Arnim und die Berliner Romantik: Kunst, Literatur und Politik: Berliner Kolloquium der Internationalen Arnim-Gesellschaft [Reprint 2011 ed.] 9783110952032, 9783484108332

The third colloquium of the International Arnim Society situates Achim von Arnim in the political, culture-political, an

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German Pages 263 [264] Year 2001

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Table of contents :
Vorwort
BILDUNG UND POLITIK
Deutschland in Not: Fichtes und Arnims Appelle zur Rettung des Vaterlandes
Arnim und Varnhagen: Literarisch-publizistische Partnerschaft und Rivalität im Kampf um die ‚deutsche Nation‘ 1806–1814
Achim von Arnim, der Preußische Correspondent und die Spenersche Zeitung in den Jahren 1813 und 1814
Die Kronenwächterin: Ludwig Achim von Arnim und Bettine von Arnims politisches Werk
Arnims „Judengeschichte“: Eine biographische Rekonstruktion
BERLINER ROMANTIK, ROMANTIKER IN BERLIN
Die romantische Strömung in der Berliner Kunst
Dorothea Veit-Schlegel als Schriftstellerin und die Berliner Romantik
Kleist und die Romantik
Eichendorff und die Romantik in Berlin 1809/1810
Arnim und Tieck
STUDIEN ZU ARNIM IM KONTEXT DER BERLINER ROMANTIK
Fraternale Kunstproduktion und romantische Kunstkritik: Clemens Brentanos Gedicht „O wie so oft“
Paralleltexte: Zu den kleineren Arbeiten Arnims und Brentanos 1810/11
„Eine Impertinenz“: Rahel Levin liest Achim von Arnim
Abbildungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Register
Verzeichnis der Beiträgerinnen und Beiträger
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Arnim und die Berliner Romantik: Kunst, Literatur und Politik: Berliner Kolloquium der Internationalen Arnim-Gesellschaft [Reprint 2011 ed.]
 9783110952032, 9783484108332

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Schriften der Internationalen Arnim-Gesellschaft Band 3

Arnim und die Berliner Romantik: Kunst, Literatur und Politik Berliner Kolloquium der Internationalen Arnim-GeSeilschaft Herausgegeben von Walter Pape

Max Niemeyer Verlag Tübingen 2001

Umschlagabbildung:

»Karl Friedrich Hampe. Wasserfahrt einer Familie auf der Spree bei Berlin. 1826«.

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Amim und die Berliner Romantik: Kunst, Literatur und Politik : Berliner Kolloquium der Internationalen Arnim-Gesellschaft / hrsg. von Walter Pape. - Tübingen: Niemeyer, 2001 (Schriften der Internationalen Arnim-Gesellschaft; Bd. 3) ISBN 3-484-10833-9

ISSN 1439-7889

© Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 2001 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Satz: Walter Pape, Köln Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Einband: Nadele Industrie- und Verlagsbuchbinderei, Nehren

Inhalt

Vorwort

VII

BILDUNG UND POLITIK Klaus Peter Deutschland in Not: Fichtes und Arnims Appelle zur Rettung des Vaterlandes Konrad Feilchenfeldt Arnim und Varnhagen: Literarisch-publizistische Partnerschaft und Rivalität im Kampf um die .deutsche Nation1 1806-1814

23

Jürgen Knaack Achim von Arnim, der Preußische Correspondent und die Spenersche Zeitung in den Jahren 1813 und 1814

41

Ulrike Landfester Die Kronenwächterin: Ludwig Achim von Arnim und Bettine von Arnims politisches Werk . . . 53 Hildegard Baumgart Arnims „Judengeschichte": Eine biographische Rekonstruktion

71

BERLINER ROMANTIK, ROMANTIKER IN BERLIN Helmut Börsch-Supan Die romantische Strömung in der Berliner Kunst

97

Barbara Becker-Cantarino Dorothea Veit-Schlegel als Schriftstellerin und die Berliner Romantik

123

Bernd Fischer Kleist und die Romantik

135

VI

Inhalt

Sibylle von Steinsdorff Eichendorffund die Romantik in Berlin 1809/1810

153

Roger Paulin Arnim und Tieck

171

STUDIEN zu ARNIM IM KONTEXT DER BERLINER ROMANTIK Kristina Hasenpflug Fraternale Kunstproduktion und romantische Kunstkritik: Clemens Brentanos Gedicht „O wie so oft"

183

Holger Schwinn Paralleltexte: Zu den kleineren Arbeiten Amims und Brentanos 1810/11

201

Barbara Hahn „Eine Impertinenz": Rahel Levin liest Achim von Arnim

223

Abbildungsverzeichnis

233

Literaturverzeichnis

235

Register

247

Verzeichnis der Beiträgerinnen und Beiträger

252

Vorwort

„In Berlin scheint außer dem individuellen Verdienst bekannter Meister der Naturalismus mit der Wirklichkeits- und Nützlichkeitsforderung zu Hause zu sein und der prosaische Zeitgeist sich am meisten zu offenbaren. Poesie wird durch Geschichte, Charakter und Ideal durch Porträt, symbolische Behandlung durch Allegorie, Landschaft durch Aussicht, das allgemein Menschliche durch's Vaterländische verdrängt." Was Goethe hier 1800 in den Propyläen über die Berliner bildende Kunst sagt, ist zweifellos pauschal, und für die literarischen Romantiker und Romantikerinnen in Berlin von Arnim bis Tieck nur bedingt zutreffend. Bereits Eichendorff rechnete Amim „zu den seltenen Dichternaturen, die, wie Goethe, ihre poetische Weltansicht jederzeit von der Wirklichkeit zu sondern wissen, und daher besonnen über dem Leben stehen und dieses frei als ein Kunstwerk behandeln." (Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands.) Zwei der drei gebürtigen Berliner Romantiker, Amim und Tieck, kehrten ihrer Vaterstadt relativ früh den Rücken, diesen allerdings (und andere .Romantiker' wie die Grimms, Schelling und Savigny) rief der Romantiker auf dem Königsthron 1841 zurück. Nur der dritte der gebürtigen Berliner, der studierte Jurist Wilhelm Heinrich Wackenroder, blieb sein kurzes Leben dort. Lediglich die Frauen hält es länger: Bettine von Amim zieht der gemeinsamen Ehe in Wiepersdorf das Berliner Leben vor, und Rahel Varnhagen wird zur bedeutendsten Frau der Berliner Romantik. Die anderen Romantiker, die Berlin zeitweise zu einem Zentrum der neuesten Literatur machten, hielten sich ebenfalls nur vorübergehend dort auf: so Heinrich von Kleist, so August Wilhelm und Friedrich Schlegel, der Brendel Veit, die zweite Tochter des Berliners Moses Mendelssohn als Dorothea im Salon von Henriette Herz kennen und lieben lernt, so aber auch Eichendorff. Berlin blieb auch als Ort der Romantik ein Ort der Aufklärung: Politik und Bildung, gebildete und schreibende Frauen mit ihren Salons prägten das kulturelle Leben. Politische Romantik hieß in Berlin preußische Reform, hieß 1810 auch Gründung der Universität mit ihrer Humboldtschen Absage an den Utilitarismus in der Bildung. Der Widerspruch zwischen literarischem und politischem Leben, zwischen kulturellem Anspruch und alltäglicher Wirklichkeit war aber jedoch auch hier weiter zu spüren. Nicht bloß in der öffentlichen Diskussion vom Herbst 1810 über die Anwesenheit zahlreicher „öffentlicher Mädchen" im Universitätsbezirk um das Prinz-Heinrich-Palais. Arnim selbst griff in die Debatte ein, und stellte fest, daß „für eine Universität in Berlin [...] diese Gerüchte besonders nachteilig" seien: „viele öffentliche Blätter sprachen von der Gefahr, die Jugend nach

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Vorwort

einem so verderbten Orte hinzuführen" (Betrachtung über ein allgemeines Stadtgespräch, Hs GSA 99,5). Berlin war noch lange keine europäische .Hauptstadt'; zwischen deutscher Provinzialität und dem Anspruch, ein kulturelles Zentrum zu sein, klaffte noch lange ein Widerspruch. In einer seiner Tischreden, Ende 1811, Anfang 1812, heißt es bei Arnim: „[...] denn so viel Gelehrte in Berlin leben, so viele andre schreiben und lesen, dennoch ists ein unliterarischer Ort und Bücher stets schwer zu bekommen." Überdies konnte eine Stadt wie Berlin nicht bloß einer literarischen oder kulturellen Richtung verschrieben sein; noch Theodor Fontäne beschreibt in Schach von Wuthenow die kontroversen Reaktionen auf ein erzromantisches Stück wie Zacharias Werners Luther-Drama Die Weihe der Kraft zutreffend: „Alles, was mystisch-romantisch war, war für, alles, was freisinnig war, gegen das Stück." Die .realen' Spuren Achim von Arnims in Berlin sind verschwunden; sein Geburtshaus, Quarre Nr. 4 (Viereck Nr. 4), seit 1814 Pariser Platz, steht ebensowenig mehr wie das Joachimsthalsche Gymnasium in der Burgstraße, in das Arnim 1793 eintrat. Auch Haus und Straße „Hinter der katholischen Kirche Nr. 2", wo er 1804 zunächst wohnte, gibt es nicht mehr, ebenso wie das Levische Haus hinter dem Packhofe, auf dem heute die Nationalgalerie steht. 1809, nach der Rückkehr aus Heidelberg wohnte Arnim bei seinem Jugendfreund Pistor in der Mauerstraße 34 eine Zeitlang zusammen mit Brentano - Kleists Adresse war Mauerstraße S3. Nach der Heirat beziehen die Arnims das Gartenhaus des Staatsministers Otto Carl Friedrich von Voß, im Haus am Wilhelmsplatz, bis sie im September 1813 für kurze Zeit in der Wohnung von Savigny am Monbijouplatz leben. Geblieben sind die Spuren der Berliner Romantik, die gleichzeitig die Spuren der Anfänge des modernen deutschen Staates und des modernen Bildungswesens sind. Das erste Kolloquium der Internationalen Arnim-Gesellschaft, Universelle Entwürfe - Integration - Rückzug. Arnims Berliner Zeit (1809-1814). konzentrierte sich enger auf Arnims Berliner Jahre im Kontext der Geschichte Preußens und der Befreiungskriege. Das dritte Kolloquium, Berliner Romantik: Arnim und die Kunst, Literatur und Politik der Zeit, dessen Ergebnisse hier vorgelegt werden, versucht hingegen den größeren Kontext ins Auge zu fassen, will nicht nur die Verbindungen Arnims zu seinen Zeitgenossen herausarbeiten, sondern Arnim von seiner Umgebung her sehen. Und deshalb müssen viele der zentralen Werke und Aktivitäten Arnims, die in diesen fruchtbaren Jahren entstanden, in den Hintergrund treten. Die Gründung der Christlich Teutschen Tischgesellschaft, die Mitarbeit an den von Kleist herausgegebenen Berliner Abendblättern, die Redaktion des Preußischen Korrespondenten und seine Tätigkeit als Hauptmann und Vizechef eines Bataillons des Berliner Landsturms verschafften Arnim eine beschränkte, oft nur indirekte politische Betätigung. In literarischer Hinsicht waren die Jahre ungemein produktiv: 1809 erschien Der Wintergarten, ISlQArmuth, Reichthum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores, 1811 Halle und Jerusalem, 1812 die Novellensammlung mit den Erzählungen Isabella von Ägypten, Melück Maria Blainville, Die drei liebreichen Schwestern und Angelika, die Genueserin, Kosmos, der Seilspringer und 1813 der erste Band der Schaubühne. Ökonomisch war dieser Lebens-

Vorwort

IX

abschnitt für Arnim katastrophal. Nach dem Tode seiner Großmutter, die in ihrem Testament einen Fideikommiß zugunsten ihrer Urenkel festlegte, kam Arnim durch seine Heirat mit Bettine zumindest in den Besitz der schwer verschuldeten Güter. Seine desolate finanzielle Lage zwang ihn schließlich 1814 zum Umzug nach Wiepersdorf, wo er die Bewirtschaftung der Güter selbst zu übernahm.

Das Symposion konnte nicht der Vielfalt der Berliner Bezüge Amims nachgehen. Schleiermacher, Wilhelm von Humboldt, Niebuhr und Savigny werden oft nur am Rande erwähnt. Den ersten Teil des vorliegenden Bandes mit dem Thema Bildung und Politik eröffnet Klaus Peter mit seinem Essay Arnims und Fichtes Appelle zur Rettung des Vaterlandes, in dem Arnims Roman Armuth, Reichthum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores (1810) zu Fichtes politischen Schriften, vor allem seine Berliner Reden an die deutsche Nation (1808), in Beziehung gesetzt wird. Die Befreiung des „deutschen" Volkes aus seiner Unmündigkeit, die Politisierung der Gesellschaft, die Beteiligung aller am Staat, die Fichte bereits 1793 gefordert hatte, fanden ein Echo in Arnims Roman. Und wie es Fichte auch nur indirekt um Politik und eigentlich um Moral ging, so sind auch bei Arnim Politik und Moral eng vernetzt. Der „Stand der vollendeten Sündhaftigkeit", Fichtes Charakterisierung des Zeitalters, ist auch das zentrale Thema in Arnims Roman, repräsentiert durch die Gräfin Dolores. Der komplizierten Beziehung zwischen Arnim und Varnhagen geht Konrad Feilchenfeldt in seinem Beitrag Arnim und Varnhagen: Literarisch-publizistische Partnerschaft und Rivalität im Kampf um die .deutsche Nation' 1806-1814 nach. Die Bekanntschaft beider beginnt 1806 mit einer persönlichen Begegnung in Giebichenstein bei Halle im Hause des Komponisten Reichardt und wurde durch Varnhagens Wunsch, am Wunderhorn und der Zeitungför Einsiedler mitzuarbeiten, initiiert. Das Verhältnis blieb nicht ohne Spannungen, zum Teil verursacht durch den Einfluß der Grimms und Arnims Antisemitismus. Feilchenfeldts minuziöse Studie eröffnet erstmals detaillierte Einblicke in das komplizierte Verhältnis beider. Jürgen Knaacks Beitrag Achim von Arnim, der Preußische Correspondent und die Spenersche Zeitung in den Jahren 1813 und 1814 vergleicht die Berichterstattung zweier Zeitungen während der Befreiungskriege und arbeitet heraus, wie Amim formal und inhaltlich einen neuen journalistischen Ton anschlägt und durch die Darstellung des „lebendigen Eindrucks" in Berichten und Nachrichten den Preußischen Correspondenten von einer bloßen „Zeitungsmaschinerie" mit den üblichen trockenen Artikeln deutlich abhebt. Ulrike Landfester geht in ihrem Beitrag Die Kronenwächterin: Ludwig Achim von Arnims und Bettine von Arnims politisches Werk dem komplexen Verhältnis Amims und Bettines in ihrem Verständnis der Nuancierungen der Geschlechtemormen nach, die für Achim eine historisch-kausale, für Bettine eine sozial-pragmatische Notwendigkeit darstellten. Daß die poetologisch-ästhetische Affinität zwischen den beiden Partnern viel größer als bisher angenommen ist, sieht Landfester durch die Editionsarbeit der posthumen Werke Arnims wahrscheinlich gemacht, die kaum Eingriffe Bettines zeigen - ganz im Gegensatz zu ihren eigenen Werken, wo sie keineswegs zimperlich

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Vorwort

mit den Texten umgeht. Den letzten Teil dieses Abschnitts bildet Hildegard Baumgarts Beitrag Arnims „Judengeschichte". Eine biographische Rekonstruktion. Sie dokumentiert Arnims Antisemitismus durch seine Reden in der Tisch-Gesellschaft, vor allem aber durch die genaue Untersuchung der Itzig-Affaire, die in Berlin Aufsehen erregte. Durch Diskussion des biographischen Kontextes versucht Baumgart diesen Antisemitismus zu erklären, der mit dem Gesamtbild des Amimschen Charakters nur schwer vereinbar scheint. Sie schließt mit der Untersuchung der unvollendeten Novelle Begegnung in der Sommerfrische und sieht in ihr den Beleg, daß Amim mit dem Widerspruch von Aggression und Harmonisierungsbedürfnis nicht fertig wurde. Den zweiten Teil des Bandes - Berliner Romantik; Romantiker in Berlin eröffnet Helmut Börsch-Supan mit einem Beitrag über Die romantische Strömung in der Berliner Kunst. Arnims persönliche Bekanntschaft mit Schinkel, Wach, Schadow, seine Zusammenarbeit mit weiteren Künstlern wie Grimm, Ruhl und Runge bei der Illustrationen seiner Werke und Bettinas Unterstützung des geisteskranken Malers Carl Blechen werden eingebettet in einen weiten Überblick über das Romantische in der Kunst des damaligen Berlin. Mit ihrer Studie Dorothea Veit-Schlegel als Schriftstellerin und die Berliner Romantik liefert Barbara Becker-Cantarino einen interessanten Kontrapunkt zur Beziehung Achim-Bettine, die nach Landfester eher durch den Begriff der Affinität charakterisiert werden konnte. Becker-Cantarino versteht Veits Roman Florentin nicht nur als Auseinandersetzung mit der männlich-weiblichen Beziehung im literarischen Schaffen von Partnern, sondern sie interpretiert den Roman auch auf der Grundlage der Zwänge und Widersprüche der Assimilation, des Aufbruchs aus dem jüdischen Elternhaus und Kulturkreis und der Versprechungen, Träume und Sehnsüchte der Zeit. Kleist und Arnim, die ihre Herkunft aus dem verarmenden Teil des preußischen Adels verbindet, werden von Bernd Fischer in seinem Beitrag Kleist und die Romantik auf kulturelle und ökonomische Differenzierungen hin untersucht. Während für Amim der Rückzug in eine zwar bescheidene und reformierte Existenz eines landadligen Grundbesitzers noch möglich ist, bleibt Kleist nur der Weg in die akademische oder freischaffende publizistische Existenz. Auf diesem Hintergrund hinterfragt Fischer Kleists Begriffe von Ironie und Skeptizismus, die sich trotz aller Verschiedenheit mit Arnims Ideen von Entfremdung, materialistischen Beziehungen und Abhängigkeiten auf ökonomischer wie auf existentieller Ebene treffen. Der zeitweise engen Beziehung zwischen Tieck und Arnim, die auf Giebichenstein durch die persönliche Bekanntschaft der beiden intensiviert wurde, geht Roger Paulin nach. Literarische Gemeinsamkeiten und viele persönliche Bekanntschaften täuschen nicht über die Divergenz auf dem Gebiete der Politik hinweg, die nach Paulin auf Tiecks Zweifel an der politischen Realisierbarkeit ihrer Hoffnungen begründet sind und später auch zu einem grundlegenden literarischen und philosophischen Antagonismus der beiden führen sollte. Den dritten Teil Studien zu Arnim im Kontext der Berliner Romantik eröffnet Kristina Hasenpflug mit einer Untersuchung von Motivkomplexen in einer Reihe von Gedichten Brentanos, die einen Text Arnims als Vorlage und Ausgangspunkt haben. In ihrem Aufsatz Fralernale Kunstproduktion und romantische Kunstkritik.

Vorwort

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Clemens Brentanos Gedicht „ O wie so oft" geht sie besonders dem sich wiederholenden Thema von verzweifelter und schließlich enttäuschter Hoffnung auf Erlösung nach und zeigt, wie es sich in eigenen und assoziativ entwickelten Bildern fortsetzt. Dieses von Amim oft praktizierte intertextuelle Verfahren des Verarbeitens fremder und eigener Texte findet sie auch in den von Brentano veröffentlichen Gedichten Luise Hensels. Während die Gedichte zu Arnims Text noch unter dem Einfluß der Romantik stehen, sieht Hasenpflug die Überarbeitung der Henselschen Gedichte als einen Beleg der Überwindung der „esoterischen" Romantik. Weitere Aufschlüsse zur Zusammenarbeit von Arnim und Brentano liefert Holger Schwinn mit seinem Beitrag Paralleltexte: Zu den kleineren Arbeiten Arnims und Brentanos 1810/11. Während die früheren Phasen der Zusammenarbeit die sich ergänzenden Talente der beiden Freunde betonten, sah man nun in Berlin die unterschiedlichen Fähigkeiten und Eigenschaften als eigenen Wert. Schwinn untersucht eine Reihe von Doppeltexten, die mit der parallelen Niederschrift der Kantaten auf den Tod der Königin Luise von Preußen im Juli 1810 begann. Eine formale Zusammenführung des Unterschiedlichen war wohl nicht mehr angestrebt, ein Zusammenhang zwischen den parallel entstandenen Texten wurde bewußt nicht mehr hergestellt. Die Verbindung bestand nicht mehr aus einem gemeinsamen Konzept, sondern rein äußerlich in der gemeinsamen Entstehungssituation, der vergleichbaren literarischen Form und dem jeweils gleichen Thema. Aus dieser Divergenz folgt, daß die kleineren Berliner Arbeiten beider Autoren nicht einzeln, sondern im Kontext interpretiert werden müssen, da Text und Gegentext zu ihrem Verständnis wichtig werden. Barbara Hahns Beitrag „Eine Impertinenz": Rahel Levin liest Achim von Arnim beschließt den Band mit einer detaillierten Untersuchung der von der Arnim-Forschung nur unzureichend wahrgenommenen Beziehung Racheis und Arnims. Ihre Interpretation eines von Rahel aus dem Wunderhorn abgeschriebenen Gedichts legt Zusammenhänge und Kontexte frei, die Rahels Ausruferklären können. Indem sie die Bildlichkeit der Titelblätter des Wunderhorns mit in den Kontext einschließt, gelingt es ihr, nicht nur antisemitische Züge, sondern auch die latente Etablierung einer christlich dominierten und eindeutig männlich determinierten Kultur freizulegen. Barbara Hahn sieht Rahels Reaktion auf das Wunderhorn nicht nur unter einem dezidiert genderspezifischen Blickwinkel, sie stellt auch die „Wunder" der „wunderbaren" Lieder der Sammlung in Frage, indem sie Aspekte der Juden-Diskriminierung durch physiologische Ausgrenzungsmerkmale feststellt und damit in der Tradition der (Berliner) Aufklärung auf die Mißtöne und Dissonanzen der Lieder aufmerksam macht. Mißtöne und Dissonanzen kannte das Berliner Symposion nicht. Vom Senat der Stadt Berlin, der Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften und dem Scripps College, Claremont, großzügig unterstützt, vom Literarischen Colloquium am Wannsee vorzüglich beherbergt, teilweise im Gästehaus der Humboldt-Universität untergebracht, wußten sich die Teilnehmer aus den USA, England und Deutschland dankbar der Berliner literarischen Kultur zugehörig und konnten getrost Heines Rat in den Wind schlagen: „Begegnet dir von ungefähr / Der liebe Gott, und fragt dich: woher / Du seiest? so sage nicht: aus Berlin, / Sag lieber: aus München, oder aus Wien."

BILDUNG UND POLITIK

Klaus Peter

Deutschland in Not: Fichtes und Arnims Appelle zur Rettung des Vaterlandes

In den Jahren um 1800 begann in Europa auch politisch die Moderne: in Frankreich 1789, in Deutschland mit Napoleon. Neu war vor allem die Politisierung großer Teile der Gesellschaft. Der Ständestaat des 18. Jahrhunderts hatte die Bevölkerung, auch das Bürgertum, von allen politischen Entscheidungen ausgeschlossen. Die Politik als Kabinettspolitik spielte sich an den Höfen ab und befand sich fest in den Händen der Fürsten und des Adels. Die Folgen dieser Politik, Kriege zum Beispiel, erschienen der Bevölkerung deshalb wie Naturkatastrophen, die es hinzunehmen galt, ohne nach dem Warum zu fragen. Fast unmöglich war es, Partei zu ergreifen, da die Regierungen nach Gutdünken Bündnisse schlössen und wechselten. So erlebten die Deutschen noch die Koalitionskriege gegen Frankreich zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Der Krieg war ein Übel, das man überleben mußte, gleichgültig, wer siegte oder verlor. Er erschien, wo er den Alltag unterbrach, als überaus lästige, aber vorübergehende Störung. Das änderte sich in Deutschland mit Napoleon, in Preußen am 14. Oktober 1806, dem Tag der vernichtenden Niederlage der preußischen Armeen bei Jena und Auerstedt. Zusammen mit Napoleon hatte die ganze französische Nation gesiegt. Als Volksheer unterschied sich das französische Heer gewaltig von den Söldnerheeren der deutschen Fürsten, die ihm deshalb durchweg unterlegen waren. So wurde mit Napoleon deutlich: Kein Staat konnte sich in der Welt nach der Französischen Revolution behaupten, der allein auf den Fürsten und dessen bezahltes Heer baute. Preußens Untergang als Staat konnte nur knapp vermieden werden. Die neue Entwicklung brach mit dem Politik-Monopol des Absolutismus und machte politische Entscheidungen wie die über Krieg und Frieden zur Sache der Nation, d. h. der ganzen Bevölkerung. Nur der Staat, der seine Bürger am politischen Prozeß beteiligte, konnte hoffen, in der neuen Welt zu bestehen. Anders als bisher waren die Regierungen deshalb von jetzt an gezwungen, ihre Politik zu rechtfertigen. In Preußen verstand man diese Lektion nach Jena und Auerstedt nur allzu gut. Unter der Leitung des Freiherm vom Stein machten sich daher eine Reihe von Reformern daran, den preußischen Staat und das preußische Heer den neuen Erfordernissen anzupassen. In Königsberg, wohin der Hof geflüchtet war, entstanden die Pläne für die bekannten Stein-Hardenbergschen Reformen, die Preußen für das neue Jahrhundert fit machen sollten. Die Politisierung der Gesellschaft war das Ziel, Frankreich das Vorbild. Auch andere deutsche Staaten erkannten die Zeichen der neuen Zeit. Auch Österreich modernisierte. Metternich benutzte erstmals die Presse

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Klaus Peter

für politische Zwecke. Bewußt und gezielt wurden dabei auch Intellektuelle, vor allem Schriftsteller eingesetzt, zum Beispiel Friedrich Schlegel und Adam Müller. Auch in Preußen trugen namhafte Schriftsteller zur Politisierung der Gesellschaft bei; zu ihnen gehörten Ernst Moritz Arndt, Theodor Kömer, Heinrich von Kleist, auch Adam Müller, aber vor allem auch Johann Gottlieb Fichte und Achim von Arnim.1 Beide, Fichte und Arnim, hatten, wie viele andere, die Neutralitätspolitik Preußens seit dem Sonderfrieden von Basel 1795 mißbilligt und verurteilten 1806 das lange Zögern des Königs, mit Napoleon zu brechen. Sie unterstützten beide, als es so weit war, die Vorbereitungen für den Krieg: Fichte gab Geld für Soldatenmäntel, Arnim ließ auf eigene Kosten gedruckte Flugblätter mit Kriegsliedern unter die Soldaten verteilen. Auch plante er unter dem Titel „Der Preuße" eine Tageszeitung, die jedoch wegen des Kriegsausbruchs nicht mehr zustande kam. Wie der Hof flüchteten beide dann vor den siegreichen Franzosen nach Königsberg und setzten dort ihre patriotischen Aktivitäten fort. Beide gehörten zum Kreis der Modernisierer. Und in diesem Kontext entstanden in den folgenden Jahren, in denen Preußen von den Franzosen besetzt war, ihre in dieser Zeitspanne wichtigsten Werke: Fichtes Berliner Reden an die deutsche Nation (1808) und Amims Roman Armut, Reichtum. Schuld und Buße der Gräfin Dolores (1810). Auf diese beiden Werke möchte ich im folgenden näher eingehen. Bei Fichte hatte das Engagement für die Politik freilich nicht erst mit Napoleon begonnen. 1793 hatte er, allerdings anonym, zwei Schriften publiziert, mit denen er für die Französische Revolution warb: Zurückforderung der Denkfreiheit von den Fürsten Europens, die sie bisher unterdrückten und Beitrag zur Berichtigung der Urteile des Publikums über diefranzösische Revolution. Bereits der Titel verrät die Stoßrichtung der ersten Schrift: bekämpft wird der Absolutismus des Ancien regime. Aber nicht die Fürsten zu entthronen war das Ziel; zur Debatte stand vielmehr die Erziehung der Völker zur Mündigkeit, die der Absolutismus ihnen vorenthielt. Fichte: „Eure Fürsten haßt darum nur nicht; euch selbst solltet ihr hassen. Eine der ersten Quellen eures Elendes ist die, daß ihr von ihnen, und ihren Helfern viel zu hohe Begriffe habt."2 Die Erziehung der Völker zur Mündigkeit, die nach Fichte von der Revolution in Frankreich eingeleitet worden war, sollte von dort aus die ganze Welt erfassen. Daher beginnt die zweite Schrift, der Beitrag, mit der lapidaren Erklärung: „Die französische Revolution scheint mir wichtig für die gesamte Menschheit."3 Die Revolution sollte die Menschheit unterrichten in „Menschenrecht und Menschenwert". Schon im Kindergarten müßte diese Erziehung beginnen. Nur wenn das Volk über seine Rechte und Pflichten unterrichtet sei, ließe sich der Despotismus wirkungsvoll bekämpfen und überwinden. Und nur so könne der gewaltsame Umsturz vermieden werden.

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3

Vgl. hierzu Johnston: Der deutsche Nationalmythos. Ursprung eines politischen Programms. Fichte: Zurückforderung der Denkfreiheit von den Fürsten Europens, die sie bisher unterdrückten - Schriften zur Revolution, S. 56. Fichte: Beitrag zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die französische Revolution - Schriften zur Revolution, S. 81.

Deutschland in Not

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Unter völlig veränderten politischen Umständen, in dem von den Franzosen besetzten Preußen, erneuerte Fichte im Winter 1807/08 in Berlin sein Plädoyer für die Erziehung: In seinen Reden an die deutsche Nation ist sein pädagogischer Elan ungebrochen. Statt gegen den Absolutismus argumentierte er nun allerdings gegen die Herrschaft Napoleons. Das Volk, das aus seiner Unmündigkeit befreit werden sollte, ist das deutsche. Die Politisierung der Gesellschaft, die Beteiligung aller am Staat, die Fichte 1793 gefordert hatte, war auch jetzt das Ziel. Und wie er 1793 riskierte, in Deutschland als Jacobiner verhaftet und verurteilt zu werden, so mußte er 1807/08, im besetzten Berlin, die Polizei Napoleons fürchten. Kurz vorher hatte Napoleon den Buchhändler Palm, weil er die Schrift Deutschland in seiner tiefen Erniedrigung verlegt hatte, hinrichten lassen. Mut bewies Fichte auf jeden Fall. Freilich war sein Plädoyer für die Freiheit weder 1793 noch 1807/08 direkt politisch. Wie er 1793 in Deutschland nicht zum Sturz der Fürsten aufrief, so plädierte er jetzt nicht für die Erhebung gegen Napoleon. Damals und jetzt ging es allein um Erziehung, nicht um eine bestimmte politische Aktion. Wenn die Deutschen über ihre Rechte und Pflichten unterrichtet seien, so Fichte, dann sei dies auch zum Vorteil der Franzosen. So behauptete er bereits in der ersten Rede, „daß nämlich, was die Gefahr anbelange, bei unserm Vorschlag durchaus keine sei, indem es der eigene Vorteil der über uns gebietenden Gewalt erfordere, die Ausführung jenes Vorschlags eher zu befördern als zu hindern".4 Im Sinne seiner Schriften von 1793 hätte er hinzufügen können, daß es die Franzosen selbst waren, die 1789 die Erziehung einleiteten, die er verlange. Wie 1793 ging es Fichte auch 1807/08 nur indirekt um Politik; sein eigentliches Thema war die Moral. Hier ist an die Rolle der Moral im Absolutismus des 18. Jahrhunderts zu erinnern. Die Politik war, wie gesagt, das Privileg der Fürsten und des Adels. Zugleich aber wuchs, gefördert von der Politik, die ökonomische Bedeutung des Bürgertums. Ausgeschlossen von der Politik wurde das Bürgertum zum Anwalt der Moral. Das Gesetz des Staates und das Gesetz der Moral, das Sittengesetz, traten in Konkurrenz zueinander. Dabei operierte die Moral indirekt immer auch politisch, insofern sie auch die Fürsten und den Adel dem Sittengesetz unterwarf.5 Fichte war am Ende des 18. Jahrhunderts in Deutschland der radikalste Verfechter dieser Moral. Vergleichbar mit Robespierre in Frankreich erhob er die Tugend zum Maßstab auch der Politik. Er hatte sich damit 1793 als Repräsentant der Revolution in Deutschland gesehen. Im Namen der Moral verurteilte er deshalb in den Revolutionsschriften alle bisherige Politik: Man sieht es ja freilich unsem Staatsverfassungen, und allen Staatsverfassungen, die die bisherige Geschichte kennt, an, daß ihre Bildung nicht das Werk einer verständigen kalten Beratschlagung, sondern ein Wurf des Ungefähr, oder der gewaltsamen Unterdrückung war. Sie gründen sich alle auf das .Recht des Stärkeren'. [...] Daß aber .rechtmäßigerweise' eine bürgerliche Gesellschaft sich auf nichts anderes gründen kann, als auf einen Vertrag zwischen ihren Mitgliedern, und daß jeder Staat völlig ungerecht verfahre, und gegen das erste Recht 4 5

Fichte: Reden an die deutsche Nation, S. 24, Zu der Konkurrenz zwischen Politik und Moral im 18. Jahrhundert vgl. Koselleck: Kritik und Krise. Zur Pathogenese der bürgerlichen Welt.

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Klaus Peter der Menschheit ,an sich' sündige, wenn er nicht wenigstens hinterher die Einwilligung jedes einzelnen Mitgliedes zu jedem, was in ihm gesetzlich sein soll, sucht, ist ohne Mühe auch dem schwächsten Kopfe einleuchtend darzutun. - Steht nämlich der Mensch, als vernünftiges Wesen, schlechthin und einzig unter dem Sittengesetze, so darf er unter keinem ändern stehen, und kein Wesen darf es wagen, ihm ein anderes aufzuerlegen.6

Nur unter der Bedingung, so Fichte, daß er allein dem Sittengesetz und keinem anderen Gesetz gehorcht, ist der Mensch frei. In der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, seinem philosophischen Hauptwerk von 1794, lieferte er die philosophische Begründung dieser Freiheit. Ging er bei diesen Überlegungen von der Philosophie der Aufklärung, vor allem Kants, aus, so verstand er seine Philosophie auch, wie er ausdrücklich versicherte, in engem Zusammenhang mit der Revolution in Frankreich. Die Moral sollte an die Stelle der Politik treten und damit erstmals in der Geschichte die .absolute' Freiheit des Menschen garantieren. Die Illusion, daß in Frankreich mit der Revolution die Moral über die Politik gesiegt habe, währte jedoch nicht lange. Der Verlauf der Revolution bewies, daß das „Recht des Stärkeren" ungebrochen fortbestand. Das demonstrierten schließlich auch die Eroberungskriege Napoleons. Fichte sah sich gezwungen, die historische Rolle der Moral, auf die er unbeirrt baute, neu zu konzipieren. Den Versuch dazu unternahm er in einer Serie von 17 Vorlesungen, die er im Winter 18041805 in Berlin öffentlich vortrug. Unter dem Titel Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters erschienen diese Vorlesungen 1806 als Buch. Fichte beschreibt hier die Geschichte der Menschheit als den Weg von vergangener Unfreiheit zu künftiger Freiheit in drei Haupt- und zwei Nebenstufen oder Zeitaltem. Aus der chiliastischen Tradition des Christentums übernahm er wie schon die Frühromantik und dann auch Hegel das geschichtsphilosophische Konzept, das die Gegenwart als Übergang vom Naturgesetz, der Unfreiheit, zum Sittengesetz, der Freiheit, begreift. In diesem Sinne verstand auch Fichte noch, wie das 18. Jahrhundert, die Geschichte als Fortschritt. Entscheidend ist nun aber, daß das gegenwärtige Zeitalter in äußerst problematischem Zustand erscheint. Die Menschheit hat auf ihrem Weg zur Freiheit zwar das Naturgesetz hinter sich gelassen und ist insofern mündig geworden, aber sie hat das Sittengesetz, die völlige oder absolute Freiheit, noch nicht erreicht. Als Folge davon herrscht in dem gegenwärtigen Zeitalter, so Fichte, die „absolute Gleichgültigkeit gegen die Wahrheit" und die völlige „Ungebundenheit ohne einigen Leitfaden".7 Alle Bereiche der Gesellschaft und Kultur seien davon geprägt. Es fehle jedes Bewußtsein von einem Ganzen der Gattung, stattdessen dominiere „die bloße nackte Individualität". Das isolierte Individuum werde beherrscht durch den „Trieb der Selbsterhaltung und des Wohlseins". In der Verfolgung seiner niederen Interessen entfalte der Mensch eine bis dahin unbekannte „Kunstfertigkeit", die schließlich zum Maßstab alles Strebens werde. So Fichte: Beitrag zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die französische Revolution - Schriften zur Revolution, S. 117. Zum Thema Fichte und die Revolution vgl. Buhr: Revolution und Philosophie; und Buhr/Losurdo: Fichte - die Französische Revolution und das Ideal des ewigen Friedens. Fichte: Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters, S. 21,

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richte sich das Interesse wesentlich auf das „unmittelbar und materiell Nützliche", d. h. auf das, was „zur Wohnung, Kleidung, und Speise" dienlich ist. Die Mode bestimme, was als gut und schön zu gelten habe.8 Das „gegenwärtige Zeitalter", so behauptete Fichte deshalb, sei das Zeitalter im „Stand der vollendeten Sündhaftigkeit", mit anderen Worten: Es markiere einen moralischen Tiefstand.9 Auf das Zeitalter, in dem das Naturgesetz und die Naturkraft als „dunkler Instinkt"10 geherrscht hatten, für Fichte deshalb der „Stand der Unschuld des Menschengeschlechts"," folgte, als Übergang, das zweite Zeitalter, und dann eben das dritte, das die Gegenwart charakterisieren soll. Alle traditionellen Bindungen der Religion und der Moral sind in diesem dritten Zeitalter zerstört, neue Bindungen auf der Basis des Sittengesetzes, der Freiheit, noch nicht in Sicht. Der Fortschritt zum vierten und schließlich fünften Zeitalter steht als Aufgabe der Menschheit bevor. In Fichtes Darstellung erscheint dieser Gang der Geschichte logisch-zwingend. Im Gegensatz zu der Zuversicht, die auf diese Weise von der Philosophie suggeriert wird, blickte Fichte selbst am Ende seiner Vorlesungsreihe freilich eher skeptisch in die Zukunft. Kann der „Stand der vollendeten Sündhaftigkeit" tatsächlich überwunden werden? Ist die Verwirklichung des Sittengesetzes, der Freiheit, in dieser Welt überhaupt möglich? Mit solchen Zweifeln beendete Fichte seine Vorlesungen und erklärte: Sie sehen, daß in keinem Fall heute oder morgen die aufgeworfenen Fragen sich beantworten lassen, sondern daß die Beantwortung auf eine sehr unbestimmte Zeit hinaus sich verschiebt. Sie sehen, daß wir heute, am Beschlüsse unserer Arbeit stehend, durchaus nicht wissen können, ob wir Etwas, oder Nichts getan haben; und daß wir auch hierüber, an das bloße Bewußtsein unserer redlichen Absicht, falls wir dieses zu fassen vermögen, und, aus der Region des Verstandes, in die des Glaubens und der Hoffnung verwiesen werden.12

An dieser Stelle setzte Fichte in den Reden an die deutsche Nation neu an. Wieder handelt es sich um eine Reihe von Vorlesungen, die Fichte im Winter 1807/08 in Berlin ebenfalls öffentlich vortrug. Politisch hatte sich die Situation seit 1804 drastisch verändert. Die Kapitulation Preußens nach Jena und Auerstedt und ihre Folgen für Deutschland, verlieh Fichtes philosophischer Spekulation eine Dringlichkeit und politische Aktualität, die er in der ersten Rede sofort ansprach. Zuerst erinnerte er an die Position von 1804: Als eine Fortsetzung der Vorlesungen, die ich im Winter vor drei Jahren allhier an derselben Stätte gehalten, und welche unter dem Titel: Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters, gedruckt sind, habe ich die Reden, die ich hiermit beginne, angekündigt. Ich hatte in jenen Vorlesungen gezeigt, daß unsere Zeit in dem dritten Hauptabschnitt der gesamten Weltzeit stehe, welcher Abschnitt den bloßen sinnlichen Eigennutz zum Antriebe aller seiner lebendigen Regungen und Bewegungen habe; daß diese Zeit in der einzigen Möglichkeit des genann-

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Ebenda, S. 29. Ebenda, S. 15. 10 Ebenda, S. 12. " Ebenda, S. 14. 12 Ebenda, S. 263.

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Klaus Peter ten Antriebes sich selbst vollkommen verstehe und begreife; und daß sie durch diese klare Einsicht ihres Wesens in diesem ihren lebendigen Wesen, tief begründet und unerschütterlich befestigt werde.13

Was hatte sich seither verändert? Die damalige Gegenwart, das dritte Zeitalter der Grundzüge, habe, so Fichte, in überraschend kurzer Zeit ihr Ende gefunden, gehöre jetzt der Vergangenheit an. Fichte: Mit uns gehet, mehr als mit irgendeinem Zeitalter, seitdem es eine Weltgeschichte gab, die Zeit Riesenschritte. Innerhalb der drei Jahre, welche seit dieser meiner Deutung des laufenden Zeitabschnittes verflossen sind, ist irgendwo dieser Abschnitt vollkommen abgelaufen und beschlossen. Irgendwo hat die Selbstsucht durch ihre vollständige Entwicklung sich selbst vernichtet;

- ihr sei, so Fichte, „durch äußerliche Gewalt" ein „anderer und fremder Zweck aufgedrungen worden".14 Fichte wurde noch deutlicher. Scharf verurteilte er Preußens Neutralitätspolitik seit dem Basler Frieden. Fichte: Bis zu ihrem höchsten Grade entwickelt ist die Selbstsucht, wenn, nachdem sie erst mit unbedeutender Ausnahme die Gesamtheit der Regierten ergriffen, sie von diesen aus sich auch der Regierenden bemächtigt, und deren alleiniger Lebenstrieb wird. Es entsteht einer solchen Regierung zuvörderst nach außen die Vernachlässigung aller Bande, durch welche ihre eigene Sicherheit an die Sicherheit anderer Staaten geknüpft ist, das Aufgeben des Ganzen, dessen Glied sie ist, lediglich darum, damit sie nicht aus ihrer trägen Ruhe aufgestört werde, und die traurige Täuschung der Selbstsucht, daß sie Frieden habe, so lange nur die eignen Grenzen nicht angegriffen sind.15

Im Basler Frieden hatte Preußen 1795 die Koalition mit Österreich, England, Holland, Spanien und dem Deutschen Reich verlassen, um sich allein mit Frankreich zu arrangieren. Auch in den folgenden Koalitionskriegen blieb es neutral. Noch 1805 hoffte Friedrich Wilhelm III. trotz der hemmungslosen Eroberungspolitik Napoleons und der fortwährenden Provokationen selbst Preußens, Norddeutschland vor der Verwicklung in einen Krieg schützen zu können. Ob die russisch-österreichische Koalition 1805 zusammen mit Preußen Napoleon bei Austerlitz hätte besiegen können, weiß niemand. Die Folge von Preußens Neutralität war jedoch, daß ein Jahr später zwar ein Bündnis mit Rußland bestand, in Jena und Auerstedt Preußen aber Napoleon allein gegenüberstand. Fichte verurteilte auch, daß Preußen im August 1806 nicht gegen das Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation protestiert hatte, das .Aufgeben des Ganzen", dessen Teil es war. Auch das Ende des Reiches bedeutete einen Sieg der Franzosen, isolierte die einzelnen deutschen Staaten und lieferte sie so der Willkür Napoleons aus. All dies geißelte Fichte als Selbstsucht und damit als Symptom 13 14 15

Fichte: Reden an die deutsche Nation, S. 11. Ebenda. Ebenda, S. 17.

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des Zeitalters. Die Niederlage bei Jena und Auerstedt war in seinen Augen die notwendige Folge, das Ergebnis einer grundsätzlich falschen Politik. Das Thema der Reden an die deutsche Nation ist freilich nicht die Klage über diese Politik und die Niederlage; es ging Fichte vielmehr und entscheidend um die große Chance, die er für Deutschland und Preußen sich gerade hier eröffnen sah, um die Chance nämlich eines historischen Neubeginns. Für Deutschland folgerte Fichte daher: Es könnte sich erheben aus diesem Zustande, in welchem die ganze bisherige Welt seinem selbsttätigen Eingreifen entrückt ist, und in dieser ihm nur der Ruhm des Gehorchens übrig bleibt, lediglich unter der Bedingnung, daß ihm eine neue Welt aufginge, mit deren Erschaffung es einen neuen und ihm eigenen Abschnitt in der Zeit begönne, und mit ihrer Fortbildung ihn ausfüllte; [...]. Falls es nun eine also beschaffene Welt, als Erzeugungsmittel eines neuen Selbst und einer neuen Zeit, geben sollte, für ein Geschlecht, das sein bisheriges Selbst, und seine bisherige Zeit und Welt verloren hat, so käme es einer allseitigen Deutung selbst der möglichen Zeit zu, diese also beschaffene Welt anzugeben."

Zur Debatte stand demnach die Zukunft, und das Ziel der Reden ist es, die Umrisse des neuen Zeitalters zu entwerfen. Die Deutschen wurden aufgefordert, bei diesem Entwurf aktiv mitzuwirken. Und wieder geht es, wie bereits in den Revolutionsschriften von 1793 um Erziehung. Während damals jedoch im Namen von Freiheit und Mündigkeit das Zerbrechen traditioneller Bindungen, der Kampf gegen den Absolutismus, auf dem Programm stand, verlangt Fichte jetzt die Schaffung einer neuen Bindung. Im Namen derselben Moral wie 1793 soll, was aus der Freiheit folgte, die Herrschaft der Selbstsucht, überwunden werden. Möglich erscheint ihm das durch die Bindung des Einzelnen an den Staat, die Nation. Damit setzte Fichte in der Tat seine früheren Überlegungen in den Grundzügen des gegenwärtigen Zeitalters fort, leistete zugleich jedoch auch einen Beitrag zur Politisierung der Gesellschaft, wie die Königsberger Modernisierer um den Freiherra vom Stein sie anstrebten. Sie alle stellten die Frage: Warum gab es „keine Teilnahme am Ganzen" mehr? Fichte machte dafür die „Aufklärung des nur sinnlich berechnenden Verstandes" verantwortlich, das, was später einmal die „instrumentelle Vernunft" heißen wird.17 Dieser Verstand sei die Kraft, so Fichte, „welche die Verbindung eines künftigen Lebens mit dem gegenwärtigen durch Religion, aufhob, zugleich auch andere Ergänzungs- und stellvertretende Mittel der sittlichen Denkart, als da sind Liebe zum Ruhm, und Nationalehre, als täuschende Trugbilder begriff'.18 Dieser Verstand habe, mit anderen Worten, die Menschen, indem er sie auf materielle Werte fixierte, nicht nur der Religion, sondern auch dem Gemeinwohl, dem Staat, entfremdet. Fichtes Idee des Fortschritts schließt die Rückkehr zur Vergangenheit, zur Tradition, aus. Entscheidend für die Zukunft war deshalb der Entwurf eines Erziehungsprogramms, das auf nationaler Ebene ein völlig neues, so noch nie dagewesenes Selbst hervorbringen 16 17 18

Ebenda, S. 12. Vgl. hierzu Horkheimer: Zur Kritik der instrumentellen Vernunft. Fichte: Reden an die deutsche Nation, S. 19f.

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konnte. Fichte verlangte daher „eine gänzliche Veränderung des bisherigen Erziehungswesens". Es sei das einzige Mittel, „die deutsche Nation im Dasein zu erhalten".19 Die Entwicklung dieses neuen Erziehungswesens, das Fichte programmatisch die „deutsche Nationalerziehung" nannte, bildet den Hauptinhalt der Reden an die deutsche Nation. Es ist die Erziehung der Nation zur Nation. Sie soll alle Stände einschließen, ebenso Männer und Frauen, ohne Unterschied. Indem sie die „reine Sittlichkeit" zum Ziel hat, vernichtet sie die herrschende Selbstsucht und gewinnt, so Fichtes Idee, den Einzelnen für das Ganze, die Nation. Die Selbstliebe wird ersetzt durch die Liebe, „welche den Menschen an den Menschen bindet, und alle einzelne zu einer einigen Vernunftgemeine der gleichen Gesinnung" schmiedet. Freiwillig, ohne Zwang werde jeder und jede dann „durch eigne Aufopferung den Wohlstand" des Ganzen steigern und vermehren.20 Schon Kinder müßten, getrennt von der Verderbnis der Erwachsenenwelt und unterrichtet von besonderen Lehrern, für das hohe Ziel gewonnen werden. Aber nicht für die Politik im üblichen Sinne würden sie erzogen, sondern für die Nation als die „irdische Ewigkeit", das Dauernde in der Welt der Vergänglichkeit.21 Diese Erziehung koste zwar Geld, ihr Vorteil für den Staat, besonders unter den gegebenen Umständen, liege jedoch auf der Hand. Bisher zum Beispiel sei der bei weitem größte Teil der staatlichen Einkünfte für den Unterhalt stehender Heere ausgegeben worden. Fichte sarkastisch: „Den Erfolg dieser Verwendung haben wir gesehen." Dagegen würde der Staat, der die von ihm vorgeschlagene Nationalerziehung einführe, gar kein besonderes Heer mehr benötigen. Er hätte in der Jugend, die aus dieser Erziehung hervorgehe, „ein Heer, wie es noch keine Zeit gesehen". Der Staat könne diese Jugend rufen, sie bewaffnen und sicher sein, „daß kein Feind sie schlägt".22 So Fichtes Plan, Deutschland und Preußen aus der Not zu retten. Nun zu Achim von Arnim. Als Fichte im Januar 1814 starb, veröffentlichte Arnim, der um 19 Jahre Jüngere, einen Nachruf, der seine Bewunderung und Verehrung des Philosophen deutlich zum Ausdruck bringt. Der Nachruf endet mit einem Sonett an den Verstorbenen: Auch Dich hat uns die Pest der Zeit entrissen, Dich mutigsten Bestreiter schlechter Zeit, Du hattest Dich als Opfer ihr geweiht, Als du ihr strafend riefest ins Gewissen. Es war die Welt von Zweifeln lang zerrissen Du sahst den Abgrund, wie er tief und weit, Doch wie der Römer warst Du kühn bereit, Ihn zu verschließen nach dem besten Wissen,

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Ebenda, S. 21. Ebenda, S. 160, 165. Ebenda, S. 131. Ebenda, S. 178.

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Du warfest Dich hinein, um ihn zu füllen, Du sprachst zu Deutschen, als die ändern schwiegen, Du riefst uns aus der Schmach zu neuen Siegen. „Bekämpft die Zeit in euch mit heiigem Willen!" So riefst Du. - Den Bogen spannt im Stillen Die tückische Zeit, - auch Du mußt ihr erliegen."

Arnim kannte Fichte offenbar gut. Der großartig formulierte Nachruf erinnert an die wichtigsten Stationen in Fichtes Leben und preist Geist und Charakter des Philosophen; sie hätten ihn bestimmt, „der philosophische Mittelpunkt unsres Volkes während einer Reihe von Jahren" zu werden. Von Kant ist die Rede, von Jena und von Fichtes Schülern: Fichte war, so Arnim, „die Sonne des Studentenhimmels; lebendiger ist wohl selten ein Lehrer geehrt worden".24 Arnim betont Fichtes „Einsicht in das Verderben der Zeit", nennt die Vorlesungen über die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters und schließlich die Reden an die deutsche Nation: „aus seinem tiefsten Herzen suchte er in öffentlichen Vorlesungen den Deutschen zu raten." Und diese Reden stehen denn auch im Zentrum des Sonetts. Fichtes Kampf gegen die „schlechte Zeit" war es vor allem, was Amim an dem Philosophen imponierte. Daß Fichte sich nicht schonte, daß er sprach, als andere schwiegen, weil es gefährlich war zu sprechen. Daß er nicht resignierte, daß er sich nicht unterkriegen ließ. Tatsächlich beweist Arnims Hauptwerk aus diesen Jahren, der Roman Armut, Reichtum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores (1810), Arnims große Nähe zu Fichte. Der „Stand der vollendeten Sündhaftigkeit", Fichtes Charakterisierung des Zeitalters, bildet auch das zentrale Thema von Arnims Roman. Repräsentiert wird dieses Zeitalter im Roman von der Titelfigur, der Gräfin Dolores. Ihre „Schuld" und „Buße" stehen im Mittelpunkt der Handlung, indem die Schuld in den ersten drei Abschnitten des Romans immer krasser hervortritt, um schließlich mit dem Ehebruch ihren Höhepunkt zu erreichen; der letzte Abschnitt ist der Buße gewidmet. Daß die Gräfin das Zeitalter repräsentieren soll, machte Arnim durch unmißverständliche Hinweise sichtbar. Erbarmungslos exponiert er von Anfang an ihre Schwächen: Verantwortungslosigkeit, Vergnügungssucht und Egoismus. Dolores heiratet den Grafen einzig, um der Armut, die sie unerträglich findet, zu entfliehen; sie hätte deshalb sogar einen - allerdings reichen - Bauern genommen. Und den Grafen gewinnt sie ohne Rücksicht auf ihre Schwester Klelia, die viel besser zu ihm gepaßt hätte. Die Spannungen zwischen Graf und Gräfin sind daher bereits vor der Hochzeit erheblich, aber erst recht danach. Auf keine Weise vermag die Gräfin sich den neuen Verhältnissen anzupassen, in die sie durch ihre Ehe gerät. Mit ihren überspannten Ansprüchen verbaut sie sich den Weg zu dem Milieu des Landadels, dem ihr Mann angehört, und amüsiert sich stattdessen mit sozial fragwürdigen Personen wie dem häßlichen Baron und der tollen Ilse. Sie mißachtet die

" Amim: Fichte - Werke in sechs Bänden, Bd. 6: Schriften, S. 470f. 24 Ebenda, S. 468.

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Pflichten, die sie als Gräfin hat, und lenkt auch den Grafen mit ihrer Vergnügungssucht von den seinen ab. Arnims eigene Position repräsentiert in dem Roman der Graf Karl. Im Königsberger Kreis der Modernisierer um den Freiherrn vom Stein hatte Arnim die Revolution in Frankreich zwar abgelehnt, teils aus Überzeugung, teils auf Grund von Erfahrungen, die er 1803 in Paris selbst gemacht hatte, aber auch er wußte, daß das Ancien regime nicht überleben konnte. Nach Jena und Auerstedt hielt auch er die Zeit reif für Reformen. Mehrere Artikel, die er damals verfaßte, bezeugen sein Engagement. So erklärte er etwa: Napoleon hat den Geist der größten Volksbewegung unsrer Zeit, der französischen Revolution, gefaßt, der schützt ihn, so lange er ihm folgt, er kann geschlagen werden, er wird endlich doch siegen. Ich nenne den Geist der französischen Revolution die Unterdrückung der Staatsgewalt des Adels und der Geistlichkeit, die Bildung eines neuen Rittertums des Geistes und der Wahrheit. Haben wir dagegen einen Streit? Nein; hingegen sind die Besten darin einverstanden.25

Für die Bildung eines neuen Rittertums plädierte er auch an anderer Stelle. So schlug er vor: „Der König erklärt das ganze Volk adlig",26 nur Verbrecher seien davon auszuschließen. Dadurch sollten alle waffenfähigen Männer auch Soldaten werden, nur die Talentierten Offiziere und überhaupt forderte er ein neues Verhältnis zwischen Offizieren und Untergebenen. Detaillierte Vorschläge machte er auch für eine Heeresreform.27 Und dann ein Lieblingsgedanke Arnims, den er oft wiederholte: „Der König pflanzt den Stamm der Ritterschaft, alle Angestellten von gewissem Range, bei den Soldaten vom Hauptmann an, bei den Richtern und Verwaltern vom Rat an, bei den Lehrern vom wirklichen Professor oder Inspektor der Pfarrer an." So entstehe ein neuer „Deutscher Orden", dem alle wichtigen Entscheidungen des Staates vorgelegt würden. Dieser Orden repräsentiere den Geist des Staates, wie der König seinen Willen.28 Diese Reformideen sollten im Gegensatz zu der gewaltsamen Revolution in Frankreich, „das ruhige Anschließen an die Vergangenheit um zur Zukunft zu gelangen", gewährleisten.29 Und diese Ideen Amims repräsentiert im Roman Graf Karl. Durch die Herkunft und Erziehung des Grafen hat Arnim dies sorgfältig motiviert. Zwar adlig geboren, aber - wie Arnim selbst - bürgerlich erzogen, unterscheidet sich der Graf damit auch politisch von der Gräfin, seiner Frau. Arnim beschreibt dies so: Die Gräfin, ohne irgend stolz aristokratisch zu sein, hatte doch ihre früheren geistig bestimmenden Zeiten unter der eigensinnigen Klasse von Leuten zugebracht, die sich damals in 25 26 27 28 29

Arnim: Was soll geschehen im Glücke - ebenda, S. 200. Arnim: Indem ich die Feder ansetze - ebenda, S. 199. Amim: Das Unglück ist geschehen - ebenda, S. 192-94. Arnim: Indem ich die Feder ansetze - ebenda, S. 199f. Amim: Was soll geschehen im Glücke - ebenda, S. 202. Zu Arnims politischen Schriften aus der Königsberger Zeit vgl. Knaack: Achim von Amim - Nicht nur Poet. Die politischen Anschauungen Arnims in ihrer Entwicklung, S. 15-21. Vgl. Knaacks Buch auch zu den politischen Äußerungen Amims nach Königsberg.

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Deutschland bildete, welche blind an eine notwendige Rückkehr derselben Verhältnisse glaubte, die lange ihnen bequem gewesen. Der Graf, der erst auf Universitäten eine bestimmte politische Ansicht gewonnen, hatte dagegen den Kopf voll rascher Weltverbesserungen, weil ihm manches Bestehende in dem Unterrichte verhaßt geworden, insbesondere war es aber sein Lieblingsplan, alles Gute und Ehrenvolle, was sich in den adligen Häusern, nach seiner Meinung entwickelt habe, allgemein zu machen, alle Welt zu adeln. Beides stritt notwendig gegen einander; dem Grafen war es ein angenehmer Gedanke auf Du und Du mit aller Welt zu sein, der Gräfin war jede Vertraulichkeit niederer Klassen unerträglich.30

Entsprechend wenig Verständnis hat die Gräfin für die Art und Weise, wie der Graf seine Pflichten als Gutsherr erledigt. Wie er sich zum Beispiel der Schulen selbst annimmt, weil ihm die Erziehung für die Zukunft wesentlich ist. Bisweilen unterrichtet er sogar selbst. Auch reformiert er das Gerichtswesen, indem er streng auf die Unabhängigkeit der Justiz achtet und alle Prozesse öffentlich führen läßt. Bei der Landarbeit packt er selbst mit an, ist bei der Ernte gern den ersten Tag eine Stunde lang Vormäher, „seine Kraft und seine Kenntnis und seine Wertschätzung des Geschäftes öffentlich zu beweisen".31 Zu den bescheidenen Festen seines Hofes lädt er die Untertanen mit ein, die ihm für all dies mit „ungeheuchelter Anhänglichkeit" danken.32 Trotz dieser Erfolge des Grafen auf seinen Gütern kündigt sich die Katastrophe und damit die Wende in der Romanhandlung mit der problematischen Ehe des Grafen und der Gräfin frühzeitig an. Auslöser der Katastrophe ist schließlich der Herzog von A., der als Marchese D. die Gräfin verführt. Sorgfältig entfaltet Arnim das soziale und politische Umfeld, und dadurch den Zusammenhang mit Fichtes Zeitalter der „vollendeten Sündhaftigkeit". Wie die Gräfin Dolores repräsentiert der Marchese die Zeit vor 1789. Er ist der Inbegriff des selbstsüchtigen Genußmenschen. So charakterisiert ihn Amim: Aufgewachsen in der verderbten großen Welt von Madrid, mit einer Klugheit, die ihn selbständig machte, wo andre noch geführt werden, suchte er ihren Genuß nicht in der rohen Art, die blind zugreifend die Sinnlichkeit mehr erschöpft als befriedigt, nein, er wollte das Herrlichste alles mit ganzer Kraft genießen: dies meinte er das herrlichste Leben, die Mittel waren ihm Nebensache; sein Talent hatte ihm die meisten entweder eigen gemacht, oder unterworfen.33

Daß die Gräfin ihn „sinnlich reizte", wie Arnim sagt, ist kein Wunder, denn „sie war die stolzeste, prächtigste Sinnlichkeit, die je über die Erde geblickt, als wäre sie ganz zu ihrem Genüsse geschaffen".34 Mit großer Umsicht setzt der Marchese sein Verführungswerk in Szene, indem er in der Gräfin „den Keim zur Verderbnis [...] zum Aufwachsen regte".35 So bringt er ihr Bücher, „die den Intrigengeist in

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33 M 35

Amim: Gräfin Dolores - Sämtliche Romane und Erzählungen (Ausg. Migge), Bd. l, S. 1 71 f. Ebenda, S. 215. Ebenda, S. 309. Ebenda, S. 247. Ebenda, S. 248. Ebenda, S. 253.

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Frankreich und die ungemeine Sittenlosigkeit, die den Hof in den beiden letzten Jahrhunderten umlagerten, so lebendig entwickeln, daß eine gewöhnliche Untreue in der Ehe, aus Zuneigung, fast wie eine himmlische Tugend erscheint".36 Schließlich „umspann er sie leise mit mancherlei geheimnisvollen Wissenschaften, höherer Philosophie, Astrologie und Geisterbeschwörung".37 So wirkt er auf ihre Sinne, bis die moralischen Wurzeln in ihr alle untergraben sind, und er weiß, „wohin der Baum fallen muß".38 Um die historische Dimension des Ehebruchs gebührend zu beleuchten, synchronisierte Amim den Tag der Katastrophe mit der Französischen Revolution: Es ist der 14. Juli. Die Revolution war gut, wenn sie für Reform und Erneuerung stand, ein Verhängnis jedoch, wenn sie gewaltsam in den Gang der Geschichte eingriff. Als einen solchen Eingriff verstand Amim auch den Ehebruch. Kurz nach der Katastrophe spricht der Marchese mit dem ahnungslosen Grafen allgemein über Frauen und Ehebrüche und nennt auch den Fall der Gräfin, freilich so, daß der Graf seine Dolores nicht erkennt. Der Graf ist empört über das Verhalten der Frau. Der Marchese beschwichtigt: „Wer kann einen schwachen Augenblick hart bestrafen." Darauf der Graf: Beim Himmel, [...] hart nennen Sie das, das nennen Sie einen schwachen Augenblick, der die starken Bande langer Gewohnheit, geschwomer Treue, alter Liebe vernichtet; das ist eine fürchterliche Stärke im Menschen, die das nur vermag, die muß vernichtet werden, oder die Welt bestände nicht mehr. Gott bewahre mich vor dem Falle, aber ich hätte es nicht lassen können, die beiden umzubringen.39

In der Ehe erblickte Amim eine wesentliche Institution der Gesellschaft, deren Zerstörung das Zusammenleben der Menschen überhaupt gefährden mußte. Seine Darstellung macht deutlich, daß das Verhalten des Marchese und der Gräfin, der Triumph der Selbstsucht, ein Vorzeichen von Anarchie und Chaos ist. Schlimmer freilich als der Ehebruch selbst erscheint die Tatsache, daß die Gräfin offenbar prinzipiell für die Ehe nicht taugt. Ihre Untreue ist kein bloßer Unfall, sondern ein Symptom der Zeit. Auch in Bezug auf die Ehe wirkt Arnims Roman wie eine Exemplifizierung von Thesen Fichtes. Schon 1788, noch vor der Französischen Revolution, notierte Fichte: Sollte nicht der Hauptgrund unsers ganzen moralischen Verderbens Verachtung des ehelichen Lebens von einer und die durch den Luxus, und andere unglückliche Beziehungen unsers Zeitalters verursachte Unmöglichkeit dareinzutreten von der ändern Seite, sein? - Hierdurch wird jedes Individuum gleichsam isoliert - alle edleren geselligen Empfindungen unterdrückt - Vaterlandsliebe, Menschenliebe, Mitleid - Liederlichkeit befördert, besonders Verschwendung, weil es der Hauptzweck eines jeden werden muß, nur auf die Tage seines Lebens recht viel zu genießen, so viel an sich zu reißen als er kann. 36 37 38 39

Ebenda, S. 249. Ebenda, S. 253. Ebenda, S. 256. Ebenda, S. 258.

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Als Folge nannte Fichte damals schon: Tyrannei der hohem, und Unterdrückung der niedrigem, besonders des landbauenden Standes (weil durch Liederlichkeit jede menschenfreundliche Neigung unterdrückt ist -) Sultanismus der Regenten, unnatürliche Laster, Entkräftung des ganzen Geschlechts, Elend und Untergang.40

Auch in Fichtes späteren Schriften spielt die Ehe eine herausragende Rolle. So zum Beispiel in der Grundlage des Naturrechts von 1796, wo er betonte : „Die Ehe ist gar nicht bloss eine juridische Gesellschaft; sie ist eine natürliche und moralische Gesellschaft."41 Das heißt, Fichte akzeptierte gegen die herrschende Meinung des 18.Jahrhunderts, die den Zweck der Ehe in der Fortpflanzung sah, die Ehe als Selbstzweck. Und dies, ohne sie von der Liebe zu trennen. Immer wieder betonte er, daß es ohne Liebe keine Ehe gebe. Ja, er ging so weit, wie Friedrich Schlegel in der Lucinde, den Liebesakt aus Liebe als legitime Begründung der Ehe gelten zu lassen.42 Diese ideale Auffassung der Ehe prägt auch Arnims Roman. Liebe ohne Ehe hielt Amim freilich für Unzucht; das bezeugt zum Beispiel die Nacherzählung von Hollins Liebeleben, dem ersten Roman Arnims, in der Gräfin Dolores. Ehe ohne Liebe jedoch hielt er ebenso wie Fichte für unsittlich. Deshalb leben der Graf und die Gräfin nach dem Ehebruch zwar weiter zusammen, aber zunächst nur als Freunde.43 Der absolute Anspruch der Moral unterscheidet Fichte und Amim von den meisten ihrer Zeitgenossen. Beide fällten vernichtende Urteile über ihr Zeitalter und sahen sich durch die politische Entwicklung, besonders nach Jena und Auerstedt, bestätigt. Aber sie resignierten nicht. Im Gegenteil: beide betrachteten das Schicksal Deutschlands als eine Prüfung, die es zu bestehen galt, und forderten energisch, das Übel der Zeit zu bekämpfen. Da sie den Grund des Übels als moralischen Verfall diagnostizierten, plädierten sie vehement für eine moralische Erneuerung. Sie sollte Deutschlands Schicksal wenden. Beiden erschien dies als eine Frage der Existenz, eine Frage, mit anderen Worten, von äußerster Dringlichkeit. Schon 1788 hielt Fichte das Zeitalter reif für den Untergang. Und 1808 stellte er die Deutschen am Ende seiner Reden vor folgende Alternative: Es hängt von euch ab, ob ihr das Ende sein wollt, und die letzten, eines nicht achtungswürdigen, und bei der Nachwelt gewiß sogar über die Gebühr verachteten Geschlechtes, bei dessen

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Fichte: Zufallige Gedanken in einer schlaflosen Nacht, Rammenau, den 24. Juli 1788 (aus Fichtes Nachlaß) - Schriften zur Revolution, S. 41. Fichte: Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre, 1796 - Werke (Ausgabe Hermann Fichte), Bd. 3, S. 304. Fichte: Das System der Sittenlehre nach den Principien der Wissenschaftslehre, 1798 - ebenda, Bd. 4, S. 332. Hier heißte es: „Es sind über das eheliche Verhältnis keine Gebote anzugeben. Ist dasselbe, wie es seyn soll, so ist es sich selbst sein Gebot; ist es nicht so, so ist es ein einziges zusammenhängendes Verbrechen, das der Verbesserung durch Sittenregeln ganz unfähig ist." Vgl. hierzu Kluckhohn: Die Auffassung der Liebe in der Literatur des 18. Jahrhunderts und in der deutschen Romantik; über Fichte, S. 326-332, über Amim, S. 615-625.

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Klaus Peter Geschichte die Nachkommen, falls es nämlich in der Barbarei, die da beginnen wird, zu einer Geschichte kommen kann, sich freuen werden, wenn es mit ihnen zu Ende ist, und das Schicksal preisen werden, daß es gerecht sei; oder, ob ihr der Anfang sein wollt, und der Entwicklungspunkt einer neuen, Über alle Vorstellungen herrlichen Zeit, und diejenigen, von denen an die Nachkommenschaft die Jahre ihres Heils zähle.

Seine Hörer, so Fichte, seien die letzten, in deren Gewalt diese große Veränderung stehe, denn sie hätten noch Deutschland als Einheit erlebt, das Heilige Römische Reich Deutscher Nation nämlich, spätere Generationen wüßten davon nichts mehr. Wie lange werde es noch dauern, fragte Fichte, „bis keiner mehr lebt, der Deutsche gesehen, oder von ihnen gehört" hat.44 Auf diese Weise beschwor Fichte seine Hörer, seinen Appell ernst zu nehmen, dann werde alles andere, was nötig sei, von alleine kommen. Nicht weniger dramatisch erscheint die Situation in Arnims Roman. Wenn nämlich der Ehebruch der Gräfin ein Symptom des Zeitalters sein sollte, dann war es, um Anarchie und Chaos abzuwenden, notwendig, die Gräfin zu retten. Diese Rettung bezeichnet denn auch das eigentliche Thema des Romans. Insofern ist auch er ein moralisches Manifest. Anders als bei Fichte hängt die entscheidende Wende hier jedoch nicht von den Menschen selbst, den Deutschen, ab; Arnim braucht dazu die Hilfe Gottes. In diesem Punkt unterscheiden sich Fichte, der Aufklärer, und Amim, der Romantiker. Allerdings hatte auch bereits Fichte die Religion ins Spiel gebracht. In den Grundzügen des gegenwärtigen Zeitalters sollte ja die Geschichte über das Zeitalter der „vollendeten Sündhaftigkeit" hinaus zu zwei weiteren Zeitaltern fortschreiten: zur „Epoche der Vemunftwissenschaft" und schließlich zu der der „Vernunftkunst". Dieses höchste und letzte Zeitalter sollte den „Stand der vollendeten Rechtfertigung und Heiligung" realisieren, das Ziel der Menschheitsgeschichte. Den Weg von der Sündhaftigkeit zur Heiligung sollte die Menschheit aber, darauf bestand Fichte, „auf ihren eigenen Füßen gehen", „mit eigener Kraft".45 Dazu ist die Gräfin Dolores, die denselben Weg vor sich hat, nicht (mehr) fähig. Der Mensch kann und muß seine Schuld bereuen und Buße tun: Das tut die Gräfin im vierten Abschnitt des Romans. Aber die entscheidende Wende kann nur ein Wunder, d. h. Gott, bewirken. Arnim inszeniert dieses Wunder in der Wallfahrtskirche, wohin beide, der Graf und die Gräfin, ohne daß sie es von einander wissen, pilgern. Der Graf findet die Gräfin in einer Kapelle der Kirche vor einem Bild wie tot auf dem Boden ausgestreckt. Das Bild zeigt, wie Maria Magdalena ihre Perlenketten zerreißt. Derselbe Sonnenstrahl, der dem Grafen in der sonst dunklen Kapelle die Maria Magdalena beleuchtet, entdeckt ihm auch, daß er seine Frau vor sich hat. Er trägt sie zu dem Weihkessel und besprengt sie mit dem „heiligen Wasser". So erweckt er sie zu neuem Leben. Zum ersten Mal seit der Katastrophe reden sie wieder richtig miteinander: Fichte: Reden an die deutsche Nation, S. 233. Fichte: Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters, S. 15. Zu Fichtes damaliger Idee von Religion siehe auch folgende Vorlesungsreihe, die Fichte ebenfalls in Berlin und zwar 1806 vorgetragen hat: Fichte: Die Anweisung zum seligen Leben, oder auch die Religionslehre, 1806 - Werke (Ausgabe Hermann Fichte), Bd. 5, S. 397-580.

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Sie bedurfte seiner liebevollen Sorgfalt, und er dachte nur an ihre strenge Buße, an ihre schmerzliche Reue; die tiefe Berührung mit einer höheren Welt, die Tausende an sich zieht, die hier alle von einander getrennt sind, hob die harte Eisrinde, unter welcher der Strom ihrer Gefühle noch schmachtete.4* Der symbolische Tod der Sünderin ist zugleich die Geburt der Heiligen, deren Weg die Gräfin von nun an geht. Es ist kein Zufall, daß der Schluß des Romans, der vierte Abschnitt, nicht in Deutschland spielt, sondern in Italien, auf der Insel Sizilien. Hier, auf der Insel Sizilien, hat Klelia, die ältere Schwester der Gräfin, als Herzogin einen vorbildlichen Staat geschaffen.47 Im damaligen Deutschland war, so wird deutlich, ein solcher Staat nicht denkbar. Und auf der Insel Sizilien vollendet dann auch die Gräfin ihren Weg zur Heiligung. In ihrer neuen Selbstlosigkeit wäre sie sogar bereit, ihren Mann, den Grafen, den sie jetzt über alles liebt, der fremden Fürstin aus Deutschland abzutreten, die auf der Insel zu Besuch weilt, und in den Grafen leidenschaftlich verliebt ist. Dazu kommt es freilich nicht. Statt dessen stirbt die Gräfin. Im Bewußtsein der „unwandelbaren Liebe" des Grafen erfüllt sich ihr Leben auf dem Totenbett: Nie fühlte sie sich ihm so nahe, ihre Fehler waren ihr ein fremdes abgelegtes Kleid, wie ihr Körper, sie fühlte sich durch ihre Buße ihrem Manne und der Welt versöhnt, sie scheute sich nicht eine Ewigkeit zu bleiben, wie sie in den Augenblicken geworden und ein Rückblick in das veränderliche sterbliche Leben machte ihr Schmerz. Ihr Sohn Johannes - sie ist inzwischen Mutter von zwölf Kindern -, der Priester wurde, erteilt ihr die letzte Ölung „mit Würde und Heiligung".48 Die Gräfin erinnert sich an die Worte Christi, die sie am Morgen zufällig gelesen hat: „Wahrlich ich sage dir, heute wirst du mit mir im Paradiese sein."49 Wieder ist es der 14. Juli: Der Tod ist der Sünde Sold, daran ändert auch die Buße nichts. Die Nachricht vom Tod der Gräfin verbreitet sich rasch über die ganze Insel, die Glocken läuten, „wie bei einem Erdbeben" und „alle frommen Seelen beteten für sie, viele dankbar für empfangene Wohltaten".50 Der Hinweis auf den Tod Christi erklärt schließlich auch das Denkmal, das der Graf zu ihrem Andenken errichten läßt. Noch bevor ein Jahr vergangen ist, erblicken die Seefahrer mit „frommem Danke" die „übergroße Bildsäule der Gräfin", „milde aus dem Himmel herableuchtend". Von ihren zwölf Kindern umringt, steht sie auf der Spitze einer gefährlichen Klippenreihe, wo bisher manche Hoffnung und manches Leben untergegangen sind. Ihre Augen und ihre gräfliche Krone werden jede Nacht erleuchtet, „wie ein neues wunderbares Sternbild", das auch dann noch hell glänzt, wenn alle anderen Sterne hinter

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Amim: Gräfin Dolores - Sämtliche Romane und Erzählungen (Ausgabe Migge), Bd. l, S. 323. Zu Klelia als vorbildlicher Fürstin vgl. Peter: Der gute Herrscher. Literarische Beispiele bei Gottsched und in der Romantik. Amim: Gräfin Dolores - Sämtliche Romane und Erzählungen (Ausgabe Migge), Bd. l, S. 509. Ebenda. Ebenda, S. 510.

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Wolken versteckt sind. Die Seeleute nennen diesen Leuchtturm „Das heilige Feuer der Gräfin" oder auch „Das heilige Feuer der Mutter".51 Es ist, als habe Arnims Roman damit Fichtes fünftes Zeitalter, den „Stand der vollendeten Rechtfertigung und Heiligung", erreicht: Sizilien antizipiert die Zukunft, das Ziel der absoluten Moral. Was aber, so könnte man fragen, hatte Deutschland davon? Als moralisches Manifest gleicht der Roman den Appellen Fichtes, setzte er die Tradition der Aufklärung fort. Die Appelle Fichtes sind jedoch im wesentlichen Postulate, sie fordern eine Zukunft, die noch nicht ist, die erst werden soll. Im Gegensatz dazu holt die programmatische Verbindung der Moral mit der Religion in Arnims Roman die bessere Zukunft in die Gegenwart: Sie kann von den Gläubigen unmittelbar erlebt werden. Sie ist damit nicht, wie bei Fichte, Gegenstand der Spekulation, sondern Gegenstand der Erfahrung. Die Religion, für die Arnim hier eintrat, ist allerdings nicht die Religion einer bestimmten Kirche, des Protestantismus etwa oder des Katholizismus; es ist die Religion, die Amim noch im Volke lebendig sah und die in vielen Fällen den Aberglauben mit einschließt. Die Tradition des Volkes aber, die der Roman von allem Anfang an voraussetzt, verbindet auch Sizilien mit Deutschland. Im Gegensatz zu Deutschland besitzt die Religion auf Sizilien allerdings noch eine so starke und prägende Kraft, daß sie das Leben der Menschen dort mit geradezu legendenhaften Zügen ausstattet. Nur in dieser fernen Welt erscheint deshalb die Heiligsprechung der Gräfin möglich. Aber die Tradition, die Religion des Volkes, die in Arnims Roman das Irdische mit dem Überirdischen verknüpfen soll, war damals natürlich auch in Deutschland noch wirksam. Zusammen mit Brentano, den Grimms und anderen suchte Amim nach ihren Spuren zum Beispiel im Volkslied und im Märchen. Im Roman sind es allerdings meist Bilder des Katholizismus, wie ihn die einfachen Leute erleben, die die Verbindung mit dem Überirdischen herstellen. Dazu gehört auch das Denkmal der Gräfin, das Arnim auch und gerade den Deutschen errichtete. Es soll sie zur Tat rufen, wie denn auch der Graf am Ende des Romans mit seinen Söhnen „dem Rufe seines bedrängten Vaterlandes" folgt. Er kehrt nach Deutschland zurück und will „den Deutschen mit Rat und Tat, in Treue und Wahrheit bis an sein Lebensende" dienen.52 Aus ihrer existentiellen Not mußten die Deutschen, wie die Gräfin Dolores, einen Weg finden, den Weg der Rettung. In den Reden an die deutsche Nation gilt dies am Ende aber nicht nur für Deutschland und die Deutschen; es gilt für die Menschheit insgesamt. Das folgt logisch-zwingend bereits aus den Vorlesungen über Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters. Deren geschichtsphilosophische Spekulation ist ja so angelegt, daß sie die gesamte Menschheit betrifft. Die Reden setzten diese Spekulation fort. Und an dieser Stelle wird eine Problematik der absoluten Moral sowohl Fichtes wie auch Arnims sichtbar, die weitreichende Konsequenzen hatte. Es geht um den Nationalismus. Indem Fichte die Rettung 51

Ebenda, S. 512.

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Ebenda, S. 513. Zu dieser Interpretation des Romans vgl. auch Peter: Achim von Amim: Gräfin Dolores. - In: Lützeler (Hrsg.): Romane und Erzählungen der deutschen Romantik, S. 240-63.

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Deutschlands mit der Rettung der Menschheit in eins setzte, im Namen der Moral die geschichtsphilosophische Spekulation mit der aktuellen Politik verknüpfte, betrat er einen gefährlichen Weg. Verführt vom Pathos seiner Spekulation erklärte er die Deutschen zum auserwählten Volk. Nicht nur die Philosophie sollte sie dazu prädestinieren, die Tradition des Deutschen Idealismus seit Kant, nicht nur ihre Niederlagen gegen Napoleon; in Fichtes Reden ist es dann doch vor allem ihre ganz besondere Natur, welche die Deutschen vor anderen Völkern auszeichnen soll. Bereits in der vierten Rede heißt es: „Das in diesen Reden vorgeschlagene Bildungsmittel eines neuen Menschengeschlechts müsse zu allererst von Deutschen an Deutschen angewendet werden, und es komme dasselbe ganz eigentlich und zunächst unsrer Nation zu, ist gesagt worden." Darüber hinaus wollte Fichte jedoch auch zeigen: „was der Deutsche an und für sich, unabhängig von dem Schicksale, das ihn dermalen betroffen hat, in seinem Grundzuge sei, und von jeher gewesen sei, seitdem er ist", und beweisen, daß in der deutschen Nation „schon in diesem Grundzuge die Fähigkeit und Empfänglichkeit einer solchen Bildung, ausschließend vor allen ändern europäischen, liege".53 Auf Fichtes weitere Argumentation in diesem Zusammenhang, will ich hier nicht näher eingehen. Wichtig für die Position der absoluten Moral ist jedoch, daß Fichte das deutsche Volk zum Retter der Menschheit erklärte: Von der Geschichte sei ihm „der Vorschritt in der Entwicklung" aufgetragen. Deshalb verabschiedete er seine Hörer in der letzten Rede mit der Warnung: „Gehet ihr in dieser eurer Wesenheit zugrunde, so gehet mit euch zugleich alle Hoffnung des gesamten Menschengeschlechts auf Rettung aus der Tiefe seiner Übel zugrunde."54 Daß Fichte damit zur Begründung des deutschen Nationalismus im 19. und 20. Jahrhundert beitrug, steht außer Frage. Die fatalen Folgen sind bekannt.55 Fichtes Reden an die deutsche Nation waren ein großer Erfolg, in Berlin bei Fichtes damaligen Hörern und auch später als Buch. Selbst Goethe rühmte sie, besonders ihren Stil. Man verstand, daß Fichte - so Varnhagen von Ense, der ein Hörer war, in einem Bericht - auf die „vollständige Umschafrung unserer Zustände" ausging, „wobei er nichts weiter verlangte, als daß überall das Wesentliche im Sittlichen wie im Geistigen gefördert und ausgebildet" werden sollte.56 Der Fichte: Reden an die deutsche Nation, S. 58. * Ebenda, S. 246. " Zu den in diesem Zusammenhang äußerst problematischen Positionen Fichtes in den Grundzügen des gegenwärtigen Zeitalters und in den Reden an die deutsche Nation vgl. Fischer: Das Eigene und das Eigentliche. Klopstock, Herder, Fichte, Kleist. Episoden aus der Konstruktionsgeschichte nationaler Intentionalitäten, S. 237-70. Die Problematik der Positionen Fichtes beschrankt sich freilich nicht auf den überspannten Nationalismus. Dazu gehört auch das Erziehungsprogamm selbst, das Fichte in seinen Reden propagierte. Der „Sozialismus", der einen neuen Menschen schaffen soll, um die Selbstsucht zu überwinden, nimmt auf fatale Weise Einrichtungen der Nazis vorweg. Vgl. dazu auch Herrmann: Von der .Staatserziehung' zur .Nationalbildung'. Nationalerziehung, Menschenbildung und Nationalbildung um 1800 am Beispiel von Preußen. - In: Herrmann (Hrsg.): Volk-Nation-Vaterland, S. 207-219, und Schneiders: Der Zwingherr zur Freiheit und das deutsche Urvolk. J. G. Fichtes philosophischer und politischer Absolutismus. - ebenda, S. 222-243. 54 Zitat in Jacobs: Johann Gottlieb Fichte mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, S. 118.

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überspannte Nationalismus ging wohl als Rhetorik durch, mit dem Nationalismus als solchem waren die meisten vermutlich einverstanden. Arnims Nationalismus äußerte sich im Vergleich wesentlich bescheidener: Arnim war kein Philosoph. Sein Nationalismus war deshalb allerdings nicht weniger problematisch: Die programmatische Verbindung der Moral mit Religion und Volk hatte ebenfalls schlimme Folgen. 1811 gründete Arnim in Berlin, um wie sein Graf Karl dem bedrängten Vaterland zu helfen, die „Christlich deutsche Tischgesellschaft". Im Kleinen versuchte er mit dieser Gründung, so etwas wie den neuen „Deutschen Orden" zu schaffen, für den er in Königsberg geworben hatte. 1815 charakterisierte Amim rückblickend in einer Rede vor der „Tischgesellschaft" selbst Sinn und Zweck des Unternehmens. Es sollte erprobt werden, „ob eine gemischte Gesellschaft aus vielen trefflichen, aber einander wenig bekannten Menschen zur gemeinsamen Beratung über Gesetze und zur gemeinsamen Lust führen könnte". Weiter sollte geprüft werden, ob sich auf diese Weise ein „Gemeingeist" bilden lasse und ob so eine „öffentliche Anerkennung des Christlichen und Deutschen" möglich sei.57 Die Zahl der Mitglieder mußte auf 60 beschränkt bleiben, alle 14 Tage wollte man sich zum Mittagessen treffen. Arnim: „Politische Wirksamkeit mußte wegen der Öffentlichkeit ausgeschlossen werden, es blieben also nur allgemeine deutsche Betrachtungen zur Wahl übrig."58 Namhafte Persönlichkeiten aus der Politik, dem Beamtentum, dem Militär und auch der Kultur kamen zusammen. Zu den bekannten Schriftstellern zählten außer Arnim selbst Clemens Brentano, Adam Müller, Heinrich von Kleist und auch Fichte. Während der französischen Besatzungszeit florierte die „Gesellschaft", aber schon 1815 beklagte Arnim die schrumpfende Mitgliederzahl. Der einzige praktische Beitrag zur Politik war 1813 die Ausrüstung eines freiwilligen Reiters für den Krieg gegen die Franzosen. Politisch war die „Tischgesellschaft" relativ offen, die Mitglieder gehörten allen politischen Richtungen an, das jedenfalls wünschte sich Arnim, es kamen also sowohl Vertreter der Regierung wie der Opposition. Ausgeschlossen waren jedoch Frauen, Juden und Philister. Und, selbstverständlich, Franzosen. Notorisch wurde die „Tischgesellschaft" schon damals jedoch vor allem durch den radikalen Ausschluß der Juden. Die absolute Moral, deren gewagte Verbindung von Philosophie und Politik bei Fichte den fatalen Nationalismus produzierte, führte durch ihre Bindung an Religion und Volk bei Amim zu einem ebenso fatalen Antisemitismus. Der historische Kontext: 1791 hatte ein Gesetz die Juden in Frankreich emanzipiert. Auch in Preußen wurde unter dem Druck der Franzosen 1812 die Emanzipation der Juden gesetzlich fixiert. Schon seit 1807 erlaubte ein anderes Gesetz den Verkauf von adligem Grundbesitz, auch an Juden. Diese Maßnahmen machten die Frage der sozialen Gleichstellung der Juden zu einem brennend aktuellen und viel diskutierten Thema; besonders auch unter Adligen. Amim beteiligte sich in seinen Werken, aber auch in der „Tischgesellschaft" an dieser Diskussion. Seine Position war widersprüchlich. Selbst in der „Tischgesellschaft". Amim: Rede am 18. Januar 1815 gehalten vor der „Deutschen Tischgesellschaft" - Werke in sechs Bänden, Bd. 6: Schriften, S. 481. Ebenda, S. 482.

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Zur Lösung des Problems mit den Juden plädierte er für die Assimilation, d. h. die Taufe, weshalb er auch getaufte Juden als Mitglieder in der „Tischgesellschaft" akzeptieren wollte. In der Rede von 1815 wies er ausdrücklich noch einmal darauf hin. Er wurde überstimmt: Auch getaufte Juden blieben ausgeschlossen.59 Auf der anderen Seite beteiligte er sich an den groben Spaßen über die Juden, die offenbar die „Tischgesellschaft" amüsierten, und steuerte bereits 1811 eine Rede „Über die Kennzeichen des Judentums" bei. Er folgte damit dem Beispiel Brentanos, der mit einer Rede unter dem Titel „Der Philister vor, in und nach der Geschichte" viel Beifall geerntet hatte. Brentanos Rede enthielt böse antisemitische Attacken. Das war denn auch in Arnims Rede der Fall. Sie wirkt heute nur noch abgeschmackt und peinlich. Obwohl Arnim die Rede nicht veröffentlichte, wurde sie bekannt und mit ein Grund dafür, daß Amim für ein öffentliches Amt in Preußen nicht mehr in Frage kam.60 Ebenda, S. 481 f. Dazu trug allerdings auch der Skandal mit dem Juden Moritz Itzig bei. Zu diesem Skandal und zu Amims Haltung gegenüber den Juden überhaupt vgl. Henckmann: Das Problem des „Antisemitismus" bei Achim von Amim (1986) und Haiti: Romantischer Antisemitismus. Amim und die „Tischgesellschaft" (1987). Außerdem vor allem Lea: The „ChristlichDeutsche-Tischgesellschaft". Napoleonic Hegemony Engenders Political Anti-Semitism (1993). Ich möchte in dieser Anmerkung auch auf Fichtes Verhältnis zu den Juden hinweisen. Sein Antisemitismus war völlig anders motiviert als der Amims und anderer Romantiker. Die inkriminierende Stelle befindet sich überraschender Weise schon in den Revolutionsschriften von 1793, und zwar im Beitrag. Hier argumentierte Fichte gegen die Emanzipation der Juden, d. h. dagegen, daß sie das Staatsbürgerrecht erhalten. Sein Grund: sie hätten bereits einen Staat, einen „Staat im Staat", und schlössen sich damit selber aus. Das Schlimmste aber sei, „daß dieser Staat auf dem Haß des ganzen menschlichen Geschlechts aufgebaut" sei, weil sie an einen „menschenfeindlichen Gott glaubten". Ihre dem Christentum an Alter überlegene Religion und Kultur verführe sie dazu, sich für besser als andere zu halten und sich arrogant und überheblich von diesen abzusondern. Derjenige Jude jedoch, so Fichte im Sinne der Aufklärung, „der über die festen, man möchte sagen, unübersteiglichen Verschanzungen, die vor ihm liegen, zur allgemeinen Gerechtigkeits-, Menschen- und Wahrheitsliebe hindurchdringt", müsse als ein „Held und ein Heiliger"gelten. Was er den Juden vorwarf, ist offenbar mangeine Aufklärung. Im übrigen richtete sich Fichtes Antisemitismus nicht gegen die Juden als Menschen, die nicht, auch nicht ihres Glaubens wegen, verfolgt werden dürften und denen man, sind sie in Not, jederzeit helfen müsse. Der Antisemitismus der Romantiker beruhte auf der Andersheit der Juden; ihre Religion und ihre Volkszugehörigkeit (Religion und Volk waren bei Amim auf einander bezogen) unterschieden sie von anderen Deutschen. Davon ist bei Fichte keine Rede. Als Aufklärer sah er das Problem darin, daß die Juden anders denken, nicht daß sie anders sind. Daher die rabiate Feststellung: „Aber ihnen Bürgerrechte zu geben, dazu sehe ich wenigstens kein Mittel, als das, in einer Nacht ihnen allen die Köpfe abzuschneiden, und andere aufzusetzen, in denen auch nicht eine jüdische Idee sei." Fichte: Beitrag zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die französische Revolution - Schriften zur Revolution, S. 174-76. - Ein anderer Grund, warum die Juden alle anderen Völker haßten, sei, so Fichte, daß sie in ihnen die Nachkommen derer erblickten, „welche sie aus ihrem schwärmerisch geliebten Vaterlande vertrieben haben" (S. 175). Fichte schlug deshalb, um das Problem mit den Juden zu lösen, vor, ihnen „ihr gelobtes Land zu erobern, und sie alle dorthin zu schicken" (S. 176). Fichte gehörte später zu Amims „Tischgesellschaft". Es ist ein Gedicht in Knittelversen überliefert, das er im Januar 1812, als er den Vorsitz in der „Tischgesellschaft" inne hatte, der

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Johann Gottlieb Fichte und Achim von Arnim, die in ihren moralischen Appellen ihr Zeitalter als eine Epoche des Umbruchs darstellten, in der sich die Zukunft der Deutschen, ja der ganzen Menschheit entscheiden mußte, setzten damit Zeichen weit über ihre Zeit hinaus. Damals trugen sie energisch mit zur Politisierung der Gesellschaft bei, einer Politisierung, die in ihrem Fall wesentlich über die Moral ging. Sie halfen damit allerdings auch, die Weichen zu stellen für Entwicklungen, die böse endeten. Napoleon wurde schließlich besiegt, Fichte, der im Januar 1814 starb, erlebte das Ende des Krieges im März nicht mehr. Zweifellos hatten seine Reden an die deutsche Nation damals eine große Wirkung. Auch Amims Versuche zusammen mit anderen, das Volks-Bewußtsein der Deutschen zu stärken, blieben nicht ohne Erfolg. Wichtiger als die politische und moralische Wirkung beider in ihrer Zeit erscheinen heute aber die Folgen, die ihre Appelle in der Zukunft hatten. Das bedeutet jedoch nicht, daß, was bis heute deutsch heißt, allein durch diese Folgen definiert werden kann. Die These, daß Fremdenhaß und Antisemitismus seit Fichte, Arnim und der „Christlich Deutschen Tischgesellschaft" die Identität der Deutschen bestimmten, ist nicht haltbar.61 Allerdings haben Fichte und Arnim mit der absoluten Moral und dem Schuldzusammenhang, als den sie das Schicksal Deutschlands damals deuteten, den politischen Anlaß weit überflügelt. Das aktuell Politische trat deshalb in der Zukunft bei der Rezeption ihrer Appelle in den Hintergrund, oder verschwand ganz. Es blieb eine Moral, die ohne die Politik, ihren Anlaß, nicht länger der Befreiung von fremder Herrschaft diente, sondern immer mehr zur Garantie dafür herhalten mußte, daß Nation und Volk der Deutschen allen anderen überlegen seien. Der Nationalismus wurde zum Selbstzweck und die Feier des Volkes zum Rassismus. Die Moral, losgelöst von ihrem Ziel, der politischen Befreiung, verkehrte sich in ihr Gegenteil.

Versammlung vortrug. Darin erklärte er, daß er sich nicht an den Spaßen über Juden und Philister beteiligen wolle, das Thema sei erschöpft. Außerdem könne der Spott jederzeit auf den Spötter zurückschlagen. Zwar könne man dadurch nicht zum Juden werden, weil man nicht beschnitten sei. Aber wer ein Philister sei und wer nicht, bleibe eine offene Frage: Gerade wer denke, er sei es nicht, sei es! Auf feine Weise distanzierte er sich damit von Brentano und Amim (Fichte: Kleinere Gedichte - Werke (Ausgabe Hermann Fichte), Bd. 8, S. 468471, Zitat, S. 470 ): „Wer aber sich's hin und her beweist / Und Gott am Morgen und Abend preist, / Dass er nicht ist, wie andre Leut, / Ist vom Philisterthum nicht weit; / Ja ihm sitzt die Philisterei / Gerade im Denken, dass er's nicht sey! / Da dieses sich so weit erstreckt / Und bringen kann gar schlimmen Ruhm, / So bleibt vor mir wohl ungeneckt / So Juden- wie Philisterthum!" In bezug auf Arnim wird diese These neuerdings vertreten in Moßmann: Das Fremde ausscheiden. Antisemitismus und Nationalbewußtsein bei Ludwig Achim von Arnim und in der „Christlich deutschen Tischgesellschaft".

Konrad Feilchenfeldt

Arnim und Varnhagen: Literarisch-publizistische Partnerschaft und Rivalität im Kampf um die .deutsche Nation' 1806-1814

Amim und Varnhagen sind sich als Zeitgenossen der Epoche der Romantik persönlich auf widerspruchsvolle Weise verbunden gewesen. Obwohl Varnhagen zu den bereitwilligsten Mitarbeitern des Wunderhorn-Projekts gehörte, ist Amims Urteil über ihn nicht zuletzt unter dem Einfluß der Brüder Grimm negativ.1 Varnhagen dagegen scheint diese Kritik an seiner Person nicht wahrgenommen zu haben, und später, spätestens nach seinem Ausscheiden aus dem diplomatischen Dienst und seiner Rückkehr in die preußische Hauptstadt Berlin 1819, beginnt sich das Verhältnis zwischen ihnen beiden zu normalisieren.2 Arnim und Varnhagen hatten sich anonym gegenseitig schon früher rezensiert und rezensierten sich jetzt teils nach Absprache teils sogar - wie in einem Fall Arnim - mit Angabe der namentlichen Verfasserschaft.3 Sie wechselten deswegen auch private Briefe,4 und Varnhagen schrieb im Auftrag der Familie den offiziellen Nachruf auf Arnim 183l.5 Varnhagens Beziehung zu Arnim muß im Zusammenhang seiner Beziehungen zu Arnims Schwager Clemens Brentano und Arnims Frau, Brentanos Schwester Bettine gesehen werden, und natürlich spielt in diesem Beziehungsgeflecht auch 1

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Am 25. April 1810 schreibt Wilhelm Grimm an Brentano über Varnhagen, er sei „ein Mensch, der mir aus allen Kräften zuwider ist, und auf dem Leben mit einer matten, geistlosen Frechheit steht." Zitiert nach: Steig: Clemens Brentano und die Brüder Grimm, S. 98. Vgl. auch Steig: Heinrich von Kleist's Berliner Kämpfe, S. 7. Daraufhin schreibt Amim in einer Nachschrift des vom 8. Mai 1810 datierten Antwortschreibens von Brentano an Grimm unter Bezugnahme auf dessen Bemerkung: „Was Du von Varnhagen schreibst, ist durchaus wahr [...] er sieht sehr sauer in die Welt, weil er sich mit sich selbst viel Mühe gegeben und kein Mensch es ihm danken will." Zitiert nach Steig/Grimm (Hrsg.): Achim von Amim und die ihm nahe standen, Bd. 3, S. 60. Vgl. Varnhagen: Denkwürdigkeiten - Werke in fünf Bänden, Bd. l, S. 336. Vgl. Varnhagen: Tagebücher - Werke in fünf Bänden, Bd. 5, S. 9,216-217. Vgl. auch Arnim und Brentano: Achim und Bettina in ihren Briefen, Bd. 2, S. 925. - Eine verbindliche Bemerkung über Arnim aus der Zeit ihres Zusammenlebens in Berlin macht Varnhagen in einem Brief an Leopold Ranke vom 3. Februar 1828. Vgl. Ranke und Vamhagen von Ense: Ungedmckter Briefwechsel, S. 341. Zu berichtigen ist dazu der fehlerhafte Nachweis bei Mallon: Amim-Bibliographie, S. 169 Nr. 43d. Unter seinem vollen Namen rezensierte Amim Vamhagens Blücher-Biographie im .Gesellschafter* und anonym die Zinzendorf-Biographie und die Dokumentation über Johann Benjamin Erhard in den .Blättern für literarische Unterhaltung*. Vgl. Mallon: Amim-Bibliographie, S. 80, 84, Nr. 139 und 154. Vgl. ebenda, S. 158-159 Nr. 449,457. Weiss (Hrsg.): Unbekannte Briefe von und an Achim von Amim, S. 75-77, 170-172, 332-333,339-340. Vamhagen: Ludwig Achim von Amim - Werke in fünf Bänden, Bd. 4, S. 286-289,880-884.

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Varnhagens Frau Rahel eine maßgebliche Rolle.6 Mit dem Tod Arnims 1831 und Rahels 1833 bricht die Geschichte der Beziehung Arnim-Varnhagen aber noch nicht plötzlich ab. Nur die Perspektive wandelt sich. Unter den Hinterbliebenen setzen Bettine und Varnhagen die begonnene Freundschaft auf neuer Grundlage fort. Im Mittelpunkt steht dabei die Herausgabe von Amims Werken, an deren Zustandekommen Varnhagen von Bettine beteiligt wird.7 Arnim und Varnhagen verbindet eine Geschichte, für deren Erzählung erst einmal das einschlägige Material gesichtet werden muß. Im Hinblick auf eine Deutung dieser Beziehung in literaturgeschichtlicher Absicht liegt ein zeitgenössisches Zeugnis vor, das beide Autoren in die Tradition eines gemeinsamen literarischen Erbes einordnet. Am 5. März 1840 schreibt Feuchtersieben an Josef Stanislaus Zauper im Hinblick auf Amim und Varnhagen: „[...] ich glaube an vielen, durch Goethe Influenzirten oder Gebildeten, wahrgenommen zu haben, daß die günstige Wirkung sich mehr in den Betrachtungen als in deren Character aussprach, - wovon Hr. v. Arnim und Varnhagen auffallende Beispiele sind - [...]."* Die Geschichte von Arnim und Varnhagen hatte schon begonnen, ehe sich die beiden Helden dieser Geschichte persönlich am 6. Juli 1806 in Giebichenstein bei Halle im Hause des Komponisten Reichardt kennen lernten; Varnhagen hatte nämlich bereits im Herbst 1805 auf den damals gerade erschienenen ersten Band des Wunderhorns mit einer anonymen Anzeige reagiert und damit versucht, auch einen ersten persönlichen Kontakt zu den Herausgebern Amim und Brentano herzustellen. Vor allem der in diesem Band von Arnim an der Stelle eines Nachworts veröffentlichte Aufsatz Von Volksliedern weckte bei Varnhagen ein Interesse,9 das ihn mit seinen eigenen literarischen Ambitionen unmittelbar in die Nähe von Arnims und Brentanos literarischen Plänen führte. Ihrer Aufforderung, an der weiteren Sammlung einschlägiger Liedtexte mitzuwirken, leistete Varnhagen deswegen auch als Rezensent bereits mit zwei eigenen Textvorschlägen zwar unmittelbare Folge, doch wurde seine Kooperationsbereitschaft nicht in dem Maße erwidert, wie er sich dies offenbar vorgestellt hatte. Die Tatsache, daß sein engagiertes Interesse am Projekt des Wunderhorns in den beiden folgenden Wunderhorn-Bänden nur an zwei vergleichsweise kurzen, in der Sammlung enthaltenen Textstellen dokumentiert ist,10 verweist weniger auf ein Desinteresse bei Varnhagen als auf die zwischen ihm und Arnim schon im Zuge ihrer ersten persönlichen Begegnung sich abzeichnende Unverträglichkeit, die übrigens auch in der Reaktion von Varnhagens damaliger Freundin Rahel Robert auf ihre Wunderhorn-LektüK zum Ausdruck kommt, schreibt sie doch deswegen am 22. April 1809 an Varnhagen und 6 7

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Vgl. Vordermayer: Antisemitismus und Judentum bei Clemens Brentano, S. 179-200. Vgl. Amim: Sämmtliche Werke Bd. 23: Gedichte 2, S. 239-246,250-260. Mallon: Bibliographische Bemerkungen zu Bettina von Amims Sämtlichen Werken, S. 464-465. Wiedenmann: Karl August Vamhagen von Ense, S. 121-123, 134-137. Feuchtersieben: Briefe an Zauper, S. 300. Amim und Brentano: Des Knaben Wunderhom - Brentano: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 6, S. 406-^42. Ebenda, Bd. 9,3, S. 841. Vgl. Vamhagen: Des Knaben Wunderhom [Rezension] - In: Nordische Miszellen, Nr. 47 vom 24. November 1805, S. 321-323.

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hat in ihrer Verärgerung vermutlich die geringe Beteiligung ihres Freundes bei diesem Buch im Blick: „Wenn ich vor Angst dazu kommen kann, lese ich im Wunderhorn. Das ist eine Impertinenz von Achim und Brentano. Bücher hat»' ich auch nicht. Nichts! nichts!"11 Denn in seiner persönlichen Handschriften-Sammlung hat Varnhagen einen beachtlichen Bestand an einschlägigem Textmaterial zur Überlieferung deutschsprachiger Volkslieder hinterlassen, dessen Aufarbeitung teilweise noch aus der Zeit des Sammelaufrufs von Arnim und Brentano datiert,12 und auch in seiner Anzeige des Wunderhorns von 1805 hat Varnhagen das Projekt und vor allem Arnims Aufsatz vorbehaltlos anerkennend gewürdigt: Das duftigste, frischeste Sträuslein unverwelklicher Blumen, wie sie nur immer in verschiedenen Zeiten und Orten aufgeblüht sind! Volkspoesie, wie ihrer das Zeitalter bedarf, um zu Gesang und That wieder aufgeweckt zu werden, wie ihrer der Höhere bedarf, um der erfüllten Seele Tiefen in dem leichten demüthigen Gewände des bloßen Naturt[r]iebs lustig und beruhigt anzuschauen. Die Lieder sind deutsch; nur den, welchem der innere Kern der Deutschheit noch nicht verdorben ist, können sie ansprechen. Der Ernst und die Kurzweil in der alten, heiligen Verbindung; wenn auch in den neuern Liedern der Sammlung die religiöse Gesinnung weniger durchscheint, so ist doch die frische Kraft und die gedrängte Lebensfülle in ihnen, die sie zu Volksliedern machen konnte, ein Ueberbleibsel aus frühem Zeiten, da der Glauben die innersten Kräfte regte. Wohl sollte dies Buch, wie ein Noth- und Hülfs-Büchlein von wohlgesinnten Obrigkeiten und acht patriotischen Gesellschaften unter das Volk ausgetheilt werden, damit das Geschwätz getödtet würde, und die erwachenden Singer das Deutsche Reich wiederherstellten. Siehe den unvergleichlichen Anhang über Volkslieder, den Achim von Arnim geschrieben hat."

Als sich daher Amim und Varnhagen im Sommer 1806 bei Reichardt persönlich kennen lernten, hatte Arnim erstmals Gelegenheit, sich direkt für die ihm von Varnhagen erwiesene Freundlichkeit zu revanchieren, indem er ihm nicht nur für die Anzeige, die Varnhagen über das Wunderhorn veröffentlicht hatte, danken konnte, sondern auch auf einen Brief reagierte, den er - wenn auch erst verspätet - bei seinem Aufenthalt in Bärwalde von Varnhagen zusammen mit einem von diesem selbst verfaßten Sonett vorgefunden hatte. Während sich Vamhagens Brief nicht erhalten hat, ist das Manuskript des Sonetts in Arnims Stammbuch eingeklebt und auf diese Weise mit der eigenhändigen Niederschrift erhalten geblieben: An L. Achim von Arnim. Wenn Sterne von den hohen Auen blinken Durch stiller Nacht leiswogend Geistersausen, Dem den Lebend'gen Sinn in tiefe Klausen Des blinden Schlafs gebändigt niedersinken:

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Rahel Varnhagen: Briefwechsel zwischen Varnhagen und Rahel - Rahel Varnhagen: Gesammelte Werke, Bd. 4, l, S. 331. Vgl. Brentano: Des Knaben Wunderhom - Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 9,3, S. 227-228. Vgl. Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung, S. 918-919. Vgl. Schewe: Neue Wege zu den Quellen des Wunderhorns, S. 123-124. Brentano: Des Knaben Wunderhorn - Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 9,3, S. 905-906. Varnhagen: Des Knaben Wunderhom [Rezension], S. 321-322.

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Konrad Feilchenfeldt Dann muß den Strahl die tiefste Erde trinken, Wo die Metalle blitz- und klangreich hausen; In vollen Tönen wundervoll erbrausen Sie der verwandten Sterne mächt'gem Winken. Brichst du hervor, mein schönes Licht? Es dunkelt Rings Wald und Dorf in schwarzer Wolken Zuge; Ich wache harrend, treu in reinem Streben Dein Schimmer in des Herzens Grund mir funkelt: Ich Metall muß klangreich dem Ätherfluge In dieses Sanges Brausen kund mich geben. Karl August Vamhagen . . . . Hamburg, in der Nacht da ich den Anhang von Volksliedern las, und darauf nicht schlafen konnte.14

Arnim erwiderte mit seinem Dank vor allem dieses ihm gewidmete Sonett, indem er selbst für Varnhagen ein Gedicht verfaßte, das er ihm unter dem Datum des 6. Juli 1806 ins Stammbuch einschrieb. Wie Arnim jedoch - gerade vor dem Hintergrund der zwischen ihnen ausgetauschten Höflichkeiten - Varnhagens Person tatsächlich einschätzte, geht aus einem in seiner Korrespondenz mit Brentano überlieferten privaten Schreiben hervor, von dem der Anfang bereits vom l. Juli 1806 datiert, der einschlägige Schlußteil jedoch erst nach seiner Begegnung mit Varnhagen und nach dem Eintrag in dessen Stammbuch vom 6. Juli 1806 niedergeschrieben worden sein konnte: Dort fand ich ein Sonett von einem Vamhagen, der mit Chamisso ein Paar Musenalmnache herausgegeben, wie dabey stand in der Nacht geschrieben, wo er meinefr] V. L. Abhandlung gelesen, aber ein halbes Jahr dort schmachtend durch ein Versehen auf der Post, hier finde ich ihn selbst, ein blonder sanfter Mann, zierlich ordentlich, tief im Griechischen, macht sich nicht viel Gedanken, hat ein recht wunderlich Buch geschrieben testimonia auctorum de Merkelio, wo in einem Sonnet ausgemittelt, daß das Frauenzimmer Dortchen Lackenreisser, an die Merkel schreibt, ich hab mich in sein Stammbuch geschrieben, das wie die Lade einer Meistergilde voll Dichterfamilien war. - Von Hendel habe ich Hallorenlieder, auch Varnhagen hat mir ein Paar Sachen gegeben

Amims Stammbuch befindet sich im Besitz des Deutschen Literaturarchivs Marbach am Neckar (Signatur: A: Stammbücher Amim). Ich danke dem Leiter der Handschriftenabteilung des Deutschen Literaturarchivs, Herrn Dr. Jochen Meyer, für die Erlaubnis, den Text von Varnhagens Sonett an dieser Stelle veröffentlichen zu dürfen. Zur Überlieferung des Gedichts bzw. des Stammbuchs von Achim von Amim, in welches das mit Varnhagens Niederschrift versehene Blatt eingeklebt worden ist, vgl. ferner Meyer: Dichterhandschriften, S. 70-71. Für den Hinweis auf die Existenz dieses Stammbuchs und auf die Tatsache, daß es sich in Marbach befindet, danke ich Frau Petra Heymach (Berlin). Arnim und Brentano: Freundschaftsbriefe, Bd. l, S. 407. - Das von Varnhagen verfaßte Gedicht mit der Überschrift An L. Achim von Arnim enthält in der Handschrift tatsächlich den von Amim brieflich erwähnten Hinweis auf die Umstände, unter denen Varnhagen das Gedicht niederschrieb.

Arnim und Varnhagen

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Im Unterschied zu Varnhagens bisher unveröffentlicht gebliebenem Sonett, das er Arnim noch vor der Anzeige des Wunderhorns gewidmet und zugeschickt hatte, ist der von Arnim verfaßte lyrische Beitrag zu Varnhagens Stammbuch schon veröffentlicht und sogar mehrfach nachgedruckt worden, und dieser Text könnte neben der kurzen, aber distanzierten Kritik im Brief an Brentano - sehr wohl geeignet sein, um ebenfalls auf die bei Arnim vorhandenen Gründe für seinen Vorbehalt gegen Varnhagen aufmerksam zu machen. Fest beiß ich mich, mein schwankend Vaterland, Und beiß in dich mit allen Zähnen ein, Dir tut's nicht weh, ich mag nicht schrein. Seis Liebeswut, seis häßlich ohn Verstand, So tief ich einbeiß, bist du gerne mein, Willst Mutterbrust dem Kinde sein. So schwanke denn im Wind, du loser Sand: Er schwankt, will meine lustge Wiege sein, Mein Vaterland, und ich bin dein. Giebichenstein d. 6. Juli 1806

Zur Erinnerung der Zeit Ludwig Achim von Amim."

Auch Varnhagen hat die damalige Begegnung mit Arnim, ihre Vorgeschichte und ihre Dokumentation in seinem Stammbuch zwar nicht in einem unmittelbaren Zeugnis überliefert, aber er hat sie später bei der Niederschrift seiner Denkwürdigkeiten des eignen Lebens - möglicherweise sogar in Kenntnis des von Amim verfaßten Briefs an Brentano - ebenfalls erwähnt, nur ohne weiteren vergleichbaren Kommentar.17 Es ist deswegen nicht undenkbar, daß im Hinblick auf die bevorstehenden Verstimmungen zwischen Amim und Varnhagen und zwischen den ihnen zugeordneten Freundeskreisen Arnims lyrischer Stammbucheintrag bei Varnhagen keine ungeteilte Begeisterung ausgelöst hat, ist doch der Vergleich des .Vaterlands' mit,losem Sand' ein Gedanke, der im Sinne einer für die Zeit typischen patriotischen Solidaritätsbekundung ebenso wenig verbindlich ist wie die aggressive Bildlichkeit eines bissigen lyrischen Ichs, das in dieses .Vaterland' hineinbeißen möchte, und es erweckt vielmehr den Eindruck, als ob die Metaphorik von .losem Sand' und Beißerei als skizzenhafte Vorstudie zu einer CharakterZeichnung Varnhagens gelesen werden kann, wie sie im Zeichen der ihm später immer wieder bescheinigten notorischen Charakterlosigkeit zum negativen Stereotyp seines Nachruhms geworden ist.18 Ob dabei Varnhagen selbst nichts gemerkt

Arnim: Werke in sechs Bänden, Bd. 5: Gedichte, S. 360, 1232-1233. Steig/Grimm (Hrsg.): Achim von Arnim und die ihm nahe standen, Bd. l, S. 184-185. Amim und Brentano: Freundschaftsbriefe, Bd. l, S. 865-866. Einen weiteren Abdruck des Gedichts dokumentiert Kluckhohn (Hrsg.): Deutsche Vergangenheit und deutscher Staat, S. 249-250. Varnhagen: Denkwürdigkeiten - Werke in fünf Bänden, Bd. l, S. 336 und 361-362. Vgl. Wiedenmann: Karl August Varnhagen von Ense, S. 9-72.

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Konrad Feilchenfeldt

hat oder ob er sich einfach nichts hat anmerken lassen und dies vor allem auch deshalb nicht wollte, weil für ihn die Bekanntschaft mit Arnim ein soziales Ereignis bedeutete, das ihm - dem Bürgerlichen - den persönlichen Zugang zu einem Adelsvertreter erschloß, ist eine Frage, die hier auf jeden Fall gestellt werden sollte. Denn wo immer Varnhagen später Amims literarische Leistung zu würdigen hatte, erwähnte er auch die hohe Bedeutung, die Arnim allein schon der Tatsache seines Namens und des Herkommens seiner Familie verdankte,19 und daß Arnim schon 1806 Varnhagens Verhalten ihm gegenüber als zu beflissen empfunden und er sich dagegen auf seine - literarische - Weise zu wehren versucht haben könnte, läßt sich nicht nur im Zusammenhang mit der Anzeige des Wunderhorns und mit dem Austausch lyrischer Widmungsgedichte zwischen ihnen belegen, sondern auch in ihrem nur zwei Jahre später folgenden Briefwechsel.20 Im weiteren Verlauf der von Varnhagen angestrebten Zusammenarbeit auf literarischem Gebiet macht ihm Arnim nämlich auch das Angebot an der wiederum - wie im Fall des Wunderhorns - gemeinsam mit Brentano geplanten Zeitung für Einsiedler mitzuwirken, worüber sich Varnhagen nicht nur herzlich gefreut, sondern auch ein längeres Strategiepapier in einem Brief an Arnim vom 24. Juni 1808 entworfen hat, durch das er sich allerdings mehr als ihm lieb sein konnte vor seinem Adressaten dekuvriert haben dürfte.

Vgl. Varnhagen: Ludwig Achim von Arnim - Werke in fünf Bänden, Bd. 4, S. 288-289. Eine ganz andere Auffassung vertritt in der Beurteilung des Gedichts, das Amim in Varnhagens Stammbuch geschrieben hat, Hildegard Baumgart. Sie interpretiert aus dem Zusammenhang des gleichzeitig vom Sommer 1806 überlieferten Briefwechsels zwischen Arnim und Bettine Brentano das Gedicht als Zeugnis einer auch in diesem Briefwechsel dokumentierten, vergleichbaren Mutter- und Vaterlandsmetaphorik, mit der sich bei Amim das „Beißen als Liebesakt" ebenso wie als „das Beißen des saugenden Kindes" erklären soll. Dabei bleibt allerdings ungeklärt, warum Amim ausgerechnet den ihm bis dahin völlig fremden und damals „erst 21 Jahre" alten Varnhagen zum unfreiwilligen Mitwisser seiner aktuellen, intimsten und mit seiner Freundin und späteren Frau Bettine ausgetauschten Gedanken hat machen wollen und was Varnhagen zu dieser Auszeichnung qualifiziert haben könnte, eben gerade weil aus dieser Begegnung keine unmittelbar freundschaftliche Fortsetzung ihrer Bekanntschaft resultierte. Man gewinnt eher den Eindruck, als ob Amim mit seinem Gedicht Varnhagen mehr brüskieren als zu seinem Vertrauten machen wollte, gerade weil er ihn möglicherweise mit einer poetischen Auffassung von der Gegenwart konfrontierte, mit der er als Adressat des Gedichts ohne das erforderliche Vorwissen, das nur im engsten Freundeskreis von Amim vorhanden war, nicht zurecht kommen konnte. Vgl. Baumgart: Bettine Brentano und Achim von Amim, S. 189-193. Auch im Vergleich mit dem aus Amims Stammbuch überlieferten Varnhagen-Gedicht gibt der Text von Arnims Gedicht keine Hinweise darauf, daß zwischen den Autoren der beiden Widmungsgedichte über deren Texte eine Art von poetischem Dialog zustande gekommen wäre. - Ich danke Frau Baumgart für den ausdrücklichen Hinweis auf die in ihrem Buch enthaltene Interpretation von Arnims Gedicht. - Als mittelbare Nachwirkung und Responsion auf Amims Gedicht und eine darin enthaltene patriotische Bildlichkeit mit den Versatzstücken „Hügel", „Sand" und „Vaterland" könnte allerdings das Schlußzitat aus Amims .Kronenwächter'-Roman in Varnhagens Nachruf auf Amim gelesen werden, wenn Vamhagen die zitierten Verse, um die es sich handelt, nicht auf ausdrücklichen Wunsch von Arnims Schwager Savigny seinem Text hinzugefügt hätte. Vgl. Vamhagen: Ludwig Achim von Arnim - Werke in fünf Bänden, Bd. 4, S. 289 und 881, und Amim: Die Kronenwächter - Werke in sechs Bänden, Bd. 2, S. 183.

Arnim und Varnhagen

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Ich habe durch Reimer Ihre gütige Aufforderung an mich, beizutragen für die Zeitung für Einsiedler, mit vielem Vergnügen empfangen. Mit dem Wunsche, besser in Ihre Absichten einzugehen, als es mir möglich sein dürfte, schicke ich Ihnen als Beweis meines guten Willens die beifolgenden Blätter.

Varnhagen reagierte demnach auch bei der Zeitungför Einsiedler wie im Fall der öffentlichen Aufforderung, am Wunderhorn mitzuarbeiten, mit der unmittelbaren Einsendung von Textvorschlägen, und er benützte die Möglichkeit zu einem solchen Probelauf auch dazu, um neben einem von ihm selbst verfaßten literaturkritischen Gedicht auf den Philologen Wolf „eine alte Romanze" seines Freundes Fouque zum Abdruck einzureichen und vorzuschlagen. Ob beide Ihrem der Zeitung eingepflanzten Sinne entsprechen, kann ich von hier aus nicht entscheiden. Sollten Sie aber andere Beiträge von mir nicht unwünschenswerth finden, so muß ich vor allen Dingen wissen, welche Sprünge wohl Ihr Sinn erlaubt, und ob Sie für die Art der Darstellung die gehörige Breite verstatten, welches ich besonders in Rücksicht der Polemik frage, von der ich wenigstens wissen muß, daß sie frei ist, und auch zwischen den Mitarbeitern, die ja keinesweges alle Freunde sein können.

Interessant ist bei Varnhagen an dieser Reaktion auf Amims Angebot aber nicht nur die Offenheit, mit der er die Probleme journalistischer Umgangsformen und vor allem Parteilichkeit diskutiert, sondern auch die Tatsache, daß sich für ihn diese Offenheit nicht ausgezahlt hat; denn Varnhagen blieb von der Mitarbeit an der Zeitungför Einsiedler trotz offizieller Einladung am Ende ausgeschlossen, und der Verdacht liegt nicht fern, daß die Urheber dieser Einladung ihn zu der von ihm entwickelten Offenheit einerseits hatten provozieren wollen, um ihn andererseits dann umso eindeutiger die Distanz spüren zu lassen, schreibt er doch auch mit geradezu treuherziger Naivität: Dieses lasse Sie aber ja nicht glauben, als wolle ich die Einsiedler mit Streit behelligen, vielmehr bin ich überaus friedlich und sanftmütig, und nur ängstigend und verklemmend wäre es mir, wo schon ganz im voraus bestimmt wäre, du darfst z.B. Reichardt und seine Komposizionen nicht angreifen, oder Brentano'n sarkastiziren, oder Görres formalisiren, oder Wilhelm Schlegel in den Brunnen plumpen lassen, weil es ihm besser ist, als durch Stahl und Eisen umzukommen.21

Varnhagen hat sich - aus zumindest psychologisch verständlichen Gründen - an diese Episode seiner Korrespondenz mit Amim später nicht mehr erinnern können oder nicht mehr erinnern wollen.22 Doch war ihm 1808 die Literatursatire noch lange nicht so fremd geworden, wie er dies später vielleicht gerne von sich behauptet hätte. Vom selben Jahr nämlich datiert sein gemeinsam mit Wilhelm Neumann, Fouque und Bernhardi geschriebener Kollektivroman Die Versuche und Hindernisse Karls, dessen Erscheinen im zeitgenössischen Literaturbetrieb von damals für 21 22

Weiss (Hrsg.): Unbekannte Briefe von und an Achim von Amim, S. 170-171. Vgl. Varnhagen: Tagebücher - Werke in fünf Bänden, Bd. 5, S. 785.

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einiges Aufsehen sorgte, vor allem wegen seiner Persiflagen und Parodien literarischer Berühmtheiten der Zeit, und es verweist auf den fortgeschrittenen Zustand der damaligen Spannung in Varnhagens Beziehungen zu Arnim und zu dessen Freundeskreis, daß die einzige an exponierter Stelle, nämlich in den Heidelberger Jahrbüchern, veröffentlichte Rezension dieses Romans von Arnim stammt. Dabei hatte sich die Drucklegung wegen „verschiedener Differenzen [...] bis zum November 1810" aber so lange verzögert,23 daß für eine kritische Auseinandersetzung mit dem sogenannten Doppelroman erst zwei Jahre nach dessen Erscheinen die literarische Öffentlichkeit nicht mehr mobilisiert werden konnte und auch Vamhagen in seiner Beurteilung der von Arnim verfaßten Rezension sehr viel weniger heftig reagierte, als dies vermutlich noch im Jahr 1808 der Fall gewesen wäre. Außerdem hatte Arnim seine Rezension nicht namentlich, sondern anonym veröffentlicht, und Varnhagen deswegen deren Kenntnisnahme in einem Brief an Fouque 1811 nur mit der knappen Bemerkung kommentiert: „Der Doppelroman ist in den Heidelb. Jahrbüchern von einem Unbekannten [!] ganz artig rezensirt."24 Der entscheidende Vorwurf, den Arnim daher unerkannterweise den Verfassern des Doppelromans gemacht hatte, richtete nach den zwei Jahren, die seit dem Erscheinen des Romans verstrichen waren, aber keinen großen Schaden mehr an, und stellte auch jenen gewagten Einfall nicht mehr in Frage, der in diesem Roman den literatursatirischen Hauptreiz und auch Hauptärger ausmachte, nämlich die Tatsache, daß die Verfasser Goethe persiflierten, indem sie Wilhelm Meister als Romanfigur hatten auftreten lassen. In dieser Frage kannte Amim nämlich keinen Spaß, und seine Stellungnahme in den Heidelberger Jahrbüchern liest sich wie eine öffentliche Antwort auf Varnhagens Brief vom 24. Juni 1808, als er Arnim nach den Möglichkeiten und Grenzen parodistischer Beiträge fragte, für die er in der Zeitung für Einsiedler nach einer Gelegenheit zur Veröffentlichung gesucht hatte: Wir wissen recht gut, daß Parodieen, wie sie da auf mehrere der bekanntesten Gelehrten, oft mit wahrem Talente wie die auf Strizelmeier, geliefert werden, gar nicht böse gemeint sind, sich auch ohne Haß leicht von selbst machen; aber dieser Parodien und der literarischen Satire im Allgemeinen, dächten wir, wäre einmal genug; wir denken daran, endlich einmal wieder die eigenthümlichen Schriftsteller statt ihrer Recensenten und Parodierer zu lesen. Was aber dem Wilhelm Meister begegnet, scheint uns, nach den Begriffen unsrer Ästhetik, nicht mehr unter Parodie zu gehören. Es ist allzu handgreiflich, es hat uns empört, und wir fühlten da recht lebendig, daß, wenn die Verfasser Kraft genug gehabt hätten, den echten Wilhelm Meister darzustellen, der sich mit den Räubern herumgeschlagen, er auch bald mit dem Gesindel würde fertig geworden sein, das sie ihm entgegenzustellen beliebten. Aber freilich bei diesem Hauptschlage kommt heraus, daß es ein ganz einfältiger Bursche war, der einige Stellen aus dem Meister auswendig gelernt und ihm die Empfehlungsbriefe gestohlen hatte.25

Die Tatsache, daß Amim mit seiner Kritik an der literarischen Vereinnahmung Goethes weder Varnhagen noch die übrigen Autoren des Doppelromans ernsthaft 23 24 25

Rogge (Hrsg.): Der Doppelroman der Berliner Romantik, Bd. 2, S. 157-158 Anm. 2. Ebenda, S. 163. Ebenda, S. 160.

Arnim und Varnhagen

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in Empörung versetzen konnte, erklärt sich aber nicht nur aus dem verzögerten Erscheinen seiner Rezension, sondern der Grund für die Gelassenheit, mit der vor allem Varnhagen reagiert, liegt in einem Gesinnungswandel, der bei Varnhagen gerade durch die Erfahrungen mit der Wilhelm Meister-Parodie bereits unmittelbar nach deren Bekanntwerden einsetzte und dessen Veranlassung in Varnhagens damals beginnender Freundschaft mit Rahel Robert-Levin - seiner späteren Frau - zu identifizieren ist. Rahel hatte nämlich Varnhagen schon früher, als dies in Arnims anonymer Rezension der Fall war, auf die Geschmacklosigkeit der im Doppelroman enthaltenen Wilhelm Meister-Passage hingewiesen und mit ihrem Hinweis erreicht,26 daß Varnhagen ein Einsehen hatte und von diesem Anlaß her seine gewandelte Auffassung von Goethe auch nach außen vertrat und publizistisch schließlich mit der Veröffentlichung von Textstellen über Goethe aus seinem eigenen Briefwechsel mit Rahel umzusetzen begann.27 Dabei war der Effekt, der von der Parodie des Wilhelm A/ewter-Romans ausgehen sollte, mit den kritischen Reaktionen von seiten sowohl von Rahel als auch von Arnim noch nicht zu Ende, sondern wirkte bis ins Jahr 1822 nach, als eine mehrbändige Romanparodie des Wilhelm Meister anonym zu erscheinen begann und Varnhagen sich veranlaßt sah, den gegen ihn geäußerten Verdacht, daß er der Verfasser dieser - später Pustkuchen zugeschriebenen - Goethe-Persiflage sei, im Hamburgischen Correspondenten öffentlich zu dementieren.28 Die Diskussion dieses Falles zeigt jedoch, daß das Thema Wilhelm Meister für Varnhagen mit dem Erscheinen des Doppelromans 1808 noch nicht abgeschlossen war, und die Tatsache, daß er 1821 im Briefwechsel mit Chamisso inzwischen verloren gegangene Teile eines zweiten Teils des Romans erwähnte, hat die Vermutung aufkommen lassen, Arnim sei schon bei der Abfassung seiner Rezension über den Plan zu einer Fortsetzung des Doppelromans informiert gewesen, hätte er doch sonst nicht auf die im weiteren Plan der Romanhandlung vorgesehene Episode hinweisen können, in der sich der fiktive Wilhelm Meister als „ein ganz einfältiger Bursche" herausstellen sollte, „der einige Stellen aus dem Meister auswendig gelernt und ihm die Empfehlungsbriefe gestohlen hatte". Arnim veröffentlichte jedenfalls als Rezensent Einzelheiten über die geplante Enttarnung der Wilhelm Meister-Figur, wie sie Varnhagen später in einem Brief an Chamisso wieder aufgreift, und die Schlußfolgerung daraus lautet, daß Arnim möglicherweise sogar durch Vamhagen selbst über diesen gestalterischen Plan im zweiten Romanteil in Kenntnis gesetzt gewesen sei.29 26

Ebenda, S. 130. Feilchenfeldt: Goethe im Kreis seiner Berliner Verehrergemeinde 1793-1832, S. 205-207. 2 " Vamhagen: Denkwürdigkeiten des eignen Lebens - Werke in fünf Bänden, Bd. l, S. 848849. 29 Rogge (Hrsg.): Der Doppelroman der Berliner Romantik, Bd. 2, S. 160, 169f. - Daß Amim 1826 in der Erzählung .Wunder über Wunder' aus dem ,Landhausleben' selbst in einen parodistischen Wettstreit mit Goethe eingetreten ist und sich dabei wie Vamhagen seinerzeit im Doppelroman Figurenpersonal aus Goethes .Wilhelm Meister' ausleiht, wird von Vamhagen zwar in seiner Rezension erwähnt, aber nicht weiter zum Anlaß einer Abrechnung mit Amims früherer Kritik am Doppelroman gemacht. Vgl. Vamhagen: Zur Geschichtschreibung und 27

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Konrad Feilchenfeldt

Unter dieser Voraussetzung zeigt die Verbindung zwischen Arnim und Varnhagen auch in einer Phase, die sonst keine unmittelbaren Belege kennt, eine Kontinuität, die im Hinblick schon auf die Folgezeit der Jahre 1810/11 und die aus diesen Jahren überlieferte Judenfeindlichkeit bei Arnim eine vielleicht noch zu wenig beachtete Referenz ins Spiel bringt, nämlich die einschlägigen judenfeindlichen Satireelemente im Doppelroman, die teils auf Varnhagen selbst, teils als Mitverfasser auf Bernhardi zurückgehen. Jedenfalls handelt es sich bei der Schilderung des Scherenschnittkünstlers, der im 5. Kapitel lauter Figuren herstellt und sich dafür bewundern läßt, um ein Selbstporträt Varnhagens, der selber einen Teil schon seines zeitgenössischen Ruhms der Herstellung solcher Figuren verdankt. Im Roman kann sich der Bewunderer der erwähnten Scherenschnitte „vorzüglich an den originellen Juden [...] nicht satt sehen"; und „dann folgten allerlei Bilder von solchen, die auch außer dem Sprachgebrauche der Studenten, Philister zu heißen vorzüglich werth sind, mit den seltsamsten Gesichtern."30 Rogge, der Herausgeber und Kommentator der Neuausgabe des Doppelromans erläutert diese Stelle mit Blick auf den lebensgeschichtlichen Hintergrund von Varnhagen selbst, der mit seiner Schilderung ein Erlebnis vorwegnimmt, das er später auch in seinen Denkwürdigkeiten wiederholt. Mit satirischen Scherenschnitten, die er an die Fenster einer Konditorei geklebt hatte, erregte Varnhagen als Student in Halle Straßenaufläufe. Für ausgeschnittene Juden hatte er anscheinend eine besondere Vorliebe, trotz seinem jüdischen Umgange. Die Satire gegen Juden und Philister war ein beliebtes Kampfmittel der Romantik, man denke an Brentanos Jenaer Vorlesungen über die „Naturgeschichte des Philisters" und seine in der Christlich-deutschen Tischgesellschaft in Berlin 1811 publizierte Abhandlung über den „Philister vor, in und nach der Geschichte". In diese Linie gehören auch die Judenanekdoten in Bemhardis Kapitel. Während aber Brentano, Amim und die Brüder Grimm wirkliche Judengegner waren, bedienten sich Varnhagen und seine Freunde nur gelegentlich antijüdischer Äußerungen, um ihre Zugehörigkeit zur Romantik auch hierin zu dokumentieren. Sie mußten es sich gefallen lassen, von jenen wiederum als „romantische Philister" verspottet zu werden.31

Daß Arnim und Varnhagen auch in der Zeit von Arnims antijüdischen Aktivitäten in der Tischgesellschaft und infolge dessen auch im Zeitpunkt von Arnims Duellaffare mit dem jüdischen Herausforderer Moritz Itzig noch in Verbindung gestanden haben, ist zwar durch kein unmittelbares Quellenzeugnis dokumentiert.32 Ohne daß Varnhagen aber über Arnims Schicksal in diesen Jahren informiert gewesen wäre, dürfte es kaum zu erklären sein, warum Vamhagen das Erscheinen von Arnims Novellen-Sammlung aus dem Jahr 1812 zum Anlaß nehmen konnte, im

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Litteratur, S. 539f. Femer Amim: Werke in sechs Bänden, Bd. 4, S. 629-635, 635-663, 1227-1229. Zur Problematik in literarischer Absicht vgl. Ziolkowski: Figuren auf Pump, der allerdings nicht auf Amim, wohl aber auf Varnhagen eingeht. Rogge (Hrsg.): Der Doppelroman der Berliner Romantik, Bd. l, S. 54 und 158. Ebenda, Bd. 2, S. 193-194. Vgl. Vamhagen: Ludwig Achim von Amim und Moritz Itzig - Werke in fünf Bänden, Bd. 4, S. 674-680, 1087-1093.

Arnim und Varnhagen

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Gegenzug zu Arnims Rezension des Doppelromans seinerseits Arnims Erzählungen zu rezensieren. Auch wenn der Text dieser Rezension bisher nur dank eines Wiederabdruckes in Varnhagens gesammelten Rezensionen aus dem Jahr 1833 bekannt geworden ist, dürfte kein Zweifel daran bestehen, daß Arnims Erzählungen in der Ausgabe von 1812 unmittelbar nach ihrem Erscheinen auch von Varnhagen rezensiert worden sind.33 Dafür spricht als Indiz allein schon die Tatsache, daß Varnhagen als Rezensent Arnims Novellen mit den „Erzählungen von Heinrich von Kleist" vergleicht, „die vor zwei Jahren erschienen" seien, also von 1810 datieren, und schon deswegen liegt es nahe, daß Varnhagens Rezension ebenso wie das von ihm rezensierte Buch beide 1812 vorgelegen haben. Ein weiteres Indiz dafür, daß Varnhagens Rezension schon vor der Veröffentlichung im Sammelband seiner kritischen Schriften von 1833 bereits einmal erschienen war, geht aus der Tatsache hervor, daß in diesem Sammelband auch sonst nur bereits einmal publizierte Texte, allerdings mehrheitlich aus den Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik, enthalten sind.34 Von der Sache her problematischer als die Frage nach dem bisher unbekannt gebliebenen Erstdruck der Rezension ist im Grunde ihre inhaltliche Qualität; denn was Vamhagen von den einzelnen Novellen Arnims berichtet oder in einem weiteren Schritt an kritischen Bemerkungen über Amim als Autor dazu ausführt, nimmt einen vergleichsweise geringen Raum ein. Das Gewicht in Varnhagens Rezension liegt zunächst einmal auf der Erörterung einer literarischen Gattung, die ihn aus konkretem Anlaß damals auch persönlich beschäftigt haben dürfte. Schon 1809 war er selbst als Erzähler hervorgetreten und hatte 1812 auch weitere Erzähltexte publiziert, so daß von ihm 1815 sogar eine eigene Sammlung Deutsche Erzählungen erscheinen konnte,35 und für sein literarisches Selbstverständnis, das ihn als Autor selbst auf das Feld der Erzählung verwiesen hat, ist die Rezension von Arnims Erzählungen aus dem Jahr 1812 wohl so etwas wie ein programmatisches Autorzeugnis. Zunächst betont Varnhagen den Vorteil der Kürze, den „die Dichtungsart der Erzählung, der Novelle, oder wie man es sonst nennen will, auf allen Stufen der Volksbildung und in allen Entwicklungsformen des Geschmacks" bewiesen und bestätigt habe. Er setzt sich damit kritisch gegenüber den „größeren, durch Kunst und Mannigfaltigkeit verwickelten Kompositionen" ab, und er verbindet mit dieser Betrachtung auch ein politisches Postulat, indem er es als etwas Sonderbares registriert, „daß im Deutschen die reine Form der prosaischen Erzählung, als unterhaltende Mittheilung eines bemerkenswert!! Geschehenen, nicht den Eingang und die Verbreitung gefunden hat, deren sie bei anderen Nationen theilhaft geworden"; jedenfalls ist der spätere Titel seiner eigenen einschlägigen Sammlung Deutsche Erzählungen in den zitierten Gedanken bereits vom Thema her vorweggenommen.36

Vgl. Malion: Arnim-Bibliographie, S. 49, Nr. 76. Vamhagen: Zur Geschichtschreibung und Litteratur, S. 533. Goedeke: Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung, Bd. 6, S. 179, Nr. 16. Vamhagen: Zur Geschichtschreibung und Litteratur, S. 532.

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Was Varnhagen mit der Forderung nach einer deutschen Erzählliteratur meint, ist das Ergebnis einer Literaturbetrachtung, die in der Literaturgeschichte das Anwendungsfeld für ein Stück Fichte'scher Geschichtsphilosophie erprobt. Es geht dabei um eine Instrumentalisierung nationaler Identitäten im Spiegel ihrer Literatur. Die von Fichte in seiner Abhandlung über die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters und in den Reden an die Deutsche Nation entwickelte Vorstellung vom Aufstieg und Fall der Nationen, von denen in der Menschheitsgeschichte jeweils eine einzelne vorübergehend die übrigen Nationen dominiert, bis sie selbst in dieser Funktion wieder von einer anderen ersetzt wird, gilt analog auch für den Umgang mit der Literaturgeschichte. Deswegen ist die Verehrung für Boccaccio und Cervantes als Erzähler, die nicht nur Varnhagen, sondern gleichzeitig auch andere Autoren der romantischen Epoche bekundet haben, nicht etwa Ausdruck eines italianistischen oder hispanistischen Wissenschaftsinteresses, sondern es manifestiert sich darin die beinahe schon nationalistische Erwartung und Vision, daß nunmehr Deutschland an der Reihe sei, um in der Erzählliteratur jene Position von Weltrang einzunehmen, die früher einmal bei Italien und Spanien gelegen hatte.37 Varnhagen ordnet deshalb Arnims Erzählungen in eine Entwicklung deutscher Erzählliteratur ein, die mit den von ihm namentlich genannten deutschen Autoren Goethe und Kleist bereits einen vielversprechenden Aufschwung genommen, die Erwartungen, die berechtigterweise gehegt worden seien, aber noch nicht erfüllt habe. Arnim wird zwar von Varnhagen zu einer Art Hoffnungsträger deutscher Novellistik stilisiert, aber seine 1812 erschienenen Erzählungen können ein solches Vorgehen nicht rechtfertigen, und deswegen schreibt Varnhagen: [...] kein Leser dieser Novellen kann einen Augenblick zweifeln, daß er auf dem reichsten Boden der Dichtkunst einhergeht, daß er von allem Zauberwesen ihrer mächtigsten Wirkungen umgeben ist, daß die Gebilde, welche vor seinen Augen oder in seinem Innern erstehn, einem idealen Gebiet angehören. Und dennoch wird in allem Genüsse der Leser zuletzt nicht ohne das Mißbehagen einer gewissen Unbefriedigung bleiben; er wird etwas missen, aber nicht, indem er zu wenig, sondern im Gegentheil, indem er zu viel empfing!38

Varnhagen formuliert in seiner relativierenden Kritik ein charakterologisches Merkmal von Amim, das in seiner Ambivalenz auch andere literarische und literaturkritische - darunter auch literaturwissenschaftliche - Urteile über ihn inspiriert hat.39 Vergleichsweise kurz fallt dabei nur die unmittelbare Auseinandersetzung Vamhagens mit den einzelnen der vier Novellentexte von Arnims Sammlung aus, nur scheint für Varnhagen eine textnahe Kritik an Arnims Werken kein unmittel37

38 39

Vgl. Fichte: Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters. Vierzehnte Vorlesung - Ausgewählte Werke in sechs Bänden, Bd. 4, S. 597-606. Fichte: Reden an die Deutsche Nation. Vierzehnte Rede - ebenda, Bd. 5, S. 228-246. Ferner Schlegel: Geschichte der alten und neuen Literatur - Kritische Ausgabe, Bd. 6, S. 5-17. Schlegel: Geschichte der europäischen Literatur (1803-1804) - ebenda, Bd. 11, S. 3-6, und Müller: Vorlesungen über die deutsche Wissenschaft und Literatur - Kritische/ästhetische und philosophische Schriften, Bd. l, S. 13. Varnhagen: Zur Geschichtschreibung und Litteratur, S. 534. Vgl. zuletzt Borries: Deutsche Literaturgeschichte, Bd. 5: Romantik, S. 184-192.

Arnim und Varnhagen

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bares Desiderat gewesen zu sein: „Nachdem wir versucht, im Allgemeinen den Dichter in seiner nicht leicht zu erfassenden und hier keineswegs zu erschöpfenden Eigenheit zu bezeichnen, bleibt uns noch in solchem Bezüge ein Wort von den vorliegenden vier Novellen insbesondre zu erwähnen."40 Anders als bei Varahagens Amim-Rezension des Jahres 1812 ist seine vierzehn Jahre später - 1826 - veröffentlichte Besprechung von Amims Landhausleben entstehungs- und druckgeschichtlich sehr viel besser dokumentiert. Zwar stützt sich auch in diesem Fall die ältere bibliographische Forschung ausschließlich auf den Text der Rezension in Varnhagens Sammelband seiner kritischen Schriften von 1833. Erstmals erschienen ist die Rezension jedoch nachgewiesenermaßen in der Zeitschrift Der Gesellschafter oder Blätterför Geist und Herz, vom 21. Oktober 1826, 168stes Blatt, S. 849-850, und überliefert ist zu diesem Anlaß auch ein von dem selben Tag datierter Brief, mit dem Varnhagen Arnim seine Rezension aus dem Gesellschafter anzeigte und zugleich in einem Exemplar aus dem „Blatt" zugänglich machte. Varnhagen war zwar, wie er Arnim mitteilte, „mit der Gestalt, in der es gedruckt vor Augen steht, nicht sonderlich zufrieden, und schon fast verwundert über das, was ich vor drei Wochen geschrieben habe".41 Amim dagegen reagierte auf Varnhagens Brief und die Zusendung von dessen Rezension sehr freundlich: Herzlichen Dank für Brief und Einlage. So fühlt man sich von der Welt zuweilen vergessen und verlassen, während wohlwollende Freunde uns mit der Welt verbinden und mehr Gutes von einem sagen, als man selbst weiß. Ihre Anzeige in der Wiener Zeitschrift war mir unbekannt, Ihre Anzeige im Gesellschafter ist mir noch nicht erschienen, da der Gesellschafter hier keine Gesellschaft findet, doch hoffe ich bei naher Anwesenheit in Berlin mich daran zu erfreuen und über die kritischen Ausstellungen mich zu rechtfertigen oder mich daran zu bessern.42

Was Varnhagen in seiner Rezension von Arnims Landhausleben meinte, wenn er sich zunächst dafür entschuldigte, Arnim früher falsch und ungerecht beurteilt und kritisiert zu haben, ist nicht mit Sicherheit zu erklären. Jedenfalls beginnt seine „Anzeige", wie er schreibt, mit der Feststellung: „Wir haben die Anzeige dieses Buches mit dem Bekenntniß eines Irrthums zu beginnen." Denn auch wenn er Arnim immer unter „die edelsten und besten unsrer Dichter" gezählt habe, so „fanden wir auch viel an ihm aus zu setzen und waren mißvergnügt im Vergnügen selbst, und wollten zwar, was er gab, recht gern, aber doch lieber auf andre Weise." Deswegen bedeutet die Rezension von Amims Landhausleben eine regelrechte Wende in Varnhagens Verhältnis zu Amim, wenn er im Rückblick auf seine bisherigen Vorbehalte gegenüber dessen Dichtung erklärt: „Diese Meinung, mit

Varnhagen: Zur Geschichtschreibung und Litteratur, S. 536. Weiss (Hrsg.): Unbekannte Briefe von und an Achim von Amim, S. 332f. und Anm. l. Vgl. Mallon: Amim-Bibliographie, S. 79, Nr. 136. Dorow (Hrsg.): Reminiscenzen, S. 115. Vgl. Amim und Brentano: Achim und Bettina in ihren Briefen, Bd. 2, S. 630f.

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welcher wir bisher den Dichter lange begleitet haben, werfen wir jetzt, nach Erscheinung dieses neuesten Buches, als einen Irrthum ab." Mit dem wiederholten Bekenntnis, einen Irrtum begegangen zu haben, hebt Varnhagen im folgenden Teil seiner Besprechung zu einem Loblied auf die von Arnim veröffentlichte Sammlung neuer Erzählungen an, an deren literarischer Qualität er nur noch Rühmenswertes festhält. Dabei ist Varnhagen nicht nur der Meinung, an Arnims Werken „ein schon seit Jahren bemerkbares Zunehmen des Gehalts auffinden" zu können, sondern er rühmt auch Amims „freier" gewordene „Gesinnung, als tiefste Unterlage aller dichterischen Hervorbringung" und betont am Ende vor allem auch, daß Arnim sich über die „geistigen und sittlichen Bedürfnisse seines Zeitalters" besser als früher im Klaren geworden sei und damit einer Anforderung genüge, auf deren Erfüllung er früher bei Amim vergeblich gehofft hatte. „Deßhalb", schreibt Varnhagen über Arnim, „ist er auch im höchsten Sinne vaterländisch, in allen Abstufungen, vom Brandenburgischen bis zum Norddeutschen und von diesem bis zum Europäischen aufsteigend, wobei das allgemein Menschliche die nothwendige Begleitung macht."43 Varnhagen scheint bei der Rezension der Erzählungen in Amims Landhausleben 1826 auf eine noch ungetrübte Erinnerung an seine Arnim-Rezension aus dem Jahr 1812 zurückgreifen zu können und dabei die Positionen seiner damaligen Auffassung von deutscher, aber auch europäischer Literatur noch einmal überlegt und teilweise neu geordnet zu haben. 1812 hatte Arnim Varnhagen nämlich noch zutiefst enttäuscht. Arnims Erzählungen bestätigten damals Vamhagens Hoffnungen auf eine neue deutsche Novellistik von europäischem Zuschnitt nicht. In der Zwischenzeit war jedoch ein Wandel eingetreten, und Varnhagen selbst hatte seinen novellistischen Ehrgeiz weitgehend überwunden und in der Biographie eine neue Gattung seiner Wahl entdeckt.44 Arnim war für ihn deswegen als Erzählautor kein Konkurrent mehr, sondern im Gegenteil auch zu einem Zeugen jener Epoche geworden, die Varnhagen inzwischen zu seinem historischen Arbeitsgebiet auszubauen begann, und im Rückblick macht es bei Varnhagen den Eindruck, als ob Arnim plötzlich alle Forderungen, die Varnhagen seinerzeit an einen deutschen Erzählautor ganz allgemein, aber auch an sich selbst als Erzählautor gestellt hätte, jetzt voll erfüllt hatte. Dabei bleibt die Frage offen und einer weiteren Recherche vorbehalten, ob die von Arnim in seinem vom 26. Oktober 1826 datierten Antwortschreiben an Varnhagen erwähnte „Anzeige in der Wiener Zeitschrift" möglicherweise ein Exemplar des Erstdrucks von Varnhagens Arnim-Rezension aus dem Jahr 1812 gewesen ist; denn wenn Varnhagen 1826 Arnim beide Rezensionen, nicht nur die damals aktuelle aus dem Gesellschafter zugeschickt hatte, wäre damit ein äußeres Indiz gefunden, um den inneren inhaltlichen Zusammenhang,

Vamhagen: Landhausleben [Rezension]. - In: Der Gesellschafter Blatt 168 vom 21. Oktober 1826, S. 849-850. Vgl. Vamhagen: Zur Geschichtschreibung und Litteratur, S. 537-541. Eine rezeptionsgeschichtliche Würdigung dieser Rezension Vamhagens bringt Renate Moering in Amim: Werke in sechs Bänden, Bd. 4: Sämtliche Erzählungen 1818-1830, S. 12431250. Vgl. Feilchenfeldt: Vamhagen von Ense, S. 182-194,228-246.

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der zwischen den beiden Texten offensichtlich besteht, zu bestätigen, und Vamhagen hätte damit auch Arnim gegenüber offen gelegt, inwiefern sein „Irrthum" ihm gegenüber als „Bekenntniß" gemeint und zu verstehen gewesen ist, nämlich als Revision seiner Rezension von 1812.45 Wenn daher der Erstdruck von Varnhagens Arnim-Rezension von 1812 in einer „Wiener Zeitschrift" erschienen ist, dürfte unter den Presseorganen, die Varnhagen belieferte, als erste Vermutung für den Abdruck der Österreichische Beobachter in Betracht kommen, der im Jahr 1811 von Varnhagen immerhin drei Beiträge angenommen hat.46 Die Vermutung, daß Varnhagen deshalb auch im Jahr 1812 erneut an den Herausgeber und Redakteur dieser Zeitung, Josef Anton von Pilat geschrieben haben könnte, um dort auch eine Rezension der NovellenSammlung von Arnim zu veröffentlichen, liegt auf der Hand und wird durch die Tatsache bestätigt, daß vom 28. Februar 1812 auch ein Brief von Varnhagen an Pilat datiert.47 Über einen Verbleib dieses Briefes ist bis jetzt noch keine Recherche erfolgt, aber aus der Antwort, die Pilat auf diesen Brief am 17. April 1812 geschrieben hat, kann immerhin in einem zweiten Indiz erschlossen werden, daß Varnhagen tatsächlich bei Pilat um den Abdruck von Rezensionen gebeten hatte. Nur war Pilat nicht nur nicht bereit gewesen, auf Varnhagens Bitte einzugehen, sondern er hatte sich mit seiner Ablehnung auch noch einige Zeit gelassen und sah sich nun veranlaßt, sich bei Varnhagen ganz ausdrücklich für sein Versäumnis zu entschuldigen. Im Ernste lieber Varnhagen, Sie haben so oft u. so freundschaftlich an mich geschrieben und ich habe Ihnen nie geantwortet; ich will mich mit nichts entschuldigen, sondern lieber hinfuhro die That sprechen lassen. Die beiden Recensionen, welche Sie die Güte hatten, mir einzuschicken, sende ich Ihnen wieder zurück; warum ich die ihrige, so leid es mit thut, nicht wohl aufnehmen konnte, wird Ihnen Graf Bentheim sagen, den ich gestern noch bei Mad. Brede gesehen habe. Die Beckerschen Beurtheilungen, so trefflich sie auch sind, haben für Wien keinen Werth, da kein sterblicher Mensch die beurtheilten Romane kennt, also alle Warnung vor dieser Langeweile überflüssig ist -48

Die Tatsache, daß die beiden Rezensionen über Arnims Novellensammlungen aufeinander bezogen, bzw. die spätere bezogen auf die frühere geschrieben worden ist, bestätigt auch die Anordnung der beiden Texte in der Abfolge der Drucklegung in Varnhagens 1833 erschienenem Sammelband seiner Rezensionen. Die Hauptabteilung umfaßt in chronologischer Folge die Rezensionen aus den .Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik'. In einem „Nachtrag" werden Rezensionen, die alle aus Erstveröffentlichungen in anderen Zeitschriften zusammengestellt sind, ebenfalls in chronologischer Reihenfolge abgedruckt. Nur bei den beiden Rezensionen über Arnim wird die Chronologie durchbrochen, und der Rezension von 1812 folgt unmittelbar diejenige von 1826, an die sich dann wieder ein Text von 1821 anschließt. Vgl. Varnhagen: Zur Geschichtschreibung und Litteratur, S. 532-537,537-541, 541-572. Vgl. Wiedenmann: Karl August Varnhagen von Ense, S. 416. Ebenda, S. 316. Handschrift in der Varnhagen von Enseschen Sammlung [Kasten 142] im Depot der Jagiellonischen Bibliothek Krakow. Vgl. Stem: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung, S. 594. Für ihre Hilfe bei der Beschaffung einer Kopie dieses Briefes danke ich Frau Claudia Schulze (München), Frau Prof. Dr. Olga Dobijanka-Witczakowa (Krakow) und Herrn und Frau Prof. Dr. Bernhard und Enid Gajek (Regensburg), denen ich auch für die erfolgreiche Unterstützung bei der Entzifferung der handschriftlichen Schriftzüge sehr dankbar bin. - Der Nachweis

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Die Tatsache, daß ein erster Journaldruck von Varnhagens Rezension der Arnimschen Novellen-Sammlung von 1812 bisher nicht ermittelt werden konnte, erinnert an eine Betrachtung, die Varnhagen selbst bereits einmal zum Thema unentdeckter Veröffentlichungen formuliert hat. „Nicht zum ersten, noch letzten Male wäre das Druckenlassen einem geheimen Niederlegen und Verwahren gleich gewesen, wo der öffentlich verborgene Gegenstand auf diese Weise am besten gegen alles Gefunden- und Erkanntwerden gesichert ist!"49 Dies gilt jedoch - vorläufig nicht nur für den aller Wahrscheinlichkeit nach in einer „Wiener Zeitschrift" trotzdem zustande gekommenen Journal- oder Zeitungserstdruck von Varnhagens Rezension der Novellen-Sammlung von Arnim aus dem Jahr 1812, sondern es gilt dies in der Geschichte ihres publizistischen Austausche auch für einen weiteren Zeitungsartikel von Arnim, der, nachdem er - beginnend mit dem Ausruf „Tyrol ist frei!" - am 8. Oktober 1813 im Preußischen Correspondenten anonym erschienen war, am 24. Oktober 1813 in der Zeitung aus dem Feldlager leicht gekürzt nachgedruckt wurde. Von Varnhagen, der damals diese Feldzeitung redaktionell betreute, gibt es jedoch kein Zeugnis, daß er sich dabei bewußt gewesen wäre, einen Zeitungsartikel von Arnim bearbeitet und nachgedruckt zu haben,50 und umgekehrt ist auch von Arnim, der damals den Preußischen Correspondenten herausgab, keine Reaktion überliefert, daß sein Artikel in der Zeitung aus dem Feldlager nachgedruckt wurde. Ebenso wenig wie Varnhagen aber in der Lage gewesen ist, in der von ihm herausgegebenen Feldzeitung den Nachdruck eines noch dazu anonymen Artikels von Arnim zu verhindern, hat auch Arnim etwas dagegen unternommen, als nur wenig später unter seiner Herausgeberschaft im Preußischen Correspondenten Varnhagen einen bereits im Deutschen Beobachter erschienenen Artikel gegen Niebuhr - und sogar nicht einmal anonym, sondern namentlich gezeichnet - veröffentlichten konnte. Auch von Arnim gibt es dazu keine überlieferte Äußerung, nicht einmal, nachdem ihn Wilhelm Grimm in einem Brief

von Varnhagens Arnim-Rezension im Erstdruck einer Joumalveröffentlichung ist nach wie vor ein ungeklärtes Problem, wie mir auch Herr Dr. Heinz Härtl (Weimar) aus seiner profunden Arnim-Kenntnis und Kenntnis von Arnims Umkreis und Herr Dr. Nikolaus Gatter (Vamhagen-Gesellschaft, Hagen) bestätigten. Herr Bemdt Tilp M.A. (Limerick/Irland) recherchierte auf meine Bitte dankenswerter Weise in den Beständen der Biblioteca Varnhagen der Staatsbibliothek Stiftung Preußischer Kulturbesitz zu Berlin nach einem Exemplar von Amims Novellen-Sammlung aus Varnhagens Besitz, aber ebenso ohne Ergebnis. Für den Fall, daß dieses druckgeschichtliche Problem einmal gelöst und der Erstdruck von Varnhagens Rezension der Novellen-Sammlung von Amim aus dem Jahr 1812 bibliographisch ermittelt werden sollte, wird darüber in Neue Zeitung für Einsiedler. Mitteilungen der Internationalen Arnim-Gesellschaft Bericht erstattet werden (http://www.arnim-gesellschaft.unikoeln.de). Weder Mallon: Arnim-Bibliographie, noch Renate Moering in Amim: Werke in sechs Bänden, Bd. 3: Sämtliche Erzählungen 1802-1817, enthalten dazu Angaben. Varnhagen: Denkwürdigkeiten des eignen Lebens - Werke in fünf Bänden, Bd. l, S. 567. Vgl. Bunzel: Ein anonymes Zeugnis, S. 321-322. Arnim: (Tirol ist frei!) - Werke in sechs Bänden, Bd. 6, S. 422-424, 1240-1241. Vgl. Feilchenfeldt: Öffentlichkeit und Chiffrensprache in Briefen der späteren Romantik, S. 136-137, 151-152.

Arnim und Varnhagen

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vom 28. Januar 1814 - aus alter Animosität gegen Varnhagen - ausdrücklich daraufhingewiesen hatte.51

Varnhagen: Über einen Aufsatz in No. 151. des vorjährigen Correspondenten. - In: Der Preußische Correspondent Nr. 10 vom 19. Januar 1814. Für die Benutzung einer Kopie dieser Ausgabe des Preußischen Correspondenten danke ich Herrn Dr. Jürgen Knaack (Hamburg) sehr herzlich. Es handelt sich bei dieser Veröffentlichung um einen Nachdruck des davor bereits im Deutschen Beobachter Nr. 7 vom 13. Januar 1814 erschienenen Aufsatzes mit der Oberschrift ,Rüge'. Mit der Drucklegung im Preußischen Correspondenten dürfte nur Barthold Georg Niebuhr zu tun gehabt haben, mit dem sich Varnhagen in seinem Aufsatz auch auseinandergesetzt hatte und der deswegen dem Abdruck auch eine von ihm selbst verfasste .Erwiederung* folgen ließ. Vgl. auch die Dokumentation bei Eyssenhardt: Barthold Georg Niebuhr, S. 88-97. Ferner Feilchenfeldt: Varnhagen von Ense, S. 81-84. Wiedenmann: Karl August Varnhagen von Ense, S. 191-193.-Zu Arnims Herausgeberschaft beim Preußischen Correspondenten, die vom 1. Oktober 1813 bis zum 31. Januar 1814 dauerte, vgl. Czygan: Zur Geschichte der Tagesliteratur während der Freiheitskriege, Bd. l, S. 304-316. Vgl. Steig/Grimm (Hrsg.): Achim von Amim und die ihm nahe standen, Bd. 3, S. 293. Lettow Vorbeck: Zur Geschichte des Preußischen Korrespondenten, 2. Buch, S. 59-61, 76-77. Inwieweit Varnhagens Auseinandersetzung mit Niebuhr auch seine Beziehung zu Amim berührt, zeigt ein Brief Niebuhrs an Amim, dessen Datierung auf den Januar 1814 angesetzt ist, dessen Inhalt sich aber nicht mit Varnhagens Beitrag zum Preußischen Correspondenten befaßt. Der Bezug zu Varnhagen, der sich dabei möglicherweise auch für diese Fehlanzeige interessierte, liegt nur in der Tatsache begründet, daß sich das handschriftliche Original von Niebuhrs Brief an Amim im Bestand seiner Autographensammlung befindet. Vgl. Niebuhr: Briefe, Bd. 2, S. 453-455.

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Achim von Arnim, der Preußische Correspondent und die Spenersche Zeitung in den Jahren 1813 und 1814

„Die Romantik entdeckt den Wert der .bürgerlichen Vereinigung', die Verwiesenheit aufs Volk."1 So faßt Alexander von Bormann die politische wie literarische Bedeutung von .Volk' für die Hoch- und Spätromantik zusammen. Und Volk ist in der Tat für Arnim ein zentraler Bezugspunkt vieler seiner Überlegungen. Stefan Nienhaus2 hat Arnims Volksbegriff in dessen Schriften von 1805 bis 1813 eingehend untersucht, und darauf soll hier eingangs noch einmal verwiesen werden. Denn auch das Thema „Zeitung" ist in damals eng mit diesem romantischen Paradigma verbunden. Eine von Amims Forderungen ist es, daß das Volk informiert werden müsse. Um Informationen zu bekommen, muß von den Regierenden die Öffentlichkeit aller Beratungen und Entscheidungen hergestellt oder zugelassen werden. Dieses ist vermutlich ein Grund dafür, daß Amim schon früh Journalist werden wollte. Er will an diesem Informationsfluß mitwirken. Sein erster Zeitungsplan in einem seiner Taschenbücher heißt „Preußens Volkszeitung".3 Ein weiterer wichtiger Grundsatz in diesem Zusammenhang ist für ihn, daß das Volk frei sein muß und an allem beteiligt werden soll. In selben Taschenbuch heißt es: „Kein freyes Volk fühlt sich arm"4 und: „Das thätigste Volk ist das reichste."5 Freiheit kann aber nur durch allgemeine Bildung - einen Plan dafür entwickelt er im Volkslieder-Aufsatz - erreicht werden; Voraussetzung für die Freiheit ist aber auch die freiwillige Teilnahme an der Befreiung von der Fremdherrschaft. Diesbezügliche Pläne entwikkelt Arnim in den Königsberger Heeresreformplänen, wo er auch grundsätzlich Landsturm und Landwehr befürwortet. Geleistet werden kann dies alles nur im Rahmen einer Verfassung, für deren Einrichtung Arnim sich immer stärker einsetzte. All das sind durchaus .romantische' Ideale: Herstellung von Öffentlichkeit, die Bildung des Volkes, die Kampfbereitschaft für die Freiheit und die Einführung einer Verfassung. Und diese Ziele hat Arnim auch in den vier Monaten seiner

Alexander von Bormann: Romantik. - In: Fischer Lexikon Literatur Bd. 3, S. 1710-1722, hier S. 1718. Stefan Nienhaus: „Wo jetzt Volkes Stimme hören?" Das Wort „Volk" in den Schriften Achim von Amims von 1805 bis 1813. - In: Ricklefs (Hrsg.): Universelle Entwürfe - Integration Rückzug. Arnims Berliner Zeit (1809-1814), S. 89-99. Hs-B 69 im Freien Deutschen Hochstift, S. 5. Ebenda S. 120. Ebenda S. 178.

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Herausgeberschaft des Preußischen Correspondenten auf seine Fahnen geschrieben und versucht publizistisch durchzusetzen. Am Beginn des Vergleichs des Preußischen Correspondenten mit den gleichzeitig erscheinenden Berlinischen Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, nach ihrem Verleger kurz Spenersche Zeitung genannt, soll Arnims Artikel „An die Leser" stehen, den er als Abschied nach der viermonatigen Herausgeberschaft in der Nr. 17 am 31. Januar 1814 veröffentlicht hat.6 In diesem Text ist das gesamte journalistische Programm Arnims enthalten, das noch ergänzt wird durch einen der wenigen nachweislich von der Zensur gestrichenen Sätze: „Die Beschränkung dessen, was gedruckt werden darf, unterdrückt die Lust, das Erlaubte mitzutheilen, Völker können nicht aus der gegenseitigen Erfahrung lernen, denn sie erfahren nichts Wahres von einander."7 Arnim hat den Preußischen Correspondenten nur vier Monate, jedoch in einer politisch entscheidenden Zeit herausgegeben. Während dieser Zeit befreite sich Deutschland von der französischen Besatzungsmacht. Die Leistung Arnims als Journalist - schon 1804 schrieb er an Brentano: „Ich habe Lust, [...] Zeitungsschreiber zu werden"8 - kann nicht hoch genug angesetzt werden. Er hatte nicht nur in seiner eigenen Zeitung für Einsiedler bereits 1808 neue Wege beschritten, auch als Herausgeber des Preußischen Correspondenten erweiterte er die Grenzen dieses Mediums. Wahrscheinlich hat er vieles bei Kleist gelernt, dessen wegweisende Berliner Abendblätter auf den Tag genau drei Jahre zuvor, am l. Oktober 1810, ihr halbjähriges Zeitungsleben begannen. Arnim hat an ihnen vom ersten Tag an mitgearbeitet hat. Über Kleists Einfluß auf Arnim als Zeitungsmacher hat die Forschung bisher noch nichts erarbeitet, lediglich Peter Staengle hat über Arnims Rolle in den Berliner Abendblättern berichtet;9 vermutlich läßt sich aber auch ein Einfluß Kleists auf Arnim nachweisen. Um die eigenständige Leistung Arnims während seiner vier Monate als Zeitungsmacher nachweisen zu können, habe ich alle Artikel des Preußischen Correspondenten vom 1.10.1813 bis zum 31.1.1814 mit denen in einer der beiden alteingesessenen Berliner Zeitungen, der Spenerschen, verglichen. Der Preußische Correspondent war vom Historiker Barthold Georg Niebuhr als dritte Berliner Zeitung neben den bestehenden, der Vossischen (gegründet 1722) und der Spenerschen (gegründet 1727), zu Beginn des Jahres 1813 gegründet worden. Arnim übernahm die Leitung des Correspondenten interimistisch praktisch von einem Tag auf den anderen, weil Niebuhr in Staatsdiensten unterwegs, der Verleger Reimer im Krieg war und die Verlegersgattin nach dem kurzfristigen Ausscheiden von Arnims Vorgänger, dem Theologen Friedrich Schleiermacher, dringend jemanden suchte, der in der Lage war, die Redaktion der Zeitung sofort zu übernehmen. Niebuhr hatte ein völlig anderes Konzept als Arnim, mehr wissenschaftlich-histo-

Arnim: Werke in sechs Bänden, Bd. 6: Schriften, S. 471 f. Steig/Grimm (Hrsg.): Achim von Arnim und die ihm nahe standen, Bd. l, S, 324. Arnim und Brentano: Freundschaftsbriefe, Bd. l, S. 231. Peter Staengle: Achim von Arnim und Kleists „Berliner Abendblätter". - In: Ricklefs (Hrsg.): Universelle Entwürfe, S. 73-88.

Arnim, der Preußische Correspondent und die Spenersche Zeitung

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risch, aber das interessierte Amim nicht, was schon im Dezember dazu führte, daß der für kurze Zeit nach Berlin zurückgekehrte Niebuhr sofort wieder in die Redaktionsgeschäfte eingriff und Amim nicht nur maßregelte, sondern gegenüber Freunden schlecht machte. Über diesen Streit ist bereits ausführlich berichtet worden.10 Was machte Arnim anders als die Redakteure der Spenerschen Zeitung, wo setzte er seine Schwerpunkte - und vor allem: Wie war der Informationsfluß von einer Zeitung zur anderen und umgekehrt? Nicht alle der 757 von Arnim verantworteten Texte werden zur Untersuchung herangezogen, sondern die Unterschiede und Besonderheiten sollen an einigen exemplarischen Beispielen herausgearbeitet werden.

Statistik, Erscheinungsweise, Erscheinungszeit Zuvor jedoch einiges statistisches Material: Der Preußische Correspondent erschien viermal in der Woche, nämlich montags, mittwochs, freitags und sonnabends, während die Spenersche Zeitung nur dreimal erschien, dienstags, donnerstags und sonnabends, das heißt, beide Zeitungen erschienen wochentags im Wechsel und sonnabends gemeinsam. Durch die häufigere Erscheinungsweise hatte der Preußische Correspondent natürlich einen Vorteil. Der Nachrichten-Umfang war ungefähr gleich, obwohl die Spenersche Zeitung meist acht Seiten und der Preußische Correspondent nur vier Seiten umfaßte. Ungefähr die Hälfte der Beiträge waren bei der Spenerschen Zeitung jedoch Ankündigungen und Anzeigen, während der Preußische Correspondent so gut wie anzeigenfrei war und auch nur selten offizielle Ankündigungen abdruckte. Bei siebzig Nummern, die Arnim zu verantworten hat, waren das im Durchschnitt elf Artikel und Meldungen pro Ausgabe, wobei die Anzahl zwischen vier und sechzehn Stücken pro Ausgabe schwankte. Der Preis für beide Zeitungen war identisch, im Voraus-Abonnement 22 Groschen für das Quartal, danach ein Taler und zwei Groschen. Arnim verdiente, zum Vergleich, im Quartal 90 Taler. Die Artikel und Nachrichten sind überwiegend anonym, im Preußischen Correspondenten taucht Niebuhr als einziger Namensautor häufiger auf. Hingegen sind die Artikel oft mit Quellenangaben versehen, entweder mit Verweisen auf andere Zeitungen aus dem In- und Ausland oder mit vagen Informantenangaben wie „in einem Brief aus" oder „nach einem glaubwürdigen Briefe" oder „nach eingegangenen Berichten". Die Vossische Zeitung hatte im Jahr 1813 eine Auflage von 4.000 Exemplaren, die Spenersche Zeitung von 3.150; vor allem wohl wegen des gestiegenen Informationsbedürfnisses während der Befreiungskriege stieg die Auflage der Vossische Zeitung im Jahr 1814 auf 4.500, die der Spenerschen sogar auf 4.250." Zu 10

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Unter anderem bei Lettow Vorbeck: Zur Geschichte des Preussischen Correspondenten, 2. Buch, S. 38ff. Emil Dovifat: [Artikel] Berlin - In: Heide (Hrsg.): Handbuch der Zeitungswissenschaft Bd. l, Sp. 454-503, hier Sp. 468.

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den Auflagenzahlen des Preußischen Correspondenten gibt es lediglich den Hinweis der Verlegersfrau Reimer in einem Brief an ihren Mann, daß nach dem ersten Quartal der Amimschen Redaktion die Zahl der Abonnenten gestiegen sei und rund neunhundert Blätter täglich verkauft würden.12 Ich habe versucht, die gegenseitigen Einflüsse der beiden untersuchten Zeitungen statistisch zu erfassen, soweit das in diesem Rahmen möglich ist. Von den 58 in beiden Zeitungen wortidentisch erschienenen Artikeln und Meldungen sind acht gleichzeitig, d. h. natürlich immer am Sonnabend, 10 früher in der Spenerschen Zeitung und 40 früher im Preußischen Correspondenten erschienen. Bei den Meldungen und Artikeln zu gleichen Themen mit nur ähnlicher Darstellung sieht es ähnlich aus: Sieben sind gleichzeitig erschienen, bei zwölfen war die Spenersche, bei vierzig jedoch der Preußische Correspondente schneller. Insgesamt wurden also von den 117 identischen oder ähnlichen Artikeln und Meldungen 95 früher oder gleichzeitig im Preußischen Correspondenten publiziert. Im Verhältnis zum Gesamtvolumen von 757 Artikeln im Preußischen Correspondenten sind das also mehr als zehn Prozent der Artikel. Das heißt, daß die neue Zeitung gegenüber der alteingesessenen sehr oft wesentlich schneller Bericht erstattete, sehr wahrscheinlich vor allem auch wegen der häufigeren Erscheinungsweise. Gegenseitige Nennung der beiden Berliner Zeitungen sind während dieser vier Monate selten, vier Mal wird der Preußische Correspondent als Quelle in der Spenerschen Zeitung, acht Mal die Spenersche im Correspondenten angegeben. Die politische und militärische Entwicklung während der Herausgeberzeit Arnims soll zunächst kurz umrissen werden. Nachdem Frankreich im russischen Feldzug gescheitert war, schloß der preußische General Yorck mit den Russen am 30.12.1812 einen Unterstützungsvertrag, die Konvention von Tauroggen. Ein freiwilliges preußisches Jägercorps wurde aufgestellt, am 28.2.1813 gab es einen offiziellen Vertrag mit Rußland, am 17.3.1813 erfolgten der Aufruf des Königs „An mein Volk" sowie die Verordnung für die Einrichtung von Landwehr und Landsturm, am 27.3.1813 schließlich die offizielle Kriegserklärung an Frankreich. Das russisch-preußische Heer zog von Osten über Sachsen, das mit Frankreich verbündet war, nach Thüringen. Frankreich hatte inzwischen neu aufgerüstet, stieß bis an die Elbe vor, und im April kam es zu ersten Kriegshandlungen. Am 2. Mai fand die erste große Schlacht bei Großgörschen statt. Die preußisch-russische Armee zog sich bis hinter die Spree zurück, am 4. Juni kam es zum Waffenstillstand, die preußische Landwehr verstärkte sich, Österreich trat im August dem russischpreußischen Bündnis bei, es folgten Schweden und England. Die Hauptmacht der Franzosen saß in Dresden, und ein weiteres Heer zog auf Berlin zu, wurde aber am 23. August 1813 bei Großbeeren zurückgeschlagen. Die Alliierten rückten gegen Dresden vor, wurden jedoch am 26.727. August von den Franzosen zurückgeschlagen. Ende August wurden in den Schlachten bei Kulm, Nollendorf und Katzbach die Franzosen besiegt, sie verloren dann auch noch am 6. September bei Denne-

Brief vom 22.1.1814 - in: Reimer: Georg Andreas Reimer. Erinnerungen aus seinem Leben, S. 17.

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witz. Am 3. Oktober gingen die Alliierten über die Elbe, die Franzosen zogen sich nach Leipzig zurück. Das war die militärische Situation, als Arnim die Leitung des Preußischen Correspondenten übernahm. Vom 16. bis 19. Oktober fand dann bei Leipzig die entscheidende Niederlage der Franzosen in der später Völkerschlacht genannten Auseinandersetzung statt. Am l. November zog sich Napoleon westwärts über den Rhein zurück, das Königreich Westphalen wurde aufgelöst, die Rheinbundstaaten schlössen Frieden mit den Alliierten. Diese zogen im Januar 1814 über den Rhein nach Frankreich. Zu diesem Zeitpunkt gab Arnim seine Redaktion wieder ab. Es gab daneben natürlich auch noch zahlreiche andere Kriegsschauplätze in Spanien, auf dem Balkan, in Dänemark und Norddeutschland und auch in Übersee.

Redaktionsziele Einige Beispiele sollen zeigen, wie Arnim in der Berichterstattung eigene Redaktionsziele verfolgte und wie er sich von der Spenerschen Zeitung abzuheben versuchte, nämlich durch Erklärungen für den Leser, größere Aktualität, fiktive Aufrufe zum Kampf, Anekdoten sowie Berichte über andere Zeitungen bzw. Reflexionen über journalistische Fragen. Gleich in der ersten Ausgabe von Freitag, dem 1. Oktober, wurde Arnim in eine Auseinandersetzung hineingezogen, die er nicht zu verantworten hatte. Die Spenersche Zeitung veröffentlichte am Dienstag, den 28. September, eine Erklärung des Colbergschen Regiments, die sich auf einen Artikel im Preußischen Correspondenten vom 17. September bezog. Arnim übernahm die gesamte Erklärung und veröffentlichte danach eine Gegenerklärung, die vielleicht noch von seinem Vorgänger Schleiermacher stammte. Diese Textübernahme ist schon in der ersten Ausgabe nicht die einzige Reaktion auf die Spenersche Zeitung. Nach einigen kürzeren Meldungen steht ganz unvermittelt ein längerer Einspalter, in dem die sog. Congreveschen Raketen erklärt werden.13 Statt einer Meldung schaltet Amim also eine Erklärung oder Belehrung für die Leser ein. Er bezieht sich hier wohl auf einen Satz in der Spenerschen Zeitung vom Vortag, wo es am Ende eines Berichtes über die Belagerung von Wittenberg lapidar heißt: „Wir sind begierig auf den Effekt der Congreveschen Brandraketen."14 Arnim sieht Erklärungsbedarf und schildert ausführlich die Funktionsweise dieser 1804 vom britischen Ingenieur William Congreve erfundenen Waffe. Hier haben wir ein erstes Beispiel für einen typisch Arnimschen Grundsatz: Was der Leser möglicherweise nicht versteht, muß erklärt werden. Eine weiteres Redaktionsziel läßt sich bereits am zweiten von Arnim verantworteten Blatt zeigen. Es erscheint an einem Sonntag und nicht wie alle späteren entsprechenden Ausgaben am Sonnabend; ein Grund wird nicht genannt. Hier kann jedoch am konkreten Beispiel einmal gezeigt werden, wie Amim versucht, Meldungen früher als die Konkurrenz zu veröffentlichen. Er druckt einen sehr Preußischer Correspondent 1813, Nr. 105, S. 2. Spenersche Zeitung 1813, Nr. 117, S. 4.

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ausfuhrlichen Armee-Bericht aus dem Hauptquartier des schwedischen Kronprinzen15 in Zerbst, der nach Information der Spenerschen Zeitung am Sonnabend, den 2. Oktober, mittags um elf Uhr in Berlin angekommen ist. Die Spenersche Zeitung hat ihn aber nicht mehr in die Sonnabend-Ausgabe aufgenommen, sondern bringt ihn erst am Dienstag" in einer Beilage, also erst zwei Tage nach dem Preußischen Correspondenten. Da der Wortlaut der Meldung dort von dem der Spenerschen Zeitung abweicht, hat Arnim wahrscheinlich eine eigene Übersetzung des Berichtes angefertigt, um schneller als die Konkurrenz zu sein. Am Montag, den 4. Oktober, bringt Arnim einen .Aufruf eines Russen an die preußischen Länder jenseits der Elbe",17 eine der zahlreichen authentisch klingenden, aber ganz sicher von Arnim erfundenen Kampfansagen von Soldaten der Alliierten gegen Frankreich, die Arnims gesamte Herausgeberzeit begleiten. Er wählt vermutlich diese Form, um an der Zensur vorbei eine Stimmung zu erzeugen. Das ist eine Vorgehensweise, welche die Spenersche Zeitung nicht kennt. Über die Zensur zu dieser Zeit ist schon einiges geschrieben worden,18 nur habe ich im Vergleich der beiden Zeitungen sehr stark den Eindruck, daß die Spenersche Zeitung sich strikt an die Vorgaben der Zensur hält, während Arnim immer wieder versucht, an der Zensur vorbei Infomationen und Meinungen in die Leserschaft zu tragen. Ein ähnlich patriotischer Aufruf wie der des Russen, dieses Mal von einem ehemaligen sächsischen Kommandanten an desertierte Soldaten, ins schwedische Heer überzuwechseln, folgt bereits eine Nummer später.19 Und in derselben Ausgabe erzählt Arnim in anekdotischer Manier von den fruchtlosen Bemühungen eines Holzhändlers im Königreich Westphalen, sich requiriertes Holz bezahlen zu lassen.20 Auch die Anekdote wird künftig im Preußischen Correspondenten ein weiteres Element sein, das eine antifranzösische Stimmung erzeugen oder unterstützen soll. In der Spenerschen Zeitung ist die Anekdote zu der Zeit keine Berichtsform, später, am 11.1.1814 druckt sie sogar eine Anekdote aus dem Preußischen Correspondenten vorn Vortag ab.21 Des weiteren weist Arnim in seiner Zeitung auch auf andere Zeitungen hin und kommentiert sie. So wird in der Nr. 108 vom 6. Oktober22 eine neue Zeitung vorgestellt, die Zeitung aus dem Feldlager, die von Karl August Varnhagen von Ense redigiert, im Tettenbornschen Hauptquartier herausgegeben wurde.23 Von ihr erwartet Arnim eine „reiche Ausbeute an Neuigkeiten". In der folgenden Nummer macht sich Arnim lustig über die falsche Berichterstattung in französischen Zeitungen, stellt aber auch fest: „Ein fortgesetztes Bearbeiten und Belauern eines Preußischer Correspondent 1813, Nr. 106, S. 1. Spenersche Zeitung 1813, Beilage zu Nr. 119, S. 1. Preußischer Correspondent 1813, Nr. 107, S. 3. Lettow-Vorbeck: Zur Geschichte des Preussischen Correspondenten, Bd. 2, S. 33-38. Preußischer Correspondent 1813, Nr. 108, S. 4. Preußischer Correspondent 1813, Nr. 108, S. 2. Spenersche Zeitung 1814, Nr. 5, S. 6. Preußischer Correspondent 1813, Nr. 108, S. 4. Lettow-Vorbeck: Zur Geschichte des Preussischen Correspondenten, Bd. 2, S. 5f.

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Volks schwächt den Wahrheitssinn ungemein, die furchtbaren Folgen davon werden sich in Frankreich früh genug zeigen."24 Dieses alles sind Textformen, die es in der Spenerschen Zeitung so nicht gibt. Die Nr. 110 des Preußischen Correspondenten enthält ein kleines, aber bezeichnendes Indiz, wie eine Zeitung von der anderen profitiert. Arnim schreibt in einer Meldung: „Wien vom 2. October. Aus einer sehr zuverlässigen Quelle weiß ich, [...]",25 in der Spenerschen Zeitung steht drei Tage später dieselbe Meldung, wobei das „weiß ich" in „weiß man" geändert ist.26 In der selben Nummer 110 des Preußische Correspondenten steht auch eine Meldung, die beginnt: „Die Spenersche Zeitung sagt [...]".27 Hier bezieht sich Amim auf die Spenersche Zeitung vom selben Tag,28 was beweist, daß durch die unterschiedliche Erscheinungsweise - diese erschien morgens, der Correspondent nachmittags - Amim durchaus noch die Konkurrenz vom gleichen Tag verarbeiten konnte. In der Nr. 111 findet sich eine weitere Besonderheit des Preußischen Correspondenten, die Reflexion über journalistische Fragen. Unter der Überschrift „Gerüchte"29 schreibt Amim: „Zu den wunderbarsten Gerüchten dieser wunderbaren Zeit gehört es, daß Mainz von bairischen Truppen [...] eingenommen sein soll." Amim fällt dann wohl selber auf, daß eine Meldung als Gerücht oder ein Gerücht als Meldung bisher nicht zum erklärten Standard einer Zeitung gehört hat. Deshalb folgt direkt anschließend eine längere „Anzeige",30 in der Amim ausführlich begründet, warum auch Gerüchte publiziert werden müßten, wenn sie nützlich scheinen. In der Nr. 114 kündigt Arnim wieder eine neue Zeitung an, diesmal die Feldzeitung.31 Jedes neue Publikationsorgan war für Amim nicht Konkurrenz, sondern Verstärkung der Herstellung von Öffentlichkeit. Um mit seiner Form des Journalismus die bestehende starke Zensur zu umgehen, verbirgt Arnim seine Meinung oft hinter der Auswahl seiner Meldungen. Wenn die obige Statistik zeigte, daß von den 757 Artikeln und Meldungen des Preußische Correspondenten lediglich 117 gleichen oder ähnlichen Inhalt wie die Spenerschen Zeitung haben, dann heißt das ja auch, daß Arnim zu 85% andere Meldungen bringt. Das kann verschiedene Ursachen haben, eine ist ganz bestimmt die unterschiedliche Sicht aufgrund der selbstgestellten publizistischen Aufgabe. Immerhin berichtet Arnim in den vier Monaten zum Beispiel über vier neue Zeitungen, in der Spenerschen Zeitung fehlt darüber jedes Wort. Ähnliches gilt für die Einrichtungen von Landsturm und Landwehr. Wann immer Amim davon hört, daß ein Land diese Form der Selbstbewaffnung anregt oder einführt, steht zumindest eine Meldung im Preußischen Correspondenten. Es sind immerhin neun Meldungen, von denen die Spenersche Zeitung keine einzige bringt. Ähnlich ist es bei Preußischer Correspondent 1813, Nr. 109, S. 2. Preußischer Correspondent 1813, Nr. 110, S. 1. Spenersche Zeitung 1813, Nr. 122, S. 4. Preußischer Correspondent 1813, Nr. 110, S. 2. Spenersche Zeitung 1813, Nr. 121, S. 6. Preußischer Correspondent 1813, Nr. 111, S. 4. Ebenda, vgl. auch Amim: Werke in sechs Bänden, Bd. 6, S. 424. Preußischer Correspondent 1813, Nr. 114, S. 4.

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der Verfassungsfrage. Hier berichtet Amim acht Mal über Probleme oder Neuerungen in anderen Ländern; auch hierüber steht kein Artikel in der Spenerschen Zeitung.

Unterschiede in der Darstellung und Kommentierung von Nachrichten Ein exemplarisches Beispiel für Darstellungsunterschiede in der Spenerschen Zeitung und dem Preußischen Correspondenten ist die Berichterstattung über die Völkerschlacht.32 Es gibt kein Beispiel, das sinnfälliger den Unterschied im Ton der Berichterstattung zwischen beiden Zeitungen zeigen kann, wie der Vergleich dieser zwei Artikel. Auf der einen Seite die vorsichtig sachliche und trockene Darstellung der Spenerschen Zeitung, auf der anderen die emotionalisierte, persönliche Sicht und Wiedergabe Arnims. Auch in den nachfolgenden Tagen unterschied sich die Berichterstattung in beiden Zeitungen radikal: Die Spenersche Zeitung schreibt am 21. Oktober immerhin von einer „Schlacht, die in den Annalen der Welt ewig denkwürdig bleiben wird",33 Arnim jedoch sucht bereits einen Tag später nach einem Namen für diese Schlacht und versucht ein erstes Fazit zu ziehen: Bis die Helden des Kampfes den Namen der Schlacht bestimmt haben, wollen wir sie die Deutsche Schlacht nennen und alle Nachrichten sammeln, die vereinigt eine Anschauung dieser reichen und mächtigen Tage geben können, wir nennen sie die Deutsche Schlacht nicht darum allein, weil sie die Freiheit der deutschen Völker von französischer Politik erstreitet, sondern weil in dem Feuer derselben der deutsche Volksgeist sich läuterte und zeigte, und das ewige Gesetz, das Völker einer Abkunft und Sprache verbündet, in dem Uebergange der meisten deutschen Streiter zum deutschen Heere glänzend bewährt wurde.34

Auch die Schilderung der Bekanntmachung der Siegesnachricht durch den Major von Auer am 21. Oktober in Berlin fällt in beiden Zeitungen sehr unterschiedlich aus. Amim macht eine kurze Elf-Zeilen Meldung daraus, mit dem kommentierenden Satz: „Der Jubel des Volkes in den dichtgedrängten Straßen übertraf jede Beschreibung: ein solcher Augenblick entschädigt für viele sorgenvolle Jahre",35 während die Spenersche auf vierundvierzig Zeilen zwar eine ausführliche Schilderung aller Stationen des Zuges mit der Anzahl der blasenden Postilions sowie der Feld-Postillons gibt, aber das Geschehen mit keinen einzigen Satz kommentiert.36 Drei Tage später anläßlich der Ankunft des Königs in Berlin am Sonntag, den 24. Oktober, wiederholt sich die Art der Berichterstattung in beiden Zeitun-

32

33 34 35 36

Vergleiche dazu Knaack: Achim von Amim und der „Preußische Correspondent". Eine letzte großstädtische Aktivität vor dem Umzug nach Wiepersdorf. - In: Ricklefs (Hrsg.): Universelle Entwürfe, S. 138. Spenersche Zeitung 1813, Nr. 126, S. l. Preußischer Correspondent 1813, Nr. 117, S. l. Ebenda. Spenersche Zeitung 1813, Nr. 127, S. 2f.

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gen. Amim schreibt am Tag darauf in einem sehr poetischen Ton," während die Konkurrenz bei ihrem trockenen Berichtston bleibt.38 In der Tat erweist sich solcher Journalismus als „gewöhnliche Zeitungsmaschinerie".39 Mit diesem Begriff charakterisierte Arnim etwas später am 7.1.1814 im Preußische Correspondenten Zeitungen wie die Spenersche, als er den in Hamburg erscheinenden Deutschen Beobachter als Gleichgesinnten begrüßt, der mit „eigner fester Gesinnung [...] heraustrat und in einem bestimmten Kreise wirklich etwas mittheilen wollte."40 Genau das ist Amims Position. Nicht nur Informations-, sondern auch Meinungsjoumalismus. Für ihn ist die Spenersche Zeitung nur eine „Zeitungsmaschinerie". Daß die Redakteure dieser Zeitung möglicherweise ein wenig vom Preußischen Correspondenten gelernt haben könnten, zeigt ein dortiger Bericht vom 17. l. 1814 über eine Pariser Senatssitzung.4' Arnim leitet den Abdruck einer Rede des Grafen von Fontanes wieder mit einem kommentierenden Vorspruch ein. Und die Spenersche Zeitung vom nächsten Tag bringt diesen Vorspruch immerhin mit Hinweis auf die Quelle als Anmerkung zum Abdruck der Rede.42 Wie Amim zum Beispiel auch in knappen Meldungen noch kommentierend eingreift, zeigt er in Nr. 117 vom 22.10. In einer Zehn-Zeilen-Meldung kündigt er ein großes episches Gedicht mit dem Titel „Das befreite Rom" von Napoleons in britischer Gefangenschaft lebendem Bruder Lukian an. Amims abschließender Satz dazu lautet: „Möchte er doch bald Gelegenheit haben ein Gegenstück, das befreite Europa, schreiben zu können."43 Wahrscheinlich bezieht er sich auf eine ausführlich Meldung in der Spenerschen Zeitung vom Vortag,44 die sich jedoch jeglichen Kommentars gegenüber dieser hochgestellten Persönlichkeit enthält. Daß Arnim sehr an der Wirkung seiner Zeitung interessiert war, beweist zum Beispiel die Tatsache, daß er, wann immer er Richtigstellungen bekam, diese auch sogleich veröffentlichte. So hatte er am 13.10. in einer .Außerordentlichen Beilage" abgefangene Aktenstücke der Regierung des vormaligen Königreichs Westphalen publiziert.45 Darin wird der Uelzener Unterpräfekt von During der Bedrükkung von 60.000 Untertanen bezichtigt. Bereits am 27.10. bringt Arnim eine ausführliche Gegendarstellung des Betroffenen mit der eigenen Fußnote: .Allerdings ist uns diese Berichtigung jenes aus dem geheimen Archiv der Westphälischen Policey mitgetheilten Bericht sehr willkommen, da es gerade Hauptzweck dieser Bekanntmachung war, alle Verkehrtheiten dieser heimlichen Aufseherei ans Licht zu stellen. Redakt."46

37 38 39 40 41 42 43 44 45 46

Preußischer Correspondent 1813, Nr. 119, S. l. Spenersche Zeitung 1813, Nr. 128, S. l f. Preußischer Correspondent 1814, Nr. 3, S. 4. Ebenda. Preußischer Correspondent 1814, Nr. 9, S. l f. Spenersche Zeitung 1814, Nr. 8, S. 2. Preußischer Correspondent 1813, Nr. 117, S. 3f. Spenersche Zeitung 1813, Nr. 126, S. 7. Preußischer Correspondent 1813, Nr. 112, Beilage S. l f. Preußischer Correspondent 1813, Nr. 120, S. 4.

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Ein anderes Exempel für solche Richtigstellungen ist eine Kriegs-Anekdote in Nr. 123 über zwei in Hamburg gefangene Freischar-Jäger.47 In Nr. 138 wird diese von einem der Betroffenen korrigiert, der außerdem meint: „In dieser thatenreichen Zeit können kleine Abentheuer kein Interesse haben"48 - worauf Arnim in einer Anmerkung repliziert: Würden die größeren Begebenheiten vollständig erzählt, so möchten sie den einzelnen Ereignissen das Interesse nehmen, da aber jene eigentlich der Nachwelt erst entschleiert werden, so geben uns diese allein einige Anschauung der Zeit; die hier berichtigte Anekdote ist von mehreren anderen Zeitungen wieder aufgenommen worden, hat unverkennbar ein allgemeines Interesse erweckt und unsre Aufnahme gerechtfertigt.49

Und in einem dritten Fall gibt ein Leser in Nr. 149 eine Information50 über den russischen Orden des goldenen Degens, über den Arnim sich in Nr. 23 Auskunft erbeten hatte.51 Der große Unterschied im journalistischen Niveau der Berichterstattung zwischen Preußischem Correspondenten und Spenerscher Zeitung läßt sich mit einem anderen Beispiel illustrieren. Dort erschien am 11. November ein mehr als sechs Seiten langer Abdruck der „Nachrichten von den französischen Armeen vom 15. bis 24. October" als Beilage mit Hinweis auf Frankfurt als Berichtsort, und zwar in voller Länge.52 Daß es sich hierbei um eine völlig verfälschende offizielle Nachricht der französischen Regierung handelt, schreibt Amim bereits am Tag zuvor in seiner Zeitung.53 Er greift einzelne Sätze aus diesem Bericht heraus und kommentiert sie sehr ironisch und sarkastisch, um die propagandistischen Zwecke nachzuweisen. Die Spenersche Zeitung gibt den Bericht völlig unkommentiert wieder und läßt sich so zum Sprachrohr der Franzosen machen. Ähnlich verfährt sie wenige Wochen später am 30. November; sie druckt einen Auszug aus der französischen Zeitung Moniteur vom 15. desselben Monats über den Empfang des Senats in Paris bei Napoleon mit den beiden Reden des Senatspräsidenten und der Antwort Napoleons ohne jeden Kommentar.54 Amim bringt am Tag danach im Preußischen Correspondenten eine kurze Übersicht über die Reden und im Anschluß daran einen ebenso langen Kommentar, worin es unter anderem heißt: „So werden noch tausende der Franzosen der Lüge geopfert werden, bis die Franzosen die Wahrheit und das Recht der Völker und ihres Kaisers Unrecht in ihrem eignen Jammer anerkennen."55 Einer der wesentlichen Gründe für die sehr zurückhaltende Kommentierung in der Spenerschen Zeitung mag die Tatsache sein, daß sie sich mehr an die Zensur47

Preußischer Correspondent 1813, Nr. 123, S. 4. Preußischer Correspondent 1813, Nr. 138, S. 4. 49 Ebenda. 50 Preußischer Correspondent 1813, Nr. 149, S. 4. 5 ' Preußischer Correspondent 1813, Nr. 123; S. l. " Spenersche Zeitung 1813, Nr. 135, Beilage, S. 1-4. 53 Preußischer Correspondent 1813, Nr. 128, S. 2ff. 54 Spenersche Zeitung 1813, Nr. 143, S. 4f. 55 Preußischer Correspondent 1813, Nr. 140, S. 2. 48

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bestimmungen gehalten hat. Arnim hatte, wie schon verschiedentlich dargestellt worden ist,56 große Schwierigkeiten mit der Zensur, und er wollte sich auch nicht an die Zensurbestimungen halten, ähnlich wie sein Vorgänger Schleiermacher. Eine alteingesessene Zeitung wie die Spenersche hatte viel eher die Schere im Kopf, um sich nicht das Geschäft verderben zu lassen. Als im Dezember 1813 Niebuhr für kurze Zeit nach Berlin kam und sogleich am Preußischen Correspondenten wieder mitarbeitete, nahm Amim noch ein neues Element mit in seine Zeitung auf, das in der Spenerschen Zeitung so gut wie gar nicht vorkommt. Er rezensierte ausführlich Bücher und ergriff auch hier die Gelegenheit, an der Zensur vorbei Meinung zur Zeitgeschichte zu verbreiten. Die erste Besprechung in Nr. 144 am 8. Dezember gilt zwei gedruckten Predigten57 zum Sieg bei Leipzig; Arnim allerdings gibt überwiegend eigene Ansichten wieder und geht kaum auf die Schriften ein. Rund zehn weitere Besprechungen folgen dann noch bis Ende Januar. Neuerungen in journalistischer Sicht gegenüber der Spenerschen Zeitung waren im Preußischen Correspondenten auch der häufige Einsatz von Überschriften, und - darüber hinausgehend - von wiederkehrenden Themenrubriken. So führte Arnim die zeitweiligen Rubriken „Allgemeine Bewaffnung", „Handels-Chronik", „Kriegs-Anekdoten" oder „Anekdoten zur Zeitgeschichte" und „Beispiele zur Nachahmung" ein. Die meisten Rubriken hielt er nur für kurze Zeit durch, am längsten „Anekdoten zur Zeitgeschichte". Durch die sich verändernden Zeitläufte, vor allem infolge der nachlassenden Bedrohung Deutschlands durch die Franzosen, und auch durch das wieder zunehmende Eingreifen Niebuhrs in die Redaktionsgeschäfte, veränderte sich auch der Preußische Correspondent. Man spürt förmlich, wie Arnim die Lust verlor, so wie er es in seiner Abschluß-Ansprache an seine Leser auch beschreibt: „Das, was die Alltäglichkeit der Zeitungsschreiberei erfrischte, ist mit der Gefahr von uns gerückt, der lebendige Eindruck naher Begebenheiten fehlt."58 Und genau hierin liegt der Unterschied zwischen Preußischen Correspondenten und der Spenerschen Zeitung während der Herausgeberschaft Arnims: in der Darstellung des „lebendigen Eindrucks" gegenüber den Artikeln einer bloßen „Zeitungsmaschinerie".

Vgl. Lettow-Vorbeck: Zur Geschichte des Preussischen Correspondenten, Bd. 2, S. 33-38, außerdem Hofmeister-Hunger: Pressepolitik und Staatsreform, S. 251-273. Preußischer Correspondent 1813, Nr. 144, S. 4. Preußischer Correspondent 1814, Nr. 17, S. 4.

Ulrike Landfester

Die Kronenwächterin: Ludwig Achim von Amim und Bettine von Arnims politisches Werk Für Hartwig Schultz zum 29. Januar 2001

Die historische Tatsache der Ehe von Ludwig Achim von Amim und Bettine geborener Brentano hat in der Forschung zu den respektiven Dichtern zu dem Kuriosum geführt, daß die Interferenzen zwischen ihren Werken literaturwissenschaftlich bisher kaum beschrieben, geschweige denn analysiert worden sind. Die Forschung zu Bettine von Arnim hat diese Interferenzen umso nonchalanter ignoriert, je nachdrücklicher die feministische Vereinnahmung von Bettines Werk die Grenzziehung zwischen weiblichem und männlichem Schreiben zum Erkenntnisinstrument definiert hat. Die Forschung zu ihrem Mann dagegen hat Bettine, ihr Werk und vor allem die politische Dimension dieses Werks ihrerseits immer wieder gern der Plage unterstellt, die Achim vor allem im letzten Lebensjahrzehnt von Seiten seiner ihn zum Schreiben mahnenden Frau erlitten habe: ,,[A]ngst und bange" sei es Achim angesichts der „antiquierten Genie-Ideen" geworden, die Bettine an ihn herangetragen habe, schreibt so etwa Paul Michael Lützeler in seinem Überblickskommentar zu den Kronenwächtern, um daraus dann die These von der Inkompatibilität ihrer Dichtungen abzuleiten: Das Ehepaar Bettine und Achim von Amim wohnte nicht nur geographisch getrennt in Berlin und Wiepersdorf, sondern lebte auch, was die ästhetischen und poetologischen Auffassungen betraf, in verschiedenen Welten. Zwar hatte das unbekümmerte, quasi genialische Fabulieren bei Arnim eine Rolle gespielt, aber es war immer nur eine Komponente seines Schaffens gewesen [...]: immer ging es Amim auch um Zeitkritik, politische Wirkungsabsichten und moralische Botschaften [...]'

Bettine dagegen, so der möglicherweise in dieser Schärfe ja nicht einmal beabsichtigte Umkehrschluß, hat nur fabuliert, und das ohne .Zeitkritik, politische Wirkungsabsichten und moralische Botschaften'. Inzwischen bedarf es keiner besonderen Betonung mehr, daß das poetische Fabulieren von Arnims Gattin von ihren politischen Wirkungsabsichten nicht nur nicht zu trennen ist, sondern vielmehr schon lange vor der Publikation ihres ersten explizit politischen Buches - der 1843 erschienenen Schrift Dies Buch gehört dem König - immer auch Medium moralischer und politischer Zeitkritik ist.2 Gerade im Licht dieser Erkenntnis aber gilt es heute, die Frage nach den Beziehungen zwischen den Werken der beiden Autoren umso nachdrücklicher zu stellen, als 1 2

Amim: Werke in sechs Bänden, Bd. 2: Die Kronenwächter, S. 669-670. Vgl. dazu meine Habilitationsschrift: Selbstsorge als Staatskunst. Bettine von Amims politisches Werk (2000).

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Ulrike Landfester

schon eine oberflächliche Bestandsaufnahme zentraler politischer Inhalte in diesen Werken ebenso wie der zu ihrer Vermittlung eingesetzten Motive und Strategien überraschend fundamentale Affinitäten sichtbar machen kann. Die nicht minder fundamentalen Unterschiede zwischen ihnen aber verdanken sich nicht so sehr ästhetischen und poetologischen Differenzen, sondern sind vielmehr von den historischen Rahmenbedingungen ihres jeweiligen Schreibens bestimmt. Keimzelle der Gemeinsamkeiten zwischen Bettines und Achims ästhetischen Auffassungen und zugleich erster Kristallisationspunkt ihrer unterschiedlichen historischen Optionen auf deren konkrete Realisation ist das spannungsreiche Verhältnis zwischen dem romantischen Ideal der „progressiven Universalpoesie", die, so Friedrich Schlegel, "die Poesie lebendig und gesellig, und das Leben und die Gesellschaft poetisch machen"3 kann, auf der einen und der Verbindlichkeit geschlechtsspezifischer Vorgaben für Lebenspraxis wie Literaturproduktion um 1800 auf der anderen Seite. Die Beziehung zwischen Achim und Bettine nämlich begann als integraler Bestandteil der Beziehung zwischen Achim und Bettines Bruder Clemens Brentano, unter den besonderen Bedingungen der Freundschaft zwischen zwei Autoren also, die in diesen ersten Jahren brieflich wie im gelegentlichen gemeinsamen Alltagsleben lustvoll das Schlegelsche Modell der Universalpoesie zelebrierten. Dessen Liberalität standen nicht nur auf Seiten Bettines die engen Grenzziehungen bürgerlicher Mädchenerziehung gegenüber, sondern auch die der romantischen Kunstlehre immanente Reduktion der Frau auch und gerade im Bereich des Dichtens auf ein Objekt der Formung durch den Mann, der pädagogisch-poetischen Zurichtung des in der Frau verherrlichten genie enfant zur idealen Geliebten des Mannes.4 So besitzt es durchaus einen gewissen programmatischen Aussagewert, daß beide, Achim wie Clemens, in ihrer frühen Korrespondenz hinsichtlich Bettines mit dem Begriff der .Construction' operierten: Bettine und Achim, schrieb Clemens im Mai 1802 an den Freund, seien „die Dualität, die mich konstruirt", die beiden Pole eines stürmischen Begehrens nach Anerkennung und Zuwendung, zwischen denen der bis zur Labilität zerrissene Clemens „mit poetischer Gewaltthätigkeit" Schwester und Freund zu Garanten seiner Identität zu codieren bemüht ist.5 Achim seinerseits berichtet Clemens in seinem nächsten Brief vom 9. Juli des Jahres, er habe „einmal in einer traurigen Stunde Dein ganzes Haus aus der Verbindung von Feuer und Magnetismus construirt und Dich auch, Bettine ist die höhere Vereinigung von beyden [...]."6 Diese textuelle „Construction"7, entstanden im Juni 1802, überträgt die Ergebnisse einer frühen naturwissenschaftlichen Studie 3 4 5

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Friedrich Schlegel: Athenäums-Fragmente. - Kritische Friedrich Schlegel-Ausgabe, Bd. 2, S, 147-163, hier: S. 182. Vgl. dazu Schaub: Le genie enfant sowie Barbara Becker-Cantarino: Priesterin und Lichtbringerin. Zur Ideologie des weiblichen Charakters in der Frühromantik. Amim/Brentano: Freundschaftsbriefe, Bd. l, S. 13. Zu Clemens' konflikthafter Persönlichkeit vgl. auch die überaus aufschlußreiche Biographie von Schultz: Schwarzer Schmetterling (2000). Ebenda, S. 23. Ebenda.

Die Kronenwächterin

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Achims, die im Vorjahr unter dem Titel Idee zu einer Theorie des Magneten in den Annalen der Physik erschienen war, fiktionalisierend auf die Familie Brentano. Die Charakteristik Bettines wird darin von einer Variante des Unsagbarkeitstopos eingeleitet - er könne, was er von ihr sagen wolle, „nur aus der Theorie schließen, sie hat zu viel Wunderbares um anders aufgefaßt zu werden" -, dann mit einer geheimnisvollen Fähigkeit der Vision ausgestattet - „ein Magnetismus höherer Art, der mit unendlicher Klarheit alles Äußere, was ihn berührt [...] betrachten kann, aber jedem ändern undurchdringlich wird" - und abschließend in diesem Sinne aus ihrer Beziehung zu Clemens beglaubigt: „Sie sieht mit klarem Auge durch den Feuerdampf ihres Bruders und liebt ihn einzig."8 Clemens wie Achim ,construiren' Bettine in diesen Jahren nach Maßgabe einer Ästhetik, die das durch die Universalpoesie zu sich selbst gelangende Subjekt unhinterfragt maskulin privilegiert. Für Clemens ist die Schwester Objekt einer gelegentlich kaum verhohlen inzestuösen Begierde, die er kanalisiert, indem er Bettine zum Dichten anregt - nicht, um sie zur selbständigen Autorin zu bilden, sondern um sie an potentielle Bewerber um ihre Hand zu vermitteln, erst an Friedrich Karl von Savigny, dem er im Januar 1801 in einem Brief ein von Bettine verfaßtes Gebet beilegt, dann an Arnim: „[...] wunderbar", schreibt er dem Freund im August 1802, "ihr poetisches Stammlen an dich in dem Briefe ist das erste rithmische Produkt von ihr [...]. [...] denke Betine, wie ich deiner denke".9 Im Gegensatz dazu ist für Achim die Liebe Bettines zu ihrem Bruder so, wie er sie in der Charakteristik der Brentano-Familie einsetzt, Anlaß einer doppelten Distanzierung; deutet das Wort .einzig' eine Fixierung an, die neben dem Bruder kein anderes Liebesobjekt zuläßt, so ist diese Fixierung gerade in ihrer legitimatorischen Funktion für Bettines visionäre Qualitäten auch der Grund dafür, daß sie selbst in Achims Charakteristik unsichtbar wird, sehend, aber selbst dem Blick entzogen, ein Wesen, das allein durch eine Theorie der unaufhebbaren Oppositionsbildungen überhaupt sprachlich gefaßt werden kann. Der Brief, in dem Achim am 2. August 1803 Clemens seine Begegnung mit Bettine auf der Rückkehr von der gemeinsam mit dem Freund unternommenen Rheinreise schildert, unterstreicht noch einmal, was dies für den potentiellen Werber um die Schwester bedeutet: „Und nun siehe Bettinen [...] in ihrer Klarheit durch sich selbst, sie kennt jede wechselnde Empfindung in sich und ihr Nachdenken ist ein Sinnen über sich, sie kann ewig nur durch sich froh werden oder traurig [...]."'° Anders als Clemens, der immer wieder Bettines leidenschaftliche Liebe zu ihm betont," erkennt oder vermutet Achim in ihr eine Autonomie, derentwegen sie, so 8

Amim: - Werke in sechs Bänden, Bd. 6, S. 119121, hier: S. 120-121. ' Amim/Brentano: Freundschaftsbriefe, Bd. l, S. 26-27. 10 Ebenda, S. 28; zur Beziehung zwischen Achim und Bettine in diesen Jahren vgl. auch Baumgart: Bettine Brentano und Achim von Amim. Lehrjahre einer Liebe (2000). " Vgl. dazu Clemens Brentano an August Winckelmann, März 1802: „[...] meine Schwester Betine quält mich unendlich, sie ist mit einer so wunderlichen ja furchtbaren Liebe in mich entbrannt, daß sie den ganzen Tag nach mir weint". Brentano: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 29: Briefe I, 1792-1802, S. 427.

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scheint es, des begehrenden Mannes zu ihrer Identifikation gerade nicht bedarf „ich küste sie zum Abschiede, sie aber schien kalt [...]. Lieber du müstest Bettinen nicht kennen, wenn sie liebte, wäre sie hier nicht kalt geblieben" - und grenzt sich daher auch seinerseits von einer Liebesbindung ab: „[...] du must mich nicht kennen, daß alle Elemente mich von Frankfurt hätten wegbringen können, wenn ich nach meiner ganzen Wesenheit liebte."12 Gerade Achims Distanz zu Bettine aber ist es auch, die ihm wahrzunehmen und vor allem auch zu unterstützen ermöglicht, was Clemens' Vereinnahmung an der Schwester zu nivellieren bestrebt ist - eine eigentümliche Individualität, die sich mit dem Begehren von Bruder und Freund stellvertretend für die zeitgenössische pädagogische Normierung verweigert. Als Clemens ihm am 8. September berichtet, Bettine sei „sehr geschämig [...] wegen der Liebe zu Dir", und er furchte, sie werde „nicht lange leben, so ohne Liebe und ohne Freude",13 antwortet Achim am 22. September auf diese kaum verhohlene Aufforderung, Bettine durch eine Ehe aus ihrer „Gefangenschaft" zu befreien, rundweg, er habe den Eindruck, Clemens stilisiere Bettine zu einem poetischen Artefakt und verkenne dabei ihre eigenen Bedürfnisse: [...] Du irrst Dich, wie das allen Dichtern ihres Lebens geht, die sich eben so darüber als Künstler hinstellen wollen, wie über ihr inneres Leben voll Dichtungen [...]. [...] so glaube ich auch, daß Du das Sehnen Deiner Schwester verkennst, - es steigt zur Kunst und nur in dieser Thätigkeit wird sie Ruhe finden.14

Überschreitet Achim hier schon durch die Annahme, Bettine könne zu einem schöpferischen Subjekt werden, die Geschlechtergrenze zwischen geformten Frauen und formenden Männern, die Clemens' pädagogischen Bemühungen um die Schwester organisiert, so geht er dann insofern sogar noch weiter, als er ihr gar die Befähigung einer Autorin unterstellt und Clemens dazu auffordert, Bettine entsprechend zu fördern: [...] welche Art der Darstellung und des Schaffens? Das wirst Du besser wissen, ich glaube aber in Worten als gesang; Musick zeichnen. [...] Kritisire ihre Arbeiten nicht, wenn Du auch Fehler bemerkest [-] es sey denn in dem was blos mechanisch ist [-] die Sprache wie jedes andre Werkzeug der Kunst wird zu viel gemißbraucht im Leben als daß man gleich den Gebrauch rein aufTassen könnte, um Kritik benutzen zu können [...].15

Clemens reagiert auf Achims „Lehrton"16 ebenso indirekt wie bezeichnend. Bettine, schreibt er am 8. Oktober, sei „sehr lustig, will die lezte Seite, die Kunstlehre deines Briefs abschreiben nur immer statt Betine Amim sezzen",17 reinszeniert also euphorisch den von Achim vorgeschlagenen Positionswechsel von der traditionell weiblichen rezeptiven zur traditionell männlichen produktiven Teilhabe an 12 13 14 15 16 17

Amim/Brentano: Freundschaftsbriefe, S. 28-29. Ebenda, S. 39. Ebenda, S. 58. Ebenda. Ebenda. Ebenda, S. 59.

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der Kunst durch den Austausch ihres Namens gegen den Achims. Unmittelbar im Anschluß an diese Passage greift Clemens dann selbst auf eben diese Inszenierungsgeste zurück, um den Freund auf diesem Weg diskret, aber unmißverständlich des Verrats zu beschuldigen: „Gestern ist mir ein Mädchen ungetreu geworden, ich hatte ihm den Nahmen neue Arnim gegeben [...]."18 Das grundlegend unterschiedliche Verhalten der beiden Freunde zu Bettines Persönlichkeit begründet zwei langfristig ebenso unterschiedliche Entwicklungen im Verhalten Bettines zu ihnen. In den folgenden Jahren weist Bettine Clemens' Aufforderungen, zu dichten, immer kompromißloser ab - sie sage, bemerkt Clemens am l. Januar 1806 Achim gegenüber indigniert, „mit den geistvollsten, schönsten, blühendsten Reden, mit voller Fantasie, Erfindung, Ordnung und Darstellung [...] das sie zu dichten keinen Muth habe"19 - und schafft damit eine von Clemens schmerzlich empfundene Distanz, die später, nach Clemens' scharfer Kritik an Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde (1835), zu Konflikten und 1844, nach Clemens' Tod, in Clemens Brentano 's Frühlingskranz zur poetischen Abrechnung Bettines mit seiner letztlich zutiefst reaktionären Behandlung der Schwester führen wird. Achims „Hochachtung"20 vor Bettines ausgeprägt eigentümlicher Identität dagegen begründet eine Vertrauensbeziehung, die als Basis der späteren Ehe auch die Basis eines ästhetisch schöpferischen Dialogs zwischen den Gatten ist. So antwortet die Clemens gegenüber mit ihren Dichtungen so zurückhaltende Bettine 1808 auf die Bitte Achims, sie möge etwas für seine Zeitung för Einsiedler schreiben, umgehend, er brauche sie „nie zu fragen ob ich Zeit habe, Dir etwas zur Freude zu thun, denn ich hab kein ernsteres Geschäft als ein solches",21 und Achim, wiewohl er die drei von Bettine übersandten Märchen nicht abdruckt, nimmt doch einen anonym bleibenden Beitrag Bettines in seinen Aufsatz Scherzendes Gemisch von der Nachahmung des Heiligen auf, der am 23. April in der Zeitung för Einsiedler erscheint. Die Anonymität dieser ersten Publikation entspringt dabei nicht einfach Achims Entscheidungsmacht, sondern wird auch von dem eben bereits zitierten Brief Bettines abgedeckt: „[...] was ich [...] denk und thue, ist manigmal ganz, manigmal zum Theil Dein, was Du also damit treibst, geht mich nichts mehr an, wenn ich Dirs gegeben habe: deswegen thut es mir auch nicht leid, daß Du es willst drucken lassen."22 Hier zeigt sich erstmals jener eigentümliche Umgang Bettines mit den zeitgenössischen Geschlechtsrollennormen, der die Zuordnung ihres Werkes zur Frühgeschichte des ideologischen Feminismus zu einem bis zur Unmöglichkeit prekären Unterfangen macht. Von allen überlieferten Zeitzeugnissen beschreibt eine Tagebucheintragung Rahel Levins, der späteren Friederike Antonie Varnhagen von Ense, wohl am präzisesten das Prinzip, dem dieser Umgang gehorchte:

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Ebenda. " Brentano: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 31: Briefe III, 1803-1807, S. 483. 20 Achim von Arnim an Clemens Brentano, 22.9.1802 - Amim/Brentano: Freundschaftsbriefe, S. 59. 31 Steig (Hrsg.): Achim von Amim und die ihm nahestanden, Bd. 2, S. 100. 22 Ebenda, S. 103.

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„Über Liebe sprach sie tief und großartig;" notiert Rahel im Oktober 1810 über ein Gespräch mit Bettine, „sehr scharf und geistreich über Ehe, sie hält nichts von dieser Anstalt, ist aber gefaßt darauf, ihr nicht zu entgehen, und ich bin überzeugt, sie wird die die tugendhafteste Frau, wie sie ungeachtet aller Geistesfreiheit das sittsamste und strengste Mädchen ist."23 Tatsächlich unterscheidet Bettine zeit ihres Lebens sehr genau zwischen den Lizenzen uneingeschränkter .Geistesfreiheit', die sie für sich in Anspruch nimmt, auf der einen und der Verbindlichkeit zeitgenössischer sozialer Normengefüge wie etwa der Unabdingbarkeit einer Eheschließung zur Sanktionierung sexueller Liebe und dem Erwerb eines einwandfreien gesellschaftlichen Status auf der anderen Seite; ebenso strikt, wie sie später ihre Töchter chaperonieren wird, hält sie selbst sich gegenüber der gesellschaftlichen Öffentlichkeit an die Regeln, die ihrem Geschlecht vorgeschrieben sind. Eine dieser Regeln ist die Unterlassung eigener literarisch-publizistischer Veröffentlichungen ganz besonders im Bereich des politischen Tagesgesprächs. Ein nach Ostern 1808 entstandener Beitragsentwurf Achims über Shakespeare für die Zeitung für Einsiedler dokumentiert, daß Achim selbst die Definitionsmacht der Geschlechterhierarchie in diesem Bereich fraglos befürwortet. Noch bis in das 18. Jahrhundert sei die eindeutige Positionierung der Geschlechter, so der Entwurfstext, in den durch „Ausschweifung [...] geschwächten Ständen" des ancien regime problematisch gewesen, „[...] es war sogar ein Reich der Weiber über die Männer sehr wahrscheinlich, wenn nicht eine Revolution in Europa dazwischengetreten wäre f...]."24 Ein solches 'Reich der Weiber1 hätte zu einer massiven moralischen Verunsicherung der Gesellschaft führen müssen, da Frauen keine objektivierbare, sondern eine bestenfalls intuitive Beziehung zur Wahrheit hätten: „Wahrscheinlich würde also dann keine Wahrheit verlangt werden, sondern nur eine Art Eindruck wie von Gemälden, wenn die Weiber Richterinnen würden."25 Und im selben Jahr, am 12. Juni, wünscht Achim Bettine taktvoll, aber unzweideutig „außer dem Herrlichen das Weibliche, was das Leere ordnet und frommt; ich wünsche das, nicht weil ich es bei Dir vermisse, nur weil des Besten nie genug gewünscht werden kann."26 Dies ist in der Korrespondenz zwischen Achim und Bettine eine der ganz wenigen Belegstellen für eine Auseinandersetzung über die Geschlechtergrenze. Im Konfliktpotential, das das letzte Jahrzehnt ihrer Ehe durchziehen wird, spielt dieses Thema allenfalls sehr versteckt eine Rolle, so daß die von beiden Partnern praktizierte Akzeptanz der Norm nur in ihrer Motivation differiert - für Achim eine historisch-kausale, ist das geschlechtsspezifische Rollenverhalten für Bettine eine sozialpragmatische Notwendigkeit. Bettines Antwort auf den Brief, in dem Achim ihr .außer dem Herrlichen das Weibliche' anempfiehlt, kontrastiert, ohne direkt auf Achims Worte einzugehen, ihre individuelle Eigentümlichkeit mit der Enge ihrer lebenspraktischen Hand23 24 25 26

Rahel Varnhagen: Gesammelte Werke in zehn Bänden, Bd. 9, S. 60. Arnim: [Göthe schreibt uns einen Vorzug] - Amim: Werke in sechs Bänden, Bd. 6, S. 233235, hier S. 233f. Ebenda. Steig (Hrsg.): Achim von Arnim und die ihm nahestanden, Bd. 2, S. 175.

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lungsspielräume. Sie berichtet darin von einem Traum, in dem sie sich in die herrliche' - maskuline - Rolle eines „Feldpredigers" versetzt und „die halbe Nacht eine herrlich heroisch-fromme Rede hielt; ich war selbst so entzückt, daß ich am End mit Thränen die Kanzel verließ und mich höchlich betrübte, mich in meinem Bett zu befinden".27 Eine Spur dieses Traums findet sich in einer dreizehn Jahre später entstandenen Tagebucheintragung des jungen Graubündeners Philipp Hössli wieder. Am 21. September 1821 notiert Hössli nach einem Gespräch mit Bettine eine von ihr erzählte Anekdote, derzufolge König Friedrich Wilhelm III. in Töplitz einst „ihre Bekanntschaft" gesucht habe: Sie wich ihm aber aus, bis sie durch einen Freund, ders mit dem König verabredet, auf ein Dorf hinaus und in die dortige Kirche verlokt wird. Sie bestieg die Kanzel, begann eine Predigt, und als der König plözlich hereintrat, richtete sie das Wort mit derben Wahrheiten an ihn selbst. Sie wird [...] gerufen und mit dem König bekannt gemacht, der sich aber sehr verlegen zeigte.28

Wie die ebenfalls von Hössli kolportierte Geschichte von Bettines Brief an den Kronprinzen Ludwig von Bayern, mit dem sie, so wollen es die Passagen des ,Goethebuchs' über den Tiroleraufstand, sich 1809 angeblich bei ihm erfolgreich zugunsten der gefangenen Tiroler verwendet hat, ist auch von dieser Kanzelrede keine Spur in den historischen Lebenszeugnissen der jungen Bettine zu finden. Ihre Bedeutung beruht vielmehr auf der Entschlossenheit, mit der Bettine anhand derartiger schöpferischer Visionen ihre Recht auf .Geistesfreiheit' reklamiert, ohne dabei anders als phantasmatisch die ihr zugewiesenen Verhaltensmuster zu überschreiten. Bei einer solchen phantasmatischen Überschreitung bleibt es auch in dem einzigen Fall, in dem sich zwischen Achim und Bettine so etwas wie eine politischpublizistische Zusammenarbeit ergibt. Am 19. Oktober 1819 verfaßt der mit beiden befreundete Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher eine Stellungnahme zugunsten des Theologen Wilhelm Martin Leberecht de Wette, nachdem dieser von der Universität verwiesen worden war, weil er der Mutter des Mörders von Kotzebue, Karl Ludwig Sand, einen publik gewordenen Kondolenzbrief geschickt hatte. Die Aktensammlung, mit deren Herausgabe de Wette sich der Öffentlichkeit gegenüber zu rechtfertigen sucht, wird 1820 von Achim für Cottas Literatur-Blatt rezensiert und dabei zum Anlaß für eine scharfe Kritik an der in Achims Augen Reaktion der Regierung auf einen Privatbrief genommen. Der Druck auf Schleiermacher verstärkt sich zusätzlich, als bei seinem Schwager Ernst Moritz Arndt in Bonn kritisch gegen die Regierung Friedrich Wilhelms III. gerichtete Briefe Schleiermachers beschlagnahmt werden, und erreicht zu Beginn des Jahres 1822 einen Höhepunkt. Etwa zu dieser Zeit entwirft Bettine ein Schreiben an den preußischen Kronprinzen, den späteren Friedrich Wilhelm IV., in dem sie Schleiermacher mit ähnlichen Argumenten verteidigt, wie sie sie knapp zwei Jahrzehnte später bei 27 2

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Ebenda, S. 189. Bettina von Amim: „Ist Dir bange vor meiner Liebe?" Briefwechsel mit Philipp Hössli, S. 159.

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demselben Adressaten in Sachen der ,Göttinger Sieben' geltend machen wird: mit einer massiven Attacke gegen die höfischen und ministerialen Zwischenträger zwischen Fürst und Volk - „Verblender, diese teilen sich mit im Publikum und sprechen sich aus vor Thronen [...], weil es ihren Absichten und ihrem Geschäft des Verblendens entspricht" - und einer ähnlich pointierten Kritik daran, „daß Freunde eines gefährdeten Mannes, es für Aufopfrung und Tugend halten, ihre Ansicht über ihn zu verschweigen",29 anstatt öffentlich für ihn einzutreten; soweit ermittelbar, hat Bettine diesen Brief allerdings nie reinschriftlich vollendet oder gar abgeschickt. Trotz ihres Anspruches auf Visionen und ihrer schriftlich dokumentierten Sprachmacht definiert Bettine auch ihren Anteil an der poetischen Literatur in den Jahren ihrer Ehe als einen auf den ersten Blick rein supplementären. Achim ist der Dichter, ,,[d]essen Frau ich zu seyn erwählt war",30 schreibt sie ihm am 6. Juni 1820; wieder und wieder weist sie ihn auf seine auch und gerade politische Verpflichtung gegenüber seiner Zeit hin, drängend, ermutigend, schmeichelnd und manchmal verärgert ob seines mangelnden schöpferischen Enthusiasmus'. Passagen wie diejenige aber, in der sie Achim im Oktober desselben Jahres ihre Vorstellung idealen Dichtertums vorlegt, muten auf den zweiten Blick wie eine Reinszenierung dessen an, was Clemens mit seiner Schwester zu unternehmen versucht hatte: Die rechten Dichter sind geistiger Weise, was die Krohn- und Erbfiirsten irdischerweise sind und representieren, sie sind nehmlich gebohren das, was sie der Welt einst werden sollen, verzweiflen sie aber an ihrer innem Macht so legen sie die Krone nieder noch eh sie ihnen öffentlich verliehen ist, - ja sie müssen gleich den irdischen ihre Stimme zu erheben wissen wo man sie nicht hören will, sie müssen züchtigen wo man sie nicht anerkennen will, und vor allen Dingen müssen sie daß Elementh behaupten was ihnen Nahrung giebt nehmlich den Beifall, und das Bewußtseyn in jeder Menschenbrust von seinem Daseyn [als] ein Komet unter den Sternen, wenn aber je ein Dichter ein gebohrner war so bist Du es [...].31

Nicht weniger, als es einst Clemens mit ihr getan hatte, ist nun Bettine bestrebt, Achim ihr eigenes .inneres Leben voll Dichtungen' zu oktroyieren, ein Bild, das mit Achims eigenem Selbstverständnis schon deshalb kaum etwas gemeinsam hat, weil Achim ,den Beifall, und das Bewußtseyn in jeder Menschenbrust von seinem Daseyn' durch seine Publikationen bisher gerade nicht - weder in der Literatur noch in der Politik - hatte erringen können. Doch läßt sich dieser durchaus als Projektion Bettines bestimmbare Vorgang hier nicht oder zumindest nicht in Lützelers Sinn mit der Formel von den .antiquierten Genie-Ideen' abtun. Er ist vielmehr das vielleicht am schärfsten konturierte Symptom einer zunehmenden Spannung zwischen den beiden kontroversen Aspekten von Bettines Identität, ihrer ,Geistesfreiheit' einerseits und der deren literarischem Austrag widerstehenden Geschlechtsrollennorm andererseits. .Antiquiert' ist daran nur die männliche Privilegierung des von Bettine umrissenen Dichterbilds; das Bild selbst aber antizi29 30 31

Abgedruckt in Schormann: Bettine von Amim, S. 226. Bettine von Amim: Werke und Briefe in vier Bänden, Bd. 4: Briefe [in Vorbereitung], Brief Nr. 55. Ebenda, Brief Nr. 56.

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piert mit seiner Forderung, Dichter müßten ,ihre Stimme zu erheben wissen wo man sie nicht hören will', bereits Bettines eigene Position in der politischen Literatur des Vormärz - und gleichzeitig deutet es mit dem Motiv der ,Krone' auf das Selbstverständnis Bettines voraus, wie es vor allem ihre politisch-pädagogische Korrespondenz mit Friedrich Wilhelm IV. von Preußen prägen wird, inszeniert sie sich doch hier in Anspielung auf Achims 1817 im ersten Band erschienenen Roman Die Kronenwächter in eben der Weise als ,Kronenwächterin' des ihrer Fürsorge anvertrauten Poeten, in der sie dem König gegenüber als Mentorin der preußischen Krone auftreten wird. Derartig hochstilisierte und -stilisierende Passagen sind, auch und besonders in ihrer kompensatorischen Funktion, das schriftliche Gegenstück zu Bettines geträumten oder im Gespräch erfundenen ,heroisch-frommen Reden' von der öffentlichen Kirchenkanzel herab und als solche Vorläufer ihrer späteren Tätigkeit. Betreibt Bettine nämlich in diesen Briefen schon vor Achims plötzlichem Tod im Januar 1831 gleichsam die schöpferische Umschrift des schreibenden Gutsherrn zum idealen Dichter, so lassen sich dann aus ihrem Brief an Jakob und Wilhelm Grimm vom l. Februar des Jahres bereits Ansätze dafür ablesen, daß Bettine die Aufgabe der Verwaltung von Achims literarischem Nachlaß auch als Aufgabe einer Fortschreibung von Achims Werk begreift. Gleich im ersten Satz unterstellt sie dieses Projekt dabei dem Muster der Christusnachfolge und verleiht ihm mithin Würde und Sendungsbewußtsein biblisch-neutestamentlichen Erzählens: „Wenn zwei in meinem Nahmen versammelt sind so bin ich mitten unter ihnen, so sagt Christus der für die seinen gestorben ist. Amim ist auch für die seinen gestorben, denn sein Tod hat uns alle in ihm versammelt, und sein Wort ist lebendig in uns geworden [...]."32 Das ,Wort' meint nicht einfach Achims hinterlassenes Werk, sondern das darin manifest gewordene Schöpferische schlechthin, in dessen Zeichen Bettine Achims Tod zur Vollendung einer poetischen Existenz umdeutet: „[...] der göttliche Meister hat ein Kunstwerck aus seinem Lebenslauf gebildet und sein schöner Geist reifte ihm ungestört entgegen, und es erwuchsen ihm die Flügel in Folge seiner Reife und so ist er seinem Schöpfer entgegen geflogen ohne Schmerz[...]."33 An seinem historischen Ort zwischen Bettines Briefen an Achim und ihrer publizistisch-literarischen Arbeit gelesen, hebt dieser Brief schlaglichthaft eine strukturelle Gelenkstelle zwischen Achims und Bettines Schriften hervor. Hatte sie zu Lebzeiten ihres Mannes eine eigene literarische Tätigkeit den überlieferten Zeugnissen zufolge nicht einmal in Betracht gezogen, so wird Bettine, als sie selbst zu veröffentlichen beginnt, sich bis zum Jahr 1848 durchweg als Kompilatorin historischen Quellenmaterials geben und sich damit unter den Schutz anderer, zumeist - mit der Günderode als einziger Ausnahme - männlicher Namen stellen, angefangen von Goethe und Pückler im .Goethebuch' über Friedrich Wilhelm IV. im .Königsbuch' und Clemens im Frühlingskranz bis hin zu der 1847/48 erscheinenden Überarbeitung ihres Briefwechsels mit Philipp Nathusius zu Ilius Pamphi32 33

Ebenda, Brief Nr. 73. Ebenda.

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lius und die Ambrosia. Die quasi vom Moment seines Ablebens an geplante posthume Ausgabe von Achims Werken, deren Vorarbeiten sie hier Wilhelm Grimm überträgt - „dem Wilhelm ist zugedacht daß er seinen Nachlaß ordne er soll sich daher darauf freuen wenn es wird für ihn gewiß der reichhaltigste Lohn daraus erwachsen ich sage euch Tausendfältiges neue und was Ihr nicht in ihm geahndet das werdet ihr entdecken"34 -, wird Bettine zu Modellfall und Legitimationsargument weiterer Publikationen, in denen sie die Verkündigungsgeste, mit der sie Wilhelm einen seiner Arbeit intrinsischen »reichhaltigsten Lohn' verspricht, auf die freie Bearbeitung selbst der Manuskripte ihrer Korrespondenten ausweitet: In der Rolle einer rezeptiven poeta vates formt sie aus den Briefen Goethes, Pücklers, Günderrodes, Clemens', Nathusius' und selbst Friedrich Wilhelms IV. Texte, die mehr, als es das Originalmaterial je könnte, die Wahrheit über ihre Korrespondenten zu .entdecken' ermöglichen. Dabei allerdings ist auch ein fundamentaler Unterschied im Umgang Bettines mit dem Werk Achims auf der einen und den Texten ihrer Briefpartner auf der anderen Seite festzuhalten: Während Bettine in ihren eigenen Büchern mit Eingriffen in ihre Quellentexte keineswegs zimperlich ist, beschränkt sie sich in Achims Schriften auf auffallend wenige Eingriffe, so etwa bei der Fertigstellung des 1854 posthum erscheinenden zweiten Bandes der Kronenwächter. Dieser editorische Respekt, der in solch eklatantem Kontrast zum Verfahren von Bettines Erinnerungsbüchem steht, läßt sich in erheblichem Ausmaß auf die Tatsache zurückfuhren, daß die weitaus meisten von Bettine in ihrer Werkausgabe versammelten Schriften Achims bereits gedruckt vorlagen. Möglicherweise aber ist er auch ein Ausdruck dessen, daß die poetologisch-ästhetische Affinität zwischen Bettine und Achim a priori sehr viel größer ist als diejenigen zwischen Bettine und den Korrespondenten ihrer Erinnerungsbücher - jedes einzelne dieser Bücher nämlich ist in seinem Kern die Darstellung eines fundamentalen poetologischen Konflikts zwischen Bettine und ihrem jeweiligen Briefpartner, sei es der mit dem olympischen Autonomieästheten Goethe, mit der klassizistischen Günderrode, mit dem reaktionär romantischen Clemens oder dem philisterhaften Nathusius. Bereits das .Goethebuch' weist an zentraler Stelle eine Passage auf, in der die Affinität zwischen Achim und Bettine überraschend greifbar wird. Darin entwikkelt Bettine aus einem einzigen Satz eines Originalbriefs an Goethe vom 30. Januar 1808 das Programm ihres poetischen Bearbeitungsverfahrens: „Oft hab ich's in den Fingerspizen ich mein ich müßte Dir erzählen was ich Nachts von Dir geträumt hab, und denk nicht, daß Du für anderes in der Welt bist."35 Aus dieser im Original völlig unspezifischen Erwähnung entbindet sie im ,Goethebuch' die Schilderung eines Traumbildes, das den Dialog, den die Autorin hier mit dem verstorbenen Dichter nachinszeniert, als öffentlichen Tanz des schreibenden Ichs imaginiert: „[...] es ist als solle ich vor Dir tanzen, ich bin ätherisch gekleidet, ich hab1 ein Gefühl, daß mir alles gelingen werde, die Menge umdrängt mich. - Ich suche Dich, dort sitzest Du frei mir gegenüber; es ist als ob Du mich nicht bemerktest 34 35

Ebenda. Bettine von Amim: Werke und Briefe in vier Bänden, Bd. 2, S. 581.

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und seiest mit anderem beschäftigt [...]."36 War der historische Adressat ihrer Briefe, ,fur anderes in der Welt', der jungen Bettine mit manchmal verletzender Sprödigkeit begegnet, so kann die Autorin die Goethefigur ihres Buchs nunmehr zu gefesselter Aufmerksamkeit zwingen: [...] jetzt trete ich vor Dich, goldbeschuhet, und die silbernen Arme hängen nachlässig, und warte; da hebst Du das Haupt, dein Blick ruht auf mir unwillkürlich, ich ziehe mit leisen Schritten magische Kreise, dein Äug' verläßt mich nicht mehr, Du mußt mir nach, wie ich mich wende, und ich fühle einen Triumph des Gelingens [...]·"

In seinen Erzählungen von Schauspielen hatte Achim 1803 den Tanz „die höchste aller Erscheinungen" genannt: „Keine Kunst scheint so geeignet der Mittelpunkt aller übrigen zu werden [...] als der Tanz".38 Ulfert Ricklefs hat daraufhingewiesen, daß der Erzähler in Achims Text den Tanz als idealen Austrag einer Kunstutopie entwirft, in der Achim „zu weit ausgreifenden Vorstellungen zur Bildung des Menschengeschlechts [gelangt], in denen der lebendige Mensch und nicht die leblosen und vergänglichen Kunstwerke der Garant [der] Ewigkeit von Kunst ist".39 Durch die Perfektion einer „willkürlichen Individualität", die den „ganzen Körper, als ein Kunstganzes" zur Schau stellt, kann der Tanz gesellschaftspolitische Bedeutung entfalten, indem er ganz im Sinne der romantischen Universalpoesie die Grenze zwischen Kunst und Leben zugunsten eines organischen Ganzen aufhebt: „Wo noch einzelne Stellungen gemacht und festgehalten werden als etwas Ausgezeichnetes, da ist noch keine allgemeine durchgeführte individuell schöne Stellung [...]"; erst wenn sich alle Künste, Musik, Gesang, Malerei, und Liebe „für den [...] Ausdruck des ganzen Körpers zum Beistande der werdenden Geschlechter sich vereinigten", dann könne der Tanz den Status der „eigentlich lebenden Kunst" erreichen.40 Im ,Goethebuch4 nimmt Bettine eben diese Kunstutopie auf, um sie weiterführend zu radikalisieren: Die öffentliche Zurschaustellung des schreibenden als tanzendem Körper gerät zu einem Schauspiel, in dem Selbstentäußerung und Selbstgewinn der Autorin in dem Maß zusammenfallen, in dem sie ihre Kunst dezidiert über den Partner des einstigen privaten Briefdialogs hinaus an das Lesepublikum ihres Buchs adressiert. Ergänzt durch das Motiv des weißen Kleides - „Einmal hast Du für mich gesungen: So laßt mich scheinen bis ich werde, zieht mir das weiße Kleid nicht aus"41 - stellt der Tanz dabei einen intertextuellen Hinweis auf die Mignonfigur aus Goethes Lehrjahren bereit, der den Traum von der Macht der Kunst seinerseits an die politische Dimension ihres Buchs ankoppelt. Von der

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Ebenda, S. 98. Ebenda. 38 Amim: Erzählungen von Schauspielen - Werke in sechs Bänden, Bd. 6, S. 129-167, hier S. 157. 39 Ricklefs: Kunstthematik und Diskurskritik, S. 75. 40 Arnim: Erzählungen von Schauspielen - Werke in sechs Bänden, S. 160-161. " Bettine von Arnim: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde - Werke und Briefe in vier Bänden, Bd. 2, S. 98. 37

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jungen Bettine als Rollenvorlage ihrer Verweigerungshaltung gegenüber den Versuchen ihrer Familie eingesetzt, sie in die weibliche Geschlechtsrollennorm einzuzwängen, dient die Figur der Mignon im .Goethebuch' dessen Autorin dazu, ihre Goethefigur zur politischen Stellungnahme aufzufordern: Ja, wenn etwas noch aus Dir werden soll, so mußt Du deinen Enthusiasmus an den Krieg setzen, glaub mir, die Mignon war nicht aus dieser schönen Welt geflüchtet, in der sie ja doch ihr Liebstes zurücklassen mußte, sie hätte gewiß alle Mühseligkeiten des Kriegs mit ausgehalten [...]·42

Der .Krieg', von dem hier die Rede ist, ist der Aufstand der Tiroler gegen Napoleon im Jahr 1809, den Bettine, damals in München, miterlebt hatte. In den originalen Briefen wird dieser Aufstand gelegentlich gerade nur gestreift; die entsprechenden Passagen des,Goethebuchs' sind durchweg nachträglich geschrieben worden, mit dem Ziel, schon die junge Bettine als politisch auf seiten der unterdrückten Tiroler aktiv auszugeben. Diese interpolierten Briefe werden dann zum Anlaß dafür, daß das ,Goethebuch' von Zeitgenossen von Anfang an als politisches Buch rezipiert wurde, eine Gelenkstelle mithin, an der Bettines geträumter ,Tanz' erstmals den gesellschaftlichen Auftrag von Kunst im Sinne einer schöpferischen politischen Positionsbildung erfüllte, formuliert Bettine hier doch eine scharfe Kritik an dem politisch in verantwortungsloser Weise desinteressierten Weimarer Hofdichter. Damit greift sie auch jene Erbitterung auf, mit der einst Achim Savigny gegenüber Goethes Gelegenheitsgedicht Im Namen der Bürgerschaft von Karlsbad kommentiert hatte: [...] was soll die Nachwelt von einer Zeit denken, in der selbst die grösten Männer so hündisch sich unterworfen haben, denn es ist ein wichtiger Unterschied, Napoleons Grosse bewundem, oder in der Mitte des Volks, das sie zerschmettert, und gleichsam aus dessen Munde rühmen und verehren, und die Lügen seiner Klugheit verbreiten helfen.43

Schon durch das .Goethebuch' bekennt Bettine sich also ausdrücklich zu derselben Haltung, in der Achim 1806 angekündigt hatte, er wolle angesichts des Krieges „kein Blat vors Maul nehmen, und mag das Wort wie leerer Wind tausendmal gesprochen worden seyn, ich will es doch thun, mitfreuen, mitleiden, mitfallen, aufmuntern und trommeln",44 der Haltung eines Dichters, der sich bereits 1802 zur Poesie als dem Medium eines umfassenden Volksbildungsprogramms bekannt hatte: „Alles", so hatte er am 9. Juli an Clemens geschrieben, „geschieht in der Welt nur der Poesie wegen",45 die Poesie aber hat umgekehrt den gesellschaftlichen Auftrag zu erfüllen, ihren Rezipienten in Beziehung zur politischen Dimension von Geschichte zu bringen. Vor dem Hintergrund des beginnenden 19. Jahr-

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Ebenda, S. 249. Achim von Amim an Friedrich Karl von Savigny, 28. 9. 1811 - Amim: Briefe an Savigny 1803-1831,8. 62f. Amim/Brentano: Freundschaftsbriefe, S. 423. Ebenda, S. 21.

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Hunderts bedeutet das für Achim die Aufgabe, die Kunst des Volkes zu beleben, um es auf die gemeinschaftsstiftende Wirkung einer einheitlichen Kultur zu verpflichten46 - in den Jahren des Vormärz, in denen Bettine mit dem .Goethebuch' zur Symbolfigur der liberalen Bewegung Preußens wird, zielt ihre Überschreitung der Grenze zwischen Poesie und Politik darauf ab, eine von Goethe auf diese Grenze eingeschworenen Lesergemeinschaft auf die Kritik an einer Kunst zu verpflichten, die im Dienst der Restauration die politische Dimension ihrer eigenen Geschichte zu eskamotieren bemüht ist. Einige Jahre nach Erscheinen des .Goethebuchs' zieht Bettine aus ihrem Ruhm als weit über Preußens Grenzen hinaus gefeierte Autorin, der den seit 1840 regierenden König zum geschmeichelten Adressaten ihrer Briefe hatte werden lassen, auf der einen und ihrer Enttäuschung angesichts Friedrich Wilhelms IV. mangelndem Reformwillen auf der anderen Seite die Konsequenz, ein Buch zu planen, das den König selbst direkt mit einer solchen Grenzüberschreitung konfrontieren und ihn solcherart an seine Verpflichtung gegenüber seinem Volk erinnern soll. Im Februar 1843 bereitet sie Friedrich Wilhelm IV. in einem Brief auf das unmittelbar bevorstehende Erscheinen von Dies Buch gehört dem König vor, in dem sie sich als Mittlerin zwischen ihm und seinen Untertanen anbietet: Ich vermags, mit dem Volk zu reden [...]. Ich habe den Begriff vom Rechten, und auch den Muth, den Schlüssel dazu, allen geharnischten Riesen und Schwefelspeienden Drachen zu entreißen, so bald mein König mit diesem Schlüssel das Paradies Deutschlands zu erschließen geneigt sein wird.47

Hinter Bettines sozialkritischem Engagement, das seinen vorläufig wirkungsvollsten Ausdruck in einer dem Text des .Königsbuchs' angefügten Sozialreportage über die Armenkolonie Vogtland vor den Toren Berlins findet, steht wie hinter den zahlreichen Artikeln zu Gründen und Auswirkungen der frappanten sozialen Gegensätze in Preußen, die Achim zeit seines Lebens in preußischen Zeitungen veröffentlicht hatte, nicht weniger als der „Wunsch eines jeden, der Menschheit nützlich zu sein", den der Gymnasiast Achim 1798 dem abstract seiner Rede über Das Wandern der Künste und Wissenschaften vorangestellt hatte. Dieser Leitsatz enthält in nuce bereits die Kunsttheorie, die Achim dann 1802 in seinem Entwurf Die große Arbeit, eine Lebensaussicht skizziert hatte: [...] nur wenige und das sind die Poeten, werden reich genug geboren, daß ihnen die Arbeit ein Spiel wird und diese sollen für die übrige Menschheit arbeiten, daß sie den Zweck ihres Lebens nicht verfehlen, daß jene für ihre Arbeit einen poetischen Genuß finden [...]. Wer sich Poet nennt in diesem Sinne, der ist nicht stolz, er weiht sich dadurch der höchsten Tugend und Aufopferung, [...] er ist ein echter Märtyrer und Einsiedler, er betet und kasteit sich für andere, [...] er ist der demütige Petrus, der die Himmelsschlüssel hat aber nicht eingeht, sondern an der Tür harret der Kommenden um ihnen den Weg zu weisen und die Tür zu öffnen.48 46 47 4>

Vgl. dazu Knaack: Achim von Arnim - Nicht nur Poet, S. 23-24. Bettine von Arnim und Friedrich Wilhelm IV.: Ungedruckte Briefe und Aktenstücke, S. 108. Amim: Die große Arbeit, eine Lebensaussicht - Werke in sechs Bänden, Bd. 6, S. 122-124, hier: S. 123.

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In ihrer sicher nicht zufällig motivgleichen Paraphrase dieses Entwurfs nimmt Bettine mit ihrer Formulierung vom Paradiesschlüssel mehr als vier Jahrzehnte später nicht nur Achims Überzeugung von der Funktion des Dichters als einer Instanz auf, die in poetischer Form den Schlüssel zum politisch .Rechten' bereitzustellen habe, sondern geht von dort aus auch konsequent einen Schritt weiter, den Achims Text wohl impliziert, nicht aber vollzieht - indem sie seine neutrale Rede von dem, der ,sich Poet nennt', in das triumphale ,Ich' ihres Briefes verwandelt, eignet sie sich ausdrücklich jene Macht an, mit der Achim 1802 eben erst zu experimentieren begonnen hatte. Vor allem aber das Motiv des Traums ist ein unverkennbares Bindeglied zwischen Achim und Bettine. Es ist eines der wichtigsten Steuerungselemente von Bettines politischem Werk, steht es doch für den Einsatz von Poesie als einem Medium, das seinen Adressaten in einem Raum jenseits des Wachens hinüberzuziehen und dort, im Anderen einer rigoros normierten politischen Realität, Visionen zu entwerfen vermag, deren Strahlkraft von diesem Raum aus seine politische Haltung beeinflussen und solcherart auf die Realität zurückwirken kann. Solches schöpferische Träumen ist bereits Bestandteil der frühen Liebesbriefe zwischen Achim und Bettine, und dies nicht nur als sehnsüchtige Beschwörung des abwesenden Geliebten, sondern durchaus bereits im Sinne einer Sprachmagie, die das bloße Wort im Traum zum .Zauberwort' wandelt. „Oft dencke ich der Schlaf ist besser als Wachen weil da die Grenzen des Daseyns zusammen fallen weil da mich keiner halten kann, im geschwinden Flug", schreibt Bettine am 30. Januar 1810 an Achim. Dinge die sich in Ewigkeit nicht zusammenfügen, sind im Traum wie auf ein Zauberwort geschehen ja man hat gleichsam durch einen Moment der Erinnerung ganze Geschichten erlebt [...]. - man sagt oft Gott selbst könne das Geschehene nicht ungeschehen machen; der Traum beweist das Gegentheil.49

In demjenigen Text, in dem Achim Politik und Poesie am radikalsten miteinander verschränkt, in den Kronenwächtern, übernehmen Träume die Aufgabe einer Gelenkstelle zwischen der erzählten Handlung und ihrer sagenhaften historischen Folie, angefangen von den Träumen, in denen der junge Berthold von Barbarossa den Auftrag zum Wiederaufbau seines Hauses und später auch die finanziellen Mittel dazu erhält, über die Träume des alten Sängers im .Hausmärchen' des zweiten Buchs bis hin zu den Traumvisionen des alten Rappolt im Anton-Roman des zweiten Bandes. Als Träger der mythischen Vergegenwärtigung des Staufergeschlechts und seines Auftrags zur Vereinigung des zersplitterten deutschen Reichs eingesetzt, versinnbildlichen die Träume den fiktionalen Charakter dieses Auftrags gegenüber der auf Handlungsebene entfalteten Wirklichkeit, in der er weder von Berthold noch von Anton erfüllt wird. Gleichzeitig aber repräsentieren sie die Wirkungsintention des Dichters: Vom Traum des alten Sängers aus gesehen, der dem regierungsmüden König das Bewußtsein seiner Verantwortung wiedergibt, ist das Steig (Hrsg.): Achim von Arnim und die ihm nahestanden, Bd. 2, S. 210.

Die Kronenwächierin

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Projekt des Kronenwächler-Romans insgesamt Traum eines Sängers, der seine Leser mit der Vision von der Wiedergeburt einer stabilen Monarchie nicht etwa aus dem Geist des Absolutismus, sondern vielmehr aus dem des aufgeklärten, gemeinsam gesellschaftlich produktiv handelnden Bürgertums konfrontiert. In eben diesem Sinn macht dann Bettine den Traum zur Schlüsselchiffre ihres Briefwechsels mit Friedrich Wilhelm IV. Dieser Briefwechsel bildet die Achse ihrer gesamten politischen Arbeit: Er beginnt Ende 1839 mit Bettines Engagement für die 1837 als zwei der berühmten ,Göttinger Sieben1 ihres Amtes in Göttingen enthobenen Brüder Grimm50 und ist fortan immer wieder Schauplatz ihres Einsatzes für politisch Verfolgte, von den Grimms über den polnischen Revolutionär Ludwik Mieroslawski 1846/47 bis zu Gottfried Kinkel 1849; er ist Quell- und Zielbriefwechsel ihrer beiden Königsbücher - nach dem .Königsbuch' von 1843 Gespräche mit Dämonen. Des Königsbuches 2ter Theil von 1852 - sowie ihrer sogenannten .Polenbroschüre' von 1848; er ist der Rahmen, der Bettines politisch Handlungsspielräume definiert und schließlich in den Jahren nach der Revolution auch terminiert. In diesem Briefwechsel repräsentiert die magische Kraft des Traums leitmotivisch eingesetzt Bettines hoffnungsvollen Glauben an die magische Kraft von Poesie in der Politik. Noch in Gespräche mit Dämonen imaginiert sie sich in der Rolle eines Dämons, der dem schlafenden König seine politischen Versäumnisse vorhält - zwar ist das Ende des Traums, das erhoffte Erwachen eines poetisch zu sich selbst geführten Regenten, innerhalb des Textes nicht mehr abzusehen, der Traum selbst aber ist und bleibt bis zum Schluß poetologisches Kernstück eines Werks, das den gesellschaftlichen Auftrag von Literatur in der Möglichkeit erkennt, mit den Mitteln der Sprachmagie politische Wahrheit darzustellen und kritisch zu reflektieren. Die hier genannten Übereinstimmungen zwischen Achim und Bettine - die mit dem Tanz verknüpfte Utopie einer sozialrelevanten Verschmelzung von Kunst und Leben, der Glaube an den poeta vates als wichtige politische Instanz und die poetologische Funktion des Traums in der Vermittlung zeitkritischer Inhalte - sind nur einige wenige Beispiele für die Bedeutung, die Achims Werk für die Entwicklung Bettines zur politischen Schriftstellerin zuzuschreiben ist. Offensichtlich ist diese Bedeutung darüber hinaus in der Konsequenz, mit der Bettine Achims Verfahren der Übersendung von Bittschriften und Eingaben an den Monarchen wie etwa denjenigen, in denen Achim im Juli 1813 bei König Friedrich Wilhelm III. scharf gegen die Auflösung des preußischen Landsturms protestiert hatte, weiterentwickelt und darüber hinaus auch an Muster wie die öffentliche Debatte um den Fall de Wette/Schleiermacher angeknüpft hat. Festzuhalten bleibt allerdings abschließend noch einmal auch der geschlechtsspezifische Unterschied in der praktischen Umsetzung solcher Verfahren.

Vgl. dazu Schultz: Bettines Auseinandersetzungen mit Friedrich Karl von Savigny um die Einstellung der Brüder Grimm in Berlin. - In: „Herzhaft in die Domen der Zeit greifen". Bettine von Amim 1785-1859, S. 261-268; Thielenhaus: Die .Göttinger Sieben' und Bettine von Amims Eintreten für die Brüder Grimm.

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Ulrike Landfester

Der politischen Tätigkeit Achims wie Bettines liegt die Zielvorstellung zugrunde, daß Politik eine Sache der Öffentlichkeit ist oder, anders ausgedrückt, Politik nur als ein von allen Beteiligten des politischen Tagesgesprächs in gleicher Offenheit zu betreibender Dialog eine umfassende gesellschaftliche Stabilisierung erreichen kann. Beide zielen damit nicht auf die Abschaffung der Monarchie, sondern auf ein Modell, in dem der König der Interessengemeinschaft seiner Untertanen nach Maßgabe einer Verfassung verwaltend und durchaus auch auratisierend vorstehen soll. Während es aber für Achim selbstverständlich ist, sich im Rahmen der aktuellen Zensurgesetzgebung in Zeitungsartikeln politisch äußern zu können, und das Verfahren der brieflichen Eingabe an den Monarchen daher nur einer von mehreren gangbaren Wegen zur Stellungnahme darstellt, ist es für Bettine, wie bereits angedeutet, nicht minder selbstverständlich, die Trennlinie zwischen weiblichen und männlichen Handlungspielräumen auch als politische Autorin unangetastet zu lassen. Bettines emanzipatorisches Verdienst besteht wesentlich darin, daß sie diese Trennlinie selbst souverän politisch instrumentalisiert. Die strategische Komponente ihrer Weigerung, offen gegen die Geschlechtergrenze zu verstoßen, wird besonders in einem 1845 an Klara Mundt gerichteten Brief sichtbar, mit dem Bettine die Aufforderung zu einer gemeinsamen Publikation rundweg abschlägt, mit dem Argument, daß „ich eines öffentlichen Einflußes mir weder bewußt bin noch einem solchen nachstrebe", und das schon gar nicht in Bezug auf Friedrich Wilhelm IV. - Grundlage nämlich ihres Einflusses auf ihn ist, dessen ist Bettine sich wohl bewußt, ein Austausch, für den sie dem König gegenüber die Intimität einer zutiefst privaten Beziehung reklamiert, in der allein die Strahlkraft ihrer poetischen Visionen wirksam werden kann: „Wenn ich übrigens mein Streben darf anerkannt fordern, so ist es in der aufrichtigsten Unmittelbarkeit - nicht einer Oposition - sondern des Vertrauens in den Reitz der Wahrheit, in den Begriffe des Genievollen [...]."51 Bettines Taktik, als schreibende Frau die Privilegien männlicher Autorität nicht zu usurpieren, sondern den König von der ostentativ .richtigen' Seite der Geschlechtergrenze aus auf dieses Modell hin zu manipulieren, verleiht ihrem politischen Werk eine Prägung, die sein Erscheinungsbild grundlegend von demjenigen Arnims unterscheidet. Die Lizenz der Frau, Briefe zu schreiben, eröffnet ihr einerseits die Möglichkeit, in ihren ersten Erinnerungsbüchern in .erlaubter' Form an die Öffentlichkeit zu gehen, andererseits diejenige, private Briefdialoge mit Repräsentanten der politischen Öffentlichkeit zu initiieren. Subversiv wird dieses Verfahren in dem Moment, in dem sie, wie im Fall der Brüder Grimm, damit beginnt, Abschriften ihrer Briefe in der Berliner Gesellschaft kursieren zu lassen, und dann in dem Maß immer mehr, in dem sie ihre aktuellen Korrespondenzen mit ihren Büchern vernetzt, etwa indem sie Zitate aus ihrem Briefwechsel mit Friedrich Wilhelm in das ,Königsbuch' einfügt und umgekehrt das ,Königsbuch' als Bestandteil der Korrespondenz selbst darstellt. Auch in dieser Struktur allerdings erfüllt das Werk Achims eine wichtige Aufgabe. Die ersten beiden Bände der von Wilhelm Grimm begonnenen Ausgabe, Novellen I und //, dienen Bettine im Herbst 1839 dazu, ihre Korrespondenz mit Briefentwurf o. D. [1845?]. Unveröffentlichtes Manuskript; GSA 03/472c.

Die Kronenwächterin

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Friedrich Wilhelm, damals noch Kronprinz, zu eröffnen. Scheinbar politisch völlig unverfänglich, steht diese Geschenksendung allerdings bereits im Zusammenhang mit der Angelegenheit der Brüder Grimm: Wilhelm Grimm ist darin als Herausgeber der Schriften mit einem Vorwort vertreten. Bettine selbst wird zwar auf dem Titelblatt nicht genannt, aber erst kurz vor ihrer Sendung an den Kronprinzen, am 31. Oktober 1839, war in den Hallischen Jahrbüchernför deutsche Wissenschaft und Kunst eine von dem mit Bettine bekannten und vermutlich auch gelegentlich in ihrem Salon verkehrenden Eduard Meyen verfaßte Rezension der beiden Bände erschienen, die sie schon im ersten Satz als eigentlich Verantwortliche präsentiert: „Bettina ist es, der wir diese schöne Ausgabe von Arnim's Werken verdanken. Sie löst damit die Pflicht, welche sie dem verstorbenen Gatten schuldig war, und giebt zugleich der Nation die Gelegenheit, auch ihre Schuld gegen den Dichter zu tilgen."52 Mit ihrem Geschenk bringt Bettine dem Kronprinzen so nicht nur ihre Beziehung zu den Grimms zur Kenntnis, sondern dokumentiert zugleich Wilhelm Grimms philologische Fähigkeiten - mit dem gewünschten Effekt. Die positive Reaktion des Kronprinzen ermutigt Bettine dazu, im Frühjahr 1840 den eben erschienenen dritten Band, Die Kronenwächter, ebenfalls an Friedrich Wilhelm zu schicken. Diesmal fügt sie ein Begleitschreiben bei, das, ohne Namensnennung und sogar ohne eigene Unterschrift, dem Prinzen die Sache der Grimms vorlegt. Der Kronprinz antwortet am 20. April 1840, offenbar ohne Umstände dazu in der Lage, die Absenderin des Briefes zu identifizieren, er habe „die Kronenwächter mit großer Freude empfangen",53 bittet Bettine um mehr Material zur Unterstützung der Grimms und beruft letztere schließlich, wie bekannt, Ende des Jahres nach Berlin. Die Übersendung der Kronen wächter ist nicht nur ein äußerlicher Anlaß dazu, den eben begonnenen Kontakt zu vertiefen, sondern auch und vielleicht sogar vor allem ein Versuch Bettines, den Kronprinzen durch Achims Roman auf das Programm ihres Briefwechsels mit ihm einzustimmen. Die Macht, die die Träume des alten Sängers aus dem .Hausmärchen' über den verantwortungsscheuen König haben, ist die Macht, die Bettine sich über Friedrich Wilhelm IV. wünscht; das Modell einer im Geist des aufgeklärten Bürgertums in die Pflicht genommenen Monarchie ist dasjenige, das sie in den folgenden Jahren unermüdlich propagiert. Und noch 1854, fünf Jahre vor ihrem Tod und bereits von ersten Schlaganfällen gezeichnet, zwei Jahre nach dem ,Dämonenbuch', in dem sie ein letztes Mal die Strahlkraft der poetischen Traumvision an den König adressiert und am Ende doch nur deren Scheitern ein Monument hatte setzen können, vollendet Bettine den zweiten Band der Kronenwächter, zum, wie sie in den letzten Zeilen des Buches bemerkt, „bessern Verständnis der Kronenwächter nach deren ursprünglichem Plan".54 Der .ursprüngliche Plan' aber, so ließe sich im Licht der vorangegangenen

Meyen: Achim von Arnim's sämmtliche Werke. - In: Hallische Jahrbücher für deutsche Wissenschaft und Kunst, Nr. 261, 31.10.1839, Sp. 2081-2086; Nr. 262, 1.11.1839, Sp. 20942096, hier Sp. 2081. Bettine von Amim/Brüder Grimm: Der Briefwechsel, S. 204. Arnim: Die Kronenwächter - Werke in sechs Bänden, Bd. 2, S. 615.

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Ulrike Landfester

Ausführungen denken, meint hier nicht nur Achims Plan für seinen Roman, sondern auch den Plan, den Bettine in unmittelbarer Weiterführung von Achims zeitkritischem Programm in ihrem eigenen politischen Werkprojekt verfolgt hat - den Plan, wie einst an Achims poetischem Genie dann in den Jahrzehnten nach seinem Tod als Dichterin mahnend, deutend und vermittelnd an der Regierung Friedrich Wilhelms IV. zur Kronenwächterin zu werden.

Hildegard Baumgart

Arnims „Judengeschichte": Eine biographische Rekonstruktion

„Meine Judengeschichte hat seit Deiner Abreise eine Katastrophe erlebt", schreibt Arnim aus Berlin im letzten Julidrittel 1811 an Clemens Brentano in Böhmen, und auch: „Mir ist die Katastrophe das Liebste, denn die Geschichte hat mich innerlich [...] tief gekränkt."1 Die Katastrophe war, vordergründig gesehen, eine Prügelei zwischen zwei Bürgern des Staates Preußen, Moritz Itzig und Achim von Amim, und sie wurde strafrechtlich verfolgt. Was sie sonst noch war, will ich versuchen zu zeigen. Die Geschichte läßt sich minuziös rekonstruieren, vor allem aufgrund der Akten der Tischgesellschaft.2 Sie enthalten die unmittelbarsten Zeugnisse Arnims. Originalbriefe, Zeugnisse und ein Tagebuch Moritz Itzigs, alle ungedruckt, verdanke ich dem Archiv Cauer.3 Es gibt mehrere spätere bis späte Spiegelungen der Ereignisse, so Varnhagen von Enses Aufsatz Ludwig Achim von Arnim und Moritz Itzig4 aus dem Jahre 1836. Varnhagens Bericht ist tendenziös verzeichnet, zeigt aber gerade darin die Entwicklung der Bewertung des Vorfalles. Auf Varnhagen und der Familientradition beruht ein erst 1861 zusammengestellter Bericht, ebenfalls im Archiv Cauer, von Carl Nobiling (1799-1863), der mit Itzigs jüngster Schwester (Johanne, 1803-1880) verheiratet war. Dessen Titel ist Moritz Itzig contra Achim von Arnim, Seitenstück zu Varnhagens Erzählung, zum Theil erweitert und vermehrt. Eine Skizzeför den engeren Familienkreis.

Zu Arnims Rede Über die Kennzeichen des Judentums Arnim hat im Frühling des Jahres 1811 vor der Christlich-deutschen Tischgesellschaft eine Rede Über die Kennzeichen des Judentums* gehalten, die jeden, der sich heute dem Autor und Menschen Arnim nähert, verstören muß. Wer die Rede wirklich liest, wird sich nicht nur über ihren Inhalt empören, sondern sich auch über Form und Stil ärgern. In verknorzter Scherzhaftigkeit stellt Arnim mit den bei ihm 1

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Amim an Brentano nach dem 17. Juli 1811, Amim/Brentano: Freundschaftsbriefe, Bd. 2, S. 604-605. Stefan Nienhaus stellte sie mir großzügig zur Verfügung; vgl. Nienhaus: Geschichte der deutschen Tischgesellschaft. Monographie und Textedition. Neapel 2000 (unveröffentlichte EDVVersion). Archiv Cauer in Hochstetten-Dhaun; dessen Leiter Emil Cauer bin ich sehr zu Dank verpflichtet. Varnhagen von Ense: Werke in fünf Bänden, Bd. 4, S. 674-680. Arnim: Werke in sechs Bänden, Bd. 6, 362-387.

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Hildegard Baumgart

häufigen Abschweifungen und Seitensprüngen vor allem zwei Erkennungszeichen der Juden dar: Sie seien erstens Meister darin, sich zu verstecken und zu verheimlichen, und zweitens seien sie überaus neugierig, das Gute kennenzulernen, um es schlecht zu machen. Das nicht endenwollende Machwerk enthält viele Judenanekdoten und -witze, alle schwerfällig und oft grausam. Geld und Sexualität werden in übelster Männermanier behandelt. Der Naturwissenschaftler Amim läßt sich eine Reihe von Gedankenexperimenten einfallen, um Juden zu analysieren: sie zerlegen und wieder zusammensetzen, sie mit Curcumapapier einwickeln, um herauszufinden, ob der typische Judengestank alkalisch oder sauer sei, sogar zur genaueren Erkenntnis eventuell ein Stück Judenhaut präparieren, was allerdings bisher noch nicht gelungen sei. Arnims Phantasie war damit der Wirklichkeit um 150 Jahre grausig voraus; wir dürfen ihm allerdings zugute halten, daß der Witz dieser Phantasien darin bestand, daß dergleichen 1811 eben nicht für möglich gehalten wurde. Die gelegentlichen Distanzierungen in Richtung Humanität und eine Schlußverbeugung vor den „edlen Judenfreunden", die natürlich nicht gemeint seien, verhallen für unsere Ohren, als seien sie nicht gesprochen. Die Tischgenossen aber, von denen ja keineswegs alle militante Judenfeinde waren, hörten sich Arnims Rede an, ohne sich über Stil und Inhalt zu empören. Die Fragen, die wir verzweifelt stellen, lauten mindestens: Weshalb war Arnim nicht tolerant, da doch die Zeit Mendelssohns und Lessings noch nicht lange zurücklag? Weshalb konnte er nicht empfinden, daß Hostienschändung, Ritualmorde und Brunnenvergiftung dem Wesen der jüdischen Religion fernliegen, da die Angst vor Blut und Sünde charakteristisch für sie ist? Wo war sein feines Ehrgefühl bei der Beschreibung der ordinären und hochgradig verletzenden Mauermalerei der Frankfurter Judensau? Wo sein mitleidiges Herz bei der grausamen, gleichsam johlenden Quälerei eines Juden beim Rittertumier? Wußte er nicht, daß die Juden zur Waffenlosigkeit verurteilt waren und sie nicht etwa frei gewählt hatten? Und wie konnte er auch nur in Gedanken einen Menschen wie einen anorganischen Gegenstand behandeln? Im Ganzen: weshalb konnte er nicht verstehen, daß die Juden „keinen Ernst hatten als in ihrer eigenen miserablen Geschichte"6, wieso sah er nicht, daß diese auch die miserable Geschichte des Christentums war? Wo war der Amim, der noch vor kurzer Zeit in einer von ihm nicht veröffentlichten „Zueignung an die Juden" zu seinem Lesedrama Halle und Jerusalem geschrieben hatte: Vorurtheil und Bosheit suchen eure allgemeine Bildung zu hindern, im bürgerlichen Leben durch Spott, im öffentlichen durch Gesetze, wozu euch die Christen verführt haben durch jene Mittel, diese Begeiferung und Unredlichkeit wird euch von ihnen als eingeboren vorgerückt, selbst die rechte heilige Taufe wird euch abgeleugnet, ihr bliebet getaufte Juden sagen die Leute

Und zum Schluß, gefragt im Zusammenhang von Bettine und Arnim als Liebesund Ehepaar: Wie war es möglich, daß Arnim in einer Zeit endlich erreichter und 6 7

Ebenda, S. 383. Heinz HärtI: Romantischer Antisemitismus. Amim und die „Tischgesellschaft", S. 1160.

Arnims „Judengeschichte"

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glücklich gelebter Liebe nicht mitfühlender und .besser', sondern aggressiver, törichter und entsetzlich unsensibel wurde? Die Antwort, vorweggenommen, lautet: Leider war Amim auch nach seiner Hochzeit geblieben, was er vorher war - ein Mensch, der Güte und Milde zwar anstrebte und erreichen wollte, aber Konventionen brauchte, um seinen anarchischen Untergrund einigermaßen befriedet zu halten. Will man die Tischgesellschaft überhaupt im Zusammenhang mit der Heirat psychologisieren, so muß man feststellen, daß seine Selbstdarstellung als Mann die eines aggressiven Patrioten ist. Erstaunlicherweise hat er sich mit der Tatsache Juden und Judentum stärker, persönlicher und kritischer auseinandergesetzt als jeder andere Romantiker. Durch seine Judenprotzerei und ihre Folgen verwandelte sich seine hochmütige, witzelnde Überlegenheit in Leiden am eigenen Leibe und Verwirrung; bei keinem anderen der militanteren Judenfeinde finden sich solche Reaktionen. Denn seine abschließende Bitte an die Tischgenossen, die Judeninvektive geheimzuhalten, wurde natürlich nicht erfüllt. Gerüchte davon drangen in die Stadt, kritische Stimmen erschienen in liberalen Blättern. Freilich wurde Arnims Rede nicht gedruckt wie Brentanos vorausgehende und viel geistreichere Philisterabhandlung,8 in der auch Judenfeindliches zu lesen war. Aber die Vorstellung, die gebildeten Juden könnten sich nicht getroffen fühlen, war mehr als naiv. Die Doppelbindung von „versteckt" und „neugierig" stieß sie, die das ersehnte Licht der Vernunft und der Freiheit gerade erreicht hatten, zurück in die Ghettowelt von Schmutz und Fremdheit. So konnte es wohl nur Amim selbst verwundern, daß er eine scharfe Quittung für seine angeblichen Scherze erhielt.

Der Anlaß zum Streit: die Soiree bei Sara Levy Ende Mai 1811, einige Wochen nach seiner Rede, besuchte Amim eine musikalische Soiree bei Sara Levi.9 Er war unpassend angezogen, da er abend-unübliche weite Pumphosen trug, was die anwesenden Damen jüdischer und christlicher Religion empörte. Man empfand die Gastgeberin als beleidigt. Deren Neffe Moritz Itzig (12.10.1787-15.5.1813) war zuerst anderer Meinung und fand den „Ingrimm * '

Brentano: Der Philister vor, in und nach der Geschichte - Werke (Hanser-Ausgabe), Bd. 2, S. 959-1016. Sara Itzig (l761-1854), seit 1783 Sara Levy, war eine Leitfigur des musikalischen Berlin. Sie war während Friedemann Bachs Berliner Jahren (1774-1784) dessen einzige Klavierschülerin und muß eine eine beachtliche Virtuosin gewesen sein. In der Orchestermusik-Abteilung der Zelterschen Singakademie (Ripienschule) übernahm sie regelmäßig die Klavierkonzerte, meistens von Philipp Emanuel Bach, aber auch von Friedemann und Johann Sebastian. Sie besaß eine große musikalische Autographensammlung und folgte darin der Tradition ihrer Familie. Ihr Geschmack war konservativ, was bedeutet, daß sie einen entscheidenden Anteil an der Bachpflege Berlins hatte, die 1829 zur sensationellen Aufführung der Matthäuspassion unter dem zwanzigjährigen Felix Mendelssohn Bartholdy führte. Für ein Interesse Sara Levys an Zeitgenössischem, etwa Beethoven oder auch Volksliedern, gibt es keine Belege, (vgl. Wollny: „Ein förmlicher Sebastian und Philipp Emanuel Bach-Kultus": Sara Levy, geb. Itzig und ihr literarisch-musikalischer Salon, S. 217-256).

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der Damen"10 eher lächerlich, erfuhr aber dann, daß Arnim nicht einmal eingeladen war. Zusammen mit Amims antijüdischer Haltung ergaben diese Fakten wirklich eine Beleidigung, deren sich Itzig jetzt annahm - als ältester Mann der engeren Familie, denn der Hausherr war 1806 gestorben. In einem strengen herausfordernden Brief" verlangte er eine Rechtfertigung und brachte Arnims Benehmen in Zusammenhang mit dessen judenfeindlichen Äußerungen, von denen er gehört hatte. Was geschehen wäre, wenn er den Text der Judenrede hätte lesen können, ist nicht vorzustellen. Sie blieb auf die Mündlichkeit der Tischgesellschaft beschränkt (und wurde erst 1971 in der Dissertation von Heinz Härtl veröffentlicht). Arnim war durch Itzigs Brief äußerst beunruhigt. Er antwortete strikt abweisend, aber auch entschuldigend: Nicht Moritz Itzig oder seiner Tante hätten seine Juden-„Neckereien" gegolten, sondern den üblen Geldjuden, mit denen er Geschäfte machen mußte. Auf dieses Angebot, unter Gebildeten zusammenzuhalten, ging Moritz Itzig begreiflicherweise nicht ein. Sein nächster Brief verdächtigte Arnim in sehr scharfer Form der Feigheit und war eigentlich eine Forderung zum Duell. Inzwischen hatte Amim von Frau Levy erfahren, daß diese tatsächlich nur Bettine einladen wollte, weil Arnim seit Jahren nicht mehr bei ihr erschienen war. Die Doppeleinladung war ein Irrtum oder ein Mißverständnis einer Abgesandten Sara Levys, einer Demoiselle Blank, die in die poetische erste Ehewohnung der Arnims, Wilhelmstraße 78, gekommen war, um zur Soiree zu bitten. Da Frau Levy sich von ihrem Neffen distanzierte und im ganzen freundlich schrieb, war die Sache zwischen ihr und Arnim gütlich gelöst. Arnim, der Itzig nicht persönlich kannte, hielt ihn für sechzehnjährig. In Wirklichkeit war er dreiundzwanzig. Auf Itzigs zweiten Brief hin verfaßte Arnim ein Rundschreiben an mehrere Standesgenossen mit der Frage, was er tun solle, da sich „ein Duell zwischen einem Juden und einem landsässigen Edelmann" bisher noch nicht ereignet hätte. Neun antworteten und dachten dem „lausigen Judenjungen" demütigende Züchtigungen zu wie Maulschellen, Stockprügel oder hundert Eimer Wasser über den Kopf. Erziehen und Bilden war immer ein Lieblingsthema von Arnim gewesen gegenüber dem Volk, gegenüber Bettine, auch gegenüber Clemens. Er verfaßte daher einen langen Grundsatzbrief, schrieb darin belehrend - wie Itzig und seine Freunde fanden: predigend - an seinen Gegner und fügte die Gutachten der Standesgenossen bei. Itzig antwortete nicht mehr, und Arnim hielt die Sache für ausgestanden. Tatsächlich geschah mehrere Wochen nichts mehr. Amim kehrte zur Idylle in der Wilhelmstraße zurück, pflegte sein Gärtchen, umarmte seine Frau und schrieb an den Novellen, die im Frühjahr 1812 erscheinen sollten. Er hörte von der Affäre nichts als Gerüchte, war aber trotzdem neugierig, Itzig einmal zu sehen. Irrtümlich hielt er einen ändern Juden, dem er ein paarmal begegnete, für seinen jungen Gegner.

Nach Nobiling: Moritz Itzig contra Achim von Arnim, Seitenstück zu Varnhagens Erzählung, zum Theil erweitert und vermehrt. Eine Skizze für den engeren Familienkreis [unpaginiert] (Archiv Cauer). Die folgenden Angaben und Zitate nach Nienhaus: Geschichte der deutschen Tischgesellschaft. Monographie und Textedition, Teil G, Nr. 25.

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Wer war Moritz Itzig? Was ging inzwischen in Moritz Itzig vor? Auch darüber gibt es eine Reihe von Dokumenten, und seine innere und äußere Geschichte scheint mir charakteristisch für die Situation eines jungen Juden in den Jahren kurz vor Hardenbergs Judenedikt. Itzig stammte nicht einfach aus einer sehr guten jüdischen Familie, sondern aus der besten überhaupt. Sein Großvater Daniel Itzig (1722-1799), vom König zum Oberlandesältesten der jüdischen Gemeinde auf Lebenszeit gemacht, gehörte derselben Generation an wie Arnims Großmutter (1730-1810). 1791 hatte er von Friedrich Wilhelm II. wegen seiner großen Verdienste um die Staatsfinanzierung als einziger Jude für sich und seine Nachkommen (eine geringe Einschränkung gab es für die weibliche Linie) die volle Gleichstellung mit christlichen Bürgern erhalten.12 Am 20. März 1792 leisteten die Itzigs den Bürgereid - ein großes Datum in der Geschichte der preußischen Juden. Den Antrag auf die Einbürgerung Daniels stellte dessen Sohn, Moritzens Vater Isaac Daniel Itzig (1750-1806), Oberhofbankier und Chausseebauinspektor, der den dem König sehr wichtigen Bau der Chaussee zwischen Berlin und Potsdam beaufsichtigte. Als Mann der zweiten Generation war er gut erzogen und setzte sich für die bessere Bildung seiner Glaubensgenossen ein, die grundsätzlich sehr im argen lag. Er war Mitstifterund seit 1778 alleiniger Leiter der jüdischen Freischule.13 Geschäftlich hatte er nicht das nüchterne Talent seines Vaters geerbt, war vielleicht auch durch kulturelle Interessen angekränkelt. Er machte mit seiner Firma Itzig & Co 1796 Konkurs, noch vor dem Tod des alten Daniel. Moritz Itzig war zu dieser Zeit ein Kind von neun Jahren. Es handelte sich um einen spektakulären Zusammenbruch, dessen Abwicklung 1811 noch immer nicht beendet war. Isaac Itzig verlor seinen gesamten Haus- und Grundbesitz und verarmte völlig.14 Sein kaufmännischer Leichtsinn bestand in einem zu großen Vertrauen in die Zahlungswilligkeit des französischen Staates. Eine riesige Lieferung - 10 000 Pferde für die französische Armee - wurde durch die Entwertung der französischen Währung nicht angemessen bezahlt, und Napoleon weigerte sich, für den Verlust aufzukommen. Der Nachlaß des Großvaters Daniel aber hatte - denn die Firma Itzig & Co war nicht die seine - einen Wert zwischen 700.000 und einer Million Talem. Nur ein einziger von seinen fünf Söhnen konnte erben, die ändern wurden umgangen, weil sie wie Isaac insolvent waren. Bei allen warteten Gläubiger auf das Itzigsche Erbe. Aber das Vermögen ging auf deren Kinder über, die eigentlichen Erben erhielten nur die Zinsen. Moritz war allein deshalb schon nicht unvermögend, weil ein Anteil von des Großvaters Versorgung aller seiner 25 Enkel ihn sicherstellte. Der Volksbildner Isaac Daniel ließ seine eigenen Kinder selbstverständlich erstklassig erziehen. Nach dem Bankrott zog er sich gedemütigt zurück und suchte Abgedruckt bei Geiger: Geschichte der Juden in Berlin, Bd. 2: Anmerkungen, Ausführungen, urkundliche Beilagen und zwei Nachträge, S. 147-150. Die Schule war schuldgeldfrei. Seit 1791 war die Unterrichtssprache deutsch, Profanfacher waren wichtiger als Hebräisch. Deutsch und Französisch waren wichtige Unterrichtsfächer. Rachel/Wallich: Berliner Großkaufleute und Kapitalisten. Bd. 2: Die Zeit des Merkantilismus 1648-1806,8. 370ff.

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seine Söhne „auf das Eifrigste von jeder Ausbildung zu kaufmännischen Unternehmungen oder Geschäften" fernzuhalten.15 Er starb 1806, als Moritz neunzehn war. Seine weitere Ausbildung und die seiner beiden jüngeren Brüder übernahm die kinderlose Sara Levy, die im selben Jahr Witwe geworden war. Moritz bereitete sich auf einen ganz unjüdischen Beruf vor: Er wollte Landwirt werden. Er lernte bei dem Landwirtschaftswissenschaftler Albrecht Thaer,16 der 1806 auf seinem Gut Möglin in der Uckermark eine landwirtschaftliche Lehranstalt gegründet hatte. Außerdem studierte er Kameralistik und Staatswissenschaft in Helmstedt und noch einmal Landwirtschaft im Kloster St. Ludgeri. 1810 machte er zur weiteren Bildung in seinem Fach ein Jahr lang eine Reise durch Europa, über die er auch einen langen Bericht geschrieben hat.17 Wann der Kontakt mit Fichte, der immer wieder betont wird, begann, ist unklar. Jedenfalls war Fichte der Familie Itzig-Levy verbunden, denn im Jahre 1800, als Moritz dreizehn Jahre alt, war hielt Fichte nach dem Atheismusstreit seine erste Berliner Vorlesung als Privatissimum im Hause Sara Levys und ihres damals noch lebenden Mannes Samuel. Im Jahre 1811 war Moritz Itzig ein hervorragend ausgebildeter junger Intellektueller aus der obersten Berliner Oberschicht, dreiundzwanzig Jahre alt. Die Ähnlichkeit mit der Biographie des sechs Jahre jüngeren Arnim liegt auf der Hand. Arnim wie Itzig waren in der typischen Situation von Abkömmlingen reicher Familien in der zweiten bis dritten Generation. Das Gewicht verlagert sich vom reinen Erwerben und Erobern auf das Erhalten und Verbrauchen, wobei die Waage zwischen Verschwendung und kulturellem Engagement schwankt (Kunstsammlungen, repräsentative Bauten, Stiftungen). Nur wenige Nachkommen von Gründervätern beschäftigen sich mit der Weiterführung des Geschäfts.18 Auch Amims Vater hinterließ nichts als Schulden, auch bei Arnim kam die Rettung von der Großmutter, deren Nachlaß sich in der Höhe mit dem von Daniel Itzig vergleichen läßt. Die Zeitläufte und das strenge Testament der alten Labes19 ließen Arnim allerdings ein weniger freies Leben erwarten als Moritz Itzig. Auch von Bettines Seite bietet sich ein ähnliches Generationenbild: Als ihr Vater 1797 starb, hinterließ er am meisten von allen drei Patriarchen, nämlich 1.192.699 Gulden, was etwa noch ein Drittel mehr war als der gleiche Betrag in Talem. Geerbtes Geld also auf beiden Seiten. Itzig bewarb sich 1811 direkt bei Hardenberg um eine Staatsstellung als wissenschaftlicher Landwirt und stellte sich vor als Sohn seines Vaters, der ja auch im Staatsdienst war. Er betont seine Liebe zum Vaterland, „das leyder nicht mein Nobiling: Moritz Itzig contra Achim von Arnim (wie Anm. 10) [unpaginiert]. Thaer (1752-1828) war ein sehr berühmter Mann. Er war in Deutschland der erste, der naturwissenschaftliche Erkenntnisse auf die Landwirtschaft anwandte. 1810 wurde er bei der Gründung der Universität in Berlin sogleich Professor der Landwirtschaft. 1824 erweiterte er sein Institut in Möglin zu einer Akademie der Landwirtschaft, die noch heute zu besichtigen ist. Er war der Erfinder des Fruchtwechsels und vor allem ein genialer Woll- und Schafzuchtfachmann. 100 Seiten im Archiv Cauer. Eine Ausnahme macht die Familie Mendelssohn, die noch in der vierten Generation erfolgreiche Geschäftsleute, vor allem Bankiers, aufzuweisen hatte. Vgl. Baumgart: Die Große Mutter Caroline von Labes. Das Leben der Großmutter Amims 1730-1810. - In: „Frohe Jugend, reich an Hoffen". Der junge Amim, S, 1-24.

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Vaterland sein soll" und bittet um Gleichstellung mit seinen „freyeren Mitbürgern". Zwar sei er durch königliche Gnade schon Bürger, wolle sich aber nicht auf ein Vorrecht berufen, das nicht sein eigenes Verdienst sei. Hardenberg antwortete zwei Tage später, höflich anerkennend wegen der beigefügten guten Zeugnisse, aber bedauernd wegen der besetzten Stellungen. Über Moritz Itzigs Charakter glaubte ich zunächst nichts Zuverlässiges erfahren zu können. Die Briefe an Arnim zeigen wegen des situationsabhängigen Tones eigentlich nichts Persönliches. So schrieb eben damals ein Herr an einen ändern, wenn es um eine Ehrensache ging. Varnhagens Bericht ist bestimmt von der Parteinahme für den Märtyrer der jüdischen Sache. Auch Nobilings späte Aufzeichnungen dienen dem Schutz, fast der Heiligsprechung des Helden der Familie. Doch enthalten die Dokumente des Cauerschen Archivs Aufschlußreicheres. Itzigs Gesuch an Hardenberg, als Konzept in äußerst schwungvoller Schrift erhalten, zeigt ein ebenso enthusiastisches wie durchdachtes Engagement für die jüdische Sache. Er redet nicht nur über die Emanzipation, sondern macht in seinem Leben den Anfang damit. Er will als Privilegierter für die weniger Glücklichen mitkämpfen und -sorgen, wie Amim in seinem Lebensprogramm der „großen Arbeit",20 zu der er sich mit einundzwanzig Jahren entschloß: ein Dichter zu werden und die Poesie zu verbreiten. Itzig war ein Idealist, der an „Freyheit", das Vaterland Preußen und die „teutsche Nation" glaubte - wie Arnim. Er lebte mit Literatur und Philosophie - wie Arnim. Er wollte Landwirt werden und war dafür wesentlich besser ausgebildet als Arnim, der das Gleiche nicht wollte, aber mußte.

Die „Hypochondrie" Was beide Kontrahenten von einander wußten, ist nur zu erschließen. Itzig hat nirgends auch nur den Namen Amims genannt. Da dieser aber eine öffentliche Person war, ist wahrscheinlich, daß er von ihm einiges wußte: daß er ein Dichter war, daß er und Brentano das Wunderhorn herausgegeben hatten, daß er in Berliner Zeitungen schrieb. Die Person Arnim reduzierte sich aber für ihn auf die Judenfeindschaft. Arnim seinerseits hat sich zweifellos bis zur „Katastrophe" geweigert, mehr von Itzig wahrzunehmen - oder wahrzuhaben -, als daß er ein Neffe Sara Levys war. Er blieb der Meinung, sein Gegner sei etwa halb so alt wie er selbst (also dreißig gegen sechzehn). Eine einzige Eigenschaft hatte Itzig für ihn: Er war hypochondrisch. Das hatte Arnim durch einen vermittelnden Abgesandten Sara Levys, den Staatsrat Uhden, erfahren; der junge Mann sei deshalb ein Sorgenkind der Familie. Unter Hypochondrie verstand man damals krankhaft-reizbares Aufsich-selbst-Beziehen und launenhafte Unberechenbarkeit, von der die Meinung bestand, sie ginge von der Milz oder Leber aus.21 Heute würde man einen solchen Amim: Die große Arbeit, eine Lebensaussicht - Werke in sechs Bänden, Bd. 6 S. 122-124. Arnim sagt in seiner großen Tischrede über die Affäre, daß man bei diesem hypochondrischen Mann „nicht eigentlich sagen [könne], ob man es mit ihm oder mit seiner Milz und Leber zu thun" habe. (Nienhaus: Geschichte der deutschen Tischgesellschaft. Monographie

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Menschen eher als paranoid bezeichnen. Itzig sei deswegen vor kurzem auf eine Fußreise nach Paris geschickt worden, die ihn offenbar mit realer Mühsal konfrontieren sollte. Amim veränderte angesichts dieser seelischen Beschaffenheit in seinem Lehrbrief die strikten Urteile seiner Gewährsleute über die Behandlung seines Feindes „durch manchen gemilderten Ausdruck", übermittelte sie aber natürlich dennoch Itzig, und zwar obendrein mit dem Ausdruck des Bedauerns, daß er ihm „die Beschämung nicht ersparen" konnte. Naivität und Selbstbezogenheit Arnims sind wahrhaftig unbegreiflich, doch war er zweifellos nicht zynisch, wie Varnhagen und Nobiling annehmen. Angesichts des Charakters von Arnims Äußerungen sehe ich keinen Grund, seine Meinung über Itzigs Hypochondrie für erfunden oder gefälscht zu halten.22 Sie mag ihm gut gepaßt haben, aber ausgedacht hat er sie sich nicht. Der Charakterzug übermäßiger Empfindlichkeit und auffahrender Sensibilität hat sich in den beiden literarischen Bearbeitungen des Falles, von denen noch die Rede sein soll, erhalten. Wie sah es damit beim realen Itzig aus?23 Sein Tagebuch aus dem Gefängnis zeigt einen sensiblen, selbstkritischen und mit sich selbst beschäftigten, innerlich unruhigen Menschen, übrigens nicht ohne Humor und auch nicht ohne Aufmerksamkeit für seine ungewohnte Umgebung. Einmal nimmt er sich übel, daß er „von Hitze besessen" war, kritisiert seine „besonnenheitslose Thorheit von gestern Abend" nach einem Gespräch und beklagt sein „Empfindlichwerden", ein Zeichen innerer Unfreiheit, die „die ärgste aller Gefangenschaften" sei.24 Er leidet unter seiner selbstquälerischen Grübelei,25 beklagt sich über seine und Textedition, Teil G, Nr. 25.) In anderem Zusammenhang benutzte Arnim das Wort „hypochondrisch" in seinem Brief an Bettine über Die Wahlverwandtschaften kurz nach deren Erscheinen: Die Landadeligen, unter denen das Buch ja spielt, litten „unter einer ganz eigentümlichen Hypochondrie". Sie seien auf dem Lande isoliert und würden „ihre häusliche Suppe" meist so lange kochen, bis „nichts mehr im Topfe" sei - daher die vielen Ehescheidungen in diesen Kreisen. (Arnim an Bettine, Brief vom 5. November 1809, Bettine und Achim von Amim: Briefe der Freundschaft und der Liebe, Bd. 2, S. 276-277). Arnim las Die Wahlverwandtschaften als ein wertvolles realistisches Zeitzeugnis. Dies ist die Meinung Nobilings in seinem Bericht von 1861 (Nobiling: Moritz Itzig contra Achim von Arnim (wie Anm. 10) [unpaginiert]), der darin zweifellos die Meinung der Familie wiedergibt, wie sie in den 50 Jahren zwischen Geschehen und Aufzeichnung weitergegeben wurde. Die Familie, vielleicht besonders die etwas betuliche Tante Levy, war sicher durch die ungleichmäßigen Zustände dieses jungen Verwandten beunruhigt. Er teilte sehr wahrscheinlich die Beurteilung Brentanos, Arnims und auch Varnhagens, welche die Geselligkeit bei Sara Levy zu konservativ fanden, und machte daraus kein Hehl. Varnhagen schreibt von einer „gewissen ehrbar stolzen Philisterei" (Varnhagen von Ense: Werke in fünf Bänden, Bd. 4, S. 674). Kommt zu einer solchen Auffassung von Konventionen ein aufbrausendes Temperament, so ist das besorgte Kopfschütteln der Älteren geradezu zu erwarten. Im Tagebuch Itzigs aus dem Gefängnis (Archiv Cauer in Hochstetten-Dhaun) sind negativ besetzte Wörter etwa „philiströs" (31.3., 3.4.), „meine sogenannte Familie" (4.4.) oder die „Heimsuchung"(31.3., l .4., 8.4.) durch ungeliebte Besuche, so von „Levy" (einem Onkel oder Vetter). Die „schreckliche Liebe", mit der ihn „gewisse Leute" verfolgen, gehört zu den unwillig quittierten Erlebnissen (5.4., 15.4.). Tagebuch Itzigs 18.4. Tagebuch Itzigs 17.4., 12.5., 21.5.

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„versteckte Eigenliebe", die ihm „wieder einen hässlichen Streich gespielt" habe26 und öfter über physische Zwänge, nicht nur Schmerzen, sondern zweifellos auch sexuelle Bedürfnisse,27 die er bezwingen möchte. Ich glaube sagen zu dürfen, daß diese Selbstbeobachtungen aus acht Wochen über das hinausgehen, was man bei einem schlichter strukturierten Charakter erwarten kann.28 Ein Briefwechsel Itzigs aus dem Jahre 1809, der sich im Archiv Cauer erhalten hat, weist merkwürdigerweise eine entfernte Ähnlichkeit mit der Amim-Affäre auf. Itzig schreibt am Abend nach einem kontroversen Gespräch, offensichtlich zum Thema ,Moral von Juden und Christen', einen spontanen Nachschlag an einen Freund oder Bekannten. Unter der schneidenden Anrede „Herr Hauptmann!" beklagt er sich in aggressivem Ton, daß dieser „ein Herz [seins, Itzigs, H. B.], welches gern die ganze Menschheit mit warmer Liebe umfassen möchte, tief verwunde". Der Offizier, der seinen Brief mit C. v. H. unterzeichnete und von Hülsen hieß, antwortet darauf ebenfalls gekränkt, der „beleidigende übermüthige Stolz" Itzigs mache es ihm „beynahe unmöglich", dem Empfang des Briefes nicht mit einer Forderung zu begegnen. Ein Satz Hülsens könnte von Itzig an Arnim geschrieben sein: „Sie reden mich in einem Tone an, als spräche in Ihnen der Mensch zum Menschen, warum müssen Sie dabey aber den Mann in mir geradezu beleidigen?" Hülsen schickt den erhaltenen Brief zurück, „ich mag kein bleibendes Zeichen Ihrer Fehler haben".29 Wahrscheinlich wurde der Kontakt der beiden danach abgebrochen. Bewegend ist, daß am 3. Juni 1811, also unmittelbar nach dem Briefwechsel mit Amim, Itzig an Hülsen schreibt, es triebe ihn schon lange, für seine Härte um Verzeihung zu bitten. Der damalige „unglückliche Vorfall" habe aber etwas Gutes gehabt, denn er habe dazu beigetragen, Itzig „demüthiger und duldsamer zu machen". Der „Werth" Hülsens und sein eigenes „Vergehen" sei ihm jetzt besonders fühlbar geworden, da er in eine ähnliche Angelegenheit verwickelt sei „hier darf ich mich indessen ganz schuldlos bekennen." Ein Aufschub Es spricht also einiges dafür, daß Itzig ein heftiger und in sich selbst verstrickter Charakter war, aber auch, daß er sich bemühte, mit dieser Veranlagung fertigzuwerden und ein abgeklärter und gerechter Mensch zu sein. Es ist auffallend, wie lange er gebraucht hat, sich zu einer Rache für Arnims Duellverweigerung zu entschließen. Auch er holte Rat ein. In seinen Erinnerungen von 1861 berichtet Carl von Roeder, ein Bekannter Arnims und Erzieher eines Humboldtsohnes, über ein Jugenderlebnis als Student Fichtes.30 Ein junger jüdischer Kommilitone, der ihm durch seinen edlen melancholischen Ausdruck aufgefallen war, fragte ihn nach

Tagebuch Itzigs 7.4. Tagebuch Itzigs 1.4., 2.5., 5.5. Das Archiv Cauer bewahrt auch Briefe von und an Moritz Itzig auf, die man auf weitere individuelle Züge hin untersuchen müßte, ebenso wie das Reisetagebuch, das ich noch nicht kenne. Brief vom 3.3.1809 im Archiv Cauer. Das Folgende nach Steig: Heinrich von Kleist's Berliner Kämpfe, S. 636-637.

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seiner Meinung, was er als Offizier und Edelmann tun würde, wenn ihn ein Jude forderte. Er sei nämlich derjenige, der Amim gefordert habe. Roeder riet von einem Duell ab, das „doch nur ein nothwendiges Übel sei, unter allen Umständen von Gebildeten möglichst zu vermeiden." Der Anlaß rechtfertige dieses äußerste Mittel nicht. Lieber solle Itzig sich an seine Verwandten wenden, um zwischen diesen und Amim eine gütliche Einigung zu erreichen. Ohne Wissen Itzigs sprach Roeder nun mit Amim und stellte es diesem als seine Pflicht vor, die Sache zu klären, sonst würde er, Roeder, als Mitstudent Itzigs die Angelegenheit vertreten müssen. Also noch ein Ehrenstandpunkt! Nun aber ein befremdendes Zitat, wörtlich: „Nach einigen Tagen erzählte mir der Jude, daß der Schriftsteller ihm vor seinen Verwandten eine genügende Erklärung abgegeben habe."31 Es würde naheliegen, die Beruhigung der Angelegenheit vor den langen Brief Arnims zu datieren. Doch stellt Amim die Abfolge so dar, als sei Brief auf Brief gefolgt und also für Itzig keine Zeit gewesen, sich zwischendurch mit jemandem zu beraten. Warum aber sollte Arnim nach einer Einigung noch die Urteile seiner Freunde mitteilen, wie er es doch in seinem belehrenden Brief tat? Ich stehe hier vor einem Rätsel, denn zufrieden war Itzig mit der angeblichen Erklärung ganz offensichtlich dann doch nicht. Eine Lösung könnte ich darin sehen, daß er genauso in den Streit verbissen war wie Itzig und die Angelegenheit gesellschaftlich bereinigt sah, aber nicht grundsätzlich. Aber vielleicht hat sich Roeder auch - nach sechzig Jahren - einfach falsch erinnert.32

Die Prügelei Ich komme nun zum dramatischen Höhepunkt der Geschichte. Am 16. Juli ging Amim nach verschiedenen Erledigungen in der Stadt ermüdet auf ein Badeschiff33 an der Langen Brücke und wartete zeitunglesend auf die Herrichtung seines Bades. In diesem Augenblick stürzte Itzig mit geschwungenem Stock herein und rief oder schrie: „Erbärmlicher Mensch, ich werde Sie strafen!" Vor der Polizei gab Arnim kurz darauf zu Protokoll, der Mann, den er nicht kannte, habe „im Gesicht ganz 31

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Ebenda, S. 637.

Das Archiv Cauer bewahrt ein - abgeschriebenes - Billet Amims an Sara Levy auf: „Meinen ergebensten Dank Ihren gütigen Bemühungen und dem glücklichen Erfolge der Unterhandlung. Ich eile mich und was mich umgiebt in Ihrem Hause zu sammeln, mein Freund Brentano nähert sich schon mit den eilenden Stunden. Hochachtungsvoll Achim Amim." Nobiling (Moritz Itzig contra Achim von Amim (wie Anm. 10) [unpaginiert]) datiert das - undatierte Billet in die Zeit des Itzig-Konflikts. Es stammt aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus dem Jahre 1804, als Amim im Hause Frau Levys (Hinter dem Packhof 3) eine Wohnung gemietet hatte und für den Besuch Clemens Brentanos ein paar Zimmer zusätzlich brauchte. Die „Annäherung" war die an Berlin aus Heidelberg Ende 1804 (vgl. Baumgart: Bettine Brentano und Achim von Amim. Lehrjahre einer Liebe, S. 129, und Brentano: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 31, S. 357). Ich danke Heinz Härtl für seinen mündlichen Hinweis auf der Amim-Tagung in Wannsee Ende Juli 2000. Ein Badeschiff war eine Einrichtung wie ein heutiges Wannenbad. Offenbar wurde Wasser aus der Spree geschöpft und zum Baden angewärmt.

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gestöhrt" ausgesehen, so daß er glauben mußte, „es mit einem Wahnsinnigen zu tun zu haben". Zufällig hatte Arnim seinen eigenen Stock34 nicht wie üblich abgegeben, fing den Schlag auf, schlug zurück, verletzte Itzig am Kopf und drückte ihn gegen die Wand. Zwei Badeknechte stürzten herein, trennten die Streitenden und führten Itzig weg. Itzig rief dabei: „Kennen Sie mich nicht? Ich bin Moritz Itzig!" Jetzt erst wurde Amim klar, daß nicht ein Wahnsinnsanfall, sondern eine persönlich gegen ihn gerichtete Absicht zu der Tat geführt hatte. Vor der Tischgesellschaft sagte Arnim mehr als vor der Polizei: Itzig habe Arnim noch zugerufen, er habe nicht als Edelmann an ihm gehandelt, worauf Arnim antwortete, Itzig habe als echter Jude gehandelt (also: der traditionelle Vorwurf der feigen jüdischen Aggressivität, denn eigentlich hätte Amim im Badehaus nichts als seine Körperkraft für die Gegenwehr gehabt); es tue ihm, Arnim, aber trotzdem leid, Itzig so zerschlagen zu haben. Zur Polizei ging Arnim erst, nachdem ihm einige Edelleuten dazu rieten - eine sicher ungewöhnliche Maßnahme, die sich vielleicht wie folgt erklären läßt: Arnim befürchtete angesichts der dramatischen Blutung aus der Nase und am Kopf eine ernste Verletzung oder gar den Tod Itzigs (auf der Polizei sagte er, Itzig habe „etwas" am Kopf geblutet). Im Fall eines nun wirklich katastrophalen Ausgangs der eigentliche Vorgang geschah ohne Zeugen - hätte wenigstens schon eine Meldung vorgelegen. Als Grund seines Ganges zur Polizei gab Arnim an, er furchte im Wiederholungsfalle um sein Leben. Itzig wurde verhört und bekam das „Mandat", Arnim künftig nicht mehr anzugreifen, eine im Ernstfall natürlich unwirksame Maßnahme, denn Itzig wurde nach Hause entlassen35 und die Sache dem Kammergericht übergeben.36 Bereits am nächsten Tag erfuhr Amim, daß „die Verwundung Der Stock gehörte zur männlichen Bekleidung wie die Kopfbedeckung („Stock und Hut"). Amim bekam zwei Tage später eine persönliche Antwort des Polizeipräsidenten. Wie wenig wichtig dieser die Sache nahm, zeigt eine Verwechslung: der Präsident redet vom „Woelperschen Badeschiffe" - eine Adressenflüchtigkeit, denn Arnim hatte angegeben, daß Itzig im „Wölperschen Hause am Mon Bijou Plaz" wohnte. Das Polizeiprotokoll ist im Goethe- und Schiller-Archiv, Weimar, erhalten (GSA 03/262). Es lautet (die unterstrichenen Wörter sind in lateinischen Buchstaben geschrieben): Actum Berlin den 16. Juli 1811. Erschien unvorgeladen H v Arnim Gutsbesitzer Wilhelms Str. 78. und zeigte Folgendes an: Ich befand mich heute in der Mittagsstunde in dem Badehause an der Langen Brücke und laß eine Zeitung, als auf einmal jemand mit erhobenem Stocke und schreiend „Erbärmlicher Mensch, ich werde sie strafen" vor mir stand und mich durch gedachten Zuruf aus meiner Aufmerksamkeit, die ich auf das Zeitungs Blatt gerichtet hatte, riß. Ich sah auf und hatte kaum noch so viel Zeit mit meinem Stocke, den Schlag der mir zugedacht war, aufzufangen. Der Mensch, welcher mich in gedachter Art überfiel, sah im Gesicht ganz gestöhrt aus, so daß ich glauben mußte, mit einem Wahnsinnigen zu thun zu haben, ich konnte daher für's erste nicht anderes thun, als der Gewalt entgegen setzen und schlug daher, nachdem ich den mir zugedachten Schlag aufgefangen hatte, mit meinem in Händen habenden Stocke, nach dem Menschen, der es so übel mit mir meinte. Ich habe ihn hierbei am Kopfe verwundet und blutete derselbe etwas. Wir wurden durch die beiden Bade knechte sofort auseinander gebracht, auch kämm der Beckenmeister und seine Frau dazu. Ich machte die Anwesenden mit dem Betragen des Menschen bekannt und übergab ihn, als einen Wahnsinnigen, denn dafür hielt ich ihn, ihrer Sorgfalt, indem ich mich entfernte. In diesem Augenblick rief mir jener Mensch, den ich bisher nicht gekannt hatte, nach:

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des Juden [...] ohne alle Lebensgefahr sei", und er fugte in seinem ersten - spontansten - Rundbriefbericht an die Tischgenossen hinzu: „wofür der Gott beyder Religionen gelobt sey".

Arnims zweite Judenrede Amim hatte den Symptomcharakter der Ereignisse begriffen und versuchte nun in einer weiteren Rede vor der Tischgesellschaft reflektierend und darstellend eine Verarbeitung der Gesamtsituation unter den Gesichtspunkten „christlich" und „deutsch". Entstanden ist ein außerordentlich sonderbares, teilweise geradezu komisches Stück rhetorischer Literatur, das sich durch seinen persönlichen Charakter vollständig unterscheidet von den kurzen schneidenden Worten Ludolph von

Kennen Sie mich nicht? Ich bin Moritz Itzigl Wie wohl ich diesen Menschen nicht persönlich kenne, so kenne ich ihn doch aus einem Schriftswechsel, in welchem ich mit ihm gestanden habe. Derselbe glaubte nemlich, daß ich eine Tante von ihm beleidigt hätte und nahm sich dieser Sache an. Nun, als jener sich namenkundig gemacht, glaube ich nicht mit Unrecht zu behaupten, daß ich nicht im Anfall einer Fieber hitze und Wahnsinns, sondern mit Vorsatz und überlegt überfallen worden bin, und muß ich daher zur Vorbeugung ähnl Auftritte, wodurch mein Leben in Gefahr gesetzt wird, die polizeiliche Hülfe in Anspruch nehmen und bitte: daß schleunigst solche Vorkehrungen getroffen werden, daß Rache, Wuth oder andere Leidenschaften des Moritz Itzig mir nicht mehr gefährlich werden können. Was die Beanstandung des Moritz Itzig wegen dieses Ueberfalls betrift, so bin ich, da ich und der Itzig nur allein in der Stube waren, außer Stande, das behauptete factum zu erweisen indem die Leute erst in die Stube hineintraten, und zur Hülfe kamen, als ich ihn an die Wand gedrückt hatte, stelle daher wegen dieses Punktes die weitere Verfügung anheim. Der Moritz Itzig, ein hiesiger Schutzjude, wohnt im Wölperschen Hause am Monbijou Plaz und bitte ich: mir Abschrift dieses Protokolls zu fertigen zu laßen, auch mich mit den Polizei Maasregeln bekannt zu machen, die zu meiner Sicherheit getroffen werden. Praes.nat.(?) et subscr: L. A vArnim Bretzing [der protokollierende Beamte] Dieses Protokoll wurde Amim zwei Tage später vom Polizeipräsidenten mit folgendem Brief übersandt: Euer Hochwohlgebohren übersende ich Ihrem Verlangen gemäß in der Anlage eine Abschrift der Verhandlung vom 16. d. Mts mit dem ergebensten Bemerken, daß ich, nachdem derMoritz Itzig, über sein Benehmen im Woelperschm Badehause am 16. d. Mts, vorläufig von Polizei wegen gehört worden, an denselben ein Mandat gegen Turbationen Ihrer Person die Ihre Gesundheit und Leben in gefahr setzen können, erlaßen, die Verhandlungen aber dem König. Kammergericht mitgetheilt habe, um zu beurtheilen, ob ein ferneres gerichtliches Verfahren erforderlich sei. Berlin den IStenJuli 1811. Königlicher Polizei-Präsident von Berlin [Unterschrift.]

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Beckedorffs, des ersten Sprechers der Gesellschaft, bei seinem Abschied im Juni.37 Ich kann hier darauf nicht näher eingehen, aber diesen entschlossenen Ernst, diese kalte Erwachsenheit hatte Arnims Rede nicht. Sie ist gekennzeichnet von Verwirrung, Erschütterung und unbewältigten Gedanken. Er mutet zunächst seinen essenden Zuhörern noch einmal wörtlich den ganzen Briefwechsel zur Affäre zu, den eine Reihe von ihnen ja schon kannten. Angekommen bei der Prügelei, spricht er von seiner „großen Verwunderung über dieses meinen Leben so fremdartige Ereignis". Von „Verwunderung" zu reden, war viel zu wenig. Arnim muß vor der Tischgesellschaft einen höchst sonderbaren Eindruck gemacht haben - eigentlich wirkt er selbst „hypochondrisch". Ihm ist etwas Ungewöhnliches geschehen, daher ändert sich sozusagen die ganze Welt - in diesem Fall seine bisher moderatere Meinung über die Juden. Jude bleibt Jude, und Juden sind mit äußerster Vorsicht zu genießen, auch die gebildeten. So fiel also die ehrbare Madame Levy, so fielen ihre Schwestern Sara von Grotthus und Fanny von Amstein, so fiel Rahel Levin, fielen Mendelssohns Söhne Joseph und Abraham mit unter das Verdikt, was natürlich ohne Namensnennung von allen Anwesenden verstanden wurde. Arnim prahlt damit, daß er völlig ruhig vom Schauplatz der Prügelei gegangen sei, doch wird ihm das kaum einer abgenommen haben, da er noch immer so aufgeregt redete. Wie ein beißender Hund sei der Jude für ihn gewesen, widerlich, aber dennoch habe er sich gefreut, daß „ihn wenigstens die Eigenthümer lieb hatten". Wozu diese Einschränkung? - den versammelten Herren wurde Amim sicher immer merkwürdiger. Er äußerte dann auch noch Angst davor, daß ihn Itzig im Dunkeln oder an einer Straßenecke anfallen könne, und beklagte den unpassenden Zusammenfall seines Eheglücks mit den Widrigkeiten der ganzen Angelegenheit. Vollends befremdend für die Zeit zwischen den Kriegen war sein Entsetzen über das vergossene Blut. Nach seiner Art schrieb er sich das erste Entsetzen in einem seiner holperigen Gedichte38 von der Seele, in dem er mitteilt, er habe weinen Der Kampf gegen die Philister, sagte Beckedorff, sei „oberflächlich, scherzhaft und ironisch", der gegen die Juden dagegen „gründlich, aufrichtig und ernsthaft" - „gegen ein Geschlecht, welches mit wunderbarer Frechheit, ohne Beruf, ohne Talent, mit wenig Mut und noch weniger Ehre, mit bebendem Herzen und unruhigen Fußsohlen, wie Moses ihnen prophezeit hat, sich in den Staat, in die Wissenschaft, in die Kunst, in die Gesellschaft und letztlich sogar in die ritterlichen Schranken des Zweikampfes einzudrängen und einzuzwängen bemüht ist." Nienhaus: Geschichte der deutschen Tischgesellschaft, Teil G, Nr. 20. GSA 03/262,9: Der Herr hat meinen Stab geführt, Ich könnt es nicht bedenken, Er hat den Streich mir ausparirt Der meine Ehr sollt kränken. Trotz der schweren Last von Geld Hob es mich mit Schnelle Und ich schlug dem jüdschen Held Eine blutge Quelle Der Jude taumelte vor Schmerz Ich sah sein Blut erscheinen

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mögen, als er sah, daß der Jude blutete. Er empfindet seine Tat als Sünde und bittet Gott, ihm eine Sühnetat einzugeben. Wir dürfen ziemlich sicher sein, daß die Herren, inzwischen mindestens beim Hauptgericht, mit unbewegten Gesichtern und eher widerstrebenden Köpfen zuhörten - so ernst hatten sie es mit dem „christlich-deutschen" Christentum denn doch nicht gemeint. Müsse man als Christ nicht Schläge geradezu herbeiwünschen, fragte Amim, da Jesus doch soviel geschlagen worden sei? Und sei die verordnete Waffenunfähigkeit der Juden nicht etwa die Folge eines Vorurteils? Solche Fragen, auch wenn sie zwischen vielen sozusagen vorschriftsmäßigen judenfeindlichen Äußerungen erschienen, mußten der Zuhörerschaft unbequem sein. Daß Arnim bei diesen Gedankenspielen „eine Art todten Widerwillen gegen alle Ereignisse dieses Lebens" davontrug, klingt glaubwürdig. Gerettet habe ihn drei Tage nach der Schlägerei am 19. Juli, dem ersten Jahrestag des Todes der verehrten Königin Luise, ein Gedanke wie ein Sonnenstrahl. Alle „Ekelhaftigkeiten" seien aufzuheben durch die „Bekehrung der Juden" - also: Alles Politische wird in volksromantischer Weise reduziert auf ein religiöses Problem. Keine Rede ist von Gleichberechtigung und Bürgerrechten. Die Haltung, die sich hier äußert, hatte Arnim von jeher gegenüber den Juden, wie sich besonders in Halle und Jerusalem zeigt. Es gab für ihn keine andere Lösung als die Erziehung der Juden zum Christentum - und es interessierte ihn auch keine andere. Die Kollegen von der Tischgesellschaft hatten darauf bestanden, auch getaufte Juden auszuschließen. So wird Arnims Versuch einer harmonisierenden Lösung sie eher gleichgültig gelassen, ja abgestoßen haben. Sie wollten - unter völkischer Verbrämung - vor allem verhindern, daß die begabten, energischen und fremdartigen Konkurrenten auf allen Gebieten einen leichteren Zugang zu Macht und Einfluß gewännen. Vollends sonderbar wirkte - und wirkt - Arnims Idee, wie man sich aller Vorteile der Juden bedienen könne: Sie seien dazu bestimmt, „ durch ihre Richtung zum Handel eine unendliche Missionsanstalt des Christentums durch die ganze Welt zu werden ". In seiner Begeisterung unterstreicht Arnim diesen Satz und fügt hinzu, das „Zusammenhalten" der Juden lasse sich umfunktionieren und mache sie geeignet, als Nachfolger der missionierenden Mönchsorden „in alle Welt [zu] ziehen und die Heiden [zu] lehren". Die Versammelten, die während dieser langen Rede einigen Wein getrunken und wohl das Dessert schon hinter sich gebracht hatten, werden schließlich gelangweilt,

Der Herr gab mir ein starkes Herz Doch hätt ich mögen weinen. Wer des Menschen Blut vergiest Soll sein Blut auch geben, Daß es frey zum Heile fliest Für des Menschen Leben O Herr gieb mir die That nur ein Die ich für sie soll thuen, Ich bin mit ganzem Herzen dein Und kann in dir nur ruhen.

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aber jedenfalls spöttelnd und mit Kopfschütteln davongegangen sein. Arnim war immerhin selbstkritisch genug, den Spott der „kalten Vernunft" für seine Verschlage zu erwarten. Doch hatte er offenbar keine Einsicht in das Unstandesgemäße seines eigenen Verhaltens, das in seiner untaktischen Verrücktheit schon wieder etwas Sympathisches hat.39 Varnhagen behauptet, Arnim habe sich nach dieser Affäre nirgends mehr sehen lassen können - womit gemeint ist, weder bei den Juden noch bei seinesgleichen und sich aufsein Landgut zurückgezogen.40 Beides stimmt nicht, jedenfalls nicht in der von Varnhagen behaupteten Kausalität. Die Tischgesellschaft aber hatte offensichtlich genug von den Judenaufregungen. Als Fichte im Sommer das Sprecheramt übernahm, war ein Programmpunkt seines Antrittsgedichtes,41 sich um andere Dinge zu kümmern als um Juden und Philister. So geschah es, und die Tischgesellschaft blätterte ziemlich bald auseinander. Arnim wurde krank und verließ danach Berlin am 18. August, also genau einen Monat nach der Prügelei, um mit Bettine auf eine lange geplante Reise nach Weimar und Süddeutschland zu gehen.

Zurück zu Itzig Itzigs körperlicher Zustand dürfte sich schnell gebessert haben. Von den Menschen, die zu ihm hielten, wurde er für einen Helden gehalten. Über seine Situation vor der Schlägerei kann man nur spekulieren. Ihm mußte klar sein, daß er durch einen Überfall, noch dazu auf einen mutmaßlich unbewaffneten Mann, straffällig geworden war - wie übrigens im Fall eines Duells auch.42 Der Ehrenkodex stand auf einem ändern Blatt als das Strafrecht. Itzig hat an seiner Tat lange herumgedacht. Hat er Arnim beobachtet? Oder war der eigentliche Auslöser ein zufälliges Zusammentreffen, vielleicht ein aufflammender Wutausbruch angesichts der Gelegenheit, endlich diese hängende Sache hinter sich zu bringen? Wirklich vorbedacht wirkt sein Verhalten nicht.43 Vielleicht war auch Itzig, wie Arnim, die Katastrophe 39 40 41

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Vamhagen von Ense: Werke in fünf Bänden, Bd. 4, S. 679. Ebenda. Vorgetragen erst zum Jahreswechsel 1811/12: Zudem sind die bisherigen Stoffe verbraucht Nicht Jude, nicht Philister mehr taugt Um an ihnen zu finden ein Kömgen Spas, Das nicht einigemal da was Auch will es in der That was bedeuten, Ueber dergleichen zu spotten vor Leuten, Daß der Spott nicht auf uns selbst sitzen bleibe. (Nienhaus: Geschichte der deutschen Tischgesellschaft. Monographie und Textedition, Teil G, Nr. 28.) Im Gefängnis begegnete ihm später ein Leutnant Langendorff, der wegen eines Duells einsaß. Ein Gegenbeispiel ist Vamhagens witzige Racheinszenierung wegen einer Beleidigung Rahels durch Clemens Brentano in Prag 1812. Auch er handelte mit einer Verzögerung von etwa acht Wochen, gab dann aber Brentano gezielt zwei Ohrfeigen und nahm ihm das Wertvollste weg, das er zur Zeit hatte und gerade bei sich trug - das Manuskript seines Dramas Aloys und /melde, das er daraufhin neu schreiben mußte.

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das Liebste. „Wie, wenn ich mir eine freywillige Buße auferlegt hätte? Freywillig - Ay, there is the rub", schreibt er in Hamletnachfolge am zweiten Tag seines Gefängnisaufenthaltes - und natürlich folgt bei diesem philosophisch gebildeten hitzigen Zauderer eine Reflexion über Notwendigkeit und freien Willen. Die Angelegenheit war keine Privatsache und konnte deshalb auch juristisch keine bleiben. Es kam zu einem Prozeß. Ein Vetter Itzigs, zugleich ein Vetter Rahel Varnhagens, Julius Eduard Hitzig,44 wurde 1815 Direktor am Kammergericht und verschaffte Rahels Bruder, dem Schriftsteller Ludwig Robert, Einsicht in die Gerichtsakten, die dieser veröffentlichen wollte, nachdem er 1811 schon ein Drama über die Affäre geschrieben hatte. Robert kopierte die Akten und schrieb empört darüber an Rahel.45 Aus der Veröffentlichung wurde verständlicherweise nichts. Schließlich hätte Robert damit Hitzig ebenso bloßgestellt wie die adligen Judenfeinde, die er anprangern wollte. Leider waren die Kammergerichtsakten bereits 1901 verschwunden, als Reinhold Steig danach suchte. Daher weiß man nicht, ob und wann sich die beiden Gegner bei einer Verhandlung gegenüberstanden. Glaubwürdig ist die Feststellung des Gerichts, von der Robert berichtet, Itzig habe durchaus nicht wahnsinnig gewirkt, sondern sehr vernünftig. Er wurde zu acht Wochen Gefängnis verurteilt. Verarbeitung: Die Versöhnung in der Sommerfrische „Die Geschichte hat mich innerlich in der Hitze durch das dumme Gerede so tief gekränkt, daß sich meine Natur endlich in einer Ruhr Luft machte", schreibt Arnim an Clemens Brentano.46 Der Körper beruhigte sich, die Seele mußte durch Schreiben ins klare kommen. Vorweggenommen: das gelang Amim nicht. Im Juli und August schrieb er an der Erzählung Die Versöhnung in der Sommerfrische*1 die für einen neuen Novellenkranz nach Art des Wintergartens als Rahmenerzählung dienen sollte, benutzte dann aber statt dessen eine Rheinfahrt unter Freunden für die Novellensammlung von 1812. Ein stadtflüchtiger, hochgebildeter Jude, Raphael Rabuni,48 wird in eine geradezu aufdringlich zeittypische Situation gesetzt: er ist seit kurzem Besitzer eines 44

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Isaac Elias, seit 1812 Julius Eduard Hitzig (1780-1849) war der Sohn von Moritzens Vaterbruder Elias Daniel, der, obwohl er jüdisch blieb, 1812 bei der Einbürgerung seinen Namen und den seiner schon erwachsenen Kinder in Hitzig änderte. Elias Daniel, zunächst als Fabrikant tätig, wurde später Stadtrat in Potsdam und führte ein sehr kultiviertes Haus. Die Kinder, vier Söhne und sechs Töchter, waren zwischen 1799 und 1805 getauft worden, darunter drei Töchter aus Anlaß ihrer Verheiratung. Julius Hitzig schrieb Biographien seiner Freunde Chamisso, E. T. A. Hoffmann und Zacharias Werner, er war Jurist und Verleger nach Rachel/Wallich: Berliner Großkaufleute und Kapitalisten, Bd. 2: Die Zeit des Merkantilismus 1648-1806, S. 377. Vgl. Vamhagen von Ense: Werke in fünf Bänden, Bd. 4, S. 676. Arnim an Clemens, nach dem 17. Juli 1811, Amim/Brentano: Freundschaftsbriefe, Bd. 2, S. 605. Arnim: Werke in sechs Bänden, Bd. 3, S. 541-609. Mir ist nicht bekannt, daß Rabuni ein üblicher jüdischer Name ist, wohl aber wird der auferstandene Jesus von Maria Magdalena mit „Rabbuni" angeredet (Johannes 20, 16).

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Landgutes in Tirol und liebt Therese, eine Bauerntochter, die ihren Verlobten im Krieg gegen Napoleon verloren hat. Es gelingt dem sehr Amim-nahen Ich-Erzähler mit Hilfe eines Einsiedlers, der Rabuni zum Christentum fuhrt, die Liebenden gegen den ursprünglichen Widerstand der Tiroler Familie zu verbinden. Vor der Hochzeit jedoch taucht der totgeglaubte Verlobte wieder auf, Therese wird diesen heiraten. Rabuni wird ermordet aufgefunden. Ein Bekennerbrief weist einen jungen adligen Fähnrich, den Rabuni aus Eifersucht beleidigt hatte, als Mörder aus. Ich kann hier auf die nach Arnimscher Art sehr zerfaserte Erzählung nicht näher eingehen. Sie enthält ein Gespräch über die Einbürgerung der Juden,49 in dem Gedanken aus der letzten Rede vor der Tischgesellschaft wiederholt und weitergesponnen werden. Rabuni erzählt in diesem Gespräch seine innere Geschichte. Amim bringt hier nachdenklich zur Sprache, was er ohne den Auftrittszwang vor den Standes- und Gesinnungsgenossen zur Sache denkt. Alle Kritik an den politischen Bemühungen um die Juden ist Rabuni, nicht seinem christlichen Gegenüber in den Mund gelegt, alle Vorschläge zur besseren Lösung auch. Möglich, daß das eine Arnimsche Taktik um der größeren Überzeugungskraft willen war. Darin nur einen hämischen Schachzug zu sehen heißt die Novelle mit vorgefaßter Meinung lesen.50 Denn wenn Amim eine solche Absicht wirklich gehabt hat, so glitt sie ihm aus der Hand. In der Darstellung der schwierigen Psyche Rabunis ist ein durchaus schlüssiges Bild entstanden, Jude hin oder her. Rabuni ist ein tiefreligiöser Mensch, viel mehr von der Sehnsucht nach Erlösung getrieben als sein christlicher Freund. Er ist äußerst reflektiert und schwankt zwischen einem angemessenen Selbstbewußtsein - weil er seine Fähigkeiten kennt - und den tradierten Gefühlen von Kleinheit und Minderwertigkeit, die sowohl aus der jahrhundertelangen Unterdrückung wie aus der von Ambivalenz geprägten Religiosität seiner Väter stammen. Hier das ausenvählte Volk, Gottes liebste Kinder, denen die größte aller Verheißungen gilt, dort die Unmöglichkeit, den Forderungen des grausamen und eifersüchtigen Gottes jemals genügen zu können. Auch in der Liebe ist Rabuni nicht selbstsicher, wird aber zugleich sehr übel behandelt - Einschränkungen der Liebesfähigkeit also nicht nur von innen, sondern auch von außen. Im Zusammenhang mit seinen Enttäuschungen führt Arnim in sehr krasser Form die gesellschaftliche Erscheinung ein, die schließlich zur Katastrophe führt: die arrogante Ehrsucht adliger Offiziere. Der erste Teil der Novelle endet mit einem wunderschönen, nazarenisch anmutenden Bild des Glücks. „Wir wollen uns vertragen", sagt Sebastian, der Tiroler, zu Rabuni, dem Juden „da hast du meine Hand!"51 Der Erzähler ist glücklich über seine Versöhnungsarbeit, „ich hatte die ganze Welt so lieb und war bis zum tiefsten Grunde meiner Seele so klar und heiter".52 Stadtmenschen und Bergbauem, ein Jude und ein paar Christen, Gebildete und Ungebildete, der weltflüchtige Einsiedler und die in der Welt verhafteten Freunde halten in der Sommernacht ein ergriffenes welt-

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Arnim: Werke in sechs Bänden, Bd. 3, S. 554-561. Vgl. Och: Alte Märchen von der Grausamkeit der Juden, S. 233. Amim: Werke in sechs Bänden, Bd. 3, S. 572. Ebenda, S. 577.

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lich-religiöses Mahl mit Brot und Wein. „Wir tranken den Wein auf ewige Versöhnung, auf einen glücklichen Ausgang, wo Menschenklugheit schweigt."53 Der zweite Teil der Novelle liegt nur im Entwurfszustand vor und ist wahrscheinlich nach der Eskalation des Itzig- Erlebnisses entstanden. Amim setzt sich eher Einfallen aus, als daß er konstruiert. Auch hier schließe ich kurz: Die Versöhnung scheint nicht mehr möglich, das Motto ist: „Der Mensch soll nicht binden, was der Himmel zertrennt hat Juden und Christen."54 Ein Bekennerbrief liegt neben der Leiche Rabunis, unterschrieben von zwei Offizieren, die den jungen Fähnrich Artur von der Notwendigkeit dieses Mordes überzeugt haben. Rabuni habe, so schreiben sie, den Fähnrich aus Eifersucht im Schlaf angefallen, weil er mit einem Kranz von Therese geschmückt war. Diese Kränkung, nach Meinung der Offiziere für einen Soldaten unerträglich, sei nur durch den Tod des Angreifers wiedergutzumachen. Der junge Mann habe also auf die Vorstellungen seiner Regimentskameraden den Juden „traurend mit abgewendetem Gesicht durchbohrt".55 Später wird er im Wald aufgefunden, verstört, verstummt, und wird eine Art sanfter Heiliger mit sonderbaren Gewohnheiten, den das Volk verehrt: „er sei seines Verstandes beraubt und doch sehr gut".56 Arnims bekannte Harmonisierungssucht kann es nicht bei der Tragödie lassen. Er bringt am Ende seine Personen gut unter. Rabuni ist gerade noch notgetauft worden und wird liebevoll begraben, die Christen, die wieder unter sich sind, heiraten kreuzweis, und Ruhe, Frieden und Fortpflanzung sind möglich. Man würde es sich zu bequem machen, deutete man diese Geschichte schablonenhaft: Arnim stünde dann auf der Seite eines Volkes und seiner Traditionen, er ist gegen den Fremden, der hingeht, wo er nicht hingehört. Doch ist die Sache so einfach nicht. Sicher war für Arnim die Einheit von Volk, Religion und Lebensort ein hoher Wert. Doch steht dagegen die große Faszination durch das Fremde, der Glanz ungewohnter Liebesverbindungen, der simple Reiz des Neuen, Nichtbewährten - und immer wieder die Anziehung der dunklen, lebhaften, südlichen Gegenwelt, die ihn zur Freundschaft mit Brentano und letztlich auch zur Ehe mit Bettine führte. Es soll nicht vergessen werden, daß Clemens gelegentlich für einen Juden gehalten wurde und daß Caroline Schlegel von Bettine berichtete, sie sähe aus „wie eine kleine Berlinerjüdin".57 Arnim hat die Erzählung nicht veröffentlicht. Er ist nicht mit ihr fertiggeworden; die politischen und menschlichen Probleme sind nicht befriedigend gelöst. Als eigentliche Hindernis der schon erreichten Versöhnung muß der normale Menschenverstand die Offiziere ansehen. Das Schuldbekenntnis des Ich-Erzählers, der sich vorwirft, eine unrealistische Versöhnungsarbeit betrieben zu haben, wirkt

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Ebenda, S. 579. " Ebenda, S. 587. 55 Ebenda, S. 597-598. 56 Ebenda, S. 605. 57 Brief Nr. 438 vom Februar 1809 an Luise Wiedemann - Karoline Schelling: Caroline: Briefe aus der Frühromantik, Bd. 2, S. 541. 5

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aufgesetzt, ebenso wie zwei derb und stichflammenartig in die Erzählung eingesetzte antijüdische Ausrufe.58 So erkennt man beim genauen Hinschauen wohl das Netz der Ideologie, mit dem sich Arnim absicherte gegen das, was ihm für sein Leben und die Schlagkraft seines Vaterlandes schädlich schien: Unordnung und Infragestellung durch unverwandt Fremdes. Aber die Dichtung spricht eine andere Sprache. Verfolgt man die Ursachen der Katastrophe zurück zu ihrem Anfang, so liegen sie im Charakter Rabunis, in seiner großen Empfindlichkeit, die scharf und genau motiviert ist durch das, was ihm, und zwar als einem Juden, in seinem Leben zugestoßen ist. Welcher Mensch, der durch einen ändern grob angegriffen und geschlagen worden ist, wo er sich im Recht glaubt, macht sich die Mühe, sich in seinen Angreifer einzufühlen? Arnim hat das getan. Er wollte Judenfeind sein, aber er konnte es nicht, weil er ein Dichter war - und die kommen ohne Empathie nicht aus. Meiner Ansicht nach ist Arnim in ein Dickicht hineingekommen, aus dem der Ausweg fast unmöglich war. Ich deute nur an, was sich auszuarbeiten lohnen würde. Er versuchte sich mit verschiedenen Formen von Aggression auseinanderzusetzen: Es gibt in seinem Erzählungsversuch die unterschwellige und durch zwei Jahrtausende in Waffen ungeübte Aggression der Juden, die volkstümlich-derbe der Tiroler, die verführte des jungen Artur, der auf das nächste Manöver brennt und beim ersten wahren Blutvergießen wahnsinnig wird, und es gibt natürlich die erlaubte Aggression im Krieg, die wir so anders zu bewerten gelernt haben. Die schematische Aggression der Offiziere bricht in die Welt der Gebirgler mit im Grunde größerer Fremdheit ein als Rabuni. Sie führt mit einem Schlag die sich um Ordnung und Liebe mühenden Freunde an einen Abgrund von Gewalt, an den vorher niemand gedacht hat. Die Aggression der Offiziere kennt kein Zögern, keinen Zweifel, keine Menschlichkeit. Ihr Brief endet damit, daß die heutige Zeit keine andere Lösung zuließe: „Wir leben in der unsem und müssen mit ihr untergehen."59 So etwas konnte Amim natürlich ein Jahr vor dem Krieg gegen Napoleon nicht veröffentlichen.

Ludwig Roberts Drama Die Macht der Verhältnisse Die Affäre hatte, wie schon angedeutet, noch ein weiteres literarisches Nachspiel. Bereist 1811 schrieb Rahels Bruder Ludwig Robert ein bürgerliches Trauerspiel Die Macht der Verhältnisse, das er erst 1819 veröffentlichte. Er bot es gleich 1811 58

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(Eine Konjektur: sie könnten erst nach der Itzig-Schlägerei geschrieben, wenn nicht sogar eingefügt worden sein): „[...] er ist als Christ gestorben, wohl ihm, aber er war ein verruchter Jude vorher." - Amim: Werke in sechs Bänden, Bd. 3, S. 587). Als verruchten Juden haben wir ihn in keiner Weise kennengelernt. Der zweite antijüdische Ausruf ist dem verstörten jungen Diener des Einsiedlers in den Mund gelegt: „[...] ach Herr wie kann doch ein Jude eine ganze Christenwelt verunreinigen wie eine Katze ein ganzes Haus verpesten kann, wenn ihr sie nicht in Ordnung haltet." Der Erzähler wendet sich dieser naiven Meinung gar nicht erst zu: „Er ist als Christ gestorben, Friede mit ihm Amen, sagte ich." (S. 601). Ebenda, S. 598.

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Iffland an, der auch die Hauptrolle spielen wollte, dann aber das Stück nicht aufführte, „aus mannichfachen Rücksichten".60 Iffland war Mitglied der Tischgesellschaft. Zwischen 1815 und 1828 wurde das Stück dreizehnmal in Berlin aufgeführt,61 und noch Meyers Lexikon von 1860 bezeichnet es als Roberts bedeutendstes Werk. Es geht darin um die Arroganz eines Adligen, der ein Duell verweigert. Aber sein Kontrahent ist kein Jude, sondern ein bürgerlicher Schriftsteller, der Grund für den Konflikt nicht eine gesellschaftliche Beleidigung und politische Verwicklung, sondern eine Liebesgeschichte zwischen der Schwester des Bürgerlichen und einem adligen Liebhaber. Mit ähnlicher Tendenz - und dazu mit einem Verwechslungswirrwarr zwischen schuldigem Vater und unehelichem Sohn - hätte ein Stück im Sturm und Drang geschrieben werden können. Der Bürgerliche prügelt auch nicht, sondern erschießt den „Beleidiger" seiner Schwester (den diese liebt) und wird deshalb zum Tode verurteilt. Robert hätte eine größerer Schriftsteller sein müssen, um den eigentlichen Kern der Sache behandeln zu können. Die wahren Ereignisse waren für die damaligen Erwartungen an Literatur zu wenig reizvoll, zu wenig romantisch, da sie nicht den Glanz der allerseits verständlichen großen Gefühle enthielten, sondern unklare Selbstbilder, Auseinandersetzungen ins Unreine, etwas nie Dagewesenes, für das es noch keine Muster gab. Auch Arnim bringt ja in seine Verarbeitung als wichtiges Movens die Liebe hinein. Obendrein hatte Robert nicht den Mut des jungen Itzig. Er wollte offenbar nicht als Jude auffallen. Geblieben ist Itzigs charakterliches Leitmerkmal, die „Hypochondrie". Roberts tragischer Held wird als besonders „empfindlich" geschildert. Nur das eingeweihteste Publikum konnte die Anspielung verstehen. Die ändern Zuschauer ordneten Roberts Stück in das Aufbegehren der Bürgerlichen und Linken gegen die Restauration ein. Und damit hatten sie natürlich recht. Die merkwürdige Spannung zwischen Öffentlichkeit und geschlossener Gesellschaft, zwischen der Absicht, wirken zu wollen, aber nicht „in die Blätter" zu kommen, kennzeichnet ja Arnims ganze „Judengeschichte" und sogar weitgehend die der Tischgesellschaft. Erst jetzt, fast 200 Jahre später, wird das Aktenpaket mit den genauen Dokumenten veröffentlicht.62

Zusammenfassung und Schlußblick auf Itzig Wenn ich zurückblicke auf das Bisherige, so stehen sich zwei Männer gegenüber, die ihre persönliche Geschichte und die ihres schließlich doch gemeinsamen Vaterlandes paradigmatisch als Gegner definiert. Itzig ist wie seine Eltern nicht zum Steig: Heinrich von Kleist's Berliner Kämpfe, S. 641. Ebenda. Die Rede Über die Kennzeichen des Judentums sowie Die Versöhnung in der Sommerfrische wurden erst 1971 von Heinz Härtl in seiner Dissertation veröffentlicht. Erst fast zwanzig Jahre später, also 180 Jahre nach den Ereignissen, stehen die Rede und Versöhnung in der Arnim-Ausgabe des Klassiker Verlages dem Lesepublikum zur Verfügung. Die Texte der Tischgesellschaft sind noch immer teilweise unveröffentlicht, erscheinen aber vollständig und im Zusammenhang als Band 11 der Historisch-kritischen Amim-Ausgabe (WAA).

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Christentum übergetreten. Seine Aufzeichnungen im Gefängnis-Tagebuch lassen diese Lösung seiner religiösen Probleme eher als wahrscheinlich erscheinen. Aber: durch Generationen weitergegeben, trug er in sich das Bewußtsein, zum auserwählten Volk Gottes zu gehören - die Grunddefinition jüdischen Selbstgefühls, unerschütterlich verteidigt und von vielen durch die Jahrhunderte mit dem Leben bezahlt. In der Zeit nach der preußischen Niederlage begann sich Deutschland, auch durch Itzigs Lehrer Fichte, als ein ebenfalls auserwähltes Volk zu verstehen, berufen, die Welt in die Freiheit zu führen. Itzig mußte am eigenen Leibe, an der eigenen Seele erleiden, daß es zwei auserwählte Völker nicht geben, oder besser, daß man zwei auserwählten Völkern nicht angehören kann. Ein moderner Traum ist, daß die lange Tradition der jüdischen Gewaltlosigkeit eine praktizierbare, eine „edle" Verbindung mit den Formen christlicher Gewaltpraxis eingehen sollten. Aber ein Traum bleibt ein Traum. Duelle waren seit langem verboten (womit die Juden natürlich nichts zu tun hatten) und wurden doch immer wieder praktiziert. Itzig hatte angesichts der bevorstehenden bürgerlichen Gleichstellung für sich selbst die Vorstellungen der Menschen, mit denen er von gleich zu gleich verkehrte, zu seinen eigenen gemacht. Als er aber glaubte, handeln zu dürfen wie sie - ein Akademiker, der den Umgang mit Waffen gelernt hatte -, wurde er hart zurückgewiesen, gönnerisch belehrt, verhöhnt. Ein Held der Gewaltlosigkeit konnte er in seiner Zeit und Umwelt nicht werden, aber, mit heutigen Augen gesehen, führte er die Gewalt durch Gewalt ad absurdum. Arnim hatte die der Ehre angemessene Art der Auseinandersetzung verweigert, also mußte er bestraft werden wie ein Ehrloser - wie ein Bauer, ein Diener; oder ein Jude. Auch Arnim hatte seine Schwierigkeiten mit der Aggression.63 Er wurde kein Soldat. Wie die meisten aufgeklärten Intellektuellen seiner Zeit war er gegen Duelle, die er als „gesellige Mörderei"64 bezeichnete. Andererseits hatte er die Tradition seiner Familie im Blut, die Duelle als Pflicht, aber auch als Vorrecht ansah. Bei einer „Beleidigung", für die Arnim sich die Verantwortung zugeschrieben hätte, wäre ihm sicher keine andere Möglichkeit geblieben, als sich zu schießen oder zu schlagen, aber natürlich nur mit jemandem, den er als satisfaktionsfähig ansehen konnte. Ein Bürgerlicher wäre das wohl nicht gewesen, ein bürgerlicher Kommilitone in seiner Studienzeit sicher, ein bürgerlicher Jude aber zweifach nicht. Duellieren wollte sich Amim also nicht, verachten und hassen aber sehr wohl. Unentbehrlich waren leider in der Situation Preußens Feindbilder. Die Juden haben sich von allen Minderheiten immer am besten für Projektionen geeignet. Die grausamste und unsinnigste ist der Ritualmordvorwurf: „Nicht wir Christen essen und trinken das Blut eines heiligen Kindes - sie tun es!" Ähnlich ist es mit der Feigheit, die vor dem Krieg weniger denn je zu gebrauchen war und die deshalb auf die waffenungewohnten Juden verlagert wurde. Der Haß auf die jüdischen Geldleiher war eine Entlastung von den Selbstvorwürfen gegen Preußen, gegen den adligen Lebensstil, eine Entlastung vom Haß auf Amims Bruder, der bei Juden Schulden Vgl. Baumgart: Bettine Brentano und Achim von Amim. Lehrjahre einer Liebe, besonders das Kapitel Preußen - vergebliche Liebe. Arnim: Werke in sechs Bänden, Bd. 3, S. 555.

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gemacht hatte,65 aber auch vom Unpraktischen des geliebten Dichterlebens. Und so weiter. Arnim selbst schreibt in seinem Lehrbrief an Itzig von der Parallelität der deutschen Situation unter fremder Herrschaft mit der jüdischen: Auch Deutsche hätten in der Zeit tiefster Erniedrigung „eine Art hypochondrischer Besorglichkeit" entwickelt, „als ließe man sie ihre Unterdrückung fühlen"; „ein paar Stunden Unterhaltung mit einem Franzosen" hätten manchen Deutschen tagelang bekümmert oder zu befremdenden Beleidigungen verführt. Deutlicher kann man Projektionen nicht ausdrücken. Leider war Arnim nicht überlegen genug, daraus Konsequenzen zu ziehen, sondern hielt sich in diesem Konflikt an die stärkere Partei. Man kann nicht sagen, daß der Haß auf Juden ein zentrales Thema Arnims war, aber er hat ihn sein Leben lang nicht abgelegt. Das Schicksal von Minderheiten hat ihn aber intensiv beschäftigt, so in Isabella von Ägypten die Zigeuner, in Melück Maria Blainville eine Araberin, in der Geschichte von den Drei liebreichen Schwestern und dem glücklichen Färber ein Wende. Arnim war ein teilnehmender Beobachter politischer Vorgänge, kein Handelnder, und entgegen seiner persönlichen Meinung hat er sich öffentlich nicht aggressiv gegen Juden geäußert. Ich fühle mich nicht berechtigt, seiner bei dieser Thematik anders als mit Nachsicht zu gedenken. Bleibt Itzig. Vom 31. März bis 22. Mai 1812 war er im Gefängnis und hat das schon mehrfach erwähnte Tagebuch geschrieben. Die Berliner Hausvogtei war ein Gefängnis, das mit unsern heutigen wenig zu tun hat. Brüder und Freunde begleiten ihn beim Eintritt, er hat eine Einzelzelle, in der er seinen „kleinen Haushalt" einrichtet,66 ein „Stübchen", das er schließlich sogar mit Bedauern verläßt.67 Der Gefängniswärter, der ihn nicht nur bewacht, sondern auch bedient, ist gutmütig und freundlich. Essen kann er sich offenbar bestellen. „Der Spaß kostet in summa etliche 30 Thlr", schreibt er am Ende.68 Besuche sind unbegrenzt möglich und erscheinen jeden Tag mehrfach, Männer und Frauen. Drei Wochen nach Haftbeginn vermerkt er, daß er zum erstenmal abends allein war.69 Es sind, zweimal erwähnt, „allerliebste Kinder"70 da, unter denen man sich denn doch keine echten Kinder vorstellen kann, also sind es einfache junge Mädchen, deren „Kindlichkeit" dem Gefangenen wohltut. Wie sie ihm sonst noch wohltun, wissen wir nicht, aber einmal schreibt er: „Dortchen Lakenreisser unter mir".71 Er bedauert, daß er Fichtes 65

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Die Familie Labes/Amim hatte nach dem Tod der Großmutter 45.000 Taler Schulden, wohl überwiegend bei Juden. Tagebuch Itzigs 30.3. Tagebuch Itzigs 22. und 23.5. Tagebuch Itzigs 23.5. Tagebuch Itzigs 17.4. Tagebuch Itzigs 31.3., 5.5. Tagebuch Itzigs 10.5. „Dortchen Lakenreißer" kommt als Name einer Mätresse Garlieb Merkels in einem Spottsonett des jungen Vamhagen vor. Merkel (1769-1850) war ein Publizist zwischen Spätaufklärung und Romantik, der auch in den Xenien von Goethe und Schiller angegriffen wurde. 1804-1806 gab er zusammen mit Kotzebue in Berlin die Zeitung Der Freimüthige heraus, zog sich aber 1806 wegen seiner antinapoleonischen Einstellung in seine baltische Heimat zurück. „[...] Dortchen Lakenreißer ist ihr Name! / Sonst Maitresse mehrerer Soldaten, / Jetzt verschmäht, entstellt durch häufig Sünden, / Ward sie jenes Männleins [i. e. Merkels] Herzensdame!" Vamhagen: Testimonia Auctorum de Merkelio, das ist: Paradies-

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Ferienkolleg „von 4-6" nicht hören kann, besonders als ihn einmal danach die Mitstudenten besuchen.72 Ein Gesuch an den Justizminister, von der Hausvogtei aus das Kolleg zu besuchen, wurde „als den Gesetzen völlig entgegen" abgeschlagen.73 Itzig notiert, was er liest - Faust, die Ilias, Orlando, Tiecks Octavian, Fichtes Reden an die deutsche Nation, den liberalen Wirtschaftswissenschaftler Kraus, mit dem sich auch Arnim auseinandersetzte, Hamlet und Romeo und Julia, Wilhelm Meister. Er schreibt Briefe und kommt mit den Mitgefangenen zusammen, obwohl er sich eigentlich eher von ihnen fernhalten will. Das Tagebuch, ohne Anspruch auf Veröffentlichung geschrieben, ist eine eigene Untersuchung wert. Es zeigt einen Menschen, der die christlichen Feste - Sonntage, Buß-und Bettag, Himmelfahrt, Pfingsten - als religiös bedeutsam für sich empfindet, einmal aber auch über den „lieben Sabbath" schreibt, der ihm „ziemlich eintönig und bleyern vergangen" sei.74 „Ich muß dies [die Unentschiedenheit zwischen Juden- und Christentum] zur Klarheit verarbeiten, wenn ich ruhig werden soll."75 Er bemerkt aber auch, daß „unsereiner" die „liebe Judenheit" sein Leben lang wie einen Buckel durchs Leben schleppen muß.76 Itzig stilisiert sich also nicht hoch als Held, sondern klagt auch unbefangen über sein Ungemach. Die Leiden seiner Gefangniszeit sind Eintönigkeit und Nichthinauskönnen, die dumpfe Feuchtigkeit (der „tückische Kühlebom" Fouques Undine hat er also auch gelesen), später die Hitze, oft Kopfschmerzen. Er versteht diese acht Wochen als Chance: „wenig verdienstlich wärs, wenn mein eigentliches Ich nicht hier freyer wäre als draußen".77 Mit keinem Wort allerdings erwähnt er den Grund seines Hierseins, nicht den Namen Arnim, nicht das Wort Prügel oder Beleidigung. Worauf es ihm ankommt, mit Fichte als Leitstern, ist: „seine Teutschheit recht fest zu halten und strenge zu bewahren, auch sich umzusehen nach dem, was man eigentlich kann und soll."78 Am Ende zweifelt er, ob er auch „wirklich auch durch seinen hiesigen Aufenthalt viel weiter gekommen sei".79 Als er entlassen wird, erlebt er die Fremdheit und Überwältigung jedes lange Eingeschlossenen - die Geräusche, die Buntheit, die Weite, das ungewohnte Gehen und das Steinpflaster. „Heftig ermüdet und angegriffen" ist er von der „Freude des Wiedersehens". Und zum Schluß: „Unruhe und Leerheit".80 Diese Aufzeichnungen

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gärtlein für Garlieb Merkel. Köln: Hammer 1806, S. 101-102. Ich danke Konrad Feilchenfeldt für diese Information. Ein „Garlieb" kommt zweimal als Besucher Itzigs vor. Da der Vorname sehr selten ist, könnte es sich um Merkel handeln, der dann zu Besuch in Berlin gewesen wäre. Tagebuch Itzigs 20.4. Tagebuch Itzigs 9., 14. 16. und 17.4., vgl. auch Nobiling: Moritz Itzig contra Achim von Amim (wie Anm. 10) [unpaginiert], Tagebuch Itzigs 20.4. Tagebuch Itzigs 22.4. Tagebuch Itzigs 14.4. Tagebuch Itzigs 31.3., erster Abend im Gefängnis. Tagebuch Itzigs 31.3., zweiter Tag. Tagebuch Itzigs 21.5. Tagebuch Itzigs 22.123.5.

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sind wirklich nicht die eines unbesonnen gradlinigen Kämpfers, eines ,jungen Hitzkopfes", wie er gelegentlich bezeichnet wurde.81 Varnhagen und Nobiling berichten, das Kammergericht habe die Strafe „so gelind wie möglich" gestaltet82 - vielleicht daher der Komfort. Daß sich Itzig danach „überall in Berlin" gezeigt hat, wie Varnhagen auch vermeldet, wird richtig sein, besonders angesichts der Entschlossenheit, mit der Familie und Freunde zu ihm hielten. „Ganz unbefangen und keck"83 war er dabei sicher nicht, weil er das wohl nie war. Er und seine beiden Brüder traten - in der erzieherischen Tradition der Familie - einem pädagogischen Seminar unter Fichtescher Protektion bei, in dem Pestalozzische Prinzipien nach Preußen importiert wurden. Daraus entstand später die Cauersche Lehranstalt des Schwagers von Moritz Itzig. Auch hier sind hochfliegende Pläne an der Realität der Restaurationszeit gescheitert. Moritz Itzig hat sein Lebensprinzip, als Jude zugleich Preuße zu sein, mit seinem Tod besiegelt. Er gehörte zu den Juden, die als Soldaten gegen Napoleon kämpften, wurde am 2. Mai 1813 in der Schlacht bei Großgörschen am Bein verwundet und starb elf Tage später den „Heldentod", dem gegenüber damals noch niemand an den bitteren Vorwurf der Sinnlosigkeit dachte. Ich kann nicht beurteilen, was an den Briefen um Verwundung und Tod Itzigs formelhaft ist. Wenn aber ein Bekannter aus dem Fichtekreis an den verehrten Lehrer und die anderen Studenten schreibt, Itzig sei besonders ernst gewesen, habe sehr schweigsam und sehr diszipliniert Ungemach ertragen und sei als eine Art von Instanz für die ändern empfunden worden, so klingt das überzeugend. „Man suchte ihn nicht, aber wenn man ihn fand, suchte man anständig zu sein", schreibt der Kommilitone und Mitsoldat.84 Moritz Itzig wurde 25 Jahre alt. Vielleicht ahnte er seinen Tod. Rahel, die ihn in Prag als preußischen Jäger zu betreuen hatte, bemerkte in einem Brief an ihre Schwester Rose Asser, es habe sie unendliche Mühe gekostet, ihn überhaupt zu finden, und ihn zu „verpflegen gelang mir nicht, weil er durchaus nicht sprach, und auch nicht wiederkam."85

Amim: Werke in sechs Bänden, Bd. 3, S. 1232. Varnhagen von Ense: Werke in fünf Bänden, Bd. 4, S. 677. Ebenda. Briefzitat nach Nobiling: Moritz Itzig contra Achim von Arnim (wie Anm. 10) [unpaginiert]. Rahel Varnhagen: Gesammelte Werke, Bd. 2, S. 459, Brief vom 22.5.1817.

BERLINER ROMANTIK, ROMANTIKER IN BERLIN

Helmut Börsch-Supan

Die romantische Strömung in der Berliner Kunst

Die Stilbegriffe „Dresdner Romantik" oder „Heidelberger Romantik" verbinden sich leicht mit dem genius loci und seinen Naturschönheiten. Anders steht es um die „Berliner Romantik", da mit dieser Stadt Nüchternheit, Rationalismus, prosaisches Zweckdenken und die Abwesenheit einer die Empfindung leitenden Landschaft assoziiert werden. Die Berliner Romantik ging eigene Wege gegen Widerstände. Dazu ein Beispiel: Christian Daniel Rauch hat 1833 eine Statuette mit der auf einem Hirsch reitenden Jungfer Lorenzen von Tangermünde geschaffen, die überaus beliebt wurde, aber mit ihrem erzählenden Charakter und ihrer Einfühlung in das Mittelalter im Werk des Bildhauers vereinzelt dasteht.1 Rauch war 1831 vor der Cholera nach Tangermünde geflohen und hatte hier Kenntnis von der Legende der Jungfer Lorenzen erhalten. Eine reiche Bürgerin der Stadt, die im 14. Jahrhundert als Residenz Kaiser Karls IV. eine Blüte erlebt hatte, verirrte sich im Wald und wurde nach inbrünstigem Gebet um Hilfe von einem Hirsch aus der Wildnis in die Stadt zurückgetragen. Das Triumphmotiv des Reiterstandbildes ist in ein Zeichen christlicher Frömmigkeit und Demut verkehrt. Zu der Gruppe muß man sich den Wald hinzudenken. Die Phantasie ist also aufgerufen. Rauch wird man kaum als Künstler der Romantik bezeichnen können, aber dieses kleine Werk erfüllt die Kriterien des Romantischen. Nicht zufällig hat es Carl Blechen, denjenigen Berliner Maler, der am meisten als romantisch zu charakterisieren ist, ein Jahr später zu intensiver Beschäftigung mit dem Thema angeregt, weil die Hoffnung auf Erlösung aus einer verzweifelten Lage das Grundmotiv seiner beunruhigenden Landschaftsmalerei war.2 Der Verlust der Orientierung in einem wuchernden Wald war eine der Angstvorstellungen, die er in den Werken seiner letzten Jahre um 1835 immer wieder gestaltet hat. Was Berliner Romantik in der bildenden Kunst und in der Architektur ist, läßt sich kaum definieren. Es lassen sich nur im Überblick über den nach dem Ende der Befreiungskriege immer mehr sich verbreiternden Strom künstlerischer Produktion auffallige Impulse feststellen, der berlinisch-preußischen Nüchternheit und der aus der Armut geborenen Zweckmäßigkeit und Vernünftigkeit etwas Überraschendes hinzuzufügen, das aus dem Widerstand gegen diese Dürftigkeitskultur hervorgegangen zu sein scheint.

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Von Simson: Rauch, S. 322-324, Kat. 203. Rave: Blechen, S. 486, Kat. 1930-1934; Carl Blechen. Zwischen Romantik und Realismus (Ausstellungskatalog), Nr. 240 (Staatsgalerie Stuttgart), Nr. 241 (Nationalgalerie Berlin).

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Karl Friedrich Schinkels Entwurf eines Mausoleums für die Königin Luise von Preußen (Abb. l) bietet eine solche romantische Überraschung.3 Ihr plötzlicher Tod am 19. Juli 1810 erschütterte Preußen, und ihr Mausoleum wurde zur wichtigsten Bauaufgabe in dieser Zeit des sich formierenden Widerstandes gegen Napoleon. Der König ordnete einen kleinen Bau in der Form eines dorischen Prostylostempels im Park des Charlottenburger Schlosses an, der dann auch ausgeführt wurde. Schinkel jedoch, damals bereits als Oberbauassessor im Staatsdienst, zeigte auf der Berliner Akademie-Ausstellung von 1810 einen Gegenentwurf im gotischen Stil, für den er in einem im Katalog abgedruckten Text als allein angemessen eintrat. Seine Absicht sei es, die heitere Ansicht des Todes zu geben, welche allein die wahre Religion, das echte Christentum dem ihr Ergebenen gewährt. Die Architektur des in Rücksicht des Todes trüben und finsteren Heidentums schien mir für diesen Zweck bedeutungslos, und das Bedeutsame dafür mußte neu geschaffen werden, wozu mir das religiöse Mittelalter einen Fingerzeig gab, an dessen Werken sich die Darstellung einer freien Idee, die emporhebt über die nackte Bedürftigkeit, so ergreifend ausspricht.4

Das war ein in jeder Hinsicht kühner Gedanke. Nicht das Mittelalter ist finster, sondern die heidnische Antike. Daß der zum Park hin völlig offene, also jedem Besucher frei zugängliche Bau unpraktisch ist, erscheint als nebensächlich. Der Überschwang ist dem Gefühl der Verehrung für die Königin angemessen. Überschwenglich war schon Friedrich Gillys Zeichnung für ein Denkmal Friedrichs des Großen gewesen, die anläßlich ihrer Ausstellung in Berlin 1797 den sechzehnjährigen Schinkel veranlaßte, Schüler des nur elf Jahre älteren Gilly zu werden5 und den Schwerpunkt seines Studiums auf die Architektur statt auf die Malerei zu legen. Man wird zögern, Gillys Entwurf romantisch zu nennen, nicht wegen der antiken Formen, sondern weil die durchaus realisierbare Anlage keine über das Denkmalhafte hinausweisende Idee enthält. Es fehlt das religiöse Element. Dieses gewann in der bildenden Kunst durch den Schock der Niederlage von 1806 plötzlich an Gewicht. An den Katalogen der Berliner Akademie-Ausstellungen läßt sich statistisch eine religiöse Welle feststellen, die, noch vor dem Zusammenschluß der Lukasbrüder in Wien, 1806 beginnt und um 1812 ihren Höhepunkt erreicht.6 1806 war erstmals eine Christusdarstellung ausgestellt - in einem gemeinsam mit Karl Wilhelm Wach und Wilhelm Schadow geschaffenen Altar- 7 1810 waren es sechs. Das Thema Maria mit dem Christkind begegnet 1810 erstmals. Es ist die Frage, in welchem Maß Künstler, die vom Verkauf ihrer Werke leben müssen, eine Bewegung mit hervorrufen oder nur auf sie reagieren. Maler wie der Gaus: Schinkels Entwurf zum Luisenmausoleum, S. 254-263; Koch: Schinkels architektonische Entwürfe im gotischen Stil 1810-1815, S. 262-316. Börsch-Supan (Bearb.): Die Kataloge der Berliner Akademie-Ausstellungen 1786-1850, Kat. 1810, Nr. 189. Berlin, Kupferstichkabinett; Onken: Friedrich Gilly 1772-1800, Abb. S. 24. Börsch-Supan: Die Kataloge der Berliner Akademie-Ausstellungen 1786-1850, Registerband S. 19. Paretz, Kirche.

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1758 geborene Friedrich Georg Weitsch, Rektor der Akademie und Freund Johann Gottfried Schadows, der bis 1808 nur profane Themen behandelt hat, stellte in diesem Jahr eine Heilige Cäcilie nach Carlo Dolci und 1810 eine Madonna aus. Die Heilige Cäcilie wurde im protestantischen Berlin zu einem Lieblingsthema, weil sie als Schutzheilige der Musik Kunst und Religion verband.8 Dem regen Musikleben der Stadt schlössen sich die bildenden Künstler im frühen 19. Jahrhundert gem an. Ein herausragendes Dokument für den Gedanken, die Künste als Einheit unter dem Schutz der Religion zu begreifen, ist Schinkels 1812 gezeichneter Entwurf für einen grandiosen Saal im Akademiegebäude, der der dort beheimateten, damals von Karl Friedrich Zelter geleiteten Singakademie einen würdigen Rahmen für ihre Konzerte geben sollte (Abb. 2). Das Wandbild stellt die Heilige Cäcilie dar. Die Vorstellung von der Einheit der Künste, ihrem Ursprung in der Religion und überdies ihre Analogie zur Natur als Schöpfung Gottes ist in kaum einem anderen Werk Schinkels so deutlich zu fassen wie in der 1810 gleichzeitig mit dem Mausoleumsentwurf ausgestellten Federlithographie „Gotischer Dom hinter Bäumen" (Abb. 3). Sie ist unterschrieben: „Versuch die liebliche sehnsuchtsvolle Wehmuth auszudrücken welche das Herz beim Klang des Gottesdienstes aus der Kirche herschallend erfüllt, auf Stein gezeichnet von Schinkel." Die konstruktive Logik der gotischen Architektur, die aus dem Boden zu wachsen scheint, ist der Gesetzmäßigkeit der Musik verwandt. Das freistehende Stabwerk rechts, das die Steigung eines Pultdaches über einem Seitenschiff zu begleiten scheint, läßt sich mit einer Tonleiter vergleichen und erinnert zugleich an einen Orgelprospekt. Andererseits soll der voll entwickelte Raum, der die Kirche großenteils verdeckt, in der organischen Gesetzmäßigkeit seiner Verzweigungen als Muster für den über dem Boden sich erhebenden Bau verstanden werden, so wie die Sonnenblumen links die Fensterrose angeregt haben. Ein nüchterner, nur vom Verstand gesteuerter Blick würde in der Darstellung viele Fehler entdecken. Sie soll mit anderen Augen gesehen werden. Was die Architektur im Raum entfaltet, entwickelt die Musik in der Zeit, und so soll sich der Betrachter des Fließens der Zeit bewußt werden und über den Augenblick hinausdenken. 1811 zeichnete Schinkel zwei Rundbilder, „Morgen" und „Abend", in denen er den Gedanken der Lithographie weiterdenkt und im Sinne Runges und Friedrichs die Zeit nicht nur in der Abfolge der Tageszeiten, sondern auch in der Entwicklung vom paradiesischen Beginn der Menschheitsgeschichte zur abendländisch-christlichen Kultur veranschaulicht.9 Wieder gehören Vegetation und Architektur zusammen. Die Verschränkung von Tageszeiten, Jahreszeiten und Lebensaltem, bei Runge auch von Geschichtsepochen, entsprach frühromantischem Denken. Im „Morgen" begegnen sich Mann und Frau wie zwei Flüsse, die sich vereinen und im Licht der aufgehenden Sonne in die Tiefe als in die Zukunft streben. Die Sonnenblumen sind gleichsam die Stellvertreter der Sonne auf der Erde. Der Gedanke, daß Blumen und Gestirne zusammengehören, ist mehrfach bei Schinkel zu finden, auch noch in der spätesten Zeit, so in dem seinem Freund Peter Beuth Börsch-Supan: Sankt Lukas und die heilige Cäcilie, S. 75-80. Ehemals Berlin, Schinkel-Museum, Kriegsverlust; Griesebach: Schinkel, Abb. 20,21.

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gewidmeten Rundbild von 1834 „Die Nacht über dem Golf von Neapel"10 mit den Versen aus dem zweiten Teil von Goethes Faust: „Wenn auch Ein Tag uns klar vernünftig lacht, / In Traumgespinst verwickelt uns die Nacht".1' Im „Abend" ist aus dem ersten Menschenpaar ein Volk geworden, das sich an einem von Bäumen gesäumten Fluß zu einer gotischen Kirche in Gestalt eines kuppelüberwölbten Zentralbaues bewegt. Die Vollkommenheit der Kreisform ist schon im Rund der Zeichnungen aufgerufen. Für Schinkel, den Baumeister, war die gotische Kathedrale bis 1815 der Hauptgegenstand seiner Malerei. Man hielt die Gotik für deutschen Ursprungs und konnte sie so mit patriotischen Empfindungen aufladen, die sich gegen Frankreich richteten. Die berühmteste dieser Kathedralbilder ist der „Gotische Dom am Wasser" von 1813 (Abb. 4).12 Der filigrane Bau ist gegen einen dramatisch bewölkten Himmel gestellt, der wohl auf die Kriegsbedrohung hinweist, diese aber auch als etwas vom Himmel Gewölkes erscheinen lassen soll. Wegen dieser patriotischen Bedeutung der Gotik konnte Schinkel 1814 einen gotischen Dom als Denkmal für die Befreiungskriege entwerfen, der freilich nicht zustande kam. Statt dessen wurde dieses Ereignisses nur mit einem Eisengußdenkmal auf dem Kreuzberg in Form einer gotischen Turmspitze gedacht, das 1818-1821 entstand. Eisen war ein symbolisches Material geworden, und im preußischen Eisenkunstguß blieb die Erinnerung an die heroische Zeit noch jahrzehntelang lebendig.13 Später wurde auch der Granit mit verwandten Ideen verbunden, als man in der Lage war, dem einheimischen, in Gestalt von Findlingen vorhandenen Gestein mittels einer verfeinerten Technik eine glänzende Oberfläche zu geben. Die 1832 aufgestellte Granitschale vor dem Alten Museum war seinerzeit das bewunderte Meisterwerk dieser Kunst. Sogar die Vervollkommnung und Propagierung des unverputzten Ziegelbaues seit der Erbauung der Friedrichwerderschen Kirche 1824-1830 zielte auf eine symbolische Überhöhung des billigen Materials, weil darin auch eine Erinnerung an die einheimische Backsteingotik lag. Dieses Denken über die prosaische Gegebenheit hinaus war romantisch. Es wäre aber falsch, die seit 1815 bei Schinkel erneut aufblühende Begeisterung für die Antike, insbesondere für Griechenland, als Abkehr von der Romantik und als Hinwendung zum Klassizismus zu verstehen. Als Gegensatzpaar taugen diese Begriffe bei Schinkel wenig. 1815 konnte er in einem Bilderpaar mit einer antiken griechischen Stadt im Morgenlicht - ein Kriegsverlust - und einer mittelalterlichen deutschen Stadt am Abend zwei gleichwertige Darstellungen von Blütezeiten europäischer Kultur nebeneinanderstellen, um damit nach dem Sieg über Napoleon eine Perspektive gleichsam im Rückspiegel zu eröffnen.14 Die Heimkehr des Königs in seine Resi Berlin, Kupferstichkabinett; Ahnung & Gegenwart. Zeichnungen und Aquarelle der deutschen Romantik im Berliner Kuperstichkabinett (Ausstellungskatalog), Nr. 113. Goethe: Faust. Eine Tragödie. Der Tragödie zweiter Theil - Werke (Weimarer Ausgabe) Abt. I, Bd. 15, S. 308 (Vers 11412-11413). Nur noch in Kopien von Wilhelm Ahlborn (Nationalgalerie) und Eduard Biermann (München, Neue Pinakothek) überliefert. Zwei eigenhändige Fassungen sind verloren. Arenhövel: Eisen statt Gold. Die Darstellung der mittelalterlichen deutschen Stadt bewahrt die Nationalgalerie Berlin;

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denz nach dem Unwetter des Krieges, während ein Regenbogen als Zeichen des Friedens am Himmel steht, spielt auf die Heimkehr Friedrich Wilhelms III. aus Paris 1814 an. Nach Schinkels Überzeugung stand eine neue Blütezeit in Berlin bevor, und er sah sich als führender Beförderer dieser Entwicklung. Romantisch ist dieses Bilderpaar, weil - wie bei den Landschaften Friedrichs - nicht das vordergründig Sichtbare der eigentliche Inhalt ist, sondern die im Symbol ausgedrückte Idee und die über das Dargestellte hinausweisende Zeit. Berlinisch ist hier, im Unterschied zu Friedrich und auch zu Runge, die Vorstellung der Zeit als Geschichte, die trotz ihrer göttlichen Steuerung nicht auf den Gegensatz von Zeit und Ewigkeit, Diesseits und Jenseits zielt, wie das die Landschaften Friedrichs tun, sondern zum kulturellen Fortschritt aufruft. Im Blick auf diese wenigen Werke Schinkels, der zentralen Berliner Künstlergestalt in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, lassen sich folgende Besonderheiten der Berliner Romantik fassen und besonders von der Dresdner absetzen: Die starke Bindung an Geschichte, die zwar einen allgemeinmenschlichen Horizont kennt, aber doch in ihrem Kern patriotisch verstanden wird. Es sind die Erschütterungen, welche die Gedanken erzeugen. Preußen hat ja die Niederlage von 1806 und den Sieg von 1814/15 viel eindringlicher erlebt als Sachsen. Stark ist die Vorstellung von der Einheit der Künste, insbesondere die Bindung der bildenden Künste an die Musik. Das religiöse Element bleibt diesseitig. Bezeichnend ist auch der Umstand, daß die Berliner Nazarener, vor allem Wilhelm Schadow, aber auch andere wie Karl Wilhelm Wach oder Carl Begas, anders als Friedrich Overbeck, Peter Cornelius oder Julius Schnorr von Carlosfeld, keine Bedenken trugen, auch als Porträtmaler gesellschaftlichen Einfluß zu suchen. Der Architektur und damit auch der Architekturmalerei kommt eine große Bedeutung zu, weil die Baukunst nur durch gemeinschaftliche Anstrengung entstehen kann und in der Regel der Gesellschaft dient. Schinkels Landschaftsdarstellungen entfernen sich jedoch hinsichtlich der von ihm gewählten Motive vom Patriotischen. Er läßt sich nur ausnahmsweise von der einheimischen Natur inspirieren. Seine gemalten Landschaften sind ideal. Das ändert sich schlagartig 1821, als eine Reise nach Rügen ihn zu drei Darstellungen anregte, die das Gesehene getreu abbilden und überdies auf jegliche Staffage verzichten, was vorher nur ausnahmsweise vorgekommen ist.15 Das ist zugleich aber auch das Ende von Schinkels Wirken als Landschaftsmaler. Goethe hatte 1800 in den Propyläen die Berliner Kunst in ihrer noch vorromantischen Zeit zwar nicht wirklich gerecht, aber doch in den großen Zügen treffend charakterisiert, ohne die Gründe für ihre Eigenart zu benennen: In Berlin scheint außer dem individuellen Verdienst bekannter Meister der Naturalismus mit der Wirklichkeits- und Nützlichkeitsforderung zu Hause zu sein und der prosaische Zeitgeist sich am meisten zu offenbaren. Poesie wird durch Geschichte, Charakter und Ideal durch Porträt, symbolische Behandlung durch Allegorie, Landschaft durch Aussicht, das allgemein Menschliche durch's Vaterländische verdrängt. Schinkel. Architektur, Malerei, Kunstgewerbe (Ausstellungskatalog), Abb. S. 52 und 53. Erhalten in der Nationalgalerie Berlin nur „Rugard auf Rügen"; ebenda, Nr. 199, Abb. S. 76.

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Vielleicht überzeugt man sich bald, daß es keine patriotische Kunst und patriotische Wissenschaft gebe. Beide gehören wie alles Gute der ganzen Welt an und können nur durch allgemeine freie Wechselwirkung aller zugleich Lebenden, in steter Rücksicht auf das, was uns vom Vergangenen übrig und bekannt ist, gefördert werden.16

An diesem Urteil läßt sich ablesen, was seitdem Schinkel und mit ihm auch andere in das Kunstgeschehen der Stadt eingebracht haben. Nun gibt es neben Geschichte durchaus Poesie, neben der Allegorie symbolische Behandlung, und es gibt die ideale Landschaft. Es sind Gegebenheiten der nicht zuletzt aus der Natur des Landes resultierenden Geschichte, die der Berliner Kunst ihren Stempel aufgedrückt haben. Die karge Natur, deren stille Reize - nah einem kurzen Intermezzo in der Mitte des 18. Jahrhunderts - erst in der zweiten Hälfte des 19. wirklich entdeckt wurden und die keine großen Reichtümer bescherte, verlangte den Menschen große Anstrengungen ab und gestattete kaum eine künstlerische Verklärung. Entsprechend dürftig war bis zur Zeit des Großen Kurfürsten die brandenburgische Geschichte. Seitdem war auch das politische Geschehen durch Anstrengung, ja Überanstrengung gekennzeichnet. Im Bereich der Künste mußte man sich bemühen, mit den reicheren Nachbarn mitzuhalten. Mit der in ganz Europa bewunderten Leistung Friedrichs des Großen war dann endlich Brandenburg-Preußen und damit die Hauptstadt Berlin zu einem Selbstbewußtsein gelangt, das sich auch in der Kunst äußerte, ohne die Mühsamkeit des Aufstiegs verleugnen zu können. Friedrich der Große, aus dessen langem Schatten herauszutreten nicht möglich war, hatte kein Vertrauen in die einheimischen Künstler gesetzt und die 1786 abgeschlossene Reform der Akademie, die das Niveau der Kunst in der Breite heben und Berlin gleichrangig neben der Kunststadt Dresden erscheinen lassen sollte, nur halbherzig unterstützt.17 Nach dem Vorbild Dresdens wurden seit 1786 von der Akademie Kunstausstellungen veranstaltet, die eine öffentliche Diskussion über Kunst beförderten und durch den Wettbewerb die Qualität steigerten. Hinsichtlich des Besitzes alter Kunst war es indessen unmöglich, den Vorsprung Dresdens aufzuholen. Der Nachfolger Friedrichs des Großen, der schwache Friedrich Wilhelm II., hatte es schwer, sich im Schatten seines Vorgängers zu behaupten, gewann aber Profil durch die Förderung der einheimischen Künstler und durch das Bekenntnis zum Klassizismus, der nun verspätet in Preußen Einzug hielt. Dieser Stil war international, er war lehrbar und stellte mindestens in der Architektur und im Kunstgewerbe geschmackvolle Muster bereit. Mit dem 1791 vollendeten Brandenburger Tor von Carl Gotthard Langhans, der damals schon 59 Jahre alt war, hatte Berlin seine Rolle als neues Athen gefunden. Was der wiederbelebten Akademie zunächst fehlte, waren starke junge Begabungen. Daniel Chodowiecki, der die Reform auf Seiten der Künstler am eifrigsten

Goethe: Die Preisaufgabe betreffend. 5. Flüchtige Übersicht über die Kunst in Deutschland Werke (Weimarer Ausgabe) Abt. I, Bd. 48, S. 21-25, hier S. 23. „Die Kunst hat nie ein Mensch allein besessen" (Ausstellungskatalog), S. 77-90.

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betrieben hatte, war 1786 schon ein Sechzigjähriger. Christian Bernhard Rode, der Direktor, war sogar ein Jahr älter. Wegen der Nachlässigkeit seiner Zeichnung oft geschmäht, ist der Maler, Zeichner und Radierer wegen der formalen Verwurzelung im Rokoko bei vorausweisender Modernität in der Wahl seiner Stoffe jedoch eine bemerkenswerte Gestalt, die Goethes Urteil bestätigt. Er bemühte sich, durch neue Stoffe das traditionelle Repertoire der Historienmalerei zu bereichern und so Geschichtswissen und aufklärerische Ideen zu verbreiten. Einerseits verherrlichte er als erster schon seit den 1750iger Jahren die Taten Friedrichs des Großen und eröffnete damit eine umfangreiche Produktion von Anekdotendarstellungen, andererseits entdeckte er das deutsche Mittelalter in Stoffen wie „St. Bonifaz fällt die heilige Eiche", „Der junge Kaiser Heinrich IV. versucht durch einen Sprung aus dem Schiffe der Gewalt des Erzbischofs von Köln zu entkommen" oder „Rudolf von Schwaben verliert in der Schlacht gegen Heinrich IV. einen Arm". Eine tiefere Absicht für die Wahl dieser Gegenstände war nicht immer zu erkennen. Auch Daniel Chodowiecki behandelte in seinen „Genealogischen Kalendern" wenig bekannte Geschichtsthemen. Dieser etwas schwerfälligen Gelehrsamkeit trat 1787 mit der Rückkehr des dreiundzwanzigjährigen Johann Gottfried Schadow aus Rom in seine Vaterstadt nun plötzlich eine starke junge Begabung entgegen. Schadow war der erste wahrhaft große Künstler, den Berlin hervorgebracht hat. 1788 wurde er zum Leiter der Hofbildhauerwerkstätte ernannt und schuf alsbald mit dem Grabmal des Grafen von der Mark ein Meisterwerk, womit Berlin mit einem Schlage an der Spitze der Bildhauerkunst in Deutschland stand. Schadow bildete begabte Schüler aus, unter denen der bedeutendste Christian Daniel Rauch war. Damit gewann die Skulptur in Berlin ein Übergewicht gegenüber der Malerei, und damit wurde die klassizistische Grundströmung, die Verpflichtung der Kunst auf die Präsenz des Durchgeformten, die der schweifenden Phantasie und der Ahnung keinen Raum läßt, befestigt. Vorbildlich war nur die antike Skulptur. Die allmählich aufkommende Mittelalterbegeisterung sparte ja die Skulptur dieser Zeit aus. Einen zweiten Künstler vom Rang Schadows erhielt Berlin mit dem 1772 geborenen Architekten Friedrich Gilly, der zwölf Jahre jünger als Schadow und neun Jahre älter als Schinkel war. Er wurde der Schwager der Brüder Heinrich und Friedrich Gentz. Großer Visionen fähig war er mehr als Schadow von der durch die Französische Revolution ausgelösten Unruhe erfaßt. Das gab seiner Kunst ein ernstes Pathos. Gilly starb bereits 1800. Sicher hätte die Kunst in Berlin einen etwas anderen Gang genommen, wenn er länger gelebt hätte, denn Schinkel hätte nicht den gleichen Raum für die Entfaltung seines Genies gehabt. Von schwer zu überschätzender Bedeutung wurde eine Reise, die Friedrich Gilly in Begleitung seines Vaters, des Landbaumeisters David Gilly, 1794 nach Ost- und Westpreußen unternahm. Er zeichnete Ansichten der Marienburg, und Friedrich Frick reproduzierte die Blätter als große Aquatintaradierungen von vorzüglicher Qualität.18 Sie erschienen 1799. Es handelt sich nicht einfach um sachliche Bauaufnahmen. Gilly ergänzte nicht nur als Architekt Einzelheiten des beschädigten Bauwerks, sondern verlebendigte in 18

Gilly/Frick: Marienburg.

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einzelnen Ansichten die Architektur durch mittelalterliche Staffage. Er inszenierte sie und schlug so eine Brücke von der Gegenwart zurück zum Mittelalter, um Begeisterung für eine große nationale Vergangenheit zu wecken. Hier ist ein Überschuß an Bedeutung, der als romantisch bezeichnet werden kann. Nach den Befreiungskriegen sollte die Marienburg nicht nur zu einem Nationaldenkmal erhoben werden, sondern sie hat auch der Denkmalpflege in Preußen starke Impulse vermittelt. Gillys Marienburgansichten wurden zu Inkunabeln einer romantischen Architekturmalerei, die nirgends so wie in Preußen blühte. Die Bindung an die Architektur wurde zu einem Merkmal romantischer Malerei in Berlin, die damit ein Element des Konstruktiven, Technischen und Meßbaren erhielt, ohne das Architektur nicht glaubhaft dargestellt werden kann. 1798 wurde Gilly Professor für Optik und Perspektive an der neu errichteten Bauakademie. Es waren die überragenden Persönlichkeiten, die die Entwicklung der Kunst in Berlin vorangetrieben haben, und gerade die Romantik als eine Richtung mit der Tendenz zum Utopischen, zum Hinauswachsen über das Gegebene, was nur durch einen bedingungslosen Einsatz der Person zu leisten war, konnte sich nur in sehr großen Künstlern überzeugend manifestieren. Aber zum Gesamtbild gehören auch schlichtere Begabungen wie Carl Wilhelm Kolbe der Jüngere, der 1781, im gleichen Jahr wie Schinkel, geboren, ebenfalls von Friedrich Gilly seinen Ausgang nahm, unter anderem dessen Marienburgzeichnungen kopierte und sich in die Welt des deutschen Mittelalters und der Renaissance - man trennte beides nicht scharf- einlebte.19 Obgleich er einer der produktivsten und vielseitigsten Berliner Maler war, ist sein Werk weitgehend vergessen. Am bekanntesten noch sind seine in Zusammenarbeit mit Schinkel geschaffenen Entwürfe für Glasfenster im Sommerremter der Marienburg von 1822-1826 mit Szenen aus der Geschichte des Deutschen Ordens, der erste Zyklus von Historienbildern nach den Freiheitskriegen.20 Die Ausrichtung der Berliner Romantik an der Geschichte äußert sich also nicht nur im Interesse an historischer Architektur, sondern auch in der Historienmalerei. Aber nicht nur bestimmte Ereignisse wurden geschildert, sondern auch in die Vergangenheit zurückverlegte Genreszenen. Man wollte sich in das Leben früherer Zeiten einfühlen, vor allem in das der höheren Stände und poetisierte diese Welt. Bilder von Kolbe tragen z. B. Titel wie „Lautenspiel vor der Jagd" (1816) „Königin, die zur Jagd reitet" (1822) oder „Ritterliche Gesellschaft auf hohem Söller beim Mahl" (1826).21 Ausgeführt waren diese Bilder mit großer Sorgfalt unter Beachtung vieler antiquarischer Details. Der Maler griff auch Stoffe aus der Dichtung auf, sofern sie in die Vergangenheit zurückversetzte, u. a. aus Goethes Götz von Berli-

Friedrich Gilly, 1772-1800, und die Privatgesellschaft junger Architekten (Ausstellungskatalog), Nr. 5, 7, 8, 25, 27-29, 37,39,40. Zerstört. Eine Serie von sieben kleinformatigen Wiedergaben als Ölgemälde im SchinkelPavillon beim Schloß Charlottenburg, zwei weitere in der Nationalgalerie Berlin. Börsch-Supan: Die Kataloge der Berliner Akademie-Ausstellungen 1786-1850, Kat. 1816, Nr. 52, Kat. 1822, Nr. 60, Kat. 1826, Nr. 52.

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chingen, aus Shakespeare und Walter Scott, der seit 1824 besonders oft die Maler angeregt hat. Die Landschaften Kolbes sind fast restlos verschollen. Schadow schätzte Kolbe hoch. So schrieb er am 28. Juni 1817 an Goethe, diesem in der Ablehnung der „Neudeutsch-patriotischen Kunst" beipflichtend: „Was der Mahler Runge gemacht hat, wird bei weitem übertroffen von unserem Kolbe der dergleichen weit besser und spielend macht, aber freilich ohne die reichen Anspielungen."22 Nicht weniger abschätzig hat er sich über Friedrich geäußert.23 Das ist nicht nur Kritik des in der Aufklärung verwurzelten Klassizisten an allem, was der Mystik verdächtig ist, es ist auch die Abgrenzung des Berlinischen gegen Dresden bzw. Hamburg. Im historischen, vorzüglich mittelalterlichen Genre bewährten sich neben Kolbe hauptsächlich der 1772 geborene Karl Friedrich Hampe und der ein Jahr jüngere Heinrich Dähling. An einem Motiv nur sei gezeigt, wie man in Berlin gern Landschaft mit Manifestationen der Kultur, vor allem der Musik, verband und das Geschehen ins Mittelalter zurückverlegte. Die wasserreiche Umgebung Berlins beförderte die Neigung zu Kahn- und Schiffahrten, und das wurde gem dargestellt. Von Kolbe gab es ein Gemälde „Die Sängerfahrt" (Abb. 5), dessen Komposition mit einer im Stich überlieferten Zeichnung weitgehend übereinstimmt. Der Maler schuf sie für das Taschenbuch „Die Sängerfahrt. Eine Neujahrsgabe für Freunde der Dichtkunst und Malerey" von 1818. Eine Beschreibung des Gemäldes von 1888 lautet: In einem anderen Bilde „Sängerfahrt" sehen wir einen mit einer Laube von Weinranken geschmückten Kahn auf ruhigem Meere dahin schweben, in welchem phantastisch costumierte Personen Musik machen; ein Jüngling in der Mitte stehend, spielt die Laute. Frauen singen dazu, ein Kind plätschert im Wasser, in welchem ein etwas fabelhaft gestalteter Delphin herausschwimmt, dahinter italienische Küste.24

Die Kostüme wirken mittelalterlich. Ein Engel führt das Ruder, das mit einer Madonna geschmückt ist. Naturgenuß, Musik, Religion und Mittelalterbegeisterung bilden einen Gesamtklang. Er findet sich nüchterner und eher biedermeierlich plaudernd ohne das religiöse Element bei einem Gemälde Karl Friedrich Hampes von 1826 „Wasserfahrt einer Familie auf der Spree bei Berlin" (Abb. 6).25 Am rechten Ufer ist in freier Darstellung das Berliner Schloß zu erkennen. Das Motiv der Musik beschränkt sich auf das Liebespaar, und die Tracht ist eher der Renaissance zuzuordnen. Heinrich Dähling malte 1832 ein Bild „Festliche Wasserfahrt", das durch die große Zahl freudig gestimmter Menschen in einem Prunkschiff und am Ufer vor der Kulisse einer Gebirgslandschaft die Vorstellung von glanzvollem höfischem Leben

Weimar, Nationale Forschungs- und Gedenkstätten, Goethe-Schiller-Archiv. Abschrift in Der Kunstbibliothek Berlin, Sammlung Mackowsky. Ebenda; Cassirer: Künstlerbriefe, S. 61. Brief Schadows ohne Datum und Adressat. Becker: Deutsche Maler. Von Asmus Jakob Carstens an bis auf die neuere Zeit, S. 148; siehe dazu auch unten S. 185. Am 7. 10. 1993 bei Leo Spik, Berlin versteigert, Auktion 566, Nr. 135.

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erwecken will.26 Während man in dem großen Schiff dem Wein zuspricht, sitzt in dem dieses begleitenden Nachen ein Liebespaar. Das Motiv der Musik ist in diesem Bild nur in der Laute angeschlagen, die neben dem Jüngling am Bootsrand lehnt. Zuerst hat in Berlin anscheinend Schinkel das Motiv der Schiffahrt mit Musikbegleitung in einem Gemälde von 1807 oder 1808 für seine Braut Susanne Berger aus Stettin behandelt.27 Ein Paar in mittelalterlicher Tracht hat ein Schloß verlassen und steigt eine Treppe zum Meeresufer herab, wo ein Schiff mit Ruderern die Liebenden erwartet, Anspielung auf die gemeinsame Lebensfahrt. Zwei Waldhornbläser stehen am Ufer. Um 1811 zeichnete Schinkel unter dem Eindruck einer Reise in das Salzkammergut, einem Lieblingsziel von Reisen romantischer Maler, ein nun ganz in der Gegenwart verankertes großes Blatt mit dem teilweise von senkrecht aufwachsenden Felswänden umgebenen Königssee, auf dem in einem Boot eine Gesellschaft unter dem Klang von Waldhörnern dahinfährt (Abb. 7). 1814 ist es eine fürstliche Jagdgesellschaft in mehreren Booten, die sich auf einem Bergsee vergnügt (Abb. 8). Im Hintergrund ragt auf einem Felsen die vielfältig gestufte Baumasse eines mittelalterlichen Schlosses empor. Die breite, über Brücken hochführende Fahrstraße verdeutlicht, wie der Mensch sich die Natur Untertan macht. Auch hier fehlen nicht zwei Waldhornbläser am Ufer. 1817 malte Schinkel für den Grafen Gneisenau das Caspar David Friedrich scheinbar so nahe stehende Gemälde „Abschied von Stralau", wo der Sonnenuntergang und der aufkommende kühle Wind zusammen mit der Vorstellung der Waldhornmusik eine schwermütige Stimmung erzeugen, die Ahnung des Endes.28 Das wuchtige, hier nicht recht motivierte Tonnengewölbe mit seinen Kassetten verstärkt diesen Eindruck. Wo Friedrich eine tröstende religiöse Botschaft bereit hält, weil Ferne ein jenseitiges Ziel bedeutet, lastet bei Schinkel die Stimmung, weil bei ihm alles Sichtbare diesseitig ist, auch die ferne Stadtsilhouette, mit der Berlin gemeint ist. Eine wichtige Inspirationsquelle für die das historische Genre bevorzugende romantische Malerei in Berlin war das Theater, was von der Kunstgeschichte viel zu wenig beachtet wird. Hier fühlte man sich mit allen Sinnen in eine Vergangenheit, in ferne Länder, ja in Märchenwelten versetzt. Als 1815 Karl Graf von Brühl Generalintendant der Königlichen Schauspiele wurde, zog er Schinkel als Entwerfer von Bühnenbildern hinzu, der diese untergeordnete Gattung der Malerei sogleich auf ein höheres Niveau hob, indem er dem Bühnenbild die Aufgabe zuwies, das Geschehen auf der Bühne symbolisch auszudeuten, also die Bühne abschließende Prospekte als romantische Landschaftsbilder zu gestalten. Gleich sein erster Auftrag, die Ausstattung einer Neuaufführung von Mozarts „Zauberflöte", wurde ein unübertroffenes Meisterwerk (Abb. 9). Der zweite Auftrag waren Bühnenbilder zu E. T. A. Hoffmanns Zauber-Oper „Undine" nach einem Text von Friedrich de la

Potsdam-Sanssouci, Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg; Geismeier: Malerei der deutschen Romantik, Abb. 168. Schloß Charlottenburg, Schinkel-Pavillon, Stiftung Preußische Schlösser und Gärten BerlinBrandenburg; Schinkel. Architektur, Malerei, Kunstgewerbe (Ausstellungskatalog), Nr. 332. Nationalgalerie Berlin, ebenda, Nr. 192, Abb. S. 57.

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Motte Fouque, die 1816 aufgeführt wurde. Auch für die Architekturmalerei bot die Bühne ein hervorragendes Betätigungsfeld.29 Noch ein anderer großer Berliner Maler, jedoch von ganz anderer Wesens- und Denkungsart als Schinkel, hat zeitweise - von 1824 bis 1827 - Bühnenbilder entworfen: Carl Blechen.301798 geboren, gehörte er einer jüngeren Generation an, die die napoleonischen Kriege nur als Kind erlebt hatte, die mit dem Aufschwung nach 1815 groß geworden war und beim Beginn der Laufbahn einen geregelten Kunstbetrieb mit Autoritäten und abgesicherten Grundsätzen vorfand. Blechen hat 1823 und später bei Landschaften Schinkels und beim historischen Genre anzuknüpfen gesucht, aber, wie auch bei seinen Bühnenentwürfen, formal eine Übersteigerung ins Waghalsige und im Vortrag eine Beschleunigung vorgenommen. Eine Zeichnung von 1823, „Bergsee" (Abb. 10), paraphrasiert Schinkels Landschaft von 1814, „Schloß am See". Die wohl etwa gleichzeitige Zeichnung „Mittelalterliche Stadt" (Abb. 11) läßt sich Dählings Gemälde „Einzug eines Fürsten" vergleichen, das Blechen auf der Berliner Akademieausstellung von 1822 gesehen hat.3' Er gibt dem historischen Genre eine unheimliche Dramatik. Bei einem Hauptwerk von 1828, „Semnonenlager am Müggelsee", erfährt das historische Genre eine ironische Verzerrung ins Groteske, die als Widerspruch gegen den inzwischen, fünfzehn Jahre nach Ausbruch der Befreiungskriege, behäbig gewordenen Patriotismus der Berliner gesehen werden kann, denn das ist keine Verherrlichung des Germanentums, was er hier am Vorabend der für seine weitere Entwicklung so wichtigen Italienreise von 1828/29 gemalt hat.32 Auf diese von Tacitus gerühmte Kultur der Semnonen konnte man nicht wirklich stolz sein. Blechen hat vor seiner Italienreise, angeregt durch seine Verbindung mit der Bühne, zuweilen literarische Stoffe gewählt, um ihn Bedrängendes zu gestalten, und es ist bezeichnend, welche Themen das waren: Der Freischütz, Don Giovanni und E. T. A. Hoffmanns Elixiere des Teufels.3* Das eigentliche Feld von Blechens Kunst aber war die Landschaft, die, angeregt durch Friedrich und im temperamentvoll skizzenhaften Vortrag durch Johann Christian Dahl, in Berlin nun ein ganz neues Gewicht erhielt. Goethes Diktum, in Berlin werde die Landschaft durch Ansicht ersetzt, trifft für Blechen nicht mehr zu. Ohne das Meer zuvor gesehen zu haben, malt er um 1826 in dem großen Gemälde „Stürmische See mit Leuchtturm" einen solchen, der an den von Genua erinnert, der aber selber nicht leuchtet und irgend einem Schiff den Weg in den Hafen weist, sondern der als Silhouette vor grellem gelbem Himmel steht, während das mit furiosen Pinselzügen gemalte Meer hohe Wellenberge aus sich heraustreibt, Ohnmacht menschlicher Steuerungsversuche beim Toben der Elemente.34 Für Schinkel waren Leuchttürme, gezeichnete wie solche, die er selber gebaut hat, Zeichen menschlicher Herrschaft über die Natur. :

' Harten: Die Bühnenentwürfe. Schinkel. Rave: Blechen, Kat. 352-475. 31 Nationalgalerie Berlin. Verzeichnis der Gemälde und Skulpturen, S. 95. 32 Ehem. Nationalgalerie Berlin, Kriegsverlust; Rave: Blechen, Kat. 603. 33 Carl Blechen (Ausstellungskatatalog), Kat. 13-14, 16, 118. 34 Hamburger Kunsthalle, Rave: Blechen, Kat. 690; Carl Blechen (Ausstellungskatalog), Nr. 11, Taf. 5. 30

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Gleichzeitig nahm Blechen in dem großen Bild „Gotische Kirchenruine" zur Architekturmalerei Stellung.35 Er führt eine phantastisch übersteigerte Gotik vor, in der man sich wie in einem dichten Wald nicht mehr orientieren und nicht einmal mehr bewegen kann, weil der Boden durch eingestürzte Gewölbe aufgerissen ist. Der im Vordergrund schlafende Pilger hat keinen Ausweg mehr, nur noch den Traum. 1834 wandelte er das Motiv in dem Gemälde „Ruine einer gotischen Kirche" ab.36 Auch hier kommt der Pilger nicht mehr weiter. In die Kirche ist Wasser eingedrungen. Die überkommenen Formen der Religion bieten keine Bleibe mehr. Der Pilger, der in der Landschaft seinen Weg sucht, ist Blechen selbst. Das wird deutlich in einer „Der Sturm" betitelten Zeichnung, die der Künstler selbst kommentiert hat:37 Der Moment des wütenden Orkans nahet dem Ende, in dieser Beziehung schließt sich auch die Staffage an. Ein Pilger nahet auf holprigen domigen Pfaden des Lebens dem Ziele des ewigen Friedens, wo ihm am Rande des Grabes der Genius des Todes mit offenen Armen entgegenharrt in dessen Nähe, wo nur allein Ruhe herrscht, sieht man Grabmäler, von ölbäumen beschattet (als Zeichen des Friedens mit allem Irdischen).38

Der Tod wird hier also als Genius bezeichnet, der für Schinkel das Sinnbild künstlerischer Schöpferkraft war. Als Blechen 1829 aus Italien zurückkehrte, blieb ihm als Erinnerung an die Alpen beinahe nur die Überquerung der Schlucht der Reuß mit der berühmten Teufelsbrücke (Abb. 12), die damals gerade durch einen Neubau ersetzt wurde. Der Baukran an der hell erleuchteten, streng geometrischen Hilfskonstruktion für den neuen Brückenbogen läßt an einen Galgen denken. Der Übergang vom diesseitigen Ufer mit den schlafenden Bauarbeitern zum jenseitigen wird zum Gleichnis für den Tod, doch der Blick wird zum leuchtend blauen Dreieck des Himmels gezogen. Das ist unmittelbar durch Friedrichs „Hochgebirgslandschaft" angeregt,39 die sich damals in Berlin befand und die Blechen 1826 gesehen hat. Als er auf der Rückreise einen Tag in Heidelberg Station machte, hatte er dort nur einen Blick für den gesprengten Pulverturm (Abb. 13). Blechen, seit 1831 Leiter der Landschaftsklasse der Akademie, hatte begeisterte Schüler, die ihm nacheiferten, aber keiner hat sich so wie Blechen an die existenziellen Abgründe gewagt. Er fand durchaus Anerkennung; der König kaufte Werke von ihm und gab ihm Aufträge, aber Bettina von Arnim, die sich mit der ganzen ihr eigenen Unbedingtheit für den geisteskranken Maler einsetzte, schrieb am 11. Juli 1838 in einem berühmten Brief an Moritz August von Bethmann-Hollweg: „Ich irre nicht, wenn ich Blechens gestörte Organisation dem Mangel an Teilnahme und 35 36 37 38 39

Dresden, Galerie Neue Meister, Rave: Blechen, Kat. 512; Carl Blechen (Ausstellungskatalog), Nr. 17. Ehemals Königsberg, Städtische Kunstsammlung, Rave: Blechen, Kat. 1881. Stiftung Archiv der Akademie der Künste, Berlin, Rave: Blechen Kat. 512; Carl Blechen (Ausstellungskatalog), Nr. 115, Taf. 32. Rave: Blechen, S. 7. Ehemals Nationalgalerie Berlin, Kriegsverlust; Börsch-Supan/Jähnig: Caspar David Friedrich. Gemälde, Druckgraphik, bildmäßige Zeichnungen, Kat. 317.

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Begriff seiner Mitwelt zuschreibe. Noch erhitzt von den Steigerungen seines Inneren bei so kühnen Visionen prallte er von allen Seiten an das mauerfeste Gefängnis der Philisterwelt, die ihn umgab."40 Und als Theodor Fontäne 1882 für eine nicht zustande gekommene Arbeit über den Maler recherchierte, gab ihm den BlechenSchüler Eduard Pape drei Gründe für die Depression des Malers an: l. der „Schmerz über die Nichtanerkennung", 2. der „Schmerz über beständig kleine, gedrückte Lebensverhältnisse" und 3. der Schmerz über seine Ehe. Er hatte diese Ehe aus Dankbarkeit geschlossen, weil die Boldt viel für ihn getan hatte; dies Gefühl der Dankbarkeit, zu dem die Frau auch beständig neue Veranlassung bot, hat er ihr auch bewahrt bis zuletzt. Aber über dies Gefühl der Dankbarkeit hinaus konnte er es nicht bringen. Er fühlte zu tief: daß sie zu alt für ihn sei, dabei unschön [...] und eine niedrige Stellung in Bildung und Gesellschaftsform [...]. Auch die Schnapsflasche kam hinzu.41

Berlin war nicht der Ort, in dem die Romantik breiten Boden gewinnen konnte, und in den dreißiger Jahren war ohnehin die Zeit für diese Strömung vorbei. Blechen war verspätet, wie der drei Jahre ältere Friedrich Wilhelm IV., der „Romantiker auf dem Königsthron", der 1840 zur Regierung gelangte. In diesem Jahr starb nicht nur der nüchterne Friedrich Wilhelm III., sondern auch Blechen - in Dresden übrigens Caspar David Friedrich -, und Schinkel verfiel in seine tödliche Krankheit, die jede künstlerische Tätigkeit unmöglich machte. Dieses Jahr markiert also eine tiefe Zäsur. Was ist Berliner Romantik? Was haben Schinkel und Blechen miteinander gemein? Den leidenschaftlichen Drang, die vorgefundenen Verhältnisse zu überwinden, die tiefempfundenen Defizite Berlins auszugleichen. Der eine versuchte es durch erzieherische Wirkung in die Breite, der andere, ein Gotiker, sah nur den Widerspruch zwischen dem eigenen Inneren und der Welt um sich, den er aufheben wollte.

Rave: Blechen, S. 17. Ebenda, S. 87.

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Karl Friedrich Schinkel: Entwurf für ein Mausoleum der Königin Luise im Schloßpark von Charlottenburg, 1810, Feder, Tusche, Kupferstichkabinett Berlin

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Karl Friedrich Schinkel: Gotischer Dom hinter Bäumen, 1810, Lithographie

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Abb. 6:

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Karl Friedrich Hampe: Wasserfahrt einer Familie auf der Spree bei Berlin, 1826, 1993 bei Leo Spik, Berlin, versteigert

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Karl Friedrich Schinkel: Garten Sarastros, Bühnendekoration zur „Zauberflöte", 1815, Gouache, Kupferstichkabinett, Berlin

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Abb. 10: Carl Blechen: Bergsee, 1823, Feder, Tusche, Kupferstichkabinett, Berlin

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rn 12 daneben ein kleines Schlafkabinett; eine Stiege höher wurde der Diener Schöpp untergebracht. Das Tagebuch verzeichnet für den Vormittag des 21. November auch bereits Streifzüge d(urch) die Stadt, wobei mich die noch nirgends gesehene reinliche, symetrische, geschmakvolle und d(urch) kein einziges unansehnliches Haus unterbrochne Pracht der nicht übertrieben hohen Gebäude, der breiten herrlichen Straßen etc eben so sehr überraschte, als die auffallende Menschenleere, besonders in einigen Vierteln dieser schönen Stadt.13

„[...] das ungeheuere königliche Schloß [...] ganz im altfranzösischen Geschmack der Tuillerien o(der) des Louvres, en Quarre, oben mit Gallerien auf dem Dache etc.

Brief von Loeben vom 8.11.1809 - Eichendorff: Sämtliche Werke (Historisch-kritische Ausgabe), Bd. 13: Briefe an Eichendorff, S. 3. Brief an Loeben vom 10.8.1814 - ebenda, Bd. 12: Briefe 1794-1857. Text. Neuausgabe. Hrsg. von Sibylle von Steinsdorff. 1992, S. 39. Eichendorff: Tagebücher, 21.11.1809 - Werke in sechs Bänden, Bd. 5, S. 274. Ebenda, S. 273-274.

Eichendorffund die Romantik in Berlin 1809/1810

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gebaut", begeistert ebenso wie die „sogenannte lange (kurze) Brüke" mit dem Reiterstandbild des Großen Kurfürsten und der Blick „über die Spree, auf der weit hinunter eine Menge Schiffe mit ihren Masten sich gut ausnehmen", sowie das .Ausrufen der Händler auf den Straßen".14 Am Abend desselben Tages folgt der erste Besuch im Königlichen Nationaltheater, „das in der Mitte des herrlichen Gensd'armen-Platzes in einem länglichten Vierek mit rundem Dach u. großen Säulenfa9aden erbaut ist" - der 1802 von Langhans entworfene, 1817 abgebrannte Theaterbau wird ebenso wie die „Himmlische, überraschende Einrichtung und Malerei des Auditoriums mit 5 Etagen" im Detail beschrieben.15 Auf die Aufführung zweier unbedeutender zeitgenössischer Lustspiele geht das Tagebuch nicht weiter ein, doch vermerkt Eichendorff seine „Ueberraschung u. Freude zum 1t male d(urchaus) vollkommne Schauspieler zu sehen": nämlich Friederike Bethmann „(nicht sehr groß, etwas untersezt, mehr breites Gesicht, scharfes Spiel) als Kammerjungfer [...] himmlisch" und Karl Wilhelm Unzelmann.16 Drei Tage später sehen sie eine Inszenierung von Kotzebues Prozeß in Krähwinkel und sind begeistert von Ifflands Spiel. Zusätzlichen Glanz erhält die Vorstellung durch die Anwesenheit von Angehörigen der königlichen Familie und hochrangiger Honoratioren; erwähnt werden für diesen Abend der als Bataillonskommandeur in der Schlacht von Auerstedt bekanntgewordene Prinz August, ein Neffe Friedrichs des Großen, mit seiner Maitresse sowie, neben der Prinzenloge sitzend, „der dike, vor Wohlbehagen lächelnde" Justizminister und Großkanzler Karl Friedrich Beyme.17 Auch für die folgenden Tage berichtet das Tagebuch von Spaziergängen über die Promenade unter den Linden und „durch das geschmackvolle, auf Säulen ruhende Brandenburger Thor in den daranstoßenden Thiergarten"]* und beschreibt das Ambiente des gesellschaftlichen Zentrums von Berlin. Sie beobachten die „brillante Wachparade" auf dem Platz vor dem königlichen Palais und die dabei sich versammelnde Menge hochrangiger Militärs, nachdem Joseph vorher in der „innerlich ganz protestantisch und schwarz aussehenden, katholischen Kirche" beim Opernhaus - also der der schlesischen Nationalheiligen geweihten Hedwigskirche - „einer schlechten Predigt beygewohnt hatte."19 Sie besuchen das „werkmeistersche Museum", eine öffentliche Lesehalle: „Reihe von erleuchteten Stuben, wo Lesende am Tische sizen. Alle Journale, Zeitungen etc., die nur existiren." In der Zeitschrift Phöbus entdeckt Joseph zu seiner Überraschung und Freude Gedichte von Loeben.20 Das scheinbar sorglose Flanieren durch die Stadt kann freilich nicht darüber hinwegtäuschen, daß die finanziellen Mittel der Brüder äußerst begrenzt waren und ihnen nicht einmal erlaubten, wenigstens eine ordentliche Mahlzeit am Tage 14

Ebenda, S. 274. Ebenda. 16 Ebenda, S. 275. 17 Tagebücher, 24.11.1809 - ebenda, S. 275. 18 Tagebücher, 25.11.1809 - ebenda, S. 275. " Tagebücher, 26.11.1809 - ebenda, S. 275-276. 20 Tagebücher, 27.11.1809 - ebenda, S. 276. 15

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einzunehmen, geschweige denn von der besseren Gesellschaft frequentierte Lokale aufzusuchen. Am 29. November, also nach Ablauf der ersten zehn Tage ihres Berlin-Aufenthalts, heißt es im Tagebuch: Diesen Monath seit unserem Einzüge in unser Quartier, ohne Ausnahme, folgendes Leben geführt: Früh ziemlich spät uns aus den guten Betten erhoben. Darauf eine Waßersuppe, die Schöpp im Ofen gekocht. Gen halb l Uhr auf dem, an den Ofen gerükten, Tischgen: einen Schluk ordinairen Schnapps, Brodt und Butter (aus unserm Fäßchen) u. Saltz u. l Bout(eille) Bier, bei verschloßenen Thüren. Darauf (um uns nicht zu verrathen) eine Stunde oder länger auf den Straßen herumgelaufen, oder auf das Caffihaus (Freihaus) auf dem Schloßplatze, wo Caffe, Tabak, Zeitung etc. Das Abendeßen eben wieder so frugal wie zu Mittag lustig u. incognito am Ofen.

Am Ende dieser Eintragung findet sich die Bemerkung: „Vollendung meiner Ge(dicht) Abschreibung."21 Noch vor dem Eintreffen Loebens waren die Brüder in ein kleineres Zimmer im selben Haus, eine Stiege höher, umgezogen, um diesem das „elegantere", aber eben auch teuerere Logis zu überlassen.22 Bekannt ist die spöttische Bemerkung Clemens Brentanos über das Zusammenleben der beiden mit Loeben in Berlin in einem Brief an Wilhelm Grimm vom Februar 1810: „sämmtlich sehr guthmütige, etwas sehr üblige gute arme Schlucker, sie stecken in einer kleinen Stube, haben abwechselnd das Fieber, daß immer einer zu Haus bleibt, ich möchte schier fürchten, weil die drei Leute nur zwei Röcke haben".23 Tatsächlich war Joseph Anfang Dezember an einem schweren und äußerst schmerzhaften „Nervenfieber" erkrankt, das ihn wiederholt tagelang ans Bett fesselte und so den Berlinaufenthalt für Wochen überschattete. Am 23. Dezember feierte Berlin die Ankunft König Friedrich Wilhelms III. und der Königin Luise mit einem großen Festzug, wozu - wie das Tagebuch vermerkt - „auf unserer Straße schon 8-14 Tage vorher alle disponiblen Fenster ä 8 Rth. Cour(ant) vermiethet waren."24 Der Zug bewegte sich vom Königstor im Osten der Friedrichstadt über die Königstraße zum südlich des großen Stadtschlosses gelegenen Schloßplatz, so daß die Brüder Eichendorff zusammen mit Loeben und einigen bereits gewonnenen Bekannten die prächtige patriotische Inszenierung, sowie auch schon die Vorbereitungen dazu, bequem verfolgen konnten. Das Tagebuch vermittelt eine sehr detaillierte, präzise und lebendige Schilderung des Ereignisses. Bald nach Mittag setzte sich der Zug in Bewegung, „von allen Thürmen wehten weiße Fahnen, alle Gloken läuteten u. der himmlische Zug begann in der ganz gesäuberten Mitte der unübersehbaren Straße"; er wurde angeführt von „40 Postilions, welche rührend auf ihren Posthörnern bliesen" sowie einem besonders prächtig geschmückten Kürrassier-Regiment: und nun winkten alle Damen u. Zuschauer aus den Fenstern, u. folglich auch wir, die ganze Straße hinab mit den Schnupftüchern, welches hinreißend war, und ein fürchterliches VivatTagebücher, 29.11.1809 - ebenda, S. 277. Tagebücher, 6.12.1809 - ebenda, S. 278. Steig: Clemens Brentano und die Brüder Grimm., S. 86. Eichendorff: Tagebücher, 23.12.1809 - Werke in sechs Bänden, Bd. 5, S. 281.

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Gebrülle von dem gewaltsam heranströmenden Volke wälzte sich die Straße herauf: denn nun kam der König selber in einfacher Armeeuniform mit Tschaco zu Pferde u. hinter ihm die Prinzen, und 100 Generale, Kammerherren u. andere hohe Offiziers zu Pferde im dichtesten und brillantesten Gemisch. Zum Niederknten war es, wie nun der König, da eben der Zug etwas stokte, vor unseren Fenstern stehen blieb u. mit wahrhaft hohem Anstände nach allen Seiten hin grüßte, während die Schnupftücher immer fort winkten und das Volk rührend die Hüte schwenkte u. brüllte. Hinter dieser Suite des Königs kam nun die Königin in einem brillanten, gedekten Wagen mit 8 himmlischen Pferden, die so wie die 4 Bedienten, welche hinten standen, vor Silber strozten. (Diese Equipage, 20,000 Rth. an Werth, hatte die hiesige Bürgerschaft der Königin geschenkt u. bis vors Thor entgegengeschikt.) Ein Trupp von der brillanten Schützengilde zu Pferde begleitete den Wagen zu beiden Seiten, welches alles zusammen eine Gruppe von solchem Glänze bildete, daß die Augen wirklich geblendet wurden."

Es folgen genaue Beschreibungen der farbigen Uniformen und der Ausrüstung der Regimenter der verschiedenen Waffengattungen, der Schützengilde und der Nationalgarde. „Den Beschluß dieses erhebenden Zuges endlich machten die sämmtl(ichen) Zünfte der Stadt", worunter sich vor allem die Zimmerleute sowie die Schiffer und Schiffsbauer durch ein besonders farbenprächtiges Erscheinungsbild auszeichneten. Der Tag endete mit einer „himmlischen" Illumination der ganzen Stadt.26 Joseph von Eichendorff wird hier zum Chronisten jener romantisch-patriotischen Gefühlsbewegung, die auch vier Jahre später den Aufbruch Preußens in die Befreiungskriege prägen wird wie auch seine eigene Teilnahme daran, bis hin zu jenem „Paroxismus von Patriotismus", wie er es selbst bezeichnete,27 der ihn Ende April 1815 - vierzehn Tage nach der Hochzeit - dazu veranlaßte, seine schwangere Frau alleine in Berlin zurückzulassen und sich noch einmal Blüchers Armee im Kampf gegen den aus Elba zurückgekehrten Napoleon anzuschließen. Explizit mit dem Epitheton .romantisch' bezeichnet das Tagebuch schließlich eine andere Inszenierung, die die Brüder Eichendorff in Berlin sahen: Am 28. Februar 1810 besuchten sie zusammen mit Loeben und der Frau Adam Müllers im Opernhaus eine Aufführung des dort bereits 1806 mit großem Erfolg von Iffland in Szene gesetzten Dramas Martin Luther, oder: Die Weihe der Kraft von Zacharias Werner, worin Iffland auch die Hauptrolle übernommen hatte. Tief beeindruckt war Eichendorff wohl auch von dem national-historischen Stoff, den Werner hier, wenn auch sehr frei, bearbeitet hatte; in erster Linie aber von seiner Realisierung auf der Bühne. Der Tagebuch-Bericht konzentriert sich auf die Darstellung der zweiten, als „ächtromantisch" bezeichneten Szene des vierten Aktes, in der Luther nach seiner glücklichen Rettung vor dem Todesurteil durch den Kaiser in einem rührenden Familientableau im Kreis seiner Angehörigen und Freunde erscheint: „[...] mit Melancht{h)on u. seinem Vater Catharina zu Füßen, Therese u. Theobald (Mil. Schick) vom auf der Erde sizend u. ein Duett singend (himmlisch), hinten einer mit dem Ebenda, S. 282 Ebenda, S. 283. Brief an Philipp Veit, (Januar/Februar 1816) - Eichendorff: Sämtliche Werke (Historischkritische Ausgabe), Bd.12: Briefe 1794-1857. Text. Neuausgabe. Hrsg. von Sibylle von Steinsdorff. 1992, S. 64.

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Waldhorn accompagnirend [...]. Großer, pompöser Zug in achtem, reichstem Costum. Alle Kurfürsten etc. zu Pferde (geführt). Herrliche Figur des Kaisers (Bethmann) zu Pferde unterm Baldachin etc."28 Die Signatur des .Romantischen' bezeichnet in Eichendorffs durchgehend positivem Urteil über das Schauspiel also in besonderer Weise die Verbindung von Sprache und Musik; zur zweiten Szene des dritten Aktes vermerkt er nur „Das Gebet Luthers (Iffland) während die Flöte bläst."29 Eine kritische Auseinandersetzung mit der Person und dem Werk Zacharias Werners findet sich dagegen erst in seinen späten literarhistorischen Schriften, zuerst in der Abhandlung Zur Geschichte der neuern romantischen Poesie in Deutschland (1846).

Salongeselligkeit und die Begegnung mit Achim von Arnim und Clemens Brentano Bald nach seiner Ankunft in Berlin hatte sich Joseph von Eichendorff mit einem Empfehlungsschreiben seines Freundes Loeben bei Adam Müller eingeführt: „Ziemlich groß, freundliche Physiognomie, galant, ausgezeichnet fein und artig, Tabakschnupfend",30 resümiert das Tagebuch als ersten Eindruck der Person. Der junge Eichendorff ist fasziniert vom geistreich-witzigen Ton der Konversation Müllers. Nachdem dieser Loebens Brief „sehr aufmerksam" gelesen hatte, kreiste das Gespräch insbesondere um einige prominente Vertreter der älteren RomantikerGeneration; Eichendorff notiert Müllers „mit Laune" vorgetragene Bemerkungen über Friedrich Schlegel: „die Aermel aufstreifen - ein Eisenhämmerer, jezt embonpoint in Uniform in Troppau, Frömmler" und dessen Bruder August Wilhelm: „ ein aimable etourdi mit Brille, französisch sprechend", über Ludwig Tieck: „durchaus liebenswürdig, unausstehliche Gicht, herauszukommender Shakespear mit deutschen Noten, Leben etc. herrlich" und Alexander von Humboldt: „wißenschaftl. Muth, sonst unwissenschaftl. und unausstehlich sentimental".31 Die Rede ist außerdem von den aktuellen politischen Konstellationen und Müllers Kontakten zur Wiener Hofkanzlei. Der Antrittsbesuch - der Konvention entsprechend am späten Vormittag absolviert - dauerte nur knapp eine Stunde; gegen 12 Uhr verabschiedet sich Eichendorffund wird von Müller für den Abend zum Tee gebeten. Es folgen regelmäßige Besuche der Brüder Eichendorff im Hause Adam Müllers und seiner Frau Sophie, geschiedene von Haza. Bei einem dieser Tee-Abende, am 15. Dezember, lernen sie einen „Major von Kleist (ein schöner, großer, ernster Mann)"32 kennen. Bei ihm handelt es sich freilich nicht - wie bislang alle Eichendorff-Biographien und Tagebuch-Kommentare vermerken - um den Dichter Hein28

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Eichendorff: Tagebücher, 28. Februar 1810 - Werke in sechs Bänden, Bd. 5, S. 286. Zu den Illustrationen in der Erstausgabe des Dramas (1807) gehörte Übrigens auch eine Darstellung dieser Szene. Ebenda. Eichendorff: Tagebücher, 28. November 1809 - Werke in sechs Bänden, Bd. 5, S. 276. Alle Zitate ebenda S. 276. Tagebücher, 15. Dezember 1809 - ebenda, S. 280.

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rieh von Kleist, auf den weder die Beschreibung der äußeren Erscheinung noch auch der angegebene militärische Rang zutreffen,33 sondern mit höchster Wahrscheinlichkeit um dessen Vetter Friedrich Wilhelm Christian von Kleist (1764— 1829), den Gatten jener Marie von Kleist (geb. Gualtieri, 1761-1831), die dem Dichter besonders nahestand. Der Major von Kleist gehörte dem Regiment der Königlichen Leibgarde an, seine Frau stand in enger Beziehung zur Königin Luise, ebenso wie die ebenfalls bei dieser Abendgesellschaft anwesende Adolphine von Werdeck („dik u. kokkett spricht viel von ihren Reisen").34 Gewöhnlich trafen sich bei dem Staatsrechtler und Publizisten Müller Angehörige des Hofadels und Offiziere ebenso wie Literaten und Gelehrte. Bei ihm machte Eichendorff auch die Bekanntschaft des berühmten Predigers der Berliner französischen Gemeinde und späteren Universitätsprofessors Franz Theremin („galant, wenig sprechend, gutmüthig-listige Miene u. höchstangenehm u. anziehend") sowie des Arztes und Schriftstellers Karl Christian Wolfart, eines Mesmer-Schülers und später ebenfalls Universitätsprofessor in Berlin („klein, etwas schielend, leise sprechend, komisches, fast süßliches Benehmen").35 Für den Abend des 15. Dezember 1809 verzeichnet das Tagebuch wieder großes Vergnügen an der geistreichen Gesprächsführung Adam Müllers und dessen Talent zu Rezitation und Parodie; der Eintrag schließt mit der Bemerkung „Wir sizen alle in einem Halbzirkel um den Tisch u. es geht steif zu. Gen 10 Uhr fort".36 Eine Woche später lernen die Brüder zudem bei Müller dessen „langhalsigte Cousine, die gelehrte Consumsel. Mad. Sander mit passabeln Augen"37 kennen, die Gattin des Berliner Verlegers von Zacharias Werner, Johann Daniel Sander, die selbst einen sehr frequentierten Salon unterhält, zu dessen Gästen auch Heinrich von Kleist gehörte.38 Loeben erwähnt in seinem Tagebuch für die Monate Januar und Februar 1810 zahlreiche Besuche „bei der Sander", allerdings jeweils nur in Begleitung des „älteren Eichendorff, da Joseph wegen seiner schweren Erkrankung solchen Abendeinladungen über Wochen nicht Folge leisten konnte.39 Unter den von Loeben jeweils notierten Gästen findet sich der Name Kleist nicht (Heinrich von Kleist war übrigens während des ganzen Monats Januar auf Reisen und kehrte erst am 4.

Clemens Brentano beschrieb ihn wenig später in einem Brief an Wilhelm Grimm: „ein untersetzter Zweiunddreißiger, mit einem erlebten, runden, stumpfen Kopf; vgl. Steig: Clemens Brentano und die Brüder Grimm, S. 84—85. - Heinrich von Kleist war bereits am 4. April 1799 als „Secondelieutenant", d.h. so viel wie Unterleutnant, aus dem Militärdienst verabschiedet worden. Vgl. Heinrich von Kleist (Ausstellungskatalog), Nr. 27, S. 15. Den Hinweis auf den Irrtum der Eichendorff-Philologie verdanke ich Franz Heiduk (Würzburg). Eichendorff: Tagebücher, 15. Dezember 1809 - Werke in sechs Bänden, Bd. 5, S. 280. Tagebücher, 21. Dezember 1809 - ebenda, S. 281. Tagebücher, 15. Dezember 1809 - ebenda, S. 280. Tagebücher, 21. Dezember 1809 - ebenda, S. 281. Wilhelmy: Der Berliner Salon im 19. Jahrhundert, S. 816-820. - Die von Eichendorff verwendete Bezeichnung „gelehrte Consumsel" stammt vermutlich aus der Studentensprache, ist jedoch in einschlägigen Lexika nicht nachzuweisen; in Anlehnung an die lexikalische Bedeutung des Wortes .Konsum' auch als .wahlloses Verbrauchen' könnte hier etwa eine „gelehrte Vielrednerin" gemeint sein. Loeben: Tagebücher, Januar 1810, S. 84-88.

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Februar nach Berlin zurück). Loebens Tagebucheintrag über ein Abendessen bei Wolfart am 23. Februar erwähnt unter den Anwesenden neben Arnim, Brentano, Adam Müller und anderen auch den Namen Kleist und nennt - ohne weiteren Kommentar- als „Hauptpunkte des Gesprächs und Streits [...]: Die Vermählung der Erzherzogin, das hiesige Theater, die Nibelungen und Kleists Phlegma".40 Auch an jenem Abend hatte sich Wilhelm von Eichendorff Loeben wieder alleine angeschlossen, so ist es also durchaus möglich, daß er bei dieser Gelegenheit dem Dichter Kleist begegnet ist. Daß Joseph von Eichendorffdiesen in Berlin persönlich kennengelernt oder auch nur gesehen haben könnte, ist dagegen sehr unwahrscheinlich; für diese Zeit ist sein Tagebuch lückenlos überliefert - wenn auch für die Zeit seiner Bettlägerigkeit nur „das Notabieste" kursorisch zusammengefaßt ist41-, er hätte eine solche Begebenheit mit Sicherheit vermerkt. In der Auflistung der während seiner Krankheit „mit Heißhunger" verschlungenen Lektüre findet sich allerdings auch die von Kleist und Adam Müller gemeinsam herausgegebene, nur kurzlebige Zeitschrift Phöbus. Ein Journalför die Kunst.,42 deren letztes Heft im Februar 1809 erschienen war. Vermutlich waren es aber nicht nur die Einschränkungen durch seine Erkrankung, die Eichendorff davon abhielten, während seines Aufenthalts in Berlin auch Zugang zu anderen Zirkeln und bekannten Salons zu suchen. Der weitgehend bestimmende Kontakt blieb der zu Adam Müller, zu dem sich eine länger andauernde freundschaftliche Beziehung entwickelte; sie wurde im letzten Studienjahr der Brüder Eichendorff in Wien, wohin 1811 auch Müller übersiedelte, fortgesetzt und intensiviert. In den Gesprächen in Berlin hatte Müller - als entschiedener Gegner der Hardenbergschen Reformen - ausführlich seine konservativen „politischen Ansichten" entwickelt43 und damit Eichendorff wohl auch die kultur- und gesellschaftspolitischen Tendenzen vermittelt, auf denen die nur ein Jahr später, am 18. Januar 1811, von Achim von Arnim und Adam Müller gegründete ChristlichDeutsche Tischgesellschaft basierten. Am 14. Dezember 1809 hatten die Brüder erstmals eine besondere gesellschaftliche Attraktion dieses Berliner Winters besucht: Fichtes öffentliche Vorlesungen über die Wissenschaftslehre, die dieser „in einem tapezierten Säle des Pr(inz) Heinrichschen Palais von 1-2 Mittags las. Höchst komische, kleine, lahme Figur mit versoffner Nase in Spentzer u. Camaschen. Sonderbares Accentuiren"; die Tagebuchnotiz endet mit der unvermittelten Bemerkung: „Beim Herausgehen: Robert (ein Jude) gesehen."44 Gemeint ist Ludwig Robert (1778-1832), der jüngere Bruder Rahel Varnhagens, der sich als Schriftsteller bereits einen Namen im Berliner Literaturbetrieb gemacht hatte. Zwei Jahre später wird er in Eichendorffs Tagebuch nochmals - in noch deutlicher antisemitischem Kontext - erwähnt, in einem Resümee des ersten Besuches bei Adam

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Ebenda, S. 87. Eichendorff: Tagebücher, 24. Dezember 1809 bis [14. Februar 1810] - Werke in sechs Bänden, Bd. 5, S. 284-285. Ebenda, S. 285. Tagebücher, 2. März 1810 - ebenda, S. 287. Tagebücher, 16. Dezember 1809 - ebenda, S. 280-281.

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Müller in Wien am 5. August 1811: „Erinnerungen an Berlin. Amim hat Brentanos Schwester: Gurli Bettina geheirathet, der Jude Robert im breslauer Theater Prügel bekommen. Gelehrte Tischgesellschaft in Berlin, wovon alle Juden u. Philister ausgeschloßen. Müller giebt uns Brentanos Schrift über die Philister und seine Ode auf den Tod der Königin mit."45 Wie meistens in Eichendorffs Tagebuch bleibt auch dieser lakonische Bericht unkommentiert. Die Bemerkung über den Eklat im Breslauer Theater bezieht sich möglicherweise auf eine Aufführung des 1811 zuerst in Berlin inszenierten Dramas Die Tochter Jephla 's, worin Robert den biblischen Stoff als Folie zeitgenössischer Bezüge zur Niederlage Preußens benutzte.46 In seiner Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands hat Eichendorff Adam Müller in einem kurzen Kapitel zusammen mit Henrik Steffens und Joseph Görres behandelt und als seine „eigenthümliche Domaine [...] gleichsam die Anwendung der Romantik auf die geselligen und politischen Verhältnisse des Lebens" bezeichnet.47 Ausführlicher beschrieben werden in den Berliner Tagebuchblättern die wenigen, jedoch offensichtlich besonders wichtigen Treffen mit Clemens Brentano und Achim von Amim; erst aus dieser Zeit datiert eine persönliche Bekanntschaft, die für das Heidelberger Studienjahr noch nicht zu belegen ist. Nachdem Wilhelm von Eichendorff im Januar 1810 Brentano schon einmal bei einer Abendeinladung Adam Müllers begegnet war,48 stattete dieser am l. Februar dem jüngeren Bruder einen Krankenbesuch ab. „Im Februar", so vermerkt Joseph im Tagebuch, „besuchte uns einmal der herrliche Brentano. Sein Weltauslachen und sogenannte Grobheit bis zum göttlichen Wahnsinn. Er spielte Guitarre. Sein Bettler, blau, blau, König von Thule etc. himmlisch." Im Anschluß an diesen Besuch schickte Brentano mehrere Bücher, darunter auch „2 Theile des herrl. Simplicissimi".49 Kurz vor seiner Abreise sucht Joseph von Eichendorff noch einmal das persönliche Gespräch; er macht den beiden Freunden in ihrer gemeinsamen Wohnung einen Abschiedsbesuch - übrigens ohne die Begleitung seines Bruders oder Loebens. Am 2. März geht er früh in die weit entlegene Mauerstraße allein zu Arnim u. Brentano. Arnim in der dunklen Vorstube mich empfangend u. bald zu Brentano ins Nebenzimmer führend, der bei Versen tabakschmauchend hinterm Tisch an der spanischen Wand (mitten durch die Stube) saß. Chaos Tagebücher, 5. August 1811 - ebenda, S. 317. Vgl. hierzu auch den Beitrag von Stefan Nienhaus im vorliegenden Band. Günther Schiwys Vermutung, die Breslauer Attacke auf Ludwig Robert stehe in Zusammenhang mit dessen verschlüsselter Behandlung der „Affäre Itzig-Amim" in seinem Theaterstück Die Macht der Verhältnisse ist allerdings unzutreffend, da dieses Drama erst 1815 in Berlin uraufgeführt und 1819 gedruckt wurde. Vgl. Schiwy: Eichendorff, S. 290-291 sowie den Beitrag von Hildegard Baumgart im vorliegenden Band. Eichendorff: Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands - Sämtliche Werke (Historisch-kritische Ausgabe,) Bd. 9, S. 327-328. Loeben: Tagebücher, 16. Januar 1810, S. 84. Eichendorff: Tagebücher, [vor dem 15. Februar 1810] - Werke in sechs Bänden, Bd. 5, S. 285. Welche Lieder Brentano bei dieser Gelegenheit gesungen hat, bleibt unklar. Loeben, der auch anwesend war und auf den die genauere Datierung des Besuchs zurückgeht, notiert: „Brentano spielte und sang tausenderlei unvergleichliches und Lieblingssachen." Loeben: Tagebücher, I.Februar 1810, S. 85.

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von Guitarren, Büchern etc. Durchgehend treuherzig. Gespräche über Görres (Vergleichung mit den indischen Fetischen in Kupfern) über Schlesien. Arnim dabei auf dem Ofen sitzend.50 Am letzten Abend in Berlin besuchen die Brüder Eichendorff mit Brentano noch das „Theater des talentvollen Mahlers Schinkel"- Friedrich Schinkels berühmtes perspektivisches Panorama -; während Wilhelm anschließend noch zum abendlichen Zirkel bei Adam Müller geht, zieht sich Joseph mit Brentano und einem Freund Loebens in dessen Quartier zurück: „Tabak geschmaucht. Thee, Rum etc. Brentano ganz lebendig und treuherzig". Offensichtlich drehte sich das Gespräch zunächst um Berliner Klatsch und Erinnerungen an Heidelberg, doch dann erzählte Brentano „mir fast 2 Stunden lang in einem fort den Plan zu seinen Romantzen [vom Rosenkranz]" und als Eichendorff ihn später ein Stück auf seinem Heimweg begleitete, sprach man über „Märchen".51 Die beim ,,herzliche[n] Abschied" geäußerte Bitte Brentanos, „gewiß bald zu schreiben",52 hat Eichendorff offensichtlich nicht erfüllt. Zwar fand sich in seinem Nachlaß ein undatiertes, vielleicht noch 1810, eher 1811 verfaßtes Konzept zu einem vermutlich an Brentano gerichteten Brief, doch ist fraglich, ob dieser je fertiggestellt und abgeschickt worden ist: Ich fürchte, Sie haben mich längst vergessen, und ich bin nur selber schuld daran, weil ich mein Versprechen, Ihnen zu schreiben, so schlecht gehalten, ohne daß ich eigentlich selber weiß, wie es gekommen ist. Ich habe indes fortwährend an Sie gedacht, und mit mehr Liebe und Treue, als ich in allen Briefen hätte ausdrücken können. Die wenigen Stunden, die ich vor meiner Abreise von Berlin mit Ihnen zuzubringen das Glück hatte, werde ich niemals vergessen. Das frische, freie, reine, herrliche Wesen, das uns oft seltsam vorkommt, da uns doch im Gegenteil der altgewohnte, träge, trübselige und gottlose Schlendrian der anderen seltsam und fremde erscheinen sollte, hat mich im Innersten erquickt und erhoben, und ich habe nie eine Reise mit so schönen Hoffnungen und großen Entschlüssen angetreten, als jene." Es war wohl auch hier wie in anderen Fällen die selbsteingestandene „Briefstellerfauheit", genauer gesagt Eichendorffs ausgeprägte Scheu, Persönliches preiszugeben oder auch Probleme seiner literarischen Produktion in Briefen abzuhandeln, die hier die Entwicklung einer Korrespondenz verhindert hat. In Brentanos Nachlaß gibt es meines Wissens keine Hinweise auf einen Briefwechsel mit Eichendorff, er selbst hat 1849 in einem Brief an Carl von Holtei versichert, keine Briefe von Clemens Brentano zu besitzen.54 Auch der persönliche Kontakt zu Achim von Amim brach mit Eichendorffs Abreise aus Berlin am 4. März 1810 wieder ab; überliefert sind lediglich ,,freundschaftlichst[e]" beziehungsweise „gehorsamste]" Empfehlungen an die „Herren von Arnim und Brentano" in zwei Briefen an Savigny aus dem Jahr 1817.55 Umso intensiver und dauerhafter beschäftigt sich Eichendorff jedoch mit allen Neuerscheinungen aus Arnims Feder. 50 51 52 53 54 55

Eichendorff: Tagebücher, 2. März 1810 - Werke in sechs Bänden, Bd. 5, S. 287. Tagebücher, 3. März 1810 - ebenda, S. 287-288. Ebenda. Briefentwurf an Brentano 1810/11 - Sämtliche Werke (Historisch-kritische Ausgabe), Bd. 12: Briefe 1794-1857. Text. Neuausgabe. Hrsg. von Sibylle von Steinsdorff. 1992, S. 20. Brief an Holtei vom 9. Dezember 1849 - ebenda, S. 247-248. Briefe an Savigny vom 8. Mai 1817 und 30. Dezember 1817 - ebenda, S. 74 und S. 78.

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Ausblick: Arnims Wirkung auf das poetische Werk Joseph von Eichendorffs Am 7. März 1808 hatte Arnim aus Heidelberg an Bettine Brentano geschrieben: Es giebt hier viele junge Genies, die ich aber noch nicht kenne, ein Graf Loben aus Sachsen unter ändern, der ein Buch .Guido, vom Wachsthum der Bibel' herausgeben wird; wenn es nur nicht der Bibel wird weh thun, wie den Kindern der sogenannte Wachsthum. Zwei wunderliche Menschen sind um ihn, die ihn mit allen Dichtem, Tieck, Novalis u.s.w. zusammenhalten und ihn immer noch ein Stückchen größer finden, sie verbrauchen sein ganzes Wachsthum zu Wachslichten, um seinen Ruhm zu illuminiren."

Bei den beiden ,wunderlichen Menschen' im Gefolge des Grafen Lochen handelte es sich zweifellos um die Brüder Eichendorff. Vorausgegangen waren zwei kurze Begegnungen aus einiger Entfernung, die Joseph von Eichendorff in seinem Tagebuch vermerkte: Am 2. Februar 1808 hatten die Brüder zusammen mit Loeben „bey mildem Frühlingswetter" einen Spaziergang in die Umgebung Heidelbergs unternommen, „wo wir H. v. Arnim begegneten. Grüner polnischer Pelz. Groß, schön u. bedeutend, fast wie Leyßring",57 am 14. Februar- ebenfalls bei einer Wanderung mit den Freunden des Loeben-Kreises - trafen sie Amim „zu Schlitten" in Begleitung des Wünderhorn-Veneg/STS Zimmer58 und sahen ihn ein drittes Mal am 29. Februar unter den zahlreichen Hörern der Vorlesung, mit der Joseph Görres „sein himmlisches Collegium" des Wintersemesters 1807/1808 über Psychologie und Anthropologie beschloß.59 In der Erwähnung dieser zufalligen - und folgenlosen Zusammentreffen und der Hervorhebung der faszinierenden Erscheinung Arnims wird bereits die Bewunderung deutlich, die der zwanzigjährige Eichendorff dem sieben Jahre älteren Autor entgegenbrachte, der ihm bereits durch den ersten Band der zusammen mit Clemens Brentano herausgegebenen Sammlung Des Knaben Wunderhorn bekannt war. Amim weilte seit Mitte Januar in Heidelberg, um die Drucklegung des zweiten und dritten Bandes des Wunderhorns zu überwachen und seine Zeitungför Einsiedler vorzubereiten, die ab l. April erscheinen sollte. Auch Arnim hatte also die Brüder Eichendorff in Heidelberg bewußt wahrgenommen, allerdings nur als Adepten und Parteigänger des Grafen Loeben und seines Kreises, dessen manirierte poetische Attitüde und schwärmerische Novalis-Nachfolge ihn abstießen. Gewiß hätte es auch andere Begegnungsmöglichkeiten gegeben, etwa bei Görres, zu dessen Tee-Abenden Joseph und Wilhelm von Eichendorff als seine Schüler Zugang hatten, doch verließen die Brüder Heidelberg ja bereits am 5. April 1808 wieder; Clemens Brentano traf übrigens nach einjähriger Abwesenheit erst am 29. April 1808 dort ein.

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Steig/Grimm (Hrsg.): Achim von Amim und die ihm nahe standen, Bd. 2, S. 105. Eichendorff: Tagebücher, 2. Februar 1808 - Werke in sechs Bänden, Bd. 5, S. 250. - Christian August Joachim Leißring war ein bekannter Schauspieler, den Eichendorff vermutlich im Breslauer Theater gesehen hatte. Tagebücher, 14. Februar 1810 - ebenda, S. 251. Tagebücher, 29. Februar 1808 - ebenda, S. 253.

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Das Etikett der Lochen-Jüngerschaft haftet den Brüdern Eichendorff also noch bei ihrem Aufenthalt in Berlin im Winter 1809/1810 an, zumal sie auch hier wieder zusammen mit dem Grafen Loeben, dem „Lyricus mysticus"wie Brentano ihn bezeichnet, auftreten.60 Aus diesem Vorbehalt resultierte möglicherweise zunächst noch eine gewisse Reserviertheit, auf die Eichendorff in Berlin bei den beiden Freunden stieß; besonders erwähnenswert scheint mir in diesem Zusammenhang, daß er seinen Besuch in ihrer Wohnung in der Mauerstraße „allein" antrat, wie er im Tagebuch ausdrücklich festhält.61 Tatsächlich war zu dieser Zeit neben dem Einfluß des Loeben-Kreises längst auch die produktive Rezeption der WunderhornLektüre für ihn wirksam geworden. „Knabes Wunderhorn" vermerkt das Tagebuch Anfang Dezember 1807 erstmals die Lektüre des ersten Bandes,62 und die Notiz „Mein Singen: Da droben auf jenem Berge [...]", anläßlich einer Wanderung am 13. März 180S63 verweist auf eines der berühmtesten Gedichte aus dieser Sammlung, das zum Vorbild für Eichendorffs vermutlich 1810 entstandenes Lied „In einem kühlen Grunde [...]" wurde. Hartwig Schultz hat in seiner Edition der Gedichte Eichendorffs überzeugend nachgewiesen, daß mit dessen Rückkehr nach Lubowitz oder doch spätestens 1809 die nachhaltige Wirkung dieser Lektüre eintritt und zunehmend den volksliedhaften Ton seiner Lyrik bestimmt, demgegenüber später alle „weiteren Einflüsse, die sich in der Entwicklung von Eichendorffs Lyrik ausmachen lassen, [...] vergleichsweise bedeutungslos" sind.64 Die endgültige Ablösung des Autors Eichendorff vom Einfluß Loebens erfolgte mit der Entstehung seines Romans Ahnung und Gegenwart. Mit der Niederschrift begann Eichendorff vermutlich bald nach der Rückkehr von Berlin nach Lubowitz, im Frühjahr oder Sommer 1810, und beendete das Manuskript spätestens Ende 1812. In diese Zeit fällt auch die intensive Beschäftigung mit zwei Werken Achim von Arnims: mit dessen Novellensammlung Der Wintergarten (1809), deren Lektüre das Tagebuch unter dem 20. Dezember 1811 vermerkt,65 und mit seinem Roman Armut, Reichtum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores (erschienen zur Ostermesse 1810).66 Zu beiden Werken lassen sich in Ahnung und Gegenwart zahlreiche sachliche Bezüge und Anspielungen nachweisen,67 auch sind in den Gedichteinlagen stilistische Einflüsse der Dolores greifbar; entscheidend für unseren Zusammenhang ist jedoch der Wert, den der Erzähler im 12. Kapitel von Ahnung 60

Clemens Brentano an Wilhelm Grimm, Februar 1810 - Steig: Clemens Brentano und die Brüder Grimm, S. 84-91, hier S. 86. 61 Eichendorff: Tagebücher, 2. März 1810 - Werke in sechs Bänden, Bd. 5, S. 287. " Tagebücher, Dezember 1807 -ebenda, S. 248. 63 Ebenda, S. 252. M Gedichte. Hrsg. von Hartwig Schultz - ebenda, Bd. l, Kommentar S. 713-1218, hier S. 729. 65 Tagebücher, 20. Dezember 1811 - ebenda, Bd. 5,8.337. 66 Auf dem bereits erwähnten Konzept eines vermutlich an Brentano gerichteten Briefes von 1810 oder 1811 hat Eichendorff am Rand notiert: „Dolores. Ganz durchdrungen ins Leben. Ihr beide könnt wie Apostel nach entgegengesetzten Enden viel wirken. [...] Sie erkennen die Signatur aller Dinge etc: So sind Sie mir vorgekommen." - Sämtliche Werke (Historischkritische Ausgabe), Bd. 12: Briefe. Hrsg. von Wilhelm Kosch. 1910, S. 341-342. 67 Vgl. hierzu im einzelnen den Kommentar zu Ahnung und Gegenwart - ebenda, Bd. 3, S. 337502 (passim).

Eichendorffund die Romantik in Berlin 1809/1810

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und Gegenwart, in der Kritik des zeitgenössischen Literaturbetriebs, Arnims Roman zumißt. Dieses Kapitel führt den Leser in den literarischen Salon „einer Dame, die durch gelehrte Zirkel berüchtigt war",68 wo zunächst ein sogenanntes Tableau, ein .lebendes Bild', aufgeführt wird und sich anschließend mehrere junge Dichter produzieren - sie sind unschwer als Karikaturen der Freunde des Heidelberger Loeben-Kreises zu identifizieren; darunter auch ein „Dichter von mehr schmachtendem Anseh'n", der ein Assonanzenlied und ein Sonett im Loeben-Stil vorträgt und dem vom Erzähler in der Unterhaltung einige signifikante Schlagworte in den Mund gelegt werden: ,„mein ganzes Leben wird zum Roman'- ,überschwenglichreiches Gemüth' - ,Priesterleben'".69 In seiner Rezension des Romans in einem Brief an Eichendorff vom 20. Oktober 1814 bemerkt Loeben zu diesem Portrait: „Ich lasse mir es nicht nehmen, daß Du so im Schmachtenden eine kranke Lebensperiode eines Menschen darstellen wolltest, der mir allerdings näher steht als der nächste Herzensfreund - gestehe mir nur, daß ich recht habe." Eichendorff notiert am Rande dieses Briefes „Ja, Du hast recht, Du guter, lieber Freund"70 und formuliert den Sachverhalt in seiner Antwort vom 25. Dezember 1814 etwas moderator: Für Dein inniges Verständnis des Komischen und aller Persiflagen endlich danke ich Dir aufs allerherzlichste. S o allein wollt' ich sie genommen und durchdrungen wissen. Du hast in dem Dithyrambischsten unseren Strauss [Gerhard Friedrich Abraham Strauß] erkannt [...]. Unverkennbar allgemeiner ist der Schmachtende gehalten, und wenn ich dabei bisweilen wirklich an Dich, wie Du damals schienst, dachte (verzeihe es mir, lieber guter Freund! denn ich will es nicht leugnen), so habe ich doch eben so oft mich selber gemeint, wie schon die schmachtenden Probegedichte beweisen, die ich selbst in jener Periode gemacht habe."

Als bei dem „eßtheetischen Geschwätz"72 dieser Salon-Runde eine krittelnde Debatte über Amims Roman aufbricht, dem einige der Anwesenden - in Übereinstimmung mit zeitgenössischen Rezensionen - Ungeordnetheit und Unverständlichkeit, „Sonderbarkeiten, Verrenkungen und schreyende Uebertreibungen" vorwerfen, während ihn andere gerade als allzu prosaisch, phantasielos und moralisch ablehnen,73 hält Friedrich dem eine flammende Verteidigung entgegen, die umso mehr zur Hommage für Achim von Amim wird, als sie der Hauptfigur des Romans zugeordnet ist, in der autobiographische Züge sich auch mit vielfach nachzuweisenden Bezügen auf Amim verbinden; sie soll daher hier im vollen Wortlaut zitiert werden: Hier hielt sich Friedrich, der dieses Buch hoch in Ehren hielt, nicht länger. Alles ringsumher, sagte er, ist prosaisch und gemein, oder groß und herrlich, wie wir es verdrossen und träge oder begeistert ergreifen. Die größte Sünde aber unserer jetzigen Poesie ist meines Wissens die gänzliche Abstraktion, das abgestandene Leben, die leere, willkührliche, sich selbst zerstörende

Eichendorff: Ahnung und Gegenwart - ebenda, S. 138. Ebenda, S. 144. Briefe an Joseph von Eichendorff- ebenda, Bd. 13, S. 58-66, hier S. 63. Ebenda, Bd. 12: Briefe 1794-1857. Text. Neuausgabe. Hrsg. von Sibylle von Steinsdorff. 1992, S. 51-55, hier S. 53. Eichendorff: Ahnung und Gegenwart - ebenda, Bd. 3, S. 146. Ebenda, S. 153-154.

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Schwelgerey in Bildern. Die Poesie liegt vielmehr in einer fortwährend begeisterten Anschauung und Betrachtung der Welt und der menschlichen Dinge, sie liegt eben so sehr in der Gesinnung, als in den lieblichen Talenten, die erst durch die Art ihres Gebrauches groß werden. Wenn in einem sinnreichen, einfach-strengen, männlichen Gemüth auf solche Weise die Poesie wahrhaft lebendig wird, da verschwindet aller Zwiespalt: Moral, Schönheit, Tugend und Poesie wird alles Eins in den adelichen Gedanken, in der göttlichen sinnigen Lust und Freude und dann mag freylich das Gedicht erscheinen, wie ein in der Erde wohlgegründeter, tüchtiger, schlanker, hoher Baum, wo Grob und Fein erquicklich durcheinanderwächst und rauscht und sich rührt zu Gottes Lobe. Und so ist mir auch dieses Buch jedesmal vorgekommen, obgleich ich gem zugebe, daß der Autor in stolzer Sorglosigkeit sehr unbekümmert mit den Worten schaltet, und sich nur zu oft daran ergötzt, die kleinen Zauberdinger kurios auf den Kopf zu stellen.74

Von diesem frühen Bekenntnis zu Amim spannt sich der Bogen bis zu Eichendorffs literarhistorischen Schriften, deren Arnim-Kapitel die Formulierungen aus Ahnung und Gegenwart teilweise wörtlich wiederaufnehmen. Eine Orientierung an Werken Arnims läßt sich bei Eichendorff immer wieder, zumindest bis Anfang der vierziger Jahre, auch in Arbeitsnotizen zu Entwürfen oder Korrekturplänen feststellen. So sind vermutlich schon die Überschriften „Schatten-Spiel" beziehungsweise „Das Marmorbild, ein Schattenspiel oder eine Novelle" auf zwei fragmentarischen Entwürfen zu der 1817 fertiggestellten Novelle Das Marmorbild auf eine Auseinandersetzung mit dem Gattungsbegriff des .Schattenspiels' zurückzuführen, die durch Achim von Amims 1813 publizierte dramatische Satire Das Loch oder Das Wiedergefundene Paradies - Ein Schattenspiel angeregt wurden.75 Zu der etwa Mitte der dreißiger Jahre niedergeschriebenen, unvollendeten und erst aus Eichendorffs Nachlaß veröffentlichten Novelle Eine Meerfahrt gibt es unter den zahlreichen Entwürfen ein Blatt mit Notizen für eine Überarbeitung des Manuskripts; es beginnt mit den Worten ,J)as Gantze noch einmal umarbeiten! - Den Ton des Gantzen einfacher, ja rührend halten, wie in Amims Wintergarten [...]".76 Und schließlich findet sich in dem sogenannten Berliner Nachlaß Eichendorffs im Besitz der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz zu Berlin eine Skizze mit dem Titel Eine Tragikomödie wie Arnims Halle und Jerusalem, die in der Verbindung von autobiographisch unterlegtem .Studentenspiel', unglücklicher Liebesgeschichte und christlichen Läuterungserlebnis deutliche Parallelen zur Struktur des Arnimschen Dramas aufweist: Nemlich = Commers in Heidelberg (Eichendorff schrieb zunächst: Halle), der Held des Stücks ist Senior, hat einen Ekel an diesem dummen Gange u. stößt Alle vor den Kopf. (S. den Anfang eines alten Heidelberger Studenten-Körners.) - Da bricht der Krieg von 1813 aus. Der Held wird freiwilliger Jäger. Seine Großheit gegen den erbärmlichen Großsprecher, Philisterp, unter den Jägern, es enyirt ihn die Hohlheit, die Gemeinheit p. Er ist tapfer, wird Offizier, bekommt das eiserne Kreuz p. (Blücher kommt wie eine mystische sagenhafte Person mit vor) Da bekommt der Held, da alles gut geht, einen solchen Ekel vor diesem Weesen, daß er plötzlich fortgeht. Er hat eine -wahrhafte Liebe zu einem wunderbaren Mädchen, um das er aber geprellt 74 75 76

Ebenda, S. 154. Steinsdorff: Marmorbild, S.429. Steinsdorff: Meerfahrt, S.72.

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die Romantik in Berlin 1809/1810

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wird. Er wird undenkbar verhöhnt p. Da wird er Einsiedler, voll tiefen Menschenhaßes, wie Shakspears Timon. So wie sein Hochmuth kommt ihm plötzlich die Erleuchtung des Glaubens, die Religion, niederschmetternd, wie ein Blitz - da stirbt er bekehrt und seelig.77

Auch auf einer nicht weiter ausgeführten Skizze zu einer „Novelle aus dem 30jährigen Kriege", für die die Ausarbeitung als Lustspiel erwogen wird, notiert Eichendorff: „Oder= eine ganz freie Tragikomm[ö]die wie Arnims Halle u. Jerusalem! -"78 Den Befunden kann an dieser Stelle nicht weiter nachgegangen werden; sie belegen aber - neben den zahlreichen Bezügen in ausgeführten Werken - deutlich, daß wohl kein anderer zeitgenössischer Autor das poetische Werk Eichendorffs wie auch sein Selbstverständnis als Dichter stärker beeinflußt und nachhaltiger geprägt hat als Achim von Arnim. In Eichendorffs Besitz befanden sich im übrigen Ausgaben aller von ihm hier zitierten Werke: Das als Typoskript erhaltene Verzeichnis der von seinem Enkel Carl von Eichendorff dem Eichendorff-Museum in Neisse übergebenen Handbibliothek verzeichnet fünf Titel Amims - so viele wie von keinem anderen Autor seiner Zeit: neben den Erstausgaben von Halle und Jerusalem (1811), dem Wintergarten (1809) und dem ersten Band der Gräfin Dolores (1810) auch den ersten Band der Schaubühne (1813) sowie den ersten Band der Ausgewählten Novellen (1853). Wolfram Mauser hat darauf aufmerksam gemacht, daß Eichendorff sich in seiner Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands in dem Kapitel über Arnim „auf eine ausgedehnte Kenntnis von Arnims Werken" stützt und daher dort kaum - wie im übrigen fast durchgehend - nach der von ihm für dieses Werk benutzten Literaturgeschichte von Heinrich Geizer zitiert.79 Für Eichendorff repräsentiert Achim von Arnim unter seinen Zeitgenossen „die Romantik am reinsten und gesündesten", da poetische Inspiration und dichterische Gestaltungskraft in seinem Werk nie zum Selbstzweck werden, sondern stets an die Beobachtung der Realität gebunden bleiben, wie etwa auch die Behandlung historischer Stoffe stets auf die Gegenwart bezogen ist. Die Vorbildlichkeit des Dichters Achim von Arnim liegt für Eichendorff jedoch vor allem in der „Unabhängigkeit und Wahrhaftigkeit der Gesinnung" - „Die Kraft seiner Dichtung überhaupt ist ihr ethisches Element."80

77 78 79

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Kommentar zu Eichendorff: Das Incognito - Werke in sechs Bänden, Bd. 4, S. 986-1060, hier S. 993-994. Kommentar zu Eichendorff: [Unstern] - ebenda, Bd. 5, S. 1022-1031, hier S. 1023. Geizer. Die neuere deutsche National-Literatur nach ihren ethischen und religiösen Gesichtspunkten. Zur inneren Geschichte des deutschen Protestantismus (2 Tie. 1847/49) - vgl. Eichendorff: Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands - Sämtliche Werke (Historischkritische Ausgabe), Bd. 9, S. 604. Ebenda, S. 331-342.

Roger Paulin Arnim und Tieck

Vor zwanzig Jahren bemerkte der verdiente Arnim-Forscher Hermann F. Weiss: „Tiecks Einfluß auf Arnim, der ihn schon 1799 bei Reichardts kennenlernte, bedarf einer näheren Untersuchung".1 Etwa zwanzig Jahre vorher hatte Werner Vordtriede zum Stichwort „Tieck" im Register seiner Arnim-und-Bettina-Briefausgabe moniert: „Sein Einfluß auf Amim ist nicht zu unterschätzen".2 Für Arnim ist Tieck trotz Vorbehalte - immer der große romantische Poet gewesen, und diesem Vorbild hat er doch irgendwie die Treue gehalten. Er lernte ihn im romantischen Giebichensteiner Dichterparadies kennen, ein Jahr nach Erscheinen des Sternbald; und Sternbald war auch seine letzte Lektüre.3 Ich beschränke mich auf einen knappen Umriß der Beziehungen dieser beiden Romantiker zueinander, vor allem in der Zeit 181119, der Zeit von Tiecks Phantasus und Arnims Erzähl- und Dramensammlungen. Schon die älteren Briefausgaben - etwa Holtei oder Steig - unterrichteten über die Etappen ihrer Begegnungen und Zusammenkünfte. Erst durch moderne Editionen der Korrespondenzen beider und eine rigorosere Bemühung um die biographische Struktur beider Leben sind wir allerdings in der Lage, Gemeinsamkeiten und Differenzen bei Arnim und Tieck in ihrer Gesamtheit zu überschauen. Mein Entschluß - nicht einhellig von der Tieckforschung begrüßt - Tieck biographisch zu erfassen, nicht werkchronologisch, erwuchs aus der Einsicht, daß er, wie Arnim, „nicht nur Poet" sei und daß Werkausgaben und Werkstudien der Vielfalt seiner literarischen und belletristischen Bemühungen allein nicht gerecht würden. Ich meine, Amim und Tieck - bei aller Verschiedenheit ihrer künstlerischen und vor allem ihrer politischen Horizonte - eignen sich besonders zu dieser 'gemischten1 Behandlungsweise. Zuerst einige biographische Gemeinsamkeiten. Beide sind Berliner, allerdings aus ganz verschiedenen Verhältnissen. Beide sind Produkte der preußischen Schulreform und ihrer gestrengen Schulmänner (Gedike bzw. Meierotto). In diesem Schulsystem berühren sich Adel (im Falle Tiecks denke man an den Schulfreund Wilhelm von Burgsdorff) und Bürgertum, auch später auf der Universität, und spiegeln die Lockerung der alten ständischen Ordnungen wider, für die die verschiedenen Romantikergruppen symptomatisch sind. Die Schulbildung beider öffnet den Blick für einen literarischen Kanon, der nicht nur das klassisch-antike Erbe oder die Nationalliteratur umfaßt, sondern einen Sinn für Weltliteratur entwik1 2 3

Weiss (Hrsg.): Unveröffentlichte Briefe Achim von Arnims, S. 158. Amim und Brentano: Achim und Bettina in ihren Briefen: Bd. 2, S. 982. Ebenda, S. 930. Freundlicher Hinweis von Ulfert Ricklefs.

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Roger Paulin

kein läßt (das Humboldtsche Gymnasium tut das nicht mehr in dem Maße). Als preußische Landeskinder studieren beide in Halle, aber das entscheidende Bildungserlebnis ist für beide das Studium in Göttingen, das ästhetische hingegen in Süddeutschland, in Erlangen (für Tieck) und Heidelberg (für Arnim). Bei näherem Besehen geben diese rein biographischen Berührungspunkte jedoch keine festen Anhaltspunkte. Die sieben Jahre, die Tieck und Arnim trennen, sind entscheidend. Als Arnim Tieck 1799 kennenlernt, hat dieser schon zwei Etappen seiner literarischen Karriere hinter sich. Er ist bereits der Autor zweier Sammlungen, an denen man die Wandlungsprozesse der literarischen Romantik ablesen kann: Volksmährchen (1797) und Romantische Dichtungen (1. Band 1799). Im Gegensatz zu den Brüdern Schlegel oder Novalis bleibt Tieck die große literarische Bezugsperson; gleichgültig, in welche Richtung Arnim als Dichter auch vorstößt, Tieck ist irgendwie schon dagewesen. Tieck hat nicht Arnims technisches Wissen auf den Gebieten der Musik, ganz zu schweigen von den Naturwissenschaften - nur in Kunstkenntnissen ist er ihm überlegen -, aber er versteht schon, es dichterisch zu kombinieren und aufeinander einwirken zu lassen. Arnims Erzählungen von Schauspielen haben etwas von Tiecks Briefen über W. Shakespeare, noch mehr von den damals unbekannten Pariser Briefen Burgsdorffs an Tieck. Die Minnelieder aus dem Schwäbischen Zeitalter (1803) stehen Arnims Volkslieder- und Dramensammlungen Pate. Das Wunderhorn als Leistung, und Arnims und Brentanos Unterstützung, regen seinerseits den inzwischen lebenslahmen und inspirationsbedürftigen Tieck zu seinen vielen Editionsplänen der ersten Dresdner und Ziebinger Jahre an: die nie vollendeten Nibelungenlied- und Heldenbuch-Editionen und Ulrich von Lichtenstein, und die ersten Ausgaben der Shakespeareana. Nicht Büsching oder Gräter oder von der Hagen, sondern Arnims Zeitung für Einsiedler druckt das einzige zu Tiecks Lebzeiten veröffentlichte Fragment vom Heldenbuch. Das Tiecksche Großdrama u. a. liefert den Rahmen für Arnims gewagtestes Experiment, eine Erneuerung des Barockdramas mit Erlösungsspiel und zugleich einer Wiederbelebung der Volkslegende: das Doppeldrama Halle und Jerusalem. Tieck wird später die Wirkungen seiner Genoveva auf die jüngere Dichtergeneration beklagen und sie als „das Heer jener katholischen Dichter, die nicht wissen, was sie wollen",4 abqualifizieren. Sein Deutsches Theater (1817) zeigt wiederum, daß sich Texteditionen, nicht Textadaptationen, zur Herstellung von poetischen Kontinuitätslinien eignen. Bekanntlich bespricht 1818 Arnim dieses Werk von Tieck.5 Nimmt man die damals gedruckten, aber auch die unveröffentlichten, meistens brieflichen Äußerungen beider Dichter über Theater und Schauspielkunst - darunter die Briefe beider aus London und Paris - von den schon erwähnten Erzählungen von Schauspielen bis hin zu Tiecks Dramaturgischen Blättern (1826) -, so hat man eine Vorstellung dessen, was diese Romantiker vom Theater entfernt, aber auch von dem, was romantische Dramatiker an Anregungen für die Erneuerung der deutschen Bühne aufbieten können. Beide schreiben nicht für eine wirkliche Bühne. Nicht einmal der

4 5

Tieck/Solger: The Complete Correspondence, S. 334. Amim: Werke in sechs Bänden, Bd. 6, S. 630-633.

Arnim und Tieck

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unruhige Geist Reichardt ist imstande, das romantische Drama dieser Prägung bühnengerecht zu inszenieren. Denkbar ist es, daß es Arnims Aufgreifen des Novellenkranzes war, in seinem Wintergarten, das seinerseits Tiecks Phantasus anregte. Dennoch sind diese Sammlungen sehr unterschiedlich: Amim trägt weitgehend altes Erzählgut zusammen; Tieck sammelt das eigene romantische Werk - darunter allerdings Bearbeitungen von Volksbuchstoffen - und bindet es in ein Rahmengespräch ein, das sein neugewonnenes romantisches Selbstverständnis kundtut. In der Tat will es scheinen, als ob Arnim und Tieck in der Zeit von Phantasus und der Novellensammlung von 1812 ideologisch weit voneinander stehen. Arnim hat jedoch, der Forschung längst bekannt, ganz gewiß Tiecks Phantasus-No\e\\e Liebeszauber mit Aufmerksamkeit gelesen. Aber Tiecks ,Novellenwende' von 1817, die verschiedenen Amimschen Taschenbuchnovellen und Landhausleben, sowie die Tieckschen Novellen aus Dresden, stehen dennoch im engen Verhältnis zueinander und bilden zusammen einen bedeutenden Korpus spätromantischer Gesellschaftsnovellistik - und vieles mehr. Die Tatsache, daß Arnim Tiecks Dresdner Gesprächs- und Gesellschaftsnovelle Die Verlobung (1823) in seinem Landhausleben kritisch erwähnt,6 steht hierzu in keinem Widerspruch. Dennoch täuscht dieses Bild literarischer Gemeinsamkeiten und Bestreben. Auf persönlicher Ebene ist es genauso. Man stößt zwar auf Namen und Gestalten, die für Arnim sowie für Tieck zum Freundschafts- oder Bekanntenkreis gehören: der schon erwähnte Reichardt, Runge, von der Hagen, Kleist, Raumer. Nehmen wir ein paar von diesen Namen als Beispiele heraus, so sehen wir, wie verschieden sie in Tiecks und Arnims Perspektiven figurieren. Runge steht exemplarisch für die verschiedene Art und Weise, wie Tieck und Arnim auf Kunst reagieren. Tieck fungiert anregend und animierend für Runge - vielleicht auch für Caspar David Friedrich - kurz und entscheidend in den Jahren 1802-1803, danach nicht mehr. Es ist Teil seines langen Schweigens in Kunstsachen und seiner nachhaltigen Ablehnung der Folgen seiner eigenen Phantasus- und Sternbald-Phasen. Er hat kein Verständnis für Nazarener. Er ärgert sich über Goethes Italienische Reise nur deshalb, weil er in Goethes Bericht eine Verhöhnung echter religiöser Kunst der großen italienischen Schulen herauszuhören vermeint: über neudeutsch religiöse Kunst steht er Goethe keineswegs so weit entfernt. Ganz anders Arnim, der diese Künstlergeneration, der er auch altersmäßig nähersteht, wohlwollend rezipiert. Wenn aber später Amim den Anekdotenschatz um Raphael und Rembrandt zum Gegenstand von Novellen wählt, steht er in der Themenwahl Tieck nahe, wenn auch nicht in der allgemeinen Ausrichtung der Erzählung. Denn auch Tieck ist in seinen späten Novellen um die Herausbildung eines Kanons kultureller Leitfiguren bemüht, allerdings eines poetischen. Es ist daher nicht ganz ohne Sinn, Tiecks Dichterleben (Shakespeare) und Tod des Dichters (Camöes) mit Amims Raphael und seine Nachbarinnen und Rembrandts Versteigerung als Teil eines historisierenden, aber auch hagiographischen und kanonischen (Herzensergießungenl) Prozesses zu betrachten. Ebenda, Bd. 4, S. 722-723.

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Wo Tieck und Arnim auffallend zu divergieren scheinen, ist im Bereich der Politik. Man könnte das allerdings auf die Formel bringen: Arnim ist politisch aktiv, Tieck ganz und gar nicht. Tieck in seinem Ziebinger Musenhof, auf den Gütern der Finckenstein, scheint sich sogar hinter der alten ständischen Ordnung zu verschanzen. Später versucht er sich zwar dem Freund Solger gegenüber zu rechtfertigen, daß seine „Hypochondrie",7 d. h. sein Gesundheitszustand in den Krisenjahren der Frühromantik, ihn davon abgehalten habe, seinen Patriotismus und Franzosenhaß offen zu bekennen. Ich glaube das nicht ganz. Tieck läßt nämlich Leute fallen, wenn sie sich politisch zu stark engagieren oder ihm sonst unbequem werden. Nehmen wir den Fall Reichardt. Tieck als junger Poet ist Reichardt vielfach künstlerisch und gesellschaftlich verpflichtet; Tieck wie später Amim kennt als Hallenser Student das Giebichensteiner Dichterparadies. Der spätere, politische Reichardt, für Arnim hochinteressant, bleibt Tieck verschlossen. Arnim ist es bezeichnenderweise, der leidenschaftlich an Reichardts Verfolgung und Wanderexistenz sowie an seiner späteren politischen und musikalischen Entwicklung teilnimmt. Auf ähnliche Weise, bei Kleist, steht für Tieck der Dichter fest im Augenmerk, nicht der gescheiterte Patriot. Zwar werden Kleists vaterländische Verdienste in Tiecks Biographie von 1821 erwähnt, etwa das Widrige der Zeitumstände, die Indifferenz der Herrscher. Dennoch wird letzten Endes nur dem Dichter Kleist die Anerkennung zugebilligt; der Mensch fällt nach Tiecks Kriterien eher negativ aus. Unnötig, hier den Unterschied zu Arnim zu unterstreichen: Er ist in die Abendblätter-Affäre direkt verwikkelt. Interessanterweise bedeutet diese Episode die entscheidende Wende in der Karriere Friedrich von Raumers, eines Jugendfreundes Arnims aus der Schul- und Universitätszeit. Der ehemalige Regierungsrat bei Hardenberg interpretiert bekanntlich die politische Lage anders als Kleist und Arnim (Stichwort: „echte Geschicklichkeit zum Verbessern").8 Er verläßt den politischen Staatsdienst, wird Professor in Breslau, dann in Berlin, von wo aus er Tieck über das politische, intellektuelle und kulturelle Leben der Hauptstadt informiert. An diesem Briefwechsel ist Raumers gemäßigter Liberalismus und Tiecks zunehmender Konservatismus gut abzulesen. Er übernimmt die Funktion, die der 1819 gestorbene Karl Wilhelm Ferdinand Solger vorher eingenommen hatte: als Mensch, als Resonanzboden, als kultureller Beobachter. Solger ist der Verfasser von einem unvollendeten Aufsatz Über patriotischen Enthusiasmus (1826 veröffentlicht), in dem er „Klarheit und Besonnenheit" der „menschlichen Willkür" und dem „Eigennutz" gegenüberstellt.9 Es geht hieraus und aus seinem Briefwechsel mit Tieck hervor, daß er „persönliche Bestrebungen" „dem allgemeinen Zwecke des Staats" unterordnet,10 nicht umgekehrt, daß die Vaterlandsliebe, die er mit Tieck teilt, auf bestehenden Ordnungen und Hierarchien beruht. Solger ist Mitglied von der „Christlichdeutschen Tisch-

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Tieck/Solger: The Complete Correspondence, S. 205. Raumer: Lebenserinnerungen und Briefwechsel, Bd. 2, S. 193. Solger: Nachgelassene Schriften und Briefwechsel, Bd. 2, S. 387^23, hier S. 410f., 417. Ebenda, S. 409.

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gesellschaft";11 er ist aber gegen jegliche „anarchischen und volkstümlichen Thorheiten"12 und alle politischen Umtriebe. Gesellschaftlich, konkret in der Judenfrage beispielsweise, ist er wie fast alle seiner Zeit. Wenn er Tieck informiert, er habe in Berlin eine Sommerwohnung bezogen, aber nicht in Tiergarten-Nähe, wo sich „Juden und Judengenossen"13 befinden, so rechnet er mit Tiecks Verständnis. Man ist, wie diese ganze Generation, nicht eben judenfreundlich, nur läßt man sich nicht zu Äußerungen wie Arnims herab, auch wenn man ihnen vielleicht doch innerlich beistimmt. In Tiecks Briefen an Solger wird die ganze dichtende Jugend, zu der er Amim zählt, über einen Kamm geschoren und verworfen. Hierzu ist allerdings anzumerken, daß Tiecks Haltung nicht ohne Eigennutz und Selbstgerechtigkeit ist: er hat sich inzwischen mit dem ganzen Brentano-Savigny-Clan überwerfen und ist in eine peinliche SchuldafFäre mit Savigny verstrickt. Die boshafte Bemerkung an Solger, die Brentanos seien aus „uraltem Affen-Incest [...] gesprungen",14 ist auf wenig ruhmvolle Weise persönlich motiviert. Die Zugehörigkeit Amims zum Brentano-Clan allein kann die Härten Tiecks gegen ihn in den Jahren 1811-17 nicht erklären. Man darf aber davon ausgehen, daß er Arnim nicht pauschal ablehnte, sondern seine Werke las und rezipierte. Der Auktions-Katalog (Catalogue de la bibliotheque celebre de M. Tieck) von 184915 enthält neben Hollins Liebeleben, der Zeitung für Einsiedler und der Gräfin Dolores (letztere wohl von Arnim persönlich überreicht)16 die Novellen von 1812, die Dramen von 1813, die Kronenwächter von 1817; später schafft er Teile der Grimmschen Ausgabe an. Trotzdem wird kein einziges Werk von Arnim in den Briefen an Solger erwähnt. Man gewinnt eher den Eindruck, als müsse Amim für die vermeintlichen poetischen Sünden einer jungen Dichtergeneration herhalten. 1814 in einem Brief an Solger spielt Tieck mit dem Gedanken, seinen noch nicht vollendeten Phantasus um eine Neubearbeitung von seinem satirischen Drama Prinz Zerbino aus dem Jahre 1799 zu ergänzen: Lieber den Zerbino möcht" ich wohl von Ihnen hören, die neue Ausgabe ist nur noch projektirt, und wird wenigstens noch ein Jahr hinausgeschoben: ich möchte manches auslassen und noch mehr zusetzen. Wie denken Sie darüber, wenn man sich keiner Bosheit bewußt ist, auch gleichsamige gute Freunde zu necken? Ich habe seit lange Einfalle über die Amimsche Poesie, die mir komisch vorkommen [...]. Wie sieht es namentlich mit unsem neusten historischen und politischen Schriftstellern aus? Statt der Schmiede, die mir ganz verfehlt scheint, möchte wohl die Voss[ische] Übersetzer-Schule [...] besser figuriren. Dann die neuen Pädagogen und Pestalozzi's, Volks-Erzieher, Regenten-Führer; und - womit ich vielleicht ganz bei Ihnen ausstieße, - die Seite in Fichte's Reden an die Deutschen über Erziehung.17

1

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Freundliche Mitteilung von Stefan Nienhaus. Tieck/Solger: The Complete Correspondence, S. 100. 13 Ebenda, S.414. " Ebenda, S. 437. 15 Cohn: Catalogue de la bibliotheque celebre, S. 4. 16 Weiss (Hrsg.): Unveröffentlichte Briefe Achim von Amims, S. 157. 17 Tieck/Solger: The Complete Correspondence, S. 106. 12

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1816 ist von diesem - nie ausgeführten - Plan weiter die Rede: „Ich wollte die neuere Erziehungskrankheit, die neue Deutschheit, die neue Fouques-manie, den Arnim und Brent. die pedantischen Windbeutel noch einfuhren".18 1815 heißt es einfach: „Verzeihen Sie mein wildes Geschwätz. Ich weiß nicht wie ich in diese Brentano-Arnim[sche] Manier verfalle, vielleicht aus Haß dagegen".19 Wiederum wird deutlich, daß Tieck hier eher von einer zum Zerrbild erhärteten Vorstellung von Brentano ausgeht - sie hatten sich zuletzt 1813 in Prag getroffen -, die er auf Arnim einfach überträgt. Es ist sozusagen die Kehrseite von der fraternalen Poesie! Wenn er Fichte und Fouque, ja sogar die Voss-Söhne, heranzieht, so erkennt man, wie sehr sich Tieck auf alte romantische Positionen beruft, dafür einige durch die Romantik von Jena hervorgerufene extreme Entwicklungen wegwünscht. Die Trinksprüche im Phantasus auf die Brüder Schlegel, sogar auf Goethe, Schiller und Jean Paul, bestätigen das. Konkret wird Tiecks Ablehnung in einer Briefstelle aus dem Jahre 1818, in dem er eindeutig gegen Görres Stellung nimmt: Ich habe die Vorrede des Görres zu seinem Lohengrin gelesen, das alt-deutsche Gedicht, welches er 1812 herausgab, und wo er auch Parcival und Titurel karaktrisirt. Es giebt doch nichts so unersprießliches, als diesen Mißbrauch derCombinationsgabc, die sich am Ende aber auch jedem beibringen läßt, und die sich jeder selbst mit historischen und mythologischen Lexicis zur Seite machen kann. Wenn auf diese Weise alles Eins ist, so giebt es so wenig ein Eins wie das All: ich kann mir vorstellen, daß ein Lombrespiel geistreicher und tiefsinniger ist. Es ist weit größere Kunst, auch den geringfügigsten Gegenstand in sich selber recht klar zu entwickeln und interessant zu machen, als so altes und neues Testament, Mittel-Alter und Indien, Mythologie und Platonismus zu verknüpfen, und eins mit dem andren abzuschlachten.20

Diese Passage ist Teil von Tiecks großem Bekenntnis an Solger von seiner Überwindung aller Mystik, zu der ihm Solgers Erwin verhelfen haben soll. Gewiß herrscht hier eine Amnäsie den eigenen frühromantischen Großdramen gegenüber, in denen die Mythologien durcheinanderspielen (bezeichnenderweise werden diese Stücke nicht in Phantasus aufgenommen). Gerade dieses Ineinander von Mythen, Sagen, Traditionen und Volksdichtungen hatte Arnim, durch Görres' Mythengeschichte bekräftigt, für seine eigene poetische Welt aktualisiert. Wo er „RegentenFührer" und „Volkserzieher" ablehnt, wie steht es mit Tiecks eigenen politischen Ansichten? In seiner Ablehnung von Goethes Italienischer Reise ist von „Religion und Sitte und Vaterland", die bei Goethe fehlen sollen, die Rede oder gar von „ohne Vaterland kein Dichter".21 Ähnliche Sprüche waren im Phantasus-Rahmen nachzulesen. 1816 schreibt er an Solger: Sie sehn hier meine Hypochondrie, die doch eins mit meinem Aberglauben ist, und die mich seit zwanzig Jahren dahin bringt, den Verächtern der Deutschen als ein Enthusiast und fanatischer German, und den leeren vaterländischen Sanguinikern und blinden Patrioten [...] als ein kalter unentschlossener Mensch zu erscheinen, der nicht fähig ist, der guten Sache beizutreten.

" Ebenda, S. 211. 19 Ebenda, S. 168. 20 Ebenda, S. 445. 21 Ebenda, S. 316-317.

Arnim und Tieck

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So stehe ich seit 1806 in meinem Haß gegen die Franzosen und in meiner Vorliebe für Deutschland, besonders hier, sehr einzeln, weil ich mich den Unruhigen hier nie habe deutlich machen können. Wohl wäre ich begierig, ob wir in den Ansichten der Geschichte einig werden könnten. Wir stritten über Machiavell. In seiner Größe scheint er mir doch das ausgesprochene Böse der neuen Welt; ich muß zweifeln, ob diese Politik da seyn soll, obgleich die Römer sie hatten und durch sie herrschten. Die neuere Geschichtsforschung hat seinen Verstand und seine tiefe Consequenz zum Heiligenschein umbiegen wollen: er ist mir das Auge seiner Zeit, und er leuchtet und blickt als der wahre Verständige immer noch zu uns herüber, und auch wohl noch in die Zukunft hinein."

Nicht sein Patriotismus trennt ihn also von der politischen Romantik in Berlin, sondern der Zweifel an der politischen Realisierbarkeit ihrer Hoffnungen. Daher die Berufung auf Machiavelli. Der Briefwechsel mit Solger, einer Figur, die zwischen allen Parteien steht, der aber auch „demagogische Umtriebe" ablehnt,23 ist für Tieck der Umschlageplatz für Gedanken und Ansichten, die er erst einmal nicht an die Öffentlichkeit bringt. Erst die Publikation von Solgers Nachgelassenen Schriften und Briefwechsel im Jahre 1826 - eine Aktion, die Parallelen hat zu Goethes Veröffentlichung seines Briefwechsels mit Schiller 1828-1829 - macht Tiecks eigentliche Position in den Jahren 1811-1817 deutlich - bei aller Selbstzensur und Streichung allzu penetranter Stellen. Die Passagen über Arnim verzichten jetzt auf direkte Namensnennung, aber man könnte mit geringer Phantasie sich denken, wer gemeint ist. Die Stellen über Goethe und Görres aber werden belassen.24 Amim hatte indessen allen Grund, Tieck böse zu sein. Schon 1809 mußte er durch Brentano erfahren, wie wenig ihn Tieck als Dichter schätzte. Arnims Replik ist das bekannte Wort vom „alten Jenenser Tieckioschlegel",25 nur schränkt Amim dies ein, indem er zugibt, von Tieck doch einiges gelernt zu haben. Resigniert muß er zugeben, „daß meine Freundschaft für ihn großenteils nur auf meiner Seite gewesen".26 Tieck, der die Reise von Ziebingen nach Berlin - und später sogar nach London und Paris - nicht scheute, hatte z.B. Arnim in Wiepersdorf nie besucht. Endlich 1812 brach Tieck seine langes Schweigen vor dem Leserpublikum, schloß seine Mittelalter-Studien mit Ulrich von Lichtenstein ab und legte sein romantisches Credo erneut mit den ersten beiden Bänden des Phantasus dar. Lichtenstein wird von Arnim positiver aufgenommen als der Phantasus. Zum einen ist es für seinen historischen Poesiebegriff von Bedeutung, den Minnesang als weitverbreitetes Phänomen zu erkennen, nicht als nur höfische Erscheinung;27 zum anderen muß er von Jacob Grimm erfahren, daß im Mittelalter kein Unterschied zwischen Singen und Dichten bestehe, daß aber Dichterschulen, wie sie den Minnesang hervorbrachten, eigentlich Teil sind eines kontinuierlichen Dichtungsprozesses, von den Skalden bis hin zum Meistersang. Das sind Erkenntnisse, die die Lektüre von Tieck 22 23 24 25 26 27

Ebenda, S. 205-206. Ebenda, S. 559. Solger: Nachgelassene Schriften und Briefwechsel, Bd. 2, S. 301 (Amim), 637 (Görres), 486489 (Goethe). Steig/Grimm (Hrsg.): Achim von Amim und die ihm nahe standen, Bd. l, S. 262-263. Ebenda, Bd. 2, S. 218. Ebenda, Bd. 3, S. 240.

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Roger Paulin

erbracht haben.28 Phantasus steht aber auf einem ganz anderen Blatt. An Brentano schreibt Arnim 1812: „Hast Du den Phantasus von Tieck? Ist die Einleitung nicht ein schlimmes Beyspiel, wie ein Kerl, der einst so herzlich schrieb, in das Wortgeklingel verfallen kann."29 Im November desselben Jahres an die Brüder Grimm heißt es: Habt Ihr den Phantasus von Tieck? Die breite Theorie als Einleitung der schönen, unschuldig erfundnen Geschichten thut sehr weh; unter den neuen Erzählungen sind wohl die Elfen das beste, die beiden ändern, der Liebeszauber und der Pokal, arbeiten zu absichtlich auf einen gewissen Effekt, und man kommt darauf, die Pinselstriche zu zählen, statt das Gemälde im Ganzen anzuschauen.30

Was Arnim an dem Einleitungsgedicht zum Phantasus mißfallen haben mag, ist vielleicht weniger das „Asonanzen geklingel",31 das Brentano schon 1803 an Tieck rügte, sondern der Bezug auf Tiecks eigene poetische Entwicklung, die Anspielung auf Überwundenes und auf die Erlangung von Reife und Einsicht, bei alledem aber auch sein bewußtes Festhalten an Grundpositionen von Jena, von seinem Jena allerdings. Zwar registrieren Wörter im Text wie „Chronikbücher", „Vorzeit", „Histori", „Pflanz, Metall und Stein"32 die Etappen von Tiecks frühromantischen Schriften. Zu den poetischen Produkten dieses Entwicklungsprozesses - Kunstmärchen, Volksbucherzählungen, Märchenkomödien - steht Tieck nach wie vor, nur ist er auf die Einflüsse von damals - Jacob Böhme, Calderon - nicht mehr angewiesen. Die Pflanzen- und Steinbilder erinnern an die symbolische Welt Runges, ein Ideenparadies, das in der Progression von Welt und Himmel, Dunkel und Licht, besteht. „Liebe"33 als allerhaltende kosmische Macht hat auch Affinitäten mit Visionen von Novalis bis Görres. Der Riesenkopf Pans in Gebirge und Wald und Grotte - man kennt dieses Motiv auch bei Görres - dient hier dazu, die Koexistenz von „Graun" oder „Schauder" und „liebe Albernheit" oder „Scherz" zu binden.34 Arnims Ablehnung von Tiecks „breiter Theorie" steht selbstverständlich in schroffem Gegensatz zu seiner eigenen Handhabe in Novellen- und Dramensammlung. Dennoch sind Anrede und Zueignung zur Novellensammlung von 1812 ebenso persönliches Manifest wie Tiecks Phantasus-Gedichl: Pegasusritt (Amim) und der Ariel ähnlicher Phantasus-Knabe (Tieck) gehören zum festen Bildbestand romantischer Dichtereingebung. Es mochte indessen scheinen, als ob Tieck, statt Rahmengespräch, Erzählung, Anekdote und theoretischen Reflex mehr oder weniger in einem Text zu integrieren, diese Elemente bewußt auseinandergezerrt hätte und gegeneinander spielen ließe. In der Tat unterscheidet Tieck stark zwischen KunstEbenda, S. 272. Eine unvollendete Replik Arnims in Moering: Achim von Amim an Jacob Grimm, S. 160-163. Ich danke Frau Moering für diesen Hinweis. Härtl: Briefe Amims an Brentano. - In: Burwick/Fischer: Neue Tendenzen der Arnimforschung, S. 120-197, hier S. 149. Steig/Grimm (Hrsg.): Achim von Amim und die ihm nahe standen, Bd. 3, S. 242. Brentano: Sämtliche Werke und Briefe (Frankfurter Ausgabe) Bd. 31 (Briefe 3), S. 143. Tieck: Phantasus - Schriften Bd. 6, S. 117, 118. Ebenda, S. 124. Ebenda, S. 121,123,125.

Arnim und Tieck

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erzählung, die auf der eignenen poetischen Phantasie basiert, und der Erzählung von historischer Begebenheit. In den PAanfasMS-Rahmen läßt er nämlich gelegentlich wahre Anekdoten einfließen, die, wie er ausdrücklich sagt, schreckenerregender sind als die Fiktion. Es ist ein Keim von Tiecks langjähriger Beschäftigung mit historischen Stoffen, die über ein kurzes Faible für Walter Scott und einen langen Briefwechsel mit dem Historiker Friedrich von Raumer zum Schluß in den beiden späteren Dresdner Novellen Der Hexen-Sabbat und Der Aufruhr in den Cevennen ihren Niederschlag findet. Arnims historisches Verfahren ist ganz anders: bereits 1812 bahnt sich eine Tieck entgegengesetzte Vorstellung von Mythos und Historic an. Zu Tiecks PAa/j/asMS-Erzahlung Liebeszauber und Arnims Majoratsherren, auf deren Motivgleichheit schon die ältere positivistische Forschung35 und neuerdings Migge36 und Wingertszahn37 hingewiesen haben, ein paar ergänzende und auch abschließende Worte. Motivisch sind diese beiden Erzählungen in erster Linie durch das Fenstersymbol verbunden, aber das allein ist kein Indiz für eine tiefere Gemeinsamkeit. Bei der Feststellung von Affinitäten beider muß man Arnims Wort von dem „gewissen Effekt" heranziehen, auch die Gegenüberstellung von „arbeiten [...] auf einen gewissen Effekt", „Pinselstrichen" und „Ganzen". Arnim hat gut beobachtet. Denn was bleibt in Liebeszauber als Ganzes, als Gesamteindruck? Vollends fehlt der Zeitbezug von Arnims eigener Erzählung oder die skurrilen Familienverhältnisse, die als Motiv genügt hätten, wollte er nicht zugleich eine „höhere Welt" und eine ganz andere Existenzebene mitspielen lassen. Die maskenhaften, die grotesken Elemente fungieren in beiden Erzählungen anders. In Liebeszauber ist es nun einmal Karneval, in einer nicht genannten Stadt mit Kirche und Marktplatz. Marianne Thalmanns These von „Romantiker entdecken die Stadt", schon immer problematisch, erweist sich hier als wenig stichhaltig, will man in dieser Erzählung den Bezug zum Urbanen, Großstädtischen erblicken.38 In Wirklichkeit spielt alles in verwinkelten Gassen oder auf dem Land. Die grellen, bunten Elemente sind zugleich Erinnerungsfetzen, flüchtige Anhaltspunkte im Assoziationsspiel. Viele „Pinselstriche" (Amim) stehen zusammenhangslos: von wem geht die Zauberkraft aus? wer hat das Kindsopfer angeordnet? wer sind die geheimnisvollen Gestalten vor der Kirche? was bedeutet der Drache? warum verliebt sich Emil in eine Kindermörderin? Die Liste der Fragen läßt sich in jedem Detail der Erzählung verlängern. Tieck hatte in Der blonde Eckbert und Der Runenberg schon längst mit dem Motivkreis der Identität gespielt. Wer ist wer? Radikal offengelassen hat er immer die Frage der Kausalität. Gerade das will Amim nicht, indem er seiner Novelle eine mythologische Struktur unterlegt, die zwar nicht alles erklärt - bei weitem nicht -, aber dennoch auf höhere Einwirkungen verweist. Bei Tieck fehlen sozusagen die Fangnetze: Es ist das Ende vom „explained supernatural", einer Tradition, der Arnim z. T. noch verpflichtet ist. Amim: Werke (Ausgabe Schier), Bd. 2, S. 415. Amim: Sämtliche Romane und Erzählungen (Ausgabe Migge), Bd. 3, S. 759. Wingertszahn: Ambiguität und Ambivalenz, S. 234—242. Thalmann: Romantiker entdecken die Stadt, S. 27-32.

STUDIEN zu ARNIM IM KONTEXT DER BERLINER ROMANTIK

Kristina Hasenpflug

Fraternale Kunstproduktion und romantische Kunstkritik Clemens Brentanos Gedicht „O wie so oft" l. Vorspiel Im April 1814 schreibt Brentano aus Wien, wo er seit einem dreiviertel Jahr vergeblich versuchte, in der Theaterszene Fuß zu fassen, an Arnim: Ich bin nun am Rande aller meiner Bemühungen für das Theater, es war die gutmüthigste Thorheit von mir etwas dafür zu thun, ich habe gearbeitet, wie nie, man hat sich meiner bedient, wie eines armen Poeten, ich habe tausend Gänge gemacht, in Antichambren und vor Logen gestanden, Komödianten und Adliches Lumpengesindel kennen gelernt, und bin zu nichts gekommen, als zu Verdruß, Aerger, unsäglicher Arbeit, u.s.w, [...]. Jezt nach langen Anstrengungen meines hiesigen Aufenthalts Müde gehe ich die Woche nach Ostern [...] bis Prag, um dort noch ein Paar Monate ganz wieder in Einsamkeit und Vergessenheit mich zu sammlen und alte poetische Fäden anzuknüpfen [...].'

Noch in diesem Brief spinnt Brentano einen neuen .poetischen Faden' und berichtet Arnim:, Jezt wird bald von einer Gesellschaft trefflicher Menschen eine Art Morgenblatt hier erscheinen, unter dem Titel Friedensblätter, ich habe es projecktirt, und deine und meine Mitarbeit versprochen [...]."2 Brentano wird im Herbst desselben Jahres für das Journal die Erzählung Die Schachtel mit der Friedenspuppe schreiben; aus Arnims Mitarbeit dagegen wurde wohl wegen der kurzen Lebensdauer der Zeitschrift nichts. Vom Theater enttäuscht, aber voller Zuversicht in eine poetische Zukunft blickend verließ Brentano Wien und reiste über Prag und Teplitz nach Wiepersdorf, wo er Arnim und Bettine inmitten erheblicher Sanierungsarbeiten an ihrem maroden Gut antraf. Für gut zwei Monate erfüllte sich Brentanos Traum von der Hausgemeinschaft mit dem Herzbruder und der Lieblingsschwester, den er schon kurz nach deren Heirat geäußert hat, doch von Amim einfühlsam aber bestimmt abgewiesen wurde. Nach Bettines bekanntem Bericht bereicherte Clemens nicht nur die sonst so stillen Abende in jenem Herbst, er half tatkräftig bei den Renovierungsarbeiten, durchstöberte die Arnimsche Bibliothek und war selbst literarisch produktiv. Die Schachtel mit der Friedenspuppe entstand auf Wiepersdorf nach einer französischen Vorlage aus der Gutsbibliothek. Mit diesem Werk begann eine neue poetische Ära bei Brentano, die die dramatischen Arbeiten ablöste und sich in weiteren Erzählungen wie Die drei Nüsse und der Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl fortsetzte. ' 2

Brentano: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 33, Brief Nr. 657. Band 3 der Ausgabe ist noch nicht erschienen; es wird nach dem fertigen Textkorpus und der Briefnummer zitiert. Ebenda.

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Kristina Hasenpflug

Im November reiste Brentano gemeinsam mit Amim nach Berlin. Als der Freund im Frühjahr 1815 wieder aufsein Landgut zurückgekehrt war, packte Brentano angesichts der verlassenen Stube der Katzenjammer: „ Als dein Quartier ganz verlassen war suchte ich in der öden Stube noch in Papieren an der Erde, [...] und fand deinen Ehekontrackt im Auskehricht, questo e vero, ma maltrovato. [...] Du hast entsetzliche Wunder gethan bereits in Wippersdorf, ich beneide euch, aber ich sitze übel und muß."3 Was Brentano so beneidete, die soziale Verwurzelung des Freundes, versuchte er sich in Berlin auch zu schaffen. Um gewissermaßen ein tätiges Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft zu werden, immatrikulierte er sich an der Bauakademie mit dem Ziel Architekt zu werden, und er schloß Bekanntschaften im Kreis der nationalgesinnten Erweckungsbewegung. Wahrscheinlich unter dem Einfluß seiner neuen, tiefreligiösen Freunde gewann die seit Jahren schwelende Lebenskrise Brentanos an Intensität aber vor allem auch an religiöser Färbung. Ein erstes Zeugnis dafür ist der lange Bekenntnisbrief vom 15. Februar 1815 an Wilhelm Grimm, in dem Brentano schreibt: Ich weiß nicht, lieber Wilhelm, ob ich noch zu ihren Freunden gehöre, denn mir ist oft, ja meist, als gehöre ich nicht mehr zu den lebendigen. Mein ganzes Leben habe ich verlohren theils in Irthum, theils in Sünde, theils in falschen Bestrebungen. Der Blick auf mich selbst vernichtet mich, und nur wenn ich die Augen flehend zu dem Herrn aufrichte, hat mein zitterndes zagendes Herz einigen Trost.

Hier wird auch Brentanos Verzweiflung an der Kunst laut, an dem Medium, das den Romantikern doch als der Weg zum Heil erschienen war: Meine dichterischen Bestrebungen habe ich geendet, sie haben zu sehr mit dem falschen Wege meiner Natur zussammengehangen, es ist mir alles mislungen. Denn man soll das Endliche nicht schmücken mit dem Endlichen um ihm einen Schein des Ewigen zu geben, jedes, auch das gelungendste Kunstwerk, dessen Gegenstand nicht der ewige Gott und seine Wirkung ist, scheint mir ein geschnitztes Bild, das man nicht machen soll, damit es nicht angebetet werde. Weil ich mich nun durch die falschen Bestrebungen meines Geistes ganz misbraucht und einseitig nach der Fantasie hin ausgebildet fühle, habe ich mit schwerem Kampf, und ganz gegen meine Natur, mich dahin gewendet, wo ich am verlassensten bin, nach der Mathematischen Erkenntniß. Ich lerne Rechnen und Geometrie und laufe täglich vier Stunden mit einem schweren Zeichenbrett und langen Lineal auf die Bauackademie [...].

Tatsächlich sind 1815 keine größeren literarischen Arbeiten Brentanos entstanden, doch bemühte er sich, für ältere Werke wie die Viktoria oder seine Märchen einen Verleger zu finden. Brentanos vermeintlicher Abschied von der Kunst wurde daher von seinen Freunden nicht ernst genommen und spöttisch kommentiert: Wilhelm Grimm schrieb im Dezember 1816 an Joseph Görres, daß der gemeinsame Freund „nun nicht mehr dichten wolle, jedoch [...] noch vor Thorschluß eine Viktoria mit fliegenden Fahnen beendigt [...] habe".4 Die in Grimms Beschreibung laut werdenen Zweifel an der Unumstößlichkeit von Brentanos Entschluß waren wohl berechtigt, 3 4

Ebenda, Brief Nr. 670. Görres: Gesammelte Briefe, Bd. 2, S. 50.

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dennoch setzte eine nennenswerte literarische Produktion erst wieder mit dem Jahr 1816 ein, und auch hier standen gemeinsam mit Freunden unternommene literarische, ja allgemein künstlerische bzw. kulturelle Projekte im Vordergrund. Den Anfang machte Brentanos Unterstützung von Arnims Theaterprojekt und die geplante gemeinsame Herausgabe Monatlicher Erzählungen, für die zwar schon ein Verleger gefunden war, die aber dann doch nicht realisiert wurden. Ungefähr zur gleichen Zeit versuchte er, dem in Waldenburg bei Breslau lebenden Maler Christian Friedrich Wagen, einem Schwager Ludwig Tiecks, zu einer Ausstellung in Berlin zu verhelfen. Nur wenige Zeugnisse sind zu diesem Vorhaben überliefert; es scheiterte wohl daran, daß der schon betagte Maler aus gesundheitlichen Gründen Waldenburg nicht verlassen konnte. Als ein literarisches Projekt im weitesten Sinne kann die Gründung eines Clubs, der Maikäferei, an der Brentano maßgeblich beteiligt war, bezeichnet werden; die Zusammenkünfte galten der Pflege „patriotischromantisch-genial-christlicher Poesie". Die Mitglieder zählten überwiegend zu den neupietistischen Kreisen Berlins und neben dem literarischen Treffen galt deren Interesse den Gottesdiensten des erweckten Pfarrers Hermes. Justus Gottfried Hermes (1740-1818) war seit 1797 Pfarrer an der Berliner St. Gertrauden-Kirche.5 Nach Meinung Achim von Amims zog er allerdings erst nach 1807, ausgelößt durch den Krieg, die Aufmerksamkeit einer breiteren Öffentlichkeit auf sich, da er es verstand, seine Hörer in einer kindlichen und einfachen Sprache emotional anzusprechen.6 Wohl ab Mitte Februar 1816 hörte Brentano von Friedrich Försters Vorhaben, ein Taschenbuch auf das Jahr 1817 herauszubringen, und begann bald, das Projekt, das später den Titel Sängerfahrt erhalten sollte, an sich zu ziehen. So heißt es in einem Brief an Arnim: „Ich bin jezt näher mit Försters Unternehmung des Taschenbuchs bekannt, er hat sich ganz meinem Rath dabei überlassen, und ich bestimme mit ihm die Wahl aller Aufsätze."7 Brentano läßt dafür seine Kontakte spielen und kann beispielsweise Tieck, Wilhelm von Schütz und Jakob Grimm als Beiträger zu dem Taschenbuch gewinnen. Auch Arnim bittet er um einen Beitrag und fragt explizit nach den damals noch unveröffentlichten Kronenwächtern. Möglicherweise hat Brentano auch angeregt, daß ein Frontispiz von Kolbe der Sängerfahrt eingebunden wurde. Jedenfalls schrieb er Anfang 1816 ein Gedicht „In Erinnerung an [die] Skitze einer Wasserfahrt von Carl Wilhelm Kolbe", das durchaus durch jenen Kupferstich oder seine Vorzeichnung angeregt sein kann (siehe Abb. 5 im Beitrag von Börsch-Supan)8. In der Sängerfahrt werden zwar Bildgedichte bzw. -beschreibungen des Frontispiz' von Luise Hensel, Wilhelm Müller und von Friedrich Förster veröffentlicht, das von Brentano jedoch nicht. In unserem Zusammenhang ist Brentanos Bildgedicht in zweierlei Hinsicht interessant. Zum einen haben wir es hier mit einer besondern Form der fraternalen künstlerischen Produktion zu tun, nämlich dem Zusammenwirken von bildendem Künstler und Dichter. Auch wenn dem entgegenzuhalten wäre, daß bei einem Bild5

' 7 8

Die kleine Holzkirche lag am Spittelmarkt und wurde daher auch Spittelkirche genannt. Vgl. Wendland: Studien zur Erweckungsbewegung, S. 15. Brentano: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 33, Brief Nr. 688. Siehe oben S. 105 und 114.

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gedieht das Bild die Vorlage oder Anregung zu einem lyrischen Text darstelle, und daher von einer Zusammenarbeit nicht zu sprechen sei, gewinnt die These an Gewicht, wenn man den zeitlichen also entstehungsgeschichtlichen Aspekt außer acht läßt und sich auf das Ergebnis konzentriert: Brentanos Gedicht läßt die dargestellten Personen sprechen, ist also nach der Terminologie von Gisbert Kranz ein rhetorisches Bildgedicht, das den Figuren eine Rolle zuweist, die aus ihrem Abbild nicht unbedingt hervorgeht; und so ist der Text nicht bloße Beschreibung des Bildes, sondern geht über eine Auslegung hinaus. Stich und Gedicht bilden im Verbund ein neues Kunstwerk, das anders und mehr ist als jeweils Bild und Gedicht. Sie erfüllen so die Forderungen, die August Wilhelm Schlegel 1799 in seinem Athenäums-Aufsatz Über Zeichnungen zu Gedichten - hier ist also an das chronologisch umgekehrte Verfahren gedacht - aufgestellt hat: Gleichberechtigt, „in Eintracht und ohne Dienstbarkeit" sollten bildende Kunst und Poesie nebeneinander stehen, um eine potenzierende Wirkung zu erzielen, nicht eine allein additive.9 Darüber hinaus ist die im Gedicht beschriebene Sängerfahrt eine gesellige Angelegenheit: Neben dem Dichter sind ein Jüngling, ein Greis, ein Kind mit seiner Mutter, die Allegorien der Liebe und der Treue, das eiserne Paar und ein Engel mit von der Partie: Die Kunst umfaßt alle Lebensalter und die Geschlechter. Und sie steht - und hier kommen wir zum zweiten in unserem Zusammenhang interessanten Aspekt des Gedichts - unter göttlichem Schutz, denn das Steuer führt ein Engel, dem der Dichter in seiner letzten Strophe zuruft: Segle nieder rings die Spötter Segle nicht nach irdscher Gunst Segle in dem Schutz der Götter Also seglet fromme Kunst!

Die Kunst ist „fromm", aber noch heißt es hier „Segle in dem Schutz der Götter". Der Plural deutet doch wohl nicht darauf, daß hier unmißverständlich das Christentum gemeint sei. Aber die Bindung der Kunst an das Göttliche zeigt doch einen Ausweg aus der im Brief an Wilhelm Grimm beschriebenen Misere. Im Frühjahr 1816 schränkt er dann auch in einem ausführlichen Bekenntnisbrief an Johann Nepomuk von Ringseis ein, daß ihn die „Künste und Strebungen, die ihr Zentrum mit Bewustsein im Zeitlichen Leben haben, [...] nicht sehr mehr interessiren".10 Doch die Wende zur Religion hatte sich noch nicht vollzogen, zu sehr wurde Brentano von auch konfessionellen Zweifeln geplagt: [Es] sind tausend formelle Dinge, lieber Nepomuck, die mir an allen Ecken störend sind, wenn ich mich der Chatolischen Kirche in ihrer Abenteuerlichkeit nähere, es ist nichts gräßlicheres als in solchem Pompe von der Einfalt des Herrn zu reden. [...] Die Welt ist so verwirrt, ein Jeder ruft hier, hier ist der rechte Weg und darüber komme ich zu Nichts. So gehe ich aus Scheu, mich ganz von der Katholischen Kirche zu trennen, nicht zu dem trefflichen Hermes, dessen Kirche mir zuerst im Leben den Eindruck einer Gemeinde gemacht und wo mich nichts stört,

Schlegel: Über Zeichnungen zu Gedichten und John Flaxman's Umrisse. - In: Schlegel: Athenaeum, Bd. 2, 2. St. 1799, S. 193-246, hier S. 203. Brentano: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 33, Brief Nr. 687.

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und Alles anzieht, und dennoch bleibt mir in unßrer Kirche gar nichts, was mich recht innerlich verbindet, der Priester ist in unsrer Kirche zu magisch abgesondert, er ist kein rechter Mensch und auch kein Gott, und selten ist er so voll des heiligen Geistes, daß man nicht überall die Manier und den Kirchencomment vorherrschen sehe,"

Die Aushöhlung des Christentums auf seine bloße Form, die Brentano hier für die katholische Kirche beklagt, kritisierte auch Immanuel Kant in seiner Philosophischen Religionslehre. Er bezeichnete eine solche Glaubensgemeinschaft als „Paffenthum". Darunter versteht Kant „die Verfassung einer Kirche", in der „ein Fetischdienst regiert", wo also „nicht Prinzipien der Sittlichkeit, sondern statuarische Gebote, Glaubensregeln und Observanzen die Grundlage und das Wesentliche derselben ausmachen". Der Gottesdienst verkomme hier zum alleinigen „Fetischmachen" und „Afterdienste".12 Wichtig ist in unserem Zusammenhang der Begriff des ,Fetisch' den Kant hier verwendet und auf den ich später nochmals eingehen werde. Zurück zu Brentano und seinem Brief an Ringseis. Die Lösung, die Brentano für sich sah, umgeht den konfessionellen Aspekt seines Problems und kommt zu dem Schluß: Ich fühle durch und durch, daß mir religiös nicht zu helfen ist, als durch das Anschließen an einen Menschen, dem ich unbedingt traue und den ich innigst liebe, und daß ich dann allen eignen Willen aufgebe, und ihm gänzlich folge, wie ein Knecht. Das gänzliche Unterwerfen unter einen geistlichen Oberen entspräche meiner Natur allein. Dieser müßte mich an sich bannen durch die göttliche Atmosphäre der Unschuld und Frömmigkeit und mich leiten, wie einen freiwilligen Blinden, denn mir selbst kann ich nicht trauen. Am lebendigsten fühle ich daher einen Wendepunkt in meinem Innern nahen [...]."

Brentano fügt in den Brieftext sein berühmtes Gedicht „Meister ohne dein Erbarmen" ein und schreibt dazu: „Das Lied habe ich neulich nieder geschrieben, es war mir so." „Das Gedicht speist sich", nach Auffassung Wolfgang Frühwalds, „aus den Energien der Erweckungsbewegung". Es sei „im Werk des Autors an jener Stelle angesiedelt, an der er aus dem Kunstglauben seiner Jugend den Weg zu Bindungen in religiösen Gemeinschaften suchte".14 Und es nehme „in der Sehnsuchtsbewegung zur Du-Bindung" Brentanos Begegnung mit Luise Hensel vorweg, die er erst einige Monate nach der Niederschrift des Gedichts, im Herbst 1816, kennenlernte.15 Die Beziehung zu der 18jährigen Pastorentochter war vielschichtig und wechselvoll. Am Anfang stand wohl von Seiten Brentanos die erotisch gefärbte Attraktion der jungen Frau gepaart mit der Faszination, die auf ihn ihre naive Unschuld und kindliche Frömmigkeit ausübte. Kurz nach der ersten Begegnung schrieb er ihr:

Ebenda. Kant: Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft - Werke in sechs Bänden, Bd. 4, S. 851-853 (B 275- B 277; 4. Stück, § 3: „Vom Pfaffentum als einem Regiment im Afterdienst des guten Prinzips"). Brentano: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 33, Brief Nr. 687. Frühwald: Der Bergmann in der Seele Schacht - In: Gedichte und Interpretationen, Bd. 3, S. 439. Frühwald: Das Spätwerk Clemens Brentanos, S. 135.

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Es ist mir innerlich gewiß, daß viele Mauern zwischen uns gegen Himmel fliegen werden, und der Vorhang durchsichtig, ja durchwandelbar werden wird. Schon ist die Wand lebendig, was jedes von uns auf seiner Seite fühlt und säet, blüht und fruchtet hinüber. Ich bin leider noch in unendlichem Vortheil, du bist die Güte und Huld selbst, und all dein Seyn ist Schein und all dein Schein ist Seyn. Lebst du wirklich, oder bist du nur ein Lichtfleckchen, das ein Engel mit seinem spiegelnden Schilde aus der innersten reinsten Himmelssonne mir an der dunklen Kerkerwand tanzen läßt? Liebes Wesen, du Schwalbenlied, du kleine rosenrothe Spinne am Thurmfenster, ein Winck von deinen Augen kann eine Hölle blind machen. Dein kleiner Finger bricht unauflösliche Banden. Ein Lächeln von dir lößt Gewiner auf. Tauche deine Hand ins Todte Meer, und es wird das Wasser, worüber die Geister schweben."

Später, nachdem Brentano im Februar 1817 die Generalbeichte abgelegt, und Luise Hensel seinem erotischen Werben nicht nachgeben wollte, setzte er alles daran, die hinsichtlich ihrer konfessionellen Zugehörigkeit unsichere Protestantin zur Konversion zu bewegen. In den ersten Monaten ihrer Freundschaft aber glaubte er, in ihr den Menschen gefunden zu haben, den er im Brief an Ringseis so eindringlich beschrieben hatte. Fragwürdig scheint die These Frühwalds, das Gedicht „Meister ohne dein Erbarmen" nehme in der „Sehnsuchtsbewegung zur Du-Bindung" die Begegnung mit Luise Hensel vorweg, wenn man bedenkt, daß der Wunsch nach einer nahezu symbiotischen Beziehung Brentanos ganzes Leben begleitete: Die Liebe zu Sophie Mereau war davon geprägt, dem Herzbruder Amim diente sich Brentano sogar als Knecht an, nur um in seiner Nähe sein zu können, und dem bewunderten Tieck schrieb er 1804 im Bemühen ihm zu einem Lehrstuhl in Heidelberg zu verhelfen: [...] ich wäre ewig glücklich, alle meine Hoffnungen würden wieder erstehen, wenn ich dort unter ihrer Leitung, an einer Reproducktion der Alten Heldengedichte arbeiten könnte. [...] ich wollte gerne auf alle eigne Arbeit Verzicht thun, und mein ganzes Leben für diese Arbeit anwenden.17

Nicht nur bei Tieck auch im Falle der anderen ihm nahestehenden Menschen gehörte die gemeinsame Arbeit an literarischen Projekten für Brentano untrennbar mit zu der Beziehung. Auch Luise Hensel arbeitete mit an Brentanos Editionsprojekten, z. B. an der Neuedition der Trutznachtigall und an der Überarbeitung der Chronika für den Druck 1817 war sie ebenfalls beteiligt. Aber die junge Frau dichtete auch selbst, einfache Lieder, die sich als von einer tiefen Innerlichkeit und naiven Frömmigkeit getragen charakterisieren lassen. Brentano zeigte sich von diesen Gedichten stark berührt und setzte seine Lektüreerfahrung einem Erweckungserlebnis gleich. Bald entwickelte sich zwischen beiden ein lyrischer Dialog; bei dem nicht nur Gedichte aufeinander Bezug nehmen, vor allem Brentano inkorporierte ganze Gedichte oder auch nur einzelne Verse der Hensel in eigene Texte. Dieses intertextuelle Verfahren stellt kein Novum der zweiten Berliner Zeit im Werk Brentanos dar, aber auffällig ist die Häufigkeit, mit der Brentano es zu dieser Zeit

Brentano: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 33, Brief Nr. 693. Ebenda, Bd. 31, S. 312-313.

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anwandte. Ein Beispiel dafür, bei dem ein Text Amims Vorlage und Ausgangspunkt für Brentano bildet, ist das Gedicht „O wie so oft". 0 wie so oft Hab ich ein Zeichen erhofft Zogen Steme den schimmernden Bogen s Durch die Himmlische Leere Durch die Himmlische Tiefe Daß ich der irdischen Schwere Endlich auf immer entschliefe Aber der Morgen 10 Löschte die Steme aus Weckte die Sorgen Weckte des Herzens Haus Und des Alltäglichen Macht Zwang die Ahndung der Nacht. 15 0 wie so viel Nahte der Sehnsucht das Ziel Sanken Dürstende müde Gedanken Hin an brennender Schwelle 20 Seelig kühlender ferne Ach da stürzte zum Herzen die Welle Und das lachende Licht in die finsteren Steme Aber die Ebbe Kehrte, die Flut wich 25 Heißer die Steppe Umgürtet mit Glut mich Und den brennenden Pfeil Mahnte das fliehende Ziel zur Eil. O wie so tief 30 Oft aus den Wogen mich's rief, fielen Um nach den Sternen zu zielen Trähnen zu spiegelnden Seen Die zwischen blumigten Wiesen 35 Augen der Erde, aufsehen Himmlische Kinder zu grüßen Aber die Fläche Ringelt, das Bild bricht Bittere Bäche 40 Rinnet so wild nicht Freudig ja springet ein Fisch Und ich mord ihn, decke den Tisch. O wie so rein Wächst in der Schönheit der Schein 45 Scheinet Sie aus der Einfalt und einet

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Kristina Hasenpflug Recht in der lauteren Klarheit Strahlen der himmlischen Güte. Zum sehenden sichtbaren Auge der Wahrheit so Das da schaffet und selbst ist die Frucht und die Blüthe. Aber die Dichter Machen die Glieder zum Leib gern Schneiden Gesichter In einen Kirschenkern 55 Traurig und lachend o gebe Lieber der Erde ihn, daß er lebe Blüthevoll Früchtevoll Dir und den deinen himmlischen Segen, 60 Webe Auf irdischen Wegen

2. Entstehung Die Entstehung des Gedichts liegt weitgehend im Dunkeln, den einzigen Anhaltspunkt bietet der Umstand, daß die erste Strophe aus Achim von Arnims Kronenwächtern stammt. Aber wann genau Brentano den Roman kennenlernte, ist nicht zu sagen. Anfang 1816 forderte er Arnim zweimal auf, ihm Teile aus dem Roman zur Publikation schicken. Projektiert war die Publikation zum einen in den Bruchstücken zum anderen in Försters Sängerfahrt. Möglicherweise hatte Arnim dem Freund auf Wiepersdorf im Herbst 1815 daraus vorgelesen; belegt ist eine solche Lesung jedoch erst für Juni 1816, als Brentano mit Grimm und Savigny den damals schwerkranken Freund besuchte. Doch wieviel von den Kronenwächtern zu dieser Zeit schon vorlag, ist nicht mehr zu sagen. Im September 1816 erhielt Savigny den Anfang des Romans, möglicherweise das erste Buch, um es Verlegern anbieten zu können, und im Dezember 1816 schrieb Amim den Grimms, er arbeite weiter an den Kronenwächtern. Da die Genese des Romans äußerst kompliziert ist, und er mehrfach überarbeitet wurde, läßt sich aus diesen Informationen nicht ablesen, wann Brentano die siebente Geschichte des dritten Buchs, wo die fraglichen Zeilen stehen, gehört oder gelesen hat, der Text konnte auch schon in den frühen Manuskripten enthalten gewesen sein. Als erster terminus post quern ist daher Juni 1816 denkbar, möglich wäre auch das Erscheinungsdatum des Romans, Juni 1817. 3. Interpretation Die erste Strophe dieses Gedichts hat Brentano wörtlich aus Achim von Arnims Die Kronenwächter entnommen, wo der Text allerdings als Prosa erscheint. Brentano hat zunächst die darin verborgene lyrische Struktur erkannt und den Text entsprechend seiner reimenden Worte in eine Gedichtstrophe umbrochen. Brentano ergänzt nun drei weitere Strophen, wobei er die zweite und dritte Strophe dem in der ersten vorgegebenen Reimschema völlig und dem Metrum weitgehend anpaßt. Die vierte Strophe folgt zunächst auch dem Reimschema, wird aber dann um fünf

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Verse erweitert. Den ersten Vers „O wie so oft" variiert Brentano in den ergänzten Strophen zu einem flüssigen Anfangskehrreim. In Amims Roman spricht Berthold die Worte der ersten Strophe bevor er zu den Gräbern der Hohenstaufen geführt wird. Schuldbeladen und resigniert sehnt er nichts so herbei wie den Tod. Doch die „Sterne", die ihm in den Nächten Verheißung der Erlösung waren, müssen am Morgen dem sorgenvollen Alltag weichen. Die Verse beschreiben also Aufkeimen und Untergang einer Erlösungssehnsucht. Dieses Grundthema behält Brentano in seinen ersten beiden Strophen, also in der zweiten und dritten Strophe, bei. Der Anfangskehrreim initiiert jeweils die schmerzliche Erinnerung des Ich an eine zerstörte Hoffnung, ohne daß diese in den folgenden Versen konkretisiert würde. Vielmehr transportiert Brentano das innere Geschehen der aufkeimenden Hoffnung und Sehnsucht und der nachmaligen Enttäuschung in Bildern und Motiven, die seine Lyrik aus der Zeit des zweiten Berliner Aufenthaltes bestimmen, die er aber nicht wie in den umfangreichen Gedichten an Luise Hensel in einen Erzählkontext einfügt. So begegnen in der zweiten Strophe das .nahende Ziel' (Vers 16), die „Schwelle" (Vers 19), die antithetischen Begriffe .brennen' und .kühlen' (Vers 19f.), .Durst' (Vers 18), „Glut" (Vers 26) und „Steppe" (Vers 25), schließlich „Pfeil" und „Ziel" (Vers 27f.). Das Wort- und Bedeutungsfeld dieser Strophe, die Feuer- und Wassermetaphorik, erinnert stark an das Ende 1816 für Luise Hensel geschriebene Gedicht „Ich bin durch die Wüste gezogen",18 ebenso die vielfältigen Verben der Bewegung, die den Eindruck starker Dynamik vermitteln. Doch hier werden Motive so miteinander verknüpft und Bewegungen so gezeichnet, daß die Bedeutung des Textes - wird das Gedicht textimmanent gelesen - mit einem nicht faßbaren Inhaltsnebel korreliert. Erst der Vergleich mit weiteren Werken Brentanos insbesondere mit der zeitnahen Lyrik öffnet den Zugang zur semantischen Ebene des Gedichtes und erlaubt die Interpretation der zweiten Strophe als Darstellung der verzweifelten Suche des Ich nach Erlösung, die es wiederholt zu erreichen wähnte und schließlich doch verfehlt. Eingerahmt wird die zweite Strophe durch das Ziel-und-Pfeil-Motiv in Vers 16 und 27/28. Wir kennen dieses Motiv aus der Emblematik, wo die pictura des Emblems einen auf eine Zielscheibe zufliegenden Pfeil zeigt und uns die Inscriptio davon unterrichtet, daß hier das Streben nach dem ewigen Leben gemeint sei. Aber auch die barocke geistliche Lyrik, wie beispielsweise Friedrich Specs Gedicht „Spiegel der Liebe" kennt das Bild in dieser Bedeutung. In einem Brief an Friedrich Karl von Savigny aus dem Jahr 1800 findet sich der erste Beleg für dieses Motiv in Brentanos CEuvre. Er schreibt dort: Ich sehe täglich mehr, daß das Leben unter meinen Händen stirbt, und in meinem Kopfe und Herzen lebt. Drum werde ich bald sterben, wie das weiß ich, und Gott ist mein Ziel, aber ich bin der Bogen, der mich aus sich selbst treibt - tretet zurük damit euch der Pfeil nicht trifft, das Scheibenschiessen ist ein Spiel tanzt nur immer auf allen Seiten, schlagt lustige Zelte auf, aber der Schuß ist ernsthaft und ewig tödlich allein und nichts anders.19 " Ebenda, Bd. 3,l, S. 87-92. 19 Ebenda, Bd. 29, S. 277-278.

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In Brentanos Lyrik findet sich das Motiv zuerst 1803 in dem Amim gewidmeten Freundschafts-Gedicht „Durch den Wald mit raschen Schritten".20 Die letzte Strophe des Gedichts lautet dort: Gieb die Pfeile, nimm' den Bogen, Ich bin Ernst und Du bist Scherz, Hab die Sehne ich gezogen, Du gezielt - so trifft's ins Herz.

Die geistliche Kontrafaktur des Freundschafts-Gedichts, die Brentano um 1816/ 1817 dichtete, erweitert das Bild im Sinne des religiösen Wandels: Gieb die Pfeile nimm den Bogen Mir ists Ernst und dir ists Scherz Hab die Sehne ich gezogen Du gezielt, dann trifft's ins Herz. Wild gethan, wie stolz gesprochen Weh der Pfeil fliegt aus der Bahn Hat des Lammes Herz durchstochen Drohend sah der Hirt mich an Dorn ward da die Rosenkrone Um sein göttlich mildes Haupt: Vater! rief er, ihn verschone, Denn er hat an mich geglaubt.21

Schließlich gestaltet Brentano das Motiv in „Ich bin durch die Wüste gezogen": O Nacht ohn Anfang und Ende Kein Stern, wo hin ich mich wende, Kein Bogen, kein Pfeil, kein Ziel Da rang ich wohl betend die Hände, Bis die Decke mir nieder fiel. Da fühlt ich das Ziel mir gekommen, Die glühende Leiter ercklommen Und schrie zu dem bitteren Stern, Der Herr hat gegeben, genommen, Gelobt sey der Wille des Herrn.22

Mit unserem Gedicht „O wie so oft" haben diese Zeilen gemeinsam, daß hier wie dort das statische Moment des Ziels aufgehoben wird. So auch in dem für den Maler Kolbe geschriebenen Gedicht „Mit Reben bedachet", hier jedoch eher spielerischheiter: 20 21 22

Ebenda, Bd. 30, S. 291-293. Ebenda, Bd. 3,1, S. 105-109, Vers 113-125. Ebenda, S. 92-97, Vers 51-60.

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Tummelt euch; noch eine Weile Treibt das Spiel mit euch sein Spiel, Endlich naht das Ziel dem Pfeile Wenn der Pfeil nicht naht dem Ziel."

Während zu Beginn der zweiten Strophe von „O wie so oft" das Ziel der Sehnsucht „naht", flieht es am Ende den Pfeil. Die entgegengesetzten Bewegungsrichtungen beschreiben so die Hoffnung auf Erlösung und die letztliche Enttäuschung. Diese Erfahrung kleidet Brentano in dieser Strophe in weitere Bilder, die uns vor allem aus der zeitnahen Lyrik an Luise Hensel aber auch aus dem erzählerischen Werk bekannt sind. Die Verse 3-7 der Strophe lauten: Sanken Dürstende müde Gedanken Hin an brennender Schwelle Seelig kühlender ferne Ach da stürzte zum Herzen die Welle

Im Mittelpunkt des dichterischen Bildes steht die „Schwelle", die im Bildbereich der Romantik eine zentrale Rolle einnimmt, einen guten Überblick über die Bedeutung des Motivs verschafft Wolfgang Frühwalds Beitrag im Neuen Handbuch der Literaturwissenschaft™ Auch in Brentanos Werk kommt dem Schwellen-Motiv großes Gewicht zu, das zum einen sein Drama Die Gründung Prags strukturiert, zum anderen die Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl leitmotivisch durchzieht. In Brentanos Gedicht „O wie so oft" markiert die Schwelle die Grenze zwischen der quälenden Gegenwart und der erhofften Erlösung. Hier haben wir den Gegensatz von dürstend und müde auf der einen Seite, auf der anderen Seite die seelig kühlende Feme, - auch die Ferne ist ein in der Romantik und ebenso im (Euvre Brentanos häufig auftretender Topos für ein tröstlich erlösendes Sehnsuchtsziel; ein Hinweis auf Lothar Pikuliks diesen Themenkomplex behandelnde Studie Romantik als Ungenügen an der Normalität muß hier ausreichen. Wenige Zeilen später werden die einander entgegengesetzten Bereiche im Bild der .heißen Steppe' und der Flut bzw. der Welle gefaßt (Vers 24-26), auch hier Motive, die sich in Brentanos Werken vor allem des zweiten Berliner Aufenthaltes immer wieder finden. Im Alten Testament und in den Evangelien ist die Wüste verflucht, ein Ort ohne Segen und ein Ort der Versuchung und als ein solcher ist die Wüste in Brentanos, für Luise Hensel geschriebenes Gedicht „Ich bin durch die Wüste gezogen" Schauplatz der Handlung. Eingekleidet in die Geschichte vom Irrgang des lyrischen Ich in der Wüste, von seinen Verlusten, seinen Ängsten und von seiner Suche nach dem lebensrettenden Wasser, erzählt dieses Gedicht von der Hoffnung auf Erlösung. Das Erlösungsgeschehen wird dabei von Brentano im Sinnbild des Wassers gefaßt, das

Ebenda, Bd. 3, 2. Frühwald: Romantische Lyrik im Spannungsfeld von Esoterik und Öffentlichkeit. - In: Neues Handbuch der Literaturwissenschaft, Bd. 14, S. 355-392.

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ebenfalls in den biblischen Texten vor allem aber in der pietistischen Lyrik, mit der sich Brentano intensiv auseinandersetzte, die Gnade Gottes symbolisiert. Da hört ich ein Flügelpaar klingen Da hört ich ein Schwanenlied singen, Da fühlt ich ein kühlendes Wehn Da sah ich mit thauschweren Schwingen Einen Enge! in der Wüste, gehn. Und als ich ihn fragend begrüßte, Sag an, du Engel der Wüste Wo find ich den Wasserquell? Sprach er: wer treulich büßte, Der steht an der Brunnen schwell. Sag an, du Engel der Wüste, Wo find ich den Quell, da ich büßte, Wo find ich Jerusalem Da sprach er: so ich das nicht wüste, Kam ich nicht von Betlehem."

Den Bildbereich der zweiten Strophe des Gedichts „O wie so oft" erweitert Brentano in Vers 22f. nochmals: „Ach da stürzte zum Herzen die Welle / Und das lachende Licht in die finsteren Sterne". Hier werden nun das „lachende Licht" und die „finsteren Sterne" einander gegenüber gestellt. Wenn man eine Auslegung analog der vorher besprochenen Motive versucht, also im Vergleich mit dem bildlichen Reservoir der Bibel und der pietistischen Lyrik, so müßten die Sterne als Zeichen Gottes gedeutet werden, die in Dunkelheit gehüllt sich vor dem Ich verbergen, erst das Licht, ein biblisches Bild für die Offenbarungen Gottes, erhellt die Finsternis. In der dritten Strophe arbeitet Brentano mit einem Motivkomplex, der unter Einbeziehung der Wassermetaphorik durch den Blume-Stern-Auge-Bildbereich bestimmt wird. Die ersten Verse dieser Strophe, „O wie so tief/ Oft aus den Wogen mich's rief (Vers 29f.)", lassen an die lockenden Rufe einer Wassernixe oder Sirene denken und gewiß auch an den dadurch drohenden Untergang. Der Topos des Untergangs begegnet häufig in Brentanos Werken und Briefen und erscheint zumeist im Zusammenhang mit dem aus der barocken Lyrik bekannten, ambivalenten Schiffahrtsmotiv26 oder aber allgemeiner mit der Wassermetaphorik. Bei Brentano ist der Untergang sowohl positiv als auch negativ besetzt. Als Sehnsuchtsbild der erotischen Liebe, also im positiven Sinne, verwendet er Schiffbruch und Untergang beispielsweise in einem Brief vom 20. oder 21. Oktober 1803 an Sophie Mereau,27 im frühen Gedicht „Wenn der Sturm das Meer umschlinget" und in dem an Marianne von Willemer gerichteten „Es stehet im Abendglanze":

25 26 27

Brentano: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 3, l, S. 92-97, Vers 71-80. Vgl. Bhatti: Clemens Brentano und die Barocktradition, S. 144-166. Brentano: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 31, S. 256-260.

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Ans Meer will ich mich stellen Betrübt im Abendschein, Und sehen, wie in die Wellen Versinkt dein Stemelein, Und niedersehn und weinen, Die Trähnen all hinab, Sie wollen sich ja vereinen Mit deines Sternes Grab.28

Hier ist die Untergangsmetapher doppeldeutig, denn während zum einen das Ich wünscht, mit dem Du im Meer zu versinken und zu verschmelzen, deutet Brentano zum anderen den destruktiven Aspekt des Untergangs in der erotischen Liebe im ersten Vers dieser Strophe durch das Wortspiel mit dem Namen des Ehemannes der Gedicht-Adressatin (Willemer - Meer will) an: In den Meeres-Fluten versinkt der Stern der Adressatin, die als vierzehnjährige Schauspielerin und Tänzerin von dem Frankfurter Bankier als Maitresse in seinen Haushalt aufgenommen wurde und damit ihre Bühnenkarriere beendete. Beispiele für den negativ besetzten Untergang in der erotischen Liebe sind auch die Titel der Binnenerzählung der ersten Fassung der Chronica des fahrenden Schülers, Vom traurigen Untergang zeitlicher Liebe29 und des Romanfragments Der schiffbrüchige Galeerensklave vom todten Meer.30 In diesen Zusammenhang gehören auch die Sirenen-, Nixen- und Melusinenfiguren aus Brentanos Werken; exemplarisch sei auf die Lureley verwiesen, die Zauberin des in zwei Fassungen überlieferten Gedichts „Zu Bacharach am Rheine" und ihre dem Element des Wassers zugeordnete Namensschwester in den Mährchen vom Rhein.31 Als Bild der existentiellen Gefährdung gestaltet Brentano den Untergang in dem oben schon angesprochenen Gedicht „Meister ohne dein Erbarmen": Kömmt die Angstflut angeronnen. [...] Brechen her die bittern Wellen, Die kein Witz, kein Fluch mir zwinget. Ändern ruf ich: schwimme, schwimme, Mir kann solcher Ruf nicht taugen, Denn in mir ja steigt die grimme Sündflut, bricht aus meinen Augen. (Vers 20-32)

Den drohenden Untergang im Sturm, dem Bild des Lebens, beschreibt Brentano in dem an Luise Hensel gerichteten Gedicht „O du lieber Wilder Regen" und verwendet das Bild nochmals in seinem Abschiedsgedicht vor seinem Weggang nach 28 29 )0 31

Ebenda, S. 89-92, Vers 57-64. Ebenda, Bd. 19, S. 152-177. Ebenda, S. 227-249. Vgl. die Erläuterungen zu den Mährchen vom Rhein. - In: Brentano: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 17, S. 405. Vgl. ebenso die Erläuterungen zur Entstehung des Gedichts „Ich kenn ein Haus, ein Freudenhaus" von Brentano - ebenda, Bd. 3, l, S. 264-267.

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Dülmen „Nun soll ich in die Fremde ziehen". Noch weitere Belegstellen ließen sich für das Untergangs-Motiv in Brentanos Werk finden, zusammenfassend läßt es sich wohl als existentiell bedrohlich und erotisch konnotiert deuten, und in dieser Bedeutung auch im Gedicht „O wie so oft" interpretieren. Die folgenden Verse bedürfen gleicherweise des vergleichenden Blicks auf die in demselben Zeitraum entstandene Lyrik Brentanos, um ihre Bedeutung erschließen zu können. So die Vorstellung, daß „Thränen" fallen, „Um nach den Sternen zu zielen" (Vers 32). Die „Sterne" haben wir schon an vorhergehender Stelle als transzendente Zeichen der Erlösung gedeutet. Die Tränen sind in zwei Gedichten an Luise Hensel, in „An des Hauses kleiner Thüre" und „Fahre fort mit Domenschlägen", wie in den biblischen Texten Zeichen der Reue, die die Hinwendung zu Gott einleiten. Wenn wir nun die Bedeutung der beiden Motive auf das Gedicht „O wie so oft" übertragen, gelangen wir zu der Deutung, daß das Ich bußfertig den Weg zur Erlösung sucht. Brentano gestaltet das vertikale Prinzip der Gegenüberstellung von himmlischer bzw. numinoser und irdischer Sphäre in den Bildern der „spiegelnden Seen" (Vers 33) und der „Augen der Erde" (Vers 35) einerseits, und andererseits im Bild der ,Himmlischen Kinder' (Vers 36) weiter aus und erweitert es um das Spiegelmotiv. Die Bezeichnung der „spiegelnden Seen" als „Augen der Erde" verweist ebenfalls in den geistig-religiösen Bereich. Ist die spiegelnde Wasserfläche nach Neureuter „die Seele selbst, ihr Geistiges",32 so ist das Auge schon in der biblischen Parabolik .Fenster der Seele* und »Spiegel des Herzens',33 dessen .Blick' sich hier auf „Himmlische Kinder" richtet und so, das Numinose gleichsam berührend, zum .Gottesspiegel' wird. Im Bild der .Bitteren Bäche' (Vers 39) greift Brentano einen ändern Aspekt des Wassermotivs auf: Fließendes Gewässer, als dichterisches Bild des Lebens, ist ein traditionsreiches lyrisches Motiv, wenn es Brentano hier mit dem ruhig liegenden See kontrastiert, so bezeichnet er damit einesteils den schmerzlichen Triumph des Irdischen über das Göttliche, andernteils nimmt er so einen in der Erzählung Der Sänger bereits gebildeten Ausdruck des Selbstverlustes wieder auf: Ich eile hin, und ewig flieht dem Blikke Des Lebens Spiegel fort in wilder Fluth, Die Sehnsucht in die Feme nimmer ruht, Und weinend schaut Erinnerung zurücke (Vers 1-4).34

Die Wassermetaphorik ist hier also nicht wie in der vorangegangenen Strophe positiv konnotiert, also als erlösend verstanden, sondern negativ, also gefährdend. Eine Ambivalenz, die Brentano schon aus der Barocklyrik vertraut gewesen sein dürfte und dort als .gefährdendes Weltmeer' und als .sanftes Himmelsmeer' gestaltet

Neureuter: Das Spiegelmotiv bei Clemens Brentano, S. 214. Vgl. die Erläuterungen zu „O wie so oft", Vers 49. - In: Brentano: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 3, 1,8.310. Ebenda, Bd. 19, S. 75f. Vgl. Neureuter: Das Spiegelmotiv bei Clemens Brentano, S. 65.

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wurde,35 und die sich - wie es Harry Tucker dargestellt hat36 - in Brentanos gesamtem (Euvre findet. Hier wie in der zweiten Strophe entwickelt Brentano die aufeinanderfolgenden Bilder aus einem Assoziationszusammenhang heraus, der als .privat' und symbolisch zu charakterisieren ist und sich der Interpretation erst im Kontext seines Gesamtwerks öffnet. In der sich auch formal - durch die Erweiterung um fünf Verse einerseits und den Tempuswechsel vom Imperfekt zum Präsens andererseits - abhebenden vierten Strophe verläßt Brentano die Thematik und auch die Art der stilistischen Umsetzung der vorausgegangenen Strophen. Nicht mehr enttäuschte Sehnsucht wird thematisiert, sondern über Schönheit, Wahrheit und deren Darstellung in der Kunst reflektiert. Die Überlegungen zu Schönheit und Wahrheit entwickelt Brentano aus dem Wort- und Bedeutungsfeld von .Schein' (Vers 44). Das „Auge" (Vers 49) bildet hier den Fokus von „Schönheit" (Vers 44) und .himmlischer Güte' (Vers 48), bündelt irdische Ästhetik und transzendente Innerlichkeit zur „Wahrheit" (Vers 49) und wird so zu einem Punkt, der in seiner Transparenz den Zugang zu Außen und Innen, zu Göttlichem und Menschlichem gleichermaßen eröffnet. In der Beschreibung des Auges, dieser - wie Brandstetter ausführlich dargestellt hat - aus der Bildtradition der Mystik stammenden Figur,37 in seinen Attributen .sehend' und ,sichtbar4 klingen Formulierungen an, die Brentano im Godwi und in der Chronica des fahrenden Schülers zur Beschreibung seines Ideals eines unschuldigen, im Einklang mit Gott und der Schöpfung lebenden Menschen verwendete. Dort heißt es, diese Menschen „durchströmt das Leben, das sie selbst durchströmen, und das Schaffen, das sie mit dem Ganzen in sich aufnahmen, schafft unwillkührlich wieder in ihnen"38 und „ihre Seele ist geschaffen gleich einem Schaffenden Spiegel der Schöpfung".39 Diesem .Ebenbild Gottes' stellt Brentano nun die „Dichter" (Vers 51) in seinem Gedicht „O wie so oft" negativ entgegen. Sie „Machen die Glieder zum Leib gem" (Vers 52), d. h. sie verkennen das Wesentliche. Ihre Kunst wird als Verzerrung beschrieben, wenn es heißt, die Dichter Schneiden Gesichter In einen Kirschenkern Traurig und lachend o gebe Lieber der Erde ihn, daß er lebe Blüthevoll Früchtevoll Dir und den deinen himmlischen Segen, Webe Auf irdischen Wegen (Vers 53-61).

Die Kunst wird im Vergleich zur Offenbarung Gottes in der Natur abgewertet. Im schon zitierten Brief an Ringseis vom Februar 1816 schreibt Brentano ganz ähnlich: Vgl. Bhatti: Clemens Brentano und die Barocktradition, S. 149. Vgl. Tucker: Water as a Symbol and Motif in the Poetry of Clemens Brentano, S. 320-323. Vgl. Brandstetter: Erotik und Religiosität, S. 163 u. 173. Brentano: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 16, S. 109. Ebenda, Bd. 19, S. 146.

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Es giebt nur eine Form, welche nicht ganz sinken kann, es sei dann der Herr zerbreche sie, es ist das Geschaffene, aber unsere Form für die Lehre Jesu will an mir nicht wirken, wie der Gestirnte Himmel, oder das Aufgehende Licht, oder ein Wehen der Luft, oder mein Gefühl, daß ich Lebe, diese Gefühle rühren mich, erschüttern mich, und bewegen mich zum Guten, zu Gott.40

Fast zehn Jahre später drückt Brentano diesen Gedanken folgendermaßen aus: Wer nur einen Moment des Lebens, nur das kleinste Fragment der Natur [...] ruhig stehen läßt und vorübergehend anschaut, ohne daran zu zerren, zu modelliren, zu metamorphosiren, der findet eine so unendliche tiefe hohe und doch naive, einfältige Würde und Bedeutung in jeder Realität ohne übrige Deutung, daß für das Empfangen nur Dank und für das Besitzen nur Opfer übrigbleibt, um es zu würdigen. Aller übriger Umgang mit den Dingen, der sie dreht und wendet und färbt und schmückt und überdestilirt was die Poesie besonders will, ist am Ende nur ein Götzendienst, der durch seine Spiritualitaet um so gefährlicher ist.41

Brentano schreibt hier nun auch der Kunst und insbesondere der Literatur FetischCharakter zu. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Etymologie des Begriffs Fetisch, mit dem ursprünglich portugiesische Reisende afrikanische Kultgegenstände bezeichneten. Das portugiesische Wort feitico bedeutet Zauberei, und leitet sich von dem lateinischen facticius ab, was künstlich bedeutet. 4. Zusammenfassung Fassen wir unsere Interpretationsversuche zusammen: Brentano nimmt sich einen Text Arnims als Vorlage und Ausgangspunkt für ein Gedicht und dichtet zwei Strophen hinzu, die sich in Metrik und Reimschema dem Arnimschen Text weitgehend annähern und den Inhalt der Vorlage, die verzweifelte und schließlich enttäuschte Hoffnung auf Erlösung, in eigenen, assoziativ entwickelten und schlaglichtartig aus diesem Assoziationszusammenhang herausgehobenen Bildern wiederholen. Die letzte Strophe dann wechselt nicht nur die Form, sondern auch das Thema: Hier wird über Erkenntnis des Göttlichen und den Fetisch-Charakter der Poesie reflektiert.

5. Thesen Am Ende des Beitrags bleiben einige Fragen: Ist nicht Brentanos spätere Entwicklung - gemeint sind die vier Jahre, die er göttliche Wahrheit aus dem Munde der stigmatisierten Anna Kathrina Emmerick empfangend das Leben Jesu und Marias im Detail aufnotierte, und so zu einem Schriftsteller im eigentlichen Sinne des Wortes wurde, diesen Beruf also so ausübte, wie ihn noch die Großmutter in seiner Geschichte vom braven Kasperl und schönen Annerl verstand - ist nicht diese 40 41

Ebenda, Bd. 33, Brief Nr. 687. Brentano an Johann Friedrich Böhmen, Koblenz, 3. Juli 1826 (Es ist abscheulich ...), Hs FDH 7829.

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Entwicklung in Brentanos intertextuellem Verfahren, Texte von geliebten und bewunderten Menschen in eigene zu inkorporieren oder mit eigenen zu verweben, schon präludiert? Tragen diese Texte nicht für Brentano das Gütesiegel der „wahren Poesie"? Ähnlich vielleicht wie er die Kunst Philipp Otto Runges verstand, den er für Zeichnungen zu den Romanzen vom Rosenkranz und damit gewissermaßen als Co-Autor zu gewinnen hoffte. Dem Werk Runges schreibt Brentano in seinem lyrischen Nachruf Offenbarungscharakter zu, rückt es dem Gottes Herrlichkeit verkündenden liber naturae an die Seite und weist es, seine Bilder als .Schatten' des im .Himmel geträumten Traums' beschreibend, als Kommunikationsträger des Numinosen aus. So charakterisierte Brentano auch die Gedichte Luise Hensels in einem Brief an seinen Bruder Christian: Diese Lieder haben zuerst die Rinde über meinem Herzen gebrochen, durch sie bin ich in Thränen zerflossen und so sind sie mir in ihrer Wahrheit und Einfalt das Heiligste geworden, was mir im Leben aus menschlichen Quellen zugeströmt. Indem ich sie Dir mittheile, theile ich Dir das Liebste, was ich habe, theile ich Dir, was mir noch immer das innerlich Erweckendste und Beweglichste ist, das mich stündlich mahnt und tröstet [, mit].42

Doch Brentanos Wertschätzung der Gedichte Luise Hensels ging nicht mit dem uneingeschränkten Respekt vor ihrer Autorschaft einher. Als er ihre Gedichte in der Zeitschrift Der Katholik und im Geistlichen Blumenstrauß veröffentlichte, redigierte er die Texte mehr oder weniger stark. Er habe „so manches Persönliche darin und soviel unreifes Schwanken zwischen Welt und Himmel"43 gefunden, rechtfertigt er sein Eingreifen. Er tilgte in ihren Gedichten jedoch nicht allein jeden Hinweis auf Glaubens- oder Konfessionszweifel, sondern nivellierte auch den persönlichen Ausdruck, indem er individuelle Wendungen durch formelhafte ersetzte. Dieses Verfahren ist auch ein Beleg dafür, daß Brentano die Haltung der .esoterischen Romantik' ablegte oder zumindest ablehnte. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet gewinnt das Gedicht „O wie so oft" paradoxe Züge: Der Text beklagt die romantische Absolutsetzung der Kunst in einer Form, die in ihrer mystisch-dunkeln Rätselhaftigkeit gerade zutiefst romantisch ist.

Brentano: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 33, Brief Nr. 707. Zitiert Hensel: Aus Luise Hensels Jugendzeit. Neue Briefe und Gedichte, S. 71.

Holger Schwinn

Paralleltexte: Zu den kleineren Arbeiten Arnims und Brentanos 1810/11 i. Mit der parallelen Niederschrift der Kantaten auf den Tod der Königin Luise von Preußen beginnt im Juli 1810 ein neues Kapitel in der Geschichte des Dichterbundes Amim-Brentano.1 Die zwei literarischen Gegenstücke bilden den Auftakt zu einer Reihe von Doppeltexten, die in einem jeweils spezifischen Zusammenhang miteinander stehen. Ein an Jacob und Wilhelm Grimm adressierter Brief gibt über die in etwa zeitgleiche Entstehung der Gedichte in Berlin - bald nach der Rückkehr der Wunderhorn-HeTausgeber und „Liederbrüder" von einer vierwöchigen BöhmenReise - Auskunft; zudem enthält er eine Anleitung zur Rezeption. Clemens Brentano schreibt darin über sein Gedicht (als konzeptionelles Pendant zur Nachtfeier nach der Einholung der hohen Leiche Ihrer Majestät der Königinn. Eine Kantate von Ludwig Achim von Arnim, in Musik gesetzt von Georg Abr. Schneider): Reichardt ist hier [...], er hat meine Cantate auf die Königinn componirt, und mir bereits vorgesungen und genasenschniebt, das Ganze wird einen grasen Effeckt machen, obschon einiges ungemein elend ist, anderes recht gut, nichts wie ich es gedacht, sobald Sie gedruckt ist erhalten Sie dieselbe, ich habe Sie aus Curiositaet, wie ich mich bei gleichem Stoff von Amim unterschiede, in der Hinterstube mit ihm zugleich geschrieben, und es giebt vielleicht kein besseres Beispiel, zu zeigen, wie sehr wir divergiren, er so freudig, rührend, tief und hoch, ich in armer ebner dunkler trüber Bahn. Er, der in der zweiten Edition eine Menge zusezzte, ich der nichts mehr zu sagen hat, doch ist mir wunderbar, daß ich sein Gedicht nicht laut lesen kann, und das meine mich sehr bewegt. Ich sende Ihnen das Gedicht v. A. wie es zuerst war auch mit, es ist mir sehr interessant gewesen zu sehen, wie man etwas verbessert, waß an sich schon vortreflich ist.2

Die Divergenz des Arnimschen Textes und des seinen (Kantate auf den Tod Ihrer Königlichen Majestät, Louise von Preußen) bei gleichem Thema arbeitet der Briefschreiber hier dreifach heraus, wobei er anfangs geschickt eine unterschiedliche '

2

Die Beiden waren sich gegen Ende des Frühlings 1801 als Göttinger Studenten erstmals begegnet, und von da an haben sie sich in ihrem Schreiben und Dichten immer wieder aufeinander bezogen. Der Bogen ihrer Werkgemeinschaft im weitesten Sinne spannt sich im Jahr 1810 von Amims unberücksichtigt gebliebenem Beitrag zu Brentanos .verwildertem' Roman Godwi oder Das steinerne Bild der Mutter über den Briefwechsel bis zu ihren .volkspoetischen' Arbeiten, insonderheit Des Knaben Wunderhorn und Zeitung för Einsiedler. Dabei lassen sich eine Phase der Konstitution und Festigung des Freundschaftsbundes (1801-1804) und eine folgende produktiver Zusammenarbeit (ab 1805) unterscheiden. Vermutlich um den 2. Nov. 1810, Brentano: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 32, S. 290. Der Brief lag wahrscheinlich Amims Briefen an die Grimms vom 2. Nov. 1810 bei (vgl. Steig/ Grimm (Hrsg.): Achim von Amim und die ihm nahe standen, Bd. 3, S. 87).

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Interpunktion einsetzt, um den Unterschied zu verdeutlichen („so freudig, rührend, tief und hoch" vs. „in armer ebner dunkler trüber Bahn"). Dabei erfaßt er insbesondere mit den Attributen „freudig, rührend" das der Nachtfeier zugrundeliegende Konzept einer Trauer-Feier, das heißt die in der dazugehörigen Vorrede formulierte Absicht, in schwerer Zeit „alle Aufmerksamkeit, alles Gefühl der guten Seite des Schmerzes, seiner stärkenden begeisternden Kraft zuzuwenden."3 Arnims Konzept entsprach der Stimmungslage des preußischen Volkes, das sich nach dem Tod der verehrten Königin - als der Personifikation des antinapoleonischen Widerstands und der Erneuerung im Lande - in seiner Trauer mit neuer Entschlossenheit gegen Napoleon auflehnte und nun, wie ein Zeitzeuge zu berichten weiß, „eine jede Gelegenheit ergreifen wollte, das verhaßte Joch abzuwerfen."4 Diese Tendenz wird von den in das Gedicht eingearbeiteten, mit viel Rhetorik im Wechselgesang an das Volk gerichteten, aufmunternden Appellen unterstützt, wobei zum Teil das Ästhetische dem Zweckmäßigen untergeordnet erscheint (in einprägsamen, gleich Parolen klingenden Verskombinationen wie: „Uns umstrahlet die Entfernte, / Frisch zur Arbeit, frisch zur Erndte"5). Gegen Ende des Werks tritt von den drei nach Karl Bühlers .Organonmodell' dem sprachlichen Zeichen zuordenbaren Funktionen (Darstellung, Ausdruck, Appell)6 die Appell-Funktion der Sprache mehr in den Vordergrund: Frisch zur Arbeit, frisch zum Streiten Gehen wir aus Trauerzeiten, All' in einer Lieb' vereint, Wenn die Sonne wieder scheint.7

In Brentanos Kantate dagegen wird die Lage in Berlin mit Resignation bedacht, das Sterben und Zu-Grabe-Tragen der Königin in den schönsten Versen verklärt („Verzeihe, daß der Tod mir herrlich scheinet"8), ohne diesem Übergang „zu Paradiesen" und dem „Ewig, ewig wird sie leben"9 eine weltliche Hoffnung an die Seite zu stellen. Das zeigt sich nicht zuletzt in der düsteren Symbolik: Die Königin ist von ihrem letzten Besuch auf ihres Vaters Schloß Hohenzieritz bei Neustrelitz in Mecklenburg nicht mehr lebend zurückgekehrt. An Stelle der von den Franzosen geraubten Viktoria, der Siegesgöttin mit dem Viergespann, wirft nun die Trauerfahne vom Brandenburger Tor herab ihre Schatten über das nach der vernichtenden

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Amim: Sämmtliche Werke, Bd. 22 [1856], S. 322 (An die Leser). Steffens: Was ich erlebte, S. 221. Amim: Sämmtliche Werke, Bd. 22 [1856], S. 347. Vgl. Bühler: Sprachtheorie, insbesondere S. 24-33. Arnim: Sämmtliche Werke, Bd. 22 [ 1856], S. 346. Vers aus der „Zueignung" zur umgearbeiteten Kantate (Beethoven-Fassung). Brentano: Werke, Bd. l (2. Aufl.), S. 204. Die sogenannte Reichardt-Fassung des Gedichts ist nicht bekannt. Zitiert wird deshalb nach der gedruckten Vorstufe zu dieser Fassung in Diel/Kreiten: Clemens Brentano, Bd. l, S. 427441, hier S. 434, 436; nach der „einzigen Originalschrift, dem zweiten Brouillon von der Hand des Dichters" (ebenda, S. 313).

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Niederlage im Vierten Koalitionskrieg unterdrückte und von Kontributionen schwer belastete Preußen: Auf dem hohen Thore flagget, Wo die Siegesgöttin stand, Eine schwarze Trauerfahne Ihre Schatten über' s Land. [...] Oeffnet, öffnet die Thore der Stadt, Ihr Männer] Zu euch ziehet die Trauer ein, Und der bittere Schmerz Hat eure Mauern zerbrochen. Stark ist die Liebe, Sie hat gerungen für's Vaterland; Aber stärker der Tod! Er hat euch geschlagen, Wo ihr tödtlich wäret.10

Niedergeschlagen und melancholisch, „in armer ebner dunkler trüber Bahn" eben, wie es in dem eingangs zitierten Brief an die Brüder Grimm heißt, besingt das Gedicht die Trauer um die Königin als ein Symbol der preußischen Depression. Es ist wie die Nachtfeier und Kleists An die Königin Luise von Preußen (zur Feier ihres Geburtstags den W. März 1810) dem damaligen Luisen-Kult zuzurechnen," dient jedoch in seiner - was das Weltliche betrifft - resignativen Grundstimmung wohl kaum dem aggressiven preußischen Patriotismus, der in Versen wie „Und der bittere Schmerz / Hat eure Mauern zerbrochen. /[...] der Tod! / Er hat euch geschlagen" oder in dem vom Verfasser klugerweise wieder gestrichenen Ausspruch des Königs „Mein Kreuz und Weinen mehret sich, / Vor Angst möcht' ich vergehen!"12 doch eher unterminiert wird. Überhaupt scheint sich Brentano kaum für die militante Variante der Vaterlandsliebe interessiert zu haben. Vielmehr vertrat er Arnim gegenüber, dessen Haltung zum Krieg schwankend war,13 zu Zeiten die Ansicht, es sei „etwas entsezliches, in einer Zeit, wo nur die Idee siegt, mit den Waffen in der Hand zu sterben."14 Und so strukturiert auch nicht der nebulös im Hintergrund bleibende preußisch-französische Konflikt den Gegentext zur Nachtfeier, sondern die Trias .Leben - Tod - Erlösung', wobei die drei Stufen figurativ dargestellt und in wechselnden Konstellationen und Spiegelungen aufeinander

Ebenda, S. 433f. Vgl. dazu Frühwald: Spätwerk, S. 74-82. Diel/Kreiten: Clemens Brentano, Bd. l, S. 439. Die Wandlung der Einstellung Arnims zum Krieg während des Vierten Koalitionskriegs angesichts der militärischen Verheerungen dokumentiert Bettina Zschiedrich: Ein Krakower Konvolut Amims mit Exzerpten, Konzepten und Notizen 1806-1807. - In: Burwick/Härtl (Hrsg.): „Frische Jugend, reich an Hoffen", S. 165-180, hier S. 178-180. In der Nachtfeier schlug der Dichter aber wieder kriegerische Töne an: „Laßt uns nach den Palmen trachten / Im Gebet und in den Schlachten" (Amim: Sämmtliche Werke, Bd. 22 [1856], S. 345). 1. Jan. 1806, Schultz (Hrsg.): Freundschaftsbriefe, Bd. l, S. 326.

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bezogen sind. Deutlich zeigt sich die triassische Struktur in den drei Strophen von „Ueber'm Grab ist eine Höhe" bis zu „Triumphirte unser Held", deren mittlere noch einmal in sich dreistufig angelegt ist. Sie klingt in einem bekannten Gedicht aus den Kronenwächtern nach und lautet: Ueber'm Grabe ist ein Hügel, Daß die Trauer ihren Flügel Hebe zu der hohem Welt.15

Indem mit solchen Versen die allgemeinmenschliche Erfahrung von Tod und Trauer am Beispiel Luises von Preußen in einem ,,religiöse[n] Ton, der [...] in einem eigenen Widerspruch mit des Dichters damaliger Gesinnung zu stehen scheint",16 erkundet und variiert wird, vereinigt die Kantate, Arnims trefflicher Analyse zufolge, „beinahe alles Gute, was sich über den Tod der Königin als allgemeine Erscheinung sagen ließ."17 Die Trauer findet Trost in der Gewißheit einer „höhern Welt". Die Nachtfeier nach der Einholung der hohen Leiche Ihrer Majestät der Königinn zeichnet sich darüber hinaus durch einen durchgehenden Bezug auf die historische Realität aus. Amim skizziert darin, zum Teil sehr konkret, wichtige Stationen des späteren Luisen-Mythos: die Ankunft der Braut in Berlin im Dezember 1793, die Zeit des Krieges und Exils, die Rückkehr in die preußische Hauptstadt, Luises Sterben und schließlich die (im Gedichttext vorweggenommenen) Begräbnisfeierlichkeiten. Dabei greift er auf eigene Erlebnisse und Erinnerungen an oft nur flüchtige Begegnungen mit der Königin in Berlin, Halle, Göttingen und Königsberg zurück. (Brentano hatte nichts Vergleichbares vorzuweisen.) Die persönlichen Erlebnisse sind dabei eng mit den Erfahrungen des preußischen Volkes verwoben; der Dichter macht sich beim Erinnern gleichsam dessen Perspektive zu eigen: Als Kind ging ich mit buntem Fähnlein Ihr entgegen, Wo ich Ihr hoffte zu begegnen; Ich wuchs empor, von Ihr zwar ungekannt, Doch unter ihren Augen, Und feierte als Bürger unter Waffen Die letzte frohe Wiederkehr der Hochverehrten:

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Diei/Kreiten: Clemens Brentano, Bd. l, S. 433. Vgl. das Gedicht „Gib Liebe mir [...]" („es war eine Art Gebet"), Vers 7ff.: „Gib Flügel dann und einen Hügel Sand, [...]." (Amim: Werke, Bd. 2, S. 183) Das Gedicht steht auch auf einer Steintafel an der Außenmauer der Wiepersdorfer Gutskirche im Freien über den Amimschen Gräbern. Diel/Kreiten: Clemens Brentano, Bd. l, S. 313. An Jacob und Wilhelm Grimm, zwischen Weihnachten 1810 und Neujahr 1811, Steig/Grimm (Hrsg.): Achim von Amim und die ihm nahe standen, Bd. 3, S. 96. Die Betonung liegt auf .allgemein', denn zu „Grabe wird hier nicht allein die Königin getragen, sondern" auch die Verkörperung von Gedanken aus Novalis' Glauben und Liebe, „die ideale Gattin und die Mutter, erinnert wird ein Idealbild der eigenen Ehe" (Frühwald: Spätwerk, S. 81). Arnim: Sämmtliche Werke, Bd. 22 [1856], S. 329.

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Reinhold Steig und Elisabeth Stopp haben darauf hingewiesen, daß Amim auf Grund seiner Herkunft und seines Lebenswegs viel eher dazu berufen war, eine Kantate anläßlich des Todes der Königin zu schreiben, als Brentano.19 Arnim war kein Fremder in Berlin, er engagierte sich als Preuße für die Sache Preußens, und so hat sein Text eine Relevanz und eine Ästhetik des Engagements, die der fern des märkischen Sandes Aufgewachsene bestenfalls konstruieren konnte. Brentano gelang zwar aus der größeren Distanz zur militant-patriotischen Bewegung, an der er anscheinend nur vordergründig teilnahm, eine ausgereifte Arbeit über den Tod einer geliebten Frau, aber das Gedicht seines „Herzbruders" ist dafür näher an den bewegenden Ereignissen der Zeit, enger mit dem Schicksal des Landes und den politischen Kämpfen in Berlin verknüpft. Nicht zuletzt hinsichtlich der großen Verbundenheit mit den preußischen Interessen steht es als ein „musikalisches Gelegenheitsgedicht", wie der Verfasser in der Vorrede dazu feststellt, in einer ganzen Reihe von Gedichten auf den Tod der Königin der „Volksgesinnung am nächsten [...]: fremdartiger Kirchenstyl und poetische Eigenthümlichkeit sind darin vermieden".20 Luise von Preußen war auf Schloß Hohenzieritz am 19. Juli 1810 gestorben. Die Leiche wurde Tage später nach Berlin überführt und dort, nach mehrtägiger Ausstellung des Sarges, am 30. Juli im Dom beigesetzt. Im Gegensatz zu Arnim, der einer Aufforderung des Komponisten, des „Königlichen Kammermusikus" Georg Abraham Schneider, folgte, war Brentano offensichtlich von niemandem gebeten worden, einen Kantatentext zu diesen Ereignissen zu verfassen. (Johann Friedrich Reichardt, der Hofkapellmeister, der damals für ihn die Musik zum Universitafi L/fferariae-Gedicht schrieb und vom König zunächst als Komponist einer Kantate zu den Trauerfeiern ausdrücklich abgelehnt worden war,21 konnte erst nachträglich für eine Vertonung gewonnen werden.) Sein Text ist vielmehr aus eigenem Antrieb und somit in Konkurrenz zu Arnims offiziellem Gedicht entstanden, dessen musikalische Aufführung im Königlichen Opernhaus als eine Ergänzung zu den unterschiedlichen kirchlichen Gedächtnisveranstaltungen gedacht war. Die Situationen, die den jeweiligen Ausgangspunkt zum Verfassen der Kantaten bildeten, waren also grundverschieden. Sie spiegeln sich mehrfach gebrochen in einem weiteren Brief an die Grimms. Brentano schreibt darin, die biblischen Worte, die der König in der Kantate spricht und die Friedrich Wilhelm III. - eine interessante Parallelstelle in einem Brief an Luises langjährige Freundin Marie von Kleist auch schriftlich formuliert hat, als vielsagendes Fazit zitierend: Amim hat auf den Tod der Königinn aufgefordert von einem ganz unendlich elenden Musikanten in aller Eile eine Kantate geschrieben, die vortreflich ist, sie ist componirt und Aufgeführt worden, die Musick war für jeden vernünftigen zum Todlachen. Ich habe auch eine geschrieben für mich, um zu sehen, wie wir divergirten, und das ist ziemlich, er endigt mit Alleluja und ich mit: meine Seele ist betrübt biß in den Tod.22 " Vgl. Steig: Berlin in Trauer, S. 271; Stopp: Amim's Luisen-Kantate, S. 87. Amim: Sämmtliche Werke, Bd. 22 [ 1856], S. 322 (An die Leser). 21 Vgl. Fischer-Dieskau: „Weil nicht alle Blütenträume reiften", S. 379. 22 An Jacob und Wilhelm Grimm, 3. bis etwa 11. Sept. 1810, Brentano: Sämtliche Werke und 20

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Amims patriotisches Zeitgedicht war tatsächlich „in aller Eile", angeblich „in wenigen Stunden",23 entstanden. Im Gegensatz dazu wurde Brentanos Werk über einen größeren Zeitraum hinweg „mit großem Fleiße ausgearbeitet".24 Auf Grund der längeren Entstehungszeit weist es Spuren dichterischer Abhängigkeit von seinem Gegenstück auf: Ein Bibelzitat beispielsweise, das leicht abgewandelt in die Nachtfeier eingegangen ist („Er hat Sie gegeben, / Er hat Sie genommen, / Der Name des Herren sei gelobt."25), findet sich bei Brentano noch nicht in der (Vorstufe zur) Reichardt-Fassung, wohl aber in ähnlicher Form in der späteren, für Beethoven angefertigten Niederschrift der Kantate.26 Beide Fassungen des Brentano'sehen Gedichts sind zu Lebzeiten des Autors nicht im Druck erschienen. Arnims Auftragsarbeit dagegen wurde in zwei unterschiedlich langen Textfassungen - mit 16 beziehungsweise 32 Seiten Umfang im Oktavformat der Erstausgaben - sowie in Teildrucken umgehend publiziert. (Der Erlös des Erstdrucks kam den Armen des Landes zugute.) Ihre Uraufführung fand in der Vertonung Schneiders einen Monat nach dem Tod Luise von Preußens statt, am 18. August. Erst in einem nach Weihnachten 1810 verfaßten Brief- also bereits nach der Überführung des Sarges von der vorläufigen Ruhestätte im Dom zum Mausoleum im Garten des Schlosses Charlottenburg - ist dann von wenig überzeugenden Probeaufführungen des Gegentextes mit der Musik Reichardts die Rede. Eine Uraufführung der offenbar schwer zu vertonenden Kantate auf den Tod Ihrer Königlichen Majestät, Louise von Preußen ist nicht belegt.27 Anfang 1811 schließlich bemühte sich Brentano vergeblich, Beethoven für eine Neuvertonung des inzwischen überarbeiteten Gedichts zu gewinnen. Auf Grund der widrigen Umstände blieb sein Text, wie viele Werke des Dichters, der Nachwelt vorbehalten, Briefe, Bd. 32, S. 282. Vgl. Brentano: Werke, Bd. l (2. Aufl.), S. 215; Diel/Kreiten: Clemens Brentano, Bd. l, S. 439; dort, im „zweiten Brouillon", steht der Vers „Meine Seele ist betrübt bis in den Tod" (nach Mt 26,38) jedoch nicht am Ende, sondern wird vielmehr als gestrichen mitgeteilt. Aus dem Brief von Friedrich Wilhelm III. an Marie von Kleist zitiert Gersdorff: Königin Luise und Friedrich Wilhelm III., S. 202. Arnim: Sämmtliche Werke, Bd. 22 [1856], S. 322 (An die Leser). Arnim an Jacob und Wilhelm Grimm, zwischen Weihnachten 1810 und Neujahr 1811, Steig/Grimm (Hrsg.): Achim von Arnim und die ihm nahe standen, Bd. 3, S. 96. Arnim: Sämmtliche Werke, Bd. 22 [1856], S. 332 (nach Hiob 1,21). Vgl. Brentano: Werke, Bd. l (2. Aufl.), S. 217; dagegen Diel/Kreiten: Clemens Brentano, Bd. l, S. 427-441. Brentano: Werke, Bd. l (2. Aufl.), S. 1083 nennt - wahrscheinlich im Anschluß an Brentanos Werke [Preitz], Bd. l, S. 55* - „Anfang 1811" als Aufführungsdatum der Reichardt-Fassung. Preitz' Angabe, daß Reichardt die Kantate nach mühevoller Vertonung „Anfang 1811 in Berlin auch zur Aufführung brachte, anscheinend mit wenig Beifall", ist jedoch offensichtlich nichts anderes, als eine Wiedergabe bzw. Interpretation der folgenden Briefstelle, in der lediglich Proieaufführungen erwähnt werden: „seine [Reichardts] Composition von der Cantate des Clemens hat in einigen Proben wenig Beifall erhalten, sie hätte wohl ein gutes musikalisches Geschick verdient" (Arnim an Jacob und Wilhelm Grimm, zwischen Weihnachten 1810 und Neujahr 1811, .jedoch erst Anfangs Januar 1811 abgeschickt", Steig/Grimm (Hrsg.): Achim von Amim und die ihm nahe standen, Bd. 3, S. 96). Vgl. femer zur Kantate Fischer-Dieskau: „Weil nicht alle Blütenträume reiften", S. 385: „aufgeführt worden ist sie nicht." „Über Reichardts Nöte beim Vertonen der Dichtung unterrichtet ein Brief von ihm an Brentano vom 9. September 1810." (Brentanos Werke [Preitz], Bd. l, S. 413)

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während die schnell hingeworfene, genialische Propagandadichtung Arnims, getragen von der Zeitstimmung, unmittelbar in ihrer Epoche wirken konnte und in der Königlich privilegierten Berlinischen Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen (Vossische Zeitung) sogar „zu einem großen Werke erhoben" wurde.28 Auch eine weitere Kantate Brentanos, ebenfalls im Sommer 1810 entstanden und gleichfalls von Reichardt vertont, gelangte nicht zur Aufführung. Auch zu ihr existiert ein Pendant: Arnims Der Studenten erstes Lebehoch bei der Ankunft in Berlin am 15ten October erschien zu diesem Datum in Kleists Berliner Abendblättern zeitgleich zur Erstausgabe der Universitati Litterariae. Kantate auf den ISten October 1810. Die Entstehung beider Gedichte vollzog sich ähnlich wie die der Gedichte zu den Trauerfeierlichkeiten - nur mit umgekehrten Vorzeichen. Diesmal hatte Brentano den Auftrag erhalten, zur geplanten (aus Anlaß des Geburtstags des Kronprinzen zum 15. Oktober), dann aber abgesagten, offiziellen Einweihungsfeier der neugegründeten Berliner Universität eine Kantate zu dichten. Seine Auftragsarbeit spiegelt das romantische Streben nach Einheit von Wissenschaft, Religion und Nation und präsentiert sich, „in einer Zeit, in der sich die romantischen Autoren im Einklang mit der Zeitstimmung wußten,"29 christlichpatriotisch. In der folgenden Chorstrophe läßt der Dichter die im Spätmittelalter geprägte Unterscheidung von Nähr-, Wehr- und Lehrstand Wiederaufleben und meint mit der Synekdoche „Buch" auch die Bibel. Wortwahl, -zahl und -klang sind einem strengen, der - im Vorfeld der industriellen Revolution eigentlich überkommenen - Dreigliederung der Stände entsprechenden Dreier-Schema unterworfen, das erst im Schluß des letzten Verses aufgebrochen wird: Fleiß ziert Deutschland, Wenn es nähret, Treu ist Deutschland, Wo es wehret, Groß ist Deutschland, Wenn es lehret, Pflug und Schwert und Buch es ehret.30

Arnim antwortete mit einer eigenen, moderneren Arbeit zur Feier, die in ihrer unbefangenen Frische und mit einem einfachen Wechsel- und Echospiel prädikativ und adverbial gebrauchter Adjektive („So still", „treu", „hell", „weit", „still", „hell" usf.) weitaus mehr Begeisterung für den Wissenschaftsstandort Berlin wecken kann als das als Dichtung und Gedankengebäude bedeutendere, barock konstruierte Pendant dazu. In Arnims Gedicht wird das die Universität beherbergende Bauwerk

Amim an Jacob und Wilhelm Grimm, 3. Sept. 1810, Steig/Grimm (Hrsg.): Achim von Arnim und die ihm nahe standen, Bd. 3, S. 70. Auch im Freundeskreis wurde das Gedicht positiv aufgenommen. Wilhelm Grimm z. B. war die Kantate „durch die große und ernste Trauer darin so lieb wie manches ähnliche im Sophokles." (An Amim, 15. Dezember 1810, ebenda, S. 90f.). Frühwald: Spätwerk, S. 75. Brentano: Werke, Bd. l (2. Aufl.), S. 220f.

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vom „Chor der Ankommenden", den neuen Studenten, als „Schloß" gefeiert, weil es das ehemalige Palais eines Prinzen ist: „So still, so treu die Spree hier fließt, „So hell, so weit die Straße grüßt, „So still, so hell glänzt Wissenschaft, „Die aller Welt Verbindung schafft." [...] „So tief, so weit des Schlosses Grund, „So groß, so ernst thut Sie [die Wissenschaft] Sich kund, „So weit dies Schloß und auch so hoch „Erschalle Ihr ein Lebehoch."31

Das Gelegenheitsgedicht besteht aus 14 symmetrisch alternierenden Strophen von je vier Verszeilen Länge: Einem ,,Eingebome[n]" antwortet der Chor der Studenten in sieben Gegenstrophen. Nahezu alle thematischen Abschnitte des Gedichts (Ankunft und Begrüßung der Studenten, Lob der Wissenschaft, der Stadt, des Universitätsgebäudes, des Königs) kehren, in anderer Form umgesetzt, in Brentanos offizieller festlicher Arbeit wieder. Die letzte Chorstrophe schließlich „bringt das Gedicht dem Kronprinzen dar; es war also auch in Erwartung des programmatischen Verlaufes der Feier gedichtet."32 Mit dem lyrischen Parallelogramm aus jeweils zwei Kantaten auf die neugegründete Berliner Universität und zum Tod der preußischen Königin ist im Sommer 1810 „aus Curiositaet"33 so etwas wie ein freundschaftlicher Dichterwettstreit zwischen Brentano und Arnim eröffnet worden. Er war anscheinend nicht explizit geplant,34 kristallisierte sich aber in den folgenden Monaten immer mehr als ein spielerisch-experimentelles Erproben unterschiedlicher Ideen und Fähigkeiten, eine literarische Versuchsreihe parallel formulierter Texte heraus. Wie das bekannte, 1810 für Kleists Abendblätter gemeinsam verfaßte Werk Verschiedene Empfindungen vor Friedrichs Seelandschaft, worauf der Kapuziner, auf der diesjährigen Kunstausstellung** und die spätere, auf Arnims Melück Maria Blainville, Kleist: Sämtliche Werke. Brandenburger Ausgabe, Bd. II/7, S. 67f. Steig: Kleist's Berliner Kämpfe, S. 306. Brentano an Jacob und Wilhelm Grimm, vermutlich um den 2. Nov. 1810, Brentano: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 32, S. 290. Leider haben Arnim und Brentano 1810 keine Briefe gewechselt (jedenfalls sind keine überliefert). Der Austausch über ihre Berliner Arbeit fand mündlich statt und ist deshalb - anders als beim Wunderhorn, zu dem ein Briefwechsel existiert - bestenfalls mittelbar, in Briefen von Dritten oder an diese, dokumentiert und von daher nur fragmentarisch zu rekonstruieren. Über Kleist schieb Brentano später: „er denkt sich alle Personen halb taub, und dämelich, so kömmt dann durch Fragen und Repetiren der Dialog heraus." (An Arnim, 3. Febr. 1816, Schultz (Hrsg.): Freundschaftsbriefe, Bd. 2, S. 730) Halb taub und dämlich erscheinen nun aber auch die Sprecher im ersten, von Brentano verfaßten Teil des Seelandschaft-Textes, dessen Struktur auf wiederholten Mißverständnissen zwischen den einzelnen Figuren aufgebaut ist. Insofern läßt sich dieser Teil nicht nur als eine Parodie auf die Betrachter des behandelten Gemäldes lesen, sondern auch als eine auf Kleists „Rezept zum Dialog" (ebenda, S. 730), wie es Brentano verstanden hatte - der im Herbst 1810 zumindest den Michael Kohlhaas und Teile des Käthchens von Heilbronn kannte (vgl. den Brief an Wilhelm Grimm, Ende

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die Hausprophetin aus Arabien bezogene, Erzählung Die Schachtel mit der Friedenspuppe*6 enthalten auch diese Texte parodistische Elemente. Als ein Bestandteil des literarischen Dialogs der „Liederbrüder" erweist sich die Parodie insbesondere in den vier unter den Überschriften „Ernst" und „Scherz" in ein Foliobuch der Deutschen Tischgesellschaft eingetragenen (Nach-)Erzählungen um merkwürdige Enthauptungen, wobei sich jeweils das Scherzhafte dem Ernsthaften „ganz parodierend anschließt".37

II. Am 28. Dezember 1808 war Amim nach einem vierwöchigen Aufenthalt in Kassel in Berlin eingetroffen (Heidelberg hatte er am 16. November verlassen); Brentanos und Wilhelm Grimms Ankunft in der preußischen Hauptstadt datiert auf den 11. September 1809. Grimm blieb nur wenige Wochen, bis zum 20. November. Zu dritt wohnten sie in der Mauerstraße 34 zur Miete bei Charlotte und Carl Philipp Heinrich Pistor. „Wir waren den ganzen Tag zu Haus und arbeiteten",38 heißt es in einem Brief über die kurze gemeinsame Berliner Zeit in der Mauerstraße, und in einem anderen: „Wilhelm [...] excerpirte alles, war fleißig bis in die Nacht, stand spät auf'.39 Das damalige Schaffen der drei, wie auch das Jacob Grimms in Kassel, stand noch ganz im Zeichen der sie alle miteinander verbindenden Wunderhorn-Epoche, einer Epoche, die mit Amims Abreise aus Heidelberg keineswegs ihren Abschluß gefunden hatte. „Das Jahr 1809 und die sich zunächst anschließende Zeit", stellt Reinhold Steig im dritten (den Briefwechsel mit Jacob und Wilhelm Grimm dokumentierenden) Band der Edition Achim von Arnim und die ihm nahe standen fest, „bedeutete für Arnim wie für die Brüder Grimm eine Fortsetzung der noch mit Wunderhom und Einsiedlerzeitung zusammenhängenden Arbeiten."40 Das gleiche gilt für Brentano, so daß Steig an anderer Stelle, in dem informativen (aber auch üblen antijüdischen) Buch Heinrich von Kleist 's Berliner Kämpfe, mit Blick auf die romantischen Patrioten um Amim und Kleist formulieren kann: „Des Knaben Wunderhom steht an dem Anfang dieser neuen Berliner Bewegung."41 (Zu der um die Jahrhundertwende getroffenen Aussage ist allerdings anzumerken, daß Steig die romantische

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Febr. bis Mitte März 1810, Brentano: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 32, S. 229). Vielleicht ist das eine Erklärung dafür, warum Kleist vor der Publikation des Textes in den Berliner Abendblättern dessen dramatische Struktur eliminierte. Als eine Parodie las zumindest Josef Körner Brentanos Erzählung (vgl. Kömer: Brentano parodiert den Amim, S. 152), ein Ansatz der umstritten ist (vgl. Brentano: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 19, S. 702). Brentano: Werke, Bd. 2 (3. Aufl.), S. 841. Wilhelm Grimm an Louise Reichardt, ohne Datum, Steig: Clemens Brentano und die Brüder Grimm, S. 76. Amim an Bettina Brentano, 25. Nov. 1809, Bettine und Achim von Arnim: Bettine und Arnim. Briefe der Freudschaft und der Liebe, Bd. 2, S. 283. Steig/Grimm (Hrsg.): Achim von Arnim und die ihm nahe standen, Bd. 3, S. 19. Steig: Kleist's Berliner Kämpfe, S. 3.

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Wendung zur kulturellen Identität der Deutschen in seinem Buch zur unmittelbaren Vorgeschichte der militärischen Auflehnung gegen Frankreich 1813 hochstilisiert und dann meint, die Befreiungskriege seien das Eigentliche, was den deutschen Leser des Wilhelminischen Zeitalters zu interessieren habe.42 In seinen Worten liest sich das so: das „Volk", im romantischen Sinne, schwebte ihnen [den Mitarbeitern an den Berliner Abendblättern] vor als diejenige Macht, die sie zum Kampfe gegen das moderne Unheil aufrufen und organisiren müßten. Dem „Volke" wollten sie tagtäglich die geistige Speise, die es brauche, zufuhren. 43

Wenn man hier und bei den vorangegangenen Zitaten die ideologische Ausrichtung des Autors auf den kriegerischen Aufstand gegen Napoleon wegläßt, hat man eine brauchbare These, nämlich diese: Die Beschäftigung mit .Volkspoesie' und älterer Literatur wurde in Berlin von Arnim und Brentano zunächst unvermindert fortgesetzt, sie wirkte dort nach und wurde in Zeitschriften nachträglich gerechtfertigt und programmatisch untermauert.) Für Steigs These der stofflich-thematischen Kontinuität nach Heidelberg spricht zum einen die Weiterführung des vor allem in Zeitschriftenbeiträgen ausgefochtenen Wunderhorn-Strcits mit Johann Heinrich Voß von Berlin aus: Arnims zweiter Offener Brief an Voß entstand dort 1809 ebenso wie die während Grimms Zeit in der Mauerstraße verfaßte, aber erst im Jahr darauf erschienene, programmatische Ankündigung der Altdänischen Heldenlieder und wie 1810 die Anzeige An die Leser des Wunderhorns. Zum anderen wurde das für die Heidelberger Romantik bezeichnende Publizieren und Bearbeiten älterer Literatur und die Beschäftigung mit Sagen- und Märchenstoffen fortgeführt: etwa mit dem Wintergarten (1809), mit Brentanos frühen Arbeiten an den Mahrchen vom Rhein (ab 1810) und daneben im Kontext eines regen Briefwechsels mit Berlin - von Kassel aus mit den ersten beiden Buchveröffentlichungen der Brüder Grimm, nämlich Jacobs Abhandlung Über den altdeutschen Meistergesang und Wilhelms Übersetzungswerk Altdänische Heldenlieder, Balladen und Märchen - das zunächst sogar als vierter WunderhornBand im Gespräch war -, sowie mit Wilhelm Grimms Abendblätter-Beitrag Röthsel aus der Hervararsaga - die drei zuletzt genannten Werke sind allesamt 1810 entstanden, 1811 erschienen.44

Steigs Fixierung auf die Befreiungskriege ist Übrigens auch ein Hauptmangel des antiquierten Kommentars in seiner Ausgabe des Amim-Brentano-Briefwechsels. „Die Tage könnten wiederkommen, wo der Geist der Freiheitskriege und des deutschen Einheitskampfes sich von neuem zu bewähren hätte", orakelte der Herausgeber 1894, den Briefwechsel einleitend (Steig/Grimm (Hrsg.): Achim von Arnim und die ihm nahe standen, Bd. l, S. V), und meinte dann, die Arbeit am Wunderhorn sei „eine vaterländische Pflicht" gewesen, denn: „Das Deutschthum mußte gekräftigt werden." (Ebenda, S. 148) Die aus dem Zeitalter des Imperialismus stammende Edition Steigs wurde erst jüngst von der 1996 bis 1998 von Hartwig Schultz und mir erarbeiteten Ausgabe der Freundschaftsbriefe abgelöst. Steig: Kleist's Berliner Kämpfe, S. 48. Vgl. Steig/Grimm (Hrsg.): Achim von Amim und die ihm nahe standen, Bd. 3, S. 52, 91, 96.

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Im schriftstellerischen Dialog der „Liederbrüder" traten dann aber ab Mitte 1810 die an,volkspoetischen' Quellen orientierten Projekte in der Nachfolge der Heidelberger Liedersammlung zugunsten eines verstärkten Interesses an aktuellen, sogar tagesaktuellen, Themen und damit verbunden an literarischen Gelegenheitsarbeiten und -jedenfalls im Falle Arnims - an journalistischen Formen mehr in den Hintergrund.45 Zu aktuellen Anlässen verfaßte Paralleltexte bildeten einen neuen Schwerpunkt des Dialogs. Es sind zwischen Juli 1810 und Brentanos Abreise aus Berlin Ende Juli 1811 dort mehrere solcher Texte entstanden, die dadurch definiert sind, daß sie sich in der literarischen Form (bzw. Gattung) entsprechen und aus gleichem Anlaß oder zum gleichen Thema von miteinander im Gespräch stehenden Autoren etwa gleichzeitig individuell gestaltet wurden. Die Berliner Reihe der Paralleltexte wurde Ende 1808 mit zwei weitgehend unabhängig voneinander entstandenen Offenen Briefen zur Fehde mit Voß, namentlich zu dessen polemischer Rezension Beitrag zum Wunderhorn, vorbereitet. Der Rezensent hatte die Eingriffe der Herausgeber in das Quellenmaterial als Fälschung kritisiert und sich zu Unrecht in mehreren aus einem Gesangbuch übernommenen Liedern persönlich attackiert gesehen. Da die Angriffe und Vorwürfe beide , Wunderhornisten' betrafen, wollte Brentano seine Antwort in Form eines offenen Briefs ursprünglich offenbar mit dem eigenen und Arnims Namen unterzeichnen. Jedenfalls legt dies ein Begleitbrief zur insgesamt dritten Ausführung der Entgegnung nahe; er ist - mit der Bitte um Weiterleitung des offenen Briefes an verschiedene Publikationsorgane - an den Heidelberger Wunderhorn-Veneger Zimmer gerichtet. In einer darin gezogenen Schlußfolgerung sind Parallelität und Divergenz der Reaktionen fixiert: So eben sendet mir Amim von Kassel seine Antwort, die er schon in d. J[enaer] Intelligenz] Blatt abgesendet zu haben versichert, da er sie blos in seinem Nahmen und aus seinem Gesichtspunckt gefertiget, so hebt sie die meinige nicht auf, welche ich deswegen ganz auf meinen Nahmen ausstelle.46

Arnim hatte den ersten Offenen Brief An Hn. Hofrath Voß in Heidelberg am 8. Dezember 1808 von Kassel aus dem Mitstreiter geschickt und dazu geschrieben,

Amims gestiegenes Interesse am journalistischen Schreiben belegt seine fleißige Mitarbeit an den neugegründeten Berliner Abendblättern ab Oktober 1810. Überhaupt entstanden in jenem Jahr deutlich mehr Zeitungs- und Zeitschriftenartikel von ihm als üblich. Dies verdeutlicht die in der Werkausgabe getroffene Auswahl: Die Zahl der zur Publikation vorgesehenen Artikel aus dem Jahr 1810 (20) übertrifft bei weitem die (maximal halb so großen) Zahlen vorangegangener Jahre, in denen oft nur zwei oder drei solcher Artikel entstanden sind (vgl. Amim: Werke, Bd. 6, S. 1487-1490). Daß die damalige Zeit die journalistische Form geradezu forderte, belegt ein Brief Wilhelm Grimms vom 3. Aug. 1810: „Die Zeiten gehn so geschwind, daß man mit den Gedanken oder den critischen Noten dazu immer zurückbleibt, wie ein Bilderkastenmann, der zu geschwind dreht, oft Nr. 6 erläutert von außen, während sich Nr. 12 präsentiert." (An Amim, Steig/Grimm (Hrsg.): Achim von Arnim und die ihm nahe standen, Bd. 3, S. 66). An Johann Georg Zimmer, kurz nach dem 8. Dez. 1808, Brentano: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 32, S. 118.

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er stehe „in solcher Fehde am liebsten allein."47 Brentano griff daraufhin anscheinend die folgenden, an Voß gerichteten Zeilen Arnims auf: „Leicht wäre es, Ihr Urteil über die beiden neuerschienenen Bände unsers Wunderhoms [...] zu widerlegen, aber überflüssig."48 Da er hinsichtlich einiger Vorwürfe genau dieses Überflüssige getan hatte - wie übrigens auch Arnim -, formulierte er dazu den entsprechenden Titel: Zu allem Ueberfluß an Herrn Hofrath Voß in Heidelberg, daß man keine Kirchenlieder an ihn gedichtet.*9 Daß die Veröffentlichung eigenständiger Antworten auf Voß weniger Zufall als vielmehr Vorzeichen einer neuen Praxis der fraternalen Literaturproduktion Arnims und Brentanos ist, zeigt die Parallelität vieler ihrer kleineren Berliner Arbeiten: von den Kantaten auf den Tod der Königin Luise und zur geplanten Einweihung der Universität über Texte anläßlich des Todes Philipp Otto Runges (Auf den Tod des Maler Runge; Andenken eines trefflichen Deutschen Mannes und tiefsinnigen Künstlers bzw. „Du Herrlicher! den kaum die Zeit erkannt") und zwei von Friedrich Ferdinand Flemming vertonte Liedertafel-Lieder mit respektlos-spöttischen Versen auf Zelter (Der Musikanten schwere Weinzunge', Katz ist nicht zu Haus) bis zu den Erzählungen im Foliobuch der Deutschen Tischgesellschaft (Bürgemeister Jochim Appelmann zu Stargard läßt seinen ungehorsamen Sohn köpfen im Jahr 1576; Der Professor N. N. in Gießen läßt seinen ungehorsamen Sohn nicht köpfen u. a.) und den vor dieser Gesellschaft gehaltenen Reden zum Thema .Philister und Juden' (Der Philister vor, in und nach der Geschichte; Lieber die Kennzeichen desJudenthums).50 Einen komplizierten Sonderfall schließlich bilden die diversen Texte zu der am 23. September eröffneten Akademie-Ausstellung des Jahres 1810, die von einer parallelen Beschäftigung mit dem Gegenstand zeugen (Räthsel auf ein Bild der Ausstellung dieses Jahres; „Nicht alle wissen so wie du zu schauen"; Verschiedene Empfindungen vor Friedrichs Seelandschaft; Übersicht der Kunstausstellung^, a). 47 48 49 50

An Brentano, Schultz (Hrsg.): Freundschaftsbriefe, Bd. 2, S. 562. Amim: Werke, Bd. 6, S. 259. Vgl. Brentano: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 8, S. 357-364; Bd. 9, 3, S. 665-707. Zum Zusammenhang der Philister- und Judenthematik beider Texte vgl. Oesterle: Juden, Philister und romantische Intellektuelle, S. 55-61. Die Philister-und-Juden-Reden lassen sich insofern nicht eindeutig den Paralleltexten zuordnen, da unklar ist, ob die „zwischen März und Mitte Juni 1811" gehaltene Rede Amims mit dem Philister-Vortrag - in den ein kleinerer Text Arnims eingegangen ist - entstand oder erst danach; vgl. Arnim: Werke, Bd. 6, S. 327334,1208,1221 (das Zitat ebenda); Brentano: Werke, Bd. 2 (3. Aufl.), S. 979. Zudem reichen die Vorarbeiten zum Philister bis in Brentanos Studienzeit zurück. Weitere Paralleltexte mag die noch ausstehende historisch-kritische Einordnung einiger Gedichte zu Tage fördern (mutmaßlich zur Liedertafel und zur Kunstausstellung 1810: Christnacht im Felde, Becherklang, Der himmlische Gruß, „Von allen die dies Jahr mit Bildern schmücken", Portrait der 2 Mahler Kügelchen u. a). Zwei Gegenstücke der Berliner Zeit, die hier der Vollständigkeit halber erwähnt seien, entstammen eindeutig keinem Parallel-, sondern einem Fortsetzungsprojekt: Zu Arnims Gedicht „Da sind wir Philosophen wieder" - nach E. T. A. Hoffmanns Melodie eine Parodie auf Brentanos Lied Die lustigen Musikanten -, das zeitlich noch vor den Kantaten des Sommers 1810 einzuordnen ist, schrieb Brentano im Anschluß daran ein Pendant (vgl. Arnims Brief vom 8. April 1810, Bettine und Achim von Arnim: Bettine und Amim. Briefe der Freudschaft und der Liebe, Bd. 2, S. 349f.).

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Während Amim eigenständige Werke, das Räthsel und die Übersicht der Kunstausstellung, am 11. Oktober und vom 12. bis zum 14. November 1810 in den Berliner Abendblättern veröffentlichte, blieb Brentanos Arbeit fragmentarisch. Sein Gedichtentwurf „Nicht alle wissen so wie du zu schauen" nimmt Bezug auf Der Mönch am Meer und Abtei im Eich wald, zwei von Friedrich Wilhelm III. bewunderte Gemälde Caspar David Friedrichs.51 Ebenso hatte der wieder verworfene Anfang des Abendblätter-Beitrags zum Mönch am Meer (dessen Titel oben nach der überlieferten Mischhandschrift der Verfasser zitiert ist) die beiden Gemälde im Blick. Weitere Gedichte Brentanos sollen sich auf andere Exponate der Ausstellung beziehen. Es wurde deshalb vermutet, „daß ursprünglich sogar an einen zusammenfassenden Bericht über die Berliner Ausstellung gedacht war", und zwar als Antwort „auf eine erste, sehr konventionell geratene Ausstellungsrezension von Ludolph Beckedorff (in den Abendblättern)".52 Dieser unkonventionelle Bericht wäre zugleich ein Gegenstück zu Arnims Übersicht der Kunstausstellung gewesen. Erschienen ist von Brentano dann aber lediglich der erste Teil des Seelandschaft-Textes, zu dem Arnim einen kürzeren zweiten Teil geschrieben hatte. Das Werk ist, redaktionell stark umgearbeitet, unter dem Titel Empfindungen vor Friedrichs Seelandschaß am 13. Oktober, also bereits wenige Tage nach der ersten Folge jener mehrteiligen, konventionellen Rezension Kunst-Ausstellung vom 6. Oktober, in Kleists Zeitung veröffentlicht worden. Im Korpus der kleinen Arbeiten zur Akademie-Ausstellung verbergen sich zwei Paralleltexte. Sie wurden als solche bisher nicht gesehen. Arnims Gemäldegedicht Räthsel auf ein Bild der Ausstellung dieses Jahres ist in Form eines Sonetts verfaßt, es charakterisiert vermutlich Johann Carl Andreas Ludwigs Doppelportrait seiner Eltern,53 ohne den wenige Tage zuvor in der Rezension Kunst-Ausstellung gelobten, „leider! zu früh verstorbenen jungen Künstler"54 namentlich zu nennen. Beide Quartette des Gedichts haben den beim Sonett geläufigen gemeinsamen umarmenden Endreim (nach dem Schema: abba): „wunderbar", „Bild", „erfüllt", „war" und „Jahr", „gilt", „quillt", „unwandelbar".55 Die nicht nur formale Verwandtschaft mit dem Entwurf „Nicht alle wissen so wie du zu schauen", der Friedrichs Abtei im Eichwald paraphrasiert, ist offensichtlich. Auch Brentanos Gemäldegedicht ist letztlich ein Rätsel auf ein Bild der Ausstellung. Es ist ein Sonett (überliefert mit Alternatiwarianten zum ersten Terzett), und es bedient sich in den Quartetten gleichfalls des umarmenden Reims. Im ersten Quartett heißen die Reimwörter „schauen", „Faust", „baust" und „Grauen"; das zweite lautet, analog dazu gereimt: Die Münche Ziehn zur Gruft, es scheint zu thauen Der kahle Baum greift in die Nacht, es saußt

51

Vgl. Gersdorff: Königin Luise und Friedrich Wilhelm III., S. 192. Schultz: Clemens Brentano, S. 141. Vgl. dazu Maisak/Schultz: Verschiedene Empfindungen, S. 113,121,123-126. " So Steig: Kleist's Berliner Kämpfe, S. 261. 54 Kleist: Sämtliche Werke. Brandenburger Ausgabe Bd. II, 7, S. 47. 55 Ebenda, S. 54. 52

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Holger Schwinn Ein kalter Wind, und unterirdisch haußt In Trümmern tief ein Kreuz, und giebt Vertrauen56

Hinweise auf die Person des Malers enthält - wie bei Arnims Räthsel („Der Künstler starb [...]"") - das zweite Terzett. Brentano zitiert darin ein weiteres Gemälde, den Mönch am Meer. In der Figur des Mönchs glaubten die Zeitgenossen ein Selbstportrait Friedrichs zu erkennen:58 Du gleichst der Schwalbe, die mit grauen Flügeln Den Himmel streift, die Brust ins Wasser Tauchet Warum Willst du denn nimmer mit ihr ziehen.59

Die beiden Gemälde, auf die sich das Gedicht bezieht, waren „als Pendants konzipiert"60 - vermutlich waren dies auch die beiden Sonette Brentanos und Arnims. Alle genannten Paralleltexte von den Kantaten bis zu den Philister-und-JudenReden verbindet das Merkmal der Aktualität miteinander. Man schrieb und veröffentlichte, meist eilig, zu aktuellen Ereignissen oder Veranstaltungen (dem Tod Runges, der Akademie-Ausstellung, einer Zusammenkunft der Liedertafel oder der Deutschen Tischgesellschaft) beziehungsweise nahm diese sogar im Werk vorweg (wie das Begräbnis der Königin oder die geplante Einweihungsfeier der Universität). Die Zeitnähe der Texte bedingt deren literarische Formen. Es sind - und das ist neben der Aktualität und Duplizität ihr drittes gemeinsames Merkmal allesamt kleinere Formen: Gedichte, Lieder, Kantaten, Reden und kürzere Prosatexte. Die größeren literarischen Formen (Roman, Drama u. a., die durchaus Juniversalpoetisch' aus kleineren Texten zusammengesetzt sein können) blieben den eigenständigen damaligen Hauptwerken der Freunde vorbehalten, also Arnims Armuth, Reichthum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores, Halle und Jerusalem, Der Wintergarten und Brentanos Romanzen vom Rosenkranz und Mährchen vom Rhein. Ein umfangreicheres poetisches Gemeinschaftswerk wie Des Knaben Wunderhorn entstand damals in Berlin nicht. Gleichwohl gab es bis zum Frühjahr 1810 Pläne und Ansätze zu einem solchen, und Bettina Brentano, die Brüder Grimm und Joseph Görres wurden brieflich zur Mitarbeit aufgefordert. Die „Liederbrüder" beabsichtigten auf einem Schlachtfeld eingesammelte Briefe in einer Auswahl herauszugeben.61 Und es war Araim, der die schöne Idee entwickelt hatte, „das Leben von allerley frommen Leuten zu sammeln, die nicht als Heilige bekannt sind",62 um daraus zusammen mit Brentano ein Buch zu machen. Drei weitere Pläne 56 57 58 59 60 61

62

Maisak/Schultz: Verschiedene Empfindungen, S. 113f. Kleist: Sämtliche Werke. Brandenburger Ausgabe, Bd. II, 7, S. 54. Vgl. Maisak/Schultz: Verschiedene Empfindungen, S. 129 (im Anschluß an Helmut BörschSupan). Ebenda, S. 114. Ebenda, S. 127. Vgl. Bettine und Achim von Amim: Bettine und Arnim. Briefe der Freudschaft und der Liebe, Bd. 2, S. 286-287. An Brentano, 14. Juli 1809, Schultz (Hrsg.): Freundschaftsbriefe, Bd. 2, S. 591.

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zur gemeinschaftlichen Ausführung teilte er Bettina am 16. September 1809 mit, bald nach der Ankunft ihres Bruders in Berlin, und dann am 14. Februar 1810: erstens: ein Sammelband aus Autobiographien, auch den eigenen (eine Idee Brentanos, an der Amim zunächst nachweislich nicht mitarbeiten wollte), zweitens: ein literarisches Denkmal für ihren verstorbenen Bekannten Joseph Löw (den Landshuter Mediziner und Autor in der Zeitung für Einsiedler), drittens: die Niederschrift ihrer Träume „ohne irgend eine Verschönerung" (woraus später ein Roman werden sollte).63 Alle diese Vorhaben zeigen - ebenso wie damals formulierte Briefe Brentanos an Runge, an Wilhelm Grimm und an Görres in ihrer „autobiographischen Motivation"64-ein großes Interesse am Individuellen, am Biographischen und Autobiographischen. Darin unterscheiden sie sich von der auf kollektiven Stoffen, auf, Volkspoesie' beruhenden Heidelberger Liedersammlung. Was sie mit dem Wunderhorn verbindet, ist die Methode der kollektiv zu erarbeitenden „Restaurationen und Ipsefacten",65 wie sie sich aus den wenigen Briefzeugnissen erschließen läßt: Man will offenbar Biographisches und Geträumtes literarisch wiederherstellen, bearbeiten, ergänzen und so zu einem Kunstwerk - und nicht etwa zu einer Dokumentation-zusammenfügen. Das Aufzeichnen von Autobiographischem und von Träumen wurde von Amim und Brentano, ihren Mitteilungen nach, in Angriff genommen.66 Keines jener romantischen Teamwork-Projekte kam dann aber über die ersten Anfänge hinaus. Und die in Berlin andauernde Beschäftigung mit kollektiven Stoffen (sogenannter Volksliteratur, mit Sagen und Märchen) schlug sich zur Zeit der Paralleltexte bezeichnenderweise in den weitgehend voneinander unabhängigen Werken der Freunde nieder. Im Rückblick auf jene Zeit erinnerte Amim Ende 1811 Brentano, der sich mittlerweile in Böhmen aufhielt, aber nur zu gerne emeut mit ihm (und auch Bettina) eine gemeinsame Wohnung bezogen hätte, in einem Brief daran, „daß wir in Berlin nimmermehr mit einander frühstückten und selten mit einander zugleich zum Essen gingen, als wir Zimmer an Zimmer wohnten."67 Die dauerhafte und allzu große räumliche Nähe in der Mauerstraße hatte offenbar ihre Schattenseiten. Divergierende Tendenzen im persönlichen Umgang gingen einher mit solchen in der literarischen Produktion. Gleichwohl wohnten die „Herzbrüder" in aller Freundschaft zusammen, übten sich zum Beispiel mit Grimm im „Schelmufskistyle" und gestalteten ein Brettspiel, das „Schelmufski Gespill",68 nach Reuters Schelmenroman; sie bereiteten ein Marionettenstück vor („Juanna" - mit einer Schiller-Parodie, angeregt durch die nach Grimms Abreise in dessen Zimmer aufgebaute Elektrisier63

Vgl. Bettine und Achim von Amim: Bettine und Amim. Briefe der Freudschaft und der Liebe, Bd. 2, S. 250,327 (das Zitat ebenda). Vgl. auch Brentano an Joseph Görres, Anfang 1810, Brentano: Briefe, Bd. 2, S. 33. 64 Feilchenfeldt: Brentano-Chronik, S. 75. 65 Brentano an Amim, kurz vor dem 20. Mai 1806, Brentano: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 31, S. 515. 66 Vgl. Feilchenfeldt: Brentano-Chronik, S. 75, 77. 67 28. Dez. 1811, Schultz (Hrsg.): Freundschaftsbriefe, Bd. 2, S. 630. " Vgl. Brentano an Wilhelm Grimm, 8. Mai 1810, Brentano: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 32, S. 270.

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maschine Pistors: „Freude, schöner Katzenfunken, Tochter aus Elektrium!"),69 trafen sich mit Kleist, der in die Mauerstraße 53 einzog, besuchten Zelters Liedertafel und gründeten die Deutsche Tischgesellschaft. Sie verwirklichten damit von September 1809 bis zu Arnims und Bettinas Heirat im März 1811 weitgehend Brentanos alten Plan einer idealen Wohngemeinschaft im Zeichen der Poesie.70 Die konkrete Aufforderung, eine gemeinsame Wohnung zu beziehen, war diesmal allerdings von Arnim ausgegangen. Anfang April 1809 hatte er drei Zimmer „zu billiger Bedingung in Pistors Hause"71 gemietet, „so wohlfeil, als würde nur das eine bezahlt."72 Noch im gleichen Monat war die Einladung an Brentano erfolgt: „Du könntest bey mir die Zinsen von Deinen hundert Thalern abwohnen, die ich Dir der Teufel hol mich noch nicht erstatten konnte, weil ich manchen Tag kein Mittagessen hatte."73

III. Der Freundschaftsbund der „Liederbrüder" hatte sich in den Jahren 1801 bis 1808 vor allem in Form eines umfangreichen Briefwechsels mit Lyrikeinlagen und einer Liedersammlung manifestiert. Er steht damit in der Tradition des literarischen Freundschaftskults des 18. Jahrhunderts (Pyras und Langes, Gleims, Klopstocks u. a.), der sich auch ganz wesentlich in Briefen und über Gedichte abgespielt hat. Hinzu kommen als zeitgenössischer Kontext die durch die Lucinde und im Athenaeum, dem „Lehrbuch" der romantischen Freundschaft,74 verbreiteten Konzepte der .Sympoesie' und des ,fraternalen Handelns' („mit Freunden verbrüdert für die Ewigkeit zu handeln"75), die in Amims und Brentanos Idee einer „Liederbrüderschaft"76 weiterleben. Das Vorhaben einer literarischen Brüderschaft und den damit verbundenen Plan, Gemeinschaftswerke zu schaffen, dokumentiert insbesondere der frühe Amim-Brentano-Briefwechsel, der sich einer genaueren Analyse als ein sentimentalisch-artifizielles Projekt der Wir-Konstitution durch Textkonstitution, als ein experimentelles Freundschaftskunstwerk, in dem die romantische Semantik der Liebe als Stilmittel verwandt wurde, offenbart.77 Dieses Projekt ist in Berlin insofern obsolet, als die - im Gegensatz zu den wenigen gemeinsamen Monaten zwecks der Zusammenstellung des Wunderhorns 1805 und 1807/08 in Heidelberg und Kassel - beständig erscheinende Realität der Dichter-Wohngemeinschaft den

69 70 71 72 73 74 75 76 77

Vgl. Brentano: Werke, Bd. 4 (2. Aufl.), S. 894. Vgl. dazu z. B. den Brief an Savigny, um den 24. Juni 1803, Brentano: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 31, S. 117f. An Bettina Brentano, l. April 1809, Bettine und Achim von Arnim: Bettine und Arnim. Briefe der Freudschaft und der Liebe, Bd. 2, S. 157f. An dieselbe, 6. April 1809, ebenda, S. 163. Etwa den 18. April 1809, Schultz (Hrsg.): Freundschaftsbriefe, Bd. 2, S. 581 f. So Lankheit: Das Freundschaflsbild der Romantik, S. 89. Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, Bd. 5, S. 66. Amim an Brentano, 6. Juni 1803, Schultz (Hrsg.): Freundschaftsbriefe, Bd. l, S. 141. Vgl. Schwinn: Kommunikationsmedium Freundschaft, passim.

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flüchtig-poetischen Entwurf des Freundschaftsbundes, wie er während Arnims Reisejahren brieflich (und in Göttingen, Frankfurt am Main und am Rhein wohl auch mündlich) entwickelt worden war, abgelöst hat. Zugleich zerfällt das Literatursystem Arnim-Brentano vorübergehend, bis 1813/14,78 nahezu vollständig in zwei individuelle Literaturen, in Paralleltexte und nicht unmittelbar zusammengehörende Einzelwerke. Der Wille zum additiv zusammengesetzten literarischen Werk (bzw. dessen fraternale Herstellung) ist offensichtlich nicht mehr länger eine Klammer, die den Bund der von Görres und auch Eichendorff als in ihren „Naturen [...] verschieden, ja in manchem entgegengesetzt",79 charakterisierten Dichter zusammenhält. Die Wohngemeinschaft in der Mauerstraße hat lediglich zwei gemeinschaftlich verfaßte Texte hervorgebracht: Da ist einmal der Zeitungsbeitrag aus der Feder Brentanos mit einer ergänzenden Seite Text von Arnim (in der Handschrift), von dem Kleist praktisch nur Brentanos Anteil, und diesen in Form und Aussage verändert, unter dem Titel Empfindungen vor Friedrichs Seelandschaft publiziert hat. Zum anderen ist hier die, wie Steig belegen konnte,80 in der Hauptsache Arnims Schaffen und Ideengut zuzurechnende Ankündigung der Alidänischen Heldenlieder (mit Ergänzungen von Brentano und Wilhelm Grimm81) zu nennen. Sie ist 1810 anonym im dritten Intelligenzblatt der Heidelbergischen Jahrbücher der Literatur erschienen und gehört in den Kontext der von Amim geführten Rechtfertigung des Wunderhorns. Insbesondere die Eingangssätze zu den Epen Homers, den OssianDichtungen Macphersons und zum Alten Testament mit der Erkenntnis, daß wirklich große Literatur letztlich auf das Wirken vieler Menschen zurückgeht, lesen sich wie eine Verteidigung der Heidelberger Liedersammlung und -bearbeitung: Aus den Untersuchungen des grössten Alterthumsforschers wissen wir, dass die Iliade und Odyssee keineswegs Werk und Erfindung eines Menschen gewesen, sondern dass diese Bilder einer grossen Heldenzeit aus den allgemeinen Volkssagen in vielen Liedern und Gesängen in ein Ganzes zusammengetreten sind. Gleiche Resultate haben die Untersuchungen über den

1813 publizierte Amim im Preußischen Correspondenten zwei Artikel in Anlehnung an Brentano-Briefe, vgl. Feilchenfeldt: Zwei Briefe Clemens Brentanos, S. 244-245; 1814 kam es in Wiepersdorf zu einem „literarischefn] Echospiel [...] in erzählenden Texten" (Arnims Melück Maria Blainville, die Hausprophetin aus Arabien, Brentanos Die Schachtel mit der Friedenspuppe), das später mit dem ,,einzige[n] Versuch kollektiven Dichtens in der Gattung Novelle" (Brentanos „Fragment einer Erzählung aus der Französischen Revolution", „Achim von Amims Entwürfe zu einer Fortsetzung") ergänzt wurde. (Frühwald: Achim von Amim und Clemens Brentano, S. 152) Dem folgten 1816 Pläne zu einer Reihe von „Monatlichen Erzählungen" der Freunde (vgl. Brentano an Arnim, 3. Febr. 1816, Schultz (Hrsg.): Freundschaftsbriefe, Bd. 2, S. 732) und den Fragment gebliebenen Briefen über das neue Theater (erschienen: 1818). Görres: Eine Auswahl aus seinen Werken und Briefen, S. 204 (Achim von Arnim). Vgl. Steig: Zu den kleineren Schriften der Brüder Grimm, S. 196-198. Einen Vorläufer hat das ergänzende Schreiben Arnims und Wilhelm Grimms in der 1809 in den Heidelbergischen Jahrbüchern zu lesenden Rezension Sigurd der Schlangentödter. Ein Heldenspiel in sechs Abentheuern von Friedrich Baron de la Motte Fouque. Den Schluß des anonym erschienenen Beitrags formulierte bekanntlich Amim, den Anfang Grimm.

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Ossian und über die Bücher des Moses geliefert, alle bestätigen uns die Erfahrung, dass solche Gedichte, wie die Geschichte selbst nie aus eines Menschen Kunst gebildet werden können.82

Die programmatische Untermauerung der Heidelberger Romantik und insonderheit des Wunderhorns ist in Berlin fortgeschritten. Umso mehr wundert es, daß die Freunde nicht ernsthaft versuchten, an den Erfolg der Liedersammlung anzuknüpfen, indem sie ein anderes Gemeinschaftswerk aus dichterisch Wiederhergestelltem und Selbstgemachtem nachfolgen ließen. Statt dessen hat sich offenbar die Idee durchgesetzt, die bereits während der Auswahl und Bearbeitung der „alten Lieder" zu Tage getretenen Differenzen und sogar grundlegenden Meinungsverschiedenheiten83 zu erforschen und in Doppeltexten zu dokumentieren („um zu sehen, wie wir divergirten"84). Damit aber ist die Tradition des Gemeinschaft stiftenden Gemeinschaftskunstwerks im Freundeskreis unterbrochen worden, eine Tradition, die von Stephan August Winkelmanns und Arnims Anhängen zum Godwi, über den stilisierten Arnim-Brentano-Briefwechsel (mit seinen fiktionalen und fingierten Bestandteilen)85 und das Buchprojekt „Lieder der Liederbrüder" (für das später mehrere Mitarbeiter vorgesehen waren und zu dem Gedichte verfaßt wurden) bis zum Wunderhorn reicht. Das neue Interesse an individuellen Unterschieden, gegenseitiger Kritik und Gegensätzen dokumentiert nicht nur die gutgemeinte Auseinandersetzung Brentanos mit Amims schriftstellerischer Praxis („daß er nicht klaßisch ist, daß er nur theilweise ehrlich arbeitet, daß er es ungemein ernst meint, und eben so leichtsinnig arbeitet"86), sondern auch Jacob Grimms Erwartung eines Brentano'sehen Pendants zum Wintergarten, „der Verschiedenheit wegen" („oder will er nicht ein Gegenstück dazu liefern?").87 Auch wenn das erhoffte Pendant niemals in Angriff genommen wurde, bleibt festzuhalten: Die überlieferten Paralleltexte Arnims und Brentanos stellen als divergierende literarische Dokumente eines Freundschaftsbundes ein in dieser Form in der deutschen romantischen Literatur wohl einzigartiges Phänomen dar, ganz unabhängig davon, ob die gleichzeitige Arbeit an jeweils eigenständigen Texten zum gleichen Thema oder Ereignis, wie man vermuten sollte, geplant war oder aber lediglich das zufallige Resultat paralleler Erfahrungen und sich aufdrängender Themen ist.

82

83 M 85

84 87

Grimm: Werke. Forschungsausgabe, Bd. 31, S. 173. Das Zitierte greift einen alten Gedanken Amims aus den Erzählungen von Schauspielen auf: „alle Fortschritte geschehen nur im Ganzen eines Volks, und nicht in Einzelnen, der Einzelne drückt sie nur aus, wo aber etwas im Volke geschieht, und im Einzelnen vereinigt sich darstellt, da ist eine lebende Kunst." (Arnim: Werke, Bd. 6, S. 157) Vgl. Rölleke: „Was die Alten Schönes gesungen", S. 11 ff. Brentano an Jacob und Wilhelm Grimm, 3. bis etwa 11. Sept. 1810, Brentano: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 32, S. 282. Vgl. dazu: Härtl: Zur geistigen Physiognomie des jungen Amim aufgrund seines frühen Briefwechsels. - In: Burwick/Härtl (Hrsg.): „Frische Jugend, reich an Hoffen", S. 25-30, hier S. 29f.; Schultz (Hrsg.): Freundschaftsbriefe, Bd. 2, S. 798. An Jacob und Wilhelm Grimm, vermutlich um den 2. Nov. 1810, Brentano: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 32, S. 284. An Savigny, 30. Jan. 1810, Schoof (Hrsg.): Briefe der Brüder Grimm, S. 88.

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Aus dem Anfang von Schlegels Gespräch über die Poesie läßt sich vielleicht ansatzweise so etwas wie eine Poetik jener Texte entwickeln. Die Poesie erscheint dort nämlich als ein Element der Bindung und der Differenzierung zugleich: Alle Gemüter, die sie lieben, befreundet und bindet Poesie mit unauflöslischen Banden. [...] Die Vernunft ist nur eine und in allen dieselbe: wie aber jeder Mensch seine eigne Natur hat und seine eigne Liebe, so trägt auch jeder seine eigne Poesie in sich. Die muß ihm bleiben und soll ihm bleiben, so gewiß er der ist, der er ist, so gewiß nur irgend etwas Ursprüngliches in ihm war.88

Hier ist das romantische Streben nach einer idealen Synthese von Gemeinschaft und Persönlichkeit abgebildet, wobei der Poesie die Funktion zukommt, sowohl Ausdruck und Spiegel des Individuellen als auch Bindeglied zur poetischen Gemeinschaft beziehungsweise - mit den Worten Schillers gesprochen - zum „Staat des schönen Scheins" zu sein, der dem „Bedürfnis nach [...] in jeder feingestimmten Seele" existiere.89 Brentano hatte sich jener frühromantischen Ansicht über die ursprüngliche „eigne Poesie" insofern angeschlossen, als er in den Gesprächen über Freundschaft im Godwi das Folgende ausführte: Durch ihre eigne innere Bildung können zwei neben einander stehen, aber nur um der großen Harmonie ihrer Aufgabe willen. Die Eigentümlichkeit eines jeden bleibt unangetastet, und bleibt sie es nicht, so entsteht bey Farbe, eine gebrochene schmutzige Halbtinte, wie bey Form, Verwachsenheit.90

Auf die „Liederbrüderschaft" übertragen bedeutet dies, nicht literarische Vermischung oder Kontamination" wird angestrebt, sondern das sich ergänzende Nebeneinander und Miteinander des jeweils individuell Gestalteten, Erfundenen oder Gefundenen. Die Reflexion der Individualität und überhaupt die Verschiedengestimmtheit der Charaktere ist ja gerade ein wesentliches Kennzeichen der romantischen Freundschaft im Gegensatz etwa zur empfindsamen, die auf der Gleichgestimmtheit der Individuen basiert. Friedrich Schlegel beispielsweise sprach mit Bezug auf sein Verhältnis zu Novalis vom „Dualismus unsrer Symphilosophie"92 und benannte damit „das auseinanderstrebende Moment im Denken der Freunde, die spezifischen Differenzen".93 Es ist nun aber ein ur-romantisches Verfahren, das Verschiedene, auch das Entgegengesetzte, miteinander zu verbinden beziehungsweise zu einem gemeinsamen Ziel zu führen. „Dein Weg ist vielleicht nicht blos divergirend von dem meinigen, sondern diametral entgegengesetzt", steht deshalb 88 89 90 91

92 93

Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, Bd. 2, S. 284. Schiller: Werke und Briefe in zwölf Bänden, Bd. 8, S. 676, Anm. 22 (Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen). Brentano: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 16, S. 292. Die These der dichterischen Kontamination im Schaffen Amims und Brentanos wird vertreten von Riley: Kontamination und Kritik, passim; vgl. auch Riley: Clemens Brentano, insbesondere S. 20f. F. Schlegel an Novalis, 2. Dez. 1798, Novalis: Schriften, Bd. 4, S. 508. Schanze: „Dualismus unsrer Symphilosophie", S. 311.

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1794 ebenso in Schlegels Briefwechsel mit Novalis wie dessen „Wir können doch eine Bahn gehn".94 Eine ähnliche Metaphorik verwandte Arnim, als er 1808 in einem Brief an Brentano über Görres schrieb: „In seiner Physiologie die ich jezt lese begegne ich mich oft mit ihm gleichen Weges, ich habe ihn verlassen, er geht ihn weiter, vielleicht kommen wir doch zu einem Ziele."95 Unterschiedliche Wege zum gleichen Ziel, das wäre die Grundlage einer Poetik der Paralleltexte, wie man sie aus der romantischen Theorie und Praxis ableiten könnte. Wahrscheinlich waren es aber weniger solche poetologischen Überlegungen als vielmehr biographische Faktoren, die das Entstehen der Berliner Doppeltexte begünstigt haben. Amim befand sich seit der Publikation des Wintergartens in einem „unvergleichlichen Aufbruch und Schaffensrausch",96 gleichwohl konnte er sich über seinen Rang als Schriftsteller nicht im klaren sein. Zu unterschiedlich war die Aufnahme seiner Werke im Freundeskreis und zu gering die Resonanz in der Öffentlichkeit. Man kannte ihn weiterhin vor allem als den Mitherausgeber des Wunderhorns. In dieser Situation dürfte das literarische Wetteifern mit Brentano der 1810/11 ebenfalls eine produktive Schaffensphase durchlief, aber nur weniges davon publizierte - der Selbsterkenntnis und auch der Positionierung Arnims als Schriftsteller gedient haben. Zudem entsprechen den literarischen Divergenzen biographische, wie sie dann nach Arnims und Bettinas Heirat offen zu Tage traten und brieflich aufgearbeitet wurden:97 Während Brentano mit einer Prostituierten verkehrte und mit ihr „allerley Experimente" anstellte - Arnim kommentiert das später mit den Worten: „das hat mich damals von Dir entfernt"98 -, lief bei seinem Mitbewohner seit dem Tod seiner Großmutter alles auf eine Eheschließung hinaus. Nach dem letzten Willen der Verstorbenen nämlich sollte die Erbschaft den ehelichen Kindern ihrer Enkel zufallen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die zeitliche Nähe des Todes der Großmutter (März), des Wiedersehens mit Bettina im böhmischen Bukowan (Juni), Bettinas Ankunft in Berlin (Mitte August) und des Beginns der Phase der Paralleltexte (Juli 1810). Die Texte, die in Berlin parallel entstanden, sind allerdings mehr als nur Dokumente zweier divergierender Lebenswege in einer Zeit, als patriotische Begeisterung, Religionen und auch Institutionen (wie die Deutsche Tischgesellschaft) längst einen Teil jener gemeinschaftsstiftenden Funktion innehatten, die dem romantischen Denken nach - das Begriffe wie .Religion' und , Vaterland' auch poetisch auffaßte - allein der Poesie zukam. Sie sind Dokumente dieser Zeit selbst und des Versuchs der „Liederbrüder" öffentlich wirksam zu werden. Das Freundschaftssystem ArnimBrentano war über literarische Kommunikation konstituiert worden. Nun vollzog sich in Berlin mit dem parallelen Schreiben und Publizieren zu den Themen der Zeit - vor dem Hintergrund einer zunehmend auf Arbeitsteilung und Konkurrenz 94 95 96 97 98

Schlegel an Novalis, Ende Juli 1794, Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, Bd. 23, S. 204f.; Novalis an Schlegel, 1. Aug. 1794, ebenda, S. 207. 18. Febr. 1808, Schultz (Hrsg.): Freundschaftsbriefe, Bd. 2, S. 505. Ulfert Ricklefs: Vorwort. - In: Ricklefs (Hrsg.): Universelle Entwürfe, S. VII-XXI, hier S. VIII. Vgl. Schultz (Hrsg.): Freundschaftsbriefe, Bd. 2, S. 599-604, 630. An Brentano, 14. Sept. 1811, ebenda, S. 609.

Paralleltexte: Zu den kleineren Arbeiten Arnims und Brentanos 1810/11

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basierenden Gesellschaftsordnung - dessen Ausdifferenzierung über Literatur. In der Geschichte des Dichterbundes Arnim-Brentano ist dies eine Phase, in der nach dem Erscheinen des Wintergartens kaum noch literarische Brücken in Form von Zitaten, Reminiszenzen und Anspielungen explizit geschlagen wurden. (Lediglich einmal taucht Arnim in einem Text als „ein glimpflicher langer Mann"99 auf.) Die eigentliche .Sympoesie' fand in Berlin im persönlichen Gespräch statt und wurde damit nur mittelbar zu Literatur, nämlich im Sinne der folgenden Beobachtung Arnims: Jede Kunst ist ihrer Natur nach einsam und flüchtig in ihrer ersten Erscheinung und Auffassung, in ihrer Ausbildung dagegen gesellig, in Lob und Tadel gerundet, berichtigt durch Beobachtung, vollendet durch ein neues Zurückziehen in sich.100

Nachdem für die frühe Werkgemeinschaft der Dichter der Satz galt: „meinem Talent fehlet die Flüßigkeit, deinem das Konsistente, ich bin versichert, wir werden vereint Etwas [d. h. ein Werk] hervorbringen",101 sah man in Berlin offenbar die unterschiedlichen Fähigkeiten und Eigenschaften als Wert an sich. Eine formale Zusammenfuhrung des Unterschiedlichen gelang kaum noch - oder war vielmehr überhaupt nicht beabsichtigt. Ein Zusammenhang zwischen den parallel entstandenen Texten wurde nicht hergestellt, indem man sie zu einem Ganzen zusammenfügte, sondern er besteht einfach: nämlich erstens: durch die ihnen gemeinsame Entstehungssituation, zweitens: die vergleichbare literarische Form und drittens: das jeweils gleiche Thema. Arnim und Brentano ergänzten sich 1810/11 weniger in gemeinschaftlichen Publikationen als vielmehr in getrennten. Das bedeutet aber, man kann ihre kleineren Berliner Arbeiten eigentlich nicht einzeln interpretieren, sondern muß sie immer in dem Kontext sehen, den der jeweilige Gegentext und seine Entstehungsgeschichte dazu bilden.

99 100 101

Barnert: Zwei literarische Quellen, S. 359. An Bettina Brentano, 26. Febr. 1810, Bettine und Achim von Amim: Bettine und Amim. Briefe der Freudschaft und der Liebe, Bd. 2, S. 335 Brentano an Amim, l. März 1804, Brentano: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 31, S. 299.

Barbara Hahn

„Eine Impertinenz": Rahel Levin liest Achim von Arnim1

Die erste explizite Erwähnung Achim von Amims in Rahel Levins Texten gleicht einem Paukenschlag. Am 22. April 1809 schreibt sie an Karl August Varnhagen: „Wenn ich vor Angst dazu kommen kann, dann lese ich im 'Wunderhorn'. Das ist eine Impertinenz von Achim und Brentano."2 Eine ungewöhnlich scharfe, aber eher kryptische Aussage, die Varnhagen zu einer Gegenfrage anregt. Am 25. April 1809 schreibt er: „Wie meinst Du das mit Arnim und Brentano? Sie meinen's gut; nur haben sie kein kritisches Talent. Aber ihre Ueberschriften sind oft sehr witzig."3 Auf diese Nachfrage gibt es keine Antwort. Des Knaben Wunderhorn bleibt im Briefwechsel Rahel Levins mit Karl August Varnhagen unkommentiert. Mit diesem Urteil versehen verschwindet die Liedersammlung aus der Debatte der Korrespondenten. Es läßt sich nicht klären, ob dieses scharfe Urteil eine Vorgeschichte entweder in der persönlichen Beziehung zu Achim von Arnim oder in voraufgegangenen Lektüren seiner Arbeiten hat. Wir wissen nicht, wann sich die beiden kennenlernten. Ein erstes Anzeichen findet sich in einem Billet Pauline Wiesels an Rahel Levin aus dem Jahr 1804, in dem die Schreiberin nachfragt, ob Arnim sie tatsächlich am Abend abholen werde.4 Eine weitere und ebenfalls indirekte Spur ist in einem Brief Varnhagens an Rahel Levin vom 24. Januar 1812 zu lesen, wo es heißt, Brentano „hat mir selbst erzählt, daß Amim, sein Abgott, Dir ehmals mit verehrendster Anhänglichkeit und Bewunderung zugethan gewesen, aber jetzt, weil ihm eingefallen, Du seist eine Jüdin, von Dir abgelassen hätte."5 Von weiteren persönli-

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Den Teilnehmern des Symposions, vor allem Konrad Feilchenfeldt und Heinz Härtl, möchte ich für die vielen Anregungen und Hinweise danken, die ich bei der Diskussion meines Beitrags bekam. Varnhagen: Gesammelte Werke (Rahel-Bibliothek), Bd. 4, l, S. 331. Ebenda, S. 333. Als Beispiele für die „witzigen Ueberschriften" nennt Varnhagen „Don Mahlmehl und Don Geishaar. Don Juan. Lied des abgesetzten Sultan Selim. Erdtoffeln mit Rippenstücken. Alle im dritten Band. Auch S. 127 das von mir mitgetheilte Liedchen, worüber sie setzten: aus der Polizeifama." Dieses Gedicht findet sich in Amim und Brentano: Des Knaben Wunderhorn (Reclam-Ausgabe), Bd. 3, S. 122-123. Levin Vamhagen: Briefwechsel mit Pauline Wiesel, S . U . Vamhagen: Gesammelte Werke (Rahel-Bibliothek), Bd. 4, 2, S. 230.

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eben Kontakten zeugen erst wieder Tagebuchaufzeichnungen aus dem Winter 1820.6 Dazwischen allerdings liegen Spuren einer Lektüre und eines politischen Konflikts. Rahel Levin hat sich mit Achim von Amims Arbeiten nie intensiv beschäftigt. Oder besser gesagt: Weder in ihren gedruckten noch in den nachgelassenen Schriften gibt es Anzeichen ausgiebiger Lektüren. Auch in der Bibliothek der Varnhagens sind keine Bände Arnims überliefert, die mit Rahel Levins Anstreichungen versehen wären. Doch die flüchtigen Spuren der Bekanntschaft mit Amim und der Lektüre seiner Schriften sind so ungewöhnlich, daß sich eine Beschäftigung lohnt. Denn Achim von Amims Name steht für einen Konflikt und eine Auseinandersetzung. Beide werden in Rahel Levins Texten nicht expliziert. Wie die folgende Lektüre zeigen wird, geht es um die Kritik daran, wie sich im frühen 19. Jahrhundert eine deutsche Nation konstituierte, der von Beginn an Spuren des modernen Antisemitismus eingeschrieben waren. Im Zentrum des Konflikts liegt die „Impertinenz", die Rahel Levin dem Wunderhorn attestiert. Wobei interessant ist, daß Rahel Levin nicht die Sammlung selbst mit diesem negativen Urteil versieht, sondern deren Herausgeber, die unterschiedlich benannt werden. Es sei „eine Impertinenz von Achim und Brentano", so heißt es. Der eine wird mit dem Vor-, der andere mit dem Nachnamen bezeichnet. Damit ist ein Ungewicht eingeführt, das alle weitere Beschäftigung mit den beiden Herausgebern prägen wird. Während Brentano aus dem Status des Autors tritt und zum persönlichen Freund wird - auf die Konflikte dieser Freundschaft braucht hier nicht eingegangen zu werden7 - bleibt Achim, ganz im Gegensatz zu seiner Benennung im Brief, eher ein Autor. Warum aber kann die Herausgabe einer Liedersammlung eine Impertinenz sein? Möglicherweise las Rahel Levin diese Impertinenz schon auf den ersten Seiten des Wunderhorns. Bekanntlich ist das Buch „Sr. Excellenz des Herrn Geheimerath von Göthe" gewidmet. Goethe wird hier in einen Kontext gebunden, der Rahel Levins Lektüren seiner Texte konträr war. Er ist die Instanz, die eine bestimmte Rezeption der gesammelten Lieder garantieren soll. „Das öffentliche Urtheil", so schreiben Arnim und Brentano, „ist wohl ein kümmerlicher Wirth, dem unsre Namen als Mantel dieser übelangeschriebenen Lieder die Schuld nicht decken möchten. Das Glück des armen Singers, der Wille des reichen Fuker geben uns Hoffnung, in Eurer Exzellenz Beifall ausgelöst zu werden."8 In Anspielung auf die Geschichte vom Sänger Grünenwald, der mit einem selbstgedichteten und -komponierten Lied seine Schulden bei einem Wirt begleichen wollte, dies aber nur nach der Intervention eines 'reichen Fuckers' konnte, inszenieren sich die beiden Sammler selbst als schutzbedürftig. Unter dem Mantel von Goethes Namen wollen sie Schutz vor einer Vgl. ebenda, S. 377. In Band 9 der Rahel-Bibliothek wird ein Billet vom 17.3.1829 Achim von Amim zugeschrieben; vgl. S. 764, Da Rahel Levin in einem Brief an Karl August Vamhagen vom 19.3.1829 aber schreibt: „Pitt=Amim hat mich besucht, und sich für kamevalsfrei erklärt, und kommt auch diesen Abend", ist anzunehmen, daß Ludwig von Amim der Adressat war und nicht Achim von Amim. Rahel Levin Varnhagens Freundschaft mit Clemens Brentano hat Ursula Isselstein ausführlich dargestellt; vgl. Isselstein: Rahel und Brentano. ArninVBrentano: Des Knaben Wunderhom (Reclam-Ausgabe), Bd. l, S. 13.

„Eine Impertinenz": Rahel Levin liest Achim von Arnim

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kritischen Öffentlichkeit finden. Goethe antwortet darauf mit einer Rezension, die an zwei wesentlichen Punkten durchaus kritisch ist. In der Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung erscheint sein Text, der in einer interessanten Geste mit Rahel Levins Ablehnung der Lieder korrespondiert. In seiner Zusammenfassung schlägt Goethe vor, in künftigen Ausgaben Texte auszuschließen, die „bänkelsängerische Gemeinheit" zeigen. Ebenso sollten die Herausgeber sich „vor allem Pfaffischen und Pedantischen höchlich hüten".9 Und er fordert die beiden Sammler ausdrücklich auf, auch „was fremde Nationen [...] dieser Liedweise besitzen, auszusuchen und sie im Original und nach vorhandenen oder von ihnen selbst zu leistenden Übersetzungen darzulegen".10 Dies geschah auch in den nächsten Bänden nicht. Anders als Herders Volkslieder von 1778/79 blieb das Wunderhorn auf deutschsprachige Lieder beschränkt. Damit könnten drei wichtige Faktoren der Impertinenz bezeichnet sein. Die Sammlung stelle Gemeinheiten aus, sie habe pfäffische und pedantische Momente, und sie zeige - last not least - eine falsche Konzentration auf deutschsprachige Texte. Was aber wird als „Gemeinheit" bezeichnet? In Goethes Kommentaren zu einzelnen Liedern werden nur wenige als „bänkelsängerisch" charakterisiert. Darunter auch das Lied „Die Juden in Passau", das aufs Mittelalter zurückgeht. Es ist die Geschichte einer Hostienschändung." Das Urteil „pfäffisch" wird im Kommentar selbst nicht gebraucht; es finden sich aber Urteile, die Lieder als zu mystisch katholisch bezeichnen. Zum Beispiel das Lied „Ewigkeit". Hier heißt es: „Katholischer Kirchengesang. Wenn man die Menschen confus machen möchte, so ist dieß ganz der rechte Weg."12 „Die hohe Magd" wird im Kommentar gar als „christlich pedantisch" charakterisiert.13 Im Unterschied zu Rahel Levin, die „vor Angst" beim Lesen keine Fortschritte macht, sind Goethes Eindrücke eher moderat und zurückhaltend. Von Angst keine Spur. Mit Impertinenz wird also etwas angesprochen, das in Goethes Rezension ein Echo findet, aber ein durchaus abgeschwächtes. Zum Beispiel beim bereits genannten Lied „Die Juden in Passau". Der Eintrag attestiert diesem Text nicht nur Bänkelsängerisches und damit Gemeines. Denn weiter heißt es: „aber lobenswert".14 Hier tut sich ein Abgrund auf. Rahel Levins Urteil ist auch gerade deshalb so scharf, weil es nicht präzisiert wird. Was auch hätte sie argumentierend sagen können? Daß die Konstititution eines Nationalbewußtseins, das sich auf solche Texte stützt, von vornherein in die falsche Richtung geht? Wenn sogar Goethe an diesem judenfeindlichen Pamphlet noch etwas „lobenswertes" findet? Die „Angst", von der im Brief die 9

Goethe: Rezension von Des Knaben Wunderhom - Werke (Weimarer Ausgabe), Abt. I, Bd. 40, S. 357. 10 Ebenda, S. 358. 1 ' Das Gedicht findet sich in Amiin/Brentano: Des Knaben Wunderhom (Reclam-Ausgabe), Bd. l, S. 86-88. Es heißt darin unter anderem, daß von den Juden, die sich der Hostienschändung schuldig gemacht hätten, vier „den Glauben genommen an. / Die ändern sind verbrennet". S. 88. 12 Goethe: Rezension von Des Knaben Wunderhom - Werke (Weimarer Ausgabe), Abt. I, Bd. 40, S. 349. 11 Ebenda, S. 340. 14 Ebenda, S. 342.

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Rede ist, artikuliert auch, daß jede eingehende Kritik am Wunderhorn die Kritikerin in eine falsche Position bringen würde. In eine einsame dazu. Auch Vamhagen hatte in seiner Gegenfrage ja eher abschwächend geantwortet, indem er den beiden Sammlern guten Willen attestierte, der nur von einem Mangel an „historischem Sinn" geprägt sei. Sein Nachsatz schließlich, der von den witzigen Überschriften spricht, schließt den Raum für eine politische Kritik. Nicht im Briefwechsel mit dem Freund, sondern im Tagebuch findet sich die nächste Spur einer Lektüre des Wunderhorns. Im Tagebuch B, das den Titel „Bücher" trägt und Lektüreaufzeichnungen aus den Jahren 1808 bis 1817 enthält, steht eine undatierte Aufzeichnung, die zwischen dem 6. April und dem 13. Juni 1809 entstanden ist. Es ist die Abschrift eines Lieds aus den Kinderliedern. Warum schrieb Rahel Levin ausgerechnet ein Lied aus diesem Teil ab? In welchem Kontext steht es in der Sammlung? Das Wunderhorn besteht bekanntlich aus drei Teilen, wobei der erste 1806 erschien, die beiden anderen 1808. 1808 kam zusätzlich noch die Sammlung Kinderlieder. Anhang zum Wunderhorn heraus, und hier, in diesem Anhang, findet sich das von Rahel Levin zitierte Lied. Sie las die Sammlung wahrscheinlich im Frühjahr 1809 zum ersten Mal; leider ist in der Bibliothek Varnhagen kein Exemplar des Wunderhorns überliefert, anhand dessen sich Spuren der Lektüre genauer rekonstruieren ließen. Da das zitierte Lied nicht etwa am Anfang der Sammlung, sondern an deren Ende zu finden ist, können wir annehmen, daß es auch am Ende gelesen wurde. Nach einem langen Durchgang durch die Lieder, von denen kein anderes zitiert wurde. Nur in einem viele Jahre später entstandenen Brief an eine Freundin taucht noch einmal ein Hinweis auf: „Wenn ich ein Vöglein war", ein Lied allerdings, das auch schon in Herders Volksliedern zu finden war.15 Rahel Levin schreibt ein merkwürdiges und völlig unbekanntes Lied ab, das daher auch in keiner populären Auswahl aus dieser Sammlung auftaucht. Das - so weit ich sehe - nie jemand zur Vertonung angeregte. Keine Nachtigallen, keine Liebe, kein Mond, keine Seele, kein Mägdelein, keine Vögelein etc. Kein Wunderhorn. Kein Straßburg auf der Schanze. Nichts. Ein Kinderlied, ein Kinderreim eher, der nicht einfach aufzuschließen ist. Unter der Überschrift „Aus Wunderhorn. des Wunders halber" ist in Rahel Levins Tagebuch zu lesen: Wenn er's nur nicht krum nimmt! Um um um mein Krummer Krummer du bist mein, Ei du krummer Dingerler, Wie magst so lustig seyn? (aus d Wunderhorn.)16

In einem ungedruckten Zusatz zum Brief an Friederike Liman vom 4. Februar 1815. Vgl. Druckvorlage für eine dritte Auflage des Buch des Andenkens, Sammlung Vamhagen, Biblioteka Jagiellonska, Krakau, Kasten 208. Sammlung Varnhagen, Kasten 204. Abschrift von Ursula Isselstein, der ich sehr dafür danken möchte, daß sie mir die Textpassage zur Verfügung stellte und auch dafür, daß sie mir - wie

„Eine Impertinenz": Rahel Levin liest Achim von Arnim

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Ein seltsames Lied. Vielleicht ein Abzählreim für Kinder. Auffallend ist, wie dominant der dunkle Vokal U ist, an den sich viele Assoziationen schließen lassen. U - wie der Laut, mit dem wir Furcht artikulieren. U - wie ein Zeichen von Angst. U - wie die Vorsilbe, die eine Verneinung signalisiert. U - wie krumm. Was aber ist krumm? Nasen sind krumm, Finger und manchmal auch Beine. Verbogene Körperteile. Bananen waren's damals wahrscheinlich noch nicht. Krumm sind manchmal auch Wege und Stege. Man kann krumme Finger machen und krumme Dinger drehen. Wenn wir annehmen, daß das „Er" in der Überschrift mit dem Du im Gedicht identisch ist, dann wird der Kreis von Assoziationen kleiner. Dann ist der Krumme männlichen Geschlechts. Wie ein Finger. Oder wie das männliche Geschlecht selbst? Im Schwäbischen wird der Penis von Knaben auch das Dingerle genannt. Das U im Gedicht läßt sich auch in andere Richtungen öffnen, und über einen kleinen Umweg finden sich Leseweisen, die an die zuletzt erörterte Möglichkeit anschließen. U ist auch der Vokal in dem Wort, mit dem wir einen Anderen ansprechen: DU. „Krummer, du bist mein", so heißt es in der zweiten Zeile. Als ob der Angesprochene erst durch dieses Du in ein Verhältnis zum Ich gebracht werden müßte. Erst dann, im zweiten Schritt, wenn das Du als dem Ich gehörend eingeführt ist, wird es mit dem Krummen identifiziert. „Du krummer Dingerler". Doch das U öffnet nicht nur das Du. Es öffnet auch ein anderes Wort, das im Wunderhorn an vielen Stellen, nicht aber in diesem Lied auftaucht: JUD. „Wenn er's nur nicht krumm nimmt". Wobei die Überschrift interessant ist: „Aus Wunderhorn. des Wunders halber". Auch als Quellenangabe schreibt Rahel Levin „Wunderhorn", so wie es auf den Titelkupfern der Ausgaben von 1808 steht. Der „Knabe" der ersten Ausgabe wird nicht genannt. Als ob die Leserin sich bei ihrer Lektüre tatsächlich von den Bildern hätte leiten lassen. Auf der ersten ist ein Jüngling mit einem Hörn in der Hand auf einem Pferd sitzend zu sehen. Auf der zweiten dagegen steht ein stilisiertes Hom im Vordergrund, dahinter öffnet sich die Perspektive auf eine Landschaft mit einer Stadt am Fluß, überragt von einer großen Kirche und einer Burg. Eine mittelalterliche Szenerie, unterstützt durch die Zeichnungen auf dem Hom selbst, auf dem Ritter und Sänger mit verschiedenen Instrumenten zu sehen sind. Die dritte schließlich zeigt ein musizierendes Paar in mittelalterlicher Tracht. Links der Mann mit einer Laute, rechts die Frau mit einer Harfe. Auf dem Boden vor ihnen ein Dudelsack. Das Titelkupfer für die Kinderlieder bringt diese Ikonographie auf den Punkt: Zwei nackte musizierende Putten im Vordergrund und dahinter, perspektivisch erweitert, die Szene im Stall. Maria und Joseph, dazu das Kind in der Krippe liegend. Wobei das Kind genau die Mitte des Bildes einnimmt. „Aus Wunderhorn. des Wunders halber". Welches Wunder damit gemeint sein könnte, erschließt sich also aus der Folge dieser Titelkupfer, an ihrer besonderen Bildlichkeit, gerade in Verbindung mit dem Titel. Vom ersten zum zweiten Band verschwindet nicht nur das Wort „Knabe", sondern auch das Bild eines Knaben. schon so oft - auch bei diesem Aufsatz mit Rat und Tat zur Seite stand. Im Wunderhorn (Reclam-Ausgabe) findet sich das Lied in Bd. 3, S. 299.

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Statt dessen rückt das Hörn in den Mittelpunkt, das in der zweiten Abbildung auffallend phallische Züge trägt. Beim mittelalterlichen Paar schließlich wird der Blick auf ein eigenartiges, nicht eindeutig zu identifizierendes Zeichen im Schoß des Mannes gezogen, während das letzte Bild Jesus in die Mitte rückt. Es geht also nicht nur um eine bildliche Codierung in Richtung christlicher Ikonographie, es geht auch um die Inszenierung eines männlichen Signifikanten. In einer kleinen Verschiebung in Rahels Titel wird diese Bewegung nachgezeichnet. Hatten Amim und Brentano ihrem Wunderhorn zuerst noch einen Genitiv beigegeben, der den Knaben in den Mittelpunkt stellt - Des Knaben Wunderhorn - so verrückt Rahel Levin diese generierende Anordnung. Sie verlegt ihn vom Hörn in das Wunder: „Aus Wunderhorn. Des Wunders halber". Hingewiesen wird also auf ein doppeltes „Wunder": mit der Etablierung einer christlich dominierten Kultur setzt sich auch eine eindeutig männlich determinierte durch. In den Liedern im Wunderhorn selbst läßt sich diese doppelte Bewegung sehr gut ablesen. Denn Juden und Jüdinnen werden unterschiedlich besetzt. Im ersten Teil findet sich ein Lied mit dem Titel „Die Judentochter". Es ist ein Lied von einem schönen traurigen Mädchen, Tochter einer schönen Mutter, das einen Schreiber nach dem Grund ihrer Melancholie fragt. Die vorgeschlagene Therapie ist einfach: „Wenn du dich lassest taufen,/ Luisa sollst du heißen,/ Mein Weibchen sollst du sein."17 Das namenlose Mädchen zieht ein anderes Wasser dem Taufwasser vor und ertränkt sich im Meer. Judenmädchen, vor allem wenn sie schön sind, wird also die Taufe proponiert; ihnen wird ein Weg in die christlich dominierte Gesellschaft geöffnet. Juden dagegen kommen nur in den bekannten Klischees vor. Als Mörder von Jesus. Als Brandstifter und Hostienschänder. Ihnen wird kein Weg eröffnet, weder in ihrer noch in der christlichen Kultur. Eine Impertinenz? Ja. Und zwar gerade dann, wenn die Sammlung als Grundstein eines neu erwachten deutschen Nationalbewußtsein gelesen wird. Dann ist diesem von Anfang an eine Ausgrenzung eingeschrieben. Lange vor der Christlich-Deutschen Tischgesellschaft bedeutet deutsch ausdrücklich: nicht jüdisch. Eine Impertinenz aber auch, weil nicht nur in diesem Gedicht die Bewegung des Sprechens fast durchweg von einem Mann zu einer Frau geht. Er spricht, sie antwortet. Er schaut, sie schlägt den Blick nieder. In die Konstruktion des Deutschen ist damit auch eine eindeutige Hierarchie der Geschlechter eingeschrieben, wie sich vor allem auch an den Liebesliedern zeigen ließe. Dieser mehrfachen Ausgrenzung folgt von Rahel Levins Seite jenseits ihres Tagebuchs ein Schweigen. Am 14. September 1809, also kurz nach der Lektüre des Wunderhorns, schreibt sie an Friedrich de la Motte Fouque: „Apropos, Achim Arnim und Brentano sind hier: ich habe sie auf der Straße gesehen."18 Von einer Begegnung oder gar einem Gespräch ist nirgendwo die Rede. Vor diesem Hintergrund läßt sich der große Brief Rahel Levins vom 29. August 1819 neu lesen, in dem Achim von Arnim zusammen mit Clemens Brentano für die Hep-Hep-Stürme in Süddeutschland verantwortlich gemacht wird: 17

Ebenda Bd. l, S. 222f. " Varnhagen: Gesammelte Werke (Rahel-Bibliothek), Bd. l, S. 442.

„Eine Impertinenz ": Rahel Levin liest Achim von Arnim

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Ich bin gränzenlos traurig: und in einer Art wie ich es noch gar nicht war. Wegen der Juden. Was soll diese Unzahl Vertriebner thun. Behalten wollen sie sie: aber zum Peinigen u Verachten; zum Judenmauschel schimpfen; zum kleinen dürftigen Schacher; zum Fußstoß, und Treppenrunterwerfen. Die Gesinnung ist's die verwerffliche gemeine, vergiftete, durch und durch faule die mich so tief kränkt, bis zum herzerkaltensten Schrek. Ich kenne mein Land! Leider. Eine unseelige Cassandra! seit 3 Jahren sag' ich; die Juden werden gestürmmt werden: ich habe Zeugen. Dies ist der deutschen Empöhrungs Muth. Und wie so? Weil es das gesitteste, gutmüthigste, friedliebenste, Obrigkeitehrendste Volk ist; was es zu fordern hätte, weiß es nicht: nur Unterrichtete unter diesem Volke möchten es ihm lehren: unter diesen sind aber viele Ungebildeten, mit rohen Herzen; wo auch Raum für Neid ist, gegen eine große Zahl solcher Juden. - die man kraft Relligionsauswüchse als Untergeordete Wesen hassen, verachten und verfolgen durfte."

Die Perspektive der Passage vollführt eine interessante Bewegung, in dem sie von Satz zu Satz wechselt. „Behalten wollen sie sie", so beginnt das Argument. Von diesem doppelten „sie" wurden zuvor nur die Juden benannt. Das andere „sie" ist noch offen. Bevor es einen Namen bekommt, spricht die Schreiberin von „meinem Land", von einem Land also, in dem es Juden und andere gibt. Es gibt eine vorausgesetzte Gemeinsamkeit, doch in dieser Gemeinsamkeit sind Juden diejenigen, die auf eine bestimmte Weise verortet sind. Man braucht sie - in ihrer sozial und politisch unhaltbaren Position, weil dies zum Funktionieren von „meinem Land" dazugehört. Erst nach dieser Bestimmung wird die andere Seite von „meinem Land" eingeführt. Es heißt nicht „die Deutschen", weil dies „mein Land" als Konzept aushebeln würde. Juden wären dann die, die nicht zu den Deutschen gehören. „Dies ist der deutschen Empöhrungs Muth" - in diesem Genitiv wird den Deutschen eine Besonderheit attestiert, die nicht immerund auch nicht von allen geteilt wird. Die Deutschen haben einen „Empöhrungs Muth", der Juden als Ventil braucht. Die Symptome seines Ausbrechens werden präzise beschrieben. Doch das „sie", das die Juden im Land haben wollte, ist damit immer noch nicht eindeutig bezeichnet. Wie sich zeigen wird, geschieht das auch in der Folge nicht. Stattdessen werden weitere Instanzen eingezogen, die für die Unruhen verantwortlich sind. Es sind die „Ungebildeten" unter den „Unterrichteten". Sie haben „ein rohes Herz", schüren Haß und Agression. Es genügt also nicht, unterrichtet zu sein. Etwas muß hinzukommen, sonst wird Unterricht nicht zur Bildung. Im weiteren Gang der Argumentation wird dieses Etwas präzise benannt: Die Gleißnerische Neuliebe zur Kristlichen Religion Gott verzeie mir meine Sünde!, zum Mittelalter, mit seiner Kunst, Dichtung und Gräueln, hetzen das Volk zu dem einzigen Gräuel zu dem es sich noch an alte Erlaubniß erinnert, aufhezen läßtl Judensturm, die Insinuatzionen die seit Jahren alle Zeitungen durchlaufen, die Professoren Fr:, und Rü:, und wie sie heißen. Am: Brent:, unser Verkehr; und noch höhere Personen mit Vorurtheil. Es ist nicht Religionshaß: sie lieben ihre nicht, wie wollten sie andere hassen.20

Ebenda Bd. 9, S. 582f. An einer Stelle wurde der Text hier modifiziert: In Consolina Viglieros Abschrift des Briefes heißt es: „der deutschen Empöhrungsmuth". Vamhagen: Gesammelte Werke (Rahel-Bibliothek), Bd. 9, S. 583.

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Barbara Hahn

In Rahel Levins Briefen wurden Namen häufig abkürzt. Doch die Namenskürzel in diesem Brief sind ungewöhnlich. Meistens werden Namen zuerst ausgeschrieben eingeführt und dann verkürzt. Hier dagegen ist von vier Autoren die Rede, die im Brief vorher nicht auftauchten. Dennoch scheint die Schreiberin davon auszugehen, daß der Adressat genau weiß, von wem die Rede ist. Es scheint Gespräche gegeben haben, die die Identität der Autoren klärten. Ludwig Robert, Rahel Levins Bruder, an den dieser Brief gerichtet ist, wird damit zum eingeführten Gesprächspartner über judenfeindliche Umtriebe. Interessant ist aber auch, wie abgekürzt wird. Bei Fries und Rühs, den Autoren antijüdischer Pamphlete, sind die Namen fast bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt; daß beide Professoren sind, wird daher ausgeschrieben. Die Namenskürzel nehmen ihnen das Recht, mit ihren Namen für den Frevel einzustehen, den sie mit ihren Schriften begingen. Arnim und Brentano bekommen ein paar Buchstaben mehr, sie sind über die Kürzel leicht zu identifizieren. Anders als die Professoren, die qua Berufsstand als antijüdisch bezeichnet sind, müssen sie als Individuen für ihre Arbeiten einstehen. Sie sind die eigentlichen Repräsentanten der „gleißnerischen Neuliebe". Sie stehen für eine Überlieferungspolitik, die fatale Kontinuitäten stiften. Ihre „Dichtung", ihre Sicht auf das Mittelalter bewirkt, daß aus dieser Zeit nur eines in Erinnerung blieb: Die Tradition des „Judensturm". Man könnte diesen Brief als späte, aber sehr präzise Spur einer eingehenden Lektüre des Wunderhorns lesen. Vielleicht auch als Echo darauf, daß es gerade wieder erschienen war. Einer Sammlung, in der Juden diejenigen sind, die Christus ermordet und Hostien geschändet haben. Die daher von den Christen gerädert, verbrannt, gepfählt wurden. Kaum jemals aber sind sie Repräsentanten einer eigenen Kultur, von irgendetwas, was erhaltenswert sein könnte. Wie sehr die Ereignisse von 1819 den Blick auf die Liedersammlung verändert, zeigt ein weiterer Blick in Rahel Levins Tagebücher. Am 19. Februar 1820 verfaßt Rahel Levin einen Eintrag, der gebündelt wie in einem Brennglas Gedanken präsentiert, die die früheren Reflexionen über das Wunderhorn mit dem Entsetzen über die Hep-Hep-Unruhen verbindet. Es ist eine Reflexion über das Singen und über die Lieder der Völker. Neulich sagte ich zu Koreff, alle Kunst müsse einer Nation natürlich sein; d.h. in den untem Volksklassen entstehen: sonst vagirt sie, hat keinen Boden, wird Krittelei, wenn sie vorher noch glückliche Nachahmung war. Erst gestern, als Goethische Lieder ohne Begleitung gesungen wurden, drang sich mir von neuem auf, daß es nur verbesserter Wachstuben- und Handwerksburschen-Gesang im Wandern war. Hier haben wir keinen anderen Volksgesang. Nun giebt's noch Soldatenlieder aus dem Krieg. Alles andere Singen, auf den Theatern, ist bald italiänisch, bald halb dieser Gesang, halb jener bezeichnete, auf Gluck, Mozart usw. angewandt; und meistens schon damit angefangen, die Singorgane ganz mißzuverstehen. Dabei ein unendlicher Dünkel; auf dünkelhaften sogenannten Patriotismus gepflanzt. Man findet hier schöne Stimmen, als man nur irgend vermuten sollte; aber gleich werden sie verdorben; in die Kehle hineingezwungen, die Brusttöne bis zur Vernichtung forciert, gequetscht, gekälbert. Leidenschaft besteht nur in Forte und Piano; Piano in Dehnen, et cetera! -2I

Ebenda, Bd. 3, S. 16.

„Eine Impertinenz ": Rahel Levin liest Achim von Arnim

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In diese Kultur der Imitation, die sich entwickelteren Traditionen nur halb und halbherzig zuwendet, konnten unmöglich Traditionsstränge integriert werden, die auf den kulturellen Kontext des Judentums verweisen.22 Wenn in deutschem Gesang nicht einmal die Kultur der dominierenden gesellschaftlichen Gruppierungen Raum findet, wie sollen dann Öffnungen für bislang ausgeschlossene Stränge geschaffen werden? Wie kann eine Kultur integrative Kräfte freisetzen, wenn sie sich ihrer selbst nicht sicher ist? Wie kann Anderes kulturell produktiv sein, wenn das Eigene nicht gewußt, nicht entfaltet ist? Der Zeitpunkt, zu dem diese Reflexion vorgetragen wird, gibt ihr weitere Brisanz. 1820 - da kann Deutschland auf eine Art Einigungsprozeß in der Erhebung gegen die französischen Okkupanten zurückblicken. Doch die Hoffnungen, die sich - auch bei Rahel Levin daran geknüpft hatten - sind durch die Entwicklungen seit 1815 zerrieben worden. Von der Erhebung 1813 sind nur Spuren in Soldatenliedern geblieben. Keine Spuren dagegen von Volkskunst, auch deshalb nicht, weil in den Hep-hep-Unruhen von 1819 deutlich wurde, welcher Typ von Einigung sich da allmählich zeigte und auch tendenziell durchsetzte. Sicher nicht zufällig ist auch für diese Reflexion wieder ein jüdischer Freund Gesprächspartner, wie damals im Brief vom Sommer 1819. Die Spuren der Spaltung sind nicht mehr zu übersehen. Von hier aus rückt das Kinderlied über den Krummen noch einmal in ein anderes Licht. Im Wundern, das Rahel Levin in ihrer Aufzeichnung so in den Vordergrund gestellt hatte, war bereits ein weiteres Echo des so dominanten U zu hören gewesen. Das „um um um mein Krummer", die erste Zeile des Lieds, liest sich nach 1819 wie das Echo der Rufe, mit denen verfolgte Juden durch die Straßen süddeutscher Städte gejagt wurden. Kein Tanz klingt an, sondern Verfolgung. Krumm klingt nach den Ausgrenzungsmerkmalen, die seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert für Juden definiert wurden. Juden - das sind die mit den krummen Nasen. Das sind die, die verbogene, krumme Körper haben.23 Das Wunderhorn. Zum Wundern. Wenn man es schüttelt, wenn man es ausschüttet, kommen noch ganz andere Dinge zum Vorschein als die wunderbaren Lieder, die wir in vielen Vertonungen kennen. Mißtöne. Dissonanzen. Ausgelöst durch eine nur auf den ersten Blick kryptische Bemerkung: „Das ist eine Impertinenz von Achim und Brentano".

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Günter Härtung („... berührt den Grund des deutschen Volkstums so gut wie des jüdischen") hat an einem Beispiel, dem Lied „Für die Jüngelcher von unsem Leut", nachgewiesen, daß doch jüdische Kultur ins Wunderhorn aufgenommen wurde. Seinen Ausführungen zufolge war es Clemens Brentano, der das Lied aufwählte. Ob Rahel Levin dieses Lied unter diesem Gesichtspunkt las, wissen wir nicht. Ohne Hartungs eindrückliche Studie damit abwerten zu wollen, wäre einzuwenden, daß ein Lied aus diesem Kontext den judenfeindlichen Charakter der Sammlung schwerlich modifiziert. In der Weimarer Republik gab es verschiedene Versuche, das immer noch fehlende „Corpus carminum judaicorum" zu sammeln, „das uns einen Schatz wertvollsten jüdischen Volksgutes vor der Vergessenheit bewahren könnte." BadtStrauss: Übertragungen hebräischer Gebete, S. 113. Vgl. dazu Oilman: The Jew's Body, vor allem das Kapitel: The Jewish Nose. Are Jews White? Or, The History of the Nose Job, S. 169-193.

Abbildungs Verzeichnis

Abb. l: Karl Friedrich Schinkel: Entwurf für ein Mausoleum der Königin Luise im Schloßpark von Charlottenburg, 1810, Feder, Tusche, Kupferstichkabinett Berlin Abb. 2: Karl Friedrich Schinkel: Entwurf eines Saales für die Singakademie, 1812, Feder, Tusche, Kupferstichkabinett Berlin Abb. 3: Karl Friedrich Schinkel: Gotischer Dom hinter Bäumen, 1810, Lithographie Abb. 4: Eduard Biermann nach Karl Friedrich Schinkel: Gotischer Dom am Wasser, Neue Pinakothek, München Abb. 5: Carl Wilhelm Kolbe d. J.: Die Sängerfahrt, Lithographie Abb. 6: Karl Friedrich Hampe: Wasserfahrt einer Familie auf der Spree bei Berlin, 1826, 1993 bei Leo Spik, Berlin, versteigert Abb. 7: Karl Friedrich Schinkel: Der Königssee bei Berchtesgaden, 1811. Feder, Kupferstichkabinett Berlin Abb. 8: Karl Friedrich Schinkel: Schloß am See, 1814, ehemals Nationalgalerie Berlin, Kriegs Verlust Abb. 9: Karl Friedrich Schinkel: Garten Sarastros, Bühnendekoration zur „Zauberflöte", 1815, Gouache, Kupferstichkabinett, Berlin Abb. 10: Carl Blechen: Bergsee, 1823, Feder, Tusche, Kupferstichkabinett, Berlin Abb. 11: Carl Blechen: Mittelalterliche Stadt, um 1823, Feder, Tusche, Kupferstichkabinett Berlin Abb. 12: Carl Blechen: Bau der Teufelsbrücke, um 1833, München, Neue Pinakothek Abb. 13: Kopie nach Carl Blechen: Der gesprengte Turm des Heidelberger Schlosses, Kunsthalle Bremen

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Register von Jörn Buchner

Ahlbom, Wilhelm 100 Altenstein, Karl Freiherr vom Stein und zum Altenstein 149 August, Prinz von Preußen 157 Arndt, Ernst Moritz 4,59 Amim, Bettina von 23-24,74, 76, 88,108, 163,165,183,214,215 Clemens Brentano 's Frühlingskranz 57 Dies Buch gehört dem König 53 Goethes Briefwechsel mit einem Kinde 57 Amim, Ludwig Achim von Armut, Reichtum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores 11, 13-18, 166, 169,175,214 Erzählungen von Schauspielen 63, 172, 218 Halle und Jerusalem 72,84,168-169, 172,214 Hollin 's Liebeleben 15 Isabella von Ägypten 92 Des Knaben Wunderhorn 23-25, 27-29, 77, 165-166, 172, 201, 208-212, 214-218, 223-228. 230-231 Die Kronenwächter 28, 53, 61-62, 67, 69, 175, 185, 190 Landhausleben 35-36, 173 Die drei liebreichen Schwestern und der glückliche Färber 92 Das Loch oder Das wiedergefundene Paradies 168 Die Majoratsherren 179 Melück Maria Blainville 92,208, 217 Nachtfeier nach der Einholung der hohen Leiche Ihrer Majestät der Königinn 201 Der Preußische Correspondent 38, 42, 45-51 Raphael und seine Nachbarinnen 173 Rembrandts Versteigerung 173 Die Schaubühne 169

Scherzendes Gemisch von der Nachahmung des Heiligen 57 Über die Kennzeichen des Judentums 71-72,82-85,90 Die Versöhnung in der Sommerfrische 86-89 Von Volksliedern 24 Der Wintergarten 86, 166, 168-169, 173,210,214,218,220 Zeitung für Einsiedler 28-30, 38, 42, 57-58,165,172,175,201,215 Amstein, Fanny von 83 Asser, Rose 94 Ast, Friedrich 155 Beckedorff, Ludolph von 83, 213 Beethoven, Ludwig van 73,206 Begas, Carl 101 Berger, Susanne 106 Bemhardi, August Ferdinand 29,32 Bethmann, Friederike 157,160 Bethmann-Hollweg, Moritz August von 108 Beuth, Peter 99 Beyme, Karl Friedrich 157 Biermann, Eduard 100 Blechen, Carl 97,107-109 Boccaccio, Giovanni 34 Böhme, Jacob 178 Boldt, Henriette 109 Bormann, Alexander von 41 Brentano, Christian 199 Brentano, Clemens 18, 20, 26-28, 32, 42, 54-57, 73, 85, 125-126, 158, 160-166, 175-178, 183-199, 201-221, 223-224, 228, 230-231 „An des Hauses kleiner Thüre" 196 Aus der Chronica eines fahrenden Schülers 188, 195, 197 „Durch den Wald mit raschen Schritten" 192 „Es stehet im Abendglanze" 194-195

Register

248 „Fahre fort mit Dornenschlägen" 196 Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annen 183,193,198 Godwi oder Das steinerne Bild der Mutter 197 Die Gründung Prags 193 „Ich bin durch die Wüste gezogen" 192, 193 Kantate auf den Tod Ihrer Königlichen Majestät, Louise von Preußen 202 Die Mährchen vom Rhein 195 „Meister, ohne dein Erbarmen" 187, 195 „Mit Reben bedachet" 192-193 Die drei Nüsse 183 „Nun soll ich in die Fremde ziehen" 196 „O wie so oft" 189-191, 193, 196-198 „0 du lieber Wilder Regen" 195 Romanzen vom Rosenkranz 199 Die Schachtel mit der Friedenspuppe 183 Der schiffbrüchige Galeerensklave vom todtenMeer 195 Viktoria und ihre Geschwister, mitfliegenden Fahnen und brennender Lunte 184 Vom traurigen Untergang zeitlicher Liebe 195 „Wenn der Sturm das Meer umschlingt" 194 „Zu Bacharach am Rheine" 195 Brown, John 132 Brühl, Karl Graf von 106 Bühler, Karl 202 Burgsdorff, Wilhelm von 171 Cälderon, Don Pedro de la Barca 178 Carolsfeld, Julius Schnorr von 101 Cervantes, Miguel de 34 Chamisso, Adelbert von 26, 31, 86 Chezy, Helmina von 125 Chodowiecki, Daniel 102-103 Christlich deutsche Tischgesellschaft 20, 82,90,212,214 Congreve, William 45 Cornelius, Peter 101 Dahl, Johann Christian 107 Dähling, Heinrich 105 De Wette, Wilhelm Martin Leberecht 59,67

Diderot, Denis 150 Dolci, Carlo 99 EichendorfT, Carl von 169 Eichendorff, Joseph von 153-169,217 Ahnung und Gegenwart 156, 166-168 Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands 163 Das Marmorbild 168 Eine Meerfahrt 168 Eine Tragikomödie wie Arnims Halle und Jerusalem 168 Die Zauberei im Herbste 156 Zur Geschichte der neuern romantischen Poesie in Deutschland 160 Eichendorff, Wilhelm von 153 Emmerick, Anna Kathrina 198 Feuchtersieben, Ernst von 24 Fichte, Johann Gottlieb 3-11, 14-16, 1822,34,76,85,91,93, 162, 176 Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre 6 Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters 6,9,11,16,34 Reden an die deutsche Nation 4-5, 711,16-19,22,34,93 Flemming, Friedrich Ferdinand 212 Fontäne, Theodor 109 Förster, Friedrich 185 Fouquo, Friedrich de la Motte 29-30, 107, 176,217,228 Frick, Friedrich 103 Friedrich der Große, König von Preußen 98, 102-103 Friedrich Wilhelm II., König von Preußen 75, 102 Friedrich Wilhelm III., König von Preußen 8, 59, 101, 109, 158, 205-206, 213 Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen 59,61,109 Friedrich, Caspar David 99, 101, 106, 109, 173,213,214 Frühwald, Wolfgang 187-188, 193 Gedike, Friedrich 171 Geizer, Johann Heinrich 169 Gentz, Friedrich 140, 147 Gilly, David 103 Gilly, Friedrich 98, 103-104 Gleim, Johann Wilhelm Ludwig 216

Register Goethe, Johann Wolfgang 19, 24, 30-31, 34, 64, 92, 101-103, 107, 141-142, 145, 173,176,224-225 Faust 100 Götz von Berlichingen 104 Die Italienische Reise 173 Wilhelm Meisters Lehrjahre 30-31, 63 Görres, Joseph 29, 176-178,214,217,220 Grimm, Jakob 177,185,218 Grimm, Jakob und Wilhelm 23, 32, 61, 67-69,214 Grimm, Wilhelm 38, 62, 184, 190, 209210,217 Grotthus, Sara von 83 Günderrode, Caroline von 61-62 Hampe, Karl Friedrich 105 Hardenberg, Karl August Fürst vom 3, 7577, 149, 162, 174 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 6,143-144 Heiduk, Franz 161 Hensel, Luise 185,187, 188, 191,193-195, 196, 199 Herder, Johann Gottfried 19, 225-226 Hermes, Justus Gottfried 185-186 Herz, Henriette 124 Hitzig, Julius Eduard 86 Hoffmann, Ernst Theodor Amadeus 86,106 Die Elixiere des Teufels 107 Undine 106 Holtei, Carl von 164, 171 Homer 217 Hörisch, Jochen 136 Hössli, Philipp 59 Humboldt, Alexander von 160 Iffland, August Wilhelm 90, 157, 159-160 Itzig, Daniel 75 Itzig, Moritz 21,32, 71, 73-81, 85,90-94 Jean Paul 142, 176 Kant, Immanuel 6, 11, 19, 135-136, 138139, 145-147 Kritik der Urteilskraft 141 Philosophische Religionslehre 187 Kierkegaard, Sören 143-144 Kittler, Wolf 150 Kleist, Friedrich Wilhelm Christian von 161 Kleist, Heinrich von 4, 33-34,42, 135-151, 161-162, 174, 203, 207-208, 216-217 Kleist, Marie von 161,205,206

249 Kleist, Ulrike von 139,150 Klopstock, Friedrich Gottlieb 216 Kolbe der Jüngere, Carl Wilhelm 104-105 Kömer, Theodor 4,209 Kotzebue, August von 59,92 Prozeß in Krähwinkel 157 Kranz, Gisbert 186 Kraus, Christian Jakob 93, 149 Krug, Wilhelm Traugott 145 Lange, Samuel Gotthold 216 Langhans, Carl Gotthard 102, 157 Lannoy-Clervaux, Clementine 130 Larisch, Luise von 155 Lessing, Gotthold Ephraim 72 Levin, Rahel 24, 31, 57, 83, 86, 94, 124, 162,223-231 Levy, Sara 73-74,76-78, 80, 83,134 Leißring, August Joachim 165 Lilienstem, Rühle von 147 Loeben, Otto Heinrich Graf von 155-167 Löw, Joseph 215 Ludwig von Bayern, Kronprinz 59 Ludwig, Johann Carl Andreas 213 Luise, Königin von Preußen 84, 98, 158, 161, 201, 204-206 Machiavelli, Niccolo 177 Macpherson, James 217 Marquard,Odo 138-139,151 Mauser, Wolfram 169 Meierotto, Johann Heinrich Ludwig 171 Mendelssohn, Abraham 83 Mendelssohn, Joseph 83 Mendelssohn, Moses 131,134 Mereau, Sophie 188,194 Metternich, Clemens Fürst von 3 Mozart, Wolfgang Amadeus 106,107,230 Müller, Adam 4, 20, 137-138, 140, 144, 147, 149, 160, 162-164 Müller, Sophie 160 Müller, Wilhelm 185 Napoleon Bonaparte 3-6,8,12,19,22,45, 50, 64, 75, 87, 89, 94, 98, 100, 159, 202,210 Nathusius, Philipp 61-62 Neumann, Wilhelm 29 Niebuhr, Barthold Georg 38-39,42,43, 51 Nobiling, Carl 71,77,78,94 Novalis (d. i. Friedrich von Hardenberg) 132,165,172, 178,204,220

Register

250 Overbeck, Friedrich 101 Pape, Eduard 109 Pikulik, Lothar 193 Pilat, Josef Anton von 37 Pistor, Carl Philipp Heinrich 209, 216 Pistor, Charlotte 209 Poggeler, Otto 144 Pustkuchen-Glanzow, Johann Friedrich 31 Pyra, Jakob Immanuel 216 Raphael 173 Raumer, Friedrich von 173-174,179 Rauch, Christian Daniel 97,103 Reichardt, Johann Friedrich 24, 25, 29, 173-174,201-202,205-207 Rembrandt van Rijn 173 Reuter, Christian 215 Ringseis, Johann Nepomuk von 186-188, 197 Robert, Ludwig 86,162,230 Die Macht der Verhältnisse 89,90 Die Tochter Jephta 's 163 Robespierre, Maximilien 5 Rode, Christian Bernhard 103 Roeder, Carl von 79-80 Runge, Philipp Otto 99,101,105,173,178, 199,212,214,215 Sand, Karl Ludwig 59 Sander, Johann Daniel 161 Savigny, Friedrich Carl von 28, 55, 64, 67, 164,175,190-191,216,218 Schadow, Johann Gottfried 99,103,105 Schadow, Wilhelm 98, 101 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 132, 143 Schiller, Friedrich 92, 140, 176-177,215 Schinkel, Karl Friedrich 98-104, 106-109, 164 Schlegel, August Wilhelm 160, 172, 176 Über Zeichnungen zu Gedichten 186 Schlegel, Caroline 88, 124 Schlegel, Friedrich 4, 29, 54, 123-134, 143-145,160,172,176,216 Gespräch über die Poesie 119-220 Lucinde 15,124, 126-127,216 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst 42, 45,51,59,67 Schneider, Georg Abraham 201,205-206 Schulte, Hartwig 166,210 Schütz, Wilhelm von 185

Scott, Walter 105,179 Shakespeare, William 58, 105, 160, 172173 Smith, Adam 149 Solger, Karl Wilhelm Ferdinand 174-177 Erwin 176 Nachgelassene Schriften und Briefwechsel 177 Über patriotischen Enthusiasmus 174 Spee, Friedrich 188 „Spiegel der Liebe" 191 Trutznachtigall 188 Stae'l, Anne Louise Germaine de 125 Corinne ou L 'Italie 125 Steffens, Henrik 163,202 Steig, Reinhold 86, 205,209 Stein, Karl Freiherr vom 3,9 Stern, Carola 134 Stopp, Elisabeth 205 Strauß, Gerhard Friedrich Abraham 167 Thaer, Albrecht 76 Thalmann, Marianne 179 Theremin, Franz 161 Tieck, Ludwig 125, 133, 160, 165, 171179,185, 188 Der Aufruhr in den Cevennen 179 Briefe über W. Shakespeare 172 Der blonde Eckbert 156,179 Deutsches Theater 172 Dichterleben 173 Dramaturgische Blätter 172 Franz Sternbalds Wanderungen 171 Genoveva 172 Der getreue Eckart und der Tannhäuser 156 Der Hexen-Sabbath 179 Liebeszauber 179 Minnelieder aus dem Schwäbischen Zeitalter 172 Phantasus 171, 173, 175, 176, 178, 179 Romantische Dichtungen 172 Der Runenberg 179 Der Tod des Dichters 173 Ulrich von Lichtenstein 172,177 Die Verlobung 173 Volksmärchen 172 Tucker, Harry 197 Unzelmann, Karl Wilhelm 157

Register Varnhagen von Ense, Karl August 19, 2339, 46, 71, 74, 77, 78, 85, 86, 92, 94, 223, 224, 226 Denkwürdigkeiten des eigenen Lebens 27,32 Deutsche Erzählungen 33 Ludwig Achim von Arnim und Moritz Itzig 71,77 Versuche und Hindernisse Karls 29 Zeitung aus dem Feldlager 38,46 Varnhagen von Ense, Friederike Antonie siehe unter Rahel Levin Veit, Philipp 159 Veit-Schlegel, Dorothea 123-134 Florentin 126-127, 129, 132-134 Vieweg, Klaus 143-145 Voltaire 150 Vordtriede, Werner 171 Voß, Johann Heinrich 210-212 Wach, Karl Wilhelm 98,101

251

Wackenroder, Wilhelm Heinrich Herzergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders 133 Wagen, Christian Friedrich 185 Weber, Carl Maria von 107, 125 Weiss, Hermann F. 171 Weitsch, Friedrich Georg 99 Werdeck, Adolfine von 138,161 Wemer, Zacharias 86,145, 159-161,171 Martin Luther 159 Die Weihe der Kraft 159 Wiesel, Pauline 223 Willemer, Marianne von 194-195 Winkelmann, Stephan August 55,218 Wolf, Friedrich August 29, 150 Wolfart, Karl Christian 161-162 Zauper, Josef Stanislaus 24 Zelter, Karl Friedrich 99,212,216 Zenge, Wilhelmine von 140 Zimmer, Johann Georg 165, 211

Verzeichnis der Beiträgerinnen und Beiträger

Dr. Hildegard Baumgart · Goethestr. 69 · D-10625 Berlin Prof. Dr. Barbara Becker-Cantarino · Ohio State University · Department of Germanic Languages and Literatures -314 Cunz Hall · Columbus, Ohio 4321 · USA Prof. Dr. Helmut Borsch-Supan · Lindenallee 7 · D-14050 Berlin Prof. Dr. Konrad Feilchenfeldt · Nikolaiplatz 6 · D-80802 München Prof. Dr. Bernd Fischer · Ohio State University · Department of Germanic Languages and Literature · 314 Cunz Hall · Columbus, Ohio 4321 · USA Prof. Dr. Barbara Hahn · Princeton University · Department of Germanic Languages and Literatures · 230 East Pyne · Princeton, NJ 08544 · USA Dr. Kristina Hasenpflug · Im Prüfling 29 · D-60389 Frankfurt a. M. Dr. Jürgen Knaack · Adlerhorst 24 · D-24558 Henstedt-Ulzburg PD Dr. Ulrike Landfester · Adalbertstr. 47 - D-80799 München Prof. Dr. Walter Pape · Universität zu Köln · Institut für deutsche Sprache und Literatur · Albertus-Magnus-Platz · D-50923 Köln Prof. Dr. Roger Paulin · Department of German · University of Cambridge · Sidgwick Avenue · Cambridge CB 3 9DA · Großbritannien Professor Dr. Klaus Peter · University of Massachusetts · Germanic Languages and Literatures · Box 33925 · Amherst, MA 019003-3925 · USA Dr. Ulfert Ricklefs · Albert-Rupp-Str. 6 · D-91052 Erlangen Dr. Holger Schwinn · Am Entensee 43 · D-63075 Offenbach am Main Dr. Sibylle von Steinsdorff · Beethovenring 4 · D-85630 Grasbrunn