8. Kolloquiums der Internationalen Arnim-Gesellschaft trotz des naturgemäßen Fehlens des die Aufmerksamkeit fordernden unmittelbaren Kontaktes mit dem Rezipienten eine rationale und emotionale Wirkung. Denn auch für wissenschaftliche Literatur gelten die von Nienhaus zitierten »ersten drei Punkte in Daniel Pennacs Dekalog der Rechte des Lesers«, die »jedem Autor das Grausen vor seinen Lesern« einflößen: »1. Das Recht, nicht zu lesen. 2. Das Recht, Seiten zu überspringen. 3. Das Recht, ein Buch nicht zu Ende zu lesen.« Du wirst dieses Buch, liebe Leserin, lieber Leser, zu Ende lesen wollen!

Köln, im Januar 2012 Antje Arnold und Walter Pape

REPRÄSENTATION EXISTENZIELLER GEFÜHLE

Daniel Fulda

Menschwerdung durch Gefühle – Gefühlserregung durch eine Übermenschliche: Schillers »Jungfrau von Orleans« zwischen Aufklärung und Romantik

Wie für andere Autoren der Romantik auch ist die Epoche der Aufklärung für Achim von Arnim durch einseitige Verstandesorientierung gekennzeichnet. Sein Halle betiteltes Studentenspiel, das seinen Schauplatz an diesem Hauptort des philosophischen und theologischen Rationalismus hat, bringt einen Philosophen Wagner auf die Bühne, der hoch logisch zu demonstrieren vermag, wie sich »alle Welt aus der Vernunft und den Atomen« erbauen lässt.1 »Des Aberglaubens Vorhang« meint er damit »kühn zerrissen, die Offenbarung vernichtet« zu haben, so dass eine der Studentenfiguren kommentiert: »sollt’ ich mir die Aufklärung versinnlicht denken, der Wagner wär’ ihr Bruder.« Das ist kein positives Urteil, weder über die Aufklärung noch über ihren Vorkämpfer, denn Wagners ›Sinnlichkeit‹ ist ausgesprochen »schwächlich«.2 Wagner lebt »keusch« und hat »nie was sonst als seine Bücher angesehen«. In der Disputation mit Cardenio, dem überschäumenden, ebenso empfindungsstarken wie gedanklich himmelhochstrebenden Helden des Stücks, vermag er daher nicht zu bestehen. Vielmehr geht er an seiner eigenen Vernunftgröße zugrunde; er stirbt, wie eine andere Studentenfigur kommentiert, »an seiner Schlüsse ungeheurer Folge, an einem Untersatz ist er geblieben, der alles schließen sollte«.3 Nun hat die Literaturwissenschaft seit längerem herausgearbeitet, dass das Bild der Romantiker von einer angeblich bloß rationalistischen Aufklärung wenig stichhaltig ist. Über das 18. Jahrhundert gibt dieses Bild weit weniger Auskunft als über das Abgrenzungsbedürfnis der um 1770 geborenen Intellektuellen. Denn das ›Gefühl‹ als anderes, dem Verstand meist gegenübergestelltes Seelenvermögen ist keineswegs eine Entdeckung der Romantik und auch nicht jener Präromantik, die in der deutschen Literaturgeschichte ›Sturm und Drang‹ genannt wird. Vielmehr gilt es bereits mitten in der Aufklärung als Fundament menschlicher Identität – trotz der traditionell ihm attestierten Wandelbarkeit! – und ist Gegenstand weitreichender Hoffnungen in mehreren Hinsichten. Im Folgenden ist der theorie-, literatur- und kulturgeschichtliche Siegeszug des Gefühls in der Aufklärung zumindest kurz zu 1

2 3

Arnim: Halle und Jerusalem. Studentenspiel und Pilgerabenteuer, S. 63. Die folgenden Zitate ebenda. Mit dem Rationalismus ist die Universität Halle nicht allein durch Christian Wolff und die Frühaufklärung verknüpft, sondern radikaler noch durch den offenbarungskritischen Theologen Karl Friedrich Bahrdt (1741–1792). Anders als die Figur Wagner hatte Bahrdt allerdings kein Sinnlichkeitsdefizit. Ebenda, S. 65. Die folgenden Zitate ebenda. Ebenda, S. 64.

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Daniel Fulda

rekapitulieren, denn die in der Literatur um 1800 exponierten Modelle setzen diese Vorgeschichte voraus (I.). Der Hauptteil des Beitrags wendet sich dann Schillers Jungfrau von Orleans als in der Übergangszone von Aufklärung und Romantik angesiedelter Gestaltung und Reflexion von Gefühlen als Konstituens von Mensch- und Gesellschaftlichkeit zu. Dabei wird es zum einen um die anthropologische Unverzichtbarkeit von Gefühlen gehen, die diese Tragödie demonstriert (II.). Eine tragische Figur ist Johanna, so die These, nicht weil Mitleid und Liebe in ihr erwachen, so dass sie ihre Sendung ›verrät‹, sondern weil sie ihrer Empfindsam- und damit Menschlichkeit absagt, um die Feinde des Vaterlandes vertreiben zu können. Zum anderen legt die Analyse ein im selben Drama zum Ausdruck kommendes gegenläufiges Bedürfnis nach Übersinnlichem frei, und zwar nach einem Übersinnlichen, das sich nicht als jene geistigmoralische Freiheit darstellt, die sich laut Schillers Tragödientheorie über das Leiden des Körpers erheben soll, sondern als paradoxerweise native, mühelose Übermenschlichkeit, wie sie Johanna bis zu ihrem ›Sündenfall‹, der Begnadigung eines plötzlich geliebten Feindes, verkörpert. Die Gefühle der Zuschauer erregt die Titelheldin, obwohl – oder vielleicht auch gerade weil – sie sich selbst dem Gefühl verschließt (III.), und als Gefühlserregungskunst, nicht als dramatische Exemplifizierung der Theorie des Pathetischerhabenen, muss Schillers Tragödie zumindest im Fall der Jungfrau von Orleans primär verstanden werden (IV.). Die Analyse richtet sich demnach auf drei unterschiedliche Bereiche: auf den historischen Kontext sich wandelnder Emotionskonzepte (I.), auf die Thematisierung, Gestaltung und Bewertung von Gefühlshaltungen durch den literarischen Text (II.) sowie auf die emotionale Wirkung, wie sie sich in zeitgenössischen Rezeptionszeugnissen darstellt (III.) und wie sie – nicht deckungsgleich – in Schillers Tragödienkonzept vorgesehen ist (IV.).

I. In der abendländischen Theorietradition gibt es keine ›Gefühle‹, sondern Leidenschaften und Affekte (gr. pathos, lat. passiones). Leidenschaften und Affekte stellt man sich vor als etwas, das den Willen oder die Vernunft des Menschen bestürmt. Sie treiben an, aber unkontrolliert, und versetzen den Menschen in Unruhe. Als Umgang mit ihnen wird teilweise ein maßvolles Gewährenlassen empfohlen (Aristoteles), teilweise Affektbeherrschung (Seneca und die Stoa).4 In der Frühen Neuzeit sind Affektlosigkeit und Gemütsruhe dann nicht allein ein philosophisches Ideal, sondern werden zum kirchlich wie staatlich verfolgten Programm der Verhaltensregulierung und Sozialdisziplinierung.5 Im 17. Jahrhundert schließt sich zudem ein erheblicher Teil der deutschen Literatur dem neostoizistischen Programm an.6 4

5 6

Vgl. Behringer: Gefühl. 1. Allgemein. – In: Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 4, Sp. 247–252, hier Sp. 249. Vgl. Oestreich: Strukturprobleme des europäischen Absolutismus, S. 187–194. Vgl. Schings: Consolatio Tragoediae. Zur Theorie des barocken Trauerspiels. – In: Grimm (Hrsg.): Deutsche Dramentheorien, S. 1–44, bes. S. 23f.

Menschwerdung durch Gefühle

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Die Leidenschaften werden hier, aber auch in Beichtspiegeln und Verhaltenslehrbüchern, politischen oder medizinischen Schriften als potentiell, ja mit Wahrscheinlichkeit zerstörerisch begriffen. Sie müssen durch Vernunft und Tugend gebändigt werden, können also nicht Träger einer ethisch positiven und sozial zuträglichen personalen Identität sein. Der Wert eines Menschen bemisst sich vielmehr danach, wie gut er seine Leidenschaften beherrscht. Er soll sich nicht von ihnen hin- und hertreiben lassen, sondern an allgemeinverbindlichen Normen orientieren. Einen Einbruch in diese Konstellation bedeutet die von Christian Thomasius formulierte Skepsis gegenüber der Steuerungsmacht des vernünftigen Ich. Die rationalistische Ethik hatte vorausgesetzt, dass der Verstand den Willen (als den eigentlichen Handlungsantrieb) anleitet; die Erkenntnis von Gut und Böse durch den Verstand bildete unter dieser Prämisse den entscheidenden Schritt zum rechten Handeln. Thomasius hingegen bestreitet die Souveränität des Rationalen; vielmehr sei es der seinerseits affektbeeinflusste Wille, der die Urteile des Verstandes bedinge.7 Seine Sittenlehre ist daher wesentlich eine Affektenlehre.8 Den drei Hauptaffekten Ehrgeiz, Wollust (eine übertriebene Sinnlichkeit nicht nur in sexueller Hinsicht) und GeldGeiz (Habgier) stellt er nicht den Verstand gegenüber, sondern einen vierten Affekt, die ›vernünftige Liebe‹ – gemeint ist die Schätzung von Menschen und Dingen aufgrund ihres inneren Wertes, d. h. Tugend bzw. Nützlichkeit.9 Von einem grundsätzlichen Vertrauen in die Affekte ist Thomasius noch weit entfernt, doch werden sie doppelt aufgewertet: deskriptiv durch Anerkennung ihrer rationalen Unbeherrschbarkeit sowie normativ durch Ansetzung eines tugendhaften Affekts. Thomasius’ Anthropologie ist eher pessimistisch gefärbt. Mit einer gedeihlichen Selbstregulation der Affekte rechnet er nicht; vielmehr hält er äußere Zwangsmittel für unentbehrlich.10 Gleichzeitig bahnt sich indessen eine grundsätzliche Umwertung an, die aus turbierenden Affekten mehr und mehr benevolente Gefühle macht. Leidenschaften, die sich dem nicht fügen, werden zu moralisch neutralen ›Interessen‹, deren Konkurrenz nicht mehr als schädlich, sondern als Antrieb individuellen Strebens und gesellschaftlichen Fortschritts angesehen wird, nicht nur, aber besonders auf wirtschaftlichem Gebiet.11 Immer mehr Autoren muten dem Gefühl nun immer mehr zu: dem Frommen zu einem vertieften Gottesverhältnis zu verhelfen; allen Menschen eine natürliche Moral anzubieten sowie ästhetische Erkenntnis zu verschaffen; Geselligkeit als friedliches und befriedigendes Zusammenleben zu ermöglichen; dem Individuum ganzheitliche Menschlichkeit zu gewinnen. Der Pietismus, Shaftesbury und Hutcheson, die Moralischen Wochenschriften der Jahrhundertmitte, Baumgarten, Meier und Rousseau haben dabei nicht dieselben Absichten, wirken aber in eine Richtung.12 Nicht alle Autoren schließen sich dem 7 8 9 10 11 12

Vgl. Thomasius: Ausübung der Sittenlehre, S. 169. Vgl. Schneiders: Naturrecht und Liebesethik, S. 200. Vgl. Thomasius: Ausübung der Sittenlehre, S. 174–183. Vgl. Schneiders: Naturrecht und Liebesethik, S. 256. Vgl. Hirschman: Leidenschaften und Interessen. Vgl. Kondylis: Die Aufklärung, S. 339, 398f., S. 576; Franke, Oesterle: Gefühl I. – In: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 3, Sp. 82–89, hier Sp. 83–86; Stöckmann: Anthropologische Ästhetik.

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an, doch kommen häufig selbst diejenigen, die sich als Anwälte eines Primats der Vernunft begreifen, nicht um Zugeständnisse an die »sentimental revolution«13 herum. So registriert Gottsched, dass die künstlerische Fähigkeit, »die feinsten Regungen der Seele auszudrücken«, »heut zu Tage« häufig »Gefühl« genannt werde, obwohl das Wort eigentlich den Tastsinn bezeichne – so tatsächlich der bis in die zweite Jahrhunderthälfte vorherrschende Begriffsgebrauch; unser ›Gefühl‹ wurde meist ›Empfindung‹ genannt.14 Bemerkenswert ist nicht zuletzt die Vielzahl der Hinsichten, in denen das Gefühl dem Menschen über die bisherige Reichweite seiner Vermögen hinausgehende Möglichkeiten eröffnen sollte: nämlich in der Religion, der Moral, der Gesellschaft, der Kunst. Auf sein Gefühl darf man, so die optimistische Erwartung, sowohl in seinen Sozialverhältnissen als auch in seinem Selbstverhältnis und ebenso in seinem Gottesverhältnis bauen; es fundiert den Menschen als Gattungswesen wie auch als einzigartiges Individuum. Gemeint sind wohlgemerkt kultivierte Gefühle, wenngleich sich der Abstand von der bloßen Natur, den emotionale Kultivierung schaffen soll, im Laufe des Jahrhunderts beständig verringert. Der Mensch, der zu fühlen in der Lage ist, erscheint nicht mehr primär als bedroht (wie zuvor durch Leidenschaften und Affekte), sondern als bereichert, weil sich seine Erlebens- und damit Lebensmöglichkeiten quantitativ wie qualitativ steigern.15 Die Entdeckung des Gefühls ist zudem zentraler Bestandteil der Emanzipation des Menschen, die die Aufklärung beabsichtigt. Denn durch seine Gefühle vermag sich jeder einzelne aus sich selbst heraus zu definieren; sie verschaffen ihm ein Identitätsfundament, das unableitbar ist und unabhängig von kirchlicher Heilsverwaltung, von seinem ständischen Rang, von seiner Position im Familien- und Geschlechtergefüge oder von anderen Hierarchien, potentiell sogar unabhängig von jeglicher gesellschaftlicher Anerkennung sowie von göttlicher Gnade (Ansätze zu solcher Radikalisierung finden sich in Deutschland jedoch erst im Sturm und Drang). Dementsprechend wird die explodierende Gefühlskultur des 18. Jahrhunderts vorzüglich von nicht-privilegierten Gruppen getragen, d. h. von Bürgern – und unter diesen wiederum weniger von positionell Gesicherten (wie Universitätsgelehrten à la Gottsched) als von der ›prekären‹ Intelligenz – sowie von Frauen.16 Bereits bei den Pietisten gehen Gefühlsemphase, Opposition gegen die lutherische Kirchenhierarchie sowie Positionsgewinne von Frauen und Ungelehrten Hand in Hand. Geradezu topisch wird die Abgrenzung des empfindsamen und deshalb authentischen Bürgers vom konventionsgesteuerten Adligen, dem die Selbstdarstellung nach außen wichtiger ist als der seelische Gehalt, so dass er Gefühle nur nach Maßgabe ihrer gesellschaftlichen Mitteilbarkeit entwickelt oder jedenfalls zeigt.17 In dem einen Fall lässt sich ihm deshalb Gefühlsarmut vorwerfen, im anderen Fall 13

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Vgl. Atkinson: The Sentimental Revolution; Hinweis darauf bei Kondylis: Die Aufklärung, S. 339. Gottsched: Handlexicon oder kurzgefaßtes Wörterbuch, Sp. 760. Vgl. Wuthenow: Die gebändigte Flamme, S. 15; Kleinschmidt: Die Entdeckung der Intensität. Zuletzt zur Geschichte der Gefühlskonzepte seit der Aufklärung: Frevert [u. a.]: Gefühlswissen. Vgl. Aurnhammer, Martin, Seidel (Hrsg.): Gefühlskultur. Vgl. Sauder: Empfindsamkeit, Bd. 1: Voraussetzungen und Elemente.

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Maskenhaftigkeit und Verstellung. Der Bürger hingegen kann seine emotionale Sensibilisierung durch den Umgang mit der neuen Literatur (vorzüglich der domestic tragedy, dem rührenden Lustspiel, dem Briefroman und später der sog. Erlebnislyrik) sowohl beweisen als auch schulen, denn diese hat den Ausdruck von Gefühlen ebenso wie deren Evokation auf ihre Fahnen geschrieben.18 Das neue positive Selbstverständnis eines Menschen, der sich auf seine Gefühle verlassen kann und darauf seine Identität baut, läuft bei Herder in dem Ausruf zusammen: »Ich fühle mich! Ich bin!«19 Bezeichnenderweise nennt Herder kein bestimmtes Gefühl, sondern spricht von einem universellen Gefühl mit der eigenen Person als Bezugpunkt. Die Formulierung »Ich fühle mich! Ich bin!« hat natürlich eine anticartesianische Spitze, und zwar auch darin, dass Herder den logischen Schluss (»ergo sum«) vermeidet. Ebenso wenig handelt es sich in zeitlicher Hinsicht um ein Folgeverhältnis. Hartmut Böhme deutet die bloße Parataxe vielmehr so: das »Ich bin« entspringt dem Fühlen unmittelbar und selbstevident, als Absolutum – oder eben als Ausruf, als Jubel. Im Fühlen, so legt Herder nahe, sind wir uns ursprünglich als seiend inne. Am ehesten könnte man sagen: »Indem ich fühle, bin ich«; oder schlicht: ich bin fühlend, und darin seiend. Ich bin primär ein fühlendes Lebewesen. Die Parataxe der beiden Ausrufe ist der unlöslichen Synchronizität von Fühlen und Sein geschuldet. Denken ist dafür nicht erforderlich.20

Herders Emphase scheint sich nicht mehr steigern zu lassen. Dem jungen Goethe ist dies gleichwohl gelungen, wenn er Faust auf die Gretchenfrage antworten lässt: »Gefühl ist alles« (so schon im ›Urfaust‹)21 – ein Wort ganz im Sinne der aufgezeigten Epochentendenz. Man kann so weit gehen, das 18. Jahrhundert weniger durch seinen Vernunftglauben als durch seine immer weiter ausgreifende Gefühlsemphase ausgezeichnet und von der Tradition unterschieden zu sehen. Wohlgemerkt wurde das so hoch geschätzte Gefühl in aller Regel aber nicht in einem Gegensatz zur Vernunft gesehen. »Erkennen und Empfinden« seien vielmehr, so Herder, nicht voneinander zu trennen und müssten »am Ende gar Einerlei sein«.22 Über die Vernunft wurde das Gefühl erst von manchen Romantikern erhoben, etwa wenn Novalis über »diesen himmlischen, diesen natürlichsten aller Sinne« schreibt: »Das Element des Gefühls ist ein inneres Licht […]. Das Denken ist nur ein Traum des Fühlens, ein erstorbenes Fühlen, ein blaßgraues, schwaches Leben«.23 Die Metapher des ›inneren Lichts‹ markiert hier den Anspruch auf eine Alternative zur Aufklärung, die als etwas Äußerliches gedacht und dadurch abgewertet wird. 18

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Wie die emotiven Sprechmuster der Literatur funktionieren und wie sie sich funktionsanalytisch fassen lassen, untersucht Mellmann: Emotionalisierung. Herder: Zum Sinn des Gefühls [entst. 1769] – Werke in zehn Bänden. Bd. 4, S. 235–242, hier S. 236 (im Orig. hervorgehoben). Böhme: Leibliche und kulturelle Codierungen der Angst. Goethe: Faust, Frühe Fassung, V. 1148 – Goethe: Faust. Texte, S. 521. Herder: Übers Erkennen und Empfinden in der Menschlichen Seele [1774] – Werke in zehn Bänden, Bd. 4, S. 1090–1127, hier S. 1090. Novalis: Die Lehrlinge zu Sais – Schriften. Die Werke Friedrich von Hardenbergs, Bd. 1, S. 96.

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II. Hat das Jahrhundert der Aufklärung diese ›Vorleistungen‹ für das Gefühlsvertrauen der Romantik erbracht, so lassen sich weitere Aufschlüsse davon erhoffen, einen Autor bzw. Text in den Mittelpunkt der Analyse zu rücken, der nicht im literarischen Feld der ihre Vorgeschichte verleugnenden Romantik steht, sondern in der Übergangszone von Aufklärung und Romantik. In der Gemengelage der deutschen Literaturgeschichte um 1800 lenkt dieser Gedanke den Blick auf Goethe und Schiller, aus deren zu dieser Zeit entstandenen Werken herkömmlich eine dritte literarische ›Epoche‹ am Beginn der Moderne gebildet wird.24 Besonders eindringlich thematisiert Schillers Jungfrau von Orleans von 1801 das zeitgenössische Bild von der anthropologischen Fundamentalität des Gefühls. Denn in dieser Tragödie geraten nicht allein, wie es für die Gattung charakteristisch ist, heftigste oder auch unterdrückte Gefühle aneinander, so dass mindestens eine Figur genötigt ist, ihren Gefühlshaushalt neu zu ordnen, um wenn schon nicht ihr Leben bewahren, so doch ihre sittliche Integrität wiederherstellen zu können (so der Fall der Maria Stuart). Das Verhältnis der Jungfrau zur Aufklärung und Romantik verbindenden Gefühlsemphase ist vielmehr ein reflexives: Durch die Verknüpfung ganz unterschiedlicher Lebensformen und Kulturniveaus – der Hirtenwelt, aus der Johanna kommt, des Hofes des musengeneigten Dauphins, der Sphäre des Krieges und der Politik auf dem Schlachtfeld und im englischen Lager, der Liebesneigung und -bindung, die sich Johanna wiederholt und am Ende dauerhaft versagt, und schließlich der repräsentativen Öffentlichkeit vor der Krönungskathedrale in Reims –, durch die Aufspannung dieses weiten Panoramas setzt Die Jungfrau von Orleans nicht einfach voraus, dass Gefühle handlungsleitend und identitätsstiftend sind, sondern weist aus, in wie unterschiedlicher Weise sie dies sein können und welche Probleme dies in allen Varianten mit sich bringt. Es gibt wohl nur wenige Dramen, in denen die zentrale Figur so abgehoben ist von den übrigen Akteuren – bis hin zur dramaturgischen Eigentümlichkeit, dass sie keinen wirklichen Gegenspieler hat. Von Anfang an stellt sich Johanna als jemand dar, der grundlegend anders ist als alle anderen. Schon in ihrer dörflichen Heimat ist sie eine Einzelgängerin, die sich in Natureinsamkeit zurückzieht, von ihrem Vater misstrauisch beäugt und der Zauberei verdächtigt.25 Das Stück beginnt bekanntlich damit, dass sie sich, anders als ihre Schwestern, nicht verheiraten lassen mag und stattdessen aufbricht, um Frankreich von den ins Land eingefallenen Engländern zu befreien. Krasser könnte die ›Steighöhe‹ nicht sein, möchte man meinen, doch beweist Johanna auch am Hof des Dauphins sowie auf dem Schlachtfeld absolute Überlegenheit: Sie erkennt, dass es nicht Karl ist, der auf dem Thron sitzt; sie weiß anzugeben, was der Dauphin in der Nacht zuvor gebetet hat

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Als berechtigte Kritik an den damit verbundenen Separierungen vgl. Matuschek: Aufklärung, Klassik, Romantik. Drei gleichzeitige Intentionen in der deutschen Literatur um 1800. Vgl. Schiller: Die Jungfrau von Orleans – Werke und Briefe in zwölf Bänden, Bd. 5, S. 149–277, hier S. 152–155 (Prolog 2). Zitate daraus werden im Folgenden mit Akt-, Szenen-, ggf. Vers- sowie Seitenangaben im laufenden Text nachgewiesen.

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(I,10, S. 185f.); und wo sie das Schwert ergreift, ist den Franzosen der Sieg sicher. Da ist es fast keine Übertreibung, wenn Dünois sie als »die Göttliche« bezeichnet und zu blinder Gefolgschaft bereit ist (I,10, V. 1129, S. 188). In dieser überschwänglichen Apostrophierung liegt ein Körnchen Wahrheit, nämlich dass Johanna etwas Wesentliches zum Menschsein fehlt: Sie zeigt keine, ja sie verweigert alle Gefühle – jedenfalls vor ihrer ›Versuchung‹ durch Montgomery (»Es zieht das Herz mich zu der lieblichen Gestalt«; II,7, V. 1605, S. 204), den sie trotzdem aber gnadenlos niederstreckt, und vor ihrem ›Sündenfall‹ in der Begegnung mit Lionel (III, 10, S. 234–236), der sie aber in Schuldgefühle stürzt, von denen sie sich nur durch Bekräftigung ihres prinzipiellen Liebesverzichts zu befreien vermag, so dass sie, als Gefangene vor ihn gebracht, seine Werbung zurückweist und sich gegen alle Engländer nur Hass gestattet (»Du bist / Der Feind mir, der verhaßte, meines Volks. / […] Nicht lieben kann ich dich«; V,9, Vv. 3348–51, S. 269). »Das Gefühl ist der Feind«, hat Max Kommerell sogar über Johanna bemerkt.26 Obwohl »in den Jahren des Gefühls« stehend, wie ihr Vater mahnt, hat sie bereits als Hirtenmädchen »streng und kalt« ihr »Herz« verschlossen (Prolog 2, Vv. 63f., S. 153). Damit verstößt sie nicht nur gegen bestimmte gesellschaftliche Erwartungen – nämlich dass die weibliche Jugend besonders empfindsam sei –, sondern nach Auffassung des 18. Jahrhunderts gegen allgemeine Grundlagen von Menschlichkeit.27 Dies unterstreicht indessen nur ihren Ausnahmestatus. Die Keuschheit, die von jeder Jungfrau gefordert ist, pervertiert Johanna zu einer niemandem zu empfehlenden Gefühlsabtötung. Als sie zur Befreiung Frankreichs aufbricht, erhöht sie den Liebesverzicht zum speziell ihr geltenden Gesetz, das Gott selbst ihr gegeben habe. Dabei spricht sie sich in der 2. Person an: In rauhes Erz sollst du die Glieder schnüren, Mit Stahl bedecken deine zarte Brust, Nicht Männerliebe darf dein Herz berühren Mit sünd’gen Flammen eitler Erdenlust, Nie wird der Brautkranz deine Locke zieren, Dir blüht kein lieblich Kind an deiner Brust, Doch werd’ ich dich mit kriegerischen Ehren, Vor allen Erdenfrauen dich verklären. (Prolog 4, Vv. 409–416, S. 163f.)

Den Liebesverzicht als Bedingung von Johannas Überlegenheit hat Schiller nicht der historischen Überlieferung oder der Stofftradition entnommen, sondern erst zum zentralen Motiv gemacht.28 Umso mehr darf seine Tragödie als planvolle Studie über die anthropologische Bedeutung des Gefühls gelesen werden. Um Gefühl im Allgemeinen und nicht nur um Liebe im Besonderen geht es, weil es nicht allein die »Männerliebe« ist, derer sich Johanna enthält. Vielmehr zeigt sie auch keinerlei Angst; ebenso wenig triumphiert sie. Wie in der Montgomery-Szene schockierend deutlich wird, verweigert sie zudem jedes Mitleid, selbst gegenüber einem kniefäl26

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Kommerell: Schiller als Gestalter des handelnden Menschen, S. 163; Hinweis bei Sauder: Die Jungfrau von Orleans, S. 360. Vgl. Lange: Geschichte und Utopie in Schillers »Jungfrau von Orleans«, S. 313 u. 316. Vgl. Alt: Schiller, Bd. 2, S. 514.

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lig Besiegten (II,7, S. 203–206) – das Mitleid aber erachtete die hohe Aufklärung für das wichtigste, weil tugendtragende Gefühl.29 Überhaupt fallen die Selbstdistanz und Kühle auf, mit der Johanna ihre ›Sendung‹ ergreift und ausführt; u. a. spricht sie über sich in der 3. Person (Prolog 3, Vv. 303–309, S. 160 u. ö.) und sogar, wie zitiert, in der 2. Person. Ihren Gemütszustand prägt eine von außen kommende »Begeisterung« (so wörtlich in einer Szenenanweisung, Prolog 3, vor V. 302, S. 160); persönliche Gefühle sind nicht erkennbar: »mich treibt die Götterstimme, nicht / Eignes Gelüsten« (II,7, Vv. 1660f., S. 206).30 Die Frage ›wie hältst Du’s mit dem Gefühl‹ spielt das Drama nicht nur an der Titelheldin durch. Vielmehr verkörpert sich in den dramatis personae ein ganzes Spektrum unterschiedlicher Verhältnisse von Gefühl und Vernunft, von emotionalen Motiven und Handlungsmacht. Ausgesprochen gefühlvoll ist der Dauphin; Liebe, Freundschaft und Mitleid sind Werte, die er hochhält und auch lebt (I,6, S. 179f.). Vordergründig historisch ist es die Troubadourpoesie, der Karl nacheifert;31 gefühlsgeschichtlich gesehen, ist es hingegen das Persönlichkeits- und Geselligkeitsideal der Empfindsamkeit, das in dieser Figur auf die Bühne kommt32 – und sich als hilflos erweist. Denn die Entschlusskraft, die von einem politisch Verantwortlichen gefordert ist, wird von solcher Gefühligkeit unterminiert.33 Freilich können Gefühle auch mächtige Handlungsantriebe sein, wie die Königin Isabeau, die zu den Engländern übergegangene Mutter des Dauphins, zeigt. Sie hasst ihren Sohn und will sich an ihm rächen (II,2, Vv. 1413–1425, S. 197f.). Sie hasst, wie sie selbst sagt, »von Herzen« (V. 1452), handelt gleichwohl aber mit rationalem Kalkül und weiß sehr wohl auch durch »ein verständig Wort« ihre Sache zu betreiben (so der Herzog von Burgund; II,2, V. 1363, S. 196). So gelingt ihr wenigstens zeitweilig die Transformation von Gefühlsantrieben in Handlungsmacht. Diese misslingt hingegen den Zweite-Reihe-Figuren auf französischer Seite: Dünois, Dü Chatel und Agnes Sorel. Alle drei leiden heftig sowohl an Frankreichs Unglück wie auch an Karls Untätigkeit (Dünois: »Mir blutet in der Brust / Das tapfre Herz und glüh’nde Tränen möcht’ ich weinen«; I,1, Vv. 435f., S. 165) und sind bereit zu höchstem persönlichem Einsatz. Die Opferbereitschaft eines einzelnen, sei es der Einsatz des

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Vgl. Lessing: Briefwechsel über das Trauerspiel – Werke, Bd. 4, S. 163: »Der mitleidigste Mensch ist der beste Mensch, zu allen gesellschaftlichen Tugenden, zu allen Arten der Großmut der aufgelegteste.« (an Friedrich Nicolai, November 1756). Mit Recht kennzeichnet Kollmann Johannas »Pathos als Ausdruck ›unpersönlicher Leidenschaft‹« – Kollmann: Gepanzerte Empfindsamkeit, S. 114. Die Kombination von Unpersönlichkeit und Reflexion darauf betont Alt: Schiller, Bd. 2, S. 524: »Zwar agiert Johanna als Medium wie unter Zwang, doch beobachtet sie, was mit ihr geschieht, aufmerksam und kontrolliert.« Vgl. I,2, Vv. 469–485, S. 166 mit einer historischen Anmerkung Schillers. Zur Prägung der Gefühlssprache auch der anderen Figuren durch die Empfindsamkeit vgl. Sauder: Die Jungfrau von Orleans, S. 358–361. Vgl. Kollmann: Gepanzerte Empfindsamkeit, S. 109. In seiner Dichtungstheorie äußert sich Schiller direkt kritisch über solche »Empfindelei«: »Ein fortgesetzter Hang zu dieser Empfindungsweise muß zuletzt notwendig den Charakter entnerven und in einen Zustand der Passivität versenken, aus welchem gar keine Realität, weder für das äußere noch innre Leben, hervorgehen kann.« Schiller: Über naive und sentimentalische Dichtung – Werke und Briefe in zwölf Bänden, Bd. 8, S. 761.

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eigenen Lebens im Kampf (Dünois), sei es die eigene Auslieferung an den Feind (Dü Chatel), sei es die Aufopferung aller Schätze (Sorel), vermögen dem Ganzen aber keine entscheidende Wendung zu geben. Eine gefühlsskeptische Haltung kennzeichnet schließlich Talbot, den englischen Heerführer. Talbot ist nüchtern, er handelt rational und vorausschauend, und zwar erklärtermaßen, um einem Gefühl wie der Furcht keinen Raum zu geben.34 Gefühle sind für Talbot eine »Dummheit«, über die er später allerdings sagen muss, dass »Götter selbst vergebens« mit ihr »kämpfen« (III,6, V. 2319, S. 228). Denn seine persönliche Nüchternheit vermag das panische Erschrecken der englischen Soldaten vor der kämpfenden Johanna nicht zu verhindern. Talbots rationale, gespenster- und aberglaubenskritisch gemeinte Erklärungen bleiben wirkungslos, und schlimmer noch: Mit ihnen täuscht er sich selbst über die Realität jener Macht, über die Johanna verfügt.35 In Talbot sind es Prinzipien der rationalistischen Aufklärung, die als eine Form der Gefühlsverdrängung kenntlich werden, beruft er sich doch ausdrücklich auf die »Vernunft«, die »lichthelle Tochter / Des göttlichen Hauptes, weise Gründerin / Des Weltgebäudes« (III,6, Vv. 2320–22, S. 228f.). Erneut zeigt sich hier, dass Schillers Drama Konfliktlinien des 18. Jahrhunderts nachzeichnet. Talbots Haltung ist bei weitem nicht so überirdisch wie Johannas Gefühlsverdrängung, wird der Menschenwelt aber ebenfalls nicht gerecht. Welchem Umgang mit Gefühlen, so möchte man fragen, gibt das Drama recht? Eine gerade im 18. Jahrhundert beliebte Ansicht verlangt von literarischen Texten bekanntlich, dass sie am Ende ›Gerechtigkeit‹ herstellen und dem Rezipienten Hinweise geben, wie es in der Welt zugehen soll.36 Demnach müsste Die Jungfrau von Orleans zumindest durch Verlauf und Ausgang der Handlung demonstrieren, welche Art von Gefühlen und welcher Umgang damit die rechten seien. Eben dies scheint mir Schillers Drama jedoch zu vermeiden. Denn die vorgestellten Verhaltensalternativen haben sämtlich ihre mehr oder weniger großen Schwächen, sei es weil sie ohnmächtig bleiben, sei es weil sie moralischen Anforderungen nicht genügen: Ohnmächtig sind Karl und seine Getreuen, bevor Johanna an ihre Seite tritt; am Ende ohnmächtig sind Isabeau und Talbot. Moralisch zweifelhaft kann sowohl eine handlungsschwächende Emotionalität sein (Karl) als auch eine handlungsmotivierende (Isabeau). Sogar beide Schwächen zeigt Johanna: Solange sie in sich keinerlei Gefühl zulässt (»Du rufest lauter irdisch fremde Götter an, / Dir mir nicht heilig, noch verehrlich sind«, weist sie den um sein Leben flehenden Montgomery ab; II,7, Vv. 1620f., S. 205), solange agiert sie weniger als Mensch denn als Maschine. Die Liebe, die sie wenig später dann doch entdeckt, vermag sie wiederum nicht zu leben in der von ihr gewählten Identität als gottgesandter Jungfrau.37 34

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Stellt gute Wachen aus, besetzt die Höhn! / Zwar sichert uns die Nacht vor der Verfolgung, / Und wenn der Gegner nicht auch Flügel hat, / So fürcht ich keinen Überfall. (II,1, Vv. 1230–33, S. 192) Ein blinder Schrecken nur hat uns besiegt, / Der schnelle Eindruck eines Augenblicks. / Dies Furchtbild der erschreckten Einbildung / Wird näher angesehn, in Nichts verschwinden. (II,3, Vv. 1467–70, S. 199) Vgl. Zach: Poetic justice. Vgl. ihren großen Monolog in IV,1, S. 237–240, aber auch schon ihre Begründung, warum sie die Werbung La Hires und Dünois’ nicht annehmen kann; III, 4, Vv. 2247–64, S. 226.

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Dies zumindest scheint eindeutig, auch wenn Schillers Drama keine positive Norm für den Umgang mit Gefühlen aufstellt: Ohne Gefühle ist der Mensch kein Mensch (oder genauer: ohne Gefühle wäre er kein Mensch, denn Schillers fiktionale Johanna ist gewissermaßen nur ein hypothetischer Mensch). Johanna ist eine tragische Figur, nicht weil Mitleid und Liebe in ihr erwachen, so dass sie ihre Sendung ›verrät‹,38 sondern weil sie ihrer Menschlichkeit abgesagt hat, um kriegerisch zu obsiegen. Mit ihren Figuren – und besonders mit der Titelfigur – basiert die Jungfrau von Orleans auf der Einsicht, dass Gefühle menschen- und menschlichkeitskonstitutiv sind.

III. Das bedeutet zunächst eine Bekräftigung der umfassenden Aufwertung der Gefühle, die die Aufklärung vorgenommen hatte. Doch ist Johanna keineswegs nur eine Figur, an der sich emotionale Defizite studieren lassen. Vielmehr stellt sie das eigentliche Faszinosum des Stücks dar und zieht – obwohl man erwarten könnte, dass ihre Übermenschlichkeit »keine Identifikation gestattet«39 – ihrerseits durchaus Gefühle auf sich. Durch Rezeptionszeugnisse ist dies gut belegt. So berichtet Fritz von Stein, er sei beim Anschauen der Leipziger Erstinszenierung zunächst befremdet gewesen, weil sich Schillers neues Stück so deutlich unterscheide von den üblichen »bürgerlichen Trauerspiele[n]«.40 Bald aber zeigt er sich gerade durch das Anormale fasziniert: Johanna sei »eine vollkommene Natur ohne ein weiblich warmes Herz, und so ist sie ganz geschaffen zu einem Organ und Werkzeug höherer Macht.« Gerade das, was die Titelfigur aus dem Kreis des Menschlichen heraushebt, zieht ihn an: »wie reizend erhaben zuletzt die Apotheose der Jungfrau aus ihrem eigenen Munde.« In ähnlicher Weise schreibt der Verleger Göschen über seine »Empfindung« während der Aufführung, er habe sich »in eine höhere Schöpfung erhoben« gefühlt und das gespürt, »was die Griechen hatten und wir bisher auf unserem Boden entbehrten«: »eine Wirkung himmlischer Mächte«.41 Der Dichter sah sich ebenfalls veranlasst zu betonen: »Dieses Stück floß aus dem Herzen und zu dem Herzen sollte es auch sprechen«.42 Übrigens fügt er hier hinzu, dass er Gefühlsfähigkeit nicht für selbstverständlich hält: »Aber dazu gehört, daß man auch ein Herz habe und das ist leider nicht überall der Fall.« Dass die Herzensneigung des Publikums zu einer Herzlosen kein Missverständnis ist, zeigt die Spiegelung dieses scheinbar widersprüchlichen Verhältnisses43 in 38 39 40

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So von Wiese: Die deutsche Tragödie von Lessing bis Hebbel, S. 248–252. Oellers: Schiller, S. 253f. Vgl. den Brief Fritz von Steins an Charlotte Schiller, 31.10.1801 – Schiller: Werke und Briefe. Bd. 5, S. 650. Die folgenden Zitate ebenda. Georg Joachim Göschen an Schiller, 6. oder 7.10.1801 – ebenda, S. 648. An Göschen, 10.2.1802 – ebenda, S. 634. Das folgende Zitat ebenda. Ähnlich Schiller an Christian Gottfried Körner, 5.1.1801 – ebenda, S. 626: »ich bin mit dem ganzen Herzen dabei und es fließt auch mehr aus dem Herzen als die vorigen Stücke«. Ob es sich um einen Widerspruch handelt, thematisiert Klingemann: Ueber Schillers Tragödie: Die Jungfrau von Orleans, S. 28f. Klingemann verneint die Frage, denn es genüge, dass

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der Dramenhandlung: Bereits in ihrer siegreichsten Phase weckt Johanna warme Gefühle bei den sie Umgebenden. So werben die Haudegen Dünois und La Hire in ungewohntem Schwärmen um ihre Hand (III,1 u. 4, S. 212f. u. 226–226), und es gelingt Johannas flammender Rede, den Herzog von Burgund zur Versöhnung mit dem Dauphin zu bewegen, inklusive spontaner Umarmung (II,10, S. 208–211). Zu betonen ist, dass alle, deren Gefühle die Gefühllose weckt, keineswegs durch irgendeine Mitmenschlichkeit angesprochen und gerührt werden, sondern durch das »[H]immlische« oder »[W]underbare« (II,10, V. 1803, S. 211; III,1, Vv. 1817 u. 1827, S. 212), den »Götterschein« und die »Engels-Majestät« (III,1, Vv. 1848 u. 1855, S. 213), die sie an und in Johanna wahrnehmen.44 Dieses Muster ›Verehrung einer Heiligen, die von menschlichen Gefühlsstürmen frei ist‹ bestimmt auch den apotheotischen Schluss des Stückes: »Seht einen Engel scheiden!« kommentiert hier der Herzog von Burgund: »Seht wie sie da liegt, / Schmerzlos und ruhig wie ein schlafend Kind! / Des Himmels Friede spielt um ihre Züge« (V,14, Vv. 3508–10, S. 275f.). Zugespitzt: Obwohl ihre Gefühlsverweigerung sie aus dem Kreis des und der Menschlichen ausschließt,45 wird sie zum Gegenstand gefühlvoller Verehrung. Oder müsste man sogar formulieren: Weil ihre Gefühlsverweigerung sie ausschließt, wird sie zum Gegenstand gefühlvoller Verehrung? Jedenfalls überschreitet die schwärmerische Neigung zu ihr die Absichten des aufklärerischen Emotionalisierungsprogramms. Mit dem von Diderot formulierten Paradoxe sur le comédien – nämlich dass der Schauspieler berechnend und gefühllos sein muss, um gefühlvoll zu erscheinen und die gewünschte emotionale Wirkung beim Zuschauer erzeugen zu können – darf die Erregung von Zuschaueremotionen durch eine Figur nicht verwechselt werden. Aus aufklärerischer Sicht wäre die Herzensneigung zu Herzlosem unmotiviert und müsste vergeblich bleiben, ja drohte selbstzerstörerisch zu werden. Die ›Spröden‹, die das 18. Jahrhundert viel besingt, bekehrten sich noch in aller Regel zur Liebe. Ganz anders die Titelfigur in Schillers »romantischer Tragödie«. An diese Gattungsangabe ist zu erinnern, weil es neben der ›mittelalterlichen‹ Religiosität und einem Schauermotiv wie dem Schwarzen Ritter eben das Übermenschliche und »Uebersinnliche«, das »[F]remde« und Wunderbare war, das die Zeitgenossen als das Romantische des Stücks identifizierten, was zugleich hieß: als das Neuartige, das Die Jungfrau von Orleans von dem nach wie vor herrschen-

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Johanna vorübergehend Liebesfähigkeit gezeigt habe; danach sei es »keine Gefühllosigkeit, die sie wieder von uns entfernt; denn sie hat uns zu Zeugen ihres Kampfes gemacht, und sie bleibt unser, auch indem sie, eine Verklärte, über die Erde emporschwebt.« Klingemanns Lesart bezeugt die vorherrschend harmonisierende Sicht des Publikums auf Die Jungfrau von Orleans; so schreibt er gleich anschließend: »Die Katastrophe stört also die Harmonie nicht; vielmehr ist nun jede Dissonanz gelöset« (S. 29). Dementsprechend wird Johannas erfolgreicher Versöhnungsversuch im Nebentext als »mit leidenschaftlichem Ungestüm«, also als affektgeladen charakterisiert (II,10, nach V. 1811, S. 211), nicht als gefühlvoll. Sie selbst erklärt: »Gleichwie die körperlosen Geister, die nicht frein / Auf ird’sche Weise, schließ ich mich an kein Geschlecht / der Menschen an, und dieser Panzer deckt kein Herz« (II,7, Vv. 1609–11, S. 204; die Passage ist durch Sechshebigkeit der Verse sogar besonders hervorgehoben).

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den Modell des zwischenmenschlich gefühligen Familienschauspiels unterschied.46 Als Literaturhistoriker der Gefühle darf man sich dieser Zäsursetzung anschließen, auch wenn eben zu betonen war, dass Schiller die aufklärerische Aufwertung des Gefühls zum Konstituens des Menschen voraussetzt. Weder die Erkenntnis der Mächtigkeit von Gefühlen noch das Postulat ihrer unabdingbaren Zugehörigkeit zum Menschen (im emphatischen Sinne) nimmt Die Jungfrau von Orleans zurück, doch drückt das Stück zugleich Skepsis gegenüber den in der Aufklärung damit verbundenen, hochgespannten Erwartungen aus, sei es der Konnex von Gefühlen und Identität, sei es der Beitrag von Gefühlen zur gesellschaftlichen Pazifizierung. So kommt die Versöhnung des Herzogs von Burgund mit den Franzosen erst durch das Eingreifen einer »himmlischen Gewalt« zustande, wie der Herzog sie in Johanna verkörpert sieht (II,10, V. 1803, S. 211); erst ihr gegenüber öffnet er sein »Herz« (ebenda, Vv. 1800 u. 1804). Schillers Tragödie zeigt, dass Gefühle, so menschlich sie sind, nicht allein Menschlichem gelten. Am stärksten erregt werden sie vielmehr durch das Übermenschliche, das Johanna verkörpert. Einen Hinweis auf die Ursachen dafür gibt die Titelheldin selbst: Wenn sie kurz vor Dramenende klagt: »Kein Gott erscheint, kein Engel zeigt sich mehr, / Die Wunder ruhn, der Himmel ist verschlossen« (V,6, Vv. 3244f., S. 265), so lässt sich dies nicht allein auf ihre Lage nach ihrer Verstoßung beziehen. Vielmehr ist damit zugleich die Leerstelle markiert, der sich viele Autoren um 1800 gegenübersahen.47 Diese Leerstelle hatte – so die romantische, aber auch schon Schiller’sche Kritik – die Aufklärung geschaffen durch ihre rationalistische Skepsis gegenüber allem Übersinnlichen.48 Ergänzen lässt sich, dass die Aufwertung menschlicher Gefühle gleichfalls zur Ausblendung des Übersinnlichen beitrug. Als Füllung jener Leerstelle wiederum ist eben die über sie klagende Figur angelegt. Wie die zeitgenössische Rezeption der Jungfrau von Orleans zeigt, ging dieses Kalkül des Autors bestens auf: Zauberhaft wirkte der Anblick des begeisterten Heldenmädchens. Bis zu der untersten Klasse der Zuschauer wussten Alle ihre Worte auswendig. Man hörte sie in den Logen wie im Parquet neben sich flüstern, noch ehe die Schauspielerin sie sprach, und die bangen Athemzüge ließen sich zählen, als sie endlich durch höhere Macht die Ketten zerriß und wie der Engel des Herrn zu den Ihrigen zurückkehrte. Bald forderte, bald wollte man nichts sehen als dieß fremde, phantastische Trauerspiel […].49

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So die rückblickende Einschätzung Caroline de la Motte-Fouqués von 1829/30 – Schiller: Werke und Briefe, Bd. 5, S. 653f. (hier auch die Zitate). Auch Jean Paul verbindet »das Romantische« des Stücks mit Johannas »hohe[m] außerweltliche[n] Karakter« (an Christian Otto, 22.11.1801 – ebenda, S. 651). Dasselbe Verständnis des Romantischen findet sich bei den Autoren jener Minderheit, die sich davon nicht angezogen fühlte, vgl. die Rezension in den Göttingischen Anzeigen von gelehrten Sachen vom 19.11.1801 – ebenda, S. 635: »Johanna ist eine Maschine des Christlichen Fatums, und als Wunderthäterin gehet sie aus der Reihe der uns bekannten wirklichen Wesen heraus.« Vgl. Schmidt: Denker ohne Gott und Vater. Vgl. Schillers Gedicht: Die Götter Griechenlands [1788 bzw. 1793] – Werke und Briefe, Bd. 1, S. 285–291 u. S. 162–165. Caroline de la Motte-Fouqué – Schiller: Werke und Briefe, Bd. 5, S. 654.

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Wie aber konnte sich Schiller auf eine solche romantisch anmutende Remythologisierung einlassen? Offenkundig nicht deshalb, weil er ein Modell möglicher Heilung hätte darstellen wollen, denn seine Nüchternheit in der Analyse völlig unversöhnter Verhältnisse in Familie, Politik und Krieg ist in der Jungfrau von Orleans kaum geringer als in früheren Tragödien und weckt wenig Hoffnung auf eine Wiederverzauberung der Welt.50 Entscheidend dürfte vielmehr Schillers Orientierung primär an wirkungsästhetischen Gesichtspunkten sein: Das Wichtigste ist für ihn die Gefühlserregung beim Zuschauer, nicht der gefühlserregende Gegenstand auf der Bühne. Schon der Schluss seiner Schaubühnen-Rede beschwor eine solche Wirkung: Im Theater werden wir uns selbst wieder gegeben, unsre Empfindung erwacht, heilsame Leidenschaften erschüttern unsre schlummernde Natur, und treiben das Blut in frischeren Wallungen. Der Unglückliche weint hier mit fremdem Kummer seinen eigenen aus, – der Glückliche wird nüchtern, und der Sichere besorgt. Der empfindsame Weichling härtet sich zum Manne, der rohe Unmensch fängt hier zum erstenmal zu empfinden an.51

Im Fortgang wird zudem die anthropologische Ausrichtung von Schillers theatralischer Gefühlserregungskunst deutlich: Und dann endlich – welch ein Triumph für dich, Natur […] – wenn Menschen aus allen Kreisen und Zonen und Ständen, abgeworfen jede Fessel der Künstelei und der Mode, herausgerissen aus jedem Drange des Schicksals, durch eine allwebende Sympathie verbrüdert, in Ein Geschlecht wieder aufgelöst, ihrer selbst und der Welt vergessen und ihrem himmlischen Ursprung sich nähern. Jeder Einzelne genießt die Entzückungen aller, die verstärkt und verschönert aus hundert Augen auf ihn zurück fallen, und seine Brust gibt jetzt nur Einer Empfindung Raum – es ist diese: ein Mensch zu sein.52

Mit Blick auf die 17 Jahre später, nach den katastrophischen Erfahrungen der Französischen Revolution und der folgenden Kriege entstandene Jungfrau von Orleans ist zu ergänzen, dass sich das Gefühl, ein Mensch zu sein, aber auch und vielleicht sogar besonders durch Hinneigung zu Über-, d. h. Unmenschlichem erregen lässt. So ganz scheint der Mensch sich selbst nicht zu genügen, gerade auch in emotionaler Hinsicht nicht. Womöglich besteht darin – wenn schon nicht die Entdeckung des Gefühls eine Leistung der Romantik ist – die Einsicht jener Romantik, an der auch Schiller teilhat.

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Das betont Oellers: Schiller, S. 255 u. ö. Die oben zitierte Lesart Klingemanns – nämlich dass am Ende des Stücks »jede Dissonanz gelöst« sei – gibt dementsprechend einigen Aufschluss über die Publikumserwartung, womöglich auch darüber, wie die starke emotionale Identifikation mit der triumphierenden Titelfigur sich auf die Wahrnehmung des dargestellten Geschehens auswirkt. Schiller: Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken? – Werke und Briefe, Bd. 8, S. 200. Ebenda.

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IV. Was folgt daraus für das Verhältnis der Jungfrau von Orleans zu Schillers Tragödienkonzept? Die Schillerforschung zeigt sich seit einiger Zeit gerade diesem Stück gegenüber recht ratlos.53 Lange hat man in der Titelfigur und im Gang der Handlung symbolisch zu verstehende Modelle einer Verbesserung gesucht, mit denen Schiller seine Vorstellungen vom Selbständigkeit erlangenden und sich vervollkommnenden Menschen (so die dominanten Deutungen der 1960er Jahre) oder vom Fortschritt der Geschichte bzw. von deren utopischem Potential (so die Vorliebe der 1970er und 80er Jahre) bühnengerecht eingekleidet habe. Die Jungfrau von Orleans böte danach eine Beispielgeschichte für die einige Jahre zuvor entworfene ästhetische Erziehung bzw. für die Idyllentheorie aus Über naive und sentimentalische Dichtung.54 Norbert Oellers hat dem schon 1984 heftig widersprochen.55 Bezieht man die Emotionalität der Figuren in die Analyse mit ein, so kann von einer Musterhaftigkeit der Titelfigur oder einer vom Handlungsverlauf angezeigten Lösungsperspektive vollends keine Rede sein. Denn die Erfahrung eigener Gefühle ist für Johanna ein Schock, den sie keineswegs durch Annahme des bisher Verdrängten verarbeitet. Vielmehr kehrt sie, nachdem sie ihren ›Fehltritt‹ durch Verbannung gebüßt hat, in ihren alten Zustand emotionaler Unempfindlichkeit (»Ich bin mir keiner Schwachheit mehr bewußt!« V,4, Vs. 3179, S. 262), nicht zu hinterfragender Außenleitung und absoluter Gewissheit zurück (»Ich bin nicht unbegleitet. / Du hast den Donner über mir gehört. / Mein Schicksal führt mich. Sorge nicht, ich werde / An’s Ziel gelangen, ohne daß ich’s suche«; V,4, Vv. 3113–3116, S. 260).56 Sie erringt nicht sittliche Selbständigkeit oder gefühlsinkludierende Menschlichkeit,57 sondern ist davon am Ende mindestens so weit entfernt wie am Anfang. Ihre letzten Taten haben mehr denn je phantastischen, übersinnlichen Charakter: Sie zerreisst ihre Ketten, scheint aus ihrem Gefängnis auf das Schlachtfeld zu fliegen, ist dort »zugleich an vielen Orten« zu sehen (V,12, V. 3487, S. 274) und besiegt die bisher überlegenen Engländer praktisch im Alleingang.

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Vgl. die Einschätzung bei Guthke: Die Jungfrau von Orleans. – In: Koopmann (Hrsg.): SchillerHandbuch, S. 467–493, hier S. 468. Vgl. das Forschungsreferat bei Sauder: Die Jungfrau von Orleans, S. 340, Sauders eigene Deutung (bes. S. 374–376 im Anschluss an Gerhard Kaiser und Gert Sautermeister) sowie Lange: Geschichte und Utopie in Schillers »Jungfrau von Orleans«. Vgl. Oellers: »Und bin ich strafbar, weil ich menschlich war?« Zu Schillers Tragödie »Die Jungfrau von Orleans«. – In: Brandt (Hrsg.): Friedrich Schiller, S. 299–310, bes. S. 302; ähnlich Alt: Schiller, Bd. 1, S. 524f. Vgl. dagegen Sauder: Die Jungfrau von Orleans, S. 361: »Das scheinbar blinde, gefühllose und kalte ›Herz‹ der ihrer Sendung radikal Ergebenen erliegt der Macht der fühlenden Sinnlichkeit; die ›sehend‹ Gewordene wird schließlich im ›Sturm der Natur‹ gereinigt: ›Der schwere Panzer wird zum Flügelkleide‹ (V,14,3542).« Der von Sauder zitierte drittletzte Vers des Dramas ist freilich in keiner Weise geeignet, die behauptete dauerhafte Änderung durch das Lionelerlebnis zu belegen! Am Text ebenfalls nicht belegen lässt sich Sauders Deutung, dass Johanna sich »vom Objekt zum Subjekt des Auftrags wandelt« (S. 374). So aber Lange: Geschichte und Utopie in Schillers »Jungfrau von Orleans«, S. 317.

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Zwar sah Schiller die Aufgabe der Tragödie eben in der »Hinweisung auf das Übersinnliche«. Doch ist in seiner Tragödientheorie damit die vernünftige Erhebung über körperliches Leiden, die Gewinnung »moralischer Selbstständigkeit« gemeint.58 Johanna hingegen erscheint, außer im vierten Akt und den angrenzenden Szenen, dem Menschlichen so sehr enthoben, dass es sehr fraglich ist, ob sich Schillers Kategorie des Erhabenen auf sie anwenden lässt. Sie selbst stellt zweifellos keine erhabene Figur dar, denn die Lionel-Krise provoziert in ihr kein Bewusstsein von der inneren, vernunftgegründeten Freiheit des Menschen, die sich über Zwangslagen der menschlichen Natur zu erheben vermag, sondern einen »gereinigt[en]« Glauben an ihre Sendung (V,4, V. 3177, S. 262).59 Nun verlangt Schillers wirkungsästhetisch orientiertes Konzept des Pathetischerhabenen gar nicht, dass der Tragödienheld selbst Erhabenheit zeigt, sondern nur – oder besser vor allem –, dass das auf der Bühne gezeigte Leiden den mitfühlenden Zuschauer dazu herausfordert, sich seiner eigenen moralischen Freiheit zu vergewissern.60 Ob Johanna dafür einen geeigneten Gegenstand abgibt, erscheint jedoch fraglich, und zwar schon mit Blick auf die von Schiller definierten Voraussetzungen. Denn die Heldin leidet nur vorübergehend – an ihrer Schwäche gegenüber Lionel, vielleicht auch unter der falschen Anklage ihres Vaters –, nicht aber so, dass ihre physische Existenz ernsthaft bedroht wäre, wie Schiller es fordert, damit sich die Vernunft über das Leiden erhaben zeigen kann. »[I]ch bin nicht so elend, als du glaubst«, wehrt Johanna die »erschüttert[e]« Anteilnahme Raimonds ab (V,4, Vv. 3167 u. 3159, S. 262). Ebenfalls wenig Anlass zum Mitleiden gibt ihr triumphal mit dem Sieg über die Engländer zusammenfallender Tod: Johannas Mission, neben der sie nichts anderes anerkannte, ist damit vollendet, und soweit einem irdischer veranlagten Betrachter etwas unerfüllt schiene (nämlich die Liebe), so hat die Heldin es nicht erst durch den Zwang widriger Umstände verloren, sondern gleich zu Anfang und freiwillig hinter sich gelassen.61 58 59

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Schiller: Über das Pathetische – Werke und Briefe, Bd. 8, S. 433. So auch Greiner: Negative Ästhetik: Schillers Tragisierung der Kunst und Romantisierung der Tragödie (»Maria Stuart« und »Die Jungfrau von Orleans«), S. 62 und Immer: Der inszenierte Held, S. 408. Diese Lesart impliziert, in Johannas göttlicher Sendung ein Hindernis und nicht eine Chiffre von Erhabenheit zu sehen. Benthien: Tribunal der Blicke, sieht am Ende ihres Jungfrau-Kapitels Johanna als erhabene Heldin, die eine »idealistische Transformation« durchlaufen habe (S. 132), während sie am Kapitelanfang – m. E. richtiger – darauf hinweist, dass Johannas Untergang aus deren »subjektiver Perspektive eine Erfüllung, ein Eingehen in Gott« bedeute (S. 106). Vgl. Schiller: Vom Erhabenen [1793] – Werke und Briefe Bd. 8, S. 419: »Die Vorstellung eines fremden Leidens, verbunden mit Affekt und mit dem Bewußtsein unsrer innern moralischen Freiheit, ist Pathetischerhaben.« Dazu auch Profitlich: »Ähnlichkeit zwischen uns und dem leidenden Subjekt«. Zu einem Thema der frühen tragödientheoretischen Schriften Schillers, S. 29. Dramaturgisch bedeutet dies, dass in der Begegnung mit Lionel (III,10) Johannas Unglück nicht beginnt, sondern lediglich offenbar wird. Nur vordergründig liegen die Hamartia der Heldin und die Peripetie des Stücks in dieser Szene. Plausibel wäre eine solche Sicht nur, wenn man – in romantischem Geist – die Möglichkeit eines ›Geister-Menschen‹ zulässt. In ›menschlicher‹ Perspektive besteht der tragische Fehler dagegen in Johannas Verweigerung menschlicher Gefühle von Anfang an.

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Es ist daher zu bezweifeln, dass Johanna als eine Figur ›funktioniert‹, deren im Widerstand gegen äußere Bedrängnis gezeigte innere Stärke »im Zuschauer das erhabene Gefühl der Freiheit […] evozier[t]«,62 wie die Theorie des Pathetischerhabenen es vorsieht. Dagegen hat Marie-Christin Wilm 2003 noch einmal für die Kongruenz von Schillers Tragödientheorie und -praxis argumentiert mit einer für sich genommen überzeugenden Rekonstruktion der stückimmanenten tragödientheoretischen Reflexion. Beachtenswert ist auch ihr Hinweis, dass »die Ergebung in den göttlichen Ratschluß« (die Johanna auszeichnet) in der Schrift Über das Erhabene als eine Möglichkeit genannt wird, die »Freiheit des Gemüts« sichtbar zu machen.63 Wilm resümiert sodann: Schiller zeigt hier keine Heldin, die der moralischen Kategorie erhabenen Handelns entspräche, vielmehr macht er sich wirkungsästhetisch die Strukturgleichheit zwischen erhabenem Handeln und religiöser Unterwerfung zunutze, indem er die befreienden und stärkenden Folgen dokumentiert, die eine Unterwerfung unter äußere Gewalt haben kann, wenn sie »ein Werk der freyen Wahl und Ueberlegung« ist.64

Wahrscheinlich ist damit richtig beschrieben, wie Die Jungfrau von Orleans funktionieren sollte – wenngleich die Stellvertretung von »erhabenem Handeln« (um das es eigentlich geht) durch »religiöse Unterwerfung« (die auf der Bühne zu sehen ist) irritierend bleibt. Gemeinsam haben Erhabenheit und Frömmigkeit ja gerade nicht die Freiheit der vernünftigen Selbstbestimmung. Gemeinsam haben sie wohl aber die Distanzierung vom Gefühl: Beide definieren sich dezidiert nicht über ›bloß Gefühltes‹ und finden darin keinen Identitätsgrund. Mit Schillers Tragödientheorie kongruiert die nur kurz unterbrochene Gefühllosigkeit der Jungfrau von Orleans lediglich in diesem Punkt. Dass die Zuschauer die nötigen Übersetzungsleistungen (religiöse Heteronomie = moralische Autonomie) tatsächlich erbracht und, wie von Schiller gewünscht, sich ihrer eigenen moralischen Freiheit versichert hätten, lässt sich aufgrund der überlieferten Rezeptionszeugnisse dagegen kaum konstatieren. Zu beobachten ist vielmehr ein ausgesprochen gefühlvolles Interesse für übersinnliche Gefühllosigkeit. Die fragile Balance zwischen Emotionalität und Moralität, die Schillers klassisches Dramenkonzept kennzeichnet, erhält in seiner »romantischen Tragödie« also einige Schlagseite. Fragil war diese Balance von vornherein, denn spätestens der von Kant beeinflusste Schiller brach mit der aufklärerischen Hoffnung, durch die Kultivierung von Gefühlen lasse sich Moralität unmittelbar einüben. Seine klassische Tragödientheorie bezieht Gefühle und Moralität lediglich antithetisch aufeinander: Starkes Leiden soll die vernünftige Erhebung darüber provozieren. Ob diese Provokation gelingt, 62

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Wilm: Die Jungfrau von Orleans, tragödientheoretisch gelesen. Schillers Romantische Tragödie und ihre praktische Theorie, S. 164 (im Orig. hervorgehoben). Schiller: Über das Erhabene – Werke und Briefe, Bd. 8, S. 824f.; vgl. Wilm: Die Jungfrau von Orleans, S. 165. In diesem Sinne werden Johannas »Selbstständigkeit« und ihre »Prophetenrolle« in Schillers Brief an Goethe (3.4.1801, Werke und Briefe, Bd. 5, S. 627) eng zusammengerückt. Wilm: Die Jungfrau von Orleans, S. 166; das Schiller-Zitat im Zitat steht im eben zitierten Kontext.

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konnte und kann nur offen bleiben. In der Jungfrau von Orleans ist jene fragile Balance nun aber doppelt gestört: Zum einen gibt es keine Figur, die auf moralischer Selbständigkeit gegründete Erhabenheit zeigt und somit dem Zuschauer als Vorbild dienen könnte, wie es in früheren Dramen die ›Aufgabe‹ Max Piccolominis oder Maria Stuarts war. Zum anderen betreibt das Drama die sinnliche Affizierung der Rezipienten weit über die Vermittlung von Leiderfahrungen (»die ganze volle Ladung des Leidens«, die durch Erhabenheit zu transzendieren wäre65) hinaus. Johanna – um nur sie zu nehmen – erregt ebenso Staunen und Bewunderung, aber auch Abscheu, sie erweckt Mitleid durch vorübergehende Schwäche und Hilflosigkeit, Begeisterung durch ihre Tatkraft usw. Dass zudem auch die Dramaturgie des Stücks durch Rhythmisierung der Szenen – und im Theater zusätzlich durch Musik – darauf angelegt ist, »einen möglichst starken emotionalen Effekt zu erzielen«, hat die Forschung wiederholt aufgewiesen.66 »Auf dem Theater muß ihr [der Jungfrau] Pomphaftes viel Eindruck machen«, lobte ein zeitgenössischer Leser bereits vor dem Besuch der Aufführung.67 Dass er »übrigens selbst, von alten Zeiten her, an solchen Stoffen häng[t], die das Herz interessieren,« hat Schiller während der Arbeit an der Jungfrau von Orleans in einem Brief an Körner bekannt.68 Zwar schränkt er mit dem schlechten Gewissen des formorientierten Künstlers ein, dass »es der wahren Tragödie vielleicht gemäßer wäre, wenn man die Gelegenheit vermiede, eine Stoffartige Wirkung zu thun.« Die Frage, wie »die sinnliche[n] Kräfte [der Zuschauer] ununterbrochen zu reizen und zu beschäftigen« seien, hat Schiller gleichwohl dauerhaft beschäftigt.69 Wenn sein Interesse am Stoff aber vor allem dessen emotionaler Wirkung auf den Rezipienten gilt, dann sind Vagheiten in der symbolischen Bedeutung des Handlungsverlaufs bzw. im Gehalt der Stücke nicht unbedingt ein Problem. Das schlussendlich von Johanna geschaute Reich der ›ewigen Freude‹ (»Hinauf – hinauf – die Erde flieht zurück – / Kurz ist der Schmerz und ewig ist die Freude!«; V,14, V. 3544, S. 277) liegt jedenfalls »jenseits inhaltlicher Bestimmungen«.70 Der Begeisterung der Rezipienten hat dies keinen Abbruch getan; sie heftete sich womöglich sogar besonders leicht an das vielfältig Auslegbare. Ebenso lässt sich die Titelheldin als Personifikation des Unbestimmten charakterisieren: So gewiss ihre göttliche Sendung jenseits der dramatisch dargestellten Welt nur als Chiffre gedacht war und wahrgenommen wurde, so ungewiss bleibt, wofür sie steht.71 Dies behinderte nicht Beifall und Verehrung des Publikums, ebenso wenig wie es sich dadurch abschrecken ließ, dass die Protagonistin auf dem Weg der Gefühlsnegation an ihr 65 66 67 68 69 70 71

Schiller: Über das Pathetische – Werke und Briefe, Bd. 8, S. 424. Benthien: Tribunal der Blicke, S. 129. Brief Christian Ottos an Jean Paul vom 20.11.1801 – Schiller: Werke und Briefe, Bd. 5, S. 651. 13.7.1800 – ebenda, S. 620. Das folgende Zitat ebenda. Brief an Goethe vom 6.7.1802 – Der Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe, S. 968. Sauder: Die Jungfrau von Orleans, S. 376. Greiner: Negative Ästhetik, S. 64, charakterisiert Johanna als »Kunstfigur, ein Zitatenfeld divergierender Mythen, literarischer Werke, ästhetischer Stile und zeitgenössischer Parolen […], die sich nicht mehr in die Einheit eines – auch noch so komplex gefassten Sinnes zusammenführen lassen.«

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nicht näher bestimmbares Ziel gelangt. Durchaus epochensignifikant ist die Differenz gegenüber den Emotionskonzepten der Aufklärung, die sich daraus ergibt: Die Gefühle, die Die Jungfrau von Orleans provoziert, lassen sich keinem der Verbesserungszwecke zuordnen, die das aufklärerische Programm der Menschwerdung durch Gefühle verfolgte; sie sind nicht funktionalisiert als Einstimmung auf Sozialität, als Verinnerlichung des Glaubens oder als Disposition zur Tugend. Man kann sie vielmehr als nun erst wirklich autonomisiert bezeichnen. Sie brauchen, um erregt zu werden, nicht einmal eine als Mensch auftretende Protagonistin.

Barbara Becker-Cantarino

Liebestod: Goethe »Der Gott und die Bajadere« und Günderrode »Die Malabarischen Witwen«

Die vorhin entzweiten Liebesflammen In einer schlagen brünstig sie zusammen. Zur süßen Liebesfeyer wird der Tod,

so heißt es in Günderrodes Sonett »Die malabarischen Witwen,« ein Ausdruck der Emotionalisierung in Texten des 18. Jahrhundert oder vielmehr der Erotisierung der Gefühle in Texten der Frühromantik. Das lyrisch gestaltete Liebestod-Motiv fungiert als Mythisierung von Liebe, als Ausdruck eines romantischen, erotisierten Liebeskonzeptes. Ich möchte an Goethes Ballade »Der Gott und die Bajadere« und Günderrodes Sonett »Die malabarischen Witwen« zeigen, wie mit der Bearbeitung des Liebestod-Motivs im exotisierenden Gewand westlich-romantische Klischees, erotische Fantasien und sexuelle Obsessionen thematisiert werden.1 Goethe und Günderrode verarbeiten beide einen ›orientalischen‹ Mythos , modern gesprochen das indische Ritual des Sati. Zentral sind die Evozierung, Steigerung und Erotisierung der Gefühle verbunden mit einem heroischen Selbstopfer der Frau für den Mann und einer Sublimation der Leidenschaft, einer Art Reinigung der körperlichen, sinnlichen Emotion zum ›tiefen Gefühl‹ (wie der Neurologe Antonio Damasio Emotion von Gefühl unterscheidet).2 Die unterschiedliche Darstellung und Bedeutung der Gefühle und des Liebestodes bei Goethe und Günderrode kann aus kulturhistorischer und genderspezifischer Sicht ihr jeweiliges kulturelles Konzept von Liebe im literarischen Text verdeutlichen. Goethes Text scheint das Liebeskonzept Fichtes und des 18. Jahrhunderts zu verarbeiten, Günderrode das von Schelling (und Creuzer) in ein romantisches, mythisch-›orientalisches‹ Opfer umzuwandeln. Ulfert Ricklefs hat treffend die Liebe als »die literarisch meistgebrauchte Motivation« bezeichnet und hat dafür plädiert, »vom historischen Befund auszugehen […] und nicht einen Elemementardiskurs bzw. Metadiskurs vorzuschalten, der als Folie und Maßstab dient.«3 Seit Paul Kluckhohns erschöpfender Darstellung über die Auffassung der Liebe im 18. Jahrhundert und in der Romantik (1922) ist denn auch kaum etwas Neues in der Literaturkritik dazugekommen. Kluckhohns Darstellung hat jedoch bei aller Belesenheit und hermeneutischer Schärfe einen festen 1 2 3

Vgl. Figuera: Die flambierte Frau, S. 56–57. Damasio: Descartes’ Irrtum, S. 51–58. Ricklefs: Sprachen der Liebe bei Achim von Arnim, S. 237.

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ideologischen Standpunkt, den der romantischen Liebe als »Höhepunkt menschlichen Erlebens, der umfassenden und durchdringenden Kraft der Liebe.«4 Liebe war für Kluckhohn und unzählige Interpreten nach ihm eine anthropologische Qualität im literarischen Text, ein erhabenes und ein den Leser erhebendes Gefühl. Zwar wird Liebe gemeinhin den Gefühlen zugerechnet und in der abendländischen Tradition als Eros/Sinnenliebe, Philia/Freundesliebe und Agape/Nächstenliebe tradiert, doch das Konzept von Liebe und dessen textuelle Gestaltung und Funktion entzieht sich einer einfachen Klassifizierung. Aus soziologischer Perspektive kann die Liebe als Bestandteil der Semantik der Epoche, als generiertes Kommunikationsmedium, als Medium zur Reflexion und Thematisierung von Individualität betrachtet werden und im Gefolge von Luhmanns Liebe als Passion (1982) in epigonalen Ausführungen über die Codierungen der Liebe in der Kunstperiode5 und Ähnlichem breit getreten worden, ohne auf die blinden Flecke bei Luhmanns Thesen einzugehen. Luhmann hat postuliert, der Code für Intimität habe im 18. Jahrhundert von Liebe auf innige Freundschaft umgestellt werden sollen, eben auf liebevolle Freundschaft, die den Unterschied der Geschlechter fast habe verschwinden lassen.6 Wenn damit der Freundschaftskult der Literaten in Aufklärung und Empfindsamkeit gemeint sein sollte – Luhmann stützt sich fast ausschließlich auf literarische und kulturhistorische Texte zumeist aus Frankreich, nicht auf historische Quellenforschung –, so ist zu bemerken, dass es sich nur um Männerfreundschaften handelte. Die Freundschaften der männlichen Literaten mit Frauen waren Liebesverhältnisse, die hierarchisch strukturiert waren und von den Männern aus bestimmt wurden, man denke an Klopstock, Wieland, Bodmer, Boie oder den jungen Goethe. In neueren Untersuchungen zu literarischen Texten ist das Phänomen Liebe mit kognitiven, mentalitätsgeschichtlichen, diskursanalytischen und rezeptionsgeschichtlichen Fragestellungen und Ansätzen anvisiert werden. Simone Winko hat für die literarische Emotionsforschung gefordert, besonders »die Art und Weise, wie [Emotionen] in literarischen Texten thematisiert und präsentiert werden« und die kulturellen Kodes zu beachten und die Textmerkmale in der Literatur daraufhin zu untersuchen, »welche Funktionen sie für die Gestaltung von Emotionen haben.«7 So geht es mir hier bei den beiden Gedichten um die textuelle Gestaltung im Kontext der Kultur- und Literaturgeschichte, um die dargestellten Affekte, nur neben4 5 6

7

Kluckhohn: Die Auffassung der Liebe, S. 18. Hinderer (Hrsg.): Codierungen der Liebe in der Kunstperiode. Vgl. Luhmann: Liebe als Passion, S. 103. Luhmann konstatiert weiter, dass schließlich die »Liebe und nicht die Freundschaft das Rennen gemacht und den Code für Intimität gestellt« habe, weil Freundschaft sich als nicht abgrenzbar und als nicht ausdifferenzierbar erwiesen habe, S. 163. Der Freundschaftsbegriff ist von Luhmann beiseite geschoben und vernebelt worden, wenn Luhmann die persönlichen, intersubjektiven Beziehungen unterschiedslos vom Geschlecht des jeweiligen Individuums betrachtet. Eine solche Blindheit gegenüber den Geschlechterrollen im 18. Jahrhundert und der geschlechtsspezifischen Entwicklung erstaunt um so mehr, als Luhmann von dem konfliktreichen »Doppelaspekt von Selbstsein und Nahweltentwurf« ausgeht und für »beide Probleme ein gemeinsames Kommunikationsfeld [...] unter Benutzung des semantischen Feldes von Freundschaft und Liebe« anvisiert (S. 18). Winko: Kodierte Gefühle, S. 20.

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sächlich um die bewirkten Affekte im Leser bei der Rezeption, wie sie etwa die große Arbeit von Katja Mellmann Emotionalisierung (2006) untersucht hat. Goethes Ballade »Der Gott und die Bajadere« (1798 in Schillers Musenalmanach erstmals publiziert) nahm den Stoff des indischen Rituals Sati (Witwenverbrennung) als Vorlage, um daraus einen westlich-romantischen Liebestod zu gestalten. Der Gott und die Bajadere. Indische Legende8 Mahadöh, der Herr der Erde, Kommt herab zum sechsten Mal, Daß er unsersgleichen werde, Mitzufühlen Freud und Qual. Er bequemt sich, hier zu wohnen, Läßt sich alles selbst geschehn. Soll er strafen oder schonen, Muß er Menschen menschlich sehn. Und hat er die Stadt sich als Wandrer betrachtet, Die Großen belauert, auf Kleine geachtet, Verläßt er sie abends, um weiterzugehn. Als er nun hinausgegangen, Wo die letzten Häuser sind, Sieht er, mit gemalten Wangen, Ein verlornes schönes Kind. »Grüß dich, Jungfrau !« – »Dank der Ehre!« Wart, ich komme gleich hinaus.« – »Und wer bist du?« – »Bajadere, Und dies ist der Liebe Haus.« Sie rührt sich, die Zimbeln zum Tanze zu schlagen, Sie weiß sich so lieblich im Kreise zu tragen, Sie neigt sich und biegt sich und reicht ihm den Strauß. Schmeichelnd zieht sie ihn zur Schwelle, Lebhaft ihn ins Haus hinein: »Schöner Fremdling, lampenhelle Soll sogleich die Hütte sein. Bist du müd, ich will dich laben, Lindern deiner Füße Schmerz. Was du willst, das sollst du haben, Ruhe, Freuden oder Scherz.« Sie lindert geschäftig geheuchelte Leiden. Der Göttliche lächelt; er siehet mit Freuden Durch tiefes Verderben ein menschliches Herz. Und er fordert Sklavendienste; Immer heitrer wird sie nur, Und des Mädchens frühe Künste Werden nach und nach Natur. Und so stellet auf die Blüte Bald und bald die Frucht sich ein;

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Goethe: Sämtliche Werke (Weimarer Ausgabe), Bd. 1, S. 227–230.

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Barbara Becker-Cantarino Ist Gehorsam im Gemüte, Wird nicht fern die Liebe sein. Aber, sie wird schärfer und schärfer zu prüfen, Wählet der Kenner der Höhen und Tiefen Lust und Entsetzen und grimmige Pein. Und er küßt die bunten Wangen, Und sie fühlt der Liebe Qual, Und das Mädchen steht gefangen, Und sie weint zum erstenmal, Sinkt zu seinen Füßen nieder, Nicht um Wollust noch Gewinst, Ach! und die gelenken Glieder, Sie versagen allen Dienst. Und so zu des Lagers vergnüglicher Feier Bereiten den dunklen, behaglichen Schleier Die nächtlichen Stunden, das schöne Gespinst. Spät entschlummert unter Scherzen, Früh erwacht nach kurzer Rast, Findet sie an ihrem Herzen Tot den vielgeliebten Gast. Schreiend stürzt sie auf ihn nieder; Aber nicht erweckt sie ihn, Und man trägt die starren Glieder Bald zur Flammengrube hin. Sie höret die Priester. die Totengesänge, Sie raset und rennet und teilet die Menge. »Wer bist du? Was drängt zu der Grube dich hin?« Bei der Bahre stürzt sie nieder, Ihr Geschrei durchdringt die Luft: »Meinen Gatten will ich wieder! Und ich such ihn in der Gruft. Soll zu Asche mir zerfallen Dieser Glieder Götterpracht? Mein! er war es, mein vor allen! Ach, nur Eine süße Nacht!« Es singen die Priester: »Wir tragen die Alten, Nach langem Ermatten und spätem Erkalten, Wir tragen die Jugend, noch eh sie’s gedacht. Höre deiner Priester Lehre: Dieser war dein Gatte nicht. Lebst du doch als Bajadere, Und so hast du keine Pflicht. Nur dem Körper folgt der Schatten In das stille Totenreich; Nur die Gattin folgt dem Gatten: Das ist Pflicht und Ruhm zugleich. – Ertöne, Drommete, zu heiliger Klage! O nehmet, ihr Götter! die Zierde der Tage, O nehmet den Jüngling in Flammen zu euch!«

Liebestod

25 So das Chor, das ohn Erbarmen Mehret ihres Herzens Not; Und mit ausgestreckten Armen Springt sie in den heißen Tod. Doch der Götterjüngling hebet Aus der Flamme sich empor, Und in seinen Armen schwebet Die Geliebte mit hervor. Es freut sich die Gottheit der reuigen Sünder; Unsterbliche heben verlorene Kinder Mit feurigen Armen zum Himmel empor.

Zwischen einem allmächtigen Gott Madahöh, dem »Herrn der Erde,« (der die Menschen »strafen oder schonen« [7] kann) und einem »verlornem, schönen Kind« (15) aus »der Liebe Haus« (19) entfaltet Goethe die Affekte einer Liebesbeziehung, die durch eine Polarisierung von Macht und Ohnmacht, von distanzierter, berechnender Herrschaft (»und er fordert Sklavendienste« [34]; »sie schärfer und schärfer zu prüfen« [42]) und erotischer Hingabe (»des Mädchens frühe Künste werden nach und nach Natur« [36–37]) gekennzeichnet ist, und die im Selbstopfer aus Liebe (»als Bajadere […] hast du keine Pflicht« [80-81]; »So das Chor [...] mehret ihres Herzens Not; / Und mit ausgestreckten Armen / Springt sie in den heißen Tod« [89– 92]) gekennzeichnet ist. Goethe schließt die neunstrophige Ballade mit einer signifikanten Abänderung des literarischen Motivs des Liebestodes, der freiwilligen Vereinigung der Liebenden im Tode, bekannt etwa aus der Tristan-und-Isolde Geschichte. Statt gemeinsamem Tod lässt Goethe die »Geliebte« (96) durch den »Götterjüngling« erlösen und konstruiert aus dem gemeinsamen Tod eine Erlösung, die der göttliche Mann als Belohnung für die Liebe und Hingabe der Frau erteilt: Doch der Götter Jüngling hebet Aus der Flamme sich empor, Und in seinen Armen schwebet Die Geliebte mit empor. (93–96)

Und in einer abschließenden Sentenz erklärt Goethe dieses (unerwartet) glückliche Ende der »Herzens Not« (90) der Bajadere mit an Christliches anklingender Formulierung als Erlösung: »Es freut sich die Gottheit der reuigen Sünder« – die Bajadere (Prostituierte) wird zur reuigen Sünderin umfunktioniert –: »Unsterbliche heben verlorene Kinder / Mit feurigen Armen zum Himmel empor« (98–99). Christlichkeit, Klassizität, Orientalismus in der Liebe? Die Bewertung der in der Ballade von Goethe dargestellten Emotionen, die um die erotische Liebe kreisen, ist gerade aus kulturwissenschaftlicher Perspektive ein eminent wichtiges Thema. Denn wie Liebe als Gefühl eingeschätzt, wie mit ihr umgegangen wird, gehört zu den wichtigsten Kennzeichen des kulturellen Stiles. Schon die zeitgenössischen Rezipienten schwankten zwischen Verstörung: »Ekelhafteste aller Bordellszenen […] Entweihung des Christentums« (Herder)9, und Begeisterung für diese Ballade (und Die Braut von Korinth) als »das vollendetste aller kleinen Kunstwerke Goe9

Vgl. Laufhütte: Formulierungshilfe für Haustyrannen?, S. 118.

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thes.«10 In der wissenschaftlichen Diskussion zu dieser Ballade geht es weniger um Wahrheiten als um das kulturelle Selbstverständnis Goethes und das des Interpreten. So wird in der traditionellen, hagiographischen Goethe-Forschung die Humanität betont: »Goethe hat in den Erwartungen Madahöhs und im Verhalten des Mädchens parabolisch und sinnbildlich den Maßstab des Menschlichen fixiert.«11 Eine interessante Interpretationsvariante ist die biographische Lesart, der zufolge Goethe als Gott Madahöh sein Verhältnis zu Christiane als Bajadere in der Ballade gegenüber der guten Weimarer Gesellschaft, die Christianes Herkunft und Lebensart nie akzeptiert hat, nobilitiert habe: »Die Liebe […] verbreitet von oben herab ihr mildes Licht.«12 Uta Schaub spricht dagegen von dem »ungeheuren Vorgang ‚erotischer Läuterung‘, die der Balladenverlauf der Bajadere abverlangt und die bis zu ihrer Selbstverbrennung führt.«13 Schaub sieht in dem Liebeskonzept der Ballade eine »esoterische Initiation« und im Liebestod eine »esoterische Erleuchtung,« im Motiv der »läuternden Selbstentäußerung« die »poetische Repräsentation eines Erziehungsgedankens, der dem emanzipatorischen Aufklärungsdenken entgegengesetzt war.«14 Bei dem Interpretationsstreit um diese Ballade scheint es mir wichtig, auf das von Goethe entwickelte Liebeskonzept als Affektmanipulation zu schauen. Goethe hat das indische Ritual des Sati interpretiert, wie schon seine zeitgenössische Quelle, Pièrre Sonnerat Voyage aux Indes Orientales (1782) reich illustrierter, populärer Reisebericht eine Sati-Darstellung genüsslich als freiwilliges Liebesopfer einer Prostituierten, einer fille de joie, es für europäische Ohren aufbereitet hat (und nicht als gesellschaftlich-religiösen Kultzwang einer Oberschicht geschildert hat, bei dem die Ehefrau als Sati, als reine, gute Frau15 – und oft auch die Dienerschaft – nach dem Tod des Herrn mit auf dessen Scheiterhaufen sich verbrennen). Der zeitgenössische Aspekt des späten 18. Jahrhundert liegt darin, dass die englische Kolonialherrschaft in Indien nach ausgiebiger Diskussion dieser Sitte 1829 offiziell die Witwenverbrennung abschaffte.16 Goethes im Präsens erzählte Ballade nimmt an dieser Diskussion insofern teil, als damit das Legendenhafte aus der Vergangenheit in die Gegenwart transportiert wird; doch dürfte Goethes Exotismus hier wohl weniger als Universal-Poesie oder Weltliteratur zu werten sein, als vielmehr eine willkommene Aufnahme des mit den Frühromantikern in Mode kommenden Konzepts erotisierter Liebe und sexueller Vereinigung des Dichters mit der Hetäre (etwa 10 11

12 13 14 15 16

Ebenda. Ebenda, S.141. Ganz ähnlich wird Goethes Humanität von Vietor, Kommerell, Pongs, Steiger und den meisten Interpreten herausgestellt: ein«herrliches Beispiel des Glaubens an das dem Menschen eingeborene Verlangen zum Guten und Echten […] Die Vereinigung mit dem Gott weckt in der Verlorenen den verborgenen Funken, die Fähigkeit zu wahrer Liebe; hell und wach brennt das Licht in der Geschändeten. Wie sie die Treue der Gattin im freiwilligen Opfertod bewährt, hebt der Gott die Geläuterte zu sich empor.« Karl Vietor 1949, zitiert von Erich Trunz in Goethe: Werke (Hamburger Ausgabe), Bd. 1, S. 647. Emil Staiger, 1956, zitiert nach Schaub: »Gerhorsamkeit« und » Sklavendienste«, S. 33. Ebenda, S. 32. Ebenda, S. 43, 42. Harlan: Perfection and Devotion, S. 79–84. Vgl. Figueira: Die flambierte Frau, S. 59–60.

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Schlegels und später Hölderlins Diotima) als Inbegriff von Liebe, Dichtung und allem Höheren, ein Konzept, das eine Sublimierung der im weiblichen Körper lokalisierten ›niederen Triebe‹ erlaubt und das eigene sexuelle Begehren und Praxis gesellschaftsfähig und poetisch relevant macht – als »Maßstab des Menschlichen«,17 wie die germanistische Interpretation lange um ›den heißen Brei‹ der Sexualität herumgeredet hat? Goethes Ballade erzählt jedoch eine »erotische Erziehung«18 als Affektregulierung: Dem herrschaftlichen Gestus des großen Gottes in Menschengestalt (der Gott der Ballade nimmt zum sechsten Mal menschliche Gestalt an und begibt sich unter die Menschen, um »mitzufühlen Freud und Qual«) fügt sich die unterwürfige Haltung der Tänzerin-Prostituierten (»und er fordert Sklavendienste«). Erotische Dienstbarkeit ist ihr Geschäft. Dem menschlich maskierten Gott entspricht die in ihrem Affekt demaskierte Bajadere, deren »frühe Künste / Werden nach und nach Natur« (36–37), die Bajadere erlernt die Liebe: »Ist Gehorsam im Gemüte, / Wird nicht fern die Liebe sein« (40–41) und der Gott stellt ihre Liebe auf die Probe in einem Wechselbad der Gefühle von Lust, Entsetzen und Schmerz: »Aber sie schärfer und schärfer zu prüfen, / Wählet der Kenner der Höhen und Tiefen / Lust und Entsetzen und grimmige Pein« (42–44). Der »wilde Knabe« des Heidenröslein, der gewaltsam das »morgenschöne«, sich stechend wehrende Röslein, dem »kein Weh‘ und Ach« half, brach, ist in der Balllade zum göttlichen Lehrer einer ars amatoria geworden, bei dem die Bajadere ihre eigentliche Natur in hingebender Liebe fühlend erfährt: »Und er küsst die bunten Wangen, / Und sie fühlt der Liebe Qual / Und das Mädchen steht gefangen/ Und sie weint zum ersten Mal; / Sinkt zu seinen Füßen nieder, / Nicht um Wollust noch Gewinn« (45–50). Der Balladendichter Goethe kennzeichnet das nun entdeckte »menschliche Herz« (33) des »Mädchens« mit körperlichen, unreflektierten Gefühlsregungen und Panikreaktionen, sie fühlt, steht gefangen, weint, sinkt nieder, feiert vergnüglich, entschlummert, erwacht, stürzt sich schreiend auf ihn, sie raset und rennet, stürzt nieder, ihr Geschrei durchdringt die Luft, ist in Herzens Not bis hin zum spontanen Selbstopfer: »Und mit ausgestreckten Armen / Springt sie in den heißen Tod« (91–92). Der Sprung in die Flammen ist die letzte und extremste der sich steigernden Prüfungsbedingungen für die schließliche Entrückung der Bajadere.19 (Der Flammentod ist nicht vergleichbar mit dem Purgatorium und dem christlichen Heilsgeschehen und Gnadenverheißung, sondern eine vom Willen des Opfers abhängige Selbstaufgabe. Der schon von Hegel angeführte Vergleich mit Jesus und Maria Magdalena ist schief und greift nicht wegen der explizit erotischen Beziehung zwischen dem Gott und der Bajadere und ihrem freiwilligen Flammentod; die ,Sünderin‘ Maria Magdalena wird zur Anhängerin von Jesu Lehre, nicht seine Geliebte, und Jesus fordert keinen Flammentod). Der mythisierte, in exotisch-orientalisches Gewand verpackte Erotismus der Ballade spiegelt durchaus gängige Gedanken über Sexualität und den freieren 17 18 19

Laufhütte: Formulierungshilfe für Haustyrannen?, S. 141. Schaub: »Gehorsam« und »Sklavendienste«, S. 38. Vgl. ebenda, S. 40–41.

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Umgang damit in den 1790er Jahren, man denke an Wilhelm von Humboldts (in Weimar abgefasste) Sexualphantasien in Über den Geschlechtsunterschied und dessen Einfluss auf die organische Natur (1794) und Über männliche und weibliche Natur (1795), an die Vereinigungsfantasien der Liebenden bei Friedrich Schlegel oder Novalis, oder an die (mehr oder weniger öffentlich werdenden) Affären von u. a. Friedrich Schlegel und dessen Idealisierung in der Lucinde. Goethe scheint die Erotikbegeisterung der Frühromantik mit Fichtes Liebeskonzept (von 1796: »das Weib [...] sieht nicht weiter, und ihre Natur geht nicht weiter, als bis zur Liebe«)20 zu verbinden und zu ironisieren. Wie Humboldt ging Fichte vom Geschlechtsakt aus, um die Geschlechter in »aktiv« und »passiv« zu scheiden. Laut Fichte setzt sich das »erste Geschlecht die Befriedigung seines Geschlechtstriebs als Zweck« vor; das »zweite Geschlecht steht der Natureinrichtung nach eine Stufe tiefer, als das erste; es ist Objekt einer Kraft des ersteren«.21 Diese Setzung Fichtes spricht die Rangordnung (Hierarchie) und die Instrumentalisierung des »zweiten« Geschlechts deutlich aus – wiederum als ›naturgegebene‹ Setzung. Um nun aber trotz dieser Unterordnung die postulierte moralische Gleichheit der beiden Geschlechter begründen zu können, muss Fichte akrobatische Deduktionen vornehmen, wie: »Der Mann kann freien, die Frau nicht«, denn »das Weib« kann sich der Geschlechtslust nicht hingeben, um ihren eigenen Trieb zu befriedigen, sondern nur um »den Mann zu befriedigen«; sie mache sich freiwillig zum Mittel eines anderen, »zufolge eines edlen Naturtriebs, des der Liebe.«22 Liebe ist, laut Fichtes Deduktion, die Gestalt, unter welcher sich der Geschlechtstrieb in der Frau zeige, sie sei seine moralische Gestalt, sei »der innigste Vereinigungspunkt der Natur, und der Vernunft,« sei »das Vortrefflichste unter allem Natürlichen«; das Bedürfnis der Frau sei nur, zu lieben und geliebt zu werden, dadurch erhalte ihre Hingabe den Charakter der Freiheit und Tätigkeit: »Das Weib sieht nicht weiter, und ihre Natur geht nicht weiter, als bis zur Liebe.«23 Liebe wird bei Fichte zum Inbegriff des Weiblichen, wird eine Lieblingsidee der Romantiker, die Goethe in »Der Gott und die Bajadere« im Liebestod orientalisiert – und vielleicht auch zu sublimieren und ästhetisieren, in klassische Bahnen zu lenken versucht. Kaum ein Jahrzehnt später hat Karoline von Günderrode mit ihrem Sonett »Die Malabarischen Witwen« (in der von Creuzer unterdrückten letzten Gedichtsammlung Melete, 1805–06 publiziert) das Motiv des Flammentodes der indischen Witwen wieder aufgenommen und zum Inbegriff der wahren, ewigen Liebe gestaltet. Die Malabarischen Witwen Zum Flammentode gehn an Indusstranden Mit dem Gemahl, in Jugendherrlichkeit, Die Frauen, ohne Zagen, ohne Leid, Geschmücket festlich, wie in Brautgewanden.

20 21 22 23

Fichte: Grundlage des Naturrechts, S. 304. Ebenda, S. 302. Ebenda, S. 305, 304. Ebenda, S. 305.

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29 Die Sitte hat der Liebe Sinn verstanden, Sie von der Trennung harter Schmach befreit Zu ihrem Priester selbst den Tod geweiht, Unsterblichkeit gegeben ihren Banden. Nicht Trennung ferner solchem Bunde droht, Denn die vorhin entzweiten Liebesflammen In einer schlagen brünstig sie zusammen. Zur süßen Liebesfeyer wird der Tod, Vereinet die getrennten Elemente, Zum Lebensgipfel wird des Daseins Ende.24

Das erste Quartett skizziert die Situation aus der Perspektive der Frauen. Das zweite Quartett deutet diese Situation als gerechtes, einfühlsames Gesetz (Sitte) ganz im Sinne der romantischen Liebeskonzeption. Das Sati Ritual wird als Ausdruck von »der Liebe Sinn« präsentiert, als Kompensation für die Trennung der Liebenden, die der Tod auf ewig vereinen soll. Mit den Bildern vom »Flammentod« im ersten Terzett und der »Liebesfeyer« im zweiten ästhetisiert Günderrode das Sati-Ritual, um mit der epigrammatischen, antithetisch gebauten Schlusszeile ihrer Liebesreligion Ausdruck zu geben: Der Liebestod wird zum ewigen Liebesbund. Sicher ist Niklas Saul (allerdings nur bedingt) zuzustimmen, dass Günderrode hier Reflexionen aus Schellings Naturphilosophie (System des transzendentalen Idealismus, 1800), die sie studiert hatte, einfließen lässt. Günderrode nimmt die Auflösung der geistigen und individuellen Persönlichkeit und des materiellen Leibes in Kauf und sieht den Liebestod als Schwelle zu einem ewigen Leben; die elementaren Reste des irdischen Lebens kehren bereichert durch die irdische Erfahrung zurück zum Lebensganzen: Liebestod als Beginn neuen, höheren Lebens Günderrode hat hier die Lehre vom Karma naturphilosophisch abgewandelt.25 Günderrode stand aber auch dem Neuplatonismus nahe.26 Danach ist die Welt in ihrem Stufensystem zum einen Emanation, zum anderen Heimkehr aus der Entfremdung. Der Tod ist nur ein Übergang. Unser Leben wird in die sich bewegende, alles durchdringende Lebenskraft, die Weltseele, eingehen. Das Leben wurde als Transzendenz verstanden, als Durchgangsstadium. »Der Tod ist mir willkommen, und zu dieser Ruhe der Betrachtung zu gelangen, sey das Ziel unseres Strebens,«27 lautet ein Kernsatz in Günderrodes »Briefen zweier Freunde«. Hier scheint Günderrode (in »Eusebios Antwort«) Gedanken, wahrscheinlich sogar Briefstellen aus ihrem Briefwechsel mit Creuzer, der ja Günderrodes über 100 Briefe hat vernichten lassen, verwendet zu haben; vielleicht ist beides ein Grund, warum Creuzer auch den Druck von Günderrodes Gedichtband Melete gleich nach Günderrodes Selbstmord aufhielt und vernichtete. 24 25

26 27

Günderrode: Sämtliche Werke, S. 325. Saul: Fragmentästhetik, Freitod, S. 241; ich kann jedoch bei Günderrode eine Fortführung der romantischen »Suiziddarstellung nach Schlegel« (S. 240) hier nicht feststellen, wie sie Saul postuliert. Solbrig: Die orientalische Muse Meletes, S. 302. Günderrode: Sämtliche Werke, Bd. 1, S.359.

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Barbara Becker-Cantarino

»Zum Lebensgipfel wird des Daseins Ende« – Günderrode übernahm damit kritiklos und unreflektiert den indischen Brauch und feiert ihn hymnisch als östliche Weisheit, liest ihn aus der europäisch-frühromantischen Perspektive des romantischen Liebesbundes. Für das Liebesopfer bzw. das Selbstopfer hat sie eine atavistische Tradition wieder heraufbeschworen, die mit der christlichen nicht vereinbar war. Die Selbstzerstörung wird hier unter dem Schleier des Mythos und der Liebe gefeiert, was einer Art mystischen Rechtfertigung der Selbsttötung gleichkommt. Zwar hatte Günderrode die Tradition der männlichen, d. h. vom Begehren und Blickpunkt des Mannes aus gedachten Liebesgedichte verlassen. In anderen Versen hat sie offen ihr Begehren als Frau, ihren »Hunger« (»Hungrig in der Zahl der Gäste / Siz ich bei dem Freudenfeste«),28 ihre Liebe zu erlangen, gezeigt. Nach dem Genuss ist das Scheitern, der Verlust dieser Liebe, um so schmerzlicher, wie sie es in dem vierstrophigen Lied »Die eine Klage« thematisiert: Das geliebte, süße Leben, Dieses Nehmen und dies Geben, Wort und Sinn und Blick, Dieses Suchen und dies Finden, Dieses Denken und Empfinden Giebt kein Gott zurück.29

Auch in diesem Gedicht fällt auf, dass poetische Bilder völlig fehlen und nur das Gefühl der genossenen Liebe aus der Erinnerung sehr deutlich und klar, fast reflexiv beschrieben wird; dahinter steht eine tiefe Hoffnungslosigkeit. In ihrem Sonnett »Die Malabarischen Witwen« wird der Liebestod als ein Weg zur Unsterblichkeit und Vereinigung mit dem Geliebten im Jenseits mythisiert, in den fernen Orient, den Günderrode und Creuzer sehnsuchtsvoll imaginieren, verlegt und führt zur Selbstaufgabe. So waren der Okzident und seine Literatur nach Creuzer (und der zeitgenössischen Vorstellung) historisch, hell, systematisch – und männlich, der Orient galt als mystisch, poetisch, subjektiv und – weiblich. Creuzer sah Günderrodes poetologische Einkleidung, er grenzte sie aber auch sofort auf das Mystische, Nicht-Systematische, das Weibliche ein. Mit der Feminisierung des Orients war immer auch eine Wertung verbunden; der Okzident stellte die helle Geschichte dar und war die Ausgangsbasis der eurozentrischen Perspektive, die den Orient im kolonialen Diskurs vereinnahmte und besetzte.30 Wenn Creuzer so begeistert Günderrodes poetische Begabung in das »Morgenland« verweist, so übersieht er (absichtlich?) ihren philosophischen Gehalt, die bewusste Abstraktion und formale Gestaltung und schließt sie als Poesie in das Gebiet ein, das er selbst wissenschaftlich und mit Wahrheitsanspruch in seinen mythologischen Studien zu durchdringen versuchte. Im Orientalismus der Romantik wurde Günderrode als Frau und Dichterin mit dem fernen »Morgenland« zum Ort der Poesie verschmolzen. In Günderrodes Briefwechsel mit Creuzer, dessen Forschungsinteressen 28 29 30

Ebenda, S. 327. Ebenda, S. 328. Said: Orientalism, passim.

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Günderrodes Hinwendung zur Mythologie und alten Kulturen entgegen kam, stand das Wort »Morgenland« (Luthers Übersetzung für das griechische anatolé), das Land der aufgehenden Sonne, für den idealen, geistigen Ort der Liebe. Die fernen, atavistischen Mythen aus dem »Morgenland«, das Günderrode und Creuzer voller Sehnsucht in ihren Texten heraufbeschören (Creuzer als Mythologe und Altertumsforscher im Dienste der Wissenschaft), verführte Günderrode zur Selbstaufgabe als Frau und in den Tod. Die Selbstzerstörung Karoline von Günderrodes wurde begünstigt durch Denkstrukturen des deutschen Idealismus, wenn sie immer wieder zwischen utopischen Perspektiven und Todesgedanken hin und her pendelte. »Der Tod ist das romantisierende Prinzip unseres Lebens [...] Durch den Tod wird das Leben verstärkt«, schrieb der von Günderrode bewunderte Novalis.31 Hier wurde die Liebe in metaphysische Höhen gehoben, Erotik wurde mystifiziert. Der »Gott und die Bajadere« und »Die malabarischen Witwen« stehen am Anfang einer Entwicklung, die das 19. Jahrhundert mit einer Remystifikation der Liebe als vermeintlich orientalische Erotik beginnen lässt, verweben sie doch Leben und Liebesproblematik zu einem Liebestod, der in seiner philosophischen Idealität und zugleich Abgehobenheit seinesgleichen sucht.

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Licher: Mein Leben in einer bleibenden Form aussprechen, S. 349.

Roswitha Burwick

»Man müsste ihn so lieben können, dass man für ihn sterben würde«: Emotionen im Märchen »Blaubart« und Arnims Bearbeitung in seinem Roman »Die Kronenwächter«

Emotionen werden im Märchen, wie wir es aus den Fassungen von Wilhelm und Jacob Grimm kennen, eher verhalten dargestellt, da sie nicht Ausdruck eines individuell gestalteten Charakters sind, sondern Typen zugeschrieben werden, die allgemein gültige Grundmuster des menschlichen Verhaltens in bestimmten Situationen schildern. Märchen sind damit auch semiotisch so konzipiert, dass sie Gefühle formelhaft vermitteln und geschlechtsspezifisch eingesetzt werden können. Werden Emotionen als ›kodiert‹ verstanden und als solche in mündlich tradierten und literarischen Märchentexten thematisiert, unterstützen sie die bereits etablierten kulturellen Kodes, schaffen neue, der Zeit gemäße, und werden wiederum von ihnen geformt.1 Es geht demnach nicht allein um die Darstellung, Vermittlung und Rezeption von Emotionen, sondern auch um präskriptive Verhaltensnormen, d. h. um die Intention des Autors/Erzählers, der eine bestimmte Wirkung der Texte erzielen will, hier in erster Linie auf Kinder und weibliche Leser. Damit wird die Stellung der Frau als Autorin, als Gestalterin des Märchens und als Erzieherin ihrer Kinder problematisiert: Entweder sie wird Trägerin einer kulturell relevanten Erzähltradition und folgt den vorgegebenen Mustern von Informationsaufnahme, -verarbeitung und -dissemination, oder sie unterläuft sie und setzt sie subversiv um in alternative Verhaltensweisen. Die im Märchen erzählten Emotionstypen wie Liebe, Angst, Freude, oder Mitleid müssen daher auf Autor- oder Herausgeberintention (bei den Grimm’schen Märchen) hinterfragt und auf psychologischer, kulturtheoretischer und sprachlicher Ebene untersucht werden, um die in den Texten eingebetteten komplexen Informations- und Wissensysteme freizulegen. Im Folgenden soll versucht werden, die Problematik der in den Märchen kodierten Gefühle am Beispiel von Blaubart in den verschiedenen Fassungen der Erzählung zu untersuchen. Während der Grossteil der literarischen Bearbeitungen sich an der Handlung und der Charakterkonstellation des Märchens orientiert, verfuhr Arnim frei mit dem Stoff, den er in seinen Roman Die Kronenwächter integrierte. Bei den normierten Erzählstrukturen der bekannten Märchentypen geht es um soziale – in den meisten Fällen familiäre – Krisensituationen, in denen die Charaktere auf die Probe gestellt werden und sich bewähren müssen. Die anglo-amerikanische feministische Märchenforschung (Bottigheimer, Warner, Tatar, Liebermann) 1

Winko: Kodierte Gefühle, S. 9–17. Winko gibt einen Überblick über die unterschiedlichen theoretischen Ansätze zur Emotionsforschung und -diskussion.

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Roswitha Burwick

konzentriert sich bei der Besprechung der Märchentypen der »Schönen und das Tier,« zu denen auch »Blaubart« gehört, auf die Emotionslosigkeit, mit denen Väter ihre Töchter einem unheimlichen Bräutigam übergeben, um sich selbst zu retten oder um Reichtum zu gewinnen. Es scheint vor allem wichtig zu sein, dass die Tochter sich als passiv und aufopferungsbereit zeigt und das eigene Glück an der Seite eines geliebten Mannes durch das Pflichtgefühl gegen den Vater aufgibt. In Jeanne-Marie Leprince de Beaumonts La Belle et la Bête sowie in anderen Variationen dieses Typs erkennt die Schöne den inneren Wert des hässlichen Bräutigams, empfindet Mitleid mit ihm und kann ihn dadurch erlösen, d. h. ihm seine menschliche Gestalt zurückgeben. Die fast inzestuöse Liebe zum Vater ist damit auf einen Partner übertragen, mit dem eine Ehe geschlossen werden kann. Die Aufopferung, Selbstlosigkeit und das tiefe Mitgefühl, das sich schließlich zur echten Liebe entwickelt, wird mit einem »Happy End« belohnt. Die erotische Anziehung zwischen dem »zivilisierten« und vernünftigen (weiblichen) Menschen und dem »ungezähmten«, »triebhaft handelnden« (männlichen) Tier geht auf in die Banalität der Ehe, die Reichtum und einen hohen gesellschaftlichen Rang mit einschließt. Der Nachdruck liegt in Struktur und Sprache auf der Wandlung der Gefühle, die die Skala von Trennungsschmerz vom Vater, Angst vor dem Unbekannten, ja, Unheimlichen und Bedrohlichen, der Selbstverachtung und der Wut, zum Moment der gegenseitigen Achtung und Liebe durchlaufen und das »Happy End« voraussagbar machen. Wichtig ist es in den Tierbräutigammärchen, dass der männliche Partner auch in der Tiergestalt seine menschliche Natur nicht verliert und somit zum rechten Zeitpunkt durch weibliche Empathie oder Liebe aus seinem animalischen Zustand in seine menschliche Gestalt zurückverwandelt werden kann. Im Moment seiner Erlösung verliert er nicht nur sein bestialisches Äußeres, auch sein tierisches, oft wildes Gebaren verwandelt sich in zivilisierte Umgangsformen und männlichen Charme. Anders verhält es sich bei den weiblichen Tiergestalten, bei den Meerjungfrauen und Nixen. Sowohl der Mythos der Melusine als auch Christian Andersens Kleine Meerjungfrau schließen die »Erlösung« der Frau durch die Liebe des Mannes aus, da sie ihrer Natur nach immer Zwittergestalten bleiben und nicht durch die Liebe eines Mannes ihre Tiernatur verlieren können. Wie Blaubart hüten sie ihr Geheimnis und stellen ihre Partner auf die Probe.2 Während die bedingungslose Liebe der Frau den Tierbräutigam erlösen kann, führt die unbewusste Ahnung (Die kleine Meerjungfrau) oder das Wissen (Melusine) um das Geheimnis der Doppelnatur der Frau zur Auflösung der zwischenmenschlichen Beziehungen. Im Gegensatz zum Märchen Die Schöne und das Tier, in dem sich die junge Braut willentlich für den Vater zu opfern bereit ist, ist das Geschehen im Blaubart 2

Puw Davies deutet darauf hin, dass sich die Undinemärchen, zu denen auch Friedrich de la Motte Fouqués Undine (1837) gehört, keiner großen Beliebtheit im 19. Jahrhundert erfreuten. Sie weist weiterhin darauf hin, dass es sich bei diesen Themen vor allem um didaktische Erzählungen handelte, die auf das von der Norm abweichende weibliche Verhalten und auf weibliche Sexualität eingingen. »In both, a crisis is precipitated by feminine curiosity with sexual overtones: in the case of the little mermaid, a desire for legs so that she can discover the human world and undergo marriage.« Puw Davis: The Tale of Bluebeard in German Literature, S. 58.

Emotionen im Märchen »Blaubart«

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durch die Klugheit und Vorsorge der jungen Frau bestimmt. Da das junge Mädchen bereits beim Anblick des Bewerbers von der Unheimlichkeit seines blauen Bartes zurückschreckt, bittet es noch vor der Abreise ihre Brüder um Schutz und, nachdem sie tatsächlich in Lebensgefahr gerät, wird sie von ihnen im letzten Augenblick befreit. Im Gegensatz zum traditionellen »Happy End« der im Kanon erfassten und von Disney popularisierten Märchen geht es im Blaubart trotz der von den Brüdern herbeigeführten Rettung der Schwester um tiefgreifende soziale und kulturelle Fragen der Geschlechterbeziehungen. Zunächst ist es in Beaumonts Erzählung eindeutig, dass die Tochter einer relativ wohlsituierten Witwe eine »gute Partie« macht, die sie zeitlebens finanziell absichert. Es wird ja dann am Schluss noch betont, dass die nun reiche junge Witwe für ihre Geschwister sorgen kann und dann auch selbst einen Mann findet, mit dem sie ein »glückliches« Leben führen kann. Der Horror der kurzen Ehe mit Blaubart ist mit seinem Tod vergessen; das Gefühl der Zufriedenheit in einer neuen Lebensgemeinschaft durch den von Blaubart geerbten Reichtum garantiert. Das Märchen vom Blaubart ist dem Typ des Tierbräutigams zuzurechnen, das in den Varianten von Eros und Psyche, Tausendundeiner Nacht, und Die Schöne und das Tier durch die Liebesfähigkeit der Partner ein »Happy End« findet. Im Gegensatz dazu stehen Blaubart, Fitscher’s Vogel (KHM 46) oder Der Räuberbräutigam (KHM 40)3, in denen Kälte, Angst und Abscheu vor einander thematisiert sind. Die einfache Formel des Gebotsübertritts und der dadurch erfolgten gerechten Bestrafung der Frau wird jedoch subversiv unterlaufen durch die Frage nach der wirklichen Ursache von Blaubarts Verbot, die verborgene Kammer zu öffnen. Hier ist zu hinterfragen, ob das Verbot des Mannes eine Aufforderung an die Frau ist, präskriptive Verhaltensnormen zu brechen und die kulturell kodierten Wissensysteme aufzudecken. Ist die Neugierde hier ein spezifisch negativer weiblicher Zug4 oder ist es das Wissenwollen und Wissensollen um ein Tabu? Kann der Text als Kritik am Normativen auch die kulturell kodierten Erwartungen von männlichen Verhaltensmustern mit einschließen? Können die Emotionen, die hier Ausdruck finden, neu gedeutet werden, oder geht es nur um die Frage, ob den Erwartungen des Lesers Genüge getan wird, indem das Böse bestraft und die Frau von den Brüdern wieder in den sicheren Kreis der Familie zurückgeführt wird? Der Stoff des Blaubart ist in zahlreichen literarischen Formen und Genres bearbeitet. Charles Perraults La Barbe Bleue (1697)5 wurde vermutlich bereits vor 1761 ins Deutsche übersetzt. Bekannt sind die Neuauflagen von 1761 und 1770.6 3

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Es wurde folgende Ausgabe von Heinz Rölleke benutzt: Grimm: Kinder- und Hausmärchen. Ausgabe letzter Hand mit den Originalanmerkungen der Brüder Grimm. Zitiert werden die Märchen unter der KHM-Nummer. Blaubart ist »das Märchen von der jungen Frau, die sich nicht bezähmen kann, die Mordkammer ihres Mannes zu betreten.« Scherf: Lexikon der Zaubermärchen, S. 2125. Die Märchensammlung mit der Erzählung vom Blaubart erschien ursprünglich anonym mit einem Vorwort von Pierre Darmancour, einem Sohn von Charles Perrault. Erst als die Sammlung berühmt wurde, nannte sich Perrault als Verfasser. Perrault: Contes De Ma Mere Loye, Ou Histoires Du Tems Passé Avec Des Moralités: Historien oder Erzählungen der Mutter Loye von den vergangenen Zeiten neben einigen Sittenlehren. Auch »Märchen von meiner Großmutter Gans,« eine genauere Übersetzung des Titels auf dem

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Roswitha Burwick

Gotters balladenhafter Romanze »Blaubart« (1772)7 folgten Friedrichs des Großen Religionssatire Das Buch Blaubart (dt. Übersetzung 1787), Ludwig Tiecks Märchen Ritter Blaubart. Ein Ammenmärchen (1797), seine Parodien Der Blaubart (1817) und Die sieben Weiber des Blaubart (1797). Von den bekannten feministischen Erzählungen des 20. Jahrhunderts seien hier nur Angela Carters The Bloody Chamber (1995), Margaret Atwoods The Robber Bride (1993) und Bluebeard’s Egg (1983) genannt. Zu den neueren Verfilmungen kann noch Catherine Breillats Barbe Bleue (2009) gerechnet werden, in dem die Grenzen zwischen Blaubart und dem monströsen »Bête« verwischt sind. Im Gegensatz zu Beaumont und Perrault, die Blaubart als kalten Mörder charakterisieren, ist Breillats Gestalt eher schwermütig, da er sich seiner Monströsität voll bewusst ist: »Ich weiß, daß ich ein Monster bin und so wurde ich zum Monster.«8 Die Geschichte vom Blaubart (AT 312)9 findet sich auch in der ersten Ausgabe der Grimm’schen Kinder- und Hausmärchen von 1812 (KHM 62), wurde jedoch bereits in der zweiten Ausgabe von 1819 nicht mehr mit aufgenommen, da man sie durch Perraults Bearbeitung eher dem literarischen als dem Volksmärchen zuordnete. Außer dem magischen Schlüssel ist die Geschichte nur die eines Massenmörders, der am Ende seine gerechte Strafe erfährt. Auch Achim von Arnim, der sich mit den Grimms über ihre Märchensammlung auseinandersetzte und häufig Märchenstoffe in seinen Erzählungen verarbeitete, griff den Stoff auf: zum einen übernimmt er die Ballade »Ulrich und Ännchen« aus Herders Volksliedern in seinen ersten Band der Sammlung Des Knaben Wunderhorn;10 zum anderen erscheint die Figur des Blaubart in seinem Roman Die Gräfin Dolores sowie im zweiten, erst von Bettina posthum veröffentlichten Teil der Kronenwächter. In meinem Beitrag werde ich Emotionen als kulturell kodierte Verhaltensmuster in Perraults La Barbe Bleue und in Jacob und Wilhelm Grimms Blaubart und Fitchers Vogel untersuchen. In diesem Zusammenhang kann Arnims Neubearbeitung des Textes nicht nur als Beispiel seiner Auseinandersetzung mit den Grimms über »alte« und »neue« Poesie, sondern auch als Kritik an den kulturell kodierten Verhaltensnormen der Zeit verstanden werden. Zunächst schien es ihm wichtig zu sein, keine Neubearbeitung des Stoffes als eigenständigen Text zu schreiben, wie es z. B. Tieck in seinem Theaterstück Ritter Blaubart und der Prosaerzählung Die sieben Weiber des Blaubart lieferte. Wie er im Briefwechsel mit den Grimms betonte, war das Erzählen von bekannten Geschichten immer zugleich ein »Nachdichten«, d. h. ein kreativer Akt des Erzählers, in den auch der Leser mit einbezogen wurde. So ist das Märchen vom Blaubart eingegliedert in die narrativen Strukturen

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Frontispiz, was so viel heißt, wie »Märchen aus alter Zeit.« Vgl. Blamires: Die deutsche Rezeption der Märchen von Marie-Catherine d’Aulnoy, S. 139. Gotter: Blaubart. Romanze. Breillat: Barbe Bleue (meine Übersetzung). Vgl auch Uther: The Types of International Folktales (im Folgenden zitiert als ATU) 311 »Von einem Riesen getötet,« das Motive zu »Fitchers Vogel« aufweist: zitiert Bd. 1, S. 191–192. Vgl. auch ATU 312, 312A, 312C, 312D. Ulrich und Ännchen. Deutsch – Herder: Werke in zehn Bänden, Bd. 3, S. 106–107. Arnim, Brentano: Des Knaben Wunderhorn. Alte Deutsche Lieder, S. 189–191.

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seines Romans, wo es zusammen mit dem geschriebenen Text mit entsteht, Impulse empfängt durch Motive, und Gestalt gewinnt durch freie Assoziationen oder semiotische Verknüpfungen. Im neuen Kontext erhalten nicht nur die Geschichte, sondern auch die Charaktere ein Eigenleben, indem sie als Handelnde im narrativen Geschehen auftauchen, Verwirrung stiften und den Lauf der Erzählung mitbestimmen. Da die endgültige Fassung des zweiten Teils des Romans noch offen blieb, kann man hier von einem »beweglichen« Text sprechen, der in seiner Rohfassung noch die Nahtstellen und Grenzbereiche bloßlegt, in denen der Märchentext als Text auftaucht und wieder verschwindet. Indem Traumebene und Märchenebene mit einander verschmelzen, wird ein Raum geschaffen, in dem vorgeschriebene Verhaltensmuster nicht mehr gültig sind und auch Emotionen wie Liebe, Hass, Freude, Angst, Vertrauen und Misstrauen sprunghaft wechseln können. Der Leser wird dabei in Verwirrung gestürzt, da er die Gefühle nicht mehr den Charakteren bzw. den von ihnen verursachten Situationen zuordnen kann. Vertraute Wissenssysteme und feste -strukturen sind aufgebrochen und ersetzt durch ein Sich-»systemlosdurch-Systeme«-Bewegen,11 das sowohl den Erzähler als auch den Leser verunsichert und zum Mitdenken, Mitdichten und emotionalen Miterleben auffordert. Die gedruckte Fassung von Charles Perraults La Barbe Bleue erschien 1697 als dritte Erzählung in den Histoires ou contes du temps passé.12 Nach Zipes liefern Perraults Märchen im Prozess der französischen Zivilisation »Muster und Vorbilder, die das Prestige bürgerlich-aristokratischer, nicht zuletzt aber männlicher Werte und Stile stärken wollen«.13 Suhrbier bestätigt diese Rezeption auch für die zeitgenössische deutsche Leserschaft, wenn er schreibt, dass von den acht Prosamärchen La Barbe Bleue die weiblichen Rollenerwartungen einer bürgerlichpatriarchalischen Gesellschaft christlicher Prägung am besten erfüllt: absoluter Gehorsam und völlige Unterwerfung unter den Willen des Ehemannes.14 »Wer von unsern Lesern hat nicht in seiner Kindheit mit unendlichem Behagen und Entsetzen das berühmte Märchen von Barbe-bleue erzählen hören?« Dieser erste Satz August Wilhelm Schlegels seiner Rezension von Tiecks Ritter Blaubart in der Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung könnte auch für Perrault gelten, da seine Geschichte genau zwischen den entgegengesetzten Emotionen von »unendlichem Behagen« und »Entsetzen« oszilliert.15 Perraults Blaubart wird als reicher Mann eingeführt, »der hatte schöne Häuser in der Stadt und auf dem Lande, Tafelgeschirr von Gold und Silber, kostbare Möbel

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Zum Thema »systemlos durch die Systeme« vgl. Burwick: »Ahndung, Combination und Metamorphose«. Der Text ist zitiert aus Suhrbier (Hrsg.): Blaubarts Geheimnis, S. 83–89. 1697 war der Text in Manuskriptform bereits erschienen. Berühmt wurden die Erzählungen durch die Kupferstiche von Auguste Doré (1867). Alle folgenden Hinweise zum Text aus Suhrbier. Zipes: Rotkäppchens Lust und Leid, S. 30. Suhrbier (Hrsg.): Blaubarts Geheimnis, S. 22. Weiter heißt es in der Rezension: »Hier hat es ein Dichter gewagt, gewiß ein Dichter im eigentlichen Sinne, ein dichtender Dichter, diesen unscheinbaren Stoff zu einer ausführlichen dramatischen Darstellung zu entfalten.« Schlegel in: Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung. Nr. 333, 1797.

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und Kutschen, die ganz und gar vergoldet waren«.16 Das Bild des reichen Bürgers, der wie ein Königssohn auf Brautschau vorfährt, wird sofort durch seinen furchterregenden blauen Bart modifiziert: »Aber unglücklicherweise hatte dieser Mann einen blauen Bart; das machte ihn so häßlich und abschreckend, daß alle Frauen und Mädchen vor ihm flohen«.17 Schrecken und Furcht vor dem Mann werden abgeschwächt, wenn er um die Hand von einer der beiden wunderschönen Töchter seiner Nachbarin anhält, ihr aber die Wahl lässt, welche sie zu seiner Frau auswählt. Diese großzügige Geste wird sofort wieder zurückgenommen, da die beiden Mädchen sowohl vom blauen Bart als auch von der Tatsache abgestoßen sind, dass der Mann bereits mehrere Frauen geheiratet hatte und man nicht wusste, was aus diesen Frauen geworden war.18 Um die Abscheu vor seinem Äußeren zu überwinden, lädt der Mann Mutter, Töchter und Freundinnen zu sich ein und verwöhnt die Frauen mit Bällen, Gelagen, Jagdpartien und anderen Festlichkeiten. Mit der näheren Bekanntschaft und den angenehmen Tagen auf Blaubarts Besitz verschwindet auch die Abneigung der jüngsten Tochter, die den blauen Bart nun nicht mehr fürchtet und mit dem höchst ehrenwert erscheinenden Mann die Ehe schließt: »[...] alles ließ sich so gut an, daß die Jüngere allmählich fand, der Herr des Hauses habe gar keinen so blauen Bart mehr und sei ein höchst ehrenwerter Mann. Sobald man in die Stadt zurückgekehrt war, wurde die Ehe geschlossen«.19 Das »Behagen« der Ehe wird bereits nach einem Monat in Frage gestellt, als Blaubart sich auf eine Reise begibt und seiner Frau die Schlüssel zu seinen Reichtümern überreicht, mit der Aufforderung, seine Schätze während seiner Abwesenheit zu erkunden. Ausgenommen ist eine kleine Kammer »am Ende des langen Ganges im unteren Stockwerk,« die sie nicht betreten darf, da sie sonst »alles von meinem Zorn zu erwarten« habe.20 Sobald Blaubart das Haus verlassen hat, stürmen die Nachbarinnen und Freundinnen, die bisher die Furcht vor dem blauen Bart ferngehalten hatte, voller Neugier in die Zimmer und durchwühlen Kisten und Kästen. Das Nacheinander von Freude und Vergnügen oder Angst und Schrecken wird nun zum Miteinander, wenn die Blaubärtin die Freundinnen verlässt und, getrieben von unbeherrschbarer Neugier, die verbotene Kammer betritt. Blaubarts Verbot war der Auslöser für die unwiderstehliche »Versuchung« der Frau, die nun zitternd vor Erregung das blutige Geheimnis ihres Mannes entdeckt und in einem Moment von »unsäglicher Furcht« den Schlüssel fallen lässt. Wieder zu sich gekommen, hebt sie den Schlüssel auf, verschließt die Tür und begibt sich »aufgewühlt wie sie war,« in ihr Zimmer, um sich wieder zu beruhigen. Auch ihre Bemühungen, den Schlüssel von den Blutflecken zu reinigen, sind umsonst. Interessant sind nun die Manipulationen der Frau, die trotz ihrer Furcht vor dem Zorn des Mannes, »bleicher als der Tod«, ihre Rettung bewerkstelligt. Zunächst bittet sie »mit allen Zeichen einer

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Suhrbier (Hrsg.): Blaubarts Geheimnis, S. 83. Ebenda. Ebenda. Ebenda. Ebenda, S. 84.

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aufrichtigen Reue um Verzeihung dafür, daß sie nicht gehorsam gewesen sei«.21 Als es ihr nicht gelingt, das »harte Herz« Blaubarts zu bewegen, fleht sie weinend, dass er ihr ein letztes Gebet erlaube. Für eine Viertelstunde allein gelassen, ruft sie ihre Schwester Anne und gebietet ihr, auf den Turm zu steigen und ihre Brüder zu ihrer Rettung herbeizurufen. In letzter Minute erreichen die beiden das Tor, Blaubart flieht in Angst und Schrecken, wird jedoch eingeholt und getötet. Da er keine Erben hat, fällt das Vermögen an die Frau, die ihre Schwester mit einem Edelmann verheiratet und ihren Brüdern Hauptmannsstellen kauft. Auch sie findet ihr Glück mit einem »höchst ehrenwerten Mann,« der sie die schlimmen Zeiten vergessen lässt.22 Die Gefühle von ›Behagen‹ und ›Entsetzen‹ werden bewusst von den Frauen und von Blaubart evoziert und manipuliert, um Wünsche zu erfüllen und Ängste zu verbergen. Die in den Märchen als negativ kodierte weibliche Neugier ist mit dem Sündenfall theologisch unterbaut und kann damit als geschlechtsspezifische moralische Schwäche in den Verhaltensnormen der Frau verstanden werden. In Perraults Erzählung unterläuft jedoch die Besonnenheit der Frau die von ihr erwartete Hilflosigkeit, da ihr von Anfang an klar zu sein scheint, dass der blaue Bart notwendigerweise Schreckliches verbergen muss. Das Wissen um Blaubarts Geheimnis ist für sie ein Anreiz, der zur Erkenntnis führt, dass er von seiner zwanghaften Mordlust nicht durch Liebe und weibliche Aufopferung erlöst werden kann, sondern selbst den Tod verdient. Suhrbier weist darauf hin, dass Blaubart nicht nur Lustmörder, sondern auch Angstmörder ist. Die Todesangst der Frau vor der grauenhaften Gewalttätigkeit ihres Mannes spiegelt sich in der Todesangst des Mannes wider, der durch das Wissen der Frau entmachtet ist, so dass er bei der Ankunft der Brüder nicht kämpft, sondern angsterfüllt die Flucht ergreift. Wichtig ist, dass die Frau durch die nicht-hierarchische, matriarchalische Struktur der Familie emotional gefestigt ist, selbst Entscheidungen treffen kann, bewusst eine Vernunftehe eingeht, die sie finanziell absichert, und einen Ausweg aus einer scheinbar aussichtslosen Situation durch die Hilfe der Geschwister findet. Es geht hier also keineswegs um die Bestrafung des Bösen und die Warnung vor weiblicher Neugier, sondern um eine subversiv verarbeitete Kodierung: Die manipulierbaren Emotionen zeigen, dass romantische Liebe, weibliche Hilflosigkeit, Erlösungsphantasien von einer liebenden Frau und einem verwunschenen Bräutigam einem Wissensystem angehören, das kritisch hinterfragt werden muss. So dekonstruieren auch die beiden moralischen Zusätze Perraults die herkömmlichen kulturell kodierten Mythen um weibliche und männliche Verhaltensnormen und stellen sie mit Ironie in Frage. Wilhelm und Jacob Grimm nahmen Perraults Blaubart mit den Märchen des gleichen Typus, Fitchers Vogel (KHM 46), Der Räuberbräutigam (KHM 40) und Marienkind (KHM 2) nur in die erste Ausgabe der Kinder- und Hausmärchen von 21 22

Ebenda, S. 87. Ebenda, S. 89. – Im Gegensatz zu Perrault handelt Bechsteins Blaubärtin entschlossener, indem sie die Tür vor dem wütenden Ehemann zuschlägt, sie mit aller Kraft zuhält und laut mit ihrer Schwester um Hilfe schreit. In dem Moment, wo Blaubart die Tür sprengt, schlagen die Brüder zu und töten ihn. Während Perraults Blaubärtin sich schnell von ihrem Schrecken erholt, ist Bechsteins Heldin zwar »erlöst,« »konnte aber die Folgen ihrer Neugierde lange nicht verwinden.« Suhrbier (Hrsg.): Blaubarts Geheimnis, S. 96.

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1812 mit auf (KHM 62). Mit der Versetzung des großbürgerlichen Haushaltes in die Waldhütte suchten die Herausgeber der Geschichte märchenhaftere Züge zu verleihen, da sie zu literarisch durchgeformt, d. h. zu reflektiert und eher für ein gebildetes Bürgertum bzw. einen adligen Leserkreis verfasst schien. Abgesehen von dem formelhaften Anfang, blieb es jedoch die Geschichte eines Massenmörders, der das Wunderbare der Erlösung bzw. Heilung fehlte. Im Gegensatz zu Perrault lebt die Familie, zu der eine Tochter und drei Brüder gehören, in der Grimm’schen Fassung im Wald in einer patriarchalischen Struktur, da die Mutter ausgeklammert ist, d. h. nicht auftritt und nicht allein mundtot, sondern tatsächlich tot ist. Vater und Brüder beherrschen den Raum, in dem die Tochter kein weibliches Vorbild hat, d. h. keinen weiblichen Rat und mütterliche Fürsorge kennt. Als der goldene, von sechs Pferden gezogene Wagen des Königs vorfährt, ist der Mann froh, »daß seiner Tochter ein solches Glück widerfuhr«23 und willigt ohne Zögern ein, dem unheimlichen Fremden seine Tochter zur Frau zu geben. Obwohl der Mann einen blauen Bart hat, »so daß man einen kleinen Schrecken kriegte, so oft man ihn ansah,« und auch das Mädchen anfangs erschrocken und von Angst erfüllt ist, willigt es doch auf Zureden des Vaters ein. Die Unheimlichkeit des Fremden ist verharmlost zu einem »kleinen Schrecken«, der durch die Aussicht auf den sozialen Aufstieg des Mädchens aufgewogen scheint. Obwohl die Tochter spontan auf ihre Intuition reagiert und sich bewusst ist, dass sie den Mann nicht lieben, sondern nur fürchten kann, leistet sie keinen Widerstand, da die kulturell vorgegebenen Kodes einen Ungehorsam gegen die Autorität des Vaters von Seiten der Tochter nicht zulassen. Sie ist eingebunden in die väterliche Welt und damit nicht handlungsfrei; trotz des Unbehagens und der Angst vor dem Freier gibt sie dem väterlichen Zweckdenken nach, da sich ihre neue Stellung als Ehefrau im Grunde nicht von der der Tochter unterscheidet. Zum Gehorsam gegen den Vater konditioniert, folgt sie jedoch im entscheidenden Moment ihrem inneren Angstgefühl und bittet die Brüder um Beistand, sollte sie in Not geraten. Der rationalen Welt des Vaters begegnet sie mit weiblicher Intuition, indem sie in ihrer Bedrängnis einen Rettungsapparat organisiert. Dadurch entsteht die typische Märchensituation, in der die Eltern, hier der Vater, ausgegrenzt werden, während die Geschwister füreinander da sind und sich füreinander einsetzen. Als Königin lebt die Frau nun mit ihrem Mann in dem prächtigen Schloss, in dem sie wohl hätte gáücklich sein können, wenn sie sich nur an den blauen Bart hätte gewöhnen können: »[...] aber immer, wenn sie den sah, erschrak sie innerlich davor«.24 Der Bart steht für den Träger und signalisiert seine patriarchalische Macht, seine Kälte und Härte, das Unheimliche seines Geheimnisses und seine Furcht, der Frau nicht trauen zu können und von ihr hintergangen zu werden. Statt Liebe und Zuneigung verbindet die Eheleute Misstrauen, Abneigung und Furcht voreinander. Von Blaubarts Männlichkeit gehen also keine positiven Gefühle wie Liebe oder Geborgenheit aus, sondern eher eine Bedrohung, die schnell in mörderische Gewalt umschlagen kann. Die zwischenmenschlichen Beziehungen sind damit 23 24

Grimm: Kinder- und Hausmärchen, Bd. 2, S. 465, Anhang Nr. 9. Ebenda.

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auf unterdrückte Gefühle und Angst vor dem anderen Geschlecht reduziert, dessen »Geheimnis« man zwangsweise aufdecken muss, um sich durch Gewalt voneinander zu befreien. Die Inszenierung des Verbots intensiviert die Besessenheit der Frau, das verborgene und unheimliche Geheimnis des blauen Bartes aufzudecken, d. h. in die Welt der männlichen Tabus vorzustoßen. Auch Blaubart will, dass es die Frau erfährt und zwar bewusst unter Einsatz ihres Lebens. Das Verbot steht damit für etwas, was von beiden erkannt bzw. preisgegeben werden muss. Die Tiefenpsychologie sieht hier das Unbewusste durch die Räumlichkeiten des Gebäudes kodiert, denn die verbotene Kammer befindet sich im tiefsten Innern des Hauses. Der Weg dahin ist nicht allein durch Spannung, Furcht und Schauder, sondern auch durch fieberhafte Erregung und die Lust an der Entdeckung gezeichnet. Das Geheimnis der blutigen Kammer ist sowohl Blaubarts Geheimnis als das aller Frauen. Der Weg in die Tiefen des Hauses ist nicht allein der Weg in das Unbewusste des Mannes, sondern auch der Weg in das Unbewusste der Frau. Der Schauder der Entdeckung ist nicht nur der Schauder vor der Hölle des Mannes, sondern auch der Schauder vor der Hölle der Frau. Freuds Definition von Heim, heimlich und unheimlich ist hier mit Selbstentdeckung und dem Wissen und Bewusstsein der geschlechtsspezifischen Neurotik zu erklären.25 Die autoritäre, patriarchalische Welt des Vaters war eine verbotene Welt, zu der es für die Tochter keinen Zugang gab. Diese Lebensphase war durch Unterwerfung, Selbstlosigkeit und Gehorsam bestimmt. Die Welt des Ehemannes dagegen ist gezeichnet durch die Selbstfindung der Frau und die Erkenntnis der Geheimnisse ihrer weiblichen Macht. Das Wissen um diese Macht ist zugleich das Wissen um die männliche Furcht vor dieser Macht. Die weibliche Sexualität, »entdeckt« durch die Ehe mit dem Mann, wird damit zur drohenden Gefahr für sie und für ihn. Solange der blutige Schlüssel ihren »Fehltritt« verrät, kann ihr Vergehen geahndet werden. Bleibt dieser jedoch unentdeckt, wie bei Fitchers Vogel (KHM 46), wo die Frau das Ei vorher versteckt und es unbefleckt bleibt, verliert der Mann seine »Zauberkraft«,26 d. h. seine Potenz und die Herrschaft über die Frau. Er ist ihr ausgeliefert und sie wird ihn töten bzw. ihn von anderen töten lassen. Das Grimm’sche Märchen Blaubart (KHM Anhang 9) endet ähnlich der Erzählung Perraults mit dem dramatischen Höhepunkt, in dem die um Gnade flehende Frau von den durchs Tor stürmenden Brüdern gerettet und Blaubart von ihren Säbeln niedergestoßen wird. Der letzte Satz verbindet Horror und ›Behagen‹, wie es bereits bei Perrault vorgegeben war: »Da ward er in die Blutkammer aufgehängt zu den andern Weibern, die er getötet, die Brüder aber nahmen ihre liebste Schwester mit nach Haus, und alle Reichtümer des Blaubarts gehörten ihr.«27 Im Gegensatz zu Perrault, wo die Frau am Ende einen ehrbaren Mann heiratet, lebt sie in der Grimm’schen Fassung als reiche Witwe, nachdem ihr der Besitz des 25 26

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Freud: Das Unheimliche. – In: Freud: Gesammelte Werke, Bd. 12, S. 229–268. Grimm: Kinder- und Hausmärchen, Bd. 1, S. 237: »Er hatte jetzt keine Macht mehr über sie und mußte tun, was sie verlangte.« Ebenda, Bd. 2, S.468.

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Mannes zugefallen war. Sie muss keineswegs zurück in die väterliche Obhut, sondern gewinnt durch ihren Wohlstand finanzielle Unabhängigkeit und Handlungsfreiheit. Auch das ist ein Aspekt ihres Wissens, dass sie nach dem gewaltsam herbeigeführten Tod ihres ungeliebten und gefürchteten Mannes in der sozial höheren Position als seine Witwe sorgenfrei leben kann. Es geht hier um eine Vernunftehe, d. h. eine Versorgungsehe, in der finanzielle Sicherheit wichtig ist und Liebe, Leidenschaft, Gefühle der Geborgenheit und gegenseitiges Vertrauen keine Rolle mehr spielen. Die Blaubartgeschichten stehen damit im Gegensatz zu den Märchen von der unschuldigen Schönen und dem Tierbräutigam, in der die Sehnsucht des Außenseiters, bedingungslos um seiner selbst Willen bis zur Selbstaufopferung geliebt und von seinem Fluch erlöst zu werden, thematisiert ist. Hier liebt die Frau so sehr, dass sie nicht nur bereit ist, mit dem Horror des Tierbräutigams zu leben, sondern für ihn zu sterben. Dieses Verhaltensmodell könnte auch auf den Blaubart übertragen werden, wenn man argumentiert, dass er das Verbot inszeniert, damit die »Mördergrube« seines Herzens entdeckt wird und er so geliebt wird, dass die Frau ihm verzeihen kann. Die Entdeckung des Geheimnisses löst dann nicht Schauder, Entsetzen, und Horror aus, sondern Leidenschaft, die das Stigma des blutigen Schlüssels aufwertet zum Pfand der gegenseitigen Zuneigung. So gelingt es Sheherazade, die Brutalität Shahryars durch ihre Phantasie und Erzählkunst zu brechen und den König von seinen Zwangsvorstellungen zu heilen. Ein weiterer Interpretationsansatz wäre noch in Blaubarts ›Faustnatur‹ zu suchen, indem sein Zwangsverhalten als Suche nach der idealen Frau zu verstehen wäre. Man könnte weiter argumentieren, dass sein Wunsch nach ›Erlösung‹ von seinem Wissen getrieben wird, dass er nicht lieben kann und Angst hat, geliebt zu werden. Blaubarts ›Frauenfeindlichkeit‹ wäre dann aus dem inneren Konflikt – Sehnsucht nach Liebe und Angst vor der Liebe – zu erklären und durch das konsistente Übertreten seines Verbots bestätigt und gerechtfertigt. Arnims Integration der Blaubartgeschichte in den zweiten Teil seines Romans Die Kronenwächter erweitert ein komplexes Vernetzungsgefüge von Motiven und Charakteren, das in einer Traum- und Märchenstruktur angelegt ist und die Erzählung vom Blaubart mit Hänsel und Gretel (KHM 15), Der treue Johannes (KHM 6), Wie Kinder Schlachtens mit einander gespielt haben (KHM Anhang 3)28 und dem Volksbuch Fortunatus verknüpft. Mit der Verschmelzung der Erzählebenen werden die Märchengestalten nicht nur zu eigenständigen Romanfiguren, sie teilen auch ihre psychologischen Charakteristiken den Gestalten mit, mit denen sie umgehen. Die im Märchen ausgeblendeten Emotionen werden nun mit der Berührung und dem Verschmelzen der Texte frei und können in ihrer ganzen Breite ausgelebt werden. Bei den im Roman verarbeiteten Geschichten geht es um Vertrauen und Vertrauensbruch, um Erschlagene und wieder lebendig gewordene Gestalten und um materiellen Reichtum, der eben durch Gewalt, Verrat und Missbrauch von Vertrauen gewonnen wurde. Es geht um Schuld und Unschuld, um Fluch und Sühne 28

Nur in der ersten Ausgabe der KHM von 1812.

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und um verbotene Kammern und das Wissenwollen der Geheimnisse der anderen. Während Freude, Eifersucht, Liebe, Tod oder Trauer im Märchen meist keine Affekte beim Leser hervorrufen, sind Arnims Gestalten gefühlvolle Wesen, die unreflektiert ihre Emotionen ausleben und dabei so irrational handeln, dass der Leser auf die Skurrilität und die chaotischen Situationen nicht nur fasziniert, sondern auch amüsiert reagiert. Tragisches Geschehen schlägt leicht um in komische oder burleske Begebenheiten; sentimentale Momente lösen sich auf in ironische Konstellationen. Mittelpunkt der miteinander vernetzten Märchenstränge ist das Hausmärchen, das in der achten »Geschichte« in 14 Bildern die Sage von den Kronenwächtern erzählt29. Auch hier werden Charaktere und Handlungsebenen in vielschichtigen Formationen entwickelt. Motive der Geschichte vom Blaubart sind bereits im ersten Teil des Romans angelegt, wenn Bertholds Verlobte Anna, getrieben von unsäglicher Neugier, eine »Musterung«30 aller Kostbarkeiten in Bertolds Erbe betreibt und schließlich mit Hildegard in eine verschlossene Kammer im Dachboden eindringt, wo Berthold Appollonias Gaben, das grüne Wams, ein türkisches Messer mit Drachengriff und den ledernen Beutel in einem eisernen Kasten aufbewahrt. Obwohl Hildegard sie drängt, Messer und Beutel an ihren Platz zurückzulegen, nimmt Anna heimlich die Gegenstände an sich, da sie als »Herrin des Hauses« ihr »Miteigentum« »mitgenießen« will.31 Das den Nomen und Verben angegliederte »mit« impliziert nun auch Anna in die komplexen Verwirrungen und Verbrechen der Familie. Mit der Eheschließung werden die komplementären Charakteristiken von Sparsamkeit und Geiz in der jungen Frau evident, die zum heimlichen Diebstahl führen und ihre Ehe mit Berthold und Anton zerstören würden: So kamen beide bedeutsame Gaben alter Zeit, das Einzige, was von dem Schatze Bertholds übrig, in die Gewalt der schönen Braut, die ihre Seltsamkeit und die Gefahr, welche damit verbunden, nicht ahnden konnte, aber das Unrecht war ihr doch deutlich, denn sie nahm beides heimlich und es brannte sie doch schon etwas, wie den Adler die glühende Kohle, welcher er statt des Opferfleisches in das sichere Nest trug.32

Im zweiten Teil wird die geschlechtsspezifische weibliche Neugier auf Anton übertragen, der Annas Schwäche nach der Geburt ihres Sohnes ausnützt und neugierig das Haus durchstöbert, um sich über den Besitz seiner Frau zu vergewissern. Dabei entdeckt auch er den Zauberdegen und das Säcklein, lässt die Gegenstände jedoch im Gegensatz zu Anna unbeachtet zurück33. In beiden Fällen wird das Wundervolle entdeckt, ohne jedoch von den Suchenden als solches erkannt zu werden. Die im Blaubartmärchen charakteristische Neugierde auf Verbotenes wird hier bewusst umgestaltet, da Anna und Anton trotz der wunderbaren Begebenheiten ihres Lebens nicht fähig sind, den Einbruch des Magischen in ihre Alltagswelt zu 29 30 31 32 33

Arnim: Die Kronenwächter – Werke in sechs Bänden, Bd. 2, S. 200–229. Ebenda, S. 187. Ebenda, S. 188. Ebenda. Ebenda, S. 342.

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sehen. Da es ihnen nur um den materiellen Besitz des anderen geht, hat das Geheimnisvolle und Sagenhafte keine Bedeutung. Während im Blaubartmärchen die weibliche Neugier (Disziplinlosigkeit) und das männliche Verbot (autoritäre Gesetzmäßigkeit) als unversöhnliche Gegensätze konstruiert sind, löst Arnim die geschlechtsspezifischen Verhaltensnormen auf; Anna und Anton handeln beide triebhaft und impulsiv. Sie sehen und greifen die magischen Dinge und doch nehmen sie sie nicht wahr. Gerade dadurch werden sie zur Gefahr. Die kurze stürmische Ehe Antons mit Anna ist durch das gegenseitige Misstrauen, die Respektlosigkeit, aber auch die Leidenschaft bald zerstört. Im endlosen »Blaubart«-Konflikt von Hass und Liebe verlieren und finden sich die beiden Eheleute, bis Anton seine Frau nach einer leidenschaftlichen Liebesnacht im Rausch tötet. Die eigentliche Blaubarthandlung wird durch Antons Begegnung mit Faust eingeleitet, der ihm in Traumbildern seine Frau Anna mit dem toten Oswald vorgaukelt,34 und dem er beim Spiel seine Seele verschreibt, da er nicht imstande ist, seine Schulden zu begleichen. Durch die Vernetzung der Faust- und der Blaubartgestalt wird die Traumszene, in der Anton seine trauernde Frau vor Bertholds totem Kind hingestreckt liegen sieht, mehrschichtig. Das Ineinander von burlesken Eskapaden und derben Szenen mit dem »Wundermenschen«35 Faust und dessen Diener Mephistopheles mit der ergreifenden Voraussage der Familienkatastrophe sind exemplarisch für Arnims Theorie, dass Scherz und Ernst keineswegs als Gegensätze fungieren; sie sind eng miteinander verknüpft und bestimmen das menschliche Handeln. So kann Faust sowohl mit seinen Zauberkünsten die Karten mischen, den Wein verwandeln als auch düstere und vieldeutige Traumvisionen hervorrufen. Mit der Einfügung seiner Figur in die Handlung des Romans wird nicht nur die historische, sondern auch die fiktive Gestalt bedeutend. So weist der Körper des blutigen Kindes, das von seinem Halbbruder, Antons Sohn, umgebracht worden war, sowohl auf das Märchen vom Schlachten als auch auf Gretchens Kind und Blaubarts ermordete Frauen hin. In der Intersektion von Traum, Volkssage und Märchen entsteht hier ein liminaler Raum, in dem das scheinbar eindeutige Sittengesetz von Gut und Böse keine Geltung mehr hat.36 Jede kriminelle Intention für die gewaltsame Tötung der Kinder und Frauen ist durch die Unschuld der Kinder, die Verzweiflung Gretchens und die seelische Not Blaubarts in Frage gestellt. Arnim geht jedoch über die psychologischen Beweggründe der Handelnden hinaus, wenn er die Träume und Taten mit dem uns unerklärlichen Eingreifen der Geisterwelt in Verbindung bringt. Als Anton seine leblos neben dem Stiefsohn liegende Frau aufwecken will, geschieht ein mächtiger Schlag, der ihm das Bewusstsein raubt. Auf seine verstörte Frage, ob die Vision tatsächlich eine Prophezeiung seiner Zukunft sei, warnt ihn Faust: »Ihr habt uns alle in große Gefahr gesetzt [...], durch euren gewaltsamen 34

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Ebenda, S. 470–471. – Arnolds Sohn Anton hat mit Oswald Schlachtens gespielt und seinen Halbbruder umgebracht. Vgl. KHM Bd. 2, Anhang 3. Arnim: Die Kronenwächter – Werke in sechs Bänden, Bd. 2, S. 470. Zum Motiv der vierten Dimension vgl. Andermatt: »Raum von vier Dimensionen«, Härtl: »Amazonenrepublik« und »Raum von vier Dimensionen«: Zur Genese von Texten Arnims. – In: Pape (Hrsg.): Raumfigurationen in der Romantik, S. 111–120; Burwick: »Ahndung, Combination und Metamorphose«.

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Eingriff ins Geisterreich; wohl mag ich staunen; daß ihr so unverletzt zurückgeschleudert seid«37. Die Visionen wecken die Liebe zu Anna, erfüllen Anton mit Schmerz und Trauer über die Trennung von ihr und den vorausgesehenen Tod seines Stiefsohnes, und lassen ihn das »Wunderbare seines Geschickes«38 mit Angst und Schrecken ahnen. Dieser in weiteren Träumen intensivierte Gefühlswirrwarr wird durch die liebestolle Wirtsfrau ins Groteske gesteigert, als Faust sie, bei den »zärtlichsten Umhalsungen« Antons überrascht39; zornig stürzt sie sich nun auf Faust und zerkratzt ihn so mit ihren Nägeln, dass er Mephistopheles zu Hilfe rufen muss. Die Aufregungen der Nacht werden am Morgen vom »ungemeinen Lärmen«40 und dem wilden Auftreten des Junkers Blaubart übertroffen, der schließlich von Anton überwunden und wie ein »grimmiges Wickelkind« gebunden auf dem Rathaus »zu den Akten gelegt wurde.«41 Der von Arnim hier eingeschobene »Text« des Blaubartmärchens wird zunächst in einem »außerordentlichen Schauspiel« im »großen gewölbten Wirtszimmer« als Theaterstück aufgeführt. Die fiktive Gestalt des Junkers wird dabei zur tobenden Hauptgestalt; der sich aus Angst auf die Fensterbekleidung geflüchtete Wirt, seine keifende Frau, der jammernde Hausknecht, der von dem Trubel ergötzte Anton und die Stadtbewohner an den zerschlagenen Fenstern machen die bunte Menge der Zuschauer aus. Von Anton bezwungen, wird der toll gewordene Text fest »gebunden«, bevor er bei den staubigen Akten des Rathauses landet. »Der Aktuarius sah mit Schrecken, wie er den Junker einheften sollte, doch machte er sich unnütze Mühe; ein Vetter des Junkers, der im Rate saß, befreite ihn mit einem derben Verweise und nahm ihn in sein Haus zu einer großen Gastierung«.42 Durch die scherz- und ernsthafte Eingliederung des fremden Textes in den eigenen sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt: Die beiden Texte werden nun »bewegliche« Texte, die nicht nur mit den Charakteren, sondern auch mit den aus der unvorhergesehenen Entwicklung des Handlungsablaufs sich ergebenden emotionalen Konstellationen frei umgehen. Die bekannten Wissenssysteme sind aufgebrochen und emotionstypische bzw. kulturell kodierte Verhaltensmuster gelten nicht mehr. Da wo sich die Texte durch Assoziationen, Wortspiele und Symbole begegnen, entwickeln sich bunte Handlungsstränge, die schwer nachzuvollziehen sind, da sie auf Verwicklungen und Verwechslungen der fiktiven Gestalten in einem fiktiven Text ausgerichtet und den kreativen Impulsen des Erzählers preisgegeben sind. Arnim spielt mit der Fiktionalität von Romantext und Märchen, indem er den Blaubart als eigenständige Gestalt auftreten lässt, ihn aber weiterhin mit der magischen Welt des Zauberdegens und der Erzählungen vom »treuen Johannes« und den Kindern, die Schlachtens spielten, verknüpft. Der Junker bzw. »Ritter« Blaubart ist verlobt mit Gertraud, der Tochter des Ratsherrn. Von Anton gedemütigt, fordert er

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Arnim: Die Kronenwächter – Werke in sechs Bänden, Bd. 2, S. 471. Ebenda, S. 472. Ebenda, S. 473. Ebenda. Ebenda, S. 474. Ebenda.

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diesen zum Zweikampf heraus und wird von ihm »kaltblütig« mit dem Zauberdegen, den er nun nicht mehr beherrschen kann, getötet: »Anton stand neben seiner Tat wie ein Kind, das mit ängstlicher Neugierde ein schauerliches Märchen hört, es wünscht es bald zu Ende und darum horcht es desto aufmerksamer«43. Die Textualität des Blaubart wird nun bewusst in der Sterbeszene auf dem Martplatz inszeniert, wo er, umringt von der Menschenmenge seine letzten Worte theatralisch in Reimen ausspricht: »Ade Gertraud, süße Braut, ade mein geliebtes Rotroß, ade mein Leibhund Weidewund, das ist meine letzte Stund«44. Unter Gertrauds Racheschwüren wird der Leichnam des jungen Ritters auf einer Bahre an Anton vorbeigetragen, »der sich nicht verdammen konnte und doch fühlte daß er zu allem Unglück verdammt sei«45. Susanna, die im Wirtshaus in Frauenkleidung die Rolle der »Helena von Eschilbach« in einer Burleske des Sängerkriegs auf der Wartburg spielte, ist nun im Besitz des Fortunatussäckleins. Nach der Aufführung eilt sie zu Antons Gitterfenster, reißt unwillkürlich den Beutel auf und lässt die Goldgulden ins Gefängnis fallen. Anton bestellt Wein und wird nun im Rausch von Traumvisionen heimgesucht, in denen sich Susannas und Annas Gestalten miteinander vermischen. Die Mordgedanken gegen seine Frau evozieren den Mord an Blaubart, der sich nun noch einmal abspielt. Nach vergeblichen Versuchen, den Kopf wieder aufzusetzen, gelingt es schließlich, den Junker wieder lebendig zu machen. »Darauf folgten Hochzeiten und hohe Freuden, es lagen aber viele erschlagene Bauern unter den Tischen«46. Im halb wachen Zustand reißt Anton, »ohne Nachgedanken, bloß in Erinnerung seines Traums« den Kopf der Lilie ab, die Susanna in der Nacht vor seinem Fenster hatte liegen lassen. Der Schrecken über den scheinbar toten Seger wird jedoch durch das »größere Wunder« des lebendig gewordenen Blaubart noch intensiviert. Es ist ein Augenblick, wo alles stille steht, daß die Ratsuhr über den vollen Markt zu hören ist, dann aber hat die Seele aus ihrer innersten Tiefe einen Lebensmut getrunken. Gertraud ich lebe, ruft der Ritter, geliebte Gertraud, sieh mein Weidewund kennt mich und legt sich mir zu Füßen, wende Dich nicht fort von mir.47

Mit der Wiederbelebung ist die Feindschaft zwischen ihm und Anton aufgehoben. Gertraud bittet nun Anton um den Zauberdegen, mit dem er ihren Mann überwunden hat, denn »er wird ihn und seine wilden Launen in meine Gewalt geben, wisset, daß schon zwei Frauen durch seine Heftigkeit gestorben sind«48. Anton überlässt der schmeichelnden und ihn liebkosenden Frau den Degen; sie gibt ihn aber an Blaubart weiter, der nun über Anton die Macht besitzt. Noch einmal erinnert der Erzähler daran, dass das Märchen vom Blaubart und seiner toten Frauen als Text in seine Geschichte eingeflossen und jederzeit wieder daraus verschwinden kann. Demnach ist es nicht mehr notwendig, den Charakter selbst zu töten, um das Erzäh43 44 45 46 47 48

Ebenda, S. 494. Ebenda. Ebenda, S. 496. Ebenda, S. 502. Ebenda, S. 504. Ebenda, S. 520.

Emotionen im Märchen »Blaubart«

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len des Textes zu beenden oder zu unterbrechen. Als die Zigeunerin Blaubart weissagt, dass er fünf Frauen haben werde, »viere davon würden gewaltsam umkommen«, antwortet sie auf seine lachende Frage: »Wie geht es mir aber dann?« mit einem kurzen »Buch zu!«49. Die Gestalt des Blaubart taucht noch einige Male als Mitstreiter Antons auf, mit dem er trotz seines Unmuts über den verschenkten Degen weiterhin freundschaftlich verkehrt. Mit der Bühne werden Blaubart und Anton noch einmal in der burlesken Szene mit der Blaubärtin assoziiert, als der arme Konrad einen Faden von Gertrauds Rock mit Antons Pferd verbindet, so dass sich bei den Sprüngen des Tieres ein »Bild der Unzüchtigkeit« bietet. Blaubart ist unentschlossen, ob er »selbst zuspringen und den Vorhang herunter lassen sollte, oder ob dies die Verwirrung nur vermehren möchte«.50 Ähnlich wie Anton ist auch Blaubart von der groben Sinnlichkeit dieser Situation fasziniert, sogar sexuell erregt, wenn er »vielleicht auch etwas angezogen von dem Anblick«, seinen Degen – hier eindeutig ein Phallussymbol – »in derselben Art bewegte, wie er es mit den Trompetern verabredet hatte, wenn er ihnen das Zeichen des Tusches geben wollte«.51 Die Blöße der Frau, das Zucken des Degens und der Tusch der Trompeter sind hier eindeutige Kodes von Sexualität, deren Tabu hier öffentlich in der Performanz einer Burleske gebrochen und gefeiert werden kann. Ist im Märchen die Macht der erlebten weiblichen Sexualität und die daraus entstehende Gefahr für den Mann in den zerstückelten Körpern der Frauen zerstört, wird sie in Arnims Roman in den Frauengestalten in ihrer ganzen Breite aufgefächert und bestätigt. Arnims Frauen sind keineswegs eindimensional wie in den Märchen; sie sind hemmungslos, verhalten, keusch, unzüchtig, untreu oder liebestoll; wichtig ist hier, dass eine Frau alles sein kann: leidenschaftlich, zärtlich, kalt, berechnend, brutal, zynisch, und gewalttätig. Die großen, blonden und starken Frauen Anna und Katharina stehen neben der kleinen und zierlichen, dunkelhaarigen und keuschen Susanna; Gertraud ist die unschuldige Braut und sie ist die berechenbare Blaubärtin, die Anton mit ihren Zärtlichkeiten bewegt, ihr den Zauberdegen zu überlassen. Sie ist die Frau, die der Lächerlichkeit und dem Spott preisgegeben wird, aber Anton zu verführen sucht, um Vorteile für sich und Blaubart zu gewinnen. Die liebestolle Wirtin ist durch die grotesken Situationen eher eine Gestalt aus einer Farce. Im Gegensatz zu ihr tragen alle anderen Frauen neben den negativen auch positive Züge. Die einzige Frauengestalt, die aktiv in Antons Leben eingreift und rein und jungfräulich bleibt, ist Susanna. In diese Emotionsbreite der Frauen sind die Männer – Faust, Mephisto, der Wirt, Anton, Seger, Güldenkamm, und auch Blaubart mit eingebunden und teilen damit die Gefühlsschwankungen und -ausbrüche. Arnim geht es in diesem Teil des Romans keineswegs um feste gesellschaftliche, d. h. eindeutig kulturell kodierte Verhaltensmuster und Wissenssysteme, sondern eher um die Darstellung einer bewegten und beweglichen Zeit, in der die Menschen 49 50 51

Ebenda, S. 527. Ebenda, S. 523. Ebenda.

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nicht einmal ihrer Herkunft sicher sind. Es ist ein Zeitraum der »Metamorphose«, d. h. eines Punktes, in dem das unsichtbare Wechselwirken der Kräfte und Körper in einem heillosen Durcheinander von Begegnungen und menschlichen Reaktionen auf Ungewohntes und Unbekanntes sichtbar wird. Es ist mehr das Experiment mit zwischenmenschlichen Gefühlen und ein Ausspielenlassen der Emotionen in all ihren Schattierungen als geschlechterspezifisch festgelegtes Verhalten. Dass es Arnim hier um eine Art Gesamtbild der psychologischen Emotionsebenen geht, zeigt die fluide Schattengestalt, die Anton verführerisch umgibt und aufreizt. In ihr verschmelzen dann auch alle Frauenfiguren, die Anton kennenlernt. Zuerst ist sie Anna, die ihn zärtlich umschwebt, dann nimmt sie Susannas und sogar Getrauds Züge an. Schließlich wird sie zu Helena mythologisiert und repräsentiert damit das Weibliche schlechthin. Anton wird in diesem Spiel bzw. Experiment zur Schlüsselfigur, da die weiblichen Verhaltensformen an ihm und durch ihn zum Ausdruck kommen. Da Blaubart in dieses Emotionsgewirr mit eingebaut ist, gehört auch er durch die »Geschichte« seiner toten Frauen zur Gefühlsskala, die durchgespielt wird. Neben der rein literaturtheoretischen Interpretation wäre vielleicht noch auf die tiefenpsychologische Bedeutung des weiblichen Schattens hinzuweisen, auf den Anton nicht nur seine weiblichen, sondern auch seine männlichen Wunsch- und Angstbilder projeziert. Jungs Begriffe der ›Anima‹ bzw. des ›Animus‹ wären hier zu erwähnen, die zusammen mit der Idee des Archetyps im Verständnis dieses Teils der Kronenwächter weiterhelfen könnten.52 Im Märchen lebt Blaubart von der Welt abgeschlossen allein, umgeben von seinen Reichtümern. Er hat weder Freunde noch eine Familie, nicht einmal Diener werden erwähnt. Da er keinem vertrauen kann, muss er die Menschen, mit denen er in Berühung kommt, d. h. seine Frauen beherrschen. Nach Jung representiert ›Anima‹ die Mutter; das Verhältnis von Mutter und Sohn ist damit definiert, dass ihr ›Imago‹ seine Beziehungen zu den Frauen bestimmt.53 Während das Märchen keine Traumvisionen und Projektionen von Emotionen kennt, wird Anton von nächtlichen Spukgestalten wiederholt heimgesucht. Erschöpft von den Wirren des Tages und den Ereignissen um Anna und Susanna hatte sich Anton auf den Heuboden geflüchtet, wo er sofort einschlief. Von einer Hand mitten in der Nacht geweckt, wacht er auf und sieht die beiden Frauengestalten, die als »Gemisch seiner Liebe« ihn zu verführen suchen. Zwei Gestalten, die einander so wenig glichen, wie Anna und Susanna, jene hochgewachsen mit blondem Haar, diese klein und mit dunklen Locken, schienen einander durchdrungen zu haben, um diesen Bund alles Reizenden, was Antons Sinne erregen konnte zu errichten. Freimütig trat dieses Gemisch seiner Liebe zu ihm [...]; er sah im Mondschein ihrer Reize Fülle,

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Jung: Gesammelte Werke und andere Schriften, Bd. 9,1, S. 11–51: »Über die Archetypen des kollektiven Unbewußten«; S. 53–66: »Der Begriff des kollektiven Unbewußten«; S. 67–87: »Über den Archetypus mit besonderer Berücksichtigung des Animabegriffes«; S. 89–123: »Die psychologischen Aspekte des Mutterarchetypus«. Vgl. auch Emma Jung: Die Anima als Naturwesen und Marie-Louise von Franz: Animus and Anima in Fairy Tales. Jung: Die psychologischen Aspekte des Mutter-Archetypus – Gesammelte Werke und andere Schriften, Bd. 9,1, S. 89–123.

Emotionen im Märchen »Blaubart«

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die süße Unwissenheit von Susannens Lippen, den erfahrnen Scherz von Frau Annen, er hielt sich nicht, er wünschte sich, recht bald Frau Annen untreu sein zu können, aber seine Freude war nicht gleich seiner Begierde, denn einer Toten gleich schlummerte sie, er mochte sie nicht berühren.54

Dass in Antons Gestalt die im Märchen nicht dargestellten Emotionen Blaubarts ausgelebt werden, zeigt sich in einer weiteren nächtlichen Begegnung mit seinem weiblichen Schatten. Im Gegensatz zu Blaubart, der nur mit Angst und Horror den Frauen gegenübertreten kann, wechselt Antons Verhältnis zwischen Leidenschaft und Ablehnung. Der Konflikt zwischen den kulturell bestimmten männlichen und weiblichen Verhaltensnormen, die sich in Antons männlicher Gestalt und weiblicher Seele aufgelöst haben, wird nun in einer aggressiv-zärtlichen Liebesszene durch semantische und semiotische Spielereien artikuliert: Zauberer, warum ziehst Du mich aus meiner Seligkeit und stößt mit Degen und Blicken gegen mich und verachtest mich? Deiner Macht muß ich gehorchen, aber Du gebietest mir nicht und mein Dasein wird ein ewiges Warten. – Bringe Dich selbst um, rief er wild, opfere Dich mir, daß ich deiner Dienste froh werde, indem ich Dich verliere. Die zärtliche Gestalt wendete sich um und sprach: Ich bringe mich um alles, wenn ich Dich nicht mehr sehe. – Vernichte Dich, rief Anton, hänge Dich. – Mit einem Sprunge hing sie an seinem Halse: Hängen will ich mich an Dich, vernichten will ich mich in lauter Zärtlichkeit.55

Die Szene endet im Taumel einer leidenschaftlichen Liebesnacht, die in dem Traum voller »Verwirrung« und »Schrecknissen aller Art« fortgesetzt wird, in dem dem Junker Blaubart der Kopf abgeschlagen und wieder aufgesetzt wird. Auch hier werden Traum, Märchenhaftes und Realität vermischt, indem auch die Geschichte des treuen Johannes mit der Erzählung von den Kindern, die Schlachtens gespielt hatten, eingebunden ist in Antons eigenes Leben. In der dritten Begegnung mit seinem weiblichen Schatten vermischen sich noch einmal Realität und Traum: Das »geliebte Bild«, das sowohl Susanna als auch Annas Züge trägt, reizt und neckt ihn so lange, bis er mit dem Messer in der Hand die Frau zum Beischlaf zwingt: »Teufelin, ein Wort, du bist mein oder bist des Todes, du teilst mein Lager oder wir sind auf ewig geschieden wie zwei Felsen durch einen Wasserstrom«.56 Nachdem er am Morgen erkennt, dass es Anna war, mit der er geschlafen hat, ersticht er sie: Als aber die Sonne aufging, da träumte Anton er falle in eine Höhle, die bis in den Kern der Erde gehe, er wollte sich helfen und erwachte, der Zaubertrank der Zigeuner war verraucht, er sah die Frau an seiner Seite, um die er sich und die Stunde verflucht hatte, in der er sie wieder berührte und die Stunde hatte schon lange ausgeschlagen und der Fluch brannte in seinem Haupte wie brennender Zunder, der einem Pferd in das Ohr gesteckt ist, daß es durchgehe, es schauderte ihm, daß das Messer in seiner Schale zitterte, das am Gürtel hing, er zog es und rief: Du oder ich!57 54 55 56 57

Arnim: Die Kronenwächter – Werke in sechs Bänden, Bd. 2, S. 489. Ebenda, S. 501. Ebenda, S. 576. Ebenda, S. 576–577.

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Während das Märchen die Emotionen Blaubarts nicht beschreibt und ihn damit als kalten Mörder charakterisiert, zeigt Arnim sowohl die psychologischen Beweggründe als auch die durch Traum und Zaubertrunk ausgelösten Impulse von Antons Handeln. Männliche und weibliche Sexualität sind damit keineswegs geschlechtsspezifisch bestimmt, sondern bedeuten unbewusste und unberechenbare menschliche Kräfte, die in außergewöhnlichen Situationen Leidenschaft und Mord nicht zu unterscheiden vermögen. Zu überdenken wären auch die Reize und Impulse als emotionale Reaktionen, die der Autor/Erzähler bei der intertextuellen Arbeit durch die freien Assoziationen und Sprachspiele erhält und die in den Gefühls- und Handlungsverwicklungen Gestalt annehmen. In diesem Zusammenhang wäre noch zusätzlich die Einarbeitung von Arnims eigener Erzählung Isabella von Ägypten zu überlegen, da Susanna, die Tochter Isabellas und Karls V., in ihrer Verkleidung als Page einen Aspekt der Weiblichkeit vertritt, der nicht eindeutig kategorisiert werden kann. Als androgyne Gestalt bleibt sie »jungfräulich« und kann damit zur Heils- und Erlöserfigur werden. Als aktiv in das Geschick Antons eingreifender Charakter eines fiktiven Textes steht sie damit Blaubart nahe. Es ist nicht unbedeutend, dass Blaubart noch einmal in dem Kampfgetümmel am Ende des Romans in einer burlesk-ernsten Situation auftritt. Ausgelöst durch die komischen Assoziationen von »Blaubart«, der bald »blaue Augen« durch die Schläge der Waiblinger hatte, und Katharinas Schelte der Waiblinger als »weibische Männer«58, wendet sich die derbe Rauferei bald durch den Tod Wilhelms ins Tragische. Wieder ist es Blaubart, der das Gegensätzliche symbolisiert: Allein auf seinen Vorteil bedacht, gelingt es ihm, die Bewohner Waiblingens in die Stadt zurückzuschicken, indem er ihnen die Sicherheit ihrer Kinder verspricht.59 Mit Susanna wird auch Blaubart zum Repräsentanten der Parodoxien des Weltgeschehens: In dieser schrecklichen Nacht, wo Jeder für die Seinen bebte, sich aber gern vergessen hätte, stieg zum ersten Mal der große Komet aus dem Schoße der Nacht auf, der nachhher noch soviel Blutvergießen über die Welt gebracht hat; das traf in das schönste Wohlleben Deutschlands. So ist uns oft das Leben eines einzelnen Menschen ein Bild von den Schicksalen seines Volkes, oft voraus warnend, oft zu spät.60

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Arnims Verarbeitung des Blaubartstoffes ganz seiner Ästhetik verhaftet ist. In seiner Bearbeitung geht es Arnim keineswegs um eine Neufassung älterer literarischer Quellen oder um die Tradierung kulturell kodierter Verhaltensnormen. Er versucht vielmehr zu zeigen, dass gerade diese Kodes konstruiert sind und in Zeiten des Umbruchs nicht mehr existie-

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Ebenda, S. 573. Ebenda, S. 571 Ebenda, S. 575. – Der berühmte Komet Flaugergues konnte über mehr als acht Monate mit dem bloßen Auge gesehen werden. Im Oktober 1811 erreichte er seine maximale Helligkeit von 0 Magnitude. Die Koma war zwei Millionen km breit, der Schweif 15 Millionen km lang. Für Arnim, Brentano, Hebbel und anderen Zeitgenossen war der Komet ein Zeichen für die krisenhafte Zeit des Umbruchs.

Emotionen im Märchen »Blaubart«

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ren. In ›offenen‹ historischen Momenten lösen sich die gesellschaftlichen Strukturen und die streng kategorisierten geschlechtsspezifischen Kodes in einem neuen Menschenbild auf, in dem die Gefühle frei ausgelebt werden können. Damit ist Verunsicherung und Existenzangst verbunden, was nur durch die »Neugierde«, d. h. das Wissenwollen der Geheimnisse von Identiät und Alterität gemildert werden kann. Im Romangeflecht der Kronenwächter wird die emotionslose Blaubartgestalt des Märchens so eingegliedert, dass sie nicht nur zum Träger von burlesken und zugleich ernsten Elementen wird, sondern auch an der geheimnisvollen Welt des Geisterreiches teilnimmt. Erst in der Vernetzung der Gestalten kann sich die verdrängte Gefühlswelt Blaubarts in Anton voll entfalten.

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Fremde Gefühle: Ferne Frauen in Achim von Arnims Erzählungen

Inwiefern kann die Repräsentation von Emotionen in der Literatur Auskunft über Gefühlsnormen einer Epoche geben bzw. über bestimmte Reaktionen eines Autors auf diese? Natürlich sind die »in einer fiktionalen Erzählung dargestellten Emotionen [nicht] genauso ›wirklich‹ wie die Emotionen von Menschen in der sozialen Realität«; man kann nicht »über sie genauso sprechen wie über die emotionalen Befindlichkeiten der Mitmenschen« oder aber der Menschen anderer Zeiten.1 Einige Emotionen-Forscher argumentieren, »dass die literarästhetische Darstellung einer Emotion auf keine vorgängige Emotion referiere, sondern Emotion allererst konstituiere und somit Emotion in diesem Fall nur als diskursives Produkt existiere […] in Form von sprachlich-rhetorischen Konstrukten«.2 Das hieße, Literaturwissenschaftler könnten nur diese ästhetischen Konstrukte als solche beschreiben. Andere, mit denen ich übereinstimme, behaupten, »einer literarischen Emotionsdarstellung liege das Wissen um eine bestimmte psychische Disposition zugrunde, die nun in einer Dichtung ›vermittelt‹ werde und von den Rezipienten anhand bestimmter Merkmale (›Codierung‹) wiedererkannt bzw. identifiziert werden könne«.3 Nur wenn die Protagonisten von dem Rezipienten als ›echt‹ akzeptierte Gefühle zeigten, könne man erklären, warum wir beim Lesen lachen und Tränen vergießen.4 Die Literaturwissenschaft könnte demnach die Vermittlung von Gefühlen in der Literatur untersuchen, das heißt die »Emotionsdarstellungen«,5 und dabei Aufschluss gewinnen »nicht nur über die narrative Funktion eines Protagonisten im Text, sondern auch über die vom Autor intendierte Rezeption«.6 Der Prozess der Vermittlung ist meiner Meinung nach hier zentral: In der Wirklichkeit sind die Gefühle anderer nie direkt zugänglich und die eigenen nie direkt mitteilbar. Sie werden durch Worte oder Körperzeichen vermittelt. In der ästhetischen Form werden sie neu durch Sprache kodiert. In einem Prosatext geschieht dies anders als zum Beispiel in der Lyrik oder im Drama.7 In der Prosa findet man – von Beispielen avantgardistischer bzw. experimenteller Prosa abgesehen – meist 1

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Schnell: Erzähler – Protagonist – Rezipient im Mittelalter, S. 14. Dieser Überblick über die mediävistische Emotionsforschung enthält viele wertvolle Informationen über die Emotionsforschung im Allgemeinen. Ebenda, S. 9. Ebenda. Ebenda, S. 12, 14–16. Ebenda, S. 8f. Hervorhebung im Original. Ebenda, S. 12. Vgl. auch Schnell: Historische Emotionsforschung. Zur Gattungsfrage vgl. Meyer-Sickendiek: Affektpoetik, S. 62–66.

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keine rein lyrische Subjektivität und auch keine unmittelbare Darstellung wie auf der Theaterbühne, die sich sowohl der Sprache als auch der Körperhaltung und Gestik bedient, sondern eine durch die Mittelbarkeit des Erzählens geprägte und durch das Filtern des Mitgeteilten über eine Erzählinstanz gebrochene fiktionale Realität.8 Und, ob echt oder fiktiv, müssen mitgeteilte Gefühle von dem Rezipienten innerhalb und außerhalb eines literarischen Textes interpretiert werden. In diesem Beitrag möchte ich untersuchen, wie Achim von Arnim den Vermittlungsprozess aller, aber besonders ›fremder‹ Gefühle, narrativ darstellt. ›Fremd‹ sind die Gefühle von Angehörigen anderer Kulturen für die Einheimischen (Indigenen). Ich konzentriere mich im Folgenden auf die Erzählungen. Natürlich erlaubt es die umfangreichere Form des Romans eher, das Innenleben des Helden, seine Gefühle, Stimmungen, Antriebe und Reaktionen subtil und detailliert nachzuzeichnen, aber die Kurzprosa hat bekanntlich auch eigene Stärken, wie zum Beispiel die symbolhafte Konzentriertheit auf eine unerhörte Begebenheit, die sich auf einen zentralen Konflikt oder Wendepunkt zuspitzt, meistens von starken Emotionen getragen wird, und oft durch das Fremde inszeniert wird.9 Der Ansatzpunkt ›fremde Gefühle‹ knüpft an Arnims Vorliebe für ausländische und historische Stoffe an, sowie an seine so häufig verwendeten Figuren aus anderen Nationen und Kulturkreisen. Keiner seiner Texte kommt ohne Figuren aus fremden Kulturen aus. Biographisch ist dies sicher ein Reflex von Arnims Herkunft aus dem preußischen Adel und seinen weitverzweigten Beziehungen zum Ausland, Reflex auch seiner eigenen Reisen durch Europa sowie seiner Schulbildung aus dem Geist der Aufklärung. Arnims Abiturrede ist fundamental durch Herders Geschichts- und kulturphilosophisches Denken geprägt;10 sein Interesse an anderen Völkern dokumentiert sich im frühen Entschluss zu einer Südseereise11 und zahllosen Büchern in seiner Bibliothek über das europäische und ferne Ausland.12 In seinen Erzählungen lässt der Autor immer wieder fremde Emotionskulturen miteinander kollidieren: ein Deutscher, der einen englischen Gerichtsprozess beobachtet (Mistris Lee); ein Deutscher, der Walisern begegnet (Owen Tudor); ein junger Deutscher, der von einem französischen Hofmeister erzogen wird (Die Verkleidungen des französischen Hofmeisters und seines deutschen Zöglings); eine Deutsche, die den schottischen Adel in ein Wechselbad der Gefühle stürzt (Die Ehenschmiede), und viele andere. Oft gehen Arnims Protagonisten gemischte Liebesbeziehungen ein: eine sanfte Deutsche, die einen sanguinischen Franzosen heiratet (Der tolle Invalide auf dem Fort Ratonneau); eine Orientalin, die sich in einen französischen Höfling verliebt (Melück Maria Blainville); eine Zigeunerin, die die erste Liebe eines deutschen Kaisers wird (Isabella von Ägypten). Diese unterschiedlichen Nationalcharaktere werden oft gerade durch die Gefühlskultur differenziert, bei der

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Vgl. Stanzel: Theorie des Erzählens, S. 15–38. Zu Novelle und Märchen in der Romantik vgl. Meyer-Sickendiek: Affektpoetik, S. 69–72. Arnim: Schriften der Schüler- und Studentenzeit – Werke und Briefwechsel (Weimarer ArnimAusgabe), Bd. 1, S. 271–284. Vgl. Arnim: Briefwechsel 1788–1801 – ebenda, Bd. 30, S. 148. Sondersammlung der Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Weimar.

Fremde Gefühle

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Arnim durchaus auch auf Klischees und Motivkonstellationen aus der Trivialliteratur zurückgreift.13 Fremde Gefühle dürften schwieriger zu deuten sein als kulturell vertraute. Wenn Arnim mittels seines »konfigurativen Strukturprinzips«14 ›inländische‹ oder ›ausländische‹ Deutsche – im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation und seiner Nachfolge war ja schon ein Sachse für den Preußen ›ausländisch‹ – mit anderen Europäern oder sogar Orientalen in Wechselwirkung treten lässt, so werden durch solche Zusammenstellungen die Probleme, anderer Menschen Gefühle zu verstehen, akuter. Wo zwei Menschen aus verschiedenen Gefühlskulturen zusammenkommen, sind bei Arnim Missverständnisse vorprogrammiert, die aber oft ein distanzierteres Nachdenken über die eigene und die fremde Kultur fördern. Dazu wird der junge Deutsche in den Verkleidungen des französischen Hofmeisters erzogen, indem er dazu gebracht wird, sein Verhalten in einem anderen Licht zu sehen. Er muss Affektkontrolle und gutes Benehmen lernen, wobei die französische Kultur als Leitbild für die zivilisierte Welt erscheint. Dieser Stoff wird hier humorvoll und versöhnlich behandelt, und die Pointe ist, dass ausgerechnet der Hofmeister sich immer unberechenbarer und zügelloser benimmt und seinen Zögling einem bürgerlichen Glück überlässt. Dieser ändert von Tag zu Tag seine Meinung über seinen Lehrer, und zum Schluss deutet er gegen die Meinung der Frau des Hofmeisters, ihr Mann sei zum Spaßmacher, Komödienspieler, ja zur Maske geworden, die Exzesse seines Lehrers als exzentrisches Gefühlsventil im Sinne des romantischen Künstlers, der sich vor der philisterhaften Umwelt schützen muss, was wiederum auch nicht mehr als ein Klischee und eine Rolle ausmacht.15 Der offene Schluss fordert den Leser zum Nachdenken über alle Interpretationsvarianten auf. Arnim scheint das Problem, Gefühle mitzuteilen, besonders bewusst gewesen zu sein. Was hier biographisch gedeutet werden kann, was zum Diskurs der Zeit gehört, ist schwer zu trennen. Den Arnimschen Figurenkonstellationen scheinen die eigene Erfahrung der Fremde im unterkühlten preußischen Adelshaus – eigentlich dem Haus der Großmutter und des Onkels; der adelige Vater war stets abwesend – sowie die existenziell erlebte Isolation auf der Bildungsreise in Frankreich und England eingeschrieben zu sein. »Du sprichst Dich nie aus«, warf Clemens Brentano einmal seinem Freund vor.16 Arnims Erstlingswerk Hollin’s Liebeleben thematisiert in einigen Bildern die Sprachlosigkeit der Figuren und die Unmöglichkeit für den Helden Hollin, seine Geliebte Marie wahrzunehmen; das Mitteilen der eigenen Emotionen scheitert katastrophal, als Hollin sich in einer Theateraufführung passend zu seiner Rolle ersticht. Der Gegensatz von gesellschaftlichem Rollenspiel und einer authentisch gelebten Individualität – das Leitmotiv der ›Zeit um 1800‹, wie man aus den Untersuchungen von Luhmann und Koselleck weiß, – ist hier schon 13

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Zu Trivialmotiven in Melück Maria Blainville vgl. Wingertszahn: Pop im Spree-Athen? – In: D’Aprile, Disselkamp und Sedlarz (Hrsg.): Tableau de Berlin, S. 409–427. Vgl. Kastinger Riley: Idee und Gestaltung. Das konfigurative Strukturprinzip bei Ludwig Achim von Arnim. Arnim: Sämtliche Erzählungen 1818–1830 – Werke in sechs Bänden, Bd. 4, S. 373. Arnim: Briefwechsel 1802–1804 – Werke und Briefwechsel (Weimarer Arnim-Ausgabe), Bd. 31, S. 70.

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früh angesprochen. Er drückt sich in der Form dieses frühen Romans aus, der Goethes epochalen Gefühlsroman von Werther ausschreibt und soviele natur- und liebesselige Briefe des Helden enthält wie kein anderes Prosastück Arnims – und doch noch ein Anhängsel bekommt, in dem der junge Autor Arnim dem überschwänglichen Subjektivismus Hollins ein bürgerlich geregeltes Alternativleben in der Vita des Naturforschers Saussure anhängt. Emotion und deren Bändigung findet als Problem in allen Texten Arnims statt. In manchen Erzählungen führen fremde Emotionen sogar in den Bereich der Psychiatrie, zum Beispiel in Frau von Saverne, wo unterschiedliche emotionale Verhaltensregeln zu Missverständnissen zwischen den Avignonesen, den Angehörigen des Papststaates, und den Parisern führen. Die Heldin aus der Provinz, die in Liebe zum französischen König entbrannt ist, wird zu Mäßigung und Vernunft durch ihren Beichtvater erzogen, aber erst, nachdem sie die modernste medizinische Kur – das Drehrad – in Paris durchstand.17 Im Tollen Invaliden werden unterschiedliche Erklärungen für Francoeurs auffälliges Verhalten vorgeschlagen, die alle das Konfliktpotential einer französisch-deutschen Eheschließung unterstreichen. Rosalie erkärt die »scherzhafte Grillen«18 Francoeurs durch einen Fluch der Mutter, die Francoeur nur als Nationalfeind sehen konnte; der Kommandant durch die Fremdheit der nationalen Gefühlskulturen: »die Frau liebt ihn, aber sie ist eine Deutsche und versteht keinen Franzosen«;19 der Arzt durch einen Splitter im Kopf, den sich Francoeur im Krieg gegen die Deutschen zugezogen hatte. Durch diese Alternativen wird der Leser wieder zur Erwägung der Interpretationsnormen aufgefordert, die hinter jeder Erklärung stehen. Ein Konflikt spitzt sich aufgrund mangelnder Kommunikation zwischen den Neuvermählten zu. Beide bleiben mit ihren obsessiven Gedanken an den Fluch und mit ihren Schuldgefühlen und Ängsten allein. Francoeurs Heilung wird zwar durch die ausländische Frau bewirkt, aber auch in diesem Fall erst, nachdem beide Protagonisten einem Lernprozess unterzogen werden. Rosalie muss sich selber von der kindlichen Abhängigkeit von äußeren Machtinstanzen (Mutter, Kirche, militärische und medizinische Hierarchien) emotional befreien und an sich selbst und ihre Liebe glauben. So kann ihre Liebe den Teufel austreiben. Francoeur muss das von dem Geistlichen, der das Paar traute, eingeredete schlechte Gewissen und die Zweifel an Rosalies Liebe überwinden. Durch diesen Kampf gelingt es ihm schließlich, seinen Kopf zu befreien und dem eigenen Gefühl zu vertrauen.20 In Arnims Erzählungen bringen ›Ausländer‹ Unruhe in eine gesetzte Ordnung, sie brechen Strukturen auf und bringen Verborgenes an die Oberfläche. ›Ausländerinnen‹ bzw. exotische Frauen, sind innerhalb des Arnimschen deutschen Kulturkreises zweifach fremd und deshalb besonders aufrührerisch. Sie kombinieren die Fremdheit des anderen Geschlechts mit der Unvertrautheit anderer Sitten. Dass sie

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Arnim: Sämtliche Erzählungen 1802–1817 – Werke in sechs Bänden, Bd. 3, S. 970. Vgl. Wingertszahn: Der verlorene Faden, S. 65f. Arnim: Sämtliche Erzählungen 1818–1830 – Werke in sechs Bänden, Bd. 4, S. 34. Ebenda, S. 40. Vgl. Dickson: Preconceived and Fixed Ideas.

Fremde Gefühle

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eine wichtige Rolle in Arnims Werk spielen, erhellt aus obigen Beispielen und wurde in der Arnimforschung schon festgestellt.21 Arnims Frauenfiguren sind oft starke Persönlichkeiten, manchmal sogar Amazonen, und gelegentlich zerstörerisch, wie die Meduse in Nelson und Meduse, die als rächende Furie auftritt.22 Die typischen Heldenfiguren Arnims sind also weiblich, unangepasst, aus fremden Kulturkreisen, und von einer die männlichen Figuren verstörenden Emotionalität; oft müssen sie sich gegen die an die angestammte Gesellschaft angepassten berechnenden und intriganten Personen, die ihre wahren Gefühle unterdrücken und verbergen, durchsetzen. Man könnte annehmen, dass in solchen Texten das Emotionale besonders in den Mittelpunkt der Darstellung gerückt würde. Mit direkten Schilderungen von Emotionen ist Arnim aber eher sparsam. Um so mehr baut er in seinen Schilderungen auf einer übergordneten Ebene ein Bezugsfeld auf, in dem er sich zum Stellenwert des Emotionalen und zu dessen Darstellungs- und Deutungsschwierigkeiten äußert, um diese schließlich zumindest teilweise in einer Versöhnung zu überwinden. Arnim erzählt psychologisch, aber auch und vor allem symbolisch und humoristisch, wobei für ihn wie immer die Kritik am Zivilisationsprozess im Vordergund steht, der, wie wir aus den Untersuchungen von Norbert Elias wissen, eine fortwährende Affektkontrolle erzeugte, die nach Arnims und der Meinung vieler Romantiker in eine reglementierte und erstarrte Gesellschaft mündete, die den Kontakt zur ursprünglichen Natur verloren hatte.23 Dieses Grundmuster romantischer Kulturkritik – Natur/Zivilisation bzw. Ursprünglichkeit/Domestizierung – organisiert die emotionale Figurenkonstellation der Arnim’schen Prosa. Beispiele sind die Gesetzestreue bei den Engländern, wo »[s]elbst das flüchtige Vergnügen [...] sich die strenge Form einer großen bürgerlichen Ordnung gefallen lassen [muss], wenn es in England geduldet werden will«,24 bei den Walisern wiederum das Temperament und ihre Vorurteile gegen die englischen Nachbarn: »So sind wir nun einmal in Freude und Leid; da übernimmt uns die Hitze, und wir verlieren, verschwenden in einer Stunde, was wir in Jahren bewahrt, gesammelt, erworben haben. Hätten wir englisch Blut, da stünde es mit uns besser«.25 Die Hofmeister-Geschichte bildet hier keine Ausnahme, denn sie vergleicht eher intrigante Verstellungen mit Anstand und Höflichkeit. Schon in einem ersten dichterischen Versuch, Dialogen bey den Ruinen des Thurms zu Babel, zwischen 1798 und 1800 in Halle vom Studenten Arnim geschrieben, findet man bestimmte Grundmuster in der Gefühlsdarstellung: Die Erzählung wird auf einem satirischen Kontrast zwischen Frau und Mann als Repräsentanten unterschiedlicher Einstellungen zur Liebe aufgebaut, nämlich von ›Empfindelei‹, der schon innerhalb der Aufklärung kritisierten Fehlentwicklung der Empfindsamkeit, und Rationalismus. Inhaltlich ist die Erzählung als Schwärmereikritik ganz 21

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Vgl. Henckmann: Vielleicht beginnt nun bald die Zeit der Frauen. – In: Andermatt (Hrsg.): Grenzgänge, S. 79–102; Ziegler: Arnims Amazonen. In: Ebenda, S. 169–186. Vgl. Ziegler: Arnims Amazonen, S. 174f. Elias: Über den Prozeß der Zivilisation. Vgl. auch Kessel: Das Trauma der Affektkontrolle. – In: Benthien, Fleig und Kasten (Hrsg.): Emotionalität, S. 156–177. Arnim: Sämtliche Erzählungen 1802–1817 – Werke in sechs Bänden, Bd. 3, S. 217. Arnim: Sämtliche Erzählungen 1818–1830 – ebenda, Bd. 4, S. 170.

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im Sinne von Arnims spätaufklärerischer Schulbildung verfasst, obwohl sein Humor und seine Phantasie ihr schon eine Spur Originalität geben. Ausgangspunkt der Handlung ist der Einsturz des Turms von Babel, Symbol der kommunikationsgestörten Menschheit, verursacht durch die Unaufmerksamkeit von Frau Centrum, die mit ihrem Gefühl so ganz beschäftigt war, wofür sie von ihrem Verlobten, dem Vernunftmenschen Hypomochlium, getadelt wird. Der biblische Schauplatz ist kabarettistische Staffage. Schon hier behandelt Arnim die Schwierigkeit, Gefühle mitzuteilen. Frau Centrum behauptet, dass sie schon »unbarmherzig viel gefühlt, wovon [sie] nicht erzählt habe«,26 und zwar deswegen, weil echtes Gefühl nicht ausgedrückt werden kann: »Hätte ich wohl gefühlt, wenn ich das sagen könnte!«27 Gefühle werden von Centrum bloß behauptet, nicht beschrieben: das Armutszeugnis jedes gescheiterten Erzählers, dem es nicht gelingt, dem inneren Bild äußere Form zu geben. Dieses Hauptthema der romantischen Ästhetik drückt ebenfalls die Problematik der Gefühlsvermittlung aus, und der Text ist demnach narrativ minimal, aus bloß zwei Dialogen und zwei kurzen zusammenfassenden Nachschriften eines Herausgebers bestehend. Mit anderen Worten vermag der fiktive Verfasser nur wenig mehr als Frau Centrum. Im Dialog verschwindet der fiktive Herausgeber hinter den Protagonisten; in der ersten Nachschrift berichtet er, wie der fiktive Verfasser viele andere Gespräche nicht belauschen und deswegen nicht aufzeichnen konnte,28 in der zweiten rügt er dessen Geschmack.29 Die Beschreibung der Protagonisten erfolgt durch einen Vergleich mit einem Bild von Hogarth, das heißt, das Bildliche ersetzt das Narrative, das Intertextuelle die eigene Mitteilung.30 Die Namen Hypomochlium und Centrum bezeichnen zwei entgegengesetzte Kräfte, die doch zusammenarbeiten,31 und dieser Bezug sowie das Hogarthbild zeigen das, was narrativ nicht auszudrücken ist, nämlich wie das Ehepaar sich trotz emotionaler Gegensätzlichkeit versöhnen konnte. Nach dem ersten Dialog heirateten sie und zeugten viele Kinder, von denen das letzte durch den Bezug auf das Hogarth-Gemälde auf einen Seitensprung der Mutter hindeutet.32 Die grundsätzlichen Schwierigkeiten, eigene Gefühle mitzuteilen und die Gefühle anderer zu entschlüsseln und zu deuten, bleibt eine Hauptthematik in Arnims Erzählungen. In Mistris Lee wird es zum Gegenstand eines Gerichtsverfahrens. Ein deutscher Besucher in London sieht eine schöne englische Dame im Theater, deren Geschichte ihm erzählt wird und die er »im Auszuge« nacherzählt.33 Der Ich-Erzähler von Mistris Lee erhascht nur einen flüchtigen Blick der Heldin – bezeichnenderweise sieht er die Lee im Theater, wo Gefühle auf der Bühne vorgespielt werden – 26

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Arnim: Schriften der Schüler- und Studentenzeit – Werke und Briefwechsel (Weimarer ArnimAusgabe), Bd. 1, S. 362. Ebenda. Ebenda, S. 364. Ebenda, S. 366f. Ebenda, S. 364. Die Namen stammen aus der Mechanik: Beim Hebel heißen die zwei Kräfte ›centrum motus‹, die Bewegende, und ›Hypomochlium‹ oder ›Fulcrum‹, die Unterlage. Vgl. ebenda, S. 847. Ebenda, S. 848. Arnim: Sämtliche Erzählungen 1802–1817 – Werke in sechs Bänden, Bd. 3, S. 218f.

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ihre Geschichte entsteht aus der Erzählung eines anderen. Als psychologische Erzählung besteht Mistris Lee aus Rätseln über die Emotionen dieser Frau, die gleichzeitig als Symptom der Zeit, der Nation und des Geschlechts verallgemeinert werden: [D]as Wunderbare in ihr, diese Mischung von Talent und Beschränktheit, von scheinbarer Bosheit und mitleidiger Güte, so etwas ist nur in einer Frau unsrer Tage zu finden, wo der Enthusiasmus früherer Jahre an der kalten Gleichgültigkeit der Mehrzahl aufbrennt, und die Luft, die daraus sich entwickelt, ist nun unatembar, weil sie verbrannt ist.34

Mrs. Lee wird als Produkt einer bestimmten und zwar englischen Erziehung, eines englischen Standesbewusstseins und Geschlechterverständnisses dargestellt, die alle gegen die Natürlichkeit wirken: Gefühle in dieser Welt sind literarisch-künstlich. Wenn die Protagonisten in der Gegenwart über Gefühle reden, sind es auch nur erinnerte oder geträumte.35 Man geht ins Theater, um gesehen zu werden, und liest Romane – Mrs. Lee lernte aus den inszenierten Gefühlswelten in Richardsons empfindsamen Briefromanen über Liebe.36 Die Geschichte ihrer Entführung durch die zwei Brüder Gordon ist skandalös, weil der Öffentlichkeit das Verhalten von Lee unverständlich ist. Das ist kaum verwunderlich, denn diese Frau versteht ihr eigenes Verhalten genauso wenig. Sie richtet ihre Liebe zweimal an den falschen Mann: zuerst an Mr. Lee, den sie heiratet, danach an Laudon, mit dem sie durchbrennt. Die Brüder Gordon sind andererseits leicht zu durchschauen, weil sie, besonders Lockhart, einfache Naturen sind: Laudon liebt konventionell, Lockhart ist ein grober Egoist. Der Erzähler muss das Rätsel Lee lösen, als sie mit Laudon und seinem Bruder Lockhart entflieht und ihnen dann gleich Vorwürfe macht: »Erst hier hatte sich Mistris Lee gestanden, [...] daß sie eigentlich von Jugend auf Lockhart geliebt, aber bei seiner Ungeschliffenheit, mit Laudon von je die Liebe nur gespielt habe«.37 Sie war ihr ganzes Leben (»von Jugend auf«) unehrlich mit sich selber und verkannte ihre eigenen emotionalen Neigungen und Reaktionen. Das kann nur ein auktorialer Erzähler, der die Gedanken seiner Charaktere lesen kann und Informationen über ihre Vergangenheit hat,38 wissen, der unserer ja eigentlich nicht ist: Er ist ein Ich-Erzähler, der als fiktionaler Rezipient eine Geschichte hört, sie interpretiert und als höhere Erzählinstanz selber eine Mrs. Lee als Repräsentantin seiner deutschen Vorstellung einer Engländerin schafft, die man nur durch Omniscienz durchschauen kann. Laudon und Lockhart stellt er als Engländer dar, deren primitiv egoistisches Verhalten jedem sogar flüchtigen Beobachter auffällt. Der narrative Ebenenwechsel verlagert sowohl die Motivation zum Erzählen als auch den Interpretationsspielraum des Lesers vom Existenziellen zum LiterarischÄsthetischen.39 Er stellt einerseits in Frage, ob Gefühle ohne auktoriales (übermenschliches) Wissen überhaupt zu verstehen und zu vermitteln sind, andererseits 34 35 36 37 38 39

Ebenda, S. 220. Vgl. ebenda, S. 223–225, 226. Ebenda, S. 220. Ebenda, S. 241. Vgl. Stanzel: Theorie des Erzählens, S. 16, 73. Ebenda, S. 126–133.

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drückt er den Drang aus, schwer verständliche und kaum vermittelbare Gefühle national und nach Gender-Regeln als ›fremd‹ einzuordnen. Es handelt sich in dieser Erzählung weniger um Lees Geschichte als um den Erzählprozess und die Erzählbedingungen ihrer Geschichte und deren Rezeption bzw. Interpretation: nach Martin Swales typische Merkmale der Novellenform.40 So weit das Psychologische. Emotionale Missverständnisse und die Schwierigkeiten, Emotionen auszudrücken und zu vermitteln, werden auf einer anderen, humoristischen, wenn nicht grotesken Ebene in dem phantastischen Capriccio Die Ehenschmiede behandelt. In Arnims zuletzt geschriebener Novelle lässt eine »[f]lüchtige, [b]ewegliche, [l]eichtsinnige«41 Deutsche mit dem sprechenden Namen Aura »die ernsthaftesten Verhältnisse zum Scherz«42 werden und so das »steifstellige[-] Elende«43 des schottischen Adels besiegen, in dessen Kreisen vor dem Zeremoniellen kein natürliches Gefühl mehr möglich ist, und, wo dieses von außerhalb in den Kreis eindringt, missbilligt wird. Aura, »das wahre Wasserstoffgas«,44 wird aber auch mit drei deutschen Männern in Schottland konfrontiert: mit dem Ich-Erzähler, dem käferaufspießenden Naturforscher; mit dem deutschen Philosophen Starkader, einem unbedingten Vertreter des kategorischen Imperativs, »der sich das Atmen verboten hätte, wenn er es als unerlaubt angesehen«45 (von Gefühlen ganz zu schweigen); mit dem deutschen Mechaniker Rennwagen, der naturwissenschaftlich-rational denkt und arbeitet, aber trotzdem der sirenenhaften Aura unterliegt. Rennwagen will seine Gefühle in Worten ausdrücken, um einen Eindruck von der Einzigartigkeit dieser Frau zu geben, doch gibt er zu, »über die Mechanik der Liebe [...] noch gar nicht im Reinen« zu sein, »weil sich ein Element, die weiblichen Gefühle in so wunderlichen krummen Linien darstellt, daß [er] sein Ordnung nicht zu finden weiß«.46 Er bezweifelt als Ich-Erzähler, dass er »weder mit dem Pinsel, noch mit dem Meißel, noch in Worten, noch in lieblichen Tönen ihr Bild oder den Eindruck den [er] empfange verewigen, daß [er sein] Gefühl nicht in solchem Werke damit vermählen und mit ihr [Aura] auf die Nachwelt kommen kann«,47 das heißt, er kann weder sie noch seine Gefühle für sie in einer Kunstform, weder narrativ noch bildlich, seinem Zuhörer nahebringen. In dieser Geschichte beschreiben drei Erzähler ihre Eindrücke von Auras Wesen: Sie wird kritisch als rein launenhaft und ohne Substanz sowohl vom Herzog als auch von Rennwagen dargestellt (in Göttingen wechselte sie die Liebhaber mit den Semestern; in Schottland macht sie so weiter48); der Ich-Erzähler wird stellver40

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Vgl. Swales: The German Novelle, S. 54–58: »[T]he novelle is a form that does not simply report events but that sustains a complex and reflective relationship to those events«, ebenda, S. 54. »In a particularly concentrated sense, the process of telling and interpreting events is made thematic in the novella.« Ebenda, S. 56. Hervorhebung im Original. Arnim: Sämtliche Erzählungen 1818–1830 – Werke in sechs Bänden, Bd. 4, S. 892. Ebenda, S. 886. Ebenda, S. 894. Ebenda, S. 892. Ebenda. Ebenda. Ebenda, S. 900. Ebenda, S. 892, 912.

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tretend für alle Männer von widersprüchlichen Eindrücken bestürmt. Auras Verhalten bleibt aber allen ein Rätsel. Sie beklagt sich über eine Versteinerung des Herzens und will nach Deutschland zurück, aber sie spricht unwissend, ohne Brille, mit der falschen Person und hält sich auch nicht lange an diese Meinung.49 Im Laufe der Erzählung spricht sie am wenigsten; ihre Gedanken und Gefühle werden durch Gesten vermittelt: Sie legt dem armen Emigranten eine goldene Kette um den Hals, um ihr Mitgefühl auszudrücken; sie schmückt die Braut Sara, die in Lumpen gekleidet und mit einem Strick um den Hals von ihrem Vater verkauft wurde.50 Dieses Mal ist die Deutsche »das Mädchen aus der Fremde«;51 im Vergleich mit ihr ist die indische Königstochter Gurli mit ihren Elefanten und Tigern in die Gesellschaft leicht integrierbar – sogar der erzkonservative Herzog wirkt als Heiratsvermittler. Innerhalb der prosaischen Adelsgesellschaft in Inveraray, Schottland (in sich selbst eine Adelskritik, denn ein provinziellerer Ort für einen Hof ist kaum denkbar), verflüchtigt sich Aura immer weiter, und erst dann, als alle heiratslustigen Paare in Gretna Green mit Tigern, Elefanten und Schildkröten und sich selber versöhnt sind, kann sie die Gesellschaft richtig schätzen. Aura als emotionales Wechselbad wühlt auf und bereichert gleichermaßen. Dass sie dabei bleibt wie Gas, ohne festen Umriss, wird aber am Schluss der Erzählung nicht mehr von den anderen Figuren als Armutszeugnis bewertet, denn »[s]o flüchtig ist sie [Aura] eben herrlich«, und wenn man sie festzuhalten suchte, würde sie »mit fatalen Späßen« das freudige Abschlussessen der durch ihre Vermittlung glücklich vermählten Paare verderben.52 Stattdessen fährt sie unbemerkt fort, und es bleibt von ihr nur ein Blumenstrauß übrig, damit »die verehrte Gesellschaft ihrer gedenken [möchte]«.53 Am Schluss steht der Leser wie die Protagonisten vor lauter Fragen, wer sie eigentlich war und wie man sowohl auf sie als auch auf die groteske Komik dieses Textes reagieren sollte. Die Ich-Erzählung bietet großen Spielraum für die direkte und auch für die subjektiv begrenzte Vermittlung der eigenen und fremden Gefühle.54 Auf der Ebene der auktorialen Erzählung hat eine Erzählerfigur oft den Vorteil, die Gedanken ihrer Protagonisten lesen zu können, was die Beschreibung von Gefühlen eigentlich erleichtern sollte. In der Prosa der deutschen Romantik ist das jedoch oft nicht der Fall, denn ihre Erzähler stehen ebenfalls vor Rätseln.55 In den Erzählungen von Arnims berühmtesten fremden Frauen, Melück Maria Blainville und Isabella von Ägypten, wird die auktoriale Erzählsituation schon dadurch problematisiert, dass es sich um Geschichten handelt, die in einer Gesellschaft erzählt werden. Insofern stellt die Rahmenerzählung den narrativen Status der Binnenerzählungen in Frage, denn diese beiden Erzählungen sind heterodiegetisch, d. h., sie werden von der Perspektive einer außerhalb der Welt der Protagonisten stehenden Erzählerfigur aus 49 50 51 52 53 54 55

Ebenda, S. 897. Ebenda, S. 887, 942–945. Ebenda, S. 946. Ebenda. Ebenda, S. 946. Vgl. Stanzel: Theorie des Erzählens, S. 25, 262–270. Vgl. Dickson: The Narrator, Narrative Perspective and Narrative Form, S. 120–136.

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berichtet.56 Und in ihnen werden die Probleme für einen auktorialen Erzähler, die Gefühle seiner Protagonisten zu durchschauen, narrativ aussagekräftig. In Melück lassen Modalkonstruktionen mit ›scheinen‹, und ›mögen‹ Melück geheimnisvoll erscheinen.57 So können wir Leser wie auch der Erzähler von Melück getäuscht werden, und wir erfahren zum Beispiel erst am Schluss der Erzählung, dass die Heldin die lebensgrosse Puppe doch manipulieren kann, die sich scheinbar ohne Einwirkung von außen bewegte, als Saintree ihr seinen Rock angezogen hatte.58 Um so leichter kann der Erzähler die Gefühle des Grafen lesen; über ihn erfahren wir gegenwärtige und vergangene Gefühlslagen (er hat oft geliebt, sich oft getrennt59): ein Kontrast, der aufzeigt, wie durchsichtig, das heißt oberflächlich und gewöhnlich, der Graf und mit ihm der französische Adel in seinen Liebesaffären ist. Der auktoriale Erzähler in Isabella kann nach demselben Prinzip Protagonisten wie Karl und seine Hofgenossen leicht durchschauen,60 und auch, ganz anders in diesem Fall, die Heldin Isabella.61 Ihre Gedanken sind lesbar, weil sie als so eindeutig unschuldig erscheinen soll: Sie hat nichts zu verbergen und kann nichts verbergen. Mit anderen Worten werden, wie in der Ich-Erzählung, die oberflächlichen und offenkundigen Gefühle dem Leser zugänglich gemacht, die tiefergehenden anderen verschlossen. In Isabella von Ägypten und Melück Maria Blainville werden europäische Kulturkreise mit Orientalinnen,62 einer Zigeunerin und einer Araberin als Repräsentantinnen fremder, exotischer Kulturen konfrontiert. Isabella ist eine ausländische Frau, deren Leben und Schicksal die zeitgenössische Wirklichkeit entblößt. Sie wird als unschuldiges Kind dargestellt; sie erscheint auch als Heilige und Madonna (als Mutter von Lrak, dem Erlöser ihres Volkes). Isabella ist aber nicht nur am Schluss der Erzählung als Mutter abgebildet, sondern auch am Anfang mit ihrem Allraun. Dieser wird eher als ein Spielzeug oder eine Puppe erzeugt, und seine ›Geburt‹ ist ein (fast) lebender Beweis, dass Isabella die unschuldige, selbstlose Liebe personifiziert: »Wer kennt jetzt nicht die Bedingungen einen Allraun zu gewinnen und wer möchte sich ihnen noch unterziehen, wer könnte sie erfüllen? Es wird ein Mädchen gefordert, das mit ganzer Seele liebt, ohne Begierde zur Lust ihres Geschlechtes, der die Nähe des Geliebten ganz gnügt.«63 Bei Isabella ist das möglich, weil sie von ihrem Volk als »Wesen höherer Art«64 behandelt wurde, sich selbst auch so wahrgenommen hat, und deshalb den Prinzen als »heilig rein, wie de[n] Körper des

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Stanzel: Theorie des Erzählens, S. 15f. Zu den Kategorien homodiegetisch/heterodiegetisch vgl. Martinez und Scheffel: Einführung in die Erzähltheorie, S. 81f. Arnim: Sämtliche Erzählungen 1802–1817 – Werke in sechs Bänden, Bd. 3, S. 748, 750, 751, 753. Ebenda, S. 752f., 763. Ebenda, S. 756. Z.B. ebenda, S. 673. Z. B. ebenda, S. 669. Zu Arnims Orientbezug vgl. Härtl: Übereuropäisches bei Arnim und Bettina. – In: Härtl und Schultz (Hrsg.): Die Erfahrung anderer Länder, S. 215–230. Arnim: Sämtliche Erzählungen 1802–1817 – Werke in sechs Bänden, Bd. 3, S. 636. Ebenda. Vgl. auch S. 630.

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Allerheiligsten in der Messe«65 ansah. Diese Liebe zu Karl lebt weiter im Namen des Sohnes Lrak, der sein Volk heimführt.66 Isabellas Liebesverständnis wird durch Vergleiche mit anderen Figuren deutlich, vor allem mit Karl und Golem Bella, die das Gegenteil von Bellas Unschuld und Liebe verkörpert.67 Wenn in Arnims Erzählung Hofleute von Liebe reden, dann sind es rhetorische Affektübungen im Sinne der klassischen Literatur – sowohl Karl als auch Cornelius haben Rhetoriklehrer.68 In solchen Passagen formuliert der Text eine kritische Position gegenüber der höfischen Affektregulierung und dem Code der Verstellung.69 Isabellas unschuldige Liebe wird auch verglichen mit der gemeinen Kuppelei von Frau Nietken, die Isabella zur Prostitution erpressen will, und sogar von Braka, für Bella eine Mutterfigur, die sie zum schlafenden Prinzen Karl schickt, um »das Glück aus dem niedern Stande empor[zu]reißen«).70 Braka ist Vertreterin von Isabellas Volk, der Zigeuner, das zu Karls Zeiten verfolgt wird;71 die Aufklärung betrachtete es als zu zivilisierendes und domestizierendes Volk, während die Romantiker es als ursprüngliche, naturnahe und poetische Kultur priesen.72 Isabella wird aber durch ihr Zartgefühl auch von diesem »rauhen« Volk abgesondert,73 genauso wie ihr Vater, der als Märtyrer stirbt. Sie ist fremd, stammt aus einem anderen Kulturkreis, der positiver als der kulturell eigene dargestellt, aber nicht näher definiert wird, und in den sie jedoch, als die personifizierte Unschuld, auch nicht hineinpassen kann. Melücks Liebe ist anders, aber auch in dieser Figur zeichnet Arnim den Kontrast zur standesspezifischen Gefühlswelt der französischen adeligen Gesellschaft in der Zeit der französischen Revolution.74 Der fremde Kulturkreis, aus dem sie stammt, wird noch weniger als der Isabellas festgelegt: man weiß so gut wie nichts über ihre Geschichte,75 nur, dass sie anders ist als die Franzosen. Melück ist ernst, wo andere lächelnden Leichtsinn zeigen.76 Der Graf wird in einem einzigen Satz leichtsinnig, mutwillig und scherzend genannt, geübt in Verstellungskunst, auch in Liebesspielen.77 Die höfische Gesellschaft ist auf Maskenspiele aufgebaut, aber diese sind zumindest für Einheimische leicht zu durchschauen. Anders verhält sich das bei

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Ebenda. Ebenda, S. 700. Zum Vergleich von Isabella und Karls Liebe vgl. ebenda, S. 688. Ebenda, S. 85. Vgl. aus Arnims eigener Schulbildung »Versuche im affektvollen Vortrage«. Arnim: Schriften der Schüler- und Studentenzeit – Werke und Briefwechsel (Weimarer ArnimAusgabe), Bd. 1, S. 119. Vgl. Luhmann: Liebe als Passion, S. 61f., 133f., 157. Arnim: Sämtliche Erzählungen 1802–1817 – Werke in sechs Bänden, Bd. 3, S. 630, 632 (Zitat), 670, 696. Ebenda, S. 624. Vgl. Saul: Gypsies and Orientalism in German Literature, S. 5f., 30–35. Arnim: Sämtliche Erzählungen 1802–1817 – Werke in sechs Bänden, Bd. 3, S. 624. Vgl. Wingertszahn: Pop im Spree-Athen? – In: D’Aprile, Disselkamp und Sedlarz (Hrsg.): Tableau de Berlin, S. 425f. Arnim: Sämtliche Erzählungen 1802–1817 – Werke in sechs Bänden, Bd. 3, S. 747, 749. Ebenda, S. 747. Ebenda, S. 752, 753.

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Melück. Sie »nimmt die Sitte der Stände an, unter denen sie lebte«,78 dennoch versteht sie die Regeln der Liebesbeziehung nicht, nach denen man keine Szenen macht.79 Sie selber spielt Theater und man weiß nicht, ob sie nicht immer eine Rolle spielt.80 Sie zeigt morgenländisches Feuer in der Rolle von Phèdre, aber der Graf lehrt sie das klassizistische Deklamieren, das Gegenteil von echtem Gefühl, wo die Leidenschaften in Rollen und Versmaße gezwängt werden und Emotionen verhalten gespielt werden.81 Melück wird anschließend im Theater ausgepfiffen, weil ihre echten Emotionen die gespielten verdrängen: Sie kann sich hier nicht verstellen, weil sie ihre Liebe überwältigt. Nicht die Tragödie von Phèdre wird hier gespielt, sondern Melücks eigene wird in der Öffentlichkeit ausgetragen. In diesem Text wird die Liebesthematik durch das Herz-Motiv getragen (»in Melücks Händen zerfloss sein sanftes Herz, wie ein köstlicher Balsam«; »herzfressende Zauberin«),82 das Motiv der Rache in dieser Szene durch den Blick.83 Auf dem höchsten Punkt der Gefühlsaufwallung fällt die Sprache aus, das Gefühl lässt sich nur visuell vermitteln. Das bedeutet ein vor allem non-verbaler Ausdruck von Emotionen, der als typisch für Arnims fremde Frauen gelten kann. Melück ist kein symbolträchtiges Kind wie Isabella, aber wie Isabella wird sie duch die Liebe bestimmt – ihr Liebeszeugnis, das dem Geliebten das Herz aus dem Leib herauszieht, ist beeindruckend! In dieser Erzählung ist der Kampf um die Liebe aggressiver: Die Versuche, Melück zu besiegen, werden wie Kriegsvorbereitungen geplant.84 Melücks Rache um verschmähter Liebe willen kann man als Zauber interpretieren, aber sie ist auch interpretierbar als Ausdruck einer solchen Liebe, bei der der eine ohne den anderen nicht leben kann und deren Echtheit und Intensität den Betroffenen überwältigt: Das Motto von Arnims Roman Gräfin Dolores steht auch am Anfang von Melück: »Das ist das Fürchterlichste, was wir lieben. Ach, warum lieben wir, was furchtbar ist!« Solche Emotionalität hat aber keinen Platz in dieser Gesellschaft und, weil Melück anders als die ziviliserten Französinnen liebt und reagiert, wird sie von ihr als das Böse, als Hexe dämonisiert.85 Die Emotionsdarstellung ist auch hier wieder durch die für die Jahrhundertschwelle charakteristische Leitdifferenz Authentizität/Verstellung organisiert.86 Wie anfangs erwähnt, wirft in der literaturwissenschaftlichen Emotionsforschung die Vermittlung von Emotionen im Text Fragen nach der intendierten Rezeption des Autors auf.87 Aus den eben genannten Beispielen könnte man argumentieren, der Autor will Isabella als unschuldig darstellen, deshalb kann der Erzähler ihre Gefühle verstehen; Melück soll dagegen ambivalent erscheinen, darum kann 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87

Ebenda, S. 748. Ebenda, S. 756f. Ebenda, S. 748. Ebenda, S. 751. Vgl. Wingertszahn: Pop im Spree-Athen?, S. 425f. Arnim: Sämtliche Erzählungen 1802–1817 – Werke in sechs Bänden, Bd. 3, S. 755, 761. Ebenda, S. 759, 762f. Arnim: Sämtliche Erzählungen 1802–1817 – Werke in sechs Bänden, Bd. 3, S. 749f., 751. Vgl. Wingertszahn: Pop im Spree-Athen?, S. 422. Vgl. Luhmann: Liebe als Passion, S. 54, 154. Vgl. Schnell: Erzähler – Protagonist – Rezipient im Mittelalter, S. 11f.

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der Erzähler nur selten Aussagen über ihr Innenleben machen. Prosatexte zeigen aber auch eine intendierte Rezeption innerhalb der fiktionalen Welt auf, die ebenfalls Aufschluss über die Codierung von Gefühlen innerhalb dieser Welt geben kann. Der Ich-Erzähler als Figur in der fiktionalen Welt ist offenkundig subjektiv, oft parteiisch, aber der auktoriale Erzähler ist ebenso wenig objektiv wie allwissend.88 Die Meinung, sogar die Gefühle eines auktorialen Erzählers können direkt durch Kommentare ausgedrückt werden.89 Gleich in seiner ersten Beschreibung zeigt der Erzähler in Isabella eine emotionale Beziehung zu Isabella: »[...] So fragte Bella zitternd und die Tränen fielen ihr aus den Augen durch den Mondschein auf harte Steine nieder – wär ich ein ziehender Vogel gewesen, ich hätte mich niedergelassen und meinen Schnabel eingetunkt und sie zum Himmel getragen, so traurig und so ergeben in seinen Willen waren diese Tränen.«90 Damit verbindet sich der Erzähler mit ihr, und er verknüpft sie mit einer Emotionalität, die im Gegensatz steht zu den harten Steinen der Gegenwart und sie in Berührung mit einer wunderbaren, märchenhaften und christlichen Wirklichkeit bringt, in der Tiere und Menschen miteinander und mit dem Himmlischen vereint sind. Welcher Leser schlägt sich da auf die Seite der Steine? Dieser Erzähler kommentiert das Geschehen oft, und gegenüber Isabella ist er liebevoll, auch ironisch, wie ein Erwachsener einem Kind gegenüber, was Isabellas Kindlichkeit noch mehr betont.91 Die Figur Melück wird viel distanzierter vom Erzähler kommentiert, aber auch mitfühlend und positiv im Vergleich zu ihren Gegenspielern: Es wird betont, dass sie eine »hohe Seele« habe,92 und ihre öffentliche Rolle – Melück als Prophetin – wird weit mehr als ihr Racheakt an Saintree in den Mittelpunkt gestellt. Am Anfang und am Schluss der Erzählung wird Mitleid, vielleicht auch Enttäuschung ausgesprochen, dass sie ihre Prophetenrolle in vollem Ausmaß nicht erfüllen konnte. Durch den narrativen Vermittlungsprozess werden also die emotionalen Beziehungen dieser Erzählerfiguren zu ihren ProtagonistInnen relativ deutlich ausgedrückt. Wie bringen diese Erzähler aber die Gefühle der ProtagonistInnen selber dem Leser nahe? Die kindliche Isabella ist ein beispielhaft emotionaler Mensch. Die eben erwähnte Beschreibung ihres Schreckens und ihrer Trauer beim Tod ihres Vaters fällt aber sparsam in der Beschreibung aus: Sie »zitterte« und »weinte«. Nicht die Emotionen der Hauptfigur sind detailliert gezeichnet, sondern der Einschub des Erzählers ist emotional beladen und gleich ein Appell an die Gefühle des Lesers. Isabella als Kind, als Frau, als Zigeunerin kann nicht nachdenken. Das wäre psychologisch unrealistisch für die Gefühlsnormen der Zeit. Deshalb werden ihre Emotionen eher durch Körperzeichen als durch Reden oder innere Monologe ausgedrückt, denn Isabella versteht sich selber nicht93 und andere Figuren wie Karl erst

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Vgl. Stanzel: Theorie des Erzählens, S. 119–124, 199f. und Chatman: Story and Discourse, S. 222–253. Vgl. ebenda, S. 228. Arnim: Sämtliche Erzählungen 1802–1817 – Werke in sechs Bänden, Bd. 3, S. 623. Vgl. zum Beispiel Isabellas »Prinzessinnenspaß«, ebenda, S. 630. Ebenda, S. 776. Zum Beispiel versteht sie die »Frühlingsstimme« nicht, ebenda, S. 669f.

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recht nicht.94 Anstatt mit Worten redet sie durch Tränen.95 Wie sie von ihren Gefühlen von Trauer und Liebe überwältigt wird, wird aus der Außenperspektive in einem eindrucksvollen Bild dargestellt, wenn Braka das traurige Schauspiel von Isabella, ziehend am Hemd ihres toten Vaters, sieht: [Braka kam in den Garten] wo sie das wunderbare Bild wie versteinert sah, den kräftigen Michael im Totenhemde mit der glänzenden silbernen Krone, über ihm das bleiche Mädchen, die schwarzen Locken über ihm hinwallend, an ihrem Kleide gehalten von dem schwarzen Hunde mit feurigen Augen. Die Alte mußte nach ihrer Art lachen, weil es etwas so Seltsames war, ungeachtet ihr es sehr zu Herzen ging, und sie nicht von Herzen, sondern nur mit dem dürren Munde wie ein Hungernder lachen mußte; dann sprang sie hinzu, hob das Mädchen mit Gewalt ans Ufer und sprach: Laß ihn ziehen, er weiß seinen Weg besser als Du! – Bei diesen Worten zog die Leiche still hinunter und der Mond ging unter Wolken und Bella sank in die Arme der Alten.96

Wie in der Ehenschmiede spielt die Groteske auch hier eine wichtige Rolle: Keine erzählten Gefühlsbeschreibungen oder Körpersymptome, sondern nur ein groteskes Bild können diese gegensätzlichen und widersprüchlichen Gefühlswerte vereinbaren. Wie Braka steht auch der Leser vor der Frage, wie er reagieren soll. Durch Lachen oder Weinen? Das war damals eine neue Lektüreerfahrung und zwingt den Leser, über eigene Emotionen nachzudenken. Isabella bleibt wortlos: Braka ist es, die spricht, und »[b]ei diesen Worten zog die Leiche still hinunter und der Mond ging unter Wolken und Bella sank in die Arme der Alten«.97 Die Darstellung des Erzählers und der Vergleich mit Braka haben das Ziel, Isabella als Kind, als echten Menschen, und als Symbol der Liebe glaubwürdig zu machen. Sie ist einerseits ein Kind mit der typischen Entwicklung zur Frau und Mutter, aber sie ist auch ein höheres Wesen. Obwohl der Erzähler ihre Gedanken lesen kann, haben wir wenig Einblick in ihr Inneres, weil eher Emotionen als Gedanken zu lesen wären. Als Symbolträgerin darf sie der Erzähler auch nicht zu sehr individualisieren; wie Aura kann sie als Allegorie der Poesie interpretiert werden. Ihre Geschichte braucht also einen Erzähler, der in Worten ausdrückt, was reine Emotion nur fühlen kann. Wie auch in anderen Texten steht dieser Erzähler jedoch vor der Unzulänglichkeit des Erzählens und greift zum Mittel des Bildes: Ein narrativer Minimalismus, der den Leser immer wieder zur Kreativität auffordert.98 Melück bleibt für ihre Mitmenschen ein Rätsel, eine Maske, und auch für den Erzähler. Das Geheimnisvolle an ihr wird dadurch erhöht, dass der Erzähler aber doch manchmal Zugang zu Melücks Gedanken hat: Er weiß zum Beispiel, dass sie

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Beispielsweise, als Karl Anschuldigungen und Wut ausdrückt: »Bella verstand ihn nicht, er schien ihr lauter Güte«, ebenda, S. 693. Ebenda, S. 627, 669, 712. Ebenda, S. 627. Ebenda. Vgl. die Analyse einzelner Textstellen in der Schwarzen Spinne in Mellmann: Emotionalisierung, S. 54–57.

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liebt und sich deswegen trotz ihrer Klugheit täuschte.99 Die Wendepunkte betonen gerade die Nichtmitteilbarkeit ihrer echten Emotionen, sogar deren Verstecken, im Vergleich wieder zu Saintrees seichter Geschwätzigkeit: »[Saintree] äußerte seine Leidenschaft für Mathilde so unbeschränkt, daß sich Melück verhüllte, und in Verzweiflung fast erstarrte«.100 Ihr Fluch auf Saintree im Theater wird durch einen wortlosen Blick ausgeführt, wonach sie »mit stolzen ruhigen Schritten von der Bühne« geht.101 Dieser emotionale Höhepunkt wird als Szene, ohne Kommentar vom Erzähler, dargestellt. So wird Melück als Schauspielerin und als Prophetin dem Leser nahegebracht, d. h. sie vertritt sowohl Schein als auch Sein. Ihr Erzähler kann das nur durch ein Spiel zwischen Innen- und Außensicht102 vermitteln, das gleichzeitig verdecken und aufdecken soll. Die Komplementärfiguren Isabella und Melück verkörpern Arten von Liebe, die nicht in die zeitgenössische ›zivilisierte‹ Welt passen. In ihr können nur fremde Frauen wirklich und leidenschaftlich fühlen; nicht als Vertreterinnen einer anderen historischen Kultur, die als Alternative verstanden werden könnte, sondern als symbolische Verkörperung der Emotion wie auch der Poesie.103 Ihre Gefühle wirken als Katalysator; diese Heldinnen hinterfragen einen zeitgenössischen Zivilisationsstand, der von Vernunft, Rhetorik, Intelligenz ohne Gefühl und Verstellung geprägt ist. Arnim kodiert in seinen Erzählungen Emotionen in den Gegensätzen Frau/Mann und deutsch/ausländisch, um anhand der dadurch entstehenden Missverständnisse und Konfrontationen die Schwierigkeiten darzustellen, Gefühle auszudrücken und zu verstehen, erst recht, wenn sie fremd sind. Die Lösung für die literarischen Planspiele heißt Versöhnung, was aber nicht mit Verständnis gleichzusetzen ist. Die narrative Vermittlung in der Kurzprosa untermauert die Thematik, indem sie die direkte Darstellung von Emotionen minimiert sowie deren Vermittlungsprozess problematisiert, die auktorialen und Ich-Erzählsituationen verwischt, und immer wieder ihre eigenen Grenzen als Medium mitreflektiert. Auf der Rezeptionsebene fordern die Schwierigkeiten und Konflikte in der Kommunikation von Gefühlen, die widersprüchlichen Deutungsmöglichkeiten sowie der ständige Wechsel zwischen Tragik und Komik den Leser zur eigenen Positionierung auf, gleichzeitig aber schafft der Autor eine emotionale Verbindung zwischen einzelnen Protagonisten und dem Rezipienten, indem er die Gegensätze Authentizität/Verstellung vom Erzähler vermitteln und kommentieren lässt. So steuert die narrative Vermittlung von Emotionen den Leser und räumt ihm gleichzeitig die Möglichkeit ein, an diesen Texten sowohl intellektuell als auch emotional mitzuarbeiten.104

99 100 101 102 103 104

Arnim: Sämtliche Erzählungen 1802–1817 – Werke in sechs Bänden, Bd. 3, S. 755. Ebenda, S. 756. Ebenda, S. 760. Vgl. Stanzel: Theorie des Erzählens, S. 169. Vgl. Wingertszahn: Ambiguität und Ambivalenz, S. 252–257. Vgl. Schnell: Erzähler – Protagonist – Rezipient im Mittelalter, S. 51.

Claudia Nitschke

Liebe und Körperlichkeit in L. Achim von Arnims »Gräfin Dolores« und in Goethes »Wahlverwandtschaften«

»Wie werden Gefühle zu Literatur?«1 Anknüpfend an Martin Hubers Überlegungen zur narrativen Theatralität der Emotionen soll genau dieser Frage nach der textlichen »Inszenierung« von Gefühlen bei Goethe und Arnim mit besonderem Blick auf ihre Körperlichkeit nachgegangen werden. Im Abgleich mit Goethes Die Wahlverwandtschaften dient dabei L. Achim von Arnims Roman Armut und Reichtum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores als Ausgangspunkt: Arnims Roman erweist sich nicht nur mit Blick auf die bereits oft untersuchte intertextuelle Verbindung zu Goethe (die konzeptuelle Verschiebungen auch mit Blick auf den emotiven Diskurs greifbar macht) als besonders aufschlussreich, sondern bietet sich überdies – in seiner exzessiv praktizierten Gattungsmischung (vor allem die Inszenierung und die narrativ beobachtete Rezeption der dramatischen Einschlüsse im Text) – für eine Erkundung des emotionalen Terrains an. Insofern L. Achim von Arnims Roman Armut und Reichtum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores in seiner spezifischen textlichen »Verwilderung« fraglos eine hermeneutische und ästhetische Herausforderung ist, soll es im Folgenden vor allem um die Frage gehen, wie Emotionen im Kontext von einer modern konzipierten Paarliebe – gerade auch in der Nachfolge von Goethes Die Wahlverwandtschaften – in Arnims Text beschrieben und bewertet werden. Handelt es sich bei Goethes Roman noch um die Geschichte eines virtuellen Ehebruchs, so findet sich bei Arnim die gleiche Transgression als de facto realisierte, physische Entgleisung. Bei Goethe manifestieren sich Aspekte eines »romantischen« Liebeskonzepts in körperlichen Zeichen, mit denen die Beziehung zwischen Eduard und Ottilie als ontologisch unbestreitbar eingeführt, gleichzeitig aber (im gesellschaftlichen Kontext) in ihrer Legitimität zur Debatte gestellt wird.2 Die körperlichen Indizien der Zugehörigkeit bei Goethe reichen von komplementärem Kopfweh, das Eduard und Ottilie jeweils rechts- bzw. linksseitig befällt, bis hin zum völligen graphologischen Gleichklang, wenn Ottilie in Eduards Handschrift zu schreiben beginnt. Arnim extrahiert aus dieser auf der Ebene des Textes insinuierten, vorgängigen Übereinstimmung der Protagonisten ein anderes Element und prangert es in Die Gräfin Dolores nachdrücklich an: Aus der textlich-objektiven, körperlichen Komplementarität wird bei ihm in einer realistisch-psychologischen Adaption physische Attraktion, Lust, deren

1 2

Huber: Der Text als Bühne, S. 9. Vgl. dazu genauer: Nitschke: Corporeality and Emotion in Goethe’s Die Wahlverwandtschaften.

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vorbehaltlose Freisetzung auch in der ultimativen Entgleisung, im Ehebruch enden kann. Um diese intertextuelle Evaluation Arnims zu verstehen, lohnt ein kurzer Blick auf das Konzept ,Liebe’ um 1800: Die Verschiebungen im Liebesdiskurs zu dieser Zeit sind auffällig, kommt es doch zu diskursiven Überlagerungen, die ältere Konzepte (wie etwa Liebe als Passion, aber auch als idolatrisierende Bewunderung) mit einschließen und die verschiedenen, zum Teil paradoxen Aspekte zudem auf Dauer auszurichten beginnen: ‚Liebe‘ als zeitgenössischer Diskurs erfüllt dabei zunehmend die Aufgabe, Individualität zu kommunizieren, und bezeichnet einen Code, »nach dessen Regeln man Gefühle ausdrücken, bilden, simulieren, anderen unterstellen, leugnen und sich mit all dem auf die Konsequenzen einstellen kann, die es hat, wenn entsprechende Kommunikation realisiert wird.«3 Die romantische Liebe zielt auf Permanenz, wodurch die Liebe (im Idealverlauf) als Grundlage der Ehe denkbar wird; in der Ehe könnte dementsprechend die Individualitätskonzeption des Einzelnen – auch in ihrem dynamischen Wesen – perpetuiert werden. Diese Überlegungen basieren auf der Exklusivität des Liebesverhältnisses zwischen den Partnern und schließen dabei zwangsläufig auch körperliche Passion mit ein. Je mehr aber die moderne Form der Liebe zur Grundlage des bürgerlichen Familienkonzepts wird, desto stärker kollidiert die Frage der Körperlichkeit mit der Frage nach Sittlichkeit im Sinne eines bürgerlich ge-genderten Moralverständnis: Das »Tabu der Sexualität«4 erweist sich als omnipräsent. Dies sorgt für nachhaltige Probleme, die Texte um 1800 verschiedenartig thematisieren, problematisieren oder zu entparadoxieren versuchen. In die neue Vorstellung von der Ehe schreiben sich also indirekt Sinnlichkeitsansprüche ein,5 die für die Frau die paradoxe erotische Aktivierung bedeuten und doch besonders von ihr die Konvergenz von Sinnlichkeit und Sittlichkeit einfordern: In Kleists Marquise von O. wird nach 1800 dieses Paradox sehr deutlich, wenn die Marquise einer sinnlich-spontanen Vereinigung durch eine Ohnmacht zugleich gemäß der romantischen Einzigartigkeit und Kommunikationslosigkeit der romantischen Liebe beiwohnen und sich ihr durch »Bewusstlosigkeit« gemäß der weiblichen Tugendlogik entziehen kann. Begehren und »reine Liebe« werden zum Kontrast6 und gleichzeitig zu Komplementen.7 Als Übergangstransformationen lassen sich diese Phänomene nur bedingt auflösen. Deutlich wird aber auch, daß gerade vor dem Hintergrund einer sich selbst bewusst werdenden Körperlichkeit 3 4

5 6

7

Luhmann: Liebe als Passion, S. 23. Maurer: Biographie des Bürgers, S. 239. Vgl. dazu sein gleichnamiges Kapitel ebenda, S. 239– 246. Vgl. dazu auch Wuthenow: Die gebändigte Flamme. Vgl. dazu etwa repräsentativ Johann Georg Sulzer: »Liebe in rohen, oder durch Wollust verwilderten Menschen, die blos auf eine wilde Befriedigung des körperlichen Bedürfnisses abzielt, kann nach Beschaffenheit der Umstände in eine höchst gefährliche Leidenschaft ausbrechen und höchst verderbliche Folgen nach sich ziehen. […] Deswegen ist die Liebe, in so fern sie blos thierische Wollust ist, kein Gegenstand der Künste [...].« Sulzer: Liebe – Sulzer: Allgemeine Theorie der schönen Künste, Bd. 2, S. 710. Vgl. dazu auch insgesamt Schindler: Eingebildete Körper. Phantasierte Sexualität in der Goethezeit, S. 29–84. Vgl. dazu auch Marx: Das Begehren der Unschuld, S. 16–18.

Liebe und Körperlichkeit

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Sexualität (die immer ein gewisses Maß an potentieller Deregulierung in sich birgt) einer umso stärkere Regulierung bedarf. Die Frage nach dem Zusammenhang von Macht und Körper, nach physischpsychischen Disziplinierungstechniken und ihrer Dialektik wurde von der Forschung – gerade im Kontext der Überlegungen von Michel Foucault – umfassend thematisiert und in ihrer Komplexität umrissen: Für das Folgende ist vor allem entscheidend, daß den zeitgenössischen Diskursen und literarischen Texten zufolge den Emotionen per se eine spezifische Körperlichkeit eingeschrieben war. Zwischen Die Wahlverwandtschaften und Gräfin Dolores findet sich jedoch eine wichtige Verschiebung, die Körperlichkeit anders markiert und verortet. Zunächst gilt zu zeigen, daß beide Romane dabei die neue körperliche Evidenz in der Liebe anerkennen, beide Texte dies jedoch zugleich als Bedrohung und potentielle Destabilisierung präsentieren. Goethes Roman Die Wahlverwandtschaften buchstabiert dabei das Paradox aus und hält es gleichzeitig in der Schwebe. Körperlichkeit, d. h. körperlich lesbar gemachte Emotionen, verbürgen Authentizität und die Fähigkeit emotional zu kommunizieren, gleichzeitig werden sie als sinnliche Körperlichkeit moralisch zweideutig. Die Liebes- und Ehe-Geschichten in Die Wahlverwandtschaften formulieren somit auch die Frage nach der Legitimität (oder eben auch Illegitimität) der körperlichen Anziehung, die der Text in vielfachen Variationen durchspielt. Goethes Roman dokumentiert die Ambivalenz des Körperlichen auf einer ontologischen (aber eben nicht immer eindeutig lesbaren) Ebene. In Die Wahlverwandtschaften werden physische Phänomene mit einer erstaunlichen Konsistenz zurückgebunden an emotionale Befindlichkeiten. Dies geschieht wohl am auffälligsten in der Physiognomie Ottos, die den gedanklichen Ehebruch physisch zu realisieren scheint, insofern das Kind von Eduard und Charlotte sowohl die Züge des Hauptmanns als auch die Augen Ottilies besitzt. Auch wenn diese textlich produzierten Zeichen nicht immer eine klare Deutung erlauben, wird ihre Bedeutsamkeit nichtsdestoweniger nahegelegt. Dabei erweisen sich die körperlichen Signale, die eine psychologische Befindlichkeit augenfällig offenlegen, als potentiell entkoppelt von gesellschaftlich-moralischen Konventionen. Wie anhand der chemischen Grundkonstellation, den Wahlverwandtschaften, verdeutlicht wird, scheint mit Blick auf die Liebe körperliche Wahrheit als »Natur«-Phänomen präsentiert:8 Auf der einen Seite knüpft Die Wahlverwandtschaften also deutlich an aufklärerische Konzepte von authentischen Emotionen und ihrer moralischen Wurzel an und legitimiert sie auf der Basis des Natürlichen und Evidenten; auf der anderen Seite ist eine solchermaßen plausibilisierte und valorisierte »Wahlverwandtschaft« moralisch anders zu bewerten. Eduard und Ottilie erscheinen über psycho-physische Indizien als zentrales Liebespaar, aber zugleich auch über die physischen Dimensionen ihrer Beziehung als potentiell moralisch dekonstruierbar. Erst im Tod der beiden Protagonisten, im Zuge der offensichtlich körperlich gewährleisteten, moralischen Purifikation Ottilies wird diese nunmehr als vollständig körperlose Verbindung wiederher8

Vgl. zu dem chemischen Anachronismus, dessen sich Goethe hier bedient, vor allem: Adler: »Eine fast magische Anziehungskraft«.

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gestellt, indem beide zusammen in einem Mausoleum ihre ewige Ruhe finden. Die physische Lesbarkeit, die Ottilie und Eduard so deutlich einander zugeordnet hatte, kollidiert in diesem Sinne wiederum mit der zunehmend unlesbaren moralischen Legitimität ihrer Beziehung. Mit dieser unaufgelösten Mehrdeutigkeit präsentiert der Roman ein Dilemma, das sich aus der konzeptuellen Einbeziehung körperlicher Emotionen in den Bereich von Liebe und Ehe ergibt. Der Text motiviert romantische Liebe zum einen (quasi) transzendent, erkennt aber zum anderen die potentiell destabilisierenden, physischen Aspekte an (dies gilt zumindest dann, wenn die konkrete gesellschaftliche Situation der romantischen Liebe widerspricht wie in Die Wahlverwandtschaften). Vor dem Hintergrund dieser gesellschaftlichen Kontextualisierung demonstriert Ottilie nun Entsagung und Sublimierung und bannt damit gewissermaßen die implizierte Gefahr des sozialen Zerfalls. Nichtsdestoweniger bleibt der Verweis auf die Existenz einer körperlich implementierten Form der Liebe als Befund bei Goethe erhalten. Damit gelingt ihm eine Momentaufnahme, in der die zeitgenössische Moral in ihren vielen Valenzen eingefangen wird, ohne daß die beschriebenen Paradoxe dabei final aufgelöst würden. Arnims Gräfin Dolores ersetzt in deutlicher Bezugnahme auf Goethes Wahlverwandschaften deren ausgewogene Ästhetik und Struktur durch ostentative Strukturlosigkeit, wird aber gleichzeitig eindeutiger in den expliziten moralischen Zuweisungen des Textes. Die körperliche Seite der Liebe ist in Gräfin Dolores deutlicher als bei Goethe als Gefahr markiert, die bereits auf den ersten Seiten in der vielfach diskutierten Kontrastierung von altem Schloss und modernen Palast9 aufgegriffen und negativ gekennzeichnet wird: Die genaue Beschreibung der beiden Gebäude und des dem Palast zugehörigen Lustgartens spiegelt dabei Arnims gewohnt traditionsaffine Weltsicht wider; das alte Schloss ist in diesem Sinne »wohlerhalten und dauerhaft« und erweckt im Betrachtenden nur angenehme, ja explizit »romantische« Gefühle; der Palast dagegen präsentiert sich als ästhetisch willkürliches Ärgernis, als »leere fremdartige Zauberei«:10 Der Reisende sieht ärgerlich davon weg und nach dem Lustgarten, der den Palast umschließt und hinter demselben zu einer prachtvollen Anhöhe sich erhebt. Alles grünt da, alles singt, alles ist wild verwachsen, das Auge unterscheidet nicht, ob das halb eingestürzte Haus auf dem Gipfel des Berges eine absichtliche oder zufällige Ruine; […] in den öden großen Baumgängen springen wilde Kaninchen schnell verschwindend umher, sie treiben da ungestört ihren kleinen Bergbau […] ich [wendete] mich schmerzlich von einem Kreise lumpiger Barbarenkinder fort, die dort im Lustgarten des gräflichen Palastes an einem schönen Amor in Marmor, der schlafend unter einer Rosenlaube ruhte, die schändliche Art von Geißelung wiederholten, die ihnen in roher Erziehung zu einer scherzhaften Strafe geworden.11

9

10 11

Exemplarisch sei hier genannt: Fuhrmann: Achim von Arnims Gräfin Dolores, S. 244. Vgl. auch Offermanns: Der universale romantische Gegenwartsroman. Achim von Arnims Die Gräfin Dolores und zuletzt auch Pape: »Nur eine Wirkung von der Herrlichkeit dieses Baues«: Burgen, Schlösser und Paläste als poetologische Wirklichkeit – In: Pape (Hrsg.): Raumfigurationen in der Romantik, S. 144–150. Arnim: Gräfin Dolores – Werke in sechs Bänden, Bd. 1, S. 104. Ebenda, S. 104–106.

Liebe und Körperlichkeit

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Von den Kaninchen als klassischen Venus-Symbolen, die den Boden ungestört unterhöhlen, bis hin zum primitiven physischen Übergriff auf den »schönen Amor«, der als Begleiter der Venus diesem Bildbereich grundsätzlich angehört, indiziert alles im Kontext des modischen Palastes eine negative Sinnlichkeit und Körperlichkeit: Die für Arnim typische Zeitkritik weist dies als modernes Zeichen des Verfalls aus. In dieses Szenario fügt sich auch die hartnäckig sinnliche Dolores ein, die gleich zu Beginn der entsetzten Klelia ihre Prioritäten verdeutlicht: Aber sieh einmal den hübschen Bauerburschen mit der roten Weste sieht […] wahrhaftig ich möchte lieber solch einen Burschen zum Manne haben, als gar keinen. – Schäme dich, sagte Klelia, auch im Scherze muß man nicht so reden; ich hätte nichts dagegen, wenn du dich in einen armen Jüngling, den du zufällig kennen lerntest, verliebt hättest; ich würde dich bedauern, aber nicht verdammen, wenn du dieser Leidenschaft die alte Sitte und Ehre unsres Hauses durch eine Mißheirat aufopfertest, aber so im allgemeinen von den Männern, vom Heiraten reden, das geziemt keinem ehrlichen Mädchen. – Ei, sagte Dolores, und sang lustig: Will ich mit schönen Knaben reden, / Die neigen sich in Demut gleich, / Und merken nicht, wie gern ich jedem / Den roten Mund zum Kusse reich.12

Dolores’ geradezu aufdringlich artikulierte Heiratswilligkeit, die ein darunter liegendes erotisches Interesse mehr ausstellt als verbirgt, ist ein wiederkehrendes, auffällig repetitives Moment des Textes. Diese unbefangene Sinnlichkeit erscheint als problematisch, weil sie, wie Klelia ausführt, nicht individualisiert ist, sondern sich potentiell für alle attraktiven Männer aufgeschlossen erklärt. Sie wird als Aspekt greifbar, der sich von ihrer Liebesbeziehung mit dem Grafen ablösen kann: »die Zärtlichkeit, die der Graf in ihr erweckt hatte, überraschte sie jetzt in der Nähe jedes liebenswürdigen Mannes«.13 Sinnlichkeit verstärkt die Exklusivität des Liebesanspruchs hier nicht, sondern unterminiert sie ähnlich, wie die Kaninchen den Lustgarten unterhöhlen. Die zukünftige Ehe zwischen dem Grafen und Dolores befindet sich also hier bereits a priori in einer Schieflage; Karl bleibt davon nicht ausgenommen: Er scheint in diesem Sinne seinen sinnlichen Instinkten zu trauen und muss später immer wieder das Scheitern des Versuches eingestehen, seine instantane physische Reaktion auf Dolores in eine elaborierte, geistige Verbindung umzudeuten. Die erste Begegnung von Angesicht zu Angesicht findet noch unter dem zunächst fiktiven Vorwand statt, dass der Graf das Schloss kaufen will, wobei ihm bereits beim Eintreten in erstaunlich einschlägiger Terminologie klar wird, »daß es doch ganz unwürdig sei, mit der erlogenen Kauflust die Begierde nach der Bekanntschaft der Mädchen zu bemänteln«.14 Die Faszination, die ihn dann doch für das Kaufobjekt überwältigt, wird in einem architektonisch-ästhetischen Synergieeffekt Dolores’ Äußerem zugeschrieben:

12 13 14

Ebenda, S. 114. Ebenda, S. 146. Ebenda, S. 130, Hervorhebungen von mir.

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Claudia Nitschke Der Graf hatte nie etwas so Prächtiges gesehen; ohne alle Kauflust war er eingetreten, jetzt aber dachte er sich’s als das höchste Glück in den schönen Verhältnissen dieser Zimmer sein Leben zu führen; unbemerkt, hoffte er, müsse dies alles Widersprechende, Ungleiche in ihm ordnen; noch gestand er sich nicht, daß ihm zur Seite auch solche frische Lebensgöttin, von so schönem Verhältnisse wie Dolores gehen müsse, ihm war es, als sei ihre Schönheit, die Wölbung ihrer Augenbraunen, das schöne Verhältnis ihrer Zähne, woran die edelste Säulenordnung zu erläutern, nur eine Wirkung von der Herrlichkeit dieses Baues, oder sie selbst sei die Baugöttin, so ganz erbaut war er von ihr, von ihrer Rede, von jeder ihrer Bewegungen.15

Eine weitere Textstelle mit ähnlichem Fokus findet sich auch, als der Graf die (nur noch bedingt unschuldig) mit anderen Männern Fangen spielende Dolores beobachtet und wiederum von ihrem schönen Ebenmaß gebannt ist: »er freute sich an ihren zierlichen Bewegungen, und als er sich an der Mauer möglichst genähert hatte, lief sie einmal wild suchend so schnell nach der Gegend, daß der Luftstrom das feine weiße Kleid so dicht anwehete, daß der ganze Umriß ihres schönen Wuchses deutlicher, als er ihn je gesehen, ihm entgegentrat: welche Fülle im schönsten Ebenmaße!«16 Nach den verschiedenen verstörenden Missverständnissen zwischen den Eheleuten allerdings räumen Erzähler und Graf unisono ein, daß »in den meisten Liebschaften […] die geistige Verwandtschaft von dem Verlangen der Natur ganz geschieden [ist], und […] sich nur in Täuschungen zu verbinden«17 sucht. Und weiter und deutlicher mit Blick auf die reduktive Kraft der körperlichen Attraktion heißt es: Nichts ist törichter, als eine Heirat um eines ausgezeichneten Talentes willen: eigentlich der schändlichste Eigennutz; was der Welt gehört, möchte man sich zueignen; dabei der furchtbarste Aberwitz, den Geist im Körper sich anzueignen, und doch ist dies eine der gewöhnlichsten Verirrungen unsrer Gedanken und keine bestraft sich so schnell. […] Welche Qual in einem geliebten Wesen ewig etwas Hohes zu ahnden, was sich in jedem Augenblicke verleugnet.18

Während also Goethes Text die Liebe auf der intrinsischen Durchdrängung von physisch-psychischer Attraktion gründet, ist die körperliche Dimension der Liebe in Gräfin Dolores zunächst als Irritation, ja auch als Irreführung und Gefahr greifbar, die es einzudämmen gilt. Eingedenk der vielen Erzählerkommentare, die diese Einsicht formulieren und auktorial eine Evaluierung der Ereignisse bereitstellen, funktioniert die Inszenierung der Gefühle vor diesem moralischen Hintergrund der Gräfin Dolores vollständig anders als bei Goethe: Insofern der Ehebruch bei Arnim gemäß aller zeitgenössisch und textlich etablierten moralischen Bezugsgrößen als ungeheure Aberration verstanden werden muss, bewegt sich die Evokationstechnik von Körperlichkeit und Anziehung von vornherein in einem anders und klarer kodierten Wertenetz. Während bei Goethe eine körperliche Evidenz in ihrer gesamten Ambivalenz aufgerufen, inszeniert und in einen zunehmend komplexeren Liebescode eingeschmolzen wird, so erweist sich Die Gräfin Dolores diesbezüglich als betont realistisch-dekonstruierend. 15 16 17 18

Ebenda, S. 131. Ebenda, S. 150. Ebenda, S. 222. Ebenda, S. 352.

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Dabei trennt Arnims Text nachdrücklich ein ernstzunehmendes, emotionales Liebeskonzept von einer literarischen »Gefühlsfabrik« (etwa mit Blick auf Wallers theatralische Selbstinszenierung). Zugleich ironisiert der Text wirklichkeitsfremde, »romantische« Konzepte von Liebe als modisches Phänomen, etwa gerade mit Blick auf eine Gesprächsrunde mit einer jungen Frau namens »Lila« (unter Umständen wiederum im direkten Rückverweis auf Goethes Singspiel Lila) und deren verfehlte Suche nach einer literarisch postulierten ›wahren Liebe‹. Zu diesen Irrläufern ist auch der Selbstmordversuch des Grafen zu rechnen, der als Imitatio der textimmanenten Werther-Adaption (der Erzähleinlage über Hollin’s Liebeleben) eine ebenfalls literarisch übersteigerte, theatralische Reaktion auf den Treuebruch darstellt. Unter diese Liebesdeformationen fällt jede primär zweckorientierte oder eben durch physische Attraktion etablierte Beziehung: Sehr dezidiert wird immer wieder, wie oben ausgeführt, die bei Goethe sorgfältig integrierte physische Komponente als Lust ausgestellt und gebrandmarkt. Damit wird die Ambivalenz in Die Wahlverwandtschaften zwar durchaus aufgegriffen, aber vollständig anders bewertet. Das machen insbesondere die Schlusskonstellationen beider Texte deutlich, wenn Ottilie sich (in einer religiös konnotierten, paradoxerweise zugleich physischen und entkörperlichten Heiligkeit) in ihre eigene Auto-Ikone verwandelt, während Dolores lediglich als architektonisches, versteinertes Symbol, nämlich als übergroßer Tugend-Leuchtturm, Führung und Leitung offeriert. Wie eingangs erwähnt, zielt in dieser Hinsicht die plurale Vielstimmigkeit des Arnim’schen Textes vor allem auf eine moralische Eindeutigkeit, wobei letztere unter einem im Folgenden noch näher zu erläuternden, realistischen Vorbehalt erfolgt. In jedem Fall werden bei Arnim polyphone Situationen und Fehllektüren, inkongruente Erzählebenen ersetzt durch passgenaue Verdopplungen in Binnenerzählungen, Gedichten und Dramen, anhand derer die situativen Probleme der umschließenden Rahmenerzählung präzise expliziert und vor allem axiologisch verortet werden können. Auf Goethes Gefühlsinszenierung kontert Arnims Text mit einer dezidierten Gefühlsverdopplung und damit auch -objektivierung mithilfe einer intertextuellen Intarsientechnik. Die Gefühlsdisposition Liebe wird dabei in vielfältigen Figurationen im Roman durchgespielt, so daß sich Gräfin Dolores – wie Die Wahlverwandtschaften – in vielerlei Hinsicht als Kompendium zum Thema Liebe/Ehe liest. In diesem Sinne wird »Liebe« in einer Episode bei dem vermutlich an Gottfried Christoph Beireis angelehnten »wunderbaren Doktor« mit einer für Arnim typischen, sezierenden Qualitätsanalyse in ihren verschiedenen Anteilen erschlossen: Der Graf begegnet dem Mädchen Arnica Montana, allerdings zunächst nur in Form ihrer bezaubernden Stimme. Gleich zu Beginn wird dabei Arnica mit Dolores verglichen, ähnelt doch ihre Stimme der treulosen Gattin Karls:19 Die physische Manifestation der körperlosen Arnica, nämlich ihre Stimme, evoziert bei Karl eine körperliche Erinnerung an die daheimgebliebene Frau. Auch ihre Lebens- und Liebes19

Ebenda, S. 408: »[...] erst hier entdecke er, was ihn bei der Arnica Montana so verweilt hatte, es war eine Ähnlichkeit in der Stimme mit seiner Dolores, die ihn liebenswürdiger, als je, in der Nacht umschwebte.«

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geschichte korrespondiert in Aspekten mit der Ehe und Ehekrise zwischen dem Grafen und Dolores. Die Wendung von Arnicas Geschichte dagegen ist eine dezidiert andere: Arnica Montana ist zwar ihrerseits dem Flötenspieler Florio in bedingungsloser Liebe ergeben; dieser allerdings fühlt sich gleichzeitig zu ihrer Stimme und zu ihrer schönen (aber dummen) Schwester Divina hingezogen: »es war die Stimme, die er liebte, aber nicht die Gestalt [Arnicas], […] und wäre sie schöner gewesen, es war nicht Divina.«20 Diese Dichotomie wird im Text als Geist und Körper-Opposition ausgelegt, unter deren antinomischer Struktur auch Florios Liebe zu Divina leidet, insofern die Äußerungen der »dumme[n] Divina« Florio dazu bringen, sich die Ohren zu reiben, »ob es ihm drinnen nur brause, als sie ihm zärtlich zusprach, und so verschwand das, was ihn zweifelnd zwischen beide gestellt; die Schönheit schien ihm eine falsche Schminke, doch ließ sich ihre Lust nicht übertragen.«21 Insofern Stimme und Gesinnung in dieser Episode Hand in Hand zu gehen scheinen, bleibt Florios duale Affinität in einem merkwürdigen Körper-Geist-Kontrast befangen. Arnica resümiert so: Mein werter Freund […], warum müssen sich doch oft Geist und Körper, deren Zusammenhang mit einander den Weisesten selbst unbegreiflich, im Leben so oft getrennt sehen und nach einander schmachten; mit welcher Sehnsucht betrachtete ich oft die schönen Züge unsrer Divina und soll ich aufrichtig sein, ich hätte gern aufgehört, geistreich zu sein, hätte ich recht schön dadurch werden können.«22

Wenn der Graf daraufhin sehr »ernsthaft« betont, »daß er es für frevelhaft halte, bei einer angenehmen Bildung nach Schönheit zu verlangen«,23 etabliert er eine Hierarchie, der er selbst nicht zu folgen scheint. Sowohl Klelia als auch die abgewägende Fürstin, der er im Verlauf des Textes begegnet, entsprechen seinem Naturell und seinen Ansichten eher als die zunächst spröde, verwöhnte und launische Dolores. Florios Gesang befremdet den Grafen so keineswegs zufällig, wenn der Flötist die Transformation seines stummes Idealbilds in eine »schreiende« Schöne beklagt: »Ich liebte sie, Verschlossen war sie, stille; Und ihrer Schönheit Fülle Versiegte nie. […] Du liebe Zeit, Da fängt sie an zu sprechen, Will mir das Herze brechen, Ach, wie sie schreit; Ich fühl’ mich arm, Nun sie sich reicher fühlet, Wie ist mein Herz erkühlet, Was einst so warm.«24 20 21 22 23 24

Ebenda, S. 416. Ebenda, S. 417. Ebenda, S. 414. Ebenda. Ebenda, S. 417.

Liebe und Körperlichkeit

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Im Kontext dieses »oft« gesungenen Liedes schwört Florio Arnica dementsprechend konsequent »eine ungeteilte Liebe«. Beim Grafen jedoch erregt das Lied Ärgernis, weil er sich dadurch an seine eigene, ähnliche Gefühlslage erinnert fühlt: »ihm fiel glühend heiß in den Sinn, daß er bei ähnlicher Veranlassung, als er Dolores wiedergesehen, von einem gleichen Eindrucke ergriffen worden sei«.25 Sofort leuchtet ihm ein, was ihm »selbst alles fehle, und er seufzte: die Menschen sind nur schön und herrlich und vollkommen in den Gedanken andrer, darum sei unser Streben, in andern gut zu leben.«26 Ein entlarvender Missklang bleibt mit Blick auf Dolores zurück; sie rückt in beklemmende Nähe zur fehlbaren Divina, deren physischer Attraktivität sich Florio nicht entziehen kann. Nichtsdestoweniger erweist Florios Dilemma, bei dem ihn die Aufspaltung in Geist und Körper zur Verzweiflung treibt, keineswegs als identisch mit der Situation des Grafen, sondern macht vielmehr wichtige Nuancen erkennbar. Zwei Aspekte werden dabei offensichtlich anders akzentuiert: Zum einen bleibt trotz der explizit eingestandenen intellektuellen Enttäuschung die betonte stimmliche Ähnlichkeit der Gräfin zur körperlosen Arnica bestehen – insofern in dieser Episode die Stimme als Quintessenz des Wesens und des Geistes gedeutet wird, scheint die spätere Läuterung der Gräfin genau in dieser spezifischen Körperlosigkeit antizipiert; aber als noch bedeutsamer erscheint zum anderen, dass sich Florio nicht eindeutig für die inkarnierte Geistigkeit entscheiden kann – die physische Affinität zu Divina lässt sich nicht eliminieren, sondern bleibt Bestandteil seiner aufgesplitterten Liebe. Erst beide Anteile, so insinuiert der Text, machen letztlich die holistische Liebe aus, die der Graf schließlich in seiner bekehrten und charakterlich gestärkten Dolores findet. Die starke physische Komponente, die den Grafen an sie fesselt, ist in diesem Fall auch einen Anweisung auf Wahrheit. Das wird noch deutlicher mit Blick auf die beiden Frauen, die sich als Rivalinnen von Dolores verstehen lassen: zunächst Dolores’ Schwester Klelia und später (mit schwerwiegenden Folgen) die Fürstin. Klelias Nähe zu Karl wird dabei geschwisterlich verbrämt; als die körperlich weniger Attraktive findet sich Klelia selbstverständlich in die Rolle der platonischen Freundin, bei der ihr Verständnis für Karl dafür umso deutlicher gegen die unbesonnene Einstellung der Schwester abgegrenzt wird. Ihr wohltätiges Wirken in Sizilien erfolgt entsprechend als ausgewiesene Imitation des bewunderten Schwagers: »das alles, schrieb sie, kommt nicht aus mir, sondern ist Nachahmung meines lieben Schwagers, dessen Freundschaft mich noch hier zu manchem Guten aufmuntert, worauf ich sonst nicht verfallen wäre.«27 Diese Bemerkung bleibt nicht ohne Wirkung auf die Gräfin, führt allerdings keine nachhaltige Veränderung ihres kapriziösen Verhaltens herbei: »Der Brief beschämte etwas die Gräfin, die immer auf des Grafen Beschäftigungen mit einem eignen geistreichen Hochmute hingeblickt; sie war ihm den Tag außerordentlich gewogen und wie liebreich sie sein konnte, wenn sie es wollte, das wissen alle

25 26 27

Ebenda. Ebenda. Ebenda, S. 367.

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Engel, die ihr dann aus den Augen blickten.«28 Das auf Gefallen angelegte Wohlverhalten könnte nicht deutlicher gegen Klelias genuines Einvernehmen mit dem Schwager abgegrenzt werden. Dieser Thematik ist auch die intertextuelle Referenz auf Ottilies Tagebuch zuzurechnen, das in Die Gräfin Dolores bezeichnenderweise von Klelia geführt wird. Die lakonischen Vermerke spiegeln die fromme, entsagende und altruistische Haltung Klelias in einer fast schon persiflierenden Überspitzung29 von Goethes Entsagungskonzepten; entscheidend ist hier, daß das Tagebuch als Form der täglich dokumentierten Selbstverleugnung nicht der charakterlichen Nobilitierung von Dolores dient, sondern vielmehr der ihrer als Gegenbild entworfenen Schwester: Analog zu Florios Verzweiflung über die eigentümliche KörperGeist-Trennung in Divina und Arnica scheinen sich auch in Klelia und Dolores unvereinbare Aspekte aufgespalten zu haben, die unterschiedliche Bedürfnisse des Grafen ansprechen und befriedigen; nichtsdestoweniger fällt dem Grafen die Wahl im Gegensatz zu Florio nicht schwer: Letztlich fühlt er sich Dolores zugehörig, auch wenn er während der Ehekrise vorübergehend an dieser vorgängigen Hingabe zweifelt: »es muß doch etwas anderes in ihr sein […] was ich nie geliebt habe.«30 Gerade anhand von Klelias Beispiel wird deutlich, daß Freundschaft und Liebe nach anderen Regeln funktionieren. Diese Erkenntnis wird noch klarer in Karls Beziehung zur Fürstin profiliert, bei der sich Karl selbst fragt, ob seine Gefühle Liebe seien, dann aber klar dagegen votiert und schließlich sogar die jeweils verschiedenen Prämissen und Zielsetzungen der damit distinkt trennbaren Emotionen formulieren kann: »es ist doch ein wesentlicher Unterschied zwischen Freundschaft und Liebe, daß uns in dieser alle kleinen Uneinigkeiten verhaßt sind, während uns dort selbst der Streit willkommen ist, weil er uns zu einem gemeinschaftlich Höheren zwingt: die Liebe ist in sich zufrieden, die Freundschaft will immer mehr.«31 Das Lied Morgengruß, das die verliebte Fürstin anschließend an diese Episode dichtet 28 29

30 31

Ebenda. Vgl. Wingertszahn: Ambiguität und Ambivalenz im erzählerischen Werk Achim von Arnims. Der Text ist natürlich durchsetzt mit Verweisen auf Die Wahlverwandtschaften, die ironisch zu lesen sind, gleichzeitig aber über die humoristisch deutbare Referenz immer auch eine wichtige charakterisierende Funktion im Text erfüllen: Ein prominentes Beispiel wäre hier die Bemerkung des Prediger Franks: »wo ich glückliche Ehen sehe, die der Kinder ermangeln, da blicke ich die Frauen an und erfülle sie mit guter Hoffnung; diese Wirkung ist in mir ohne alle sündliche Neigung; ja meist mir ganz unbewußt geschieht diese geistige Durchdringung. Lachen sie nicht gnädige Gräfin, wer weiß ob sie selbst mir nicht Zeugnis ablegen müssen.« Der indirekten Erwähnung der »lachenden«, d. h. goutierenden Gräfin folgt konsequent die explizite Kontrastierung der beiden Eheleute: »Der Graf fand den Scherz nicht ganz angenehm; die Gräfin dagegen ließ sich in lustige Betrachtungen über die wunderlichen Verwandtschaften ein, die aus solchen geistigen Blicken entständen; sie erklärte Leidenschaften und Freundschaften, die oft eben so plötzlich als überraschend sind, aus solcher geistigen Verwandtschaft.« (Arnim: Gräfin Dolores – Werke in sechs Bänden, Bd. 1, S 221) Der geistige, »befruchtende« Blick, der auf die Zeugungssituation von Otto in Die Wahlverwandtschaften zurückdeutet, wird hier spielerisch-anzüglich ausgeführt; gleichzeitig bietet er die Folie für das eigentliche Geschehen, nämlich die intertextuell markierte Referenz auf die Erotik, die das Unbehagen des Grafen auslöst, zudem wird die Leichtfertigkeit der Gräfin auf diesem Terrain beleuchtet. Arnim: Gräfin Dolores – Werke in sechs Bänden, Bd. 1, S. 384–385. Ebenda, S. 547.

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(nicht zuletzt, weil sie mit dieser allzu klaren Differenzierung unzufrieden ist), um Karl mit diesem geschickt inszenierten Strategem zu einem Liebesgeständnis zu bewegen, schlägt in einem bezeichnenden Sinne fehl: Während des zärtlichen Duetts kann der Graf zwar dazu bewogen werden, eine Singstimme zu übernehmen, allerdings wird ihm das Wort »nicht zu Fleisch«32. Die körperliche Realisierung der evozierten Gefühle dagegen findet einen anderen, nicht ganz unerwarteten Gegenstand: ganz mit der Dichtung und dem Gesange beschäftigt lernte er alles ganz eifrig, und kaum hatte er beide Stimmen sich einstudiert, so beurlaubte er sich, um das Lied seiner Frau vorzusingen, und die Fürstin stieß mit dem Fuße gegen den Boden. Dolores fand es ungemein reizend, ihr Blick war verlangend und der Graf verstand ihn. Die Fürstin sah ärgerlich nach dem Ätna, als der Graf so lange ausblieb. Ihre Gedanken gönnten ihr alle die Zärtlichkeiten, die er ihr versagte«.33

Der intellektuelle Kontrast zwischen beiden Frauen bleibt dabei (genau wie die sittliche Dichotomie zwischen den Schwestern) erhalten: Das Wenige, was Dolores einst über Musik und Kunst wusste, »hatte sie über das ABC lernender Kinder ganz vergessen«.34 Dagegen bereitet es dem Grafen Freude, von der Fürstin »über politische Ereignisse das wahre Gediegene zu hören«35. Innerhalb weniger Zeilen wird gleich eingangs die geistig unvorteilhafte maternale Rolle Dolores’ gegen die geistige Brillanz der Freundin abgegrenzt, ein Hintergrund, vor dem das klare Bekenntnis zur Ehefrau auffallen muss. Zwei Aspekte werden in diesen Konstellationen greifbar: zum einen strebt der Text die Entzauberung einer überfrachteten Liebeskonzeption an, der etwa Florio zum Opfer fällt; zum anderen bedarf auch diese realistisch modifizierte Ehe offensichtlich einer körperlichen Komponente, die sich deutlich von den starken Gefühlen des Grafen für seine beiden schwesterlichen Freundinnen unterscheidet. Beschäftigt sich der erste Teil des Romans vor dem Ehebruch vor allem mit der als Gefahr markierten Körperlichkeit von Attraktion, so scheint der Text nach Dolores’ Entgleisung mit eben solcher Beharrlichkeit eine Valorisierung des Körperlichen zu leisten. Diese nachträgliche Konzession erfolgt allerdings wiederum vor dem Hintergrund der Entgleisung: Insofern die Gräfin die im Text klar bezeichneten Grenzen überschritten hat, stirbt sie, indem sie sich selbst »entleibt«: Wiederum in einem deutlichen Kontrast zu Ottilie greift sie, als sie dem Grafen Untreue unterstellen zu müssen glaubt, zu Gift, um sich ihrer irdischen Existenz zu entledigen. Die Entkörperlichung scheint einem recht trivialen Quidproquo zu folgen, bezeichnet allerdings mit dieser simplen Zuweisung auch die initiale Störstelle der Beziehung, nämlich den Körper. In einer für den Text typischen, objektivierenden Koinzidenz fällt der Todestag der Gräfin genau auf den Tag ihres originären »Sündenfalls« – dass es sich dabei in einem merkwürdigen Zufall zudem um den 14. Juli handelt, bezieht den individuellen Fehler überdies auf das Ereignis der Französi-

32 33 34 35

Ebenda, S. 548. Ebenda. Ebenda, S. 545. Ebenda.

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schen Revolution, die für Arnim eine geschichtliche Katastrophe, eine Entgleisung epochalen Ausmaßes darstellte. Dolores endet damit schließlich, wie erwähnt, als ihr eigenes Denkmal: Die Bedeutsamkeit des Arnim’schen Schlussbildes, die damit betriebene Bereinigung des Textes von der Anfälligkeit für körperliche Störfelder und die Überführung in eine klare Tugendbotschaft wird im Abgleich mit den Tableaux vivants in Die Wahlverwandtschaften besonders deutlich. Ähnlich wie Klelia für Dolores die keusche Kontrastfolie darstellt, begegnen wir in Die Wahlverwandtschaften Luciane als pointiert stilisierter Gegenfigur zu Ottilie: In den vom Roman umfänglich beschriebenen Tableaux Vivants wird der Gegensatz zwischen beiden auf den ersten Blick nochmals überdeutlich hervorgehoben; gleichzeitig ergeben sich durch die Kontrastierung von Lucianes Auftritt bei den Tableaus und Ottilies Marien-Darstellung auch unerwartete Kongruenzen, die eine moralisch weniger eindeutige Ebene andeuten. Goethes merkwürdiger Rekurs auf die zeitgenössisch beliebte Form der Unterhaltung, die Tableaus, überrascht angesichts der Ausführlichkeit, die er den Episoden zu Teil werden lässt. Es lohnt hier ein kurzer Blick auf Diderot, 36 in dessen Salon de 1785 die Bildvorlagen für die ersten Lebenden Bilder in Die Wahlverwandtschaften auch namentlich erwähnt werden:37 Während der Darbietung der beiden jungen Mädchen wird nämlich ein ästhetisches Konzept zitiert, das Diderot mit dem bekannten Ausspruch über die Vierte Wand als Element der Detheatralisierung38 der Wahrnehmung benannt hat. In Discours de la poésie fordert Diderot mit Blick auf das Drama somit: Si l’on avait conçu que, quoiqu’un ouvrage dramatique ait été fait pour être représenté, il fallait cependant que l’auteur et l’acteur oubliassent le spectateur, et que tout l’intérêt fût relatif aux personnages, on ne lirait pas si souvent dans les poétiques: Si vous faites ceci ou cela, vous affecterez ainsi ou autrement votre spectateur. On y lirait au contraire: Si vous faites ceci ou cela, voici ce qui en résultera parmi vos personnages.«39

Und weiter: »Imaginez, sur le bord du théâtre, un grand mur qui vous sépare du parterre; jouez comme si la toile ne se levait pas.«40 Ganz im Kontext dieser Absorptionslogik verweist Diderot überdies auf den Unterschied zwischen »une femme qu’on voit et [...] une femme qui se montre« (»la différence du décent et de l’indécent«)41. Mit Blick auf einen italienischen Maler und die Darstellung der Susanna im Bade betont Diderot die entlastende Funktion dieser Darstellungstechnik, indem er in den Pensées detachées erklärt, daß Susanna auf dem Bild sich gegen die Alten mit Schleiern zu schützen versucht; sie bleibe damit trotz ihre 36 37

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Vgl. zur Beziehung Goethes zu Diderot Leonhard: Goethe, Diderot und die Romantik. Vgl. zu den Bildern und ihrer Reihenfolge u. a. Nils Reschke: Die Wirklichkeit als Bild. Die Tableaux vivants der Wahlverwandtschaften – In: Brandstetter (Hrsg.): Erzählen und Wissen, S. 137–167. Vgl. auch Jooss: Lebende Bilder. Körperliche Nachahmung von Kunstwerken in der Goethezeit, S. 91–93. Vgl. zu diesem Konzept allgemein Fried: Absorption and Theatracality, hier besonders auch S. 171–173 zu Die Wahlverwandtschaften. Diderot: Discours de la poésie dramatique, S. 230. Ebenda, S. 231. Diderot: Salons III, S. 94.

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Nacktheit und Exponiertheit keusch, ebenso wie der Maler, da keiner von beiden um die Anwesenheit des Betrachters wisse: »La toile renferme tout l’espace, et il n’y a personne au-delà. Lorsque Suzanne s’expose nue à mes regards, en opposant aux regards des vieillards tous les voiles qui l’enveloppaient, Suzanne est chaste et le peintre aussi; ni l’un ni l’autre ne me savaient là.«42 Mit dieser Forderung nach totaler Absorption (als Gebot der décence) kann man Diderots Position unmittelbar auf Lucianes Verhalten zurückbeziehen, die sich im dritten Bild eine scheinbar häusliche Szene von ter Borch ausgewählt hat, bei der sie als Tochter vom Vater ermahnt wird (Instruction paternelle, wie der Stich von Johann Georg Wille betitelt ist). Sie präsentiert sich dabei von hinten, bis ein Zuschauer im intermedial-ironischen Rekurs auf das Medium des Buches fordert »Tournez-s’il vous plait«: Bei dieser Gelegenheit nun sollte Luciane in ihrem höchsten Glanze erscheinen. Ihre Zöpfe, die Form ihres Kopfes, Hals und Nacken, waren über alle Begriffe schön, und die Taille, von der bei den modernen antikisirenden Bekleidungen der Frauenzimmer wenig sichtbar wird, höchst zierlich, schlank und leicht, zeigte sich an ihr in dem älteren Costüm äußerst vortheilhaft; und der Architekt hatte gesorgt, die reichen Falten des weißen Atlasses mit der künstlichsten Natur zu legen, so daß ganz ohne Frage diese lebendige Nachbildung weit über jenes Originalbildniß hinausreichte und ein allgemeines Entzücken erregte. Man konnte mit dem Wiederverlangen nicht endigen, und der ganz natürliche Wunsch, einem so schönen Wesen, das man genugsam von der Rückseite gesehen, auch in’s Angesicht zu schauen, nahm dergestalt überhand, daß ein lustiger ungeduldiger Vogel die Worte, die man manchmal an das Ende einer Seite zu schreiben pflegt: tournez s’il vous plait laut ausrief und eine allgemeine Beistimmung erregte. Die Darstellenden aber kannten ihren Vortheil zu gut, und hatten den Sinn dieser Kunststücke zu wohl gefaßt, als daß sie dem allgemeinen Ruf hätten nachgeben sollen.43

Diese offensichtliche Ingebrauchnahme der Ausgangsfiktion (nämlich daß eben die Absorption eine unschuldige Darstellung ermöglicht), die der Zwischenrufer indirekt offen legt, lässt den hemmungslosen und einvernehmlichen Genuss von Lucianes kokett ausgestellter Schönheit zu. Der Fokus auf den Körper als eigentlichen Gegenstand der Darstellung könnte hier nicht deutlicher akzentuiert werden. Ter Borchs Original, das Wille als Väterliche Ermahnung adaptiert, wurde später oft als Bordellszene gedeutet – eine implizite Dimension, die vom Erzähler durch die missbilligende Zusammenfassung der folgenden Tableaus zusätzlich akzentuiert wird:44 »Was sollen wir noch viel von kleinen Nachstücken sagen, wozu man niederländische Wirthshaus- und Jahrmarktsscenen gewählt hatte?«45

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Diderot: Pensées Détachées, S. 792. Goethe: Werke (Weimarer Ausgabe) Abt. I, Bd. 20, S. 254. Vgl. Maierhofer: Vier Bilder und vielfältige Bezüge. Die sogenannte »Väterliche Ermahnung« und die Figuren in den Wahlverwandtschaften, S. 363–382. Maierhofer beschreibt sehr genau die Differenz zwischen Willes Stich, der hier zugrunde liegt und dem eigentlich Gemälde, von dem Goethe eine Kopie gesehen haben könnte. Die Gleichaltrigkeit der Protagonisten auf ter Borchs Bild scheint die galante Deutung zu favorisieren, während Willes Adaption (insofern der die beiden »Eltern« hier tatsächlich als älter erscheinen) seinem eigenen Titel, nämlich Väterlichen Ermahnung, entspricht. Goethe: Werke (Weimarer Ausgabe) Abt. I, Bd. 20, S. 256.

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Im textlichen Gegenstück zu Lucianes unbefangener Zurschaustellung ihrer körperlichen Vorzüge, nämlich bei Ottilies Darstellung der heiligen Jungfrau Maria in einer Krippenszene (Präsepe), die zunächst in denkbar größter Abweichung von Lucianes frivoler Selbstdarstellung erfolgt, treten nun überraschender Weise ganz ähnliche Inkonsistenzen zu Tage wie bei Luciane: Der Vorhang ging auf, für die Zuschauenden ein überraschender Anblick: das ganze Bild war alles Licht, und statt des völlig aufgehobenen Schattens blieben nur die Farben übrig, die bei der klugen Auswahl eine liebliche Mäßigung hervorbrachten. Unter ihren langen Augenwimpern hervorblickend bemerkte Ottilie eine Mannsperson neben Charlotten sitzend. Sie erkannte ihn nicht, aber sie glaubte die Stimme des Gehülfen aus der Pension zu hören. Eine wunderbare Empfindung ergriff sie. Wie vieles war begegnet, seitdem sie die Stimme dieses treuen Lehrers nicht vernommen! Wie im zackigen Blitz fuhr die Reihe ihrer Freuden und Leiden schnell vor ihrer Seele vorbei und regte die Frage auf: darfst du ihm alles bekennen und gestehen? Und wie wenig werth bist du unter dieser heiligen Gestalt vor ihm zu erscheinen, und wie seltsam muß es ihm vorkommen, dich die er nur natürlich gesehen, als Maske zu erblicken?46

Durch den plötzlichen Verlust der absorptiv-unschuldigen Versunkenheit und der Selbstbewusstwerdung verweist die Szene auf Lucianes körperbewusste Selbstdarstellung zurück; die Kontrast-Achse verschiebt sich damit von der Dichotomie von Luciane/Ottilie hin zur Opposition von Ottilie/Maria, wobei der plötzlich greifbare Fokus eben auf die körperliche Repräsentation Marias, also auf Ottilies Körper gerichtet ist. Die hier einsetzende, jähe moralische Selbsteinsicht wird von Ottilie später dementsprechend unnachgiebig als physische Purifikation umgesetzt: Sie verweigert sowohl Sprache als auch Nahrung, bis sie schließlich stirbt. Als wunderheilende Tote47 wird sie dann auffällig zu einem Körper, zu einem vollständig gereinigten, ja geheiligten Körper, der keinerlei Verfallserscheinungen aufweist. Mit diesem Läuterungsprozess setzt Ottilie verzögert das in der Präsepe-Darstellung antizipierte Versprechen auf Heiligkeit und Unschuld um. Dieser Zustand ermöglicht schließlich auch die Vereinigung der beiden Geliebten. Eduard findet seine letzte Ruhe in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft. Körperliche Nähe wird hier also unter dem Vorbehalt einer vollständigen entkörperlichten Beziehung denkbar. In diesem Sinne wird Eduards und Ottilies Liebesbeziehung (auch in ihrer Körperlichkeit) in der eigentümlichen Schlusskonstruktion paradoxerweise gleichzeitig legitimiert und in Frage gestellt. Das finale Bild in Die Gräfin Dolores dagegen merzt den Körper als Körper auffällig aus: Dolores wird nach ihrem Tode ersetzt und über46 47

Ebenda, S. 274. Ottilies Körper verwest nicht, sondern bleibt – korrespondierend mit den Topoi in Heiligenviten – intakt; die wundertätigen Eigenschaften lässt der Text allerdings ironisch in der Schwebe: »Die vor den Augen aller Welt zerschmetterte Nanny war durch Berührung des frommen Körpers wieder gesund geworden; warum sollte nicht auch ein ähnliches Glück hier andern bereitet sein? Zärtliche Mütter brachten zuerst heimlich ihre Kinder, die von irgendeinem Übel behaftet waren, und sie glaubten eine plötzliche Besserung zu spüren. Das Zutrauen vermehrte sich, und zuletzt war niemand so alt und so schwach, der sich nicht an dieser Stelle eine Erquickung und Erleichterung gesucht hätte. Der Zudrang wuchs, und man sah sich genöthigt, die Kapelle, ja außer den Stunden des Gottesdienstes die Kirche zu verschließen.« Ebenda, S. 413–414, Hervorhebung von mir.

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höht durch ihr eigenes Denkmal, jene bereits erwähnte übergroße Bildsäule, bei der die tote Gräfin allerdings als physisch-reale Referenzgröße verloren geht: [...] ehe ein Jahr vergangen, erblickten die Seefahrer mit frommem Danke die übergroße Bildsäule der Gräfin, wie sie mit der einen aufgehobenen Hand warnend, mit der andern ausgestreckten, segnend, von ihren zwölf Kindern umringt, auf der Spitze einer gefährlichen Klippenreihe, die bis dahin der Untergang mancher Hoffnung und manches Lebens geworden, milde aus dem Himmel herableuchtend ihnen erscheint. Ihre Augen und ihre gräfliche Krone, und die Augen und Kronen ihrer Kinder werden jede Nacht durch eine kunstreiche Einrichtung wie ein neues wunderbares Sternbild erleuchtet, das noch hellglänzt, während alle am Himmel hinter Wolken erloschen; die Seeleute nennen diesen Leuchtturm das heilige Feuer der Gräfin, oder auch das heilige Feuer der Mutter.48

Mit dem Tod, der Dolores als tragisch verzögerte Nemesis ereilt, büßt sie ihre Physis für die untilgbare Sünde der Überschreitung konsequent ein: Ihre Mutterschaft bietet gleichzeitig ein Alternativmodell, bei dem die moralisch zulässige Sexualität notwendigerweise in eine reproduktive transformiert wird. Dolores besteht also fort, gerade eben nicht wie Ottilie in einer unvergänglichen Körperlichkeit, sondern durch ihre Kinder. Statt als Geliebte bzw. Ehefrau überdauert sie als mit »heiligem Feuer« ausgestattete »Mutter«. Indirekt ist Arnims Dolores gerade in ihrer klaren Bestandsaufnahme auch für Goethe aufschlussreich, insofern Arnim das Problem der Sinnlichkeit als moralisches Dilemma benennt und mit Blick auf die Bedürfnisse seiner Zeit postulativ löst, indem er es funktional auf die größeren Verhältnisse umlenkt: Bei Dolores’ Denkmal handelt sich nicht umsonst um einen Leuchtturm; das Monument erfüllt somit eine praktische, ›wegweisende‹ Funktion für die Gemeinschaft. Abgesehen von diesem appellativen Ende liefert Arnim aber überdies eine realistisch-nüchterne Phänomenologie der Liebe, die Körperlichkeit zwar, deutlicher als Goethe, als Prämisse benennt und anerkennt, ihre strenge Regulierung jedoch anhand von Dolores’ mahnendem Beispiel nachdrücklich einfordert.

48

Arnim: Gräfin Dolores – Werke in sechs Bänden, Bd. 1, S. 674. Es fällt dabei auf, daß in unmittelbarer Nähe zu der Erwähnung des steinernen Leuchtturms auch eine Balsamierung zur Erhaltung des Körpers durchgeführt wird: Der Leichnam der Fürstin »wurde in einem halben Jahre von den morgenländischen Balsamen, womit ihn die Ärzte gegen Verwesung schützten, hinlänglich durchdrungen, um die warme Luft ertragen zu können.« Ebenda, S. 673. Im Zusammenhang mit dieser wahllosen Referenz erweist sich die körperlose Denkmalqualität der Gräfin als noch deutlicher hervorgehoben.

Hartmut Kircher

Inszenierte Sinnlichkeit: Zur Funktion der Erotik-Darstellungen bei Heine

Alice Schwarzer bedauert, dass bei ihrem ›lieben Harry‹ Heine außer der einmaligen »Erwähnung der ›großen Frauenfrage‹ (als eine der Fragen des Jahrhunderts) die Begegnung mit dem Feminismus kaum Spuren […] hinterlassen«1 habe. Edda Ziegler erkennt immerhin an, dass Heine wiederholt »für die rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung der Frau«2 Partei ergriffen habe, kommt aber bei einem sezierenden »Blick hinter die literarischen Spiegelfechtereien« und die »selbst geschaffene« Legende Heines als Frauenheld zu dem harschen Resultat: »Der avantgardistische Erotiker und Feminist entpuppt sich im Leben wie im Schreiben als ein rechter Papiertiger.«3 Diese Urteile sind einerseits nicht ganz unbegründet, aber andererseits doch recht undifferenziert. Verbal hat Heine hinreichend Anlass gegeben, ihm Libertinage, Ausschweifung und Schlimmeres zu attestieren. Harmlos klingt da noch seine Bemerkung in Ideen. Das Buch Le Grand: »[…] mein Herz wird immer lieben, so lange es Frauen gibt, erkaltet es für die eine, so erglüht es gleich für die andere […]: la reine est morte, vive la reine!«4 Da meint Alice Schwarzer geschwind kurzschließen zu können, es sei nur »konsequent«, dass er seine Ehefrau, die eigentlich Augustine Crescence Mirat hieß, einfach »in Mathilde umbenannt« habe. Frauen seien für ihn eben ›austauschbar‹.5 Ohne Umschweife wird das fiktionale Ich mit dem Ich des Autors gleichgesetzt, wie es schon bei vielen Zeitgenossen Heines üblich war. Wer so denken will, kann auch die folgende launige Äußerung des gerade erst der deutschen Trübsal entronnenen Protagonisten in Reise von München nach Genua als Bekenntnis zur vorbehaltlosen Promiskuität missdeuten. Auf dem Marktplatz im sonnigen Trient beobachtet der Ich-Erzähler eine sehr junge Harfenistin, deren »Brust […] gar sinnbildlich eine offene Rosenknospe« ziert und die ihm »heimlich« und ›schlau lächelnd‹ ihre Busenrose anbietet: […] nur die Menschen nehmens so genau. Der Schmetterling fragt nicht die Blume: hat schon ein anderer dich geküsst? Und diese fragt nicht: hast du schon eine andere umflattert? Dazu kam noch, dass die Nacht hereinbrach, und des Nachts, dacht ich, sind alle Blumen grau, die

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Schwarzer: Lieber Harry, S. 364. Ziegler: Die große Frauenfrage, S. 369. Ebenda, S. 375. Heine: Sämtliche Schriften, Bd. 2, S. 291. Schwarzer: Lieber Harry, S. 364.

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Hartmut Kircher sündigste Rose eben so gut wie die tugendhafteste Petersilie. Kurz und gut, ohne allzu langes Zögern sagte ich zu der kleinen Harfenistin: ›Si Signora‹ – – – Denk nur nichts Böses, lieber Leser.6

Wie in Heines Lyrik-Sammlungen Anordnung und Reihenfolge der Texte für das Verständnis von großer Bedeutung sind,7 so ist auch in seiner Erzählprosa der jeweilige Kontext unbedingt zu beachten. Dann nämlich erscheint die Harfenistinnen-Passage in einem etwas anderen Licht, wenn man den vorangegangenen, die textinterne Organisation betreffenden Hinweis berücksichtigt: »[…] es wollte mich bedünken, als sei die ganze Stadt nichts anderes als eine hübsche Novelle, die ich einst einmal gelesen, ja, die ich selber gedichtet, und ich sei jetzt in mein eigenes Gedicht hineingezaubert worden […].«8 Auch wenn Heine vermutlich nicht explizit daran gedacht hat: Eine »unerhörte Begebenheit« präsentiert er dem Publikum gleichwohl. Die romantisch-poetisierende Einkleidung soll und kann freilich keineswegs den konkret-realistischen Hintersinn der gezielten Unterminierung traditioneller Moralvorstellungen verdecken. Im Gegenteil: Erotische Genussbereitschaft und -fähigkeit ohne Gewissensnot sollen auf unterhaltsame, unaufdringliche Weise ›legitimiert‹ werden. Die vieldeutige Leseranrede und die beredt verschweigenden drei Gedankenstriche tragen dazu bei: Wer sich die sich anbahnende (fiktionale!) Beziehung zwischen Protagonist und Harfenmädchen weiter ausmalt, und dazu wird ja indirekt animiert, soll sich das nicht als etwas »Böses« denken. Ein ähnliches Verfahren wird in der folgenden Episode aus dem Fragment gebliebenen pikarischen Roman Aus den Memoiren des Herren von Schnabelewopski erkennbar. Sie beginnt mit einer Kontaktaufnahme in einem Amsterdamer Theater (es ist quasi eine Inszenierung in einer Inszenierung): Eine »wunderschöne Eva« lässt – während einer Aufführung des Fliegenden Holländers – von der Galerie herab ein paar Apfelsinenschalen auf einen jungen Mann fallen und sieht ihn dabei »mit ihren großen blauen Augen verführerisch« an. Dieser begibt sich unverzüglich zu ihr hinauf und flüstert dem schönen Mädchen ins Ohr: »Juffrouw! Ich will deinen Mund küssen.« »Bei Gott, Mynheer, das ist ein guter Gedanke!« war die Antwort, die hastig und mit entzückendem Wohllaut aus dem Herzen hervorklang. Aber nein – die ganze Geschichte, die ich hier zu erzählen gedachte […] will ich jetzt unterdrücken. Ich räche mich dadurch an den Prüden, die dergleichen Geschichten mit Wonne einschlürfen und bis an den Nabel, ja noch tiefer, davon entzückt sind und nachher den Erzähler schelten und in Gesellschaft über ihn die Nase rümpfen und ihn als unmoralisch verschreien. […] Ich mache daher hier einen langen Gedankenstrich ––– Dieser Gedankenstrich bedeutet ein schwarzes Sofa, und darauf passierte die Geschichte, die ich nicht erzähle.9

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Heine: Sämtliche Schriften, Bd. 2, S. 352 und S. 354–355. Vgl. Altenhofer: Ästhetik des Arrangements. Heine: Sämtliche Schriften, Bd. 2, S. 344. Ebenda, Bd. 1, S. 530–531.

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Dann teilt er aber doch noch mit beiläufiger Genüsslichkeit mit, dass bei dieser Gelegenheit all seine Vorurteile gegen blauäugige Blondinen »aufs siegreichste zerstört«10 worden seien… Hier wird noch deutlicher, in welche Richtung Heines fiktionales Arrangement zielt. Es wird nicht nur mit nonchalanter Geste unverkrampfter Lebens- und Liebesfreude das Wort geredet, sondern zugleich die biedermeierliche Doppelmoral dekuvriert, die oft genug heimliche Lüsternheit hinter der Fassade bürgerlicher Wohlanständigkeit zu verbergen sucht. Heine instrumentalisiert fiktive Emotionsdarstellungen, indem er ihnen (auch mit einem ironischen Augenzwinkern an die Adresse der zeitgenössischen Zensur) ein Plädoyer für natürliche Sinnenlust einschreibt. Viele seiner moralfrommen LeserInnen fanden und finden das unverschämt, andere waren und sind davon begeistert, weil er so un-verschämt über diese Dinge schreibt und schlechtem Gewissen eine Absage erteilt, körperliche Liebe nicht als Sünde diskriminieren will. Zu den gravierendsten der gegen Heine erhobenen Vorwürfe gehören Frivolität und erotomanische Sittenlosigkeit. Zur Illustration hier noch ein drittes Beispiel: In dem Reisebild Die Bäder von Lucca verliebt sich der Protagonist in eine junge Frau, die er mit doppelbödigem Enthusiasmus beschreibt: Die Tugend, das versteht sich von selbst, ist die erste von allen Herrlichkeiten, der Weltschöpfer schmückte sie mit so vielen Reizen, daß es schien, als ob er nichts eben so Herrliches mehr hervorbringen könne; da aber nahm er noch einmal alle seine Kräfte zusammen, und in einer guten Stunde schuf er Signora Franscheska, die schöne Tänzerin, das größte Meisterstück, das er nach Erschaffung der Tugend hervorgebracht, und wobei er sich nicht im mindesten wiederholt hat […]. – Nein, Signora Franscheska ist ganz Original, sie hat nicht die mindeste Ähnlichkeit mit der Tugend, und es gibt Kenner, die sie für eben so herrlich halten […].11

Wie nebenbei wird hier betont, dass den sittlichen Gesetzen die irdische Schönheit beigesellt ist, und zwar gleichrangig und gleichermaßen göttlichen Ursprungs, eine Gabe, deren Wahrnehmung nicht infrage gestellt werden dürfe. Der Erzähler zeigt sich besonders fasziniert von den zierlichen Füßen der Tänzerin, deren Pirouetten ihm Schwindel erregen. Der Fuß galt bekanntlich nicht erst im Zeitalter bodenlanger Frauenröcke als das die erotische Fantasie männlicher Betrachter aufreizende Detail; man kann durchaus von einem libidinös grundierten Fußfetischismus sprechen.12 Darauf spielt Heine hier an, um dann die beiden Füße Franscheskas ein necki10 11 12

Ebenda, S. 531. Ebenda, Bd. 2, S. 413. Vgl. Wolf: Verehrte Füße, S. 501 und JaĞtal: Körperkonstruktionen, S. 100–104. – In den Florentinischen Nächten ist die Rede von »einer großen Dame, die den kleinsten Fuß von Paris hat« (Heine: Sämtliche Schriften, Bd. 1, S. 573). Gemeint ist Caroline Jaubert, die Heine 1835 kennen gelernt hat und in deren Salon er öfters zu Gast war. In einem privaten Brief an die (verheiratete) Dame schwärmt er ziemlich unverhohlen: »Ce pied que j’ai vu avant-hier ne peut appartenir qu’à un de ces êtres fantastiques dont j’ai parlé dans mon livre.« (» Dieser Fuß, den ich vorgestern gesehen habe, kann nur einem jener fantastischen Wesen gehören, von denen ich in meinem Buch [Elementargeister] gesprochen habe.«) Seine Besitzerin sei wahrhaft ätherisch und feenhaft (»véritablement si aérienne, si féerique«). Indirekt bekennt Heine, dass Carolines Fuß seine Fantasie sehr beflügele… (Heine: Briefe, Bd. 1, 2, S. 84).

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sches Puppenspiel als unzertrennliche Liebende aufführen zu lassen: »Die verliebten Füßchen wollten sich nicht verlassen – und ich war endlich froh, als ein unerbittliches Schicksal sie von einander trennte, indem süße Ahnung mir zuflüsterte, daß es für mich ein Mißgeschick wäre, wenn die beiden Liebenden beständig vereinigt blieben.«13 Diese anzügliche Schilderung wird endgültig schlüpfrig, wenn die ›Dame‹ ihm anschließend gestattet, ihren Fuß zu küssen und dann die Strümpfe bis zu den Knien hinaufzurollen und ihm in Aussicht stellt, dass er es bei ihr noch weit bringen könne… Der erfolgreichen Fortsetzung rühmt er sich denn auch, wobei er emphatisch schwärmt von den »Nymphen des Appennins«, den toskanischen Nächten und von jenen »besseren Götterzeiten, wo es noch keine gotische Lüge gab, die nur blinde, tappende Genüsse im Verborgenen erlaubt und jedem freien Gefühl ihr heuchlerisches Feigenblättchen vorklebt.«14 Diesem letzten Zusatz kommt entscheidende Bedeutung zu. Zwar gilt, was Martin Walser in anderem Zusammenhang formuliert hat, auch für Heines Darstellung erotischer Abenteuer, nämlich dass er »nicht aufhört zu spielen, sich aufzuspielen.«15 Doch das ist weit mehr als der Hang zum Renommieren, von dem er wohl auch nicht ganz frei war. Heine inszeniert die Sinnlichkeit – wie freizügig, mutwillig übertreibend und provokant auch immer er es tut – nicht als Selbstzweck, sondern in der Absicht, nachdrücklich für eine umfassende politische und gesellschaftliche Emanzipation zu werben; die Anerkennung natürlicher Körperlichkeit ist ein wichtiger Teilaspekt dieser Bestrebungen. Die »gotische Lüge« steht für die in seinen Augen sinnenfeindliche Tendenz des Christentums, die widernatürliche Triebunterdrückung, die zu einer krankhaften Trennung von Geist und Leib geführt habe. Heine unterscheidet zwei grundsätzlich verschiedene Lebenseinstellungen: den diesseitsverneinenden Spiritualismus (auch Nazarenertum) und den diesseitsbejahenden Sensualismus (auch Hellenentum). Anhänger der ersten Haltung sind für ihn »Menschen mit asketischen, bildfeindlichen, vergeistigungssüchtigen Trieben«, Verfechter der anderen Position »Menschen von lebensheiterem, entfaltungsstolzem und realistischem Wesen.«16 Den Letzteren fühlt Heine sich wesentlich näher. Den Spiritualisten wirft er vor, es fehle ihnen »die Majestät der Genußseligkeit«17. Spiritualisten sind für Heine beispielsweise Ludwig Börne, Alphonse de Lamartine oder Francesco Petrarca, in dessen »Kanzonen und Sonetten« ihn »jene sogenannte platonische Liebe« schon immer »unleidlich anwiderte«18. Es geht ihm, wohlgemerkt, nicht um einseitige Bevorzugung einer bestimmten Richtung, sondern darum, dass »der Friede zwischen Leib und Seele wieder hergestellt, und sie wieder in ursprünglicher Harmonie sich durchdringen«19. Wenn er für den Sensualismus plädiert, dann in erster Linie, weil dieser »die natürlichen 13 14 15 16 17 18 19

Heine: Sämtliche Schriften, Bd. 2, S. 417. Ebenda, S. 420. Walser: Heines Größe, S. 50. Heine: Sämtliche Schriften, Bd. 4, S. 18. Ebenda, S. 17–18. Ebenda, Bd. 5, S. 211. Ebenda, Bd. 3, S. 518.

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Rechte der Materie gegen die Usurpationen des Geistes zu vindizieren sucht.«20 In diesem Sinne hat für Heine der protestantische Reformator Martin Luther mit seinem Leben und Werk einen wichtigen Schritt zum Ausgleich zwischen den beiden Polen getan: »[…] er konnte sich ganz versenken ins reine Geisttum; und dennoch kannte er sehr gut die Herrlichkeiten dieser Erde, und wußte sie zu schätzen. […] Er war ein kompletter Mensch. […] Ihn einen Spiritualisten zu nennen wäre daher eben so irrig, als nennte man ihn einen Sensualisten.«21 Im 1827 erschienenen Buch der Lieder hatte der Dichter in unzähligen Variationen den unglücklichen Part des von weiblicher Tücke, Kälte und Herzlosigkeit Abgewiesenen durchexerziert. Dabei ging es ihm in erster Linie »um Entmythologisierung […], um das Destruieren überkommener Liebesvorstellungen«22. Im Laufe der Jahre ist ihm die Unmöglichkeit der sog. romantischen Liebe (für sich) immer bewusster geworden.23 So rückt er nun in seinen literarischen und essayistischen, aber auch in den halb autobiographischen Texten und mitunter in der privaten Korrespondenz eine offene, hedonistische Liebeskonzeption in den Vordergrund. Dazu gehört u. a. auch, dass in seinen intim-erotischen Szenarien Frauen oft nicht mehr nur als keusche und abwartende, sondern als dem Mann entgegenkommende, ihn zu sexueller Aktivität ermunternde Partnerinnen auftreten. Damit stellt er sich demonstrativ konträr zum zeitgenössischen Rollenverständnis, und da dieses wesentlich vom christlichen Wertekanon mitgeprägt ist, fehlt nicht der antiklerikale Akzent: »[…] indem ich niederkniete, reichte sie mir den weißen, blühenden Lilienfuß, den ich vielleicht gläubiger an die Lippen preßte, als ich es mit dem Fuß des Papstes getan haben möchte.«24 Implizit ist dies natürlich auch eine gewollte Brüskierung christlich-religiöser Fußverehrung.25 In der klassischen Antike (in der es übrigens bereits einen paganen Fußkult gab) glaubt der Hellenist Heine noch ein ganzheitlich-harmonisches Menschenbild verwirklicht, er bedauert dessen Verlust zutiefst, ist bemüht, ihm neue Geltung zu verschaffen. Nicht zufällig ist es eine Statue, von der sich der junge Protagonist der Florentinischen Nächte magisch angezogen fühlt. Er küsst sie inbrünstig, diese »marmorne Göttin, mit den reinschönen Gesichtszügen und dem straffgeteilten, edlen Busen.« Sie erscheint ihm »wie eine griechische Offenbarung.« Aber leider ist sie »von ihrem Postamente […] herabgestürzt« worden.26 Analog dazu heißt es in der Hymne auf Franscheska27 in den Bädern von Lucca: »Ja, es gibt eine Statue, die Dir, lieber Leser, einen marmor20 21 22 23

24 25 26

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Ebenda, S. 533. Ebenda, S. 538. Vgl. dazu Hildebrand: Emanzipation, S. 217–254. Stauf: Heinrich Heine, S. 34. Vgl. Jokl: Von der Unmöglichkeit romantischer Liebe. Vgl. dazu ferner Luhmann: Liebe als Passion, dort insbesondere das Kapitel »Romantische Liebe«, S. 163–182. Heine: Sämtliche Schriften, Bd. 2, S. 419–420. Vgl. dazu Wolf: Verehrte Füße, S. 504–509. Heine: Sämtliche Schriften, Bd. 1, S. 560. – Es ist wohl überflüssig, an die Vielschichtigkeit dieses und anderer Texte Heines zu erinnern. Zu den psychologischen, motivgeschichtlichen und politischen Aspekten der Novelle vgl. Drux: Mit romantischen Traumfrauen gegen die Pest der Zeit. Ihr Name lässt sich auch als programmatischer Gegenentwurf zum Vornamen Petrarcas verstehen.

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nen Begriff von Franscheskas Herrlichkeit zu geben vermöchte, und das ist »die Venus des großen Canova« im »Palazzo Pitti zu Florenz«.28 Beeinflusst von den Emanzipationsvorstellungen des Saint-Simonismus, die er bereits Ende der zwanziger Jahre in Deutschland und dann noch intensiver Anfang der dreißiger Jahre in Paris kennen gelernt hat, kritisiert Heine jeden Versuch, Sexualität mit Sündhaftigkeit gleichzusetzen und erhebt seine viel zitierte Forderung nach einer »Rehabilitation des Fleisches«29. Im Schnabelewopski stellt er die gegensätzlichen Lebenseinstellungen anschaulich einander gegenüber. Auf der einen Seite gibt er eine emphatische Beschreibung der lebensfrohen Gemälde des niederländischen Meisters Jan Steen, aus denen ersichtlich werde, dass dereinst »die Religion des Schmerzes« erlösche und von einer »Religion der Freude« abgelöst werde und dass dann »die Nachtigallen ihre lang verheimlichten Entzückungen hervorjauchzen«30 dürften. Kontrapunktisch dazu ist der Hauswirt des Ich-Erzählers in der Stadt (mit dem passenden Namen) Leiden konzipiert, an dem die fatalen Folgen rigider Emotionskontrolle und Gefühlsunterdrückung illustriert werden. Der Wiedertäufer und fleißige Bibelleser (»ein Mann von sehr dünnen Beinen« und »abgezehrt bleichem Antlitz«) pflegt in seinen Träumen den vertrautesten Umgang mit einigen »Weibern des Alten Testaments«, wie etwa der »schönen Esther«, wofür ihn seine eifersüchtige Frau am Tage verprügelt. Folglich verschweigt er von da an »sein nächtliches Glück ängstlich«, gestaltet es aber umso ausschweifender: […] er wurde jetzt erst ganz ein heiliger Roué [= Wüstling, H. K.]; wie er mir gestand, hatte er den Mut, sogar der nackten Susanne die unsittlichsten Anträge zu machen; ja, er war am Ende frech genug, sich in den Harem des König Salomon hineinzuträumen und mit dessen tausend Weibern Tee zu trinken.31

Ein plastisches Exempel für Sigmund Freuds Definition des Traums als »Erfüllung eines (unterdrückten, verdrängten) Wunsches«32. Schmetterling, Rose und Nachtigall sind die einprägsamen Chiffren in Heines sensualistischem Konzept, mit dem er gegen die »Verkehrtheit der gesellschaftlichen Grundvoraussetzungen« ankämpft, gegen die biedermeierliche Situation, die, wie Jost Hermand es ausdrückt, den »Mann zum unentwegten Schmachten und die angebetete Frau zum unentwegten Sprödetun«33 verurteilt. Nicht selten werden vor allem im Bürgertum nach außen hin Anstand und Edelmut des Herzens nur vorgetäuscht, die Partnerwahl als »affaire de cœur« ausgegeben, während de facto eher auf finanzielle Sicherheit und angesehene berufliche und soziale Stellung geachtet wird und das Selbstbestimmungsrecht insbesondere der Frauen stark eingeschränkt ist. Konsequenterweise werden die gesellschaftlichen Umgangsformen, mit denen man die eigentlichen Interessen zu kaschieren sucht, »im Laufe der Zeit immer 28 29 30 31 32 33

Heine: Sämtliche Schriften, Bd. 2, S. 416. Ebenda, Bd. 3, S. 402. Ebenda, Bd. 1, S. 540–541. Ebenda, S. 543–544. Freud: Die Traumdeutung, S. 175. Hermand: Vom Buch der Lieder, S. 217.

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strenger, immer forcierter, immer verlogener.«34 In einem bekannten Gedicht aus dem Buch der Lieder hat Heine die Prüderie und Verklemmtheit dieser Gesellschaft spöttisch aufs Korn genommen; dass es sich hier um eine adelige Plauderrunde handelt, ist eher sekundär, vielmehr geht es dem Autor ganz allgemein um eine satirische Überzeichnung der »Philisterkultur« und der »biedermeierlichen Liebeskonzeptionen, die nur noch für Witze gut sind«35: Sie saßen und tranken am Teetisch, Und sprachen von Liebe viel. Die Herren, die waren ästhetisch, Die Damen von zartem Gefühl. Die Liebe muß sein platonisch, der dürre Hofrat sprach. Die Hofrätin lächelt ironisch, Und dennoch seufzet sie: Ach! Der Domherr öffnet den Mund weit: Die Liebe sei nicht zu roh, Sie schadet sonst der Gesundheit. Das Fräulein lispelt: Wieso? Die Gräfin spricht wehmütig: Die Liebe ist eine Passion! Und präsentieret gütig Die Tasse dem Herren Baron. […]36

Angehörige der sog. ›besseren‹ Kreise, ausgestattet mit ansehnlichen Titeln, reden in unverbindlichem Konversationsstil – »triebgedämpft und affektiert«37 – über die Liebe, ein Thema, von dem sie offensichtlich wenig verstehen und das bei diesen Herrschaften keine großen Emotionen auslöst. Durch unreine Reime und gekünsteltes Metrum bringt Heine die Scheinhaftigkeit des biedermeierlichen Liebesdiskurses wirkungsvoll zur Geltung. Schnell wird deutlich: »Das Teegespräch und die Kultur, die es vertritt, dienen […] nicht der Kultivierung, sondern der Unterdrückung der Ansprüche des natürlichen Menschen.«38 Die staatstragenden Herren, sprich der klapperige Hofrat, der vollmundige Zölibatär und der gar nicht zu Wort kommende Baron, erscheinen noch einfältiger als die ironischen, wehmütig-gütigen oder noch unerfahrenen Damen. Immerhin geht es in diesem Zirkel recht moderat zu. *

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36 37 38

Ebenda, S. 219. Hanuschek: Heinrich Heine, S. 32. – Bei Heines Spott scheint auch seine Verärgerung über gewisse Reaktionen auf seine literarischen Texte eine Rolle zu spielen. In einem Brief vom 14. Januar 1823 an Karl Immermann spricht er von »theegesellschaftliche[r] Geißelung« als »Dornenkrönung dummpfiffigen Lobs«. Heine: Briefe, Bd. 1, S. 55. Heine: Sämtliche Schriften, Bd. 1, S. 95. Sautermeister: Zu Heines Liebeslyrik, S. 186. Brummack: Heines Entwicklung zum satirischen Dichter, S. 114–115.

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Dagegen walteten die zeitgenössischen Tugend- und Moralwächter immer restriktiver ihres Amtes. Erotik und Sexualität wurden aus Furcht vor einer Gefährdung der (sittlichen und gesellschaftlichen) Ordnung immer stärker tabuisiert, Tabubrüche rigoros geahndet. Peter Gay weist in seiner Studie über »Liebe im bürgerlichen Zeitalter« darauf hin, dass »gerade die Strenge der Strafe […] von der Stärke der Versuchung«39 zeugt. Andererseits, so stellt er fest, wäre es »eine grobe Verkennung der bürgerlichen Erfahrenswelt, wollte man glauben, daß der Bürger im 19. Jahrhundert das, worüber er nicht redete, eben deshalb auch nicht gewußt, nicht praktiziert oder nicht genossen hätte.«40 Hinter der Fassade war, wie gesagt, alles denkbar und möglich. Friedrich Sengle hat dargelegt, dass die offizielle Inkriminierung des »erotische[n] Dämonismus« u. a. auch den »Kult« erklärt, »der in der Biedermeierzeit mit der Familie getrieben«41 wurde, die man in idyllischen Bildern und Texten als Hort und Pflegestätte zwischengeschlechtlicher Harmonie und Sittlichkeit auszugeben bemüht war. Ein Musterfall öffentlicher Repression durch Literaturkritik und staatliche Behörden ist der Skandal um Karl Gutzkows Roman Wally, die Zweiflerin, der dank eifrigster Diffamierung durch Wolfgang Menzel letztlich entscheidend zum Verbot des Jungen Deutschland durch den Deutschen Bundestag 1835 beigetragen hat. Zudem wurde der Verfasser wegen »Gotteslästerung, Verächtlichmachung des christlichen Glaubens« und der Kirche sowie der »Darstellung unzüchtiger Gegenstände«42 zu einem Monat Gefängnis verurteilt. Karl Heinz Götze hat in seiner brillanten Studie »Was aus der romantischen Liebe wird, wenn sie der Zensur anheim fällt und politische Dienste leisten muß«43 die genaueren Umstände analysiert. Von besonderem Interesse ist hier der dritte Anklagepunkt, die »Darstellung unzüchtiger Gegenstände«. Gutzkow knüpft offenkundig an Friedrich Schlegels Lucinde an (kurz vor dem Erscheinen der Wally hat er Schleiermachers Vertraute Briefe über Lucinde neu herausgegeben, Schlegels Protagonist heißt Julius, Wallys Partner heißt Cäsar). Das eigentliche Skandalon bei Gutzkow ist gleichsam das Zitat einer Szene aus dem mittelhochdeutschen Epos Jüngerer Titurel, in dem Tschionatulander die geliebte Sigune beim Abschied bittet, sich ihm einmal völlig nackt zu zeigen. Das gleiche Ansinnen richtet Cäsar an Wally, bevor diese als Gemahlin des sardischen Gesandten nach Paris abreist. Sie weist das zunächst zurück, kommt sich dann aber »mit ihrer Tugend abgeschmackt« und »verächtlich«44 vor. Schließlich erfüllt sie in aller Unschuld seinen Wunsch, und zwar nicht aus erotischen Gründen, sondern erklärtermaßen im Namen der Poesie. Obendrein verdeckt dabei »eine hohe Lilie […] symbolisch, als Blume der Keuschheit, […] die noch verschlossene Knospe ihrer Weiblichkeit.«45 Eine gänzlich unverblümte Darstellung hat Gutzkow

39 40 41 42 43 44 45

Gay: Die zarte Leidenschaft, S. 9. Ebenda, S. 10. Sengle: Biedermeierzeit, Bd. 1, S. 57. Gutzkow: Wally, S. 447. Götze: Was aus der romantischen Liebe wird. Gutzkow: Wally, S. 54. Ebenda, S. 57.

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denn doch nicht gewagt. Diese (verschiedentlich auch separat nachgedruckte!) Episode hat Götze trefflich kommentiert: Gerichtsverwertbares […] will mir […] nicht auffallen, es sei denn, man meint damit das Kardinalverbrechen, dessen sich Literatur nur schuldig machen kann, die verschämte Hingabe an den Kitsch. […] Cäsar ist Rein-Erkennender, deshalb darf er mehr nicht sein als ein Voyeur. Selbst sein treuer Hund, der ihm von Gutzkow wohl beigesellt ist, um die Triebnatur zu symbolisieren, zerrt nicht an der Leine, sondern tut es brav seinem Herrn gleich, indem er dessen Augen verfolgt, die dieser auf Wally lustwandeln läßt.46

In zeitgenössischen Konfidentenberichten wird konstatiert, dass der Roman »mit nie gekannter Begierde gelesen« werde und »von Hand zu Hand auch bei gebildeten Ungelehrten«47 wandere. Was die »Laszivität« und »Obszönität« der Wally betreffe, so werde dieses »Gift« sogar »von der begehrlichen weiblichen [Jugend] begierig eingesogen.«48 Selbst bis »aufs Land ist die Kunde von den in der ›Wally‹ ausgesprochenen unsittlichen Ansichten gedrungen.«49 Der national-konservative Kritiker Wolfgang Menzel ›fertigt‹ den »Nuditätenmaler«50 Gutzkow (der auch ein Konkurrent als Zeitschriften-Herausgeber ist) in mehreren öffentlichen Einlassungen barsch ab und wirft ihm vor, sein Roman sei »voll von kränklicher, raffinierter, ausgedüftelter Wollust.«51 Und er weiß sehr genau, erstens: »Mit der Unzucht ist einem gewissen Teil des Publikums immer beizukommen«52, und zweitens: »Die Unsitte kam immer von Frankreich herüber.«53 Ja: »Die Sache ist eine potenzierte Nachahmung der neufranzösischen Frechheit.«54 Deutschland sieht sich von jenseits des Rheins nicht nur von grassierender Immoralität bedroht, sondern mehr noch fürchten die Obrigkeiten, dass auch die Bereitschaft zum revolutionären Umsturz auf das eigene Volk übergreifen könnte. Entsprechend warnt denn auch der mit dem Fall Gutzkow befasste Konfident: »[…] die Anarchie fängt an zu glimmen, um vielleicht bald in hellen Flammen aufzuschlagen.«55 Es ist eine geschlossene und entschlossene, wirkmächtige Front, gegen die (neben anderen) Heine antrat, wobei seine erotischen Inszenierungen ebenfalls als »neufranzösische Frechheit« (meist sogar weniger harmlos als die ›Vergehen‹ Gutzkows) einzustufen sind. Dabei ist nicht zu vergessen, dass sie lediglich ein Teil seiner auf umfassende Emanzipation ausgerichteten literarisch-publizistischen Strategie sind. Und zweifellos hat auch Heine als Kenner des literarischen Marktes mit seinem freizügigen Stil einen gewissen Publikumsgeschmack im Blick gehabt, zumal die Hoffnung nicht ganz unbe-

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Götze: Was aus der romantischen Liebe wird, S. 205–206. Gutzkow: Wally, S. 260. Ebenda, S. 266. Ebenda, S. 265. Ebenda, S. 278. Ebenda, S. 277. Ebenda. Ebenda, S. 278. Ebenda, S. 282. Ebenda, S.261.

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gründet war, dass der Zensor sich dadurch vielleicht von der Brisanz hineingeschmuggelter politischer Ideen ein wenig ablenken lassen würde. * Heines Beziehung zu Mathilde, mit der er sich (ihr zuliebe) 1841 in der Pariser Kirche Staint-Sulpice katholisch trauen ließ, war aufgrund der extremen Unterschiedlichkeit der beiden Partner »ständigen Belastungsproben ausgesetzt«, aber auch von »Phasen großer Innigkeit«56 geprägt. Die Ehe hat gehalten, und bis zu seinem Tod war der Dichter intensiv darauf bedacht, seine Frau materiell versorgt zu wissen. Seine Biografen Jan-Christoph Hauschild und Michael Werner haben dieses komplexe Liebesverhältnis ausführlich und anschaulich geschildert.57 Andererseits hat der Hedonist Heine keinen Hehl daraus gemacht, dass er hin und wieder seine Lebens- und Sinnenfreude auch mit Freudenmädchen geteilt hat, in Berlin, in Hamburg, in Amsterdam, in Paris. Der literarische Rivale Ludwig Börne war nicht der einzige Moralist, der sich darüber empörte58 (was ihn allerdings nicht daran gehindert hat, eine Zeit lang mit seiner Freundin Jeanette Wohl und ihrem Ehemann Salomon Strauß in Paris in »einer damals zweifellos revolutionären Wohngemeinschaft«59 zusammenzuleben). Einige Gedichte aus dem Umkreis des Zyklus Die Heimkehr, die Heine später vorsichtshalber nicht mit ins Buch der Lieder aufgenommen hat, weil sich seine Hoffnung auf berufliche Etablierung in Deutschland noch nicht ganz zerschlagen hatte, erlauben Rückschlüsse auf seinen ›zweifelhaften‹ Umgang. Bekannt sind die Verse: »Blamier mich nicht, mein schönes Kind, / Und grüß mich nicht unter den Linden […]«.60 Das Oppositionspaar ›gottgefällige Askese‹ versus ›irdische Sündhaftigkeit‹ wird in dem folgenden antipetrarkistischen Vierzeiler ironisch-pointiert aufgelöst: Himmlisch war’s, wenn ich bezwang Meine sündige Begier, Aber wenn es nicht gelang, Hatt ich doch ein groß Pläsier.61

Der rigorosen Humorlosigkeit der restaurativen Obrigkeiten hat Heine oft einfach unverkrampfte Heiterkeit entgegengesetzt. Sein zweiter großer Lyrikband, Neue Gedichte, enthält einen Zyklus mit dem Titel Verschiedene, dessen meist mehrteilige Gedichte anspielungsreich mit Mädchennamen überschrieben sind: Seraphi56 57 58

59 60 61

Hauschild, Werner: »Der Zweck des Lebens ist das Leben selbst«. Heinrich Heine, S. 317–318. Vgl. ebenda, S. 303–330. Am 13. 10. 1831 schreibt er an Jeanette Wohl: »Romantische Liebe ist immer verschämt [!] und verschwiegen. Heine aber läuft den gemeinsten Straßendirnen bei Tag und Nacht nach und spricht in einem fort von dieser häßlichen Gemeinheit, in welcher er ein ästhetisches Vergnügen findet.« (Börne: Sämtliche Schriften, Bd. 5, S. 36). – Zu Börne und seinem Verhältnis zu Heine vgl. neuerdings Kircher: Von Pointen und Widersprüchen, S. 129–133. Jasper: Ludwig Börne, S. 105f. Heine: Sämtliche Schriften, Bd. 1, S. 237. Ebenda.

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ne, Angelique, Diana, Hortense, Clarisse, Yolante und Marie, Emma. Ausgerechnet Karl Gutzkow hat Verleger und Autor vor der ›Unsittlichkeit‹ dieser Poeme gewarnt und von einer Veröffentlichung abgeraten.62 Andere Kritiker missbilligten bei Erscheinen diese Gedichte »als vulgäre Grisettenlyrik eines Autors, der zum Sklaven seiner ausschweifenden Sinnlichkeit geworden sei« und sprachen von einer »Poesie der Hurerei«63. Indes weist Gerhard Höhn darauf hin, dass Heine hier »Liebeserlebnisse aus ganz verschiedenen Zeiten und Orten zu fiktiven Kunstfiguren verarbeitet hat«64. Es handelt sich also wiederum in gewissem Sinne um genau kalkulierte Inszenierungen. Der Unterzyklus Diane beginnt mit einer Hommage an eine der käuflichen Damen des Faubourg Saint-Denis, es ist ein kleines Meisterstück erotischen Humors: Diese schönen Gliedermassen Kolossaler Weiblichkeit Sind jetzt, ohne Widerstreit, Meinen Wünschen überlassen. […] Welcher Busen, Hals und Kehle! (Höher seh ich nicht genau.) Eh ich ihr mich anvertrau, Gott empfehl ich meine Seele.65

Nebenbei mag der Gedanke an die wegen ihrer Größe berühmte Diana-Statue in Ephesus mitschwingen66, von der im Gedicht ›lebendigen‹ Diane erfährt man freilich, dass sie einen anderen Verehrer »schon dreizehntausend Louis« gekostet hat. Ebenso inszeniert wie dieser Besuch bei der Pariser Gunstgewerblerin ist die Wiederbegegnung des Deutschland-Reisenden im Wintermärchen mit der inzwischen ›anständig‹ gewordenen Hammonia auf St. Pauli, diesmal jedoch nicht zur vorgeblich harm-losen Belustigung des Lesepublikums, sondern zwecks scharfer gesellschaftskritischer Satire. Zwar lässt sich in den Gesichtszügen der Hamburger Schutzpatronin – nicht trotz, sondern eher wegen ihrer früheren beruflichen Tätigkeit – die »weltlichste Natürlichkeit« lesen, aber auch sie hat etwas Kolossales: »[…] das übermenschliche Hinterteil / Verriet ein höheres Wesen.«67 Diese »Göttin« fordert den Protagonisten auf, dem »sittenlosen Paris« und den »frivolen Franzosen« den Rücken zu kehren und in der Hansestadt zu bleiben. Anschließend präsentiert sie ihm Punkt für Punkt in einem unfreiwillig zynisch sich selbst entlar-

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Vgl. Heine: Sämtliche Gedichte, S. 921. Höhn: Heine-Handbuch, S. 98. Ebenda. – Ralf Schnell nennt diesen Zyklus »das Vers gewordene Plädoyer für Erotik und Liebesgenuß« (Schnell: Heinrich Heine, S. 156). Heine: Sämtliche Schriften, Bd. 4, S. 335. Heine: Sämtliche Gedichte, S. 941. – In den Florentinischen Nächten spricht der Ich-Erzähler im Kontext der vernachlässigten marmornen Statuen recht doppeldeutig von »einer Diana, deren untere Hälfte von dunklem Efeu aufs lächerlichste umwachsen war.« (Heine: Sämtliche Schriften, Bd. 1, S. 560). Ebenda, Bd. 4, S. 630.

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venden Monolog die gesamte reaktionäre Ideologie des repressiven Herrschaftssystems im zersplitterten »Vaterland« als vermeintlichen »Fortschritt«68. Dieser einfältigen Untertanin will der Zuhörer sich denn doch nicht als »Lustgefährte«69 anvermählen lassen, in einer Fiebervision fürchtet er gar, unter solchen Umständen könne die Schere des Hamburger Zensors ihn entmannen, d. h. seiner eigentlichen Substanz als kritischer Zeitschriftsteller berauben. Stattdessen setzt er seine Hoffnung auf das Heranwachsen einer neuen Generation: »Ganz ohne Schminke und Sünden, / Mit freien Gedanken, mit freier Lust – […].«70 Sehr optimistisch konnte Heine in dieser Hinsicht nicht sein, in der zeitgenössischen Gesellschaft gab es nach wie vor nicht allzu viel Grund dazu. An seiner Grundeinstellung hat er jedoch zeitlebens festgehalten, auch noch als er teilweise gelähmt und hilfebedürftig, schmerzvoll dahinsiechend an seine Pariser »Matratzengruft«71 gefesselt ist. Noch 1854 opponiert er gegen nazarenische Enthaltsamkeitspredigten, indem er an das bedeutendste biblische Zeugnis für sinnenfreudige Lebensbejahung erinnert: Das Hohelied Des Weibes Leib ist ein Gedicht, Das Gott der Herr geschrieben Ins große Stammbuch der Natur, Als ihn der Geist getrieben. […] Das ist kein abstraktes Begriffspoem! Das Lied hat Fleisch und Rippen, Hat Hand und Fuß; es lacht und küßt Mit schöngereimten Lippen. […]72

Infolge des fast vollständigen Verlusts der körperlichen Vitalität ist für Heine in seinen letzten Lebensjahren das sensualistische Programm allerdings nur noch Theorie; entsprechend bleibt ihm nichts anderes übrig als resignierend zu bedauern, dass seine letzte Liebe, die Mouche, »nur ein Gedicht«73 von ihm empfangen könne. Und es wirkt wie eine kontrastive Reminiszenz an jene von ihrem Sockel gestürzte marmorne Göttin, die sein Erzähler-Ich als Knabe geküsst hat, sowie an die »Venus des großen Canova« in Florenz, die seinem Protagonisten einst in Gestalt der lebenslustigen Franscheska, der mit den erotischen Füßen, so viel Liebesgenuss bereitete, wenn Heine bei seinem letzten Ausgang in Paris wiederum eine marmorne Venus aufsucht, diesmal jedoch unter umgekehrten Vorzeichen:

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Ebenda, S. 635. Ebenda, S. 640. Ebenda, S. 642. Ebenda, Bd. 6/1, S. 180. Ebenda, S. 312–313. Ebenda, S. 343. – Heine nannte Elise Krinitz, die ihn in den Monaten vor seinem Tod regelmäßig besuchte, die »Mouche« (=Fliege). Sie hat unter dem Pseudonym Camille Selden ihre Erinnerungen an ihn unter dem Titel »Heinrich Heines letzte Tage« (1882) niedergeschrieben.

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Nur mit Mühe schleppte ich mich zum Louvre, und ich brach fast zusammen, als ich in den erhabenen Saal trat, wo die hochgebenedeite Göttin der Schönheit, Unsere liebe Frau von Milo, auf ihrem Postamente steht. Zu ihren Füßen lag ich lange, und ich weinte so heftig, daß sich dessen ein Stein erbarmen mußte. Auch schaute die Göttin mitleidig auf mich herab, doch zugleich so trostlos, als wollte sie sagen: siehst du denn nicht, daß ich keine Arme habe und also nicht helfen kann?74

Höchstwahrscheinlich hat Heine auch diesen endgültigen persönlichen Abschied von irdischer Sinnenfreude stilisiert, d. h. für das Nachwort zum Gedichtband Romanzero inszeniert.

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Ebenda, S. 184. – Zur »Übereinanderschichtung paganer und christlicher Bildwelten« bei Heine und zu seiner »Ästhetik des Marmors« siehe Fohrmann: Von der marmornen Venus, S. 402.

Ulrike Tanzer

Gezähmte Gefühle: Ernst von Feuchtersleben und Ferdinand Raimund

1. Im Jänner 1849, wenige Monate vor seinem frühen Tod, verfasste der Arzt, Schriftsteller und Gelehrte Ernst Freiherr von Feuchtersleben, wirkliches Mitglied der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, auf deren Gesuch hin eine autobiographische Notiz. Der Text beinhaltet – wie gefordert – Angaben zu Herkunft und Ausbildung, zu Ämtern und Funktionen sowie eine Liste der Publikationen. Das schriftstellerische Oeuvre, das medizinische, pädagogische und literarische Texte umfasst, zeigt einen universal Gebildeten und vielfältig Interessierten. »Beinahe kein Feld des menschlichen Wissens blieb ihm fremd«, heißt es in Franz Grillparzers Erinnerungen.1 1806 in Wien in eine sächsische Beamtenfamilie hineingeboren, schlug Feuchtersleben nach seiner Ausbildung an der Theresianischen Akademie die medizinische Laufbahn ein und promovierte 1833. Wenige Jahre später wurde er zum Sekretär der Gesellschaft der Wiener Ärzte ernannt. Ab 1844 hielt er Vorlesungen an der Universität über Psychopathologie, im selben Jahr bekleidete er das Amt des Dekans der medizinischen Fakultät und 1847 das des Vizedirektors der medizinisch-chirurgischen Studien. Feuchtersleben betätigte sich aber auch politisch: Im Gefolge der Märzereignisse des Jahres 1848 erhielt er unter dem Ministerium Doblhoff-Dier die Stelle eines Unterstaatssekretärs im Unterrichtsministerium, die er bis zum Oktober ausübte. Im Juli 1848 war er in die Akademie der Wissenschaften aufgenommen worden. Eine längere Passage dieser autobiographischen Mitteilung, die hier in extenso zitiert werden soll, ist einer Folge von Aufsätzen gewidmet, die Feuchtersleben 1838 unter dem Titel Zur Diätetik der Seele2 veröffentlichte und die seinen (Nach-) Ruhm begründeten: Diese kleine Schrift [...] war eigentlich, als Ergebniß einsamer Selbstbetrachtung, nach so mancher Erfahrung in der Schule des Leidens – zur stillen Befriedigung meiner selbst geschrieben. Nur freundliche Theilname Einzelner, die es in Fragmenten lasen, rief seine Veröffentlichung hervor. Ich hatte keinen Grund, irgend ein lautes Echo davon zu erwarten, und erwartete auch keines. Allein hier bewährte sich das alte HABENT SUA FATA LIBELLI; und mit Überraschung erlebte ich die Wirkung, die von diesen bescheidenen Blättern ausging, und

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Grillparzer: Meine Erinnerungen an Feuchtersleben (1850/1851), S. 293–298, hier S. 295. Feuchtersleben: Zur Diätetik der Seele, S. 423–534.

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die sich dadurch zu erkennen gab, daß eigentlich von ihnen die Gunst herrührt, deren mein Name in der literarischen Welt sich etwa erfreut, und daß das Büchlein im Laufe von 10 Jahren 5 Auflagen erlebte. Aus den vielfachen Äußerungen und Zuschriften, die mir über dasselbe zukamen, entnahm ich zu meiner eigenen Belehrung, daß in bewegten Zeitläuften, im Stillen oft gemeinschaftlich gewiße Adern in den Gemüthern pulsiren, die, von einem treuen Untersucher an sich selbst bemerkt, berührt und getroffen, die Schwingung sich plötzlich einander mittheilen, und einen Zustand zur Erkenntniß bringen, der allen Einzelnen gemeinsam war, ohne ausgesprochen worden zu sein. Auf dieser Wirkung von der ehrlichen und naiven Mittheilung des Erlebten auf das Erlebende beruhen Erfolge, die selbst Schätze des Wissens und Fulgurazionen des Talentes nicht für sich haben.3

Die populärwissenschaftliche Schrift erzielte rasch mehrere Auflagen und fand weite Verbreitung. In ihr spiegelt sich das Sensorium Feuchterslebens, der mit Franz Grillparzer und dem Kreis um Franz Schubert4 eng befreundet war, für psychische Zustände wider. Allein in Wien erlebte die Seelendiätetik bis 1896 ihre 46. Auflage, avancierte also zu einem Bestseller, dessen Strahlkraft noch weit ins 20. Jahrhundert hineinreichte.5 Auslöser für die Schrift war – darauf wird im Text auch indirekt angespielt – der Selbstmord des Freundes Johann Baptist Mayrhofer im Februar 1836, der Feuchtersleben tief erschütterte. Der liberal gesinnte Lyriker Mayrhofer gehörte zum Freundeskreis Schuberts, war aber gleichzeitig als Zensurbeamter tätig.6 Er regte den 19 Jahre jüngeren Feuchtersleben zur Rezeption der naturphilosophischen Schriften Herders und Goethes an. Bereits zwei Jahre zuvor hatte sich der Vater Feuchterslebens nach zerrütteter (vierter) Ehe das Leben genommen. Ende August 1836 schießt sich Ferdinand Raimund aus Furcht vor einer Tollwutinfektion in den Mund und stirbt nach tagelangem Todeskampf. Diese wenigen Beispiele aus Feuchterslebens unmittelbarer Umgebung deuten auf ein tiefgreifenderes Leiden an den restriktiven politischen Verhältnissen, das sich in einer kollektiven Depression und einer großen Zahl an Selbstmorden manifestiert.7 Dies ist die Hintergrundfolie nicht nur für die seelendiätetische Schrift, sondern auch für die Komödien des Wiener Lachtheaters. Feuchtersleben, der zu den bedeutendsten Gelehrten des österreichischen Vormärz zählte, vertrat die Ansicht, dass durch Vernunft und Wille nicht nur seelische Harmonie erreicht, sondern das Erkranken selbst verhindert werden könne. »Selbsterkenntnis« so heißt es, sei »das wichtigste Resultat aller Bildung«; Selbstbeherr-

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Feuchtersleben: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 6, 1. Teil, S. 267–277, hier S. 272. Zu diesem Kreis zählten u. a. der Maler Moritz von Schwind, der Hofopernsänger J. M. Vogl, der Literaturhistoriker und Volkskundler Anton Ritter von Spaun, der Jurist Leopold von Sonnleithner sowie die Schriftsteller Franz von Schober, Anastasius Grün, Nikolaus Lenau und Eduard von Bauernfeld. Zur Diätetik der Seele erschien 1838 im Verlag Karl Armbruster in Wien. 2. Aufl. 1841, 5. Aufl. 1848, 7.–10. Aufl. 1851, 13.–16. Aufl. 1854, 40. Aufl. 1874, 45. Aufl. 1878, 46. Aufl. 1880, 50. Aufl. 1907. Damit war er im österreichischen Vormärz kein Einzelfall, wie die Beispiele Johann Ludwig Deinhardtsteins, Johann Gabriel Seidls, Johann Graf Mailáths und Johann Umlaufts zeigen. Vgl. Sonnleitner: Sentimentalität und Brutalität. Zu Raimunds Komödienpoetik des Indirekten. – In: Dürhammer, Janke (Hrsg.): Raimund – Nestroy – Grillparzer, S. 81–96.

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schung von zentraler Bedeutung8. In der Rezeption wurde lange der Einfluss Kants betont.9 Ebenso wichtig für die philosophische Konzeption der Seelendiätetik sind aber die naturgeschichtlichen bzw. -wissenschaftlichen Konzepte Herders und Goethes, deren Metamorphosenlehre und Lehre vom Gesetz des Ausgleiches der Gegensätze, die unter dem Einfluss der Spinoza-Renaissance und der Lehre Schellings entstanden.10 Im Vorwort zur zweiten Auflage heißt es lapidar: »Ob durch diese Blätter ein Hypochondrist geheilt oder erheitert werden wird? Ich zweifle. Genug, wenn sie den Heitern nicht hypochondrisch machen.« Die Zeitdiagnose, die Zerrissenheit und Weltschmerz beschreibt (»Wir sind müde, blasiert, zerfallen, inkomplett.«), erfordere allerdings »Stärkung, bittere Mittel – und wer sie uns am süßesten einwickeln kann, ist unser Mann«.11 Das aphoristisch geprägte Werk, in dem Herbert Seidler »eine Art Synthese aller Interessen Feuchterslebens«12 sieht, umfasst elf Kapitel; zwei davon sind den »Temperamenten, Leidenschaften und Affekten« gewidmet, ein weiteres der Hypochondrie. Feuchtersleben sieht – kurz zusammengefasst – Geist und Körper innig miteinander verbunden, in Anlehnung an Goethe, »als Ein- und Ausatmen des einen lebendigen Wesens«13. Die Vernunft sei zu bilden, denn es gebe »kein wirksameres und herrlicheres Mittel, die Affekte zu zähmen, als: ihr Verständnis«14. Die Leidenschaften seien nicht zu »ertöten, [...]; man wisse sie nur gegenseitig zu balancieren, zu mäßigen, zu beherrschen.« Die »Seelendiätetik« sei nichts anderes als »eine Erziehung des Leibes durch die Seele«15. Die Hypochondrie schließlich führt Feuchtersleben auf den Egoismus zurück (»Hypochondrie ist Egoismus, und Egoismus ist Rohheit«16. Mit dem Begriff »Diätetik« ist freilich mehr als das heute gebräuchliche Wort »Diät« gemeint. In der Antike verstand man unter »diaita« nicht nur die Kunst der richtigen Ernährung, sondern die Ausgewogenheit der Lebensweise überhaupt, also die richtige Abwechslung von Schlafen und Wachen, von Arbeit und Ruhe, Anstrengung und Entspannung.17 »Wahre Ruhe«, heißt es bei Feuchtersleben, »ist nicht Mangel an Bewegung – sie ist Gleichgewicht der Bewegungen«18.

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Feuchtersleben: Zur Diätetik der Seele, S. 479. Vgl. Rupprich: Ernst Freiherr von Feuchtersleben, Zur 100. Wiederkehr seines Todestages (3. September 1849); Seidler: Ernst Freiherr von Feuchtersleben Seine geistes- und literaturgeschichtliche Stellung in der Restaurationszeit, S. 235–249. Vgl. Blume: Romantische Naturphilosophie und »Praktischer Idealismus«, S. 397. Feuchtersleben: Zur Diätetik der Seele, S. 427. Seidler: Ernst Freiherr von Feuchtersleben Seine geistes- und literaturgeschichtliche Stellung in der Restaurationszeit, S. 237. Feuchtersleben: Zur Diätetik der Seele, S. 475. Ebenda, S. 497. Ebenda, S. 532. Ebenda, S. 481. Pisa: Ernst Freiherr von Feuchtersleben. Pionier der Psychosomatik, S. 82. Feuchtersleben: Zur Diätetik der Seele, S. 493.

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2. Mit seiner Schrift schreibt sich Feuchtersleben in eine lange Tradition ein. Aristoteles etwa versteht in seiner Nikomachischen Ethik alle Bewegungen der Seele, die von Lust oder Schmerz bzw. Unlust begleitet sind, als Affekte. Dazu zählen Begierde, Zorn, Furcht, Zuversicht, Neid, Freude, Liebe, Hass, Sehnsucht, Eifersucht und Mitleid.19 Da es von den Leidenschaften und Affekten stets ein Zuviel und Zuwenig gibt, besteht die Tugend im Versuch, mit ihnen umzugehen und die richtige Mitte (griech.: mesótes) zu treffen. Nicht das gänzliche Freisein von Affekten ist das Ziel tugendhaften Handelns, sondern die Vermeidung von Extremen bzw. das Finden des rechten Maßes.20 Der Einfluss des aristotelischen Modells, das bis ins Mittelalter stark prägend war, zeigt sich auch noch in den Affektenlehren Descartes’ und Spinozas, die die Bestimmung der Leidenschaft (passio, passion), der Begierde (désir, cupiditas) und der Lust (laetitia) sowie die kausale Erklärung ihrer Entstehung beinhalten. Die Frage der Beeinflussbarkeit der Affekte beschränkt sich auch dort auf die Möglichkeit mentaler Affektkontrolle. Die Affekte gelten als nichtrationale und daher als passiv verstandene seelische Phänomene. Spinoza vergleicht in seiner Ethik (1662–1665) die Kraft der Affekte (affectuum vires) mit der menschlichen Knechtschaft (servitus humana) und sieht in der Tugend den Einsatz der Vernunft gegen die Macht der Affekte. Die moderne Gefühlskultur – Gefühl wird zunächst ganz »unspezifisch« verwendet21 – hebt schließlich jene aristotelische Polarisierung von Affekt und Tugend auf und führt mit dem Stichwort des ,moral sense’ Ausprägungen sittlicher Affektualität ein. »Das Verhältnis von Denken und Fühlen, von ,Kopf und Herz’,« ist damit in der Debatte aber keineswegs obsolet geworden, sondern »hat das gesamte Zeitalter der Aufklärung beschäftigt«.22 In Feuchterslebens Schrift finden wir einen Nachklang davon. Im Mittelpunkt steht aber die psychische Lebensverbesserung – und damit eine neue Perspektive in der zeitgenössischen medizinischen Debatte. Die Anfänge der Wiener Psychologie und Psychiatrie sind geprägt vom Gegensatz zwischen einer psychologisch-anthropologisch und einer anatomisch-mechanistischen Auffassung. Der Philosoph und Mediziner Philipp Carl Hartmann (1773– 1830), Exponent der romantischen Medizin in Wien und Lehrer Feuchterslebens, legte 1808 eine Veröffentlichung mit dem Titel Glückseligkeitslehre für das physische Leben des Menschen; oder die Kunst, das Leben zu benutzen und dabei Gesundheit, Schönheit, Körper- und Geistesstärke zu erhalten und zu vervollkommnen vor.23 Feuchtersleben transponierte diese von seinem Lehrer »für das physische 19 20 21

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Aristoteles: Nikomachische Ethik, II 4. 1105 b, 21–23. Ebenda, II, 1106 b, 22ff. »In der Neuzeit wird der Begriff zunächst unspezifisch verwendet sowohl zur Bezeichnung von Gefühlen im Sinne von Gemütsbewegungen (emotions) im weiteren und Leidenschaften (passions) im engeren Sinn als auch zur Benennung von Sinnesempfindungen (sensations).« Vgl. Franke, Oesterle: Gefühl I. – In: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 3, Sp. 82– 89, hier Sp. 82. Franke, Oesterle: Gefühl II – ebenda, Sp. 90. Mit dieser bewusst populärmedizinisch konzipierten Schrift erweiterte Hartmann die auf

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Leben« eingeschlagene Richtung in der Diätetik auf das Gebiet der psychischen Lebensverbesserung. Die Lebensharmonie bleibt auch hier bestimmende Maxime. Damit nimmt Feuchtersleben im Richtungsstreit zwischen ›Somatikern‹ und ›Psychikern‹ mit seinem ganzheitlichen Konzept eine ausgleichende Position ein.

3. Wie überbordenden Leidenschaften und Affekten beizukommen sei, dies hat auch der Dramatiker Ferdinand Raimund (1790–1836) in seinen Zauberspielen vielfach thematisiert. Am eindrücklichsten geschieht dies wohl in seinem »Romantischkomischen Original-Zauberspiel in zwei Aufzügen« Der Alpenkönig und der Menschenfeind, entstanden im Sommer 1828 – also zehn Jahre vor Feuchterslebens Schrift – und am 17. Oktober 1828 im Theater in der Leopoldstadt uraufgeführt. Nach misslungenen Versuchen in der ernst-tragischen Dramatik markiert das Stück – so zeitgenössische Kritiken – Raimunds geglückte Rückkehr zum Unterhaltungstheater. Ob Feuchtersleben eine der Aufführungen sah, ist nicht dokumentiert.24 Dass der Mediziner den Theaterdichter aber überaus schätzte, dafür gibt es einige Belege.25 Anfang der dreißiger Jahre dürfte Feuchtersleben in seinem Freundeskreis Raimund auch persönlich begegnet sein.26 Im Zauberspiel Der Alpenkönig und der Menschenfeind wird ein ähnlicher Prozess der Selbsterkenntnis in Szene gesetzt, aber mit den theatralen Mitteln des Wiener Volkstheaters. Raimund verbindet nämlich das Motiv des Menschenfeindes, das bereits vorher in William Shakespeares Timon von Athen, Molières Misanthrop und in Friedrich Schillers Fragment Der [versöhnte] Menschenfeind gestaltet wurde, mit dem traditionellen Handlungsmodell des Besserungsstücks, das eine Ausformung des Zauberstücks darstellt. Josef Alois Gleichs Der Berggeist oder Die drei Wünsche (1819), eines der bekanntesten Besserungsstücke, in dem Raimund oft die Hauptrolle des Herrn von Mißmuth spielte, könnte das Vorbild für die Figur

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Vermehrung der Lebensquantität reduzierte Musterdiätetik seines Freundes Christoph Wilhelm Hufeland (1762–1836) Makrobiotik oder Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern (Jena 1796) zugunsten einer Vermehrung der Lebensqualität. Hufeland, der Naturheilverfahren mit szientifischer Medizin zu verbinden suchte, behandelte Goethe, Schiller, Herder und Wieland sowie das preußische Königspaar. – Dr. Silvia Bengesser (Salzburg) danke ich in medizinhistorischen Fragen für wichtige Hinweise. Zum Verhältnis von Literatur und Medizin hält Karl Pisa fest: »Mit seiner ,Seelendiätetik’ glich Feuchtersleben keinem Rufer in der Wüste, er untermauerte nur mit seinem medizinischen und philosophischen Wissen, was in der Theaterstadt Wien seit Jahren von den Bühnen ans Ohr des Publikums drang.« Vgl. Pisa: Ernst Freiherr von Feuchtersleben, S. 83. Am 4. Oktober 1827 schreibt Feuchtersleben etwa an seinen Freund Franz Romeo Seligmann über »Moisasurs Zauberfluch; ein großes tragisch-komisches Original-Zauberspiel; von Ferd. Raimund«: »Ich kan auf so beschränktem Raume nicht genug hierüber sagen; allein, ist der Titel etwas burlesk, so ist das Werk um so erhabener. Die Allegorie des Stückes rührt an die geheimsten Töne des Daseins, und es erklingen welche, die noch nie gehört worden sind. [...]« Vgl. Feuchtersleben: Sämtliche Werke und Briefe, 6. Bd., 1. Teil, S. 21f. Feuchtersleben dürfte Raimund unter den ›Sternianern‹ des Freundeskreises begegnet sein. Vgl. Feuchtersleben: Sämtliche Werke und Briefe, 6. Bd., 2. Teil, S. 358.

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des Alpenkönigs abgegeben haben.27 Der Titel des Stücks Der Alpenkönig und der Menschenfeind verweist auf die Zauberspieltradition, obgleich der Handlungsraum nicht zweigeteilt, sondern ausschließlich »auf und um Rappelkopfs Landgut«28 beschränkt ist. Das Areal ist weitläufig und vielgestaltig und reicht von den Räumlichkeiten des Landguts über den Hochwald bis zu den Alpengipfeln. Astragalus, dessen Name von der Alpenpflanze »astragalus frigidus« stammen könnte, hat darin sein Herrschaftsgebiet.29 Auch der Thronsaal des Astragalus am Beginn des 2. Aktes, die einzige Szene mit märchenhaft-phantastischer Ausstattung, ist als Eispalast im Hochgebirgsgletscher topographisch den anderen Orten zugeordnet. Der Alpenkönig selbst erinnert wie der »Berggeist« Gleichs an die volkstümlich-märchenhafte Figur des Rübezahl. Er ist Repräsentant einer menschenfreundlichen Geistergemeinschaft, der die mit goldenen Kugeln geschossene Jagdbeute »ins dürft’ge Tal [...] / An Bewohner nied’rer Hütten«30 verteilen lässt. Im Monolog, der den in Zaubermärchen üblichen Dualismus, den Kampf zwischen Gut und Böse, in Erinnerung ruft, findet sich eine Analogie zur Menschenwelt. Wohl soll in der Geister Walten Lieb’ und Großmut mächtig schalten, Und ihr Wesen hoher Art, Wo sich Kraft mit Freiheit paart, Soll, befreit von ird'schem Band, Schwingen sich an Äthers Rand. Doch, so wie's im Menschenleben Bös- und Gutgesinnte gibt, Jener haßt und dieser liebt, So ist's auch in Geistersphären, Daß nicht all' nach oben kehren Ihr entkörpert' Schattenhaupt, Und des hehren Sinns beraubt, A u c h der Böse schaut nach unten, An die finstre Macht gebunden! [...]31

Der Monologschluss antizipiert das Schlussbild des zweiten Aktes, wenn es heißt, dass Astragalus »manch Verirrten« wieder auf den sicheren, d. h. rechten Weg bringt. Doch wenn ich am Pilgerstab Manch Verirrten wandern sehe, Steig' von meiner wolk'gen Höhe Nieder ich zum Erdenrunde, Reich’ ihm schnell die Hand zum Bunde, Und leit' ihn mit Freundessinn Zum Erkenntnistempel hin.32 27 28 29

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Vgl. Hein: Nachwort, S. 91. Raimund: Der Alpenkönig und der Menschenfeind, S. 4. Möglich ist auch eine Ableitung von ›astra‹ (Sterne) und ›galus/gal‹ (festliche Kleidung) als ›Sternenmantel‹. Vgl. ebenda, S. 93. Raimund: Der Alpenkönig und der Menschenfeind, I, 2, S. 6. Ebenda, I, 3, S. 7. Ebenda, I, 3, S. 8.

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Die Gattungsbezeichnung »romantisch« deutet die ›Stilmischung‹ an, die sich aus Märchen, Sagen und Geisterromanen, Elementen rationalistischer Glückseligkeitsphilosophie sowie irrationalen Strömungen der Empfindsamkeit und des Sturm und Drang speist. Prüfungen, Erlösungen, Sinnlich-Schaubares bestimmen die Dramaturgie der Gattung, die nach 1818 immer parodistischere Züge annimmt. (Allein im Leopoldstädter Theater, das übrigens auch Joseph von Eichendorff häufig aufsuchte, wurden bis 1839 an durchschnittlich 150 Spielabenden pro Jahr parodistische Zauberspiele gegeben.) Die Geister, Feen und Allegorien der Zaubersphäre werden der irdischen Welt angeglichen, also gleichsam ,verwienert’; der Zauberapparat auf seine mechanische Funktion reduziert.33 Ferdinand Raimund geht in seiner Konzeption des Zauberspiels über diese primäre Unterhaltungsfunktion allerdings hinaus. »Das Barocke ist sein Verdienst, aber sein großes Verdienst«, notiert Franz Grillparzer in seinem Tagebuch über den Zeitgenossen,34 der sich als Tragiker fühlte, aber als Komiker gefeiert wurde und der sich als Dichter, nicht als Stückeschreiber empfand. In Raimund, der die barocke Dramatik reformiert und mit aufklärerischen Elementen mischt, hat die jüngere Forschung einen »Stilrevolutionär«35 erkannt. Das Nebeneinander von Ernst und Komik, märchenhaftem Zauber und kruder Wirklichkeit, hohem und niederem Stil, Hochsprache und Dialekt lassen auf eine vielschichtigere Dramaturgie schließen, als lange Zeit angenommen.36 »Sentimentalität neben Brutalität des Menschen, nacheinander gezeigt und scheinbar achtlos zu einer Einheit gebunden, geben die wundervolle Szene eines großen Dichters«37, formuliert Robert Musil in seiner Besprechung einer Burgtheateraufführung von Raimunds Der Alpenkönig und der Menschenfeind. Und Reinhard Urbach betont, dass »gewaltsame Bekehrungen, erzwungenes Glück, erpreßtes Einverständnis«38 Raimunds Werk prägen. Gegen Gewalt und Revolution setze er Ideale des Genügsamen, Unheroischen, Unpolitischen und stelle dar, wie schwierig bis unmöglich es sei, sie zu wahren oder zu verwirklichen. Raimund greift auf das vertraute Repertoire der Vorstadtkomödie zurück, vermag ihm aber – wie dies Volker Klotz beobachtet hat – »unverhofft kühne Wendungen« abzugewinnen.39 Die Komik übernimmt dabei nicht selten eine vermittelnde Funktion, um »die Spannung zwischen der Alltagswelt und dem überirdischen Ordnungssystem in der Spielwelt« aufzuheben.40 Diese Spur, die Raimunds komplexes Verhältnis zur Formtradition und seine innovative Leistung betont, soll hier weiterverfolgt werden, und zwar im Zusammenhang mit der Darstellung von Gefühlen, die in diesem Stück von zentraler Bedeutung ist. 33 34

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Hein: Das Wiener Volkstheater, S. 65–68. Grillparzer: Studien und Aufsätze. Zur Sprache, zu Literatur, Theater, Musik und bildender Kunst – Sämtliche Werke, Bd. 3, S. 259–909, hier S. 829. Hein: Das Wiener Volkstheater, S. 127. Ebenda, S. 127. Musil: Gesammelte Werke, Bd. 9, S. 1654f. Urbach: Ferdinand Raimund. – In: Bürgersinn und Aufbegehren. S. 418–421. Klotz: Radikaldramatik, S. 12. Hein: Gefesselte Komik und entfesselte Lachlust. Raimund und Nestroy, S. 39.

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4. Burkhard Meyer-Sickendiek untersucht in seiner Affektpoetik den Zusammenhang zwischen literarischen Gattungen und den sie prägenden affektuellen Regungen. Nicht rezeptionsästhetische Fragen stehen hierbei im Vordergrund, also welche Affekte im Sinne des rhetorischen ›movere‹ beim Zuhörer ausgelöst werden, sondern produktions- und werkästhetische Konzepte. Affektpoetik begreift »literarische Gattungen, d. h. übergeordnete Textformen als Medien, in denen sich menschliche Affekte artikuliert, transformiert oder kanalisiert haben.«41 Dies bedeutet, vereinfacht gesprochen, dass Emotionen wie etwa Angst, Ärger, Trauer, Freude und Liebe42 auf spezielle Gattungen der Literatur bezogen und hinsichtlich ihres historischen Wandels analysiert werden.43 So wird etwa Schuld der Tragödie zugeordnet, Angst dem Märchen und Glück der Idylle. Auf Raimunds Stücke umgelegt, bedeutet die Gattungsmischung auch ein Aufeinanderprallen unterschiedlicher Leidenschaften und Emotionen. Während im 1826 uraufgeführten Zaubermärchen Das Mädchen aus der Feenwelt oder Der Bauer als Millionär das Motiv der Fortuna mit Elementen der Idylle verschränkt wird und damit verschiedene Glückskonzeptionen durchgespielt werden,44 treffen im Stück Der Alpenkönig und der Menschenfeind Menschenhass und Liebessehnsucht aufeinander. Malchen und August sind das Liebespaar, dessen Verbindung von Malchens Vater, dem reichen Gutsbesitzer Herrn von Rappelkopf, verhindert wird. Ihre Liebe ist ihm ein Ärgernis, auf ihr Ansinnen zu heiraten, reagiert er mit Ablehnung. Die Konstellation könnte einem empfindsamen Stück entnommen sein, die Sprache Rappelkopfs verweist auf die Tradition der Komödie. Meine Tochter – wie betrübt – Ist das ganze Jahr verliebt. Alle Tag’ ist das ein G’winsel Um den Maler, um den Pinsel, Der kaum hat ein Renommee, Und vom Geld ist kein’ Idee.45

Das Auftrittslied Rappelkopfs enthält bereits alle Symptome seiner »Seelenkrankheit«46. Von der Welt enttäuscht, will er sich in die Einsamkeit zurückziehen. Gefühle werden zwar benannt. Sie treten aber nicht mehr als allegorische Figuren auf 41 42

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Meyer-Sickendiek: Affektpoetik, S. 9. Im Handbuch Emotionspsychologie werden folgende Emotionen zu den Grundformen gezählt: a) Angst; b) Ärger; c) Trauer; d) Freude und Glück; e) Erheiterung; f) Liebe, Verliebtsein und Zuneigung; g) Überraschung; h) Peinlichkeit, Scham und Schuld; i) Neid und Eifersucht; j) Ekel und Verachtung. Vgl. Otto, Euler, Mandl (Hrsg.): Emotionspsychologie, S. 189–296. Meyer-Sickendiek: Affektpoetik, S. 35. Vgl. Tanzer: Zufriedenheit als utopischer Gegenentwurf. Glückskonzeptionen in Raimunds Das Mädchen aus der Feenwelt oder Der Bauer als Millionär. – In: Ehalt, Hein (Hrsg.): Ferdinand Raimunds inszenierte Fantasien, S. 17–34. Raimund: Der Alpenkönig und der Menschenfeind, I, 12, S. 22. Ebenda, I, 8, S. 17.

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wie im Zaubermärchen Der Bauer als Millionär, sondern werden ins sprachliche Bild verschoben – und gleichzeitig als Chimäre entlarvt. »Die Liebe, die Sehnsucht, die Freundschaft, die Treue,« heißt es im Lied weiter, das die Aufgabe der Exposition und Charakterisierung der Figur des Rappelkopf erfüllt, Mir fall’n s’nur nicht alle g’schwind ein nach der Reihe, Die lockenden, falschen, gewandten Mamsellen, Die mich fast ein halbes Jahrhundert schon prellen, Die lad’ ich noch einmal zum Frühstück ins Haus Und peitsch’ sie, wie Timon, zum Tempel hinaus.47

Rappelkopf misstraut seiner engsten Umgebung, er fühlt sich hintergangen und verfolgt. Sein Wahn steigert sich zur blinden Raserei. Seine Gefühlswelt ist voller Widersprüche. Er hasst das Geld und die Kunst, und er liebt die Natur. In besonderem Maße hasst er die Malerei als »Verleumderin der Natur«48, verkörpert durch den jungen Maler August. Ganz anders reagiert der Alpenkönig, der als Gegenspieler und Kontrastfigur zu Rappelkopf eingeführt wird. In dieser Figur verbindet sich Traditionelles mit psychologisch-realistischen Komponenten. Astragalus, der seine Geistermacht zurücknimmt und nur als Korrektiv einsetzt, erweist sich als weiser Vertreter der Vernunft, als ›pater familias' und Garant familialen Zusammenhalts.49 Nicht von ungefähr ist in ihm zuweilen das österreichische Wunschbild vom ,guten Kaiser' gesehen worden.50 Die Liebe des jungen Paares rührt ihn und veranlasst ihn erst dazu, in das Geschehen einzugreifen. Seine Rede ist im hohen Ton gehalten, gravitätisch und erhaben. Schon zweimal sah ich eurer Herzen Brand Wie Morgenrot auf Lilienschnee erglühen, Und Tränen, edler Sehnsucht nur verwandt, Leidkündend über eure Wangen ziehen, Und weil mich dies so inniglich erfreut, Dass ihr so seltsam treu noch denket, Hab’ ich euch meine Fürstengunst geweiht Und eure Lieb’ mit meinem Schutz beschenket.51

Die Wechsel und Übergänge zwischen den Sprachebenen, von Vers, Hochsprache bis zum Dialekt, eine Hauptquelle des Raimund’schen Humors, markieren nicht nur gesellschaftliche Bereiche. Sie sind auch vom Zustand der sprechenden Figur abhängig. Das Auf und Ab der Gefühle korrespondiert zudem mit einem unruhigsprunghaften Handlungsverlauf. Die gesamte Handlung erstreckt sich über zwei 47 48 49 50

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Ebenda, I, 12, S. 22. Ebenda, I, 15, S. 27. Vgl. Hassel: Familie als Drama, S. 133–142. Vgl. Politzer: Zauberspiegel und Seelenkranker. Ferdinand Raimunds Der Alpenkönig und der Menschenfeind; Schmidt-Dengler: Ferdinand Raimund. Der Alpenkönig und der Menschenfeind.. Raimund: Der Alpenkönig und der Menschenfeind, I, 6, S. 15.

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Tage – vom Morgen des ersten, der mit Astragalus’ Erscheinen und der Konfrontation mit dem uneinsichtigen Rappelkopf endet, bis zum Abend des nächsten. Die Ortswechsel im ersten Aufzug sind zum Teil mit Rückgriffen verknüpft. Nacheinander werden Vorgänge realisiert, die eigentlich simultan zu denken sind. Zudem bedarf der Vollzug der ersten Wette eines großen Aufwands an Maschineneffekten. Besonders komplex – gerade auch was die Gefühlsdarstellung anbelangt – ist die sogenannte »Köhlerhütten«-Szene52, in der viele Interpreten einen für biedermeierliche Verhältnisse »erstaunlichen Realismus des sozialen Elendsmilieus« (Martin Greiner) sehen. In dieser Szene kollidieren zwei verschiedene Stückebenen. Die »reizende Gegend am Fuß einer Alpe«53 und das Landgut Rappelkopfs, Szenerien des ersten Aufzuges, werden von einer rußigen und heruntergekommenen Köhlerhütte als Schauplatz abgelöst. Salchens fröhlicher Gesang am Spinnrad von Liebe und Genügsamkeit wird vom Schreien der Kinder nach Brot konterkariert. Der Versuch, die ländliche Idylle herbeizusingen, scheitert, als der betrunkene Vater – handlungsunfähig – droht: »Wann’s nicht euern Schnabel halt’s / Schlag’ ich euch noch tot.«54 Das im Auftrittslied suggerierte Bild von Zufriedenheit und Liebesglück wird endgültig zerstört, als Rappelkopf kurzerhand die Hütte kauft und das subproletarische »Hottentottenvolk«55 vor die Türe setzt. Der Auszug der armen Köhlerfamilie aus dem angeblich »stillen« Haus ist die Konsequenz der Trunkenheit des Vaters, durch die biedermeierliche Musik Wenzel Müllers »zur schwarzen Idylle verklärt«56. Die Sozialproblematik, die auf naturalistische Dramen vorausweist, löst sich in Komik und sentimentalen Abgesang auf.

5. Im Mittelpunkt des Stücks steht der Läuterungsprozess Rappelkopfs, den Raimund als »eine Art dramatisch-psychologische Fallstudie« ablaufen lässt.57 Rappelkopf, der kein Empfinden für seine eigene Lächerlichkeit, für sein Misstrauen und sein widersprüchlich-wahnhaftes Verhalten hat, weigert sich, sich selbst zu erkennen.58 Sein Inneres wird nicht nur durch Handlungen offenkundig, sondern auch durch sein Äußeres, das er nicht mehr erträgt. Als er sich selbst im Spiegel erblickt, erschrickt er: »Schau ein das alte G’sicht! Das ertrag’ ich länger nicht« und zerschlägt »den Spiegel mit geballter Faust«59. Sein Zorn trifft den Spiegel, sein Menschenhass richtet sich aber letztlich gegen sich selbst. Das Spiegelbild ist ebenso wenig ein Schritt zur Selbsterkenntnis wie die Rede des Alpenkönigs. Raimund lässt den 52 53 54 55 56 57 58

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Ebenda, I, S. 19–20. Ebenda, I, 1, S. 5. Ebenda, I, 19, S. 34. Ebenda, I, 20, S. 38. Stieg: Alkohol auf dem Theater und im Lied von Mozart bis Qualtinger. Holtz: Ferdinand Raimund – der geliebte Hypochonder, S. 142 Der österreichische Psychiater Erwin Ringel zitiert Raimunds Stück, um die Notwendigkeit der Selbsteinsicht im psychotherapeutischen Prozess zu betonen. Vgl. Glatz: Die Funktion des literarischen Zitats im psychiatrischen Werk von Erwin Ringel, S. 26f. Raimund: Der Alpenkönig und der Menschenfeind, I, 18, S. 31.

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Versuch, Rappelkopf mit Argumenten zu überzeugen, auf der Bühne grandios scheitern. Weil nicht Vernunft kann dein Gemüt gewinnen, Soll Geistermacht zu deinem Glück dich zwingen, Und mit dem Alpenkönig wirst du ringen.60

Die Wandlung Rappelkopfs wird damit zum mehr oder weniger theatralischen Spiel, in dem sich Raimunds Sinn für visuelle Akzente und spektakuläre Theatereffekte zeigt.61 Nachdem Rappelkopf in Astragalus’ Eispalast gelangt ist, wird ihm und dem Publikum der weitere Handlungsverlauf des Dramas erklärt. Der Alpenkönig verkündet, in eine lichtblaue, weißgestickte Tunika und einen weiten griechischen Mantel gewandet, auf welche Weise der Menschenfeind doch noch zur Vernunft gebracht werden soll. Rappelkopf kommentiert das für ihn ungünstige Unterfangen nicht ohne Ironie. Nachdem er hört, dass Astragalus seine Rolle einnehmen wird, damit ihm in der Gestalt des Schwagers ein »Seelenspiegel«62 vorgehalten werden könne, ihre Leben aber aneinandergeknüpft werden, bemerkt er konsterniert: Zwei Menschen und nur ein Leben! Jetzt fangt sogar die Natur zum Ökonomisieren an. Nun gut, so lass denn sehen, was deine Taschenspielerei vermag. Der Prozeß ist eingeleitet. Ein unendlich verwickelter Fall, der wird in 100 Jahren nicht aus. Also, was g’schieht denn jetzt? Hab’ ich noch meinen Geist, oder hat ihn schon ein anderer? Bin ich schon mein Schwager, oder bin ich noch der Schwager meines Schwagers?63

Die Therapie durch Außensicht macht den wesentlichen Inhalt des zweiten Aufzugs aus, die auf einer seelischen Spaltung beruht. Rappelkopfs seelische Qualitäten gelangen in den Doppelgänger, während sein moralisches und ästhetisches Urteilsvermögen (»Kraft der eigenen Gesinnungen«64) sich als sein Ich im Körper seines Schwagers wiederfindet. Psychologische Zustände und innere Konflikte werden bei Raimund, und dies betrifft auch sein Briefwerk, »durchwegs als Personifikationen ausgeführt«.65 Interessant sind die illusionsbrechenden Momente, die zur Entzauberung beitragen: Gefühlsausbrüche und -umschwünge werden durch häufiges Beiseitesprechen kommentiert. Rappelkopf erkennt die umständliche Verwicklung, und Astragalus gibt zu, dass er sich nur »scheinbar« in Rappelkopf verwandeln wird, um so »durch Trug zu seinem Besten handeln« zu können66. »Diese Tatsache«, so 60 61

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Ebenda, I, 27, S. 50f. Die Arbeit an der neuen historisch-kritischen Ausgabe zeigt, dass Raimund Details in den Handschriften mehrmals änderte und diese mit den Theatermalern, also den Bühnenbildnern, ausführlich besprach. Vgl. Walla: Schwarz auf weiß, doch zwischen den Zeilen gelesen: Erkenntnisse aus Ferdinand Raimunds Handschriften. – In: Ehalt, Hein (Hrsg.): Ferdinand Raimunds inszenierte Fantasien, S. 103–128, hier S. 121. Raimund: Der Alpenkönig und der Menschenfeind, II, 2, S. 55. Ebenda, II, 2, S. 56. Ebenda. Vgl. Lach: »Worte die man spricht« und »Worte die man schreibt« – Ferdinand Raimunds Briefe an Antonie Wagner, S. 58. Raimund: Der Alpenkönig und der Menschenfeind, II, 3, S. 57.

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Mathias Mansky, »reduziert den psychologischen Wert des vorher angesprochenen Seelenspiegels zum bloßen Theaterspiel.«67 Zwar unterstreichen Spiegelmotiv und Doppelgängerthematik Zerrissenheit und Selbstentfremdung, gleichzeitig wird jedoch mit der Erwartungshaltung des Publikums gespielt. Dennoch führt der zweite Akt des Stücks weit über die Strategien hinaus, die Raimund im Zaubermärchen Das Mädchen aus der Feenwelt oder Der Bauer als Millionär zur Bekehrung des Fortunatus Wurzel anwendet. Allegorien wie Jugend, Alter und Zufriedenheit werden dort mit den handelnden Personen konfrontiert und in Beziehung gesetzt. Die Besserung erfolgt ausschließlich mit Mitteln des Zauberspiels. Die Identitätskrise, dies sei hier nur angedeutet, wird auf der ›niederen‹ Ebene noch einmal durchgespielt. Die rührend-komische Dienerfigur Habakuk ist in ihrer Existenz gefährdet, wenn sie nicht mehr sagen darf, sie sei »zwei Jahre in Paris gewesen«.68 Die Aufhebung des Redeverbots und seine Dankbarkeit für »eine Wollust, die nicht zu beschreiben ist«69 demonstriert einen harmlosen Wahn. Rappelkopfs Lied, das auf diese Szene folgt, zeugt zwar von seiner gewonnenen Selbsterkenntnis, ist aber auch von einem tiefen Pessimismus geprägt. Gunter Holtz hat zu Recht auf die Nähe zum barocken Vanitas-Motiv hingewiesen.70 Der Egoismus ist die Achse Ein jeder zahlt am End’ die Taxe; Die Erd’ –- es kömmt darauf heraus, Ist nur im Grund ein Irrenhaus. Und wie ich nach und nach gewahr’, So bin ich selbst ein großer Narr.71

Am Schluss der Handschrift findet sich folgender Eintrag: »Nur einer Zauberei hat es gelingen können, mich von meinem Menschenhaß zu heilen«72. Diese Aussage wurde vielfach biographisch gelesen, die Figur des Rappelkopf mit dem Menschen und Autor Raimund gleichgesetzt. Nicht nur Zeitgenossen verwiesen auf die hypochondrische Disponiertheit Raimunds, auf seine Schwermut und innere Zerrissenheit. Heinz Politzer vertritt die Ansicht, dass in dieser Figur der Dichter seine eigene gespaltene Persönlichkeit bis ins psychologische Detail getroffen habe.73 Selbst eine Studie jüngeren Datums trägt noch den bezeichnenden Titel Ferdinand Raimund – der geliebte Hypochonder74. Das Interesse an Raimunds Biographie hat zweifellos zur Legendenbildung beigetragen und jahrzehntelang sein Werk und dessen Deutung verstellt.75 Die Identifi67

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Mansky: Ferdinand Raimunds Schockdramaturgie. – In: Ehalt, Hein (Hrsg.): Ferdinand Raimunds inszenierte Fantasien, S. 70–86, hier S. 81f. Raimund: Der Alpenkönig und der Menschenfeind, II, 15, S. 74. – Zur Darstellung von Gefühlen in der Komödie vgl. Pape: Desperations-Paroxismen und ruhige Sarkasmus-Languissance. Raimund: Der Alpenkönig und der Menschenfeind, II, 19, S. 79. Holtz: Ferdinand Raimund, S. 150. Raimund: Der Alpenkönig und der Menschenfeind, II, 20, S. 80. Raimund: Sämtliche Werke, Bd. 2, S. 206. Vgl. Politzer: Zauberspiegel und Seelenkranker. Ferdinand Raimunds Der Alpenkönig und der Menschenfeind. Vgl. Holtz, Ferdinand Raimund. Vgl. Klaffenböck: Ferdinand Raimund und das ›Alt-Wiener Antlitz‹.

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kation des Dichters mit seiner Figur ist und bleibt problematisch. Resümierend hält der Raimund-Forscher Jürgen Hein fest: »Parallelen zwischen seinen persönlichen Anlagen, seinem schauspielerischen Stil und Strukturen seiner Dramatik gehören zum Standard jeder Raimund-Biographie.«76 Ein Blick auf die Lebensumstände der Vormärzautoren, auf staatliche Kontrolle, Bespitzelung und Repression, lohnt dennoch. Zwar scheint Raimund im Genre der Zauberstücke und Märchendramen eine Form gefunden zu haben, mit der er die Zensur umgehen und die Ansprüche des Publikums befriedigen konnte. Unter der scheinbar glatten und harmlosen Oberfläche werden aber die Brüche und Unwägbarkeiten, Lebensangst und Brutalität sichtbar. Raimunds Dramaturgie ist »unberechenbar«77 geworden. Auf der Bühne entpuppen sich die Dramenschlüsse als unmotiviert und fragil.78 Rappelkopf wird am Ende als »pensionierter Menschenfeind«79 in den mit Gold verzierten Kristallsäulen ausgestatteten Tempel der Erkenntnis gestellt, ein Lied auf die Selbsterkenntnis singend. Die oft zitierte Schlusszeile »Ich hab’ mich erkannt heut’, ich weiß wer ich bin« findet sich nicht in der Handschrift, hat aber Eingang in mehrere Raimund-Ausgaben gefunden.80 Ob die Selbsterkenntnis als erster Weg zur »Besserung«, wie es Feuchtersleben formuliert hat, gelingt, bleibt damit offen. Der Menschenfeind ist, wenn schon nicht geheilt, so doch gezähmt.

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Hein: Gefesselte Komik und entfesselte Lachlust. Raimund und Nestroy. – In: Dürhammer, Janke (Hrsg.): Raimund – Nestroy – Grillparzer, S. 32. Mansky: Ferdinand Raimunds Schockdramaturgie. – In: Ehalt, Hein (Hrsg.): Ferdinand Raimunds inszenierte Fantasien, S. 83. Vgl. Roe: Raimunds Dramenschlüsse und die Tradition des Wiener Volkstheaters. Raimund: Der Alpenkönig und der Menschenfeind; II, 29, S. 89: So etwa in den Ausgaben von Johann Nep. Vogl (1855), von Eduard Castle (1903) und von Franz Hadamowsky (1984). Zur Editionsgeschichte siehe auch Renner: »... da streitn sich die Leut herum...« oder Warum wir eine neue Raimund-Ausgabe brauchen. – In: Ehalt, Hein (Hrsg.): »besser schön lokal reden als schlecht hochdeutsch«, S. 55–70. – Dr. Walter Obermaier (Wien) danke ich in diesem Zusammenhang für wichtige Hinweise und freundliche Unterstützung.

ÄSTHETIK DER GEFÜHLE

Bernd Hamacher

»Du fühlst es besser, fühlst es tief und – schweigst«: Liebe, Schönheit und Kunst in Goethes Torquato Tasso

Reden ist Silber – Schweigen ist Gold. Bereits im ersten Auftritt von Goethes Tasso stellt sich das zentrale Problem der Möglichkeit bzw. Unmöglichkeit der Verbalisierung von Emotionen. Leonore zur Prinzessin: »Drängt mich [...] das volle Herz / Sogleich zu sagen was ich lebhaft fühle; / Du fühlst es besser, fühlst es tief und – schweigst.«1 Auf Anhieb möchte man dem vielleicht zustimmen, wenn die Figuren sich um Kopf und Kragen reden und vordergründig nichts geschieht. »Nur schade, daß das Stück auch wieder dem unsichtbaren Theater angehört.«2 Was Goethe am 28. August 1807, an seinem 58. Geburtstag, an Adam Müller über Heinrich von Kleists Lustspiel Der zerbrochne Krug schrieb, kann nirgendwo mit so viel Recht gegen Goethe selbst gewendet werden wie im Falle des Torquato Tasso. »Eigentlich geschieht nichts«, stellte auch Hugo von Hofmannsthal in seiner Unterhaltung über den ›Tasso‹ von Goethe (1906) fest.3 Warum aber sollte ausgerechnet der Augenmensch par exellence ein so handgreifliches Beispiel für unsichtbares Theater liefern? Warum auch hat er sich über eine so lange Zeit mit dem Drama beschäftigt, das immerhin zwei entscheidende Lebenswenden seines Autors überspannt und damit drei Schaffensphasen miteinander verbindet: das erste Weimarer Jahrzehnt, die Jahre der italienischen Reise und die ersten Jahre in Weimar nach der Rückkehr aus Italien?4 Im ersten Auftritt sehen wir die Prinzessin und Leonore erwartungsfroh. Auf welche Verheißung hoffen sie, was versprechen sie sich und was dürfen wir uns heute noch versprechen? Das Versprechen besteht darin, dass an den Bäumen bereits Früchte sichtbar sind, obwohl sie doch, im »neuen Frühling« (Vs. 19), erst in frischem Grün und neuer Blüte stehen. Blüte und Frucht zugleich – eine topische Vollkommenheitsvorstellung, wobei es nicht die Natur selbst, sondern der Dichter, also Tasso, ist, der eine solche Vorstellung, nach den Worten der Prinzessin, zu verwirklichen scheint:

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Goethe: Torquato Tasso. Ein Schauspiel – Werke (Weimarer Ausgabe), Abt. I, Bd. 10, S. 103–244, hier S. 108–109, Vs. 86–88. Zitate aus Torquato Tasso im Folgenden nach dieser Ausgabe unter Angabe des Verses im laufenden Text. Goethe: Werke, Abt. IV, Bd. 19, S. 402. Hofmannsthal: Unterhaltung über den Tasso von Goethe – Sämtliche Werke, Bd. 31, S. 107–117, hier S. 113. Vgl. zu Torquato Tasso zuletzt vor allem Hinderer: Torquato Tasso. – In: Goethe-Handbuch, Bd. 2, S. 229–257; Jacobs: Torquato Tasso; Müller: Das Elend der Dichterexistenz; Reinhardt: Die kleine und die große Welt, S. 165–219.

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Bernd Hamacher Die schönen Lieder, die an unsern Bäumen Wir hin und wieder angeheftet finden, Die, goldnen Äpfeln gleich, ein neu Hesperien Uns duftend bilden, erkennst du sie nicht alle Für holde Früchte einer wahren Liebe? (Vs. 177–181)

Die Zäsur im vorletzten Vers lässt bereits stutzen und ruft nachdrücklich zur Überprüfung der Erkenntnis auf, die hier etwas vorschnell suggeriert wird. Tassos Verfahren kann im Lichte einer Äußerung Goethes gesehen werden, der sich auf seiner dritten Schweizer Reise am 18. September 1797 im Tagebuch Gedanken über die »neumodische Parksucht« macht: »Der Natur nachzuhelfen wenn man schone Motive hat, ist in jeder Gegend lobenswürdig, aber wie bedenklich es sey gewisse Imaginationen realisiren zu wollen da die größten Phänomene der Natur selbst hinter der Idee zurück bleiben.«5 Tasso will der Natur nachhelfen, er hat schöne Motive – und schöne Lieder –, und das Versprechen dieser Schönheit ist, die Idee der wahren Liebe zu verwirklichen. Die Prinzessin wird kurz darauf von Leonore als »Schülerin des Plato« bezeichnet (Vs. 222), und als solche müsste sie eigentlich wissen, dass die Dichter lügen, dass man ihnen nicht trauen darf, wenn die Schönheit ihrer Worte die Wahrheit ihrer Liebe zu versprechen scheint. Diese Erkenntnis wird im ersten Auftritt indirekt vermittelt. »Mit mannichfalt’gem Geist verherrlicht er / Ein einzig Bild in allen seinen Reimen.« (Vs. 183f.) »Und wenn er seinen Gegenstand benennt, / So gibt er ihm den Namen Leonore.« (Vs. 197f.) Leonore entgegnet der Prinzessin: Es ist dein Name wie es meiner ist. Ich nähm’ es übel wenn’s ein andrer wäre. Mich freut es, daß er sein Gefühl für dich In diesem Doppelsinn verbergen kann. Ich bin zufrieden, daß er meiner auch Bei deines Namens holdem Klang gedenkt. Hier ist die Frage nicht von einer Liebe, Die sich des Gegenstands bemeistern will, Ausschließend ihn besitzen, eifersüchtig Den Anblick jedem andern wehren möchte. Wenn er in seliger Betrachtung sich Mit deinem Werth beschäftigt, mag er auch An meinem leichtern Wesen sich erfreun. (Vs. 199–211)

Tassos absolutes Gefühl ist es, das ihn als Dichter auszeichnet und durch das er sich überhaupt als Dichter qualifiziert. Es muss jedoch als Schönheit sinnlich darstellbar sein, und dann kann es – zum Beispiel – auch als Liebe zur Erscheinung kommen. Liebe ist aber wiederum ein Ganzheitsbegriff, ein abstrakter Name für das Absolute, wenn sie sich nicht im Namen einer individuellen Person konkretisiert. Und da scheint nun der Name »Leonore« die Quadratur des Kreises zu bilden: ein Name, zwei Frauen, die zudem paradigmatisch für zwei komplementäre Typen stehen und 5

Goethe: Tagebücher, Bd. II.1, S. 188.

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damit gemeinsam die Ganzheit verkörpern. Zudem wird damit Tassos Dichtung als spezifisch modern, nämlich mehrdeutig gekennzeichnet. Dieses Ideal hat aber auch eine Kehrseite, und an ihr wird die Fragwürdigkeit des Versprechens deutlich: Uns liebt er nicht, – verzeih, daß ich es sage! – Aus allen Sphären trägt er was er liebt Auf einen Namen nieder, den wir führen, Und sein Gefühl theilt er uns mit; wir scheinen Den Mann zu lieben, und wir lieben nur Mit ihm das Höchste was wir lieben können. (Vs. 212–17)

Diese Liebeskonzeption ist im Kern noch dieselbe wie in den Leiden des jungen Werthers. Beim vermeintlich Individuellsten, der Liebe, geht es nicht etwa um die Person, sondern um das Gefühl an sich – nicht um die Geliebte oder den Geliebten, sondern um das Lieben und Geliebtwerden, die Liebe selbst. Das Liebesobjekt ist austauschbares Medium und Katalysator der Empfindung. Das Versprechen der schönen Dichtung, die wahre Liebe, ist für deren Adressatinnen schal: Für die wahre Liebe ist eine Leonore wie die andere, so gegensätzlich sie sind, und es darf auch nicht nur eine gemeint sein, sonst ist die Liebe nicht wahr, denn das Wahre ist nur das Ganze, das Ganze aber übersteigt die Fassungskraft eines einzelnen Menschen und ist im Leben unerfüllbar. Ebenso wie mit seiner Liebe ist es mit Tassos Dichtung bestellt, wie im zweiten Auftritt entfaltet wird. Er kann sein Epos nicht vollenden, nicht »zum Ganzen ründen« (Vs. 275). Die vollendete Ganzheit des Gedichts wäre gleichbedeutend mit dessen vollkommener Schönheit, wobei sich Vollendung und Beendung widersprechen: Jeder Abschluss wäre eine Begrenzung und kann nur vorläufig sein. Tasso ist daher ästhetisch im Recht, wenn er die endgültige Beendigung seines Werks bis zuletzt verweigert. Seine Aporie besteht darin, dass sein ästhetisches Ethos künstlerischer Vollendung die Vollendung seiner Persönlichkeit verhindert, wie Herzog Alphons geltend macht. Denn Voraussetzung für seine weitere Persönlichkeitsentwicklung wäre, dass das Werk als beendetes rezipiert werden und auf die Welt wirken und sich der »Charakter« des Dichters im »Strom der Welt« (Vs. 305), in Auseinandersetzung mit Zustimmung und Ablehnung seines Werks, bilden und er dadurch Ruhm erwerben könnte – das Ideal der Vereinigung von Dichter und Held, von der auch Tasso träumt. Solange er nicht beide Rollen vereinigen kann, ist er defizitär wie die beiden Leonoren, die je nur eine Seite einer Opposition verkörpern können. Könnte er aber die Rollen zumindest im Sinne eines Dichterfürsten vereinigen, so wie Alphons es für ihn imaginiert, wäre er nicht etwa Dichter und Herrscher zugleich, sondern keiner von beiden – defizitärer Dichter, der sein Werk nur be-, nicht vollendet hat, und defizitärer Herrscher, der nur über symbolische, nicht über reale Macht verfügt. Doch zu Beginn des dritten Auftritts, als Tasso erstmals die Bühne betritt, scheint zunächst eine Lösung möglich. Er übergibt sein Epos an Alphons, obwohl er es für unvollendet erkennt. Der äußere Grund ist, dass er nicht undankbar schei-

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nen möchte – die eigentliche Rechtfertigung dafür liegt indes in der Analogisierung von Werk und Autor: Und wie der Mensch nur sagen kann: Hie bin ich! Daß Freunde seiner schonend sich erfreuen; So kann ich auch nur sagen: Nimm es hin! (Vs. 388–390)

Die Entwicklung des Werks wird also mit der Entwicklung seines Autors verknüpft: So wie die menschliche Entwicklung erst mit dem Tod abschließt und daher selbst im besten Fall gelingenden Lebens das Ergebnis der Vollendung nicht mehr sichtbar ist, kann auch das Werk nie abgeschlossen bzw. nicht anders vollendet werden als mit dem Tod seines Autors. Scheint Tasso sich für den Augenblick mit der Unvollkommenheit eines Zwischenergebnisses seiner künstlerischen wie menschlichen Entwicklung zufriedengeben zu können, so tritt doch sogleich eine neue Aporie auf: Das Werk gehöre, so sagt er, »in jedem Sinn« Alphons zu (Vs. 398). Denn während des Schreibens konnte er, Tasso, es zwar für sein eigen halten, und auch sein Talent gehört ihm allein, alle Voraussetzungen aber dafür, dass er nicht nur, wie früher, »ein traurig Lied« (Vs. 414) singen, sondern seine Dichtung sich zur Schönheit erheben kann, stammen von Alphons. Die Autonomie der Kunst – verstanden als Freiheit von materiellen Sorgen und damit Voraussetzung ästhetischer Schönheit – basiert auf ihrer materiellen Heteronomie. Der Lorbeer, mit dem Tasso von der Prinzessin gekrönt wird, symbolisiert sämtliche Aporien, die verbal zum Teil schon lösbar schienen, durch das Requisit aber wieder augenfällig werden, so dass der Schmuck seinem Träger schließlich unerträglich wird: Er stammt von der Herme Virgils, eines Toten, und erinnert so daran, dass der wahre dichterische Ruhm erst der Nachruhm sein kann, weil das Werk zu Lebzeiten immer mit dem Makel des Unvollkommenen behaftet ist. Ferner ist die Lorbeerkrone doppeldeutig und kann auch den Helden bekränzen, erinnert mithin an die Herrscherrolle, die Tasso nicht ausfüllen kann. Dies wird dann den Grund für Antonios Eifersucht bilden. Und schließlich erinnert der Lorbeer an die Heteronomie der durch ihn geehrten Kunst. Als Antonio auftritt, scheint er nun Tasso auch noch des Versprechens zu berauben, das seiner Dichtung doch wesentlich sein soll, des Versprechens des Schönen: Es ist kein schönrer Anblick in der Welt, Als einen Fürsten sehn, der klug regieret; Das Reich zu sehn, wo jeder stolz gehorcht, Wo jeder sich nur selbst zu dienen glaubt, Weil ihm das Rechte nur befohlen wird. (Vs. 639–643)

War es eingangs die Schönheit der Dichtung, die die Frucht der Liebe zeitigte, so wird nun die erotische Faszination der Macht deutlich, die mehr noch als die Dichtung als Verkörperung der Schönheit und Auslöserin der Liebe erscheinen kann. Der Kunst aber wird in diesem Kontext eine dienende, schmückende Funktion zugewiesen, als Panegyrik der Macht. Ungewollt verstärkt die Prinzessin noch die

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darin liegende Demütigung Tassos, denn sie ruft ausgerechnet Antonio zu seinem kompetenten Interpreten aus: Du [sc. Antonio] Sollst uns dereinst in Tasso’s Liedern zeigen, Was wir gefühlt und was nur du erkennst. (Vs. 743–45)

Gerade in den sorgfältigen Ausbalancierungen der Oppositionen, dem Bestreben nach Harmonie blitzt plötzlich die provokative Kraft dieses Dramas auf: Der Machtmensch und Politiker soll der einzige sein, der die Kunst erkennt, die er doch verachtet. Dass Tasso verunsichert ist, kann nicht verwundern, eher noch, dass er die Provokation zunächst gar nicht in ihrem ganzen Ausmaß wahrnimmt. Die Prinzessin hält an ihrem Harmonieideal fest und formuliert eine Voraussetzung für dessen Verwirklichung: Antonio sei durch die fremde römische Umgebung, aus der er komme, zeitweise entfremdet, jedoch »in seinem Innern nicht verändert« (Vs. 771). Nun müssten die Saiten wieder gestimmt werden, »[b]is glücklich eine schöne Harmonie / Auf’s neue sie verbindet« (Vs. 774f.). Diese Vorstellung, dass menschliche Übereinstimmung, gegenseitige Einfühlung und intersubjektives Verständnis, ja selbst gelingende Kommunikation nur möglich seien, wenn die Gemüter wie Instrumente aufeinander abgestimmt werden und dann der Ton des einen Subjekts eine Resonanz im Körper des anderen erzielen kann, ist im 18. Jahrhundert durchaus verbreitet. Im Drama wird damit jedoch – konträr zu den Intentionen der Prinzessin – eine neue Aporie eröffnet: Die ganze Spielanlage war bisher darauf angelegt, dass Vollkommenheit nur aus der Einheit, der Konfiguration von Gegensätzen gewonnen werden kann – Virgil und Ariost, die Prinzessin und Leonore, der Dichter und der Held, Tasso und Antonio –, keinesfalls aber daraus, dass vollkommene Übereinstimmung herrscht und die Gegensätze sich von vornherein ausgleichen müssten. Es müsste gelingen, die Gegensätze auszuhalten und doch die Verstimmungen zu überwinden, die Tassos Beziehungen zu seiner Umwelt stören. Die Gestaltung menschlicher Beziehungen scheint demnach die Aufgabe zu sein, die Tasso gestellt ist, die ihm so schwer fällt und die in der ›goldnen Zeit‹, als erlaubt war, »was gefällt« (Vs. 994), sich vermeintlich von selbst erfüllt haben soll. Die Prinzessin belehrt ihn: Mein Freund, die goldne Zeit ist wohl vorbei: Allein die Guten bringen sie zurück; Und soll ich dir gestehen wie ich denke: Die goldne Zeit, womit der Dichter uns Zu schmeicheln pflegt, die schöne Zeit, sie war, So scheint es mir, so wenig als sie ist; Und war sie je, so war sie nur gewiß, Was sie uns immer wieder werden kann. Noch treffen sich verwandte Herzen an Und theilen den Genuß der schönen Welt: Nur in dem Wahlspruch ändert sich, mein Freund, Ein einzig Wort: Erlaubt ist was sich ziemt. (Vs. 995–1006)

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Mit dieser Vorstellung des Ziemenden wird ein Konzept der höfischen Verhaltenslehre aufgerufen, das aus der Moralistik der Renaissance stammt und situationsadäquates, mit der jeweiligen gesellschaftlichen bzw. höfischen Rolle übereinstimmendes Verhalten lehrt – ein Konzept, dem die bürgerliche und idealistische Vorstellung eines einheitlichen Wesenskerns des Individuums fremd, das aber unter den Bedingungen des Rollenmanagements in einer funktional differenzierten Gesellschaft heute noch bzw. wieder aktuell ist. Tasso erkennt in seiner Replik, dass dieses Konzept mit politischer Macht verknüpft ist, denn »dem Gewaltigen, dem Klugen / Steht alles wohl, und er erlaubt sich alles.« (Vs. 1011f.) Klug in diesem Sinne ist, wer das Rollenmanagement beherrscht und zu situationsadäquatem Verhalten in der öffentlichen Welt in der Lage ist. Tasso ist hier gegenüber den adligen Höflingen im Nachteil, weil er keine Erziehung genießen konnte, die ihm diese Verhaltenslehren vermittelte. Wenn die Prinzessin ihn ersatzweise an die »edlen Frauen« verweist (Vs. 1014), bei denen er das Konzept lernen könne, so gibt sie ihm eine verengende, mit einer Gender-Markierung versehene Deutung, indem sie es im Sinne der »Sitte« (Vs. 1022) auf »Schicklichkeit« reduziert (Vs. 1017), während die Moralistik, aus der das Konzept stammt, mit Moral in diesem Sinne nichts zu tun hat, sondern ethisch neutral ist. Ihre Verschiebung des Konzepts bedeutet indes nicht bloß eine Verengung, sondern zugleich auch eine Erweiterung, wenn sie es mit der Schönheit verknüpft und somit Ethik und Ästhetik verbindet: Nur so nämlich könne die Schönheit vor der Zerstörung bewahrt und nur so könne innere Schönheit überhaupt erkannt werden. Tasso wird dadurch an seine Befürchtung erinnert, die Schönheit der Prinzessin könne ihrerseits dem Gebrauch erliegen, sprich sie könne einem Werber nachgeben. Sie beruhigt ihn und preist seine dichterische Verherrlichung des weiblichen Geschlechts. Seine Antwort, dass er das Urbild der von ihm gestalteten weiblichen Schönheit leibhaftig gesehen habe, ist eine Huldigung, die sie dadurch aufnimmt und erwidert, dass sie davon spricht, die poetische Gestaltung weiblicher Schönheit werde diese unweigerlich gewinnen. Dies kann jedoch, anders als Tasso vielleicht hofft, nur platonisch gemeint sein, denn sonst unterläge die Schönheit auch hier dem Gebrauch, nicht anders, als wenn die Prinzessin einen ihrer Werber erhörte. Die Liebe, die sich die poetische Schönheit versprechen darf, ist eine platonische, die nicht auf Besitz ausgerichtet und darum, nach den Worten der Prinzessin, mit »Mäßigung«, »Entbehren« und »Tugend« verknüpft ist (Vs. 1121–23). Tasso reagiert in seinem ersten Monolog euphorisch, und in dieser Stimmung begegnet er Antonio und bietet ihm »Herz und Hand«, denn: »Dich kenn’ ich nun und deinen ganzen Werth« (Vs. 1199f.). Nach der höfischen Verhaltenslehre ist jedoch genau dies unmöglich, Tasso unterliegt einem typischen bürgerlichen Missverständnis der adligen Moralistik, der ein solches Pathos individueller Authentizität völlig fremd ist. Ihr zufolge ist es nicht nur nicht möglich, jemanden in seinem Wesenskern ganz zu kennen, es ist auch irrelevant, relevant ist das angemessene Agieren in der konkreten Situation: Inwendig lernt kein Mensch sein Innerstes Erkennen; denn er mißt nach eignem Maß

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Sich bald zu klein und leider oft zu groß. Der Mensch erkennt sich nur im Menschen, nur Das Leben lehret jedem was er sei. (Vs. 1239–43)

Antonio reagiert daher zurückhaltend auf Tassos Freundschaftsangebot, er kann sein Herz nicht ganz geben, weil diese Ganzheit des Herzens, überhaupt die Kategorie des Herzens in dieser Bedeutung in seiner Vorstellungswelt nicht vorkommt. Er führt die Tugend der Klugheit im erläuterten Sinne ins Feld, was Tasso anerkennt, jedoch entgegnet: »Doch schöner ist’s, wenn uns die Seele sagt, / Wo wir der feinen Vorsicht nicht bedürfen.« (Vs. 1211f.) Schönheit und Klugheit schließen einander in dieser Argumentation aus – oder anders: Für Schönheit im emphatischen Verständnis ist in der Welt des politischen Handelns und des klugen Rollenmanagements kein Platz. Tasso unterschätzt die dahinter stehende grundlegende Problematik des menschlichen Zusammenlebens, wenn er behauptet, »leicht hab’ ich dich [Antonio] erkannt« (Vs. 1251), denn gerade diese Erkenntnis des Wesens eines Individuums ist in der Welt, in der Antonio lebt, nicht möglich, vor allem aber nicht nötig – und in der sich entwickelnden modernen Welt, in die hinein Goethes Drama geschrieben ist, schwieriger denn je. »Ich weiß du bist mein Freund, wenn du mich kennst« (Vs. 1261) – eine solche Wesenserkenntnis des anderen ist Antonio indes ebenso fremd wie die angesonnene Öffnung seines Innern. Tasso jedoch bleibt dabei: »Ich blicke tief dir in das Herz und kenne / Für’s ganze Leben dich.« (Vs. 1317f.) Antonio muss dies als Zumutung empfinden, denn die Klugheit gebietet gerade, sich und sein Verhalten den Umständen anzupassen und nicht auf ein unveränderliches Wesen festgelegt zu werden. Tassos und Antonios Persönlichkeitskonzeptionen sind unvereinbar und stellen wechselseitig eine Provokation füreinander dar. Wird dieser Hintergrund nicht erkannt, scheint es sich entweder um einen bloßen Eifersuchtsstreit oder um einen Generationenkonflikt zu handeln. Beides spielt natürlich mit und trägt zur Komplexität des Konflikts bei, wäre aber kaum so vieler Worte wert, wie in dem Drama um den Streit von Tasso und Antonio gemacht werden. Wenn nun Alphons, am Ende des zweiten Aufzugs, von Antonio fordert, er, als der Klügere, solle sich mit Tasso wieder versöhnen und Frieden stiften, so handelt es sich um eine Aufgabe ganz im Sinne der moralistischen Verhaltenslehre, die der Staatsmann Antonio denn auch willig akzeptiert: Es scheint, Antonio, Du willst nicht aus der Übung kommen! Du Hast Ein Geschäft kaum erst vollendet, nun Kehrst du zurück und schaffst dir gleich ein neues. Ich hoffe, daß auch dieses dir gelingt. (Vs. 1640–44)

Die Versöhnung der beiden widerstreitenden Persönlichkeitskonzepte ist indes keine Aufgabe, die von der höfischen Diplomatie gelöst werden könnte. Die handelnden Figuren verstehen die grundlegende historische und gesellschaftspolitische Trageweite des Streits nicht, der sich so einfach nicht beilegen lässt. »Sitte«, »Höflichkeit« und der »Gebrauch der Welt« nämlich (Vs. 1692f.), auf die sich die Prin-

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zessin verlassen hatte, helfen nicht, wenn sie mit dem Konzept eines essentiellen Persönlichkeitskerns konfrontiert werden. Dann nämlich kann es dazu kommen – wie zwischen Tasso und Antonio –, dass sich alles widerstrebt: »Sie können ewig keine Liebe wechseln.« (Vs. 1681) Nach den Worten Leonores handelt es sich um zwei Männer, »[d]ie darum Feinde sind, weil die Natur / Nicht Einen Mann aus ihnen beiden formte.« (Vs. 1705f.) Die Prinzessin willigt in Leonores Vorschlag, die beiden Männer dadurch zu trennen, dass Tasso auf Reisen geschickt wird. Die Auflösung des Musenhofs hat in ihren Worten indes drastische Auswirkungen auf das Konzept der Schönheit: Zu fürchten ist das Schöne, das Fürtreffliche, Wie eine Flamme, die so herrlich nützt, So lange sie auf deinem Herde brennt, So lang sie dir von einer Fackel leuchtet, Wie hold! wer mag, wer kann sie da entbehren? Und frißt sie ungehütet um sich her, Wie elend kann sie machen! (Vs. 1840–46)

Die Vorstellung einer zerstörerischen Feuersbrunst konnte bislang kaum mit dem milden Leuchten der Schönheit verknüpft werden. So wie die mit der Schönheit eingangs assoziierte Liebe zur zerstörerischen Leidenschaft werden kann, ist dieses destruktive Potenzial indes – zumindest in der Gedankenwelt der Prinzessin – auch mit der Autonomisierung der Kunst verbunden, da nämlich dann die durch ihre Schönheit erregten Gefühle ungerichtet, in ihrer Zuschreibung anonym werden und sich nicht mehr an eine konkrete Adressatin – oder selbst zwei konkrete Adressatinnen wie im Falle der beiden Leonoren – richten. Die Anonymisierung des Bezugs zwischen Künstler und Publikum stellt eine Gefährdung dar, da der Künstler für die durch die Schönheit seiner Kunst erregten Gefühle nicht mehr haftbar gemacht werden kann. Was die Prinzessin und Leonore anstreben, formuliert Leonore im folgenden Monolog vor ihrer Unterredung mit Antonio: »Wie reizend ist’s, in seinem [sc. Tassos] schönen Geiste / Sich selber zu bespiegeln!« (Vs. 1928f.) Es geht um die Bewahrung der eigenen Schönheit, den Sieg über die Zeit: »Das was vergänglich ist, bewahrt sein Lied.« (Vs. 1950) Dieser persönliche Bezug ginge bei einer Autonomisierung der Kunst, ihrer Emanzipation vom Hof verloren. Der vierte Aufzug zeigt Tasso in einem schmerzlichen Lernprozess befindlich: »ich bin nicht mehr ich selbst, / Und bin’s doch noch so gut als wie ich’s war.« (Vs. 2254f.) Er muss sich von dem idealistischen Konzept der Einheit der Person verabschieden, das ihn im Hinblick auf Antonio glauben machte, »[d]er sei ein Mensch, der menschlich Ansehn trägt« (Vs. 2206). Nach der aufklärerisch-idealistischen Vorstellung der Übereinstimmung von Außen und Innen glaubte man vom Aussehen eines Menschen auf seinen Charakter, von seinen Mienen auf seine Gedanken und Empfindungen schließen zu können. Tassos physiognomische Erkenntnis Antonios aber ist gescheitert – das »menschlich Ansehn« war eine Maske, dem höfischen Verhaltenskodex entsprechend. Steht dies im Einklang mit einem gegenüber der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts älteren und scheinbar überholten Menschenbild, so lässt sich für eine gegenwärtige Rezeption gerade hier wieder

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anschließen. Tasso muss sich nicht nur die adlige Anthropologie der Renaissance aneignen, sondern auch mit den Anforderungen an den modernen Menschen in einer funktional differenzierten Gesellschaft vertraut werden, wo ebenfalls das sogenannte eigentliche, wahre Wesen des Individuums hinter der Anforderung eines gelingenden Rollenmanagements zurückstehen muss. Tasso muss eine ideen- und sozialgeschichtlich signifikante Identitätskrise durchleiden. Seine Identität ist nicht stabil, und dennoch bleibt er der, der er war, das heißt die Einheit seiner Person kann nur aus einer diskontinuierlichen Abfolge von Selbstzuständen erfahren werden, sie ist erst im Nachhinein aus dem Lebensverlauf rekonstruierbar. Dennoch will er noch Antonio nehmen, »wie er war und wie er bleibt« (Vs. 2288) – sprich: Nun will er ihn als wesenhaft hinterlistig, intrigant und falsch erkennen. Er verfällt ins andere Extrem – ebenso hinsichtlich Leonores, als sie ihm rät, nach Florenz zu gehen: Die zarte Freundin! Ha, dich kenn’ ich nun! O warum traut’ ich ihrer Lippe je! Sie war nicht redlich, wenn sie noch so sehr Mir ihre Gunst, mir ihre Zärtlichkeit Mit süßen Worten zeigte! Nein, sie war Und bleibt ein listig Herz; sie wendet sich Mit leisen klugen Tritten nach der Gunst. (Vs. 2491–97)

Noch immer glaubt er das Wesen des Menschen an der äußeren Erscheinung ablesen zu können: Doch konnte mir die Schmeichelei nicht lang Den falschen Sinn verbergen; an der Stirne Schien ihr das Gegenteil zu klar geschrieben Von allem was sie sprach. (Vs. 2513–16)

Tasso rühmt sich nach dem Gespräch mit Antonio, in dem er ihn bittet, von Alphons seine Beurlaubung nach Rom zu erwirken: »Deutlich seh’ ich nun / Die ganze Kunst des höfischen Gewebes!« (Vs. 2748f.) Was er lernen muss, ist indes nicht mehr die Kunst höfischer Verstellung, sondern modernes Rollenmanagement – situationsadäquates Verhalten hier wie dort, aber unter anderen gesellschaftlichen Voraussetzungen. Er kann mit der Erfahrung der Veränderbarkeit von Menschen durch die Wechselwirkung mit der Umwelt noch nicht umgehen, wie in seinem Schlussmonolog zum vierten Aufzug deutlich wird: Das ist mein Schicksal, daß nur gegen mich Sich jeglicher verändert, der für andre fest Und treu und sicher bleibt, sich leicht verändert Durch einen Hauch, in einem Augenblick. (Vs. 2776–79)

Dagegen unterstellt er seiner Umwelt, ihn selbst festzulegen und ihm keine Gelegenheit zu Veränderung und Entwicklung zu geben – genau das also, was er seiner-

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seits den anderen nicht zugesteht. Er referiert, was er als Antonios Meinung über ihn unterstellt: Es sei nicht anders, einmal habe nun Den Einen Mann das Schicksal so gebildet; Nun müsse man ihn nehmen wie er sei, Ihn dulden, tragen und vielleicht an ihm, Was Freude bringen kann, am guten Tage Als unerwarteten Gewinnst genießen, Im übrigen, wie er geboren sei, So müsse man ihn leben, sterben lassen. (Vs. 2764–71)

Im fünften Aufzug verschiebt sich die dramatische Situation noch einmal zugunsten Tassos, dem keineswegs, wie es zwischendurch scheinen konnte, einfach aufgegeben ist, sich mit einem modernen Menschenbild zu arrangieren. Mit dem eindringlichen Gleichnis vom Seidenwurm erhebt er ein unwiderlegliches Plädoyer für seine in der Tradition der Aufklärung und des Idealismus stehende Auffassung eines individuellen, unzerstörbaren Wesenskerns des Menschen: Wenn ich nicht sinnen oder dichten soll, So ist das Leben mir kein Leben mehr. Verbiete du dem Seidenwurm zu spinnen, Wenn er sich schon dem Tode näher spinnt. Das köstliche Geweb’ entwickelt er Aus seinem Innersten, und läßt nicht ab, Bis er in seinen Sarg sich eingeschlossen. (Vs. 3081–87)

Da er sich zu seinem Wesen bekennen kann, glaubt er nun auch das Wesen der Prinzessin wieder zu erkennen, von der er sich ebenfalls schon verraten glaubte: Ihr Götter, ist sie’s doch, Die mit dir spricht und deiner sich erbarmt! Und konntest du das edle Herz verkennen? War’s möglich, daß in ihrer Gegenwart Der Kleinmuth dich ergriff und dich bezwang? Nein, nein, du bist’s! und nun bin ich es auch. (Vs. 3221–26)

Doch abermals verfehlt er das Maß, gerät ins Schwärmen, missversteht die Liebe der Prinzessin im enthusiastischen Sinne und nähert sich ihr körperlich, woraufhin sie ihn von sich stößt und flieht. Dass die enthusiastische Liebe als Ganzheitsempfinden – als diejenige Instanz, die das in soziale Rollen zerfallende Wesen des modernen Menschen einzig noch zusammenhalten kann –, dass eine solche Liebe bei dem Versuch, sich auf eine Person zu konzentrieren, scheitern muss, war, wie erwähnt, bereits in der ersten Szene angelegt. Tasso fällt daraufhin wieder ins andere Extrem bei der Charakterisierung der Prinzessin: Und du, Sirene! die du mich so zart, So himmlisch angelockt, ich sehe nun Dich auf einmal! O Gott, warum so spät! (Vs. 3333–35)

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Wie oft eigentlich noch, so ist man versucht zu fragen, wie oft noch will Tasso vermeintlich das wahre Wesen eines anderen Menschen erkennen und dabei immer von einem Extrem ins andere fallen, den anderen Menschen in seiner Andersheit und Einzigartigkeit wie auch in seiner momentanen konkreten Situation dabei jeweils verfehlend? Am Ende vergleicht sich Tasso mit einer »sturmbewegte[n] Welle« (Vs. 3435). Damit wird das klassizistische Schönheitsideal zitiert, wie es Johann Joachim Winckelmann in den Gedancken über die Nachahmung der Griechischen Wercke in der Mahlerey und Bildhauer-Kunst von 1755 mit einer berühmten Formulierung ausdrückte: Das allgemeine vorzügliche Kennzeichen der Griechischen Meisterstücke ist endlich eine edle Einfalt, und eine stille Grösse, so wohl in der Stellung als im Ausdruck. So wie die Tiefe des Meers allezeit ruhig bleibt, die Oberfläche mag noch so wüten, eben so zeiget der Ausdruck in den Figuren der Griechen bey allen Leidenschaften eine grosse und gesetzte Seele.6

Diese, von Winckelmann am Gesicht des Laokoon veranschaulichte ruhige Tiefe aber ist Tasso nicht mehr zugänglich. Man könnte das Schlussbild eher mit Goethes Beschreibung der Laokoon-Gruppe in Beziehung setzen: Um die Intention des Laokoon recht zu fassen, stelle man sich in gehöriger Entfernung, mit geschlossenen Augen, davor; man öffne sie und schließe sie sogleich wieder, so wird man den ganzen Marmor in Bewegung sehen, man wird fürchten, indem man die Augen wieder öffnet, die ganze Gruppe verändert zu finden. Ich möchte sagen, wie sie jetzt dasteht, ist sie ein fixirter Blitz, eine Welle, versteinert im Augenblicke da sie gegen das Ufer anströmt. Dieselbe Wirkung entsteht, wenn man die Gruppe Nachts bei der Fackel sieht.7

Damit ist die Herausforderung formuliert, die Goethes Tasso einer heutigen Bühnenrezeption stellt.8 Es kommt darauf an, das Schauspiel immer wieder in neue Beleuchtung zu rücken, damit die Figuren und ihre Gefühle lebendig und in Bewegung bleiben und die Konfiguration mit Liebe, Schönheit und Kunst nicht in klassizistischer Schönheit erstarrt. Es gilt, die Modernität der Problemstellung herauszuarbeiten. Goethe selbst hat dazu einen Fingerzeig gegeben. Tassos berühmte Verse nämlich: »Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt, / Gab mir ein Gott, zu sagen wie ich leide« (Vs. 3432f.), wurden von Goethe fast vierzig Jahre später, 1827, als Motto der Elegie aus der Trilogie der Leidenschaft zitiert – aber mit einer bezeichnenden Änderung: »Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt, / Gab mir ein Gott zu sagen was ich leide.«9 Nicht wie, sondern was. Ein Vorgang der Objektivierung: Es geht nicht mehr um den Ausdruck der Empfindung, das Leiden selbst, sondern darum, was das Leiden auslöst, die epochale historische Veränderung, die den Hintergrund für Tassos Problematik bildet. 6

7 8 9

Winckelmann: Gedancken über die Nachahmung der Griechischen Wercke – Kleine Schriften, S. 27–59, hier S. 43. Goethe: Werke, Abt. I, Bd. 47, S. 107. Vgl. dazu Birkner: »Ein ganzer Tasso! Das ist doch was!« Goethe: Werke, Abt. I, Bd. 3, S. 21.

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Bernd Hamacher

Am 22. März 1823 fand in Weimar eine Aufführung des Tasso zur Feier der Genesung Goethes von einer schweren Erkrankung statt. Das Journal für Literatur, Kunst, Luxus und Mode berichtete: »In dem Auftritt, wo die Prinzessin die Büsten Virgils und Ariosts bekränzt, war noch eine dritte Büste sichtbar, nemlich Goethes, und auch ihr wurde ein Kranz auf’s Haupt gesetzt.«10 Heute kann Goethes Bildnis in anderer Hinsicht mit Torquato Tasso in Bezug gesetzt werden, es kann nämlich der abschließenden Veranschaulichung derjenigen Problematik dienen, an der Tasso leidet und die von ihm nicht gelöst werden kann: der Problematik der Veränderbarkeit des Menschen und der Unerkennbarkeit seiner Individualität – denn genau dies, Goethes sprichwörtliche Proteus-Natur,11 war bereits für seine Zeitgenossen ein Problem und dann für seine Biographen eine Herausforderung.12 Am 7. Mai 1781 bekannte er sich gegenüber dem Schweizer Theologen Johann Caspar Lavater mit einem biblischen Zitat (Lukas 8,20) unter provokativer Nennung des Teufelsnamens zu einer multiplen Identität: »Ich heise Legion, du thust Vielen wohl wenn du mir wohlthust.«13 Über dieses Gefühl – dass der moderne Mensch mit seiner diversifizierten Identität zum Teufel wird – schweigt das Drama; sein Protagonist jedoch muss es lebhaft empfinden. Schweigen ist Silber – Fühlen ist Gold.

10 11 12

13

Gräf: Goethe über seine Dichtungen, T. II, Bd. 4, S. 341. Vgl. Mandelkow: Der proteische Dichter. Vgl. zum Kontext meine Monographie: Johann Wolfgang von Goethe (in der ich aus Umfangsgründen auf ein eigenes Tasso-Kapitel verzichten musste). Goethe: Werke, Abt. IV, Bd. 5, S. 123.

Antje Arnold

»Eine wahre Geschichte zur lehrreichen Unterhaltung armer Fräulein«: Zur Emotionalisierung in Arnims »Gräfin Dolores«

In Arnims Gräfin Dolores ist der Untertitel poetologisches Programm. Er lautet: »Eine wahre Geschichte zur lehrreichen Unterhaltung armer Fräulein aufgeschrieben von Ludwig Achim von Arnim«. Neben die Topoi der Authentizitätsfiktion und der Leserinnenadresse ist das als Alternative oder als Verbindung ebenso zur Formel geronnene horazische »prodesse aut delectare aut simul«1 gesetzt, das die Romanstruktur maßgeblich determiniert und in der Narration reflektiert wird. Zwar ist im Titel Armut, Reichtum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores bereits an der Reihung ihrer Lebensabschnitte und dem sprechenden Namen nicht zu übersehen, dass es auf Handlungsebene um die ›schmerzliche‹ Belehrung der Protagonistin gehen wird; für die Rezeption jedoch gilt der Untertitel, in dem gerade die Unterhaltung durch das Exempel der Dolores ins Zentrum gerückt wird. Lehrreiche Unterhaltung spricht sowohl den Intellekt als auch die Gefühle an, ohne dass die affektive Erregung ein Reflektieren des Gelesenen, also die Belehrung, verhindert. Rhetorisch dem zugeordnet ist das ethos, das über die vier Entwicklungsstadien Armut, Reichtum, Schuld und Buße an der Gräfin entwickelt wird. Die Besänftigung – conciliare – des Lesers, die Mitleidsfähigkeit gewissermaßen, wird dabei durch eine Charakterschilderung – hier der Dolores – hervorgerufen, die das menschliche Fehlverhalten und die darauf folgende Besserung zeigt. Bemerkenswert ist, dass dies – Fehler und Besserung – am Beispiel der Unterhaltung als Geselligkeitspraxis vorgeführt wird. Hängt Dolores anfangs einem ›falschen‹ und überkommenen Verständnis von Unterhaltung – adliger Zerstreuung – nach, so wird im Laufe des Romans das alternative Unterhaltungskonzept von empfindsamen, aber gleichwohl adligen Figuren eingeführt und durchgesetzt. Solche Auseinandersetzung mit der Sozialform Geselligkeit ist zweifellos vor dem Hintergrund nachrevolutionärer Gesellschaftsreformen zu lesen.2 Der Akzent soll 1

2

Hor. ars, V. 333f. Vgl. dazu Till: Prodesse-delectare-Doktrin – Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 7, Sp. 130–140. Die verschlungenen Wege der Horazrezeption zeigen sich auch an der jüngsten Literatur: Nicola Kaminski spricht vom arnim-horazischen Untertitel als dem »moraldidaktischen Telos« (S. 243), auf das sich der Roman nicht reduzieren ließe, sondern das vielmehr als Differenz zwischen männlicher Erzählung und weiblicher Lektüre ad absurdum geführt werde: Der Erzähler führe »in der ›Heidenmädchen‹-Episode in nuce das gesamte, durch den Untertitel in seiner moraldidaktischen Richtung klar bezeichnete Romanprojekt in die Aporie der Unlesbarkeit.« Kaminski: Kreuz-Gänge, S. 245f. Eine alternative Lesart wird im Folgenden vorgestellt. Vgl. Strobel: »Ein hoher Adel von Ideen.« Zur Neucodierung von ›Adeligkeit‹ in der Romantik (Adam Müller, Achim von Arnim), S. 318–339. Fest steht, dass in der Dolores eine große Bandbreite an Lebensentwürfen propagiert wird.

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Antje Arnold

jedoch im Folgenden darauf gelegt werden, dass die Gegenüberstellung alternativer Unterhaltungsformen anhand Dolores’ Entwicklung allererst die Funktion erfüllt zu unterhalten und nur insofern zu belehren, als diese Gegenüberstellung schließlich in die tugendethisch ›erwünschte‹ Unterhaltung mündet. Das Belehrungsinstrument ist, wie noch zu zeigen sein wird, letztlich ganz der Unterhaltung und der Reflexion der Funktionsweisen von Unterhaltung untergeordnet. Das sittliche Moment ist als officium oratoris – ethos – darin integriert.3 Eichendorff formuliert es in seiner Abhandlung Über die ethische und religiöse Bedeutung der neueren romantischen Poesie in Deutschland (1847) folgendermaßen: »So geht ein tiefer, sittlicher Ernst tragisch durch [Arnims] Roman von der Gräfin Dolores.«4 Wie der »sittliche Ernst« durch Unterhaltung erreicht wird, will ich in drei Schritten zeigen: 1. Romanstruktur nach dem Prinzip der variatio, 2. Reflexionen des Untertitels, 3. Ethos: Unterhaltung durch ›sanfte Affekte‹.

1. Romanstruktur nach dem Prinzip der variatio 1809, ein Jahr vor Erscheinen der Dolores, publiziert Arnim die Novellensammlung Der Wintergarten. Die Einführung der Leser des Wintergartens geschieht durch eine Erklärung, wie die Erzählungen zu verstehen seien: nämlich als lehrreiche Botschaften aus alter Zeit. In der Erzählgegenwart des Wintergartens jedoch haben sie die Funktion zu unterhalten, somit Langeweile zu vertreiben und Neuigkeiten zu bieten. Sie sollen in diesem verdrießlichen, immerwiederkehrenden Winter, wo allen schönen Kindern Zeit und Weile lang wird, wohl zur rechten Zeit wiederholt werden; doch keinem geziemen sie besser, als der nun zerstreueten, übellaunigen Wintergesellschaft, zu deren Unterhaltung die folgenden Geschichten zusammengebracht wurden, die sehr unzufrieden mit der ganzen Welt, doch immer etwas Neues von ihr wünschten, endlich aber mit allem, was bloß erzählt und nicht geschehen, ganz nachsichtig, aufmunternd, wohlwollend und zufrieden schien.5

Diese Konstellation lehrreicher und zugleich zerstreuender Unterhaltung ist im Wintergarten mustergültig als Novellenkranz umgesetzt. Nicht so in der Dolores, wie es auf den ersten Blick scheint. Die Zeitgenossen Arnims wie auch die Forschung thematisieren vorrangig die ›Roman-Unstruktur‹6, die das Hauptthema zu verdecken scheint. Paul Michael Lützelers Diktum vom »Allegorie- und Verwei3

4

5 6

Vgl. zum Verhältnis von rhetorischem und poetischem ethos und (Unterhaltungs-)Literatur um 1800 meine Ausführungen in: Rhetorik der Empfindsamkeit. Unterhaltungskunst im 17. und 18. Jahrhundert. Berlin: de Gruyter [erscheint 2012]. Eichendorff: Über die ethische und religiöse Bedeutung der neueren romantischen Poesie in Deutschland – Werke in sechs Bänden, Bd. 6, S. 130. Vgl. außerdem das gesamte ArnimKapitel, ebenda, S. 125–136. Arnim: Der Wintergarten – Werke in sechs Bänden, Bd. 3, S. 74. Graevenitz: Romanform und Geschlechterkampf, S. 108. Vgl. außerdem Kaminski: Kreuz-Gänge, S. 237; Lützeler: Klio oder Kalliope?, S. 73. So spricht Jean Paul von einer »auseinander laufenden Oberfläche der Erzählung«, die allerdings im Romanschluss zusammengeführt würde. Vgl. Jean Paul an Arnim, 22.7.1810. Zit. nach Arnim: Dolores – Werke in sechs Bänden, Bd. 1, S. 747.

»Eine wahre Geschichte zur lehrreichen Unterhaltung armer Fräulein«

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sungsgestrüpp des Buches«7 legt eine scheinbare Unlesbarkeit nahe. Das positive Urteil des Herausgebers der Sämmtlichen Werke Arnims, Wilhelm Grimms, in den Heidelbergischen Jahrbüchern der Literatur hebt sich davon ab. Grimm bewertet die Romanstruktur als »originell« und »lebendig«8, also als variationsreich und damit auch als unterhaltsam und charakteristisch für die Romanform. Als eine treffende Zusammenfassung der kontroversen und konträren zeitgenössischen Rezeption der Gräfin Dolores ist eine Episode aus Eichendorffs Ahnung und Gegenwart zu lesen. In der im Folgenden für den Zusammenhang ausführlich zitierten Textstelle sind sämtliche Schlüsselbegriffe enthalten, die die so genannte Unstrukturiertheit der Dolores als bewusst inszeniertes Variationsprinzip ausweisen und damit an die im Untertitel geforderte »lehrreiche Unterhaltung« anschließen: Man hatte indes an dem Tische die Geschichte der Gräfin Dolores aufgeschlagen und blätterte darin hin und her. [...] Ich muß gestehen, sagte eine junge Dame, ich kann mich darein nicht verstehen, ich wußte niemals, was ich aus dieser Geschichte mit den tausend Geschichten machen soll. Sie haben sehr recht, fiel ihr einer von den Männern, der sonst unter allen immer am richtigsten geurteilt hatte, ins Wort, es ist mir immer vorgekommen, als sollte dieser Dichter noch einige Jahre pausieren, um dichten zu lernen. Welche Sonderbarkeiten, Verrenkungen und schreiende Übertreibungen! – Grade das Gegenteil, unterbrach ihn ein anderer, ich finde das Ganze nur allzu prosaisch, ohne die himmlische Überschwenglichkeit der Phantasie. [...] Hier hielt sich Friedrich, der dieses Buch hoch in Ehren hielt, nicht länger. [...] Die größte Sünde aber unserer jetzigen Poesie ist meines Wissens die gänzliche Abstraktion, das abgestandene Leben, die leere, willkürliche, sich selbst zerstörende Schwelgerei in Bildern. [...] Wenn in einem sinnreichen, einfachstrengen, männlichen Gemüt auf solche Weise die Poesie wahrhaft lebendig wird, da verschwindet aller Zwiespalt: Moral, Schönheit, Tugend und Poesie wird alles Eins in den adligen Gedanken, in der göttlichen sinnigen Lust und Freude [...]. Und so ist mir auch dieses Buch jedesmal vorgekommen, obgleich ich gern zugebe, daß der Autor in stolzer Sorglosigkeit sehr unbekümmert mit den Worten schaltet, und sich nur zu oft daran ergötzt, die kleinen Zauberdinger kurios auf den Kopf zu stellen.9

Nicht einzuordnen vermögen die fiktiven Rezipienten des ›Tableaus‹ offensichtlich Form (»tausend Geschichten«) und Stil (»Übertreibungen«). Irritierend scheint darüber hinaus zu sein, dass der Roman zwischen »Sonderbarkeiten« – also spannungsreicher Unterhaltung, aber nicht als solche eindeutig codiert – und Phantasie-

7 8

9

Lützeler: Nachwort. – In: Arnim: Werke in sechs Bänden, Bd. 1, S. 760. Grimm: Armuth, Reichthum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores. Eine wahre Geschichte zur lehrreichen Unterhaltung armer Fräulein aufgeschrieben von Ludwig Achim von Arnim. Berlin in der Realschulbuchhandlung. Erster Band. 348 S. Zweyter Bd. 415 S. 8. 1810. Mit Melodien (von Reichardt, Fürst Anton Radzivil, Beans Beor, und Louise Reichardt). – In: Heidelbergische Jahrbücher der Literatur. 3. Jahrgang, Bd. 2 (1810), S. 374–383, hier S. 375: »Es ist durchaus, in dem reinsten Sinn das Wort, originell; wir meinen damit, daß, während es alle Vortheile benutzt, welche die Zeit erwecken (wie etwa, um ein geringes zu erwähnen, der freygegebenen Sprache), und welche die nachahmende Sucht nach dem Original nur verwirft, es doch gänzlich auf einer eigenthümlichen Ansicht des Lebens beruht.« (Herv. i. Orig.); sowie S. 377: »Wir stellen unseren Roman in diese Reihe [›Simplicissimus‹, ›Wilhelm Meister‹, Jean Pauls Romane], weil wir ein gleiches Hindringen und Hinweisen zum Lebendigen darin erkennen.« Eichendorff: Ahnung und Gegenwart – Werke in sechs Bänden, Bd. 2, S. 203f.

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losigkeit – also trockener Belehrung – schwankt. Erst Friedrich bringt in glühender Verteidigung des Romans die notwendige Mischung auf den Punkt, indem er von Moral und Schönheit spricht, von Tugend und Poesie. Und er erkennt schließlich auch das spielerische, ironische Element in diesem Mischverhältnis, das auf die ›Selbstergötzung‹ des Autors, wie es heißt, zurückzuführen sei. Diesem Erfreuen am eigenen Text liegt die curiositas des Geschichtenerzählers zugrunde, die nichts weniger als dasjenige Element ist, das auf die Tradition der Geschichten in der Geschichte (so z. B. der Insel Felsenburg) verweist. Friedrichs Ausführungen und die in Eichendorffs Roman anschließende Erzählung von Arnims Dolores auf dem Nachttisch einer toten jungen Frau sind für die Gesellschaft, der Friedrich damit »den ganzen Tee versalzen«10 hat, ein zu ernsthaftes Thema. Während sich das Gespräch also zunächst an der Lesbarkeit des Romans und an der Beurteilung der Episoden entzündet, geht es schließlich eichendorfftypisch um die Ethik einer christlichen Liebeskonzeption. Um 1800, so Niklas Luhmann über die Codierung von Intimität, »bekennt man sich zur Einheit von Liebesehe und ehelicher Liebe als Prinzip der natürlichen Vervollkommnung.«11 Als problematisch benennt Luhmann, dass in diesem gewandelten Liebeskonzept auch die Gründe für »Glück und Unglück in der Ehe«12 erklärt werden müssten.13 Dies geschieht prototypisch in Arnims Gräfin Dolores. So knüpft auch Caroline de la Motte-Fouqué, die im Preußischen Vaterlandsfreund von 1811 Arnims Roman rezensiert, ihr Lob der scheinbaren Formlosigkeit an die moralische Botschaft des Romanschlusses. Bemerkenswert ist aber, dass diese scheinbare Formlosigkeit bei ihr eine weitere Begründung erfährt: In der Romanstruktur werde der Prozess emotionaler Affiziertheit nachgeahmt, die eine gewisse Undeutlichkeit und Verworrenheit von Form und Inhalt geradezu bedinge. Der Hinweis auf die Emotionalisierung eines Textes geht wiederum über den Impetus trockener Belehrung hinaus: Wenn eine Dichtung das Gemüth in scheinbaren Widersprüchen durch die verschiedenartigste [!] Abschweifungen an- und abzieht, so ist sie keineswegs ein klares Gewebe zu nennen, das mit der ersten Verschlingung den einen Faden Schlag für Schlag zusammenzieht, bis das Ganze vollendet ist [...]. Deshalb könnte es seyn, daß man in mitten des erwähnten Werkes auf den Gedanken käme, es sey ein wildes Gewächs, mit seinen goldnen Blüthen aus unwillkührlich verstreuetem Samen bunter Phantasie heraufgedrungen; mehr zum Spotte als zum Genuß der Welt ans Licht getreten. Doch wie man sich dennoch dem warmen Frühlingswehen behaglich hingibt, so öffnen sich auch mehr und mehr die innern Augen, und man erkennt das edle Reis, gehegt und gepflegt in frommen Herzen [...].14

Auch 1843 noch findet sich diese Ambivalenz von Lob und Kritik des Variationsprinzips wieder, so beispielsweise in den Blättern für literarische Unterhaltung15. 10 11 12 13 14

15

Ebenda, S. 208. Luhmann: Liebe als Passion, S. 185. Ebenda, S. 186. Vgl. auch Metz: Rhetorik der Unterbrechung, S. 78–94. C.v.F. (= Caroline de la Motte-Fouqué): Die Gräfin Dolores. – In: Der Preußische Vaterlandsfreund 1 (1811), Nr. 10, 2. Februar 1811, S. 40f. Pfizer: Ludwig Achim von Arnim’s Sämmtliche Werke. Herausgegeben von Wilhelm Grimm.

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Darin kritisiert der Lyriker, Redakteur und Übersetzer Gustav Pfizer einerseits die digressiones und die Episodenhaftigkeit an Arnims Roman. Andererseits seien diese Episoden, so Pfizer weiter, humorvoll und verwegen und kopierten geradezu lebensnah die »seltsamen, wunderbaren oder auch lächerlichen Charaktere«16 in der Wirklichkeit. Das Seltsame und das Wunderbare, das gewissermaßen die Konventionen von Rahmen- und Binnenerzählungen sprengt, kurz, das Strukturprinzip rhetorischer variatio, dient der Abwechslung und der Vermeidung von Langeweile, und zwar gerade auch dann, wenn die Wirkungsfunktion Belehrung, also pragma, heißt. Solche Abwechslung dient rhetorisch und poetologisch der Entspannung sowohl des Geistes als auch der Emotionen und ist unverzichtbarer Teil unterhaltsamer Texte. Strukturell lässt sich diese Debatte um kunstvolle Kunstlosigkeit und den Rang der Künste mit dem um 1800 so hoch gehandelten Begriff der Arabeske vergleichen.17 Die Arabeske kann geradezu als Bildspender für die in Arnims Dolores auftauchenden Genrevariationen und deren ›Formlosigkeit‹ dienen; die Anspielungen im Roman sind offensichtlich, denn »[w]äre das Buch zehn Jahre früher erschienen, Friedrich Schlegel hätte es – der Form wegen – wahrscheinlich als Verwirklichung seiner Idee vom romantischen Roman als ›Arabeske‹ gefeiert«.18 Wie sehr die literarästhetische Beschäftigung mit der Arabeske strukturell in Zusammenhang mit dem programmatischen Untertitel der Dolores bzw. der vergnüglichen Lektüre zu setzen ist, zeigt die zeitgenössische Rezeption, die die Arabeske als Kunstform des Beiwerks ebenso wie als so genannte triviale Literatur als randständig erscheinen lässt, und das vermeintlich nicht einmal unter dem Vorzeichen der Kritik. Die der Arabeske zugeschriebene Leichtigkeit in Stil und Inhalt und dem zufolge ihre Wirkungsästhetik leichter Affizierung und ›bloßer‹ Unterhaltung mündet in die gängige Praxis, sie Kunst unterzuordnen. Prägnant formuliert Goethe in seiner für den Teutschen Merkur vom März 1789 verfassten Reisebeschreibung Von Arabesken: Fröhlichkeit, Leichtigkeit, Lust zum Schmuck, scheinen die Arabesken erfunden und verbreitet zu haben, und in diesem Sinn mag man sie gerne zu lassen; besonders wenn sie, wie hier [in Pompeji], der bessern Kunst gleichsam zur Rahm dienen, die nicht ausschließen, sie nicht verdrängen, sondern sie nur noch allgemeiner, den Besitz guter Kunstwerke möglicher machen. Ich würde deswegen nie gegen sie eifern, sondern nur wünschen, daß der Wert der höchsten Kunstwerke erkannt würde. Geschicht [!] das, so tritt alle subordinierte Kunst, bis zum Handwerk herunter, an ihren Platz [...].19

16 17

18 19

In Zwölf Bänden. Erster bis dritter und fünfter bis achter Band. Erster Artikel. – In: Blätter für literarische Unterhaltung Nr. 136 (16. Mai 1843), S. 541f. Ebenda, S. 542. Vgl. Oesterle: Das Faszinosum der Arabeske um 1800, S. 51–70. Vgl. auch Kleinschmidt: Fällige Zufälle, S. 158f. Lützeler: Nachwort. – In: Arnim: Werke in sechs Bänden, Bd. 1, S. 755. Goethe: Von Arabesken – Sämtliche Werke, Abt. I, Bd. 18: Ästhetische Schriften. 1771–1805, S. 230–234, hier S. 232. Vgl. Dembeck: Texte rahmen, S. 284f. und passim. Till Dembeck weist diese ›Hilfsfunktion‹ der Arabeske auch bei Moritz nach. Die Kontextualisierungen, die Dembeck unter dem Titel »Texte rahmen« vornimmt, gelten insbesondere für das Genre des Romans.

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Weil die Arabeske um 1800 zum Modebegriff auch für die Literatur avanciert, steht fest, dass Arnim, gerade auch durch den Austausch mit Brentano, darauf Bezug nimmt. Arnim hat in der Gräfin Dolores mit der Figur des Prinzen von Palagonien die – aus klassizistischer Sicht abschreckende – Verkörperung des Chaotischen als auf die Spitze getriebene arabeske Auswucherung eingeführt; diese arabesken und, wenn man so will, chaotischen Strukturen erhalten ihre Lesbarkeit jedoch durch die Zielhaftigkeit des Romans, die, so Gerhart von Graevenitz, »Enthüllung des Heiligen«20. Zu fragen ist aber bei der Betitelung von Roman und Struktur als arabesk, ob nicht erstens der Zuweisungscharakter eines solchen Begriffes als vermeintlich eindeutig gerade auch die Forschung davon abhalten mag, sich den Textstrukturen analytisch und unvoreingenommen zu nähern und ob nicht zweitens der Arabeskenbegriff die rhetorische Erzähltradition, in der Arnims Roman überdies steht, verdeckt. Denn Wilfried Secker hat zurecht darauf hingewiesen, dass arabeske Strukturen immer mithilfe rhetorischer Terminologie be- und umschrieben werden, nämlich mit digressio, obscuritas sowie – und das weist auf den Untertitel zurück – delectatio. Allerdings werden die beinhaltenden Charakteristika weiterentwickelt und zunehmend aus dem schulrhetorischen Korsett gelöst: »Was jedoch von den traditionellen Termini begrifflich nicht mehr erfaßt wird, ist die Tendenz zur Verselbständigung: Ein traditionell untergeordnetes Element, die digressio [...], erhebt sich zum Selbstzweck.«21 Das bedeutet, dass erstens in der arabesken Struktur bereits die Unterhaltungsfunktion angelegt ist und bei Arnim entschieden darauf hingewiesen wird. Zweitens erlaubt sich die Lesart der Arabeske als einer auf Selbstreferentialität angelegten Kunstform in keiner Weise ihre Abwertung als bloßes Beiwerk. Dass sich Arnim an beiden romantheoretischen Polen, Schlegels Lucinde und Goethes Wahlverwandtschaften, und somit auch an der Arabeske in der Gräfin Dolores abgearbeitet hat, ist längst nachgewiesen; dass er den Roman für selbstreflexives Experimentieren mit der Form genutzt hat, ebenso. Romantische Selbstreflexivität und selbstreflexiver Roman bilden den Kern der Gräfin Dolores. Friedrich Schlegels poetologischer Brief über den Roman (1800), dessen Titel den horazischen Pisonenbrief ebenso wie die dialogische Gesprächssituation im Gegensatz zur rhetorischen Redesituation in Erinnerung bringt, bietet die Folie dafür: Eine solche Theorie des Romans würde selbst ein Roman sein müssen, der jeden ewigen Ton der Fantasie fantastisch wiedergäbe, und das Chaos der Ritterwelt noch einmal verwirrte. Da würden die alten Wesen in neuen Gestalten leben; da würde der heilige Schatten des Dante sich aus seiner Unterwelt erheben, Laura himmlisch vor uns wandeln, und Shakespeare mit Cervantes trauliche Gespräche wechseln; – und da würde Sancho von neuem mit dem Don Quixote scherzen. Das wären wahre Arabesken und diese nebst Bekenntnissen, seien, behaupte ich im Eingang meines Briefs, die einzigen romantischen Naturprodukte unseres Zeitalters.22

20 21 22

Graevenitz: Contextio und conjointure, Gewebe und Arabeske, S. 247. Secker: Arabeske – Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 1, Sp. 847–853. Schlegel: Brief über den Roman – Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, Bd. II, S. 337.

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Aber zum Roman gewordene Romantheorie, wie Schlegel forderte, bedeutet im Fall der Gräfin Dolores gerade nicht allein, »in den artifiziellen Erzählgarten wuchernder Allegorien [...] hineinversetzt«23 zu sein. Vielmehr bildet die Veranschaulichung dieser allegorischen Abstraktionen – in Form von Lebendigkeit, Abwechslung und Genremischung, wie im Untertitel programmatisch angelegt – geradezu ein Gegengewicht, wie die folgenden textanalytischen Beispiele zeigen sollen.

2. Reflexionen des Untertitels Das Variationsprinzip auf der Basis des programmatischen Untertitels – »lehrreiche Unterhaltung« – wird von den Figuren fiktionsintern durchgeprobt. Die eingeschobenen Geschichten, die erzählt oder vorgelesen werden, werden von ihren fiktiven Zuhörern immer wieder darauf geprüft, ob sie kurzweilig oder spannend sind. So kommentiert, kürzt und rafft Dolores die ihr bereits bekannte Geschichte von Hugh Schapler und seinem Vetter Simon, die ihre Schwester Klelia vorliest.24 Diese Erzählung bildet das vierte Kapitel der ersten Abteilung und ist für Klelia eine exemplarische Geschichte für die »eigene Art [...], wie adliche Menschen der Not begegnet sind und wir beweisens auch wieder.«25 Klelia liest die Geschichte aktualisierend als Belehrung für das richtige Verhalten in der Armut, aber Dolores, die sich die Geschichte schließlich erzählen lässt, hält nichts von dieser Art der Belehrung: »erzähle nur die alte Geschichte, ich hoffe, sie wird unterhaltender sein.«26 Und auch die Erzählinstanz, die diesen Dialog der Schwestern zur Geschichte von Hugh Schapler kommentiert, weist in diese Richtung: »Wir müssen ihr [die Geschichte] kürzlich nacherzählen, teils weil die Geschichte uns erlustigt, teils weil sie zu den beiden Pflegetöchtern in naher Beziehung steht.«27 An dieser Stelle werden Unterhaltungs- und Belehrungsprinzip polarisiert und gerade nicht miteinander verbunden. Narrativ realisiert sich dies durch die Gegenüberstellung zweier Figuren, denn »Arnim splittert [...] die Erzählinstanz seines Textes auf verschiedene Rollenerzähler auf.«28 Nicht zuletzt im Namen der Dolores als Leidender und der Klelia als Gepriesener werden die Schwestern gegenübergestellt, diese »betete und arbeitete«, jene »träumte und erlustigte sich«29. Dolores steht schließlich sogar als Schuldige vor ihrer Schwester »wie vor Gott«30. Dieses Strukturprinzip, das auch für die Darstellung der Affekte gilt, lässt sich an weiteren Gesprächssituationen in der Romanfiktion beobachten. Ein zweites Beispiel: Der vom Grafen verabscheute hässliche Baron bringt seine Geschichten23 24 25 26 27 28

29 30

Lützeler: Nachwort. – In: Arnim: Werke in sechs Bänden, Bd. 1, S. 755. Arnim: Dolores – Werke in sechs Bänden, Bd. 1, S. 114–123. Ebenda, S. 114. Ebenda. Ebenda. Andermatt: Wer erzählt? Erzähltes Erzählen und Identitätskonstruktion bei Achim von Arnim, S. 163–173, hier S. 164. Arnim: Dolores – Werke in sechs Bänden, Bd. 1, S. 113. Ebenda, S. 463.

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erzähler, vorgestellt als Kommerzienrat Nudelhuber und Prinzenhofmeister Kirre, auf den Hof von Karl und Dolores. Diese freut sich über die »neue Unterhaltung«31. Aber solche Form der Unterhaltung ist keine, mit der Graf Karl, dem Reformadel und bürgerlicher Mentalität nahestehend, sympathisieren könnte. »Kannst du dich denn nie in die höhere Ansicht des Lebens versetzen, wo alles Scherz wird«32, fragt ihn Dolores. Das Stichwort »Scherz« wie auch die Figur des Barons selbst und seine anzügliche Art verweisen auf das höfische Unterhaltungsmuster des RokokoAdels33, das Karl nicht akzeptieren kann. Diese als Sucht rezipierte Zerstreuung, die mit galanter Unverbindlichkeit und Erotik verknüpft ist, zeigt die Orientierung an Äußerlichkeiten, die Dolores letztlich zu Fall bringen wird. Auch Dolores’ städtische Art passt dazu: [...] sie wollte durchaus spät essen und keinen Tabaksrauch erdulden; sie sprach über Dinge scherzend ab, die den Leuten ernsthaft waren [...]; sie hatte in diesem neuen Kreise kein Gefühl, wo sie anstieß, und wo sie gefiel, und so verschloß sie sich mit verkehrter Freimütigkeit sehr bald die schwache Quelle der Unterhaltung, welche sie mit Familien des Landadels, der Pächter und Prediger verbinden konnte.34

Aber anders als beispielsweise die Fürstin geht Dolores nicht an ihren Leidenschaften zugrunde, denn ihre Umwelt bewahrt sie davor. Bezeichnend ist jedoch, dass sie außerhalb des ›Kontrollbereichs‹ des Grafen und ihrer Schwester Klelia dieser von Empfindsamkeit, Nützlichkeit oder Belehrung entleerten höfischen Unterhaltung anhängt. So erwischt Karl sie, nachdem er vom Studium zu Beginn ihrer Beziehung zu ihr zurückkehrt, beim Blindekuhspielen im Lustgarten, gerade als sie einen jungen Mann umarmt.35 Dagegen versucht der Graf anzugehen, indem er der Gesellschaft um den Baron einen evangelischen Geistlichen, Prediger Frank, als »Gegengift«36 zuführt. Dessen Ton ist belehrend und sein Stil ausschweifend und pathetisch, womit er sich lächerlich macht. Während Frank beispielsweise vom wiehernden Flügelross doziert, wiehert der Rappe des Grafen auf der Koppel wie zur Antwort und entlarvt das Pathos des Predigers als unpassend. Diese Belehrung kann Dolores entsprechend weder kognitiv noch emotional ergreifen. Aber auch für die Empfindsamkeit37 Karls 31 32 33

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36 37

Ebenda, S. 174. Ebenda, S. 182. Vgl. dazu Sommer-Mathis: »Von den Lustbarkeiten des Hofs und den privat-Ergötzlichkeiten der Regenten«. Zu Begriff und Funktion höfischer Unterhaltung (am Beispiel Sachsen-Weißenfels), S. 50–64. Ein weiteres Beispiel dafür: »So schien [Dolores] zuweilen leidenschaftlich zu spielen, eigentlich nur um eine leere Stunde zu töten [...].« Arnim: Dolores – Werke in sechs Bänden, Bd. 1, S. 163. Arnim: Dolores – Werke in sechs Bänden, Bd. 1, S. 165. Ebenda, S. 150. Vgl. dazu Drösch: Zu Gartentypen und ihrer Funktion in Achim von Arnims Romanen Hollin’s Liebeleben und Armut, Reichtum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores, S. 79–106. Arnim: Dolores – Werke in sechs Bänden, Bd. 1, S. 188. Vgl. Fuhrmann: Achim von Arnims Gräfin Dolores, S. 25f. Fuhrmann beschlagwortet Karl mit den Begriffen: Normalität, Sittlichkeit und Empfindsamkeit. Vgl. bspw. aus dem Text: »Der Graf mußte heftig weinen; zum Weinen war er überhaupt leicht gebracht, wenn er allein oder mit Vertrauten war; vor fremden Menschen fand er sich nie zu Tränen gerührt.« Arnim:

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ist Dolores, zumindest ehe er einen Selbstmordversuch begeht und sie ihn beinahe erschossen hat, nicht empfänglich, denn sie sei ihrer »Natur gemäß lustig, hasse alle elende Sentimentalität.«38 Und zum Prediger gewendet verlangt sie: »[...] auch schloß Karls letzte Liebeshistorie [Hollin’s Liebeleben] gar zu ernsthaft; sie müssen es durch etwas Lustiges aus ihrem eignen Leben wieder gut machen.«39 Dieser Prediger Frank entpuppt sich sodann als eitler »kalter Satanas« für Karl, der Dolores’ Wunsch erfüllt und für sie so »unterhaltend« ist, dass sich das Paar heftig zerstreitet. Auf das Ganze betrachtet wird altadliger Emotionsdarstellung eine Absage erteilt, denn die geläuterte Gräfin eifert schließlich den empfindsamen Vorbildfiguren Klelia, Karl und Johannes nach. Dass Graf Karl sich in die Reihe empfindsamer Figuren einreiht, zeigen nicht nur die Nähe zum pragmatischen Ton des orthodoxiekritischen Predigers Frank oder auch sein humorloser Ernst angesichts adliger Zerstreuungslust. Seine Gefühle kann er, diskurstypisch, nach einem Treffen mit Dolores zunächst nicht niederschreiben: »Als er nach Hause kam, wollte er noch spät sein Tagebuch schreiben, aber er wußte nicht auszudrücken, was ihm begegnet, schlafen konnte er auch nicht, ob er sich gleich endlich niederlegte und so sang er der Nachtigall zu und dem rauschenden Strome, die mit einander wetteiferten.«40 Als der Ausdruck in Schriftzeichen, selbst in einem so privaten Medium wie dem Tagebuch, versagt, ist, nicht nur an dieser Stelle für Karl charakteristisch, die einzige adäquate Ausdrucksmöglichkeit das romantische Lied. Obwohl Selbstaffizierung, wie in diesem Falle, zu Sprachversagen führen kann, ist sie doch der Garant für eine entsprechende Wirkung. Rhetorisch betrachtet ist Selbstaffizierung sogar der einzige Weg, Gemeinschaftlichkeit, den sensus communis herzustellen. Auch bei Quintilian heißt es sinngemäß von der Gerichtsrede: »Wird man den trockenen Augen eines Redners Tränen schenken?«41 Nur im Moment des Emotionseindrucks selbst lässt sich bekanntlich nicht formulieren, wie es auch im Herzstück der arnimschen Poetik, der Einleitung Dichtung und Geschichte zu den Kronenwächtern, heißt: [Die] Heftigkeit des Gefühls unterdrückt sogar die Stimme, weil diese sie zum Maß der Zeit zwingt, wie viel weniger mag sie mit der trägen Pflugschar des Dichters, mit der Schreibfeder zurecht kommen. Die Leidenschaft gewährt nur, das ursprünglich wahre, menschliche Herz, gleichsam den wilden Gesang des Menschen, zu vernehmen, und darum mag es wohl keinen Dichter ohne Leidenschaft gegeben haben, aber die Leidenschaft macht nicht den Dichter [...].42

Diese Feststellung korrespondiert mit dem Verhalten Karls, der selbst – nicht nur als Student – der Dichtung zugeneigt ist. Auf den kaum vermittelbaren Gefühlseindruck folgt der Gefühlsausdruck, der durch Distanzierung und Reflexion das Gefühl

38 39 40 41 42

Dolores – Werke in sechs Bänden, Bd. 1, S. 393. Vgl. dazu die Ausführungen von Walter Pape in diesem Band, S. 182–184. Arnim: Dolores – Werke in sechs Bänden, Bd. 1, S. 220. Ebenda, S. 222. Ebenda, S. 134. Quint. Inst. Or. VI 2, 27: »siccis agentis oculis lacrimas dabit?« Arnim: Die Kronenwächter – Werke in sechs Bänden, Bd. 2, S. 14f.

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Antje Arnold

letztlich vermitteln können soll. Allerdings erreichen die Briefe, die doch eigentlich die Emotionen widerspiegeln sollen und die sich Karl und die Schwestern hin- und herschicken, gerade nicht beiderseitige Interessen, sondern verfehlen sie eher. Karl will vom Alltag beider hören, aber formuliert selbst nicht die Alltäglichkeiten, weil sie ihm zu banal erscheinen.43 Dolores, die nicht den langen Atem einer empfindsamen Briefeschreiberin hat, sondern sich in der Abwesenheit Karls durchaus einzurichten vermag, verliert bald das Interesse am Briefwechsel. So driftet das Bild ihrer selbst in ihren Briefen immer mehr ab: »[...] die Briefe waren kein Schattenriß von ihr, sondern eine abgestreifte glänzende Haut, von der sie sich gern zu gewissen Zeiten befreite, um dann um so gelenkiger in ihrer eigentlichen Natur sich zu bewegen.«44 Wie verletzt der empfindsame Karl angesichts Dolores’ unempfänglicher Sorglosigkeit ist, zeigt die allegorische Erzählung des Grafen, Das Heidenmädchen. Er schickt Dolores diese Erzählung, um eine moralische Botschaft – nämlich seine Verletzung angesichts ihres respektlosen Umgangs mit seinen Geschenken – zu veranschaulichen, unterhaltsam einzukleiden, aber gleichzeitig seine Kritik indirekt auszudrücken, jedoch: »[...] sie las es von hinten rückwärts, es war ihr unbegreiflich«. Diese Szene wird von einem misogynen Metakommentar über das im Untertitel angesprochene Publikum (»arme Fräulein«) begleitet, der die Tatsache der fehlenden schulischen Ausbildung Dolores’ natürlich völlig außer Acht lässt: Es ist mit den Dichtungen überhaupt das Eigene, daß viele Mädchen wie mit einem scharfen Striche von dem Verständnisse gewisser Arten ganz abgesondert sind, ganz insbesondere von allen, die ihrem Wesen und ihrer Natur zu nahe rücken, um in ihrer Bedeutung ihnen erfreulich zu werden; Schmeicheleien verstehen sie dagegen in dem allerbarockesten, unverständigsten Wortgepolter, und Bosheiten gegen Bekannte ebenfalls; am meisten scheuen sie sich vor wirklich ernsthaftem Ernst und scherzhaftem Spaß, weil beide durch die oberflächliche Schminke ihres gewohnten Lebens hindurch brechen.45

»Ernsthafter Ernst« und »scherzhafter Spaß« – beide figurae etymologicae zusammen bilden erstens die Wirkungsfunktionen zur Erregung ›sanfter Affekte‹, für die programmatisch die empfindsamen Figuren einstehen, und zweitens die Grundlage für das, was als Unterhaltungsliteratur im Sinne und in Abwandlung der horazischen Doktrin prodesse aut delectare verstanden werden kann.

3. Ethos: Unterhaltung durch ›sanfte Affekte‹ Wie gesehen, wird die Erregung der ›sanften Affekte‹ der mittleren Stilebene textintern reflektiert und textextern rezensiert. Das ethos ist nach antikem Verständnis 43 44 45

Vgl. Arnim: Dolores – ebenda, S. 143f. Ebenda, S. 149. Ebenda, S. 160. Es heißt im Übrigen in Eichendorffs bereits erwähnter Arnim-Besprechung in Anspielung auf dieses Dolores-Zitat, dass Arnims Texte deshalb als romantisch zu charakterisieren seien, weil »überall der Ernst heiter, und der Scherz tief und bedeutend« sei. Vgl. Eichendorff: Über die ethische und religiöse Bedeutung der neueren romantischen Poesie in Deutschland – Werke in sechs Bänden, Bd. 6, S. 127.

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dasjenige, so die kanonische Formulierung in der institutio oratoria, »was sich vor allem durch Güte empfiehlt, nicht nur sanft und friedvoll, sondern meist liebenswürdig und menschlich und für die Zuhörenden liebenswürdig und erfreulich ist [...] und in dem die Sittlichkeit des Redenden aus der Rede hervorleuchtet und auf diese Weise erkannt werden kann.«46 Dass der Redner bzw. die Figuren sich dementsprechend geben müssen, versteht sich von selbst. Bereits seit Cicero geht der auf die Integrität des Redners bezogene Begriff ethos über in ein sog. »Sympathieethos« als ein »leichter Affekt«, der dem Redner die Sympathie der Zuhörerschaft garantiert. Die mittlere Stillage wird so bezeichnet: »angemessen, gefällig, glaubwürdig zu sprechen ist genug, und daher passt auch am besten jene mittlere Stillage.«47 Der tugendethische Anspruch ist der Emotionalisierung des mittleren Stils – Besänftigung, Unterhaltung, Gefälligkeit – bereits inhärent. Was, wie eingangs zitiert, von Eichendorff gelobt wird, stellt andere Zeitgenossen wie Goethe vor Schwierigkeiten, denn die »Einheit von Ethik und Ästhetik« sei ihm »verdächtig«.48 Eichendorffs Feststellung vom ›tiefen, sittlichen Ernst‹ und von der ›Tragik‹ des Romans ist aber auch nur teilweise zutreffend. Denn dominierend, und das ist angesichts der Romanstruktur und der Reflexion des Untertitels unübersehbar, ist das Wirkungsziel, sanfte Affekte, und zwar mittels Unterhaltsamkeit, zu erregen. Pathos kann angesichts einer der Welt enthobenen Büßerin nicht das Ziel sein, denn die Darstellung der Leidenschaften erzeugt wiederum Leidenschaften. Vielmehr wird durch Abwechslung, Genrewechsel, Episodenhaftigkeit, Lebendigkeit im Stil sowie durch Spannung Kurzweil realisiert. Arnim bringt das pathos in Person der adligen Dolores zu Fall, und zwar zugunsten eines sittlichen und das heißt bei Arnim christlichen und von bürgerlicher Mentalität geprägten ethos. All dies wird, wie ich versucht habe zu zeigen, nicht nur im Untertitel programmatisch angekündigt und in einer Art Großprojekt ausgeführt, sondern in Dialogen und kritischen Kommentaren fiktionsintern reflektiert und erprobt.

46 47 48

Vgl. Quintilian, Inst. Or. VI, 2, 13. Ebenda, VI, 2, 19. Lützeler: Nachwort. – In: Arnim: Werke in sechs Bänden, Bd. 1, S. 741.

Urs Büttner

»Durch die Kunst läst sich dieses ahnden«: Achim von Arnim im Kontext zeitgenössischer Konzepte von Gefühlserkenntnis der Kunst

In Die Lesbarkeit der Welt beschreibt Hans Blumenberg im Gang durch die Geschichte Wandlungsprozesse epistemologischer Programme. Wie sich Schriftzeichen zu dem geordneten Ganzen eines Buchtextes zusammenfügen, so soll sich jeder einzelne Naturprozess im Gesamtgefüge des Kosmos verstehen lassen. Es ist die Geschichte einer Ernüchterung, die an dieser Möglichkeit immer mehr zweifelt. Ihren letzten großen Höhepunkt erlebt die Vorstellung in verschiedenen Ausformungen des Idealismus um 1800.1 Dieser gilt als Lösungsweg, Teil und Ganzes zusammenbringen zu können. Diese Problemebene schneidet sich aber mit einer anderen, um die es in der weiteren Argumentation zentral gehen wird, nämlich der des Subjekt-Objekt-Bezugs. Die nachkantische Epistemologie sieht sich der Schwierigkeit ausgesetzt, die Objektivität naturwissenschaftlicher Forschung angesichts pluraler Subjektivitäten zu begründen. Zwei epistemische Bewegungen begegnen dem Problem. Die eine versucht die Erkenntnisse empirischer Forschung im Rahmen der Systembauten idealistischer Naturphilosophien zu integrieren. Obwohl diese Denkbewegung um 1800 noch eine große Blüte erlebt, kann sie sich auf längere Sicht nicht behaupten. Empirie und Detailinterpretation der Naturwissenschaften sollten sich von dem Blick auf das große Ganze, wie ihn die naturphilosophischen Spekulationen unternommen haben, trennen. Die zweite Entwicklungslinie ›antizipiert‹ in gewisser Weise diese Trennungsbewegung, und nimmt das Problem am Ende pluraler Subjektivitäten auf, indem sie die ›Objektivität‹2 von Erkentnisansprüchen ebenfalls multipliziert. Sie akzeptiert den unüberwindbaren Hiatus zwischen rohen Einzeldaten und kosmischem Zusammenhang im Rahmen einer naturwissenschaftlichen Betrachtung. Dagegen rehabilitiert sie den Idealismus der Naturbetrachtung auf dem Feld der Kunst. Die epistemologische Strategie dabei ist, Erkenntnisvermögen, meist im Zusammenspiel von Gefühl mit der Einbildungskraft, zu suchen und aufzuwerten, die einerseits jenseits der für die naturwissenschaftliche Erkenntnis beanspruchten liegen, aber diesseits von ›Schwärmerei‹ und ›Wahn‹, und sich von diesen abtrennen lassen. Die Kunst kann dann selbstbewusst ihren Autonomieanspruch aufgrund ihrer spezifischen Epistemologie vertreten. Dieser zweiten Entwicklungslinie soll hier anhand von Achim von Arnims Weg vom Physiker zum Dichter genauer gefolgt werden, worin auch die Unterschiede zu den 1 2

Vgl. Blumenberg: Die Lesbarkeit der Welt, S. 199–299. Zum Objektivitätsbegriff vgl. Daston, Galison: Objektivität, S. 30ff.

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Urs Büttner

von Blumenberg beispielhaft diskutierten Vertretern der Frühromantik sichtbar werden. Dies soll anhand von Arnims Aufwertung des ›Ahndungs‹-Vermögens als Weg zu symbolischer Erkenntnis nachgezeichnet werden, das er als genuine Erkenntnisform der Kunst reklamiert.

1. Ein kritischer Brief Arnims an Winkelmann Rückblickend beschreibt Arnim sein zentrales Problem bei der Tätigkeit als Physiker folgendermaßen: [D]ie gesamte Naturkunde zerfiel mir in zwei getrennte Welten in Erscheinungen und in ein oberstes Prinzip, oder allgemeinste Ansicht und mein unablässiges Bemühen war, jene unter allgemeinen Gesetzen zu verbinden und dann hieraus abzuleiten, da jede neue Erscheinung ein neues Gesetz hervorbrachte und ein altes störte, so war ich den neuen Beobachtungen nicht gewogen […] ich hätte gar gerne etwas entdeckt, aber ich merkte nicht, wie mir die Induktion immer in den Weg trat.3

Arnims Ausweg bestand in einer Multiplikation des Problems, wodurch er das Problem von Teil und Ganzem zu einer Frage nach verschiedenen Subjekt-ObjektBezügen verschob. Ließ sich für ihn im Rahmen naturwissenschaftlicher Epistemologie keine Lösung finden, so sah er in den Erkenntnismöglichkeiten, die sich mit künstlerischen Anspruch vertreten lassen, seine Chance, Teil und Ganzes doch wieder zusammenzubringen.4 Das Vermögen, das ihn zu ganzheitlichen Entwürfen auf dem Boden der Kunst leitet, heißt ›Ahndung‹. Ich erwähnte schon, daß ich dieses [= dass sich letzte Fragen nicht naturwissenschaftlich beantworten lassen] durch geistige Berührung ahnde, aber alle geistige Berührung ist nur Ahndung, wenn es sich darstellen sollte den Sinnen und das geschieht in der Kunst. Warum ist ein gutes Bildniß mehr als der Mensch selbst? Wie kann der Mensch darin eine ganze Welt zeigen? Weil inso fern ihm der ideelle Pol [= das Ewige im Menschen] geöffnet der Mensch mehr umfasst als es um in aller Welt sichtbar [ist], er eröffnet allen Wesen diesen idellen Pol: [...] wo ihnen das Beste was sie gedacht vortrit in der Annäherung zur höheren Dimension.5

Konkrete Ausführungen zur ›Ahndung‹ finden sich in einer Briefquelle, die sich noch in naturwissenschaftlichem Gewand gibt. In einem Briefentwurf aus dem Mai 1803 nämlich kommentiert Achim von Arnim, die ihm gewidmete Einleitung in die dynamische Physiologie6 seines Naturwissenschaftler-Freundes Stephan August Winkelmann.7 Er lobt die »dicht bey der Erfahrung durchgeführte Consequenz« der 3 4

5 6 7

GSA 03/226, 11 zit n. Burwick: Achim von Arnim – Physiker und Poet, S. 132. Vgl. dazu näher: Burwick: »Sein Leben war groß weil es ein Ganzes war«. Arnims Erstlingsroman »Hollin’s Liebeleben« als ›Übergangsversuch‹ von der Wissenschaft zur Dichtung; und Specht: Fiktionen von der Einheit des Wissens. GSA 03/227 zit. n. Burwick: Physiker und Poet, S. 149f. Arnim wird dort auch S. 22 und S. 36 mit seinen naturwissenschaftlichen Arbeiten zitiert. Zu Winkelmann vgl. Ingeborg Schnack: Einführung. – In: Schnack. (Hrsg.): Stephan August Winkelmann. Philosoph, Poet & Arzt, S. 8–19.

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Studie und kommt dann schnell auf ihr gemeinsames Problem zu sprechen, nämlich, dass »alle Erfahrung [...] so ganz und gar nichts werth [ist] ohne die Theorie«8. Winkelmanns Studie hatte sich diesbezüglich eingangs folgendermaßen epistemologisch rechtfertigt: Diese nothwendige Richtung des Geistes zur Theorie und Erkenntnis der Natur (Wiedererkenntnis seiner selbst) liegt den Versuchen der Philosophen und dem Fleiße der Physiker zum Grunde. So gewiß die Entdeckungen und Einsichten der Naturforscher sich in einem beständigen Fortschreiten der Erkenntniß der Natur nähern, so nothwendig aus der Natur unsers Geistes und so nüztlich für die Naturwissenschaft selbst sind die Versuche der Philosophie, die ideale Theorie der Natur, wo möglich zu errathen und auszusprechen. Mag der gerechte Unwille der Physiker sich von den theoretischen Versuchen wenden, sobald sie zu kühn den Gang der Untersuchung stören oder zu anmaßend ihres untergeordneten Verhältnisses gegen die absolute Theorie vergessen – aber der denkende Naturforscher wird nie das unbefangene Streben verkennen. Hypothesen, sagt Lichtenberg, sind für die Naturlehre, was Experimente für die Chemie – und, darf man fragen, war je ein Physiker ohne theoretische Ahndung?9

Wie hier bereits anklingt, will Winkelmann seine Unternehmung, die mit Arnims früheren Arbeiten ihr Ziel teilt, ausgehend von empirischen Forschungsergebnissen zu einer kosmologischen Theorie der Natur durchzustoßen, gegen die Trennungsbewegungen in den Wissenschaften verteidigen. Die Argumentationsstrategie besteht dabei aber – anders als bei dem Naturwissenschaftler Arnim – in einer Aufwertung spekulativer Erkenntnis und will den empirischen Forschern ihre Nähe und Abhängigkeit von der Naturphilosophie klar machen. Das gegenwärtig hohe Niveau des Naturwissens sei vor allen Dingen dem Abgleich und der wechselseitigen Befruchtung von Arbeiten auf beiderlei Abstraktionsniveau zu verdanken. Der Text fragt nun weiter nach der Subjektivität des Bewusstseins im Erkenntnisprozess, dem die Natur als Objekt gegenübersteht. Dieses Problem liegt zunächst quer zur Unterscheidung zwischen verschiedenen Erkenntniswegen und -formen. Da die objective Welt eine Einschränkung unserer bewußten Geistesthätigkeit ist – unsre sich immer erweiternde Einsicht der objectiven Welt aber jene Einschränkung immer mehr und mehr aufhebt, so ist schon daraus deutlich (ohne uns der philosophischen Rechtfertigung dieser Begriffe zu erinnern): wir nehmen die Natur nur als einen Gegensatz unsers Bewußtseyns wahr – wir denken sie aber nur als einen selbstgeschaffenen Widerspruch unsers Geistes. Wir versuchen die Natur zu erklären heißt demnach: wir bemühen uns die einzelnen Wahrnehmungen der Natur in einem und demselben Widerspruche zu entwickeln, ohne zu besorgen, ob und wie dieser Widerspruch selbst von der Philosophie gelößt werden könne? Indem zum Wesentlichen der objectiven Welt gehört, uns ein Verhältniß unsers Geistes als gegenwärtig und außer uns wahrnehmen zu lassen, betrachten wir die Natur in ihrem weitesten Sinne als die Erscheinung jenes Widerspruchs – als die erscheinende Beschränkung des Lebens. Den Blick selbst auf die Erscheinung, vergessen wir daß Leben nur durch Leben beschränkt werden kann – daß das, was eine Kraft beschränkt, auch Kraft seyn muß – wir betrachten das Einschränkende als eine Negation und dieser Dualismus zweyer gleich lebenden Richtungen des einen und ganzen 8

9

Briefkonzept Achim von Arnim an Stephan August Winkelmann zwischen 5. und Mitte Mai 1803 – Arnim: Werke und Briefwechsel (Weimarer Arnim-Ausgabe) Bd. 31, S. 236–238, S. 236. Winkelmann: Einleitung in die dynamische Physiologie, S. 5f. (Herv. im Orig.).

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Lebens erscheint als der Streit einer positiven und einer negativen Kraft. Unsere, in diesen Gegensatz eingehende, der Beschränkung entgegenstrebende Thätigkeit erkennen wir als unsre Thätigkeit, als Leben – den Grund der ihr entgenstrebenden, sie beschränkenden Thätigkeit nennen wir Tod.10

Da »jener ursprüngliche Widerspruch […] nur in einer unendlichen Reihe einzelner Verhältnisse erscheinen« kann, verlangt seine Erkenntnis gleichermaßen einen Blick aufs Einzelne wie aufs Ganze. Mit der Forderung der Verknüpfung von Empirie und Theorie schließt Winkelmann wieder an seine erste Argumentationslinie an: »in dem ewigen Wechsel des einzelnen Lebens und des einzelnen Todes die lebendige Regel zu erkennen, ist das unendliche Geschäft der Physik«, »die Ahndung« eines größeren Zusammenhangs der Befunde und der Versuch »eine Theorie der Natur zu construieren«11, ist Aufgabe der Philosophie. Hatte Winkelmann die zwei Argumentationslinien auf der Gegenstandsseite zusammengeführt, wendet er sie nun zurück zur Seite des Erkenntnissubjekts. Es geht mithin um die Frage nach der ›Objektivität‹ der Erkenntnis. Nach demselben merkwürdigen Gesetz nach welchem die Erfahrung nur dem Empfundenen, nicht der Empfindung Realität zuspricht, nennen wir auch nur das in unsern Gedanken gewiß, was wir eigentlich nicht wissen. In der Naturlehre geben wir nur den Demonstrationen der Mathematik unumschränktes Vertrauen, die als Betrachtung einzelner Größen die nothwendige Basis aller weitern Naturansicht ist. Ist nämlich die Natur in ihrem allgemeinsten Sinne das [metaphysisch postulierte] Wechselverhältniß eines Positiven und eines Negativen so müssen alle ihre einzelnen Verhältnisse, in so fern sie negativ sind, d. h. als Größen aufgefaßt werden können und die Lehre von diesen (negativen) Verhältnissen das Schema der Physik seyn. In diesem Sinne ist die Verbindung der Idee der Natur (als eines Ganzen) mit dem Begriff der Natur (als aller Einzelnen) die Synthesis der Gewißheit der Religion und der Gewißheit der Mathematik – wäre demnach die eigentliche Aufgabe der Physik.12

Diesen längeren Argumentationsgang Winkelmanns beantwortet Arnim in seinem Briefentwurf mit einigen wenigen Zeilen, deren Sprengkraft nicht sofort ersichtlich ist. Wenn es vorderhand scheint, Arnim nehme nur einige Umakzentierungen in Winkelmanns Begrifflichkeit vor, spricht er hier in Wirklichkeit eine Bankrotterklärung für dessen Epistemologie aus. Arnim hält dessen epistemologische Grundlegung gleich in zweifacher Hinsicht für ruinös: Da jener den Subjekt-ObjektGegensatz nicht überwinden kann, müsste er das sich daraus ergebende Problem, der subjektiven Zurechnung einer äußeren Welt zu einer äußeren Welt lösen. Stattdessen findet sich der lapidare Verweis auf ein »merkwürdiges Gesetz« des konventionalisierten Übergehen dieser Paradoxie. Damit zahlt er den hohen Preis des Subjektivismus seiner Theorie. Aber nicht nur das. Obwohl er das gesellschaftlich »unumschränkte Vertrauen« in die »Gewißheit der Mathematik« betont, diskreditiert er sie im gleichen Atemzug, wenn er sie zur reinen Formsprache macht, in der die subjektiven Erkenntnisse gedeutet im Horizont metaphysischer Postulate prä10 11 12

Ebenda, S. 7f. Ebenda, S. 9. Ebenda, S. 9f.

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sentiert werden. Die Mathematisierung der Physik erscheint letztlich als leicht durchschaubare Verkaufsstrategie von Behauptungen und Spekulationen. Winkelmanns Argumentationslinie zieht durchgängig die epistemologischen Ansprüche zum Niederen der Alternativen herab und fundiert die Theorie mithin im bloßen Glauben. Dass die Sprengkraft von Arnims Kritik so gut verborgen bleibt, liegt daran, dass er mit dem von Winkelmann angebotenen Inventar von Begriffen und Denkfiguren weiterarbeitet und scheinbar nur kleinere Verschiebungen vornimmt, tatsächlich aber ein völlig anderes, sichereres Fundament für ein Theoriegebäude errichtet. Dazu bringt er zwei Überlegungen Winkelmanns zusammen: Der erste Gedanke besteht darin, dass alle organischen Prozesse der Natur – von der Pflanze über das Tier bis zum Menschen – als ein selbsttätiges Wechselspiel von Werden und Vergehen gedeutet werden können. Energiezufuhr in Form von Licht und Wärme beförderten die Entwicklung eines Lebewesens, widerstrebende Kräfte minderten die Vitalaktivitäten eines Organismus bis zu seinem Tod. Der Tod des einen wird wieder zum Nährboden für ein neues Lebendiges. Winkelmann charakterisiert das Organische durch seine beständige ›Metamorphose‹.13 Der zweite Gedanke, an den Arnim anknüpft, besteht darin, das menschliche Sinnesvermögen als besonders hohe Entwicklungsgestalt des Organischen zu verstehen.14 Erkenntnis stellt nun, wie oben zitiert, auch ein solch metamorphes Wechselspiel dar. Bringt man die beiden Ideen zusammen, lässt sich der Subjekt-Objekt-Gegensatz überwinden, indem in der ›Metamorphose‹ eine gemeinsame Struktur gefunden ist, in der der menschliche Geist und die Natur gründen. Doch Arnim geht noch einen Schritt weiter. In einer Kritik am ›Metamorphosen‹-Begriff wendet er das Konzept weg von dem, was vormals Erkenntnisgegenstand gewesen wäre, zurück zu dem, was vormals Erkenntnisweise gewesen wäre. Was bisher als ›Metamorphose‹ beschrieben wurde, wird nun als ›Ahndungs‹-Tätigkeit verstanden, gipfelnd in der Selbsterkenntnis des Prozesses im menschlichen Geist. Die Theorie steht damit ontisch auf sicherem Fundament, ironischerweise begründet, indem Winkelmanns anfängliche Aufwertung der ›Ahndung‹ gegen seine spätere Auflösung der Theorie in bloßem Glauben ausgespielt wird. Das Princip aller Bildung heist in meinem System Ahndung, die Metamorphose wäre ohne dieses Princip nicht vorhanden, eben sowenig ihr Gesetz die Combination, ohne diese Ahndung hätten wir weiter nichts gewiß als was uns Kant’s metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft geben, aus welche Standpunkte ich mich durch mein erstes Buch die Theorie der elektrischen Erscheinungen zu befreien suchte, weil mich diese Tiefe ohne Grund, diese unendliche Nichtigkeit schreckt. Ich kann es nicht begreifen, daß Kant gedichtet wie seine Bekannte versichern, wie hat er je auf einen Reim hoffen können?15

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14 15

Vgl. ebenda, S. 45f. Der Begriff ›Combination‹ wird S. 28f. eingeführt und S. 48f. in Verbindung mit der ›Metamorphose‹ gebracht, was Arnim dann aufgreift. Vgl. ausführlicher dazu auch ebenda, S. 72f. Arnim: Werke und Briefwechsel (Weimarer Arnim-Ausgabe) Bd. 31, S. 237 (Herv. im Orig.).

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Der Schluss des Zitats gibt ihm eine doppelte Stoßrichtung über Winkelmann hinaus. Der Impuls initiert einmal eine Absetzungsbewegung von Kant, der für ›Ahnungen‹ in seiner Wissenschaftstheorie wenig Raum gelassen hat,16 und seine Naturlehre als a priori Bestimmung der bloßen Möglichkeiten der Naturdinge konzipiert hatte. Der Vergleich »Hypothesen bei der Erfahrung – gleich den Reimen bei Gedichten«17 wendet das Erkenntnisinteresse von der Lesefähigkeit der Natur zum tatsächlichen Lesen des Naturgedichts. In diesem Sinne strebt die Aufwertung der ›Ahndung‹ innerhalb verschiedener Erkenntnisweisen gleichsam darauf hin, sie als produktiven Prozeß zu betrachten; das bedeutet sich den empirisch mannigfaltig gegebenen Werdens- und Vergehensprozessen der Natur zuzuwenden. Die Naturprozesse werden hier gleichgesetzt mit einem dichterischen Verfahren, das im Dunklen noch Unbekanntes suchend, doch durch die Kombinatorik geleitet, Zusammenhänge etabliert.

2. Das ›Ahndungs‹-Vermögen in Erkenntnistheorien der Aufklärung Arnims Ausführungen in dem Briefentwurf bleiben skizzenhaft. Um sie in ihrer Tragweite richtig einschätzen zu können, ist eine historische Kontextualisierung des Zentralbegriffs der ›Ahndung‹ notwendig.18 Sie legt die Implikationen, die an seiner Begriffswahl über eine bloße Begriffsgleichheit mit Winkelmann hinaus hängen, offen. Da Arnim eine Schule im Geist der Spätaufklärung besuchte und in Halle studiert hat, ist davon auszugehen, dass er mit den Nachwirken der LeibnizWolff’schen Schultradition in Berührung kam, weshalb hier der Ausgangspunkt für die kleine Begriffsgeschichte gesucht werden soll. Bei Alexander Gottlieb Baumgarten, der die unteren Erkenntnisvermögen in der rationalistischen Philosophie aufwertete und dessen Metaphysica (erstmals 1739) noch bis in die 1790er Jahre als weit verbreitetes Lehrbuch genutzt wurde, wird unterschieden zwischen dem »Vorhersehungsvermögen« (»praevisio«) und dem »Vermögen, das Zukünftige zu erwar-

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17 18

Kant gesteht in seiner Logik dem ›Ahnen‹ eine Rolle als erstem Schritt auf dem Weg zu gesicherter Erkenntnis in empirischen Wissenschaften zu. Vgl. Kant: Logik – Werke, Bd. 5, S. 495 (A 100): »Das Meinen oder Fürwahrhalten aus einem Erkenntnisgrunde, der weder subjektiv noch objektiv hinreichend ist, kann als vorläufiges Urteilen (sub conditione suspensiva ad interim) angesehen werden, dessen man nicht leicht entbehren kann. Man muß erst meinen, ehe man annimmt und behauptet, sich dabei aber auch hüten, eine Meinung für etwas mehr als bloße Meinung zu halten. – Vom Meinen fangen wir größtenteils bei allem unserm Erkennen an. Zuweilen haben wir ein dunkles Vorgefühl von der Wahrheit; eine Sache scheint uns Merkmale der Wahrheit zu enthalten; – wir ahnen ihre Wahrheit schon, noch ehe wir sie mit bestimmter Gewißheit erkennen.« Blumenberg: Lesbarkeit, S. 204. Der Begriff taucht sowohl als ›Ahnung‹ als auch als ›Ahndung‹ auf. Der Stellenkommentar in Arnim: Werke und Briefwechsel (Weimarer Arnim-Ausgabe) Bd. 31, S. 741f. ist hier nicht ausführlich genug, sehr lückenhaft bleibt Nieke: Art. ›Ahnung‹. – In: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 1, Sp. 115–117.

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ten« (»praesagitio«).19 Das Vorhersehungsvermögen nutzt dabei die Einbildungskraft (»phantasia«), die als das Vermögen definiert wird, vergangene Erfahrungen wieder präsent zu aufzurufen. Ein Erfahrungselement der Gegenwart wird um das gespeicherte damit verbundene Begriffsensemble ergänzt und real als Zukunft vorgestellt. Natürlich kann man sich dabei auch täuschen, wenn diese nicht so eintritt. Dem gegenüber bezieht sich das Vermögen, das Zukünftige zu erwarten, auf die Erinnerung (»memoria«). Sie besteht in der Fähigkeit, aus Anzeichen der Gegenwart im Abgleich mit Erfahrungswerten einen Analogieschluss auf die Zukunft zu machen. Dieser Zukunftsentwurf beansprucht nur Möglichkeitscharakter (»Wahrscheinlichkeit«). Hier fällt das Wort »Ahndung« in der deutschen Übersetzung als Benennung dieses Zukunftsentwurfs, sofern er sinnlich und nicht rational ist. Auch wenn Baumgarten vor Fehlschlüssen aus falscher Einschätzung der Gegenwart warnt, so steht im Vordergrund aber seine Wertschätzung besonderer Ausdruckformen des Ahndungsvermögens, das Wahrsagen (»divinatio«), das Weissagen (»vaticinium«, »prophetia«). Insofern Träume auch Ausdruck übernatürlicher Eingebung sein können, nennt Baumgarten auch in diesem Kontext die Traumdeutung (»onirocritica«). Damit wird die Mantik als zukunftsbezogene Zeichenlesekunst anerkannt. Zu trennen ist die Tätigkeit von Einbildungskraft und Gedächtnis strikt von der der dritten Geisteskraft, der Dichtkunst (»facultas fingendi«), die aus Erfahrungen neue mithin fiktive Vorstellungen kombiniert. Auch wenn hier die Produktivität des Vermögens gelobt wird, so überwiegt doch die eindringliche Anzeige der Gefahren: der Schwärmerei oder der gänzlichen Verrücktheit, die einige oder alle Einbildungen mit Empfindungen verwechselt. Auch wird der Somnambulismus erwähnt, als Gefahr falsche Einbildungen eines Traums für wahr zu halten. In der späteren »Aestetica« von 1750 finden sich einige Umakzentuierungen im Bezug auf diese Vermögen, die Veränderungen in der Erkentnistheorie widerspiegeln und in ihren Entwicklungstendenzen in die Zukunft vorausweisen. ›Vorsehung‹ und ›Ahndung‹ werden hier nicht mehr so deutlich getrennt und in einem Atemzug als besondere Begabung des ›poeta vates‹ genannt, aber auch allgemein als wichtige Erkenntnisfähigkeit reklamiert.20 Im Zusammenhang der Aufwertung sinnlicher Erkenntnis als eine Form von Wahrheit wird das Zukunftssehen miteinbezogen, wenngleich sie »non ita crebro, saepius tamen, ac videtur«21 dazu beiträgt. Dabei wird auf einer psychologischen Begründbarkeit dieser Fähigkeit insistiert, und sie gegen übernatürliche Inspirationsvorstellungen abgegrenzt. Wenn diese Fähigkeiten des Geistes auch nur selten von alleine wirksam werden (»huc usque mortuas«22) und eines Kairos bedürfen, so gibt es für ihre Aktivierung doch begünstigende Faktoren. Baumgarten zählt neben einer Disposition der Psyche und des Temperaments verschiedene Umstände, Techniken und Stimulanzien auf,

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Vgl. Baumgarten: Metaphysica 3. Aufl., §§ 595–605 u. 610–618 und deren deutsche Übersetzung: Baumgarten: Metaphysik, §§ 444–450 u. 454–458. Baumgarten: Ästhetik, §36. Ebenda, § 580. Ebenda, § 78.

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durch die die Seele leicht in einen angeregten Zustand der Begeisterung geraten kann. »Psychologis patet in tali impetu totam quidem animam vires suas intendere, maxime tamen facultates inferiores, ita, ut omnis quasi fundus animae, [...] surgat nonnihil altius, et maius aliquid spiret, pronusque suppeditet, quorum obliti, quae non experti, quae praevidere non posse nobis ipsis, multo magis aliis, videbamur.«23 Genau diese Stelle Baumgartens zitiert Johann Georg Sulzer, der 1747 am Joachimthal’schen Gymnasium unterrichtet hatte, das rund 50 Jahre später auch Achim von Arnim besuchte, in dem Artikel »Begeisterung« in seinem Lexikon der Allgemeinen Theorie der schönen Künste.24 In seiner Behandlung des Themas spitzt er es in zweierlei Hinsicht zu: Einmal fasst er die Unterscheidung zwischen produktiven und pathologischen Äußerungen des Seelenvermögens strikter.25 Indem er die Negativfolie deutlicher macht, schafft er auf der anderen Seite einen besser befestigten Bereich, um den ›poeta vates‹ stärker aufzuwerten. Zugleich liest sich Sulzers Artikel fast wie eine Anleitung zur ›psychotechnischen‹ Selbstmanipulation (»[D]ieser glükliche Augenblik, wie wird er hervorgebracht?«26). Er spricht hier deutlich die Sprache empirisch-psychologisierender Erklärungsansätze.27 Die Begeisterung befeuert entweder die Begehrungskräfte oder die Vorstellungskräfte: »In jenen durch andächtige, oder politische, oder zärtliche, oder wollüstige Schwärmereyen; in diesen durch erhöhte Fähigkeiten des Genies, durch Reichthum, Gründlichkeit, Stärke und Glanz der Vorstellungen und Gedanken.«28 Wendet sich die Wahrnehmung einem »undeutlichen« Gegenstand zu, so kann die Vorstellungskraft wenig damit anfangen und die Seele wendet sich in sich selbst zurück. 23

24 25 26 27

28

Ebenda, § 80 (Hervorhebung von mir). § 82 ist im selben Zusammenhang nicht nur von »praevidere«, sondern von »praevisio praesagiumque« die Rede. Sulzer: Begeisterung – Sulzer: Allgemeine Theorie der schönen Künste, Bd. 1, S. 137–142. Vgl. dazu La Vopa: The Philosopher and the Schwärmer. Sulzer: Begeisterung – Sulzer: Allgemeine Theorie der schönen Künste, Bd. 1, S. 139. Vgl. ebenda (mit Bezug auf Baumgarten): »Niemand hat die Tiefen der menschlichen Seele hinlänglich ergründet, um dieses völlig zu erklären. Doch verdient das wenige, was die Beobachtung hierüber an die Hand giebt, genau erwogen zu werden.« Tatsächlich findet sich etwas später im »Magazin zur Erfahrungsseelenkunde« eine umfangreiche Diskussion von ›Ahndungen‹: 1. Bd (1783), 1. St., S. 70–84 (C. Knape: hat die Seele ein Vermögen, künftige Dinge vorherzusehen?); 2. St., S. 78–82 (G. E. S. Henning: Hat die Seele ein Vorhersehungsvermögen?); 2. Bd. (1784) 1. St., S. 72–75 (Anonym: Todesahndung); 2. St., S. 16–17 (Liphardt: Eine fürchterliche Art von Ahndungsvermögen), S. 99–101 (F.A. Zimmermann: Über das Ahndungsvermögen); 3. St., S. 118–121 (L. F. G. v. Göckingk: Noch etwas über das Ahndungsvermögen); 3. Bd. (1785) 1. St., S. 56–74 (F.G.: Die Nichtigkeit des Ahndungsvermögens oder sonderbare Wirkungen eines melancholischen Temperaments); 3. St., S. 20–26 (Anonym: Ahnendes Vorgefühl von Krankheit); 4. Bd. (1786), 1. St., S. 70–78 (K. G. Lenz: Auszug aus einem Brief über Ahndungen und Feuerbesprechen), S. 110–112 (Anonym: Geständnisse über das Vermögen zukünftige Dinge vorherzusehen); 2. St. S. 80–86 (L.: Noch etwas für das Ahndungsvermögen); 3. St., S. 123–125 (L. A. Schlichting: Todesahnung); 5. Bd. (1787), 3. St., S. 75–77 (Anonym: Eine Traumahndung), S. 91–95 (L.A. Schlichting: Noch etwas über Ahndungen); 6. Bd. (1788) 1. St., S. 92–98 (K. F. Pockels: Beurtheilung einiger Fälle vermeinter Ahndungen); 2. St., S. 62–71 (J. H. Bartels: Beleg zur Geschichte der Ahndungen); 9. Bd. (1792), 1. St., S. 70–88 (S. Maimon: Über den Traum und das Divinationsvermögen). Sulzer: Begeisterung – Sulzer: Allgemeine Theorie der schönen Künste, Bd. 1, S. 137.

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Alle Vorstellungen von Dingen, die außer ihr sind, fallen ins dunkele; sie sinkt in einen Traum, der die Würkungen des Verstandes größtentheils hemmet, die Empfindung aber desto lebhafter macht. In diesem Zustand ist sie weder einer genauen Ueberlegung noch eines richtigen Urtheils fähig; desto freyer und lebhafter aber äußern sich die Neigungen, und desto ungebundener entwikeln sich alle Triebfedern der Begehrungskräfte. Da die Vorstellungskraft nun nicht mehr vermögend ist, das würklich vorhandene von dem blos eingebildeten zu unterscheiden, so erscheinet das blos mögliche als würklich; selbst das unmögliche wird möglich; der Zusammenhang der Dinge wird nicht mehr durch das Urtheil, sondern nach der Empfindung geschätzt; das abwesende wird gegenwärtig, und das zukünftige ist schon itzt würklich.29

Zwar ist hier nicht wörtlich die Rede von ›Ahndungen‹, was aber hier geschildert wird, müsste genau diesen Namen bekommen. Was hier noch als produktives Vermögen gilt, bewegt sich hart an der Grenze zur Pathologie: Fällt diese Begeisterung auf eine Seele, die in ihrem ordentlichen Zustand eine gesunde Urtheilskraft und wolgeordnete Empfindungen besitzt; so bleibet auch ihren Schwämereyen etwas von dem Gepräge einer ordentlichen Natur übrig: befällt sie aber Menschen von geringem Verstand und von unordentlichen Leidenschaften, so können ihre Würkungen nicht anders, als abentheuerlich und voll Narrheit seyn.30

Dagegen wird das Entzünden der Vorstellungskräfte »Begeisterung des Genies«31 genannt und damit befinden wir uns nun eindeutig im Bereich der ›facultas fingendi‹. Hier wird das Ahndungsvermögen vermittels eines Vergleichs mit dem Traum mit der künstlerischen Tätigkeit kurzgeschlossen: »der Künstler [sieht] in dem süßen Traum der Begeisterung, den gewünschten Gegenstand vor seinem Gesichte; er vernimmt Töne, wenn alles still ist, und fühlt einen Körper, der blos in seiner Einbildung die Würklichkeit hat.«32 – In diesem Entwurf werden mithin die Grenzen zwischen dem Entwurf einer möglichen Welt in der Kunst und in der Wirklichkeit unscharf. Wenn es Sulzer nun darum geht, wie man sich ›begeistern‹ könne, unterscheidet er günstige Bedingungen auf Seiten des Gegenstands und des Künstlers. Die Sache muss ihm in »einem hellen Lichte« vor Augen stehen und durch Größe, Reichtum und Schönheit einen solch mannigfaltigen Eindruck erzeugen, der die Aufmerksamkeit bannt. Der Künstler braucht eine »reizbare Seele«33. Weiter kann er sich durch Konzentrationsübungen, starke Gefühle (Zorn, Liebe, Patriotismus, Ruhmbegierde) und ›Stimulanzien‹ (Alkohol, sportliche Betätigung, Musik, Geselligkeit) in Stimmung bringen. – Ähnliches gilt im Übrigen auch für die Kunstrezeption, die wie bei Arnim als aktive Leistung verstanden ist. Gehen wir weiter in Arnims Zeitgenossenschaft zu Kant. Hier findet sich die Doppelstrategie von Ausschluss der Schwärmerei und Aufwertung epistemisch

29 30 31 32 33

Ebenda. Ebenda, S. 138. Ebenda, S. 137. Ebenda, S. 140. Ebenda, S. 141.

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gesicherter Zukunftsvision noch deutlicher. 1798 publiziert Kant seine Anthropologie in pragmatischer Hinsicht. Kant sieht sich auf die Zukunft planend einzustellen grundsätzlich als sehr zentral für das menschliche Leben an. Er treibt die Einebnung der Unterscheidung zwischen »praevisio« und »prasagitio« noch weiter. Was bei Baumgarten gerade die »praesagitio« gekennzeichnet hatte, nämlich »die Erwartung ähnlicher Fälle (expectio casuum similium)« heißt jetzt gerade »Vorhersehungsvermögen (praevisio)«34, umgekehrt bedeutet »Vorerwartung (praesagitio)«35 jetzt die Antizipation der Zukunft durch Reflexion auf ein Kausalgesetz. Die Begrifflichkeit wird also prinzipiell austauschbar. – Gegenbegriff ist jetzt die »Vorempfindung, d. i. Ahndung (praesensio)«. Diese tut Kant in seiner »Anthropologie« als »Hirngespinst«36 ab: Ahndungen sind mehrenteils von der ängstlichen Art; die Bangigkeit, welche ihre physische Ursachen hat, geht vorher, unbestimmt was der Gegenstand der Furcht sei. Aber es gibt auch frohe und kühne Ahndungen von Schwärmern, welche die nahe Empfänglichkeit der Sinne hat, wittern die Vorempfindung dessen, was sie, als Epopten, in mystischer Anschauung erwarten, so eben entschleiert zu sehen glauben.37

Diese Kritik steht im Zusammenhang mit einer Ablehnung jedweder widernatürlichen oder übernatürlichen Zukunftssicht. Die Inspiration des Dichter-Sehers will Kant in der Folge von jeglicher göttlicher Eingebung freihalten und begreift sie als natürliches Moment der Kreativität. Dem Traum als Vision und die Deutung von Wunderzeichen bringt er ebenfalls in Misskredit. Er rückt sie in die Nähe von Verrücktheit.38 Kants rigide Beschneidung der ›Ahndung‹ innerhalb der Erkenntnisvermögen teilten nicht alle zeitgenössischen Denker. Eine Diskurslinie, die ihr mehr epistemische Bedeutung geben will, scheint in verschiedenen Kontroversen mit der Kant’schen Philosophie auf. Der erste größere Streit endet in einer Niederlage für den Philosophen Johann Georg Schlosser. Dieser hatte die Begrenztheit der Erkenntnis im Rahmen der Transzendentalphilosophie beklagt und mit Rückgriff auf Platon das Ahnungsvermögen aufwerten wollen, um darüber hinaus und den Ideen näher zu kommen. Kant replizierte 1796 darauf mit seinem Aufsatz in der Berlinischen Monatsschrift »Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie« und erklärte sein Ansinnen zur »Schwärmerei«.39 Ein publizistischer Streit, den sich Kant und Schlosser in den Folgejahren weiter lieferten, machte Schlosser zum Gespött von wichtigen anderen Diskursgrößen wie Goethe, Schiller, Wilhelm von Humboldt, Friedrich Schlegel, Schelling und Novalis. Trotzdem hatte Schlossers unbeholfene Attacke auf die kritische Philosophie auch eine gewisse Berechtigung: Er ahnte wohl mehr als er recht begriff, daß der Eigensinn des natürlichen 34 35 36 37 38 39

Kant: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht – Werke, Bd. 10, S. 490f. (A 98). Ebenda, S. 492 (A 100). Ebenda. Ebenda, S. 492f. (A 100f.). Ebenda, S. 493–502 (A 102–112). Zum philosophiegeschichtlichen Kontext weitergehend vgl. Bubner: Platon – der Vater aller Schwärmerei. – In: Bubner: Antike Themen und ihrer moderne Verwandlung, S. 80–93.

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Erkennens im System der Transzententalphilosophie einigermaßen unterbestimmt geblieben ist. So nimmt es nicht Wunder, daß ein kompetenterer Kritiker Kants als Schlosser, nämlich Friedrich Heinrich Jacobi, auch zu einer vertieften Einschätzung der Ahnung gelangt, an die später Fries modifizierend anknüpft.40

Jacobi kritisiert Kant und will über dessen Beschränkung der Erkenntnistheorie auf objektiv zu rechtfertigende Erkenntnisansprüche hinausgehen und die Erkenntnis über die Erscheinungswelt hinaus erweitern. Dazu nimmt er Korrekturen an Kants Dateinimpressionismus und den korrespondierenden Synthesevorgängen der Vernunft vor. Jacobi weist auf einen Widerspruch in Kants Theorie hin, der Dinge an sich als ›Ursache‹ der Vorstellung von den Dingen ansieht, zugleich aber die Kategorie der ›Ursache‹ nur für die Erscheinungswelt zulässt. Das Problem solcher vorphänomenalen Ursachen löst er, indem er eine realistischere Position gegenüber der impressionistischen Auffassung der Sinnlichkeit fordert, in der die Selbstgegebenheit der Dinge unser Gefühl anspricht, ehe die phänomenale Verarbeitung genauer bestimmt, was da ist, das da ist. Dieser jeweils spezifische Anspruch der Dinge prägt die sinnliche Impression gestalthaft vor. Die gleiche Erweiterungsbewegung, die Jacobi auf dem Gebiet der Sinnlichkeit vermittels des Gefühls unternommen hat, vollzieht er im Gebiet der Vernunft vermittels der ›Ahnung‹. Die Bezeichnung kommt bei ihm allerdings nur vereinzelt vor und gewinnt keineswegs terminologischen Status. Er knüpft dabei an eine sporadische Wortverwendung bei Kant selber an, der der Vernunft einen natürlichen Hang zur ›Ahnung‹ eines ihr korrespondierenden Vernunftreichs zugeschrieben hatte. Diese ›Ahnung‹ bezieht sich – und hier tauchen all die Erkenntnisgebiete wieder auf, die die philosophische Tradition der ›Ahndung‹ immer schon zugeteilt hatte – auf das Ens summum, das die Horizonte des Erkenntnisstrebens umspannt.41 Konkreter auf die Naturerkenntnis angewandt, und damit kommt ihr Zukunftsbezug deutlicher ins Spiel, strebt sie die endursächliche Organisation übernatürlichen Ursprungs aus der Zweckmäßigkeit der Natur herauszulesen. Jacobi wertet nun dieses ›Ahnungs‹-Vermögen epistemologisch auf, gesteht ihm einen weisenden Charakter für die Vernunft zu, der ihr erst ihr Nicht-Wissen anzeigt, bleibt dabei aber mit Kant einer Meinung, dass es spekulativ bleibt und sich nicht in ›Wissen‹ überführen lässt. – Diese »unsichtliche[n] Gesichte«, getragen vom »Schauen der Ahnung« und dem »Gefühle«42 bringen die Erkenntnis erst auf den Weg zu Neuem. Jakob Friedrich Fries’ Weiterführungen Kants und Jacobis zur ›Ahndung‹ kommen zu einer ähnlichen Position wie die Arnims. In seiner Schrift Wissen, Glauben und Ahndung von 1805 unterscheidet Fries das ›Wissen‹ des Verstandes (Welt der Erscheinungen) vom Glauben der Vernunft (Welt der Dinge an sich). Die ›Ahndung‹ sieht er als Vermittlerinstanz. »[W]eder der Verstand, welchem der Begriff 40

41 42

Hogrebe: Ahnung und Erkenntnis, S. 53. Schleiermacher führt diese Überlegungen nach 1814 nochmals weiter (vgl. ebenda, S. 69–74). Um Jacobis Beiteiligung im Pantheismusstreit wusste Arnim, vgl. Arnim: Werke und Briefwechsel (Weimarer Arnim-Ausgabe) Bd. 30, S. 317. Arnim kannte sicher die Arbeiten von Jakob Friedrich Fries. Jacobi: Von den Göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung – Werke, Bd. 3, S. 439. Ebenda, S. 437.

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gehört, noch die Vernunft, der die Idee zukommt, sondern nur die unabhängig frei reflektierende Urteilskraft kann mit ihren reinen Gefühlen das Ewige im Endlichen fassen.«43 Indem Fries in freier Anknüpfung an Jacobi der ›Ahndung‹ das Gefühl als eigenständige sinnliche Erkenntnisweise zuordnet, entgeht er nicht nur Kants Einwänden gegen Schlosser, sondern kann sogar an dessen Überlegungen in der Kritik der Urteilskraft anschließen. »Wir haben im Glauben die Idee einer höheren Welt, aber wir wissen dieser in der Natur weder Begriff noch Bedeutung zu geben, es bleibt uns nichts übrig, als ein Gefühl, wodurch wir sie in der Schönheit und Erhabenheit der Natur ahnden.«44 Diese Erfahrung bleibt freilich in ihrer Ganzheit unaussprechlich. Dass der menschliche Geist aber überhaupt zu dieser Empfindung in der Lage ist, der ein Korrelat in der Natur zukommt, zeigt, dass die Idee des Göttlichen a priori gegeben sein muss, es mithin eine Einheit von Natur und Geist gibt. Damit ist zweierlei gewonnen: Einmal ist der symbolischen Erkenntnis ein eigener epistemischer Anspruch gegenüber diskursiver Erkenntnis gegeben. Wenn es nämlich in der Tat so ist, daß sich in der Ahnung ein Spannbogen von der Empfindung zum Satz aufbaut ohne diesen Schritt hinter sich zu bringen, dann ist darin zugleich die Funktion von Symbolismen mitgedacht, die gerade aus einem solchen Spannungsbogen vom sinnlichen Substrat zu einem semantischen Gehalt ihre Lebenskraft beziehen.45

Zum anderen wird dieser Erkenntnisform ein großer Wert zugesprochen. Durch die Struktureinheit von Natur und Geist wird die Erkenntnistheorie ontologisch abgesichert und dadurch die Ästhetik zum Fundament der Religion. Dabei profitiert die Kunst, der nun die Domäne natürlicher Theologie und ganzheitlich kosmologischer Entwürfe zugeteilt wird.46

3. Die Einheit von Natur und Geist Vor diesem Hintergrund werden zwei Aufzeichnungen Arnims aus seinen Reisenjahren 1803/1804 zur ›Ahndung‹ dahingehend verständlich, als sie ähnliche Überlegungen ausdrücken, aber, wie er für die erste selbst bekennt, »unendlig flüchtich

43 44 45 46

Fries: Wissen, Glaube und Ahndung, S. 175. Ebenda, S. 177. Hogrebe: Ahnung und Erkenntnis, S. 63. Vgl. Blumenberg: Lesbarkeit, S. 240 und Stichweh: Physik in Deutschland, S. 209: »Die ästhetische Konzeption der Natur steht interessanterweise in einer Beziehung funktionaler Äquivalenz zur Religion. Während in England Widerstand gegen avancierte mathematische Theorien in der Naturwissenschaft letztlich immer religiös vermittelt ist – oft vermittelt über das Zwischenglied der induktiven Methode, die in Hinsicht auf den religiösen Kontext ja das Thema der Demut und Bescheidenheit angesichts der Schöpfung symbolisiert –, tritt in Deutschland, wo religiöse Restriktionen auf naturwissenschaftliche Forschung im 19. Jahrhundert irrelevant sind, in dieser spezifischen Hinsicht die ästhetische Konzeption der Natur an deren Stelle.«

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und zerstreut aufgesezt«47 sind. In eben diesem Brief an Brentano übersendet Arnim ihm ein Gedicht und erläutert dessen Genese. Diese deutet er im Lichte des ›Ahndungs‹-Prozesses der Natur als fortwährender Zeugungsakt, der in seinem Gedicht zur Sprache kommt. Was ist Ahndung […] anders als das Kind was um erzeugt zu werden des Mannes Liebe zum Weibe führt, nicht im Mutterleibe allein drängt es strebt es schon im Manne sehnt es sich zu seiner höheren Bildung, so ist das Belebende der Welt ganz eigentlig das Zukünftige, und wie wir sind unser Zustand ist wie das Kind im Mutterschooße oder im Hirne des göttigen Vaters (Dies die Erklärung der alten Mythe von der Geburt der Minerva) die Gedanken sind was zukünftig lebt, darum ist der Gedanken [sic!] das heiligste und höchste der Welt, aus dem Schoosse des Mannes in den Schooß des Weibes vom Schoosse des Weibes in den Schooß der Erde und so in ewiger Kette fort wandeln wir eingeschlossen und befreyt: die Befreyung das Freudige liegt in jedem Steigen also im Uebergange, sey es vom Mann zum Weibe, sey es vom Weibe zur Erde, so ist das Leben das Süsseste als Uebergang betrachtet, aber das Schreckligste wer sich daran anklammern möchte, als wenn ein Mann das Vergnügen der Liebe durch Zurückhaltung verlängern wollte. […] Sieh ich rechne mich zu denen die im Leben noch eine gewisse Begrenzung im Dunkeln fühlen, die sich wohl endlig hinwegdrängen möchten nach ganz ausgebildeten Kräften, ich fühle mich im Leben wie im Schooße der Mutter sinnend über mir, nicht übergehend in raschen Thaten wie andere, ich fühle es daß ich mich reiner und schöner würde ausgebildet haben und noch ausbilden, daß ich weiter schon wäre und noch weiter kommen könnte, wenn eben dieses Mutterleben mehr Schonung für mich hätte mit mir schwanger nicht auf wilden Rossen den eilenden Hirschen nachsezte, nicht beym Spiele Nächte durchwachte und Tage vergaukelte, der Liebe sich nicht ergebe. Meine Art des Lebens verhält sich wie Traum zu That, so erkläre ich mir jetzt folgendes kleine aber nicht kurze Gedicht was ich damals als ich es schrieb mir selbst nicht erklären konnte […]. Es ist ein dunkles Lied und doch ist es der dritte Versuch das Gefühl auszudrücken, worüber mich viele verlachen, wie ich im Mutter[^]schooße ruhte, als Naturerscheinung habe ich in Gilberts Annalen einmal zu bestimmen gesucht, in einem Mythos habe ich es unter meinen Papieren, nimm es hier dunkel wie es ist.48

Wenn das Gedicht »dunkel« scheint, dann ist damit die Bedeutungsfülle des Symbolischen angesprochen. In der konkreten Manifestation weist es immer zurück und voraus auf den allgemeinen Strukturprozess des Werdens, der sich hier gestaltet. In einer Passage seines Reisetagebuchs spricht Arnim den Symbolismus aus Rezeptionsperspektive an. Den Ausgangspunkt bildet die Überlegung aus seiner »Theorie der elektrischen Erscheinungen«, die ein Kräftegleichgewicht dadurch dynamisiert, dass sie einen Überschuss der einen annimmt, die frei flottieren kann. Im Gegensatz zu den ersten zwei Kräften, die sich unmittelbar beobachten lassen, ist dies für die ungebundene Kraft, die sich nur mittelbar in Veränderungen ausdrückt, nicht möglich. Sie ist die Triebfeder des Prozesses, den er später ›Ahndung‹ nennt. Es geht nun um die Frage, welchen epistemischen Status diese dritte Kraft beanspruchen kann.

47

48

Brief Achim von Arnim an Clemens Brentano vom 24., 26. und 27. Dez. 1803 – Werke und Briefwechsel (Weimarer Arnim-Ausgabe), Bd. 31, S. 312–339, S. 315. Ebenda, S. 17f. (Herv. im Orig.).

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Uns liegt jezt die Wahrheit im Gegensatz zwischen zweyen, ob es wohl noch eine höhere Wahrheit giebt, wo ein solches Verhältniß zwischen dreyen sich findet, daß diese Wahrheit dadurch nicht aufgehoben wird ist wohl gewiß vielmehr muß sie so darauf erbaut seyn wie die Stereometrie [= Raumgeometrie] wie auf die Planimetrie [= Geometrie in der Ebene]. Daß dann auch der Raum mehr als drey Dimensionen haben muß und die Zeit mehr Evoluzionen als Vergangenheit Gegenwart und Zukunft und das Denken außer dem Subjekt und Objekt noch das dritte kennen muß, dem wir uns jezt nur unendlig nähern ist wohl gewiß, also kann dann wohl in demselben Raume den wir jezt bewohnen in derselben Zeit noch eine andre Welt seyn, so wie unendlig viele Flächen im Matematischen Sinn noch keine Dicke bekommen und also nichts weiter wie eine Anschauung von dem Körper bleiben, von dem wir doch gar nichts wissen würden, wenn wir nicht verständen was Dicke. Dieses löst das Problem der Evoluzion der Welten auf, der sterbende Körper erhält einerseits eine neue Dimension in seinem einen Pole, so versinkt da der andre Pol nach allen bisherigen Dimensionen, er zerstäubt und zerduftet. Er bekommt eine neue Zeitevoluzion, unsre Perioden des Blutumlaufs, der Schlafzeit, der Reproduction des Wachsens Blühens und Sinkens haben sich in einer höheren aufgelöst. Durch die Kunst läst sich dieses ahnden, sie zeigt wie in der Mahlerey zwey Dimension alles geben knn, was dreye sonst dem Auge darbiethen, Musik und Bildhauerkunst geben den todten Stoff den Lebensausdruck des Lebenden, jene den flüssigen diese den festen (jene ist die Bildhauerey des Flüssigen (also der Liebe so wie diese Bildhauerey der Ehre)) Es scheint als wenn das Vergnügen der Baukunst auch nur darin liegt das in den Verhältnissen einer Dimension der Linie als Repräsentant der übrigen an jene erinnert wird, wie bey den Zeichnungen von Umrissen denn die Anwendung der Farben oder der Bildhauerey bey jener ist ganz unabhängig, so wie bey dieser der hinzugefügte Schatten und Licht, welches wiederum zeigt wie grössere Verhältnisse durch kleinere ausgedrückt werden können. Der Tanz endlig vollendet in allen seinen Zweigen das Kunstwerk, in seinem Gegensatze zur Dichtkunst, jener auswärts, diese inwärts sammelt eine Welt von Empfindung des Räumligen wie des Zeitligen diese in einem Punkte jene in einem Augenblick. Wozu nun die übrigen, wenn diese uns alles jenes darstellen können. So führt uns dieser Gesichtspunkt auf das Entgegengesezte, wie hier die Kunst von der Grenze des Lebens umschlossen dieses Leben durch eine Zusammenziehung auf einen kleinen Abschnit zu verbinden weiß so giebt sie eben dadurch die Gewißheit einer Blüte die über dieses Leben selbst wiederum hinaus wächst.49

Der Umschlag kommt plötzlich: Führte Arnim eingangs naturphilosophische Probleme aus, heißt es dann ganz unvermittelt epistemologisch: »[d]urch die Kunst läst sich dieses ahnden«. Wenn in der Baukunst »in den Verhältnissen einer Dimension der Linie als Repräsentant der übrigen an jene erinnert wird,« wenn in der Zeichenkunst »grössere Verhältnisse durch kleinere ausgedrückt« werden, wenn der Tanz »inwärts […] eine Welt von Empfindung des Räumligen wie des Zeitligen […] in einem Punkte«, die Dichtkunst hingegen »auswärts […] in einem Augenblick« sammelt, dann wird für jede einzelne Kunstform immer wieder dasselbe ausgeführt, ihre Symbolhaltigkeit. Das Symbol gibt durch seine materielle Präsenz »Gewissheit« und verweist als Paradigma auf den allgemeinen Strukturprozess des lebendigen Naturlaufs, den es versinnlicht. Eine ähnliche Denkbewegung wie bei Arnim, die das ›Ahndungs‹-Vermögen poetologisch fruchtbar machen will, lässt sich außerhalb der Philosophie um 1800 auch bei Hölderlin, Novalis und Tieck finden.50 Ohne hier auf deren spezifische 49 50

FDH B 69, S. 96–100 (Transkription: Jürgen Knaack). Vgl. Blumenberg: Lesbarkeit, S. 174 und 246 und Hogrebe: Ahnung und Erkenntnis, S. 78–85

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Nuancierungen einzugehen, kann in systematischer Hinsicht ein zweifacher Gewinn der Aufwertung der ›Ahndung‹ als Fundament der Kunst festgehalten werden: Zum einen ist ein reicherer Erfahrungsbegriff begründet, als Kant in seiner Erkenntnistheorie angesetzt hat. Jenseits der vom ihm epistemologisch rechtfertigten werden weitere Erkenntnisvermögen gesucht. In einem Bereich, den Kant gänzlich als Schwärmerei diskreditiert hat, wird durch scharfe Abgrenzung zum Pathologischen ein Bereich ausgesondert, in dem die Kunst spezifische Erkenntnisansprüche begründen kann. Diese gelten gleichermaßen für den Produzenten wie den Rezipienten. Die epistemologische Rechfertigungsfigur besteht darin, eine Einheit von Natur und Geist nachzuweisen, die sich in dieser Erkenntnisform zeigt.51 Die epistemische Aufwertung gründet sich auf die ontologische Absicherung der Erkenntnis, die darin mitgesagt ist. Damit ist der ›Glaube‹, mithin ein hermeneutischer Horizont, etabliert, der den Anspruch der Zeichenhaftigkeit der Natur erwartet. Zum anderen ist auf Grundlage des ›Ahndungs‹-Vermögens eine Poetik formuliert, die nicht auf Inspiration, sondern auf Kombinatorik aufbaut. Eine künstlerische Sichtweise besteht in einer Virtualisierung des faktisch Gegebenen. Voraussetzung ist das Heraustreten aus der Alltagswahrnehmung, in die gesteigerte Gegenwart eines emotional sensibilisierten Zustands, in der die Sinnesvermögen besonders angeregt sind, gleich ob aktiv (z. B. in rauschhaften, begeisterten Zuständen) oder passiv (z. B. im Traum). Das Gegebene wird dann dekontextualisiert und in neuen Zusammenhängen rekontextualisiert. Damit gewinnen die Dinge der Welt Symbolcharakter, den sie in den üblichen Ordnungsgefügen des Alltags nicht haben können. Entweder steht das Einzelne jetzt als Ganzheit paradigmatisch für ein Allgemeines oder es lässt sich syntagmatisch ein allgemeinerer Prozess, der in der Vergangenheit begann und sich in die Zukunft fortsetzen wird, und in einem Einzelding zu kulminieren scheint, herauslesen. Schlagen wir den Bogen zurück zu Arnims Briefentwurf an Winkelmann und ziehen den Ertrag aus den Ausführungen für die Ausgangsthese, dass sich die epistemische Aufwertung der schönen Literatur um 1800 der Übernahme von Domänen, die andere Erkenntnisbereiche ausgeschlossen haben, verdankt. Die eigentliche Pointe von Arnims Überlegungen zur ›Ahndung‹ besteht darauf hin betrachtet darin, dass er sie auf diese Art zu diesem Zeitpunkt vorträgt. Der Briefentwurf lässt sich auf erste Hälfte Mai 1803 datieren. Arnim hat zu diesem Zeitpunkt mit einer Karriereplanung als Physiker längst abgeschlossen, befindet sich auf seiner Kavaliertour, unternimmt erste Schritte als Schriftsteller und schreibt von Paris aus. Entlang der Trennscheide von Naturwissenschaft und Dichtung scheinen die Formulierungen in doppelter Hinsicht auf den ersten Blick paradox. Aus Sicht der Naturwissenschaft

51

und 89–92. Nach 1814 finden sich ähnliche Ausführungen zur ›Ahnung‹ auch bei Goethe, Eichendorff, Uhland und E.T.A. Hoffmann (vgl. ebenda, S. 75–78 und 90f.). Belege dazu und von weiteren Zeitgenossen sind gesammelt bei Kern (Hrsg.): Geheimnis und Ahnung. Vgl. dazu Blumenberg: Lesbarkeit, S. 248. Während bei Arnim der Naturprozess sich im Geist selbst reflektiert, ist es bei den Frühromantikern (z. B. Novalis) umgekehrt gedacht; hier reflektiert sich der Geist im Naturprozess.

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scheint es widersinnig, Grundlagen für ein »System« zu entwickeln, dieses aber schon einige Zeilen vorher einzuklammern durch die Irrealis-Formulierung, »wenn ich je ein System schriebe«52. Aus Sicht der Poesie scheint es umgekehrt widersinnig, das Konzept der ›Ahndung‹, dessen Begriffsgeschichte seine genuine Verwurzelung im Umfeld künstlerischer Erkenntnisformen gezeigt hat, in den Bereich der Naturphilosophie zu verpflanzen, um letztlich dort doch keine Früchte ernten zu wollen. Vor dem Hintergrund der leitenden These von der epistemischen Aufwertung der schönen Literatur um 1800 stellt sich Arnims Felderwechsel durchaus als fruchtbar heraus, wenn man nach dem Ertrag für die Literatur fragt. – Ein weiteres System der Naturphilosophie wäre im Lichte der zunehmenden Verdrängung der Spekulation aus den Naturwissenschaften in Arnims Augen dort aufzustellen wenig nachhaltig gewesen. Wenn er die Spekulationen dennoch betreibt, dann um dem ›Ahndungs‹-Vermögen der schönen Literatur mittels der Naturphilosophie eine ontologische Grundlage zu schaffen und sie damit epistemisch aufzuwerten. In dieser Zurückhaltung und der Beschränkung auf künstlerische Erkenntnis einzig im Bereich der Kunst unterscheidet er sich von Goethe und den Frühromantikern.53 Arnims rechtfertigende Argumention künstlerischer Erkenntnis ist in doppelter Hinsicht folgerichtig durchgeführt: Epistemologisch ist es konsequent, das ›Ahndungs‹-Vermögen selbstreferenziell auf Grundlage von ›Ahndungen‹ zu rechtfertigen. Auch gegenstandsbezogen ist die Fundierung den Einwänden naturwissenschaftlicher Skepis entzogen, insofern die naturphilosophischen Spekulationen eben nicht mehr mit empirisch-naturwissenschaftlichen, sondern mit dichterischen Erkenntnisansprüchen vorgetragen werden.

52

53

Briefkonzept Achim von Arnim an Stephan August Winkelmann – Werke und Briefwechsel (Weimarer Arnim-Ausgabe), Bd. 31, S. 237. Vgl. Blumenberg: Lesbarkeit, S. 238 und 243.

Gert Theile

Hinter Glas: Romantische Facetten eines modernen Topos bei Hoffmann, Arnim und Tieck für ppn In Augenblicken sozialer Desorganisation, in denen die Gehäuse der Tradition zerfallen und Moral an Überzeugungskraft einbüßt, werden Verhaltenslehren gebraucht, die Eigenes und Fremdes, Innen und Außen unterscheiden helfen. Sie ermöglichen, Vertrauenszonen von Gebieten des Mißtrauens abzugrenzen und Identität zu bestimmen.1

So beschreibt Helmut Lethen die zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, die Ausgangssituation für den philosophischen und literarischen Extremismus zwischen den großen Kriegen. Als durchaus komplementär in ihren Grundzügen darf ihr romantischer Vorläufer, die Situation um 1800 eingeschätzt werden, in die sich die Protagonisten, der uns interessierenden Epoche hineingestellt sehen. Charakteristisch für diese ist das Ungenügen an Alltag und Gegenwart angesichts der Diversität der erfahrenen Welt, deren cartesianischer Riss infolge der rasanten gesellschaftlichen Entwicklung zutage tritt; das meint die Säkularisation mit ihrem Höhepunkt der europäischen Revolutionskriege ebenso wie das Hinübergleitenden in ein industrielles Zeitalter im Prozess einer Subjektkonstitution, in dessen Rahmen sich Vernunft und Glauben unter dem »Totalverlust des Himmels« (Jean Paul) und bei Zuwachs eines sich immer weiter ausdifferenzierenden Wissenschaftsverständisses auseinanderleben. Bei jenem realpolitischen Parforceritt aufgeklärter Vernunft an der Wende vom achtzehnten zum neunzehnten Jahrhundert wird an das Selbstverständnis jedes einzelnen in der deutschen Gelehrtenrepublik – vom homo religiosus bis zum Vertreter des prononciertesten subjektiven Idealismus – die Anforderung gestellt, sich gegenüber diesem Prozeß, den wir gewohnt sind, »Modernisierung« zu nennen, mit seinem wahren Ich im falschen Leben, ergo in einer als verkehrt empfundenen Welt, ob als Philosoph, Poet oder subalterner Dienstverpflichteter, zu behaupten, und zwar gegenüber den erlebten Formen der Entfremdung – den Verlust religiöser Gewissheit, der erzwungenen Loslösung von Verwandtschafts- und Wirtschaftsbindungen, der Notwendigkeit der Mobilität der Arbeitskraft, der Mechanisierung und Verzifferung des öffentlichen Lebens, kurz gegen den Zusammenfall der alten Regelsysteme der Gesellschaft. Als Signatur dieser Entwicklung hat die Forschung einen allgemeinen »Verlust an symbiotischer Wärme« ausgemacht, wenn etwas pathetisch formuliert wird, dass dieser Prozess der Zivilisation »von den wärmeren Gefilden eines Ursprungs der ›Gemeinschaft‹ zu den Gletschern der ›Gesellschaft‹ führt«2. 1 2

Vgl. Lethen: Verhaltenslehren der Kälte, S. 7. Vgl. Lethen: Kälte. Eine Zentralmetapher der Modernisierung, S. 85.

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Im Gefühl, in der verkehrten Welt zu leben, das noch jeder avantgardistischen Bewegung eignet, gründet gut zwei, drei Generationen später – also kurz nach 1900 – auch die Umtriebigkeit von Vertretern jener These, die anscheinend diametral zum romantischen Bedürfnis nach gemeinschaftlicher Wärme steht: Gehörte der Kälte-Topos als »sinnfällige[r] Effekt der Trennungsprozeduren auf allen Ebenen: der symbiotischen, der analytischen, der kulturrevolutionären«3 zum philosophischen und poetischen Inventar der kritischen Weltbetrachtung um 1800, beginnt jetzt die »Aufwertung der Kälte, des Gläsernen« in »alle Sphären der Kultur« einzudringen: »In der Architektur wird Abkühlung [sogar] zum Schlagwort. Die Freilegung der Lichtquellen, metallische Möbel und die sichtbare Verwendung kälterer Materialien [vor allem Glas] sollen den Effekt der Auskühlung erzielen. [Es ] sind Indizien für den ästhetischen Reiz, der von der Entzauberung ausgeht.«4 Helmut Lethens Verdienst ist es, die philosophischen Denkhintergründe für den Wandel in der Bewertung von Kälte als einer »Zentralmetapher der Moderne« aufgezeigt zu haben. So ist auch hier Nietzsche der Stichwortgeber für eine klassische Avantgarde, wenn er davon spricht, dass der Umgang mit der Kälte freigeistgemäß sei, um den »Anblick der entzauberten Welt auszuhalten«. Man kann den Aufschwung der Naturwissenschaften als kondensatorisch für diese Umwertung ins Feld führen und auch die kollektive Überhitzung in den Schlamm- und Bluterlebnissen auf den Feldern des ersten Weltkrieges, die nicht nur Max Webers Verpflichtung des Wissenschaftlers auf den Habitus der »Sachlichkeit« zugearbeitet haben5. Sicher speist sich aber auch der Überdruss von Glasvisionären, wie Hablik, Scheerbart und Taut, und ihre Sehnsucht nach Abkühlung, Klarheit und Kälte aus einem zu großen Wärmehaushalt, mit welchem die sogenannte Biedermeierzeit durch restaurativ verfolgten Gemeinschaftszusammenhalt die »transzendentale Obdachlosigkeit«6, die Komplexität der Entfremdung, die kalte Herzen und jene »metaphysischen Erkaltung der Seele«, zu kompensieren gedachte, die der romantische Theoretiker Adam Müller als Effekt der Geldwirtschaft ausgemacht hat7. Wenn beispielsweise Wenzel Hablik vom kristallenen und gläsernen Gesamtkunstwerk träumt, das eher an Richard Wagners Gralsburg gemahnt als an den bevorstehenden Siegeszug der Neuen Sachlichkeit, und wenn Bruno Tauts 1914 auf der Werkbundausstelllung in Köln gezeigtes Glashaus ebenso alle Sinne in ihrer Gesamtheit ansprechen will, so stehen diese »Farbhäuser und Lichtgewächse« den romantischen »Glaubensikonen«8 und Ornamentkonstruktionen eines Friedrich oder Runge, ja selbst den neoromantischen Auffassungen eines Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach im Pallas der Wartburg näher als dem gläsernen Indu3 4 5

6 7 8

Ebenda, S. 89. Ebenda, S. 90–91. Dazu grundlegend Lethen: Kälte. Eine Zentralmetapher der Modernisierung und ders.: Verhaltenslehren der Kälte. Vgl. Lukacs: Theorie des Romans, S. 73. Vgl. Müller: Elemente der Staatskunst, Bd. 2, S. 217. Eine einschlägige Werkauswahl in: Hawlik, Manhartseder (Hrsg.): Farbenhäuser und Lichtgewächse. – Vgl. Hofmann: Die Moderne im Rückspiegel, S. 157: »Friedrichs Gemälde ist weder eine Seelen- noch eine Sakrallandschaft, sondern eine Glaubensikone.«

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striedesign der sogenannten Kristallpaläste in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Ästhetisch ist lediglich der äußerliche Bruch mit der Butzenscheibenromantik einzugestehen, philosophisch aber eine Umwertung im Nietzsche’schen Sinne anzumerken, dessen Lob der Kälte für den großen Einzelnen mit dem Spott über jene »Kuhwärme« der Gesellschaft einhergeht, die noch Thomas Mann in seinem problematischen Nietzscheanismus im Doktor Faustus verleiten wird, diese »Kuhwärme« als biopolitisches Verhängnis des deutschen Intellektuellen anzudeuten. Dies ist jedoch eine andere Geschichte. Die anscheinend tradierte Ikonisierung ästhetischer Sehepunkte und Gefühlshorizonte von einem Jahrhundertpunkt zum nächsten findet in Friedrich Schlegels Wort vom »ästhetischen Kramladen« ihre Erklärung. Es ist eine Metapher für den »ästhetischen Anarchismus«9 jedes Zeitalters, wo die Produkte des gebrochenen Bewusstseins die Vermischung der Stilebenen befördern. Uns soll nachfolgend lediglich die von der Romantik um 1800 eingebrachte emotionale Zäsur anhand des Gebrauchs der Glas-Metapher interessieren, wie sie gefühlsmäßig konnotiert ist und wie sie ästhetisch gebraucht wird. Im engen Bezirk künstlerischer Strategieentwicklung, deren emotionale Artikulation auf diesen Prozess uns interessiert, wird das vorhandene theoretische Arsenal der schönen Künste, das im Rationalismus der Aufklärung angelegt wurde, gemustert und die Brauchbarkeit als ästhetisches Paradigma »Mimesis« durch die romantischen Ästhetiken schließlich dementiert10. Für eine bereits vor 1800 als verkehrt angesehene Welt, in welcher die bei Horaz entlehnte Losung einer einstmals ästhetischen Avantgarde, Dichtungen glichen Gemälden (Ut pictura poesis) verklungen war, erobert schließlich die dichtungsaffine Musik als allgemein anerkannte nicht-mimetische Kunstgattung den Platz der Malerei. Musik, so heißt es, sei jene Kunst, »durch die sich Gemüt und Emotion am unmittelbarsten ausdrücken ließen, da sie Pulsschlag und Wesen aufgebrochener Leidenschaften selbst konstituiert«11. Und statt Gemälden, welche lediglich den Spiegelbildern der Außenwelt am nächsten kommen12, ist die Rede, »daß Poesie auch Gemütsmusik« sei. Eine echt englische Pointe liefert ein diesbezüglicher Kommentar des mit Coleridge und Wordsworth befreundeten Essayisten William Hazlitt : Dichtung sei »die Musik der Sprache, die der Musik des Geistes antwortet. […] Zwischen der Musik und einer tief verwurzelten Leidenschaft besteht eine enge Verbindung. Irre singen.«13

9 10

11 12 13

Vgl. Schlegel: Über das Studium der Griechischen Poesie, S. 224. Kleine: Mimesis und Imagination, S. 457: »Die ästhetischen Paradigmen von ›Mimesis‹ und ›Imagination‹ bezeichnen […] den Anfangspunkt einer Theorie der ›schönen Künste‹ im Rationalismus der Aufklärung und sein schließliches Dementi durch die romantischen Ästhetiken, die an der Wende zum 19. Jahrhundert alle – mimetische – Verpflichtung von Kunst und Welt – die Mimesis des Realen wie die Phantasie des Anderen – sollten im gesamten 19. Jahrhundert fortleben: im Realismus und Naturalismus einerseits, in Ästhetizismus, Décadence und Surrealismus andererseits.« Vgl. Abrams: Spiegel und Lampe, S. 73. Vgl. ebenda. Zitiert nach ebenda, S. 71–73.

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Hazlitts Witz zielt auf das tertium comparationis von irrational und musisch, und nicht auf eine diskriminierende Gleichsetzung musischer und verrückter Menschen. Gemeint ist das romantische Gegenteil des rationalen Kunstprogramms: Unvernünftige sind es, die die Poesis zum Klingen bringen. Oder, um mit Friedrich Kittler zu argumentieren: Weil um 1800 das Dichten immer auch dem Delirieren unterliegt, kann nicht von »Sublimation« und »Verinnerlichung« – diesen heute »gängige[n] Erklärungsmuster[n] der neuen Sucht« – die Rede sein, sondern einfach von der »Aufgeschriebenheit einer Augen- und Ohrenlust«. So rückt auch die medizinisch-psychologische Erschließung des Wahnsinns in den neuen Menschenwissenschaften« die »idée fixe […] auf den Rang, die einzige Unvernunft von poetischer Würde zu sein«.14 Diese Grundhaltung also, die fixe Idee als Konzentration auf das romantische Kernthema, auf inspiriertes Schreiben inmitten jener zunehmend als verkehrt empfundenen Welt, erfordert aber für die dichterisch angestrebte Ausdrucksdimension verschiedenste Affekte, also: emotionale Bewegung darstellen zu können, eine weitaus größere und der erfahrenen Komplexität adäquatere Palette an Artikulationsmöglichkeiten als Gesang oder Instrumentalmusik bieten können. So kommen auch Topoi und Metaphern in Gebrauch, die im Laufe der erwähnten Modernisierung Konjunktur haben, wie etwa die Anonymität der Menge (The man in the crowd), die großstädtische Architektur, die Leere ebenso wie die Akribie des Gegenständlichen – oder auch der amorphe Stoff Glas. Sowohl seine Beschaffenheit als auch seine Karriere zum alltäglichsten Material im 19. Jahrhundert lässt es Eingang finden in die poetische delirierte Gegenwelt. Der im erzgepanzerten Barock so beliebte Spiegel- und Metallkult bekommt im bürgerlichen Gebrauch der Glasscheibe und der gläsernen Alltagsgegenstände eine Konkurrenz, die für und inmitten der Räume einer neuen, einer komplexer empfundenen Zeit – Kaffeehäuser und Theaterfoyers, Bürgerhäuser und Universitäten, Geschäfte, öffentliche Gebäude und Restaurants – nicht nur Glanz und Selbstbespiegelung gewährleistet, sondern mittels Augentäuschung und Bildbrechung oder dem Erlebnis des mis en abyme Darstellungs- und quasi Verfremdungsvarianten der Verstörung und Entzauberung, des Individualitätsverlusts wie der Identitätssuche, der Vagheit und Bodenlosigkeit ebenso möglich werden lässt, wie jene der Täuschung und der Wiederverzauberung, der Ängste, Sehnsüchte, der Phantasie und des Deliriums. Obwohl Glas eine erstarrte Flüssigkeit ist, dessen ungeordnete Moleküle keine Kristallgitter bilden, rechnen die poetischen Köpfe gern Gläsernes und Kristallenes zusammen, soll es um Enigmatisches und Traumhaftes gehen bzw. eine gewisse Reinheit und Transzendenz apostrophiert werden. Ob Glashaus oder Kristallpalast – ihre religiösen Ursprünge haben die Ideen der Glasvisionäre in der Symbolik der Heilsversprechen, wie etwa der Johannes-Offenbarung, welche von der Stadt Gottes berichtet, die da »klar wie Kristall« und »gleich reinem Glas« sei. »Glas und Kristall« gelten seit diesen biblischen Urszenen als symbolische Bezwinger der Materie.15 Zudem spielen seit der Antike von Artemidors Traumbuch über die volkstümlichen Vorstellungen bis zur Traumdeutung des zwanzigsten 14 15

Kittler: Aufschreibesysteme 1800–1900, S. 136. Vgl. Manitz: Expressionistische Verklärung des Kristalls.

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Jahrhunderts Zerbrechlichkeit und Transparenz wie der Aspekt der Leere (bzw. Fülle) der Form eine große Rolle; sie akzentuieren Emotionen und assoziieren Wertungen angesichts des amorphen Stoffes Glas. Als »manifeste Trennung bei gleichzeitiger Durchlässigkeit«16 liefert die Materialität von Glas jenen Menschenwissenschaften, die um 1800 das Subjekt in seiner anthropologischen Bedingtheit neu zu hinterfragen haben (der Medizin, der Psychologie/Psychiatrie, den – im heutigen Sinne – Sozialwissenschaften sowie den Künsten) eine Verfügbarkeit, die anscheinend paradoxale Befunde durchsichtig illustriert.

1. Zu E. T. A. Hoffmann In der Märchenerzählung vom Goldenen Topf illustriert E. T .A. Hoffmann einen wahrhaft sphärischen Kampf der Geister in Form von vegetabilischer vs. mineralischer Welt als familiärer Ursprungsmythos, den der seltsame Archivarius Lindhorst einer aufgeklärten Gesellschaft in Sachsen zum besten gibt, die Lindhorsts genealogische Schnurre jedoch als »orientalischen Schwulst« abtut. Nur kurze Zeit später macht der uninspiriert schreibende, weil restalkoholisiert, seine poetische Serpentina-Vision auf eine erotische Veronika-Begehrlichkeit reduzierende Student Anselmus die Erfahrung, dass sich Lindhorst sehr wohl mit dem orientalischen Reglement für subalterne Geister auskennt. So poesievergessen wie erotikversessen patzt Anselmus, verkatert wie er ist, beim Kopierprogramm, wobei in Friedrich Kittlers erhellend-vergnüglicher Interpretation des fatalen Ereignisses der »obszöne« Tintenfleck als Metapher der Pollution17 erscheint. Zur Strafe für vergessene Poesie und Selbstbefleckung wird Anselmus einer Situation ausgesetzt, die ihn weder leben noch sterben lässt. […] und es war als verdichteten sich Feuerströme um seinen Körper und würden zur festen eiskalten Masse. Aber indem des Anselmus Glieder enger und enger sich zusammenziehend erstarrten, vergingen ihm die Gedanken. Als er wieder zu sich selbst kam, konnte er sich nicht regen und bewegen, er war wie von einem glänzenden Schein umgeben, an dem er sich, wollte er nur die Hand erheben oder sonst sich rühren, stieß. – Ach! Er saß in einer wohlverstopften Krystallflasche auf einem Repositorium im Bibliothekszimmer des Archivarius Lindhorst. […] Mit Recht darf ich zweifeln, daß du, gütiger Leser! Jemals in einer gläsernen Flasche verschlossen gewesen sein solltest, […] hast du auch dergleichen nie geträumt, so schließt dich deine rege Phantasie mir und dem Anselmus zu Gefallen wohl auf einige Augenblicke in das Krystall ein. – Du bist von blendendem Glanze dicht umflossen, alle Gegenstände rings umher erscheinen dir von strahlenden Regenbogenfarben erleuchtet und umgeben – alles zittert und wankt und dröhnt im Schimmer – du schwimmst regungs- und bewegungslos wie in einem festgefrornen Äther der dich einpreßt, so daß der Geist vergebens dem toten Körper gebietet. Immer gewichtiger und gewichtiger drückt die zentnerschwere Last deine Brust – immer mehr und mehr zehrt jeder Atemzug die Lüftchen weg, die im engen Raum noch auf- und niederwallten – deine Pulsadern schwellen auf und von gräßlicher Angst durchschnitten zuckt jeder Nerv im Todeskampfe blutend. – Habe Mitleid, günstiger Leser! Mit dem Studenten Anselmus, den

16 17

Vgl. Neundlinger: Einübung ins Aufbegehren, S. 43. Kittler: Aufschreibesysteme 1800–1900, S. 126.

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diese namenlose Marter in seinem gläsernen Gefängnisse ergriff; aber er fühlte wohl, daß der Tod ihn nicht erlösen könne, denn erwachte er nicht aus der tiefen Ohnmacht, in die er im Übermaß seiner Qual versunken, als die Morgensonne in das Zimmer hell und freundlich hinein schien und fing seine Marter nicht von Neuem an?18

Unendliche Qual im kalten Licht mittels komplettem Wärmeentzug, Körper und Geist voneinander geschieden, und der letzte Gefühlsrest in der Flasche ist bloß kreatürliche Todesangst – so entindividualisiert finden sich Subjekte wieder, die den eigenen Willen und Glauben zugunsten mechanischer Einübung und bloßem Triebverlangen vergessen.

2. Zu Achim von Arnim Arnims poetische Verwendung des Topos Glas unterscheidet sich deutlich von derjenigen Hoffmanns.19 Dies hängt nicht zuletzt mit einem Erzählbewusstsein zusammen, dessen Eigenart Ulfert Ricklefs als »nie subjektiv ausgesprochen […], sondern stets objektiv realisiert« gekennzeichnet hat.20 Dies aber bezeichnet ein Verfahren, welches in seiner Variationsbreite subjektive Färbungen in versachlichte Darstellung aufgehen lässt. An einigen kleinen Textbeispielen soll auf die durch solcherart objektivierte Darstellung erfolgte Inversion der Gefühlswelt, wie sie sich in Arnims Texten niederschlägt, hingewiesen werden. »Hat Bathseba nicht bestellt, daß es eine schwierige Arbeit sei, die zerbrochenen Scheiben zusammenzusuchen und in Blei zu setzen? Und warum hat sie nicht gewartet, bis ich gekommen, um die griechischen Inschriften zusammenzusetzen, die auf mehreren Scheiben mit dem Diamant eingeschnitten sind?«21, fragt der misslaunige Professor Hemkengrieper am Beginn der Erzählung Holländische Liebhabereien, während er dem jungen Glaser bei der Arbeit misstrauisch über die Schulter schaut. Schließlich muss er – belehrt durch einen sowohl ovidkundigen als auch (und darin dem Hoffmann’schen Anselmus gleichenden) mittels Kopierprogramm konditionierten Adepten des Aufschreibesystems verwundert feststellen, 18 19

20

21

Hoffmann: Sämtliche Werke in sechs Bänden, Bd. 2/1, S. 302–303. Neben den medientechnischen Hintergründen und der »Symbiose von optischen Medien und Einbildungskraft« bei Hoffmann weist Rupert Gaderer in einer neuen Arbeit explizit auf die kunststrategische Montagetechnik des Dichters hin, die gegenüber der Arnims einschichtiger verfährt: »Bei Hoffmann sind Kristalle Versatzstücke des Märchens, genauer Medien aus einer morgenländischen Märchenwelt, deren Protagonisten in die Sphäre des mitteleuropäischen Alltags eintreten.« Vgl. Gaderer: Poetik der Technik, S. 85. Vgl. Ricklefs: Kunstthematik und Diskurskritik, S. 136: »So ist das Normale, Kleindimensionierte und Alltägliche mehr, als was die Gewohnheit darunter sehen lehrt, und das Große, Glänzende, Weitberühmte, wenn es in der Erzählgegenwart erscheint, erscheint menschlich einfach, ist im übrigen den gleichen menschlichen Geistesbedürfnissen unterworfen. Solche Bestrebungen und all die damit verbundenen Geisteszustände sind gleichsam Figuren und Exponente der Geschichte selbst, und sie begegnen derart der – nie subjektiv ausgesprochenen, sondern stets objektiv realisierten – Neutralität, Achtung, Satire, Kritik, dem distanzierten Wohlwollen und der gleichmütigen Relativierung des Erzählbewußtseins.« Arnim: Werke in sechs Bänden, Bd. 4, S. 550.

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dass »die Inschriften vollkommen richtig vereinigt«22 wurden. Gerade weil damit in Hemkengriepers Ambiente die alte Ordnung wiederhergestellt wurde, die nach seinen Worten besagte, dass die »griechischen Inschriften auf mehreren Scheiben« eingeschnitten sind, trifft Detlev Kremers Feststellung in seinem ansonsten furiosen Fenster-Aufsatz nicht zu, wenn er behauptet, Arnims Mosaikfenster bestünde »weniger aus Glas als aus vielfach überschriebenen Schriften«. Ergo würde der Blick des Poeten »nicht durch Glas, sondern durch das umfangreiche Palimpsest der europäischen Literaturgeschichte gefiltert.«23 Hier geht die hübsche Pointe am konkreten Textbeispiel vorbei: Zwar haben wir es im Falle der Hemkengrieper’schen Aussicht durchaus mit einer Überschreibung von Außenwelt zu tun, nur ist hier nicht von sich überlagernden Schriftspuren die Rede und schon gar nicht von solchen, die rechtfertigten, von einem Palimpsest zu sprechen, wie es etwa spätere Vertreter jener Schwarzen Romantik verstehen, die gegenüber dem Leser entweder die »geheimnisvollen Schriftspuren von Kummer oder Freude« erwähnen, welche sich dem Palimpsest seines »Gehirn[s]« eingeschrieben hätten (so de Quincy) oder die einfach die Menschenseele als ein einziges Palimpsest bezeichnen (so Baudelaire).24 Im zitierten Arnim-Text dient die gläserne Schrift lediglich als Metapher einer einfachen Überschreibung der Außensicht. Eindeutig steht sie zwischen Hemkengrieper und der Außenwelt bzw. über der Welt auf Glas. Notabene: Der reale historische Kern, dessen sich die rhetorische Figur bedient, ist der im achtzehnten Jahrhundert nicht unübliche Brauch, sich mit seiner Signatur oder einer Sentenz in Glas zu verewigen. Im übertragenen Sinne der Erzählung bedeutet dies den Hinweis auf eine extrem subjektive Sicht, auf die Verschriftlichung einer Welt im Zeichen der Altphilologie. Griechische Tradition als Buchstabenreglement vor dem Ausblick ins reale Leben zielt auf eine Aufklärungskritik, die im Falle der Arnim’schen Erzählung sogar mit der konkreten Person des Johann Heinrich Voß verbunden wurde. Hemkengriepers zeitweise Beruhigung über die wiederhergestellte Ordnungssicht und somit auf seine individuelle Wertestaffelung der Dinge weist wiederum zurück auf das künstlerische Autorverfahren: auf die Umwidmung der zugrundeliegenden Emotionen des buchgelehrten Philisters. Das Schutzbedürfnis vor der realen Welt objektiviert sich in einer nahezu apotropäischen Verschriftlichungsgeste, indem die gläserne Wand zwischen Ich und Welt mit den (altgriechischen) Zeichen des eigenen Verstehens gleichsam besetzt wird. Gegenüber anderen Autoren genügt Arnim die bloße Verwendung der GlasMetapher anscheinend nicht. Soll heißen: Der Funktionsträger Glas bedarf der zusätzlichen Markierung der Protagonisten. Das Subjekt schreibt sein emotionales Bedürfnis in das Trennungsmedium ein. Am Beispiel der »zeitlosen [...,] sich unmittelbarer Darstellung entziehendende[n] Kronenburg« der Kronenwächter, diesem »(Nicht-)Ort«, der im Laufe des Romans, wie Claudia Nitschke formuliert, »den Charakter einer räumlichen Gegenwelt« gewinnt, »die sich von der Gegenwart

22 23 24

Ebenda. Kremer: Fenster, S. 220. Vgl. dazu Weinrich: Schriften über Schriften, S. 23–34.

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distanziert«25, erinnert einer der Protagonisten sein Kindheitserlebnis wie folgt: »Ich war in der Kronenburg, wer könnte sie euch beschreiben. Aber alle ihre Wunder erfreuten mich wenig. […] Nach wenigen Tagen ward Konrad in meine Arme geführt. […] Wir spielten den Kronenwächtern manchen Streich, bemalten ihnen die Gesichter, wenn einer einschlief, schmierten dem Löwen Butter auf die Nase, daß er tagelang danach leckte, kratzten allerlei Fratzenbilder in die gläsernen Wände.«26 Nicht kindlicher Übermut oder Freude am reinen Schabernack sind der Motor für derartige »Streiche«, sondern ein emotionales Grundbedürfnis, mittels Verharmlosung die furchtbaren und ehrerbietenden Attribute der geheimbündlerischen Macht (Wächter, Löwe, gläserne Burg) auf ein kindgemäß-erträgliches Maß herabzustutzen. Der Löwe wird zur Miezekatze, die als »grausam« apostrophierten Wächter werden clownesk verfremdet und mittels scratching, wie diese Form von Graffiti durch das Zerkratzen von Glas (u.ä. Materialien) von der heutigen HipHop-Szene bezeichnet wird, ein im Grunde durchaus diabolisch behaupteter Gegenentwurf (Fratzenbilder) zum übermenschlichen Reinheitsanspruch der Kronenwächter eingebracht. Nicht Destruktion, sondern Kontrafaktur (also Umdichtung, die der Parodie nahe kommt) sind die nicht zu trennenden emotional-rationalen Beweggründe der gekidnappten Schmieranten. Markiere ich mein Signum, mein tag, so markiere ich mein Hoheitsrecht, entmachte das Fremde, indem ich ihm den Schrecken nehme, vom Anderen gleichsam Besitz ergreife, weil ich es nach meinem Gusto benenne. Kontrafaktur, Umdichtung bis hin zur Parodie entspricht auch der strategischen Intention des Poeten Arnim. Ein weiteres Beispiel für Arnims Einsatz des Hinter-Glas-Topos ist ein Szene aus den Majorats-Herren: Die Sache des nach innen gekehrten jüngeren Majoratsherren ist nicht das »Springen« von Stockwerk zu Stockwerk, um in Esthers Zimmer zu gelangen, ja nicht einmal das Beobachten durch »große […] Scheiben«, die der Vetter anstatt der »von der Sonne verbrannten Fenster« im schlechten Zimmer an der Judengasse einsetzen will, sondern neben der Ohrenlust des Introvertierten die Augenlust der besonderen Art, die Gerhard Neumann treffend als eine Inszenierung des »ordnenden Blick[s]«27 charakterisiert hat. »Mein lieber Vetter! Rief der Majoratsherr: diese trüben Scheiben sind meine Wonne; denn sehen sie, durch diese eine helle Stelle sehe ich einem Mädchen ins Zimmer, das mich in jeder Miene und Bewegung an meine Mutter erinnert, ohne daß sie mich bemerken kann.«28 Neumanns konkrete Kennzeichnung solchen Experimentierens mit der Augenlust als »Gewinnung einer Subjektmodellierung«29 erhält vor dem Hintergrund der oben zitierten Ricklef’schen allgemeinen Einschätzung des Arnim’schen Erzählbewusstseins, dass die subjektiven Beweggründe stets »objektiv realisiert« werden, dichtungsstrategische Plausibilität.

25 26 27 28 29

Nitschke: Utopie und Krieg, S. 344. Arnim: Werke sechs Bänden, Bd. 2, S. 284–285. Arnim: Werke sechs Bänden, Bd. 4, S. 117, 112; vgl. Neumann: Erotische Räume, S. 117. Ebenda, S. 113. Ebenda, S. 129.

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Gleichsam als objektivierte Bedürfnisse der unterschiedlichsten Protagonisten bieten diese Hinter-Glas-Beispiele literarische Umwidmungen am Beginn einer künstlerischen Moderne, in der das »Glas als Medium und Metapher« dazu berufen ist – so Roland Innerhofer –, »der literarischen Argumentation und Imagination Konkretheit und Evidenz zu verleihen«.30 Und fügen wir hinzu: Sei es das Schutzbedürfnis des buchgelehrten Philisters vor der befremdenden Welt, sei es der psychische Drang nach Selbstbehauptung ausgelieferter Kinder oder sei es der selektierende Blick des Voyeurs voll Sehnsucht nach Individuation. Ob Butzen- oder blinde Scheiben oder aber ein Kristallpalast – gerade weil Glas immer »isoliert und mortifiziert«31, nutzen Arnims Individuen ihre gläsernen Scheidewände zwischen sich und der Welt für ihre Reaktionsstrategien, wenn sie ihre emotionale Verfasstheit objektivieren, indem sie die Bedeutung der Glas-Metaphern jeweils subjektiv brechen. Während Hoffmann die diversen Ängste seiner Protagonisten mit gläsernen Utensilien märchenhaft, doch eineindeutig arrangiert – Flaschen als gläserne Gefängnisse im Goldenen Topf, Glasaugen im Sandmann, ein Perspektiv im Meister Floh –, erfahren die gläsernen Topoi in Arnims Geschichten ihre zusätzliche Behandlung durch die Subjekte: Die Fenster zur Welt werden altphilologisch signiert, die Kristallwände der Kronenburg häretisch-infantil entzaubert, und mit dem Durchblick im ansonsten blinden Fenster wird kein bloßer Einblick ins Fremde gesucht, sondern der Voyeursblick wird qua Selbstexperiment zu einem Tunnelblick umgewidmet, der dem Beobachter sehnsuchtsvoll Ur-Eigenes visuell zu imaginieren hat, was wiederum gewisse Rückschlüsse auf einen gewissen Grad pervertierter Individualität beim Protagonisten zulässt.

3. Zu Ludwig Tieck »Wunder. Magie« hat der Witzbold und Ironiker von Shakespeares und Solgers Gnaden, Ludwig Tieck, das Kapitel seiner Dresdner Märchennovelle von 1835, Die Vogelscheuche, überschrieben: Wenn wir in London sind, wissen wir, daß viele Tausende aufwachen (falls sie geschlafen haben), die nicht wissen, wie und was sie frühstücken, oder gar zu Mittag essen sollen. Der wütende Hunger treibt sie herum, wir begegnen selbst diesen rasenden Wölfen, ohne sie zu kennen, die fast im Begriff sind, den Menschen anzubeißen, und keiner von ihnen kann nur einen Bissen von dem anrühren, was an tausend Orten ausgelegt ist, weil ihm auch die kleinste Scheidemünze zum Einkaufen fehlt. Noch mehr: in den Straßen, wo Alles wandelt, sind die reichsten Silber- und Goldgeschirre, unschätzbare Edelsteine hinaus gestellt. Nicht Mauern Ehrenbreitensteins, Jericho’s, oder des Dresdner grünen Gewölbes schützen diese Kostbarkeiten, eine dünne, zerbrechliche Glasscheibe trennt das Juwel vom Fuß des Vorbeigehenden. Die kleine Zehe könnte mit einem Stoß den fast luftdünnen Schirm zertrümmern, – so oft ist die Straße leer, oft kein Bewohner im reichen Laden. – Ein Tritt, Ein Griff gäbe dem Hungerwütigen das, wofür er Mahlzeit, Zimmer, Gastgeber und das Haus des Gastgebers kaufen könnte – und doch geschieht nichts der Art. – Muß hier ein Beduine der Wüste nicht Wunder 30 31

Vgl. Innerhofer: Glas als Medium und Metapher, S. 155–163. Ebenda.

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sehn! Was ist denn die unsichtbare Geistermauer, welche diese Juwelen schützt? Ein zehnjähriger Londoner Knabe wird sagen: Da ist nichts Unbegreifliches, das versteht sich ja von selbst. Einem Soldaten, der vor Kurzem bei der Plünderung verschiedener Städte zugegen gewesen, würde das, was ich Wunder nenne, nur als läppischesVorurteil erscheinen, wenn das Wunderwort ›Subordination‹ nicht seinem Gelüst die geistige Mauer vorbaute. Ein Wilder, der kein Geld je gesehen hat, und nur die Jagd kennt, und die Früchte und wilden Wurzeln, die ihn auf seinen Wanderungen nähren, müßte Wunder rufen, wenn er sähe, wie in einem kleinen, glänzenden Stein Haus und Hof, Dienerschaft, schöne Mädchen, herrliche Tafelund alle Freuden des sinnlichen Lebens eingeschlossen liegen. Wohl sagt der Magier mit Recht: In Steinen birgt sich große Kraft.«32

Es ist weniger Vormärzluft, die durch diese Geschichte Tiecks zieht, sondern der bekannte Metropolengeruch, den der Dichter bereits von Berlin her kannte, ehe er Wilhelm von Burgsdorff auf dessen zweiter Englandreise auch nach London begleitete. Doch schärft der großstädtische Fokus die soziokulturelle Pointe, zumal sich die »Folgen der industriellen Revolution […] schon 1828, bei Heines Londoner Aufenthalt, studieren« ließen, wie etwa Gerhard Sauder festgestellt hat.33 Zehn Jahre nach Tiecks Novelle sind dann die nüchternen Tatbestände in Friedrich Engels’ Schrift über Die Lage der arbeitenden Klasse in England nachzulesen, wenn berichtet wird über die brutale Gleichgültigkeit, die gefühllose Isolierung jedes Einzelnen auf seine Privatinteressen«, die »um so widerwärtiger und verletzender« hervorträten, »je mehr dieser Einzelnen auf den kleinen Raum zusammengedrängt sind. Nirgends, so Engels weiter, trete die »bornierte Selbstsucht« als Grundprinzip der heutigen Gesellschaft »so schamlos unverhüllt, so selbstbewußt auf als gerade hier im Gewühl der großen Stadt. Die Auflösung der Menschheit in Monaden, deren jede ein apartes Lebensprinzip und einen aparten Zweck hat, die Welt der Atome ist hier auf die höchste Spitze getrieben.34

Tiecks poetisches Interesse zielt auf mehr als die einfache Beschreibung der Hobbes’schen Wolfsnatur des Menschen, die bei ihm auch Erwähnung findet. Schon gar nicht ist es ihm darum zu tun, vordergründig Sozialkritik zu üben. Ihn fasziniert der paradoxale Befund einer sozialen Unwucht in Gestalt Einzelner, die lediglich durch fragil scheinende gesellschaftliche Konventionen im Zaume gehalten werden. Es geht um die eruptive Gewalt unter einer dünnen gesellschaftsvertraglichen Oberfläche, die einem sozial unvertrauten sogenannten Naturmenschen unverständlich sein muss. Für die Darstellung jenes Paradoxons menschlicher Existenz, für die soziokulturelle Balance zwischen kreatürlicher Selbstsucht und gesellschaftlichem Zwang, greift Tieck zum Topos der Schaufensterauslage, einem Thema, das – so die Forschung – in der Reiseliteratur »seit dem späten 18. Jahrhundert bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts hinein als ein dauerhaftes ästhetisches Vergnügen«, zur »Linderung des Größen-Schocks« diente.35

32 33 34 35

Tieck: Schriften in zwölf Bänden, Bd. 11, S. 491f. Sauder: Einführendes Referat, S. 552. Zit. nach ebenda, S. 552. Ebenda, S. 555.

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Tieck bricht mittels romantischer Losungen, wie »Wunder« und »Magie« sowohl die Ungeheuerlichkeit der soziokulturellen Balance als auch die egoistische Selbstsucht vor und hinter der Scheibe herab auf den Tatbestand der Hobbes’schen Triebnatur, auf die verfremdete Natur des Menschen, über die Naturvölker staunen, und die Odo Marquard als Gegenstück der von der Romantik herbeigesehnten Natur, als die Signatur negativer Anthropologie schlechthin, bezeichnet hat.36 Dem Fetischcharakter der »Steine«, die Kaufkraft besitzen, wohnt ein ähnlicher Zauber inne wie der zerbrechlichen und anscheinend so unüberwindbaren Scheibe, deren Transparenz zudem den Blick auf das Unerreichbare gewährleistet und so die Perversion des Zustandes der Isolation und Entfremdung darstellungstechnisch potenziert. Mittels des urbanen scheinbaren Widersinns veralbert Tieck sowohl den Rousseauismus des achtzehnten wie die Romantik des neunzehnten Jahrhunderts, wenn sein ironischer Relativismus die Paradoxie des menschlichen Lebens einmal mehr als ausgemachtes Narrenspiel ausstellt. Tiecks Zeitgenosse Ferdinand Gustav Kühne, der dessen späte Novellistik übrigens als unhistorisch, soll heißen: apolitisches Gemisch aus Eigensinn und Laune programmatisch unbefriedigend fand, verdanken wir den Hinweis, dass die Figuren des Dichters, sobald sie einmal »hinter die Larven schauen«, das Leben als »gräßliche Erfindung«, als eben jenes »tolle […] Narrenspiel« ansehen.37 Im Londoner Beispiel gibt es keine Verlarvungen, wie etwa als Cappricio in einer romantischen Schauspielerei; vor dem Glas lauern die nackten Emotionen der anwesenden Triebnatur, hinter dem Glas lockt die kalte Kauf-Kraft der Steine, und der offene Mund des homme naturel über diesem so unromantischen Schauspiel bezeichnet die Widernatürlichkeit einer Kulturepisode, deren Boulevardcharakter in die Literatur Einzug halten wird in zukünftige Passagen-Werke und Großstadt-Epen. Die Attitüde des weisen Narren hat Tieck bei Shakespeare abgelernt, der den Wahnsinn als Gestaltungsmittel gern verwendet. Seine literarische Annäherung an die Beschreibung des Paradoxen verführt wiederum Tieck zu einer Darstellung, deren Krudität für das neunzehnte Jahrhundert von der Forschung als singulär angesehen wird: In der Novelle Waldeinsamkeit ist es ein Wahnsinniger, dessen fixe Idee es ist, mikromegalische Zusammenschau am Beispiel der Defäkation zu treiben. Doch ist es nur eine Seite der Medaille, die Novelle als Abschied des Dichters von den eigenen Schöpfungen, wie »Waldeinsamkeit« und »mondbeglänzten Zaubernächten«, zu lesen. Wahnsinn und Wahnwitz liegen, etymologisch betrachtet, in synonymischer Nähe zum Begriff der »Tollheit« und der »Narrheit«38: Die anscheinend törichte unappetitliche idee fixe, die hier ausgebreitet wird, stellt einen kulturellen Tabubruch vor, dessen Radikalität aber keiner bloßen Laune eines eigensinnigen Dichters entspricht. In ihrer unerhörten Grundsätzlichkeit ist sie kalkuliert, um das Anliegen des Wahnwitzes zu profilieren. Tiecks Wahnsinniger von 1841 schreibt die Quintessenz seines Weltverständnisses, das er ansonsten in 36 37 38

Vgl. Marquard: Kant und die Wende zur Ästhetik, S. 33–34. Vgl. Kühne: Ludwig Tieck. Vgl. dazu: [Art.] Geisteskrankheiten. – In: Allgemeine deutsche Real-Encyclopädie für die gebildeten Stände, Bd. 4, S. 98.

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Gesprächen extemporiert oder diaristisch erörtert, in die Fensterscheiben seines vergitterten Gefängnisses. Er nennt sie: Gläserne Gedichte Hättest du mich, o Herr, als menschliches Bild nicht erschaffen, Tönte auch nicht dein Lob vom Maule des schnatternden Affen. _____________ Kot ist heute, was gestern noch Ananas war und Aroma: Daß nur des Herzens Liebe sich auch nicht so tierisch verwandle! _____________ […] Jegliche Korrektur Ist gegen die Natur, Bleib mir Kritik, vom Leibe, Wenn auf der Fensterscheibe Ich also dicht’ und schreibe. _____________ Kohlen sie werden aus tiefstem Schacht der Erde gegraben, Ewige steinerne Ruh’ mußt flügeln die Torheit der Menschen. _____________ […] Bin ich matt, so bin ich unzufrieden; Bin ich munter, fang’ ich an zu rasen: Kommt die Reue, wein’ ich wie ein Kind. Warum leben denn und leiden – Löscht dies Feuer auch der grüne Rasen?«39

Natürlich auch hier wieder die tradierte Geste des Gelehrtenbrauchs, Sentenzen einzuritzen. Selbstredend auch hier der Hinweis auf die Überschreibung von Außensicht und Außenwelt. Doch die anscheinend läppisch bis degoutanten Lyrismen heißen Gläserne Gedichte, weil sich hier im Stile eines Shakespear’schen »weisen Narren« die paradoxalen Befunde der menschlichen Existenz sowohl anthropologisch als auch sozial-historisch auf ihren Kern zurückgeführt finden. Es sind alles so genannte Letzte Fragen (wobei sogar die Fragwürdigkeit der industriellen Revolution in Xenienform klassisch aufgegriffen wird). Mithin sind es Fragen nach dem eigenen Ich, dem Woher und Wohin in der Krise. Mit den Worten der Gläsernen Gedichte hat Tieck so etwas wie den Entwurf eines Gläsernen Menschen von seiner philosophischen Warte aus versucht. Reduziert auf Grundsätzliches kann nämlich Philosophie, die sich um das Alpha und Omega des menschlichen Lebens – um Selbstbild und Fremdbild, um Fortschritt und Ruhe, um Körper und Seele – dreht, an sich selbst irre gehen, eignet ihr nicht relativistisches Vermögen, sondern lediglich die Fixation auf eine Idee. In solch krisenhaft artikulierter Identität findet sich dann das verunsicherte Subjekt abgrundlos als mis en abyme widergespiegelt in den Scheiben, die sowohl von seinen Fragen künden wie sie es von der problema39

Tieck: Schriften in zwölf Bänden, Bd. 12, S. 906f.

Hinter Glas

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tischen Außenwelt trennen. Gleichzeitig kündet die Schrift im Glas vom Wissen um das Trennende, eben weil sie die Scheiben sichtbar macht. Damit aber entspricht dieses Bild vom Abgrund der wiederholten visuellen wie rhetorischen Spiegelung, der sich dem fragenden Subjekt auftut, nicht nur der unendlichen Wiederholungsschleife, sondern auch jener Brechung der Fiktion, die das mis en abyme als ein illusionsstörendes Erzählverfahren auch leistet.40 * Konnte noch ein Wolfram von Eschenbach angesichts der Technologie seiner Zeit feststellen, dass »Zinn, gefällig hinter Glas, / sowie des Blinden Traum […] / Nur die Milchhaut der Erscheinung«41 zeigen, verleiht die Flachglastechnologie der Moderne dem Medium Möglichkeiten der Transformation durch optische Distanzierung, wobei auch Rahmung und Belichtung an der Erzeugung einer realistische Hypergenauigkeit mitarbeiten. Statt wohltätig blinder Spiegel in mittelalterlicher Finsternis zündet die illuminierte Welt ganz neue Irrlichter an: Blinde Flecken im Innern werden spürbar durch hundertfach gespiegeltes Außen. So verursachen polyfokale Sichtweisen geistige Umwertungen und emotionale Diskontinuitäten, denen man früh versucht, ironisch bis surrealistisch beizukommen. Die Romantik um 1800 geht den emblematischen Bildern vom himmlischen Jerusalem jedenfalls nicht mehr auf den Leim. Kommen Visionen ins Spiel, wie etwa bei der Erwähnung (nicht Beschreibung!) der Arnim’schen Kronenburg, scheint immer auch das Bedrohliche für die Protagonisten auf. Kälte und Trennung symbolisiert das Glas für die Romantiker. Wenn Glas und Kristall in ihren Geschichten noch als symbolische Bezwinger der Materie zu gelten haben, dann sind sie vor allem gegen die Materialität ihrer Subjekte gerichtet. Für die romantischen Dichter erscheint – neben den Möglichkeiten, die emotionale Konditionierungen ihrer Figuren durch Isolation und Mortifikation mittels Glas herauszustellen – die paradoxe Potenz von Glas wegen seiner Durchsichtigkeit und Abgeschiedenheit als Darstellungsmöglichkeit des Mehrschichtigen und Ambivalenten der menschlichen Natur interessant.42 Zwischen der nach romantischem Verständnis formvollendeten Welt der Metalle und Minerale und der gestaltlosen vegetabilischen Welt findet das Glas seinen Platz im poetischen Darstellungsspektrum. Es wird zu einer Metapher für die empfundene 40 41 42

Vgl. Wolf: Ästhetische Illusion und Illusionsdurchbrechung in der Erzählkunst, S. 297–299. Eschenbach: Parzival, Bd. 1, S. 11. Dies unterstreicht selbst die metaphorisch gehaltene Passage über Dichtung und Geschichte in der Einleitung der Arnim’schen Kronenwächter auf der Ebene des ästhetischen Programms. Roswitha Burwicks Hinweis auf das »Konzept der Refraktion« am Beispiel der von Arnim verwendeten Kristallkugel-Metapher kann im Sinne der kunststrategisch angestrebten Darstellbarkeit von Mehrschichtigkeit und Ambivalenz durchaus so verstanden werden: »Die Kristallkugel sammelt und vereint das Licht (Nicht-Materie) und schafft durch die Brechung desselben nicht allein die Farbenskala des Regenbogens, sondern in den einzelnen Farben die ›farbigen Schatten‹ der materiellen Welt. Mit der Verkörperung des Lichts im Kristall geht damit die Vergeistigung der Körper parallel, deren farbliche Entsprechungen rot-grün oder blau-gelb vom leiblichen Auge als Erscheinung wahrgenommen werden können.« Vgl. Burwick: Dichtung und Malerei bei Achim von Arnim, S. 310.

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Absurdität einer mit zunehmender Entzauberung immer undurchsichtigeren Welt. »Das Glas ist überhaupt der Feind des Geheimnisses. Es ist auch der Feind des Besitzes«43, stellt Walter Benjamin fest. Für die poetische Aufarbeitung des kalten, nackten Lebens der Triebnatur, deren plötzliche Anwesenheit die Romantik erschreckt konstatiert, bietet sich Glas damit geradezu an. Zuletzt: Die Übertragung der ›Aufschreibesysteme‹ auch auf das Alltagsmedium Glas könnte schließlich auch einer romantischen Befürchtung entspringen, dass das Spiel mit dem durchsichtigen Medium der angestrebten Mehrdeutigkeit in der Darstellung zuwiderlaufen könnte, eben weil die nüchterne Geheimnislosigkeit des Glases auch ästhetisch entmystifizierend zu wirken vermag gegenüber der angestrebten poetischen Komplexität. Ein Beispiel aus der Bildenden Kunst der Frühen Neuzeit könnte diese Annahme stützen: »Trompe-L’œils, die mit gemalten zerschlagenen Glasscheiben operieren, [lassen sich] als Kristallisationen vergangener Passionen verstehen. […] Im zersprungenen Glas ließen sich transparente Übermalungen entwickeln, die das zugrunde gelegte fremde Bild dekonstruierten und in der Art der Zerstörung die Passion des Kommentators deutlich machen«, so Monika Wagner in einer erst kürzlich erschienenen Arbeit. Es sind »Künstlerkommentare jenseits des Textes«44, in ihrer kunststrategischen Absicht durchaus ähnlich jenen gläsernen Inschriften, die mithin als Zeichen angesehen werden können für romantisch favorisierte Mehrdeutigkeit und Ambivalenz angesichts einer sich immer komplexer umgestaltenden Welt.

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Benjamin: Gesammelte Schriften, Bd. 2/1, S. 217. Vgl. Wagner: Das zerbrochene Glas, S. 80.

GATTUNGSTYPISCHE INSZENIERUNG VON GEFÜHLEN

Walter Pape

»Ja, wenn man Tränen schreiben könnte«1: Erzählte Tränen, gespielte Tränen um 1800 1. Diese widrige Gefühlsfabrik Als der Dichter Waller in Arnims Armut, Reichtum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores in gespieltem Zorn gegen seine kranke Frau tobt, die ihren Kindern »ein paar Äpfel, die ihm auf der Reise von einer Dame verehrt worden«, gegeben hatte, weint die »gute kranke Frau Waller [...] still vor sich« und: Waller wendete sich sachte zur Gräfin um: »Hat sie nicht etwas von einer weinenden Mutter Gottes? Sie ist wunderschön!« – Bei diesen Worten flog er um ihren Hals und sprach ihr so traulich, so herzlich, bat so schön um Verzeihung, daß sie gerne alles verzieh und mehr. – Den Grafen verdroß doch diese widrige Gefühlsfabrik; er schwor dem Dichter, seine Gedichte würden nichts schlechter sein, wenn er statt mit lebenden Menschen mit bloß gedachten dergleichen Geschichten aufführte.

Arnim rechnet hier nicht nur mit »konventionellen Berufspoeten« ab2, sondern hier wie auch sonst wird deutlich, dass Gefühle ein Dreh- und Angelpunkt seines Zeit-, Liebes- und Eheromans sind.3 Inwiefern letztlich nicht nur Arnims Gräfin Dolores, sondern auch alle zentralen Dramen und Romane um 1800 – und natürlich zuvor und darüber hinaus – aus unterschiedlichen Abteilungen der ›Gefühlsfabrik‹ stammen, will ich im Folgenden versuchen an Dramen von Goethe und Kleist sowie Romanen von Arnim und Goethe zu zeigen. Das Stichwort »Gefühlsfabrik« greife ich nicht nur deshalb gern auf, weil beispielsweise Filmstudios wie in Babelsberg und Hollywood ›Gefühlsfabriken‹ genannt werden, sondern weil Arnim – »der große Fabrikant in der Eckstube«, wie ihn Brentano anlässlich der Gräfin Dolores Wilhelm Grimm gegenüber nannte4 – damit zeigt, dass Gefühle in der Literatur gemachte Gefühle sind. Denn eigentlich gilt gefühlstheoretisch auch heute noch, was Herder in seine Abhandlung Von der Ode sagt: »Empfindung und Wort sind sich so gar entgegen: der wahrhafte Affekt ist stumm, durchbraust unsre ganze Brust inwendig eingeschlossen.«5 Das heißt aber auch, dass wortlosen Gefühlsäußerungen wie Tränen eine besondere Qualität 1

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Brief von Kleist an den Freiherrn von Stein vom 4. August 1806 – Kleist: Sämtliche Werke und Briefe in vier Bänden, Bd. 4, S. 359. Lützeler: Klio oder Kalliope?, S. 73. Siehe auch den Beitrag von Antje Arnold in diesem Band S.127–137: »Eine wahre Geschichte zur lehrreichen Unterhaltung armer Fräulein«: Zur Emotionalisierung in Arnims »Gräfin Dolores«. Brentano an Wilhelm Grimm, Februar 1810 – zit. nach Steig: Clemens Brentano und die Brüder Grimm, S. 84. Herder: Von der Ode – Herder: Werke in zehn Bänden, Bd. 1, S. 57–99, hier S. 66.

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in der literarischen Darstellung zukommt, die zudem, wie zu zeigen sein wird, einer gattungsspezifischen Thematisierung unterliegen. Es soll jedoch nicht um die anthropologischen Fragen oder Anatomien des Weinens gehen.6 Herder zeigt zwar, wie Günter Oesterle festgestellt hat, »die unhintergehbare Trennung von Innen und Außen«.7 Doch wird von Herder nicht die Unmöglichkeit des sprachlichen Ausdrucks thematisiert, sondern die Tatsache, dass Gefühle anderer nie direkt zugänglich sind und eigene Gefühle nur durch willkürliche (Worte) Zeichen oder Körper zeichen anderen vermittelt bzw. dem Fühlenden bewusst werden können. Gefühle, Affekte sind also in der Wahrnehmung, auch in der Eigenwahrnehmung immer schon vermittelt; für fiktionale Emotionsdarstellungen gilt also, denkt man diese grundsätzliche Mittelbarkeit von Gefühlsäußerungen mit Rüdiger Schnell zu Ende, dass Gefühle nur »als diskursive bzw. ästhetische, nicht als real-psychische Entitäten« existieren8 – was ihrer ›Wahrheit‹ und Wiedererkennung keinen Abbruch tut. Siegfried J. Schmidt hat kürzlich von der »Medientauglichkeit der Emotionen« gesprochen und festgestellt, dass nicht »alle Emotionen für alle Medien tauglich« seien: Die Gattungen spielen eine »höchst selektive Rolle bei Auswahl, Herstellung und Darstellung von Emotionen«.9 Allerdings haben in der fiktionalen Darstellung Körperzeichen wie Tränen im Roman einen anderen Darstellungsmodus als im Drama. Kleists vielzitiertes Diktum aus seinem Brief an den Freiherrn von Stein vom 4. August 1806 – »Wie soll ich es möglich machen, in einem Briefe etwas so Zartes, als ein Gedanke ist, auszuprägen? Ja, wenn man Tränen schreiben könnte«10 – wird oft als sprachkritischer Impuls gewertet, weist aber eigentlich ›nur‹ auf »den sekundären, abgeleiteten Charakter von Texten und Bildern«11. Die Transformation von realen Gefühlen in fiktive Gefühlsdarstellung ist komplexer, als man annimmt. Als sich das anlässlich einer Dichtung des Grafen Karl entstandene Missverständnis zwischen ihm und der Gräfin Dolores aufzudecken scheint, heißt es vom Grafen Karl in der Gräfin Dolores: »Tränen der Freude fielen neben Tränen der Verzweiflung auf seine Hand und sein eigenes Auge, das sie geweint, konnte sie nicht unterscheiden [...].«12 Obwohl das Drama durch die Polyfunktionalität der Figurenrede und durch Hinweise auf Körpersprache und Stimme im Nebentext bereits performative Anschaulichkeit hat, besitzt die erzählerische Beschreibung von Gefühlen durch Körperzeichen, Figurenrede, Modus und Stimme des Erzählers ungleich mehr Möglichkeiten, solche komplexen Emotionen darzustellen: Es fällt bei der Schilderung der Tränen des Grafen besonders auf, dass

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Vgl. dazu neben Koschorkes »Körperströme und Schriftverkehr« auch Soboth: Tränen des Auges, Tränen des Herzens. Anatomien des Weinens in Pietismus, Aufklärung und Empfindsamkeit. Jetzt auch grundlegend: Antje Arnold: Rhetorik der Empfindsamkeit. Unterhaltungskunst im 17. und 18. Jahrhundert. Oesterle: Die Sprachwerdung des Gefühls und die Wendung zum Lakonischen, S. 50. Schnell: Erzähler – Protagonist – Rezipient im Mittelalter, oder: Was ist der Gegenstand der literaturwissenschaftlichen Emotionsforschung?, S. 14. Schmidt: Systemflirts, S. 117. Siehe Anm. 1. Andree: Archäologie der Medienwirkung, S. 14. Arnim: Gräfin Dolores – Werke in sechs Bänden, Bd. 1, S.162.

»Ja, wenn man Tränen schreiben könnte«

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und auf welche Art Innen und Außen getrennt sind. Freude und Verzweiflung sind Reaktionen auf bestimmte Ereignisse, die hier zusammentreffen; die Selbstbeobachtung scheint jedoch zu scheitern: Die Tränen als Körperzeichen sind nicht eindeutig lesbar, auch in der Selbstbeobachtung. Gefühle existieren real nur im Subjekt. Auf welche Weise im klassischen Drama und in Romanen um 1800 Gefühle und insbesondere Tränen be-/geschrieben oder besprochen werden – auch im Sinne der traditionellen Rhetorik der Affekte, dem Ursprung aller Narrativierung von Emotionen –, will ich im Bereich des Dramas an Beispielen aus Goethes aus Torquato Tasso, aus der Natürlichen Tochter sowie Kleists Penthesilea zeigen, im Bereich des Romans an Goethes Wahlverwandtschaften und Arnims Gräfin Dolores.

2. In gemeßnen Worten ausgesprochen In Goethes klassischem Drama wird jede affektive Unmittelbarkeit ausgeschlossen und gedämpft. Die viel zitierte poetologische Rede über das Gefühl – allerdings ohne gattungstypischen Bezug – findet sich am Schluss von Goethes Tasso13; hier werden die unmittelbaren Gefühle und die »in gemeßnen Worten ausgesprochene«14 Gefühlsäußerung der Dichtung miteinander konfrontiert: TASSO. [...] Nur eines bleibt: Die Träne hat uns die Natur verliehen, Den Schrei des Schmerzens, wenn der Mann zuletzt Es nicht mehr trägt – Und mir noch über alles – Sie ließ im Schmerz mir Melodie und Rede, Die tiefste Fülle meiner Not zu klagen: Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt, Gab mir ein Gott, zu sagen, wie ich leide.15

Entkoppelt man diese Rede von Tasso und seiner besonderen Situation, so verweist sie auch darauf, warum in Goethes ›klassischen‹ Dramen so selten Tränen fließen: Von der Trias der menschlichen Schmerzäußerung: Träne, Schrei, Verstummen und – als Ausnahme beim Dichter– »Melodie und Rede« hat eigentlich nur Letzteres die Qualität des Erhabenen und Pathetischen; ähnlich ist auch bei Longin das Erhabene als »Vollendung und Gipfel sprachlicher Gestaltung« an die Sprache gebunden.16 Die sprachliche Formgebung ist zugleich ein Mittel der Distanzierung und Objektivierung des Gefühls. Denn, wie es in Goethes Über Laokoon heißt, nur dem »hohen Pathos der Vorstellung« ist es gegeben, »eine angenehme Empfindung [zu] erregen und den Sturm der Leiden und Leidenschaft durch Anmut und Schönheit mil-

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Vgl. dazu auch Bernd Hamachers Beitrag in diesem Band S. 115–126: »Du fühlst es besser, fühlst es tief und – schweigst«: Liebe, Schönheit und Kunst in Goethes Torquato Tasso. Goethe: Sämtliche Werke: Briefe, Tagebücher und Gespräche, Bd. 5, S. 833 (V, 5). Ebenda. Longinus: Vom Erhabenen, S. 5.

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dern«17. Diese Emotionen werden auf diese Weise radikal von der Wirklichkeit getrennt, gleichzeitig aber führt die Milderung des Pathos durch poetische Schönheit zur Objektivierung (ästhetischen Autonomie) des Leides, was Goethe 1827 in der kleinen Änderung des Tasso-Zitats im Motto der »Elegie« aus der »Trilogie der Leidenschaft« deutlich macht: Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt, Gab mir ein Gott zu sagen was ich leide.18

Wenig anders objektiviert Eugenie in Goethes Natürlicher Tochter ihre Gefühle (nicht ihr Leiden) poetisch, als sie erfährt, dass sie, das uneheliche Kind des Herzogs, nunmehr nach dem Tod der Herzogin vom König als dessen legitime Tochter feierlich anerkannt werden soll: Sie, die »sich dichtrisch, oft in frühen Reimen«19 ausdrückte, schreibt zur Feier ein Sonett und kommentiert es dann: So hast du lange nicht, bewegtes Herz, Dich in gemeßnen Worten ausgesprochen! Wie glücklich! den Gefühlen unsrer Brust Für ew’ge Zeit den Stempel aufzudrücken! Doch ist es wohl genug? Hier quillt es fort, Hier quillt es auf! – Du nahest, großer Tag, Der uns den König gab und der nun mich Dem Könige, dem Vater, mich mir selbst, Zu ungemeßner Wonne, geben soll. Dies hohe Fest verherrliche mein Lied!20

Was Eugenie hier schreibt, ist äußerst vielschichtig und in seiner poetisch-metasprachlicher Funktion ihr figurenpsychologisch überhaupt nicht zurechenbar: Sie reflektiert nach der offenbar unmittelbaren Niederschrift eines Gedichts – in einer der wenigen Szeneanweisungen des Stückes heißt es: »Sie rezitiert langsam und schreibt.« – über das zunächst gesprochene, dann niedergeschriebene Gedicht als Ausdruck des Gefühls. Unmittelbar nach der Niederschrift verweist die Szenenanweisung dann auf ihre Körpersprache: »Das Geschriebene mit Gefälligkeit betrachtend.«21 Vor allem der Gültigkeit der poetischen Darstellung der Gefühle wird implizit Dauer und Objektivität verliehen: »Für ew’ge Zeit den Stempel aufzudrücken«. Goethe gibt damit nichts anders als eine klassisch-idealistische Poetik der Gefühlsdarstellung (im Drama), ja durch die indirekte Thematisierung des Zusammenhangs von Mündlichkeit und Schriftlichkeit weitet sich der poetologische Blick noch aus. Der Transformationsprozess des »bewegten Herzens« in »gemeßne Worte« des Dichters allerdings deutet darauf hin, dass diese Sprache des Herzens nichts von

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Goethe: Sämtliche Werke: Briefe, Tagebücher und Gespräche, Bd. 18, S. 491. Ebenda, Bd. 2, S. 457 – Vgl. Bernd Hamacher in diesem Band S. 125. Goethe: Sämtliche Werke: Briefe, Tagebücher und Gespräche, Bd. 6, S. 343 (III, 2). Ebenda, S. 332 (II, 4). Ebenda.

»Ja, wenn man Tränen schreiben könnte«

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einer Unmittelbarkeit hat. Auch die anderen Figuren in Goethes Natürlicher Tochter sprechen über ihre heftigen Gefühle in gemessener Sprache, so der Herzog nach dem angeblichen Tod seiner Tochter: Ja, ich verlor’s! So strömt ihr Klagen denn! Zerstöre Jammer diesen festen Bau, Den ein zu günstig Alter noch verschont. Verhaßt sei mir das bleibende, verhaßt Was mir in seiner Dauer Stolz erscheint; Erwünscht, was fließt und schwankt. Ihr Fluten, schwellt, Zerreißt die Dämme, wandelt Land in See. Eröffne deine Schlünde, wildes Meer! Verschlinge Schiff und Mann und Schätze. [...]22

Die überbordende Metaphorik der Klage und des Jammers bei Eugenie und dem Herzog haben nichts von einem anthropologisch oder psychologisch gesehen wahren und ›natürlichen‹ Gefühlsausdruck; es geht grundsätzlich, wie es in der Einleitung zu den Propyläen heißt, um »Kunstwahrheit« und nicht um »Naturwirklichkeit«23. Nicht empfindungspsychologisch, sondern von der Trauerspiel- und Tragödienästhetik her gesehen ist solches sprachliche Pathos angemessen (um das Wortspiel des Maßes und der Metrik fortzusetzen), es ist »idealistisches Pathos im Medium der dramatischen Literatur«24. Sulzer hatte das so formuliert: Die Sitten der Personen müssen groß und edel seyn, und in den Charaktern eine hinlängliche Mannigfaltigkeit seyn. Die Leidenschaften müssen stark aber nicht übertrieben und den großen Sitten anständig seyn. Die Reden müssen überhaupt den Sitten und den Leidenschaften angemessen seyn.«25

Nur an einer einzigen Stelle, nach ihrem Reitunfall und der anschließenden Rettung, fließen in der Natürlichen Tochter auf der Bühne Tränen, allerdings keine stummen, nämlich die der Eugenie: »Du weinst?« fragt der Vater, und sie antwortet wortreich und in kompliziertesten syntaktischen Verknüpfungen.26 Die wenigen anderen Stellen, an denen in der Natürlichen Tochter geweint wird, finden sich nur im Figurenbericht, vor allem des heuchlerischen Weltgeistlichen. Der Herzog möchte seine angeblich tote Tochter einbalsamieren und so das »unschätzbare Bild zusammenhalten«. Der Weltgeistliche spricht vom »zerstörten Bild«, der Herzog ruft aus: »Welch neuer Qualenkrampf bedrohet mich!« Worauf der Heuchler und Lügner sagt: O! laß mich schweigen, daß nicht meine Worte Auch die Erinnrung der Verlornen schänden. 22 23 24 25

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Ebenda, S. 344 (III, 2). Ebenda, Bd. 18, S. 469. Port: Pathosformeln, S. 248 über das Schiller’sche Pathos in Maria Stuart. Sulzer: Tragödie; Trauerspiel – Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Bd. 2, S. 1178. Goethe: Sämtliche Werke: Briefe, Tagebücher und Gespräche, Bd. 6, S. 322 (I, 6).

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Walter Pape Laß mich’s verhehlen, wie sie, durchs Gebüsch, Durch Felsen hergeschleift, entstellt und blutig, Zerrissen und zerschmettert und zerbrochen, Unkenntlich, mir im Arm, zur Erde hing. Da segnet’ ich, von Tränen überfließend, Der Stunde Heil, in der ich, feierlich, Dem holden Vaternamen einst entsagt.27

Dass hier der Weltgeistliche, ein Mann der dem Hofe nahesteht zumal, in Tränen zerfließt, ist verdächtig. Schiller hatte zurecht in seiner Schrift Über das Pathetische das Weinen als mögliche Wirkung der Tragödie auf der Seite des Zuschauers wie als dargestellte Gefühlsäußerung als in jeder Hinsicht pathosinkompatibel verbannt: Die schmelzenden Affekte, die bloß zärtlichen Rührungen, gehören zum Gebiet des Angenehmen, mit dem die schöne Kunst nichts zu tun hat. Sie ergötzen bloß den Sinn durch Auflösung oder Erschlaffung und beziehen sich bloß auf den äußern, nicht auf den innern Zustand des Menschen. Viele unsrer Romane und Trauerspiele, besonders der sogenannten Dramen (Mitteldinge zwischen Lustspiel und Trauerspiel) und der beliebten Familiengemälde gehören in diese Klasse. Sie bewirken bloß Ausleerungen des Tränensacks und eine wollüstige Erleichterung der Gefäße; aber der Geist geht leer aus, und die edlere Kraft im Menschen wird ganz und gar nicht dadurch gestärkt.28

In diese Klasse hätte Schiller sicher Ifflands »Familiengemälde« Verbrechen aus Ehrsucht (1784) gezählt, wo die Tränen beinahe in jeder Szene fließen und Figuren sogar zur ›Ausleerung des Tränensacks‹ aufgefordert werden: Der Vater vergleicht seine Schwiegertochter mit seiner verstorbenen Frau Charlotte und beginnt zu weinen: »Ja! liebes Kind, wollen Sie sich meiner annehmen? – [...] – Meine gute Charlotte, wenn du noch da wärest! – wenn du wüßtest, daß mir’s noch so gut geht, nehmt mir’s nicht übel – ich muß weinen – wenn ich an die gute Frau denke – sie war gar zu gut« – worauf der Schwiegervater entgegnet: »Weinen Sie. Es ist ein tröstender Gedanke – daß der Platz, wo ein guter Mensch heraus trat – nach langen Jahren noch offen steht – und daß dem Weisen diese Lücke noch spät eine Thräne kostet.«29 Solche Tränen gehören tatsächlich »zum Gebiet des Angenehmen«. Und so gehört auch Goethes Stella, im Untertitel »Ein Schauspiel für Liebende« (1776), natürlich vom Konzept der objektivierten Kunst Goethes wie Schillers her gesehen, der Vergangenheit an: Dass Ferdinand an Cäciliens und Cäcilie und Stelle sich an Ferdinands Hals ausweinen30, zeigt ebenso wie Handlung und Schluss der ersten Fassung, dass die Handelnden von ihren Emotionen getrieben werden. Schiller macht in Abgrenzung von solchem Emotionstheaters deutlich, warum bloße ›Körperströme‹ auf der Tragödienbühne den Menschen nur als einen den Affekten, seiner »Tierheit« Unterlegenen zeigen:

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Ebenda, S. 349 (III, 4). Schiller: Sämtliche Werke, Bd. 5, S. 515– 516. Iffland: Theater, Bd. 2, S. 77–78, (IV, 3). Goethe: Sämtliche Werke: Briefe, Tagebücher und Gespräche, Bd. 4, S. 551 und 559 (3. Akt).

»Ja, wenn man Tränen schreiben könnte«

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Im Gebiet der Tierheit muß der Affekt jederzeit unaufgelöst bleiben, sonst fehlt das Pathetische; erst im Gebiet der Menschheit darf sich die Auflösung finden. Eine leidende Person, klagend und weinend vorgestellt, wird daher nur schwach rühren, denn Klagen und Tränen lösen den Schmerz schon im Gebiet der Tierheit auf. Weit stärker ergreift uns der verbissene stumme Schmerz, wo wir bei der Natur keine Hülfe finden, sondern zu etwas, das über alle Natur hinausliegt, unsre Zuflucht nehmen müssen; und eben in dieser Hinweisung auf das Übersinnliche liegt das Pathos und die tragische Kraft.31

Das bedeutet für die Überlegungen zur Natürlichen Tochter: Der Herzog weint nicht und reagiert damit angemessen, der Weltgeistliche berichtet von seinen Tränen und entlarvt damit indirekt seine Verstellung. Kein Wunder, dass bei Schiller selbst die Tränenreichen immer die Frauen sind, allerdings nicht die tragischen und erhabenen Frauenfiguren: Maria Stuart und Johanna von Orleans weinen nicht. Daniel Fulda stellt zurecht fest, dass Johanna im »alten Zustand emotionaler Unempfindlichkeit« bleibt und »nicht sittliche Selbständigkeit oder gefühlsinkludierende Menschlichkeit« erringt, sondern »davon am Ende mindestens so weit entfernt wie am Anfang« ist.32

3. Schmerzen, Schmerzen – Gefühlsäußerungen und tragische Affektbewältigungen werden in dem extremen Experiment der Gefühlsfabrik um 1800 insbesondere am Beispiel einer Frauenfigur vorgeführt: In Kleists Penthesilea wird versucht, so meine These, die »Kunstwahrheit« dem anzunähern, was Goethe negativ als »Naturwirklichkeit« verwarf, worunter ich bei Kleist seine »zeitgenössischem anthropologischem Erkenntnisinteresse« folgende Gefühlskonzeption verstehe.33 Bereits Friedrich Gundolf sprach von der »puren Lebendigkeit des Gemüts« und der »Heftigkeit des Ausdrucks«34. Ulrich Port hat in seiner Untersuchung zu den Pathosformeln vom »Fluktuieren der Affekte« in der Penthesilea gesprochen. Völlig anders als in Goethes Natürlicher Tochter – wo Eugenie von ihrem Vater ironischerweise stolz und tadelnd zugleich als »Amazonentochter« bezeichnet wird – stehen hier stummer Schmerz, Tränensturz und von Metaphern und Bildern überbordende »tragische Kraft« des Pathos nebeneinander; Kleist thematisiert »markante Zusammenspiele, Interferenzen und Kollisionen der verschiedenen Gefühle.«35 So ist die durchgängige Mischung von Liebes- und Kampfmetaphorik getragen von dieser tragischen Kraft des Übersinnlichen, bei der Schiller zufolge der Geist des Zuschauers oder Lesers nicht leer ausgeht:

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Schiller: Sämtliche Werke, Bd. 5, S. 521 (Anm. 1). Vgl. seinen Beitrag S. 3–20 diesem Band: »Menschwerdung durch Gefühle – Gefühlserregung durch eine Übermenschliche: Schillers Jungfrau von Orleans zwischen Aufklärung und Romantik«. Port: Gefühle und Affekte. – In: Breuer (Hrsg.): Kleist-Handbuch. S. 315–318, hier S. 317. Gundolf: Heinrich von Kleist, S. 108–109. Hinweis bei Port: Pathosformeln, S. 249. Port: Gefühle und Affekte. – In: Breuer (Hrsg.): Kleist-Handbuch. S. 315–318, hier S. 317.

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Walter Pape Der Jungfraun’ keine, wer sie immer sei, Trifft den Peliden selbst! Dem ist ein Pfeil Geschärft des Todes, der sein Haupt, was sag’ ich! Der seiner Locken eine mir berührt! Ich nur, ich weiß den Göttersohn zu fällen. Hier dieses Eisen soll, Gefährtinnen, Soll mit der sanftesten Umarmung ihn (Weil ich mit Eisen ihn umarmen muß!) An meinen Busen schmerzlos niederziehn.36

Zwar weicht, nachdem Penthesilea dem Achill im Kampf begegnet ist, solches Liebespathos (»Ist’s meine Schuld, daß ich im Feld der Schlacht / Um sein Gefühl mich kämpfend muß bewerben?«37), sie hasst jedoch immer noch auf sprachlich höchstem Pathosniveau: Laßt ihn kommen. Laßt ihn den Fuß gestählt, es ist mir recht, Auf diesen Nacken setzen. Wozu auch sollen Zwei Wangen länger, blüh’nd wie diese, sich Vom Kot, aus dem sie stammen, unterscheiden? Laßt ihn mit Pferden häuptlings heim mich schleifen, Und diesen Leib hier, frischen Lebens voll, Auf offnem Felde schmachvoll hingeworfen, Den Hunden mag er ihn zur Morgenspeise, Dem scheußlichen Geschlecht der Vögel, bieten. Staub lieber, als ein Weib sein, das nicht reizt.38

Auch in solch grausamer selbstzerstörerischer Rede bleiben »Stilhöhe und Prätention des Erhabenen« erhalten,39 denn die ›Tierheit des Affekts‹ (Schiller) wird in der Tragödiensprache in sprachliche Pracht aufgelöst, allerdings nicht in dem Sinne, dass »Leiden und Leidenschaft durch Anmut und Schönheit«40, wie Goethe forderte, gemildert würden. Und doch nähert sich Penthesilea dem ›schönen und anmutigen Leiden‹ im weiblichen Tränensturz; denn kurz nach dem zitierten Ausbruch und nachdem Penthesilea ihre Kampfgefährtinnen verflucht hat, verlangt eine Szenenanweisung: »Die Tränen stürzen ihr aus den Augen, sie lehnt sich an einen Baum.«41 Penthesilea fällt völlig aus ihren »exaltierten Affekten«42 heraus und verstummt. Auf Prothoes der Alltagssprache ganz und gar angenäherte Frage »Was fehlt dir? Warum weinst du?« kann Penthesilea nicht mehr in der gewohnten Stilhöhe antworten, sondern nur elliptisch mit einzelnen Wörtern:

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Kleist: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 2, S. 173, 5. Auftritt, V. 852 – 860. Ebenda, S. 185, 9. Auftritt, V. 1188–1189. Ebenda, S. 188, 9. Auftritt, V. 1243–1253. Port: Pathosformeln, S. 257. Siehe oben Anm. 17. Kleist: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 2, S. 188, 9. Auftritt, V. 1271–1272. So im Untertitel von Ports Arbeit.

»Ja, wenn man Tränen schreiben könnte«

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PENTHESILEA. Schmerzen, Schmerzen – PROTHOE. Wo? PENTHESILEA. Hier. PROTHOE. Kann ich dir Lindrung –? PENTHESILEA. Nichts, nichts, nichts.43

Dieser im ganzen Stück ungewöhnliche stumme und stammelnde Schmerz hat seinen Grund sicher auch in den körperlichen Verletzungen, die sie von Achill erleiden musste, denn »röchelnd, mit zerrißner Brust«44 wird sie ins Lager zurückgebracht. Doch als dann später offenbar wird, dass Achill sich nur zu Schein gefangen nehmen ließ, als er sie als Liebender zum Kampf fordert, rast sie »mit allen Zeichen des Wahnsinns«45 wieder ›auf der alten Stilhöhe‹. Doch auch nach der Raserei und der Zerfleischung des Achill bleibt sie wiederum stumm – »ein Schauer schüttelt sie zusammen; sie läßt den Bogen fallen«, sie taumelt, schweigt, »Ihr Auge schwillt«, »Sie hebt den Finger« und: »Sie wischt sich eine Träne ab.« Nach solch naturwirklicher Tränen-Erschütterung erheben Oberpriesterin – »O Diana! Welch eine Träne!«46 und die erste Priesterin diese eine Träne gleichsam aus dem Auge der Penthesilea in eine symbolische Höhe, welche die Wirkung dieser Träne auf die Umstehenden und damit auch auf die Zuschauer in erhabener Diktion verbildlicht. DIE ERSTE PRIESTERIN. O eine Träne, du Hochheil’ge, Die in der Menschen Brüste schleicht, Und alle Feuerglocken der Empfindung zieht, Und: Jammer! rufet, daß das ganze Geschlecht, das leicht bewegliche, hervor Stürzt aus den Augen, und in Seen gesammelt, Um die Ruine ihrer Seele weint.47

Ob solche und andere Metaphorisierungen in »ihrer virtuosen Hyperbolik« von einem »Bezeichnungsnotstand« zeugen48, ist angesichts der der ›Naturwirklichkeit‹ und einer nachvollziehbaren Figurenpsychologie angenäherten Tränenszenen fraglich. Auch der vieldiskutierte ›Metaphernselbstmord‹ spielt virtuos auf der Klaviatur der pathetischen Gefühlsfabrik. Indem Penthesilea aus ihrem Busen sich ein vernichtendes Gefühl hervorgräbt, es zum Dolche schärft und sich damit ersticht, siegt in diesem Liebestod das Bewusstsein über den Körper, aber eben nur in der Literatur. Nicht die Metapher tötet, sondern das bewusst gemachte tödliche Gefühl wird metaphorisiert und ist tödlich, weil hier ein ungeheures Vertrauen in die Kraft der (poetischen) pathetischen Sprache Penthesilea (und damit den Schreiber von 43 44 45 46 47 48

Kleist: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 2, S. 189, 9. Auftritt, V. 1291–1292. Ebenda, S. 184, 8. Auftritt, V. 1150. Ebenda, S. 232, 21. Auftritt. Ebenda, S. 245–246, 24. Auftritt, V. 2279–2283. Ebenda, S. 246, 24. Auftritt, V. 2783–2789. Port: Pathosformeln S. 255.

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Tränen und Gefühl) sowohl bei ihrem Rechtfertigungsversuch als auch bei ihrem durch nichtkörperliche Ursachen herbeigeführten Tod trägt.49 Ein solches Sprachvertrauen auf die Metaphern der Tragödiensprache eröffnet allerdings gleichzeitig und im Vergleich mit den Tränensequenzen die Möglichkeit, die Schlussszene als Parodie einer parodierten idealistischen Gefühlsverwortung zu lesen.50

4. ›Keine Tränen, kein Gefühl!‹51 Ganz anders als in Trauerspiel und Tragödie um 1800 fließen im ›tragischen‹ Roman die Tränen fast ununterbrochen; sie hängen, um mit dem Erzähler in der Gräfin Dolores zu sprechen, den Figuren »so lose in den Augen wie die Wolken am Frühlingshimmel, wenn es einmal ins Regnen kommt«.52 Doch anders als in der Legion empfindsamer Romane haben die Tränen in meinen beiden Beispielen, Goethes Wahlverwandtschaften und Arnims Gräfin Dolores, nicht mehr jene Funktion, die Jean Paul in seiner Vorschule der Ästhetik beschreibt: »Wir haben aus jenen weinerlichen Zeiten, wo jedes Herz eine Herzwassersucht haben sollte, ganze nasse Bände, worin wie vor schlechtem Wetter Phöbus in einem fort Wasser zieht, uns aber damit nur desto mehr austrocknet.«53 Denn Jean Paul betont, dass solche weinerliche Einseitigkeit nicht der Komplexität der salzige Körperflüssigkeit Träne als Ausdruck unterschiedlichster Gefühle erfasse: »Die Träne selber übrigens ist nur der körperliche Nilmesser des Austretens irgendeines Gefühls, der Tautropfe des Danks, das Haderwasser des Grimms, die Libation der Freude, – kurz ihre Tropfen bilden den Regenbogen aus allen Farben der Empfindungen.«54 Der Roman kann das erzählerische Tränenpotential besser ausschöpfen als das Drama, zumal er nicht an die Pathossprache der Tragödie gebunden ist. In den Wahlverwandtschaften gehören die Tränen in keine der von Jean Paul genannten Kategorien; sie sind meist der Kulminationspunkt einer schmerzhaften, in der Regel weiblichen Gefühlserregung. Als Charlotte erfährt, dass Eduard den Hauptmann einem hohen Freund empfehlen will, breitet der Erzähler den Stimmungsumschwung vor den Augen des Lesers aus:

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Bereits bei Kleist von einem postmodernen »Flottieren der Signifikanten« zu sprechen – Burkhart: Dekonstruktive Autopoiesis: Paradoxe Strukturen in Kleists Trauerspiel »Penthesilea«, S. 141 – heißt nicht nur Texte gleich und gleich (un)interessant machen, sondern auch zutiefst unhistorisch vorgehen. Bezeichnend ist, dass in dieser Arbeit außer Goethe und Schiller kein anderer zeitgenössischer Autor zitiert wird. Vgl. dazu auch Port: Pathosformeln, S. 254: »Solche Souveränität des Willens in der intentionalen Verfügung über die Affekte übertrifft alles, was sich der Idealismus an Subjektautonomie erträumt hat. Daß diese Kompetenz allerdings von einer Figur demonstriert wird, der an keiner Stelle sonst auch nur ansatzweise so etwas wie Affektkontrolle gegeben ist, läßt die Szene zu einer Vorführung mit durchaus parodistischem Akzent werden.« Arnim: Gräfin Dolores – Werke in sechs Bänden, Bd. 1, S. 399. Ebenda1, S. 419. Jean Paul: Werke, Abt. 1, Bd. 5, S. 478. Ebenda, S. 477–478.

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Aber mit wie andern Augen sah sie den Freund an, den sie verlieren sollte! Mit einer notdürftigen Verbeugung wandte sie sich weg und eilte hinunter nach der Mooshütte. Schon auf halbem Wege stürzten ihr die Tränen aus den Augen, und nun warf sie sich in den engen Raum der kleinen Einsiedelei und überließ sich ganz einem Schmerz, einer Leidenschaft, einer Verzweiflung, von deren Möglichkeit sie wenig Augenblicke vorher auch nicht die leiseste Ahnung gehabt hatte.55

In den Wahlverwandtschaften sind auch die Tränenszenen wie der gesamte Roman ganz »in einer allgemeinen Sprache« gehalten,56 es fehlen nicht nur individualisierende rhetorische Mittel wie Adjektive oder Metaphern, die Sprache wirkt selbst gegenüber der mit dem Vorwurf der Abstraktheit bedachten Natürlichen Tochter nüchterner und abstrakter. Die für Goethes Erzählungen typischen »wiederholten Spiegelungen«57 fokussieren menschliche Grundsituationen; Ottilie selbst wiederholt etwas, das Charlotte ihr einst gesagt hat: »es begegne den Menschen in ihrem Leben oft Ähnliches auf ähnliche Weise, und immer in bedeutenden Augenblicken.«58 Wenn in diesem Roman geweint wird, dann in exemplarischen Situationen drohender Trennung oder unmöglicher Vereinigung. Vor dem Höhepunkt der Gefühlsverwirrung, die Charlotte und Eduard traumartig zusammenführt, heißt es von Charlotte: »Da war denn zuletzt die Zuflucht zu den Tränen um so willkommner, als sie bei ihr selten stattfand. Sie warf sich auf den Sofa und überließ sich ganz ihrem Schmerz.«59 Die sprachliche Nüchternheit und Einfachheit jedoch nimmt solcher Tränen-Schreibung jede empfindsame Färbung. Am Schluss des Romans ist es Eduard, der alles mit Tränen überschwemmt. Er zerfließt an Charlottens Hals in Tränen, als er bei seiner Rückkehr Ottilie zu unrechter Zeit begegnet, und »er badet ihre Hände in Tränen«60. Als er zur sterbenden Ottile kommt, »wirft [er] sich an ihre Seite nieder, faßt ihre Hand und überschwemmt sie mit stummen Tränen.« Sein Schmerz aber endet stumm: »Er lebte nur vor sich hin, er schien keine Träne mehr zu haben, keines Schmerzes weiter fähig zu sein.«61 Nur an einer Stelle des Romans wird direkt über Tränen reflektiert, und zwar von zwei Männern: Als Eduard im Gespräch mit Mittler sein großes Bekenntnis des Scheiterns ablegt und er sein Lieben »ein jammervolles, ein schmerzen-, ein tränenreiches« nennt, bricht er »vom schmerzlichen Widerstreit überwältigt, in Tränen« aus, »die um so reichlicher flossen, als sein Herz durch Mitteilung weich geworden war.« Mittler tadelt ihn und hält ihm vor, was er »seiner Manneswürde schuldig

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Goethe: Die Wahlverwandtschaften – Sämtliche Werke, Briefe, Tagebücher und Gespräche, Bd. 8, S. 346. Norbert Bolz: Die Wahlverwandtschaften. – In: Goethe-Handbuch, Bd. 3, S. 152–186, hier S. 159. Goethe: Sämtliche Werke, Briefe, Tagebücher und Gespräche, Bd. 18, S. 370–371. Goethe: Die Wahlverwandtschaften – Sämtliche Werke, Briefe, Tagebücher und Gespräche, Bd. 8, S. 499. Ebenda, S. 351–352. Ebenda, S. 513. Ebenda, S. 527.

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sei«.62 Eduard antwortet, als hätte er Lessings Laokoon oder Herders erstes der Kritischen Wälder, »Herrn Leßings Laokoon gewidmet«, gelesen; denn im Laokoon heißt es von Philoktet und vom sterbenden Herkules: »Und auch diesen läßt Sophokles klagen, winseln, weinen und schreien.« Nach Lessing will Homer »uns lehren, daß nur der gesittete Grieche zugleich weinen und tapfer sein könne«63. Der »reiche Baron im besten Manneshalter« hält Mittler also entgegen: »Verschmäht doch ein edler Grieche, der auch Helden zu schildern weiß, keineswegs, die seinigen bei schmerzlichem Drange weinen zu lassen. Selbst im Sprüchwort sagt er: ›Tränenreiche Männer sind gut.‹ Verlasse mich jeder, der trocknes Herzens, trockner Augen ist!«64 Die Abkehr von Romanhelden mit einer Mittler’schen ›Manneswürde‹ ist bei Goethe bereits seit dem Werther Kennzeichen seiner schwachen Helden. Auch keine der Arnim’schen Figuren in der Gräfin Dolores weint gendergerecht; obwohl der Titel den Schmerz allein der Protagonistin zuweist. Man hat oft versucht, Arnims Roman als romantische Antwort auf die Wahlverwandtschaften zu lesen65, und im Hinblick auf die Gefühlsdarstellungen stimmt das sicher. Fast alle Tränen folgen dem Jean Paul’schen Muster und ihre »Tropfen bilden den Regenbogen aus allen Farben der Empfindungen.« Die junge Dolores und Klelia fallen »einander mit süßer Freundlichkeit in die Arme und lachten und weinten zugleich und dachten ihres Vaters« – solche gemischten Empfindungen sind häufig und auch die männlichen Figuren halten sich nicht ans ›klassische‹ Tränenkonzept Goethes, sondern zeigen, ich habe den Satz bereits eingangs zitiert, die Möglichkeit der Darstellung komplexer Gefühle im Roman: »Der Schmerz rollte dem Grafen

wie ein Mühlstein vom Herzen, Tränen der Freude fielen neben Tränen der Verzweiflung auf seine Hand und sein eigenes Auge, das sie geweint, konnte sie nicht unterscheiden; [...]«.66 Und in der Tat: Der romantische Gegengesang Arnims in Sachen Gefühl und Tränen konzentriert sich auf den Grafen Karl. Dort, wo der Erzähler sich von der Wiedergabe von Handlung und Rede entfernt und die Gefühlswelt des Grafen Karl poetisiert, treffen beschriebene Gefühle, ihre lyrische Transformation und poetisierte rhythmische Prosa, die zwischen volksliedhafter Einfalt und biblischem Pathos schwankt, aufeinander und vereinen so alle Ausdrucksvarianten der zeitgenössischen romantischen Gefühlsfabrik. Als Beispiel will ich hier nur auf das achte Kapitel des Teils »Schuld« verweisen: Nach dem »wunderbaren Traum« des Grafen, »der ihm die Gräfin in fürchterlicher Untreue darstellte«, wird erzählt, »daß er beim Erwachen auf sie schimpfte, und sich erst allmählich zu erinnern vermochte, was ihn so gewaltig aufgebracht.«67 Er tritt ans Fenster, sieht hinaus, hört einen kleinen Buben »ein bekanntes Ab62 63 64

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66 67

Ebenda, S. 388. Lessing: Laokoon – Werke, Bd. 6, S. 15. Goethe: Die Wahlverwandtschaften – Sämtliche Werke, Briefe, Tagebücher und Gespräche, Bd. 8, S. 389. Jacob Grimm beispielsweise hat die Dolores den Wahlverwandtschaften gegenüber herabgesetzt, weil ihr die innere Wahrheit fehle, siehe den Kommentar in Arnim: Gräfin Dolores – Werke in sechs Bänden, Bd.1, S. 742. Ebenda, S.162 – siehe oben S. 172. Ebenda, S. 392.

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schiedslied« (aus Des Knaben Wunderhorn) singen und reagiert nach dem Lied auf die darin enthaltene poetische Objektivierung des Abschiedsschmerzes und seiner eigenen Empfindung mit Tränen und einer neuerlichen poetischen Schmerz-Schöpfung: Der Graf mußte heftig weinen; zum Weinen war er überhaupt leicht gebracht, wenn er allein oder mit Vertrauten war; vor fremden Menschen fand er sich nie zu Tränen gerührt. Nachher fielen ihm einzelne Stücke seines Traumes ein, der ihm bald mit dem Liede wunderlich genug zusammenschmolz; [...].68

In diesem fiktiven Wechselgesang zwischen ihm und der Gräfin nimmt der Graf Bezug auf das »bekannte Abschiedslied« und metaphorisiert seine Tränen und seinen Schmerz: Mein Herz ist so voll von Höllenqual, Wie von dem Bild, dem deinen, Ach könnt ich doch alles nur einmal, Die Augen mir ausweinen.

Der Erzähler reflektiert, bevor er das Lied wiedergibt, über die Differenz in der Darstellung von Gefühlen im Erzählerbericht und im Lied: »diese undeutliche Erzählung wird seinen Zustand deutlicher darstellen, als wir es in unsrer Art zu tun vermöchten.«69 Indem der Erzähler von »undeutlicher Erzählung« im Liede spricht, greift er die »Theorie der undeutlichen Erkenntniß und der Empfindungen«70 auf, die der Ästhetik der Zeit immer noch zugrunde lag, spricht aber zugleich solch undeutlicher poetischer Darstellung eine größere Wahrheit zu. Nachdem der Erzähler berichtet hat, dass der Graf Karl abgereist ist, reflektiert er erneut über die Beschreibung von Gefühlen: Wir hassen alle schauderhaften Bilder, die das Gemüt trostlos verwirren; wir halten es gefährlich sogar, den Menschen unnötig mit zerrissenem Herzen auszustellen, um die Mitmenschen zu rühren, oder ihn neugierig zu beobachten; wir unterdrücken gern das Meiste, was uns aus jener Zeit von ihm übrig geblieben; nur einige Stationen seiner Reise heben wir aus, um seinen Ideengang zur Verbindung der Geschichte uns zu versinnlichen; sie rühren uns bei aller Nachlässigkeit ungemein, denn es ist Sprache eines tief gekränkten Herzens.71

Diese Sprache nähert sich fast dem Tragödienpathos, lässt das trauernde und weinende Ich mit der Außenwelt verschmelzen und nimmt die mystische Wendung von der »Wunde des Herzens« auf72: »[...] hier schmilzt der Schnee vom Hügel, und rieselt zu nähren die Zähren. Brand! Brand! Ich trink ihn aus meiner Hand. Er fließet zum Munde, da schreiet die Wunde des Herzens zum Himmel – sie schließet sich nimmer!«73 Solche Poetisierungen und Metaphorisierungen zeugen von keiner 68 69 70 71 72

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Ebenda, S. 393. Ebenda. Sulzer: Aesthetik – Sulzer: Allgemeine Theorie der schönen Künste, Bd. 1, S. 21. Arnim: Gräfin Dolores – Werke in sechs Bänden, Bd. 1, S. 396. Weiß: Die deutschen Mystikerinnen und ihr Gottesbild, Bd. 3, S. 2018: »[...] die Wunde des Herzens bezeichnet die Gewalt der Liebe.« Arnim: Gräfin Dolores – Werke in sechs Bänden, Bd. 1, S. 397.

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Sprachnot, im Gegenteil, auch der Graf beherrscht seine Gefühle durch Poetisierung, die gleichzeitig eine Reflexion darstellt: »Müde sink ich in die Kniee, soll ich beten, weil ich glühe, viele Tropfen fallen kühl, keine Tränen, kein Gefühl!«74 Wie virtuos Arnim in der Gräfin Dolores besonders mit der Beschreibung von Gefühl und Tränen umgeht, haben wir bereits zu Beginn am Beispiel der WallerSatire gesehen; aber auch der parodistische Tränen-Dialog zwischen der Gräfin Limonie und dem Freidenker-Prediger Frank zeigt die schwarzen und weißen Tasten der Gefühlsklaviatur, auf der Arnim zu spielen versteht; der Feldprediger erzählt: Sei es nun, daß es Täuschung, oder hatte ich mich unwillkürlich selbst gerührt, oder war es ein Nervenzusammenhang, etwas Feuchtigkeit in der unrechten Kehle, oder ein naher Schnupfen, genug es lief mir eine Träne die Backen herunter. – GRÄFIN Ich sehe in Ihrem Auge etwas schöneres glänzen, als Diamant; bei diesen Worten drückte sie und der Florvorhang rollte auf. Sehn sie in meinen Augen den Widerschein; vergessen Sie dieses Augenblicks nicht, eine reine Träne badet uns von allem Staube der Welt rein. – ICH: Tränen sind ein Himmelstau, den Psyche mit ihren Flügeln aus dem Kelche der Blumen schüttelt. – GRÄFIN: Das sind schöne Tränen, aber es gibt auch trostlose, wie die Tropfen der Aloe bitter, Tränen, wie ich sie heut vergossen, es verschwimmt die Welt darein. – ICH: Und sind die Tränen umsonst, ist keine Rettung möglich?75

Die Produkte der ›Gefühlsfabrik‹ um 1800 stellen sich also sehr heterogen dar: Das abstrakte, wenig psychologisierende selbstreflexive Trauerspiel-Pathos Goethes, Kleists Psychologisierung des Tragödienpathos, das bis an die Grenze der Parodie geführt wird, vor allem durch die ›natürlichen‹ Tränen; im Roman besonders Eduards unmännliches tränenreiches Leben in dennoch ironischer Brechung, des Grafen Karl Überführung der Tränen in Lyrik und rhythmische Prosa – all das sind Versuche, Gefühle schreib- und lesbar zu machen, sei es durch theatrale Inszenierung bzw. Brechung von ›Pathosformeln‹ oder durch einen sprachmächtigen Erzähler. Dass aber letztlich alle geschriebenen Tränen das Innere verfehlen und eigentlich nur in einer nicht ›natürlichen‹ Sprache die Gefühlskommunikation gelingt, hat Jean Paul in der Unsichtbaren Loge in seinem Preis der Musik festgehalten: O Musik! Nachklang aus einer entlegnen harmonischen Welt! Seufzer des Engels in uns! Wenn das Wort sprachlos ist, und die Umarmung, und das Auge, und das weinende, und wenn unsre stummen Herzen hinter dem Brust-Gitter einsam liegen: o so bist nur du es, durch welche sie sich einander zurufen in ihren Kerkern und ihre entfernten Seufzer vereinigen in ihrer Wüste! –76

Nicht ohne Grund ist es die ›unnatürliche‹ poetische »Melodie und Rede«, welche die Natur dem Dichter im Schmerz gelassen hat, die »tiefste Fülle meiner Not zu klagen«77. Die Melodie, die ›gemeßnen Worte‹, also der musikalische performative Anteil der Sprache ermöglichen es letztlich poetischer Rede paradoxer Weise über die Text- und Wortbedeutung hinaus – anders die Alltagssprache – Gefühle darzustellen und damit letztlich doch ›Tränen zu schreiben‹. 74 75 76 77

Ebenda, S. 399. Ebenda, S. 229. Jean Paul: Werke, Bd. 1, S. 59. Siehe oben S. 173.

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»Was klingt im Ohr, was schlägt das Herz?«1 Arnims Lyrik zwischen Vitalismus und religiöser Besinnung

1. Wer einen ›emotional turn‹ in die Romantik hineintragen will, dem drängt sich das romantische Gedicht als erster Ort dieser Beziehung auf; im Ohr hat man entweder Eichendorffs Verse über die Seele in der Nacht, womöglich noch in der Vertonung von Robert Schumann, oder Brentanos Spinnerin-Lied – Texte, in denen Stimmungsmagie und die Tendenz ins Unendliche herrschen. Romantik gilt als Ungenügen an der bürgerlichen Normalität und als Aufstand der Gefühle; wie sollte sie sich nicht an die Gattung besonders binden, die seit dem 18. Jahrhundert als Aussprache des Ichs verstanden wird? In Arnims wenig erforschter Lyrik2 hat Emotionalität tatsächlich einen besonderen Stellenwert. Arnim behandelt die urromantischen Themen vom »Nachtrauschen«3 und dem »Grund« wie Eichendorff; aber mit den Chiffren des Jüngeren haben seine Gedichte keine große Ähnlichkeit, dafür aber eine größere Bandbreite. Durch die Ungunst der Publikationsumstände haben Eichendorffs Verse das Rennen gemacht und sind die – zugegeben schwerverständlicheren – des anderen vergessen; dabei wurde Eichendorff selbst durch Arnim und Brentano erfunden, nämlich durch ihre epochale Liedersammlung Des Knaben Wunderhorn. Die Lehre von der »Zauberformel«, welche die Welt wieder auf einen reineren, besseren Zustand hin durchsichtig werden lässt, trug Arnim begeistert im Anhang dieser Sammlung, dem kulturanthropologischen Manifest Von Volksliedern, vor.4 Die Zauberformel im Gedicht ist sicher kein Epigramm und appelliert in erster Linie an ein emotionales Weltverständnis der Leser/Hörer. Sie hat bestimmte Dispositionen des Verfassers zur Voraussetzung, evoziert Stimmungen und Affekte im Adressaten und muss sich über eine bestimmte Form in der lyrischen Komposition mitteilen. 1 2

3

4

Arnim: Zuweilen tut mir das Herz so weh – Werke in sechs Bänden, Bd. 5, S. 941. Das große und vielgestaltige Gedichtwerk ist mit gewichtigen Ausnahmen in Standarddarstellungen der Romantik nicht präsent. Bezeichnenderweise fehlt Arnim als Lyriker in John Fetzers Kapitel »Lyrik« des vom Titel her repräsentativen »Romantik-Handbuchs« (hrsg. von Helmut Schanze). Neben der gewichtigen Monographie von Thomas Sternberg (Sternberg: Die Lyrik Achim von Arnims) und dem maßgeblichen Erschließungs- und Kommentarwerk von Ulfert Ricklefs (Arnim: Werke in sechs Bänden, Bd. 5: Gedichte) widmen sich diesen Texten bisher nur einige Aufsätze und kurze Hinweise in Literaturgeschichten. Arnim: Scham und Entzücken – Werke in sechs Bänden, Bd. 5, S. 186. Auf die schöne Formel hat Jan-Oliver Jost aufmerksam gemacht: Jost: Achim von Arnims »Der Rheinfall«, S. 85–86. Arnim/Brentano: Des Knaben Wunderhorn, Bd. 1, S. 377–414.

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Emotionsforschung wird unter allen drei semiotischen Aspekten in Arnims Gedichten fündig. Produktions- und wirkungsästhetisch hat der Autor seine Lieder oft programmatisch mit dem Ausdruck von Empfindungen in Verbindung gebracht; im Motivbestand macht ihre Bedeutung das immer wiederkehrende Bildfeld des Strömens für die Darstellung von Emotionen deutlich. Die Gedichte beschwören die Fahrt auf dem Strom, den Rausch, die Vereinigung, auch den Untergang: etwa im »Waldgeschrei«. Die Metaphorik dient einem frühen unbürgerlichen Vitalismus, den Arnim im Aufsatz Von Volksliedern entwirft. Seinen Hintergrund bildet die Sattelzeit um 1800.

2. Seine Gedanken über Emotionalität in Leben und Poesie hat Arnim vor allem im romantischen Gesprächszusammenhang von Briefwechseln und in der eigenen Poesie geäußert. Ihn unterscheidet allerdings von Dichterkollegen wie Clemens Brentano oder Joseph von Eichendorff, dass er sich als Schüler und Student auch wissenschaftlich mit Emotionstheorien beschäftigt hat. Arnim hatte nie den Anspruch, eine eigenständige Affektpsychologie zu entwickeln. Es gibt bei ihm kein Begriffsgebäude einer Anthropologie, in der Erkennen, Fühlen und Wollen in ein System gebracht werden. Der Bereich des Emotionalen ist bei ihm aber zweifellos positiv besetzt; damit ordnet er sich in die Entwicklung der Affektpsychologie seit der Neuzeit ein. Philosophie- und ideengeschichtlich lässt sich dies verknappt beschreiben als Aufwertung der Gefühle seit Descartes und Spinoza. Die antike Ethik und die christliche Moralphilosophie gingen auf eine Zügelung der Affekte.5 Während Aristoteles den Gefühlen in Maßen auch positive Funktionen zuschreibt, sind Affekte für die stoische und epikureische Schule Hindernisse auf dem Weg zum vernünftigen Leben. Für die christliche Philosophie sind sie schuld am ›Fall‹ des Menschen, an seiner Sündhaftigkeit. Im 18. Jahrhundert entwickeln sich bei John Locke gegen die Lehre angeborener Vorstellungen als neue Zentralbegriffe »sensation« und »reflection«; ähnlich verfährt der Sensualismus in Frankreich. Es kommt zu einer Aufwertung von Epikurs Philosophie zugunsten einer Abwertung des antiken und christlichen Stoizismus: nicht mehr das Idealbild des gelassenen Weisen (apathia), sondern des gefühlvollen, vom »moral sense« (Shaftesbury) bestimmten mitfühlenden Menschen (gemäßigter Epikureismus) steht im Mittelpunkt des Denkens. In der Romantik explodiert diese neue Sicht des Gefühlshaften. Die frühere Einbindung der Gefühle in eine gesellschaftlich nützliche, ›empfindsame‹ Existenz mündet in einen teils losgelassenen Individualismus. Anhand von Arnims umfangreichen Schüler- und Studentenarbeiten, die Sheila Dickson vorbildlich ediert hat, lässt sich seine Kenntnis antiker Emotionstheorien und einschlägiger Aufklärungsphilosophie belegen. Der Epikureismus des 18. Jahrhunderts hat deutliche Spuren bei Arnim hinterlassen. Die umfangreichsten 5

Vgl. Jakob Lanz: Affekt – Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 1, Sp. 89–100.

»Was klingt im Ohr, was schlägt das Herz?«

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philosophischen Studien des jungen Schülers behandelten Epikurs Philosophie, und in diesem Kontext hat er sich nicht im Sinne einer vulgären Verteidigung des Luststrebens als einzigen Lebensziels geäußert, sondern historisch korrekt Epikurs Lehre von der notwendigen Dämpfung der Affekte rezipiert: Von der Schädlichkeit solcher ungezähmter Gemüthsbewegungen ist wohl jeder überzeugt, aber selten erinnert er sich in dem plötzlichen Ausbruche daran. Der Weise muß daher stets über sich wachen. Er denke stets an den Schaden, den er seiner Gesundheit dadurch zufügen kann, und an die Straffen, welche denen, im Affekte ausgeübten Vergehungen folgen.6

Mit der Bejahung der Affektkontrolle bewegt sich Arnim ganz im Rahmen der Aufklärung. Der Schüler des Joachimsthal’schen Gymnasiums in Berlin hat sich intensiv mit der Aufklärungsphilosophie befasst, mit der spätaufklärerischen Anthropologie und natürlich mit Kants Kritizismus, der aber den Gefühlen wenig Wert beimisst. Besonderes Gewicht hat Arnim der Experimentalseelenkunde beigelegt, deren Hauptwerke er zu den für die Menschheit nützlichen Büchern zählte.7 Von Hume über Hartleys Assoziationspsychologie bis zu Hoffbauer, Jakob, Pockels usw. zählte er alles auf, was Rang und Namen hatte in der neuen empirischen Erfahrungsseelenkunde oder Naturlehre der Seele. Durch das Studium der Aufklärungsphilosophie und Anthropologie war Arnim das Hauptproblem des sog. »commercium corporis et mentis« – wie hängen Körper und Geist (Seele) miteinander zusammen? – vertraut: Sind sie unabhängig voneinander, laufen sie in einem psychophysischen Parallelismus nebenher, dominiert materialistisch der Körper das Hirn oder der Kopf den Leib? Was das für Emotionen heißt, dürfte deutlich sein. Lassen sich die Ursachen von Emotionen im Körper ausmachen? Lassen sich Emotionen physiologisch beschreiben? Das commercium-Problem hat Arnim später in seinem Roman von der Gräfin Dolores dargestellt, worin das Verhältnis von Körper und Seele in der Episode um Arnika montana, das »unsichtbare Mädchen«, problematisiert ist: Graf Karl trifft in höchster Gemütsverwirrung einen negativ gezeichneten Naturwissenschaftler (Beireis), der »die herrlichsten anatomischen Präparate« und eine sogenannte »Urmuskelfaser« gehortet hat.8 Dabei bemerkt er auch eine merkwürdige Apparatur: über einem eisernen Gitter ein kleiner Glaskasten, aus welchem vier Trompeten von Silber ausliefen. Der Kasten hing an einem dünnen Drahte; auf der einen Seite stand eine lebensgroße Figur, die eine Flöte in Händen trug, auf der andern Seite schwamm auf einem Quecksilberbecken eine metallene Ente.9

Aus diesem Glaskasten tönt nun die Stimme des »unsichtbaren Mädchens«, von dem wir aber später erfahren, dass es gar nicht im Glaskasten sitzt, sondern in 6

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8 9

Arnim: Acht Aufsätze über Epikurs Phielosophie – Werke und Briefwechsel, Bd. 1, S. 175–253, hier S. 249. Arnim: Schulaufsatz über das Thema: »Quam librorum copiam in bibliotheca studiosis literarum bonarum aperta reperiundam quisque desideraret, quid contra conservationi usuique ejus deberi putet« – Werke und Briefwechsel, Bd. 1, S. 293–297, hier S. 295. Arnim: Gräfin Dolores – Werke in sechs Bänden, Bd. 1, S. 101–675, hier S. 421. Ebenda, S. 404.

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einem Nebenzimmer, aus welchem die Stimme durch Technik weitergeleitet wird. Materialismus, »fühllose Maschinen«10, »Rechenmaschine im Kopfe«11: Arnims Standort ist klar, von einem Materialismus eines »l’homme machine« hält er nichts. Das Gelehrtenkabinett, das die Gräfin Dolores absteckt, ist abgestorben; der Autor würde von den Emotionswissenschaftlern heutiger Provenienz ähnliches gedacht haben. Im Roman herrscht Scheu vor der physiologischen Zergliederung von Empfindungen: Darin sind keine äußeren Anzeichen von Gemütsbewegungen der handelnden und fühlenden Figuren ausgearbeitet. Die deutsche Experimentalseelenlehre arbeitete empirisch, nicht spekulativ, und ermöglichte so eine positive Einschätzung von Gefühlen als Triebfedern für das Verhalten. Arnim, der später Naturwissenschaften studierte und praktizierte, hat sich noch speziell mit Physiologie befasst. Zwar war der Anspruch, physiologisch das Vorhandensein von Emotionen zu untersuchen, da; aber die Experimente lüfteten das Geheimnis um solche elementaren Lebensäußerungen nicht. 1798 stellte Arnim ein »physiologisches Dunkel, welches uns die letzten Kräfte der menschlichen Natur verbirgt«,12 fest. Im selben Beitrag bemerkte er: »Und doch ist unser Wesen so eng vereint, daß der Physiolog, welcher die Phänomene des handelnden Körpers ganz aus Seelenkräften ableiten wollte nicht weniger irren würde, als ein andrer, der dieselben nach chemischen Verwandschafts-Tafeln berechnen wollte«13. Anders als Brentano oder Eichendorff hatte Arnim durchaus ein experimentelles Verständnis davon, Emotionen auf die Spur zu kommen. 1800 experimentierte er etwa über die Gasentwicklung in Tiergehirnen und publizierte mehrere »physiologische Bemerkungen«, darunter über die Wirkung des Lichts auf Hirn- und NervenSubstanz. Es war also ein Bewusstsein für die körperliche Seite von Emotionen, die »Pulsation« des Bluts14 da, aber Arnim hat sie nicht in seiner Kraftlehre, die er entwickelte, eingebracht: die besondere Kraftlehre der Materie […] scheint man bis jetzt ganz übersehen zu haben. Und doch beantwortet sie die wichtige Frage: Wie jene Urkräfte, die Repulsiv- und Attractiv-Kraft gedacht werden müssen, um die mannigfaltigen Erscheinungen der Natur hervorzubringen? Eine Frage, die nicht nur den größten Theil der heutigen Physik, sondern auch die wichtigsten Untersuchungen der Physiologie (wie Leben überhaupt möglich u. s. w.) umfaßt.15

Über die Physiologie der Emotionen hören wir von dem Naturwissenschaftler also nichts Neues. Im Begriff der »besonderen Kraftlehre« haben wir aber Verbindungen zu dem, was Arnim am Leben immer hochschätzte: Vitalkraft. In seinem Interesse an den Phänomenen des Magnetismus und der Elektrizität zeigt sich seine Verbun-

10 11 12

13 14 15

Ebenda. Ebenda, S. 408. Arnim: Fragment der Einführungsrede zur ersten Sitzung der Freunde freyer Untersuchung – Werke und Briefwechsel, Bd. 1, S. 335–338, hier S. 337. Ebenda. Arnim: Einige physiologische Bemerkungen – Werke und Briefwechsel, Bd. 2/1, S. 294. Arnim: Versuch einer Theorie der elektrischen Erscheinungen – ebenda, S. 6.

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denheit mit der romantischen Vorstellung einer die gesamte Natur strukturierenden gegensätzlichen Bildungskraft, einer Dynamik von Attraktiv- und Repulsivkraft, die auch in dem Individuum vor- und unbewusst wirkt.16 Wenn Arnim in der Physik und Chemie auch vor einer naturwissenschaftlichen Physiologie letztlich zurückgeschreckt ist, so lassen sich doch im Briefwechsel etliche Belege finden über eine Lebenslehre, in der Emotionalität als Kennzeichen menschlichen Lebens gefeiert wird; in ihm wirkt auch ein Vor- oder Unbewusstes. Das scheint ein allgemeines romantisches Lebensgefühl zumindest in der mittleren Phase der Romantik zu sein, in der das Individuum, vom ständischen Bezugsrahmen freigesetzt, sich für den eigenen ›wilden‹ Lebenslauf in der ›Sattelzeit‹ engagiert. »Fühle was du selber bist«, forderte Arnim in seinem Lehrgedicht an die Jugend.17 In den romantischen Entwürfen geht es nicht um losgelöste tranzendentalphilosophische Spekulation, sondern um konkrete Ansprüche an ein gefühltes Leben, um körperliche Sensationen. Bettina Brentanos Brief an Arnim vom 1807 mag diesen romantischen Enthusiasmus verdeutlichen: [Ich will] wie ein junger Meeresgott alles mit herrschendem Aug überblicken, oder mit der Sonne das höchste Gebürg ersteigen, mit ihr auf allen Gipfeln flammend durchdringend alles berühren, wie ein Sturmvogel sich niederstürzen, gegen den Strom und den Wind seglen, die aufgewehten Schwingen in den Wellen netzen, die große Brust ausdehnen, selig überfüllt in allen Tiefen und Höhen der kräftigen Natur wühlen, und dann wenn Herz und Geist erfüllt ist, wie eine schwere Wolke, eine einzige Brust, in die wir unsre Entzückung ausgießen, ein Auge, das mich dankbar erfreuend anblickt, das auch mir wiederum, wenn ich arm bin, reichlich gibt, meine kalten Schmerzen erwärmt und heilt! – o du gekrümmtes, dürres Menschenleben! – still! still! –.18

Bettina wie Achim von Arnim ist in Fortsetzung der Empfindsamkeit und der Geniebewegung die Beteiligung am Projekt eines romantischen Enthusiasmus gemeinsam, der den Menschen aus seiner Reglementierung in einem prosaischen Leben reißt.19 Soziologisch ließe sich dies sicher mit Bezug auf Arnims Adelszugehörigkeit näher beschreiben. Es gibt zahlreiche Briefstellen, in denen Arnim sich über seine Hochschätzung des Sichselbstvergessens, des freien Gefühls ausspricht;20 ebenso etliche Passagen, in denen er die Steifstelligkeit der Adels- und Hofgesellschaft verspottet. Das Lob der Emotionalität hat das streng reglementierte Daum- und von Labes’sche Elternhaus zur Voraussetzung, gegen das Arnim aufbegehrte. Den Erwartungen der Familie auf eine adlige, sich in den Berliner Geschäftsgang anpassende Existenz entzog er sich durch ein mehrere Jahre dauerndes 16 17 18

19 20

Siehe dazu Burwick: Ahndung, Combination. Arnim: Werke in sechs Bänden, Bd. 5, S. 565–568, hier S. 568. Bettina Brentano aus Frankfurt an Arnim in Königsberg, August 1807 – Bettine und Achim von Arnim: Briefe der Freundschaft und Liebe, Bd. 1, S. 108–109. Vgl. Ueding: Klassik und Romantik, S. 730–731. Vgl. Arnims Kritik an der geliebten Auguste von Schwinck im Brief an Charlotte von Schwinck, 23. Oktober bis 1. November 1807: »Sie versicherte einmal, sich nie vergessen zu haben, als bey ihrer Einsegnung, ich finde das schön und doch ist es allein herrlich, sich zu vergessen und doch nicht zu fehlen« (Knaack: Ein unbekannter Briefentwurf, S. 207).

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Kulturnomadentum und eine Art Bohèmeleben, jeder Gewohnheit »mit Extrapost«21 ausweichend. Der Autonomieanspruch, mit dem der junge Adlige sich 1802 vom ererbten Vornamen »Louis« löste und sich zum Dichter »Achim Arnim« machte, ist ohne das liberale Klima der Berliner Metropole um 1800 kaum zu denken. Die Befreiung der Affekte aus dem preußischen Korsett hat Arnim bekanntlich den Ausschluss aus dem Kreis der Berliner Politik eingebracht: Humboldt zog Arnim zwar als Nachfolger in der preußischen Gesandtschaft in Rom in Erwägung, distanzierte sich aber wegen dessen Unbürgerlichkeit von ihm.

3. Innerhalb des Romantischen nimmt die Lyrik eine besondere Rolle als Medium des Gefühlsausdrucks ein. Lyrik wird in alter Tradition als Empfindungssprache gewertet. Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts gilt Subjektivität als Hauptkriterium zur Bestimmung von Lyrik, und Subjektivität verbinden wir traditionell mit Emotionalität: als Ausdruck von Gefühlen oder von Stimmungen. Es sei hier nur Hegel genannt, der Lyrik als »subjektive Form der Poesie« von Epik und Dramatik absetzt; »das einzelne Subjekt«22 drückt sich darin aus, »seine Stimmung, Freudigkeit, Wehmut oder Denkweise und Lebensansicht überhaupt«23. Als einziges germanistisches Bestimmungskriterium greift dies alles zu kurz, denn natürlich gibt es reflexive Elemente in der Lyrik, und es sind Wahrnehmungen, die darin gespiegelt werden, nicht einfach Emotionen. Für Arnims Zeit aber bleibt die Verbindung der Empfindung mit dem Lyrischen auf jeden Fall festzuhalten. Den Autor haben Gedichte sein Leben lang begleitet. Er begann seine dichterische Laufbahn mit Lyrik und Dramen, Gattungen des Performativen, ehe er mit seinen durch die Mittelbarkeit des Erzählens gebrochenen meisterhaften Novellen und Romanen brillierte. Das erste veröffentlichte Werk Hollin’s Liebeleben stellt in dieser Hinsicht nur scheinbar eine Ausnahme dar, denn es handelt sich dabei um einen Briefroman, der fast durchgehend vom subjektiven Überschwang der Brief- und Tagebuchschreiber geprägt ist. Auf die Form subjektiver Gefühlsaussprache scheint der junge Arnim besonderen Wert gelegt zu haben. Mit seinen Anschauungen über Lyrik und Emotion schließt Arnim dabei an Rousseaus und Herders Theorien über den Sprachursprung aus den Leidenschaften an.24 Wie Herder oder auch A. W. Schlegel und der Sprachphilosoph August Friedrich Bernhardi geht Arnim von einer lyrischen Ursprache aus, in der Empfindungen sich naturgemäß als Verse äußern; Prosa ist deren spätere Überlagerung. Arnims Nachdenken über Ausdruck und Affekt mündete in einen Diskussionsbeitrag über

21

22 23 24

Arnim an Bettina, 15. Januar 1809 – Bettine und Achim von Arnim: Briefe der Freundschaft und Liebe, Bd. 2, S. 110. Hegel: Vorlesungen zur Ästhetik, S. 419. Ebenda, S. 425. Thomas Sternberg hat erstmals auf Arnims Theorie des spontanen Sprechens in Versen hingewiesen: Sternberg: Achim von Arnims Lyrik, S. 69–77, bes. S. 72.

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griechische Deklamation in Reichardts Musikalischer Zeitung. In dem Aufsatz Über deutsches Silbenmaß und griechische Deklamation (1805) fasste Arnim Sprache und Literatur als »Ausatmen« in einem Pendant zum Einatmen des Lebens. Verse interpungieren sozusagen die Wirklichkeit und strukturieren sie vital durch Akzente: Das Einatmen ist die erste und höchste Bedingung des Lebens, die Sprache ist das Entgegengesetzte des Atmens, sie treibt die Luft heraus, was verbindet beides, da der Gedanke, also auch sein Ausdruck unendlich fortlaufen könnte? Die innere Sprachbezeichnung der Worte aufeinander, wodurch sie miteinander verbunden und dadurch getrennt werden; Silbenmaß metaphorisch genannt, Sinn als Akzent seinem Ursprunge nach ganz allein, seiner Form nach sich aussprechend als Länge und Kürze. Es gibt folglich in der Ursprache notwendig nur Verse, was auch historisch belegt werden kann, in unserer Sprache ist ursprünglich ein höherer Vers, nicht mehr Silben, sondern Wortbeziehung aufeinander, die Prosa, notwendig, jene kann diese nicht hervorbringen, diese aber jene, weil sie in ihr liegt, ja sie kehrt notwendig in der Leidenschaftlichkeit zu dem Gebrauche jener zurück.25

Noch konkreter hatte Arnim ein Jahr zuvor als lyrischer Rousseauist behauptet, dass »jeder natürliche Mensch, der keinen gesellschaftlichen regelmäßigen Mißbrauch mit der Sprache getrieben, in seinen Empfindungen« durch je besondere Versmaße und Reime sich äußere.26 Als Beleg dazu führte er einige Beispiele an »Baierischer Alpenlieder, in ländlicher Aussprache, wie sie die Alpendirnen (Sennerinnen), auch Pursche (Buben) so aus dem Stegreife zu singen und einander zu antworten pflegen. Sie stammten aus Joseph von Hazzis Statistischen Aufschlüssen über das Herzogtum Baiern«.27 Was dem unbefangenen Leser erst als ironische Mystifikation eines indigenen Statistikers mit verdächtig natürlichem Namen erscheinen mag, ist tatsächlich ernsthaft gemeint, wenn auch als fiktionsironische Anmerkung des Dichters Ariel gegeben. Ariel rechtfertigt durch diese anthropologische Theorie der Naturmetrik die besondere Verssprache, die der Verfasser des Heldenlieds von Herrmann und der beigeschlossenen Gedichte gewählt habe: Diese »verschlungenen Silben und Reime« konnten ihm keine Fesseln seyn, sie entwickelten sich wahrscheinlich unwillkürlich mit dem Inneren, wenn er wirklich Beruf zu ihrem Gebrauche fühlte. Eins dem andern willkürlich vorsetzen, würde eben so sicher beyde vernichten, wie jene Frage über Gall’s Schedellehre: Ob der Witz seine Hirnknochen, oder die Hirnknochen den Witz bilden?28

Damit findet Arnim sozusagen eine physiologische oder anatomische Legitimation für die verschiedenen Versmaße, die er in seiner Frühzeit ausprobierte: »Silbenmaß und Reim sind nicht bloß für das Ohr, sie sind die nothwendigen Begränzungen, die Pole, ohne welche alle Rede der Empfindung ins Unbestimmte, oder in Stummheit sich verliert; ich glaube keinen zur Darstellung berechtigt, der sich nicht gezwungen 25

26 27 28

Arnim: Über deutsches Silbenmaß und griechische Deklamation – Werke in sechs Bänden, Bd. 6, S. 178–180, hier S. 179. Arnim: Ariel’s Offenbarungen, S. 210. Hazzi: Statistische Aufschlüsse, Bd. 1, S. 402ff. Arnim: Ariel’s Offenbarungen, S. 211.

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fühlt, jedes in seiner gewissen, bestimmten Form mitzutheilen.«29 Metrisch-rhythmische Klangmittel können Empfindungen übermitteln, in elementaren Rhythmen den Lebensvollzug (Herzschlag, Puls) versinnlichen. Diese Spontaneitätstheorie hat Arnim immer wieder an etlichen Stellen seines Werks anhand kontextgebundener Gedichteinlagen vorgetragen.30 Sie wird gestützt durch die Erwähnung unbewusster Einflüsse auf das Dichten, die etwa in der Gräfin Dolores fortwährend veranschaulicht werden. Auf die Bedeutung dieses »Vorsichhinsprechens«31 und seine Verbindung mit dem Traum und dem Unbewussten haben Thomas Sternberg und Ulfert Ricklefs hingewiesen; Ricklefs betont »die zwischen ›Herz‹ und ›Hirn‹ gespannte Sinnlichkeit des Abstrakten« und notiert »ein Überspielen der Bewußtseinsgrenze zwischen Traum und Wachen […] und ein bewußtlos symbolisches, traumwaches Dichten«.32 Musterbeispiel dafür sind ihm Dichtungen in freien Rhythmen, Passagen zwischen Vers und Prosa, von Hartwig Schultz »rudimentäre Verse« genannt.33 Schultz nahm für diese Form von Poesie Arnims Ausspruch »dieses bewußtlose Fortrollen in mancherlei Gedanken, was wir schreiben nennen« als Devise.34 Nun ist die Offenheit für Impulsives zweifellos deutlicher da als bei anderen romantischen Schriftstellern; im Bemühen, Arnims Poesie gegenüber bekannteren romantischen Lyrikern eine eigene Signatur zuzuweisen, betont man aber in der Forschung sehr einseitig das Moment der ›Subjektlosigkeit‹ in Arnims Texten.35 Mindestens genausoviel, wie in diesen Liedern auf die Moderne und den Symbolismus vorausweist, bezieht sich aber zurück auf den Manierismus und den Barock, mit dessen Poetiken und Werken Arnim sich intensiv beschäftigt hat. Die Offenheit für das »Nachtrauschen« als unbewussten Grund des Lebens bildet nur eine Komponente in der Herstellung lyrischer Kompositionen. Arnims Äußerung über das »bewußtlose Fortrollen in mancherlei Gedanken, was wir schreiben nennen«, verliert ihre Bestimmtheit, wenn man den Kontext hinzuzieht. Mit seinen Worten huldigte der Autor 1806 Bettinas faszinierender Art des Briefeschreibens und fingierte im eigenen Brief die metaphorische Situation des Fortrollens in einer Reisekutsche. Das Zitat setzt sich fort: »ich bleibe immer stehen, wo Sie zuletzt waren, während ich wie ein Feuerwerker mit brennender Lunte immer bereit sein sollte, aufzuschauen und zu sehen auf jedes Signal, was die neben mir fliegende und aufgehende Welt mir gibt.«36 Die Gegenposition zum bewusstlosen Fortrollen sowohl in Gedanken als auch im Reisewagen ist die gespannte Aufmerksamkeit auf die Außenwelt, deren Signale den Dichter dann zum Feuerwerk, zum

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Ebenda, S. 211–212. Vgl. Sternberg: Spontanes Sprechen in Versen. Ricklefs: Arnims Lyrik – Werke in sechs Bänden, Bd. 5, S. 1005–1036, hier S. 1006. Ebenda. Schultz: Dieses bewußtlose Fortrollen, S. 109. Ebenda, S. 99 und 109f. Vgl. auch im Anschluss an Ulfert Ricklefs Mathias Mayer: Klassik und Romantik, S. 349–350. Arnim an Bettina, 5. August 1806 – Bettine und Achim von Arnim: Briefe der Freundschaft und Liebe, Bd. 1, S. 70–71, hier S. 70.

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Zünden der Einbildungskraft veranlassen können. Die Welt zündet also nicht selbsttätig im Subjekt. Arnim hat seine Auffassung von Poesie als spontanem Ausdruck und ›wildem‹ Denken verbunden mit kulturkritischen Auslassungen über die Zurichtung der Natur. Die Berufung auf die bayerischen Alpenlieder setzte er wirkungsmächtig mit seinem Essay Von Volksliedern fort. In ihm ist die Empfindungsaussprache gekoppelt mit dem Protest gegen leere Konventionen des Sprechens und Singens, der einen Rückgriff auf die Volkstradition und eine wiederzugewinnende Ursprünglichkeit des Empfindens und Sichäußerns fordert. Das favorisierte lyrische Genre dafür ist das Lied. Arnim hat zwar in vielen lyrischen Gattungen geschrieben, aber nur dem Lied billigt er eine besondere Emotionalität zu. Diese Gattung soll deswegen auch hier im Vordergrund stehen, nicht das Epigramm, das der junge Arnim systematisch als Ort rationaler Dialektik herbeizuzwingen suchte,37 die nicht selten bei Arnim vorkommenden politisch-appellativen Texte oder die Versuche in komplexeren antiken Versmaßen, hauptsächlich den Elegien, die künstlerisch meist scheitern, holprig metrisiert sind und vom Gehalt her die Form eher karikieren. Fast allen Arnims’chen Liedern sind die Kennzeichen lyrischen Stils eigen, die Emil Staiger an Brentanos Gedichten hervorgehoben hat: das Gleitende, Strömende, Musikalische, der »Rausch der Töne«, das Gefühlte, Erahnte.38 In Arnims Gedichtwerk ist das Lied die auffälligste Form; es ist meist in gesellige Kontexte eingelassen – Arnim schrieb gerne Liederspiele – und auch vom sog. »Erlebnisgedicht« sind etliche Beispiele überliefert. Das Ausdruckspotential von Liedern hat Arnim 1809 in seiner Novellensammlung Der Wintergarten anlässlich einer Bearbeitung von Johann Gottfried Schnabels berühmter Robinsonade von der Insel Felsenburg einlässlich vorgeführt.39 In ihr ersetzt er an einer entscheidenden Stelle der Handlung Schnabels Prosaklage durch ein eigenes Lied und verändert deutlich ein anderes im Original enthaltenes Gedicht, wobei er besondere Entstehungsumstände hinzudichtet. Der hoffnungslos verliebte Albert erzählt, wie er seinen Kummer durch das Spielen auf einer Zither lindert; die Harmonien und Melodien fallen dem Musikdilettanten dabei wie von selbst ein.40 Schnabels Original berichtet, dass Albert seine Lieder »theils zu Ausschüttung meiner Klagen, theils zur Gemüths-Beruhigung« verfasst habe;41 seiner Melancholie zugrunde liegt die Eindämmung seiner »natürlichen Affecten«.42 Dem pietistischen Hintergrund von Schnabels Roman entsprechend schreibt Albert den Trost der Musik Gott zu. Um sich die Akkorde zu merken, erfindet er sich Worte zu den Tönen, die unmittelbar seine Empfindungen versinnlichen. Das lyrische Wort fungiert also als Mnemotechnik, um die Griffe auf der Zither zu speichern; das Merkmittel nutzt der Held, um der geliebten Concordia zu ihrer »Freude« dann 37 38

39 40 41 42

Siehe die Proben in Werke in sechs Bänden, Bd. 5, S. 93–102. Staiger: Zeit als Einbildungskraft, S. 19–104, hier S. 53. Vgl. Schultz: Dieses bewußtlose Fortrollen, S. 102. Arnim: Der Wintergarten. Zweiter Winterabend – Werke in sechs Bänden, Bd. 3, S. 110–152. Ebenda – Werke in sechs Bänden, Bd. 3, S. 146–147. Schnabel: Wunderliche Fata, S. 254; vgl. Arnim: Werke in sechs Bänden, Bd. 5, S. 1417. Schnabel: Wunderliche Fata, S. 249.

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seine Zitherstücke vorzuspielen, während er »heimlich« in sich »der Worte dachte, die sie bedeuteten«.43 Der erste Schritt zum Lied zeigt, wie Musik die »Melancholey«44 des Senders lindert und sie dann auch Freude bei dem Empfänger, der die Veranlassungen der Kunst nicht kennt, erweckt. Dabei ist die Versprachlichung des Gefühls aber sekundär; Musik als höhere Kunst der Affekterregung und -besänftigung ist unmittelbarer; die Verse Alberts chiffrieren seine Gefühle, die Worte der Lieder bedeuten etwas anderes, als sie sagen: Lyrik ist eine Übersetzung. Arnim fügt dieser Beschreibung lyrischen Sprechens noch genauere Umstände hinzu. Als Albert einmal in größtem Kummer nicht spielen und singen kann, um seine Pflegetochter nicht aufzuwecken, dichtet er folgendes Lied: Nordfelsenhöh, Du kennst mein Weh, Wie ich das graue Moos Auf deinem Haupte kenne, Und deinen Felsenschoß Doch unergründlich nenne.45

Es ist kryptisch und wortkarg, wie die gegenmetrischen Betonungen im einzigen zusammengesetzten Wort des Anfangsverses verdeutlichen; das lyrische Ich redet den Felsen im Norden der Insel, auf dem es sich befindet, an, um sich seiner als Bundesgenossen und Mitwisser der eigenen Gefühle zu versichern. Das nicht näher benannte »Weh« wird nicht der Verursacherin, der Geliebten, mitgeteilt, sondern der Natur. Die Empfindung ist aber nicht näher ausgesprochen im Lied, sondern lediglich der angenommenen Sympathisantin, der Felsenhöhe, überantwortet, die Einsamkeit auf der Felsenspitze damit etwas gelöst. Das Gedicht kommt jedoch nicht von der Stelle; die »Höh« und das »Weh« reimen sich nur unrein. Nach der durch den Paarreim betonten Kernaussage der ersten beiden Verse folgt in doppelt so vielen Versen ein schwierig aufzulösender Vergleich, der mehr Fragen aufwirft als er etwas verdeutlicht. Man mag ihn sich vielleicht so auflösen: Wie das Ich den Felsen kennt und seine Oberfläche von seinem unergründlichen Innern unterscheiden kann, mag dem Felsen Alberts Inneres vertraut sein, das er Concordia gegenüber nur oberflächlich in Musik ohne anspielungsreiche Worte mitteilt. Der letzte Vers hebt besonders die Benennungsaktion des sprechenden Ichs hervor. Eine neue semantische Ebene deutet sich an in dem Gegensatz des »unergründlichen« Naturwesens und dem Versprachlichen des Natürlichen. Das Lied, das die Trauer und Sehnsucht kaum auflöst und im Vergleich die Gefühlsangelegenheit zu einer rhetorischen Figur macht, gefällt Albert bezeichnenderweise nicht; eine tröstliche musikalische Umsetzung dieser melancholischen Verse kann man sich auch kaum vorstellen. Nun tut sich Albert allerdings Hoffnung auf, denn dem Gestrandeten erscheint in der Ferne ein Schiff, das aber auch wieder verschwindet. Der Jubel vergeht, darauf verfasst der Held ein neues Lied, das Emp43 44 45

Ebenda, S. 147. Ebenda, S.149. Ebenda, S. 147. Vgl. Arnim: [Nordfelsenhöh] – Werke in sechs Bänden, Bd. 5, S. 672–673.

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findungen deutlich in dynamischer Metrik ausdrückt und das Subjekt als Instanz des Fühlens deutlich in den Vordergrund stellt. Das Schiff wird darin zum Symbol des Glücks: Ach hätt’ ich nur kein Schiff erblickt, So wär ich länger ruhig blieben, Die Sehnsucht hat es hergeschickt, Die Sehnsucht hat es fortgetrieben, O Liebe willst du dich denn eines reichen Armen Und freien Sklaven nicht zu rechter Zeit erbarmen.46

In sechs Strophen wird die Sehnsucht nach der Geliebten immer neu variiert. Albert spricht seine Sehnsucht aus, beklagt sein Los. Dabei verändert Arnim entscheidend die Vorlage und nimmt ihr die moralisierende Dialektik der rhetorischen Fragen und Konstrukte.47 Das Gedicht endet mit der Hoffnung, dass an Alberts Lebensende die Verheimlichung seiner Liebe aufhört und »der Liebe Strom durch Aug und Lippen brechen« werde. Die Verssprache folgt nicht der verklausulierten Sprache des Gedichts über die Nordfelsenhöh, sondern nutzt konventionelle Topik in einfachen Parallelen aus, bemüht auch Oxymora und leichte Paradoxa, um die Gefühlsstimmung auszudrücken. Nicht mehr die abstrakte Aussage wie im ersten Lied erscheint im Paarreim, sondern jedes Strophenende. Empfindung wird ausgesprochen und am Schluss bewältigt, nicht wie im ersten Lied am Anfang statuiert, um dann in sich selbst zurückzufallen ohne anschauliche Ansprache. Angesprochen wird nicht die Natur, sondern die zuständige abstrakte Affektinstanz der Liebe (»O Liebe«), die um Erbarmen angefleht wird; danach die Adressatin Concordia selbst, der in paradoxer Kommunikation gesagt wird, was sie nie hören soll. Das »Weh«, das dem Nordfelsen angetragen wurde, ist in der letzten Strophe des zweiten Gedichts klar benannt: Es ist Concordia selbst: »Mein einzig Wohl und Weh bist du« – keine Formulierung also einer kognitiven Verbundenheit des Steinfelsens und des Ichs wie im ersten Lied, sondern eine direkte Ansprache der Geliebten im Affekt. In der Form des ersten Lieds auf die Nordfelsenhöh hat Renate Moering zu Recht einen Bezug auf Tiecks berühmtes Lied Waldeinsamkeit vermutet.48 Es erschien zuerst 1797 in der Erzählung Der blonde Eckbert.49 Die Gedichte haben das gleiche metrische Schema, beide setzen in die erste Zeile eine Wortneuschöpfung. Wenn Albert diese Form verwirft, setzt er sich von der romantischen Einsamkeit ab, die ja schon in Tiecks Blondem Eckbert problematisiert wurde. Tiecks Lied von der ewig gleichbleibenden, in sich kreisenden Einsamkeit gibt Arnim auf für eine sozialverträglichere Form der Lyrik, die gleichzeitig Selbstaussprache und Ansprache an einen mitgedachten Hörer ist. Und für diese kommunikativ zu übermittelnde Aussprache bedient sich der Dichter auch eingeführter poetischer Verfah-

46 47

48 49

Arnim: Werke in sechs Bänden, Bd. 3, S. 148. Vgl. Schnabel: Wunderliche Fata, S. 255–256; auch in Arnim: Werke in sechs Bänden, Bd. 3, S. 1128. Arnim: Werke in sechs Bänden, Bd. 3, S. 1127. Tieck: Phantasus – Schriften in zwölf Bänden, Bd. 6, S. 145 u. 1254–1257.

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ren, vom Reimschema an bis zur Bildlichkeit und syntaktischen Wiederholungsstrukturen. Legt man diese poetologische Episode des Wintergartens zugrunde, dann ist es nicht die Aufgabe des romantischen Lyrikers, die Natur zu bedichten, sondern Empfindungen für ein Publikum zu versprachlichen und sie in einen gesellschaftlichen Ordnungsrahmen einzupassen – nicht der »wilde Gesang des Menschen« und das spontane Sprechen des Vorbewussten ist demnach das Anliegen des Poeten, sondern die Mitteilung, in der die »Leidenschaft« gebändigt wird, weil sonst die »Heftigkeit des Gefühls« die »Stimme« unterdrücken würde.50 Arnims Schnabel-Bearbeitung zeigt deutlich: Lyrik hat Emotionen zur Veranlassung, die in einem reflektierten Verhältnis von Unbewusstheit und Gestaltung verarbeitet werden, auf Hörer hin; im besten Fall hat sie die Wirkung, erhört zu werden wie Alberts Liebesklage. Auf einer Metaebene zeigt die Passage, dass der Rückgriff auf eine Vorlage (Schnabels Gedicht) für den Autor den Vorteil bietet, eine objektivere, durch Überlieferung schon erfahrungsgesättigte und damit verbindlichere Grundlage für ein größeres Publikum zu finden – der Anschluss an die Tradition garantierte auch Qualität.51

4. Arnims Lieder unterscheiden sich in ihrer Durchlässigkeit und formalen Lockerheit von der anderer Kollegen. Das Strömenlassen von Empfindungen lässt sich deutlich an den privaten Erlebnisgedichten aus der Königsberger Zeit nachvollziehen, in denen Arnim die unglückliche Liebe zu Auguste Schwinck und im Exil gleichzeitig den Zusammenbruch Preußens verarbeitete. Sie wirken wie Gefühlsprotokolle im Kurzzeilenstil. Gedichte wie das folgende reihen Emotionen und Wahrnehmungen aneinander, wobei der Reim das wichtigste Steuerungsmittel zu sein scheint, in einer Art ›fortrollenden‹ Bewusstseinsstroms: Hier sitz ich Und denke dein Ganz allein, Gern möcht ich Gestöret sein! Gott sieht mir an den Augen ab, Was mir fehlt Was mich quält Und mildert es mit seiner Gab Auszuhauchen, auszusprechen Heißt dem Pfeil die Spitze brechen. Ach ich kann mich nicht ergeben Und vergeben kann ich nichts, Ach ich sah den Mond wohl schweben In dem lieben Auge Licht. 50 51

Arnim: Dichtung und Geschichte – Werke in sechs Bänden, Bd. 1, S. 14–15. Vgl. Bormann: Romantik, S. 264.

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Als ich dir in’s Aug gesehen, Sah ich meine liebe, ferne Feindin stehen, Die mich nicht leiden kann, Die ich nicht lassen kann.52

Wie Alberts Klage hat das Aussprechen des Kummers therapeutische Bedeutung; »auszusprechen heißt dem Pfeil die Spitze brechen«. Die Klage mündet in eine Schlusspointe, worin der Affektsturm kognitiv in einer Formel der Ambivalenz zur »liebe[n] […] Feindin« gebannt ist; sie greift die frühere Feststellung »Ach ich kann mich nicht ergeben / Und vergeben kann ich nichts« auf. Der im Ausruf »Ach« zweimal signalisierte Affekt ist mit den Mitteln des Parallelismus, der Assonanz, der Alliteration und des Reims formal bewältigt. Die Sprache kommt allmählich nach den anfänglichen Kurzversen in Fluss; der Gedanke, das Quälende »aushauchen«, bringt Komplexität in die lyrische Syntax. Solche »glücklichen« und »schreckligen«53 Lieder sind allerdings nur in Teilen, und dann stilisiert, veröffentlicht worden; dabei hatte Arnim durchaus die Belehrung anderer im Auge.54 Die Empfindungen waren wohl doch zu privat. In den Liebeswünschen, die Arnim artikulierte, wird aber in der atemlosen Häufung der Sehnsucht durch das lyrische Ich die veranlassende Emotion als Grund der Verse deutlich; sie richten sich nicht an die Geliebte, sondern sind eine Selbstansprache: Auf ihre Brust ich Lusten möchte senken, Den Mund in Küssen möcht ertränken, Und daß dies alles sei kein Augenblick, […] Der Geist zu ihr entschweifet Und ich in ihr mag leben Wie Adernblut kann schweben, Und rollend sich ergießen In fremden Wesen fließen, So möcht ich all mein Blut aus offnen Adern, In ihre Adern lassen überströmen, Dann schlüge ohne Herz und Adern, Durch schaut sie klar in meinem Strömen, Wie blaue Adern durch den Busen scheinen, Die Äste all im Herzen sich vereinen.55

Gefühlsströme und deren Aussprache werden hier durch die krasse physiologische Thematik der Blutvermischung versinnlicht. Dass das Gedicht ungedruckt blieb, verwundert nicht. 52 53

54

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Arnim: [Ohne Titel] – Werke in sechs Bänden, Bd. 5, S. 472. Arnim an Charlotte von Schwinck, 23. Oktober bis 1. November 1807 – Knaack: Ein unbekannter Briefentwurf, S. 211. Vgl. ebenda. Arnims Hinweis auf die anvisierten Rezeptionseffekte der Freude und des Nützlichen: »wie die Bienen ihre Arbeiten gern dem Neugierigen verkleben, der sie unter Glas setzt, so soll kein Mensch errathen wo, wie, an wen das alles gerichtet, und wie es allen leise belehrend vorübergeht, so werden sie in dieser verkleideten Wahrheit eine phantastische gute und böse Stunde erblicken.« Arnim: [Liebeswünsche] – Werke in sechs Bänden, Bd. 5, S. 449–450, hier S. 450.

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Arnims Spontaneitätsvorstellungen scheinen Gedichte als Entladung von in der Gesellschaft verstellten Affekten gutzuheißen. Tatsächlich ist in diesem Sinn bei Arnim die Affektausübung des Öfteren verbunden mit meteorologischer Metaphorik. Die Witterungssymbolik für die Affektstürme lag für Arnim besonders nahe, der ja auch Studien zur Meteorologie betrieb. Ein bezeichnendes Gedicht dafür findet sich in einer Vorstufe zur autobiographisch getönten Erzählung Juvenis (1818). Sie handelt von dem Lebensplan und Aufbruch eines Schülers aus einem spätaufklärerisch geprägten Berliner Gymnasium: Lebensduft in luftiger Frische Weht vom himmlisch bekränzten Bogen, Weisse Wölkchen wie fliegende Fische Streichen hindurch in die schwarzen Wogen Ist das Gewitter denn noch nicht verzogen, Donner durchhallt die Gewölbe der Bogen. Wies in den Farben so wetterleuchtet, Aufwärts aus allen heimlichen Ecken, Bis die Herzen dem Himmel gebeichtet, Was sich im Herzen gern möchte verstecken, Blütenäste wie brennende Kerzen Flackern nun offen, wo liebende Herzen. Unter dem blühenden Laubendache, Winkt schon die Nacht mit Augengefunkel, Und die Sonne, erlöst von der Wache, Senket den farbigen Bogen ins Dunkel, Brausend muß himmlische Strömung erst wühlen, Frühling in nächtlicher Ruhe zu fühlen.56

In dem vielschichtigen Gedicht symbolisiert das Gewitter das Donnern der Affekte im Ich; nach der Wetterberuhigung entsteht »Lebensduft« und ein intimes Eintauchen in die Nacht, die Freisetzung der täglich gestriegelten Gefühle »winkt«, wobei die Sonne als Symbol der Tagesrationalität abtritt und die farbigen Gefühle im Dunklen ihren Glanz entfalten. Die Personifikation der Nacht deutet im ungewöhnlichen »Augengefunkel« eine unmittelbare persönliche Begegnung mit der Natur an. Das Gewitter ist aber auch gleichzeitig als Grollen des Himmels aufzufassen, der erzürnt über die Beichte dessen ist, »was sich im Herzen gern möchte verstecken«. Am Schluss aber sind die Affekte gerechtfertigt, das Natürliche mit religiöser Bildlichkeit umgedeutet als »Kerze«, das Vitale himmlisch umdefiniert. Der Prosarahmen um das Gedicht schildert das Gedicht als Lied, das der Protagonist Westen singt, nachdem er ein »Ungewitter« am Fenster stehend erlebt hat; dem Wetter war vorausgegangen, dass der junge Mann »seine Gefühle gebeichtet hatte«.57 Weiter heißt es dazu: »Westen fühlte sich gewissermassen mündig, seit er zum ersten Ausdruck seines Gefühls gelangt war, alle Rücksichten der Erziehung, 56 57

Arnim: Entwurf zu Juvenis – Werke in sechs Bänden, Bd. 4, S. 959–963, hier S. 961. Ebenda, S. 960.

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die ihn so lange beengt hatten, schwanden vor ihm«.58 Die Klärung der Gefühle eröffnet ihm die Möglichkeit, »sich frey durch die Welt zu arbeiten«.59 Eine burschikose Variante des Gewittergedichts akzentuiert den Vorgang deutlicher in seiner Aggressivität: der Donner ist dabei ausdrücklich als Unmutsäußerung Jupiters dem »Sohne« gegenüber gemalt; der Protagonist, jetzt Juvenis genannt, lässt sich aber nicht »hofmeistern« und nutzt sein »Herz« als »Blitzableiter«.60 Das Gewitter als Symbol der Affektlösung; das Wetter als natürlicher, unpersönlicher Bildkomplex, ausdeutbar auf das Unbewusste hin; das Lied als Blitzableiter. Es sei nur kurz darauf hingewiesen, dass man eine der ersten Formulierungen einer psychischen Instanz des »Es« (Freud) in Karl Philipp Moritz’ Studien zur Sprachpsychologie finden kann, wo anhand der unpersönlichen Pronomina und anhand von Wetter- und Befindlichkeitsaussagen (wie: ›es donnert‹, ›es friert mich‹) auf Vorgänge hingewiesen wird, die nicht von einem Ich gesteuert werden.61 Lieder als Ausdruck von Empfindungen thematisiert Arnim des Öfteren in seinen Texten. Dabei handelt er in Ansprache eines auf Distanz bedachten Publikums öfter dessen Vorbehalte gegen die Gefühlsäußerung ab. »Mich recht wacker auszuschreien / Kann mir noch das Blut erfreuen« lautet der Refrain eines Gedichts, das der Figur eines »Verständigen« zugeschrieben wird, der damit gegen »trockne Brüder« zu Felde zieht.62 In einem programmatischen Gedicht über Die Allmacht der Freude beklagt das lyrische Ich, dass den Zuhörern der Ton der Freude »zuwider« sei: Dem Abschied ist ein Kuß vergönnet, Dem Schmerze ist ein Wort erlaubt, Doch wenn der Mund in Freude brennet, Gleich jedes Ohr vor ihm ertaubt, […] Ihr schaudert, seht ins alte Buch.63

Die Affektäußerung legitimiert der Sprecher dann erhaben durch den »Geist der überm Wasser bleibet, / Der freudig weht am heilgen Damm«, wo die »Zerstörungswellen« brechen: »Es tönt der Wind im offnen Mund / Wer es nicht wagt, sich ihm zu stellen, / Den stürzt er in den offnen Schlund.«64 Ein ganzer Zyklus ist der Frage lyrischen Sprechens in der Zeitung für Einsiedler gewidmet, worin die Gefühlsäußerung für das Selbst in verschiedenen Rollen durchsichtig gemacht wird: als »Selbstbescherung« (worin aus dem eigenen »Geblüte« der Gesang, »meine Lust«, »aus einem Gemüte« springt), »Selbstbeschwerung« oder »Selbstberuhigung«.65 58 59 60 61 62 63 64 65

Ebenda, S. 961. Ebenda. Ebenda, S. 962–963. Vgl. Goldmann: Das zusammengefallene Kartenhaus, S. 115–116. Arnim: Der Verständige – Werke in sechs Bänden, Bd. 5, S. 187–188, hier S. 187. Arnim: Die Allmacht der Freude – Werke in sechs Bänden, Bd. 5, S. 308–309, hier S. 309. Ebenda. Arnim: Der freie Dichtergarten – Werke in sechs Bänden, Bd. 5, S. 542–548.

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Was faszinierte Arnim so unablässig am lyrischen Sprechen? Es ist sowohl die unmittelbare Verbindung mit dem Lebendigsein als auch das romantische Interesse an der Weltdeutung, der ›Interpunktion‹ des Lebensstroms, wie Arnim es in seinem Aufsatz über Prosodie fasste. Die Sprachsinnlichkeit der Lyrik kann die »Pulsation«66 darstellen und führt zu einer Art ›Auferstehung des Körpers im Text‹67: »Wir können durch die metrisch-rhythmischen Ereignisse, die Gedichte sind, zurückgewiesen werden auf elementare Lebensvollzüge wie Herzschlag und Atem, die wir um so eindrücklicher wahrzunehmen vermögen, wenn sie uns aus den Metamorphosen und Transformationen, aus den hoch komplexen metrisch-rhythmischen Figuren der Lyrik fremdvertraut vermittelt entgegenkommen.«68 Der Dialogismus des Ichs im Gedicht bringt gleichzeitig in der Selbstdarstellung eine dynamische Wahrnehmung des Ichs zustande, die lyrische Selbstaussprache setzt in Reim und Assonanz eine Auseinandersetzung mit sich selbst in Gang, die auf den sinnlichen Nachvollzug setzt und so das Erlebnisgedicht als Entwurf eines Weltverhältnisses nacherlebbar macht – nicht im Sinne eines Biographismus, sondern in der Stilisierung eines Erlebnisses.69 Ein Gedicht ist damit auch mit Bezug auf die Emotionsdarstellung schwer auf ein rationales Resümee zu reduzieren. Das eklatante Missverstehen lyrischer Sprache demonstriert Arnim z. B. in seinem Roman Die Gräfin Dolores, worin ein Reigen anthropologischer Dichtercharaktere versammelt wird. Im Buch bringt der Minister einen Gedichtzyklus seiner Fürstin programmatisch falsch auf den Begriff und demonstriert so seinen falschen Zugang zum anschaulichen Wirkungsmechanismus von Literatur: »aber warum ist das nicht kurz vorgetragen, wie ich es eben getan habe, und darin finde ich einen Hauptmoment der Schwermut, zu dem Nächsten erst durch die entferntesten Umschweife gelangen zu können, da muß sich die Rede bald zwischen mehreren Personen, bald durch wunderliche Reime zerspalten; ein verständiger Mensch bleibt lieber sich selbst eins und ganz.«70 Arnims Spontaneitätsgestus könnte man als Bekenntnis des romantischen Lyrikers zum Affektausbruch in Gedichtform werten. Eine solche Deutung scheint mustergültig das in Darstellungen Arnims als Lyriker oft erwähnte Gedicht71 »Waldgeschrei« nahezulegen: Im Walde, im Walde, da wird mir so licht, Da es in aller Welt wird dunkel, Da liegen die trocknen Blätter so dicht, Da wälz ich mich rauschend drunter, Da schwimm ich, da schweb ich in trockner Flut, Das tut mir in allen Adern so gut, So gut ists mir nimmer geworden. 66 67 68 69 70 71

Ebenda, S. 542–543. Kaiser: Geschichte der deutschen Lyrik, S. 13. Ebenda. Ebenda, S. 68–70. Arnim: Gräfin Dolores – Werke in sechs Bänden, Bd. 1, S. 530. Schulz: Literaturgeschichte, S. 764–765; Sternberg: Die Lyrik Achim von Arnims, S. 141–142; Ueding: Klassik und Romantik, S. 748.

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Im Walde, im Walde da raset das Wild Da es in aller Welt so stille, Da trag ich ein flammend Herz mir zum Schild Ein Schwert ist mein eiserner Wille So steig ich als stieß ich die Erde in Grund Da sing ich mich recht von Herzen gesund, So wohl ists mir nimmer geworden. Im Walde, im Walde, da schrei ich mich aus Weil ich in aller Welt muß schweigen; Hier bin ich so frei, hier bin ich zuhaus, Es muß sich die Sonne mir neigen, Ich stehe allein wie ein festes Schloß, Ich stehe in mir, ich fühle mich groß, So groß als noch keiner geworden!72

Diese erste ursprüngliche Fassung des Gedichts73 ist ein außergewöhnliches Dokument eines romantischen Vitalismus. Das Ich entledigt sich im Wald seiner Affekte und schreit sich aus, es singt sich »gesund«. Die Schreitherapie hat zur Voraussetzung die Missachtung und Unterdrückung des Sängers im Alltagsleben. Statt der Rede in der Gesellschaft versucht sich das Ich in die Natur hineinzuwälzen. Das Gedicht ermöglicht eine erste Lesung als tatsächliches Naturerlebnis. Eine zusätzliche Lektüre als Allegorie der Schreibsituation des einsamen romantischen Lyrikers bietet sich an und scheint nahezulegen, das Schreien im Walde auf die Erzeugung von Liedern hin auszudeuten. Demnach wäre lyrische Poesie eine abseits der Gesellschaft passierende Rede, die natürliche Empfindungen in natürlicher, also nicht künstlerischer, Äußerung kundgibt. Aber das Gedicht vom Waldgeschrei, dessen Titel es als solches auch qualifiziert, ist nur in Ansätzen ein Schrei. Es ist geregelt durch die Metrik und durch künstlerische Stilisierung. Die rhetorischen Wiederholungsfiguren – Anapher der Strophenanfänge, Geminatio, Anaphern der Verse – strukturieren die lyrische Rede. Die einsilbigen Versanfänge (5 x »Da« in der 1. Strophe, 2 x »Da« und 3 x »So« in der 2., 2 x »Ich« in der 3. Strophe) scheinen den plötzlichen akzentuierten Freudenschrei zu versinnlichen. Den doppelten Ausruf »Im Walde« mag man zwar als Versinnlichung des Schreis deuten; die Silben wirken wie ein freudiges Waldhornsignal, nach dem sich in jedem der so beginnenden Verse ein Hiat auftut. Die rhythmische Formel spannt auf die Folgesilben, in denen sich von Strophe zu Strophe der Vitalkomplex ins Subjektive verschiebt: »da wird mir so licht« / »da raset das Wild« / »da schrei ich mich aus«. 72 73

Arnim: Waldgeschrei – Werke in sechs Bänden, Bd. 5, S. 666. Die bedeutsame Ergänzung durch eine vierte Strophe (vgl. Werke in sechs Bänden, Bd. 5, S. 802) kann aus Platzgründen an dieser Stelle nicht diskutiert werden. Die Motive des Vitalen und der Selbstbesinnung hat Arnim schon früher mit schlechtem Ausgang durchgespielt in dem Gedicht »Welch Wunder hält mich hier umfangen [...]«. Hierin jagt das Ich »mit hellem Schwerte« durch die nächtliche Natur, wo es »nicht verspritzen [s]einer Adern Blut« kann und abseits der »Freunde« auf eine natürliche Wiedergeburt hofft: »Im grünen Walde werd ich neu geboren«. Stattdessen fällt es aber und erkennt: »aus dem Innern muß mir Ruhe dringen / Die Schmerzen mir den ewgen Frieden bringen«. – Werke in sechs Bänden, Bd. 5, S. 81–82.

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Arnim hat überlegte Mittel eingesetzt, um die Freude des lyrischen Ichs poetisch zu versinnlichen. Schon auf einer thematischen Ebene erlaubt es das Gedicht nicht, aus dem Kurzschluss des Inhalts – Schrei – mit der Gedichtform den unmittelbaren Ausdruck von Gefühlen wie denen der bayerischen »Pursche« abzuleiten. Der Gedichttitel selbst ist mehrdeutig. »Waldgeschrei« bezeichnet einmal den ›Vogelsang‹, weiter, davon abgeleitet, einen ›kunstlosen Gesang‹;74 in diesen Bedeutungsnuancen ist es sicher anwendbar auf das Sichausschreien des Ichs im Sinne einer natürlichen Gefühlssprache. »Waldgeschrei« ist aber auch ein Fachausdruck der Jägersprache;75 er bezeichnet das ritualisierte Ein- und Ausleiten einer Jagd mit je besonderen Rufen wie »Ja, ha, ha; Ja, ha« oder »Ho, Ri do, ho ha ho«.76 Arnim als passionierter Vogeljäger hat diesen Begriff der Waidmannssprache mit Sicherheit gekannt.77 Die Jagd, die das lyrische Ich veranstaltet, findet zwar nicht in geselliger Runde statt, aber in geselligen Formen. Angesichts der romantische Poesie allüberall und immerwährend prägenden poesieallegorischen Schicht darf man vermuten, dass das Ich poetischem »Wild« auf der Spur ist. Der Wald ist »Katalysator der Selbsterfüllung«.78 Das Waldgeschrei, das es anstimmt, setzt Emotionalität frei, die im Verein mit den Schranken der Konvention ein Gedicht hervorbringt. Die Jagd im Wald mag also als Allegorie des Dichtens gelesen werden; Wald- und Försterbildlichkeit sind aus anderen Gedichten Brentanos und Arnims dafür bekannt. Freie Äußerung von Empfindungen und kontrollierte Formgebung, die das Ich sich wohl und gesund fühlen lassen, sind dabei kein Widerspruch. Die Gefühlstrunkenheit kann sich aus dem bereitliegenden Reservoir der Emblematik bedienen. Das flammende Herz, das dem Ich als Schutzwehr dient, bezeichnet in der christlichen Ikonographie die Gottesliebe; das Schwert ist ihr oft als Zeichen der Wehrhaftigkeit beigegeben. Ob sich im Bild des Herzens auch noch ein Bezug zu dem Kirchenvater Augustinus verbirgt, dessen herkömmliches Attribut es darstellt,79 kann hier nicht weiterverfolgt werden; das Gedicht Arnims entsteht aber in einer Zeit, in der er sich mit den Problemen eines meditativen Selbst- und Weltbezugs anhand von Augustinus’ Confessiones und Petrarcas berühmter Besteigung des Mont Ventoux befasst

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Deutsches Wörterbuch, Bd. 27, Sp. 1136. Ebenda. Vgl. die Definition in: Christoph Otto: Onomatologia Forestalis-Piscatorio-Venatoria, Sp. 843–844: »Waldgeschrey, ist ein gewiesser Ruf, den die Jägerey bey einem Abjagen und Ausschiessen, wenn sie zu- und vom Holze ziehet, aus hellem Halse von sich hören lässet. Also wird bey der Hirschfeistezeit mit dem Waldgeschrey: Ja, ha, ha; Ja, ha, bey der Schweinhatze aber mit: Ho, Ri do, ho ha ho, zu Holze gezogen. Wenn aber alles verjaget worden, und das Jagen leer ist, ziehet die Jägerey in voriger Ordnung mit dem Waldgeschrey: Ja, ho, ho, vom Holze gegen den Schirm; da denn das Waldgeschrey aufhöret, und das Jagen mit Wald, und Hifthörnern abgeblasen wird.« Im Notizbuch GSA 03/184 (Klassik Stiftung Weimar) finden sich einige Exzerpte aus Büchern über Forst- und Jagdkunde, in denen auch aus Hans Friedrich von Flemings Werk Des vollkommenen Teutschen Jägers andrer Haupt-Theil (Leipzig 1724) ein »Waldgeschrei« notiert ist: mit Silben »Ha Ha Ha Ha Ha«, »Ja Ho« u. a. (Bl. 15). Schulz: Arnim – Literaturgeschichte, hier S. 764. Lurker: Wörterbuch der Symbolik, S. 278.

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hat.80 Zudem sind die Verse, erstmals der Freundin Bettina am 9. November 1808 brieflich geschickt,81 kommunikativ eingebunden in die intensive Verhandlung von Lebens-, Liebes- und Weltansichten mit der zukünftigen Ehefrau; dabei geht es auch um die Qualität der eigenen Lieder und die Rechtfertigung eines individuellen Dichtens aus dem Gemüt, um den Fluss der Lieder, die »wie die leichte Spur des flüchtigen Geistes, der nimmer zahm wird«, sind, und die Weltansicht eines in »Stahl und Eisen« gehüllten »Einsiedlers der Welt«.82

5. Der Ausdruck von Affekten in der Lyrik als künstlichster Literaturgattung hat ein geregeltes metrisch-rhythmisches Schema zur Voraussetzung; erst vor diesem Ordnungshintergrund können Affektbewegungen als Abweichung oder Modulation versinnlicht werden.83 Der Schrei im Wald wird als Gedicht geregelt. Das »Waldgeschrei« ist also Kalkulation und Affekt und gehorcht damit dem Generalprogramm der Romantik, die eine moderne »Gemütserregungskunst« (Novalis) forderte. Es wäre ein Missverständnis, wenn Arnims Gedichte nur als spontane Gefühlsergüsse gedeutet würden; er selbst weist mehrfach darauf hin, dass der Strom, sei es der Rede oder des Lebens, auch eingedämmt werden müsse, um nicht zerstörerisch zu wirken.84 Seine Lyrik ist wie romantische Lyrik generell nicht einfach ein Verströmen von Gefühl, sondern ein reflektierter Prozess, der poetologisch durch den alten Topos der »sobria ebrietas« beschrieben werden könnte.85 Wie regelt sich in Arnims Lyrik das Verhältnis von Emotion und Artistik, von Affekt und Ausdruck? Wie gelingt es dem romantischen Dichter, Gefühle zu vermitteln? Die Fragen sind im 18. Jahrhundert durchgespielt worden, in der Ablösung von einer Regel- und Nachahmungspoetik hin zu einer Ausdrucksästhetik86 und in der Reflexion auf die ›Natürlichkeit‹ der Gefühle und der Probleme ihrer Darstellung. Sie finden sich auf den Punkt gebracht in Herders Ausführungen über die Ode,

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Vgl. Wingertszahn: Ambiguität und Ambivalenz, S. 42 u. 634. Bettine und Achim von Arnim: Briefe der Freundschaft und Liebe, Bd. 2, S. 77–78. Vgl. Bettinas Brief an Arnim vom November 1808. – Ebenda, S. 73–75, hier S. 74. Vgl. Schultz: Dieses bewußtlose Fortrollen, S. 106. Vgl z. B. Arnims Gedicht »Warnung«: »Du mußt dir Dämme geben, / Sonst reißt er [der Sturm/der Strom] dich hinab«. – Werke in sechs Bänden, Bd. 5, S. 220–221, hier S. 221. Vgl. Wingertszahn: Ambiguität, S. 44, 62 u. 96. An dieser Stelle sei auf eine nähere Darstellung des Komplexes verzichtet. Der Anteil des Vorbewussten in Arnims Lyrik ist unzweifelhaft, aber natürlich gehen in die Darbietung auch Gestaltungsmittel des Poeten ein. Bester Beleg dafür ist die Tatsache, dass es zu so vielen Gedichten Arnims Varianten gibt, die eine Arbeit des Autors am Ausdruck bezeugen. Programmatisch hat Arnim das Verhältnis von Affekt und Artistik in seiner Einleitung zur Novellensammlung von 1812 dargestellt, den komplizierten Wechselprozess zwischen dem spontanen Aufbruch in das Vitale (Ritt auf dem Pegasus) und der Notwendigkeit, das, was man in den fernen Klüften wahrgenommen hat, auch wieder versprachlichen zu müssen. Vgl. dazu Knörrich: Die Entstehung des neuzeitlichen Lyrik-Begriffs – Lexikon lyrischer Formen, S. XX–XXIX, hier S. XXV–XXIX.

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die behandeln, wie der Dichter gleichzeitig im Affekt schwimmen und es doch vermeiden kann, Banalitäten von sich zu geben.87 Das Problem der ›Sprachwerdung des Gefühls‹ berührt unweigerlich die angestammte, in der Rhetorik beheimatete Affektenlehre. Das Verhältnis von Rhetorik und Poetik hat die Romantik durchaus nicht vergessen. Das rhetorische Potential von Arnims Lyrik ist besonders aus seinen frühen Texten zu ersehen. Jeder, der die Einleitung zu den Kronenwächtern oder etwa den Aufsatz Von Volksliedern liest, erkennt darin die Umsetzung rhetorischer Muster. In dieser Hinsicht ist überhaupt nicht vom Ende der Rhetorik im 19. Jahrhundert zu sprechen, sondern von einem Weiterleben. Schon der biographische Zugang führt schnell auf die Bedeutung der alten Redelehre für Arnims Dichten. Der Romantiker ist nämlich ein »Schüler des Horaz«.88 Aus Sheila Dicksons Edition von Arnims Schüler- und Studentenarbeiten wissen wir Näheres über seine Einübung in das System der klassischen Rhetorik in der Schule. Dort wurden z. B. Versuche im »affectvollen Vortrage« verlangt; unter den Themata, die Arnim als Hausarbeiten aufgegeben waren, waren etwa »Freude eines Jünglings dem durch eine unerwartete Veränderung seiner Umstände gute Aussichten beym Studieren eröfnet werden«, aber auch Nachahmungen antiker Reden, die »Mitleiden […] erwecken« oder »Unwillen zu erregen« suchen sowie auch die »Besänftigung des Affects« üben sollten.89 Über wichtige Gegenstände der Rhetorik, Deutlichkeit des Vortrags, Disposition des Redners, rhetorische Figuren wie Vergleich, Metapher, Hyperbel hat sich Arnim Notizen gemacht; darin geht es darum, wie der Literat »uns zum Mitgefühl seiner inneren Regungen zwingen will«.90 Seine Exzerpte aus der Schulzeit behandeln auch Probleme der Poetik und Ästhetik, die das Feld zwischen Pindar und Garve, Genielehre und Popularphilosophie abdecken. Dabei zitiert Arnim oft aus dem von Garve übersetzten Essay on Genius des schottischen Gelehrten Alexander Gerard (1774; dt. 1776); eines seiner Exzerpte betraf Gerards Kritik an einer Stelle aus Shakespeares King Richard II, worin er zwischen wahrem Ausdruck und einer bloßen Beschreibung des Schmerzes unterschied.91 Wenn Arnim die Rhetorik und die Affektenlehre92 später kaum in seinen Verlautbarungen erwähnt, dann erklärt sich das als ein Versuch, die gelernte Regelpoetik der Jugend abzuschütteln. Die Muster selbst sind aber noch in den eigenen Texten zu finden. Arnim erkennt durchaus rhetorisches Geschick an wie bei einem seiner Vorbilder Martin Luther; er lehnt aber die Reduktion der Rede auf die reine Rhetorik ab und fordert in der Dichtung, was Luther seiner Meinung nach im Weltverhältnis umsetzte: »wo es aber auf das Weltgeschick ankam, da galt ihm nur das Unmittelbare, das unbewußt kommt, unbewußt weiterdringt, was keine Ausbreitung 87

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Vgl. Oesterle: Sprachwerdung, S. 49–51. Zu Herders Einfluss vgl. Sternberg: Die Lyrik Achim von Arnims, S. 154 u. 129. Arnim: Anrede an meine Zuhörer – Werke in sechs Bänden, Bd. 3, S. 618. Arnim: Themata – Werke und Briefwechsel, Bd. 1, S. 80–85, hier S. 83. Arnim: Exzerpte – ebenda, S. 154–167, hier besonders S. 156–163, Zitat S. 162. Ebenda, S. 158–159. Vgl. R. Behrens, P. Kammerer, J. Krämer, B. Martin, J. Schmidt, J. Wisse: Affektenlehre – Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 1, Sp. 218–253; W. Matzat: Leidenschaft – ebenda, Bd. 5, Sp. 151–164.

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und Auseinandersetzung leidet.«93 Wo dieses Unmittelbare fehlt, stellt Arnim wie bei dem konservativen Politiker und Theoretiker des Erhabenen Edmund Burke nur »Effekte« eines »rhetorischen Klüglings« fest: »göttliche, tiefsinnige, unscheinbare und darin urkräftige Unmittelbarkeit tritt selten in ihm hervor.«94 Die Rhetorik erleidet in der Romantik wie schon vorher im Lauf des 18. Jahrhunderts eine Transformation.95 Das persuasive Element der Redelehre, das die romantischen Dichter ablehnen, wird als mechanisch abgelegt; die Mittel rhetorischer Affektendarstellung aber werden natürlich, anthropologisch umdefiniert im Sinne einer ›anthropologischen Ästhetik‹. So können etwa Wiederholungstropen ihre Gültigkeit behalten. Der Affektausdruck kann nicht auf rhetorische Figuren verzichten, weil Natur eben so abläuft. Die rhetorischen Mechanismen zielen deutlich auf Hörer und Leser. Die Ahnungen des Ganzen, die der romantische Dichter vermittelt, werden bei Tieck oder Novalis in einer neuen romantischen Affektenlehre den Lesern vermittelt. Dabei zielen die Romantiker auf Verflüssigung der Bilder, Öffnung der Bilderketten und Fragmentarisierung.96 Hintergrund der angestrebten Leseerfahrung ist eine neue »Kunst der Gefühlserregung«97, eine romantische Wirkungsästhetik, in der rhetorische Verfahrensweisen in einer neuen »materialen, enthusiastischen Rhetorik«98 (Friedrich Schlegel) dynamisch an die Leser vermittelt werden: Es geht bei allen Verflüssigungsverfahren um die Befreiung der Affekte und der Phantasie. Arnims frühe Lyrik bewegt sich dabei auf den Spuren Tiecks und Brentanos; musikalische Strukturen bestimmen seine Gedichte, für die er sich immer um Vertonungen bemüht hat: »für Arnim bedeutete […] die Annäherung des Gedichts an musikalischen Klang den Wiedergewinn einer unmittelbar wirkenden Gefühlssprache«.99 Bei diesen auf Hörer kalkulierten Gedichten sind etliche manieristische Texte herausgekommen, die Arnim nahe an Brentanos modern wirkenden Kompositionsstrategien zeigen. Den Zusammenhang dieses mit Entstellung arbeitenden formalen Manierismus mit der Moderne hat Hans Magnus Enzensberger in Brentanos Lyrik vor geraumer Zeit dargestellt: »Der syntaktische Choc, die Bildverdichtung, die Animation, die unverbundene Reihung […] sind zu weitverbreiteten poetischen Mitteln geworden.«100 Anders als Arnims Spontaneitätsbehauptung nahelegt, bedarf es für diese frühe Poesie der genau kalkulierten Affektdarstellung. Ein gutes Beispiel für die Adressierung von Empfindungen an die Rezipienten stellt Odins Gesang dar, den Arnim

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99 100

Arnim: Rezension von Der Rhein, Teutschlands Strom, aber nicht Teutschlands Gränze. Von E. M. Arndt. Leipzig 1813 – Werke in sechs Bänden, Bd. 6, S. 460–463, hier S. 461. Ebenda. Vgl. Till: Transformationen der Rhetorik; Campe: Affekt und Ausdruck. Ueding: Klassik und Romantik, S. 726–728. Ebenda, S. 728–738. Friedrich Schlegel: Athenäums-Fragment 137 – Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, Abt. 1, Bd. 2, S. 187. Siehe Pankau: Unendliche Rede, S. 27. Ueding: Klassik und Romantik, S. 734. Enzensberger: Brentanos Poetik, S. 139. Vgl. Ueding: Klassik und Romantik, S. 736.

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als Rollengedicht innerhalb des Heldenlieds von Hermann und seinen Kindern in seinem frühromantischen Mischwerk Ariel’s Offenbarungen einfügte. Ein Herzog sinnt beim Wasserfall Gestützt auf seine Hand; Er hatte schon lange besonnen, gesonnen am Bronnen, Er hatte Gedanken gesponnen, zersponnen am Bronnen, Die Wasser sind bang’ in der Sonne zerronnen im Bronnen: Er schaut nach fernem Land, Er kennt kein Vaterland. Er lauscht, er sucht die grüne Hall’ Er sucht der Bäume Sprach’, Er hatte schon lange besonnen, gesonnen am Bronnen, Er hatte Gedanken gesponnen, zersponnen am Bronnen, Die Wasser sind bang’ in der Sonne zerronnen im Bronnen: Er sinnt vergebens nach, Die Sinne sind zu schwach. Er frägt, er klagt dem Wellenschall, Warum er nicht mehr rauscht. Er hatte schon lange besonnen, gesonnen am Bronnen, Er hatte Gedanken gesponnen, zersponnen am Bronnen, Die Wasser sind bang’ in der Sonne zerronnen im Bronnen: Die Antwort ist verrauscht, Wenn er noch lange lauscht. Warum hört er nicht Widerhall, Warum sucht er das Grün; Er hatte schon lange besonnen, gesonnen am Bronnen, Er hatte Gedanken gesponnen, zersponnen am Bronnen, Die Wasser sind bang’ in der Sonne zerronnen im Bronnen: Die Strahlen alle fliehen, Die Schrecken zu ihm ziehen. Des langen Haares Lockenfall; Warum ist er so weiß? Er hatte schon lange besonnen, gesonnen am Bronnen, Er hatte Gedanken gesponnen, zersponnen am Bronnen, Die Wasser sind bang’ in der Sonne zerronnen im Bronnen: Die Welt spricht ihm zu leis’, Er hört nicht ihre Weis’. Er sieht der Rüstung schwarz Metall; Warum frißt sie der Rost? Er hatte schon lange besonnen, gesonnen am Bronnen, Er hatte Gedanken gesponnen, zersponnen am Bronnen, Die Wasser sind bang’ in der Sonne zerronnen im Bronnen: Ihn flieht der Liebe Trost, Es weht des Lebens Frost. Er sucht schon lang’ am Wasserfall Des eig’nen Grabmals Stein,

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Er hatte schon lange besonnen, gesonnen am Bronnen, Er hatte Gedanken gesponnen, zersponnen am Bronnen, Die Wasser sind bang’ in der Sonne zerronnen im Bronnen: Er weint und sucht allein, Er findet keinen Stein.101

Das Gedicht um den verlassenen Greis evoziert Trauer. Arnim setzt dabei um, was er im Schulunterricht bei der Analyse und der Konstruktion von Affekten gelernt hatte: Dem impliziten Leser werden Empfindungen nahegelegt, indem die Figur vereinsamt exponiert und ihr als Attribut und Affektsignal das Weinen förmlich zugelegt wird. Auffällig sind die eingestreuten Fragen über den Sinn von Odins Tun, die den Leser sympathieheischend in den Denkkreis der Hauptfigur einbeziehen. Am eindrücklichsten aber ist der in jeder Strophe wiederholte Block aus drei Versen mit dem monströsen dreifachen Binnenreim; der lockere Jambenfluss schlägt darin um in ein daktylisches Maß. Der metrische Störfall versinnlicht so die nicht enden wollende Spirale des Nachdenkens und Zerdenkens, der Odin ausgesetzt ist: Das narzisstische Sichselbstbespiegeln im Wasser läuft ins Leere. Der überdeutliche manieristische Kunstgriff macht diesen qualvollen Prozess des zerspinnend Zerrinnenden am Bronnen emotional nacherlebbar und will die Leser in das Lautchaos hineinziehen. Dieser quälende Bronnen-Reim verdankt sich der Herkunft nach wohl kaum einem spontanen »Vorsichhinsprechen«. Der in Lautexperimenten erfahrene Brentano beurteilte das von seinem Freund enthusiastisch empfohlene und als »Ammenlied« mitgeteilte Gedicht kritisch: »dem Wiegenliede nehmen die zu dichten Reime auf Onnen das schaukelnde Opium, die Wiege wird das Kind aufwecken sie stößt zu sehr, sonst liegt für mich zu viel Schmerz in seiner richtig gewählten Betäubtheit.«102 Galt dies zwar einer Fassung des Gedichts, die einen zusätzlichen Vers auf »-onnen« enthielt,103 so trifft die Kritik doch auch noch für das Endprodukt zu. Der Effekt ist artistisch so übertrieben, dass der Affekt beim kundigen Leser ausbleibt und ins Gegenteil umschlägt. Das frühe Gedicht ist dennoch in anderer Hinsicht bezeichnend für Arnims Emotionslehre, wenn man dabei von Lehre sprechen kann. Es ist kein Erlebnisgedicht, sondern schildert aus der Distanz das Verhalten eines Herzogs (Odin), der mit melancholischer Gebärde (aufgestützte Hand in der Melancholie-Ikonographie) an einem typischen Ort über das Leben nachsinnt: bei einem Wasserfall, einem Ort von Naturfülle, die sich ausgießt, von Kraft. Dieser urwüchsige Wasserfall, der von oben herabdonnert, ist einem ominösen Brunnen, einer befriedeten Wasserzone, gegenübergestellt, in der das Tiefenwasser gesammelt wird. Quintessenz: Der Held ist auf der Suche nach Leben (grüne Halle), auf Antwort in der Natur (Sprache der Bäume), allein und weinend, ohne Liebe und Trost, auf der Suche nach einem Vaterland – und er ist in Gefahr, das sagt ein Kommentar des namenlosen Spre101 102

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Arnim: [Odin] – Werke in sechs Bänden, Bd. 5, S. 25–26. Brentano an Arnim, zwischen 3. und 7. August 1802 – Werke und Briefwechsel, Bd. 31, Nr. 240, S. 72. Arnim an Brentano, 9. Juli 1802 – ebenda, S. 60.

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chers, dass die Antwort auf die Frage nach dem Leben verrauscht ist, wenn der Herzog noch lange im Kreis des Zerdenkens verharrt. Das ist das Lebensthema Arnims: die Suche nach Leben in einer Umgebung, in der dieses frische Leben offenbar nicht mehr ohne weiteres aufzufinden war. Das Gedicht versucht die Gefahr des Vorbeigehens am Leben, das von oben kraftvoll herabdonnert und auch beim Schürfen im Erdinnern aufzufinden ist, ›affektpoetisch‹ durch die Verdreifachung einer Binnenreimkette zu versinnlichen.

6. Arnim hat bis zum Ende seines Lebens Gedichte geschrieben; über die bisher erörterten Positionen zur Poetologie hinaus liegt die Frage nahe, ob sich in den dreißig Jahren lyrischer Produktion das Emotionsrepertoire in diesen Texten verändert. Angesichts eines Korpus von 2000 Gedichten scheint das Unterfangen gewagt; auch stellen sich grundsätzlich bei einer Gedichtmusterung unter »kulturwissenschaftlicher« Perspektive interpretatorische Probleme. Bisherigen Ansätzen wird der ästhetische Eigenwert der Gedichte zum Stolperstein. Entweder formuliert man bloß die bekannte Gattungsgeschichte nach dem neuen Leitbegriff Emotion bzw. Affekt um; oder es werden mit ungeheurem methodischen Aufwand Theoriesysteme bemüht, um einen nicht anders als banal zu bezeichnenden interpretatorischen Befund hervorzubringen.104 Was »kodierte Gefühle« unter kulturwissenschaftlicher Perspektive sein sollen, ist schwer herauszufinden.105 Bei der Annäherung gerade an Arnims schwierige Lyrik ist eine Erinnerung an Bedenken »against interpretation« wohl hilfreich, wie sie jüngst auch unter dem Etikett Stimmungen lesen gegen das Zernichten des Weltbezugs von Literatur durch den ›linguistic turn‹ vorgetragen worden sind; bei diesen Überlegungen über die Unmittelbarkeit ästhetischer Erfahrung kommt der Prosodie eine besondere Rolle zu, weil sie unmittelbare Effekte im Körper hervorruft.106 Ulfert Ricklefs hat in seinem maßgeblichen Kommentar zu Arnims lyrischem Werk vorbildlich gezeigt, wie das subtile Aufweisen von Motivkonstellationen diese Gedichte erschließen kann, ohne sie begrifflich zu erledigen. Ich wage die Behauptung, dass in Arnims lyrischem Werk vor allem zwei polar entgegengesetzte Emotionen auffallen, die auch in den modernen Affektkatalogen der Emotionspsychologie als zentrale fungieren: Freude und Trauer. Es kann nicht Aufgabe einer kulturwissenschaftlichen Emotionsforschung sein, wie der Insektenforscher aus Arnims Erzählung Die Ehenschmiede eine Vielzahl einzelner und vermischter Empfindungen in der Lyrik wie tote Käfer aufzuspießen. Interessanter als die Taxonomie der Gefühle bei Arnim ist die Frage, ob man die Polarität von Freude und Trauer dynamisch begreifen kann. Es sind die Tendenzen von Arnims Werk überhaupt. Sie sind auch in der romantischen Lyrik überhaupt zu finden als Nebeneinander von vitalistischem bzw. Liebes-Gedicht und von geistlichem Gedicht. 104 105 106

Wie bei Winko: Emotionskodes und Lyrikgeschichte. Wie bei Winko: Kodierte Gefühle. Gumbrecht: Wie man die Wirklichkeit der Literatur heute denken kann. – Gumbrecht: Stimmungen lesen, S. 7–34.

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Odins Lied scheint mir die Voraussetzung für das, was ich Arnims Vitalismus nenne, am besten darzustellen. Vitalismus ist hier nicht gemeint im Sinne des naturphilosophischen Terminus einer Richtung, die behauptet, dass Lebensvorgänge nicht physikalisch zu beschreiben seien, sondern dass ihnen eine unerklärliche organische Eigengesetzlichkeit inne wohnt (Hans Driesch). Mit Vitalismus meine ich viel einfacher eine Einstellung, die das Leben und vitale Kräfte und Dynamik verherrlicht, die das Leben als höchsten Wert feiert und es enthusiastisch bejaht. Inwiefern Arnim dabei Richtungen seiner Zeit im Blick hatte, will ich hier gar nicht untersuchen; man könnte an den Göttinger Anatomen Blumenbach denken und an Tendenzen der Naturphilosophie, wie sie sich bei Casimir Friedrich Medicus (1736–1808), Alexander von Humboldt oder Hufeland ausdrücken: In ihnen ergänzt das Konzept einer »Lebenskraft« als drittes Prinzip die Seele und die organisierte Materie.107 Voraussetzung für den Vitalismus ist eine melancholisch erfahrene Zeit. Odin erfährt das Leben nur in Höhe und Tiefe als vorbeirauschend. Das Gedicht setzt die Emotion Trauer um und das Gegengefühl der Freude ist hier erst einmal nicht vertreten. Die Gegenposition zur Trauer entwickelt Arnim an anderer Stelle, in Gedichten, die ein rauschhaftes Lebensgefühl artikulieren, und in dem kulturdiagnostischen Essay Von Volksliedern, der im Anhang des ersten Bandes der Liedersammlung Des Knaben Wunderhorn als Manifest der Heidelberger Romantik herauskam. Der Hymnus auf eine neue Volkspoesie als Rettung der rationalisierten und administrierten Gesellschaft geht bekanntlich auf Eindrücke einer mit Clemens Brentano 1802 unternommenen Rheinreise zurück. Arnims Essay zielt auf eine neue Volkskunst und versieht dies mit einer Attacke gegen städtische Verbildung, gegen den Zivilisationsprozess als solchen: In der bürgerlichen Gesellschaft sei es »der Zweck des ganzen mühevollen Lebens, sich so leise wie möglich neben einander wegzuschieben«.108 Der Verfasser polemisiert darin gegen die »kränklichen Reizungen der Städtlichkeit, Philosophie und Liederlichkeit«, gegen »alle Wohlgesittete, die sich den Bart nicht scheren, wenn er lang, sondern wenn ihr Tag gekommen«,109 ferner gegen das »Abarbeiten [der] edelsten Kraft an Formen des Anstandes«,110 auch gegen »die Beschränkung aller Theatererscheinungen in Klassen und für Klassen der bürgerlichen Gesellschaft«.111 Der überbordende Enthusiasmus dieses Manifests macht als seinen Hintergrund die Verhinderungen des freien Lebens, die »wunderbaren Bahnverschlingungen«,112 denen der Lebendige in der Sattelzeit um 1800 begegnen muss, wahrscheinlich. Als Erneuerung für die ständisch getrennte und bürgerlich erstarrte Gesellschaft empfiehlt Arnim »das freudige Leben im freyen Strom – zu schwimmen darin, zu segeln darauf, hindurch dem rauchenden Hirsche nachzureiten, dann bey ihm auszuruhen im Grünen, die Sterne darin zu sehen, kommen und untertauchen in ewiger Witte-

107 108 109 110 111 112

Vgl. Goldmann: Von der Lebenskraft zum Unbewußten. Arnim: Von Volksliedern. – Arnim/Brentano: Des Knaben Wunderhorn, Bd. 1, S. 384. Ebenda, S. 386. Ebenda, S. 384. Ebenda. Ebenda, S. 397.

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rung.«113 Der Satz zeigt die vitalistische Ausrichtung des jungen Arnim am deutlichsten. Er bemüht für den enthusiastischen Aufbruch die Strom-Metapher des Lebens, die sich bis auf Heraklit zurückverfolgen lässt. Er beruft sich auf die »ewige Witterung« der Natur in allen Wechseln und beschwört wie im »Waldgeschrei« das Eintauchen in die Natur, in der das Ich »freudig« mitschwimmt. Die ewige Natur, in deren Wellen man eintaucht, ist gleichzeitig mit einer Metapher aus dem religiösen Bereich aufgewertet und sakralisiert: Denn der Hirsch, dem nachzuspüren sein soll, stellt eine alte Christus-Metapher dar. Bei der vieldeutigen Strom-Metapher, die Arnim immer wieder in seinem Werk einsetzt, ist der politische Aspekt nicht zu vergessen: Den freien Dichtergarten zu öffnen, heißt den tyrannischen König abzusetzen; die politische Bedeutung des Rheins sei hier nur kurz genannt. Das Schwimmen im Strom ist außerdem poetologisch aufgeladen: denn der Strom ist eine alte Allegorie der Rede, die im 18. Jahrhundert wirkungsmächtig mit der Geniemetaphorik aufgeladen wurde. Alles, was fließt, ist gut, könnte das Fazit von Arnims Vitalismus heißen: Von daher erklärt sich seine Hochschätzung des Rauschs, des Dionysischen, des Tanzes; aber auch seine Hochschätzung der Träne, die das Innere nach Außen transportiert und die eingesperrten Gefühle freilässt: Fließen als System von Affektregulierung überhaupt, nicht Eindämmen, sondern Freilassen der Kraft (individuell, politisch, ästhetisch) gilt Arnim als höchstes Gut. Im Vitalismus wird das »Klage- und ElendWesen«114 früherer Zeiten überwunden. Die Gestaltung des Affekts Freude lässt sich im Motivbestand der Gedichte an etlichen Beispielen nachweisen: die Pulsation des Herzens, unzählige Motive der »Lebenswelle«, der Adern, des fließenden Bluts. Als Musterbeispiele für die Versinnlichung des Lebens gelten Arnim die Volkslieder, in denen vitale Empfindungen gespeichert sind. In ihnen findet sich »das Abbild des höchsten Lebens oder das höchste Leben selbst, Sinn und Wort, vom Ton menschlich getragen«, das »auch einzig nur aus dem Munde des Menschen sich offenbaren könne«.115 Arnim entwirft am Rande des Essays auch eine kleine Entwicklungspsychologie der Zeitgenossen (»was in allen lebt, als Methode«116) anhand der von Kindern gehörten Lieder, wobei er von seiner eigenen Erfahrung ausgeht. Die gehörten Lieder bilden Schichten der Seele ab; auf die zuerst gehörten »Kirchenlieder« (die eigentlich zu vermutenden Wiegen- bzw. Ammenlieder als erste Töne erwähnt Arnim nicht) folgen gesellige Lieder im Volkston der Zweiten Berliner Liederschule (Johann Abraham Peter Schulz), danach stellt Arnim kritisch nur den Verfall der Liedkultur und der Trennung von Musik und Sprache fest.117 Lediglich im Volkslied »auf dem Lande« erhält sich im »bunten Geschrey«118 vitales Liedgut.

113 114 115 116 117 118

Ebenda. Ebenda, S. 387. Ebenda, S. 386. Ebenda, S. 379. Ebenda, S. 379–382. Ebenda, S. 382.

»Was klingt im Ohr, was schlägt das Herz?«

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Den Aufbruch hat Arnim in vielen Gedichten, die von Tanz, Rausch u. a. handeln, umgesetzt.119 Die entgrenzende Wendung in das sinnliche Leben erfährt in Arnims Lyrik aber allmählich eine religiöse Gegenbewegung, die angesichts einer »Tränennot« zu einem geistlichen »Urquell« des Lebens flüchtet und die Sinnlichkeit wieder zugunsten einer geistlichen Wiedergeburt zurücknimmt: eine geistliche, keine natürliche wie im »Waldgeschrei«. Einen Übergangstext vom freudigen Leben im Strom zu der religiösen Resignation stellt dabei das Lied Hatte nicht der frische Morgen […] dar, eines von Arnims musikalischsten Gedichten. Es steht im Roman Gräfin Dolores, der insgesamt für die »Affektpoetik«120 des Autors, wenn man es so nennen will, zentral ist: Hatte nicht der frische Morgen Dich in seinem Arm gewiegt, Haben dich die müden Sorgen Vor dem Abend schon besiegt. […] Hatte nicht die erste Liebe Dich mit süßem Wort geweckt; Ach bald ist’s die letzte Liebe, Die mit Erde dich bedeckt.

Es sind fünf Strophen der Trauer, die ohne die Nennung des formelhaften Motivs der Träne auskommen. Die Vitalmotive sind jeweils in den zwei ersten Zeilen jeder Strophe genannt; sie erscheinen nur in der Erinnerung des Gedichtsprechers, die durch Rekurrenz geprägt ist: Jede Zeile beginnt mit dem Erinnerungsmotiv »Hatte nicht«, ohne dass eine Steigerung auf einen Höhepunkt sichtbar wäre; es wiederholt sich nur die obstinate Erinnerung an frischere Zeiten, ohne dass eine Folgerung gezogen würde. ›Affektpoetisch‹ wird dem Leser Trauer durch die Wiederholung des ein und selben quälenden Gegensatzes zwischen Aufbruch und Scheitern vermittelt. Der regelmäßig auftretende Hiatus nach der Besinnungsformel »hatte nicht« lässt nachvollziehen, wie die Zeit den Aufbruch hat schwinden lassen. Das Gedicht spricht Graf Karl (in vielem Arnim ähnlich), der sich an seinen verlorenen Sohn Johannes erinnert: Johannes ist ins Kloster geflüchtet, weil er seine Mutter mehr als Gott verehrte. Die Eltern wollen das Kind vom geistlichen Leben abbringen, aber dieses weigert sich, wird Priester und zielt auf eine andere »Religion des Lebens«. Die Welt gibt in dieser geistlichen Perspektive Anlass zur »Tränennot«. Tränennot meint einen Zustand der Welt und der Gesellschaft, der Leid hervorruft; Arnim gebraucht das Wort in seinen oft surrealistisch genannten Versen »Der an der Liebe Verzweifelte auf verschiednen Poststationen«.121 Auch dieser Text ist eingegangen in die Dolores, wo er ebenfalls der Hauptfigur Graf Karl zugeschrieben wird. Karl weint oft und viel, auf den Spuren empfindsamer Affektübung, aber nie öffentlich.

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Vgl. Sternberg: Die Lyrik Achim von Arnims, S. 145–158. Begriff nach Meyer-Sickendiek: Affektpoetik. Arnim: Werke in sechs Bänden, Bd. 5, S. 591–598.

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Seit der Niederlage Preußens gegen die napoleonischen Truppen häufen sich nun bei Arnim Gebete in Gedichtform und geistliche Lieder. Zwei der eindrucksvollsten sind die untenstehenden Sonette; sie beziehen sich auf eine Berliner Inszenierung von Thomas Moores Dichtung Lalla Rukh, sind aber von Arnim auch an anderer Stelle eingesetzt worden und weisen in vielen anderen Texten wiederkehrende Motive auf: O senke nicht den Blick zur Erde nieder, Soll ich die Himmelspforte dir erschließen, Der Engel will dich freudig schon begrüßen Es rauschet dir entgegen sein Gefieder. Die Gaben die er fordert bringt kein Büssen Er locket dich zur Menschenqual nicht wieder Er fordert deinen Blick – die Augenlider Versagen ihn, weil noch die Tränen fließen. Nicht Blut und Tränenopfer glühn am Herde Des ewgen Lichtes, laß sie hier begraben Als blutgen Regen auf der dürren Erde Die nur in Blut und Tränen sich kann laben: Entschüttle beide deinen Flügeln, werde Ganz leicht, blick aufwärts, dies sind deine Gaben.122 Die Feder gib aus deinen grünen Flügeln Tauch sie in Freudentränen selger Höhen Daß ich beschreiben kann was ich gesehen Und was ich fühle, daß ich es kann zügeln Die Himmelspforten sollst du uns entriegeln Den Quell, aus dem das irdische Vergehen Sich immer neu verwandelt zum Entstehen, Den Lebensquell wirst du dereinst entsiegeln. Viel reine arme Seelen dich bekränzen Wie Edelsteine in dem hellen Haare, Mit dir an Himmelspforten freudig glänzen Das irdisch falsche und das geistig Wahre In aller Schönheit auf der Erde Grenzen, Es tritt beim Tanz vor deinem Aug ins Klare.123

Die Umdefinition des vitalen Stroms in einen geistlichen Quell ist hier sehr deutlich. Arnim nutzt auch hier sein Lieblingsmotiv des Strömens; aber es ist kein freudiger Rausch und kein Schwimmen im Affekt, kein Ausleben, sondern ein Abschütteln, ein Sichergeben, das der Autor eindrucksvoll in den sehr modern wirkenden Enjambements umsetzt. Aus der Wasser- und Strom-Motivik hat Arnim

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Arnim: Die Peri – ebenda, Bd. 5, S. 948–949, vgl. ebenda, S. 975. Arnim: Der Engel – ebenda, S. 949; vgl. ebenda, S. 976.

»Was klingt im Ohr, was schlägt das Herz?«

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in seinem Lehrbrief des Schicksals eine ganze Mythologie des Lebens entworfen.124 Wahrscheinlich spiegelt sich in der Motivik der Einfluss des Berliner Neupietismus, dessen Vertreter Hermes Arnim schätzte. Die Tendenz zum geistlichen Urquell sehe ich einmal durch die geschichtliche Entwicklung bedingt. Bei Arnim entstehen die ersten Gebete in Gedichtform in den Befreiungskriegen. In der Restauration werden die vitalen Aufbruchsszenarien des jugendlichen Arnim zunichtegemacht, der Strom wird eben nicht frei und die politisch avisierte Selbsttätigkeit in Preußen nicht gewährt. Die Folge ist eine Form von Entsagung. Die Verabschiedung des Aufbruchs und die Zunahme geistlicher Gedichte erscheinen wie eine Variation des »Systems Liebe«, wie es Peter von Matt als Strukturprinzip der romantischen Lyrik herauspräpariert hat. Diese sei »eine der für Deutschland bedeutsamsten Ausprägungen der chiliastisch-revolutionären Bewegung im europäischen 18. Jahrhundert«:125 Die geschichtlichen Bedingungen der Romantik, »die unter dem Eindruck des Königsmordes und der Terreur vervielfachte Unterdrückungsarbeit des ungebrochenen Feudalabsolutismus und der […] Machtanspruch des Geldbürgertums« führten zur Aufgabe der Utopie und bewirkten, »daß der Raum zwischen den zwei Augenpaaren als der Ort der Freiheit, des vollen Glücks hier und jetzt – als welcher er zeitlos sein mag – seinen Präfigurations-Charakter verliert.«126 Die »Polarisierung in sinnliche und geistliche Inbrunst«127 ereignet sich auch in Arnims Gedichten. Arnims Liederarchäologie im Volkslieder-Aufsatz weist noch einen anderen Weg. Das am frühesten gehörte Kirchenlied, das geistliche Lied bildet demnach in der Seele eine prägende Schicht. In einer kürzlich erschienenen »Affektpoetik« wird spekuliert über eine Verbindung von Emotionspsychologie und Affektpoetik und dabei auf eine Emotionstheorie hingewiesen, wonach das Auftauchen bestimmter Affekte im Gefühlsrepertoire einer Person auf Schlüsselszenarien zurückgeführt wird, in denen diese erlernt werden.128 Dieser analytische, mit dem Begriff des Ambivalenzkonflikts operierende Ansatz schiene mir für Arnim tatsächlich erwägenswert. Die Ambivalenz ist schon in seinem dramatischen Erstlingswerk zu verzeichnen. Der weinende Graf Karl setzt eine Tendenz fort, die schon Odin im Heldenlied von Herrmann und seinen Kindern verkörpert. Dort heißt es, ausgesprochen wieder von Odin: »wer weint, der kennt die Welt«.129 Die Sehnsucht als romantisches Hauptmotiv ist schon in Arnims früher Lyrik allgegenwärtig: »Nimmer hat das Herz genug«, formuliert der Schlussvers eines frühen Gedichts über den im

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Ebenda, Bd. 5, S. 777–778, hier S. 777: »Wie so gerne fließt ihr Tränen, / Fühlt zur Freiheit himmlisch Sehnen, / Gott aus Wasser schuf die Erde, / Daß zu Wasser alles werde, […] Was ich suchte, ist vergessen, / All mein Hoffen war vermessen.« In einer späteren Strophe dann die Wendung ins tätige Leben: »Wenn in Andacht Tränen rinnen, / Tränen in die Arbeit rinnen, / Mag sie wohl den Preis gewinnen.« Matt: Gespaltene Liebe, S. 72. Ebenda, S. 74. Ebenda, S. 65–66. Meyer-Sickendiek: Affektpoetik, S. 45–47. Arnim: Das Heldenlied von Herrmann und seinen Kindern – Ariel’s Offenbarungen, S. 61.

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Weinen mündenden unüberbrückbaren Gegensatz von Traum und Tag, das der Autor effizient als lyrischen Dreisatz kalkuliert hat.130 Die Kehrseite des romantischen Vitalismus ist der Nihilismus. Wenn das Leben nur als Welle verstanden wird, dann wird bei fortschreitender Lebenserfahrung die zuvor freudig begrüßte »ewige Witterung« der Natur fragwürdig, weil in ihr auch Leid, Trennung und Scheitern inbegriffen ist: Ein weites Meer die Welt, Gefühle, Wellen, Die sich erheben, fallen – ohne Ziel. Der Freude Lächeln eilet so dahin, Des Schmerzes tiefe Narben bleiben: Ja wahrlich was hier glänzt und scheint, das scheint Nur so, und nur wer weint, der kennt die Welt, Der kennt das Leben, kennt die ferne Zukunft.131

Der »geistliche Urquell« bietet hierfür eine Rettung. Das Zunehmen von Gebetsgedichten zieht die Konsequenz aus dem romantischen Subjektivismus, dessen Vertreter immer in der Gefahr sind, in »unheilbare Schwermut [zu] versinken, weil sie sich ewig bemühe[n], in dem unendlich tiefen Strudel der Zeit den Grund zu sehen«.132 Die religiöse Besinnung lässt sich schon in einem frühen Epigramm Arnims (1803) über Glaube und Sehnsucht finden, worin es heißt: »Ohne den Glauben wir schweben ein Wölkchen über dem Meere, / Ohne die Sehnsucht es fällt, als ein Tropfen ins Meer«.133 Die geistliche Besinnung wäre somit ein Rückzug vor der Welt als allesverschlingendem Ungeheuer in der Hoffnung auf eine geistige Sinngebung. Arnims letztes überliefertes Gedicht ist ein Gebet134 und kein Text über den Karfunkel in der eigenen Brust,135 die produktive Einbildungskraft, die fast seine gesamte frühe Lyrik in einer poetologischen Schicht prägt. Am Ende steht Entsagung: Aufgabe der Selbstmächtigkeit und Entäußerung an Gott. Das Gebet übernimmt dabei eine existenzielle Funktion, die Arnim vorher vor allem der Literatur zugeschrieben hatte: die Mitteilung von Gefühlen, die Trost spendet und »den Schmerz der unbegreiflichen Fülle und Leere des Lebens gar oft unbewußt aufh[ebt].«136

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Arnim: [Wecken mich die weißen Wände] – Werke in sechs Bänden, Bd. 5, S. 272–273, hier S. 273. Arnim: Das Heldenlied von Herrmann und seinen Kindern – Ariel’s Offenbarungen, S. 61. Arnim: Gräfin Dolores – Werke in sechs Bänden, Bd. 1, S. 530. Arnim: Glaube und Sehnsucht – ebenda, Bd. 5, S. 485. Arnim: [O Herr gib deiner Gaben viel] – ebenda, S. 999–1002. Ebenda, S. 156 u. 312. Arnim an Jacob und Wilhelm Grimm, 24. Dezember 1812 – Steig/Grimm (Hrsg.): Achim von Arnim und die ihm nahe standen, Bd. 3, S. 247.

Jan Oliver Jost-Fritz

Erkenntnis unter Blättern: Affekt und Selbstgefühl in Arnims Gedicht »Waldgeschrey« / »Stolze Einsamkeit«

Waldgeschrey

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1. Im Walde im Walde, da wird mir so licht. Da es in aller Welt wird dunkel, Da liegen die trocknen Blätter so dicht, Da wälz ich mich rauschend drunter Da schwimm ich, da schweb ich in trockner [der Fluth. Das thut mir in allen Adern so gut, So gut ists mir nimmer geworden.

2. Im Walde, im Walde da raset das Wild Da es in aller Welt so stille, 10 Da trag ich ein flammend Herz mir zum Schild Ein Schwerdt ist mein eiserner Wille So steig ist als stieß ich die Erde in Grund So sing ich mich recht von Herzen gesund, So wohl ists mir nimmer geworden. 3. 15 Im Walde, im Walde, da schrei ich mich aus Weil ich in aller Welt muß schweigen; Hier bin ich so frey, hier bin ich zu Haus, Es muß sich die Sonne mir neigen, Ich stehe allein wie ein festes Schloß, 20 Ich stehe in mir, ich fühle mich groß, So groß als noch keiner geworden.

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Stolze Einsamkeit (Melodie von Louise Reichardt.) […] Wenn es in aller Welt dunkel, […] […] Da mein ich zu schwimmen in rauschender [Fluth, […] So gut ist’s mir nimmer geworden.

Im Walde, im Walde da wechselt das Wild Wenn es in aller Welt stille, […] Ein Schwerdt ist mein einsamer Wille, […] Da sing ich mich recht von Herzen gesund So wohl ist mir nimmer geworden.

[…] Weil ich vor aller Welt schweige, Da bin ich so frey, da bin ich zu Haus. Was schadt’s, wenn ich thörigt mich zeige, […] […] […] Im Walde, im Walde, da kommt mir die [Nacht, Wenn es in aller Welt funkelt, Da nahet sie mir so ernst und so sacht, Daß ich in den Schooß ihr gesunken, Da löschet sie aller Tage Schuld, Mit ihrem Athem voll Tod und voll Huld, Da sterb ich und werde geboren.1

Die beiden Versionen werden hier nach den Handschriften FDH 7283 (»Waldgeschrey«) und GSA 03/2.1, Bl. 14 r/v (»Stolze Einsamkeit«) abgedruckt. Für die freundliche Überlassung der

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Jan Oliver Jost-Fritz

1. Achim von Arnims Gedicht »Waldgeschrey«, dem er in einer zweiten Fassung den Titel »Stolze Einsamkeit« gegeben hat, bietet auf den ersten Blick die Gelegenheit, die gängige Leitthese zu Arnims lyrischem Werk zu bestätigen: Der »normsprengende Exzeß«, der in der ersten Strophe erkannt worden ist2, die »Gebärde des Ausschreiens«, die »Entindividualisierung«, das »vorsubjektive[] Element des Traums« in der dritten und vierten Strophe3 – all das scheint dafür zu sprechen, dass hier exemplarisch die »spontane, subjektlose Sprachgebärde«, das »Vorsichhinsprechen« zwischen Bewusstsein und Unbewusstheit als Hauptcharakterzug in Arnims Lyrik vorliegt4. Thomas Sternberg verweist in seinen Bemerkungen zum Gedicht auf die Ausdifferenzierung der Lebenswelt in wissenschaftliche und zweckrationale Diskurse, denen er die emotionale Emphase des »synästhetische[n] Erleben[s]« im Gedicht gegenüberstellt, das den »Zwang der Individuation« durchbricht. Das Rauschmotiv der ersten Strophe und das Erlösungsmotiv der vierten Strophe lassen den Rückzug des lyrischen Ichs in den Wald als »ritualisierten Suizid« erscheinen, der den Verlust der Einheit von Mensch und Natur wiederherzustellen vermag.5 Die Entlassung von Gefühl und Denken aus den Grenzen der aufgeklärten Rationalität sei »die Wurzel für Arnims ›Surrealismus‹ und Phantastik«6. Wird Arnims lyrisches Werk vor dem Hintergrund der Geschichte der abendländischen Rationalität betrachtet, leuchtet die These der »Subjektlosigkeit« sicher ein.7 Es stellt sich allerdings die Frage, ob damit die formale, motivische und thematische Heterogenität der Lyrik ausreichend adressiert werden kann. Diese Frage umfassend zu behandeln ist hier sicher nicht der Ort; dennoch soll im Folgenden eine alternative Lesart zumindest des Gedichtes »Waldgeschrey« / »Stolze Einsamkeit« vorgeschlagen werden, in der der Text in einem anderen diskursiven Hintergrund kontextualisiert wird. Um 1800 hatte sich, parallel zur transzendentalphilosophischen Bewusstseinsphilosophie als Erklärung der Rationalität und des Selbstverhältnisses in Abgrenzung von Descartes, eine anthropologische Bestimmung der menschlichen Natur entwickelt, die auch der Orientierung am Modell der

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Transkriptionen und für Hinweise zu den Handschriften danke ich Renate Moering. Sternberg: Die Lyrik Achim von Arnims, S. 143. Arnim: Werke in sechs Bänden, Bd. 5, S. 1411 und 1497 (Kommentar von Ulfert Ricklefs). Ebenda, S. 1005f. Vgl. auch Sternberg: Die Lyrik Achim von Arnims, S. 69–81. Sternberg: Die Lyrik Achim von Arnims, S. 142f. Ebenda, S. 143. Zum ›surrealistischen‹ Aspekt siehe auch Japp: Achim von Arnim und der Surrealismus. Sternberg zitiert die Bestimmung der Lyrik als dionysische Kunst bei Nietzsche, in der das nicht medial vermittelte, rauschhafte Ich aus dem »Abgrunde des Seins« tönt. Die Subjektivität des Lyrikers »im Sinne der neueren Aesthetiker ist eine Einbildung.« (Nietzsche: Werke, Abt. 3, Bd. 1, S. 40; vgl. Sternberg: Die Lyrik Achim von Arnims, S. 143). Im methodischen Rahmen einer Genealogie rational konstituierter Subjektivität leuchtet das ›dionysische‹ Element in vielen Gedichten Arnims ein, allerdings ist fraglich, ob hinter der Umgehung rationaler Kontrolle tatsächlich das Sein im Abgrund sichtbar wird, oder ob es ihm um menschliche Selbstbeschreibungsmöglichkeiten generell geht, durch die sich ein subjektiver Selbstbezug herstellt.

Erkenntnis unter Blättern

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subjektiven Autonomie der Ästhetik der Klassik eine Alternative an die Seite stellte.8 In diese Richtung soll Arnims Gedicht gelesen werden: Die naturwissenschaftlich inspirierte Selbstgefühlsbeschreibung im Kontext der Aufwertung der unteren Erkenntnisvermögen und die paulinische Erlösungsmetaphorik in der letzten Strophe9 stecken den Rahmen ab, in dem Arnim eine anthropologisch fundierte Konstitution von Subjektivität beschreibt.10

2. Die erste, dreistrophige Fassung des Gedichtes legt Arnim einem Brief bei, den er am 9. November 1808, kurz vor seiner endgültigen Abreise aus Heidelberg, an Bettine Brentano schickt.11 1813 nimmt er das Gedicht in einer vierstrophigen Fassung in sein Drama Der Auerhahn auf.12 Im Drama wird es von der Figur Otto gesungen, der auf einem Baum gegenüber dem Zimmer seiner heimlichen Liebe Elisabeth sitzt. Unter dem Titel »Stolze Einsamkeit« ist das Gedicht schließlich noch in zwei Handschriften überliefert, von denen eine von Karl August Varnhagen von Ense in das Druckmanuskript für den zweiten Gedichtband im Rahmen der Sämmtlichen Werke aufgenommen wurde. Bekanntlich ist der Band aber erst 1976 tatsächlich erschienen.13 Thomas Sternberg geht in seinen knappen Hinweisen zum Gedicht von der biografischen Situation Arnims aus: Im Gedicht, wie in den Briefen des Herbstes 1808, zeige sich seine Tendenz zur »Weltflucht aus oft depressiven Stimmungen«14, was den emotionalen Ton des Textes erklärt. Den Auszug aus Heidelberg im November scheint Arnim tatsächlich als eine Art Vertreibung aus dem Paradies empfunden zu haben; am Tag des Abschieds von der Stadt am Neckar schreibt er in einem weiteren Brief an Bettine: 8

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Vgl. zu den Differenzen zwischen Herder und Schiller, die das Spektrum von der klassischen Autonomieästhetik einerseits und dem anthropologischen Interesse andererseits abgrenzen Adler: Autonomie versus Anthropologie, sowie Pfotenhauer: Anthropologie, Transzendentalphilosophie, Klassizismus. Die Vorgeschichte der Diskussion über Ästhetik und Anthropologie wird nachgezeichnet bei Stöckmann: Anthropologische Ästhetik. Sternberg: Die Lyrik Achim von Arnims, S. 142. Damit sollen die Thesen von Sternberg und Ricklefs nicht einfach zurückgewiesen werden; Ricklefs hat sicher Recht, wenn er den Aspekt der »Welt- und Bewußtseinserkundung« als besonderes Merkmal des lyrischen Werkes hervorhebt. Seine, auch bei Sternberg formulierten, Folgerungen, die Arnims Lyrik in die Geschichte der surrealistischen écriture automatique einreihen, lassen allerdings die Grenze zwischen poetologisch-reflexiver Verfasstheit der Texte und dem offensichtlichen thematischen Interesse Arnims bisweilen verschwimmen. Bettine und Achim von Arnim: Briefe der Freundschaft und Liebe, Bd. 2, S. 76–78. Arnim: Schaubühne, Bd. 1, S. 19–114, hier S. 86f. Arnim: Gedichte, S. 11f. Zur Geschichte des Druckmanuskripts vgl. ebenda, S. 237–249. Vgl. für den bibliographischen Nachweis der Handschriften und Erstdrucke Ricklefs: Arnims lyrisches Werk, S. 177f., Register-Nr. 874. Der Hinweis auf die Vertonung des Gedichtes durch Louise Reichardt in H2 (das von Varnhagen verwendete Manuskript) stammt von Arnim selbst. Für diese Auskunft danke ich Renate Moering. Sternberg: Die Lyrik Achim von Arnims, S. 141.

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Jan Oliver Jost-Fritz Nun ade, du altes Schloß, Das da über mir gehangen, All mein Hoffen und Verlangen War doch nur ein luftig Schloß.15

Trauer und Enttäuschung über Pläne, deren Ausführung die »Feinde«16 verhindert haben, mögen hier herauszuhören sein. Liest man das Gedicht vor dem biografischen Hintergrund, dann ist allerdings schon der Titel des Gedichts, um das es mir geht, ein erster Hinweis darauf, dass Arnim durchaus eine ironische Distanz zu den sonst vielleicht tatsächlich entmutigenden Ereignissen des Heidelberger Literaturstreites einnimmt.17 »Waldgeschrey«, das Schreien in der dritten Strophe, bezieht sich sicher auf die »so nur in Arnims Lyrik anzutreffende Gebärde des Ausschreiens«, wie Ricklefs kommentiert18; das Präfix vor dem Schrei hat aber noch andere Konnotationen: Geschrei als »klagegeschrei«, »feldgeschrei«, »jäger- und waldgeschrei« oder als »geschrei von thieren«. Es findet sich aber auch die Bedeutungsvariante »klagen und beschwerden«19 – kurz, ein Geschrei, das sich im Wald erhebt und nicht ausschließlich auf die romantisch-selbstbewusste Geste des freien Schreies eingegrenzt werden kann. Der Schrei scheint hier vielmehr irgendwo im semantischen Feld zwischen Jägersprache und Ausdruck von Klage zu erklingen. Diese Lesart ist vielleicht etwas deutlicher, wenn man den Schrei auf die Gedichtgruppe Dichter Wald der Dichter bezieht, die Arnim im April 1808 in der Einsiedler-Zeitung hat erscheinen lassen.20 Der ersten Stimme – »Der Verzweifelnde«, wie das Gedicht überschrieben ist – antwortet aus der Ferne ein Chor mehrerer Stimmen: Wie sind wir erschlossen Im Sange so freundlich, Und alle Genossen, Und keines mehr feindlich.21

Vor dem Hintergrund der literarischen Auseinandersetzungen zwischen den Romantikern und der Partei um Johann Heinrich Voß im Jahr 1808, dem Jahr der Heidelberger Romantik, erscheint das friedlich-harmonische Vereinigungsmotiv fast utopisch. Die Realität war von einem weniger freundlichen Gesang geprägt, angefan-

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Arnim: Werke in sechs Bänden, Bd. 5, S. 666. Ebenda, S. 667. Vgl. zu diesem Hintergrund die Zusammenfassung der Ereignisse in Heidelberg im Jahr 1808 in Ziolkowski: Heidelberger Romantik. Arnim: Werke in sechs Bänden, Bd. 5, S. 1411. Siehe dazu den Artikel »Geschrei« in Grimm: Deutsches Wörterbuch, Bd. 4, Sp. 3963–3968. Zeitung für Einsiedler, Nr. 2 (6. April 1808, abgedruckt in Arnim: Werke in sechs Bänden, Bd. 5, S. 553–559. Siehe auch Moering: »Der grosse Einsiedler Pallast, worin viele tausend Gelehrte, Liebhaber, Sechswöchnerinnen, ungestört neben einander wohnen können.« Gedankenräume im Umkreis der »Zeitung für Einsiedler«. – In: Pape (Hrsg.): Raumkonfigurationen in der Romantik, S. 203–222, hier S. 214–216. Arnim: Werke in sechs Bänden, Bd. 5, S. 554.

Erkenntnis unter Blättern

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gen schon damit, dass Voß die »derben Versarten aus germanischen Eichenwäldern«22, aus denen die Rufe des Dichterwaldes vermeintlich erklingen, strikt ablehnte. Nachdem Arnim noch Anfang des Jahres versucht hatte, ein freundliches Verhältnis zu Voß zu bewahren23, hatte sich auch sein Verhältnis zum Homer-Übersetzer verschlechtert, nachdem dieser das Wunderhorn aggressiv kritisiert, das Sonett als vermeintlich romantische Lieblingsform diskreditiert24 und Creuzers Mythenstudien und Reformvorschläge für das Philologische Seminar der Universität Heidelberg heftig angegriffen hatte.25 In Arnims Editions-Arbeit am Wunderhorn konnte Voß nur »forgery«, also Betrug, erkennen, ein Vorwurf, der den Wunderhorn-Herausgeber noch im folgenden Jahr beschäftige.26 An Bettine schrieb er im genannten Brief vom 9. November: »Sein [Voß’] Calcul ist, daß nach der Abreise des Görres, Clemens, Isidorus und meiner die Romantik hier [in Heidelberg] aussterben müsse«.27 Und weiter heißt es: »Der Voß hat hier wieder viel Schlechtigkeiten ausgehen lassen.«28 Der Ton im Brief ist ironisch, doch muss Voß’ Vorwurf Arnim getroffen haben, da er mit der Kritik an der weiterdichtenden Bearbeitung im Wunderhorn ein zentrales Dichtungsprinzip in Arnims Kunsttheorie herausgreift und verwirft.29 Vor diesem biografischen und literarhistorischen Hintergrund gelesen erscheint der Rückzug des lyrischen Ichs im Gedicht »Waldgeschrey« nicht ganz so freiwillig, wie es der selbstbewusste Schrei in der dritten Strophe glauben machen will.30 22

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Voß: Zeitmessung, S. 180. Vgl. zu dieser Bedeutungsvariante des Waldmotives in der poetologischen Diskussion der Aufklärung Wiedemann: Rom, Athen und die germanischen Wälder – Wiedemann: Grenzgänge, S. 273. Wie er am 2. Februar an Bettine berichtet – siehe Bettine und Achim von Arnim: Briefe der Freundschaft und Liebe, Bd. 1, S. 130). Vgl. Voß’ Rezension der Sonette Bürgers, abgedruckt in Fambach: Der romantische Rückfall, S. 225–255. Siehe Ziolkowski: Heidelberger Romantik, bes. S. 145–176. Einen Überblick über die Reformbemühungen an der Universität bietet Wolgast: Phönix aus der Asche – In: Heidelberg im säkularen Umbruch, S. 35–60. Voß stand vor allem den in diese Zeit fallenden Vorarbeiten Creuzers zu seiner Symbolik ablehnend gegenüber; Creuzer interessierte sich zunehmend für die Rolle des Dionysos in der griechischen Mythologie und verband das mit neu-platonischen Überlegungen, die dem Aufklärer Voß nur als irrationale Mystik erscheinen konnten. Siehe Creuzer, Daub: Studien, Bd. 2, S. 224–324. Zu Voß’ Standpunkt vgl. Häntzschel: Aufklärung und Heidelberger Romantik. Die Diskussion findet noch ihren Nachklang in den ›bacchischen‹ Sonetten, die Arnim in seine Geschichte des Herrn Sonet einfügt (Arnim: Werke in sechs Bänden, Bd. 5, S. 641–644). Die Sonette sind bislang fast ausschließlich als polemische Reaktion auf Voß’ Bürger-Rezension gelesen worden, auch wenn Ricklefs auf die reichhaltigen Interpretationsmöglichkeiten aufmerksam gemacht hat. In meiner Dissertation zu Arnims Lyrik werde ich die Sonett-Sequenz als Auseinandersetzung Arnims mit dem Genie-Konzept und als Emotionspoetik interpretieren. Voß: Beitrag zum Wunderhorn. – In Fambach: Der romantische Rückfall, S. 26–30, hier S. 26. Arnim antwortet mit zwei offenen Briefen An Hn. Hofrat Voss in Heidelberg, die im Januar und Februar 1809 in der Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung erschienen, abgedruckt in Arnim: Werke in sechs Bänden, Bd. 6, S. 258–261 und S. 264–266. Bettine und Achim von Arnim: Briefe der Freundschaft und Liebe, Bd. 2, S. 77. Ebenda. Siehe die Darstellung zu Arnims Werkbegriff bei Neuhold: Arnims Kunsttheorie, S. 36–51. Nachweise im Text beziehen sich auf die erste Fassung, »Waldgeschrey«.

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Der Wald, in den das lyrische Ich im Gedicht offenbar flieht, um nicht »in aller Welt« (Z. 2, 9, 16), dem Raum der journalistisch ausgetauschten »Schlechtigkeiten« sein zu müssen, ist natürlich ein bevorzugter romantischer Topos, der auf eine längere Tradition zurückblickt.31 Das lenkt den Blick auf das Verhältnis von biografischen Voraussetzungen und poetischer Stilisierung. Um 1800 war im Topos des Waldes sicher vor allem Rousseau präsent, der bekanntlich die Einsamkeit in Wald und Natur suchte und damit den Mentalistätshaushalt der europäischen Romantik vorbereitete. Ganz ähnlich wie später bei Arnim, ist es auch bei Rousseau immer wieder die Bosheit der anderen, die ihn in den Wald treibt: Der Menschen »abgefeimter Hass erspürte zielsicher jene Qual, die meine empfindliche Seele am schmerzhaftesten Treffen mußte«, so beginnt er seine Träumereien.32 Nur auf seinen einsamen Wanderung in der Natur fühlt er sich frei von den Zudringlich- und Feindseligkeiten der Menschen; in der Natur fühlt er »unaussprechliche Verzückungen und Ekstasen«, er wird »gewissermaßen eins […] mit der gesamten Natur«, in der er aufgeht »im großen Weltsystem, das alle Wesen verbindet.«33 An dieses Auflösungsmotiv erinnert die erste Strophe in Arnims Gedicht, in der das lyrische Ich in die Blätter des Waldes eintaucht34. Allerdings enden damit auch die Ähnlichkeiten zwischen Arnims Gedicht und Rousseau. Rousseau begibt sich nicht wegen der Ekstasen und dem Eintauchen in die differenzlose Natur in den Wald. Vielmehr folgt er einer Leidenschaft: mit seinem Linné in der Hand zu botanisieren.35 Sicher folgt seine Beschäftigung mit der Fauna keinem Zweck in Form eines praktischen Nutzens, die Ekstase ist hier aber mehr rhetorisches Mittel, die Unmittelbarkeit der Empfindung darzustellen und damit den therapeutischen Ansatz seiner Einsamkeit in der Natur und der nur dort angeregten Einbildungskraft zu begründen. Der Romantiker sucht im Wald dagegen etwas anderes, seine Einbildungskraft folgt in der Regel keinem therapeutischen Programm, auch wenn man wie Thomas Sternberg dem Gedicht eine depressive Affektlage seines Autors unterlegen will. Arnims lyrisches Ich macht mit der Aufhebung der Trennung zwischen Subjekt und (Natur-)Objekt auf einen anderen Aspekt aufmerksam. Sein Eintreten in die Natur geschieht nicht durch eine aneignende Gegenüberstellung, sondern sie ist ästhetischer Art, eine Erfahrung des Erhabenen, die hier in Verbindung mit einem Motiv subjektiver Selbstbehauptung zu sehen ist, und das Subjekt nicht in einem sozialen Modus konstituiert – wie es in der sozialen Abgrenzungshaltung Rousseaus geschieht –, sondern in einem ästhetischen. Die Literaturstreitigkeiten des Heidelberger Jahres stehen sicher im Hintergrund des Gedichtes, daran lässt der Brief Arnims an Bettine kaum Zweifel; allerdings 31

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In der Raumkonstruktion mittelalterlicher Epik etwa spielt der Wald ein zentrale Rolle, als liminaler oder transitorischer Raum; zum Topos im Mittelalter vgl. Schulz: ›in dem wilden wald‹. Vgl. zur Verwendung des Waldes als Topos um 1800 Jung-Kaiser: Der Wald als romantischer Topos. Eine Einführung. Rousseau: Träumereien, S. 7. Ebenda, S. 124. Sternberg spricht von »Daseinsbewältigung im rauschhaften Erleben« und »realitätssprengender Erfahrung« – Sternberg: Die Lyrik Achim von Arnims, S. 141. Rousseau: Träumereien, S. 86.

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beendet er den Brief mit dem Hinweis, den Text nicht zu biografisch zu lesen: »Ein ganz Teil kleiner«, so unterschreibt er, »legt sich Dir zu Füßen, Achim Arnim.«36 Die Versicherung der eigenen Bescheidenheit wirkt vor dem Hintergrund der Selbstbehauptung im Gedicht ironisch: In der Distanz wird deutlich, dass zwischen Autor und Gedicht ein größerer Graben liegt, als es der intime Kommunikationscharakter im Brief suggeriert. Arnim hat später die Diskrepanz zwischen subjektiver Stilisierung und objektiver Situation mit der Verwendung dieses Gedichts im Auerhahn-Drama direkt reflektiert, aus dem biografischen Kontext herausgelöst nimmt es dort eine ganz andere Funktion ein. Im Drama geht es um das Verhältnis eines akuten Affekts und der poetischen Projektion der Figur Otto, dem das Gedicht in den Mund gelegt ist. Der junge und etwas hitzköpfige Mann wird vom Fürsten von Cleve in den Wald geschickt, um einen Auerhahn zu schießen. Der Fürst plant heimlich, Otto mit seiner Tochter Elisabeth zu verheiraten. Er erwähnt dem Unwissenden und in die junge Frau Verliebten gegenüber aber lediglich, dass Elisabeth am folgenden Tage vermählt werden solle. Entsprechend aufgewühlt nimmt Otto seine Armbrust und geht in den Wald, wo er geblendet von der »Wuth der tiefgekränkten Liebe«37, das Gedicht zu singen beginnt. Die »alle Welt« in jeder Strophe ist hier nur noch lose erkennbar als das politische Feld der Pläne von Ottos Vater und dem Fürsten. Die verliebte Verzweiflung des jungen Mannes motiviert das Erlösungspathos der vierten Strophe nur bedingt, auch wenn es mit der hell/dunkel-Metaphorik seiner Rede korrespondiert.38 Am Ende der Szene erfährt der Leser dann auch, dass das Gedicht keine drameninterne Situation lyrisch darstellt, sondern dass es rein um die Empfindung Ottos geht, die er in einen subjektauflösenden Gestus projiziert. Im Verhältnis zum Pathos wirkt die Kontextualisierung ironisierend, wenn der Ort der Selbststilisierung Ottos, der transzendente »Schooß« der Mutter Nacht in der letzten Strophe, sich als Baum gegenüber dem Balkon Elisabeths herausstellt, von dem es einfach zu sein scheint, ins Zimmer der Geliebten zu sehen und schließlich hinüberzuspringen: »Wie kam ich hier zu dieser Höh des Baums, ich kanns mir nicht versagen und ich seh hinein, laß alle Auerhähne in dem Walde schrein! […] (Er springt weit über auf den Altan und geht hinein in das Zimmer.)«39 Das Gedicht im Dramentext markiert lediglich einen Wechsel von Fremdbestimmung zu selbstbestimmtem Handeln und das Anrufen des Waldes im Gedicht referiert nicht auf eine reale Situation, in der Otto sich befindet – denn er sitz auf einem Baum nahe am Schloss und nicht im tiefen Wald, wo er dem scheuen Auerhahn auflauern könnte. Vielmehr beschreibt das Gedicht hier die Spannung zwischen sublimierter Erotik im »Schooß« der Nacht und dem handlungsleitenden Begehren der Figur.

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Bettine und Achim von Arnim: Briefe der Freundschaft und Liebe, Bd. 2, S. 78. Arnim: Schaubühne, Bd. 1, S. 85. Otto spricht von »glühen Wolken« [sic], vor seinen Augen, vom vertrauten Schatten im Wald, »weiße[n] Nachtfalter[n]«, vom »helle[n] Schild« des Mondes, »mondlicher Beleuchtung« und schließlich von der »Lampe [der] lügt mit falschem Schein« – ebenda, S. 85–87. Ebenda, S. 87.

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3. Ein ganz anderes Thema nun kann erschlossen werden, wenn das Gedicht von diesen Kontexten abgelöst betrachtet wird. Der Text wird als Reflexion der Selbstwahrnehmung lesbar, wobei dem ideengeschichtlichen Hintergrund eine besondere Bedeutung zukommt, da er Rückschlüsse auf die Konstitution von Subjektivität in Arnims Lyrik generell zulässt. Auf den ersten Blick ist das auffälligste Merkmal des Gedichts die Raumsemantik, die in der formelhaften Wiederholung »Im Walde, im Walde« (Z. 1, 8, 15, 22) und der »Welt« in den jeweils folgenden Versen geprägt wird.40 Die Gegenüberstellung von Wald und Welt in allen vier Strophen bildet eine strukturierende Kette, an der eine Art Entwicklung abgelesen werden kann: lichter Wald – dunkle Welt (1. Strophe), rasendes / wechselndes Wild im Wald – stille Welt (2. Strophe), das Ausschreien im Wald – Schweigen in der Welt (3. Strophe) und schließlich die Nacht im Wald und das Funkeln in der Welt (4. Strophe). Die Akzentverschiebung in den Prädikaten steht für eine Bewegung von einer Raumsemantik der Immanenz zu einem transzendenten Raum in der vierten Strophe. Auffällig in der ersten Strophe ist, dass dem Wald das Prädikat ›hell‹ zugeschrieben wird; wie der zweite Vers verrät – »in aller Welt dunkel« (Z. 2) –, handelt es sich um eine abendliche oder nächtliche Szene, in der man im Wald eher eine noch dichtere Dunkelheit erwarten würde, als außerhalb. Die Helligkeit im Wald beschreibt offenbar keine real-sinnliche Erfahrung, sondern einen bestimmten Zustand des Subjekts. Das wird unterstrichen durch den Charakter des Werdens und der Passivität – »da wird mir so licht« (Z. 1). Das Ich ist einem Prozess ausgesetzt, den es zwar mit seinem Eintritt in den Wald auslöst, der von ihm selbst aber unabhängig ist, den es selbst nicht beeinflussen kann. Metapherngeschichtlich steht hier natürlich die Verbindung von Licht und Wahrheit im Hintergrund. »Licht«, schreibt Hans Blumenberg, »ist das Eindringliche, es schafft in seiner Fülle jene überwältigende, unübersehbare Deutlichkeit, mit der das Wahre ›heraustritt‹, es erzwingt die Unentziehbarkeit des Geistes.«41 Auf die Lichtmetaphorik »im Kontext innerer Erleuchtung durch den Glauben und die Offenbarung« hat auch Sternberg hingewiesen;42 die interessante Wendung hier im Gedicht ist allerdings, dass die Lichtwerdung schon vor dem Offenbarungs- und Erlösungsmotiv der vierten Strophe geschieht, also einen Erkenntnisakt aus dem vorbewussten Bereich des Ichs selbst heraus beschreibt, der nicht sogleich auf eine religiöse Transzendenz festgelegt wird. Das Thema des Gedichtes, diesen ersten beiden Zeilen nach zu urteilen, ist die Verbindung von Selbstwahrnehmung und Erkenntnis. Das Motiv der Wahrheit schon in der ersten Zeile korrespondiert mit dem Motiv der Verstellung, das in der

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Nachweise im Text im Folgenden beziehen sich ausschließlich auf die zweite, vierstrophige Fassung des Gedichts. Blumenberg: Licht als Metapher der Wahrheit – Blumenberg: Ästhetische und metaphorologische Schriften, S. 139–171, hier S. 140. Siehe Sternberg: Die Lyrik Achim von Arnims, S. 172–185, hier S. 175.

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ersten Fassung in der Notwendigkeit zu schweigen43 und in der zweiten Fassung im Klugheitsgebot des Schweigens (Z. 16 und 18) zum Ausdruck kommt. Dem scheint auf den ersten Blick die Raumsemantik zu entsprechen. In der dritten Strophe wird eine Gegenüberstellung von Wald und Welt deutlich, in der die Welt als Bereich der Gesellschaft erscheint: dem Wald wird die »alle[] Welt« (Z. 16) explizit gegenübergestellt. In der Welt außerhalb des Waldes muss das Ich schweigen, weil es sonst »thörigt« wäre, sich nicht klug verhalten würde (Z. 18). In der Welt, so lässt sich diese verdichtete Raumsemantik lesen, muss das Ich eine Rolle spielen, weil seine wahre Identität, sein authentisches Selbst, von den anderen als »thörigt« bewertet würde. Dieses Motiv funktioniert offensichtlich auch, ohne dass man es auf den Streit mit Voß zurückführt, in dem Arnim die journalistische Notwendigkeit politischen Handelns gesehen haben mag. Der Wald als alternativer Raum dagegen ermöglicht ein Jenseits der als erdrückend empfundenen Wirklichkeit der Welt, und als solcher ist er im topologischen Haushalt der Romantik fest verankert. Als Sehnsuchtsraum erscheint der Wald als Ort der Einsamkeit in Tiecks formelhaftem Gedicht »Waldeinsamkeit«44; bei Eichendorff findet sich der Wald als Ort der tatsächlichen oder vermeintlichen Erfüllung: Ich möcht’ in den tiefsten Wald wohl hinein, Recht aus der Brust den Jammer zu schrei’n,

Aber schon die nachfolgenden Verse aus Eichendorffs Der irre Spielmann machen den Abstand zu Arnims Text deutlich. Bei Eichendorff handelt es sich um den pathologischen Zustand einer Flucht vor dem eigenen Selbst, gleichsam um die Umkehrseite der rousseauschen Therapie, nicht um ein bewusstes Suchen der Einsamkeit: Ich möchte reiten ans Ende der Welt, Wo der Mond und die Sonne hinunter fällt.45

Anstatt eines Bildes vom zusammenstürzenden Kosmos weitet sich die Selbsterfahrung des Ichs in der ersten Fassung von Arnims Gedicht in eine veränderte Wahrnehmung des Kosmos aus: »Es muß sich die Sonne mir neigen«46. Der Mensch steht hier nicht exzentrisch zu den Himmelskörpern, sondern sieht sich selbst im Zentrum des Kosmos. Dieses Motiv der Selbstermächtigung ist in der zweiten Fassung stark zurückgenommen. Das Ausschreien ist nicht ein befreiender Akt, der – wie im Fall des Jammers bei Eichendorff – an einen ganz bestimmten Affekt gebunden ist, sondern es ist ein schon mit Freiheit verbundener Schrei: »Da bin ich so frei, da bin ich zu Haus« (Z. 16), heißt es, und nicht »da werd’ ich so frei«, wie es das Licht-Werden in der ersten Strophe auch hätte nahelegen können. 43 44 45 46

»Waldgeschrey«, Z. 16. Tieck: Werke in zwölf Bänden, Bd. 6, S. 132. Eichendorff: Werke in sechs Bänden, Bd. 1, S. 232f. »Waldgeschrey«, Z. 18.

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Der Schrei ist bei Arnim nicht Befreiung von, sondern Ausdruck der Freiheit, des autonomen und authentischen Selbstbezuges, den das Ich im Wald, entfernt von den mitzulesenden sozialen Entfremdungsmechanismen, erleben kann. Neben dieser nur angedeuteten sozialen Perspektive des Einsamkeits- und Schreimotivs lässt sich der Schrei aber auch noch anders verstehen, wenn man ihn vor dem Hintergrund von Arnims Überlegungen zur Sprachtheorie betrachtet.47 Schon in den frühen poetologischen Passagen in den Briefen Arnims an Brentano spielt Sprachreflexion eine entscheidende Rolle: »Ich habe es hier ganz gefühlt welch ein freundschaftliges Sylbenmaaß in aller Natur ist mit mannigfaltigen Reimen durchflochten, die nothwendigen Pole aller Sprache erkannte ich, ohne die sie eben so nothwendig sich in das unendlich Unbestimmte verlaufen muß.«48 Arnim greift wenige Jahre später in seinem kurzen, für Johann Friedrich Reichardts Berlinische Musikalische Zeitung verfassten Aufsatz Über deutsches Silbenmass und griechische Deklamation bis in Formulierungen hinein auf seine früheren Briefäußerungen zurück.49 »Ich habe früher gereimt«, schreibt Arnim in dem kleinen Aufsatz, »als ich das mindeste vom Silbemaß wußte und fast nie gefehlt«; die traumwandlerische Sicherheit, die der Dichter im Bereich der Metrik zu haben scheint, ohne dass er bewusst daran arbeitet, führt Arnim auf den Charakter der »Ursprache« zurück: Silben sind Worte der Ursprache. Unsere Worte sind teils noch einzelne Silben teils Zusammensetzungen von Silben oder Perioden jener Sprache. Eine Periode in unserer Sprache ist aus jenen Silbenperioden zusammengesetzt – es bleiben folglich in unserer Sprache alle Beziehungen der Silben, welche ursprünglich statt gefunden haben, aber es kommen neue hinzu, eine spätere Sprachbildung muß daher keineswegs der frühern untergeordnet sein, aber schwierig wird sie nicht dem, der darin lebt, sondern dem, der sie lernt und lehrt. Das Einatmen ist die erste und höchste Bedingung des Lebens, die Sprache ist das Entgegengesetzte des Atmens, sie treibt die Luft heraus, was verbindet beides, da der Gedanke, also auch sein Ausdruck unendlich fortlaufen könnte? Die innere Sprachbezeichnung der Worte aufeinander, wodurch sie miteinander verbunden und dadurch getrennt werden; Silbenmaß metaphorisch genannt, Sinn als Akzent seinem Ursprunge nach ganz allein, seiner Form nach sich aussprechend als Länge und Kürze. Es gibt folglich in der Ursprache notwendig nur Verse, was auch historisch belegt werden kann, in unserer Sprache ist ursprünglich ein höherer Vers, nicht mehr Silben, sondern Wortbeziehung aufeinander, die Prosa, notwendig, jene kann diese nicht hervorbringen, diese aber jene, weil sie in ihr liegt, ja sie kehrt notwendig in der Leidenschaftlichkeit zu dem Gebrauche jener zurück.50

Arnim ist allerdings weniger an einer Rekonstruktion der Ursprache interessiert; der soziale Entfremdungscharakter, der etwa in Rousseaus Sprachtheorie aus dem natürlichen Ausdruck der Leidenschaft die prosaische Artikulation hat werden 47

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Mit den Grundzügen der Sprachursprungsdiskussion des 18. Jahrhunderts war er vermutlich schon seit seiner Schulzeit in Berlin vertraut, siehe den Brief Nr. 53 von Friedrich von Raumer an Arnim von 1797 – Werke und Briefwechsel (Weimarer Arnim Ausgabe), Bd. 30, S. 53–55. Brief Nr. 229 vom 7. April 1802 an Clemens Brentano –ebenda, Bd. 31, S. 44. Arnim: Werke in sechs Bänden, Bd. 6, S. 178–180 sowie 1137f. Vgl. auch Sternberg: Die Lyrik Achim von Arnims, S. 70–73. Arnim: Werke in sechs Bänden, Bd. 6, S. 179.

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lassen51, ist kein degenerierendes Element im Prozess der Sprachgeschichte, sondern nur ein Sprachzustand in einem genau abgegrenzten Bereich.52 Vielmehr ist Arnim an der kognitiven und physiologischen Bedingung der Sprache interessiert, wenn er auf die vitale Funktion des Atmens verweist und dem die Sprache als einen potentiell unendlich fortgesetzten Gedanken als physiologisch fast notwendige Folge, als Ausatmen, zuschreibt. Dieses Konzept war ihm sicher schon durch August Wilhelm Schlegels Ausführungen zur Sprache und Poetik bekannt, durch seine Beschäftigung mit den Naturwissenschaften bekommt es aber noch einen eigenen Akzent. Schlegel hatte in seinen Briefen über die Poesie (1795) geschrieben: Die Seele, von der Natur allein erzogen und keine Fesseln gewohnt, forderte Freiheit in ihrer äußern Verkündigung; der Körper bedurfte, um nicht der anhaltenden Heftigkeit derselben zu unterliegen, ein Maß, worauf seine innre Einrichtung ihn fühlbar leitete. Ein geordneter Rhythmus der Bewegungen und Töne vereinigte beides, und darin lag ursprünglich seine wohltätige Zaubermacht.53

In Schlegels Vorstellung ist der Körper der Seele gegenüber defizient, da ihre Leidenschaftsspannkraft ihre eigene körperliche Grundlage irgendwann zerrütten würde. Der »geordnete Rhythmus«, die Poesie, übernimmt hier eine Funktion der Selbsterhaltung des lebendigen Organismus gegenüber den eigenen Affekten. Basale Leidenschaftsäußerungen unterliegen noch einer »ursprüngliche[n] Regellosigkeit«54. Die Poesie, die zwischen Natur und kultureller Verfeinerung steht, wirkt auf die Leidenschaften begrenzend, da sie nicht allein aus der Seele kommt, sondern diese mit einem sinnlichen Aspekt verbindet. Schlegel verlegt den Ursprung des Rhythmus tief in die Organisation der lebendigen Materie, indem er sie aus dem Prinzip der Bewegung ableitet, das die tierische und menschliche Natur von der vegetabilen Natur unterscheidet: »Alle Bewegungen des Lebendigen sind aber von zweifacher Art: entweder verursacht sie eine Begierde oder das Gegentheil derselben […] oder Schmerz und Vergnügen drückt sich in ihnen aus.«55 Hinter dieser Formulierung steht nicht nur die Funktion von Lust und Unlust als sinnliche Komponente der ästhetischen Urteilskraft, sondern sie verweist gleichsam auf die affektuelle Seite physikalischer Grundkräfte, in dem Sinne, wie die Naturwissenschaft der Zeit sie als Attraktions- und Repulsionskraft konzipiert hat – Schlegel spricht ausdrücklich von den »Kräfte[n] des Anziehens und Zurückstoßens«56. Die romantische Sprachtheorie, wie sie sich bei Arnim und Schlegel hier zeigt, weist eine Akzentverschiebung gegenüber den Konzepten der Aufklärung auf, die Ordnungsstrukturen gegenüber den Leidenschaften noch von außen her dem Subjekt auflegen. »Ist nämlich für die Sprache die Entbindung der Leidenschaften die 51 52

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Trabant: Artikulation, S. 67f. Den »gefühllos verfertigten Verse[n] der Franzosen«, dem französischen Klassizismus, den Arnim hier als Beispiel anführt; Arnim: Werke in sechs Bänden, Bd. 6, S. 179. Schlegel: Werke, Bd. 7, S. 139. Eine ausführliche Darstellung der romantischen Sprachtheorie bietet Bär: Sprachreflexion der deutschen Frühromantik, S. 100–142. Schlegel: Werke, Bd. 7, S. 141. Ebenda, S. 140. Ebenda.

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Grundlage«, so fasst Erich Kleinschmidt die Sprachtheorie etwa Giambattista Vicos zusammen, »so ist gerade deren Beherrschung und Unterdrückung Voraussetzung für die Existenzfähigkeit sozialer Gemeinschaftlichkeit.«57 Schlegel spricht dagegen von »geordneter Freiheit«58; bei Arnim sind es die »nothwendigen Pole«59, die Dialektik von Freiheit und Notwendigkeit, die die Gleichursprünglichkeit von Sprache und Poesie begründen. Wenn Poesie, die in und durch sich selbst geordnete Sprache, physiologisch auf das Atmen zurückgeführt wird, dann hat Sprache von sich aus schon die Möglichkeit, autonom zu sein, ohne durch normierende Diskurse in ihrer Artikulation gehindert zu werden. Zugleich birgt sie die heteronome Kraft in sich selber und vereinigt so Rationalität mit den anderen Seelenkräften. Sie hat eine vitale Funktion, die allen gesellschaftlichen Mechanismen schon vorgelagert ist. Das relativiert auch die Bedeutung der sozialen Perspektive in Arnims Gedicht. Schon für Herder war Sprache und Poesie eine »subjektive Praxis der Selbstbehauptung«60, da er sie aus dem argumentativen Zusammenhang der Zivilisationsgeschichte herauslöste und als Ausdruck von Leidenschaft und Phantasie anthropologisch zu begründen begann.61 Schlegel und Arnim betonen die physiologische Grundlage auf dem Hintergrund der fortgeschrittenen Naturwissenschaft ihrer Zeit. Schlegel verändert das Modell Rousseaus, indem er dessen ›Gesang‹ als natürliches Schreien, als »tierisch und unwillkürlich«62 bestimmt, die bereits sozialisierten Affekte der artikulierten Sprache einer späteren Entwicklungsstufe zuweist und zwischen beide, Schreien und Sprechen, das Singen setzt,63 eben die »schönen Verse«, die noch ohne die Formalisierung durch Metrik auskommen. Mit dieser Erweiterung trägt er dem transzendentalphilosophischen Fortschritt seit Rousseau Rechnung, denn wo dieser nur ein Entweder/Oder sehen konnte, dass er in der Degenerationsgeschichte vom Naturzustand geschichtsmetaphysisch interpretierte, erkennt Schlegel die Stellung von Sprache (dem Singen) zwischen determinierender Natur- und Sozialnotwendigkeit und der Freiheit des Selbstbewusstseins. Im Wald kann sich das Ich mit dem Schrei auf der Seite des natürlichen Sprachausdrucks verorten, die »ohne das Dazwischentreten einer gliedernden Ordnungsstruktur«, im Sinne diskursiven Sprechens, auskommt64. Wenn der physiologische Aspekt der Sprachtheorie beachtet wird, ist es allerdings fraglich, ob es im Schrei wirklich in erster Linie um einen »normsprengenden Exzeß« geht.65 Das Besondere in Arnims Gedicht hier ist eben nicht die einfache Gegenüberstellung von subjektiver Autonomie und gesellschaftlicher Normierung, sondern die enge Verbindung 57 58

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Kleinschmidt: Sprache und Gefühl, S. 1. Schlegel: Sämmtliche Werke, Bd. 7, S. 146. Vgl. dazu auch Friedrich: »geordnete Freiheit«, S. 7–22. Brief Nr. 229 vom 7. April 1802 an Clemens Brentano – Werke und Briefwechsel (Weimarer Arnim Ausgabe), Bd. 31, S. 44. Maengel: Zeichen, Sprache, Symbol. Herders semiologische Gradwanderung, S. 382. Herder: Sämmtliche Werke, Bd. 5, S. 398. Schlegel: Vorlesung über philosophische Kunstlehre (1798–99), zit. nach Bär: Sprachreflexion der deutschen Frühromantik, S. 106. Siehe dazu ebenda, S. 106. Kleinschmidt: Sprache und Gefühl, S. 2. Sternberg: Die Lyrik Achim von Arnims, S. 143.

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von Sprache und Physiologie, die noch auf einen anderen Aspekt verweist. Die erste Strophe thematisiert das Selbstgefühl als Erkenntnisgrundlage des lyrischen Ichs, und hier bekommen die Varianten zwischen der ersten und zweiten Fassung eine besondere Bedeutung: Im Walde […] da wird mir so licht, […] Da liegen die trocknen Blätter so dicht, Da wälz ich mich rauschend drunter, Da mein ich zu schwimmen in rauschender Flut, (Z. 1–5)

Die erste Fassung des Gedichtes formulierte die letzte Zeile noch anders: Da schwimm ich, da schweb ich in trockner Flut,66

Beide Versionen fahren dann fort: Das tut mir in allen Adern so gut, So gut ist’s mir nimmer geworden. (Z. 6f.)

Das Eintauchen des Ichs ins Blättermeer erlaubt ihm anscheinend ein reines Ichgefühl, ein Selbstgefühl, das einen evaluativen Bezug des Subjekts zu sich selbst erlaubt: »So gut ist’s mir nimmer geworden.« (Z. 7) Im Rahmen der Aufwertung der unteren Erkenntnisvermögen ist die epistemische und kognitive Funktion des Gefühls seit der Mitte des 18. Jahrhunderts zunehmend in den Mittelpunkt gerückt worden und wurde auch in der idealistischen Transzendentalphilosophie zur Alternative zur cartesischen Distinktion von res cogitans und res extensa.67 Der scheinbare epistemische Vorteil von Gefühlen ist, darauf hat etwa Herder schon in seinem frühen fragmentarischen Text Versuch über das Sein aufmerksam gemacht, dass sie selbstevident sind: »Aber sind nicht sinnliche Begriffe gewiß!« Das führt Herder zu der erkenntnistheoretisch paradoxen Formel vom »theoretische[n] Instinkt«, der allen »andern Erfahrungsbegriffen« vorgängig ist.68 Diese Form der Selbstgewissheit setzt er dem theoretischen Selbstbewusstsein entgegen, von dem die Erkenntnistheorie im Anschluss an Descartes ausging; »Ich fühle mich! Ich bin!«, schreibt Herder in Zum Sinn des Gefühls69 – eine Formel, die die Leib/Seele-Trennung des cartesischen cogito aufhebt: »Hier würde eine Physiologie der Seele und des Körpers kommen, die wir noch nicht haben. Er [der Blinde] würde sagen, was das ist:

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»Waldgeschrey«, Z. 5. Vgl. den Überblick bei Scheer: Art. »Gefühl« – In: Ästhetische Grundbegriffe, Bd. 2, S. 629– 660. Zum normativen Aspekt des Selbstgefühls siehe Frank: Selbstgefühl, S. 27. Bei Kant gehört das Gefühl zu den »empirischen Erkenntnisquellen« im Sinne der praktischen Vernunft und der Urteilskraft – Kant: Kritik der reinen Vernunft – Werke in zehn Bänden, Bd. 3, S. 65. Herder: Werke in zehn Bänden, Bd. 1, S. 12. Ebenda, Bd. 4, S. 236.

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ich denke und fühle: ich denke und höre!«70 Mit der Selbstevidenz des Gefühls stellt Herder der kritischen Vernunft eine anthropologische Alternative an die Seite. Erst eine solche »Physiologie der Seele und des Körpers« würde eine vollständige Metaphysik erlauben, die sich jenseits der scharfen Trennung im cartesischen Sinne bewegt71 und mit einer neuen Sicht auf das Leib/Seele-Verhältnis Einblicke in das Geheimnis des Lebens und Bewusstseins verspricht. In den Naturwissenschaften wurde der Zusammenhang von belebter und unbelebter Materie seit der Mitte des 18. Jahrhunderts zunehmend diskutiert;72 vor allem in Verbindung mit der neu entdeckten Elektrizität und den galvanischen Theorien, an denen auch Arnim arbeitete,73 spielten die physikalischen Kräfte, Repulsion und Attraktion, eine entscheidende Rolle, da über sie Belebung von Materie bzw. das Verhältnis von Elektrizität und Reizbarkeit in belebten Körpern erklärt werden konnte. Mit unterschiedlichen Akzentuierungen haben etwa Alexander von Humboldt oder Johann Friedrich Reil Theorien der Lebenskraft vorgelegt.74 Reil etwa geht von der im Prinzip naheliegenden Beobachtung aus, dass belebte Körper aus den gleichen Stoffen bestehen, »die auch im Mineralreich angetroffen werden.«75 Das Problem bestand demnach darin, wie der eigentlich unbelebten Materie die Eigenschaften zukommen, die in der cartesischen Perspektive nur dem kognitiven Bereich zugesprochen werden können: einerseits »dem Vermögen nach Organisation, wiederherstellender Ordnung, sinnvoller und zweckhafter Reproduktion«76 und andererseits, neben diesen human-biologischen Bestimmungen, was für eine Folge die biologische, zwar nicht mehr mechanistische, aber doch chemisch und physikalisch fokussierende Vorstellung vom menschlichen Leben für das Konzept der Freiheit und der Autonomie hatte. Die Lebenskraft war ein Konzept, mit dem Wege zwischen den sich ausdifferenzierenden Naturwissenschaften und erkenntnistheoretischen Problemen gesucht wurden, wie sie auch in der Naturphilosophie diskutiert wurden.77 70 71

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Ebenda, S. 236. Von hier aus entwickelt Herder auch in Abgrenzung von Kant seine anthropologischen Vorstellungen, die ihn auch in Distanz zur Autonomie-Zentriertheit der Weimarer Klassik Friedrich Schillers setzen sollten; vgl. dazu Adler: Autonomie versus Anthropologie. Im Hinblick auf die Geschichte des Leib/Seele-Verhältnisses vgl. Sonntag: Die Seele und das Wissen vom Lebenden. Zur Entstehung der Biologie im 19. Jahrhundert. Zur Kontextualisierung von Arnims wissenschaftlichen Beiträgen vgl. Arnim: Naturwissenschaftliche Schriften – Werke und Briefwechsel (Weimarer Arnim Ausgabe), Bd. 2.2, S. 571– 599. Zur Verbindung von Arnims naturwissenschaftlichen Vorstellungen und seinem dichterischen Werk siehe auch Burwick: Dichtung und Malerei, S. 30–61. Humboldt: Der rhodische Genius, S. 423–430 (zuerst in Die Horen, 1795). Siehe dazu auch Hey’l: Das Ganze der Natur, S. 140–158. Zwei Jahre später hat Humboldt in seiner zweibändigen Schrift Versuche über die gereizte Muskel- und Nervenfaser, mit der Arnim vertraut war, seine Vorstellungen von der Lebenskraft auf galvanischer Grundlage reformuliert: vgl. Arnim: Werke und Briefwechsel (Weimarer Arnim Ausgabe), Bd. 2.2, S. 640. Reil: Von der Lebenskraft (zuerst 1795). Vgl. zum Thema Richards: The Romantic Conception of Life. Ein kurzer Überblick über die wichtigsten Lebenskraft-Theorien im Anschluss an Albrecht von Haller findet sich dort S. 313–321. Reil: Von der Lebenskraft, S. 11. Mocek: Reil, S. 92. Richards weist auf Reils Entwicklung von materialistischen Theorien der Natur zu Konzepten

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Die erste Strophe von Arnims Gedicht verdichtet ein Bild für den organischen und geistigen Aspekt des Lebens und des Selbstbewusstseins, das vor diesem Hintergrund zu sehen ist. Die Wirkung des Eintauchens in das Blättermeer, das Wohlgefühl »in allen Adern« (Z. 6) verweist im Gedicht weniger auf das Blut als materiellen Träger, sondern eher auf ein wirkendes Prinzip, das materiell unbestimmt bleibt, aber »in den Adern« eben doch eine Wirkung hervorruft78; dieser physiologische Aspekt wird in der zweiten Strophe durch den »Willen« (Z. 11) als weiteres Lebensprinzip noch ergänzt. Dieser vitalistische Hintergrund ist in beiden Versionen erkennbar, die Art der poetischen Einführung ist aber gänzlich verschieden. Als Metapher für die im Selbstgefühl erfahrene Lebenskraft findet Arnim in der ersten Fassung ein Bild für das differenzlose Eintauchen des Ichs in die organische Natur: »Da schwimm ich, da schweb ich« – der Satz hat einen feststellenden Aussagecharakter; die »trockne Flut«79 ist zwar ganz klar eine Metapher, die Wirkung verbleibt aber nicht im Uneigentlichen, sondern gewinnt für das Ich eine unbezweifelbare Realität, die nicht Teil vernunftgeleiteter Erkenntnis, sondern unbedingtes Selbstgefühl ist – während für den Leser der metaphorische Charakter in der Irrationalität ständig präsent bleibt. Greifbar ist das Selbstgefühl des lyrischen Subjekts nur in einer absoluten Metapher, die begrifflich inkommensurabel bleibt80 und vom Leser nur in der unsicheren ästhetischen Erfahrung rekonstruiert werden kann. Das entdifferenzierende Eintauchen in die Natur in der ersten Fassung mündet in der zweiten und dritten Strophe zu dem schon angedeuteten Motiv der Selbstermächtigung des Subjekts. Dem Ich steht in der ersten und zweiten Strophe noch so etwas wie eine Natur gegenüber, in der sich das Ich evaluativ erfährt – »so gut ists mir geworden« und »so wohl ists mirs geworden«. In der dritten Strophe wechselt das Passiv ins Aktiv: Es muß sich die Sonne mir neigen. Ich stehe allein wie ein festes Schloß, Ich stehe in mir, ich fühle mich groß, So groß als noch keiner geworden!81

Die ganze Dimension der Selbstermächtigung des Ichs über den Kosmos wird deutlich, wenn man sich an Luthers »Ein feste Burg ist unser Gott« erinnert, auf die die sonst weniger naheliegende Metapher des »festen Schlosses« für das Ich anzuspielen scheint. Die Stelle, die im Kirchenlied Gott hat, wird hier durch das Ich selbst eingenommen, das sich auf keine andere Instanz mehr beruft als auf sich selbst. Die Metaphorik bewegt sich nahe an der Grenze des Nihilismusproblems,

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79 80

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von Natur als Organismus hin; siehe Richards: The Romantic Conception of Life, S. 287f., zu Schelling ebenda, S. 289–306. Auch an anderer Stelle finden sich die Adern als Ort einer spezifischen Reizbarkeit und sind nicht nur anatomisches Gefäß für den Blutkreislauf; vgl. etwa Arnim: Ariel’s Offenbarungen, S. 46. »Waldgeschrey«, Z. 5. Zum Begriff der absoluten Metapher und ihrer epistemischen Funktion vgl. Blumenberg: Paradigmen, S. 7–13. »Waldgeschrey«, Z. 18–21.

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das auch die Transzendentalphilosophie diskutiert hatte. Schelling hat auf das Problem einer »Erweiterung der Persönlichkeit ins Unendliche« aufmerksam gemacht, wenn er sie als gleichzeitige Zerstörung der Ichs beschreibt: Im endlichen Ich ist Einheit des Bewußtseyns, d.h. Persönlichkeit. Das unendliche Ich aber kennt gar kein Objekt, also auch kein Bewußtseyn und keine Einheit des Bewußtseyns, Persönlichkeit. Mithin kann das letzte Ziel alles Strebens auch als Erweiterung der Persönlichkeit zur Unendlichkeit, d.h. als Zernichtung derselben vorgestellt werden.82

Dieter Arendt hat den romantischen Nihilismus als »Konvergenzpunkt des Individuellen und Absoluten« bezeichnet.83 Arnim greift das auch in seiner Geschichte des Herrn Sonet (die nur wenige Wochen vor »Waldgeschrey« entstanden ist) auf, wenn er die Dissoziation der Figur Ottav dem ästhetischen Bildungsprozess Sonets an die Seite stellt; Ottav, wie eines der Sonette überschrieben ist, »neiget sich zu der Ichliebe«84, in der er schließlich, Wahn und Realität nicht mehr unterscheidend, Suizid begeht, nachdem er affektlos Sonete gegen ihre Schwester Terzine als Objekt seiner vermeintlichen Liebe ausgetauscht hat. Die Übersteigerung des Ichs, das scheinen die Romantiker gewusst zu haben, birgt immer die Gefahr der dialektischen Kehrseite: »das Subjekt begibt sich ins Gefängnis seiner selbst.«85 So weit geht Arnim in der ersten Fassung seines Gedichts nicht; vielmehr klingt in den sprachreflexiven Andeutungen schon an, dass subjektive Freiheit bestimmten Begrenzungen unterliegt, um überhaupt möglich zu sein. In der zweiten Fassung des Gedichts bricht er die binäre Struktur des Abgrenzungsgestus, die durch den differenzauflösenden Charakter der Metapher sichtbar bleibt, auf. Arnim verändert die Selbstgefühls-Metapher in einem entscheidenden Punkt; die »trockne Flut«86 ist in der zweiten Fassung durch »rauschende Flut« (Z. 5) ersetzt, das Vergleichsmoment zu den trockenen Blättern auf dem Waldboden ist also verloren, während das Rauschen weniger zur Konstruktion der Metapher gehört, als auf die Bewegung des Ichs verweist, auf das ›Wälzen‹. Die interessante Wendung liegt hier darin, dass es gerade das Fiktionsbewusstsein, das »als ob« des »da mein ich zu schwimmen« ist, was die Intensität des Erlebens steigert, da es nicht über den Umweg einer absoluten Metapher geschieht, sondern gerade die rationale Nachvollziehbarkeit des Bildes betont, ohne den ästhetischen Charakter aufzugeben. So wird einerseits die Subjektivität der absoluten Metapher zurückgenommen, andererseits aber durch die Differenz von subjektivem Erleben (»meinen«) und konventionellerer Metapher die Individualität des Selbstgefühls betont, denn das Ich löst sich hier nicht mehr differenzlos und selbstermächtigend in die Natur auf, sondern ästhetisiert Natur als Konstitutionsraum für Subjektivität jenseits selbstermächtigender Autonomie. Damit geht Arnim auf ein Problem des Selbstgefühls selbst ein, da dieses ja nur für das empfindende Subjekt überhaupt evident ist, während es keine anschließbare 82 83 84 85 86

Schelling: Ausgewählte Schriften, Bd. 1, S. 90. Arendt: Der poetische Nihilismus, Bd. 2, S. 320. Arnim: Werke in sechs Bänden, Bd. 5, S. 654. Arendt: Der poetische Nihilismus, Bd. 2, S. 376. »Waldgeschrey«, Z. 5.

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Beobachterposition zulässt.87 Das lyrische Subjekt wird durch die verstärkte Selbstreflexion hier gleichsam an die literarische Kommunikation wieder angeschlossen, indem das unbewusst Imaginäre der Metapher in der ersten Fassung in das Bewusstsein für ihren fiktiven Charakter überführt wird.88 Die poesiereflexive Ebene des Gedichtes wird in der Verschiebung der Selbstgefühlsmetapher schon deutlich; in der vierten Strophe wird das auch motivisch angelegt. Während durch den Kontext im Auerhahn-Drama der »Schooß« der Nacht (Z. 22, 24) noch als sublimiertes Begehren der Figur Otto markiert war, fehlt ein solcher Sinnhorizont, sobald das Gedicht aus dem Kontext herausgelöst betrachtet wird. Vielmehr wird im Motiv der Nacht die Einbildungskraft thematisiert und die ästhetische Komponente der Subjektivität jenseits von Autonomievorstellungen begründet. Die »uralte Nacht« ist etwa für Görres »die Mutter alles Schönen«89. In seinen Meditationen über Runges Tageszeiten-Zyklus wird er noch deutlicher: »Aus dunkler Nacht, so suchen wir’s in die Seele des dichtenden Künstlers hineinzudenken, ist alles Sichtbare hervorgegangen.« Im Zentrum der »werdenden Natur« steht hier die Schönheit, nicht als Geschaffenes, sondern als Prinzip der natura naturans, als schaffende, vom Subjekt unabhängige Tätigkeit.90 Die Nacht als Bereich der Einbildungskraft liegt der poetischen Schöpfung voraus, auch wenn sie hier am Ende steht. Heinz Brüggemann bemerkt, dass Görres die Nacht an den Anfang seiner emphatischen Meditationen über Runges Bildentwürfe stellt, »weil sie den Morgen aus der zeugenden Kraft des nächtlichen Chaos […] hervorgehen läßt«91. Das Eingehen des lyrischen Ichs in den Schoß der Nacht ist ebenso wie die Nacht bei Görres kein absoluter Endpunkt, sondern ein Durchgangsstadium. Arnim spielt auf die bekannte ›Stirb und werde‹-Formel aus dem ersten Korinther-Brief an – »Da sterb ich und werde geboren« (Z. 28)92 –, die selbst nicht auf den Tod als Grenze gedeutet verweist, sondern theologisch auf das Taufgeschehen gedeutet wird.93 Dem »Athem voll Tod und voll Huld« (Z. 27) wohnt viel eher etwas Neubelebendes inne, wenn die paulinische Perspektive ernst genommen wird; diese Vermutung lässt sich auch durch die Auslegung der Taufe im Römerbrief unterstützen: »der Sünde Sold ist der Tod«94; wird diese – die »Schuld« (Z. 26) – durch die Huld der Nacht »gelöscht« (Z. 26), dann liegt im Sterben der letzten Zeile des Gedichtes auch das neue Leben verborgen – so wie »geboren« (Z. 28) als letztes Wort das Gedicht auch beendet. Gerhard Schulz hat darauf hingewiesen, dass der Unterschied zwischen Novalis’ Hymnen an die Nacht und der Verwendung des Nacht-Motivs in Arnims

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Vgl. dazu Frank: Selbstgefühl, S. 110. Zu den Begriffen des Fiktiven und das Imaginären in diesem Zusammenhang siehe Iser: Das Fiktive und das Imaginäre, besonders S. 377–411. Görres: Glaube und Wissen, S. 38. Görres: Die Zeiten.Vier Blätter, nach Zeichnungen von Ph. O. Runge, S. 265. Zur poetologischen Ausdeutung des Motivs ›Nacht‹ siehe Kohl: Poetologische Metaphern, S. 306f. Brüggemann: Religiöse Bild-Strategien der Romantik, S. 121. Vgl. 1. Korinther 15, 36. Siehe Schrage: Evangelisch-katholischer Kommentar zum Neuen Testament, Bd. 7, S. 271. Zur Formel im Korinther-Brief siehe Braun: Das »Stirb und Werde« in der Antike. Röm 6, 23.

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Gedicht darin liegt, dass das ›Stirb und Werde‹ bei Arnim »Teil eines Prozesses der Selbstregeneration« sei, »dem die religiöse Erotik und erotische Religiosität« weitgehend fehlt95. Die Deutung der letzten Strophe als Erlösungsmotiv liegt sicher nicht so fern, wenn man an die Zunahme religiöser Motive bis hin zu gebetshaften Formen in Arnims lyrischem Werk ab etwa 1810 denkt. Im Zusammenhang mit der Selbstgefühlsthematik der ersten Strophe ist das aber sicher nur eine Bedeutungskomponente. Die unio mystica, die auf den ersten Blick in der hinzugefügten Strophe erkannt werden könnte, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass das physische Selbstgefühl trotzdem sein Recht behält. Die Naturhaftigkeit des Menschen, auf die der vitalistische Diskurs um 1800 in verschiedenen Nuancierungen beharrte, geht in der späteren Fassung nicht, wie in der früheren, verloren. Die Poesie als Sprache ist zwar aus der Physiologie des Atmens abgeleitet worden, dadurch aber nur unzureichend bestimmt, Phantasie und Imagination, die Kennzeichen der Dichtung fehlen noch. Entgegen der Lesart von Sternberg und Ricklefs, die in der ersten Strophe einen subjektauflösenden Exzess sehen, lässt das thematisierte Selbstgefühl als Erkenntnismedium die Individualität des Ichs hervortreten, indem es einen subjektiven Selbstbezug allererst herstellt. Das Moment der Phantasie allerdings lässt sich aus dem Subjekt allein für Arnim nicht herleiten, da die »scheinbar autonome poetische Tätigkeit auf ihre Abhängigkeit vom transzendenten Grund« bezogen bleibt96. Die letzte Strophe des Gedichtes übersteigt die Immanenz der Individualität des Selbstgefühls und öffnet das Gedicht auf diese Transzendenz hin. Das ist beinahe wörtlich zu verstehen: Während die ersten drei Strophen das lyrische Ich nach außen, gegen die Welt jenseits des Waldes abgeschlossen haben, wird dieser verschlossene Außenraum durch das Funkeln (»Wenn es in aller Welt funkelt«, Z. 23) auf das Subjekt hin geöffnet. Diese Transzendierung des Subjekts ist Thema im Gedicht Arnims, sie ist von ihm aber sehr bewusst in der Raumstruktur und in der Motivwahl angelegt. In dieser Hinsicht muss sicher die thematische Struktur und die Charakterisierung der Poetologie unterschieden werden.

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Schulz: Die deutsche Literatur, Bd. 7, S. 765. Neuhold: Achim von Arnims Kunsttheorie, S. 31.

Jürgen Knaack

Die Emotionalisierung der Berichterstattung im »Preußischen Correspondenten« durch Achim von Arnim

In einem Interview im März 2001 meinte der ehemalige Außenminister Frankreichs, Jean François-Poncet, über Geschichte, Nation, Vaterlandsliebe und Europa: Nationaler Stolz heiße selbstverständlich nicht Nationalismus. Der sei in der Tat »anachronistisch«. Anders verhalte es sich mit dem Patriotismus. »Patriotismus ist Liebe zum Vaterland, ein Gefühl der Zugehörigkeit«.1 Dabei bezog er sich auf den Diplomaten und Historiker Ernest Renan, der im März 1882 in der französischen Nationalversammlung gesagt hatte, die Nation sei ein »tägliches Plebiszit«.2 Als Achim von Arnim noch einmal etwa 70 Jahre früher als Renans Rede, am 1. Oktober 1813, die Redaktion des Preußischen Correspondenten übernahm, war der Kampf der Gefühle im von Frankreich besetzten Deutschland fast auf seinem Höhepunkt. Fichte hatte in seinen Reden an die Nation zwar nicht als erster, aber wohl in Preußen am wirkungsmächtigsten die Gefühle seiner Zeitgenossen angesprochen und zum Handeln aufgrund von Emotionen aufgerufen. Um das zu verstehen, muss man chronologisch noch ein wenig zurückgehen. Erst mit dem Aufkommen des Nationalgedankens im 18. Jahrhundert konnte Patriotismus oder, übersetzt, Vaterlandsliebe (auch Nationalgefühl) entstehen. Christoph Prignitz3, Hans-Ulrich Wehler4 und andere haben dieses Entstehen eines Nationalgedankens ausführlich geschildert. (Als Anmerkung ganz nebenbei: Die Entstehung der Vaterlandsliebe fällt ungefähr in die gleiche Zeit wie die Entstehung der sogenannten »romantischen Liebe«.) Beide Gefühle sind literarische Produkte der selben Zeit. Da es sich bei der Nation also um etwas Gefühltes handelt, ist es nur zwangsläufig, daß man dieses Gefühl durch eine emotionsgeladene Sprache weckt oder befördert. Je höher der Einsatz, desto emotionaler die Sprache. Und da das Leben im Krieg für die Nation der höchste Einsatz ist, ist hier auch die Sprache am emotionalsten. Michael Jeismann beschreibt das in seinem Aufsatz Vaterland folgendermaßen: Die Bedeutung und selbstgestellte Aufgabe des nationalen Engagements lag zum einen in der Mobilisierung zum Kampf gegen Napoleon, zum anderen in der emphatischen Imagination des Nationalen. Das bestimmende Merkmal des ganz überwiegenden Teils der national gehaltenen

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Leminski: Patriotismus, S.1. Ebenda. Prignitz: Vaterlandsliebe. Wehler: Nationalismus.

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Texte war deshalb ihr antizipatorischer Charakter: allein im Medium einer emphatischen Sprache konnte die politisch nicht existierende Nation Evidenz gewinnen.5

Napoleon hatte schon sehr frühzeitig erkannt, wie wirkungsvoll diese erwachte Vaterlandsliebe machtpolitisch nutzbar gemacht werden konnte. Die deutschen Fürsten kamen erst einige Zeit später nach einer schmerzhaften Niederlage auf diese Idee und mussten von den Intellektuellen und Militärs dahin getragen werden. Als Neidhardt von Gneisenau dem preußischen König Friedrich Wilhelm III. im Herbst 1810 einen Vorschlag zur allgemeinen Volksbewaffnung vorlegte und dieser den mit den Worten: »Gut als Poesie« ablehnte, antwortete Gneisenau: »Auf Poesie ist die Sicherheit der Throne gegründet.« Es geht also um den Gegensatz von Gefühl und Berechnung. Jeismann spricht von einer »patriotischen Gefühlskultur«6. Nur zweieinhalb Jahre später, im März 1813 verliest der inzwischen zwangsläufig bekehrte König in Breslau den Aufruf an mein Volk, den ihm der Hardenberg Adlatus und E.T.A. Hoffmann Freund Theodor Gottlieb von Hippel entworfen hatte. Das Ganze hatte natürlich einen mehrjährigen Vorlauf. Fichte war es, der der »Vaterlandsliebe« in seinen in den Jahren 1807/08 in Berlin gehaltenen und 1808 veröffentlichten Reden an die deutsche Nation ihre vorrangige Stellung verlieh. In der achten Rede, die überschrieben ist: »Was ein Volk sei, in der höhern Bedeutung des Worts, und was Vaterlandsliebe« heißt es an einer Stelle: »Eben darum muß diese Vaterlandsliebe den Staat selbst regieren, als durchaus oberste, letzte und unabhängige Behörde, zuvörderst, indem sie ihn beschränkt in der Wahl der Mittel für seinen nächsten Zweck, den innerlichen Frieden.«7 Achim von Arnim hat diesen Gedanken der »Vaterlandsliebe« schon früh aufgegriffen. In einer Schulschrift von 1797 Wünsche für mein Vaterland schreibt er: »So sieht der Edle seine Vaterlandsliebe nicht auf den Bezirk weniger Meilen eingeschränkt, ein weites Feld wohlthätig zu seyn, steht ihm offen, ohne daß er befürchten darf, es könne einst vielleicht seinen Mitbürgern schädlich werden.«8 Und zwei Jahre später während des Studiums heißt es in dem Aufsatz Bemerkungen über die nothwendige, höhere Entwickelung der bürgerlichen Gesellschaft: »In dieser Uebertragung eines Theils der Pflichten gegen andre auf eine eingebildete Person (das Vaterland), welche alle umfasst, in dieser liegt der Patriotismus, oder die Vaterlandsliebe im höheren Sinne des Worts, wo ganz die eigennützigen Regungen ausgeschlossen sind [...].«9 Dieses Gedankengut geht natürlich in Deutschland zurück auf Herder, der sich wiederum auf Rousseau und andere bezieht. Arnim ist da nur ein gelehriger Schüler, ebenso wie Fichte. Arnim weiß also, wovon Fichte spricht, und er selbst greift diese Diktion nach der Niederlage Preußens 1806 bei Jena und Auerstädt auch selbst auf, z. B. in seiner Schrift Glück zu ihr Landsleute von 1807, wo es heißt: »Von dem Unglücke ungebeugt, in gerechter Sache vertrauend, haben wir fern von euch die heilge Flamme 5 6 7 8 9

Jeismann: Vaterland, S. 282. Ebenda, S. 284. Fichte: Werke, Bd. 7, S. 377. Arnim: Werke und Briefwechsel (Weimarer Arnim-Ausgabe), Bd. 1, S. 168. Ebenda, S. 340.

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treuer Vaterlandsliebe bewahrt.«10 Eine ähnliche, wirkungsmächtige Schrift wie die Fichtes war Ernst Moritz Arndts Der Geist der Zeit aus dem Jahr 1806, deren zweiter Teil im März 1809 in Stockholm erschien. Das es auch hier vor allem um die Erweckung von Emotionen ging, beweist schon, daß Arndt in seiner Schrift 43 Mal das Wort »Gefühl« benutzt.11 Aufrufe, Flugschriften, Predigten und Gedichte waren noch vor den Zeitungen und Zeitschriften die Hauptmedien zur Erweckung patriotischer Gefühle. Im Juli 1812, kurz nach dem Beginn des französischen Russlandfeldzugs, entsteht mit dem Aufruf an die Deutschen, sich unter die Fahnen des Vaterlandes und der Ehre zu sammeln, nach einem Entwurf des Freiherrn vom Stein vom russischen Feldherrn Michael Fürst Barclay de Tolly verfasst, ein erstes Flugblatt, das in 10000 Exemplaren unter den deutschsprachigen Hilfstruppen Napoleons verteilt wird und sie zum Überlaufen animiert.12 Nach dem Aufruf des preußischen Königs nach Kriegsausbruch werden solche Flugblätter mit Prosa oder auch Lyrik in großen Mengen verfasst und verbreitet, u. a. von Ernst Moritz Arndt und Friedrich Jahn. Als Arnim auf dem Höhepunkt der Befreiungskriege, am 1. Oktober 1813 die Redaktion des Preußischen Correspondenten übernimmt, knüpft er reflexartig an diese Vorbilder emotionalisierter Sprache an. Er wusste, daß man Emotionen nur mit emotionalisierter Darstellung von Ereignissen wecken kann und bedient sich der gesamten zur Verfügung stehenden Palette literarischer Formen und emotionaler Sprache. Ich will in einigen Beispielen, auch im Vergleich mit den beiden anderen Berliner Tageszeitungen, zeigen, wie neu diese Sprache im Tagesjournalismus damals war. Arnim hat mit zwei kurzen Texten in der Zeitung Stellung zu seinem eigenen Tun genommen. Das eine ist ein Abschiedstext in der letzten von ihm verantworteten Nummer: A n d i e L e s e r. Als ich vor vier Monaten die einstweilige Herausgabe des Preussischen Correspondenten, dem Wunsche des Herrn Verlegers gemäß übernahm, kannte ich alle Schwierigkeiten dieses Geschäfts, doch mich erfrischte der Gedanke, bei den nahen zweifelhaften Kriegsereignissen durch Zutrauen einige Haltung den Zweiflern, einiges Behagen den Gläubigen mitzutheilen, die Schrecknisse der Furcht mit Träumen guter Ahndung zu bekämpfen und von einer geräuschvollen zerstreuenden Aussenwelt auf die nothwendige Sammlung und Stimmung des Innern hinzudeuten. Auf seltsame Art erfüllte sich fast alles, was ich zum Troste der Zweifelnden voraussagte, was ich in Ernst und Scherz den Zeitgenossen vorlegte, hallte in den verschiedenartigsten Blättern wieder, ich erkenne mit Dank diese gütige Aufnahme, aber das, was die Alltäglichkeit der Zeitungsschreiberei erfrischte, ist mit der Gefahr von uns fortgerückt, der lebendige Eindruck naher Begebenheiten fehlt, die Beiträge aus der Ferne bleiben gewöhnlich beim Allgemeinsten stehen.13

Und ziemlich zu Beginn seiner Herausgeberschaft, in der siebten von ihm verantworteten Nummer schreibt er: 10 11 12 13

Arnim: Werke in sechs Bänden, Bd. 6,S. 211. Arndt: Geist der Zeit. Wilke: Aufbruch, S. 360. Der Preußische Correspondent Nr. 17 vom 31.1.1814, S. 4.

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Anzeige. Wir können es uns zuweilen nicht versagen, Gerüchte, in so fern wir sie von glaubwürdigem Munde empfangen, selbst wenn wir einigen Zweifel gegen ihre Wahrscheinlichkeit hegen, unsern Lesern mitzutheilen. Eine Zeitung muß wiedergeben, was die Zeit ihr darbietet, und bei so nahen Begebenheiten kann selbst eine verfälschte Nachricht nicht bloß erfreulich, sondern selbst nützlich werden. Diese Gerüchte nachher jedesmal zu berichtigen wäre allzu umständlich, dennoch wünschten wir unserm Blatte einige historische Brauchbarkeit für den künftigen Geschichtsfreund zu geben und versprechen deswegen von Zeit zu Zeit eine Durchsicht und Berichtigung der mitgetheilten Materialien zu liefern.14

Was jedoch so gut wie nie geschah. – Beide Aussagen entsprechen weder dem damaligen noch heutigen Verständnis eines objektiven und rationalen Journalismus. Aber den wollte Arnim auch gar nicht praktizieren. Ihm ging es um Emotionalisierung seiner Leserschaft im Kampf gegen die Franzosen. Und dafür sollte ihm jedes sprachliche und formale Mittel Recht sein. Die erste emotionalisierte Veröffentlichung Arnims, zwei Tage nach Übernahme der Redaktion, ist die Übersetzung eines russischen Flugblattes, eines Armeebefehls vom 11. September 1813. Darin heißt es: Soldaten! Das große und merkwürdige Jahr in welchem Ihr auf eine unerhörte und exemplarische Art den wüthenden, starken Feind, der sich erkühnte, den Boden unsers Vaterlandes zu betreten, zu Boden geworfen und gestraft habt, - dies große Jahr ist vorüber; aber es vergehen und verstummen nicht Eure glänzende Siege, Eure Heldenthaten, die Ihr vollführt habt: die Nachwelt wird sie aufbewahren in ihrem Andenken. Ihr habt das Vaterland mit Eurem Blute gerettet von den vielen Nationen und Mächten, die sich gegen dasselbe vereinigt hatten. Ihr habt Euch durch Euer Ausharren und Eure Wunden die Dankbarkeit von Eurem, und die Achtung von fremden Monarchen erworben. Ihr habt durch Euren Muth und Eure Tapferkeit der Welt gezeigt, daß in einem Lande, wo Gott und die Religion in den Herzen des Volkes wohnt, obschon die feindliche Heeresmacht den Wellen des Oceans gleich wäre, sie dennoch dort sämmtlich zerstiebt und zerscheitert, wie an einem festen, unerschütterlichen Felsen. Von aller ihrer Wuth und Raserei bleibt nichts übrig als des Unterganges Aechzen und Stöhnen.15

Nur eine Nummer später verfasst Arnim selber einen fiktionalen Text: »A u f r u f e i n e s R u s s e n a n d i e p r e u s s i s c h e n L ä n d e r j e n s e i t d e r E l b e . Als unsre Siege den Feind der Welt aus unsern Grenzen verjagt und seine Heere vernichtet hatten, da lernten wir aus der Wuth seiner eigenen Soldaten gegen ihn, aus der Freude seiner Bundsgenossen über das Unglück, das ihn gebeugt hatte, den ganzen Umfang des Elends erkennen, in welches sein Wahnsinn Europa gestürzt hat.« Und: »Die Tage der Vergeltung und des Gerichts sind gekommen, stehet auf ihr Gebeugten und und tretet eure fremden Tyrannen und die sich ihnen verkauften in Staub, lernt den Krieg in der Reihe eurer Brüder, der geübten und bewährten Preussen, ihr sollet den Franzosen reichlich vergelten, wie sie euch gethan. Eure Schmach dauerte nur wenige Jahre, ihr werdet sie bald in Thaten auslöschen, denkt eurer ruhmwürdiger Vorzeit; Deutschland ist unüberwindlich, wenn es in Ueberzeugung und Glauben vereinigt ist, blicket um euch, die Noth hat allen Neid und Haß vernichtet, der die Völker Deutschlands einst trennte.«16 14 15 16

Der Preußische Correspondent Nr. 111 vom 11.10.1813, S. 4. Ebenda Nr. 106 vom 3.10.1813, S. 4. Ebenda Nr. 107 vom 4.10.1813, S. 3.

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Zwei Tage später folgt dann noch ein Aufruf an die auf dem rechten Elbufer sich befindenden sächsischen Soldaten17, dessen Urheber ein Major von Bünau war. In derselben Ausgabe schreibt Arnim in einer Einleitung zu der Schilderung eines grausamen Kriegsereignisses: Die französischen Zeitungen haben der englischen Regierung häufige Vorwürfe gemacht, daß sie in dem Kriege gegen die nordamerikanischen Freistaaten wilde amerikanische Hülfstruppen angenommen habe, deren Grausamkeit gegen die Gefangenen bekannt sey. Aus dem nachfolgenden merkwürdigen Berichte ersehen wir, daß der Unterschied zwischen Wilden und sogenannten civilisirten Völkern verschwindet, wo Kriege ohne ein höheres begreifendes Gefühl bloß für Willkür und Ruhmsucht geführt werden; der gebildete Mensch, der sich so schmäligem Geschick beugen muß, verwildert zu einer absichtlichen Tücke, die alle natürliche Rohheit oder Muth übertrifft. Der höheren Bestimmung unsres Krieges gewiß, bedarf es für uns keiner Rache, keiner Repressalien für diese Grausamkeiten gegen unsere Gefangenen. Die unschuldigen Opfer sprechen zum Himmel für ihr Recht, der Himmel übt sein Gericht in alles ersterrender Kälte, in Regengüssen, in schwellenden Strömen, die ganze Welt wird befriedigt werden mit Zeichen seiner Gerechtigkeit.18

Schon hier appelliert Arnim an das »Gefühl« der Handelnden in einem Vorwort, welches von der Vossischen Zeitung, die einige Tage später über den Vorfall berichtet, nicht übernommen wird.19 Und eine kurze Meldung über Militärverhältnisse in der Schweiz beendet Arnim mit einem eigenen Vierzeiler: Auf, wohlan die Zeit ist kommen, Und so kommt nun mit der Zeit Das, warum die Zeit ist kommen, Aus der Vielheit Einigkeit.20

Also, neben Aufrufen auch Lyrik in der Berichterstattung. Eine Ausgabe später heißt es bei Arnim: Tyrol ist frei! Wessen Herz schlägt nicht freudiger bei dieser Nachricht, welches Land verdiente es mehr seinem geliebten alten Herrn, seiner alten freien Verfassung wiedergegeben zu werden, als dieses, das zuerst unter allen deutschen Völkern ein blutiges Vorbild gab von der Stärke, die Treue und Glauben verleiht, es hat bewährt, daß Völker nicht können wie eine Handelswaare vertauscht und übergeben werden, sondern daß jeder, der sie wider ihren Willen besitzen will, sie vernichten muß.21

Und was macht die Vossische Zeitung daraus: »Tyrol ist frei! Die Baierische Regierung macht es gut, ihre Truppen und Beamten verlassen Tyrol nach Verabredung mit Oestreich.«22 Und Arnim setzt noch einen oben drauf, er beendet den Artikel 17 18 19 20 21 22

Ebenda Nr. 108 vom 6.10.1813, S. 4. Ebenda Nr. 108 vom 6.10.1813, S. 1. Vossische Zeitung Nr.121 vom 9.10.1813, S. 3. Der Preußische Correspondent Nr. 108 vom 6.10.1813, S. 3. Ebenda Nr. 109 vom 8.10.1813, S. 4. Vossische Zeitung Nr.121 vom 9.10.1813, S. 5.

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mit einem Gedicht von Max von Schenkendorf. In der nächsten Nummer folgt wieder ein Aufruf, dieses Mal ein Flugblatt, auch dieses mit einem Vorspruch: Wir haben vom jenseitigen Elbufer folgende Proklamation erhalten, die das Werk eines unserer braven Altmärker ist, welchen schon ganz die Ahndung belebt, in Kurzem wieder seinen vorigen rechtmäßigen Monarchen anzugehören. Er kann nicht genugsam beschreiben, mit welchem Wohlgefallen diese Proklamation von seinen Landsleuten aufgenommen worden ist, und wie sie ihr echt-preußisches Blut in Wallung gebracht hat.23

In derselben Ausgabe ist auch ein Auszug aus einem Schulprogramm, das Arnim mit folgenden Worten einleitet: Wenn sich in diesen Zeiten gewaltsamer Anstrengungen und freiwilliger Aufopferung viele Kräfte zweckmäßig für die Rettung unseres Landes bildeten und hingaben, so wird es zu einer schönen Pflicht der Beobachter dieses Kampfes, diesen Geist nicht bloß zu rühmen, sondern auch mit Klugheit und Liebe alles das aufzusuchen, zu schützen und zu fördern, was diesen herrlichen siegreichen Geist in unserm Volke geweckt hat. Die Schulen im Kreise der Jugend, so wie das große Ganze deutscher Literatur im Kreise der Erwachsenen, waren gewiß die wirksamsten von der Vorzeit überlieferten und von uns mitten im allgemeinen Drucke bewährten Einrichtungen, welche fortdauernd den Geist aus dem Drucke und dem Getümmel der Zeit auf das Licht, die Freiheit und die Kraft hinwiesen, die sich unbemerkt im Innern des Menschen sammelt, bis sie mächtig genug wird vor der Welt sich zu zeigen und das Widerstrebende sich unterwerfen zu können.24

In Nr. 114 ist es der Letzte Brief eines Freywilligen, in dem Arnim den Sinn des Sterbens für die Freiheit thematisiert. Du weist, daß auch mich eine politische Meinung den Waffen zugeführt hat; unter den Waffen aber fand ich mein Vaterland und mein Volk, das ich so lange vermißt und vergebens gesucht hatte. Nun wundre ich mich, wie ich mit meinen genügsamen Brüdern alles vergessen habe, was ich einst gedacht. Die Nothdurft hat uns mit einander auch geistig in Reih und Glied gestellt, ich habe viel gelernt, ich wünsche, daß sie brauchen können, was sie von mir gelernt haben. Alles andere, warum ich mich sonst liebte, was ich als wahr und herrlich mit der Inbrunst meines Geistes geboren, mag ihnen vielleicht unverstanden bleiben, aber untergehen wird es nicht, es klingt wieder in der ganzen Welt, auch ohne Worte, so wie auch mich eine Stimme von jenseit ruft, die ich nicht nennen kann. Von dem allen sage ich auch dir kein Wort, sondern ich spreche vom nächsten Nützlichen über meine tägliche Erfahrung.

Und im Anschluss daran bringt er noch ein Gedicht von Fouqué »Wer reitet so frisch und singt so hell«.25 Und dann beginnt Arnim als Aufmacher eine Kurzmeldung zu der, wie sich herausstellen sollte, wichtigsten Schlacht des Krieges mit dem Einstieg: »Victoria! Unser Blücher hat den 16ten zwischen Groß-Kugel und Leipzig auf der großen fruchtbaren Fläche 4 Corps französischer Truppen angegriffen und

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Der Preußische Correspondent Nr. 110 vom 9.10.1813, S. 1. Ebenda Nr. 110 vom 9.10.1813, S. 3. Ebenda Nr. 114 vom 16.10.1813, S. 3f.

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nach hartnäckiger Gegenwehr gänzlich geschlagen.«26 Die Spenersche Zeitung schreibt einen Tag später: Vorläufigen Nachrichten zufolge, die so eben bei einem hiesigen hohen Militair-Gouvernement, aus Halle vom 16ten, per Estaffette eingegangen sind, hat an dem genannten Tage sich zwischen Großkugel und Leipzig eine Schlacht mit demFeinde engagirt, in welcher der General Blücher vier französische Armee-Corps geschlagen hat.27

Und die Vossische Zeitung beginnt eben so unterkühlt: »Vorläufig so eben bei einem hiesigen hohen Militair-Gouvernement.«28 Größer kann ein Unterschied im Stilverhalten wohl kaum sein. Ähnlich emotionsgeladen berichtet Arnim wenige Tage später wiederum als Aufmacher über das Eintreffen des siegreichen preußischen Königs in Berlin: Die stille Nacht hat den freudigen Mund des Volkes geschlossen, die feierliche Erleuchtung der Stadt ist erloschen, der Tag geht vorüber, aber nicht sein Heil. Wer fromm gebetet, wer herzlich geglaubt, wer muthig gelitten, wer treulich gestritten, jeder hat und behält seinen Theil an diesem Tage des öffentlichen Dankes, es wäre zu schwer alle Erinnerungen, alle Erwartungen, alle Gedanken und Gefühle darlegen zu wollen, und karg möchte es scheinen bei dem einzelnen eignen Gefühle zu weilen.29

Die Spenersche Zeitung schreibt: »Am Sonntag Vormittag trafen Se. Majestät der König, von der Armee kommend, bei erwünschtem Wohlseyn allhier ein, um, für die bei Leipzig glorreich errungenen Siege, mit und unter Ihrem getreuen Volke, Gott öffentlich zu danken.«30 Und in der Vossischen Zeitung heißt es: »Nachdem Se. Majestät der König in allerhöchstem Wohlseyn, zur unbeschreiblichen Freude Ihrer treuen Unterthanen, den 28sten d., Abends um 5 Uhr, aus Leipzig siegreich in Potsdam eingetroffen waren, [...]«.31 Arnim geht in seiner Berichterstattung sogar soweit, daß er eigene Ahnungen, die er einmal schriftlich fixiert hat, dem Publikum als Beweis für das Wirken höherer Mächte in seine Zeitung mit aufnimmt. Anfang November schreibt er: A h n d u n g e n . Als ich neulich die Worte32 im Berichte der Nordarmee las: Man frägt sich, ob das der große Feldherr sey, vor dem bis dahin Europa gezittert hat! fiel mir eine sonderbare Ahndung ein, die mich einst bei einem Gesellschaftsspiele ergriff, in welchem Glossen nach einem vorgeschriebenen Thema gereimt wurden, die Zukunft wird gar häufig ahndend bewußt, aber wir achten wenig darauf. Die Glosse ist zu einer Zeit geschrieben, wo von einem Russischen Feldzuge in dem Kreise meiner Bekanntschaft durchaus noch keine Rede war, wo also die Kälte, in der die Blätter seines Lorbeers abfallen würden, nur von seiner eigenen Herzens-

26 27 28 29 30 31 32

Ebenda Nr. 115 vom 18.10.1813, S.1. Spenersche Zeitung Nr.125 vom 19.10.1813, S. 1. Vossische Zeitung Nr.125 vom 19.10.1813, S. 1. Der Preußische Correspondent Nr. 119 vom 25.10.1813, S. 1. Spenersche Zeitung Nr.128 vom 26.10.1813, S. 1. Vossische Zeitung Nr.128 vom 26.10.1813, S. 6. Vgl. Der Preußische Correspondent Nr. 120 vom 27.10.1813,S. 3 Nr.1 im letzten Absatz.

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Jürgen Knaack

kälte verstanden wurden, denn so doppelsinnig ist Ahndung gewöhnlich, daß sie erst in der Erfüllung ganz verstanden wird.33

Und dann folgt ein Gedicht, daß Arnim vermutlich schon 1808 geschrieben hat. Nach dem T h e m a 34 : Was nur heilge Geister ahnen, Glaubst du dein, du winzig Ding? Deine Mittel sind gering, Grössern mußt du Wege bahnen.

Folgt dann eine vierstrophige G l o s s e . Wie? Du weißt, was uns verborgen? Dringt die Klugheit deines Blicks Ins Geheimniß des Geschicks? Stehst du schon im hellen Morgen, Wo wir nächtlich weglos sorgen? Kennst du deine Unterthanen? Ach, zu deines Wahnsinns Bahnen Willst du große Völker zwingen! Armer, du mußt selbst vollbringen, Was nur heilge Geister ahnen.

Die letzte Strophe des Gedichts lautet dann: Frevle rasch zu deinem Ziel, Hast mich immer langeweilt, Wo du Sieg und Kranz ereilt, Denn es war nur höhres Spiel, Bahn zu sprengen dem Gefühl, Das da folgt den heilgen Fahnen, Unsrem Volke, unsren Ahnen, Nahe deinem höchsten Glanze, Fällt im Frost das Laub vom Kranze, Grössern mußt du Wege bahnen.

Hieraus rückwirkend eine Anspielung auf Napoleons Niederlage durch den russischen Winter zu konstruieren, das übersteigt doch sehr weit den Rahmen einer objektiven Berichterstattung. Daß Arnim mit dieser Form der Darstellung beim Lesepublikum durchaus erfolgreich war, beweist nicht nur die Auflagensteigerung des Blattes während seiner Herausgeberzeit, sondern auch die Reaktion des inzwischen wieder in Berlin lebenden Zeitungsgründers und ersten Herausgebers Barthold Georg Niebuhr, der Ende Januar 1814, bei der Suche nach einem neuen Herausgeber, an den Verleger Reimer schrieb: »Ich will es aber freilich auch lieber 33 34

Ebenda Nr. 125 vom 5.11.1813, S. 4. Vgl. Ricklefs. Arnims lyrisches Werk, Nr. 1552, S. 189. Arnim: Werke in sechs Bänden, Bd. 5, S. 858f, Anm. S. 1519f.

Die Emotionalisierung der Berichterstattung

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selbst betreiben [...] als zusehen, daß Arnim diese Gelegenheit seine Feder laufen zu lassen noch länger so schändlich mißbrauche. Es kommt mir wie eine Sünde vor sie ihm zu gewähren.«35 Hier spricht der Historiker, der mit der Emotionalisierung der Sprache und der Verwendung vielfältiger emotionssteigernder Darstellungsformen nichts anfangen konnte.

35

Niebuhr, Briefe, Bd.2, S.455.

Stefan Nienhaus

Tiecks geneigter Leser: Leserapostrophen als Symptome des Zweifels des Autors über die Wirkung seiner Texte

Im Aufsatz Der Epiker, sein Stoff und die Kritik klagt Alfred Döblin mit wütender Prägnanz sein Leid als Autor unter den Bedingungen der Distanzkommunikation: Man liege Monate, Jahre über einem Werk, konzentriere, seine Zeit miterlebend, über einigen hundert Seiten seine Seele, Phantasie, Denkkraft, Erfahrung, gebe zuletzt sein Werk von sich: man erwarte in Deutschland keinen Widerhall! Wenn es hoch kommt, wird man – Kritiken empfangen. Früher – sehr lange her – saßen und standen die Epiker vor ihren Zuhörern: sie sprachen, sie wirkten, sie waren lebendig. Auf Stoß erfolgte Widerstoß, man wußte, man war da: man sah, hörte, fühlte die, für die man da war. Die Städte haben alles zerstört. Jeder sitzt vor seinem Papier und malt drauf los; er kann sich an dem Kratzen der Feder laben. Die Menschenmassen sind ohne Zusammenhalt, sie berühren sich nur; es ist eine bloße Äußerlichkeit, daß sie eine gemeinsame Sprache reden. Zu ungeheuren Verbänden haben sich die Völker ausgewachsen. [...] In den riesigen Menschenverbänden verhallen nicht nur alle Einzelstimmen, auch der kleine Kreis wird von dem Strudel verschlungen: so sitzt, wer etwas sagen will, vor dem toten Papier, um sich tote Wände, - und geht er unter Menschen, begegnet er bestenfalls – dem oder jenem, der ihn »gelesen« hat , der ihn »schätzt«, eventuell »außerordentlich schätzt«, noch mehr schätzt als den oder den –.1

Den einzig objektiven Indikator für den Erfolg seines Werkes liefern dem Schriftsteller die Verkaufszahlen seines Buchs. Wie es gelesen (ja, mitunter, ob überhaupt) bleibt für ihn im Verborgenen, denn vage vereinzelte Leserreaktionen oder auch Rezensionen bedeuten für die allgemeine Rezeption nicht viel. Zur professionellen Kritik ein weiteres Zitat aus Döblins Philippika: Das Schlimmste aber unter dem Publikum ist das Gros der Kritiker. Sie sind noch nicht einmal Publikum. So wie ein Genußmensch die Geheimnisse der Liebe entwürdigt, entwürdigen sie durch ihre Blicke und Griffe das Werk. Mir ist das, was man Kritik nennt, immer als ein Unfug erschienen. Mir scheint nur die »Kritik« berechtigt, die aus einem liebenden oder kämpfenden Herzen kommt: schlagen, vernichten oder streicheln, verehren; das ist alles. [...] Das Gros der Kritiker kennt aber nicht Liebe oder Haß, sondern nur Profession [...].2

Hier steht nun keineswegs eine rationale Wirkung im Vordergrund, der Autor erhofft sich vor allem hingegen, daß sein Werk Emotionen provoziert, eben »Liebe«

1 2

Alfred Döblin: Zwei Seelen in einer Brust. Schriften zu Leben und Werk, S. 25f: Ebenda, S. 26. Die ausgelassenen Passagen enthalten eine Polemik Döblins auf eine bloß ästhetische Wertmaßstäbe anwendende Kritik als »Kunstbetrachtung«.

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Stefan Nienhaus

und, was auf das Gleiche herauskommt, da die Intensität der Gefühle zählt, »Hass«: Döblin wäre sicher viel glücklicher über einen verärgerten Leser gewesen, der ihm an die Gurgel geht, als über einen, der ihm ein gängiges Kompliment macht. Was die Kritik betrifft, hätte er aber vielleicht doch mit der gleichen entwaffnenden Offenheit den geheimen Wunsch eines jeden Schriftstellers aussprechen können, den schon der junge Auftragsschreiber in Nicolais Diensten bekannt hat: Es tut mir leid, daß der Rezensent der Nürnberger gelehrten Zeitung nun durch mich selbst erfährt, daß Herr Müller diese Straußfedern nicht mehr schreibt, denn indem der Rezensent vom fünften Teile spricht, kann er nicht genug den Witz und die unerschöpfliche satirische Laune dieses Schriftstellers bewundern; er hat mich also gelobt, ohne es zu wissen; ich sage ihm den ergebensten Dank und bitte nur, unermüdet auf dem Wege fortzufahren.3

Doch vom professionellen Leser gelobt zu werden, heißt eben noch lange nicht, auch vom breiten Publikum gelesen und »richtig« gelesen zu werden. Die Versuche, etwas von der ursprünglichen – wie Umberto Eco es nennt – »nicht rein linguistischen, sondern semiotischen Aktivität«4 (wo eben nicht nur die Wörter, sondern auch Intonation, Mimik und Gestik des Vortragenden und Mimik, Haltung etc. des Publikums interagieren) wiederherzustellen oder Ersatzformen dafür zu finden, sind verschiedenster Art. Der erste besteht darin, in einer Art Experimentsituation in verkleinertem Format den Vortrag des Epikers wiederaufleben zu lassen: Viele Autoren sehen die öffentlichen Lesungen aus ihren Werken nicht als bloße Werbeveranstaltung an, sondern erhoffen sich davon, ihrem Publikum wenigstens partiell den Status eines persönlichen Adressaten wiedergeben zu können. Ein berühmtes Beispiel für einen Schriftsteller, der den öffentlichen Vortrag als wichtigen Teil seines Gewerbes einschätzte, ist Charles Dickens. Die Texte, die er für die Lesung aussuchte, versah er mit regelrechten Regieanweisungen für den Ton der Stimme, die Gestik und je nach Reaktion der Zuhörer überarbeitete er manchmal seine Texte.5 Von Tieck ist bekannt, daß er ein begeisterter und begeisternder Rezitator eigener und fremder Werke war. Nach Meinung Brentanos war er das »größte mimische Talent, das jemals die Bühne nicht betreten«6. In einem Brief an Wackenroder stilisiert er seine eigene Reaktion als (Vor-) Leser von Grosses Genius seinerseits zum Mini-Schauerroman mit Angstzuständen und Geistererscheinungen: »Ich war auf einige Sekunden wirklich wahnsinnig.«7 Nun mag es aber auch ein intendierter Nebeneffekt des hysterischen Anfalls gewesen zu sein, sich an seinen beiden Zuhörern zu rächen, indem er sie zu Tode erschreckte. Denn diese hatten ihm den schlimmsten Tort angetan, der einem Vorleser widerfahren

3 4 5 6

7

Ludwig Tieck: Fermer, der Geniale. – In: Tieck: Die männliche Mutter, S. 8. Umberto Eco: Lector in fabula, S. 53. Vgl. Alberto Manguel: Eine Geschichte des Lesens, S. 300f. Clemens Brentano: Sämtliche Werke und Briefe. Bd. 30, 2. Teilbd., S. 313. Vgl. Klaus Günzel: »Das beste Theater in Deutschland«. Ludwig Tieck an Wilhelm Heinrich Wackenroder am 12. Juni 1792. – In: Günzel (Hrsg.): König der Romantik, S. 102.

Tiecks geneigter Leser

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kann. Nach Stunden geduldigen Lauschens – Tieck hatte um vier Uhr Nachmittags mit dem ersten Teil begonnen – ließen ihre Kräfte schließlich nach: Der zweite Teil ward angefangen,« berichtet Tieck an Wackenroder, »ach! und ich bin lange nicht so glücklich gewesen, besonders bei jenen Szenen, von denen ich Dir schon gesagt habe, und grade bei diesen (es war schon nach 12 Uhr) fingen meine beiden Zuhörer alle Augenblick an einzuschlafen, weil hier eigentlich keine Handlung, kein Fortgang der Geschichte war.8

Tieck ließ es sich nicht verdrießen und las erbarmungslos zwei weitere Stunden lang, bis zum Ende des Romans. Doch der Kontrast zwischen seinem sich bis zum Wahn steigernden Leseglück und den schlummernden Zuhörern wird sich ihm als Lehre über die Unzuverlässigkeit des Publikums und die Grenzen des diesem Zumutbaren eingeprägt haben. Zweck des nächtlichen Lesemarathons war es gerade gewesen, sich unterhaltsam die Zeit zu vertreiben. Tieck fand »das Schönste« im zweiten Teil des Genius, der eben »fast gar nichts Wunderbares enthalte«, sondern etwa ihn glücklich machende ›stille‹ Szenen wie die Begegnung mit einem Einsiedler. Doch was ihn begeistert, führt bei den anderen, die nur durch die Spannung des Handlungsfortschritts bei der Stange gehalten werden können, zur Langeweile. Das eingeschlafene Publikum spricht das schrecklichste Urteil über den Text, denn die Grundangst jedes Autors ist wohl die, seine Leser zu langweilen, und die erste und jede weitere Wirkung des Textes bedingende Reaktion des Lesers betrifft zunächst einmal die Einschätzung seiner Lektüre als spannend oder eben langweilig. Langweiliges liest er nur, wenn er dazu gezwungen wird. Wenn selbst Grosse sein Publikum einschläfern kann, ist es nicht verwunderlich, daß auch ein junges Erzähltalent wie Tieck von Zweifeln über die Wirkung seiner Schriften geplagt wird.9 Es wird ihm überdies zu denken gegeben haben, daß seine Zuhörer gerade diejenigen Stellen, die ihn »glücklich« machten, langweilig fanden. Und seine Verunsicherung ist nicht gering, wenn auch selbstverständlich in der captatio benevolentiae der »Vorrede« im (nicht zum) Fermer ironisch übertrieben: »Wenn ich aber an meine Leser denke, so gerate ich augenblicklich in eine solche Furcht, daß ich erst eine Weile die Feder niederlegen muß, mich zerstreuen und von der Vorstellung des Lesers erholen, ehe ich weiterschreiben kann.«10 Der Autor würde es ja gerne allen Lesern 8 9

10

Ebenda, S. 101. Ein interessantes Beispiel für die Unsicherheit eines jungen Autors, die mit zunehmendem Publikationserfolg einem wachsenden Vertrauen in die Reaktionen des Lesepublikums weicht, findet sich in Adalbert Stifters Studien: Stifter hat Leserapostrophen, die in den frühen Journalfassungen der Mappe meines Urgroßvaters enthalten sind, in den späteren Buchfassungen gestrichen: »Somit, lieber Leser, gehe freundlich mit mir an einigen Stücken meines Ahnherrn vorüber, ob es dir auch, wie mir, den Eindruck mache eines drolligen, schwermüthig kräftigen Vorfahrers« (Stifter: Werke und Briefe, Bd. 1.2, S. 14; vgl. ders., Bd. 1.5). Ins Umfeld seiner jahrelangen Arbeit an der Mappe gehört auch Stifters Brief an Gustav Hedenast vom 2. August 1841, in welchem er (in der Form eines extremen Selbstlobs des Hochwalds) seine außerordentliche Hochschätzung von Tiecks späten Schriften äußert: »denn das weiß ich mit Gewißheit, daß diese Dichtung innig und warm ist, und warme Herzen ergreifen muß, und das weiß ich auch, daß sie, außer Tiek, keiner schreiben kann« (Stifter: Sämmtliche Werke. Bd. 1, S. 80). Für diese Hinweise auf Stifter danke ich herzlich Silvia Bengesser, Salzburg. Tieck: Die männliche Mutter, S. 7.

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Stefan Nienhaus

recht machen, alle ihre Erwartungen erfüllen, und dennoch kann er sich nie vor ihrer Kritik sicher wissen: »Dem einen sind die Erzählungen nicht unterhaltend, dem andern nicht fein genug; einer tadelt den Vortrag, der andere den Inhalt; ein dritter liest sie gar nicht, sondern rezensiert sie nur [...] – kurz ich weiß durchaus nicht, woran ich mit meinem sogenannten geneigten Leser bin.«11 Die provozierende Formel vom »sogenannten geneigten Leser« verweist auf einen Konflikt. In der Konkurrenzsituation des Buchmarktes muß der Leser als anonymer Kunde geworben werden, davon ob das angebotene Buch seine Erwartungen erfüllt, übertrifft oder selbst wenn es ihnen nicht entspricht, es ihn trotzdem befriedigen kann, hängt die Existenz des Schriftstellers ab (und die des Textes ja überhaupt davon, daß er gelesen wird…). Die ersten drei Punkte in Daniel Pennacs Dekalog der Rechte des Lesers sind so recht beschaffen, jedem Autor das Grausen vor seinen Lesern einzuflößen: »1. Das Recht, nicht zu lesen. 2. Das Recht, Seiten zu überspringen. 3. Das Recht, ein Buch nicht zu Ende zu lesen.«12 Im ersten Fall wird dem Text keine Chance gegeben, bezüglich der Fälle zwei und drei nutzen Autoren alle ihnen zu Verfügung stehenden Mittel, um solch Unheil abzuwenden. Selbstverständlich sollte man den gesamten Text als eine Operation der Leserlenkung ansehen, dennoch verlassen sich aber die meisten Autoren nicht nur darauf, sondern verwenden explizitere Mittel, den Leser zum Lesen und zu einem nicht beliebigen Lesen anzuhalten. Auf einige Beispiele in Tiecks (natürlich nicht nur bei ihm vorkommenden) Rahmenerzählung im Phantasus, in welchen die fiktiven Erzähler und ihre Zuhörer mit ihren Reaktionen dem Leser offene Hinweise geben, wie er denn auf den jeweiligen Text reagieren sollte, habe ich schon an anderer Stelle hingewiesen.13 Ein interessantes Beispiel, wie eine derartige Stellvertreterreaktion in den Text selbst eingebaut wird, findet sich etwa in Wuthering Heights von Emily Brontë. Die Technik ist einfach: Brontë lässt die zentrale Geschichte von einer Figur einer anderen erzählen und dabei den Zuhörer Lockwood entsprechend reagieren: »But, Mr. Lockwood,« sagt da die fiktive Erzählerin Mrs. Dean, »I forget these tales cannot divert you, I’m annoyed how I should dream of chattering on at such a rate«, und Lockwood beeilt sich, inständig um die Fortsetzung der Geschichte zu bitten: »You’ve done just right to tell the story leisurely. That is the method I like: and you must finish it in the same stile. I am interested in every character you have mentioned, more or less.«14 Einige Kapitel weiter im Roman ist Lockwood krank, was ihn nicht daran hindert, erneut auf der spannenden

11 12

13

14

Ebenda. Pennac: Wie ein Roman, S. 163. Der Erzähler in Franz Werfels Science-Fiction-Roman Stern der Ungeborenen bekennt deutlich seine Angst, daß der Leser seine vorgreifende Neugierde nicht beherrschen könnte: »Ich selbst will nichts weiter verraten« (über die Art des Sterbens in der zukünftigen Welt) »und bitte auch den Leser inständig, keinesfalls die letzten Seiten dieses Buches aufzublättern« (Werfel: Stern der Ungeborenen, S. 159). Der Verhältnis zwischen Autor und Leser sollte ja auf Vertrauen gegründet sein – doch Werfel lädt natürlich zugleich geradezu zum Vorblättern ein. Vgl. Nienhaus: Poetische Magie und Geheimnis in Tiecks Phantasus. – In: Pape (Hrsg): Romantische Metaphorik des Fließens, S. 247. Brontë: Wuthering Heights, S. 64.

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Story zu bestehen: »›It wants twenty minutes, sir, to taking the medicine‹, she commenced. ›Away, away with it!‹ ›I replied; ‚i desire to have— ‹ ›The doctor says you must drop the powders.‹ ›With all my heart! Don’t interrupt me. Come and take your seat here. [...] now continue the history of Mr. Heathcliff, from where you left off, to the present day.‹«15 An einer späteren Stelle, mit einem leichten Hinweis auf einen ab nun etwas geraffteren Erzählstil, wird das erste (Selbst-)Lob wiederholt. Lockwood übernimmt nun selbst die Rolle des Erzählers: »I’ll continue it in her own words, only a little condensed. She is, on the whole, a very fairy narrator, and I don’t think I could improve her style.«16 Ein Urteil, das sich offensichtlich die reale Autorin Brontë auch von ihrem realen Leser wünschte. Sind auch derartige implizite Rezipienten gar nicht so selten, so wird der Versuch, eine bestimmte Rezeptionsrichtung anzugeben bzw. den Leser wenigsten zum Weiterlesen anzuhalten etc., meist doch in den Paratexten unternommen, vor allen Dingen in den Leserapostrophen17, die ihren privilegierten Ort in den Vor- oder Nachworten haben. Vom Vorwort gibt Novalis eine Formel, die Genette schlicht und ergreifend »brutal«18 genannt hat: »Der Gebrauch des Buchs wird in der Vorrede angegeben.«19 Vielleicht nicht nur dort und vielleicht nicht des ganzen Buchs, doch mit Sicherheit versuchen viele Autoren – und so auch Tieck – in der direkten Wendung an den Leser, die ihrer Meinung nach beste Lektüre zu befördern oder wenigstens eine ganz falsche von vorneherein zu verhindern. Es gilt somit, das »sogenannte« zu streichen und sich den Leser geneigt zu machen. Das erste Problem, das sich dabei stellt, besteht darin, das Vorwort überhaupt an seinen Adressaten gelangen und es nicht etwa, als eben nur ein »Beiwerk«20, überschlagen zu lassen. Der junge Tieck versucht das mit ein paar simplen Tricks zu lösen: Zwar hebt er die Vorreden explizit als solche durch eine Überschrift aus dem übrigen Text heraus, aber er stellt sie nicht vor den erzählenden Text, sondern in diesen hinein. Die »Vorrede« des »Fermer« wird sogar als vom vorigen in diesen Band der »Straußfedern« verschoben ausgegeben: »Vorrede / die schon vor dem vierten Bande dieser Sammlung Platz hätte finden sollen; ich schalte sie listigerweise hier ein, damit ich um so mehr versichert bin, daß man sie nicht überschlägt.«21 Aber eben auch nicht vor diesen fünften Band, sondern in dessen erstes Kapitel, nachdem zuvor schon mit der Geschichte begonnen worden war. Der Grund liegt zum einen darin, daß Tieck mit dem vierten Band die anonyme Autorschaft übernommen hatte, was, wie er im Fortlaufenden (und im schon zitierten Passus) triumphierend anzeigt, nicht von allen Kritikern bemerkt worden war. Er »outet« sich hier gewissermaßen als Autor. Zum anderen aber verleiht er der Leser15 16 17

18 19 20 21

Ebenda, S. 88. Ebenda, S. 139. Zur Leserapostrophe im (lyrischen) Text vgl. Georg Stanitzek: Kommunikation (communicatio & Apostrophe einbegriffen). – In: Fohrmann, Müller (Hrsg.): Literaturwissenschaft, S. 13-30 (zur Leserapostrophe S. 19–24); vgl. auch: Allerkamp: Anruf, Adresse, Appel. Genette: Paratexte, S. 203. Novalis: Schriften. Bd. 3, S. 361. Vgl. dazu den Untertitel der deutschen Ausgabe von Genette: Paratexte. Tieck: Die männliche Mutter, S. 6.

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apostrophe einen Textstatus, der ihre Rahmenfunktion22 weitgehend annulliert und sie der Erzählung soweit wie möglich annähert: Der Leser solle nämlich »den wahren Helden, der den anderen hervorbringt«23, kennenlernen, die Vorrede stehe sogar in einem Konkurrenzverhältnis zum Haupttext und sei diesem im Grunde vorzuziehen: »Ich muß gestehn, daß ich weit mehr Vorreden als Bücher lese, denn die Verfasser schildern sich meistenteils mehr darinne, als sie selber wissen; um mich zu belehren und zu bessern, lese ich daher oft die Vorrede und lasse das moralische oder politische oder unterhaltsame Buch selber ungelesen.«24 Dies ist natürlich gespickt mit Ironiesignalen (»zu belehren und bessern«, aber eben nicht ›zu unterhalten‹…), kassiert aber aufgrund seiner Positionierung den TextrahmenStatus des üblichen auktorialen Originalvorworts25 ein, ohne auf dieses selbst zu verzichten. Das Nach-Innen-Kippen des Rahmens wird im Lebrecht auf eine ähnliche, etwas komplexere Weise realisiert. Zunächst wird der Leser im paratextuellen Untertitel gleichsam mit einem Warnschild empfangen: Eine Geschichte ohne Abenteuerlichkeiten. Wieso der Autor es für notwendig hält, schon vorab keine Erwartungen auf einen Geheimbund- oder Schauerroman (dessen Elemente Tieck im Abddallah und im etwa zur gleichen Zeit wie Lebrecht verfassten William Lovell ausgiebig nutzte) aufkommen zu lassen, wird im darauf folgenden ersten Kapitel des ersten Teils ausführlich erläutert. Hierhinein versetzt nämlich Tieck seine üblicherweise ja dem Textrahmen zugewiesene »Vorrede« und lässt somit seinen Roman mit der direkten Adressierung des Lesers beginnen. Der – hier noch anonyme – Autor hebt in der Apostrophe den einzelnen als »Liebe(n) Leser« heraus und stellt sich mit ihm auf den vertrauten Fuß des »Du«. Bevor mit der im Titel angekündigten Erzählung der »Geschichte« begonnen wird, sieht sich der Leser in einen poetologischen Dialog gezwungen, in dem ausgiebig von der ›licentia‹ Gebrauch gemacht wird, ihm als Vertreter des allgemeinen Lesepublikums präzise Unterhaltungsbedürfnisse zu unterstellen, die vom Autor als trivial zurückgewiesen werden. Indem alle diese Unterstellungen allerdings nicht wörtlich genommen werden sollen und ihm die Möglichkeit eröffnet wird, diese nicht auf sich persönlich zu beziehen, wird der Leser zum Komplizen gemacht, der, wie der Verfasser sich der modischen Erzählung verweigert, seinerseits in seinen Erwartungen auf eine solche verzichtet. Offensichtlich sollen alle Formeln des »ich weiß es im voraus« oder »ich wette« sich als unbegründet herausstellen, und dem adressierten Einzelleser wird auch sogleich die Möglichkeit gegeben, sich von der tumben Masse der »Leser« im Plural abzuheben: »In medias res will ich gerissen sein! rufen die Leser«, denen auf der anderen Seite »die Dichter« entsprechen, die ihnen »so sehr den Willen«26 tun. Während sich der Appell, doch bitte »wenigstens das erste Kapitel« zu lesen, dem

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26

Zum Verhältnis von Rahmen und Text vgl. Dembeck: Texte rahmen. Tieck: Die männliche Mutter, S. 6. Ebenda. Genauer definiert, handelt es sich um ein fiktives auktoriales Vorwort. Zur Typologie der Vorreden vgl. Genette: Paratexte, S. 173–187 (Schema S. 176). Vgl. auch Wirth: Das Vorwort. Tieck: Schriften. Bd. 14, S. 164.

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Autor seine »Gunst« zu schenken und ihm das Fehlen einer »interessanten, abenteuerlichen und ungeheuerlichen Geschichte« doch bitte zu »vergeben«27 an den Leser in der zweiten Person richtet, ist es hingegen »der Leser«, der »zufrieden« ist, »wenn es ihm nur recht schauerlich und grauerlich zu Muthe wird«28. Dem »lieben Leser« wird schmeichelnd seine Überlegenheit über die Masse suggeriert, die etwa von »mystischen und hieroglyphischen Zeromonien« in geheimen Gesellschaften liest, von denen sie doch »nicht eine Silbe« verstehe. Die Angst des Autors, seinen Leser zu verlieren, bestimmt aber weiterhin den Diskurs der Vorrede und führt zu einer Intensivierung der Apostrophe. Nach einer weiteren Entschuldigung für die wohl nur noch wenigen Lesern, »die mir noch übriggeblieben sind«, erträgliche Länge des Vorworts, wechselt die Anrede unvermittelt vom vertrauten ›Du‹ in die Höflichkeitsform. Dem nun mit »Sie« adressierten Leser wird ironisch geschmeichelt, er sei wohl als Leser von »Journalen«, in denen die »Schriftsteller recht viel von sich selbst sprechen«, Kummer dieser Art gewöhnt. Jetzt allerdings tritt der Autor aus seiner Anonymität heraus und stellt sich vor: »Ich heiße, wie Sie vielleicht schon werden gemerkt haben, Lebrecht«29. Das Spiel der Fiktionsebenen kompliziert sich. Schien bisher ein außerhalb der Erzählung stehender Autor seine(n) virtuellen Leser30 anzusprechen, so entpuppt jener sich nun als Ich-Erzähler und somit wird die Integration der Vorrede in den Erzähltext unterstrichen. Der Leser wird also mit der Nase darauf gestoßen, daß er sich längst in einer Erzählung befindet, die mit ihrem Wechsel von Parodie und literaturkritischem Diskurs auch ruhig so weiter gehen könnte (was sie allerdings nur partiell tut), die Grenzen zwischen Paratext und Text werden nun gänzlich verwischt. Im zweiten Teil bringt Tieck dies in folgendes Bild: »Ich, Peter Lebrecht, trete also hinter der Staffelei hervor [...] und mische mich keck unter die Zuschauer.«31 Nur, daß Peter Lebrecht ja darüber hinaus auch noch zum Gemälde selbst gehört, also zunächst einmal daraus hervor und hinter die Staffelei getreten ist. Hier nun wird dann auch das Umkippen vom Rahmen ins Innere wieder umgekehrt werden, indem der fiktive Autor Lebrecht ankündigt, daß er »ein Manuskript liegen« habe, »welches nächstens im Druck unter dem Titel Volksmärchen erscheinen wird und welches nichts als wunderbare und abenteuerliche Geschichte enthält.« Nicolai selbst wird von der Realitätsausgreifung der Fiktion betroffen: »Der Leser muß dies für keinen Scherz aufnehmen, sondern es ist mein vollkommener Ernst, und das Buch wird selbst nächstens bei dem Verleger dieser Erzählung herauskommen.«32 (Was ja dann auch geschehen ist.)

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Ebenda, S. 163f. Ebenda, S. 164. Ebenda, S. 166. Vgl. dazu Genette: Die Erzählung, S. 267. Tieck: Schriften, Bd. 15, S. 4. Ebenda, S. 22. In der »Vorrede« zu den Volksmärchen spricht der fiktive Herausgeber Lebrecht von einem »Freundschaftsantrag an eine Person, die man nie mit Augen gesehen hat« und wendet sich übertrieben demutsvoll an seinen Leser als »die unbekannte Gottheit« (zit. nach: König der Romantik, S. 134).

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Doch zurück zum ersten Kapitel: Die immer in der Höflichkeitsform an den Leser adressierten Beteuerungen, daß »meine Geschichte nicht ganz gewöhnlich und alltäglich« sei, aber eben doch nicht »anziehend« = spannend, da ohne alles »Abenteuerliche« (auch das stimmt nicht), sind weiterhin im Kern von der Furcht bestimmt, Langeweile zu erregen, anstatt diese zu vertreiben: »die einzige Hoffnung, meine schöne Leserinnen, die mir übrig bleibt, ist, daß Sie gerade von der Langweile so geplagt werden, daß sie mich aus bloßer Verzweiflung lesen.«33 Wollte man bei dieser Zuspitzung der parenthetischen Apostrophe vom »Peitschenhieb« der antiken Rhetorik sprechen, muß man doch feststellen, daß dieser außerordentlich sanft ausfällt und die Figur der licentia,34 der Zumutung der »unangenehmen Wahrheit«, durchs Kompliment aufgewogen sein mag, und auch umgekehrt möchte der Autor seiner Leserin wohl gerne aufgrund ihrer Schönheit verzeihen, daß sie aus bloßer Langweile lese. Hier wäre nun ein Exkurs auszuführen, der die gegen Ende dieses ersten Kapitels vom ›Autor‹ Lebrecht gezogene, letzte Karte gebührend würdigte. Die »schöne Leserin«, für den Poeten das Idealbild der schönen weiblichen Seele, die ihm auch noch die Treue hält, wenn ihn alle seine männlichen Leser schon aus verzweifelter Langweile im Stich gelassen haben mögen, fügt sich genau ein in die »Verteilung der Geschlechter aufs Aufschreibsystem von 1800«35, die Friedrich A. Kittler in der Dichotomie von männlicher Funktion Autor einerseits und weiblicher Funktion Leserin andererseits sieht. Die Leserinnen, dem tätigen Leben außer Haus entzogen, bilden den Hauptteil des Publikums, den es zu gewinnen gilt, wenn man zu einer Autorpersönlichkeit werden will, von der gerade erwartet wird, daß sie »recht viel von sich selbst sprechen« soll. Auch der fiktive Schriftsteller Lebrecht weist ziemlich unglaubwürdig das auf den bloßen Autornamen gegründete positive Vorurteil zurück, das in jenen Jahren im Goethe-Kult der Salons seinen ersten Höhepunkt erreicht (und Tieck wird selber in seinen ab 1828 erscheinenden »Schriften« eine »Werkpolitik«36 verfolgen, die die Kontinuität seines Schaffens in Goethe-Konkurrenz stellt). Die erste und größte Sorge bereitet dem noch nicht zum Markenzeichen aufgestiegenen Autor der Erfolg beim lesenden Verleger (oder dem das Programm auswählenden Lektor). So richten sich die letzten Hoffnungen, die Lebrecht in seine »schöne Leserin« setzt, hier noch ganz bescheiden auf den Wunsch, nur überhaupt gelesen zu werden. Der Höhepunkt an Schmeichelei verbindet sich mit der kaum verhehlten Heuchelei des Bescheidenheitstopos, der allerdings im Falle des Lebrecht nicht den interessanten Stoff der vermeintlichen Unfähigkeit, diesen zu meistern, entgegenstellt, sondern eher die stilistische Bravour in den parodistischen Passagen vorführt, um sich zugleich für das Uninteressante, Unspektakuläre des angekündigten Stoffes zu entschuldigen. Der schönen, gebildeten, d.h. aufgeklärten Leserin wird viel zugemutet: Sie soll sich auf eine Erzählung ohne dramatische Spannungsmomente einstellen und diese dennoch bzw.

33

34 35 36

Tieck: Schriften, Bd. 14, S. 166 (de Bruyn emendiert zu »Leserin«, Tieck: Die männliche Mutter, S.153). Vgl. dazu Lausberg: Handbuch der literarischen Rhetorik, §§ 761–763. Kittler: Aufschreibsysteme 1800–1900, S. 154. Vgl. Markus: Werkpolitik.

Tiecks geneigter Leser

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gerade deshalb lesen und als Antidot gegen ihre Langeweile goutieren können, und, letztes provokantes Motiv, als Höhepunkt in der Reihe der Erwartungsenttäuschungen gedacht, zudem den Autor – eben nicht Tieck, sondern Lebrecht – im protestantischen Preußen und dazu auch noch in Nicolais Verlag als Katholiken akzeptieren, denn daß er dieses Bekenntnis überhaupt noch für nötig halte, stehe ja im krassen Gegensatz zum aufklärerischen Toleranzprinzip, nach welchem man, wie er bissig bemerkt, »selbst« anfange, »die Juden nicht mehr für eine andere Art von Menschen zu halten«37. So hat Tieck unter der versteckten Form der fiktiv-auktorialen Leserapostrophe alle möglichen wahrscheinlichen und unwahrscheinlichen Erwartungen parodistisch skizziert und zurückgewiesen, seinen Lesern, seinem Leser und vor allem seiner Leserin auf unverblümte Art geschmeichelt und ihm zugleich die schlimmsten ideologischen Vorurteile und primitivsten Lektürebedürfnisse unterstellt, alles in der Furcht, im Grunde doch nicht zu wissen, woran er mit seinem »sogenannten geneigten Leser« eigentlich sei und ob es ihm gelingen werde, ihn bei der Stange zu halten. Immerhin bleibt dem Autor am Ende ein kleiner Trost und für den Leser ein großes – meiner Meinung nach im Fall des Lebrecht keineswegs gehaltenes – Versprechen: »Diejenigen, die dies erste Kapitel gelesen haben, werden wahrscheinlich auch die folgenden lesen, denn ich habe mit Vorbedacht das langweiligste vorangestellt.«38

37 38

Tieck: Schriften, Bd. 14, S. 167. Ebenda, S. 168.

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Darstellungen

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Wingertszahn, Christof: Pop im Spree-Athen? Achim von Arnims »herzfressende Zauberin« Melück Maria Blainville. – In: Iwan D’Aprile, Marin Disselkamp und Claudia Sedlarz (Hrsg.): Tableau de Berlin. Beiträge zur »Berliner Klassik« (1786–1815). Hannover: Wehrhahn 2005 (Berliner Klassik. 10), S. 409–427. Wingertszahn, Christof: Der verlorene Faden. Die Quelle von Achim von Arnims Erzählung »Frau von Saverne«. – In: Steffen Dietzsch und Ariane Ludwig (Hrsg.): Achim von Arnim und sein Kreis. Berlin, New York: Gruyter 2010 (Schriften der Internationalen Arnim-Gesellschaft. 8), S. 57–82. Winko, Simone: Emotionskodes und Lyrikgeschichte. Zum Verhältnis von Kontinuität und Differenz in der deutschsprachigen Lyrik zwischen 1800 und 1900. – In: Steffen Martus, Stefan Scherer und Claudia Stockinger (Hrsg.): Lyrik im 19. Jahrhundert. Gattungspoetik als Reflexionsmedium der Kultur. Bern: Peter Lang 2005 (Publikationen zur Zeitschrift für Germanistik. 11), S. 124–140. Winko, Simone: Kodierte Gefühle. Zu einer Poetik der Emotionen in lyrischen und poetologischen Texten um 1900. Berlin: Erich Schmidt 2003 (Allgemeine Literaturwissenschaft – Wuppertaler Schriften. 7). Wirth, Uwe: Das Vorwort als performative, paratextuelle und parergonale Rahmung. – In: Jürgen Fohrmann (Hrsg): Rhetorik. Figuration und Performanz. Stuttgart, Weimar: Metzler 2004 (Germanistische Symposien-Berichtsbände. 25), S. 603–628. Wolf, Gerhard: Verehrte Füße. Prolegomena zur Geschichte eines Körperteils. – In: Claudia Benthien und Christoph Wulf (Hrsg.): Körperteile. Eine kulturelle Anatomie. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag 2001 (Rowohlts Enzyklopädie. 642), S. 500–523. Wolf, Werner: Ästhetische Illusion und Illusionsdurchbrechung in der Erzählkunst. Theorie und Geschichte mit Schwerpunkt auf englischem illusionsstörenden Erzählen. Tübingen: Niemeyer 1993 (Buchreihe der Anglia. 32). Wolgast, Eike: Phönix aus der Asche. Die Reorganisation der Universität Heidelberg zu Beginn des 19. Jahrhunderts. – In: Friedrich Strack (Hrsg.): Heidelberg im Säkularen Umbruch: Traditionsbewußtsein und Kulturpolitik um 1800. Stuttgart: Klett-Cotta 1987 (Deutscher Idealismus. 12), S. 35–60. Wuthenow, Ralph-Rainer: Die gebändigte Flamme. Zur Wiederentdeckung der Leidenschaften im Zeitalter der Vernunft. Heidelberg: Winter 2000 (Beiträge zur neueren Literaturgeschichte. 178). Zach, Wolfgang: Poetic justice. Theorie und Geschichte einer literarischen Doktrin. Begriff – Idee – Komödienkonzeption. Tübingen: Niemeyer 1986 (Buchreihe der Anglia. 26). Ziegler, Edda: Die große Frauenfrage. Zu Heines Mädchen und Frauen. – In: Joseph A. Kruse (Hrsg.): »Ich Narr des Glücks«. Heinrich Heine 1797–1856. Bilder einer Ausstellung. Unter Mitwirkung von Ulrike Reuter und Martin Hollender. Stuttgart, Weimar: Metzler 1997, S. 373– 375. Ziegler, Vickie: Arnims Amazonen. – In: Michael Andermatt (Hrsg.): Grenzgänge. Studien zu L. Achim von Arnim. Bonn: Bouvier 1994 (Modern German studies. 18), S. 169–186. Ziolkowski, Theodore: Heidelberger Romantik. Mythos und Symbol. Heidelberg: Winter 2009.

Register von Agnes Figura

Andersen, Hans Christian 34 Aristoteles 4, 102, 186 Arndt, Ernst Moritz 235 Arnim, Ludwig Achim von 3, 21, 33–51, 53–83, 127–137, 139–168, 171–173, 180, 182–205, 207–241 Artemidor von Daldis 158 Atwood, Margaret 36 Augustinus 202 Barclay de Tolly, Michael Andreas Fürst von 235 Bahrdt, Karl Friedrich 3 Baudelaire, Charles 161 Bauernfeld, Eduard von 100 Baumgarten, Alexander Gottlieb 144–146, 148 Beaumont, Jeanne-Marie Leprince de 34–36 Beireis, Gottfried Christoph 75, 187 Benjamin, Walter 168 Bernhardi, August Ferdinand 190 Blumenbach, Johann Friedrich 209 Blumenberg, Hans 139, 140, 144, 150, 153, 154, 222, 229 Bodmer, Johann Jakob 22 Böhme, Hartmut 7 Boie, Heinrich Christian 22 Börne, Ludwig 88, 94 Breillat, Catherine 36 Brentano, Bettina 189, 190, 192, 203, 217– 219, 221 Brentano, Clemens 36, 55, 132, 151, 171, 185, 186, 188, 193, 202, 205, 207, 209, 224, 244 Brontë, Emily 246, 247 Burgsdorff, Wilhelm von 164 Burke, Edmund 205 Canova, Antonio 90, 96 Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach 156 Carter, Angela 36 Cicero 137

Coleridge, Samuel Taylor 157 Creuzer, Friedrich 21, 28–31, 219 Darmancour, Pierre 35 Daum, Gottfried Adolph 189 Deinhardstein, Johann Ludwig 100 Descartes, René 102, 186, 216, 227, 228 Dickens, Charles 244 Diderot, Denis 13, 80, 81 Doblhoff-Dier, Anton von 99 Döblin, Alfred 243, 244 Driesch, Hans 209 Eco, Umberto 244 Eichendorff, Joseph von 105, 128–130, 136, 137, 153, 185, 186, 188, 223 Elias, Norbert 57 Engels, Friedrich 164 Enzensberger, Hans Magnus 205 Epikur 186, 187 Feuchtersleben, Ernst Freiherr von 99–111 Fichte, Johann Gottlieb 21, 28, 233–235 Figuera, Dorothy M. 21 Foucault, Michel 71 Fouqué, Caroline de la Motte, 14, 130 Fouqué, Friedrich de la Motte, 34 François-Poncet, Jean 233 Frank, Manfred 227, 231 Freud, Sigmund 41, 90, 199 Friedrich II. von Preußen (Friedrich der Große) 36 Friedrich, Caspar David 156 Fries, Jakob Friedrich 149, 150 Gall, Franz Joseph 191 Garve, Christian 204 Genette, Gérard 247, 249 Gerard, Alexander 204 Gleich, Josef Alois 103, 104 Goethe, Johann Wolfgang 7, 8, 18, 19, 21– 31, 56, 69– 83, 100, 101, 103, 115–126,

274 131, 132, 137, 149, 154, 171, 173, 174, 176–178, 180–182, 184, 250 Görres, Joseph 219, 231 Göschen, Georg Joachim 12 Gottsched, Johann Christoph 6 Graevenitz, Gerhard von 128, 132 Grillparzer, Franz 99, 100, 105 Grimm, Jacob 33, 182 Grimm, Jacob und Wilhelm 33, 36, 39–42 Grimm, Wilhelm 129, 171 Grosse, Carl Friedrich August 244, 245 Grün, Anastasius 100 Gumbrecht, Hans Ulrich 208 Günderrode, Karoline von 21–31 Gutzkow, Karl 92, 93, 95 Hablik, Wenzel 156 Haller, Albrecht von 228 Hardenberg, Karl August Freiherr von 234 Hartley, David 187 Hartmann, Phillip Carl 102 Hazlitt, William 157, 158 Hazzi, Joseph Ritter von 191 Hedenast, Gustav 245 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 27, 190 Heine, Heinrich 85–97, 108, 164 Heraklit 210 Herder, Johann Gottfried 7, 25, 36, 54, 100, 101, 103, 171, 172, 181, 190, 203, 217, 226–228, 234 Hippel, Theodor Gottlieb von 234 Hobbes, Thomas 164, 165 Hoffbauer, Johann Christoph 187 Hoffmann, E.T.A. 153, 155–168, 234 Hofmannsthal, Hugo von 115 Hölderlin, Friedrich 27, 153 Horaz 127, 132, 136, 157, 204 Hufeland, Christoph Wilhelm 103, 209 Humboldt, Alexander von 209, 228 Humboldt, Wilhelm von 28, 149 Hume, David 187 Hutcheson, Francis 5 Iser, Wolfgang 231 Jacobi, Friedrich Heinrich 149, 150 Jean Paul 155, 180, 182, 184 Jaubert, Caroline 87 Jeismann, Michael 234 Jung, C. G. 48

Register Kant, Immanuel 18, 101, 139, 143, 144, 148–150, 153, 187, 227, 228 Kittler, Friedrich A. 158, 159, 250 Kleist, Heinrich von 70, 115, 171–184 Klopstock, Friedrich 22 Kluckhohn, Paul 21, 22 Krinitz, Elise 96 Kühne, Ferdinand Gustav 165 Labes, Caroline von 189 Lamartine, Alphonse de 88 La Mettrie, Julian Offray de 188 Lavater, Johann Caspar 126 Leibniz, Gottfried Wilhelm 144 Lenau, Nikolaus 100 Lessing, Gotthold Ephraim 10, 181 Locke, John 186 Luhmann, Niklas 22, 55, 63, 64, 70, 89, 130 Luther, Martin 6, 31, 89, 204 Mailáth von Székhely, Johann Graf 100 Manguel, Alberto 244 Mann, Thomas 157 Mayrhofer, Johann Baptist 100 Medicus, Casimir Friedrich 209 Meier, Georg Friedrich 5 Mellmann, Katja 7, 23, 66 Menzel, Wolfgang 92, 93 Mirat, Augustine Crescence 85, 94 Moering, Renate 195, 216–218 Molière 103 Moore, Thomas 212 Moritz, Karl Philipp 199 Müller, Adam 115, 156 Müller, Johann Gottwert 244 Müller, Wenzel 108 Musil, Robert 105 Napoleon Bonaparte 212, 233–235, 240 Neuhold, Martin 219, 232 Nicolai, Friedrich 10, 244, 249, 251 Niebuhr, Barthold Georg 240, 241 Nietzsche, Friedrich 155–157, 216 Novalis 7, 28, 31, 149, 153, 203, 205, 232, 247 Ovid 160 Pennac, Daniel 246 Perrault, Charles 35–37, 39–42 Petrarca, Francesco 88, 202

Register Pfizer, Gustav 130, 131 Pockels, Karl Friedrich 187 Prignitz, Christoph 233 Quincey, Thomas de 161 Quintilian 135, 137 Raimund, Ferdinand 99–111 Reichardt, Johann Friedrich 191, 224 Reichardt, Louise 129, 215, 217 Reil, Johann Friedrich 228, 229 Richards, Robert J. 228, 229 Ricklefs, Ulfert 21, 160, 162, 185, 192, 208, 216–219, 232 Ringel, Erwin 108 Rousseau, Jean-Jaques 5, 165, 190, 191, 220, 223, 225, 226, 234 Runge, Philipp Otto 156, 231 Schaub, Uta 26, 27 Scheerbart, Paul 156 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 21, 29, 101, 149, 229, 230 Schiller, Friedrich 3, 4, 8–19, 23, 103, 149, 176–178, 180, 217, 228 Schlegel, August Wilhelm 37, 190, 225, 226 Schlegel, Friedrich 27, 28, 92, 131–133, 149, 157, 205 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst 92, 149 Schlosser, Johann Georg 148, 149 Schnabel, Johann Gottfried 193–196 Schnell, Rüdiger 53, 64, 67, 172 Schober, Franz von 100 Schubert, Franz 100 Schulz, Johann Abraham Peter 210 Schumann, Robert 185 Schwarzer, Alice 85 Schwinck, Auguste 189, 196 Schwinck, Charlotte von 189, 197 Schwind, Moritz von 100 Secker, Wilfried 132 Seidl, Johann Gabriel 100 Seligmann, Franz Romeo 103 Seneca 4 Shaftesbury, Anthony Ashley-Cooper Earl of 5

275 Shakespeare, William 103, 132, 163, 165, 204 Solger, Karl Wilhelm Ferdinand 163 Sonnerat, Pièrre 26 Sonnleithner, Leopold von 100 Spaun, Anton Ritter von 100 Spinoza, Baruch de 101, 102, 186 Staiger, Emil 26, 193 Stanzel, Franz 54, 59, 61, 62, 65, 67 Steen, Jan 90 Stein, Heinrich Friedrich Karl Freiherr vom und zum 235 Sternberg, Thomas 185, 190, 192, 200, 204, 211, 215– 232 Stifter, Adalbert 245 Strauß, Salomon 94 Sulzer, Johann Georg 70, 146, 147, 183 Taut, Bruno 156 Thomasius, Christian 5 Tieck, Ludwig 36, 37, 153, 155–168, 195, 205, 223, 243–251 Uhland, Johann Ludwig 153 Umlauft, Johann 100 Varnhagen von Ense, Karl August 217 Vico, Giovanni Battista (Giambattista) 226 Voß, Johann Heinrich 161, 218, 219, 223 Wackenroder, Wilhelm Heinrich 244, 245 Wagner, Antonie 109 Wagner, Johann Jakob 3 Wagner, Richard 156 Walser, Martin 88 Weber, Max 156 Wehler, Hans Ulrich 233 Werfel, Franz 246 Wieland, Christoph Martin 22, 103 Wilm, Marie-Christin 18 Winckelmann, Johann Joachim 125 Winkelmann, Stephan August 140–144, 153, 154 Winko, Simone 22, 33, 208 Wohl, Jeanette 94 Wolff, Christian 3, 144 Wolfram von Eschenbach 167 Wordsworth, William 157

Verzeichnis der Beiträgerinnen und Beiträger

Dr. Antje Arnold • Universität zu Köln • Institut für deutsche Sprache und Literatur I • AlbertusMagnus-Platz • D–50923 Köln Prof. Dr. Barbara Becker-Cantarino • Ohio State University • Department of Germanic Languages and Literatures • 336 Hagerty Hall • 1775 College Road • Columbus, Ohio 43210 • USA Urs Büttner • Schwabstrasse 4 • D–72074 Tübingen Prof. Dr. Roswitha Burwick • Distinguished Chair of Modern Foreign Languages • Scripps College, Department of Foreign Languages and Literatures – German Section • Claremont, CA 91711, USA Dr. Sheila Dickson • 98 Ormonde Crescent • Netherlee • Glasgow • G44 3SW • UK Prof. Dr. Daniel Fulda • Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg • Germanistisches Institut • D–06099 Halle PD Dr. Bernd Hamacher • Universität Hamburg • Institut für Germanistik II • Von-Melle-Park 6 • D–20146 Hamburg Jan Oliver Jost-Fritz • 5885 Nina Pl. 3W • St. Louis, MO 63112 • USA Dr. Hartmut Kircher • Universität zu Köln • Institut für deutsche Sprache und Literatur I • AlbertusMagnus-Platz • D–50923 Köln Dr. Jürgen Knaack • Adlerhorst 24 • D–24558 Henstedt-Ulzburg Prof. Dr. Stefan Nienhaus • Vico Lungo Pontecorvo 29 D IS.B Sc. 20 • I–80135 Neapel PD Dr. Claudia Nitschke • Durham University • School of Modern Languages & Cultures • Elvet Riverside • Durham DH1 3JT • UK Prof. Dr. Dr. h.c. Walter Pape • Universität zu Köln • Institut für deutsche Sprache und Literatur I • Albertus-Magnus-Platz • D–50923 Köln Dr. Gert Theile • Klassik Stiftung Weimar, Abteilung Editionen • Platz der Demokratie 4 • D–99423 Weimar Prof. Dr. Ulrike Tanzer • Universität Salzburg • FB Germanistik • Akademiestraße 20 • A–5020 Salzburg PD Dr. Christof Wingertszahn • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften • Jägerstraße 22/23 • D–10117 Berlin