Freiheit von Furcht: Zur grundrechtsdogmatischen Bedeutung von Einschüchterungseffekten [1 ed.] 9783428551149, 9783428151141

»Freedom from Fear«Fear can seriously affect the exercise of individual rights. This work deals with the concept of »fre

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German Pages 205 Year 2017

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Freiheit von Furcht: Zur grundrechtsdogmatischen Bedeutung von Einschüchterungseffekten [1 ed.]
 9783428551149, 9783428151141

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1348

Freiheit von Furcht Zur grundrechtsdogmatischen Bedeutung von Einschüchterungseffekten

Von

Johanna Zanger

Duncker & Humblot · Berlin

JOHANNA ZANGER

Freiheit von Furcht

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1348

Freiheit von Furcht Zur grundrechtsdogmatischen Bedeutung von Einschüchterungseffekten

Von

Johanna Zanger

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster hat diese Arbeit im Jahr 2016 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D6 Alle Rechte vorbehalten

© 2017 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: CPI buchbücher.de, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-15114-1 (Print) ISBN 978-3-428-55114-9 (E-Book) ISBN 978-3-428-85114-0 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

„The only thing we have to fear is fear itself.“*

* Das Zitat stammt aus der Antrittsrede des damaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten Franklin D. Roosevelt vom 04. März 1933: Roosevelt, Inaugural Address (04. 03. 1933), in: Rosenman, Public Papers and Addresses II, S. 11 (11 ff.).

Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde im Frühjahr 2016 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen. Sie befindet sich auf dem Stand von Februar 2016. Bedanken möchte ich mich bei meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Bodo Pieroth, der mir die Anregung zu dem Thema dieser Arbeit gab, mir aber bei der inhaltlichen Ausgestaltung jede erdenkliche Freiheit ließ. Ihm danke ich für seine Betreuung und Unterstützung, ebenso wie für die idealen Arbeitsbedingungen an seinem Institut in Münster. Ich danke ferner Herr Professor Dr. Niels Petersen für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens und die angeregte fachliche Diskussion bei meinem Kolloquium. Mein Dank gilt auch Herrn Professor Dr. Fabian Wittreck für seine persönliche und fachliche Unterstützung. Die Möglichkeit, an seinem Lehrstuhl tätig sein zu können, hat maßgeblich zum Erfolg der Arbeit beigetragen. Die Studienstiftung des deutschen Volkes hat mich mit einem Promotionsstipendium finanziell und ideell gefördert und es mir so ermöglicht, mich auf das wissenschaftliche Arbeiten zu konzentrieren. Ebenfalls möchte ich mich für die Aufnahme in die Schriften zum Öffentlichen Recht bedanken. Die Zeit während der Doktorarbeit wurde bereichert durch die tollen Kolleginnen und Kollegen am Institut für Öffentliches Recht und Politik in Münster bei Prof. Dr. Pieroth und später bei Prof. Dr. Wittreck sowie am Klausurenkurs der Universität zu Köln. Bedanken möchte ich mich ferner bei meinen Freundinnen und Freunden: Jeder einzelne von Euch hat auf seine Weise dazu beigetragen, dass ich den Mut während dieses Projekts nicht verloren habe! Namentlich danken möchte ich Miriam Zerwes und Christoph Gieseler für ihre fachlichen Anmerkungen und das Korrekturlesen der Arbeit. Gleiches gilt für Dr. Tobias Schröder, der mich immer wieder – fachlich wie menschlich – beeindruckt. Danke, dass Du mich immer bestärkt hast und in meinem Leben bist. Schließlich möchte ich meinen Eltern und Großeltern danken. Eure unbedingte Liebe und Euer Rückhalt, aber auch die große Freiheit und Eigenverantwortung, die ihr mir schon früh zugestanden habt, haben mich wesentlich geprägt. Köln, Dezember 2016

Johanna Zanger

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 I. „Freisein von Furcht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 II. Themeneingrenzung und -abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 III. Stand der rechtswissenschaftlichen Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 IV. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

Teil 1 (Rechts-)historische Ursprünge und staatstheoretisches Fundament

23

A. (Rechts-)historische Ursprünge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 I. Franklin D. Roosevelt: „Four Freedoms Speech“ und Atlantik-Charta . . . . . . . . . 23 II. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 III. „Freedom from fear“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 1. Furcht vor Krieg und dessen Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 2. Weitergehendes Verständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 IV. Rechtliche Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 V. Freiheit von Furcht als „vergessene Freiheit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 VI. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 B. Staatstheoretisches und ideengeschichtliches Fundament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 I. Thomas Hobbes: Furcht als „Ausgangspunkt“ des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 1. Der Mensch im Naturzustand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 2. Furcht als Ursprung des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 3. Furcht vor dem übermächtigen Leviathan? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 II. John Locke: Furcht als Grund für Staatsmachtbegrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 1. Vom Naturzustand als Zustand „voll von Furcht“ zum Eintritt in den Staat . . . 43 2. Der Staat als Bedrohung: Freiheit vom Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 III. Montesquieu: Freiheit von Furcht im Sinne „geistiger Beruhigung“ . . . . . . . . . . . 47 1. Bedingtheit von Recht als zentrale These . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 2. Subjektivität von Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 C. Aussagekraft und Anschlussfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

10

Inhaltsverzeichnis Teil 2 Analyse der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

53

A. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 I. Terminologie und Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 1. Uneinheitliche Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 2. Einschüchterungseffekte als nachteilige Wirkungen auf die Freiheitsausübung 55 3. Einschüchterungseffekte als gesamtgesellschaftliche Auswirkungen . . . . . . . . 56 II. Staatliche Maßnahmen als Auslöser für Einschüchterungseffekte . . . . . . . . . . . . . 57 1. Staatliche Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 a) Unsicherheit über drohende Nachteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 b) Straf- und zivilrechtliche Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 c) Zivilrechtliche Unterlassungsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 d) Verwaltungsrechtliche Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 2. Staatliche Überwachung und Informationstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 a) „Unsicherheit, wer wann was und bei welcher Gelegenheit weiß“ . . . . . . . . 62 b) Überwachung von Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 c) Massenhafte und heimliche Überwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 3. Sonstige Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 III. Bedeutung für die Grundrechtsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 1. Einschüchterungseffekte und Gewährleistungsgehalt einzelner Grundrechte . . 66 a) Herleitung und Begründung eines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 b) Spezielle Gewährleistungen von Privatheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 c) Kommunikationsgrundrechte, einschließlich Versammlungsfreiheit . . . . . . . 71 d) Allgemeine Wahrnehmung von Grundrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 2. Einschüchterungseffekte und Eingriff: Freiheitsverkürzende Wirkung . . . . . . . 73 3. Einschüchterungseffekte und verfassungsrechtliche Rechtfertigung, insbesondere Verhältnismäßigkeitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 a) Einschüchterungseffekte als Aspekt zur Bestimmung der Eingriffsintensität 75 b) Betonung gesamtgesellschaftlicher Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 4. Einschüchterungseffekte und Prüfungsmaßstab bei Urteilsverfassungsbeschwerden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 B. Kritik der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 I. Begriffliche und dogmatische Unklarheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 1. Einschüchterungseffekte als „verfassungsrechtlicher Joker“? . . . . . . . . . . . . . . 79 2. Willkürliche Thematisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79

Inhaltsverzeichnis

11

3. Abweichende Beurteilung in Sondervoten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 II. Wertungswidersprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 1. Sog. Nichttrefferfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 2. Videoüberwachungsmaßnahmen, insbesondere Kameraattrappen . . . . . . . . . . . 84 3. Heimliche Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 C. Zwischenfazit: Argumentationsfigur ohne ausgearbeitete Dogmatik . . . . . . . . . . . . . . 87

Teil 3 Freiheit von Furcht im Grundgesetz

89

A. Einschüchterungseffekte – eine erneute Annäherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 I. Zentrale Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 1. Angst und Furcht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 2. Freiheit von Furcht und Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 3. Einschüchterungseffekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 4. „Chilling Effects“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 5. Weitergehende Differenzierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 a) Positive und negative Einschüchterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 b) Auswirkungen auf den Grundrechtsträger und die Gesellschaft . . . . . . . . . . 93 c) Konkrete und allgemeine Einschüchterungseffekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 II. Wirkungsweise von Einschüchterungseffekten: tatsächliche, psychologische und sozialwissenschaftliche Bedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 1. Verhaltensänderungen durch psychischen Druck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 2. Erkenntnisse der Psychologie und sozialwissenschaftliche Erhebungen . . . . . . 97 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 B. Grundrechtsrelevanz von Freiheit von Furcht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 I. Der Wert von Freiheit von Furcht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 1. Individuelle Persönlichkeitsentfaltung und Privatheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 2. Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 3. Freiheitliche Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 a) Die Schutzbedürftigkeit von Minderheitsmeinungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 b) Die Bedeutung sog. Meinungsführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 II. Ansätze zu einem eigenständigen Grundrecht auf Freiheit von Furcht . . . . . . . . . 109 1. Herleitung aus der Menschenwürde oder dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht 109 a) Furcht vor unbeherrschbaren technischen Gefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 b) Menschenwürde als Elementarschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111

12

Inhaltsverzeichnis 2. Herleitung aus dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit . . . . . . . . 112 3. Herleitung aus dem Recht auf Freiheit der Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 4. Herleitung aus der Gewissensfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 5. Herleitung aus sonstigem Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 6. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 III. Die Gewährleistung von Freiheit von Furcht durch bestehende Grundrechte . . . . 117 1. Zuordnungen zur subjektiv-rechtlichen Grundrechtsdimension . . . . . . . . . . . . . 118 a) Genereller Schutz durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 aa) Erweiterung des grundrechtlichen Schutzes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 bb) Kein losgelöster Schutz vor Einschüchterungseffekten . . . . . . . . . . . . . . 121 cc) Schutz vor Einschüchterungseffekten als Zweck des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 b) Schutz durch einzelne Freiheitsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 aa) Schutz der Entschließungsfreiheit durch einzelne Freiheitsrechte . . . . . 125 bb) Dogmatische Stringenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 2. Zuordnungen zur objektiv-rechtlichen Grundrechtsdimension . . . . . . . . . . . . . . 129 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 IV. Fundamentale Kritik an der Grundrechtsrelevanz von Einschüchterungseffekten 134 1. Subjektivität von Furcht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 a) Irrationale Furcht, Hypersensibilität, Paranoia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 b) Begründete, nachvollziehbare Furcht; „objektiviertes“ Verständnis von Einschüchterungseffekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 2. Mangelnde Empirie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 3. Mangelnde Schutzbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 a) Abschreckung von verbotenem Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 b) Im Rechtsstaat besteht kein Grund zur Sorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 c) Freiwillige Selbstentblößung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 4. Eigenständiger Bedeutungsgehalt neben dem Bestimmtheitsgebot . . . . . . . . . . 141 V. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142

C. Grundrechtseingriffe durch Einschüchterungseffekte, sog. Einschüchterungseingriffe 143 I. Der Grundrechtseingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 1. Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 2. Klassischer Eingriffsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 3. Moderner oder erweiterter Eingriffsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 II. Grundrechtsbeeinträchtigung durch Einschüchterungseffekte . . . . . . . . . . . . . . . . 148 1. „Subjektiver Eingriffsbegriff“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 2. Einschüchterungseffekte als Fall des modernen Eingriffsbegriffs . . . . . . . . . . . 149 a) Nachteilige Wirkung auf ein grundrechtliches Schutzgut . . . . . . . . . . . . . . . 150 b) Einschüchterungseffekte als Fall mittelbarer Selbstbeeinträchtigung . . . . . . 152

Inhaltsverzeichnis

13

c) Betroffensein in individueller Grundrechtsposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 3. Zurechenbarkeit von Beeinträchtigungen durch Einschüchterung . . . . . . . . . . . 155 a) Kausalität staatlichen Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 b) Zurechnungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 aa) Finale Verhaltensbeeinflussung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 bb) Objektive Vorhersehbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 cc) Nicht-finale Verhaltensbeeinflussung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 c) Zurechnungsunterbrechung bei freiwilliger Selbstbeeinträchtigung . . . . . . . 162 aa) Freie Willensentscheidung des Grundrechtsträgers . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 bb) Abgrenzungen im Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 4. Erheblichkeitsschwelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 1. Leistungsfähigkeit der modernen Eingriffsdogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 2. Begrenzter Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 D. Einschüchterungseffekte als Faktor der Eingriffsintensität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 I. Eingriffsintensität und Grundrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 1. Anforderungen an die Zulässigkeit von Grundrechtseingriffen, insbes. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 2. Prüfungsumfang des Bundesverfassungsgerichts bei Urteilsverfassungsbeschwerden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 II. „Eingriffsintensivierender Einschüchterungseffekt“: Einschüchterungseffekte als Kriterium der Eingriffsintensität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 1. Überblick über Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 2. Kritik und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 E. Zusammenfassung: Freiheit von Furcht im Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181

Teil 4 Fazit, Konsequenzen und Zusammenfassung in Thesen

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A. Fazit und Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 I. Freiheit von Furcht als wesentliches Element der Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 II. Konsequenzen für staatliches Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 B. Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203

Abkürzungsverzeichnis a.A. Abs. AEMR AfP AG Anm. AnwBl. AöR AöV Art. Aufl. BayVBl. Bd. BGBl. BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerfG-K BVerfGK BVerwG BVerwGE bzw. ca. d. h. DÖV dt. DuD DVBl. EGMR Einl. EMRK engl. EuGH EuGRZ f./ff. FLR Fn.

andere(r) Ansicht Absatz Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. 12. 1948 Zeitschrift für Medien- und Kommunikationsrecht Amtsgericht Anmerkung Anwaltsblatt Archiv des öffentlichen Rechts Archiv des Völkerrechts Artikel Auflage Bayerische Verwaltungsblätter Band Bundesgesetzblatt Bundesverfassungsgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverfassungsgerichtsgesetz Entscheidung der Kammer des Bundesverfassungsgerichts (nicht amtliche Sammlung) Amtliche Sammlung der Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts beziehungsweise circa das heißt Die Öffentliche Verwaltung deutsch Datenschutz und Datensicherheit Deutsches Verwaltungsblatt Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Einleitung (Europäische) Konvention zum Schutz der Menschenrechte und der Grundfreiheiten vom 04. 11. 1950, BGBl. 1952 II, S. 686, in Deutschland in Kraft seit dem 03. 09. 1953 (Bekanntmachung vom 15. 12. 1953, BGBl. 1954 II, S. 14) englisch Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft Europäische Grundrechte-Zeitschrift folgende Fordham Law Review Fußnote

Abkürzungsverzeichnis FS GG ggf. GJICL grds. h.M. HbPolR HGR HRQ Hrsg. HStR i.w.S. ICLQ insbes. JA JURA juris JuS JZ Kap. KJ KritV LG m.w.N. NdsVBl. NJ NJW NJW-RR NordÖR Nr. NVwZ NWVBl. NZM OLG OVG Rn. Rspr. S. s. StGB StPO ThürVBl. u. a. UDHR UN

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Festschrift Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. 05. 1949 gegebenenfalls Georgia Journal of International and Comparative Law grundsätzlich herrschende Meinung Handbuch des Polizeirechts Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa Human Rights Quarterly Herausgeber Handbuch des Staatsrechts im weiteren Sinne International and Comparative Law Quarterly insbesondere Juristische Arbeitsblätter Juristische Ausbildung Fundstelle in juris-Datenbank Juristische Schulung Juristenzeitung Kapitel Kritische Justiz Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Landgericht mit weiteren Nachweisen Niedersächsische Verwaltungsblätter Neue Justiz Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift – Rechtsprechungsreport Zeitschrift für Öffentliches Recht in Norddeutschland Nummer Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht Oberlandesgericht Oberverwaltungsgericht Randnummer Rechtsprechung Seite siehe Strafgesetzbuch Strafprozessordnung Thüringer Verwaltungsblätter unter anderem Universal Declaration of Human Rights (dt.: Allgemeine Erklärung der Menschenrechte) United Nations (dt.: Vereinte Nationen)

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Abkürzungsverzeichnis

UN-Sozialpakt Internationaler Pakt über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte vom 19. 12. 1966, BGBl. 1973 II, S. 1569, in Deutschland in Kraft seit dem 03. 01. 1979 (Bekanntmachung vom 09. 03. 1976, BGBl. 1976 II, S. 428) UN-Zivilpakt Internationaler Pakt über die bürgerlichen und politischen Rechte vom 19. 12. 1966, BGBl. 1973 II, S. 1533, in Deutschland in Kraft seit dem 23. 03. 1976 (Bekanntmachung vom 14. 06. 1976, BGBl. 1976 II, S. 1068) VBlBW. Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg VerwArch Verwaltungsarchiv VG Verwaltungsgericht VGH Verwaltungsgerichtshof vgl. vergleiche VJIL Virginia Journal of International Law Vorb. Vorbemerkungen VVDStRL Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer WuM Wohnungswirtschaft und Mietrecht z. B. zum Beispiel ZJS Zeitschrift für das Juristische Studium ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik ZStW Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft ZUM Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht ZUM-RD Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht – Rechtsprechungsdienst

Einleitung I. „Freisein von Furcht“ Furcht ist zunächst kein Rechtsbegriff, sondern vielmehr eine ureigene Emotion des Menschen und als solche bedeutende Triebfeder unseres Handelns. Ängste und Befürchtungen beeinflussen unsere Entscheidungen, sie können sowohl Motor als auch Hemmnis unseres Verhaltens sein. Anders als in Situationen sicheren Wissens, in denen der Einzelne rational durch Abwägung von Vor- und Nachteilen entscheiden kann, begünstigt Furcht irrationale, emotional motivierte Entscheidungen.1 Furcht kann auf diese Weise bewirken, dass faktisch bestehende Handlungsmöglichkeiten nicht wahrgenommen und Freiheiten nicht ausgeübt werden.2 Aus der Perspektive des Verfassungsrechts bedeutet dies: Frei von Furcht zu sein ist wesentlich für eine unbefangene Freiheitsausübung. „Störungen“ der Freiheitswahrnehmung aufgrund von Furcht sind in unterschiedlichen Konstellationen und in unterschiedlichem Ausmaß denkbar. So bleiben etwa potentielle Teilnehmer einer Versammlung fern, aus Angst, bei der Teilnahme überwacht und registriert zu werden. So wählt jemand einen anderen Weg durch die Stadt, weil er eine Videoüberwachung an bestimmten öffentlichen Plätzen befürchtet oder passt sein Verhalten an videoüberwachten Orten an vermeintliche soziale Normen an. So äußert jemand seine Meinung nicht unbefangen, wenn mit den Äußerungen ein schwer kalkulierbares Risiko von Sanktionen verbunden ist. Diese Beispiele ließen sich unbegrenzt weiterführen, eine abschließende Betrachtung ist weder möglich noch Ziel dieser Arbeit.3 Deutlich wird jedoch: Aufgrund der Wirkung, welche Furcht auf unser Verhalten haben kann, ist ihre Abwesenheit – mit anderen Worten: Freisein von Furcht – bedeutsam für die Freiheitsausübung. Der Begriff „Freiheit von Furcht“ wurde maßgeblich von dem damaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten Franklin D. Roosevelt geprägt. Seitdem er im Jahr 1941 in einer Rede vor dem amerikanischen Kongress „freedom from fear“ pro-

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Meyer, in: F. Arndt/Augsberg, Freiheit – Sicherheit – Öffentlichkeit, S. 111 (112). Darauf weist Spigelman, ICLQ 59 (2010), S. 543 (546) hin. 3 Aus der aktuellen Debatte kann etwa der Einsatz von Körperkameras (sog. Body-Cams) genannt werden, die von polizeilichen Einsatzkräften sichtbar getragen und zur Dokumentation des Einsatzgeschehens verwendet werden, siehe hierzu Kipker/Gärtner, NJW 2015, S. 296 (296 ff.). 2

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Einleitung

klamierte,4 taucht das Motiv in unterschiedlichen Zusammenhängen in der politischen und juristischen Debatte auf. Mit Blick auf das Verfassungsrecht nimmt sich Freiheit von Furcht prima facie als Fremdkörper aus. Jedoch ist der Gedanke keineswegs ein völliges Novum. Seit Entstehung des Grundgesetzes widmen sich immer wieder Juristen in unterschiedlichen Kontexten der Herleitung und Bedeutung einer Freiheit von Furcht. Aktuell taucht die Figur ganz überwiegend im Rahmen der Debatte um staatliche Überwachungstätigkeiten auf.5 Das Bundesverfassungsgericht setzt sich in seiner Rechtsprechung mit der Problematik von Furcht und deren Auswirkungen auf die Grundrechte unter dem Stichwort des „Einschüchterungseffekts“ auseinander. Bemerkenswert ist, dass die verfassungsrechtliche Auseinandersetzung mit Freiheit von Furcht sehr unterschiedlich bewertet wird. So wird teilweise angenommen, der Gedanke einer Freiheit von Furcht hätte im Verfassungsrecht bisher (erstaunlich) wenig Beachtung gefunden.6 Teilweise wird er als fester Bestandteil verfassungsrechtlicher Argumentation ausgemacht.7 Weitgehende Einigkeit besteht indes darüber, dass die verfassungsrechtliche Relevanz von Freiheit von Furcht bislang nicht hinreichend geklärt ist. Insbesondere mit Blick auf die Dogmatik von Einschüchterungseffekten sind noch viele Fragen offen.

II. Themeneingrenzung und -abgrenzung Furcht kann sich auf vielfältige Weise und in unterschiedlichen Konstellationen nachteilig auf den Freiheitgebrauch auswirken. Dies zeigt sich bereits in den heterogenen Themen, in deren Zusammenhang Freiheit von Furcht in der Rechtswissenschaft diskutiert wird. Daher erscheint eine Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes zwingend. Gegenstand der Arbeit ist die Bedeutung von Freiheit von Furcht im Verfassungsrecht. Anknüpfend an die Dimensionen grundrechtlichen Schutzes, kann zwischen unterschiedlichen Auslösern von Furcht differenziert werden. Zum einen kann der Staat Furcht auslösen; staatliche Handlungen können einschüchternd wirken und so die Freiheitausübung der betroffenen Bürger hemmen. Zum anderen können auch nicht-staatliche Bedrohungen einschüchternd auf das Verhalten wirken. 4 Roosevelt, Annual Message to the Congress (06. 01. 1941), in: Rosenman, Public Papers and Addresses IX, S. 663 (663); teilweise ist auch von „Freiheit vor Furcht“ oder „Freisein von Furcht“ die Rede, siehe respektive Trechsel, EuGRZ 1980, S. 514 (518) und Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 223. 5 So setzt sich Assion, in: Telemedicus e.V., Überwachung und Recht, S. 31 (31 ff.) mit der Problematik im Hinblick auf den NSA-Skandal auseinander: „Dies ist der Bewertungsmaßstab, an dem sich auch die Geheimdienst-Massenüberwachung messen lassen muss.“ 6 So wie hier: Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 224; Denninger, VVDStRL 37 (1979), S. 7 (27, Fn. 80); andere Einschätzung bei Gusy, VVDStRL 63 (2004), S. 151 (168). 7 W. Schmitt Glaeser, AöR 113 (1988), S. 52 (66).

Einleitung

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Gemeint sind Fälle, in denen etwa das Verhalten anderer Bürger oder gefährliche (Umwelt-)Ereignisse bei dem Einzelnen Furcht auslösen. Beispielhaft genannt werden können Bedrohungen durch Kriminalität oder Terrorismus,8 aber auch das Problem einschüchternden Auftretens von einzelnen Versammlungsteilnehmern9 oder Einschüchterungen aufgrund privater Videoüberwachung etwa am Arbeitsplatz.10 Die vorliegende Untersuchung konzentriert sich auf Freiheit von Furcht im Verhältnis zwischen Bürger und Staat. Dies entspricht dem Verständnis des Bundesverfassungsgerichts, wenn es den Begriff der „Einschüchterungseffekte“ verwendet.11 Furcht vor nicht-staatlichen Bedrohungen steht hingegen nicht im Kern der Arbeit. Nicht untersucht wird daher insbesondere, inwiefern der Staat bei Bedrohungen durch Dritte tätig werden muss. Dogmatisch handelt es sich hierbei um Fragen staatlichen Schutzes und der mittelbaren Drittwirkung von Grundrechten. Die vorliegende Arbeit betrachtet Freiheit von Furcht vielmehr aus freiheitsrechtlicher Perspektive. Im Kern steht nicht die Frage nach staatlichem Schutz bei Furcht vor Dritten, sondern nach der Abwehr staatlicher Handlungen, die Furcht auslösen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach Reichweite und Grenzen staatlicher Befugnisse und der Abwehrfunktion von Grundrechten. Verkürzt gefasst steht Freiheit von Furcht in der vorliegenden Arbeit im Zusammenhang mit Freiheit, nicht mit Sicherheit. Die abwehrrechtliche Dimension von Freiheit von Furcht kann in der juristischen Diskussion als bisher vernachlässigt gelten. Andere Ansätze werden nur insoweit herangezogen, als sie für das Thema der Arbeit brauchbare Aspekte enthalten. Dies schließt freilich nicht aus, dass sich aus der vorliegenden Untersuchung mittelbar auch Erkenntnisse für die Frage staatlicher Schutzpflichten im Falle von Einschüchterungen durch andere Private ergeben können. Nicht im Fokus dieser Arbeit steht ferner die Abschreckung von verbotenen bzw. rechtswidrigen Verhaltensweisen. Zwar handelt es sich hierbei auch um Fälle, in denen der Einzelne aus Furcht vor drohenden Nachteilen bestimmte Handlungen unterlässt. Sofern Einschüchterungswirkungen lediglich rechtswidrige Handlungen betreffen, dürften diese – jedenfalls im Ergebnis – verfassungsrechtlich zulässig sein.12 Problematisch sind vielmehr die Fälle, in denen der Bürger in seinem ggf. 8 Zur rechtlichen Bedeutung von Kriminalitätsfurcht: Waechter, DVBl. 1999, S. 809 (809 ff.); Schewe, Sicherheitsgefühl; Meyer, in: F. Arndt/Augsberg, Freiheit – Sicherheit – Öffentlichkeit, S. 111 (111 ff.). 9 Legen Versammlungsteilnehmer ein aggressives und einschüchterndes Verhalten an den Tag und erzeugen ein Klima potentieller Gewaltbereitschaft, kann die Versammlung beschränkt oder verboten werden, siehe nur BVerfGE 111, 147 (156 f.). 10 Zu Bedrohungen der Privatsphäre durch andere Private Volkmann, AnwBl. 2009, S. 118 (121 ff.). 11 Hierzu eingehend die Analyse der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Teil 2 der Arbeit. 12 Siehe hierzu unten Teil 3 B. IV. 3. a).

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sozial abweichenden oder unerwünschten, aber (noch) zulässigen Verhalten eingeschüchtert wird. Diese stehen daher hier im Fokus der Untersuchung. Ziel der Arbeit ist es auch nicht, die Verfassungsmäßigkeit einzelner staatlicher Maßnahmen zu untersuchen. Aufgrund der Vielgestaltigkeit einschüchternder Maßnahmen wäre eine umfassende und abschließende Betrachtung im Rahmen dieser Arbeit kaum möglich. Sofern im Folgenden auf Einzelmaßnahmen eingegangen wird, dient dies vorrangig der Veranschaulichung und Exemplifizierung. Im Kern der Arbeit steht hingegen die allgemeine Frage nach der dogmatischen Bedeutung von Freiheit von Furcht bzw. Einschüchterungseffekten für die Grundrechtsprüfung.

III. Stand der rechtswissenschaftlichen Forschung Die juristische Literatur hat sich in der Vergangenheit vornehmlich mit Freiheit von Furcht im Zusammenhang mit nicht-staatlichen Auslösern von Furcht befasst. Bereits früh wurde Freiheit von Furcht bei der Frage nach der Gewährleistung von Sicherheit durch den Staat thematisiert.13 Ansätze finden sich beispielsweise in der Diskussion um die verfassungsrechtliche Bewertung der Gefahren der Kernenergie.14 In der jüngeren juristischen Debatte greift Schewe das Motiv im Zusammenhang mit dem Problem der Kriminalitätsfurcht des Bürgers unter dem Stichwort „subjektive Sicherheit“ auf.15 In diese Richtung geht es auch, wenn Freiheit von Furcht im Sinne einer „angstfreie[n] Daseinsgewissheit“16 gedeutet wird. Bereits früh finden sich jedoch einzelne Beiträge, welche sich der Thematik von Freiheit von Furcht im Verhältnis zwischen Bürger und Staat widmen. So fand der Gedanke in den 70er Jahren Eingang in die Diskussion um die Befugnisse des Verfassungsschutzes.17 Ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts finden sich Ausführungen zu Einschüchterungseffekten zuletzt immer wieder im Zusammenhang mit einzelnen staatlichen Befugnissen.18 Dabei beziehen 13 Insbesondere im Zusammenhang mit der Frage nach einer Staatsaufgabe Sicherheit, einem Grundrecht auf Sicherheit und der Schutzfunktion der Grundrechte: vgl. Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 223 ff.; Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 25 f. 14 Roßnagel, Grundrechte und Kernkraftwerke; Roth-Stielow, EuGRZ 1980, S. 386 (386 ff.). 15 Schewe, Sicherheitsgefühl, S. 186 ff.; siehe auch Meyer, in: F. Arndt/Augsberg, Freiheit – Sicherheit – Öffentlichkeit, S. 111 (111 ff.); Gusy, VVDStRL 63 (2004), S. 151 (159 f.). 16 Volkmann, AnwBl. 2009, S. 118 (121). 17 Siehe etwa Evers, Privatsphäre und Ämter für Verfassungsschutz; Gusy, DÖV 1980, S. 431 (431 ff.); Denninger, VVDStRL 37 (1979), S. 7 (26 ff.); A. Arndt, NJW 1961, S. 897 (897 ff.). 18 Siehe zu (heimlichen) Überwachungs- und Informationsmaßnahmen des Staates: Aernecke, Schutz elektronischer Daten, S. 171 ff.; Gerhards, (Grund-)Recht auf Verschlüsselung?, S. 159 f.; Welsing, Recht auf informationelle Selbstbestimmung, S. 427 ff.; Schwabenbauer,

Einleitung

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sich die Untersuchungen jedoch überwiegend auf einzelne informationelle Maßnahmen und erschöpfen sich in „punktuellen“ Bemerkungen zu Freiheit von Furcht und Einschüchterungseffekten. Nur einige wenige Autoren haben sich bislang eingehender mit der Problematik von Einschüchterungseffekten im deutschen Verfassungsrecht auseinander gesetzt. Rath untersucht in einem Aufsatz die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Einschüchterungseffekten.19 Assion richtet den Blick speziell auf Einschüchterungseffekte aufgrund von Überwachungsmaßnahmen.20 Zuletzt setzten sich Oermann/Staben mit der Frage nach Grundrechtseingriffen durch Einschüchterung auseinander.21 Auch insofern gilt, dass die Ausführungen meist an konkrete Maßnahmen anknüpfen und keine generelle, systematische Untersuchung der Bedeutung von Einschüchterungseffekten darstellen.

IV. Gang der Untersuchung Im Folgenden soll der Gedanke einer Freiheit von Furcht aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden. Die Untersuchung will die „Spur“ von Freiheit von Furcht aufnehmen und versuchen ausgehend vom historischen und ideengeschichtlichen Ursprung hin zu der Frage, welche Bedeutung Furcht bzw. Freiheit von Furcht nach geltendem Verfassungsrecht zukommt, einen Bogen zu spannen. Der erste Teil der Arbeit widmet sich den historischen Ursprüngen und dem staatstheoretischen Fundament einer Freiheit von Furcht. Die Untersuchung setzt bei Franklin D. Roosevelts „freedom from fear“ an und nimmt zunächst Freiheit von Furcht in ihrer ursprünglichen Bedeutung im historischen Kontext in den Blick (A.). Des Weiteren liegt der Schwerpunkt auf den Staatstheorien Hobbes, Lockes und Montesquieus, soweit sie sich mit der Bedeutung von Furcht für ein Staatswesen befassen (B.). Die Betrachtung dieser Aspekte erscheint bereits deshalb geboten, da sich in der verfassungsrechtlichen Literatur insofern immer wieder Verweise fin-

Heimliche Grundrechtseingriffe, S. 140 ff. Zu Videoüberwachungsmaßnahmen siehe insbesondere: Held, Intelligente Videoüberwachung, S. 82 ff.; Geiger, Video-Überwachungstechnologie, S. 52 ff., 111 ff.; Büllesfeld, Polizeiliche Videoüberwachung, S. 74 ff.; Pohl, KJ 2003, S. 317 (320 ff.). Zur Meinungsfreiheit siehe W. Schmitt Glaeser, AöR 113 (1988), S. 52 (65 ff.). 19 Rath, KJ Beiheft 01/2009, S. 65 ff. 20 Assion, in: Telemedicus e.V., Überwachung und Recht, S. 31 (31 ff.). Ausgehend von einer geplanten Dissertation, die letztlich verworfen wurde, entstand ein interessantes Blogprojekt, welches sich mit Einschüchterungseffekten beschäftigt, siehe http://www.telemedicus. info/tag/Chilling+Effects (Abfrage: 20. 12. 2016). 21 Oermann/Staben, Der Staat 52 (2013), S. 630 (630 ff.). Wie aus einer Fußnote hervor geht, beschäftigt sich Staben in seinem Dissertationsvorhaben ebenfalls mit Abschreckungseffekten auf die Grundrechtsausübung.

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den.22 Es stellt sich die Frage, ob tatsächlich eine inhaltliche Verbindung zwischen „freedom from fear“ bei Roosevelt, den genannten Staatstheorien und dem heutigen Verständnis von Freiheit von Furcht unter dem Grundgesetz gezogen werden kann (C.). Um sich der Bedeutung von Freiheit von Furcht unter dem Grundgesetz anzunähern, setzt sich der zweite Teil der Untersuchung eingehend mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auseinander. Dabei werden die einschlägigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zunächst dargestellt und systematisiert (A.). Es wird untersucht, welches Verständnis von Freiheit von Furcht der Rechtsprechung zugrunde liegt, in welchen Zusammenhängen das Gericht mit Einschüchterung und Furcht argumentiert und ob sich den Entscheidungen bereits erste Erkenntnisse zur dogmatischen Bedeutung der Figur entnehmen lassen. Anschließend setzt sich die Arbeit mit spezifischer Kritik an der Rechtsprechung auseinander (B.). Grundsätzliche Kritik an der grundrechtlichen Relevanz von Einschüchterungseffekte bleibt hingegen dem dritten Teil der Arbeit vorbehalten. Ausgehend von den Ergebnissen der Rechtsprechungsanalyse untersucht der dritte Teil die grundrechtliche Bedeutung von Freiheit von Furcht, wobei bestehende Ansätze in der Literatur einbezogen werden. Zunächst wird eine Begriffsdefinition erarbeitet und anschließend die Wirkungsweise von Einschüchterungen unter Einbeziehung von Erkenntnissen der psychologischen und sozialwissenschaftlichen Forschung dargestellt (A.). Anschließend stellt sich die Frage, welche dogmatische Bedeutung Einschüchterungseffekte aus grundrechtlicher Perspektive haben. Insofern lehnt sich die Untersuchung in ihrem Aufbau an die klassische Unterscheidung von Schutzbereich (B.), Eingriff (C.) und verfassungsrechtlicher Rechtfertigung (D.) an, wobei bei Letzterer die Frage nach der Eingriffsintensität im Vordergrund steht. Ein Fazit und eine Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse in Thesen schließen die Abhandlung ab.

22 Etwa Schewe, Sicherheitsgefühl, S. 58 ff.; Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 3 ff., 26; Spigelman, ICLQ 59 (2010), S. 543 (547 ff.); Brugger, VVDStRL 63 (2004), S. 101 (116, Fn. 89); Denninger, VVDStRL 37 (1979), S. 7 (28).

Teil 1

(Rechts-)historische Ursprünge und staatstheoretisches Fundament Bevor auf die verfassungsrechtliche Bedeutung von Freiheit von Furcht einzugehen ist, betrachtet der erste Teil der Arbeit das Motiv aus historischer und staatstheoretischer Perspektive. Zunächst werden historischer Ursprung, Bedeutung sowie Entwicklung von Freiheit von Furcht untersucht (A.). Anschließend wird der staatstheoretische und ideengeschichtliche Hintergrund – sofern er für den Untersuchungsgegenstand von Relevanz ist – in den Blick genommen (B.). Schließlich stellt sich die Frage, inwiefern die historischen und staatstheoretischen Hintergründe für ein modernes Verständnis von Freiheit von Furcht aussagekräftig und anschlussfähig sind (C.). Damit wird zugleich die Frage beantwortet, inwiefern den etlichen Bezugnahmen im Schrifttum zu den Ursprüngen und Hintergründen einer Freiheit von Furcht gefolgt werden kann.

A. (Rechts-)historische Ursprünge Freiheit von Furcht ist kein Novum in (staats-)rechtlichen Zusammenhängen. Der historische Ursprung des Motivs wird allgemein in der sog. Vier-Freiheiten-Rede von Franklin D. Roosevelt vor dem amerikanischen Kongress gesehen. Davon ausgehend erlangte Freiheit von Furcht weitergehende Bedeutung: Das Motiv findet Eingang in die zwischen Roosevelt und Churchill geschlossene Atlantik-Charta (1942) und schließlich in die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (1948). Danach werden die Hinweise oder Verschriftlichungen einer „freedom from fear“ dünn – nicht unbegründet wird von „forgotten freedom“ gesprochen.1

I. Franklin D. Roosevelt: „Four Freedoms Speech“ und Atlantik-Charta In politischen Zusammenhängen erlangt der Begriff „freedom from fear“ erstmalig durch eine Rede des amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt

1

Spigelman, ICLQ 59 (2010), S. 543 (545).

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Teil 1: (Rechts-)historische Ursprünge und staatstheoretisches Fundament

(1882 – 1945) Aufmerksamkeit.2 In der Rede zur Lage der Nation, die er am 6. Januar 1941 vor dem Kongress hielt, befasste sich Roosevelt im Kern mit der amerikanischen Rolle im Zweiten Weltkrieg und der Unterstützung der europäischen Verbündeten im Kampf gegen Hitler. Obwohl der Krieg in Europa bereits ausgebrochen war, waren die Amerikaner zur Zeit der Rede militärisch noch nicht involviert.3 Der damalige Präsident proklamierte vier elementare menschliche Freiheiten – eine davon „freedom from fear“ –, weshalb die Ansprache später als „Four Freedoms Speech“ bzw. „Vier-Freiheiten-Rede“ berühmt wurde.4 In der zentralen Passage führt Roosevelt aus: „In the future days, which we seek to make secure, we look forward to a world founded upon four essential human freedoms. The first is freedom of speech and expression – everywhere in the world. The second is freedom of every person to worship God in his own way – everywhere in the world. The third is freedom from want – which, translated into world terms, means economic understandings which will secure to every nation a healthy peacetime life for its inhabitants – everywhere in the world. The fourth is freedom from fear – which, translated into world terms, means a world-wide reduction of armaments to such a point and in such a thorough fashion that no nation will be in a position to commit an act of physical aggression against any neighbor – anywhere in the world.“5

Roosevelt postuliert vier fundamentale menschliche Freiheiten: „freedom of speech and expression“, das heißt Rede- und Meinungsfreiheit, einschließlich Pressefreiheit, „freedom to worship God“, zu verstehen als Religions-, Glaubensund Gewissensfreiheit, „freedom from want“ als die Freiheit von (materieller) Not und schließlich „freedom from fear“, die Freiheit von Furcht.6 Obwohl die Rede im 2 Roosevelt, Annual Message to the Congress (06. 01. 1941), in: Rosenman, Public Papers and Addresses IX, S. 663. Bei der Rede handelt es sich um eine sog. Message to the Congress, jetzt State of the Union Address (dt.: Rede zur Lage der Nation). 3 Zur Entstehung der Rede siehe die Anmerkungen Rosenmans zu Roosevelt, Annual Message to the Congress (06. 01. 1941), in: Rosenman, Public Papers and Addresses IX, S. 663 (672); Samuel I. Rosenman war enger Berater und Redenschreiber Roosevelts. Zu den Hintergründen der Zusammenarbeit und der Entstehung der Vier-Freiheiten-Rede siehe: Borgwardt, VJIL 46 (2006), S. 501 (504, Rn. 5); Rosenman, Working with Roosevelt, S. 262 ff. 4 Siehe Spigelman, ICLQ 59 (2010), S. 543 (543 ff.). 5 Roosevelt, Annual Message to the Congress (06. 01. 1941), in: Rosenman, Public Papers and Addresses IX, S. 663 (672). 6 Zu den deutschen Begriffe siehe Fassbender, in: Fassbender, Menschenrechteerklärung, S. 1 (6). Eine deutsche Übersetzung der sog. Vier-Freiheiten-Rede findet sich bei Roosevelt, Vier-Freiheiten-Rede, in: Schambeck/Widder/Bergmann, Dokumente zur Geschichte der Vereinigten Staaten, S. 472 (472 ff.). Freedom from fear wird hier mit „Freiheit von aller Angst“ übersetzt. Von den genannten vier Freiheiten sind nach Kotzur, AöV 42 (2004), S. 353 (367) auch Presse- bzw. Medienfreiheit sowie die Freiheit des Gewissens und des Glaubens umfasst. Die Verknappung auf prägnante Begriffe dürfte der Rhetorik Roosevelts geschuldet sein.

A. (Rechts-)historische Ursprünge

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Januar 1941 allgemein als Ursprung der sog. „Vier Freiheiten“ gesehen wird, befasst sich Roosevelt bereits zuvor mit Freiheit von Furcht.7 Der Begriff „freedom from fear“ rückte jedoch erst durch die genannte Rede in den öffentlichen Fokus.8 Nachfolgend rekurriert Roosevelt regelmäßig auf die vier Freiheiten, sowie speziell auf Freiheit von Furcht.9 Den historischen Kontext für die Proklamation der vier Freiheiten bildeten der Schrecken des Zweiten Weltkriegs und die Frage nach dem Umgang mit dem nationalsozialistischen Regime in Deutschland.10 Zugleich wurden die vier Freiheiten von den sozialen und ökonomischen Nachwirkungen der Großen Depression (1929 – 1941) beeinflusst, wie sich insbesondere an der Freiheit von Not ablesen lässt.11 Noch im Sommer desselben Jahres findet Freiheit von Furcht Eingang in die sog. Atlantik-Charta.12 Unter dem Eindruck des anhaltenden Krieges trafen sich im August 1941 unter strengster Geheimhaltung die damaligen Regierungschefs der USA und Großbritanniens, Roosevelt und Winston S. Churchill, auf einem Kriegsschiff vor Neufundland. Aus dem mehrtätigen Treffen, das später als sog. Atlantik-Konferenz bezeichnet wurde, ging eine gemeinsame Friedens- und 7 Bereits im Rahmen einer Pressekonferenz im Jahr 1940 formulierte Roosevelt auf die Frage nach langfristigen Friedensbestrebungen unterschiedliche elementare Freiheiten, darunter auch „freedom from fear“. Dazu soll er erklärt haben: „so that people won’t be afraid of being bombed from the air, or attacked, one way or the other, by some other nation“, siehe Roosevelt, Pressekonferenz Hyde Park (05. 07. 1940), in: Rosenman, Public Papers and Addresses IX, S. 281 (284 f.). Zu dieser erstmaligen Verwendung siehe Shulman, FLR 77 (2008), S. 101 (105) sowie Burns, The Antioch Review 2 (1942), S. 407. 8 Zur Herkunft der anderen drei Freiheiten Wolgast, Geschichte der Menschen- und Bürgerrechte, S. 215; zur begrifflichen Unklarheit, die nach der Rede bestand Shulman, FLR 77 (2008), S. 101 (107). 9 Insbesondere erwähnt er Freiheit von Furcht und die vier Freiheiten in folgenden Reden: Roosevelt, Address at Annual Dinner of White House Correspondents’ Associsation (15. 03. 1941), in: Rosenman, Public Papers and Addresses X, S. 60 (65 f.); Roosevelt, Radio Address (27. 03. 1941), in: Rosenman, Public Papers and Addresses X, S. 181 (192); Roosevelt, A United Nations Prayer (14. 06. 1942), in: Rosenman, Public Papers and Addresses XI, S. 287 (287 f.); Roosevelt, State of the Union Address (07. 01. 1943), in: Rosenman, Public Papers and Addresses XII, S. 21 (30 ff.); Roosevelt, Address at Ottawa, Canada (25. 08. 1943), in: Rosenman, Public Papers and Addresses XII, S. 365 (368); Roosevelt, State of the Union Address (11. 01. 1944), in: Rosenman, Public Papers and Addresses XIII, S. 32 (33 f.); Roosevelt, Campaign Address at Soldiers’ Field (28. 10. 1944), in: Rosenman, Public Papers and Addresses XIII, S. 369 (370 f.). Zur weiteren Verwendung des Motivs auch Coe, Presidential Studies Quarterly 37 (2007), S. 375 (392). 10 Schewe, Sicherheitsgefühl, S. 191. 11 Dies merkt Spigelman, ICLQ 59 (2010), S. 543 (543) an. 12 Atlantik-Charta vom 14. 08. 1942, engl. Original abgedruckt bei Roosevelt/Churchill, Atlantic Charter, in: Rosenman, Public Papers and Addresses X, S. 314; deutsche Übersetzung bei Roosevelt/Churchill, Atlantikcharta, in: Schambeck/Widder/Bergmann, Dokumente zur Geschichte der Vereinigten Staaten, S. 479 (479 ff.). Eingehend zu Entstehung und Bedeutung der Atlantik-Charta Johnson, HRQ 9 (1987), S. 19 (22 f.); Borgwardt, VJIL 46 (2006), S. 501; sowie Borgwardt, A New Deal for the World, S. 21 ff.

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Teil 1: (Rechts-)historische Ursprünge und staatstheoretisches Fundament

Kriegszielerklärung hervor, welche am 14. August 1941 per Telegramm veröffentlicht wurde.13 In dem sechsten von insgesamt acht Punkten der Erklärung wurde Freiheit von Furcht aufgenommen: „Sixth, after the final destruction of the Nazi tyranny, they hope to see established a peace which will afford to all nations the means of dwelling in safety within their own boundaries, and which will afford assurance that all men in all the lands may live out their lives in freedom from fear and want.“14

Hier wird das Ziel einer Friedensordnung deutlich, in welcher alle Menschen in Freiheit von Furcht und Not leben können. Die Formulierung „freedom from fear and want“ fand erst im Laufe des Entstehungsprozesses Eingang in die Charta und ist auf den Einfluss Roosevelts zurückzuführen.15 Während die Passage zu Freiheit von Furcht und Not wohl zu den berühmtesten der Atlantik-Charta zählt, wurden die anderen beiden Freiheiten aus der Vier-Freiheiten-Rede – Meinungs- bzw. Redefreiheit sowie Glaubensfreiheit – nicht ausdrücklich aufgenommen.16 Bereits aufgrund ihres Charakters als Kriegszielerklärung ist die Atlantik-Charta thematisch begrenzter und weniger umfassend als die Vier-Freiheiten-Rede.17 Dies kann die unvollständige Aufnahme der vier Freiheiten erklären. Teilweise wird davon ausgegangen, dass die vier Freiheiten dennoch in ihrer Gesamtheit den Kern der Atlantik-Charta ausmachen.18 Ebenso wie die Vier-Freiheiten-Rede ist die Atlantik-Charta von ihrem historischen Kontext bestimmt und ihre Betrachtung kann nicht unabhängig davon erfolgen.19 Die gemeinsame Erklärung wurde Grundlage der von Roosevelt und Churchill geführten Koalition gegen Hitler, aus der sich nach Kriegsende die Organisation der Vereinten Nationen entwickelte.20 Bis zum 1. März 1945 trat der Atlantik-Charta die 13 Fassbender, in: Fassbender, Menschenrechteerklärung, S. 51 (57 f.); Wolgast, Geschichte der Menschen- und Bürgerrechte, S. 215; Spigelman, ICLQ 59 (2010), S. 543 (543); Shulman, FLR 77 (2008), S. 101 (103); ferner Tomuschat, Human Rights, S. 74, hier als „Motto“ bezeichnet. Zur Entstehung der Atlantik-Charta siehe die Ausführungen bei Shulman, FLR 77 (2008), S. 101 (108) sowie die Eindrücke bei Welles, Where are we heading?, S. 6 – 19. Welles wirkte als Berater Roosevelts an der Entstehung der Atlantik-Charta mit. 14 Roosevelt/Churchill, Atlantic Charter, in: Rosenman, Public Papers and Addresses X, S. 314 (315). 15 Zu den unterschiedlichen Entwürfen siehe: Welles, Where are we heading?, S. 9 ff.; Borgwardt, VJIL 46 (2006), S. 501 (516 ff.); Borgwardt, A New Deal for the World, S. 21 ff. 16 Roosevelt/Churchill, Atlantikcharta, in: Schambeck/Widder/Bergmann, Dokumente zur Geschichte der Vereinigten Staaten, S. 479 (479 ff.). 17 Kennedy, Parlament der Menschheit, S. 210. 18 Sarnoff, Letter to the Economic Club of New York (12. 03. 1942), in: Rosenman, Public Papers and Addresses XI, S. 161 (161): „the essence“; zweifelnd hingegen Kennedy, Parlament der Menschheit, S. 210. 19 So Tomuschat, Human Rights, S. 22 f.; Welles, Where are we heading?, S. 17. 20 Fassbender, in: Fassbender, Menschenrechteerklärung, S. 1 (6); Welles, Where are we heading?, S. 2; Eide/Alfredsson, in: Alfredsson/Eide, The Universal Declaration of Human Rights, S. 25 (27); so bereits auch Sauer, Grundlehre des Völkerrechts, S. 226. Insbesondere die

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überwiegende Zahl der nicht mit den Achsenmächten und Japan verbündeten Staaten bei.21

II. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) wurde am 10. Dezember 1948 als Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen erlassen.22 Die Erklärung steht in der Tradition der US-Verfassung sowie der französischen Erklärung der Menschenrechte und kann als umfassender Versuch gesehen werden, auf internationaler Ebene Menschenrechte und die Würde des Menschen zu fördern und festzuschreiben.23 Angesichts des Zweiten Weltkrieges und insbesondere der Kriegsverbrechen Deutschlands bestand für die Entwicklung einer neuen Weltordnung auf Grundlage von universellen Menschenrechten ein breiter Konsens.24 Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte hat wesentlich zur universellen Anerkennung der Menschenrechte beigetragen und wurde zum Vorbild für den vertraglichen und gesetzlichen Schutz von Menschenrechten auf internationaler wie regionaler Ebene.25 Die Vision einer neuen internationalen Ordnung, welche in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte niedergelegt wurde, ist stark von den vier Freiheiten Roosevelts beeinflusst.26 Dies zeigt sich bereits daran, dass die Freiheiten ausEinigung in der Atlantik-Charta „ein umfassendes und dauerhaftes System allgemeiner Sicherheit“ zu schaffen, legte faktisch den Grundstein für die Vereinten Nationen, hierzu Kennedy, Parlament der Menschheit, S. 44. 21 Roosevelt/Churchill, Atlantikcharta, in: Schambeck/Widder/Bergmann, Dokumente zur Geschichte der Vereinigten Staaten, S. 479 (479 ff.); zur Annahme der allgemeinen Grundsätze der Atlantik-Charta durch den interalliierten Rat am 24. September 1941 siehe Roosevelt/ Churchill, Atlantikcharta, in: Schambeck/Widder/Bergmann, Dokumente zur Geschichte der Vereinigten Staaten, S. 479 (481). 22 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10. 12. 1948, UN-Doc. 217/A-(III); englische und deutsche Fassung mit Erläuterungen abgedruckt in: Fassbender, in: Fassbender, Menschenrechteerklärung, S. 51 (51 ff.). 23 Kennedy, Parlament der Menschheit, S. 212. 24 Zu den Hintergründen der Entstehung vgl.: Eide/Alfredsson, in: Alfredsson/Eide, The Universal Declaration of Human Rights, S. 25 (27); Samnøy, in: Alfredsson/Eide, The Universal Declaration of Human Rights, S. 3 (3 ff.); Tomuschat, Human Rights, S. 22 f.; Kennedy, Parlament der Menschheit, S. 211; sowie ein Überblick bei Möller, in: Alfredsson/Eide, The Universal Declaration of Human Rights, S. 23 (23 ff.). 25 Herdegen, Völkerrecht, § 3 Rn. 17; Schilling, Internationaler Menschenrechtsschutz, Rn. 5. Das Problem, dass es sich bei der AEMR um ein westlich geprägtes Menschenrechtsinstrument handelt, soll hier nicht näher behandelt werden, hierzu Tomuschat, Human Rights, S. 73 ff.; Eide/Alfredsson, in: Alfredsson/Eide, The Universal Declaration of Human Rights, S. 25 (25). 26 Eide/Alfredsson, in: Alfredsson/Eide, The Universal Declaration of Human Rights, S. 25 (27).

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drücklich in die Erklärung aufgenommen wurden – wenngleich nur in die Präambel. Dort heißt es im zweiten Absatz: „Whereas disregard and contempt for human rights have resulted in barbarous acts which have outraged the conscience of mankind, and the advent of a world in which human beings shall enjoy freedom of speech and belief and freedom from fear and want has been proclaimed as the highest aspiration of the common people, […]“.27

Anders als bei der Atlantik-Charta finden sich in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte wieder alle vier Freiheiten im Wortlaut.28 Historisch kann die Aufnahme der vier Freiheiten maßgeblich auf die Delegierte der USA bei den Vereinten Nationen, Eleanor Roosevelt, zurückgeführt werden. Sie war Vorsitzende der UN-Menschenrechtskommission, welche die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ausarbeitete.29 Bei der Entstehung der Erklärung nahm sie eine zentrale Rolle ein, was sich nicht zuletzt auf ihr Ansehen bei den Beteiligten und ihre Arbeitshaltung zurückführen lässt.30 Sie schaffte es, die Vision ihres Ehemanns Franklin D. Roosevelt aus der Vier-Freiheiten-Rede in die Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte einzubringen.31 In der weiteren Entwicklung wurden wesentliche Bestimmungen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte auf universeller Ebene in zwei völkerrechtliche Verträge aufgenommen.32 Die Verträge, namentlich der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. November 1966 (UN-Zivilpakt)33 sowie der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19. November 1966 (UN-Sozialpakt)34, sind am 23. März 1976 in Kraft getreten.35 Dabei wurde auch die entsprechende Passage der Präambel der Allgemeinen Er-

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Darauf weist auch Fassbender, in: Fassbender, Menschenrechteerklärung, S. 51 (54) hin. Fassbender, in: Fassbender, Menschenrechteerklärung, S. 51 (61). 29 Eide/Alfredsson, in: Alfredsson/Eide, The Universal Declaration of Human Rights, S. 25 (27 ff.). 30 Samnøy, in: Alfredsson/Eide, The Universal Declaration of Human Rights, S. 3 (6 f.); einen knappen Überblick über den Einfluss der beteiligten Staaten sowie die vielschichtigen Interessenslagen und Motive gibt Samnøy, in: Alfredsson/Eide, The Universal Declaration of Human Rights, S. 3 (7 ff.). 31 Eide/Alfredsson, in: Alfredsson/Eide, The Universal Declaration of Human Rights, S. 25 (28); Kennedy, Parlament der Menschheit, S. 211; zum Einfluss von Eleanor und Franklin D. Roosevelt auf die Entwicklung des internationalen Menschenrechtsschutz vgl. Johnson, HRQ 9 (1987), S. 19. 32 Schilling, Internationaler Menschenrechtsschutz, Rn. 6 u. 21 ff. 33 Internationaler Pakt über die bürgerlichen und politischen Rechte vom 19. 12. 1966, BGBl. 1973 II, S. 1533, in Deutschland in Kraft seit dem 23. 03. 1976, BGBl. 1976 II, S. 1068. 34 Internationaler Pakt über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte vom 19. 12. 1966, BGBl. 1973 II, S. 1569, in Deutschland in Kraft seit dem 03. 01. 1979, BGBl. 1976 II, S. 428. 35 Fassbender, in: Fassbender, Menschenrechteerklärung, S. 1 (20 f.). 28

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klärung der Menschenrechte zum Schutz von Freiheit von Furcht und Not übernommen. So heißt es in der Präambel des UN-Zivilpaktes: „Recognizing that, in accordance with the Universal Declaration of Human Rights, the ideal of free human beings enjoying civil and political freedom and freedom from fear and want can only be achieved if conditions are created whereby everyone may enjoy his civil and political rights, as well as his economic social and cultural rights, […]“.36

Zusammen mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte bilden der UNZivilpakt und der UN-Sozialpakt einen internationalen Menschenrechtskodex.37 Während die vier Freiheiten mit der Rede Roosevelts zunächst vor allem nationale Beachtung in den USA fanden, erfuhren sie bereits durch die Aufnahme in die Atlantik-Charta, jedenfalls aber durch die Verankerung in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte weitergehende Aufmerksamkeit. Insofern erfolgte schrittweise eine Internationalisierung der vier Freiheiten. Demgegenüber war deren Universalität bereits von Beginn an ein besonderes Anliegen Roosevelts. Er proklamierte die vier Freiheiten als universelle, fundamentale Prinzipien. So hielt Roosevelt an der Formulierung „everywhere in the world“ trotz Bedenken seitens seiner Berater nicht nur fest, sondern betonte den universellen Geltungsanspruch der vier Freiheiten in der endgültigen Rede vor dem Kongress im Vergleich zu ersten Entwürfen sogar noch.38 An dem universellen Anspruch wurde auch in der AtlantikCharta festgehalten.39 Insofern lässt sich die Entwicklung der vier Freiheiten in den allgemeinen Prozess der Internationalisierung und Universalisierung der Menschenrechte einordnen, welcher in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu beobachten war.40

36 Der Wortlaut der Präambel des UN-Sozialpaktes ist weitgehend gleichlautend, einzig die Hervorhebung der bürgerlichen und politischen Rechte fehlt. Zur Entstehung und Bedeutung der Präambel vgl.: Koskenniemi, in: Alfredsson/Eide, The Universal Declaration of Human Rights, S. 27 (27 ff.); Spigelman, ICLQ 59 (2010), S. 543 (544). 37 Zusammen werden die Pakte häufig als „International Bill of Human Rights“ bezeichnet. Die Aufteilung der Rechte in zwei Pakte kritisiert Kennedy, Parlament der Menschheit, S. 215. 38 Zunächst war die Formulierung „everywhere in the world“ nur auf die erste Freiheit bezogen, in der Rede selbst wiederholte Roosevelt sie für jede Freiheit, siehe Rosenman, Working with Roosevelt, S. 263 f. 39 In der Atlantik-Charta heißt es: „dass alle Menschen in allen Ländern der Welt ihr Leben frei von Furcht und Mangel leben können“, siehe Roosevelt/Churchill, Atlantikcharta, in: Schambeck/Widder/Bergmann, Dokumente zur Geschichte der Vereinigten Staaten, S. 479 (480) – Hervorhebung durch die Verfasserin. 40 Zu diesem Prozess ausführlich Wolgast, Geschichte der Menschen- und Bürgerrechte, S. 214 ff.; zu Relativität und Universalität von Menschenrechten vgl. Schilling, Internationaler Menschenrechtsschutz, Rn. 5 ff., 31.

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Teil 1: (Rechts-)historische Ursprünge und staatstheoretisches Fundament

III. „Freedom from fear“ Im Gegensatz zu den anderen proklamierten Freiheiten erscheint Freiheit von Furcht als Novum und bedarf der besonderen Erläuterung. Welche Bedeutung hatte „freedom from fear“ in ihrem historischen Ursprung? Was meinte Roosevelt, wenn er Freiheit von Furcht in eine Reihe mit den klassischen Menschenrechten der Meinungs- und Religionsfreiheit stellt? Die Erklärung der vier Freiheiten erfolgte als Reaktion auf den Zweiten Weltkrieg und ihre Bedeutung kann kaum losgelöst vom historischen Kontext verstanden werden.41 Dies gilt in besonderem Maße für Freiheit von Furcht. 1. Furcht vor Krieg und dessen Folgen Roosevelt selbst erläutert „freedom from fear“ in der Vier-Freiheiten-Rede mit „world-wide reduction of armaments to such a point and in such a thorough manner that no nation will be in a position to commit an act of physical aggression against any neighbor – anywhere in the world.“42

Daraus wird deutlich, dass Freiheit von Furcht ursprünglich eng mit der Forderung nach globaler und umfassender Abrüstung verbunden war; in der deutschen Übersetzung findet sich insofern der Begriff der „weltumfassende[n] Abrüstung“.43 Auch in anderen Reden, in denen er auf Freiheit von Furcht eingeht, zeigt sich, dass Roosevelt Freiheit von Furcht vorrangig auf die Furcht vor Krieg und dessen Folgen bezieht.44 Erklärtes Ziel war es, Kriege und militärische Aggressionen sowie deren zerstörerische Folgen für die Zukunft zu vermeiden.45 Zugespitzt formuliert wird von einem „Recht auf eine Welt ohne Krieg“ gesprochen.46 Aus der Ansprache selbst sowie aufgrund des historischen Kontextes wird daher erkennbar, dass Roosevelt 41 Zum historischen Kontext ausführlich Shulman, FLR 77 (2008), S. 101 (103) sowie bereits oben Teil 1 A. I. 42 Roosevelt, Annual Message to the Congress (06. 01. 1941), in: Rosenman, Public Papers and Addresses IX, S. 663 (672). 43 Wolgast, Geschichte der Menschen- und Bürgerrechte, S. 215; deutsche Übersetzung siehe Roosevelt, Vier-Freiheiten-Rede, in: Schambeck/Widder/Bergmann, Dokumente zur Geschichte der Vereinigten Staaten, S. 472 (472 ff.), dort heißt es: „Furcht vor allen Weltherrschaftsplänen und fremden Revolutionen“. 44 Siehe: Roosevelt, Pressekonferenz Hyde Park (05. 07. 1940), in: Rosenman, Public Papers and Addresses IX, S. 281 (284 f.); Roosevelt, Address at Annual Dinner of White House Correspondents’ Associsation (15. 03. 1941), in: Rosenman, Public Papers and Addresses X, S. 60 (65 f.); Roosevelt, A United Nations Prayer (14. 06. 1942), in: Rosenman, Public Papers and Addresses XI, S. 287 (287 f.); ferner: Schewe, Sicherheitsgefühl, S. 191; Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 25. 45 Shulman, FLR 77 (2008), S. 101 (103). 46 Begriff bei Wolgast, Geschichte der Menschen- und Bürgerrechte, S. 176 f.; ähnlich auch Schewe, Sicherheitsgefühl, S. 191 und Shulman, FLR 77 (2008), S. 101 (105) („shorthand description of ,peace on earth‘“).

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Freiheit von Furcht primär als Schutz gegen externe Angriffe und Bedrohungen („external aggression“) versteht. Gemeint ist zunächst Freiheit von Furcht im internationalen Kontext, im Sinne einer Gewährleistung von (äußerer) Sicherheit.47 Dieses Verständnis gilt grundsätzlich auch mit Blick auf die Atlantik-Charta und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Auch hier wurde das Ziel einer Freiheit von Furcht unter dem unmittelbaren Eindruck der Schrecken des Zweiten Weltkriegs aufgenommen: Sowohl die Textbezüge als auch die historische Entstehung der genannten Quellen machen deutlich, dass Freiheit von Furcht primär als friedenssicherndes Prinzip zu verstehen ist und auf eine weltweite Abrüstung abzielt.48 Im Kontext mit den anderen von Roosevelt proklamierten Freiheiten nimmt sich Freiheit von Furcht prima facie ungewöhnlich aus, die Zusammenstellung wird teilweise als wenig homogen bezeichnet.49 Die ersten beiden Freiheiten, Meinungsund Religionsfreiheit, lassen sich als bürgerliche und politische Rechte der klassischen Menschenrechtstradition zuordnen und sind bereits im First Amendment der amerikanischen Verfassung verankert.50 Freiheit von Not wird allgemein als ein Sammelbegriff sozialer und ökonomischer Rechte aufgefasst und lässt sich auf den New Deal zurückführen.51 Demgegenüber hatte der Gedanke einer Freiheit von Furcht zuvor kaum Beachtung gefunden. Nichtsdestotrotz wird sie teilweise als berühmteste aller Freiheiten bezeichnet.52 Roosevelt selbst begreift die vier Freiheiten in ihrer Gesamtheit als „moralische Ordnung“, welche der Gefahr von Diktatur und Tyrannei entgegengesetzt werden soll.53 Die einzelnen Freiheiten sollen sich gegenseitig bedingen und voneinander

47 Baylis, The Public Opinion Quarterly 8 (1944), S. 244 (249); nach Johnson, HRQ 9 (1987), S. 19 (21) bezieht Roosevelt sich auf die Furcht vor einen Angriffskrieg angesichts des Anstiegs von Massenvernichtungswaffen; siehe auch Schewe, Sicherheitsgefühl, S. 190. 48 Shulman, FLR 77 (2008), S. 101 (102 f.); Schewe, Sicherheitsgefühl, S. 191. 49 Shulman, FLR 77 (2008), S. 101 (105) spricht von einer „odd list“ (dt.: eigenartige Aufstellung). 50 Der erste Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten (engl.: First Amendment) ist Teil des Grundrechtekatalogs der Verfassung der Vereinigten Staaten (sog. Bill of Rights). Dort heißt es: „Congress shall make no law respecting an establishment of religion, or prohibiting the free exercise thereof; or abridging the freedom of speech, or of the press; or the right of the people peaceably to assemble, and to petition the Government for a redress of grievances.“ Siehe auch Shulman, FLR 77 (2008), S. 101 (102 f.). 51 Shulman, FLR 77 (2008), S. 101 (103). 52 So etwa Shulman, FLR 77 (2008), S. 101 (103). 53 Roosevelt, Vier-Freiheiten-Rede, in: Schambeck/Widder/Bergmann, Dokumente zur Geschichte der Vereinigten Staaten, S. 472 (476); siehe auch Roosevelt, Annual Message to the Congress (06. 01. 1941), in: Rosenman, Public Papers and Addresses IX, S. 663 (672): „moral order“.

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Teil 1: (Rechts-)historische Ursprünge und staatstheoretisches Fundament

abhängen.54 Überzeugend werden die vier Freiheiten als „Programm der Sicherung sowohl der liberalen Freiheitsrechte wie der wirtschaftlichen und sozialen Menschenrechte“55 aufgefasst, welche in ihrer Gesamtheit die Basis einer internationalen Nachkriegsordnung bilden sollten.56 2. Weitergehendes Verständnis Wie sich aus den Textbezügen und dem historischen Kontext ergibt, war Freiheit von Furcht zumindest in ihrem historischen Ursprung primär auf Furcht vor externen Bedrohungen des Staates und somit auf Aspekte der äußeren Sicherheit bezogen. Teilweise werden dem Begriff „Freiheit von Furcht“ jedoch auch weitergehende Gehalte entnommen.57 So bezieht sich Freiheit von Furcht nach Baylis zum einen auf den Aspekt der Freiheit vor äußeren Angriffen auf den Staat („external aggression“), zum anderen auf Furcht vor einer Willkür- oder Gewaltherrschaft im eigenen Land („internal despotism“).58 Aufgrund des historischen Kontextes werde letzterem Aspekt auf internationaler Ebene nicht in gleichem Maße Beachtung geschenkt. In ähnliche Richtung geht Krieles Verständnis.59 Danach könne die Verwirklichung von Menschenrechten sowohl durch einen absolutistischen Souverän als auch durch Armut und Not bedroht werden. Mit diesen Bedrohungen würden Freiheit von Furcht und Not korrespondieren. So betreffe der UN-Zivilpakt mit dem Schutz bürgerlicher und politischer Rechte den Schutz gegenüber der Staatsgewalt, kurz Freiheit von Furcht, während der UN-Sozialpakt mit dem Schutz sozialer und ökonomischer Rechte Aspekte der sozialen Sicherheit, kurz Freiheit von Not, umfasse. Freiheit von Furcht beziehe sich im Kern auf die individuelle Freiheit, die der Staat dadurch gewährleistet, indem er Eingriffe unterlässt.60 Nach Auffassung Spigelmans ist Freiheit von Furcht wesentlich für die Verwirklichung der Menschenrechte. Freiheit von Furcht 54

So explizit Kotzur, AöV 42 (2004), S. 353 (267); Roosevelt selbst sieht eine enge Verbindung, siehe Rosenman, Working with Roosevelt, S. 418: „Freedom from fear is eternally linked with freedom from want.“ 55 Fassbender, in: Fassbender, Menschenrechteerklärung, S. 1 (6). 56 Wolgast, Geschichte der Menschen- und Bürgerrechte, S. 215; Fassbender, in: Fassbender, Menschenrechteerklärung, S. 1 (6); Shulman, FLR 77 (2008), S. 101 (101); Eide/Alfredsson, in: Alfredsson/Eide, The Universal Declaration of Human Rights, S. 25 (27); in diese Richtung auch bereits die Vier-Freiheiten-Rede: Roosevelt, Vier-Freiheiten-Rede, in: Schambeck/Widder/Bergmann, Dokumente zur Geschichte der Vereinigten Staaten, S. 472 (476). 57 Siehe etwa Shulman, FLR 77 (2008), S. 101 (109 ff.); klingt auch bei Roosevelt selbst an, Roosevelt, State of the Union Address (11. 01. 1944), in: Rosenman, Public Papers and Addresses XIII, S. 32 (33 ff.). 58 Baylis, The Public Opinion Quarterly 8 (1944), S. 244 (249). 59 Kriele, Menschenrechte zwischen Ost und West, S. 15 ff. 60 Kriele, Menschenrechte zwischen Ost und West, S. 15 ff.; vgl. auch Schewe, Sicherheitsgefühl, S. 191.

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sei auf die Furcht bezogen, dass andere Rechte verletzt werden. Insofern sei Freiheit von Furcht nicht als eigenständiges Recht zu begreifen, sondern vielmehr auf die anderen Freiheiten zu beziehen und als Teilaspekt dieser zu verstehen.61 Für ein weitergehendes Verständnis von Freiheit von Furcht sprechen insbesondere folgende Überlegungen: Ein konkreter Bezug zum Zweiten Weltkrieg und dessen Folgen wird lediglich für Freiheit von Furcht hergestellt, während er für die anderen drei Freiheiten fehlt. Gleichzeitig begreift Roosevelt die vier Freiheiten ausdrücklich in ihrer Gesamtheit als wesentliches Fundament einer Nachkriegsordnung und ordnet die Freiheiten insofern – nicht nur rhetorisch – gleich. Dies spricht dafür, Freiheit von Furcht ebenso wie die anderen Freiheiten nicht sachlich derart verengt zu verstehen. Insofern wären die expliziten Kriegsbezüge eher exemplarischer oder deklaratorischer Natur und nicht als inhaltliche Begrenzung des Begriffs zu verstehen sein. Dafür spricht auch, dass die ausdrücklichen Textbezüge auf den Zweiten Weltkrieg und die Forderung nach Abrüstung in der historischen Entwicklung der vier Freiheiten abnehmen. So wurde in die endgültige Fassung der Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ein ausdrücklicher Verweis auf den Zweiten Weltkrieg bewusst nicht aufgenommen, um die ahistorische, universelle Gültigkeit der Erklärung zu betonen.62 Zugleich verschieben sich während der Entwicklung von der Vier-Freiheiten-Rede über die Atlantik-Charta hin zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte wesentliche Parameter: Während ursprünglich die Beziehung zwischen einzelnen Staaten thematisiert wurde, ist Kern und Bezugspunkt der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der einzelne Mensch. Auch dies deutet darauf hin, dass Freiheit von Furcht nicht allein als Prinzip äußerer Sicherheit, sondern auch im Kontext individueller Rechte Bedeutung zukommt. Für eine Offenheit des Begriffs spricht ferner, dass Roosevelt den Gedanken einer Freiheit von Furcht nicht von Beginn an auf zwischenstaatliche, militärische Aggressionen und physische Bedrohungen verengte. So bediente sich Roosevelt bereits in seiner Antrittsrede als Präsident der Vereinigten Staaten am 4. März 1933 des Motivs der Angst. Von der Rede, die insbesondere die ökonomische Situation des Landes während der Depression betrifft, wird insbesondere der – bereits zu Beginn der Arbeit zitierte – Ausspruch berühmt: „the only thing we have fear is fear itself“.63 Ein Bezug zu äußeren Bedrohungen des Staates, etwa durch Krieg, fehlte hier noch. Angst wird nicht speziell als Angst vor militärischen Aggressionen gedacht, sondern

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Spigelman, ICLQ 59 (2010), S. 543 (545 ff.). In vorhergehenden Entwürfen war ein ausdrücklich Bezug noch vorgesehen, siehe Koskenniemi, in: Alfredsson/Eide, The Universal Declaration of Human Rights, S. 27 (32 f.). 63 Roosevelt, Inaugural Address (04. 03. 1933), in: Rosenman, Public Papers and Addresses II, S. 11; ähnlich Roosevelt, Radio Address (27. 03. 1941), in: Rosenman, Public Papers and Addresses X, S. 181 (191); zur Herkunft des Zitats Spigelman, ICLQ 59 (2010), S. 543 (544), der davon ausgeht, dass Roosevelt sich bei Montaigne und Thoreau bedient hat. 62

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Teil 1: (Rechts-)historische Ursprünge und staatstheoretisches Fundament

vielmehr in einer sozialen und ökonomischen Dimension.64 Auch in späteren Reden seiner Amtszeit rückt Roosevelt wiederholt Freiheit von Furcht – insbesondere durch die Verbindung mit Freiheit von Not – in Zusammenhang mit Aspekten sozialer und ökonomischer Sicherheit.65 In der Atlantik-Charta sowie der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte werden Freiheit von Furcht und Not bereits sprachlich miteinander verknüpft.66 Dies deutet auf ein Verständnis hin, wonach Freiheit von Furcht und Not allgemeiner zu verstehen sind und Sicherheit sowohl im physischen/psychischen (Freiheit von Furcht) als auch im sozialen und ökonomischen Sinn (Freiheit von Not) umfassen.67

IV. Rechtliche Bedeutung Fraglich ist, welche rechtliche Bedeutung den vier Freiheiten im historischen Ursprung zukommt. Roosevelt selbst schreibt den vier Freiheiten hohe Bedeutung zu und ging zumindest von einer gewissen rechtlichen Verbindlichkeit aus. Dies zeigt sich bereits in der Entstehung der Vier-Freiheiten-Rede.68 An anderer Stelle nennt Roosevelt die vier Freiheiten in einer Reihe mit der Unabhängigkeitserklärung, der Magna Charta sowie den Zehn Geboten.69 Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch ein differenziertes Bild. Den Reden Roosevelts kommt als politisches Instrument keine rechtliche, sondern ausschließlich politische Wirkung zu, sodass Freiheit von Furcht allein durch die Proklamation der vier Freiheiten keine rechtliche Bedeutung erlangt. Fraglich ist, ob sich der rechtliche Charakter durch die Aufnahme der vier Freiheiten in die Atlantik-Charta oder in die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und den UN-Zivil- und Sozialpakt änderte. 64 Spigelman, ICLQ 59 (2010), S. 543 (544): „[This] gave economic and social content to the idea of freedom from fear. Originally it was expressed in terms of securing the employment and social welfare of citizens.“ Dies betont auch Shulman, FLR 77 (2008), S. 101 (109 ff.). 65 Etwa in einer Radioansprache im Jahr 1942: Roosevelt, A United Nations Prayer (14. 06. 1942), in: Rosenman, Public Papers and Addresses XI, S. 287 (287 f.); in der Rede zur Lage der Nation im Jahr 1943: Roosevelt, State of the Union Address (07. 01. 1943), in: Rosenman, Public Papers and Addresses XII, S. 21 (32); in einer Rede in Kanada im Jahr 1943: Roosevelt, Address at Ottawa, Canada (25. 08. 1943), in: Rosenman, Public Papers and Addresses XII, S. 365 (368); in einer Ansprache im Jahr 1944: Roosevelt, Campaign Address at Soldiers’ Field (28. 10. 1944), in: Rosenman, Public Papers and Addresses XIII, S. 369 (370 f.); siehe auch Spigelman, ICLQ 59 (2010), S. 543 (544). 66 Dort heißt es jeweils „freedom from fear and want“. Zur Atlantik-Charta siehe Roosevelt/ Churchill, Atlantic Charter, in: Rosenman, Public Papers and Addresses X, S. 314 (314 ff.). 67 Shulman, FLR 77 (2008), S. 101 (105). 68 Roosevelt soll beim Schreiben der Rede vor dem Diktieren der Passage zu den vier Freiheiten zu seiner Sekretärin gesagt haben: „Dorothy, take a law“, siehe Rosenman, Working with Roosevelt, S. 263; ferner Shulman, FLR 77 (2008), S. 101 (105). 69 Siehe Rosenman, Working with Roosevelt, S. 387.

A. (Rechts-)historische Ursprünge

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Mit Blick auf die Atlantik-Charta ist zunächst anzumerken, dass deren Verbindlichkeit insgesamt umstritten ist.70 Gegen eine rechtliche Verbindlichkeit wird insbesondere eingewandt, dass es sich bei der gemeinsamen Erklärung weder um einen Vertrag noch um eine schriftliche Vereinbarung mit Unterschriften handelt; die Atlantik-Charta ist lediglich in Form eines Telegramms schriftlich festgehalten worden.71 Teilweise wird daher angenommen, es fehle der Erklärung zu ihrer Gültigkeit an einer offiziellen Verkündung.72 Allerdings bedurfte es dieser zur Wirksamkeit nicht. Bei der Atlantik-Charta handelt es sich um eine gemeinsame Kriegserklärung, die für die Erklärenden gültig und bindend ist.73 Sofern eine Verbindlichkeit angenommen wird, gilt diese jedoch nur für die Unterzeichner sowie für diejenigen, die der Erklärung später beigetreten sind. Mit Blick auf das deutsche Recht kann die grundsätzliche Frage nach der rechtlichen Bindungswirkung der Atlantik-Charta daher offen bleiben. Für Deutschland als Kriegsgegner, und nicht Partner des Bündnisses, ist eine rechtliche Bindung jedenfalls ausgeschlossen. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ist als Beschluss der Generalversammlung der Vereinten Nationen eine Resolution und somit grundsätzlich kein verbindliches Völkerrecht.74 Obwohl sie kein völkerrechtlicher Vertrag oder eine Konvention ist, geht ihre rechtliche Bedeutung nach überwiegender Meinung dennoch über die einer „gewöhnlichen“ Resolution hinaus. So stützt der Internationale Gerichtshof Urteile auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, zudem werden Teile der Erklärung als „rules of customary law“ angesehen.75 Mit Blick auf die niedergelegten Menschenrechte könne die Erklärung als „common standard of achievement“ gelten.76 Letztlich kommt der Erklärung als Resolution jedoch vorwiegend politisch-moralische, nicht jedoch unmittelbare rechtliche Bedeutung zu.77 Demgegenüber gehen der UN-Zivilpakt und der UN-Sozialpakt über die Prokla70

Eingehend Borgwardt, A New Deal for the World, S. 36 ff. Dies sorgte neben Kritik auch für Häme. So musste Roosevelt in einem Interview einräumen, dass weder er und Churchill die Charta unterschrieben hätten, noch dass überhaupt ein förmliches Dokument existiere: „Well, you’re thinking in awfully – oh, what will I say? – banal phrases and thought. There isn’t any copy of the Atlantic Charter, so far as I know. I haven’t got one. The British haven’t got one. The nearest thing you will get is the radio operator […]. It’s one of the things that was agreed to on board ship, and there was no formal document.“ Das Interview ist auszugsweise abgedruckt bei Borgwardt, A New Deal for the World, S. 37 f. 72 Vgl. Welles, Where are we heading?, S. 16. 73 Welles, Where are we heading?, S. 16 f. 74 Schilling, Internationaler Menschenrechtsschutz, Rn. 5. 75 Eide/Alfredsson, in: Alfredsson/Eide, The Universal Declaration of Human Rights, S. 25 (30 ff.); ausführlich zur aktuellen Bedeutung der AEMR Hannum, GJICL 25 (1995/96), S. 287 (287). 76 So Eide/Alfredsson, in: Alfredsson/Eide, The Universal Declaration of Human Rights, S. 25 (32). 77 Vgl. Fassbender, in: Fassbender, Menschenrechteerklärung, S. 1 (16 f.). Die Einschätzungen zur Bedeutung und Wirkung der AEMR gehen auseinander, vgl. Kennedy, Parlament der Menschheit, S. 213 ff.; ein eher positives Resümee ziehen Eide/Alfredsson, in: Alfredsson/ Eide, The Universal Declaration of Human Rights, S. 25 (25, 28 ff.). 71

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Teil 1: (Rechts-)historische Ursprünge und staatstheoretisches Fundament

mation von Grundsätzen hinaus. Sie sind völkerrechtlich bindende Verträge und begründen als solche Rechtspflichten der Vertragsstaaten. In Deutschland wurden beide Pakte ratifiziert und gelten gem. Art. 59, 25 GG als einfaches Bundesrecht.78 Gegen Verletzungen kann gem. Art. 19 Abs. 4 GG der Rechtsweg beschritten werden. Die rechtliche Bindungswirkung, welche die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und die beiden Pakte grundsätzlich entfalten, gilt jedoch mit Blick auf Freiheit von Furcht nur eingeschränkt. Freiheit von Furcht wurde ausdrücklich nur in die Präambeln aufgenommen. Die Bedeutung einer Präambel kann allgemein als ambivalent beschrieben werden:79 Einerseits steht sie offensichtlich außerhalb des Textes, in ihr finden gerade die Gedanken Ausdruck, welche nicht Inhalt der Erklärung werden sollten. Anderseits ist die Präambel auch Zusammenfassung und Fundament der eigentlichen Erklärung. Jedenfalls kommt der Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und des UN-Zivil- und Sozialpaktes – und somit auch Freiheit von Furcht – keine unmittelbare rechtliche Wirkung zu.80 Festzuhalten bleibt, dass die rechtliche Bedeutung der einzelnen Freiheiten differenziert zu bewerten ist. Meinungs- und Religionsfreiheit sind der klassischen Menschenrechtstradition zuzuordnen, welche in den USA bereits im First Amendmend verankert sind. Es handelt sich hierbei um individuelle Rechte der Bürger. Für Freiheit von Furcht bleibt hingegen weitgehend unklar, ob es sich hierbei historisch betrachtet überhaupt um ein Recht oder nicht bloß um einen politischen Begriff, ein Leitmotiv handeln sollte.81 Überzeugend ist es, Freiheit von Furcht – zumindest im historischen Ursprung – nicht als individuelles Recht anzusehen.82 Mit Blick auf das deutsche Recht hat Freiheit von Furcht jedenfalls weder durch die Proklamation in der Vier-Freiheiten-Rede noch durch die Aufnahme in die Atlantik-Charta, in die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte oder die UN-Pakte rechtliche Verbindlichkeit erlangt.

78 Mittlerweise sind die Pakte von 168 (UN-Zivilpakt) bzw. 162 Staaten (UN-Sozialpakt) ratifiziert. Der Stand der Ratifizierung ist abrufbar unter: https://treaties.un.org/Pages/Treaties. aspx?id=4&subid=A&clang=_en (Abfrage: 20. 12. 2016). 79 Koskenniemi, in: Alfredsson/Eide, The Universal Declaration of Human Rights, S. 27 (27 ff.) bringt diese Ambivalenz mit den Worten „celebration und refusal“ zum Ausdruck. 80 Koskenniemi, in: Alfredsson/Eide, The Universal Declaration of Human Rights, S. 27 (27 f.). 81 In diese Richtung Baylis, The Public Opinion Quarterly 8 (1944), S. 244 (249); nach Kennedy, Parlament der Menschheit, S. 45 wurde die Formulierung für die AEMR bewusst vage gewählt. 82 So auch Baylis, The Public Opinion Quarterly 8 (1944), S. 244 (249).

A. (Rechts-)historische Ursprünge

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V. Freiheit von Furcht als „vergessene Freiheit“ In der weiteren Entwicklung, insbesondere in den Nachkriegsjahren, findet das Motiv einer Freiheit von Furcht in unterschiedlichen Zusammenhängen Verwendung.83 Auf völkerrechtlicher Ebene wird Freiheit von Furcht und Not in neuerer Zeit dem Konzept der sog. Menschlichen Sicherheit (engl.: Human Security) zugeordnet.84 Maßgeblich für die Entwicklung der „Menschlichen Sicherheit“ war der Bericht über die menschliche Entwicklung des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1994.85 In ihm wurden Freiheit von Not und Freiheit von Furcht („freedom from want“ und „freedom from fear“) als charakteristische Elemente des Sicherheitskonzepts festgehalten.86 Menschliche Sicherheit bezeichnet einen erweiterten Sicherheitsbegriff, der im Gegensatz zu traditionellen Sicherheitskonzepten nicht den Schutz des Staates, sondern des Individuums und seiner Menschenwürde in den Fokus stellt. Das Konzept soll auf die vielfältigen Bedrohungen reagieren, denen die Sicherheit des Einzelnen ausgesetzt ist. Vereinigt werden Aspekte der Menschenrechte, der menschlichen Entwicklung, der Friedenssicherung und der Konfliktprävention.87 In seiner Rede anlässlich der Verleihung des Friedensnobelpreises in Oslo im Jahr 2009 geht der Präsident der Vereinigten Staates Barack Obama auf die vier Freiheiten ein:88 Frieden sei dort instabil, wo den Bürgern das Recht verwehrt wird, ihre Meinung frei zu äußern oder ihre Religion frei auszuüben, ihre Politiker frei zu wählen und sich frei von Angst versammeln zu können. Wahrer Frieden umfasse Freiheit von Angst ebenso wie Freiheit von Not. Dabei bezieht Obama Freiheit von Furcht auf die Gewährleistung bürgerlicher und politischer Rechte, während Freiheit von Not soziale und ökonomische Sicherheit adressiert. Hier wird deutlich, dass Freiheit von Furcht heute in seiner Bedeutung nicht auf Fragen äußerer Sicherheit beschränkt ist. Da diese Arbeit letztlich Freiheit von Furcht mit Blick auf das deutsche Verfassungsrecht untersuchen möchte, wird auf eine vertiefte Darstellung völkerrechtlicher Aspekte verzichtet. 83 Zur Verwendung in den USA in den Nachkriegsjahren Spigelman, ICLQ 59 (2010), S. 543 (544). 84 Siehe Tomuschat, Human Rights, S. 63 ff. 85 United Nations Development Programme, Human Development Report 1994, http://hdr. undp.org/sites/default/files/reports/255/hdr_1994_en_complete_nostats.pdf (Abfrage: 20. 12. 2016). 86 United Nations Development Programme, Human Development Report 1994, S. 24, http://hdr.undp.org/sites/default/files/reports/255/hdr_1994_en_complete_nostats.pdf (Abfrage: 20. 12. 2016). 87 Ausführlich zum umstrittenen Konzept der Human Security Stein-Kaempfe, Human Security; MacFarlane/Khong, Human security, S. 65 ff. 88 Die Rede Obamas vom 10. 12. 2009 ist in engl. Sprache abrufbar unter: Remarks by the President at the Acceptance of the Nobel Peace Prize, https://www.whitehouse.gov/the-press-of fice/remarks-president-acceptance-nobel-peace-prize (Abfrage: 20. 12. 2016).

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Teil 1: (Rechts-)historische Ursprünge und staatstheoretisches Fundament

In Europa finden die vier Freiheiten bzw. Freiheit von Furcht hingegen wenig Beachtung. Insbesondere enthält die europäische Reaktion auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die Europäische Menschenrechtskonvention von 1950 (EMRK), keinen Hinweis auf Freiheit von Furcht.89 Dies wir teilweise auf die Unterschiede in der Rechtstradition zurückgeführt.90 Insofern ist Spigelman zuzustimmen, wenn er von Freiheit von Furcht als „forgotten freedom“ spricht.91

VI. Zwischenergebnis In seiner berühmten Vier-Freiheiten-Rede benannte Roosevelt ein Programm grundlegender Freiheiten, welches er als Reaktion auf die Schrecken des Zweiten Weltkriegs entwarf und das als Grundlage einer Nachkriegsordnung gelten sollte. Nachfolgend hat der Gedanke einer Freiheit von Furcht Eingang in grundlegende Menschenrechtsdokumente, insbesondere in die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, gefunden. In ihrem historischen Kontext ist Freiheit von Furcht primär bezogen auf die Furcht vor militärischen Aggressionen und Kriegsgefahren zu verstehen. Die vier Freiheiten wurden im Kontext internationaler Konflikte proklamiert, primäres Ziel war die Sicherung eines langanhaltenden Friedens. Sofern sich ein weitergehendes Verständnis andeutet, geht dies von der überzeugenden Annahme aus, dass Furcht nicht nur durch externe Bedrohungen des Individuums auch durch andere Staaten oder andere Individuen entstehen kann. Insofern soll Freiheit von Furcht auch gegen eine Gewalt- und Willkürherrschaft im eigenen Staat sichern. Hier wird der Gedanke von Freiheit von Furcht auf Bedrohungen durch die (nationale) Staatsgewalt übertragen. Insofern besteht ein enger Zusammenhang mit rechtsstaatlichen Gewährleistungen und der Gewährleistung bürgerlicher und politischer Rechte. Auch wenn Freiheit von Furcht historisch vorrangig auf Bedrohungen durch externe Aggressionen und somit auf Aspekte der äußeren Sicherheit bezogen war, hat die Untersuchung gezeigt, dass sich bereits in den Ursprüngen des Begriffs eine Offenheit für eine weitergehende Bedeutung zeigt. Besonders hervorgehoben sei an dieser Stelle, dass teilweise bereits in den historischen Ursprüngen die Bedeutung von Freiheit von Furcht für die Verwirklichung aller Menschenrechte hervorgehoben und in Zusammenhang mit den bürgerlichen und politischen Rechten gesetzt wurde. Jedenfalls zeigt sich bereits hier die Erkenntnis, dass sich Furcht nachteilig auf die menschliche Freiheit auswirken kann. 89 Konvention zum Schutz der Menschenrechte und der Grundfreiheiten vom 04. 11. 1950, BGBl. 1952 II, S. 686, in Deutschland in Kraft seit dem 03. 09. 1953, BGBl. 1954 II, S. 14; hierzu auch Spigelman, ICLQ 59 (2010), S. 543 (544); Fassbender, in: Fassbender, Menschenrechteerklärung, S. 1 (20). 90 Spigelman, ICLQ 59 (2010), S. 543 (544). 91 Spigelman, ICLQ 59 (2010), S. 543 (545).

B. Staatstheoretisches und ideengeschichtliches Fundament

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B. Staatstheoretisches und ideengeschichtliches Fundament Der Gedanke, dass Freiheit von Furcht zentral für die menschliche Freiheit ist, findet sich auch bereits in den neuzeitlichen Staatstheorien des 17. Jahrhunderts. Im Folgenden soll auf den staatstheoretischen Hintergrund und das ideengeschichtliche Fundament von Freiheit von Furcht eingegangen werden. Insbesondere Thomas Hobbes, John Locke und Charles-Louis de Secondat, Baron de la Brède et de Montesquieu setzen sich in ihren staatstheoretischen und -philosophischen Schriften mit der Bedeutung von Furcht bzw. dem Freisein von Furcht für ein Staatswesen auseinander. Die einzelnen Staatstheorien, welche wesentliche Beiträge zum Verhältnis von Individuum und Staat leisten, können an dieser Stelle naturgemäß nur in Ansätzen betrachtet werden.

I. Thomas Hobbes: Furcht als „Ausgangspunkt“ des Staates Kern der Staats- und Rechtsphilosophie von Thomas Hobbes ist seine Konzeption der Gesellschaftsvertragstheorie, welche er maßgeblich in seinen Werken „Vom Bürger“ (1642) und „Leviathan“ (1651) entwickelt.92 Zentraler Gedanke der Gesellschaftsvertragstheorien ist, dass die Legitimation von Staat und Recht auf einer in einem Vertrag verkörperten Zustimmung der Betroffenen beruht.93 Hobbes’ Idee eines absolutistischen Gesellschaftsvertrags entsteht vor dem Hintergrund einer Epoche, die in Europa von (religiös motivierten) Bürgerkriegen, blutigen Auseinandersetzungen zwischen König und Parlament sowie zwischen Kirche und Staat geprägt ist.94

92 Hobbes, Vom Bürger (1642), zitiert nach: Gawlick (Hrsg.), Thomas Hobbes, Vom Menschen – Vom Bürger, Elemente der Philosophie II/III, Philosophische Bibliothek Bd. 158, 3. Aufl. 1994; Hobbes, Leviathan (1651), zitiert nach: Klenner (Hrsg.), Leviathan, oder die Materie, Form und Macht eines kirchlichen und staatlichen Gemeinwesens, Philosophische Bibliothek Bd. 491, 1996. 93 Vgl. zu den Gesellschaftsvertragstheorien Mahlmann, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, S. 69. Der Begriff des Gesellschaftsvertrags wird hier – ausgehend vom Sammelbegriff der Gesellschaftsvertragstheorien – für alle Arten der entsprechenden Verträge verwendet. Kritisch zum Gesellschaftsvertrag bei Hobbes Braun, Rechtsphilosophie, S. 194 f. 94 Zu den historischen Hintergründen: Mahlmann, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, S. 69 f.; Braun, Rechtsphilosophie, S. 187 ff.

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Teil 1: (Rechts-)historische Ursprünge und staatstheoretisches Fundament

1. Der Mensch im Naturzustand Das Bedürfnis nach einer gesellschaftlichen Ordnung findet nach Hobbes seinen Grund im Naturzustand („status naturalis“) des Menschen.95 Danach ist der Mensch im Naturzustand, also im Zustand außerhalb der Gesellschaft, maßgeblich ein nach Selbsterhaltung strebendes Wesen.96 Dabei wird der Mensch sowohl von seinen Leidenschaften (Hoffnung) als auch von Furcht getrieben, sie stellen die zentralen Motive seines Handelns dar.97 Da im Naturzustand gesellschaftliche und menschliche Interaktionen von großer Unsicherheit geprägt sind, kommt es zu einem Zustand wechselseitigen Misstrauens.98 Zur Selbsterhaltung und zum Schutz muss letztlich jeder Mensch misstrauisch sein, sich vorsehen, sich durchsetzen und gegen andere verteidigen.99 So strebt der Einzelne nach der Verteidigung und Vermehrung von Macht und Besitz, um Selbsterhaltung zu erreichen und es kommt zum wohlbekannten „Krieg aller gegen alle“ (bellum omnium contra omnes).100 Immanente moralische Hemmungen, die dieses Machtstreben begrenzen könnten, gibt es nicht.101 Unabhängig von unterschiedlichen Interpretationsansätzen und Rekonstruktionsmodellen102 ist prägendes Element des Naturzustandes daher die Furcht – Furcht vor Tötung, Furcht vor Entmachtung, Furcht vor Eigentumsentzug.103 Dabei 95 Zum Naturzustand: Hobbes, Vom Bürger (1642), Vorwort u. Kap. I; Hobbes, Leviathan (1651), Kap. XXIII; hierzu auch Mahlmann, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, S. 69; Nonnenmacher, Ordnung der Gesellschaft, S. 35 ff.; Hüning, Freiheit und Herrschaft, S. 80 ff.; zum Begriffspaar status naturalis und status civilis siehe Geismann/Herb, Hobbes über die Freiheit, Scholie 138, S. 94 f. 96 Hobbes, Vom Menschen (1658), Kap. XXI, Abschn. 6; Hobbes, Vom Bürger (1642), Kap. I, Abschn. 7 ff.; siehe ferner Mahlmann, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, S. 71; Chwaszcza, Thomas Hobbes, in: Denzer/Maier, Klassiker des politischen Denkens I, S. 209 (220). Zum Machtstreben als allgemeine Eigenschaft des Menschen: Hobbes, Leviathan (1651), Kap. XI; Höffe, in: Bermbach/Kodalle, Furcht und Freiheit, S. 30 (31, 42 ff.). 97 Hobbes, Vom Menschen (1658), Kap. XXII, Abschn. 3; Hobbes, Vom Bürger (1642), Kap. V, Abschn. 1; Nonnenmacher, Ordnung der Gesellschaft, S. 16 f.; v. Krockow, Soziologie des Friedens, S. 24. 98 Anschaulich Hobbes, Vom Bürger (1642), Vorwort. Differenziert zu den Konfliktursachen Nida-Rümelin, in: Kersting, Thomas Hobbes, S. 89 (91 f.). 99 Hobbes, Vom Bürger (1642), Vorwort; Nonnenmacher, Ordnung der Gesellschaft, S. 17 f. Damit sei nicht gesagt, dass der Mensch von Grund auf böse ist, siehe Geismann/Herb, Hobbes über die Freiheit, Scholie 94, S. 74 f. 100 Hobbes, Vom Bürger (1642), Kap. I, Abschn. 12; Hobbes, Leviathan (1651), Kap. XIII; Braun, Rechtsphilosophie, S. 191 f.; Chwaszcza, Thomas Hobbes, in: Denzer/Maier, Klassiker des politischen Denkens I, S. 209 (211); zu den Ursachen für diesen Konflikt näher Hüning, Freiheit und Herrschaft, S. 81. 101 Mahlmann, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, S. 70 f. 102 Eine knappe Übersicht unterschiedlicher Deutungen findet sich bei Nida-Rümelin, in: Kersting, Thomas Hobbes, S. 89 (89, 95 ff.). 103 Hobbes, Vom Bürger (1642), Kap. I, Abschn. 3; Hobbes, Vom Menschen (1658), Kap. XXII, Abschn. 3; zur Furcht bei Hobbes siehe ferner: Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 3; Braun, Rechtsphilosophie, S. 189 f.; Nonnenmacher, Ordnung der Gesellschaft, S. 17, 40;

B. Staatstheoretisches und ideengeschichtliches Fundament

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darf die anschauliche Darstellung dieses Zustands nicht darüber hinwegtäuschen, dass Hobbes den Naturzustand als „theoretisch-analytische Kategorie“ und nicht als empirische Begebenheit auffasst.104 2. Furcht als Ursprung des Staates Da im Naturzustand die Furcht vor existenziellen Bedrohungen, insbesondere vor einem gewaltsamen Tod, allgegenwärtig ist, ist die Überwindung derselben das „konstitutive gemeinsame Interesse“.105 „Der Schrecken des Naturzustands treibt die angsterfüllten Individuen zusammen; ihre Angst steigert sich auf äußerste; ein Lichtfunke der Ratio blitzt auf – und plötzlich steht vor uns der neue Gott.“106 Getrieben durch die Furcht erkennt die Selbsterhaltungsvernunft ein Mittel, um den Naturzustand aufzuheben. Durch den Gesellschaftsvertrag unterwerfen sich alle Mitglieder der Gesellschaft dem Souverän und treten so in den „status civilis“, den Zustand in der Gesellschaft, ein.107 So wird das Antriebsmotiv der Furcht letztlich zum Ursprung des Staatswesens. Oder wie Hobbes es ausdrückt: „Deshalb muss man anerkennen, dass der Ursprung der großen und dauernden Verbindungen der Menschen nicht von gegenseitigem Wohlwollen, sondern von gegenseitiger Furcht ausgegangen ist.“108 Nach Hobbes ist die gegenseitige Furcht, welche im Naturzustand herrscht, Ausgangspunkt des Staates.109

Geismann/Herb, Hobbes über die Freiheit, Scholie 166, S. 108 f.; Freund, in: Bermbach/ Kodalle, Furcht und Freiheit, S. 107 (115 ff.). 104 Darin stimmt die Forschung weitgehend überein, siehe nur Mahlmann, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, S. 71. Ferner Chwaszcza, Thomas Hobbes, in: Denzer/Maier, Klassiker des politischen Denkens I, S. 209 (210 f.); Braun, Rechtsphilosophie, S. 191; Freund, in: Bermbach/Kodalle, Furcht und Freiheit, S. 107 (111). Differenziert Nonnenmacher, Ordnung der Gesellschaft, S. 14 ff., 35 ff.; zur Methode von Hobbes allgemein Chwaszcza, Thomas Hobbes, in: Denzer/Maier, Klassiker des politischen Denkens I, S. 209 (211 ff.). 105 Nonnenmacher, Ordnung der Gesellschaft, S. 40; siehe auch v. Krockow, Soziologie des Friedens, S. 24; Strauss, Hobbes’ politische Wissenschaft, S. 25 f. 106 Mit diesen Worten fasst Carl Schmitt die Idee von Hobbes zum Ursprung des Staates zusammen, siehe Schmitt, Leviathan, S. 48. 107 Hobbes, Leviathan (1651), Kap. XVII f.; siehe auch Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 3. Dabei denkt Hobbes den Gesellschaftsvertrag nicht als Vertrag mit dem Souverän, sondern als Vertrag der Bürger untereinander, der letztlich nichts anderes als ein tatsächliches Unterwerfungsverhältnis begründet, siehe hierzu Mahlmann, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, S. 71; ferner Braun, Rechtsphilosophie, S. 194 f.; ausführlich Hüning, Freiheit und Herrschaft, S. 191 ff. 108 Hobbes, Vom Bürger (1642), Kap. I, Abschn. 2. In der zweiten Auflage fügte Hobbes dieser These eine längere Anmerkung hinzu – wohl um Un- oder Missverständnis zu begegnen, vgl. Geismann/Herb, Hobbes über die Freiheit, Scholie 162, S. 102. 109 Siehe auch Hobbes, Vom Bürger (1642), Kap. I, Abschn. 13, Kap. II, Abschn. 16 u. Kap. V, Abschn. 12; Hobbes, Leviathan (1651), Kap. XIII, XX; ferner Nonnenmacher, Ordnung der

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Teil 1: (Rechts-)historische Ursprünge und staatstheoretisches Fundament

Doch was versteht Hobbes unter „gegenseitiger Furcht“? Zunächst ist damit Furcht vor anderen Menschen gemeint, also eine zwischenmenschliche Furcht.110 Obwohl primär auf die Gefahr eines gewaltsamen Todes bezogen, definiert Hobbes Furcht allgemeiner, nämlich als „jedes Voraussehen von kommendem Unheil“.111 Nicht nur die Furcht vor existenziellen Gefahren, sondern auch abgeschwächte Formen der Furcht – Vorsicht und Vorsorge – sind umfasst. Gemeint sind allgemein mögliche Einschränkungen der Freiheit durch andere Menschen. Sofern Hobbes den Ursprung des Staates in der gegenseitigen Furcht sieht, legt er dieses weite Verständnis von Furcht zugrunde.112 3. Furcht vor dem übermächtigen Leviathan? Damit der Souverän nach der Vorstellung Hobbes’ tatsächlich persönliche Sicherheit und Frieden gewährleisten kann, kommt ihm ungeteilte Gewalt und praktisch unbegrenzte Macht zu.113 Zum Schutz vor der Gewalt Anderer unterwirft sich der Mensch der Gewalt des Staates.114 Den Staat („Leviathan“) entwirft Hobbes daher als absoluten Staat, dessen Staatsgewalt unbeschränkt ist.115 Nur so könne der Bürger frei von Furcht vor Angriffen leben.116 Als Kehrseite der Schaffung von Sicherheit ist der Bürger der Übermacht des Staates ausgeliefert.117 Bereits die Bezeichnung des Staates als Leviathan weckt treffende Assoziationen. Der Begriff, der in der Bibel ein schreckliches Seeungeheuer bezeichnet, kann als Symbol für den Schrecken, den der Staat verbreitet,

Gesellschaft, S. 17; Braun, Rechtsphilosophie, S. 189; Strauss, Hobbes’ politische Wissenschaft, S. 26 f., 30. 110 Hobbes, Vom Bürger (1642), Kap. I, Abschn. 2 u. 3; siehe auch Strauss, Hobbes’ politische Wissenschaft, S. 26. 111 Hobbes, Vom Bürger (1642), Kap. I, Abschn. 2 (Anm.); ähnlich bereits: Hobbes, Vom Menschen (1658), Kap. XXII, Abschn. 3; Hobbes, Leviathan (1651), Kap. VI., dort definiert Hobbes Furcht als „Abneigung mit der Überzeugung, durch das Objekt geschädigt zu werden“. 112 Geismann/Herb, Hobbes über die Freiheit, Scholie 166, S. 108 f.; insofern wird auch von „erschließenden Furcht“ in Abgrenzung zur „verschließenden Furcht“ gesprochen, siehe v. Krockow, Soziologie des Friedens, S. 25 f. 113 Siehe Hobbes, Leviathan (1651), Kap. XVII f.; vgl. auch Hobbes, Vom Bürger (1642), Kap. VI, Abschn. 13; ferner Braun, Rechtsphilosophie, S. 193 ff.; Nonnenmacher, Ordnung der Gesellschaft, S. 21, 39 f.; Mahlmann, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, S. 71. 114 Hobbes, Vom Bürger (1642), Kap. VI, Abschn. 3; Braun, Rechtsphilosophie, S. 194, 196. 115 Differenziert, im Ergebnis wie hier Nonnenmacher, Ordnung der Gesellschaft, S. 45 ff. 116 Hobbes, Vom Bürger (1642), Kap. V, Abschn. 12 u. Kap. X, Abschn. 1; siehe auch Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 3 f.; Mahlmann, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, S. 71; Braun, Rechtsphilosophie, S. 195 f. 117 Brugger, VVDStRL 63 (2004), S. 101 (114) weist überzeugend darauf hin, dass dies nicht als Tyrannenherrschaft missverstanden werden darf.

B. Staatstheoretisches und ideengeschichtliches Fundament

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gesehen werden.118 Die Furcht, welche vor dem Staat als unbeschränktem Machthaber entstehen kann, nimmt Hobbes indes nicht kritisch in den Blick, er hält sie sogar für erforderlich.119 Sofern aufgrund der absoluten Staatsgewalt Furcht entsteht, betrachtet Hobbes dies gegenüber dem Naturzustand als weniger „schädlich“.120 Zwar lassen sich in Hobbes Staatstheorie einzelne Ansätze finden, die die Macht des Staates eingrenzen, diesen kommt jedoch keine zentrale Rolle zu. Sie reichen keinesfalls so weit, dass von echten rechtsstaatlichen Elementen gesprochen werden kann.121

II. John Locke: Furcht als Grund für Staatsmachtbegrenzung Auch die Staatsphilosophie John Lockes (1632 – 1704) ist dem rationalistischen Rechtsdenken zuzuordnen. In seinem Werk „Zwei Abhandlungen über die Regierung“ (1689) entwirft er eine Variante der Gesellschaftsvertragstheorie, die als Auseinandersetzung mit Hobbes’ Theorie gelesen werden kann.122 1. Vom Naturzustand als Zustand „voll von Furcht“ zum Eintritt in den Staat Die Theorien ähneln sich in ihren Ausgangspunkten.123 Auch Locke setzt in seinen Überlegungen beim Menschen im Naturzustand an, den er jedoch im Ge118

Zum Begriff des Leviathan siehe Hobbes, Leviathan (1651), Kap. XVII; Nonnenmacher, Ordnung der Gesellschaft, S. 44 f.; zur Herkunft des Symbols Schmitt, Leviathan, S. 9 ff., 25 ff. 119 Siehe Hobbes, Vom Bürger (1642), Kap. VI, Abschn. 13; Hobbes, Leviathan (1651), Kap. XVIII; hierzu auch Braun, Rechtsphilosophie, S. 194 ff.; Nonnenmacher, Ordnung der Gesellschaft, S. 44 f. 120 Hobbes, Leviathan (1651), Kap. XVIII. 121 Ansätze zeigen sich bei Hobbes, Vom Bürger (1642), Kap. XIII, Abschn. 16. Zu nennen sind insbesondere das Widerstandsrecht und die unbeschränkte Gewissensfreiheit, vgl. Nonnenmacher, Ordnung der Gesellschaft, S. 45 f. Eine strikte Teilung der Gewalten lehnt Hobbes jedoch explizit ab, siehe Hobbes, Leviathan (1651), Kap. XXIX. Höffe, in: Bermbach/Kodalle, Furcht und Freiheit, S. 30 (53 ff.) spricht von einer „Farce“. Der absolutistische Charakter der hobbesschen Gesellschaftsordnung wird allgemein kritisch gesehen, siehe Braun, Rechtsphilosophie, S. 200 sowie Mahlmann, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, S. 72 f. 122 Locke, Zweite Abhandlung über die Regierung (1690), zitiert nach: Siep (Hrsg.), Zweite Abhandlung über die Regierung, Kommentar von Ludwig Siep, Suhrkamp Studienbibliothek, 2007. In der neueren Wissenschaft ist das Verhältnis der Staatstheorien von Hobbes und Locke zueinander umstritten. Es besteht jedoch weitgehend Einigkeit, dass ein Bezug auf Hobbes legitim ist, auch wenn eine Auseinandersetzung von Locke wohl nicht intendiert war, siehe hierzu Nonnenmacher, Ordnung der Gesellschaft, S. 72 ff. Ein prägnanter Vergleich der Theorien findet sich bei Brugger, VVDStRL 63 (2004), S. 101 (112, 116 f.). 123 Braun, Rechtsphilosophie, S. 201.

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Teil 1: (Rechts-)historische Ursprünge und staatstheoretisches Fundament

gensatz zu Hobbes als etwas Reales denkt.124 Im Naturzustand herrschen Freiheit und Gleichheit.125 Allerdings ist die Freiheitsausübung bereits durch ein natürliches Gesetz begrenzt: Niemand soll Leben, Freiheit und Eigentum eines anderen verletzen.126 Obwohl der Verstand bereits im Naturzustand das natürliche Gesetz erkennt, ist der Naturzustand bei Locke potenziell unfriedlich und birgt die Gefahr, sich in einen Kriegszustand zu verwandeln.127 Als Gründe für Konflikte führt Locke an: das Fehlen von unbeteiligten Entscheidungsinstanzen bzw. Selbstjustiz, Gefährdungen des Eigentums sowie die Entwicklung des Geldes.128 Der Naturzustand kann daher Frieden nicht dauerhaft gewährleisten, er ist „sehr ungewiss und sehr unsicher“; es herrscht ein Zustand „voll von Furcht und ständiger Gefahr“.129 Anders als bei Hobbes meint dies nicht notwendigerweise Krieg aller gegen alle, vielmehr kann von einem Zustand „unsicheren Friedens“ gesprochen werden, in dem weder Frieden noch die Eskalation von Konflikten dauerhaft ausgeschlossen werden kann.130 Als „Lösung“ stellt sich wiederum der Eintritt in die bürgerliche Gesellschaft durch einen Gesellschaftsvertrag dar.131 In diesem Zustand garantiert der Staat die Sicherheit und verhindert private Gewalt.132 Da nach Locke, anders als nach Hobbes, gesellschaftliches Zusammenleben grundsätzlich auch ohne Herrschaft möglich ist,

124 Locke, Zweite Abhandlung über die Regierung (1690), §§ 4 ff.; Mahlmann, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, S. 79; Braun, Rechtsphilosophie, S. 202. Zu den Unterschieden in den Konzepten von Hobbes und Locke näher Nonnenmacher, Ordnung der Gesellschaft, S. 80 ff. sowie Euchner, Naturrecht und Politik bei John Locke, S. 192. Zum Naturzustand bei Locke eingehend: Mahlmann, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, S. 79 f.; Braun, Rechtsphilosophie, S. 200 ff. 125 Locke, Zweite Abhandlung über die Regierung (1690), § 4 f. 126 Locke, Zweite Abhandlung über die Regierung (1690), § 6. Die genannten Güter fasst Locke teilweise mit dem Begriff „Eigentum“ zusammen, siehe etwa Locke, Zweite Abhandlung über die Regierung (1690), § 123. Näher hierzu Braun, Rechtsphilosophie, S. 203. 127 Zum Kriegszustand: Locke, Zweite Abhandlung über die Regierung (1690), §§ 16 ff. Dabei ist die Unterscheidung zwischen Naturzustand und Kriegszustand bei Locke nicht immer trennscharf und klar, hierzu Nonnenmacher, Ordnung der Gesellschaft, S. 76 ff. 128 Siehe etwa Locke, Zweite Abhandlung über die Regierung (1690), §§ 124 ff. Überzeugend Braun, Rechtsphilosophie, S. 204 ff.; ähnlich mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunkten: Brugger, VVDStRL 63 (2004), S. 101 (115); Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 6 f. 129 Locke, Zweite Abhandlung über die Regierung (1690), § 123. 130 Eingängig Nonnenmacher, Ordnung der Gesellschaft, S. 78 ff. 131 Zum Gesellschaftsvertrags siehe Locke, Zweite Abhandlung über die Regierung (1690), §§ 95 ff. 132 Vgl. Locke, Zweite Abhandlung über die Regierung (1690), §§ 21, 95, 123; Braun, Rechtsphilosophie, S. 207. Dabei bleibt jedoch teilweise unklar, welche Rechte und Pflichten im Einzelnen aus dem Vertrag folgen sollen. Darauf weist zutreffend Nonnenmacher, Ordnung der Gesellschaft, S. 110 f. hin.

B. Staatstheoretisches und ideengeschichtliches Fundament

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ist die Begründung der Gesellschaft durch Vertrag nicht zwingend, sondern lediglich durch die Vernunft empfohlen.133 2. Der Staat als Bedrohung: Freiheit vom Staat Während Hobbes die Übermacht des Staates nicht nur anerkennt, sondern geradezu verteidigt, erkennt Locke die potentielle Bedrohung, welche von einer unbegrenzten Staatsgewalt ausgehen kann:134 „Als ob die Menschen, als sie den Naturzustand verließen und sich zu einer Gesellschaft vereinigten, übereingekommen wären, dass alle, mit Ausnahme eines einzigen, unter Zwang von Gesetzen stehen, dieser eine aber alle Freiheit des Naturzustandes behalten sollte, die sogar noch durch Gewalt vermehrt und durch Straflosigkeit zügellos gemacht wurde! Das heißt die Menschen für solche Narren zu halten, dass sie sich zwar bemühen, den Schaden zu verhüten, der ihnen durch Marder und Füchse entstehen kann, aber glücklich sind, ja es für Sicherheit halten, von Löwen verschlungen zu werden.“135

Der Einzelne kann demnach nicht nur durch andere Menschen, sondern auch (oder sogar gerade) durch den Staat gefährdet werden.136 In dieser Erkenntnis liegt ein entscheidender Unterschied der Staatstheorien von Hobbes und Locke. Die Furcht vor den Anderen, welche bei Hobbes noch als Ausgangspunkt des Staates galt, wandelt sich in Furcht vor dem Staat als unbeschränktem Machthaber. Indem der Staat der zwischenmenschlichen Furcht nach der Theorie Hobbes’ durch absolute Herrschaft und unbegrenzte Staatsmacht begegnet, wird er „selbst zum Gegenstand der Furcht“.137 Solange die Staatsgewalt unbegrenzt ist, finden sich auch im Zustand der Gesellschaft noch Elemente des Naturzustands.138 Dies erkennt Locke und sieht ein liberales Bedürfnis nach Staatsmachtbegrenzung.139 Damit der Bürger sich nicht vor einem allmächtigen Staat fürchten muss, entwickelt Locke Institute, die die Rechte 133 Anders als bei Hobbes ist der Staat bei Locke „praktisch“, nicht hingegen notwendig, siehe Wolgast, Geschichte der Menschen- und Bürgerrechte, S. 33. Auch wird der Gesellschaftsvertrag von Locke nicht als einseitiger Unterwerfungsvertrag gedacht. Hierzu: Mahlmann, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, S. 79; Euchner, John Locke, in: Denzer/Maier, Klassiker des politischen Denkens II, S. 15 (19 ff.). 134 Siehe Locke, Zweite Abhandlung über die Regierung (1690), §§ 13, 93, 137; vgl. auch: Braun, Rechtsphilosophie, S. 201, 207 f.; Nonnenmacher, Ordnung der Gesellschaft, S. 112; Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 5 f. 135 Locke, Zweite Abhandlung über die Regierung (1690), § 93. 136 Mahlmann, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, S. 72; Höffe, in: Bermbach/Kodalle, Furcht und Freiheit, S. 30 (53). 137 So Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 5; siehe auch Höffe, in: Bermbach/Kodalle, Furcht und Freiheit, S. 30 (33 f., 54 f.); anders hingegen Böckenförde, Sicherheit und Selbsterhaltung, S. 24 f. 138 Nonnenmacher, Ordnung der Gesellschaft, S. 113. 139 Locke, Zweite Abhandlung über die Regierung (1690), §§ 93, 143.

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des Menschen gegenüber dem Staat sichern. Unter anderem nennt er eine Teilung der Gewalten, Bindung der Staatsgewalt an das Recht und ein Widerstandsrecht der Bürger als äußerstes Mittel.140 Der Staat wird als „schwächstmögliche[r] Staat“ entworfen.141 Während Hobbes die absolute Herrschaft als Ausweg aus dem absoluten Kriegszustand entwirft, versucht Locke aufzuzeigen, wie ein Staat beschaffen sein muss, damit er dem Wesen des Menschen am besten entspricht.142 Neben den Staatszweck der Sicherung der individuellen Rechte tritt der Schutz des Bürgers vor dem Staat.143 Locke beschäftigt sich somit neben der Sicherheit durch den Staat auch mit der Frage nach Sicherheit vor dem Staat.144 Diese Wendung und der Liberalismus Lockes kann mit den geänderten politischen und gesellschaftlichen Bedingungen am Ende des 17. Jahrhunderts erklärt werden.145 Während Hobbes’ Absolutismus als Antwort auf die Krisen in Europa gedeutet werden kann, geraten mit der Konsolidierung der Staaten neue Fragen in den Fokus. Solange die drängende Gefahr, die eines (Bürger-)Krieges ist, steht die Überwindung dieses Zustands im Vordergrund. Sobald sich jedoch die Verhältnisse stabilisieren, gewinnen Überlegungen zur Ausbalancierung des Machtgefüges an Bedeutung. Damit einher geht ein Bedürfnis, Rechte und Pflichten von Bürger und Staat neu zu definieren.146 Oder anders ausgedrückt: Während zunächst das „Ob“ politischer Stabilität und Sicherheit zentral war, konnte anschließend die Frage nach dem „Wie“ staatlicher Macht in den Fokus rücken.147

140 Locke, Zweite Abhandlung über die Regierung (1690), §§ 143 ff.; hierzu Siep, in: Siep, Zweite Abhandlung über die Regierung, S. 197 (251 ff.); ferner Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 6; Euchner, John Locke, in: Denzer/Maier, Klassiker des politischen Denkens II, S. 15 (23 f.); Braun, Rechtsphilosophie, S. 209 ff. 141 So Braun, Rechtsphilosophie, S. 201. 142 Nonnenmacher, Ordnung der Gesellschaft, S. 114 – 115. 143 Euchner, John Locke, in: Denzer/Maier, Klassiker des politischen Denkens II, S. 15 (24) bezeichnet die Sicherung der bürgerlichen Freiheitsrechte als die wichtigste Aufgabe. Siehe auch: Euchner, Naturrecht und Politik bei John Locke, S. 198 ff.; Braun, Rechtsphilosophie, S. 202. 144 Ähnlich Braun, Rechtsphilosophie, S. 200 ff., der von „Freiheit vom Staat“ und „Schutz vor dem Staat“ spricht (Hervorhebungen im Original). 145 Auf Zusammenhänge zwischen staatstheoretischem Modell und geschichtlicher Realität weist Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 4 f. hin. 146 Nonnenmacher, Ordnung der Gesellschaft, S. 71 f., 114 f. Ähnlich bereits v. Krockow, Soziologie des Friedens, S. 62. 147 Isensee nimmt insofern Entwicklungsstufen an: er differenziert zwischen bürgergerichteter (Hobbes), staatsgerichteter (Locke) und sozialer Sicherheit, siehe Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 17.

B. Staatstheoretisches und ideengeschichtliches Fundament

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III. Montesquieu: Freiheit von Furcht im Sinne „geistiger Beruhigung“ Auch Montesquieu (1689 – 1755) erkennt, dass vom übermächtigen Staat, wie ihn Hobbes entworfen hat, keine geringere Gefahr ausgeht, als diejenige, wogegen er geschaffen wurde.148 Mit seiner Philosophie möchte Montesquieu dem Absolutismus entgegentreten und modifiziert Hobbes’ Staatstheorie, ebenso wie Locke, unter liberalen Vorzeichen.149 1. Bedingtheit von Recht als zentrale These In seinem zentralen Werk „De l’Esprit des Lois“150 (1748) unternimmt Montesquieu eine umfassende Betrachtung der „politisch-sozialen Welt“ und widmet sich neben Recht und Staat auch Themen wie Sitten, Gebräuchen, Wirtschaft und Geographie.151 Anders als die rationalistischen Rechtsdenker geht Montesquieu dabei von der Relativität des Rechts aus.152 Zentrale These des Werks ist die Bedingtheit von Recht.153 Die Betrachtung der Wirklichkeit zeige, wie sehr Recht von den jeweiligen Umständen geprägt sei. Damit ist nach Montesquieu nicht dessen Beliebigkeit gemeint, vielmehr werde in der Wirklichkeit und somit auch in den Gesetzen eine eigene, objektive Vernunft wirksam. Aus den jeweiligen Umständen und der Beziehung des Rechts zur Gesellschaft ergebe sich etwas, was Montesquieu mit dem Begriff „Geist der Gesetze“ zu beschreiben versucht.154 Durch die Auseinandersetzung mit der Rechtswirklichkeit bekommt die Philosophie Montesquieus einen „empirischen“ Charakter, ohne jedoch an allgemeiner Gültigkeit einzubüßen.155 148

Braun, Rechtsphilosophie, S. 313. Falk, Montesquieu, in: Denzer/Maier, Klassiker des politischen Denkens II, S. 41 (45); zu den historischen Umständen Muhlack, in: Merten, Gewaltentrennung, S. 37 (38). 150 Montesquieu, Vom Geist der Gesetze (1748), zitiert nach Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, Auswahl, Übersetzung und Einleitung von Kurt Weigand, Reclam Universal-Bibliothek, 2011. 151 Dies zeigt bereit der vollständige Titel des Werkes: „Vom Geist der Gesetze oder über den Bezug, den die Gesetze zum Aufbau jeder Regierung, zu den Sitten, dem Klima, der Religion, dem Handel etc. haben müssen“, siehe Montesquieu, Vom Geist der Gesetze (1748), S. 87 f.; zum Begriff „Geist der Gesetze“ siehe Montesquieu, Vom Geist der Gesetze (1748), 1. Buch, Kap. 3, S. 102 ff.; ferner Falk, Montesquieu, in: Denzer/Maier, Klassiker des politischen Denkens II, S. 41 (48). 152 Braun, Rechtsphilosophie, S. 304 ff.; Falk, Montesquieu, in: Denzer/Maier, Klassiker des politischen Denkens II, S. 41 (47 f.); vgl. auch Hidalgo, Montesquieu, in: Voigt/Weiß, Handbuch Staatsdenker, S. 294 (294), wonach Montesquieu von der politischen Realität und ihren Bedingungen ausgeht. 153 Überzeugend dargestellt bei Muhlack, in: Merten, Gewaltentrennung, S. 37 (42 f.). 154 So Braun, Rechtsphilosophie, S. 306; Muhlack, in: Merten, Gewaltentrennung, S. 37 (42 f.). 155 Braun, Rechtsphilosophie, S. 306; siehe auch Muhlack, in: Merten, Gewaltentrennung, S. 37 (41). 149

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Vor diesem Hintergrund geht die Staatsphilosophie Montesquieus auch nicht von einer idealen Staatsform aus.156 Vielmehr werden drei Regierungsformen unterschieden: die republikanische, die monarchische und die despotische.157 Während in der Republik das Volk (oder zumindest ein Teil) die Souveränität innehat, herrscht in der Monarchie und der Despotie jeweils ein Einzelner, entweder „nach festliegenden und verkündeten Gesetzen“ oder „ohne Regel und Gesetz“.158 Welche Form in einem Staat anzutreffen ist, hängt nach Montesquieu auch vom „Geist“ des Staates ab. Maßgeblich für die Staatsform ist, dass jedem Staat gewisse Antriebskräfte, von Montesquieu Prinzipien genannt, zugrunde liegen.159 Prinzipien der Republik sind danach Tugend und Mäßigung, Prinzip der Monarchie ist die Ehre und der Despotie der Terror.160 Damit ist nicht gemeint, dass die genannten Prinzipien zu jeder Zeit tatsächlich anzunehmen sind, sondern dass sie als Antriebskräfte für einen langfristigen Bestand der entsprechenden Regierungsform erforderlich sind.161 2. Subjektivität von Sicherheit Im Zusammenhang mit den unterschiedlichen Staatsformen weist Montesquieu auch auf die Bedeutung des Freiseins von Furcht hin.162 Kennzeichnend für die republikanische Staatsform ist die politische Freiheit.163 Damit ist nach Montesquieu nichts anderes gemeint als die „geistige[r] Beruhigung“, die auf der Überzeugung des 156 Zu dieser Erkenntnis kommt Montesquieu auch aufgrund seiner Beobachtungen anderer Länder, vgl. Falk, Montesquieu, in: Denzer/Maier, Klassiker des politischen Denkens II, S. 41 (54). 157 Montesquieu, Vom Geist der Gesetze (1748), 2. Buch, Kap. 1, S. 106; näher zu den Staatsformen: Montesquieu, Vom Geist der Gesetze (1748), 2. Buch, Kap. 2 f., S. 106 ff. (Republik), Kap. 4, S. 114 ff. (Monarchie) und Kap. 5, S. 117 f. (Despotie); siehe ferner Hidalgo, Montesquieu, in: Voigt/Weiß, Handbuch Staatsdenker, S. 294 (294); zu den Unterschieden zur klassischen Lehre von den Staatsformen Braun, Rechtsphilosophie, S. 309. 158 Montesquieu, Vom Geist der Gesetze (1748), 2. Buch, Kap. 1, S. 106 u. 3. Buch, Kap. 2, S. 119 f. 159 Montesquieu, Vom Geist der Gesetze (1748), 3. Buch, Kap. 1, S. 119; hierzu Falk, Montesquieu, in: Denzer/Maier, Klassiker des politischen Denkens II, S. 41 (50). 160 Siehe Montesquieu, Vom Geist der Gesetze (1748), 3. Buch, Kap. 3 f., S. 120 ff. (Republik), 6. Kap., S. 126 (Monarchie), 9. Kap., S. 128 (Despotie); zu den Prinzipien siehe auch Braun, Rechtsphilosophie, S. 310 f. Im Gegensatz zu den anderen Staatsformen, deren Beschreibung heutzutage stellenweise wie eine „Bußpredigt“ wirke, soll das Motiv des Terrors immer noch den Kern der Despotie treffen, so Weigand in der Einleitung zu Montesquieu, Vom Geist der Gesetze (1748), S. 5, 34 f. 161 Falk, Montesquieu, in: Denzer/Maier, Klassiker des politischen Denkens II, S. 41 (50); ähnlich schon Montesquieu selbst, siehe Montesquieu, Vom Geist der Gesetze (1748), 3. Buch, Kap. 11, S. 131. 162 Zur Furcht als Prinzip der Despotie siehe Falk, Montesquieu, in: Denzer/Maier, Klassiker des politischen Denkens II, S. 41 (50). 163 Siehe Montesquieu, Vom Geist der Gesetze (1748), 11. Buch, Kap. 4, S. 215; zur politischen Freiheit bei Montesquieu siehe auch Braun, Rechtsphilosophie, S. 312 f.

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Einzelnen von seiner Sicherheit gründet.164 Insofern betont Montesquieu neben der Freiheit als solcher auch gerade das Bewusstsein dieser Freiheit.165 Er nimmt damit nicht nur die objektive, tatsächliche Sicherheit, sondern auch die subjektive Sicherheit als die Abwesenheit eines Gefühls des Bedrohtseins in den Blick.166 Teilweise ist insofern von einer „Psychologisierung des Verfassungslebens“ die Rede.167 Freiheit von Furcht kann insofern als wesentlicher Aspekt der politischen Freiheit bei Montesquieu aufgefasst werden.168 Keine Freiheit in diesem Sinne findet sich in der Despotie, hier ist Furcht gerade prägendes Element der Regierungsform.169 Aber auch bei den anderen Regierungsformen ist Freiheit und das Bewusstsein von Freiheit nicht selbstverständlich gegeben.170 Zur Gewährleistung politischer Freiheit bedarf es Sicherheit sowohl gegenüber anderen Bürgern als auch vor Zugriffen durch den Staat. Jedem Bürger muss danach ein Bereich persönlicher Sicherheit zukommen, in dem er vor willkürlicher Verletzung durch den Staat geschützt ist.171 Hier erkennt Montesquieu die Gefahr eines übermächtigen Staates; um Machtkonzentration und -missbrauch zu verhindern, bedarf es einer Trennung der Gewalten.172 Insofern finden sich Parallelen zum Ansatz Lockes.173 Aus heutiger Sicht handelt es sich bei dem von Montesquieu entworfenen Modell eher um ein Gleichgewicht der Machtverteilung als um eine Gewaltenteilung im strikten Sinne.174 Nichtsdestotrotz ist der Name Montesquieu 164 Montesquieu, Vom Geist der Gesetze (1748), 11. Buch, Kap. 6, S. 216; zum Verständnis von Freiheit siehe Montesquieu, Vom Geist der Gesetze (1748), 11. Buch, Kap. 3 f., S. 214 f. u. 12. Buch, Kap. 1 f., S. 254 ff. 165 Braun, Rechtsphilosophie, S. 312. 166 Auf die Subjektivität des Ansatzes Montesquieus weist Brugger, VVDStRL 63 (2004), S. 101 (116, Rn. 89) zutreffend hin. 167 So Weigand in der Einleitung zu Montesquieu, Vom Geist der Gesetze (1748), S. 33. 168 Siehe etwa Montesquieu, Vom Geist der Gesetze (1748), 11. Buch, Kap. 6, S. 216 f.; ähnlich wie hier: Braun, Rechtsphilosophie, S. 312. 169 Montesquieu, Vom Geist der Gesetze (1748), 11. Buch, Kap. 4, S. 215. Obwohl Montesquieu keiner Regierungsform per se den Vorrang gewährt, wird doch erkennbar, dass er die Despotie für schlecht hält, vgl. Braun, Rechtsphilosophie, S. 309, 311 ff.; deutlich Falk, Montesquieu, in: Denzer/Maier, Klassiker des politischen Denkens II, S. 41 (50 f.): „Schreckgespenst“. 170 Nach Montesquieu, Vom Geist der Gesetze (1748), 11. Buch, Kap. 4, S. 215 soll politische Freiheit nur in maßvollen Regierungen gegeben sein. 171 So Braun, Rechtsphilosophie, S. 312, der insofern auf die Nähe zum „Eigentum“ bei Locke hinweist. 172 Ansätzen zu einem System der Gewaltenteilung finden sich bei Montesquieu, Vom Geist der Gesetze (1748), 11. Buch, Kap. 6, S. 216 ff. 173 Anders als Locke unterschiedet Montesquieu drei Gewalten: Gesetzgebung, Exekutive und richterliche Gewalt. Zur Gewaltenteilung bei Montesquieu siehe: Muhlack, Montesquieu, in: Merten, Gewaltentrennung, S. 37 (44 f.); Hidalgo, in: Voigt/Weiß, Handbuch Staatsdenker, S. 294 (295 f.); Braun, Rechtsphilosophie, S. 311 ff.; ferner die Einleitung von Weigand in Montesquieu, Vom Geist der Gesetze (1748), S. 44 f. 174 Falk, Montesquieu, in: Denzer/Maier, Klassiker des politischen Denkens II, S. 41 (52 f.).

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Teil 1: (Rechts-)historische Ursprünge und staatstheoretisches Fundament

untrennbar mit dem Gedanken der Gewaltenteilung verknüpft und beeinflusste so das moderne, demokratische Rechtsdenken.175 Auch im Entstehungsprozess des Grundgesetzes nahmen die Ideen Montesquieus eine maßgebliche Rolle ein.176

IV. Zwischenergebnis In ihrem Ausgangspunkt ist den Theorien die Annahme gemein, dass Furcht als Handlungsantrieb menschliches Verhalten beeinflussen kann.177 So geht Hobbes davon aus, dass sowohl Hoffnung als auch Furcht unseren Willen und somit unsere Handlungen bestimmen.178 Montesquieu identifiziert Furcht als wesentliche Antriebskraft des Menschen.179 Die Bedeutung von Furcht für ein Staatswesen wird indes unterschiedlich bewertet. Der Gedanke einer Freiheit von Furcht prägt das Verständnis des Staates auf unterschiedliche Weise und in unterschiedlichem Maße: Für Hobbes ist Freisein von Furcht wesentlicher Bestandteil persönlicher Sicherheit. In der gegenseitigen Furcht, welche im Naturzustand herrscht, erkennt er den Ursprung des Staates, weshalb die Gewährleistung persönlicher Sicherheit, mithin Freiheit von Furcht, den Zweck des Staates darstellt. Darauf aufbauend erkennt Locke, dass auch der Staat selbst zur Bedrohung persönlicher Sicherheit werden kann. Furcht entsteht hier angesichts einer unbegrenzten Staatsgewalt. Während Hobbes die Frage nach Sicherheit durch den Staat stellt, wendet sich Locke (auch) der Sicherheit vor dem Staat zu.180 Anders gewendet nimmt Locke die Freiheit der Bürger in den Blick, wobei die „Freiheitsphilosophie“ Lockes nicht die „Sicherheitsphilosophie“ Hobbes’ ersetzt, sondern diese zur Grundlage nimmt und weiterentwickelt.181 Ähnliches gilt für die Staatstheorie Montesquieus. Dabei tritt jedoch die Subjektivität von Furcht als Zustand geistiger Beunruhigung in den Fokus.

175

Obwohl Montesquieu als ein Begründer der Gewaltenteilungslehre angesehen werden kann, unterscheidet sich sein Modell von unserer modernen Gewaltenteilung, hierzu Braun, Rechtsphilosophie, S. 313. 176 Siehe Mass, in: Merten, Gewaltentrennung, S. 47 (48 ff.); Muhlack, in: Merten, Gewaltentrennung, S. 37 (37). 177 Nonnenmacher, Ordnung der Gesellschaft, S. 17 f. 178 Hobbes, Vom Bürger (1642), Kap. V, Abschn. 1; anschaulich beschreibt Hobbes Flucht, Verteidigung und Kampf als mögliche Reaktionen auf Furcht, siehe Hobbes, Vom Bürger (1642), Kap. I, Abschn. 2 (Anm.). 179 Montesquieu, Vom Geist der Gesetze (1748), 3. Buch, Kap. 1, S. 119. 180 Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 6. 181 Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 7.

C. Aussagekraft und Anschlussfähigkeit

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C. Aussagekraft und Anschlussfähigkeit Mit Blick sowohl auf die historischen Ursprünge, als auch auf die staatstheoretischen Hintergründe stellt sich die Frage nach Relevanz und Anschlussfähigkeit für ein modernes Verständnis von Freiheit von Furcht.182 Fraglich ist, ob eine inhaltliche Verbindung zwischen „freedom from fear“ bei Roosevelt, den staatstheoretischen Hintergründen und einem Verständnis von Freiheit von Furcht unter dem Grundgesetz gezogen werden kann, oder ob sich der Zusammenhang in der Verwendung derselben Begrifflichkeit erschöpft. Im verfassungsrechtlichen Schrifttum finden sich immer wieder Verweise auf den historischen Ursprung des Begriffs Freiheit von Furcht in der Vier-Freiheiten-Rede Roosevelts sowie auf die genannten Staatstheorien.183 Dabei werden Bezüge jedoch überwiegend im Zusammenhang mit dem Problem zwischenmenschlicher Furcht hergestellt. Insbesondere bei der Frage nach einer staatlichen Gewährleistung von Sicherheit werden die vier Freiheiten Roosevelts und die Staatstheorie Hobbes’ bemüht.184 Die vorliegende Untersuchung bezieht sich jedoch im Kern auf Einschüchterungswirkungen staatlicher Maßnahmen, mithin auf Furcht vor dem Staat selbst. Hier geht es nicht um Sicherheit durch den Staat, sondern vor dem Staat. Somit rückt nicht die Frage nach Sicherheit, sondern nach Freiheit in den Fokus. Diese Perspektive von Freiheit von Furcht hat bisher im Zusammenhang mit den Staatstheorien wenig Beachtung gefunden. Wie allerdings in den vorangegangenen Ausführungen deutlich wurde, berühren insbesondere die Staatstheorien Lockes und Montesquieus durchaus die Frage nach Furcht vor dem Staat bzw. der Staatsgewalt. Insofern trägt der staatstheoretische Hintergrund auch ein Verständnis von Freiheit von Furcht, welches sich auf Furcht vor staatlichem Handeln konzentriert. Für die historischen Ursprünge des Begriffs gilt Ähnliches. Es hat sich gezeigt, dass der Begriff ursprünglich primär auf Furcht vor Krieg und militärischen Aggressionen bezogen war. Diese inhaltliche Begrenzung ist indes dem Begriff nicht immanent, sondern auf den historischen Kontext zurückzuführen. Dabei schließt die historische Bedeutung einen Bedeutungswandel bzw. ein weitergehendes Verständnis, insbesondere in Richtung einer Freiheit von Furcht gegenüber dem Staat, nicht aus. Vielmehr finden sich bereits in der historischen Entwicklung Ansätze einer weitergehenden Deutung. Bereits der Blick auf die historischen Ursprünge und das staatstheoretische Fundament von Freiheit von Furcht machte deutlich, dass Furcht menschliche 182

Zum Problem der Anschlussfähigkeit staatstheoretischer Aspekte siehe allgemein Brugger, VVDStRL 63 (2004), S. 101 (124 f.). 183 Siehe etwa Bode, Ermittlungsmaßnahmen, S. 122; Schewe, Sicherheitsgefühl, S. 58 ff.; Brugger, VVDStRL 63 (2004), S. 101 (116); Denninger, VVDStRL 37 (1979), S. 7 (28). 184 Statt vieler Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 3 ff., 26.

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Teil 1: (Rechts-)historische Ursprünge und staatstheoretisches Fundament

Freiheit bedrohen kann. Umgekehrt wird Freiheit von Furcht als elementar für die Freiheitsausübung identifiziert. Insbesondere die staatstheoretischen Ansätze können eine Erklärung dafür bieten, weshalb der Bürger grundsätzlich auch gegen Furcht geschützt werden muss, die vom Staat ausgeht. Die Staatsgewalt dient nicht nur der Schaffung von Sicherheit und Frieden, sondern kann selbst Gegenstand von Furcht werden. Während Hobbes’ vorrangig zwischenmenschliche Furcht als Ausgangspunkt des Staates betrachtet, nehmen die Staatstheorien Lockes und Montesquieus Furcht vor einem übermächtigen Staat ernst und entdecken gerade hierin den Grund für eine Begrenzung der Staatsmacht. Freiheit von Furcht kommt somit eine wesentliche Bedeutung im Verhältnis zwischen Bürger und Staat zu. Somit zeigen bereits die historischen Ursprünge und das staatstheoretische Fundament Aspekte einer Freiheit von Furcht im Verhältnis zwischen Bürger und Staat auf. Zugleich können naturgemäß weder Historie noch Staatstheorie unmittelbare Aussagen zum geltenden Verfassungsrecht treffen.

Teil 2

Analyse der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts A. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Um sich der Bedeutung von Freiheit von Furcht für das Verfassungsrecht zu nähern, soll im Folgenden die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts analysiert werden. Neben der Klärung des konkreten Rechtsstreits kommt der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung oft richtungsweisende und über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu.1 Gegenstand der Untersuchung bilden Entscheidungen, die sich mit einer Furcht des Bürgers vor dem Staat befassen. Insofern ist anzumerken, dass sich das Bundesverfassungsgericht der Thematik insbesondere unter dem Stichwort des „Einschüchterungseffekts“ nähert. Das Gericht thematisiert Einschüchterungseffekte bisher nur in Entscheidungen zu Verfassungsbeschwerden, in anderen Verfahren taucht der Begriff nicht auf.2 Bereits dies deutet auf eine vorrangig grundrechtliche Relevanz hin. Insgesamt ist die Bedeutung von Einschüchterungseffekten jedoch noch weitgehend ungeklärt. Gedanklichen Leitfaden der Analyse bilden daher folgende Fragen: - Wie bestimmt das Bundesverfassungsgericht die Begriffe „Freiheit von Furcht“ und „Einschüchterungseffekte“? - Welchen Maßnahmen wird einschüchternde Wirkung beigemessen? - Welche dogmatische Bedeutung kommt Einschüchterungseffekten im System grundrechtlicher Freiheiten zu? Um sich diesen Fragen zu nähern, werden relevante Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts betrachtet und auf ihren spezifischen Aussagegehalt hin untersucht. Dabei können und sollen die einzelnen Sachentscheidungen nicht umfassend und ausführlich dargestellt werden; vielmehr richtet sich der Blick darauf, inwiefern die Entscheidungen zu einer Konkretisierung und Systematisierung von Freiheit von Furcht bzw. von Einschüchterungseffekten beitragen können. 1 Allgemein zur Funktion und Bedeutung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vgl. Löwer, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 70 Rn. 171; Papier, in: Merten/Papier, HGR III, § 80 Rn. 3; Schlaich/Korioth, Bundesverfassungsgericht, Rn. 205. 2 Siehe bereits die Entscheidungen BVerfGE 43, 130 (136) und BVerfGE 65, 1 (42 ff.) sowie zuletzt BVerfGE 133, 277 (348).

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Teil 2: Analyse der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

I. Terminologie und Definition 1. Uneinheitliche Terminologie Gerade in neueren Entscheidungen verwendet das Bundesverfassungsgericht überwiegend den Begriff „Einschüchterungseffekt“3, teilweise ersetzt durch „einschüchternde Wirkung“4, „Einschüchterung“5 oder „abschreckender Effekt“.6 Daneben finden sich noch andere Bezeichnungen für einschüchternde Wirkungen: das Gericht spricht von beengenden7, präventiven8, hemmenden9, beeinträchtigenden10 sowie schlicht nachteiligen11 oder negativen12 Wirkungen auf den Grundrechtsgebrauch. Schließlich ist teilweise explizit von „Angst“ oder „Furcht“ vor staatlichen Maßnahmen, oder – positiv gewendet – von einer Unbefangenheit des Grundrechtsgebrauchs die Rede.13 Unbestimmter warnt das Gericht vor einem „Gefühl des Überwachtwerdens“14 oder des „Beobachtetseins“15. Lediglich ein Sondervotum bedient sich ausdrücklich des Ausdrucks „Freiheit von Furcht“.16 Hinweise darauf, dass die unterschiedlichen Begriffe eine inhaltliche Differenzierung nach sich ziehen, fehlen.17 In der Sache geht es in den betreffenden Fällen um Einschüchterungseffekte. Für ein weitgehend synonymes Verständnis spricht auch, 3 BVerfG, NJW 1992, S. 1153 (1153); BVerfGE 97, 125 (156); 109, 279 (354); 113, 29 (46); 114, 339 (351); 115, 166 (188); 115, 320 (354); BVerfG-K, NJW 2006, S. 3769 (3773); BVerfG-K, NJW 2007, S. 351 (354); BVerfGE 117, 244 (272); BVerfG-K, NJW 2008, S. 1654 (1655); BVerfGE 120, 351 (374); 120, 378 (402, 430); 121, 1 (20); 122, 342 (365, 371 f.); 125, 260 (332). In einzelnen Entscheidungen werden Einschüchterungseffekte thematisiert, jedoch mit Blick auf die in Rede stehende Maßnahme verneint: BVerfG, NJW 2010, S. 2717 (2718); BVerfGK 17, 469 (475). 4 BVerfGE 43, 130 (136); 81, 278 (289); BVerfG, NJW 2005, S. 965 (965); BVerfGE 114, 339 (349 f.); 117, 244 (259); BVerfG-K, NJW 2008, S. 1654 (1655); BVerfG, NJW 2009, S. 908 (909); vgl. auch BVerfGE 118, 168 (203); 122, 342 (369); BVerfG, NJW 2010, S. 2193 (2194 f.). 5 BVerfGE 57, 250 (269). 6 BVerfGE 93, 266 (292); 113, 29 (46); BVerfG-K, NJW 2007, S. 351 (354); BVerfGE 115, 166 (188); 115, 320 (354 f.); vgl. auch BVerfGE 97, 125 (151); 107, 299 (330); ähnlich auch BVerfG-K, NVwZ 2007, S. 688 (690): „abschreckend“. 7 BVerfGE 7, 198 (211). 8 BVerfGE 54, 129 (136). 9 BVerfGE 65, 1 (43); BVerfG, NJW 1996, S. 310 (310); BVerfGE 115, 166 (188). 10 BVerfGE 118 (183); 100, 313 (381). 11 BVerfG-K, NJW 2008, S. 1654 (1656); BVerfGE 81, 278 (290). 12 BVerfGE 43, 130 (136); 114, 339 (349). 13 BVerfGE 65, 1 (4); 93, 266 (292); 113, 348 (383); 120, 274 (323, 335). 14 BVerfGE 107, 299 (328); 115, 320 (354 f.); 120, 378 (402, 430); 122, 342 (371). 15 Etwa BVerfGE 125, 260 (320): „diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins“. 16 Sondervotum Haas BVerfGE 115, 320 (375). 17 Vgl. Rath, KJ Beiheft 01/2009, S. 65 (69).

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dass innerhalb einzelner Entscheidungen zur Beschreibung derselben Maßnahme unterschiedliche Begriffe gewählt werden.18 Dies gilt insbesondere für die Termini „Einschüchterung“ und „Abschreckung“.19 Dass der Begriff „Freiheit von Furcht“ lediglich in einem Sondervotum Erwähnung findet, lässt sich der Tatsache zuschreiben, dass die Entscheidungen ihren Blick weniger auf den angstfreien Zustand als solchen (Freiheit von Furcht), als vielmehr auf die freiheitsverkürzenden Wirkung der in Rede stehenden staatlichen Handlung (Einschüchterungseffekt) richten. Dabei lässt sich der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht prima facie entnehmen, wie Einschüchterungseffekte zu bestimmen sind. Während die Verwendung von Begriffen wie „Furcht“, „Befürchtungen“, „Angst“ und „Gefühl des Überwachtwerdens“ ein subjektives Verständnis nahelegen,20 streiten die Formulierung „welche Nachteile drohen […] oder […] nicht ohne Grund befürchtet werden“21 und nicht zuletzt der Begriff des Einschüchterungseffekts22 für ein objektiviertes Verständnis. Schließlich spricht das Gericht auch im Zusammenhang mit einer Verhaltensbeeinflussung juristischer Personen von Einschüchterungseffekten.23 Diese können jedoch keine „Furcht“ empfinden. Auf die Frage der Subjektivität von Furcht wird in der weiteren Arbeit noch einzugehen sein.24 An dieser Stelle ist festzuhalten, dass in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht rein subjektive Empfindungen und Gefühle zum Bewertungsmaßstab erhoben werden. Vielmehr deuten die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts auf ein objektiviertes Verständnis hin.25 2. Einschüchterungseffekte als nachteilige Wirkungen auf die Freiheitsausübung Obwohl sich das Bundesverfassungsgericht in zahlreichen Entscheidungen26 mit Einschüchterungseffekten und einer Furcht des Bürgers vor staatlichen Maßnahmen 18 Vgl. nur BVerfGE 115, 320 (354 f.): „Einschüchterungseffekte“, „abschreckender Effekt“, „Gefühl des Überwachtwerdens“, sowie Richterin Haas in ihrem Sondervotum zu der Entscheidung: „Freiheit von Furcht“, siehe BVerfGE 115, 320 (375); ähnlich auch BVerfGE 115, 166 (188). 19 So auch Rath, KJ Beiheft 01/2009, S. 65 (69). Dies entspricht zugleich dem allgemeinen Sprachgebrauch. 20 BVerfGE 107, 299 (328); 115, 320 (355); 120, 378 (402). 21 Etwa BVerfGE 100, 313 (376); 109, 279 (353); fast wortgleich auch BVerfGE 107, 299 (320) – Hervorhebung durch die Verfasserin. 22 Etwa BVerfGE 109, 279 (354); 113, 29 (46); 114, 339 (351); 115, 166 (188); 117, 244 (272); 121, 1 (20). 23 BVerfGE 118, 168 (203). 24 Näher unter in Teil 3 B. IV. 1. der Arbeit. 25 Dies nimmt auch Schwabenbauer, Heimliche Grundrechtseingriffe, S. 149 f. an. 26 Siehe die Rechtsprechungsnachweise im vorhergehenden Abschnitt, insbesondere Fn. 210 – 223.

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befasst, werden die relevanten Begriffe nicht definiert. Lässt sich der Rechtsprechung dennoch ein kohärentes Begriffsverständnis entnehmen? Eine Präzisierung kann in zwei Richtungen erfolgen. Zum einen wird der Begriff der Einschüchterungseffekte vom Bundesverfassungsgericht ganz überwiegend in Zusammenhang mit den Wirkungen staatlicher Handlungen verwendet.27 Keine Anwendung findet er hingegen in Fällen zwischenmenschlicher Furcht, also etwa Einschüchterungen durch andere Bürger. Gleiches gilt für andere Auslöser von Furcht, wie etwa Umweltbedrohungen. Eine abweichende Begriffsverwendung findet sich einzig im Sondervotum der Richterin Haas, die auf eine Einschüchterung der Bürger durch Terrorismusgefahren hinweist.28 Zum anderen nimmt das Gericht nur solche Einschüchterungswirkungen in den Blick, die zu Lasten grundrechtlich geschützter Freiheiten gehen.29 Wiederholt wird auf die Gefahr einer Befangenheit in Kommunikation, aber auch in sonstigem Verhalten, hingewiesen.30 Eine Zielgerichtetheit wird dabei weder verlangt noch in anderer Weise thematisiert,31 sodass der Begriff der Einschüchterungseffekte nach dem Verständnis des Bundesverfassungsgerichts sowohl bezweckte als auch unbezweckte staatlicher Handlungen umfasst. 3. Einschüchterungseffekte als gesamtgesellschaftliche Auswirkungen In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts werden Einschüchterungseffekte nicht ausschließlich, aber insbesondere in Fällen thematisiert, in denen eine staatliche Maßnahme eine Vielzahl von Bürgern betrifft. Das Gericht betont vielfach, dass einschüchternde Wirkungen nicht nur individuelle Entfaltungschancen beeinträchtigen könnten, sondern auch das Gemeinwohl, da Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen und demokratischen Gemeinwesens sei.32 So werden neben der individuellen Beeinträchtigung des einzelnen Grundrechtsträgers auch – teilweise sogar vorrangig – nachteilige Wirkungen von Einschüch27 Siehe nur BVerfGE 43, 130 (136); 81, 278 (289); 109, 279 (354); BVerfG, NJW 2005, S. 965 (965); BVerfGE 114, 339 (349 f.); 121, 1 (20); 122, 342 (365 ff.). 28 Siehe Sondervotum Haas BVerfGE 115, 320 (376): „Eingeschüchtert hingegen und in seinem Verhalten beeinflusst wird der Einzelne durch die Furcht, die durch die Bedrohung von weltweit agierenden Terroristen verursacht wird (…).“ 29 Siehe etwa BVerfGE 65, 1 (42 f.); 113, 29 (46); 114, 339 (349 f.). 30 BVerfGE 43, 130 (136); 109, 279 (354); 113, 348 (383); 115, 320 (354); 120, 274 (323); vgl. auch bereits BVerfGE 34, 238 (246) sowie BVerfGE 100, 313 (381); 109, 279 (313); allgemeiner zuletzt BVerfGE 125, 260 (320): „unbefangene Wahrnehmung der Grundrechte“. 31 Rath, KJ Beiheft 01/2009, S. 65 (68). 32 BVerfGE 65, 1 (42); 113, 29 (46); 120, 378 (430); siehe auch BVerfGE 81, 278 (289); 100, 313 (381); 107, 299 (328); 109, 279 (328, 354); 114, 339 (349 f.); 115, 166 (188); 115, 320 (354 f.); 120, 274 (323); BVerfG-K, NJW 2007, S. 351 (354); BVerfG-K, NJW 2008, S. 1654 (1655); ähnlich auch bereits BVerfGE 7, 198 (211).

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terung auf die Gesellschaft insgesamt in die verfassungsrechtliche Bewertung einbezogen.

II. Staatliche Maßnahmen als Auslöser für Einschüchterungseffekte Betrachtet man die staatlichen Handlungen, welchen das Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen bislang einschüchternde Wirkung beigemessen hat, so lassen sich grob zwei Bereiche unterscheiden.33 Zum einen findet die Argumentationsfigur im Bereich staatlicher Sanktionen Verwendung (1.), insbesondere im Zusammenhang mit strittigen Meinungsäußerungen, zum anderen im Bereich staatlicher Informationserhebung und -verarbeitung (2.). 1. Staatliche Sanktionen Die Figur der Einschüchterungseffekte bzw. der einschüchternden Wirkung kann als fester Bestandteil bundesverfassungsgerichtlicher Entscheidungen im Zusammenhang mit staatlichen Sanktionen gesehen werden.34 Überwiegend betreffen die Fälle Konstellationen, in denen das Bundesverfassungsgericht fachgerichtliche Entscheidungen zu strittigen Meinungsäußerungen überprüft. Dabei wird in der rechtlichen Beurteilung zwischen straf- und zivilrechtlichen Sanktionen, zivilrechtlichen Unterlassungsansprüchen und verwaltungsgerichtlichen Sanktionen differenziert.35 Sofern es in den bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidungen um die Deutung strittiger Äußerungen und die Auslegung und Anwendung der entsprechenden Normen durch die Fachgerichte geht, handelt es sich dabei dogmatisch um Konstellationen mittelbarer Drittwirkung von Grundrechten.36

33 Ähnlich Schwabenbauer, Heimliche Grundrechtseingriffe, S. 140 f., der zwischen „Auslegung und Gewichtung strittiger Meinungsäußerungen“ und „grundrechtsrelevante[r] Informationserhebung“ unterscheidet. Siehe auch Rath, KJ Beiheft 01/2009, S. 65 (69 ff.), der jedoch die Herleitung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung als dritten, eigenständigen Bereich auffasst. 34 Vgl. etwa BVerfGE 81, 278 (289 ff.) (Bestrafung wegen Verunglimpfung der Bundesflagge); BVerfGE 93, 266 (268, 292) (Verurteilungen wegen Beleidigung der Bundeswehr und einzelner Soldaten – „Soldaten sind Mörder“); BVerfGE 114, 339 (339 ff.) (Anspruch auf Unterlassung wegen der Verbreitung herabsetzender Äußerungen); BVerfG, NJW 2009, S. 908 (909) (Verurteilung wegen der Verunglimpfung staatlicher Symbole); BVerfG, NJW 2010, S. 2193 (Verurteilung wegen Volksverhetzung); BVerfG, ZUM-RD 2011, S. 205 (206) (Staatlich auferlegtes Publikationsverbot). 35 Vgl. BVerfGE 114, 339 (349 ff.); siehe auch: BVerfG-K, NJW 2008, S. 1654 (1656); BVerfG-K, NJW 2006, S. 3769 (3772 f.). 36 So auch Schwabenbauer, Heimliche Grundrechtseingriffe, S. 140.

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Teil 2: Analyse der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

a) Unsicherheit über drohende Nachteile Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts können Einschüchterungseffekte entstehen, wenn mit der Ausübung grundrechtlicher Freiheiten ein Risiko staatlicher Sanktionen verbunden ist. Dies vor allem mit Blick auf die Meinungsfreiheit, aber auch im Zusammenhang mit anderen Kommunikationsfreiheiten, wie der Presse- oder Kunstfreiheit.37 Die Wahrnehmung der von Art. 5 GG geschützten Grundrechte dürfe nicht mit unvorhersehbaren oder unverhältnismäßigen Haftungsrisiken verbunden werden; es sei zu vermeiden, dass Sanktionen einschüchternde Wirkungen auf den Grundrechtsgebrauch auslösten.38 Der Grund für die Einschüchterung liegt hier in der Unsicherheit darüber, welche Äußerung oder welches Verhalten zu Sanktionen oder – allgemeiner gefasst – zu Nachteilen führen wird. Ist beispielsweise für den Einzelnen nicht erkennbar, welche seiner Äußerungen zu einem Schmerzensgeldanspruch führen können, so kann dies hemmend auf seine Bereitschaft sich zu äußern wirken. Ähnliches gilt grundsätzlich für alle Formen von Nachteilen, die im Zusammenhang mit der Ausübung von Grundrechten drohen: Schwebt über der Wahrnehmung einer grundrechtlichen Freiheit – etwa der Teilnahme an einer Versammlung – das Risiko hoher finanzieller oder persönlicher Einbußen, so kann dies einschüchternd wirken und zu einem Verzicht bei der Grundrechtsausübung führen. b) Straf- und zivilrechtliche Sanktionen Das Argument der einschüchternden Wirkung taucht erstmals ausdrücklich in einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1976 auf.39 Gegenstand der Entscheidung war eine Verurteilung wegen einer ehrverletzenden Äußerung, wobei das Fachgericht eine strittige Äußerung als „versteckte“ Tatsachenbehauptung gedeutet und mit einer Geldstrafe belegt hatte, obwohl auch eine andere Deutung möglich gewesen wäre. Das Bundesverfassungsgericht weist in seiner Entscheidung darauf hin, dass dieses Vorgehen eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit darstellen könne und führt auszugsweise aus: „Über die Beeinträchtigung der individuellen Freiheit […] hinaus würden die negativen Wirkungen auf die generelle Ausübung des Grundrechts der Meinungsfreiheit von erheblicher Tragweite sein […]. Denn ein solches Vorgehen staatlicher Gewalt würde, nicht zuletzt wegen seiner einschüchternden Wirkung, freie Rede, freie Information und freie Meinungsbildung empfindlich berühren und damit die Meinungsfreiheit in ihrer Substanz treffen.“40 37

Vgl. BVerfG-K, NJW-RR 2007, S. 1194 (1194); mit Blick auf die Kommunikationsfreiheiten: BVerfG, NJW 2010, S. 2193 (2195); zur Kunstfreiheit: BVerfGE 81, 278 (290); zur Pressefreiheit: BVerfGE 97, 125 (144 ff.); BVerfG-K, NJW 2008, S. 1654 (1654 ff.). 38 BVerfG-K, NJW-RR 2007, S. 1194 (1194). 39 BVerfGE 43, 130 (136). 40 BVerfGE 43, 130 (136).

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Insofern wird der strafrechtlichen Verurteilung zu einer Geldstrafe einschüchternde Wirkung beigemessen. Dabei greift das Gericht Überlegungen aus einem Sondervotum der Richterin Rupp-v. Brünneck zu einer früheren Entscheidung auf.41 Im Zusammenhang mit der Untersagung einer strittigen Äußerung hatte Ruppv. Brünneck auf die Gefahr einer „Verunsicherung“ hingewiesen, die dazu führen könne, dass Betroffene „im Zweifel von der Äußerung des bestimmten Gedankeninhalts lieber ganz absehen, als sich dem Risiko erneuter und diesmal womöglich härterer Sanktionen auszusetzen“.42 Problematisch sei die „generalpräventive Wirkung“, welche sich nicht nur auf das künftige Verhalten der Betroffenen, sondern auch auf die „Fernwirkung auf andere Presseorgane und Publizisten“ beziehe.43 Dabei ginge es auch um das „freiheitliche Klima der politischen Auseinandersetzung“.44 Bereits in der Lüth-Entscheidung aus dem Jahr 1958 geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass von einer Beschränkung der Meinungsfreiheit einem Einzelnen gegenüber nachteilige Wirkungen auf die Möglichkeit der Meinungsäußerung insgesamt ausgehen können.45 Davon ausgehend wurde die Argumentation mit Einschüchterungseffekten zum festen Bestandteil vergleichbarer Entscheidungen. Bei der Überprüfung strafrechtlicher46 und zivilrechtlicher47 Sanktionen, welche nachträglich an eine Äußerung anknüpfen, gilt der Grundsatz, dass die Meinungsfreiheit verletzt wird, wenn das Fachgericht bei mehrdeutigen Äußerungen die zu einer Verurteilung führende Bedeutung zu Grunde legt, ohne eine nicht zur Verurteilung führende Deutung mit hinreichender Begründung ausgeschossen zu haben.48 Sofern auch eine nicht zur Verurteilung führende Deutung möglich ist, verstoßen ein Strafurteil oder eine zivilrechtliche Verurteilung zu Schadensersatz, zum Widerruf oder zur Berichtigung gegen die Meinungsfreiheit.49 Zur Begründung wird ausgeführt: „Müsste der Äußernde befürchten, wegen einer erfolgten Meinungsäußerung verurteilt zu werden, obgleich Formulierung und Umstände der Äußerung auch eine nicht zur Verurteilung führende Deutung zulassen, könnte dies zur Unterdrückung einer zulässigen Äu-

41

In dem Sondervotum der Richterin Rupp-v. Brünneck werden die negativen Wirkungen für die generelle Grundrechtsausübung betont, siehe BVerfGE 42, 143 (154 ff.). 42 BVerfGE 42, 143 (159). 43 BVerfGE 42, 143 (159). 44 BVerfGE 42, 143 (162). 45 BVerfGE 7, 198 (211 f.). 46 Etwa BVerfGE 43, 130 (135 ff.); 57, 250 (262 ff.); 81, 278 (289 ff.); 93, 266 (289 ff.). 47 Vgl. BVerfGE 54, 129 (135 f., 139); 94, 1 (9); siehe auch BVerfGE 114, 339 (349). 48 Vgl. BVerfGE 93, 266 (295 ff.); 94, 1 (9); 114, 339 (346); BVerfG-K, NJW 2006, S. 3769 (3772). 49 Vgl. zu strafrechtlichen Verurteilungen: BVerfGE 43, 130 (136); 93, 266 (296); zu zivilrechtlichen Verurteilungen: BVerfGE 86, 1 (11 f.).

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Teil 2: Analyse der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ßerung führen und es könnten Einschüchterungseffekte eintreten, die dem Grundrecht der Kommunikationsfreiheit zuwiderliefen.“50

Eine Verurteilung könne sich nachteilig auf den Grundrechtsgebrauch auswirken, da die Äußerungsbereitschaft sinke, wenn Äußerungswillige selbst wegen fernliegender oder unhaltbarer Deutungen von Äußerungen dem Risiko von Sanktionen ausgesetzt seien.51 So verbiete die Meinungsfreiheit etwa eine Auslegung der §§ 185 ff. StGB, von der ein abschreckender Effekt auf die Grundrechtsausübung ausgehe, der dazu führen kann, dass aus Furcht vor Sanktionen auch zulässige Kritik unterbleibt.52 Im Zusammenhang mit einer Verurteilung zur Zahlung von Schmerzensgeld wurde angenommen, diese entfalte „unvermeidlich präventive Wirkungen, indem sie das Äußern kritischer Meinungen einem hohen finanziellen Risiko unterwirft“. Dies könne sich hemmend auf zukünftige kritische Äußerungen auswirken und so „eine Beeinträchtigung freier geistiger Auseinandersetzung bewirken, die an den Kern grundrechtlicher Gewährleistung rühren muss“.53 Auch bei der Überprüfung von Gegendarstellungsansprüchen setzt sich das Gericht mit möglichen Einschüchterungseffekten auseinander.54 Ziel sei es, „Einschüchterungseffekte für den Äußernden nach Möglichkeit zu vermeiden“.55 So dürfe beispielsweise eine Abdruckanordnung die Presse nicht längerfristig vom Gebrauch ihrer grundrechtlichen Freiheit abschrecken.56 Es zeigt sich, dass das Bundesverfassungsgericht Einschüchterungseffekte regelmäßig bei der Überprüfung fachgerichtlicher Entscheidungen zu mehrdeutigen Äußerungen thematisiert. Daneben spricht das Gericht die Gefahr von Einschüchterungseffekten auch bereits im Zusammenhang mit der Auslegung und Anwendung der entsprechenden (Sanktions-)Normen an.57 Insbesondere Unsicherheiten über den Anwendungsbereich und die Auslegung von Strafnormen können danach ebenfalls Einschüchterungen bewirken.

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1 (9). 51

BVerfG-K, NJW 2008, S. 1654 (1655); vgl. BVerfGE 43, 130 (136); 54, 129 (136); 94,

BVerfGE 94, 1 (9); vgl. BVerfGE 43, 130 (136). BVerfGE 93, 266 (292), dort als ständige Rechtsprechung bezeichnet. 53 BVerfGE 54, 129 (136). 54 BVerfG-K, NJW 2008, S. 1654 (1655); BVerfGE 97, 125 (125 ff.). 55 BVerfG-K, NJW 2008, S. 1654 (1656). 56 BVerfG-K, NJW 2008, S. 1654 (1656). Danach kann einer Anordnung zum Abdruck einer Gegendarstellung belastende Wirkungen für den Grundrechtsgebrauch zu kommen, die im Rahmen der verfassungsrechtlichen Prüfung zu berücksichtigen seien. 57 Siehe etwa BVerfGE 57, 250 (269) für die Vorschrift des § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Eine Einschüchterungswirkung wurde im konkreten Fall indes verneint. 52

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c) Zivilrechtliche Unterlassungsansprüche Anders beurteilt das Bundesverfassungsgericht hingegen Ansprüche auf Unterlassung künftiger Äußerungen.58 Sofern der Betroffene die Möglichkeit habe, mehrdeutige Äußerungen zukünftig zu vermeiden oder gegebenenfalls deren Inhalt klarzustellen, sei ein „den Prozess freier Meinungsäußerung und -bildung beeinträchtigender Einschüchterungseffekt […] nicht zu erwarten“.59 Insoweit bleibe das Selbstbestimmungsrecht über den Inhalt der Äußerung unangetastet; eine Verletzung der Meinungsfreiheit sei nicht anzunehmen.60 d) Verwaltungsrechtliche Sanktionen Das Bundesverfassungsgericht hat bisher lediglich in einer Entscheidung einschüchternde Wirkungen im Zusammenhang mit verwaltungsrechtlichen Sanktionen angenommen. In der einstweiligen Anordnung gegen das Bayerische Versammlungsgesetz hat das Gericht den Bußgeldvorschriften des Gesetzes einschüchternde Wirkung beigemessen, sofern sie die Ausübung der Versammlungsfreiheit dem schwer kalkulierbaren Risiko persönlicher Sanktionen unterwerfen.61 Das Risiko von Sanktionen könne eine unbefangene Wahrnehmung des elementaren demokratischen Kommunikationsgrundrechts stören.62 Anders als in den vorgenannten Entscheidungen werden einschüchternde Wirkungen hier direkt im Zusammenhang mit der Sanktionsnorm selbst und nicht erst bei deren Anwendung bzw. Überprüfung durch die Fachgerichte thematisiert. Damit werden Einschüchterungseffekte angesichts eines Sanktionsrisikos angenommen, ohne dass eine Konstellation grundrechtlicher Drittwirkung vorliegt. 2. Staatliche Überwachung und Informationstätigkeit Vor allem aber findet die Argumentationsfigur des Einschüchterungseffekts im Zusammenhang mit staatlichen Überwachungsmaßnahmen sowie staatlicher Informationstätigkeit Verwendung.63 Gemeint sind insbesondere informationelle oder 58 Zu einem Unterlassungsanspruch bei merhdeutigen Äußerungen eindeutig BVerfGE 114, 339 (349 ff.); siehe auch BVerfG-K, NJW 2008, S. 1654 (1655); BVerfG-K, NJW 2006, S. 3769 (3770 ff.); ferner bereits BVerfG, NJW 1992, S. 1153. Kritisch zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Unterlassungsansprüchen Mann, AfP 2008, S. 6 (7 ff.). 59 BVerfGE 114, 339 (351). 60 BVerfG-K, NJW 2008, S. 1654 (1656); siehe auch BVerfG-K, NJW 2006, S. 3769 (3773). 61 BVerfGE 122, 342 (365); zum Risiko, im Zusammenhang mit der Ausübung der Versammlungsfreiheit straf- oder haftungsrechtlich herangezogen zu werden, siehe bereits BVerfGE 69, 315 (358). 62 BVerfGE 122, 342 (365). 63 Schwabenbauer, Heimliche Grundrechtseingriffe, S. 141 spricht von „Informationserhebung“. Rath, KJ Beiheft 01/2009, S. 65 (74) nennt „staatliche Informationseingriffe“.

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Teil 2: Analyse der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

informationsbezogene Maßnahmen des Staates, welche auf eine Datenerhebung und -verarbeitung abzielen, mithin Maßnahmen, die als Mittel zur Informationsbeschaffung dienen.64 Neben Maßnahmen technischer Datenerhebung und -verarbeitung können hierzu auch „klassische“ Maßnahmen der Überwachung und Registrierung zählen, wie etwa die Beobachtung durch einen Polizisten ohne technische Hilfsmittel oder eine Durchsuchung. a) „Unsicherheit, wer wann was und bei welcher Gelegenheit weiß“ Zentrale Ausführungen zur Entwicklung der Figur des Einschüchterungseffekts in diesem Kontext finden sich im Volkszählungsurteil aus dem Jahr 1983.65 Hier setzt sich das Gericht grundlegend mit den Wirkungen staatlicher Informationserhebung sowie dem Potential und den Gefahren moderner Datenverarbeitung auseinander. Gegenstand der Entscheidung ist das Volkszählungsgesetz, welches eine für das Frühjahr 1983 geplante Volkszählung in der Bundesrepublik Deutschland regelte. Neben einer Kopfzählung sollten weitere Daten, wie Angaben über Alter, Geschlecht, Wohnort, Religionszugehörigkeit sowie Informationen zu Ausbildung bzw. Erwerbstätigkeit, erhoben werden.66 In dem Urteil vom 15. Dezember 1983 führt das Bundesverfassungsgericht gleich zu Beginn aus: „Die durch dieses Gesetz angeordnete Datenerhebung hat Beunruhigung auch in solchen Teilen der Bevölkerung ausgelöst, die als loyale Staatsbürger das Recht und die Pflicht des Staates respektieren, die für rationales und planvolles staatliches Handeln erforderlichen Informationen zu beschaffen. […] Die Möglichkeiten der modernen Datenverarbeitung sind weithin nur noch für Fachleute durchschaubar und können beim Staatsbürger die Furcht vor einer unkontrollierbaren Persönlichkeitserfassung selbst dann auslösen, wenn der Gesetzgeber lediglich solche Angaben verlangt, die erforderlich und zumutbar sind.“67

Insofern wird auf die Gefahren einer weitreichenden Datenerhebung und -verarbeitung hingewiesen. Bemerkenswert ist, dass Furcht vor einer Erfassung der Persönlichkeit auch bereits im Zusammenhang mit einer an sich zulässigen Erhebung von Daten entstehen kann. Es sei problematisch, wenn der Einzelne nicht mehr überblicken kann, welche personenbezogenen Informationen über ihn bekannt sind und sich das Wissen möglicher Kommunikationspartner nicht mehr einschätzen lässt.68 Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts entstehe ein Einschüchte64

Der Begriff der informationellen Maßnahme findet Verwendung in: BVerfGE 115, 320 (351); 118, 168 (203); 120, 274 (312); 120, 378 (397). Teilweise wird auch von informationsbezogenen Maßnahmen gesprochen. Insgesamt herrscht begriffliche Unklarheit, insbesondere bei der Abgrenzung des informationellen Eingriffs zum sog. Informationseingriff (Eingriff durch Information), vgl. zur Unterscheidung prononciert: Bethge, in: Merten/Papier, HGR III, § 58 Rn. 20 („semantisch schärfster Rivale“). 65 BVerfGE 65, 1 – Volkszählung. 66 Vgl. die Regelungen des Volkszählungsgesetzes, abgedruckt in BVerfGE 65, 1 (4 ff., 37). 67 BVerfGE 65, 1 (3 f.). 68 BVerfGE 65, 1 (43).

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rungseffekt, „wenn für den Einzelnen nicht mehr erkennbar ist, wer wann was und bei welcher Gelegenheit über ihn weiß“.69 Diese Unsicherheit sei nicht nur geeignet, die individuelle Freiheitsbetätigung des Einzelnen zu hemmen, sondern betreffe auch das Gemeinwohl.70 Sie entstehe angesichts der Kenntnis oder (plausiblen) Befürchtung einer Erfassung von Kommunikation und Verhalten vor dem Hintergrund der Möglichkeiten moderner Datenverarbeitung. Grundsätzlich ist eine derartige Unsicherheit durch alle staatlichen Maßnahmen denkbar, die auf eine Überwachung und Registrierung von Kommunikation und Verhalten abzielen. Ausgehend vom Volkszählungsurteil argumentiert das Bundesverfassungsgericht in nachfolgenden Entscheidungen immer wieder mit der einschüchternden Wirkung staatlicher Überwachung und Registrierung. Im Einzelnen wurden Einschüchterungseffekte angenommen für: - Befugnisse zur Telekommunikationsüberwachung,71 - Befugnisse zur akustischen Wohnraumüberwachung („Großer Lauschangriff“),72 - offene Videoüberwachung im öffentlichen Raum,73 - Datenerhebung durch sog. Online-Durchsuchungen,74 - Befugnisse zur automatisierten Kennzeichenerfassung,75 - Befugnisse zur Erstellung von Übersichtsaufnahmen sowie -aufzeichnungen von Versammlungen,76 - Befugnisse zur Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikations-Verkehrsdaten77 sowie zuletzt - Regelungen zu einer gemeinsamen Anti-Terror-Datei von Polizei und Nachrichtendiensten.78

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BVerfGE 65, 1 (43). BVerfGE 65, 1 (42 f.). 71 BVerfGE 100, 313 (358 f., 381); 113, 348 (365): „Furcht vor Überwachung“. 72 BVerfGE 109, 279 (354). 73 BVerfG-K, NVwZ 2007, S. 688 (688 ff., 690). 74 BVerfGE 120, 274 (275, 323). 75 BVerfGE 120, 378 (402, 430). 76 BVerfGE 122, 342 (368 ff.). Die einstweilige Anordnung betraf das Bayerische Versammlungsgesetz. Wegen der darauffolgenden Änderungen des Gesetzes wurde die Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache nicht zur Entscheidung angenommen, siehe BVerfG, NVwZ 2012, S. 818 (818 ff.). 77 BVerfGE 125, 260 (320, 332 ff.); eine Argumentation mit Einschüchterungseffekten findet sich auch in dem vorausgegangenen Beschluss zur einstweiligen Anordnung BVerfGE 121, 1 (20). 78 BVerfGE 133, 277 (348). 70

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Teil 2: Analyse der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Auch die Entscheidungen zur Verfassungsmäßigkeit der präventiven polizeilichen Rasterfahndung,79 zur Ermittlung der Geräte- und Kartennummer sowie des Standorts von Mobiltelefonen durch sog. IMSI-Catcher,80 zur Handyüberwachung81 sowie zur automatisierten Abfrage sog. Kontostammdaten82 setzen sich mit einschüchternden Wirkungen auseinander. Dabei bleiben die Ausführungen zu Einschüchterungseffekten jedoch weitgehend allgemein und beziehen sich nicht konkret auf die jeweils in Rede stehende Maßnahme.83 Obwohl staatliche Beobachtung, Überwachung und Informationserhebung zunehmend mittels technischer Hilfsmittel erfolgen, kann der Staat Informationen auch auf „klassische“ Weise erlangen. Insbesondere im Zusammenhang mit Durchsuchungen thematisiert das Bundesverfassungsgericht Einschüchterungseffekte. Im Einzelnen waren Ziele von Durchsuchung und Beschlagnahme Unterlagen und Datenträger in Redaktionsräumen,84 der elektronische Datenbestand einer Rechtsanwalts- und Steuerkanzlei85 sowie die Ermittlung von Kommunikationsverbindungsdaten auf PC und Mobiltelefon.86 Insbesondere für die Durchsuchung und Beschlagnahme in Redaktionsräumen nimmt das Gericht aufgrund der Störung der Pressetätigkeit Einschüchterungswirkungen an.87 b) Überwachung von Kommunikation Das Gericht warnt insbesondere im Zusammenhang mit einer Überwachung von (Tele-)Kommunikation vor möglichen Einschüchterungseffekten. Bereits die Befürchtung einer Überwachung könne die Unbefangenheit der Kommunikation stören und zu Verhaltensanpassungen führen, so dass etwa bestimmte Themen oder Begriffe vermieden würden. Es gefährde die unbefangene menschliche Kommunikation, wenn der Einzelne befürchten müsse, dass „jedes seiner Worte, eine vielleicht unbedachte oder unbeherrschte Äußerung, eine bloß vorläufige Stellungnahme im Rahmen eines sich entfaltenden Gesprächs oder eine nur aus einer besonderen Situation heraus verständliche Formulierung bei anderer Gelegenheit und in anderem Zusammenhang hervorgeholt werden könnte.“88

79

BVerfGE 115, 320 (321, 342 ff.). BVerfG-K, NJW 2007, S. 351 (354). 81 BVerfGE 107, 299 (300, 320 f.). 82 BVerfGE 118, 168 (169, 203). 83 Vgl. BVerfGE 107, 299 (300, 320 f.); 115, 320 (321, 342 ff.); 118, 168 (169, 203); BVerfG-K, NJW 2007, S. 351 (354). 84 BVerfG, NJW 2005, S. 965 (965); BVerfGE 117, 244 (259, 272). 85 BVerfGE 113, 29 (46). 86 BVerfGE 115, 166 (188). 87 BVerfG, NJW 2005, S. 965 (965); BVerfGE 117, 244 (259, 272). 88 BVerfGE 34, 238 (246). 80

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Ähnliches wird auch bereits für die Erfassung bloßer Kommunikationsumstände angenommen. So sei die anlasslose Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten geeignet, ein „diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins“ auszulösen, welches durch die Möglichkeiten der weiteren Verwendung der Daten noch verstärkt werde und zu nachhaltigen Einschüchterungseffekten führen könne. Ähnlich beurteilt das Gericht die Überwachung einer Versammlungsteilnahme. Bereits das Bewusstsein, die Teilnahme an einer Versammlung werde staatlich beobachtet und registriert, könne einschüchternd wirken.89 c) Massenhafte und heimliche Überwachung Das Bundesverfassungsgericht thematisiert Einschüchterungseffekte insbesondere im Zusammenhang mit Maßnahmen, welche anlasslos eine große Anzahl von Personen in ihren Wirkungsbereich einbeziehen. Sofern eine Maßnahme eine große Streubreite aufweise, werde das Gefühl des Überwachtwerdens noch verstärkt und die Unbefangenheit von Verhalten gefährdet.90 Dies sei etwa im Zusammenhang mit der automatisierten Erfassung von Kfz-Kennzeichen anzunehmen, da hier Informationen seriell und in großer Zahl erfasst werden.91 Demgegenüber sei für eine Verkehrsüberwachung Einschüchterungseffekte nicht zu befürchten, wenn eine Erfassung lediglich punktuell und zeitlich begrenzt erfolge.92 Ebenfalls eine verstärkende Wirkung soll nach der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung der Heimlichkeit einer Maßnahme zu kommen.93 Sofern nach den gesetzlichen Befugnissen auch ein Unverdächtiger jederzeit und ohne sein Wissen von einer informationellen Maßnahme betroffen sein kann, könne bereits von der Ermächtigungsnorm ein Einschüchterungseffekt ausgehen.94 Schon die Befürchtung einer Überwachung könne zu Befangenheit und Anpassungen in Kommunikation und Verhalten führen.95 Zwar thematisiert das Gericht Einschüchterungseffekte häufig im Zusammenhang mit den genannten Merkmalen. In welchem Verhältnis die Aspekte zueinander stehen, ob und wie sie sich gegenseitig bedingen, bleibt indes unklar. Große 89

Siehe schon BVerfGE 65, 1 (43); ähnlich BVerfGE 122, 342 (370 f.). BVerfGE 120, 378 (402); vgl. auch BVerfGE 107, 299 (328); 115, 320 (354 f.). 91 BVerfGE 120, 378 (402). 92 Einschüchterungseffekte seien nicht zu erwarten, wenn sich die Videoaufnahme des fließenden Verkehrs nur auf wenige Sekunden beschränkt, siehe BVerfGK 17, 469 (475). 93 BVerfGE 122, 342 (373); 125, 260 (332). 94 Siehe etwa BVerfGE 121, 1 (20) zu den Regelungen der Telekommunikationsüberwachung (sog. Vorratsdatenspeicherung). 95 So ausdrücklich im Hinblick auf die Kommunikation BVerfGE 109, 279 (354); siehe auch: BVerfGE 100, 313 (381); 107, 299 (313, 320 f.); 113, 29 (46); 115, 320 (342, 354 f.); 120, 274 (323); 122, 342 (368 ff.); 125, 260 (320, 332, 335). Grundlegend zur Unbefangenheit der Kommunikation bereits BVerfGE 34, 238 (246). 90

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Teil 2: Analyse der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Streubreite oder Anlasslosigkeit einer Maßnahme führen jedenfalls nicht ohne weiteres oder in jedem Fall zur Annahme einer einschüchternden Wirkung.96 3. Sonstige Maßnahmen Die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts mit Einschüchterungseffekten ist nicht per se auf die genannten Bereiche beschränkt; diese sind nicht abschließend zu verstehen. So führt das Gericht aus, auch „andere […] Entscheidungen von Staatsorganen“ könnten geeignet sein, „über den konkreten Fall hinaus präventive Wirkungen zu entfalten, das heißt in künftigen Fällen die Bereitschaft mindern [können], von dem betroffenen Grundrecht Gebrauch zu machen“.97 Grundsätzlich können somit auch andere staatliche Maßnahmen Einschüchterungseffekte auslösen, wobei dies für alle Formen staatlichen Handelns – Legislativ-, Exekutiv- sowie Judikativmaßnahmen – gilt.98

III. Bedeutung für die Grundrechtsprüfung Auch wenn das Bundesverfassungsgericht regelmäßig mit einer einschüchternden Wirkung argumentiert, ist damit noch keine Aussage über die dogmatische Bedeutung der Figur getroffen. Bislang fehlt es in der Rechtsprechung an einer eindeutigen dogmatischen Einordnung von Einschüchterungseffekten.99 Im Folgenden soll die Frage untersucht werden, welche Bedeutung Einschüchterungseffekte in der Grundrechtsprüfung erlangen. Dabei folgen Darstellung und Analyse in ihrem Aufbau der Grundrechtsprüfung. 1. Einschüchterungseffekte und Gewährleistungsgehalt einzelner Grundrechte Abhängig von dem jeweiligen Beschwerdegegenstand und der in Rede stehenden staatlichen Tätigkeit sind in den Entscheidungen unterschiedliche Grundrechte einschlägig. Das Bundesverfassungsgericht thematisiert Einschüchterungseffekte bislang im Zusammenhang mit folgenden Grundrechten:

96 Siehe nur BVerfGE 115, 320 (354 ff.). Danach können von verdachtslosen Grundrechtseingriffen mit großer Streubreite Einschüchterungswirkungen ausgehen – ob dies tatsächlich der Fall ist, lässt das Gericht offen. Hierzu auch Rath, KJ Beiheft 01/2009, S. 65 (71). 97 BVerfGE 83, 130 (145); vgl. auch BVerfGE 54, 129 (139); 86, 1 (10). 98 Dies zeigt sich bereits daran, wenn Einschüchterungseffekte in den Entscheidungen teilweise an Gerichtsentscheidungen, teilweise an gesetzliche Befugnisse angeknüpft werden, siehe oben Teil 2 A. II. 1. u. 2. So auch Rath, KJ Beiheft 01/2009, S. 65 (70). 99 Explizit Rath, KJ Beiheft 01/2009, S. 65 (69).

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- Allgemeines Persönlichkeitsrecht,100 insbesondere in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG),101 - Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1, 2 GG),102 - Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1, Art. 5 Abs. 1 S. 2, Art. 5 Abs. 3 GG),103 - Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG),104 - Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10 Abs. 1 GG),105 - Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG).106 Dabei verdrängen die spezielleren Garantien der Privatheit, insbesondere das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10 Abs. 1 GG) sowie die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG), in ihrem Anwendungsbereich regelmäßig die Gewährleistungen des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG.107 Soweit sich die Schutzbereiche nicht vollständig überschneiden, kommen die Grundrechte nebeneinander zur Anwendung.108

100

BVerfGE 34, 238 (245 ff.). BVerfGE 65, 1 (41 ff.); 113, 29 (45 ff.); 115, 166 (188 ff.); 115, 320 (341 ff.); BVerfGK, NJW 2007, S. 351 (354); BVerfG-K, NVwZ 2007, S. 688 (690); BVerfGE 118, 168 (183 ff.); 120, 274 (302 ff.) (in der Ausprägung als Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme, sog. Computer-Grundrecht); BVerfGE 120, 351 (359 f.); 120, 378 (397 ff.); BVerfGK 17, 469 (472 ff.). 102 In dem Urteil zur sog. Antiterrordatei vom 24. 4. 2013 thematisiert das Gericht erstmalig Einschüchterungseffekte für die Glaubensfreiheit. Das Anknüpfen an ein Kriterium, welches sich auf das forum internum beziehe, sei „besonders geeignet, einschüchternde Wirkung auch für die Wahrnehmung der Freiheitsrechte wie insbesondere der Glaubens- und Meinungsfreiheit zu entfalten“, siehe BVerfGE 133, 277 (348). 103 Zur Meinungsfreiheit: BVerfGE 43, 130 (135 ff.); 54, 129 (135 f.); 57, 250 (268 f.); 93, 266 (289 f.); 94, 1 (7); 114, 339 (347); BVerfG, NJW 2009, S. 908 (908); BVerfGE 133, 277 (348). Zur Pressefreiheit: BVerfGE 97, 125 (144 f.); 107, 299 (329); BVerfG, NJW 2005, S. 965 (965); BVerfGE 117, 244 (258 f.); BVerfG-K, NJW 2008, S. 1654 (1655). Zur Kunstfreiheit: BVerfGE 81, 278 (289 ff.). 104 BVerfGE 122, 342 (360); vgl. grundlegend bereits BVerfGE 69, 315 (342 ff.), jedoch ohne explizite Erwähnung von Einschüchterungseffekten. 105 BVerfGE 100, 313 (358 ff.); 107, 299 (312 f.); 113, 348 (364 f.); 121, 1 (16); 125, 260 (307 ff.). 106 BVerfGE 109, 279 (313 ff., 354); siehe auch BVerfGE 115, 166 (196 f.). 107 Vgl. BVerfGE 118, 168 (184); 120, 274 (302); 107, 299 (312); 113, 348 (365); 115, 166 (186 f.). Dabei lassen sich die Maßgaben, die das Bundesverfassungsgericht zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung entwickelt hat, weitgehend auf die spezielleren Garantien übertragen, vgl. BVerfGE 125, 260 (310). 108 Siehe BVerfGE 109, 279 (325 f.); 113, 29 (45); 115, 166 (187 f.). Zum Verhältnis der Kommunikationsgrundrechte zu Art. 10 Abs. 1 GG siehe: BVerfGE 100, 313 (365); 107, 299 (312); 113, 348 (364); zum Verhältnis der Versammlungsfreiheit zur Meinungsfreiheit: 101

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Teil 2: Analyse der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

a) Herleitung und Begründung eines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung Im Volkszählungsurteil hat das Bundesverfassungsgericht in Anknüpfung an das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein umfassendes Recht auf informationelle Selbstbestimmung entwickelt.109 Das durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete Persönlichkeitsrecht umfasse auch die „aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden“.110 Dabei soll dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung lückenschließende Funktion insbesondere für solche Gefährdungen der Persönlichkeit zukommen, die sich unter den Bedingungen moderner Datenverarbeitung ergeben.111 Insofern schützt das Recht den Einzelnen gegen Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten. Im Rahmen der Herleitung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung wird auf die Bedeutung von Furcht für die Freiheitsausübung hingewiesen.112 In der zentralen Passage führt das Gericht aus: „Wer nicht mit hinreichender Sicherheit überschauen kann, welche ihn betreffende Informationen in bestimmten Bereichen seiner sozialen Umwelt bekannt sind, und wer das Wissen möglicher Kommunikationspartner nicht einigermaßen abzuschätzen vermag, kann in seiner Freiheit wesentlich gehemmt werden, aus eigener Selbstbestimmung zu planen oder zu entscheiden. Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß. Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen. Wer damit rechnet, dass etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder einer Bürgerinitiative behördlich registriert wird und dass ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte (Art. 8, 9 GG) verzichten. Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungsfähigkeit und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist.“113

BVerfGE 69, 315 (343); zum Verhältnis von Art. 13 GG zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung: BVerfGE 113, 29 (45); 109, 279 (325 f.). 109 Auf die Frage der Eigenständigkeit dieses Rechts soll hier nicht näher eingegangen werden, siehe dazu etwa Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 37 m.w.N. 110 BVerfGE 65, 1 (42 f.). 111 BVerfGE 113, 29 (45 f.); 115, 166 (188); 115, 320 (341 f.); 118, 168 (183 f.); 120, 274 (303); vgl. auch BVerfGE 100, 313 (366); 107, 299 (313); 109, 279 (309, 313 f.); 117, 244 (258); 125, 260 (309 f.). 112 Hierzu auch Rath, KJ Beiheft 01/2009, S. 65 (69 f.). 113 BVerfGE 65, 1 (43).

A. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

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Während die Gefahr von Einschüchterungen im Volkszählungsurteil lediglich impliziert wird, findet sie in späteren Entscheidungen zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung ausdrücklich Erwähnung: „Das Grundrecht dient dabei über das hinaus, was es unmittelbar gewährleistet, auch dem Schutz vor einem Einschüchterungseffekt, der entstehen und zu Beeinträchtigungen bei der Ausübung anderer Grundrechte führen kann, wenn für den Einzelnen nicht mehr erkennbar ist, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über ihn weiß.“114

Das Bundesverfassungsgericht führt weiter aus, dadurch könne die Freiheit des Einzelnen, aus freier Selbstbestimmung zu planen und entscheiden, gehemmt werden.115 Eine einschüchternde Wirkung sei nicht nur zum Schutz des einzelnen Betroffenen, sondern auch im Interesse des Gemeinwohls zu vermeiden.116 Auch in späteren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung finden sich Ausführungen zu Einschüchterungseffekten. Anders als noch im Volkszählungsurteil wird die Gefahr einschüchternder Wirkung indes seltener im Zusammenhang mit dem Schutzbereich des Rechts erwähnt.117 In den Fokus rückt vielmehr der Schutz von Verhaltensfreiheit und Privatheit, der vom Recht auf informationelle Selbstbestimmung „flankiert und erweitert“ werde, indem es ihn bereits auf der Stufe der Persönlichkeitsgefährdung beginnen lässt.118 Ausführungen zu Einschüchterungseffekten finden sich dann erst im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung.119 Dies ist indes lediglich als redaktionelle, nicht aber inhaltliche Änderung der Rechtsprechung zu sehen, zumal regelmäßig auf frühere Entscheidungen verwiesen wird. b) Spezielle Gewährleistungen von Privatheit Neben dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung betreffen die einschlägigen Entscheidungen auch andere Grundrechte. Dabei zieht das Bundesverfassungsgericht Einschüchterungseffekte jedoch nicht bereits auf Schutzbereichsebene zur Begründung oder Herleitung des Gewährleistungsgehalts heran, sondern überwiegend erst im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung.120

114 BVerfGE 113, 29 (46); fast wortgleich BVerfGE 115, 166 (188); BVerfG-K, NJW 2007, S. 351 (354). 115 BVerfGE 113, 29 (46). 116 BVerfGE 65, 1 (41 f.); 113, 29 (46); 115, 166 (188); 115, 320 (342, 354 f.); siehe auch BVerfGE 120, 274 (335). 117 Siehe etwa die Ausführungen zu den Gewährleistungsbereichen bei BVerfGE 115, 320 (341 f.) sowie BVerfGE 120, 274 (320 ff.). 118 BVerfGE 118, 168 (184 f.); 120, 274 (312); 120, 378 (397 f.). 119 Siehe BVerfGE 115, 320 (354 f.); 120, 378 (402, 430); ähnlich BVerfGE 120, 274 (323), wo von „Furcht vor Überwachung“ die Rede ist. 120 Hierzu unten Teil 2 A. III. 3.

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Teil 2: Analyse der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Dennoch soll auf die einzelnen Grundrechte, wie sie vom Bundesverfassungsgericht konturiert werden, kurz eingegangen werden. Das von Art. 10 Abs. 1 GG geschützte Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis soll einen privaten Austausch von Informationen ermöglichen und dient auf diese Weise einer freien Persönlichkeitsentfaltung sowie dem Schutz der Menschenwürde.121 Neben den Kommunikationsinhalten werden auch die Kommunikationsumstände gegen staatliche Kenntnisnahme geschützt.122 Die Grundrechte sollen die Bedingungen einer freien Kommunikation sowie deren Vertraulichkeit gewährleisten.123 Bereits die Befürchtung einer Kenntnisnahme von Kommunikation und einer Verwertung der erlangten Kenntnisse durch staatliche Stellen kann dazu führen, dass der Meinungs- oder Informationsaustausch gehemmt wird oder unterbleibt, mithin die freie Kommunikation beeinträchtigt wird.124 Insofern dienen die Gewährleistungen des Art. 10 Abs. 1 GG auch dem Schutz der Unbefangenheit der Kommunikation.125 Während Art. 10 Abs. 1 GG „Privatheit auf Distanz“ gewährleistet, verbürgt Art. 13 Abs. 1 GG die Unverletzlichkeit der Wohnung und dient dem Schutz der räumlichen Privatsphäre.126 Dabei steht die Unverletzlichkeit der Wohnung ebenfalls in nahem Bezug zur Menschenwürde sowie zur Persönlichkeitsentfaltung: „Zur Entfaltung der Persönlichkeit im Kernbereich privater Lebensgestaltung gehört die Möglichkeit, innere Vorgänge wie Empfindungen und Gefühle sowie Überlegungen, Ansichten und Erlebnisse höchstpersönlicher Art zum Ausdruck zu bringen, und zwar ohne Angst, dass staatliche Stellen dies überwachen.“127

Den Grundrechten aus Art. 10 Abs. 1 GG und Art. 13 Abs. 1 GG kommt – ebenso wie dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung – ein Gemeinwohlbezug zu, da sich insbesondere eine heimliche Überwachung auch auf die Gesellschaft insgesamt auswirken kann.128 Neben dem Schutz des Einzelnen vor staatlichen Eingriffen gewährleisten die Grundrechte in ihrem objektiv-rechtlichen Gehalt die Vertraulichkeit von Kommunikation in ihrer gesamtgesellschaftlichen Bedeutung.129

121

Vgl. BVerfGE 115, 166 (182); 121, 1 (21). BVerfGE 100, 313 (358 f.); 107, 299 (312); 113, 348 (364); 125, 260 (309). 123 BVerfGE 100, 313 (358 f., 363); 107, 299 (313); 125, 260 (309). 124 Vgl. BVerfGE 100, 313 (359); 107, 299 (313); 113, 348 (365). 125 BVerfGE 100, 313 (363); siehe auch BVerfGE 113, 348 (383); 121, 1 (21). 126 BVerfGE 109, 279 (309); 115, 166 (196). 127 BVerfGE 109, 279 (313); vgl. auch BVerfGE 109, 279 (326); 115, 166 (196). 128 Vgl. BVerfGE 100, 313 (381); 121, 1 (21 f.); 107, 299 (328). 129 Siehe nur BVerfGE 107, 299 (328) – zu Art. 10 GG; BVerfGE 109, 279 (314, 354) – zu Art. 13 GG. 122

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c) Kommunikationsgrundrechte, einschließlich Versammlungsfreiheit Die Kommunikationsgrundrechte aus Art. 5 GG schützen die freie Kommunikation mit Blick auf die individuelle Meinungsäußerung, eine ungehinderte Pressetätigkeit, die Freiheit der Medien insgesamt sowie die Kunstfreiheit.130 Dabei kommt den Gewährleistungen grundlegende Bedeutung für eine ungehinderte demokratische Willensbildung und die freie geistige Auseinandersetzung in der Gesellschaft insgesamt zu.131 Für die Pressefreiheit nimmt das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich an, dass das Grundrecht neben subjektiven Freiheiten auch die Presse in ihrer objektiv-rechtlichen Bedeutung schützt. Davon umfasst ist etwa der Schutz der Voraussetzungen und Hilfstätigkeiten, ohne welche die Medien ihre Funktion nicht erfüllen könnten.132 In Hinblick auf die Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG hebt das Bundesverfassungsgericht hervor, dass das Grundrecht Versammlungen als „Ausdruck gemeinschaftlicher, auf Kommunikation angelegter Entfaltung“ schützt.133 Insofern wird die Bedeutung der Versammlungsfreiheit für Persönlichkeitsentfaltung sowie demokratische Teilhabe deutlich.134 Sowohl die Freiheit zur individuellen als auch zur kollektiven Meinungsäußerung ist nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts elementare Funktionsbedingung eines demokratischen und freiheitlichen Gemeinwesens.135 d) Allgemeine Wahrnehmung von Grundrechten In einer Vielzahl von Entscheidungen werden Einschüchterungseffekte allgemein mit der Wahrnehmung von Freiheitsrechten verknüpft.136 So führt das Gericht bereits im Volkszählungsurteil im Zusammenhang mit der Gewährleistung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung aus: „Wer damit rechnet, dass etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder einer Bürgerinitiative behördlich registriert wird und dass ihm dadurch Risiken entstehen können, wird

130

Vgl. BVerfGE 43, 130 (136) mit Verweis auf die Bedeutung für die Persönlichkeitssphäre; BVerfGE 97, 125 (144); 107, 299 (329 f.); 117, 244 (258); BVerfG, NJW 2005, S. 965 (965). 131 BVerfGE 43, 130 (140); 54, 129 (136); 57, 250 (269); BVerfG-K, NJW 2008, S. 1654 (1655); BVerfGE 81, 278 (289). 132 BVerfGE 107, 299 (329 f.). 133 Grundlegend BVerfGE 69, 315 (342 f.). 134 BVerfGE 122, 342 (365, 367); auch bereits BVerfGE 69, 315 (342 ff.). 135 Für die Kommunikationsgrundrechte aus Art. 5 GG: BVerfGE 117, 244 (258); 93, 266 (292 f.); 54, 129 (139); 107, 299 (329); für die Versammlungsfreiheit: BVerfGE 122, 342 (369); grundlegend bereits: BVerfGE 65, 1 (43); 69, 315 (344 f.). 136 Assion, in: Telemedicus e.V., Überwachung und Recht, S. 31 (43).

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Teil 2: Analyse der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte (Art. 8, 9 GG) verzichten.“137

In späteren Entscheidungen werden nachteilige Auswirkungen auf alle Grundrechte bzw. die Freiheitswahrnehmung allgemein betont.138 Dies gilt insbesondere für Entscheidungen, die Maßnahmen staatlicher Überwachung betreffen.139 e) Zwischenergebnis Die genannten Grundrechte dienen – freilich mit unterschiedlichen Schwerpunkten und in unterschiedlichem Maße – dem Schutz der freien Kommunikation, der Privatheit sowie der Persönlichkeitsentfaltung. Mit Blick auf ihren speziellen Freiheitsbereich sollen sie Unbefangenheit und Vertraulichkeit von Kommunikation und Verhalten gewährleisten. Dabei kommt den Gewährleistungen eine über den individuellen Schutz hinausgehende Bedeutung für das Gemeinwohl zu. Im Zusammenhang mit Art. 10 Abs. 1 GG und Art. 13 Abs. 1 GG wird dies explizit mit dem objektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechte begründet. Während das Bundesverfassungsgericht bei der Herleitung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung annimmt, das Grundrecht diene auch dem Schutz vor einschüchternden Wirkungen auf die Grundrechtsausübung, werden Einschüchterungseffekte bei anderen Grundrechten nicht im Zusammenhang mit dem jeweiligen Gewährleistungsbereich, sondern erst auf Ebene des Eingriffs oder der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung erörtert. Es zeigt sich, dass Einschüchterungseffekte eine beeinträchtigende Wirkung auf die unbefangene Wahrnehmung von Grundrechten haben können. Die Ausübung grundrechtlicher Freiheit kann durch Angst gehemmt werden. Das Bundesverfassungsgericht argumentiert im Zusammenhang mit einer Vielzahl unterschiedlicher Grundrechte mit der Gefahr einschüchternder Wirkungen.140 Dass Einschüchterungseffekte nicht auf einzelne Grundrechte beschränkt werden, zeigt, dass es sich weniger um die Ausprägung eines besonderen Schutzbereichs, sondern vielmehr um eine juristische Argumentationsfigur handelt, welche grundsätzlich in Bezug auf alle Freiheitsrechte Anwendung findet.141

137

BVerfGE 65, 1 (42 f.). BVerfGE 65, 1 (43), 115, 166 (188): „Freiheit des Einzelnen aus eigener Selbstbestimmung zu planen und zu entscheiden“; BVerfGE 125, 260 (319): „unbefangene Wahrnehmung der Grundrechte in vielen Bereichen“. 139 So zutreffend Assion, in: Telemedicus e.V., Überwachung und Recht, S. 31 (45 f.). 140 Vgl. auch Oermann/Staben, Der Staat 52 (2013), S. 630 (632). 141 Überzeugend Assion, in: Telemedicus e.V., Überwachung und Recht, S. 31 (44). 138

A. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

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2. Einschüchterungseffekte und Eingriff: Freiheitsverkürzende Wirkung Das Bundesverfassungsgericht thematisiert lediglich in einzelnen Entscheidungen Einschüchterungseffekte bei der Prüfung des Grundrechtseingriffs. So wird ein Eingriff in die Pressefreiheit durch eine Durchsuchung der Redaktionsräume mit einer Störung der Pressetätigkeit und der Möglichkeit von Einschüchterungseffekten begründet.142 Zwar wird hier zur Eingriffsbestimmung auch auf die einschüchternde Wirkung der betreffenden Maßnahme verwiesen. Da jedoch die Störung der Redaktionstätigkeit als solche zur Annahme eines Eingriffs ausreicht, kommt dem Argument des Einschüchterungseffekts lediglich stützende, nicht aber tragende Bedeutung zu. Anders stellt sich dies in der Entscheidung zur Videoüberwachung eines öffentlichen Platzes dar: Hier stellt das Gericht für das Vorliegen einer Beeinträchtigung maßgeblich auf die einschüchternde Wirkung der Kameraüberwachung und die damit einhergehende Verhaltenslenkung ab.143 In diesem Fall ist eine Verhaltensbeeinflussung durch Abschreckung jedoch gerade bezweckt.144 Daneben deuten mehrere Entscheidungen darauf hin, dass einschüchternde Wirkungen Grundrechtsbeeinträchtigungen darstellen können. So spricht das Gericht von einem „den Prozess freier Meinungsäußerung und -bildung beeinträchtigende[n] Einschüchterungseffekt“.145 An anderer Stelle wird ausgeführt, ein Einschüchterungseffekt würde „nicht nur die individuelle Kommunikationsfreiheit beeinträchtigen“.146 Überwiegend wird allgemein darauf verwiesen, Einschüchterungseffekte könnten zu „Beeinträchtigungen bei der Ausübung von Grundrechten“147 führen oder eine „unbefangene Wahrnehmung der Grundrechte […] beeinträchtigen“.148 Teilweise ist von einer mittelbaren Freiheitsbeeinträchtigung die Rede.149 Auch wird ausgeführt, die betreffende Maßnahme könne aufgrund ihrer einschüchternden Wirkung ein „funktionales Äquivalent eines grundrechtlichen Eingriffs in andere grundrechtliche Freiheiten“ bzw. eine „eingriffsgleiche Maßnahme“ darstellen.150 So wird im Rahmen der Prüfung eines Grundrechts auf eine mögliche Beeinträchtigung anderer 142

BVerfG, NJW 2005, S. 965 (965); vgl. BVerfGE 117, 244 (259). BVerfG-K, NVwZ 2007, S. 688 (690). 144 Siehe BVerfG-K, NVwZ 2007, S. 688 (690): „Die offene Videoüberwachung eines öffentlichen Ortes kann und soll zugleich abschreckend wirken und insofern das Verhalten der Betroffenen lenken.“ 145 BVerfGE 114, 339 (351). 146 BVerfG-K, NJW 2008, S. 1654 (1655). 147 BVerfGE 120, 378 (402). 148 BVerfGE 125, 260 (332). 149 BVerfGE 113, 348 (383); 120, 274 (323). 150 BVerfGE 120, 378 (405 f.). 143

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Teil 2: Analyse der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Grundrechte aufgrund der mit der Maßnahme verbundenen Einschüchterungseffekte hingewiesen.151 Entsprechende Ausführungen finden sich an verschiedenen Stellen der Grundrechtsprüfung. In diesen Fällen wird zwar mit einer einschüchternden Wirkung argumentiert; ob ein Eingriff in (andere) grundrechtliche Freiheiten tatsächlich anzunehmen ist, lässt das Bundesverfassungsgericht indes offen.152 Es zeigt sich, dass das Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen die Annahme eines Grundrechtseingriffs bislang nicht allein mit Einschüchterungseffekten begründet hat. Dennoch geht das Gericht offenbar davon aus, dass die Ausübung grundrechtlicher Freiheiten durch Einschüchterungseffekte beeinträchtigt werden kann. Ob und inwiefern das Vorliegen eines Grundrechtseingriffs allein damit begründet werden kann, dass von der betreffenden Maßnahme Einschüchterungseffekte ausgehen, bleibt in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jedoch (noch) offen. 3. Einschüchterungseffekte und verfassungsrechtliche Rechtfertigung, insbesondere Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Ganz überwiegend werden Einschüchterungseffekte im Rahmen der Prüfung der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung thematisiert. Dies gilt insbesondere für Entscheidungen, die Maßnahmen staatlicher Informationserhebung und -verarbeitung betreffen. Damit eine Grundrechtsbeeinträchtigung verfassungsrechtlich zulässig ist, muss sie den Anforderungen genügen, welche das Grundgesetz an Eingriffe dieser Art stellt. Insbesondere muss die staatliche Maßnahme dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen, mithin geeignet, erforderlich und angemessen sein. Dabei ist das Gebot der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (=Angemessenheit) gewahrt, wenn die Schwere des Eingriffs nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe steht.153 Im Zusammenhang mit informationellen Maßnahmen zieht das Bundesverfassungsgericht zur Bestimmung der Eingriffsintensität unterschiedliche Aspekte heran:154 Maßgeblich ist u. a., ob die von der Maßnahme Betroffenen anonym bleiben, welche personenbezogenen Informationen erfasst werden und welche (weiteren) Nachteile aufgrund der Maßnahme drohen oder nicht ohne Grund befürchtet werden.155 Weiterhin ist relevant, ob 151 So etwa BVerfGE 113, 29 (46); 115, 166 (188); BVerfG-K, NJW 2007, S. 351 (354); vgl. auch BVerfGE 115, 320 (354); 120, 378 (402, 430). 152 Das Gericht weist lediglich auf einen „Einschüchterungseffekt, der entstehen und zu Beeinträchtigungen bei der Ausübung anderer Grundrechte führen kann“ hin, ohne diesen Gedanken in der weiteren Prüfung aufzugreifen, siehe etwa BVerfGE 115, 166 (188 ff.). 153 Ständige Rspr., siehe nur BVerfGE 100, 313 (375 f., 391). 154 Entwickelt wurden die Kriterien maßgeblich in den Entscheidungen zum Fernmeldegeheimnis und zur Unverletzlichkeit der Wohnung, vgl. BVerfGE 100, 313 (376 ff.); 109, 279 (353). Sie finden wegen des Spezialitätsverhältnisses grds. auch auf das allgemeinere Recht auf informationelle Selbstbestimmung Anwendung, so ausdrücklich BVerfGE 115, 320 (347). 155 Siehe etwa BVerfGE 100, 313 (376); 107, 299 (320, 327).

A. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

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es sich um eine heimliche Maßnahme handelt,156 wo diese erfolgt157 und ob die Maßnahme durch Anlasslosigkeit/Verdachtslosigkeit und große Streubreite158 gekennzeichnet ist. a) Einschüchterungseffekte als Aspekt zur Bestimmung der Eingriffsintensität Im Zusammenhang mit der Frage nach der Intensität eines Eingriffs weist das Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen auf die Gefahr von Einschüchterungseffekten hin.159 Dass von der betreffenden Maßnahme Einschüchterungseffekte ausgehen können, wird für eine besondere Schwere der Beeinträchtigung angeführt.160 Einschüchterungseffekte werden als Argument der Begründung einer erhöhten Eingriffsintensität herangezogen.161 In einem Sondervotum ist ausdrücklich von einem „eingriffsintensivierenden Einschüchterungseffekt[s]“ die Rede.162 Dabei werden nicht nur einschüchternde Wirkungen auf die Ausübung des in Rede stehenden Grundrechts berücksichtigt, sondern auch mögliche nachteilige Auswirkungen auf andere grundrechtliche Freiheiten einbezogen.163 b) Betonung gesamtgesellschaftlicher Auswirkungen Obwohl Anknüpfungspunkt für die Verfassungsbeschwerde die konkrete Grundrechtsverletzung des jeweiligen Beschwerdeführers ist, bezieht sich die Argumentation mit Einschüchterungseffekten insbesondere auf die über die individuelle Beeinträchtigung hinausgehenden Auswirkungen auf die Gesellschaft insgesamt. Deutlich wird dies in der Entscheidung zur akustischen Wohnraumüberwachung. Zwar stellt das Gericht im Rahmen der Abwägung zunächst auf die „Betroffenen“ bzw. die „Grundrechtsträger“ ab, dann wird jedoch ausgeführt, dass die Maßnahme nicht nur Wirkungen auf den Einzelnen entfaltet, sondern sich Einschüchterungseffekte auch auf die Kommunikation in der Gesellschaft insgesamt 156

BVerfGE 107, 299 (321); 120, 274 (325); 120, 378 (402 f.). In BVerfGE 109, 279 (353) wird zwischen privaten Räumen und Betriebs-/ Geschäftsräumen unterschieden; vgl. auch BVerfGE 120, 378 (405). 158 Vgl. BVerfGE 100, 313 (392); 107, 299 (320 f.); 120, 378 (402). 159 BVerfGE 109, 279 (354); 115, 320 (354 f.); 120, 378 (402, 405 f., 430); vgl. auch ohne explizite Nennung von Einschüchterungseffekten: BVerfGE 100, 313 (381); 107, 299 (320, 328); 113, 348 (382 f.); 120, 274 (323); ferner BVerfGE 57, 250 (269 f.). Hier hat das Gericht eine Einschüchterungswirkung und einen „massiven Eingriff“ in die Meinungsfreiheit verneint. 160 BVerfGE 109, 279 (354); 115, 320 (354 f.); 120, 378 (402); 120, 378 (402). 161 BVerfGE 109, 279 (354); 115, 320 (354); 117, 244 (272); 120, 378 (402, 430); 122, 342 (365, 369); 125, 260 (332, 335). 162 Sondervotum Schluckebier BVerfGE 125, 260 (366), der dem Argument jedoch kritisch gegenübersteht. 163 BVerfGE 113, 348 (383); 120, 274 (323); ähnlich auch BVerfGE 115, 320 (354 f.); 120, 378 (402 ff.). Siehe insofern auch bereits die Ausführungen zum Eingriff oben Teil 2 A. III. 2. 157

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Teil 2: Analyse der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

auswirken können.164 Auch in anderen Entscheidungen zeigt sich, dass im Rahmen der Angemessenheit auch Auswirkungen von Einschüchterungseffekten auf die Allgemeinheit bzw. die gesamte Gesellschaft Beachtung finden sollen.165 So wird etwa in der Entscheidung zur Handyüberwachung zur Bestimmung der Eingriffsintensität auf die Zahl der durch die Maßnahme Betroffenen abgestellt.166 In den Blick genommen werden nicht nur diejenigen Betroffenen, die aufgrund der Zielwahlsuche aus dem Datenbestand ermittelt und den Strafverfolgungsbehörden mitgeteilt werden und bei denen eine Beeinträchtigung subjektiver Rechte anzunehmen ist (sog. Trefferfälle). Vielmehr seien auch diejenigen Telekommunikationsteilnehmer zu berücksichtigen, bei denen die Zielwahlsuche negativ ausfalle und die daher gerade nicht in einer einen Grundrechtseingriff auslösenden Qualität betroffen seien (sog. Nichttrefferfälle).167 Hier werden bei der Abwägung nicht nur Beeinträchtigungen einzelner Grundrechtsträger, sondern auch weitergehende Auswirkungen einbezogen. Dabei sollen auch Wirkungen unterhalb der Schwelle von Eingriffen zu beachten sein.168 Begründen lässt sich dies damit, dass die betroffenen Grundrechte – namentlich Art. 10 Abs. 1 GG, Art. 13 GG, Art. 2 Abs.1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG – in ihrem objektiv-rechtlichen Gehalt auch die Vertraulichkeit der Kommunikation in der Gesellschaft insgesamt schützen; den grundrechtlichen Freiheiten kommt insofern ein über das Individualinteresse hinausgehender Gemeinwohlbezug zu.169 c) Zwischenergebnis Deutlich wird, dass das Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen Einschüchterungseffekte als eines von mehreren Kriterien zur Bestimmung der Eingriffsintensität heranzieht. Indem mit einer Maßnahme verbundene Einschüchterungseffekte für eine hohe Eingriffsintensität streiten, stärken sie in der Abwägung das Gewicht grundrechtlicher Belange.170 In einem Sondervotum wird der Begriff des „eingriffsintensivierenden Einschüchterungseffekts“171 genannt. Dabei nimmt 164

Siehe BVerfGE 109, 279 (328, 353 f.). BVerfGE 100, 313 (381); 107, 299 (328); 109, 279 (354 f.); 115, 320 (354 f.); 120, 274 (323); 120, 378 (430). 166 BVerfGE 107, 299 (326 f.). 167 BVerfGE 107, 299 (326 ff.); ähnlich auch BVerfGE 115, 320 (357); 109, 279 (353 f.). 168 Siehe BVerfGE 107, 299 (328). Danach sei bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Zielwahlsuche der große Kreis der Betroffenen zu berücksichtigen „auch wenn die meisten der […] erfassten Telekommunikationsteilnehmer […] nicht in einer einen Grundrechtseingriff auslösenden Qualität betroffen werden.“ 169 Vgl. BVerfGE 107, 299 (328); 109, 279 (354 f.); 115, 320 (354 f., 357); ähnlich BVerfGE 100, 313 (381); siehe insofern bereits die Ausführungen in Teil 2 A III 1 zum Gewährleistungsgehalt der einzelnen Grundrechte. 170 So Rath, KJ Beiheft 01/2009, S. 65 (70). 171 Sondervotum Schluckebier BVerfGE 125, 260 (366). 165

A. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

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das Gericht in vielen Entscheidungen Einschüchterungseffekte sowohl bezogen auf die individuelle Beeinträchtigung als auch in ihren gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen in den Blick. Diese werden mit unterschiedlichen anderen Faktoren verknüpft wie den aufgrund der Maßnahme zu erwartenden Nachteilen,172 der Anzahl der Betroffenen173 oder der Anlasslosigkeit der Maßnahme.174 Es bleibt jedoch offen, welcher Stellenwert Einschüchterungseffekten zukommt und in welchem Verhältnis er zu anderen Faktoren steht. 4. Einschüchterungseffekte und Prüfungsmaßstab bei Urteilsverfassungsbeschwerden Einschüchternden Wirkungen kommt zudem im Rahmen von Urteilsverfassungsbeschwerden Bedeutung zu. Gerichtsentscheidungen prüft das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich nur in eingeschränktem Umfang nach. Feststellung und Würdigung der Tatsachen sowie Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts sind grundsätzlich einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen. Geprüft wird lediglich die Verletzung „spezifischen Verfassungsrechts“, mithin, ob die Fachgerichte Bedeutung und Tragweite betroffener Grundrechte verkannt haben. Dabei kann der konkrete Prüfungsumfang jedoch variieren. Ein maßgeblicher Gesichtspunkt ist die Intensität der in Rede stehenden Grundrechtsbeeinträchtigung. Als „Faustformel“ gilt: Je intensiver die Grundrechtsbeeinträchtigung, desto weiter reichen die Nachprüfungsmöglichkeiten.175 Bei Entscheidungen im Kontext strittiger Meinungsäußerungen handelt es sich überwiegend um Konstellationen grundrechtlicher Drittwirkung und somit um Urteilsverfassungsbeschwerden. Hier werden Einschüchterungseffekte zur Begründung einer hohen Eingriffsintensität und damit für einen weitgehenden Prüfungsumfang des Bundesverfassungsgerichts angeführt.176 Dabei wird neben der individuellen Betroffenheit insbesondere auf die negativen Auswirkungen auf die generelle Grundrechtsausübung verwiesen, die sich aufgrund von Einschüchterungseffekten ergeben können.177 Dass zur Bestimmung der Intensität einer Beeinträchtigung auch etwaige einschüchternde Wirkungen auf die generelle Grundrechtsausübung in den Blick zu nehmen sind, ist durch die objektiv-rechtliche Funktion der Verfassungsbeschwerde begründet. Diese dient nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts neben der Korrektur des konkreten Grundrechtseingriffs 172

Etwa BVerfGE 100, 313 (381). Etwa BVerfGE 107, 299 (328). 174 Etwa BVerfGE 115, 320 (354); 120, 378 (402, 430). 175 Zum Prüfungsumfang bei Urteilsverfassungsbeschwerden allgemein Schlaich/Korioth, Bundesverfassungsgericht, Rn. 286 ff. insbes. 307 ff. 176 Siehe BVerfG, NJW 2009, S. 908 (909); BVerfGE 81, 278 (289 f.); ferner auch BVerfGE 54, 129 (135 f.); 83, 130 (145 f.); 86, 1 (10); ähnlich BVerfGE 67, 213 (223); 94, 1 (9); 93, 266 (295 f.); hierzu auch Rath, KJ Beiheft 01/2009, S. 65 (72). 177 BVerfGE 43, 130 (136). 173

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Teil 2: Analyse der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

auch der Verhinderung von negativen Wirkungen auf die generelle Grundrechtsausübung.178 Auch bei Urteilsverfassungsbeschwerden werden Einschüchterungseffekte in der Sache zur Begründung einer hohen Eingriffsintensität angeführt. Sofern Einschüchterungseffekte auf diese Weise die Bestimmung des Prüfungsumfangs bei Urteilsverfassungsbeschwerden beeinflussen, kommt der Argumentationsfigur eine prozessuale Funktion zu. 5. Zwischenergebnis Die Analyse der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ergibt mit Blick auf die Bedeutung von Einschüchterungseffekten für die Grundrechtsprüfung kein eindeutiges Bild. Die Figur findet bereits im Zusammenhang mit dem Gewährleistungsgehalt einzelner Grundrechte Verwendung, insbesondere bei der Herleitung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Auch nimmt das Bundesverfassungsgericht an, dass Einschüchterungseffekte zu Beeinträchtigungen bei der Ausübung grundrechtlicher Freiheiten führen können. Inwiefern die einschüchternde Wirkung einer Maßnahme tatsächlich einen Grundrechtseingriff begründen kann, bleibt jedoch offen. Schließlich werden Einschüchterungseffekte sowohl im Rahmen von Verhältnismäßigkeitserwägungen als auch bei der Bestimmung des Prüfungsumfangs bei Urteilsverfassungsbeschwerden als Kriterium für eine hohe Eingriffsintensität herangezogen.

B. Kritik der Rechtsprechung Wie in der Analyse der Rechtsprechung deutlich wird, verwendet das Bundesverfassungsgericht die Figur des Einschüchterungseffekts in unterschiedlichen Kontexten und mit unterschiedlicher dogmatischer Funktion. Dabei ist die Figur der Einschüchterungseffekte vielgestaltiger Kritik ausgesetzt. An dieser Stelle der Arbeit soll lediglich auf Aspekte eingegangen werden, welche sich unmittelbar auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beziehen. Eine Auseinandersetzung mit grundsätzlichen Einwänden gegenüber der (grundrechtlichen) Relevanz von Einschüchterungseffekten erfolgt hingegen erst im nachfolgenden Teil der Arbeit.179

178 BVerfGE 81, 278 (290); vgl. bereits das Sondervotum Rupp-v. Brünneck BVerfGE 42, 143 (156). 179 Siehe unten Teil 3 der Arbeit.

B. Kritik der Rechtsprechung

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I. Begriffliche und dogmatische Unklarheiten Mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist zunächst das Fehlen einer ausdrücklichen Begriffsbestimmung sowie einer eindeutigen dogmatischen Zuordnung der Argumentationsfigur problematisch.180 1. Einschüchterungseffekte als „verfassungsrechtlicher Joker“? Insofern wird teilweise kritisiert, dass unklar bleibe, wann Einschüchterungseffekte anzunehmen seien und welche Bedeutung ihnen für die verfassungsrechtliche Beurteilung zukomme. Rath konstatiert, dass das Gericht insbesondere im Zusammenhang mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung die Gefahr von Einschüchterungseffekten erwähne, ohne dass immer deutlich werde, inwiefern diese im konkreten Fall tatsächlich anzunehmen seien.181 Während Einschüchterungseffekten in einzelnen Fällen durchgreifende Bedeutung für die Grundrechtsprüfung zu käme, bleibe das argumentative Gewicht an anderer Stelle weitgehend unklar.182 Insofern sei die Figur ein „verfassungsrechtlicher Joker“ ohne „festen Wert“.183 Obschon die Bedeutung von Einschüchterungseffekten noch nicht abschließend geklärt ist, greifen die Einwände nicht grundsätzlich durch. Die Figur ist, wie von Schwabenbauer zutreffend bemerkt, schon ihrer Natur nach kein „Gradmesser mit mathematischer Genauigkeit“.184 Zugleich folgt allein aus der Offenheit des Begriffs nicht die rechtliche Irrelevanz von Einschüchterungseffekten. Vielmehr sind (Rechts-)begriffe – gerade im Grundrechtsbereich – oftmals ihrem Wortlaut nach offen und nur unzureichend bestimmt. Es ist gerade Aufgabe von Rechtsprechung und Literatur, auf eine begriffliche und dogmatische Konkretisierung hinzuwirken. (Noch) Bestehende inhaltliche und dogmatische Unklarheiten sprechen daher nicht grundsätzlich gegen die rechtliche Relevanz der Argumentationsfigur. 2. Willkürliche Thematisierung In ähnliche Richtung geht es, wenn geltend gemacht wird, das Bundesverfassungsgericht sei in seiner Argumentation mit Einschüchterungseffekten nicht konsequent. Das Argument finde stellenweise beliebige oder willkürliche Verwendung.185 So wird angemerkt, Einschüchterungseffekte seien auch in Bereichen vorstellbar, in denen das Bundesverfassungsgericht derartige Wirkungen bislang nicht in 180 181 182 183 184 185

Zur Uneinheitlichkeit der Terminologie Rath, KJ Beiheft 01/2009, S. 65 (69). Rath, KJ Beiheft 01/2009, S. 65 (69 f.). Rath, KJ Beiheft 01/2009, S. 65 (70, 75). Rath, KJ Beiheft 01/2009, S. 65 (70). Schwabenbauer, Heimliche Grundrechtseingriffe, S. 149. Rath, KJ Beiheft 01/2009, S. 65 (70).

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Teil 2: Analyse der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Erwägung zieht.186 Weiterhin würde die Figur bisher wenig konsequent nur in Zusammenhang mit den Kommunikationsgrundrechten aus Art. 5 GG zur Begründung einer erhöhten Prüfungsdichte der Urteilsverfassungsbeschwerde herangezogen.187 Sofern für Differenzierungen kein sachlicher Grund besteht, wird diese zutreffend als inkonsequent kritisiert. So bleibt teilweise unklar, wann Einschüchterungseffekte überhaupt Erwähnung finden. Während sich das Gericht in einzelnen Entscheidungen zu informationellen Maßnahmen mit möglichen Einschüchterungseffekten auseinandersetzt, bleibt der Aspekt in vergleichbaren Fällen staatlicher Informationserhebung oder -verarbeitung hingegen unerwähnt.188 Teilweise fehlt eine Auseinandersetzung auch in Entscheidungen, bei denen der Beschwerdeführer explizit auf die Gefahr einer einschüchternden Wirkung hinweist.189 Nimmt das Bundesverfassungsgericht die Gefahr von Einschüchterungseffekten ernst, so müssen diese konsequent in die Grundrechtsprüfung einbezogen werden. Es ist wenig überzeugend, wenn nur in einzelnen Entscheidungen mit Einschüchterungseffekten argumentiert wird, während in vergleichbaren Fällen dieser Aspekt außer Acht gelassen wird, ohne dass hierfür ein Grund ersichtlich ist. Wie gezeigt, thematisiert das Bundesverfassungsgericht bisher Einschüchterungseffekte vor allem in zwei Kontexten: im Zusammenhang mit strittigen Meinungsäußerungen sowie bei informationellen Tätigkeiten des Staates. Jedoch zeigt sich die Rechtsprechung durchaus offen dafür, dass auch andere staatlichen Maßnahmen einschüchternde Wirkungen entfalten können.190 Grundsätzlich ist das Problem einschüchternder Wirkungen auch für in anderen als den dargestellten Fällen und im Zusammenhang mit anderen Freiheitsrechten denkbar. Zugleich ist eine Ausdehnung des Begriffs auf alle Maßnahmen, die negativ empfundene gesellschaftliche Folgen mit sich bringen, als zu weitgehend abzulehnen.191 Auch hier gilt: Allein die Tatsache, dass eine Argumentation mit Einschüchterungseffekten auch in anderen Fällen denkbar ist, spricht nicht gegen die Figur als solche. Vielmehr verdeutlicht es erneut die Notwendigkeit einer Konkretisierung der Figur sowie der Auseinandersetzung mit dogmatischen Fragen. Des Weiteren wird mit Blick auf die Entscheidungen zu strittigen Meinungsäußerungen der Anknüpfungspunkt für eine Argumentation mit Einschüchterungsef186 Rath, KJ Beiheft 01/2009, S. 65 (78 f.) merkt an, dass Einschüchterungseffekte beispielsweise auch im Zusammenhang mit der Erwähnung im jährlichen Verfassungssschutzbericht von Bund und Ländern denkbar seien. 187 Rath, KJ Beiheft 01/2009, S. 65 (70). 188 Beispielsweise bleiben Einschüchterungseffekte in den Entscheidungen zu Befugnissen des Zollkriminalamtes zur Post- und Telekommunikationsüberwachung (BVerfGE 110, 33 ff.) und zur GPS-Überwachung (BVerfGE 112, 304 ff.) unerwähnt. 189 Etwa in der Entscheidung BVerfGK 15, 71 ff. zur Abfrage von Kreditkartendaten durch die Staatsanwaltschaft; vgl. auch Rath, KJ Beiheft 01/2009, S. 65 (76). 190 Siehe hierzu oben Teil 2 A. II. 3. 191 Überzeugend Schwabenbauer, Heimliche Grundrechtseingriffe, S. 143 f., insbes. Fn. 81.

B. Kritik der Rechtsprechung

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fekten kritisiert. Insbesondere bei straf- und zivilrechtlichen Sanktionen im Zusammenhang mit strittigen Meinungsäußerungen könnten bereits die Sanktionsnormen bzw. gesetzlichen Befugnisse als solche Einschüchterungswirkungen auslösen. Einschüchterungseffekte fänden häufig jedoch erst bei der Überprüfung fachgerichtlicher Entscheidungen Erwähnung; Rath kritisiert insofern einen „Endof-pipe“-Rechtsschutz.192 Auch insofern verfängt die Kritik jedoch nicht grundsätzlich. Die Anknüpfung an unterschiedliche Gegenstände (Gerichtsurteil, Einzelakt, gesetzliche Grundlage) ist maßgeblich dem Prinzip der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde geschuldet.193 Dies erklärt, wieso in Konstellationen mittelbarer Drittwirkung (konkret den Fällen strittiger Meinungsäußerungen) das Urteil der Instanzgerichte im Mittelpunkt der Überprüfung steht. Dementsprechend werden in Entscheidungen zu informationellen Maßnahmen Einschüchterungseffekte vor allem mit Blick auf die gesetzlichen Befugnisse oder den entsprechenden Exekutivakt thematisiert.194 Dass in manchen Entscheidungen Einschüchterungseffekte erst bezüglich der Einzelmaßnahme problematisiert werden, dürfte auch der Tatsache geschuldet sein, dass über die Verfassungsmäßigkeit der zugrundeliegenden Normen – teilweise über den Weg der verfassungskonformen Auslegung – weitgehende Einigkeit besteht und bereits deshalb die Prüfung diesbezüglich verknappt ausfällt. 3. Abweichende Beurteilung in Sondervoten Zu einzelnen der dargestellten Entscheidungen sind Sondervoten ergangen, welche Kritik an der Argumentation mit Einschüchterungseffekten üben. In Abweichung von der Mehrheitsmeinung wird dabei insbesondere die einschüchternde Wirkung für die konkret in Rede stehende Maßnahme abgelehnt oder anders eingeschätzt.195 So wird etwa in Hinblick auf die Befugnisse zur Vorratsdatenspeicherung angenommen, die Befürchtung einer einschüchternden Wirkung sei unbegründet und empirisch nicht belegt.196 Auch in der Literatur finden sich Stimmen, die mit Blick auf einzelne Maßnahmen die Gefahr einer einschüchternden Wirkung

192

Rath, KJ Beiheft 01/2009, S. 65 (72 ff.), der sogar eine größere Einschüchterung aufgrund von gesetzlichen Normen für denkbar hält. 193 Dies räumt auch Rath selbst ein, siehe Rath, KJ Beiheft 01/2009, S. 65 (72 f.). 194 Siehe oben Teil 2 A. II. 2. u. 3. Ferner Rath, KJ Beiheft 01/2009, S. 65 (72 f.). 195 So spricht Richterin Haas abweichend von der Mehrheitsmeinung dem sekundenschnellen Datenabgleich bei der Rasterfahndung eine einschüchternde und verhaltenssteuernde Wirkung nicht zu, siehe Sondervotum Haas BVerfGE 115, 320 (375 f.); zur Vorratsdatenspeicherung: Sondervotum Schluckebier BVerfGE 125, 260 (365 ff.) und Eichberger BVerfGE 125, 260 (380 ff.). Wenig aussagekräftig ist hingegen das Sondervotum der Richterinnen Jaeger und Hohmann-Dennhardt zur Entscheidung zum „Großen Lauschangriff“, vgl. BVerfGE 109, 279 (382 ff.). 196 Sondervotum Eichberger, BVerfGE 125, 260 (380 f.).

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Teil 2: Analyse der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

abweichend von der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung als gering einschätzen.197 In den Sondervoten wird zudem zentralen Begriffen vereinzelt eine andere Bedeutung beigemessen. Eindrücklich zeigt sich dies im Beschluss zur Rasterfahndung.198 Während sich die Senatsmehrheit auf die Furcht des Bürgers vor Überwachung durch den Staat konzentriert,199 argumentiert Richterin Haas in ihrem Sondervotum in gegensätzliche Richtung: „Eingeschüchtert hingegen und in seinem Verhalten beeinflusst wird der Einzelne durch die Furcht, die durch die Bedrohung von weltweit agierenden Terroristen verursacht wird und die auch ernst zu nehmen ist. […] Diese Bedrohungslage wird es sein, die zur Verhaltensänderung führt.“200

Insofern wird die Argumentation der Senatsmehrheit mit Einschüchterungseffekten umgekehrt.201 Während die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts die einschüchternde Wirkung staatlicher Maßnahmen betreffen, es somit um eine Angst vor dem Staat geht, verwendet Haas die Begriffe „Einschüchterungseffekte“ sowie „Furcht“ im Zusammenhang mit Furcht um Leben und Gesundheit, die durch das Verhalten anderer Menschen verursacht wird.202 Obwohl die Sondervoten Einschüchterungseffekte im Einzelfall abweichend beurteilen, werden einschüchternde Wirkungen nicht per se abgelehnt. Überwiegend findet die Problematik von Einschüchterungseffekten sogar grundsätzliche Anerkennung. So führt Richterin Haas ausdrücklich aus: „Aus der Freiheit von Furcht erwächst dem Einzelnen die Freiheit zu selbstbestimmtem Tun, zur Entfaltung seiner Persönlichkeit und damit seiner Fähigkeiten.“203

Die abweichenden Meinungen offenbaren jedoch, dass die Frage, wann einer Maßnahme tatsächlich einschüchternde Wirkung beizumessen ist, bislang nicht hinreichend geklärt ist. Die Rechtsprechungsanalyse zeigt, dass der Begriff des Einschüchterungseffekts – jedenfalls von der Senatsmehrheit – einheitlich zur Bezeichnung von Wirkungen staatlicher Handlungen auf die Ausübung von Freiheitsgrundrechten verstanden wird. Diesem Begriffsverständnis, welches durchaus auch als Einengung verstanden 197 Mit Blick auf die Rasterfahndung Welsing, Recht auf informationelle Selbstbestimmung, S. 428. 198 BVerfGE 115, 320. 199 BVerfGE 115, 320 (351 ff.); eingehend auch bereits Teil 2 A. II. 2. 200 Sondervotum Haas BVerfGE 115, 320 (376). 201 Siehe auch Welsing, Recht auf informationelle Selbstbestimmung, S. 427 f. 202 Sondervotum Haas BVerfGE 115, 320 (375 f.); zustimmend Hillgruber, JZ 2007, S. 209 (213). Eine ähnliche Umkehrung der Argumentation nimmt Luch, Medienpersönlichkeitsrecht, S. 447 ff. vor. Luch führt Einschüchterungseffekte sowohl gegen als auch für ein großzügiges Verständnis der Meinungsfreiheit an. 203 Sondervotum Haas BVerfGE 115, 320 (375).

B. Kritik der Rechtsprechung

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werden kann, sollte gefolgt werden. Damit soll nicht in Abrede gestellt werden, dass einschüchternde Wirkungen auch außerhalb staatlichen Handelns entstehen können. Furcht kann zweifelsohne zahlreiche, vielfältige Ursachen und Auslöser haben. Insofern soll in der Sache nicht bestritten werden, dass etwa terroristische Bedrohungen Furcht in der Bevölkerung auslösen können. Mit Blick auf die Grundrechtsprüfung ist insofern jedoch zu differenzieren: Furcht vor anderen Bedrohungen, insbesondere solche, die nicht durch staatliches Handeln ausgelöst wird, kann in der verfassungsrechtlichen Prüfung allenfalls im Rahmen der Abwägung der betroffenen Rechtsgüter Bedeutung erlangen und ist von der Einschüchterungswirkung staatlicher Tätigkeit zu unterscheiden.204 Dogmatisch handelt es sich insofern um eine Frage staatlichen Schutzes.205

II. Wertungswidersprüche Darüber hinaus erscheint die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in einzelnen Aspekten widersprüchlich.206 Einzelne Differenzierungen lassen sich prima facie nur schwer mit dem Gedanken von Einschüchterungseffekten vereinbaren. 1. Sog. Nichttrefferfälle Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts stellen informationsbezogene Maßnahmen (noch) keinen Grundrechtseingriff dar, sofern die erfassten Daten spurenlos und unverzüglich wieder gelöscht werden. Ein Eingriff wird hingegen bei einer darüber hinausgehenden Speicherung oder Verwendung personenbezogener Daten angenommen.207 Beispielsweise wird bei einer Kfz-Kennzeichenüberwachung das erfasste Kennzeichen unverzüglich mit dem Fahndungsbestand abgeglichen und im Falle eines „Nichttreffers“ sofort wieder gelöscht. In diesem Fall ist nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts die Eingriffsschwelle nicht überschritten. Ebenso liege bei Rasterfahndung, Zielwahlsuche oder Fernmeldeüberwachung (noch) kein Eingriff vor, sofern Informationen „ungezielt und allein technikbedingt zunächst miterfasst, aber unmittelbar nach der Erfassung technisch wieder anonym,

204

Vgl. Welsing, Recht auf informationelle Selbstbestimmung, S. 428. Siehe zu diesen unterschiedlichen Dimensionen auch bereits Teil 1 B., insbesondere unter IV. 206 Von Wertungswidersprüchen in der Rechtsprechung geht ebenfalls aus Nettesheim, VVDStRL 70 (2011), S. 7 (27 f.). 207 BVerfGE 100, 313 (366); 107, 299 (328); 115, 320 (343); 122, 342 (372 ff.). Kritisch Schewe, NWVBl. 2004, S. 415 (416 f.); Breyer, NVwZ 2008, S. 824 (824 f.); Cornils, JURA 2010, S. 443 (445); Schwabenbauer, Heimliche Grundrechtseingriffe, S. 151 ff. Zu dieser Differenzierung vgl. auch Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 53 f. 205

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Teil 2: Analyse der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

spurenlos und ohne Erkenntnisinteresse für die Behörden wieder ausgesondert werden“.208 Bei genauer Betrachtung entscheidet auf diese Weise das Ergebnis des Abgleichs („Treffer“ oder „Nichttreffer“) über die rechtliche Beurteilung der Erhebungshandlung. Das Vorliegen eines Eingriffs wird ex post bestimmt.209 Damit steht im Widerspruch, wenn man das Vorliegen einer Beeinträchtigung mit einem Einschüchterungseffekt begründet: Für den Betroffenen ist im Zeitpunkt der Vornahme der Maßnahme gerade nicht erkennbar, ob die Daten unmittelbar nach der Erfassung spurenlos gelöscht werden – die von der Maßnahme ausgehende einschüchternde Wirkung dürfte davon unabhängig entstehen.210 Nach überzeugender Ansicht kann der Beurteilungszeitpunkt für das Vorliegen eines Eingriffs allein der Zeitpunkt der Vornahme der staatlichen Handlung sein, hier also der Erhebungszeitpunkt.211 Mit Blick auf die Entstehung von Einschüchterungseffekten ist festzuhalten, dass es keinen Unterschied machen dürfte, ob jemand als „Treffer“ oder „Nichttreffer“ erfasst wird. Zwischen einer Differenzierung, die an das Ergebnis eines Datenabgleichs oder die nachträgliche Verwendung der Daten anknüpft, und möglichen Einschüchterungseffekten besteht insofern kein zwingender Zusammenhang. 2. Videoüberwachungsmaßnahmen, insbesondere Kameraattrappen Ähnliches gilt für die Beurteilung staatlicher Kameraüberwachung. Insofern wird zwischen der bloßen Beobachtung (im sog. Kamera-Monitor-Verfahren) und der Aufnahme und/oder Speicherung mittels Kamera differenziert.212 In der Eilentscheidung zum Bayerischen Versammlungsgesetz argumentiert das Bundesverfassungsgericht mit der einschüchternden Wirkung staatlicher Kameraüberwachung. Als unzulässig werden aber nur solche Kameras angesehen, deren Aufnahmen gespeichert werden.213 Diese Differenzierung mag im Ergebnis mit Blick auf die Verfassungsmäßigkeit von Kameraüberwachungen durchaus überzeugen. Die unterschiedliche Beurteilung kann jedoch kaum auf mögliche Einschüchterungseffekte zurückgeführt werden: Für die Betroffenen ist gerade nicht erkennbar, ob eine Kamera bloße Übersichtsaufnahmen im Kamera-Monitor-Verfahren übermittelt

208 BVerfGE 115, 320 (343) – Rasterfahndung; siehe auch BVerfGE 107, 299 (328) – Handyüberwachung; BVerfGE 100, 313 (366) – Telekommunikationsüberwachung; BVerfGE 120, 378 (399) – Kfz-Kennzeichenüberwachung. 209 Kritisch Schwabenbauer, Heimliche Grundrechtseingriffe, S. 154; ähnlich auch Breyer, NVwZ 2008, S. 824 (825). 210 Vgl. Cornils, JURA 2010, S. 443 (445 f.). 211 Schwabenbauer, Heimliche Grundrechtseingriffe, S. 154 m.w.N. 212 Siehe nur Rath, KJ Beiheft 01/2009, S. 65 (76 f.). 213 Hierzu BVerfGE 122, 342 (368 ff.).

B. Kritik der Rechtsprechung

85

oder ob eine Speicherung erfolgt.214 Die von einer Kameraüberwachung ausgehenden Einschüchterungseffekte knüpfen an die Wahrnehmung der Betroffenen an, nicht an die tatsächliche technische Ausgestaltung der Überwachung; einschüchternde Wirkungen entstehen unabhängig von der genannten Differenzierung.215 Weiter gedacht: Stellt man maßgeblich auf einschüchternde Wirkungen ab, kann ein Eingriff auch bei bloß scheinbaren, informationsbezogenen Maßnahmen anzunehmen sein, soweit diese geeignet sind, ein Gefühl des Überwachtwerdens auszulösen.216 Einschüchterungseffekte sind anzunehmen, wenn der Betroffene eine Überwachung nicht ohne Grund befürchtet. Ob tatsächlich eine solche stattfindet, ist für ihn hingegen nicht erkennbar. Einschüchterungseffekte können daher ebenso aufgrund einer (täuschend echten) Attrappe oder einer ausgeschalteten Kamera entstehen. Einige Fachgerichte sehen daher bereits in der Aufstellung einer Kameraattrappe einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht.217 Insofern ist eine differenzierte Betrachtung erforderlich. Jedenfalls ist die Annahme eines Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, ohne dass eine Erhebung personenbezogener Daten erfolgt, als zu weitgehend abzulehnen.218 Offen bleibt hingegen, ob aufgrund der psychischen Einwirkung durch Einschüchterung ein Eingriff in die jeweils betroffene Verhaltensfreiheit oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht angenommen werden kann.219 3. Heimliche Maßnahmen Heimliche Maßnahmen des Staates sind für die Betroffenen in ihrer konkreten Anwendung nicht wahrnehmbar. Es erscheint daher zunächst widersprüchlich, wenn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts von heimlichen Maßnahmen erhebliche Einschüchterungseffekte ausgehen sollen.220 Jedenfalls kann es nicht überzeugen, mit dieser Begründung eine Beeinträchtigung von Grundrechten 214

So auch Rath, KJ Beiheft 01/2009, S. 65 (76 f.). Insofern jedenfalls konsequent VG Berlin, DVBl. 2010, S. 1245 (1246). Das Gericht bejaht einen Eingriff mit Verweis auf Einschüchterungseffekte auch bei einer Videoüberwachung ausschließlich im Kamera-Monitor-Verfahren. Siehe auch Roggan, NVwZ 2010, S. 1402 (1402, 1404). 216 Vgl. Cornils, JURA 2010, S. 443 (446); Schewe, NWVBl. 2004, S. 415 (417). 217 AG Wedding, WuM 1998, S. 342; LG Braunschweig, NJW 1998, S. 2457; LG Darmstadt, NZM 2000, S. 360; LG Bonn, NJW-RR 2005, S. 1067 (1068); zustimmend Breyer, NVwZ 2008, S. 824 (825, Fn. 14). 218 Vgl. Schewe, NWVBl. 2004, S. 415 (417). Ausführlich zum grundrechtlichen Maßstab unten in Teil 3 B. III. 219 In diese Richtung ebenfalls Schewe, NWVBl. 2004, S. 415 (417). Hierzu ausführlich unten in Teil 3 C. 220 Diesen Widerspruch betont Haas prägnant in ihrem Sondervotum zum Rasterfahndungsbeschluss, siehe BVerfGE 115, 320 (371 f.): „Nichtwissen soll ebenso wie Wissen die Eingriffsintensität steigern.“ 215

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Teil 2: Analyse der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

anzunehmen, da das Vorliegen eines Grundrechtseingriffs nicht kenntnisabhängig ist.221 Bei differenzierter Betrachtung löst sich der scheinbare Widerspruch jedoch auf. Auslöser für Einschüchterungseffekte ist bei heimlichen Maßnahmen nicht die konkrete Einzelmaßnahme, da der Betroffene in der konkreten Situation keine Kenntnis von der Maßnahme hat. Einschüchterungswirkungen können aber von dem Bewusstsein ausgehen, jederzeit von einer entsprechenden Maßnahme betroffen sein zu können.222 Insofern kann bereits die bloße Kenntnis der Möglichkeit solcher Maßnahmen einschüchternd wirken; Auslöser für Einschüchterungseffekte kann insofern nicht die individuelle Maßnahme sein, sondern die zugrundeliegende Befugnisnorm. 4. Zwischenergebnis So viel Sinn die getroffenen Differenzierungen im Einzelnen mit Blick auf Verhältnismäßigkeitserwägungen ergeben, so wenig lassen sie sich mit Einschüchterungseffekten begründen. Der Grund für die dargestellten Friktionen ist, dass die Figur der Einschüchterungseffekte im Vergleich zur gängigen Dogmatik eine andere Perspektive einnimmt. Während die Beurteilung von Eingriffsqualität und Eingriffsintensität „normalerweise“ von der Ausgestaltung der staatlichen Maßnahme als solcher abhängig ist, nimmt die Figur der Einschüchterungseffekte die Wirkungen der Maßnahme auf die Betroffenen in den Blick. Nimmt man die Argumentationsfigur ernst, so sind die (begründeten) Befürchtungen des (objektivierten) Betroffenen in der Situation staatlichen Handelns maßgeblich. Entscheidend ist, wie sich das staatliche Handeln für den Betroffenen darstellt; die tatsächliche Ausgestaltung der Maßnahme, die nachträgliche Verarbeitung und Verwendung der erfassten Informationen oder das Ausmaß der staatlichen Tätigkeit können für die Beurteilung der einschüchternden Wirkung einer konkreten Maßnahme hingegen kaum maßgeblich sein. Davon zu unterscheiden ist die Frage nach Einschüchterungswirkungen, die bereits von der gesetzlichen Ermächtigung ausgehen können. Hier ist überzeugend, dass Möglichkeiten einer anlasslosen, flächendeckenden, heimlichen Überwachung stärker einschüchternd wirken können als eine begrenzte, punktuelle Einzelmaßnahme. Das Bewusstsein, welche weitreichenden Befugnisse dem Staat zustehen, kann bei den Bürgern Furcht vor Überwachung und staatlichem Geheimwissen hervorrufen. Hierbei handelt es sich jedoch um eine von der individuellen Einschüchterung angesichts konkreter Maßnahmen zu unterscheidende Konstellation.

221 222

Maske, NVwZ 2001, S. 1248 (1249); Cornils, JURA 2010, S. 443 (446). So auch Oermann/Staben, Der Staat 52 (2013), S. 630 (644).

C. Zwischenfazit

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C. Zwischenfazit: Argumentationsfigur ohne ausgearbeitete Dogmatik Das Bundesverfassungsgericht erkennt in seiner Rechtsprechung die (potentiell) freiheitsbeeinträchtigende Wirkung von Furcht an. Der Begriff der Einschüchterungseffekte findet in den Entscheidungen des Gerichts Verwendung, sofern staatliches Handeln aufgrund seiner einschüchternden Wirkung den Einzelnen davon abhält, grundrechtliche Freiheiten wahrzunehmen. Dabei wird nicht nur die individuelle Betroffenheit, sondern auch die nachteilige Wirkung auf die Gesellschaft insgesamt betont. Auch wenn das Gericht die Argumentationsfigur bislang insbesondere in zwei thematischen Kontexten heranzieht, wird deutlich, dass Einschüchterungseffekte grundsätzlich von jeder Form staatlichen Handelns (Einzelakten, gesetzlichen Befugnissen, gerichtliche Entscheidungen) ausgehen können. Insbesondere können einschüchternde Wirkungen auftreten, wenn der Grundrechtsgebrauch mit einem schwer kalkulierbaren Risiko straf- oder zivilrechtlicher Sanktionen verbunden wird oder wenn der Staat den Bürger überwacht und registriert. Wenig klar ist hingegen die dogmatische Bedeutung von Einschüchterungseffekten für die Grundrechtsprüfung. Obwohl die Figur seit dem Volkszählungsurteil stetig an Bedeutung gewonnen hat, mittlerweile in zahlreichen Entscheidungen Verwendung findet und als fester Bestandteil der Rechtsprechung gelten kann,223 fehlt es bislang an einer „ausgearbeiteten Dogmatik“.224 Der Schutz vor Einschüchterungseffekten erscheint teils als Ausprägung einzelner Schutzbereiche, teils deutet sich ein eigenständiger Grundrechtseingriff aufgrund einschüchternder Wirkungen an, teils sollen Einschüchterungseffekte die Eingriffsintensität erhöhen. So geht das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung auch dem Schutz vor Einschüchterungseffekten dient. Dies gilt in der Sache auch für die speziellen Gewährleistungen von Privatheit und Kommunikation, ohne dass das Bundesverfassungsgericht dies explizit ausführt. Hier werden Einschüchterungseffekte insbesondere im Rahmen der Abwägung zur Begründung einer erhöhten Eingriffsintensität herangezogen. Weitgehend unklar bleibt, ob Einschüchterungseffekte das Vorliegen eines Grundrechtseingriffs begründen können. Im Kern steht insofern die Frage, ob (allein) aufgrund einschüchternder Wirkungen, die von einer staatlichen Maßnahme ausgehen, ein Grundrechtseingriff angenommen werden kann. Zwar betont das Gericht wiederholt, dass Einschüchterungseffekte die Ausübung grundrechtlicher Freiheiten 223

Kulwicki, Verfassungswandel, S. 223 spricht von einem „Bedeutungsgewinn des Einschüchterungseffekts“. 224 Rath, KJ Beiheft 01/2009, S. 65 (69 ff.); ähnlich auch die Einschätzung von Bode, Ermittlungsmaßnahmen, S. 114.

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Teil 2: Analyse der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

hemmen können. Ob deshalb ein Eingriff in die nachteilig betroffenen Freiheitsgrundrechte anzunehmen ist, bleibt indes offen. Sofern das Gericht in einzelnen Entscheidungen Einschüchterungseffekte im Rahmen der Eingriffsbestimmung heranzieht, erfolgt dies nur als unterstützendes, nicht als tragendes Argument. Insbesondere aufgrund von begrifflichen und dogmatischen Unklarheiten ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts daher unterschiedlichen Einwänden ausgesetzt. Dabei greift die Kritik die Argumentationsfigur im Wesentlichen jedoch nicht dem Grunde nach an, sondern verdeutlicht vielmehr (noch) bestehende dogmatische Unklarheiten und zeigt (vermeintliche) Widersprüche. In der Auseinandersetzung mit der Kritik haben sich Ansätze gezeigt, wie die Figur der Einschüchterungseffekte dogmatisch handhabbar gemacht werden kann und Widersprüche vermieden werden können. Erstens kann es für die Bestimmung von Einschüchterungseffekten nicht maßgeblich auf das subjektive Empfinden ankommen; es ist ein objektiviertes Verständnis zugrunde zu legen. Zweitens bedarf es mit Blick auf die Auslöser sowie die Auswirkungen von Einschüchterungseffekten einer differenzierten Betrachtung. So ist zu unterscheiden, ob Einschüchterungswirkungen auf den gesetzlichen Befugnissen oder auf der konkreten Einzelmaßnahme beruhen. Schließlich und drittens ist entscheidend, ob Einschüchterungswirkungen den allgemeinen Freiheitsgebrauch betreffen oder ob (auch) nachteilige Auswirkungen auf konkrete Verhaltensweisen gegeben sind.

Teil 3

Freiheit von Furcht im Grundgesetz Obwohl Einschüchterungseffekte in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum „festen Argumentationsmaterial“1 geworden sind, ist ihre dogmatische Bedeutung noch weitgehend offen. Dies wurde nicht zuletzt durch voranstehende Untersuchung deutlich. Obwohl kaum bestritten wird, dass von staatlichen Handlungen einschüchternde Wirkungen auf den Grundrechtsgebrauch ausgehen können, fehlt es bislang an einer stringenten und überzeugenden Dogmatik der Figur. Ausgehend von den bisherigen Erkenntnissen der Arbeit und unter Einbeziehung unterschiedlicher Ansätze im Schrifttum wird im Folgenden die Bedeutung von Einschüchterungseffekten für den Grundrechtsschutz systematisch untersucht. Damit wird zugleich zur Klärung der aufgezeigten, noch offenen Fragen beigetragen.

A. Einschüchterungseffekte – eine erneute Annäherung Bevor auf die grundrechtliche – und damit juristische – Bedeutung von Einschüchterungseffekten einzugehen ist, werden zunächst zentrale Begrifflichkeiten betrachtet, welche den Untersuchungsgegenstand näher eingrenzen und greifbar machen (I.). Anschließend wird der Blick auf psychologische und sozialwissenschaftliche Bedingungen von Einschüchterung gelenkt (II.).

I. Zentrale Begriffe Einschüchterung und Furcht sind keine feststehenden Rechtsbegriffe. Um die Figur des Einschüchterungseffekts juristisch handhabbar zu machen, ist es notwendig, zentrale Begriffe näher zu bestimmen und jedenfalls für den Begriff des Einschüchterungseffekts eine abstrakte (Arbeits-)Definition herauszuarbeiten. Da die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Definition vermissen lässt, kann diese lediglich als Ausgangspunkt dienen.

1

So zutreffend W. Schmitt Glaeser, AöR 113 (1988), S. 52 (66).

90

Teil 3: Freiheit von Furcht im Grundgesetz

1. Angst und Furcht Die Begriffe Angst und Furcht bezeichnen menschliche Gefühle. Gemeint sind Emotionen, die bei einer realen oder zumindest real empfundenen Bedrohung auftreten.2 In Psychologie und Philosophie wird weitergehend zwischen Angst als allgemeines, diffuses, gegenstandsloses Gefühl und Furcht als konkretes, spezifisches, objekt-bezogenes Gefühl differenziert.3 Diese Unterscheidung lässt sich indes bereits im wissenschaftlichen Sprachgebrauch selten konsequent durchhalten. In Anlehnung an die Verwendung im allgemeinen Sprachgebrauch4 und in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts5 werden die Begriffe Angst und Furcht im Folgenden synonym gebraucht; für eine Differenzierung besteht mit Blick auf diese Arbeit kein Grund. 2. Freiheit von Furcht und Sicherheit Definiert man Furcht somit als Gefühl, welches angesichts einer Bedrohung oder Gefahr entsteht, bedeutet Freiheit von Furcht umgekehrt das Fehlen von Furcht, mithin die Abwesenheit eines Gefühls von Bedrohung oder Gefahr. Häufig wird Freiheit von Furcht – positiv gewendet – mit einem Gefühl der Sicherheit übersetzt.6 Werden Freiheit von Furcht und Sicherheit auf diese Weise verknüpft, so ist Freiheit von zwischenmenschlicher Furcht gemeint. Deren staatsrechtliche „Übersetzung“ ist die Sicherheit, welche der Staat gegenüber Angriffen oder Bedrohungen geschützter Rechtsgüter durch Dritte gewährleistet. Insofern wird Freiheit von Furcht im Kontext einer Staatsaufgabe Sicherheit, grundrechtlicher Schutzpflichten oder einem Grundrecht auf Sicherheit gedacht.7

2

Vgl. Krohne, Psychologie der Angst, S. 18; Kaufmann, Sicherheit, S. 285 ff. Zur Definition der Begrifflichkeiten: Bergius/Caspar, Angst, in: Wirtz, Lexikon der Psychologie, S. 148; Puca, Furcht, in: Wirtz, Lexikon der Psychologie, S. 597; zur Unterscheidung zwischen Angst und Furcht in der Psychologie: Krohne, Psychologie der Angst, S. 18 f.; aus soziologischer Perspektive: Kaufmann, Sicherheit, S. 152, 286 ff.; allgemein zu den Emotionen Angst und Furcht vgl. auch Hock/Kohlmann, Angst und Furcht, in: Brandstätter/ Otto, Handbuch der allgemeinen Psychologie, S. 623; Definition und Differenzierungen gehen im Wesentlichen auf Freud, Hemmung, Symptom und Angst, 1926 zurück. 4 Darauf wird im Duden-Wörterbuch ausdrücklich hingewiesen, siehe Duden Verlag, Stichwort: „Angst“, http://www.duden.de/node/678591/revisions/1612937/view (Abfrage: 20. 12. 2016). 5 Zur Terminologie in der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung siehe oben in Teil 2 A. I. 6 Siehe Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 223. Der Verknüpfung von Furcht und Sicherheit widmet sich eingehend: Kaufmann, Sicherheit, S. 52 ff. Der Begriff „securus“ bezeichnet ursprünglich den furchtlosen, unbesorgten Menschen bzw. Dinge/Situationen, die keinen Anlass zur Sorge geben. 7 So etwa Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 223. 3

A. Einschüchterungseffekte – eine erneute Annäherung

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Für die vorliegende Arbeit ist diese Verknüpfung daher missverständlich: Gegenstand der Untersuchung sind Einschüchterungseffekte, welche von staatlichem Handeln ausgehen. Insofern geht es um Freiheit von Furcht vor dem Staat, nicht vor Bedrohungen durch Dritte. Verfassungsrechtlich ist diese Dimension der „Freiheit“ und nicht der „Sicherheit“ zuzuordnen.8 3. Einschüchterungseffekte Mit Blick auf den Begriff des Einschüchterungseffekts fehlt es bislang an einer eindeutigen Definition oder Begriffsbestimmung, was zu Unsicherheiten im Umgang mit der Figur beiträgt. Es ist daher, ausgehend vom Wortlaut sowie der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, eine abstrakte (Arbeits-)Definition herauszuarbeiten. Nach dem allgemeinen Wortsinn bedeutet einschüchtern, „jemandem Angst machen und ihm dadurch den Mut zu etwas nehmen“.9 Während sich Einschüchterung vorrangig auf die psychische Einwirkung bezieht, schließt Einschüchterungseffekt bereits begrifflich die (bezweckten oder unbezweckten) Auswirkungen einer Einschüchterung mit ein.10 Folglich kann von einem Einschüchterungseffekt gesprochen werden, wenn etwas als bezweckte oder nicht bezweckte Wirkung bei dem Betroffenen Angst auslöst und ihm dadurch den Mut zu etwas nimmt. Für das Verfassungsrecht erfährt der Begriff gegenüber der allgemeinsprachlichen Definition eine Präzisierung in zweifacher Hinsicht: In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird er zum einen allein auf staatliches Handeln als Auslöser der Einschüchterung bezogen. Zum anderen findet er nicht für jegliche Wirkungen, sondern speziell für Auswirkungen auf die Grundrechtsausübung Verwendung. Die allgemeine Definition wird somit in Bezug auf die Auslöser sowie die Wirkung von Einschüchterungseffekten konkretisiert. Mithin bezeichnen Einschüchterungseffekte im Verfassungsrecht den Fall, dass staatliches Handeln als bezweckte oder nicht bezweckte Wirkung bei den Betroffenen Angst auslöst und ihnen dadurch den Mut zur Grundrechtsausübung nimmt. Verkürzt lässt sich folgende Definition des Begriffs Einschüchterungseffekt ableiten, welche im Folgenden zugrunde gelegt wird: Einschüchterungseffekte sind anzunehmen, sofern staatliches Handeln – bezweckt oder unbezweckt – Furcht verursacht und in der Folge den Betroffenen davon abhält, seine grundrechtlichen Freiheiten auszuüben.11 8

Vgl. bereits oben Teil 1 B. IV. und Teil 2 B. I. Duden Verlag, Stichwort: „einschüchtern“, http://www.duden.de/node/810519/revisi ons/1362655/view (Abfrage: 20. 12. 2016). 10 Siehe die entsprechende Definition des Begriffes „Effekt“: Duden Verlag, Stichwort: „Effekt“, http://www.duden.de/node/660676/revisions/1360413/view (Abfrage: 20. 12. 2016). 11 Ähnlich Assion, in: Telemedicus e.V., Überwachung und Recht, S. 31 (38). 9

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Teil 3: Freiheit von Furcht im Grundgesetz

Nach diesem Verständnis stellen sich Einschüchterungseffekte bereits begrifflich als „Bindeglied“ zwischen staatlichem Handeln und Grundrechtsbetroffenheit dar,12 wobei sowohl das konkrete staatliche Handeln als Auslöser als auch die nachteilig betroffene grundrechtliche Freiheit offen bleiben.13 4. „Chilling Effects“ Vielfach wird die Problematik einschüchternder Wirkungen mit dem Begriff der „Chilling Effects“ adressiert bzw. in Verbindung gebracht.14 Die Bezeichnung entstammt der angloamerikanischen Rechtsprechung und findet auch in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Verwendung.15 Gemeint sind Wirkungen staatlichen Handelns, die die Bürger vom Gebrauch ihrer Grundrechte abhalten.16 Dabei finden „Chilling Effects“ überwiegend im Zusammenhang mit der Meinungsfreiheit Erwähnung; gerade in jüngerer Zeit werden sie aber auch im Kontext informationeller Maßnahmen diskutiert.17 Die Figur der Einschüchterungseffekte im deutschen Recht hat sich teils daran angelehnt, teils eigenständig entwickelt. Während im Schrifttum vielfach auf die Rechtsfigur der Chilling Effects verwiesen wird, stellt das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung keine Bezüge her. Obgleich sich begriffliche und inhaltliche Parallelen zeigen, soll die dogmatische Bedeutung von Einschüchterungseffekten in der vorliegenden Arbeit ausschließlich mit Blick auf das deutsche Verfassungsrecht untersucht werden.18

12

Nach Oermann/Staben, Der Staat 52 (2013), S. 630 (640) steht Abschreckung als „Faktor“ zwischen staatlicher Maßnahme und Beeinträchtigung. 13 Davon ausgehend besteht weiterer Konkretisierungsbedarf, der jedoch im Rahmen dieser Arbeit lediglich ansatzweise geleistet werden kann. Insofern wird im Folgenden ein Blick auf die Wirkungsweise von Einschüchterung (Teil 3 A. II.) sowie die Auswirkungen auf grundrechtliche Freiheiten im Einzelnen geworfen (Teil 3 B.). 14 Ausdrücklich etwa Assion, in: Telemedicus e.V., Überwachung und Recht, S. 31 (31 ff.). 15 Siehe EGMR, NJW 2004, S. 3317 (3319) – Steur/Niederlande, dort mit „bremsender Wirkung“ übersetzt; in der Sache bereits ähnlich EGMR, NJW 1979, S. 1755 (1756 f.) – Klass/ Deutschland; vgl. hierzu auch: Rath, KJ Beiheft 01/2009, S. 65 (65); Schwabenbauer, Heimliche Grundrechtseingriffe, S. 140 f. m.w.N. 16 So Assion, in: Telemedicus e.V., Überwachung und Recht, S. 31 (32). 17 Siehe Assion, in: Telemedicus e.V., Überwachung und Recht, S. 31 (32); Schwabenbauer, Heimliche Grundrechtseingriffe, S. 140 ff. speziell mit Blick auf heimliche Informationserhebungen. 18 Vgl. aber die Ansätze bei Assion, in: Telemedicus e.V., Überwachung und Recht, S. 31 (31 f.).

A. Einschüchterungseffekte – eine erneute Annäherung

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5. Weitergehende Differenzierungen a) Positive und negative Einschüchterung Teilweise wird der Begriff der Einschüchterungseffekte ausschließlich auf eine Abschreckung von erlaubtem Verhalten bezogen.19 Gemeint sei hingegen nicht die (gewünschte) Abschreckung von rechtswidrigem Handeln.20 Assion unterscheidet zwischen positiver und negativer Einschüchterung.21 Nach hier vertretener Auffassung ist insofern jedoch keine Begriffsverengung anzunehmen. Damit soll nicht in Abrede gestellt werden, dass diese Differenzierung einen Hinweis auf die Grundrechtsrelevanz bzw. Verfassungsmäßigkeit von Einschüchterungseffekten geben kann. Wird der Betroffene ausschließlich von rechtswidrigem Verhalten abgeschreckt, kann der diesbezüglichen Einschüchterungswirkung jedenfalls im Ergebnis keine Durchschlagskraft zukommen. Oder kürzer gefasst: Eine Abschreckung von rechtswidrigem Verhalten wird in der Regel verfassungsrechtlich zulässig sein.22 Dabei handelt es sich jedoch um eine Frage der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. Für die Annahme eines Einschüchterungseffekts ist zunächst unbeachtlich, ob der Bürger dadurch in rechtswidrigem oder rechtmäßigem Verhalten betroffen ist. b) Auswirkungen auf den Grundrechtsträger und die Gesellschaft In der Literatur wird außerdem in Hinblick auf die von der Einschüchterung Betroffenen differenziert: So wird zwischen Auswirkungen auf den individuellen Grundrechtsträger einerseits und die Gesellschaft insgesamt andererseits unterschieden.23 Diese Unterscheidung ist bereits in der Rechtsprechung angelegt, ohne jedoch herausgestellt zu werden: „Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl […].“24 In welchen Fällen eine Maßnahme Einschüchterungswirkungen entfaltet, die über den einzelnen Bürger hinausgehen und die Gesellschaft insgesamt betreffen, ist indes nicht hinreichend geklärt. 19 Rath, KJ Beiheft 01/2009, S. 65 (65) nimmt Einschüchterungseffekte an, wenn „jemand erlaubte Handlungen unterlässt, weil er Nachteile für sich befürchtet“. 20 Wie beispielsweise durch Strafnormen, siehe hierzu Rath, Beiheft 01/2009, S. 65 (65). 21 Assion, in: Telemedicus e.V., Überwachung und Recht, S. 31 (49 ff.). 22 Insofern kann eine Parallele zu der Frage gezogen werden, ob der Schutzbereich einzelner Grundrechte auch rechtswidrige Verhaltensweisen umfasst. Dies ist grundsätzlich zu bejahen, da ansonsten der Umfang grundrechtlicher Gewährleistungen durch einfache Gesetze determiniert werden könnte. 23 Siehe Assion, in: Telemedicus e.V., Überwachung und Recht, S. 31 (33 f.); vgl. auch Rath, KJ Beiheft 01/2009, S. 65 (65): „Denn sie beschränken unnötig die grundrechtlichen Entfaltungsmöglichkeiten der einzelnen Bürger und gefährden zugleich das Klima und die Mechanismen einer liberalen Gesellschaft.“ – Hervorhebung durch die Verfasserin. 24 Statt vieler BVerfGE 65, 1 (43) – Hervorhebung durch die Verfasserin; siehe bereits oben Teil 2 A. III. 3.

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Teil 3: Freiheit von Furcht im Grundgesetz

c) Konkrete und allgemeine Einschüchterungseffekte Schließlich kann eine Differenzierung mit Blick auf die betroffene Freiheitsausübung erfolgen. Während Einschüchterungseffekte teilweise spezielle grundrechtlich geschützte Verhaltensweisen betreffen, wird an anderer Stelle auf die Grundrechtsausübung allgemein bzw. auf die Ausübung aller Grundrechte Bezug genommen.25 So kann etwa eine Videoüberwachung einer Versammlung potenzielle Teilnehmer von der Teilnahme abhalten,26 während sich mit den Möglichkeiten der Vorratsdatendatenspeicherung eher ein diffuses Gefühl des Überwachtwerdens verbindet.27 Bei Letzterem beeinträchtigen Einschüchterungseffekte weniger eine bestimmte grundrechtliche Verhaltensweise, sondern vielmehr die allgemeine Grundrechtsausübung. Insofern kann zwischen Auswirkungen auf ein bestimmtes Verhalten des einzelnen Grundrechtsträgers („konkrete Einschüchterungseffekte“) und allgemeinen Auswirkungen auf die unbefangene Grundrechtsausübung insgesamt („allgemeine Einschüchterungseffekte“) unterschieden werden.28 Dabei ist die Unterscheidung freilich nicht immer eindeutig; vielmehr sind graduelle Abstufungen und Überschneidungen möglich.

II. Wirkungsweise von Einschüchterungseffekten: tatsächliche, psychologische und sozialwissenschaftliche Bedingungen Um die Argumentationsfigur greifbar zu machen, soll im Folgenden die tatsächliche Wirkungsweise von Einschüchterung näher in den Blick genommen werden. 1. Verhaltensänderungen durch psychischen Druck Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt im Zusammenhang mit einschüchternden Maßnahmen auf das Entstehen von Ängsten aufmerksam gemacht.29 So geht das Gericht im Zusammenhang mit staatlichen Überwachungsmaßnahmen von Einwirkungen auf das Verhalten des Einzelnen durch den psychischen Druck öffentlicher Anteilnahme aus.30 Die Unbefangenheit des Verhaltens insgesamt, sowie 25 In diese Richtung auch Assion, in: Telemedicus e.V., Überwachung und Recht, S. 31 (45 f.). 26 BVerfG-K, NVwZ 2007, S. 688 (690 ff.). 27 BVerfGE 125, 260 (319). 28 Der Begriff „allgemeine Einschüchterungseffekte“ findet bereits in der Rechtsprechung Verwendung, siehe BVerfGE 120, 378 (402). 29 Siehe oben Teil 2 A. 30 BVerfGE 65, 1 (42).

A. Einschüchterungseffekte – eine erneute Annäherung

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der Kommunikation im Speziellen, könne durch ein Gefühl des Überwachtwerdens gefährdet werden.31 Auch im Schrifttum werden Verhaltensanpassungen und -änderungen maßgeblich auf die psychologischen und emotionalen Wirkungen beim Betroffenen zurückgeführt.32 Es wird angenommen, die Unsicherheit über drohende Nachteile entfalte psychischen Druck, welcher den Einzelnen veranlasse, sein Verhalten zu ändern oder anzupassen.33 Die Furcht vor Nachteilen, die Ungewissheit über Konsequenzen halte Betroffene von der Grundrechtsausübung ab.34 Wer nicht in der Lage sei, die möglichen Folgen seiner Handlungen zu überblicken und einzuschätzen, sehe sich dem psychischen Druck ausgesetzt, bestimmte Verhaltensweisen zu unterlassen.35 Insofern wird auch von Vermeideverhalten,36 Konformitätsdruck37, Anpassungsdruck38 oder Überwachungsdruck39 gesprochen. Einschüchterungseffekte sind dadurch gekennzeichnet, dass sie durch psychischen Druck auf das Verhalten einwirken. Anders als bei herkömmlichen Maßnahmen entsteht die beeinträchtigende Wirkung nicht aufgrund von unmittelbarem Zwang, sondern erst vermittelt durch das Gefühlsleben bzw. die innere Entscheidung des Betroffenen.40 Erst die interne Umsetzung einer äußeren Einwirkung führt zu einer Änderung des Verhaltens; insofern wird auch von Mittelbarkeit durch Internalisierung gesprochen.41 In diesem Prozess kann die konkrete Reaktion der Betroffenen freilich durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst werden.42

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Bereits BVerfGE 34, 238 (246 f.). Etwa Dolderer, NVwZ 2001, S. 130 (134); Pohl, KJ 2003, S. 317 (318); Geiger, VideoÜberwachungstechnologie, S. 52 ff.; Held, Intelligente Videoüberwachung, S. 82; Bode, Ermittlungsmaßnahmen, S. 124 ff.; grundlegend bereits Evers, Privatsphäre und Ämter für Verfassungsschutz, S. 12 ff. 33 Schewe, NWVBl. 2004, S. 415 (416); siehe auch Dolderer, NVwZ 2001, S. 130 (132); Röger/Stephan, NWVBl. 2001, S. 201 (207); Achelpöhler/Niehaus, DuD 2002, S. 731 (732); ferner Pohl, KJ 2003, S. 317 (320). 34 Pohl, KJ 2003, S. 317 (320). 35 Feik, Öffentliche Verwaltungskommunikation, S. 47. 36 Schewe, NWVBl. 2004, S. 415 (417). 37 Schewe, NWVBl. 2004, S. 415 (417). 38 Fischer, VBlBW. 2002, S. 89 (92); siehe bereits W. Schmitt Glaeser, AöR 113 (1988), S. 52 (60). 39 Kloepfer/Breitkreutz, DVBl. 1998, S. 1149 (1152); Röger/Stephan, NWVBl. 2001, S. 201 (207). 40 Vgl. Dolderer, NVwZ 2001, S. 130 (134); ähnlich Assion, in: Telemedicus e.V., Überwachung und Recht, S. 31 (35); auch bereits Kübler, JuS 1966, S. 319 (319, 320). 41 Oermann/Staben, Der Staat 52 (2013), S. 630 (641). 42 Assion, in: Telemedicus e.V., Überwachung und Recht, S. 31 (35, 37). Auf das komplexe Kausalgefüge wird noch im Zusammenhang mit der Eingriffsbestimmung eingegangen, unten Teil 3 C. II. 3. a). 32

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Teil 3: Freiheit von Furcht im Grundgesetz

Der psychische Druck bewirkt nicht nur eine Anpassung an Rechtsnormen, sondern auch – oder gerade – an (unterstellte) Sozialnormen.43 Insbesondere Überwachungs- und Informationstätigkeiten können einen Konformitätsdruck hinsichtlich (vermeintlicher) Verhaltenserwartungen seitens des Staates und der Gesellschaft auslösen.44 Es wird verschiedentlich angenommen dies könne gesellschaftliche Randgruppen oder Minderheiten in besonderem Maße betreffen.45 Insbesondere Gruppen, die von der Mehrheit der Bürger abgelehnt werden oder die Unbehagen auslösen, könnten durch den entstehenden Konformitätsdruck beeinträchtigt werden.46 Im Zusammenhang mit der Verhaltensbeeinflussung durch Überwachung wird vielfach auf die Mechanismen einer panoptischen Verhaltensbeeinflussung hingewiesen, wonach Überwachung als Mittel der Machtausübung eingesetzt werden kann.47 Jeremy Bentham entwickelte eine architektonische Gestaltung eines Gefängnisses, bei der alle Räume, und somit alle Gefangenen, jederzeit von einem zentralen Raum aus beobachtet werden können, ohne dass für den Einzelnen feststellbar ist, ob und wann er tatsächlich beobachtet wird.48 Indem Überwachung für die Betroffenen sichtbar, aber uneinsehbar ist, entfaltet sie Machtwirkung.49 Wer sich beobachtet fühlt, wird sein Verhalten an die unterstellten Verhaltenserwartungen anpassen, unabhängig davon, ob eine Beobachtung tatsächlich stattfindet.50 Dabei lässt sich das Konzept panoptischer Effekte auf andere Situationen nicht wahrnehmbarer Überwachung übertragen.51 Insbesondere im Zusammenhang mit heimlicher Überwachung wird auf entstehende Machtwirkungen hingewiesen.52 43

Oermann/Staben, Der Staat 52 (2013), S. 630 (648) im Hinblick auf soziale Netzwerke. Siehe W. Schmitt Glaeser, AöR 113 (1988), S. 52 (60) m.w.N.; Dolderer, NVwZ 2001, S. 130 (132): „polizeigerecht-disziplinierte[r] Freiheitsgebrauch“. 45 Zur Bedeutung einschüchternder Maßnahmen als Mittel der Verdrängung: Roggan, NVwZ 2001, S. 134 (139 f.); Dolderer, NVwZ 2001, S. 130 (130 ff.); Schewe, NWVBl. 2004, S. 415 (419). 46 A. Schmitt Glaeser, BayVBl. 2002, S. 584 (587): „Rocker, Punker, Skinheads“. 47 Diese Verknüpfung findet sich etwa bei A. Schmitt Glaeser, BayVBl. 2002, S. 584 (585); Oermann/Staben, Der Staat 52 (2013), S. 630 (644); Gerhards, (Grund-)Recht auf Verschlüsselung?, S. 159, Fn. 586; Schwabenbauer, Heimliche Grundrechtseingriffe, S. 145, 150; siehe auch Schewe, NWVBl. 2004, S. 415 (416). 48 Bentham, Panopticon, S. 5 ff., insbes. S. 23 ff.: „The essence of it consists then, in the centrality of the Inspector’s situation, combined with the well know and most effectual contrivances for seing without being seen.“ Zu Benthams Panoptikum vgl. Luik, Rezeption Jeremy Benthams, S. 19 ff., 217 ff. 49 Schwabenbauer, Heimliche Grundrechtseingriffe, S. 150. 50 Oermann/Staben, Der Staat 52 (2013), S. 630 (644). 51 Grundlegend zum Überwachungs- und Kontrollmechanismus des sog. Panoptismus und der entstehenden sozialen Konformität des Individuums Foucault, Überwachen und Strafen, S. 251 ff. 52 Schwabenbauer, Heimliche Grundrechtseingriffe, S. 145; Schewe, NWVBl. 2004, S. 415 (416 f.) weist überdies auf die geschichtliche Bedeutung der Videoüberwachung als Mittel der Machtausübung hin, vornehmlich in den ehemaligen kommunistischen Staates Osteuropas. 44

A. Einschüchterungseffekte – eine erneute Annäherung

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Schließlich werden allgemeiner Ängste im Zusammenhang mit Überwachungstätigkeiten des Staates thematisiert.53 So wird die Vermutung geäußert, dass Überwachung und Registrierung zu Entfremdung bzw. einem Vertrauensverlust zwischen Bürgern und Staat führen könne.54 Auch verstärke sich aufgrund einer zunehmenden Technisierung das Gefühl, dem Staat ausgeliefert zu sein. Angesichts der Angst vor einer undurchschaubaren und unkontrollierbaren Überwachung wird wiederholt auf die Orwellsche Dystopie eines totalen Überwachungsstaates verwiesen.55 Zugleich finden sich Stimmen, die vor einer übertriebenen Überwachungsparanoia warnen.56 2. Erkenntnisse der Psychologie und sozialwissenschaftliche Erhebungen Die in Rechtsprechung und Schrifttum zugrunde gelegten Annahmen, werden teilweise durch Erkenntnisse der Psychologie bzw. Sozialwissenschaften bestätigt: Grundsätzlich besteht kaum Zweifel daran, dass Furcht bzw. Einschüchterung menschliches Verhalten beeinflussen kann. Handeln und Emotion sind eng miteinander verknüpft, so dass Gefühle sowohl Handlungsanreize als auch Handlungshemmnisse sein können.57 Als typische Reaktionen auf Furcht gelten Vermeidung, Abwehr oder Flucht.58 Ferner ist zur Verringerung von Furcht auch eine verstärkte Informationssuche denkbar.59 Speziell mit Blick auf Maßnahmen der Beobachtung und Überwachung lassen sich Auswirkungen auf das menschliche Verhalten mit der sog. Theorie der objektiven Selbstaufmerksamkeit erklären.60 Wer sich beobachtet fühlt, steigert seine Selbstaufmerksamkeit und wird sich der Diskrepanz seines Verhaltens zu internen 53

Siehe den Überblick bei Geiger, Video-Überwachungstechnologie, S. 54. Geiger, Video-Überwachungstechnologie, S. 54. 55 Siehe etwa Roggan, NVwZ 2001, S. 134 (134, 140). 56 Darauf weist Geiger, Video-Überwachungstechnologie, S. 54 hin. Horn, DÖV 2003, S. 746 (749) warnt davor, die Diskussion im „Nebel Orwellscher Apokalypse“ untergehen zu lassen. 57 Hierzu näher Rothermund/Eder, in: Brandstätter/Otto, Handbuch der allgemeinen Psychologie, S. 675 (675 ff.). 58 Krohne, Psychologie der Angst, S. 87 ff.; zu Abwehrmaßnahmen und Verhaltensänderungen bereits Levitt, Psychologie der Angst, S. 44 ff. Diese Differenzierung legt auch Meyer, in: F. Arndt/Augsberg, Freiheit – Sicherheit – Öffentlichkeit, S. 111 (112, 127) zugrunde. 59 Vgl. Krohne, Psychologie der Angst, S. 18. 60 Grundlegend Duval/Wicklund, A theory of objective self awareness; Frey/Wicklund/ Scheier, in: Frey/Irle, Theorien der Sozialpsychologie, S. 192 (192 ff.); im juristischen Schrifttum erstmals Geiger, Video-Überwachungstechnologie, S. 55 ff., der die Theorie im Zusammenhang mit Videoüberwachung zur Anwendung bringt; ähnlich Dolderer, NVwZ 2001, S. 130 (132). Zu einer vergleichbaren sozialpsychologische Studie speziell zur intelligenten Videoüberwachung siehe Held, Intelligente Videoüberwachung, S. 112 f. 54

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Teil 3: Freiheit von Furcht im Grundgesetz

Standards stärker bewusst. In der Folge versucht der Betroffene diese Diskrepanz zu reduzieren, in der Regel durch eine „Änderung des Verhaltens in Richtung auf einen spezifischen […] Standard der Korrektheit“.61 Insofern wird eine Konformität mit vermuteten sozialen Normen angestrebt.62 Daneben ist als Reaktion auch ein Vermeideverhalten möglich; der Betroffene versucht der Situation zu entkommen.63 Experimentell wurde die Theorie durch die Konfrontation mit unterschiedlichen Stimuli wie Spiegel, Kameras oder Tonbandgeräten nachgewiesen, die auf eine Beobachtungssituation hindeuten.64 Die Theorie der objektiven Selbstaufmerksamkeit kann Verhaltensänderungen und -anpassungen im Zusammenhang mit Überwachungstätigkeiten erklären.65 Dabei entstehen Verhaltensänderungen zur Diskrepanzreduktion grundsätzlich allein aufgrund der vermuteten Beobachtung und unabhängig von befürchteten Nachteilen, obwohl diese nach Ansicht Geigers verstärkend wirken dürften.66 Auch andere sozialwissenschaftliche Forschung legt die Existenz von Einschüchterungseffekten nahe.67 In unterschiedlichen empirischen Studien zeigen sich Verhaltensänderungen und -anpassungen, sowohl aufgrund von staatlicher Überwachung68 als auch im Zusammenhang mit staatlich verursachten Sanktionsrisiken.69 Dabei wird zugleich deutlich, dass Einschüchterungswirkungen nicht allein durch staatliches Handeln entstehen, sondern von unterschiedlichen Faktoren beeinflusst sein können.70 Ob jemand aufgrund von Einschüchterung die Ausübung grundrechtlicher Freiheiten unterlässt, wird von einem komplexen Gefüge verschiedener Faktoren determiniert. So kann beispielsweise neben dem Risiko staatlicher Sanktionen auch die Verfügbarkeit von Rechtsberatung oder finanzieller Mittel Bedeu-

61 62 63 64 65

S. 55. 66

Frey/Wicklund/Scheier, in: Frey/Irle, Theorien der Sozialpsychologie, S. 192 (203). Vgl. Geiger, Video-Überwachungstechnologie, S. 56. Frey/Wicklund/Scheier, in: Frey/Irle, Theorien der Sozialpsychologie, S. 192 (209). Geiger, Video-Überwachungstechnologie, S. 55. So auch Dolderer, NVwZ 2001, S. 130 (132); Geiger, Video-Überwachungstechnologie,

Geiger, Video-Überwachungstechnologie, S. 56. So Assion, in: Telemedicus e.V., Überwachung und Recht, S. 31 (36); siehe auch Oermann/Staben, Der Staat 52 (2013), S. 630 (630, 644, 649) jeweils m.w.N. 68 Zum Einfluss staatlicher Überwachung auf das Suchverhalten im Internet: Marthews/ Tucker, Government Surveillance and Internet Search Behavior, http://ssrn.com/abstract=2412 564 (Abfrage: 20. 12. 2016); Sidhu, University of Maryland Law Journal of Race, Religion, Gender and Class 7 (2011), S. 375 (375 ff.). 69 Zum Einfluss rechtlicher Sanktionen auf freie Rede und Medien: Kenyon, International Journal of Communication 4 (2010), S. 440; Dent/Kenyon, Media and Arts Law Review 9 (2004), S. 89 (89); speziell zum Einfluss straf- und zivilrechtlicher Regelungen bei ehrverletzenden Äußerungen auf den Online-Journalismus: Townend, Internet Policy Review 3 (2014), S. 1; insgesamt zurückhaltender Marjoribanks/Kenyon, Australian Journalism Review 25 (2003), S. 31 (31); Barendt/Lustgarten/Norrie/Stephenson, Libel and the media, S. 189 ff. 70 Dies betont Assion, in: Telemedicus e.V., Überwachung und Recht, S. 31 (36). 67

A. Einschüchterungseffekte – eine erneute Annäherung

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tung erlangen.71 Im Zusammenhang mit der Ausübung der Pressefreiheit kann die Gestaltung der Medienlandschaft, die journalistische Praxis in dem betreffenden Land sowie die Existenz einer Zivilgesellschaft und politischen Opposition über die rechtlichen Bedingungen hinaus Relevanz erlangen.72 Die Entstehung von Einschüchterungseffekte wird somit nicht nur durch die entsprechenden staatlichen Handlungen, sondern auch durch vielgestaltige äußere Faktoren beeinflusst, welche kaum abschließend bestimmt werden können. Einzelne empirische Erhebungen zeigen eine Angst vor staatlicher Überwachung und deuten zumindest in Teilen der Bevölkerung auf Verhaltensanpassungen hin. So ergab etwa eine repräsentative Umfrage zur Vorratsdatenspeicherung, dass ca. jeder zehnte der Befragten seit Beginn der Verbindungsdatenspeicherung auf die Nutzung von Telefon, Handy und E-Mail in bestimmten Situationen verzichtet. Geht es um eine Kontaktaufnahme zu sog. sensiblen Einrichtungen (z. B. Eheberatung, Psychotherapeut, Drogenberatungsstelle), gab über die Hälfte der Befragten an, angesichts der Verbindungsdatenspeicherung nicht die genannten Kommunikationsmittel zu nutzen.73 Bei einer Befragung freier Journalisten in Deutschland zur Telekommunikationsüberwachung gaben 7 % an, das Bewusstsein, dass ihre Kommunikationsdaten gespeichert werden, habe sich bereits negativ auf die Kommunikation mit ihren Informanten ausgewirkt.74 Auch in weiteren Umfragen zeigen sich Ängste vor staatlicher Überwachung in bestimmten Bereichen,75 insbesondere im Zusammenhang mit den bekannt gewordenen Geheimdienstaktivitäten.76 Gleichzeitig stimmte eine deutliche Mehrheit mit 71

Vgl. Townend, Internet Policy Review 3 (2014), S. 1 (3). Vgl. Kenyon, International Journal of Communication 4 (2010), S. 440 (441). 73 Forsa, Meinungen der Bundesbürger zur Vorratsdatenspeicherung, S. 2 f., http://www. vorratsdatenspeicherung.de/images/forsa_2008 - 06 - 03.pdf (Abfrage: 20. 12. 2016). Die genannten Prozentsätze beziehen sich auf diejenigen, die von der Vorratsdatenspeicherung wissen (73 % der Befragten). Vgl. auch Gerhards, (Grund-)Recht auf Verschlüsselung?, S. 159, Fn. 589; Schwabenbauer, Heimliche Grundrechtseingriffe, S. 150, Fn. 112. 74 Es fand eine Online-Befragung (Vollerhebung) im Auftrag des Deutschen Fachjournalistenverbandes statt: Meyen/Springer/Pfaff-Rüdiger, Freie Journalisten in Deutschland, https:// www.dfjv.de/documents/10180/178294/DFJV_Studie_Freie_Journalisten.pdf (Abfrage: 20. 12. 2016). 75 BITKOM Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V., Datenschutz im Internet, S. 49, https://www.bitkom.org/Bitkom/Publikationen/Studie-Da tenschutz-im-Internet.html (Abfrage: 20. 12. 2016). Mit Blick auf die Internetnutzung gaben 38 % der Befragten an, sich durch staatliche Überwachung stärker beobachtet zu fühlen als gewollt. 76 So gaben in einer Umfrage im Juli 2014 21 % der Befragten an, angesichts der bekannt gewordenen Geheimdienstaktivitäten (Stichwort „NSA“) im Umgang mit Telefonaten und EMails vorsichtiger geworden zu sein: infratest dimap, ARD-Deutschlandtrend Juli 2014, http:// www.tagesschau.de/inland/deutschlandtrend-114.pdf (Abfrage: 20. 12. 2016). Laut einer Umfrage von TNS Emnid im Auftrag des Focus haben 40 % der Befragten Angst, dass Geheimdienst Telefonate und E-Mails überwachen, vgl. „Angriff aufs Private: Datenschleuder Mensch“, Focus Magazin Nr. 28 vom 08. 07. 2013, S. 30 ff. Eine Umfrage des Instituts für 72

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Teil 3: Freiheit von Furcht im Grundgesetz

Blick auf eine staatliche Internetüberwachung der Aussage zu, sie habe „nichts zu verbergen“.77

III. Zwischenergebnis Der Begriff der Einschüchterungseffekte bezeichnet den Fall, dass staatliches Handeln Furcht verursacht und in der Folge den Betroffenen davon abhält, seine grundrechtlichen Freiheiten auszuüben. Damit ist der verfassungsrechtliche Begriff enger gefasst als der allgemeine Wortsinn. Der Begriff trifft indes keine Aussage über die staatliche Handlung, die Furcht beim Bürger auslöst, oder das durch Einschüchterung betroffene Grundrecht. Vielmehr sind Einschüchterungseffekte als „Bindeglied“ zwischen staatlicher Handlung und Grundrechtsbetroffenheit anzusehen. Wie bereits die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gezeigt hat, kann Einschüchterung viele Ursachen haben. Die Annahme, dass sowohl staatliche Überwachung als auch Sanktionsrisiken Einschüchterungseffekte auslösen und Verhaltensänderungen bewirken können, wird durch Erkenntnisse der psychologischen und soziologischen Forschung gestützt. Insofern tragen die Erkenntnisse der Studien und Umfragen jedenfalls zur Plausibilisierung von Einschüchterungswirkungen bei. Obgleich die Gefahr einschüchternder Wirkungen auf die Freiheitsausübung der Bürger nicht von der Hand zu weisen ist, bedarf es im Einzelnen weiterer wissenschaftlicher Untersuchungen zur Entstehung und Wirkungsweise von Einschüchterung.

B. Grundrechtsrelevanz von Freiheit von Furcht Die Grundrechte sind „der eigentliche Kern der freiheitlich-demokratischen Ordnung des staatlichen Lebens im Grundgesetz“.78 Indem sie individuelle und Demoskopie Allensbachs im Jahr 2013 ergab, dass 24 % Prozent der Deutschen über die Abhöraktion der NSA „sehr besorgt“ und 32 % Prozent „etwas besorgt“ sind: „Mehrheit der Deutschen sieht sich durch NSA-Attacken nicht bedroht“, Wirtschaftswoche vom 02. 11. 2013, http://www.wiwo.de/politik/deutschland/allensbach-umfrage-mehrheit-der-deutschen-siehtsich-durch-nsa-attacken-nicht-bedroht/9010650.html (Abfrage: 20. 12. 2016). Eine repräsentative Umfrage des Marktforschungsinstituts GfK im Auftrag der Welt am Sonntag ergab, dass etwa 12 % der Befragten ihren Umgang mit persönlichen Daten ändern: „Deutsche unterschätzen den Wert persönlicher Daten“, Die Welt online vom 13.04.14, http://www.welt.de/wirt schaft/article126882276/Deutsche-unterschaetzen-den-Wert-persoenlicher-Daten.html (Abfrage: 20. 12. 2016). 77 BITKOM Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V., Datenschutz im Internet, S. 49, https://www.bitkom.org/Bitkom/Publikationen/StudieDatenschutz-im-Internet.html (Abfrage: 20. 12. 2016). 78 BVerfGE 31, 58 (73); 43, 154 (167); Dreier, in: Dreier, GG I, Vorb. Rn. 63.

B. Grundrechtsrelevanz von Freiheit von Furcht

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kollektive Selbstbestimmung garantieren, gelten sie als Fundament „personaler Autonomie“.79 Sie begrenzen und begründen Staatsgewalt und sind maßgeblich für ein freiheitliches Gemeinwesen.80 Fraglich ist, ob und inwiefern das Grundgesetz auch Freiheit von Furcht gewährleistet, mithin ob und inwiefern Grundrechte Schutz vor Einschüchterungseffekten bieten. Der Blick in den Grundrechtekatalog zeigt, dass Freiheit von Furcht nicht ausdrücklich von der Verfassung gewährleistet wird. Grundsätzlich ist in diesem Fall Grundrechtsschutz auf unterschiedliche Weise denkbar: durch die Kreation eines neuen Grundrechts, durch eine Erweiterung bestehender Schutzbereiche oder durch die Flexibilisierung des Eingriffsbegriffs.81 Hieran knüpft die Untersuchung an. Während sich das vorliegende Kapitel mit der Frage nach einem eigenständigen Grundrecht auf Freiheit von Furcht bzw. einer möglichen Erweiterung bestehender Gewährleistungen beschäftigt (B.), und damit auf Ebene des Schutzbereichs ansetzt, konzentrieren sich die anschließenden Kapitel auf Fragen der Eingriffsbegründung durch Einschüchterungseffekte (C.) und der Eingriffsintensität (D.). Im Folgenden wird zunächst hervorgehoben, inwiefern Freiheit von Furcht im System grundrechtlicher Freiheit ein Wert zukommt (I.). Anschließend wird aufgezeigt, dass unterschiedlichen Ansätzen, die ein eigenständiges Grundrecht auf Freiheit von Furcht aus dem Grundgesetz herleiten, nicht gefolgt werden kann (II.). Vielmehr wird Freiheit von Furcht nach hier vertretener Auffassung als Aspekt bestehender Grundrechte gewährleistet (III.). Schließlich erfolgt eine Auseinandersetzung mit grundsätzlichen Einwänden gegen die Grundrechtsrelevanz von Einschüchterungseffekten (IV.).

I. Der Wert von Freiheit von Furcht Wie bereits die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts deutlich werden ließ, stören Furcht und Einschüchterung die unbefangene Ausübung grundrechtlicher Freiheiten. Freiheit von Furcht ist erforderlich, um eine freie, unbefangene Wahrnehmung grundrechtlicher Freiheiten zu ermöglichen.82 Dies gilt grundsätzlich für alle grundrechtlich geschützten Freiheiten. Jedoch ist die Unbefangenheit der Grundrechtsträger in bestimmten Bereichen in einer parlamentarischen Demokratie besonders schutzwürdig. 79

Dreier, in: Dreier, GG I, Vorb. Rn. 63. Dreier, in: Dreier, GG I, Vorb. Rn. 63. 81 In Anlehnung an Volkmann, AnwBl. 2009, S. 118 (120). 82 Assion, in: Telemedicus e.V., Überwachung und Recht, S. 31 (39, 62 ff.); grundlegend bereits A. Arndt, NJW 1961, S. 897 (897 ff.); Gusy, AöR 105 (1980), S. 279 (306 f.); Lisken, NJW 1982, S. 1481 (1485 f.); siehe auch: Denninger, VVDStRL 37 (1979), S. 7 (26 ff.); Bäumler, AöR 110 (1975), S. 30 (43). 80

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Teil 3: Freiheit von Furcht im Grundgesetz

1. Individuelle Persönlichkeitsentfaltung und Privatheit Das Grundgesetz schützt die freie Entfaltung der Persönlichkeit. Der Schutz der Persönlichkeit gewährleistet dem Einzelnen einen „autonomen Bereich privater Lebensgestaltung“83, in dem jeder „seine Entscheidungen in eigener Verantwortung“84 treffen kann. Hinter den einzelnen Ausformungen und Abstufungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, wie sie durch Rechtsprechung und Literatur differenziert werden, steht der Persönlichkeitsschutz als Schutz von „Autonomie im Sinn der Fähigkeit, vor dem Hintergrund eines Selbstentwurfs begründete Entscheidungen zu treffen“.85 Persönlichkeitsschutz bedeutet auch Schutz der Privatsphäre.86 Davon umfasst ist ein unantastbarer Kernbereich persönlicher Lebensäußerungen.87 In diesen privaten Bereich kann der Mensch sich zurückziehen, sich abschirmen und sich frei entfalten. Dabei ist Privatsphäre nicht nur räumlich (Wohnung), sondern auch als Ausschnitt des sozialen Lebens (menschliche Kommunikation und Interaktion) zu verstehen.88 Der Schutz von Privatsphäre endet nach zutreffender Ansicht jedenfalls dort, wo nach den Umständen oder dem Willen der Person keine Privatheit gegeben ist, also wenn Lebensäußerungen öffentlich erfolgen oder wenn der private Bereich öffentlich gemacht wird.89 Nach Rath beeinträchtigen Einschüchterungseffekte die grundrechtlich geschützten Möglichkeiten der freien Persönlichkeitsentfaltung.90 Mit Blick auf den Schutz der Persönlichkeit gilt dies insbesondere für Einschüchterungswirkungen, welche von staatlichen Überwachungsmaßnahmen ausgehen. Die Erfassung der Persönlichkeit durch den Staat gefährdet Selbstbestimmung und Autonomie des Menschen.91 Informationelle Tätigkeiten, durch welche der Einzelne in seinen Lebensäußerungen erfasst wird, wirken nachteilig auf die Freiheit des Einzelnen, aus eigener Selbstbestimmung zu planen und zu entscheiden. Sie stehen im Widerspruch

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BVerfGE 35, 202 (220). BVerfGE 34, 269 (281). 85 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 408; den Gedanken der Autonomie hebt ebenfalls hervor: Schmidt, JZ 1974, S. 241 (245 ff.). 86 Ausführlich zum Grundrechtsschutz der Privatheit: Nettesheim, VVDStRL 70 (2011), S. 7 (7 ff.). 87 Die Privatsphäre ist als Schutzgut der Freiheitsrechte allgemein anerkannt. Statt vieler Gusy, DÖV 1980, S. 431 (432); grundlegend Evers, Privatsphäre und Ämter für Verfassungsschutz. 88 Dies ist – trotz der im Einzelnen unterschiedlichen Konzeptionen von Privatheit – weitgehend anerkannt, siehe Nettesheim, VVDStRL 70 (2011), S. 7 (8). 89 So auch Schmidt, JZ 1974, S. 241 (243), der vor allem die „private und politische Autonomie“ hervorhebt. Siehe auch Evers, Privatsphäre und Ämter für Verfassungsschutz, S. 44. 90 Rath, KJ Beiheft 01/2009, S. 65 (65). 91 Vgl. A. Arndt, NJW 1961, S. 897 (899). 84

B. Grundrechtsrelevanz von Freiheit von Furcht

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zu der Idee des autonomen Menschen und der freien Entfaltung der Persönlichkeit, die Aspekte der Selbstbestimmung, Selbstbewahrung und Selbstdarstellung umfasst. Die Persönlichkeitsentfaltung kann insbesondere im Bereich der Privatsphäre empfindlich getroffen werden. Es besteht weitgehende Einigkeit, dass informationelle Tätigkeiten des Staates hier potentiell freiheitsgefährdend sind. Wenn der Einzelne über die Privatheit von Gesprächen oder der Wohnung als räumlichem Rückzugsort nicht mehr sicher sein kann, werden die Grundbedingungen einer freien Persönlichkeitsentfaltung gestört.92 Selbstbewahrung und Selbstbestimmung als wesentliche Elemente autonomer Selbstentfaltung werden in Frage gestellt, wenn private Lebensäußerungen wahrgenommen und erfasst werden. Staatliche Informationsmaßnahmen zielen häufig gerade darauf ab, Informationen aus der privaten Sphäre zu gewinnen.93 Entsprechende Maßnahmen wecken daher nicht ohne Grund die Befürchtung, Informationen über private Lebensverhältnisse, Äußerungen und Einstellungen könnten vom Staat beobachtet und registriert werden. Diese Gefahren bestehen grundsätzlich auch mit Blick auf öffentliche Lebensäußerungen. Zwar sind öffentliche Lebensäußerungen – unabhängig von der umstrittenen und schwierigen Grenzziehung im Einzelnen – nicht mehr der Privatsphäre zuzurechnen, dies bedeutet jedoch nicht, dass staatliche Überwachung und Registrierung hier unbegrenzt zulässig wären.94 Beobachtetwerden steht in einem Spannungsverhältnis zur autonomen Selbstbestimmung; es kann den Einzelnen festlegen und Handlungsmöglichkeiten einengen.95 Hier wie dort sind Kommunikation und Verhalten wesentlich für die freie Persönlichkeitsentfaltung, sodass auch öffentliche Lebensäußerungen in gewissem Ausmaße schutzbedürftig sind.96 Zudem können auch in der Öffentlichkeit Verhaltensweisen erfasst werden, die durchaus als privat einzuordnen sind.97 Zur Veranschaulichung kann das Beispiel einer öffentlichen Versammlung dienen. Äußerungen im Rahmen von öffentlichen Versammlungen sind grundsätzlich nicht vom Schutz der Privatsphäre umfasst,98 dennoch kann das Wissen um eine Registrierung der Äußerungen oder auch bereits der bloßen Anwesenheit des Staates einschüchternd auf die Teilnahme oder die freie Äußerung bei einer Versammlung

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Siehe A. Arndt, NJW 1961, S. 897 (898 ff.). So Volkmann, AnwBl. 2009, S. 118 (121). 94 Deutlich Schmidt, JZ 1974, S. 241 (247). 95 Nettesheim, VVDStRL 70 (2011), S. 7 (8). 96 Schmidt, JZ 1974, S. 241 (242 f., 247) nimmt aufgrund der politischen Wirkung sogar ein besonderes Maß an Schutzbedürftigkeit an. 97 Volkmann, AnwBl. 2009, S. 118 (121). 98 Vgl. Volkmann, AnwBl. 2009, S. 118 (118 ff.); siehe auch Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 69; Pohl, KJ 2003, S. 317 (318 f.). 93

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Teil 3: Freiheit von Furcht im Grundgesetz

wirken.99 Sofern der Einzelne befürchten muss, identifiziert oder in seinen (politischen) Äußerungen und Ansichten erfasst zu werden, kann dies kritische Meinungsäußerungen hemmen, zu befangenem Verhalten führen und die Entscheidung des Bürgers beeinflussen, an einer entsprechenden Versammlung teilzunehmen.100 Nach Arndt stehen Beobachtung und Registrierung öffentlicher Äußerungen im Widerspruch zur Selbstbestimmung des Einzelnen, „weil der Mensch auch in seiner Gemeinschaftsverbundenheit sein eigen bleibt und die öffentliche Gewalt sich seiner nicht bemächtigen darf. Das aus der Menschenwürde ableitbare Prinzip Freiheit von Furcht ist nicht allein für die Privatsphäre wesentlich, sondern ebenso für die öffentlichen Lebensäußerungen, z. B. die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, rechtlich bedeutsam.“101

Dabei können Einschüchterungswirkungen insbesondere angesichts der Möglichkeiten moderner Datenerhebung und -verarbeitung entstehen. Obwohl Einschüchterungseffekte von allen Formen von Überwachung und Registrierung ausgehen können, gewinnt die informationelle Tätigkeit des Staates in der Regel durch den Einsatz technischer Mittel und die sich stetig fortentwickelnden Möglichkeiten der Datenverarbeitung und -verknüpfung eine andere Dimension und Intensität.102 Einzelne Informationen über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren Person (personenbezogene Daten) können technisch nahezu unbegrenzt und örtlich losgelöst gespeichert, übertragen, abgerufen und mit anderen Daten verknüpft werden.103 Diese technischen Möglichkeiten der Datensammlung und -verarbeitung durch öffentliche Stellen bergen Gefahren für die freie Persönlichkeitsentfaltung.104 Wenn technisch bedingt unzählige einzelne Daten über eine Person mit wenigen Klicks wie ein Mosaik zu einem Persönlichkeitsbild zusammengefasst werden können,105 kann bereits der Erfassung eines einzelnen Datums Persönlichkeitsrelevanz zukommen; eine Einstufung als „belangloses Datum“ 99 Bereits Evers, Privatsphäre und Ämter für Verfassungsschutz, S. 172 f. Nach Evers sei ein Eingriff in Art. 8 Abs. 1 GG zu bejahen, sofern die Anwesenheit von Polizeibeamten „die Versammlung mundtot zu machen droht“. 100 BVerfGE 122, 342 (369); VG Münster, NWVBl. 2009, S. 487 (487 f.); Dietel/Gintzel/ Kniesel, Versammlungsgesetz, § 1 Rn. 76 ff. 101 A. Arndt, NJW 1961, S. 897 (899). 102 Schoch, JURA 2008, S. 352 (353); siehe bereits A. Arndt, NJW 1961, S. 897 (899). Beispielsweise ist es anhand von Übersichtsaufnahmen nicht nur möglich bestimmte Personen zu identifizieren, es können auch typische Verhaltensweisen potentieller Straftäter ausgemacht werden. Zugleich führt die Möglichkeit, große Datenmengen zu verarbeiten und nach bestimmten Kriterien zu filtern, dazu, dass immer mehr Personen von informationellen Maßnahmen betroffen sind und in erheblichen Umfang Daten von Unverdächtigen abgeglichen werden. 103 Schoch, JURA 2008, S. 352 (353). 104 Schmidt, JZ 1974, S. 241 (241). 105 So bereits Schmidt, JZ 1974, S. 241 (242), der von „Lebensbild“ und „Persönlichkeitsprofil“ spricht; ähnlich Schoch, JURA 2008, S. 352 (353); siehe auch BVerfGE 115, 320 (350 f.).

B. Grundrechtsrelevanz von Freiheit von Furcht

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ist daher kaum mehr möglich.106 So können auch Maßnahmen mit großer Streubreite, die nur einzelne Ausschnitte des Lebens betreffen, wie die Kfz-Kennzeichenüberwachung oder die Rasterfahndung, einschüchternde Wirkung haben. Immer neue Überwachungsmöglichkeiten und Überwachungsbefugnisse des Staates tragen zu dem Empfinden bei, dass „die Privatsphäre […] unter Druck gerät und in einem Prozess anhaltender Erosion begriffen ist“.107 Letztlich gilt: „Das Leben, es handele sich um wirtschaftliches, staatliches oder rein geistiges Leben, kann eine beliebige und dauernde Offenlegung seiner inneren Tatsachen und Vorgänge ohne Schädigung oder Verkümmerung nicht vertragen.“108

Insofern kann bereits die Befürchtung, in seinem Verhalten, seinen Lebensäußerungen und letztlich seiner Persönlichkeit vom Staat erfasst zu werden, zu Einschüchterungen beim Einzelnen führen und die freie Persönlichkeitsentfaltung empfindlich stören. 2. Kommunikation Das Grundgesetz garantiert die Freiheit zwischenmenschlicher Kommunikation durch die Gewährleistung der individuellen und öffentlichen Meinungsbildung und -äußerung.109 In vielen Fällen vollzieht sich die Entfaltung der Persönlichkeit nicht unter dem Ausschluss anderer, in vollständiger Isolation. Der Mensch ist kein vereinzeltes Individuum, sondern auch oder sogar vornehmlich gemeinschaftsgebundene, soziale Person. Die Entfaltung der Persönlichkeit findet auch vor und mit anderen, in zwischenmenschlicher Kommunikation und Interaktion statt.110 Die Möglichkeit freier Kommunikation ist wesentlicher Aspekt der Persönlichkeitsentfaltung.111 Zugleich sind freie Meinungsbildung und -äußerung aber auch höchstpersönliche Grundrechte der Privatheit, die dem Einzelnen einen geschützten Bereich garantieren.112 Die unbefangene Kommunikation als wesentliche Voraussetzung der Persönlichkeitsentfaltung ist durch Einschüchterungseffekte besonders betroffen. Unsicherheiten, wie sie durch die Befürchtung staatlicher Überwachung oder das Risiko von Sanktionen entstehen, können zu Anpassungen im kommunikativen Verhalten führen und sowohl den Prozess als auch das Ergebnis von Meinungsbildung und

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Schoch, JURA 2008, S. 352 (353). Volkmann, AnwBl. 2009, S. 118 (118). 108 So der Reichsfinanzhof in einem Urteil vom 02. 07. 1929, zitiert nach Evers, Privatsphäre und Ämter für Verfassungsschutz, S. 13. 109 W. Schmitt Glaeser, AöR 113 (1988), S. 52 (56). 110 Gusy, DÖV 1980, S. 431 (432). 111 Vgl. Schmidt, JZ 1974, S. 241 (246). 112 Bethge, in: Sachs, GG, Art. 5 Rn. 21. 107

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Teil 3: Freiheit von Furcht im Grundgesetz

-äußerung nachteilig beeinflussen.113 Es besteht die Gefahr, dass Bürger aufgrund von Furcht vor nachteiligen Folgen kritische Meinungen nicht mehr öffentlich äußern. Freie Information, freie Meinungsbildung, freie Rede und letztlich die gesamte freie geistige Auseinandersetzung können durch Einschüchterung empfindlich gestört werden. 3. Freiheitliche Demokratie Durch Einschüchterung betroffen ist nicht nur der einzelne Bürger, sondern auch die Gesellschaft insgesamt. Die Unbefangenheit von Meinungsbildung und -äußerung, Rede, Kommunikation und Verhalten ist grundlegende Bedingung für den demokratischen Willensbildungsprozess. Nach Assion bedingt ein unbefangener Kommunikationsprozess das Funktionieren der Gesellschaft.114 Offene Kommunikationsprozesse, die Mindermeinungen schützen und Meinungsvielfalt widerspiegeln, seien erforderlich, damit sich die Gesellschaft erneuern und Lösungen für die Probleme einer komplexer werdenden Welt finden könne.115 Das Bundesverfassungsgericht spricht von einem „Meinungskampf“ oder der „öffentlichen Diskussion“.116 Treffend ist auch die von Assion gewählte Bezeichnung des demokratischen Diskurses.117 Der Prozess, in dem Meinungen untereinander konkurrieren, sich ergänzen, weiterentwickeln und zusammenfinden, wirkt auf unterschiedlichen Wegen auf das Handeln des Staates und die demokratische Mitbestimmung ein. Ein gut funktionierenden öffentlicher Diskurs versetzt den Einzelnen, die Öffentlichkeit und die Entscheidungsträger erst in die Lage, fundierte Entscheidungen zu treffen. Insofern besteht ein enger Zusammenhang zur Entwicklung des Allgemeinwohls.118 Kommunikative Entfaltung ist somit wesentliches Element des politischen Prozesses.119 Das Grundgesetz schützt nicht nur ausschnittsweise durch einzelne Grundrechte, sondern auch den Prozess als solchen. Nicht nur die Freiheitsausübung des einzelnen Bürgers muss unbefangen möglich sein, auch gesellschaftlicher Diskurs als sozialer Prozess darf nicht durch Einschüchterung gehemmt werden.120 Besondere Gefahr geht auch hier von Maßnahmen staatlicher Überwachung aus. Arndt führt mit Blick auf die Befugnisse des Verfassungsschutzes bereits früh aus:

113

Oermann/Staben, Der Staat 52 (2013), S. 630 (635). Assion, in: Telemedicus e.V., Überwachung und Recht, S. 31 (63). 115 Assion, in: Telemedicus e.V., Überwachung und Recht, S. 31 (63). 116 Grundlegend BVerfGE 7, 198 (208 ff.). 117 Assion, in: Telemedicus e.V., Überwachung und Recht, S. 31 (64). 118 Assion, in: Telemedicus e.V., Überwachung und Recht, S. 31 (64). 119 Hoffmann-Riem, in: Denninger, AK-GG, Art. 5 Abs. 1, 2 (2001), Rn. 4. 120 Assion, in: Telemedicus e.V., Überwachung und Recht, S. 31 (64); Oermann/Staben, Der Staat 52 (2013), S. 630 (645). 114

B. Grundrechtsrelevanz von Freiheit von Furcht

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„Das Problem des belauschten Bürgers weckt nicht nur Zweifel, ob der Mensch so vor sich bestehen kann, sondern wirft auch die Frage auf, ob Demokratie so noch möglich ist. Denn um Demokratie von der Wurzel her wachsen zu lassen, ist für Jedermann, der ein „Einzelner“ ist, Freiheit von Furcht das erste Erfordernis. Der belauschte Bürger ist jedoch der geängstigte Bürger. Er ist der aus dem Dunkeln geröntgte Mensch, der von Blicken durchdrungen wird, die er nicht sieht. Sein Staat liegt nicht mehr verlässlich im Hellen.“121

Staatliche Überwachung kann zu einem Klima der Angst und Unsicherheit in der Gesellschaft oder zumindest Teilen der Gesellschaft führen und so freie geistige Auseinandersetzung und freie Grundrechtsausübung hemmen. Mit Blick auf die demokratischen Grundbedingungen eines freiheitlichen Staates ist insbesondere die Erfassung politischer Ansichten, Äußerungen und Verhaltensweisen durch staatliche Überwachung problematisch:122 „Die allgemeine Überwachung jeder, auch der legalen politischen Betätigung bewirkt politische Einschüchterung und behindert die grundrechtlich gewährleistete Freiheit politischer Kommunikation und Organisation […].“123

Registrierungen im Bereich politischer Lebensäußerungen können bewirken, dass Meinungsäußerungen „mit Seitenblick“ auf den Staat und nicht mehr unbefangen erfolgen.124 Freiheit von Furcht wird insofern zutreffend als wesentliches Erfordernis für Demokratie und eine freie Gesellschaft ausgemacht.125 a) Die Schutzbedürftigkeit von Minderheitsmeinungen Assion hebt im Zusammenhang mit der Schutzbedürftigkeit der Unbefangenheit von Kommunikation insbesondere die Rolle von Minderheitsmeinungen hervor.126 Diese seien für die Entwicklung und Erneuerung der Gesellschaft besonders bedeutsam. Da in der Demokratie die Mehrheit entscheide, müssten Minderheitsmeinungen wirkungsvoll geschützt werden, damit sie die Möglichkeit haben zur Mehrheitsmeinung zu werden. Da nicht vorhersehbar sei, welche Meinung sich im „Meinungskampf“ durchsetzt und Mehrheitsmeinung wird, gelte das für alle Minderheitsmeinungen gleichermaßen.127 Dem ist im Wesentlichen zuzustimmen. Die Auseinandersetzung mit kontroversen und kritischen Meinungen, die nicht der Mehrheitsmeinung entsprechen, ist bedeutsam für den Prozess öffentlicher Meinungsbildung. Deshalb erfordern gerade Mindermeinungen einen wirkungsvollen Schutzes vor Einschüchterungen. Dies gilt auch mit Blick darauf, dass Verhaltens-

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A. Arndt, NJW 1961, S. 897 (899). Schmidt, JZ 1974, S. 241 (247 f.). Schmidt, JZ 1974, S. 241 (247 f.). Vgl. Schmidt, JZ 1974, S. 241 (248). So A. Arndt, NJW 1961, S. 897 (898, 902). Assion, in: Telemedicus e.V., Überwachung und Recht, S. 31 (65 f.). Assion, in: Telemedicus e.V., Überwachung und Recht, S. 31 (65 f.).

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Teil 3: Freiheit von Furcht im Grundgesetz

weisen, die von sozialen Normen abweichen, durch Einschüchterung besonders empfindlich betroffen sein können. b) Die Bedeutung sog. Meinungsführer Daneben betont Assion die Rolle sog. Meinungsführer.128 Gemeint sind Personen, denen im gesellschaftlichen Meinungsbildungsprozess eine zentrale Bedeutung zukommt. Hierzu können neben Journalisten und Personen in hervorgehobenen Positionen auch Politiker, Künstler, Wissenschaftler und Aktivisten zählen. Diese Personen beeinflussen die Meinungsbildung in der Gesellschaft in besonderer Weise und wirken gezielt am demokratischen Diskurs mit. Sie zeichnen sich insbesondere durch tiefergehende Informationen, Fachwissen und den Austausch untereinander aus. Insofern entsteht nach Assion ein „Diskurs im Diskurs“: Die Meinungsbildung vollzieht sich zunächst innerhalb kleiner Gruppen, an denen sich anschließend die breite Masse der Bevölkerung orientiert. Einschüchterungseffekte auf Meinungsführer wirken so an empfindlicher Stelle auf den Meinungsbildungsprozess ein. Im Zusammenhang mit journalistischer Tätigkeit von der Gefahr einer „Schere im Kopf“ gesprochen.129 4. Zwischenergebnis Die Unbefangenheit der Grundrechtsträger ist wesentlich für den gesamten Freiheitsgebrauch. Freiheit von Furcht ist zentral für individuelle Persönlichkeitsentfaltung und Kommunikation und wirkt darüber hinaus auf die Bedingungen von Demokratie ein.130 Hiermit stehen Einschüchterungseffekte im Widerspruch: Sie können freie Meinungsäußerung, unbefangene Kommunikation und Verhalten, schlicht die freie Entfaltung der Persönlichkeit in ihren unterschiedlichen Ausprägungen, empfindlich hemmen. Davon ist nicht nur die individuelle Freiheitsausübung, sondern auch die freiheitliche Gesellschaft insgesamt betroffen. Die Freiheitsgewährleistungen des Grundgesetzes erfordern indes gerade, dass der Staat „nicht als Argus die freie Entfaltung des gesellschaftlichen Lebens durch Furchteinflößung lähmt“.131

128 129 130 131

Assion, in: Telemedicus e.V., Überwachung und Recht, S. 31 (66 f.). Etwa Assion, in: Telemedicus e.V., Überwachung und Recht, S. 31 (46). A. Arndt, NJW 1961, S. 897 (902). A. Arndt, NJW 1961, S. 897 (902).

B. Grundrechtsrelevanz von Freiheit von Furcht

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II. Ansätze zu einem eigenständigen Grundrecht auf Freiheit von Furcht Gerade in der älteren Literatur finden sich Überlegungen, die Freiheit von Furcht als eigenständiges, universelles (Grund-)Recht auffassen. Die nachfolgenden Ansätze leiten ein Recht auf Freiheit von Furcht aus einzelnen, bestehenden Verfassungsnormen her. Da es aufgrund von Art. 79 Abs. 1 GG kein „losgelöstes“ ungeschriebenes Verfassungsrecht geben kann, können „ungeschriebene“ Grundrechte immer nur Auslegungsergebnis geschriebener Grundrechte sein.132 Wie im Folgenden gezeigt wird, ist ein eigenständiges Grundrecht, welches umfassend Freiheit von Furcht gewährleistet, im Ergebnis jedoch abzulehnen.133 1. Herleitung aus der Menschenwürde oder dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht Mehrere Herleitungsversuche in der Literatur setzen bei der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG134 oder dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG135 an.136 Gemeinsamer Ausgangspunkt ist die Menschenwürde als „oberster Verfassungswert“.137 Sie gründe in dem, was die Persönlichkeit des Menschen ausmacht, nämlich in der (abstrakten) Möglichkeit der Selbstbestimmung und -gestaltung138 oder – negativ formuliert – im „Wissen um die prinzipielle Unverfügbarkeit meiner Selbst für den anderen“.139

132 Vgl. zu ungeschriebenen Grundrechten Rupp, in: Merten/Papier, HGR II, § 36 Rn. 25; zur Problematik von ungeschriebenem Verfassungsrecht Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, S. 10 ff.; zur Auslegung des Grundgesetzes Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Einl. Rn. 11 ff. 133 Eindeutig ablehnend, wenngleich ohne Begründung, Sendler, NJW 1995, S. 1468 (1468), der von einer „wundersame Vermehrung von Grundrechten“ spricht. 134 So insbesondere Roßnagel, Grundrechte und Kernkraftwerke, S. 42 ff.; zustimmend Hermes, Schutz von Leben und Gesundheit, S. 143; Roth-Stielow, EuGRZ 1980, S. 386 (387); vgl. auch Kriele, Geschichte der Grund- und Menschenrechte, in: Achterberg, FS Scupin, S. 187 (200), der jedoch Freiheit von Furcht letztlich nicht als Grundrecht auffasst. 135 So Hofmann, Rechtsfragen der atomaren Entsorgung, S. 308; vgl. auch Mastronardi, Menschenwürde, S. 235, 244 f., 283. 136 Vgl. Denninger, VVDStRL 37 (1979), S. 7 (28), der jedoch „Freiheit von Angst“ als vorinstitutionelles Prinzip der freiheitlich-demokratischen Grundordnung versteht. 137 BVerfGE 109, 279 (311). 138 Roßnagel, Grundrechte und Kernkraftwerke, S. 43. 139 Maihofer, Rechtsstaat und menschliche Würde, S. 16; siehe auch Roßnagel, Grundrechte und Kernkraftwerke, S. 43.

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Teil 3: Freiheit von Furcht im Grundgesetz

a) Furcht vor unbeherrschbaren technischen Gefahren Im Wesentlichen ist dieser Herleitungsansatz im Zusammenhang mit der Diskussion um die Gefahren der Kernenergie entwickelt worden.140 Der Einzelne werde zum Objekt staatlichen Handelns, wenn er Angriffen des Staates ausgesetzt ist, denen er wehr- und hilflos gegenübersteht.141 Davon ausgehend argumentiert Roßnagel, dass der Einzelne nicht nur durch einen solchen Angriff, dem er wehrlos ausgesetzt ist, zum Objekt werde, sondern auch in einer Situation, in der er jederzeit einen solchen Angriff fürchten müsse.142 Angesichts von Risiken, denen der Einzelne hilflos ausgesetzt ist, weil er sie weder überschauen noch beherrschen kann, gehe das Wissen der prinzipiellen Unverfügbarkeit seiner selbst für andere verloren.143 Ebenso wie der Angriff selbst, könne auch die Furcht vor einem ebensolchem Angriff die Menschenwürde verletzen.144 Zur Begründung wird nicht zuletzt ein Vergleich mit dem Schutz vor extremer materieller Not durch die Menschenwürde gezogen: Furcht vor unüberschaubaren und unbeherrschbaren Gefahren könne die Selbstbestimmung auf ebenso fundamentale Weise bedrohen, was eine Garantie von Freiheit von Furcht durch die Menschenwürde rechtfertige.145 Nach dieser Auffassung wird Freiheit von Furcht als Ausprägung der Menschenwürdegarantie grundrechtlich gewährleistet und kann als subjektives Recht Ansprüche des Einzelnen begründen.146 Um ein Ausufern des Schutzes zu vermeiden, soll jedoch Freiheit von Furcht nicht alle Quellen von Furcht umfassen. Überwiegend wird eine Beschränkung auf Furcht vor unüberschaubaren und unbeherrschbaren, technischen Risiken gefordert.147 Nicht jede Furcht vor einem 140 Grundlegend Roßnagel, Grundrechte und Kernkraftwerke, S. 42 ff.; Hofmann, Rechtsfragen der atomaren Entsorgung, S. 306 ff.; Roth-Stielow, EuGRZ 1980, S. 386 (386 ff.); eine Darstellung des Ansatzes findet sich auch bei Schewe, Sicherheitsgefühl, S. 195 f. 141 Schewe, Sicherheitsgefühl, S. 195. 142 Roßnagel, Grundrechte und Kernkraftwerke, S. 44. 143 Roßnagel, Grundrechte und Kernkraftwerke, S. 44; vgl. Roth-Stielow, EuGRZ 1980, S. 386 (387). 144 Siehe auch Schewe, Sicherheitsgefühl, S. 195 f. 145 Roßnagel, Grundrechte und Kernkraftwerke, S. 45; Hofmann, Rechtsfragen der atomaren Entsorgung, S. 308 f. 146 Ausführlich Roßnagel, Grundrechte und Kernkraftwerke, S. 44, der primär die Verpflichtung des Staates zum Schutz in den Blick nimmt. Zugleich wird deutlich, dass Ängste auch vom Staat verursacht werden können. Zustimmend: Roth-Stielow, EuGRZ 1980, S. 386 (387); Hermes, Schutz von Leben und Gesundheit, S. 143; dem folgend Hofmann, Rechtsfragen der atomaren Entsorgung, S. 308 ff., der Freiheit von Furcht jedoch dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zuordnet; zuletzt eher bejahend auch Schewe, Sicherheitsgefühl, S. 196. 147 Zumindest implizit Roßnagel, Grundrechte und Kernkraftwerke, S. 45 f., 47; nachdrücklich Hermes, Schutz von Leben und Gesundheit, S. 143; Hofmann, Rechtsfragen der atomaren Entsorgung, S. 308 f.; weitergehend Mastronardi, Menschenwürde, S. 292 f.: „alle Bedrohungen der modernen Gesellschaft“; siehe auch Schewe, Sicherheitsgefühl, S. 211 ff., der in Bezug auf „Furcht vor Risikotechnologien“ den einzigen Anwendungsbereich sieht.

B. Grundrechtsrelevanz von Freiheit von Furcht

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Schaden soll grundrechtliche Bedeutung erlangen, sondern erst das „Ausgeliefertsein“ mache den Einzelnen zum Objekt staatlichen Handelns.148 Roßnagel beschränkt die Gewährleistung überdies auf „Realängste“, d. h. Ängste vor realen/ tatsächlichen Gefahren; neurotische Ängste seien hingegen ausgeschlossen.149 Ein abweichendes Verständnis findet sich bei Hofmann, wonach etwaige Unsicherheiten aufgrund der Subjektivität von Furcht nicht zulasten des Gewährleistungsumfangs gehen dürften. Eine Begrenzung auf „vernünftige“ Zweifel lehnt er ab.150 Freiheit von Furcht erfordere, dass der Staat allen Ängsten begegne, die „nicht gänzlich unvernünftig sind“.151 b) Menschenwürde als Elementarschutz Art. 1 Abs. 1 GG schreibt die Menschenwürdegarantie im Grundgesetz fest. Wann die Menschenwürde angetastet ist, wird durch das Bundesverfassungsgericht vornehmlich durch die Herausbildung von Fallgruppen konkretisiert. Dabei wird ein Eingriff meist vom Verletzungsvorgang her bestimmt.152 Nach der sog. Objektformel ist eine Verletzung der Menschenwürde anzunehmen, wenn der Einzelne zum Objekt staatlichen Handelns gemacht wird und so das Bewusstsein seiner Selbst als Subjekt verliert.153 Dabei ist der Schutz der Menschenwürde eng mit der Gewährleistung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts verwoben. Dieses Recht zielt darauf ab, die „engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen zu gewährleisten“.154 Insofern wird auch die geistig-seelische Integrität geschützt, sofern sie als konstituierendes Element der Persönlichkeit anzusehen ist.155 Art. 1 Abs. 1 GG prägt das allgemeine Persönlichkeitsrecht und stellt zugleich dessen unberührbaren Kern dar; hier überschneiden und ergänzen sich die unterschiedlichen Begründungsansätze und sollen daher gemeinsam behandelt werden.156

148 Hermes, Schutz von Leben und Gesundheit, S. 143; Hofmann, Rechtsfragen der atomaren Entsorgung, S. 308: „Keinen grundrechtlichen Schutz gibt es dagegen, wo nicht die individuelle Existenz unmittelbar auf dem Spiel steht.“ 149 Roßnagel, Grundrechte und Kernkraftwerke, S. 45. 150 Hofmann, Rechtsfragen der atomaren Entsorgung, S. 309. Dies war der Maßstab des Bundesverfassungsgerichts im sog. Kalkar-Beschluss aus dem Jahr 1978, siehe BVerfGE 49, 89 (132). 151 Hofmann, Rechtsfragen der atomaren Entsorgung, S. 309. 152 Hierzu Höfling, in: Sachs, GG, Art. 1 Rn. 14 m.w.N. 153 Allgemein Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 1 Rn. 11; Höfling, in: Sachs, GG, Art. 1 Rn. 15 f.; siehe ferner Roßnagel, Grundrechte und Kernkraftwerke, S. 43. 154 BVerfGE 54, 148 (153). 155 Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 61. 156 Zur Bedeutung des Art. 1 Abs. 1 GG für das allgemeine Persönlichkeitsrecht siehe: Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 36; Dreier, in: Dreier, GG I, Art. 2 Abs. 1 Rn. 69.

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Teil 3: Freiheit von Furcht im Grundgesetz

Die Menschenwürde als „oberster Verfassungswert“ ist als Elementarschutz zu verstehen, der eine restriktive Deutung des Grundrechts erfordert.157 Bereits aus diesem Grund ist fraglich, ob jede Form von Furcht Bedeutung im Rahmen der Menschenwürde erlangen kann. Erst wenn die Selbstbestimmung des Einzelnen aufgrund von Furcht dergestalt leidet, dass er zum Objekt staatlichen Handelns wird, kann die Menschenwürde betroffen sein. Dies kann für die Gefahren der Kernenergie und atomare Risiken unter gewissen Umständen denkbar sein.158 Auch die Errichtung eines (totalitären) Überwachungsstaates könnte diese Voraussetzung erfüllen. Es ist jedoch zweifelhaft, ob Furcht auch in anderen Kontexten oder sogar generell geeignet ist, den Einzelnen zum Objekt zu machen.159 Dieses Problem kann jedenfalls nicht dadurch befriedigend gelöst werden, dass Freiheit von Furcht auf Furcht vor technischen Bedrohungen beschränkt wird. Zwar mag in diesem Kontext eine Verletzung der Menschenwürde plausibel erscheinen. Eine generelle, sachliche Begrenzung auf Gefahren neuer Technologien lässt sich der Verfassung indes nicht entnehmen und entbehrt eines sachlichen Grundes.160 Richtigerweise ist Art. 1 Abs. 1 GG als elementares Menschenrecht ohne sachliche Begrenzung auf bestimmte Gefahren zu verstehen. Eine Herleitung eines Rechts auf Freiheit von Furcht aus Art. 1 Abs. 1 GG wäre demnach lediglich als Elementarschutz zu verstehen.161 Aufgrund der hohen Anforderungen gewährleistet Art. 1 Abs. 1 GG Freiheit von Furcht daher jedenfalls nur in engen Grenzen.162 In den vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fällen ist die Schwelle für eine Verletzung der Menschenwürde regelmäßig nicht überschritten.163 2. Herleitung aus dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit Früher wurde vereinzelt eine weite Auslegung des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG vertreten.164 Nach dieser Interpretation, nach der das Grundrecht das menschliche Wohlbefinden insgesamt schützt, sei hiervon auch Freiheit von Furcht umfasst.165 Dem zugrunde liegt die Definition von Gesundheit der Weltgesundheitsorganisation, wonach Gesundheit 157

Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 1 Rn. 7, 11a. So auch Schewe, Sicherheitsgefühl, S. 196. 159 Überzeugend Schewe, Sicherheitsgefühl, S. 196. 160 So kann der Versuch einer Rechtfertigung etwa bei Roth-Stielow, EuGRZ 1980, S. 386 (387) nicht überzeugen. 161 Vgl. auch Hermes, Schutz von Leben und Gesundheit, S. 143. 162 So auch Schewe, Sicherheitsgefühl, S. 205. 163 Mit Blick auf Kriminalitätsfurcht Schewe, Sicherheitsgefühl, S. 196. 164 Ein weites Grundrechtsverständnis vertritt etwa Jung, Recht auf Gesundheit. 165 Vgl. den Überblick bei Schewe, Sicherheitsgefühl, S. 198. 158

B. Grundrechtsrelevanz von Freiheit von Furcht

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einen „Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen“ meint.166 Ein Verständnis von Art. 2 Abs. 2 S. 1 als umfassendes „Recht auf Gesundheit“ ist jedoch unter Zugrundelegung des Wortlauts und der Historie des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG aus verfassungsrechtlicher Sicht als zu weit gehend abzulehnen.167 Die von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gewährleistete körperliche Unversehrtheit ist als Gesundheit im physisch-biologischen sowie psychischen Sinne zu verstehen.168 Zwar kann Furcht die psychische Gesundheit betreffen. Diese wird jedoch nur insoweit gewährleistet, wie die psychischen Auswirkungen körperlichen Schmerzen gleichstehen, etwa bei psychisch-seelischen Pathologien. Lediglich krankhafte Angstzustände fallen daher in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG.169 Die vorliegende Arbeit hat jedoch überwiegend Konstellationen im Blick, in denen Furcht nicht die Schwelle einer Krankheit erreicht.170 Davon unabhängig dürfte bei krankhaften Phobien eine Zurechnung zum Staat nur in wenigen Fällen möglich sein.171 Festzuhalten ist, dass Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG Freiheit von Furcht nicht umfassend gewährleistet, sondern allenfalls im Hinblick auf pathologische Ängste. 3. Herleitung aus dem Recht auf Freiheit der Person Ausgehend von der Gewährleistung des Art. 5 Abs. 1 EMRK knüpft Herzog ein Recht auf Freiheit von Furcht an die Freiheit der Person an.172 Art. 5 Abs. 1 EMRK garantiert ihrem Wortlaut nach ein „Recht auf Freiheit und Sicherheit“. Der Begriff der Sicherheit wird von Herzog weit interpretiert, so dass auch ein Recht auf Freiheit von Furcht umfasst sei.173 Zur Begründung führt er die Bedeutung des Wortes „Sicherheit“ an: Ausgehend von der Abstammung vom lateinischen „securitas“ sei Sicherheit als Freiheit von Beunruhigung zu verstehen.174 Dafür spräche auch die 166

Definition in der Präambel der Satzung der Weltgesundheitsorganisation, deutsche Fassung abgedruckt bei Jung, Recht auf Gesundheit, S. 66. 167 Ausdrücklich Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 2 S. 1 (2004), Rn. 57; differenziert, im Ergebnis ebenfalls ablehnend Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 150; siehe auch Hermes, Schutz von Leben und Gesundheit, S. 223. 168 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 83; Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 147 ff. 169 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 83; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG I, Art. 2 Abs. 2 Rn. 35. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus OVG Münster, DVBl. 1995, S. 1370 (1370). In der Entscheidung vom 26. 04. 1995 wurde einschüchternder Schulunterricht zwar als Eingriff gewertet, allerdings vor dem Hintergrund, dass bei dem Betroffenen ein psycho-reaktives Angst-Syndrom diagnostiziert wurde. Siehe auch Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 158. 170 Siehe zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts oben Teil 2 A. II. 171 Vgl. Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG I, Art. 2 Abs. 2 Rn. 35, 51. 172 Siehe zu diesem Ansatz auch Schewe, Sicherheitsgefühl, S. 193 f. 173 Herzog, Grundrechtsbeschränkung, S. 17 f. 174 Herzog, Grundrechtsbeschränkung, S. 17 f.

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Teil 3: Freiheit von Furcht im Grundgesetz

Auslegung der englischen sowie französischen Fassung des Art. 5 EMRK im Kontext der jeweiligen Landesverfassung; insbesondere Art. 8 der französischen Verfassung vom 24. März 1793 deute auf ein weites Verständnis hin.175 Auch andere Stimmen in der Literatur sprechen sich für eine weite Auslegung des Schutzgutes von Art. 5 EMRK aus.176 Ebenso wird angenommen, Freiheit von Furcht sei im deutschen Grundgesetz vom Recht auf Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG umfasst. Das Grundrecht sei im Sinne einer Freiheit vor jeglichem staatlichen Zwang zu verstehen und fungiere so als Generalklausel aller Abwehrrechte. Als solche umfasse sie ebenso wie Art. 5 Abs. 1 EMRK auch ein Recht auf Sicherheit und somit auf Freiheit von Furcht.177 Die Europäische Menschenrechtskonvention ist ein multilateraler völkerrechtlicher Vertrag, welcher am 3. September 1953 in Deutschland in Kraft getreten ist.178 Der Konvention kommt in Deutschland unmittelbare innerstaatliche Geltung zu, wobei sie den Rang einfacher Bundesgesetze teilt.179 Obwohl die Garantien der EMRK somit grundsätzlich auch auf nationaler Ebene Geltung haben, ist der Ansatz Herzogs zur Herleitung eines Rechts auf Freiheit von Furcht aus Art. 5 Abs. 1 EMRK abzulehnen. Nach heute einhelliger Meinung schützt Art. 5 Abs. 1 EMRK primär die körperliche Bewegungsfreiheit. Der besonderen Erwähnung der Sicherheit kommt demgegenüber keine oder allenfalls geringe eigenständige Bedeutung zu; sie ist lediglich als allgemeine Forderung nach Rechtssicherheit zu verstehen.180 Eine derart 175 Herzog, Grundrechtsbeschränkung, S. 17 f.; siehe auch Herzog, AöR 86 (1961), S. 194 (201), wo er die Frage nach einer Herleitung aus Art. 5 EMRK offen lässt; vgl. auch Paeffgen, in: Wolter, SK-StPO, Bd. 10, Art. 5 EMRK Rn. 5. 176 Vgl. Trechsel, EuGRZ 1980, S. 514 (515) m.n.N. 177 So Herzog, Grundrechtsbeschränkung, S. 14 ff.; ähnlich auch noch Maunz, Deutsches Staatsrecht, S. 130 (23. Aufl. 1980); in späteren Auflagen des Werkes wird dies nicht mehr vertreten, vgl. nur Zippelius/Würtenberger/Maunz, Deutsches Staatsrecht, S. 266 ff. (32. Aufl. 2008); a.A. auch noch explizit Starck, in: v. Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, Bd. 1, Art. 2 Abs. 2 Rn. 131 (3. Aufl. 1985). 178 Konvention zum Schutz der Menschenrechte und der Grundfreiheiten vom 04. 11. 1950, BGBl. 1952 II, S. 686, in Deutschland in Kraft seit dem 03. 09. 1953, BGBl. 1954 II, S. 14. 179 Zur Geltung der EMRK in Deutschland siehe: Esser, in: Löwe/Rosenberg, StPO, Bd. 11, Einf. EMRK Rn. 42, 45, 82 ff.; Ehlers, in: Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 2 Rn. 12. 180 So die herrschende Auffassung, siehe: Esser, in: Löwe/Rosenberg, StPO, Bd. 11, Art. 5 EMRK Rn. 8, 11 f.; Mayer-Ladewig, in: Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 5 Rn. 5; Schädler, in: Hannich, Karlsruher Kommentar StPO, Art. 5 MRK Rn. 2 ff.; Grabenwarter/Struth, in: Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 6 Rn. 5 ff.; eingängig Fawcett, Application of the ECHR, S. 58: „Liberty and security are the two sides of the same coin; if personal liberty spells actual freedom of movement of the person, security is the condition of being protected by law in that freedom.“; zuletzt wurde die Bedeutung der „Sicherheit“ wieder vermehrt diskutiert, ohne dass sich daraus mit Blick auf Freiheit von Furcht etwas anderes ergibt, vgl. Peukert, in: Frowein/Peukert, EMRK, Art. 5 Rn. 4 ff.; siehe auch bereits die differenzierte Darstellung bei Trechsel, EuGRZ 1980, S. 514 (518).

B. Grundrechtsrelevanz von Freiheit von Furcht

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weitgehende Auslegung der Norm, wie von Herzog angenommen, ist daher abzulehnen.181 Folglich gewährleistet Art. 5 Abs. 1 EMRK auch nicht Freiheit von Furcht.182 Dies gilt im Wesentlichen auch mit Blick auf Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG. Bereits Systematik und Historie der Norm widersprechen Herzogs Verständnis.183 Insbesondere ist eine derart weite Auslegung von Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG nicht mit dem herrschenden Verständnis der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG zu vereinbaren: Während der Schutz vor unrechtmäßigem staatlichem Zwang Inhalt der allgemeinen Handlungsfreiheit ist, schützt die Freiheit der Person nur die körperliche Bewegungsfreiheit im engeren Sinne.184 Die Freiheit der Person gewährleistet somit weder in Art. 5 Abs. 1 EMRK noch in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG ein Recht auf Freiheit von Furcht. 4. Herleitung aus der Gewissensfreiheit Bei Zugrundelegung des Verständnisses von Scholler ließe sich Freiheit von Furcht aus der Gewissensfreiheit aus Art. 4 GG herleiten.185 Scholler zieht eine enge Verbindung zwischen Freiheit von Furcht, der Menschenwürde, dem Religionsgeheimnis und dem Schutz der Geheimsphäre des Menschen.186 Der Schutz der Geheimsphäre könne letztlich als „Sicherung der Freiheit von Angst und Furcht“ verstanden werden.187 Die Möglichkeit einer freien Gewissensentscheidung sei unter dem Einfluss von Furcht nicht mehr gegeben und daher Freiheit von Angst „die vielleicht modernste Erscheinungsform der Grundrechte der Gewissensfreiheit“.188 Allerdings wird Schollers soziologische Deutung der Gewissensfreiheit nach heutigem Grundrechtsverständnis ganz überwiegend abgelehnt.189 Daher kann auch eine entsprechende Herleitung von Freiheit von Furcht nicht überzeugen. Beachtenswert

181 Zur Auslegung der EMRK vgl. allgemein: Echterhölter, JZ 1956, S. 142 (142 f.); v. Weber, ZStW 65 (1953), S. 334 (344 f.); speziell mit Blick auf Art. 5 EMRK Esser, in: Löwe/ Rosenberg, StPO, Bd. 11, Art. 5 EMRK Rn. 7; differenziert Ehlers, in: Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 2 Rn. 13 f. u. 31. 182 So auch Schewe, Sicherheitsgefühl, S. 194. 183 Siehe nur Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG I, Art. 2 Rn. 73. 184 Ganz h.M.: Stern, Staatsrecht III/2, S. 645 m.w.N.; zur heute herrschenden Auffassung zu Art. 2 Abs. 2 GG siehe Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 112; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG I, Art. 2 Abs. 2 Rn. 98 ff.; Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 4, 228 ff. 185 Grundlegend Scholler, Freiheit des Gewissens, S. 131 ff. 186 Scholler, Freiheit des Gewissens, S. 131 ff. 187 Scholler, Freiheit des Gewissens, S. 136. 188 Scholler, Freiheit des Gewissens, S. 136 f. 189 So auch Schewe, Sicherheitsgefühl, S. 197; zum heutigen Verständnis der Gewissensfreiheit siehe Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 4 Rn. 44 ff.

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Teil 3: Freiheit von Furcht im Grundgesetz

ist indes, dass Scholler Freiheit von Furcht in erster Linie als ein gegen den Staat gerichtetes (Abwehr-)Recht auffasst.190 5. Herleitung aus sonstigem Verfassungsrecht Neben einer unmittelbaren Anknüpfung an einzelne Grundrechte finden sich in der (älteren) Literatur auch Ansätze, welche Freiheit von Furcht in anderer Weise der Verfassung zuordnen. So hebt Arndt die Bedeutung von Freiheit von Furcht für Demokratie und Rechtsstaat hervor.191 Nur wer frei von Furcht sei, könne seine rechtsstaatlichen Freiheiten wahrnehmen und am demokratischen Prozess teilnehmen.192 Unklar bleibt hierbei, ob Arndt Freiheit von Furcht als Verfassungsprinzip versteht oder ob es sich dabei (nur) um eine außer-konstitutionelle Voraussetzung, eine Vorbedingung der Verfassung handeln soll.193 Ausdrücklich als letzteres beurteilt Denninger Freiheit von Angst. Es handele sich um ein vorinstitutionelles Element der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, welches nicht auf gleicher Stufe mit den verfassungsrechtlichen Elementen stehe.194 Diesem Verständnis liegt der Gedanke zugrunde, dass die geschriebene Verfassung eine gewisse „Grundverfassung des Bürgers“ voraussetzt, bei deren Fehlen die institutionellen Elemente der freiheitlich-demokratischen Grundordnung leerlaufen würden.195 Obwohl Denninger Freiheit von Angst deutlich nur als „Verfassungserwartung“ begreift, siehe er zugleich einen engen Zusammenhang mit dem Vertrauensschutz, den Anforderungen an die Bestimmtheit von Strafgesetzen und dem Kernbereich des Persönlichkeitsrechts.196 Selbst wenn Freiheit von Furcht nicht als bloße Verfassungserwartung, sondern als im Demokratie- oder Rechtsstaatsprinzip verankert anzusehen ist, ist zu beachten, dass sich dogmatisch aus Verfassungsprinzipien nicht unmittelbar subjektive Rechte ergeben können. Dazu bedarf es grundsätzlich einer „subjektivierenden“ Norm wie z. B. Art. 1 Abs. 1 GG.197 Daher lässt sich festhalten, dass allein der Verweis auf die

190

Vgl. Scholler, Freiheit des Gewissens, S. 136 f. A. Arndt, NJW 1961, S. 897 (898). 192 A. Arndt, NJW 1961, S. 897 (898); Schewe, Sicherheitsgefühl, S. 203 f. 193 Vgl. A. Arndt, NJW 1961, S. 897 (898, 902); zweifelnd auch Schewe, Sicherheitsgefühl, S. 204. 194 Denninger, VVDStRL 37 (1979), S. 7 (27, 132); kritisch Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 225; in Richtung einer Verfassungsvoraussetzung auch Depenheuer, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 87 a (2008), Rn. 43, wobei jedoch Freiheit von Furcht grundsätzlich eine andere Bedeutung beigemessen wird. 195 Denninger, VVDStRL 37 (1979), S. 7 (27); zu den institutionellen Elementen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung siehe auch BVerfGE 2, 1 (12 f.). 196 Denninger, VVDStRL 37 (1979), S. 7 (27 ff., 39, 43, 50): „Vertrauensprinzip in Verbindung mit dem Grundsatz der Freiheit von Angst.“ 197 Vgl. Schewe, Sicherheitsgefühl, S. 204 (insbes. Fn. 317, m.w.N.). 191

B. Grundrechtsrelevanz von Freiheit von Furcht

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Bedeutung von Freiheit von Furcht für Demokratie und Rechtsstaat nicht die Existenz eines Grundrechts auf Freiheit von Furcht begründen kann. 6. Zwischenergebnis Überlegungen, nach denen ein eigenständiges Grundrecht auf Freiheit von Furcht aus einzelnen Grundrechtsbestimmungen hergeleitet wird, kann nicht gefolgt werden. Für ein solches Verständnis lassen sich auch keine Hinweise in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts finden.198 Zudem wäre ein solches Recht kaum handhabbar und konturenlos; insofern verwundert es nicht, dass die dargestellten Ansätze Freiheit von Furcht überwiegend auf bestimmte Auslöser von Furcht bzw. bestimmte sachliche Zusammenhänge beziehen, wie beispielsweise Kriminalitätsfurcht,199 Furcht vor den Gefahren der Kernenergie200 und Furcht vor staatlicher Überwachung201. Überdies bleibt häufig unklar, welche rechtliche Qualität Freiheit von Furcht zukommen soll. Nach alledem wird ein Grundrecht auf Freiheit von Furcht im Sinne eines eigenständigen Grundrechts vom Grundgesetz nicht gewährleistet; es wäre in hohem Maße konkretisierungsbedürftig und würde die genannten Gewährleistungen überdehnen.

III. Die Gewährleistung von Freiheit von Furcht durch bestehende Grundrechte Dass das Grundgesetz ein eigenständiges Grundrecht auf Freiheit von Furcht nicht kennt, bedeutet indes nicht, dass staatliche Maßnahmen, von denen Einschüchterungswirkungen ausgehen, generell zulässig sind. Fraglich ist, ob und inwiefern bestehende Grundrechte (auch) Freiheit von Furcht gewährleisten und vor Einschüchterungseffekten schützen. Wie bereits die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zeigt, können im Zusammenhang mit Einschüchterungseffekten unterschiedliche Freiheitsrechte thematisch einschlägig sein: Neben Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG sowie dem Auffangtatbestand des Art. 2 Abs. 1 GG erlangen insbesondere die Kommunikationsfreiheiten der Art. 5 Abs. 1, Art. 8 GG sowie die speziellen Gewährleistungen zum Schutz der kommunikativen (Art. 10 GG) und räumlichen Privatsphäre (Art. 13 GG) Bedeutung. Dabei formen die unterschiedlichen Bestimmungen den Schutz der

198

Siehe oben Teil 2. A. Schewe, Sicherheitsgefühl, S. 186 ff. 200 Hofmann, Rechtsfragen der atomaren Entsorgung, S. 307 f.; Roßnagel, Grundrechte und Kernkraftwerke, S. 42 ff. 201 A. Arndt, NJW 1961, S. 897 (897 ff.); Denninger, VVDStRL 37 (1979), S. 7 (26 ff.). 199

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Teil 3: Freiheit von Furcht im Grundgesetz

freien Entfaltung der Persönlichkeit aus.202 Ihre Grundlage finden die Gewährleistungen letztlich in Menschenwürde.203 Im Folgenden wird unterschiedlichen Ansätzen nachgegangen, nach denen bestehende Grundrechte auch die Abwehr von Einschüchterungseffekten umfassen. Da eine umfassende und abschließende Darstellung insofern nicht möglich ist, beschränken sich die nachfolgenden Ausführungen auf zentrale Aspekte. In einem ersten Schritt werden die unterschiedlichen Ansätze danach systematisiert, ob sie die Abwehr von Einschüchterungseffekten der subjektiv-rechtlichen (1.) oder der objektiv-rechtlichen Dimension (2). der Grundrechte zuschreiben.204 1. Zuordnungen zur subjektiv-rechtlichen Grundrechtsdimension Grundrechte sind zunächst subjektive Rechte des jeweiligen Grundrechtsträgers. In ihrer subjektiv-rechtlichen Dimension beinhalten die Grundrechte individuelle, subjektive öffentliche Rechte auf Achtung der grundrechtlich geschützten Freiheit gegenüber der öffentlichen Gewalt.205 Die Abwehr von Grundrechtseingriffen gilt als primäre, klassisch liberale Funktion der Grundrechte.206 Bei der Frage, inwiefern Grundrechte subjektiv-rechtlich Abwehr von Einschüchterungseffekten bieten, können grundsätzlich zwei Aspekte unterschieden werden:207 Zum einen könnte das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (oder allgemeiner das allgemeine Persönlichkeitsrecht) generell vor Einschüchterungseffekten schützen. Zum anderen und davon unabhängig stellt sich die Frage, ob nicht jedes Freiheitsrecht einschüchternde Wirkungen in Bezug auf sein jeweiliges Schutzgut abwehrt. Deutlich werden die unterschiedlichen Ansätze anhand des Beispiels einer Videoüberwachung einer Versammlung durch die Polizei: Hier ist umstritten, ob mit einer Videoüberwachung verbundene Einschüchterungseffekte in Bezug auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung fruchtbar gemacht werden können oder (erst) bei der Versammlungsfreiheit Bedeutung erlangen.208 202

Vgl. Schmidt, JZ 1974, S. 241 (246); ähnlich Gusy, DÖV 1980, S. 431 (432). Näher hierzu Volkmann, AnwBl. 2009, S. 118 (118 f.). 204 Zu den Grundrechtsdimensionen grundlegend BVerfGE 7, 198 (204 ff.); Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 127 ff.; kritisch Böckenförde, NJW 1974, S. 1529 (1529 ff.); Böckenförde, Der Staat 29 (1990), S. 1 (1 ff.); Alexy, Theorie der Grundrechte; Ladeur, Der Staat 50 (2011), S. 493; siehe auch Dreier, JURA 1994, S. 505 (505 ff.). Die Unterscheidung in subjektiv-rechtliche und objektiv-rechtliche Gehalte ist allgemein anerkannt. 205 Siehe Sachs, in: Sachs, GG, Vor Art. 1 Rn. 39 f.; Dreier, in: Dreier, GG I, Vorb. Rn. 66 ff. 206 Kloepfer, Verfassungsrecht II, § 48 Rn. 11 ff. 207 Ähnliche Differenzierungen finden sich bei Held, Intelligente Videoüberwachung, S. 82 sowie Geiger, Video-Überwachungstechnologie, S. 162. 208 Vgl. etwa Koranyi/Singelnstein, NJW 2011, S. 124 (124 ff.). 203

B. Grundrechtsrelevanz von Freiheit von Furcht

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Die Frage, ob und inwiefern ein Grundrecht Schutz vor Einschüchterungseffekten bietet, wird sowohl in Rechtsprechung als auch Literatur vielfach erst im Zusammenhang mit der Annahme einer Grundrechtsbeeinträchtigung erörtert. Die vorliegende Untersuchung setzt indes beim Gewährleistungsbereich an, da zwischen dem Schutzgut eines Grundrechts und seiner Beeinträchtigung ein enger systematischer Zusammenhang besteht, so dass sich in sachlicher Hinsicht keine Unterschiede ergeben dürften.209 a) Genereller Schutz durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht Wie in der Analyse der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts deutlich wurde, können Einschüchterungseffekte insbesondere durch Maßnahmen staatlicher Überwachung und Registrierung verursacht werden. Es überrascht daher nicht, dass im Zusammenhang mit informationellen Maßnahmen teilweise vertreten wird, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung bzw. das allgemeine Persönlichkeitsrecht schütze generell vor Einschüchterungseffekten. aa) Erweiterung des grundrechtlichen Schutzes? Vertreter dieser Auffassung stützen sich vornehmlich auf die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung, wonach das Recht „auch dem Schutz vor einem Einschüchterungseffekt [dient], der entstehen und zu Beeinträchtigungen bei der Ausübung anderer Grundrechte führen kann, wenn für den Einzelnen nicht mehr erkennbar ist, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über ihn weiß“.210 Sachs nimmt insofern eine Erweiterung des grundrechtlichen Schutzes an.211 In ähnliche Richtung geht es, wenn Schoch eine „Schutzbereichsverstärkung“ annimmt, die zu einer Vorverlagerung des Schutzes führe.212 Nach Gerhards fallen Einschüchterungseffekte in den Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung.213 Büllesfeld ist der Auffassung, bei der Bestimmung des Schutzbereichs von Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG sei maßgeblich auf die Verunsicherung der Betroffenen und damit verbundene Verhaltensbeeinflussungen abzustellen; er spricht insofern von einer subjektiven Ausrichtung des Schutzge209

Vgl. Büllesfeld, Polizeiliche Videoüberwachung, S. 121 f. BVerfGE 113, 29 (46); 115, 166 (188); ausführlich zur Rechtsprechung bereits oben Teil 2 A. 211 Dies lege jedenfalls der Schutzzweck des Grundrechts nahe, siehe Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 88a. 212 Schoch, JURA 2008, S. 352 (356 f.), der diese Entwicklung jedoch kritisiert. 213 Gerhards, (Grund-)Recht auf Verschlüsselung?, S. 159 f. 210

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genstandes.214 Nach Bausch schützt das Grundrecht davor, dass „der Einzelne verschont bleibt von einer durch Überwachung erzeugten Unsicherheit“.215 Daran anknüpfend wird für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung vielfach auch eine Erweiterung des Eingriffsbegriffs angenommen.216 Indem die Gewährleistung den Schutz vor Einschüchterungseffekten umfasse, sei eine Beeinträchtigung bereits anzunehmen, sofern die Freiheitsausübung des Betroffenen durch Einschüchterung wesentlich gehemmt sei.217 Teilweise ist insofern von einer subjektiven Eingriffsbestimmung die Rede.218 Speziell mit Blick auf staatliche Videoüberwachungsmaßnahmen wird eine Grundrechtsbeeinträchtigung mit dem entstehenden Überwachungs- und Anpassungsdruck begründet.219 Teilweise werden auch die Verunsicherung des Betroffenen und damit einhergehende Verhaltensänderungen hervorgehoben.220 Für die Annahme eines Eingriffs komme es nicht auf den konkreten Einsatz der Kameraüberwachung bzw. auf ihre technischen Möglichkeiten an; vielmehr könne eine Beeinträchtigung bereits aufgrund der bloßen Kenntnis von der Möglichkeit des „Registriert-Werdens“ angenommen werden.221 In der Konsequenz werden aufgrund von Einschüchterungseffekten auch Maßnahmen als Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung qualifiziert, die tatsächlich keine Informationserhebung oder -verarbeitung bedeuten, beispielsweise unerkennbar abgeschaltete oder nicht-funktionstüchtige Kameras sowie bloße Kameraattrappen.222 Teilweise wird ein genereller Schutz vor Einschüchterungseffekten auch im allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verortet.223 Nach Geiger umfasse das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch das Recht, von staatlicher Beobachtung verschont zu bleiben.224 Kulwicki ordnet Einschüchterungseffekte als Schutzaspekt dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zu.225 214

Büllesfeld, Polizeiliche Videoüberwachung, S. 122 ff., 142 f. Bausch, Videoüberwachung, S. 31 f. 216 Explizit Schoch, JURA 2008, S. 352 (356 f.). Selbst wenn das Problem der Einschüchterungseffekte ausschließlich im Zusammenhang mit der Eingriffsbestimmung thematisiert wird, ist damit implizit auch eine Aussage über den Gewährleistungsgehalt des betreffenden Grundrechts verbunden. 217 Schoch, JURA 2008, S. 352 (357). 218 Siehe nur Roggan, NVwZ 2001, S. 134 (136), wonach die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts insofern „unmissverständlich“ sei. 219 So beispielsweise Büllesfeld, Polizeiliche Videoüberwachung, S. 135 m.w.N. 220 Büllesfeld, Polizeiliche Videoüberwachung, S. 144. 221 So Roggan, NVwZ 2001, S. 134 (136); Achelpöhler/Niehaus, DuD 2002, S. 731 (732); ähnlich auch Röger/Stephan, NWVBl. 2001, S. 201 (206 f.). 222 Büllesfeld, Polizeiliche Videoüberwachung, S. 144; in diese Richtung auch Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 88a. 223 Insbesondere Geiger, Video-Überwachungstechnologie, S. 178 ff. 224 Geiger, Video-Überwachungstechnologie, S. 178, 186. 225 Ohne nähere Begründung Kulwicki, Verfassungswandel, S. 223. 215

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Für einen subjektiv-rechtlichen Schutz vor Einschüchterungseffekten durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung werden neben der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch weitere Argumente angeführt. So werden die Gefahren einer (umfassenden) Überwachung und insbesondere die psychischen Folgen durch Überwachungsdruck betont.226 Es bestehe ein Schutzbedürfnis, da bereits die bloße Beobachtung mittels technischer Geräte einen psychologischen Überwachungsdruck entstehen lasse und eine freie Persönlichkeitsentfaltung verhindere.227 Nicht nur der Umgang mit personenbezogenen Daten als solcher, sondern bereits der entsprechende Anschein könne die Grundrechtsträger verunsichern.228 Zugleich ermögliche eine subjektive, auf die Einschüchterung der Betroffenen abstellende Sichtweise eine einheitliche Beurteilung aller Einsatzformen von Videotechnik.229 Angesichts der gleichermaßen verursachten Unsicherheit könne eine künstliche Aufspaltung des einheitlichen Themenkomplexes kaum überzeugen.230 bb) Kein losgelöster Schutz vor Einschüchterungseffekten Zwar thematisiert das Bundesverfassungsgericht den Schutz vor Einschüchterungseffekten regelmäßig im Zusammenhang mit dem informationellen Selbstbestimmungsrecht. Dass das Grundrecht auch dem Schutz vor Einschüchterungseffekten dient, darf dennoch nach hier vertretener Auffassung nicht als Erweiterung der Schutzgegenstände bzw. des Schutzumfangs des Grundrechts verstanden werden.231 Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung schützt vor einer Erhebung, Speicherung, Weitergabe und Verwendung personenbezogener Daten; deren Integrität ist Schutzgegenstand des Grundrechts.232 Tendenzen, einzelnen Grundrechten neben den ausdrücklich genannten noch weitere (selbstständige) Schutzgegenstände zuzuordnen, werden allgemein kritisch gesehen.233 Dabei besteht die Gefahr, dass Einwirkungen auf diese Elemente als rechtfertigungsbedürftige Eingriffe qualifiziert werden, unabhängig davon, ob sie für den eigentlichen Schutzgegenstand eine relevante Beeinträchtigung bewirken.234 Was bereits aus dem Schutzbereich heraus-

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Büllesfeld, Polizeiliche Videoüberwachung, S. 147. Geiger, Video-Überwachungstechnologie, S. 181. 228 Büllesfeld, Polizeiliche Videoüberwachung, S. 123. 229 Siehe etwa Büllesfeld, Polizeiliche Videoüberwachung, S. 142 ff.; Geiger, VideoÜberwachungstechnologie, S. 166 f. 230 Büllesfeld, Polizeiliche Videoüberwachung, S. 124, 147. 231 Pauschal ablehnend Bull, in: Möllers/Ooyen, JBÖS 2008/2009, S. 317 (325); differenzierter Held, Intelligente Videoüberwachung, S. 82 ff. 232 Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG I, Art. 2 Abs. 1 Rn. 114; Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 84; Dreier, in: Dreier, GG I, Art. 2 Abs. 1 Rn. 81. 233 Etwa Sachs, in: Merten/Papier, HGR II, § 39 Rn. 32; ausführlich und differenziert Stern, Staatsrecht III/1, S. 48 ff. m.w.N.; Sachs, in: Sachs, GG, Vor Art. 1 Rn. 44a. 234 Sachs, in: Sachs, GG, Vor Art. 1 Rn. 44a. 227

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Teil 3: Freiheit von Furcht im Grundgesetz

fällt, kann jedoch nicht mehr Gegenstand eines Eingriffs sein.235 Dies gilt auch für die vorliegende Problematik: Die Integrität personenbezogener Daten und die entsprechende Verfügungsbefugnis sind Schutzgegenstand des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung.236 Dies kann nach zutreffender Ansicht auch nicht mit dem Verweis auf die einschüchternde Wirkung einer Maßnahme überwunden werden; die Gefahr eines Einschüchterungseffekts ist nicht hinreichende Bedingung für die Heranziehung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung.237 Deutlich wird dies am Beispiel einer vermeintlichen Überwachung. Fehlt es an einer Erhebung, Speicherung, Verwendung oder Weitergabe personenbezogener Daten – oder zumindest der Gefahr einer solchen –, so ist die informationelle Selbstbestimmung nicht betroffen.238 Das Recht schützt nicht vor scheinbaren Datenerhebungen.239 Das gilt selbst dann, wenn man bereits eine Persönlichkeitsgefährdung als ausreichend beachtet.240 Anknüpfungspunkt bleibt der tatsächliche oder zumindest beabsichtigte Umgang mit personenbezogenen Daten.241 Eine Erweiterung des Schutzes, wonach das Grundrecht generell Schutz vor psychischen Zwangswirkungen bietet, ohne dass ein Umgang mit personenbezogenen Daten vorliegt, steht im Widerspruch zum Schutzgegenstand des Rechts.242 Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts: Obwohl das Gericht regelmäßig mit der einschüchternden Wirkung argumentiert, wurde noch in keiner Entscheidung eine Beeinträchtigung des informationellen Selbstbestimmungsrechts (allein) mit Einschüchterungseffekten begründet.243 Auch das Argument einer einheitlichen Betrachtungsweise verfängt nicht. Zunächst handelt es sich dabei um Praktikabilitätserwägungen, welche gegenüber dogmatischen Erwägungen kaum überzeugen können. Zudem nimmt das Argument lediglich Maßnahmen der Videotechnik in den Blick.244 Jedenfalls außerhalb des Bereichs staatlicher Informationstätigkeit stößt es an seine Grenzen. Eine einheitliche Betrachtung aller einschüchternden Maßnahmen kann der Ansatz nicht leisten. Es kann nicht überzeugen, auch andere einschüchternde Maßnahmen, wie polizei235 In bestechender Klarheit Bethge, VVDStRL 57 (1998), S. 7 (20): „Denn was aus dem Schutzbereich herausfällt, kann nicht mehr Gegenstand eines Grundrechtseingriffs, geschweige denn einer Grundrechtsverletzung sein.“ 236 Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG I, Art. 2 Abs. 1 Rn. 114; Dreier, in: Dreier, GG I, Art. 2 Abs. 1 Rn. 81. 237 Ähnlich Cornils, JURA 2010, S. 443 (446) sowie Lang, BayVBl. 2006, S. 522 (526). 238 Lang, BayVBl. 2006, S. 522 (526); ferner Pohl, KJ 2003, S. 317 (318) m.w.N. 239 Cornils, JURA 2010, S. 443 (446). 240 Vgl. Schwabenbauer, Heimliche Grundrechtseingriffe, S. 122; ähnlich auch Dolderer, NVwZ 2001, S. 130 (131). 241 Pohl, KJ 2003, S. 317 (318). 242 Deutlich Lang, BayVBl. 2006, S. 522 (523 ff.). 243 Siehe oben die Analyse der Rechtsprechung in Teil 2 A., insbes. III. 2. 244 Nur mit Fragen der Videoüberwachung beschäftigen sich etwa Geiger, Video-Überwachungstechnologie, S. 162 ff. und Büllesfeld, Polizeiliche Videoüberwachung, S. 142 ff.

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liche Gefährderanschreiben, ein massives Polizeiaufgebot bei Versammlungen oder unkalkulierbare Sanktionsrisiken, mit Verweis auf mögliche Einschüchterungseffekte am Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu messen. cc) Schutz vor Einschüchterungseffekten als Zweck des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung Bei der Interpretation des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ist zwischen der Herleitung und Begründung des Rechts einerseits und dessen Inhalt andererseits zu unterscheiden.245 Wie das Bundesverfassungsgericht zutreffend darstellt, können die Möglichkeiten moderner Datenerhebung und -verarbeitung zu Verhaltensunsicherheiten und schließlich zum Verzicht in der Grundrechtsausübung führen. Dieser Gefahr soll das Recht auf informationelle Selbstbestimmung begegnen.246 Daraus folgt jedoch nicht, dass das Grundrecht generell subjektivrechtlich vor Verunsicherungen schützt. Die Gefahr von Einschüchterungseffekten ist vielmehr Begründung der Gewährleistung und die Verhütung derartiger Effekte das Ziel des Schutzes, nicht aber Inhalt des Rechts. Die informationelle Selbstbestimmung des Einzelnen wird geschützt, um Einschüchterungseffekten vorzubeugen; das Recht soll Einschüchterungseffekte verhüten.247 Für dieses Verständnis sprechen auch Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts, wonach das Grundrecht über das hinaus, was es unmittelbar gewährleistet, auch dem Schutz vor einem Einschüchterungseffekt dient.248 Bereits hier wird die Unterscheidung zwischen dem eigentlichen Schutzgegenstand und dem Schutz vor Einschüchterungseffekten deutlich: Indem das Grundrecht unmittelbar die Befugnis der informationellen Selbstbestimmung schützt, dient es mittelbar auch dem Schutz vor Einschüchterung bei der Ausübung von Grundrechten. So ist es auch zu verstehen, wenn angenommen wird, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung diene dem Schutz einer unbefangenen Inanspruchnahme grundrechtlicher Freiheiten.249 Der Schutz vor Einschüchterungseffekten ist somit als Ziel und Zweck des Grundrechts, als ratio legis,250 nicht aber als subjektiv-rechtlich gewährleisteter Schutz zu interpretieren.

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Zur folgenden Argumentation siehe auch die Ausführungen bei Held, Intelligente Videoüberwachung, S. 83 f. m.w.N. 246 Vgl. Pohl, KJ 2003, S. 317 (319). 247 So Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 42 – Hervorhebung durch die Verfasserin; ebenfalls Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 S. 88a. 248 BVerfGE 113, 29 (46); siehe auch BVerfGE 115, 166 (188); BVerfG-K, NJW 2007, S. 351 (354); zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausführlich bereits oben Teil 2 A. III. 1. a). 249 So etwa Aernecke, Schutz elektronischer Daten, S. 127; siehe auch Welsing, Recht auf informationelle Selbstbestimmung, S. 427 ff. 250 Held, Intelligente Videoüberwachung, S. 85.

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Dies gilt auch mit Blick auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG.251 Aufgabe des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist es, „die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen zu gewährleisten“.252 Die Gewährleistung sichert dem Einzelnen einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung zur Persönlichkeitsentwicklung und -entfaltung.253 Dabei erfährt das Grundrecht unterschiedliche Konkretisierungen, welche Aspekte der Selbstbestimmung, Selbstbewahrung und Selbstdarstellung schützen.254 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht bezieht sich dabei primär auf die Wahrung der Integrität, wohingegen die allgemeine Handlungsfreiheit das Verhalten und damit das „aktive“ Element der Entfaltung umfasst.255 Indem das allgemeine Persönlichkeitsrecht die Bedingungen einer freien Entfaltung schützt, dient es auch der Verhaltensfreiheit und soll gewährleisten, dass der Einzelne sich aus eigener Selbstbestimmung entfalten kann.256 Insofern können das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das informationelle Selbstbestimmungsrecht als Grundrechte verstanden werden, um Verhaltensfreiheit generell zu garantieren.257 Gemeint ist der Schutz des Verhaltens insgesamt, welcher sich nicht an einzelnen, speziellen Verhaltensfreiheiten festmachen lässt.258 Insofern dienen die Grundrechte dem Schutz vor Verunsicherungen und Einschüchterung, welche die generelle/allgemeine Grundrechtsausübung beeinträchtigen können. Darüber hinaus werden Handlungs- und Entscheidungsfreiheit als aktives Element der Persönlichkeit jedoch durch die (speziellen) Handlungsfreiheiten gewährleistet.259 Für die vorliegende Arbeit bedeutet dies, dass Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG Schutz vor Einschüchterungseffekten nur als Grundbedingung für die personale Entfaltung gewährleistet.260 Insofern – aber nicht darüber hinaus – schützt das Recht auch die Handlungs- und Entscheidungsfreiheit, deren Voraussetzung die Selbstbestimmung ist.261 Ein genereller, subjektiv-rechtlicher Schutz vor Einschüchte251 Grundlegend BVerfGE 6, 32 – „Elfes“; zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 36 ff. 252 BVerfGE 54, 148 (153); 96, 56 (61). 253 BVerfGE 79, 256 (268). 254 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 408 ff.; zu den einzelnen Ausformungen siehe auch Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 68 ff. 255 So ausdrücklich BVerfGE 54, 148 (153); siehe auch Dreier, in: Dreier, GG I, Art. 2 Abs. 1 Rn. 22, 24; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG I, Art. 2 Abs. 1 Rn. 14 f.; ferner v. Arnauld, ZUM 1996, S. 286 (287). 256 W. Schmitt Glaeser, AöR 113 (1988), S. 52 (63). 257 Vgl. Pohl, KJ 2003, S. 317 (320); W. Schmitt Glaeser, AöR 113 (1988), S. 52 (63). 258 W. Schmitt Glaeser, AöR 113 (1988), S. 52 (63). 259 Vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 36, 50. 260 Lang, BayVBl. 2006, S. 522 (526); vgl. zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung auch Fischer, VBlBW. 2002, S. 89 (92). 261 Lang, BayVBl. 2006, S. 522 (526 f.).

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rungseffekten wird hingegen nicht gewährt, weder vom Recht auf informationelle Selbstbestimmung noch vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht.262 b) Schutz durch einzelne Freiheitsrechte Nach einer alternativen Konzeption bieten die einzelnen Freiheitsrechte mit ihrem jeweiligen Schutzbereich Schutz vor einschüchternden Maßnahmen. Sind mit einer Maßnahme Einschüchterungseffekte verbunden, welche sich nachteilig auf die Grundrechtsausübung des Betroffenen auswirken, so kommt nach diesem Ansatz eine Beeinträchtigung des jeweils betroffenen (speziellen) Freiheitsrechts in Betracht.263 So geht Held davon aus, dass subjektiv-rechtlicher Schutz vor Einschüchterungseffekten durch die speziellen Freiheitsrechte vermittelt werde, deren Schutz auch die Entschließungsfreiheit zur Grundrechtsausübung umfasse.264 Auch nach Oermann/Staben schützen die einzelnen Grundrechte vor einer Abschreckung von der Verwirklichung ihres Schutzguts.265 Vergleichbar führt Schlink aus: „Wo das staatliche Informationsgebahren die gesellschaftliche Kommunikationen und Interaktionen in spezialgrundrechtlich geschützten Lebensbereichen steuernd, hemmend und einschüchternd betrifft, da kann und muss es an Spezialgrundrechten gemessen werden.“266 Mit Blick auf die Meinungsfreiheit nimmt Frowein an, präventive Wirkungen auf die Freiheitsausübung seien am beeinträchtigten Grundrecht selbst zu messen.267 Auch in der fachgerichtlichen Rechtsprechung werden wiederholt einschüchternde Maßnahmen an dem Freiheitsrecht gemessen, dessen Ausübung durch Einschüchterung betroffen ist.268 aa) Schutz der Entschließungsfreiheit durch einzelne Freiheitsrechte Begründet wird dieser Ansatz im Wesentlichen mit dem Schutz der Entschließungsfreiheit zur Grundrechtsausübung, die vom Schutzbereich der einzelnen

262 Eindeutig ablehnend mit Blick auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung Held, Intelligente Videoüberwachung, S. 83, 89. 263 Dolderer, NVwZ 2001, S. 130 (131); Schewe, NWVBl. 2004, S. 415 (417); Lang, BayVBl. 2006, S. 522 (523); ähnlich wohl auch Koranyi/Singelnstein, NJW 2011, S. 124 (124); siehe ferner Pohl, KJ 2003, S. 317 (320). 264 Held, Intelligente Videoüberwachung, S. 85 ff., 89. 265 Oermann/Staben, Der Staat 52 (2013), S. 630 (641). 266 Zur Beurteilung staatlicher Informationsakte Schlink, Amtshilfe, S. 170 Fn. 5, sowie ausführlich S. 198 ff. 267 Frowein, AöR 105 (1980), S. 169 (186 ff.). 268 Etwa OVG Lüneburg, NJW 2006, S. 391 (392) – Gefährderanschreiben.

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Freiheitsrechte mit umfasst sei.269 Diese Dimension des Grundrechtsschutzes sei durch die psychische Wirkungsweise von Einschüchterungseffekten betroffen.270 Dass die einzelnen Freiheitsrechte neben der Gewährleistung der „äußeren“ Freiheit auch den Schutz des vorgelagerten „inneren“ Willensentschlusses umfassen, ist vielfach anerkannt.271 Insbesondere für die Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG besteht weitgehende Einigkeit, dass auch die Entschließungsfreiheit zur Grundrechtsausübung (sog. innere Versammlungsfreiheit) geschützt sei.272 Neben dem äußeren Verhalten sei auch der „innere, angstfreie Entschluss“,273 die „furchtlose[…], ungehinderte[…] Inanspruchnahme“ bzw. die „angstfreie Grundrechtswahrnehmung“ umfasst.274 Folglich sei bereits eine psychisch vermittelte Erschwerung der Entschließung zur Grundrechtsausübung an Art. 8 GG zu messen.275 Auch bei den Kommunikationsfreiheiten aus Art. 5 Abs. 1 GG, insbesondere bei der Meinungsfreiheit, wird die Entschließungsfreiheit zur Ausübung des Grundrechts dem jeweiligen Schutzbereich zugeordnet.276 Der Gedanke des Schutzes der Entschließungsfreiheit durch das jeweils betroffene Grundrecht gilt grundsätzlich für alle Freiheitsrechte.277 Sind spezielle Gewährleistungen nicht einschlägig, schützt Art. 2 Abs. 1 GG generell die Verhaltensfreiheit als die freie Entscheidung über das eigene Tun und Unterlassen.278 Die Freiheitsgewährleistung bezweckt den Schutz der menschlichen Selbstbestimmung und Entschließungsfreiheit, gleichgültig, worauf die Entscheidung abzielt.279 269 Oermann/Staben, Der Staat 52 (2013), S. 630 (641); ausführlich Held, Intelligente Videoüberwachung, S. 85 ff. 270 Oermann/Staben, Der Staat 52 (2013), S. 630 (641). 271 Siehe bereits Schmidt, JZ 1974, S. 241 (246). 272 Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, § 1 Rn. 82 u. § 12a Rn. 3; Brenneisen/ Wilksen, Versammlungsrecht, S. 50, 227 ff., 271; siehe auch OVG Münster, DVBl. 2011, S. 175 (175 f.); vorgehend VG Münster, NWVBl. 2009, S. 487 (487 f.); Kniesel, NJW 1992, S. 857 (860); Mayer, JA 1998, S. 345 (349); Alberts, NVwZ 1989, S. 839 (840); Deger, NVwZ 1999, S. 265 (267); Scheidler, NVwZ 2009, S. 429 (429); Koranyi/Singelnstein, NJW 2011, S. 124 (124); Roggan, NVwZ 2011, S. 590 (592); Neskovic/Uhlig, NVwZ 2014, S. 335 (337); deutlich auch Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG I, Art. 8 Rn. 19; ferner bereits: Kübler, JuS 1966, S. 319 (319); Bäumler, JZ 1986, S. 469 (470 ff.); eher zögernd Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 789. 273 Neskovic/Uhlig, NVwZ 2014, S. 335 (337). 274 Bäumler, AöR 110 (1975), S. 30 (45 f.). 275 Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, § 1 Rn. 82 u. § 12a Rn. 3; Kniesel, NJW 1992, S. 857 (860); Scheidler, NVwZ 2009, S. 429 (429). 276 Vgl. OVG Lüneburg, NJW 2006, S. 391 (392 f.). VG Bremen, NVwZ 1989, S. 895 (897); hierzu Alberts, NVwZ 1989, S. 839 (840); siehe bereits Kübler, JuS 1966, S. 319 (320). Nach Schmidt, JZ 1974, S. 241 (246) sind die speziellen Grundrechte vor einem Rückgriff auf Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG zu prüfen. 277 Nach Held, Intelligente Videoüberwachung, S. 85 f. gilt dies grundsätzlich auch für die verhaltensbezogenen Elemente des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. 278 Dreier, in: Dreier, GG I, Art. 2 Abs. 1 Rn. 22. 279 Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 52.

B. Grundrechtsrelevanz von Freiheit von Furcht

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Für den Schutz der Entschließungsfreiheit durch die einzelnen Freiheitsgrundrechte spricht die enge Verknüpfung von innerem Entschluss und äußerer Handlung; eine Trennung der freien Grundrechtsausübung vom vorhergehenden freien Willensentschluss erscheint kaum möglich.280 Zudem ist den Freiheitsrechten grundsätzlich sowohl die Freiheit immanent, das Grundrecht auszuüben als auch von einer Ausübung abzusehen.281 Verhaltensfreiheiten zeichnen sich durch die Beliebigkeit des Verhaltenskönnens aus.282 Freiheit besteht nur, wenn sich der Einzelne zwischen verschiedenen Handlungsalternativen autonom entscheiden kann.283 Die grundrechtlichen Freiheiten würden wesentlich entwertet, wenn der Grundrechtsträger nicht auch in seiner autonomen Entscheidung zur Grundrechtsausübung geschützt wird. Grundrechtliche Freiheiten können durch Einwirkungen auf den inneren Willensentschluss ebenso beeinträchtigt werden, wie durch Einwirkungen auf den Gebrauch selbst. Insofern wird zu Recht ausgeführt, die Grundrechte seien in ihrem Freiheitsgehalt auf den Schutz der Entschließungsfreiheit angewiesen.284 Dagegen lässt sich auch nicht überzeugend einwenden, auf diese Weise würde das allgemeine Persönlichkeitsrecht hinfällig. Geiger argumentiert mit Blick auf Maßnahmen der Videoüberwachung, nicht die einzelnen Grundrechte, sondern das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seinen Konkretisierungen gewährleiste Selbstdarstellung und Datenschutz.285 Entscheidend ist jedoch, dass der Schutz vor Einschüchterungseffekten gegenüber der Frage des Datenschutzes und dem Schutz der Selbstdarstellung eine verschobene Perspektive einnimmt.286 Die Annahme eines Einschüchterungseffekts trifft zunächst lediglich eine Aussage über die Wirkungsweise einer Maßnahme. Insofern können sich die Fragen nach der Verfassungsmäßigkeit informationeller Maßnahmen und einschüchternder Maßnahmen zwar durchaus überschneiden, sie sind jedoch nicht deckungsgleich. Festzuhalten bleibt, dass der Schutzbereich einzelner Freiheitsrechte grundsätzlich auch die Entschließungsfreiheit zur Ausübung des Grundrechts umfasst. Sofern ein Grundrecht auch die unbefangene Grundrechtsausübung gewährleistet, schützt es auch vor Einschüchterungseffekten, welche nachteilig auf die Grundrechtsausübung wirken.287 Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich die Einwirkung auf die Entschließungsfreiheit auf die äußere Wahrnehmung des Grundrechts auswirkt.288 280

So Kübler, JuS 1966, S. 319 (319). Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Grundrechte, S. 148 ff. Ausführlich zur negativen Dimension der Grundrechte Merten, in: Merten/Papier, HGR II, § 42. 282 Stern, Staatsrecht III/1, S. 628. 283 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 198. 284 VG Bremen, NVwZ 1989, S. 895 (896 f.); Kübler, JuS 1966, S. 319 (319); Oermann/ Staben, Der Staat 52 (2013), S. 630 (641). 285 Geiger, Video-Überwachungstechnologie, S. 162 ff., insbes. S. 165. 286 Dies wird etwa deutlich bei Büllesfeld, Polizeiliche Videoüberwachung, S. 144 f.; vgl. auch W. Schmitt Glaeser, AöR 113 (1988), S. 52 (61 ff.). 287 Für die Versammlungsfreiheit: Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, § 12a Rn. 3; Kloepfer, Verfassungsrecht II, § 63 Rn. 46; Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof, HStR VII, 281

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bb) Dogmatische Stringenz Für diesen Ansatz spricht insbesondere, dass er sich gegenüber der herkömmlichen Grundrechtsdogmatik als konsistent darstellt. Indem die Figur der Einschüchterungseffekte als „Bindeglied“ zwischen staatlicher Handlung und Grundrechtsbeeinträchtigung steht, trifft sie gerade keine Aussage über den betroffenen Lebens- oder Sachbereich. Vielmehr knüpft die Figur an eine besondere Wirkungsweise staatlicher Maßnahmen an. Ein genereller Schutz vor Einschüchterungseffekten durch ein einzelnes Grundrecht stünde daher im Widerspruch zur gängigen Grundrechtsdogmatik, wonach sich die einschlägige Grundrechtsbestimmung nach dem betroffenen Sachbereich und nicht nach der Art der Beeinträchtigung bestimmt. Vor allem ermöglicht der Ansatz eine einheitliche Betrachtung aller einschüchternden Maßnahmen des Staates. Hier ist zunächst klarzustellen, dass die Frage des einschlägigen Grundrechts im Zusammenhang mit Einschüchterungseffekten lediglich mit Blick auf informationelle Maßnahmen umstritten ist. Andere einschüchternde Maßnahmen werden grundsätzlich an dem Grundrecht gemessen, dessen Ausübung nachteilig betroffen ist; eine Prüfung anhand des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, aber auch anhand des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, erscheint hier offensichtlich fernliegend und wird weitestgehend nicht vertreten.289 So betrifft beispielsweise eine Gefährderansprache, die den Betroffenen von der Teilnahme an einer Versammlung oder vom Besuch eines Fußballspiels abschreckt, die Versammlungsfreiheit bzw. die allgemeine Handlungsfreiheit. Ebenso ist eine einschüchternde Polizeipräsenz bei Versammlungen an Art. 8 Abs. 1 GG zu messen.290 Dies entspricht auch der Behandlung anderer verhaltenssteuernder oder influenzierender Maßnahmen: So werden etwa Lenkungssteuern bei einer Einwirkung auf die Ehe an Art. 6 GG, bei Auswirkungen auf die Berufsausübung an Art. 12 GG und bei Wirkungen auf die Religionsausübung an Art. 4 GG gemessen.291 Schließlich ermöglicht der Ansatz sachgerechte Differenzierungen, da die unterschiedlichen vom Grundgesetz gestellten Anforderungen Anwendung finden. Nach diesem Ansatz unterliegen Maßnahmen, welche einschüchternd auf die Ausübung der Versammlungsfreiheit wirken, den Schranken des Art. 8 Abs. 1 GG § 164 Rn. 74; Mayer, JA 1998, S. 345 (349); ferner Alberts, NVwZ 1992, S. 38 (39), der i.Ü. jedoch zu weitgehende Konsequenzen zieht. 288 Zu weitgehend dürfte es hingegen sein, allein in der Einwirkung auf die innere Entscheidung eine Beeinträchtigung zu sehen. Ausführlich zur Frage des Eingriffsbstimmung noch unten in Teil 3 C. 289 Anders jedoch Geiger, Video-Überwachungstechnologie, S. 163, der offen lässt, ob nicht auch andere einschüchternde Maßnahmen, wie beispielsweise die Einkesselung von Versammlungsteilnehmern, an Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG zu messen sein könnten. 290 Siehe etwa Dolderer, NVwZ 2001, S. 130 (131). 291 So ausdrücklich Vogel, in: Badura/Dreier, FS 50 Jahre BVerfG II, S. 527 (532 f.), der das nachteilig betroffene Grundrecht als „Wirkungsgrundrecht“ bezeichnet.

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und somit strengeren verfassungsrechtlichen Anforderungen als solche, die „lediglich“ die allgemeine Handlungsfreiheit betreffen. Entscheidend ist nach hier vertretenen Auffassung, welche grundrechtliche Freiheit durch Einschüchterungseffekte nachteilig betroffen ist. Subjektiv-rechtlichen Schutz vor Einschüchterungseffekten bieten somit die einzelnen Grundrechte, deren Schutzbereich auch die Entschließungsfreiheit zur Grundrechtsausübung umfasst. Diese Dimension des Grundrechtsschutzes ist durch Einschüchterungseffekte berührt. Indem einschüchternde Maßnahmen aufgrund ihrer nachteiligen Wirkungen auf die Grundrechtsausübung dem betroffenen Grundrecht zugeordnet werden, verschiebt sich die Problematik der Einschüchterungseffekte auf die Frage, ob und inwiefern einschüchternde Maßnahmen die Eingriffsschwelle überschreiten.292 Insofern passt sich die Abwehr von Einschüchterungseffekten in die gängige Eingriffsdogmatik ein, wonach grundsätzlich jede staatliche Maßnahme, welche ein Verhalten, das in den grundrechtlichen Schutzbereich fällt, ganz oder teilweise unmöglich macht, als Eingriff in die betreffende Freiheit zu qualifizieren ist.293 Welches Grundrecht im Einzelfall zur Anwendung kommt, richtet sich somit nach herkömmlicher Grundrechtsdogmatik. Maßgeblich ist, welcher Sach- oder Lebensbereich nachteilig durch Einschüchterung betroffen ist. Obwohl Einschüchterungen grundsätzlich in allen Lebensbereichen und in Bezug auf alle menschlichen Entscheidungen und Handlungen denkbar sind, werden Einschüchterungseffekte insbesondere im sensiblen Bereich der kommunikativen Entfaltung wirksam. Daher kommt den Grundrechten aus Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 GG besondere Relevanz zu. Für den umstrittenen Fall der informationellen Maßnahmen sind nach hier vertretener Auffassung das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und die durch Einschüchterung nachteilig betroffene Freiheit nebeneinander anzuwenden, da insofern unterschiedliche Aspekte berührt sind.294 2. Zuordnungen zur objektiv-rechtlichen Grundrechtsdimension Neben subjektiven Rechten lassen sich den Grundrechten auch objektiv-rechtliche Gehalte entnehmen.295 Bereits in der Lüth-Entscheidung interpretierte das Bundesverfassungsgericht die Grundrechte auch als „objektive Wertordnung“, die 292

Ähnlich auch Schewe, NWVBl. 2004, S. 415 (417). Damit ist lediglich das einschlägige Grundrecht ausgemacht. Zur Frage, wann ein aufgrund von Einschüchterungseffekten ein Eingriff anzunehmen ist, siehe ausführlich unten in Teil 3 C. I. 294 In diese Richtung auch Roggan, NVwZ 2011, S. 590 (591). 295 Ausführlich Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 133 ff.; durchaus kritisch Sachs, in: Sachs, GG, Vor Art. 1 Rn. 27 ff.; letztlich ist anerkannt, dass sich den Grundrechten neben subjektiven Rechten auch objektiv-rechtliche Gehalte entnehmen lassen, siehe nur Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 97 ff. 293

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als „verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts“ gilt.296 In ihrer objektiv-rechtlichen Dimension sind Grundrechte zunächst negative Kompetenznormen des Staates.297 Vor allem aber konstituieren sie als objektive Wertentscheidungen eine Wertordnung des Gemeinwesens.298 In ihren objektiv-rechtlichen Gehalten entfalten die Grundrechte vielfältige Wirkungen in allen Bereichen des Rechts, sie bilden Richtlinien für Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung.299 Auf diese Weise beeinflussen sie die Ausgestaltung und Auslegung von Rechtsnormen – sog. Ausstrahlungswirkung.300 Auch werden aus den objektiven Gehalten staatliche Schutzpflichten abgeleitet.301 Mit Blick auf die Dimensionen des Grundrechtsschutzes macht das Bundesverfassungsgericht bereits früh klar: „Die Grundrechte sollen in erster Linie die Freiheitsphäre des einzelnen gegen Eingriffe der staatlichen Gewalt schützen und ihm insoweit zugleich die Voraussetzungen für eine freie aktive Mitwirkung und Mitgestaltung im Gemeinwesen sichern.“302 Damit wird den Grundrechten auch ein über das Individualinteresse hinausgehender Gemeinwohlbezug zugesprochen. Dieser ist insbesondere mit Blick auf die Mitwirkungs- und Kommunikationsgrundrechten aus Art. 5 Abs. 1, Art. 8 und Art. 9 GG anerkannt.303 Insbesondere die Meinungsfreiheit wird als „schlechthin konstituierend“ für die freiheitlich-demokratische Grundordnung bezeichnet.304 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht und die informationelle Selbstbestimmung schützen die freie Selbstbestimmung als Grundbedingung eines 296

BVerfGE 7, 198 (205); 49, 89 (141 f.). Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 97 298 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 133; Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 100. Dabei ist der Begriff der Wertordnung nicht im Sinne einer bestimmten wertphilosophischen Deutung zu verstehen. Gemeint ist vielmehr das verfassungsrechtliche Wertsystem, welches sich aus der Verfassungsinterpretation ergibt, vgl. hierzu Zippelius/ Würtenberger/Maunz, Deutsches Staatsrecht, S. 183; Di Fabio, JZ 2004, S. 1 (1 ff.). 299 BVerfGE 49, 89 (141 f.); 73, 261 (269); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1 Rn. 3 (m.w.N.). 300 Zur Ausstrahlungswirkung siehe Sachs, in: Sachs, GG, Vor Art. 1 Rn. 32 f. (m.w.N.). 301 Hierzu ebenfalls Sachs, in: Sachs, GG, Vor Art. 1 S. 35 ff. (m.w.N.). 302 BVerfGE 21, 362 (369). 303 Für Art. 5 Abs. 1 u. 2 GG: Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG I, Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 40 ff.; Bethge, in: Sachs, GG, Art. 5 Rn. 15 ff.; Hufen, Staatsrecht II, § 25 Rn. 47 f. Für Art. 8 Abs. 1 GG: BVerfGE 69, 315 (342 ff.); 128, 226 (259); Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG I, Art. 8 Rn. 15 ff.; Kannengießer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, Art. 8 Rn. 2; Hoffmann-Riem, in: Denninger, AK-GG, Art. 8 (2001), Rn. 16. Die Betonung der demokratischen Funktion wird teilweise kritisch gesehen: Gusy, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG I, Art. 8 Rn. 11 f.; Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof, HStR VII, § 164 Rn. 14 ff.; siehe ferner Höfling, in: Sachs, GG, Art. 8 Rn. 8 ff. Dabei kann jedoch der tatsächlichen Bedeutung für die Demokratie nicht ernsthaft widersprochen werden, hierzu Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG I, Art. 8 Rn. 1, 3 f. sowie Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof, HStR VII, § 164 Rn. 18. 304 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 5 Rn. 3 mit Verweis auf die verfassungsrechtliche Rechtsprechung; siehe auch: Bethge, in: Sachs, GG, Art. 5 Rn. 15 ff., 66 ff.; Hufen, Staatsrecht II, § 25 Rn. 4 f. jeweils m.w.N. 297

B. Grundrechtsrelevanz von Freiheit von Furcht

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freiheitlich-demokratischen Gemeinwesens.305 Im Unterschied zu den speziellen Freiheitsrechten hat das Recht auf informationelle Selbstbestimmung jedoch keinen eigenen aktiv auszuübenden Freiheitsbereich. Vielmehr sichert es mittelbar die Bedingungen der Ausübung der Freiheitsrechte, so dass diese ihrer Funktion für ein freiheitlich-demokratisches Gemeinwesen gerecht werden können.306 Auch die speziellen Gewährleistungen der Privatheit (Art. 10, 13 GG) haben einen Gemeinwohlbezug. Die genannten Grundrechte stehen in einem funktionellen Zusammenhang, ihnen kommt neben der individualschützenden auch eine auf das Gemeinwesen bezogene Funktion zu.307 Teilweise wird der Schutz vor Einschüchterungseffekten im Schrifttum ausdrücklich der objektiv-rechtlichen Dimension der Grundrechte zugeordnet.308 So interpretiert Rath die Rechtsprechung zum Schutz vor Einschüchterungseffekten als eine „neue Wirkung von Grundrechten“, welche er allgemein „eher auf deren objektiv-rechtlicher Seite angesiedelt“ sieht.309 Ähnlich bezieht Assion Einschüchterungseffekte auf die objektiv-rechtliche Wirkung der Grundrechte.310 Vergleichbare Aussagen finden sich im Zusammenhang mit einzelnen Grundrechtsgewährleistungen: So ordnet Held den Schutz vor Einschüchterungseffekten zumindest auch der objektiv-rechtlichen Dimension des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung zu.311 Indem das Grundrecht dem Schutz der Handlungs- und Entschließungsfreiheit als Grundbedingung der Freiheitsausübung diene, solle es objektiv vor Einschüchterungseffekten schützen.312 Auf diese Weise trage es maßgeblich zur Funktion des freiheitlichen und demokratischen Gemeinwesens bei.313 In Hinblick auf die Meinungsfreiheit führt Schmitt Glaeser aus, negative Wirkungen durch Verunsicherung auf die generelle Grundrechtsausübung sowie die freie geistige Auseinandersetzung insgesamt ließen sich „wohl nur bei der objektiv-rechtlichen Seite der Grundrechtsgewährleistung ansiedeln“.314 Insofern könne der Rechtsprechung ein Verbot indirekter Grundrechtsbeeinträchtigung entnommen werden.315 Dabei wird explizit offen gelassen, ob die Beeinträchtigung durch Einschüchterungseffekte einen selbstständigen Grundrechtseingriff darstellen kann.316 305

BVerfGE 65, 1 (41 ff.); vgl. Held, Intelligente Videoüberwachung, S. 90 ff. Held, Intelligente Videoüberwachung, S. 98. 307 Vgl. Denninger, ZRP 2004, S. 101 (103 f.). 308 Einen knappen Überblick bietet Pohl, KJ 2003, S. 317 (322); eingehender Held, Intelligente Videoüberwachung, S. 90 ff. 309 Rath, KJ Beiheft 01/2009, S. 65 (70). 310 Assion, in: Telemedicus e.V., Überwachung und Recht, S. 31 (59). 311 Ausführlich Held, Intelligente Videoüberwachung, S. 90 ff. 312 Held, Intelligente Videoüberwachung, S. 95, 98. 313 Held, Intelligente Videoüberwachung, S. 98. 314 W. Schmitt Glaeser, AöR 113 (1988), S. 52 (68). 315 W. Schmitt Glaeser, AöR 113 (1988), S. 52 (68). 316 W. Schmitt Glaeser, AöR 113 (1988), S. 52 (68) – Hervorhebung im Original. 306

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Teil 3: Freiheit von Furcht im Grundgesetz

Hoffmann-Riem geht im Zusammenhang mit den objektiv-rechtlichen Gehalten der Versammlungsfreiheit auf einschüchternde Wirkungen ein.317 Die objektiv-rechtliche Dimension solle ins Zentrum grundrechtlicher Garantien treten, sofern die realen Voraussetzungen zur Freiheitsausübung betroffen sind.318 Wie bereits dargelegt, betont das Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen zu Einschüchterungseffekten wiederholt den Zusammenhang von unbefangener Grundrechtsausübung und Gemeinwohl.319 Der Grundrechtsschutz wird mit dem objektiven Staatsziel der Gewährleistung einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung verknüpft.320 Denn Einschüchterungseffekte können negative Wirkungen nicht nur auf den individuellen Grundrechtsträger, sondern auch auf die generelle Grundrechtsausübung entfalten und insofern das Gemeinwohl beeinträchtigen. Das Gericht hebt nicht nur auf die individuelle Entfaltung des Einzelnen ab, sondern auch darauf, dass „Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines […] freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens“ ist.321 Sofern Einschüchterungseffekte über eine Verletzung individueller Grundrechtspositionen hinaus auch nachteilige Wirkungen auf das Gemeinwesen entfalten, kann dies den objektiv-rechtlichen Grundrechtsgehalten zugeordnet werden. In der Folge können Einschüchterungseffekte überall dort in die verfassungsrechtliche Bewertung einbezogen werden, wo Interessen der Allgemeinheit relevant sind.322 Insofern leistet die Zuordnung zur objektiv-rechtlichen Grundrechtsdimension aus dogmatischer Sicht auch einen Beitrag zur Konsistenz der verfassungsgerichtlichen Argumentation.323 Dies gilt insbesondere für die Einbeziehung von Einschüchterungseffekten in die Verhältnismäßigkeitsprüfung.324 Zudem können auf diese Weise Einschüchterungseffekte bei der Auslegung und Ausgestaltung des Rechts Bedeutung erlangen.325 So sind bei der Auslegung und Anwendung zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche sowie öffentlich-rechtlicher Befugnisse wegen der Versammlungsfreiheit als „objektives Prinzip der Rechtsordnung“ mögliche Ein-

317 Nach Hoffmann-Riem, in: Denninger, AK-GG, Art. 8 (2001), Rn. 40 ff. sei daher die Auslegung und Anwendung einfach-gesetzlicher Normen daraufhin zu prüfen, dass mittelbare Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit durch Einschüchterungseffekte vermieden werden. 318 Hoffmann-Riem, JZ 2008, S. 1009 (1013). 319 Siehe hierzu eingehend oben Teil 2 A. 3. b) m.w.N. 320 Bull, Informationelle Selbstbestimmung, S. 60. 321 BVerfGE 65, 1 (43). 322 Zur Relevanz der objektiv-rechtlichen Wirkung mit Blick auf Einschüchterungseffekte siehe auch Assion, in: Telemedicus e.V., Überwachung und Recht, S. 31 (59). 323 Vgl. insofern Held, Intelligente Videoüberwachung, S. 98. 324 Siehe Assion, in: Telemedicus e.V., Überwachung und Recht, S. 31 (59). Zur Bedeutung von Einschüchterungseffekten für die Verhältnismäßigkeitsprüfung siehe eingehend noch Teil 3 D. I. 1. 325 Angedeutet bei Assion, in: Telemedicus e.V., Überwachung und Recht, S. 31 (59).

B. Grundrechtsrelevanz von Freiheit von Furcht

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schüchterungseffekte zu beachten.326 Schließlich ist denkbar, dass Einschüchterungseffekte im Zusammenhang mit einem „Grundrechtsschutz durch Verfahren“ Relevanz erlangen können. So könnten einschüchternde Wirkungen etwa durch Transparenz, Rechtsschutz- und Auskunftsmöglichkeiten verringert oder vermieden werden. 3. Zwischenergebnis Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dient das Recht auf informationelle Selbstbestimmung auch dem Schutz vor Einschüchterungseffekten. Dies ist indes nicht als Erweiterung des Schutzumfangs, sondern (lediglich) als Ratio der Norm zu verstehen. Weder das Recht auf informationelle Selbstbestimmung noch das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleisten einen generellen, subjektivrechtlichen Schutz vor Einschüchterungseffekten. Eine derartige Gewährleistung ergibt sich nicht aus der Auslegung der Grundrechtsbestimmungen und ist als zu weitgehend abzulehnen. Informationelle Selbstbestimmung, allgemeines Persönlichkeitsrecht und spezielle Gewährleistungen von Privatheit dienen vielmehr dazu, Verhaltensfreiheit generell zu sichern.327 Durch die Gewährleistung ihres eigentlichen Schutzgegenstandes schützen die Grundrechte lediglich mittelbar auch vor Einschüchterung. Jedoch bieten die einzelnen Freiheitsrechte in ihrem Freiheitsbereich subjektivrechtlichen Schutz vor einschüchternden Wirkungen staatlicher Maßnahmen. Sofern einzelne Freiheitsrechte auch die Entschließungsfreiheit zur Grundrechtsausübung umfassen, schützen sie in ihrem Schutzbereich vor Einschüchterungswirkungen und gewährleisten insoweit Freiheit von Furcht. Diese Konzeption knüpft eng an die Wirkungsweise einschüchternder Maßnahmen an: Einschüchterungseffekte hemmen die Grundrechtsausübung und wirken so auf das Verhalten der Betroffenen. Der Schutz vor einschüchternden Wirkungen wird danach direkt bei dem Grundrecht verortet, dessen Verwirklichung durch Einschüchterung beeinträchtigt wird.328 Unmittelbarer Verhaltensschutz wird demnach durch die einzelnen Freiheitsrechte gewährleistet; das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seinen Ausprägungen schützt Verhalten hingegen mittelbar. Sofern einschüchternde Wirkungen nicht nur die individuelle Grundrechtsausübung beeinträchtigen, sondern darüber hinaus auch nachteilige Wirkungen auf die generelle Verhaltensfreiheit, die allgemeine Grundrechtsausübung und das Gemeinwohl entfalten, ist dies der objektiv-rechtlichen Dimension der Grundrechte zuzuordnen.

326 327 328

Vgl. Hoffmann-Riem, in: Denninger, AK-GG, Art. 8 (2001), Rn. 37 ff. Pohl, KJ 2003, S. 317 (319 f.). Pohl, KJ 2003, S. 317 (320).

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Teil 3: Freiheit von Furcht im Grundgesetz

IV. Fundamentale Kritik an der Grundrechtsrelevanz von Einschüchterungseffekten Die Grundrechtsrelevanz von Einschüchterungseffekten ist grundsätzlichen Einwänden ausgesetzt. Dabei zeigen sich unabhängig von den unterschiedlichen dogmatischen Ansätzen ähnliche Argumentationslinien. 1. Subjektivität von Furcht Wovor jemand sich fürchtet, wann jemand eingeschüchtert ist, ist in hohem Maße subjektiv geprägt. Es überrascht daher kaum, dass die Kritik insbesondere bei der Subjektivität von Einschüchterung ansetzt.329 Es handele sich um einen „verfassungsrechtliche[n] Joker“, um für ein Problem „atmosphärisch […] zu sensibilisieren“.330 Kritisiert wird ein „Schutz vor belastenden Gefühlen“331 in den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts.332 Die Heranziehung von Einschüchterungseffekten erfolge in „psychologisierender und suggestiver […] Manier“.333 Bull will in der Argumentationsfigur gar eine „Prämie auf irrationale Angst“ entdeckt haben.334 Der rechtliche Schutz von Gefühlen ist durchaus umstritten.335 Mit Blick auf die grundrechtliche Relevanz von Einschüchterungseffekten ist insofern eine differenzierte Sichtweise erforderlich.

329 So etwa Nettesheim, VVDStRL 70 (2011), S. 7 (28); deutlich Bull, Informationelle Selbstbestimmung, S. 61 ff.; siehe auch Bull, in: Möllers/Ooyen, JBÖS 2008/2009, S. 317 (325 ff.); vgl. zu der Kritik auch Geiger, Video-Überwachungstechnologie, S. 163 sowie Büllesfeld, Polizeiliche Videoüberwachung, S. 132 f. 330 Rath, KJ Beiheft 01/2009, S. 65 (70). 331 Bull, Informationelle Selbstbestimmung, S. 61 ff., der dem Problem von Einschüchterungseffekten insgesamt ablehnend gegenüber steht; siehe auch Bull, in: Möllers/Ooyen, JBÖS 2008/2009, S. 317 (317), dort als „Gefühlsschutz“ bezeichnet. 332 Sondervotum Schluckebier BVerfGE 125, 260 (366). Zu Einwänden, die sich speziell gegen die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts wenden, siehe bereits oben Teil 2 B. 333 Nettesheim, VVDStRL 70 (2011), S. 7 (28). 334 Bull, in: Möllers/Ooyen, JBÖS 2008/2009, S. 317 (329), dessen Auseinandersetzung mit dem Problem der Einschüchterung teilweise verwundert und nicht immer den Anforderungen an eine sachliche Auseinandersetzung genügt. Bull spricht von „verschwörungstheoretischen Argumente[n]“ und bezeichnet die Befürchtungen einer Einschüchterung als „Schreckensszenario einer total verängstigten Bevölkerung“ und „geradezu lächerlich irreal“. Ähnlich auch Bull, Informationelle Selbstbestimmung, S. 69 ff. Offener noch Bull, in: Bull, Sicherheit durch Gesetze?, S. 15 (37). Kritisch zu Bull auch Schwabenbauer, Heimliche Grundrechtseingriffe, S. 143, Fn. 78. 335 Vgl. nur Schewe, Sicherheitsgefühl, insbes. S. 207 ff., der sich mit der Frage auseinandersetzt, inwiefern die Polizei das Sicherheitsgefühl der Bürger schützen darf.

B. Grundrechtsrelevanz von Freiheit von Furcht

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a) Irrationale Furcht, Hypersensibilität, Paranoia Nach zutreffender Ansicht können irrationale Ängste, Überempfindlichkeiten und Paranoia nicht für eine verfassungsrechtliche Bewertung maßgeblich sein.336 Gemeint sind Ängste, die sich auf irreale, tatsächlich nicht vorhandene Gefahren beziehen337 oder jedenfalls einen nachvollziehbaren Grund vermissen lassen, etwa weil sich weder aus wissenschaftlichen Erkenntnissen noch aus der allgemeinen Erfahrung eine gewisse Wahrscheinlichkeit für eine Gefahr ergibt.338 Gegen die Berücksichtigung irrationaler Ängste spricht, dass ansonsten der Grundrechtsschutz von subjektiven (Fehl-)Einschätzungen Einzelner beeinflusst werden könnte.339 Es vermag nicht überzeugen, wenn sich irrationale Ängste in einer Abwägung gegen berechtigte Interessen von Grundrechtsbetroffenen durchsetzen könnten.340 Auch besteht die Gefahr, dass subjektive Ängste für alle Arten von Zwecken instrumentalisiert werden können.341 Verhaltensbeeinflussungen, welche sich ausschließlich auf irrationale Ängste, Hypersensibilität oder Paranoia zurückführen lassen, können daher keine verfassungsrechtliche Berücksichtigung finden.342 b) Begründete, nachvollziehbare Furcht; „objektiviertes“ Verständnis von Einschüchterungseffekten Die grundsätzliche Kritik verkennt jedoch häufig, dass der Schutz vor Einschüchterungseffekte nicht zwingend als subjektiver Gefühlsschutz zu verstehen ist. Vielmehr deutet bereits die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf ein „objektiviertes“ Verständnis hin, etwa wenn Einschüchterungseffekte aufgrund von Nachteilen entstehen sollen, die „nicht ohne Grund befürchtet“ werden.343 Nach überzeugender Ansicht kann nur begründeter Furcht grundrechtliche Relevanz zukommen.344 Damit sind nicht nur Fälle gemeint, in denen sich eine Be336

So Schwabenbauer, Heimliche Grundrechtseingriffe, S. 147; ähnlich Schewe, Sicherheitsgefühl, S. 207 ff. 337 Schewe, Sicherheitsgefühl, S. 207. 338 Bode, Ermittlungsmaßnahmen, S. 129 f. 339 Eingehend zur verfassungsrechtlichen Berücksichtigung irrationaler Ängste Waechter, DVBl. 1999, S. 809 (812 f.). 340 So darf der Staat beispielsweise auf übersteigerte Sicherheitsbedürfnisse oder eine Angst vor „Überfremdung“ nicht dadurch reagieren, dass er diese Gefühle bedient und Eingriffsbefugnisse schafft, vgl. Waechter, DVBl. 1999, S. 809 (813). 341 Vgl. Gerhards, (Grund-)Recht auf Verschlüsselung?, S. 159 Fn. 586; siehe auch Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 25 f. 342 Vgl. zur Frage wieso irrationale Ängste und subjektive Befindlichkeiten keine rechtliche Berücksichtigung finden dürfen ausführlich Waechter, DVBl. 1999, S. 809 (810 ff.). 343 Zum objektivierten Verständnis des Bundesverfassungsgerichts siehe oben Teil 2 A. I. 1. 344 Nach Neskovic/Uhlig, NVwZ 2014, S. 335 (337) muss sich das subjektive Moment der Abschreckung auf begründete äußere Einflüsse zurückführen lassen. Ein „objektiviertes“ Verständnis legen ebenfalls zugrunde: Gerhards, (Grund-)Recht auf Verschlüsselung?, S. 159

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Teil 3: Freiheit von Furcht im Grundgesetz

fürchtung auf objektiv vorhandene Gefahren bezieht oder Nachteile tatsächlich eintreten. Entscheidend ist, was der Betroffene vernünftigerweise denken bzw. annehmen durfte.345 Mit Blick auf die Annahme von Einschüchterungseffekte bedeutet dies, dass eine Einschüchterung zumindest plausibel oder nachvollziehbar sein muss.346 Dabei soll es bei der Beurteilung auf die Sicht eines verständigen Betroffenen347, auf den objektiven Empfängerhorizont348 bzw. auf die Sicht eines objektiven Dritten349 ankommen. So ist beispielsweise die Sorge eines Versammlungsteilnehmers, durch auffälliges (nicht rechtswidriges) Verhalten die Aufmerksamkeit anwesender Polizisten auf sich zu ziehen und ins Visier staatlicher Beobachtung zu geraten, nachvollziehbar – auch wenn dies nicht der Fall sein sollte. Anders als irrationale Furcht, beruht begründete Furcht nicht allein auf subjektiven Vorstellungen des Einzelnen, sondern auch auf äußeren, objektiven Faktoren.350 Hinzu kommt, dass sich Einschüchterungseffekte schon qua definitionem in einer Verhaltensbeeinflussung des Betroffenen äußern und somit gerade nicht auf das innere Gefühlsleben beschränkt sind.351 Das Problem von Einschüchterungseffekten kann somit nicht mit dem Schutz bloß subjektiver Gefühle gleichgesetzt werden. Nach überzeugender Ansicht kommt lediglich begründeter Furcht bzw. plausiblen Einschüchterungseffekten grundrechtliche Relevanz zu. Ob mit einer Maßnahme ein Einschüchterungseffekt verbunden ist, ist dabei aus objektiver Empfängersicht zu beurteilen. Insofern kann von einem objektivierten Verständnis gesprochen werden. Dieses trägt zugleich dazu bei, Einschüchterungseffekte zu rationalisieren und juristisch handhabbar zu machen.

Fn. 586; Bausch, Videoüberwachung, S. 33; Schewe, Sicherheitsgefühl, S. 207 ff. differenziert zwischen realer, übersteigerter und irrealer Furcht, wobei nach dem hier zugrunde gelegten Verständnis erstere beiden Formen mit begründeter Furcht gleich zu setzen wären. Vgl. auch bereits Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 226: „Schutz vor realen Gefahren, wo ein objektiver Grund zu berechtigter Furcht besteht.“ 345 In ähnliche Richtung geht es, wenn nach BVerfGE 122, 342 (368) maßgeblich sein soll, womit „der Bürger rechnen muss“. Wie hier Roggan, NVwZ 2010, S. 1402 (1403). Dabei ist es jedoch zumindest missverständlich, wenn Roggan zugleich von „subjektiver Eingriffsbestimmung“ spricht. Gleiches gilt für Büllesfeld, Polizeiliche Videoüberwachung, S. 132 ff., der explizit „subjektive Beeinträchtigungen“ nennt, in der Sache aber ebenfalls ein objektiviertes Verständnis zugrunde legt. 346 Schwabenbauer, Heimliche Grundrechtseingriffe, S. 144: „Relevanz plausibilisierter Besorgnisse“. 347 So OVG Münster, DVBl. 2011, S. 175 (175). 348 Siehe etwa Rachor, in: Denninger/Rachor, HbPolR, Teil E Rn. 756. 349 Jötten/Tams, JuS 2008, S. 436 (439); siehe auch Rachor, in: Denninger/Rachor, HbPolR, Teil E Rn. 756. 350 Differenziert Schewe, Sicherheitsgefühl, S. 209 f. 351 Ähnlich Bode, Ermittlungsmaßnahmen, S. 124, der den Aspekt der Handlungsbeeinflussung betont.

B. Grundrechtsrelevanz von Freiheit von Furcht

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2. Mangelnde Empirie Teilweise wird ein Mangel an empirischen Belegen und wissenschaftlicher Fundierung kritisiert.352 Der Figur könne schon deshalb keine Relevanz in der grundrechtlichen Bewertung zukommen, „zumal gänzlich hypothetisch bleibt, ob, bei welchen Personen und in welchem Umfang tatsächlich Einschüchterungseffekte entstehen und sich in einem Verzicht auf die Wahrnehmung von Grundrechten niederschlagen“.353 Zutreffend ist, dass es an umfassenden sozialwissenschaftlichen Studien und empirischen Belegen zur einschüchternden Wirkung einzelner Maßnahmen mangelt; insofern besteht noch weiterer Forschungsbedarf. Jedoch kann es nicht auf empirische Nachweise über das Verhalten einer bestimmten Anzahl von Menschen, sondern nur auf eine normative Bewertung der Beeinträchtigung ankommen.354 Rechtliche Maßstäbe erlangen ihre Bedeutung nicht erst durch empirischen Nachweis.355 Auch wenn nur einige Wenige aufgrund begründeter Furcht in ihrer Grundrechtsausübung gehemmt werden, ist dies aus grundrechtlicher Perspektive relevant.356 Zugleich lassen bisherige (sozial-)wissenschaftliche Studien und Erhebungen die Entstehung von Einschüchterungseffekten durchaus plausibel erscheinen.357 3. Mangelnde Schutzbedürftigkeit Gegen die Grundrechtsrelevanz von Einschüchterungseffekten werden zudem unterschiedliche Einwände vorgebracht, welche im Kern auf ein (vermeintlich) mangelndes Schutzbedürfnis der Betroffenen abstellen.

352 Etwa Rath, KJ Beiheft 01/2009, S. 65 (70 f.); Cornils, JURA 2010, S. 443 (447); Nettesheim, VVDStRL 70 (2011), S. 7 (28): „empirisch nicht unterlegte[r] Manier“. 353 Bull, in: Möllers/Ooyen, JBÖS 2008/2009, S. 317 (327). 354 Insofern trifft die Frage von Pieroth, VVDStRL 70 (2011), S. 82 (91) zu: „Soll gemessen werden, wie viele Leute wie viel Angst haben?“; siehe auch Schwabenbauer, Heimliche Grundrechtseingriffe, S. 150. 355 So Schwabenbauer, Heimliche Grundrechtseingriffe, S. 150, der als Beispiel die strafrechtliche Unschuldsvermutung anführt. 356 Hong, in: Peters/Janz, Handbuch des Versammlungsrechts, Teil B. I. Rn. 103. 357 Hierzu ausführlich oben Teil 3 A. II. 2.

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Teil 3: Freiheit von Furcht im Grundgesetz

a) Abschreckung von verbotenem Verhalten Staatliche Maßnahmen, von denen Einschüchterungseffekte ausgehen, werden weitgehend als unproblematisch angesehen, sofern sie bewirken, dass Betroffene von rechtswidrigen Verhaltensweisen Abstand nehmen oder Straftaten unterlassen.358 Teilweise werden derartige Einschüchterungseffekte sogar als wünschenswert erachtet.359 Dass sich der Staat zur Erfüllung seiner Aufgaben auch dem Mittel der Abschreckung bedient, kann als gesicherte Erkenntnis gelten. Insbesondere im Strafrecht sind die Abschreckung des Täters und der Allgemeinheit als negative Spezialbzw. Generalprävention immer noch anerkannte Strafzwecke.360 Eine allgemeine Beschränkung der Grundrechte auf erlaubte Tätigkeiten ist indes nach zutreffender Ansicht abzulehnen.361 Einfach-gesetzliche Verbote begrenzen nicht den Schutzbereich, sondern stellen ihrerseits eine rechtfertigungsbedürftige Einschränkung dar.362 Ebenso sind allgemeine Fragen der Friedlichkeit der Grundrechtsausübung, der missbräuchlichen Verwendung sowie der Sozialschädlichkeit des Verhaltens auf Schrankenebene zu lösen.363 Dies gilt auch hier. Wird ein Grundrechtsträger durch Einschüchterungseffekte von verbotenem Verhalten abgehalten, schließt dies eine Eröffnung des betroffenen Schutzbereichs nicht aus. Mithin sind Einschüchterungseffekte, sofern sie den Betroffenen lediglich von rechtswidrigem Verhalten abhalten – sog. positive Einschüchterungseffekte364 – zunächst grundrechtsrelevant. Die Verhaltensbeeinflussung wird jedoch in der Regel verfassungsrechtlich zulässig sein. b) Im Rechtsstaat besteht kein Grund zur Sorge Weitergehend wird argumentiert, auch Einschüchterungen in rechtmäßigem Verhalten seien grundrechtlich nicht relevant; die Figur der Einschüchterungseffekte

358 Siehe nur Maske, NVwZ 2001, S. 1248 (1250) mit Blick auf die Videoüberwachung von öffentlichen Plätzen. 359 Vgl. Rath, KJ Beiheft 01/2009, S. 65 (65). 360 Zu den Strafzwecken: Lackner, in: Lackner/Kühl, StGB, § 46 Rn. 1 ff.; Roxin, Strafrecht AT I, § 3 Rn. 1 ff. 361 Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 53; Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 (2001), Rn. 16; Hufen, Staatsrecht II, § 6 Rn. 20; a.A. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG I, Art. 2 Abs. 1 Rn. 13. 362 Mit Blick auf die allgemeine Handlungsfreiheit Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 5. 363 Vgl. zu diesen unterschiedlichen Ansätzen, den Schutzbereich zu begrenzen: Hufen, Staatsrecht II, § 6 Rn. 15 ff. 364 Zu sog. positive Einschüchterungseffekten auch bereits oben Teil 3 A. I. 5. a).

B. Grundrechtsrelevanz von Freiheit von Furcht

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sei in einem Rechtsstaat letztlich obsolet.365 So wendet Bull ein, die Argumentation mit Einschüchterungseffekten setze im Grunde das Versagen der Rechtsordnung sowie der Kontrolle staatlicher Gewalt voraus.366 Die Nachteile, welche der Bürger befürchtet, würden nur dann eintreten, wenn der Staat seine Befugnisse überdehne oder in sonstiger Weise rechtwidrig handle.367 Dies könne grundsätzlich aber gerade nicht angenommen werden.368 Sind Bürger jedoch grundlos eingeschüchtert, könne dies die staatlichen Befugnisse nicht begrenzen.369 Überdehne der Staat hingegen seine Befugnisse, so sei sein Handeln rechtswidrig und bereits deshalb zu korrigieren.370 Teilweise wird auch das zugrunde liegende Menschenbild eines angesichts staatlicher Macht verängstigten und mutlosen Bürgers kritisiert.371 Pieroth spricht insofern von einem Grundrechtsschutz für „Feiglinge und Bangebüxen“.372 Dass staatliche Maßnahmen Einschüchterungseffekte auch in Bezug auf rechtmäßiges Verhalten entfalten können, dürfte kaum bestritten werden. Bereits im Volkszählungsurteil betont das Bundesverfassungsgericht auch die Betroffenheit rechtstreuer Bürger.373 Es kann nicht übersehen werden, dass Einschüchterungseffekte und Verhaltensbeeinflussungen als unterwünschte Nebenfolge staatlicher Maßnahmen entstehen können. Dies erkennt auch Bull an, wenn er ausführt: „Handeln sie [Anm.: die Behörden] rechtmäßig, aber unter Verbreitung von Furcht und Schrecken, so müssen sie in ihre Schranken verwiesen werden, die sich aus dem Gebot angemessener Ausübung der staatlichen Befugnisse ergeben.“374 Dass Einschüchterungseffekte gerade auch rechtmäßiges Verhalten beeinflussen können, wird auch durch die sozialwissenschaftliche Forschung bestätigt.375 Die Argumentation verkennt darüber hinaus, dass staatliche Handlungen auch gerade wegen der von ihr ausgehenden Einschüchterungseffekte rechtswidrig sein 365 Siehe insofern die Argumentation bei Luch, Medienpersönlichkeitsrecht, S. 448 f., die jedoch nur unwesentlich über den wenig überzeugenden Gedanken „Wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten“ hinausgeht. 366 Bull, in: Möllers/Ooyen, JBÖS 2008/2009, S. 317 (327); siehe auch Bull, Informationelle Selbstbestimmung, S. 64 f. 367 Bull, in: Möllers/Ooyen, JBÖS 2008/2009, S. 317 (327). 368 Bull, Informationelle Selbstbestimmung, S. 64. 369 Bull, Informationelle Selbstbestimmung, S. 65; ähnlich auch Luch, Medienpersönlichkeitsrecht, S. 448 f., wonach Einschüchterung letztlich auf einer Fehleinschätzung beruhe. 370 Bull, Informationelle Selbstbestimmung, S. 64. 371 Bull, in: Möllers/Ooyen, JBÖS 2008/2009, S. 317 (326 f.). 372 Pieroth, VVDStRL 70 (2011), S. 82 (90). 373 Siehe BVerfGE 65, 1 (3): „Die durch dieses Gesetz angeordnete Datenerhebung hat Beunruhigung auch in solchen Teilen der Bevölkerung ausgelöst, die als royale Staatsbürger das Recht und die Pflicht des Staates respektieren, die für rationales und planvolles staatliches Handeln erforderlichen Informationen zu beschaffen.“ 374 Bull, Informationelle Selbstbestimmung, S. 64. 375 Siehe oben Teil 3 A. II.

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Teil 3: Freiheit von Furcht im Grundgesetz

können. Dabei ist die Gefahr von Einschüchterungseffekten jedoch differenziert und im Einzelfall zu bemessen. Zu weitgehend dürfte es sein, wenn pauschal angenommen wird, auch der rechtstreue Bürger gelte per se als „verdächtig“ und müsse daher zumindest befürchten, sich nicht entlasten zu können.376 Zwar sollte der Rechtsstaat keinen Anlass zu Sorge geben, geschieht es dennoch, muss die Rechtsordnung insofern Schutz bieten. Diesbezüglich führt Schwabenbauer zutreffend aus: „Ein Einschüchterungseffekt ist nicht allein deshalb normativ irrelevant, weil er idealiter nicht entstehen dürfte“.377 Letztlich stellt sich das gesamte Grundgesetz als Ausdruck von Angst vor dem Staat dar, der als Rechtsstaat keinen Grund für Sorgen bieten sollte.378 c) Freiwillige Selbstentblößung Für den Bereich staatlicher Beobachtung und Überwachung wird die Schutzbedürftigkeit des Einzelnen auch angesichts der vermehrten freiwilligen Preisgabe von Informationen aus dem Bereich der Privatsphäre etwa im Internet angezweifelt. Wer derart freizügig und unbedacht mit persönlichen Daten und Informationen umgehe und sich so selbst entblöße, könne nicht ernsthaft geltend machen, durch Überwachung eingeschüchtert zu sein.379 Auch wenn Tendenzen eines freigiebigen und unbedachten Umgangs mit persönlichen Daten zumindest in Teilen der Bevölkerung kaum geleugnet werden können, greift der Einwand für die verfassungsrechtliche Bewertung zu kurz. Zum einen ist zwischen einer freiwilligen Preisgabe und Veröffentlichung persönlicher Daten im Privatrechtsverkehr einerseits und einem staatlichen Zugriff auf ebensolche Daten andererseits zu unterscheiden. Allein etwa von einer Mitgliedschaft in sozialen Netzwerken oder der Teilnahme an Diskussionen in Internetforen kann nicht auf eine generelle Einwilligung in die Kenntnisnahme, Speicherung und Auswertung der betreffenden persönlichen Informationen durch staatliche Stellen geschlossen werden. Zum anderen darf der Staat nicht alle Grundrechtsträger schutzlos stellen, nur weil Einzelne – selbst wenn es sich dabei um die Mehrheit handeln sollte – auf ihre Privatsphäre verzichten.380 Die freiwillige Selbstentblößung des Einen darf nicht zu Lasten der Anderen ausgelegt werden.381

376 So Gusy, DÖV 1996, S. 573 (581); ebenfalls kritisch gegenüber einem „Generalverdacht“ Bull, Informationelle Selbstbestimmung, S. 77; Rath, vorgänge 04/2008, S. 79 (81). 377 Schwabenbauer, Heimliche Grundrechtseingriffe, S. 147 – Hervorhebung im Original; ausführlich Schwabenbauer, Heimliche Grundrechtseingriffe, S. 144 ff. 378 Überzeugend Schwabenbauer, Heimliche Grundrechtseingriffe, S. 144; vgl. hierzu auch bereits die Ausführungen zur Staatstheorie Lockes, oben Teil 1 B. II. 379 Vgl. etwa Bull, Informationelle Selbstbestimmung, S. 73 f. 380 Insoweit überzeugend Bull, in: Möllers/Ooyen, JBÖS 2008/2009, S. 317 (330). 381 Bull, in: Möllers/Ooyen, JBÖS 2008/2009, S. 317 (330).

B. Grundrechtsrelevanz von Freiheit von Furcht

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4. Eigenständiger Bedeutungsgehalt neben dem Bestimmtheitsgebot Wie bereits gezeigt, findet die Figur der Einschüchterungseffekte vor allem in zwei Kontexten Verwendung: Zum einen im Zusammenhang mit Verurteilungen aufgrund von strittigen Meinungsäußerungen, zum anderen bei informationellen Maßnahmen des Staates. Nach Ansicht Schwabenbauers seien insofern zwei unterschiedliche Probleme betroffen:382 Im Zusammenhang mit strittigen Meinungsäußerungen kennzeichne der Begriff die allgemeine Unsicherheit darüber, ob ein Verhalten verboten oder erlaubt sei. Hier zeige sich eine enge Verbindung zum Bestimmtheitsgedanken; eine darüber hinaus gehende, eigenständige Bedeutung komme der Figur in diesem Zusammenhang indes nicht zu.383 Anders stelle sich dies im Kontext staatlicher Überwachung und Information dar. Hier stehe nicht die Unbestimmtheit von Normen im Vordergrund, sondern die Unsicherheit darüber, ob und wer etwas über einen weiß und welche Nachteile gegebenenfalls drohen. Daher komme Einschüchterungseffekten hier eigenständige Bedeutung zu.384 Diese Differenzierung kann jedoch nicht zu überzeugen. Es soll nicht in Abrede gestellt werden, dass es insbesondere bei strittigen Meinungsäußerungen zu Überschneidungen zwischen Fragen der Bestimmtheit und dem Problem von Einschüchterungseffekten kommt. Der Bestimmtheitsgrundsatz zielt im Kern auf die Vorhersehbarkeit von Rechtsfolgen.385 Insofern kann die Unbestimmtheit von Rechtnormen, Verwaltungsakten und grundsätzlich auch von Gerichtsentscheidungen durchaus zu Einschüchterungswirkungen führen, sofern für den Betroffenen nicht absehbar ist, welche Nachteile er zu befürchten hat. Dennoch sind Einschüchterung und Unbestimmtheit nicht deckungsgleich. Die Frage nach Einschüchterungseffekten und das Bestimmtheitsgebot nehmen unterschiedliche Aspekte staatlichen Handelns in den Blick. Während die Bestimmtheit Anforderungen an Inhalt, Zweck und Ausmaß staatlichen Handelns stellt, beziehen sich Einschüchterungseffekte auf dessen Wirkungen, wobei neben individuellen auch gesamtgesellschaftliche Auswirkungen in den Blick genommen werden. Im Vergleich zum Bestimmtheitsgebot nimmt die Problematik von Einschüchterungseffekten eine verschobene Perspektive ein; es handelt sich um unterschiedliche Fragen des Grundrechtsschutzes. Auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird im Zusammenhang mit strittigen Meinungsäußerungen zwischen Fragen der Bestimmtheit und dem Aspekt von Einschüchterungswirkungen diffe-

382 Zu diesem Ergebnis kommt Schwabenbauer, Heimliche Grundrechtseingriffe, S. 143. Dabei könnte die Begrenzung auch dem Thema der Arbeit geschuldet sein, die sich mit heimlichen Grundrechtseingriffen beschäftigt und sich daher auf den Bereich staatlicher Überwachungstätigkeit konzentriert. 383 Schwabenbauer, Heimliche Grundrechtseingriffe, S. 143. 384 Schwabenbauer, Heimliche Grundrechtseingriffe, S. 143 f. 385 Zum Bestimmtheitsgrundsatz vgl. etwa Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 126 ff.

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Teil 3: Freiheit von Furcht im Grundgesetz

renziert.386 Im Zusammenhang mit Verurteilungen wegen strittiger Meinungsäußerungen können Einschüchterungseffekte insbesondere eine höhere Eingriffsintensität begründen, sodass der Figur bereits insofern eine eigenständige Relevanz zukommt.387 Weder der Begriff als solcher noch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts deuten auf eine Verengung auf den Bereich der Überwachung hin. Dies stünde zudem im Widerspruch zur Bedeutung des Begriffs der Chilling Effects in der US-amerikanischen Rechtsprechung. Auch hier werden Einschüchterungseffekte sowohl im Hinblick auf informationelle Maßnahmen, als auch im Bereich von Sanktionen aufgrund von Meinungsäußerungen diskutiert.388

V. Zwischenergebnis Freiheit von Furcht kommt unter dem Grundgesetz ein Wert zu, welcher sich insbesondere in den sensiblen Bereichen (vertraulicher) Kommunikation und politischer Betätigung zeigt. Nur wenn Freiheitsausübung unbefangen und ohne Furcht möglich ist, ist eine freie Persönlichkeitsentfaltung des Einzelnen denkbar. Zugleich können Einschüchterungseffekte auf die Bedingungen eines freiheitlich-demokratischen Gemeinwesens wirken. Nach ständiger Rechtsprechung dient das Recht auf informationelle Selbstbestimmung auch dem Schutz vor Einschüchterungseffekten. Dies ist als Hinweis auf die Zielrichtung und den Zweck des Grundrechts, nicht als eine Erweiterung des Schutzbereichs um einen eigenständigen Schutzgegenstand zu verstehen. Nach zutreffender Ansicht bietet das Recht auf informationelle Selbstbestimmung keinen losgelösten Schutz vor Einschüchterungseffekten. Aufgrund der Vielfältigkeit einschüchternder Maßnahmen und der Bandbreite betroffener Lebensbereiche können durch Einschüchterung unterschiedliche Freiheitsrechte nachteilig betroffen sein, wobei den Kommunikationsfreiheiten aus Art. 5 Abs. 1 GG und der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG besondere Bedeutung zukommt. Nach hier vertretener Auffassung wird Freiheit von Furcht unter dem Blickwinkel von Einschüchterungswirkungen staatlicher Maßnahmen durch bestehende Grundrechte geschützt. Betroffen ist das (spezielle) Freiheitsrecht, dessen Ausübung jeweils durch Einschüchterung gehemmt wird. Insofern bieten die einzelnen Freiheitsgewährleistungen Schutz vor Einschüchterungseffekten und gewährleisten Freiheit von Furcht. Dabei hat die Figur der Einschüchterungseffekte 386 So setzt sich das Bundesverfassungsgericht separat mit der Bestimmtheit des § 185 StGB und der Gefahr von Einschüchterungseffekten auseinander, siehe BVerfGE 93, 266 (291 f. bzw. 292 ff.). 387 Zu dieser Bedeutung in der Grundrechtsprüfung siehe bereits oben Teil 2 A. III. 3. u. 4. 388 Siehe Assion, in: Telemedicus e.V., Überwachung und Recht, S. 31 (32) m.w.N.; zum Begriff der Chilling Effects siehe oben Teil 3 A. I. 4.

C. Grundrechtseingriffe durch Einschüchterungseffekte

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grundsätzlich keinen Einfluss auf die Auslegung und Dimensionierung grundrechtlicher Schutzbereiche. Welcher Schutzbereich im Einzelfall bei einer einschüchternden Maßnahme eröffnet ist, bleibt nach gängiger Grundrechtsdogmatik zu beantworten. Sofern die Grundrechtsrelevanz von Einschüchterungseffekten grundsätzlicher Kritik begegnet, greift diese nicht durch. Insbesondere der Einwand der Subjektivität kann nur teilweise überzeugen. Zutreffend kann kritisiert werden, dass es sich bei Einschüchterungseffekten um ein juristisch schwer handhabbares Argument handelt,389 welches der weiteren dogmatischen Klärung und Rationalisierung bedarf.390 Dies führt jedoch nicht dazu, dass Einschüchterungseffekten keine verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt. Es ist gerade Aufgabe der Rechtswissenschaft auch komplexe Sachverhalte und Fragen juristisch handhabbar zu machen. Sofern in diesem Kapitel aufgezeigt wurde, dass Einschüchterungseffekten grundrechtliche Relevanz zukommen kann, bleiben die bereits in der Rechtsprechungsanalyse aufgeworfenen Fragen zu beantworten, ob und inwiefern Einschüchterungseffekte einen Grundrechtseingriff (C.) und eine erhöhte Eingriffsintensität (D.) begründen können.

C. Grundrechtseingriffe durch Einschüchterungseffekte, sog. Einschüchterungseingriffe Ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird vermehrt die Annahme eines Grundrechtseingriffs darauf gestützt, dass von der betreffenden Maßnahme Einschüchterungseffekte ausgehen. Während das Bundesverfassungsgericht die Eingriffsqualität einer Maßnahme bislang (noch) nicht mit der Entstehung von Einschüchterungseffekten begründet hat, zeigt sich mit Blick auf verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung und Teile des Schrifttums ein anderes Bild.391 Dabei wird einzelnen Maßnahmen eine eingriffsbegründende Einschüchterungswirkung beigemessen.392 Eine Argumentation mit Einschüchterungseffekten zur Begründung eines Grundrechtseingriffs findet sich insbesondere im Zusammenhang mit Maßnahmen staatlicher Videoüberwachung von Versammlungen oder öffentlicher Räume,393 polizeilicher Präsenz bei Versammlungen,394 Gefährderan389

Vgl. Schwabenbauer, Heimliche Grundrechtseingriffe, S. 142. So auch: Cornils, JURA 2010, S. 443 (447); Nettesheim, VVDStRL 70 (2011), S. 7 (28); Rath, KJ Beiheft 01/2009, S. 65 (70); Schwabenbauer, Heimliche Grundrechtseingriffe, S. 142. Die schwere Bestimmbarkeit merkt auch Pieroth, VVDStRL 70 (2011), S. 82 (90 f.) an. 391 Zur Eingriffsbestimmung in der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ausführlich oben Teil 2 A. III. 2.; siehe auch Saurer, DÖV 2008, S. 17 (20). 392 Vgl. Hong, in: Rensen/Brink, Linien der Rechtsprechung des BVerfG I, S. 155 (161). 393 Aus der fachgerichtlichen Rechtsprechung: OVG Hamburg, NordÖR 2010, S. 498 (500); OVG Münster, DVBl. 2011, S. 175; vorgehend VG Münster, NWVBl. 2009, S. 487; 390

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Teil 3: Freiheit von Furcht im Grundgesetz

sprachen395 sowie Sanktionen oder Gebühren, die an grundrechtlich geschützte Verhaltensweisen anknüpfen.396 Im Folgenden soll ausgehend vom Eingriffsbegriff untersucht werden, ob und inwiefern Einschüchterungseffekte Grundrechtseingriffe begründen können. Dabei geht es um die grundsätzliche Frage, inwiefern staatliche Handlungen gerade aufgrund von einschüchternden Wirkungen als Grundrechtseingriff qualifiziert werden können. Nach hier vertretener Auffassung kommt insofern nur ein Eingriff in die jeweils nachteilig betroffene Verhaltensfreiheit in Betracht.397 Davon unberührt bleibt die Frage, ob die betreffende Maßnahme gegebenenfalls aus anderen Gründen als Eingriff in (andere) Grundrechte zu qualifizieren ist.398

siehe auch LG Bonn, NJW-RR 2005, S. 1067, allerdings zum zivilrechtlichen Persönlichkeitsrecht; offen lassend VGH Mannheim, NVwZ 2004, S. 498 (500). – Aus dem Schrifttum: Kloepfer/Breitkreutz, DVBl. 1998, S. 1149 (1152); Hasse, ThürVBl. 2000, S. 169 (171); Robrecht, NJ 2000, S. 348 (349 f.); Röger/Stephan, NWVBl. 2001, S. 201 (206 f.); Roggan, NVwZ 2001, S. 134 (135 f.); Siegel, NVwZ 2012, S. 738 (739); Büllesfeld, Polizeiliche Videoüberwachung, S. 132 f. u. 142 ff.; Hoffmann-Riem, in: Denninger, AK-GG, Art. 8 (2001), Rn. 33; siehe auch Landesbeauftragter für den Datenschutz Niedersachsen, Tätigkeitsbericht 1999/2000, S. 37 f., http://www.lfd.niedersachsen.de/portal/live.php?navigation_id=12987&ar ticle_id=56054&_psmand=48 (Abfrage: 20. 12. 2016); einen Überblick bietet Lang, BayVBl. 2006, S. 522 (525 ff.). Anzumerken ist, dass dabei aufgrund von Einschüchterungseffekten teilweise ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung bejaht wird. 394 Zur Begleitung und Einschließung einer Versammlung durch die Polizei: OVG Bremen, NVwZ 1990, S. 1188 (1191); zuvor bereits VG Bremen, NVwZ 1989, S. 895 (898 f.); zustimmend Alberts, NVwZ 1989, S. 839 (840); Kniesel, NJW 1992, S. 857 (866); Krüger/van der Schoot, NordÖR 2007, S. 276 (277); Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG I, Art. 8 Rn. 63; vgl. Dolderer, NVwZ 2001, S. 130. – Zur Anwesenheit von Polizeibeamten bei Versammlungen: VGH München, DÖV 2008, S. 1006 (1007); dem folgend VG Göttingen, Urteil vom 06. November 2013 – 1 A 98/12 –, juris; hierzu Brenneisen/Merk, DVBl. 2014, S. 901; siehe auch Rachor, in: Denninger/Rachor, HbPolR, Teil E Rn. 111; Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, § 12 Rn. 12; Brenneisen/Wilksen, Versammlungsrecht, S. 413 f. 395 Hierzu Kießling, DVBl. 2012, S. 1210 (1211); ausführlich Rachor, in: Denninger/Rachor, HbPolR, Teil E Rn. 754 ff.; ferner Roos, Kriminalistik 2006, S. 261; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG I, Art. 8 Rn. 63; Hong, in: Peters/Janz, Handbuch des Versammlungsrechts, Teil B. I. Rn. 54. – Zur Gefährderansprachen außerhalb des Versammlungsrechts als Eingriff in die Freiheit der Unternehmungsbetätigung (Art. 14 Abs. 1, 12 Abs. 1 GG): VGH Kassel, NJW-RR 2012, S. 344. 396 Zu Gebühren, die im Zusammenhang mit der Ausübung der Versammlungsfreiheit erhoben werden: Scheidler, NVwZ 2009, S. 429 (430); Papier, BayVBl. 2010, S. 225 (232); Hong, in: Peters/Janz, Handbuch des Versammlungsrechts, Teil B. I. Rn. 49. 397 Zum grundrechtlichen Maßstab siehe bereits eingehend oben Teil 3 B. III. 398 So können beispielsweise Überwachungsmaßnahmen unabhängig von einer Einschüchterung Eingriffe darstellen, wenn die Telekommunikation (Art. 10 GG), die Unversehrtheit der Wohnung (Art. 13 GG), die informationelle Selbstbestimmung oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) betroffen sind, siehe nur Assion, in: Telemedicus e.V., Überwachung und Recht, S. 31 (59).

C. Grundrechtseingriffe durch Einschüchterungseffekte

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I. Der Grundrechtseingriff 1. Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte Bei den meisten Grundrechten des Grundgesetzes handelt es sich um Freiheitsgrundrechte, bei denen die Abwehrfunktion im Vordergrund steht.399 Grundrechte als Abwehrrechte sollen „die Freiheitssphäre des einzelnen vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt […] sichern“.400 Sinn der Abwehrrechte ist es, Störungen jeglicher Art zu verhindern.401 Verkürzt formuliert geht es somit um „Freiheit vom Staat“402, den sog. status negativus.403 Dieses Verständnis von Freiheit als „Distanz zum Staat“ findet sich bereits in den Staatstheorien Lockes und Montesquieus.404 Die Figur des Grundrechteingriffs405 steht in der Mitte zwischen grundsätzlich unbegrenzter Freiheit und prinzipiell begrenzter Staatsgewalt.406 Der Eingriff zeigt „die Reduktion des Freiheitsbereichs durch den Staat“ an.407 Nicht jede Betroffenheit eines Grundrechts löst Grundrechtsschutz aus; vielmehr muss das staatliche Handeln als Grundrechtsbeeinträchtigung qualifiziert werden können.408 Dabei hat die Bestimmung des Eingriffs mit Blick auf den Schutzbereich des betroffenen Grundrechts und unter Berücksichtigung von Funktion und Bedeutung der Grundrechte zu er399

Grundlegend Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte; Jarass, in: Merten/Papier, HGR II, § 38 Rn. 16. Anzumerken ist, dass sich die Bezeichnung als Abwehrrecht auf die primäre Funktion des Grundrechts bezieht, daneben können einzelne Grundrechte gleichwohl Schutzoder Leistungselemente aufweisen, vgl. Jarass, in: Merten/Papier, HGR II, § 38 Rn. 3. Auf die Ambivalenz des Begriffs des Abwehrrechts – einerseits als grundrechtstheoretischer Gesamtbegriff für die Grundrechte, andererseits als strukturelle Bezeichnung subjektiven Grundrechtsberechtigungen – soll hier nicht näher eingegangen werden. Ausführlich hierzu: Stern, Staatsrecht III/1, S. 620 f., 558 ff.; Sachs, in: Merten/Papier, HGR II, § 39 Rn. 1, 6. Die Abwehrfunktion der Grundrechte ist immer noch Gegenstand rechtswissenschaftlicher Diskussion, siehe allgemein Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte sowie Cremer, Freiheitsgrundrechte. 400 BVerfGE 7, 198 (204); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1 Rn. 2, 5. 401 So Sachs, in: Sachs, GG, Vor Art. 1 Rn. 42. 402 Vgl. zu unterschiedlichen Freiheitbegriffen Krebs, in: Merten/Papier, HGR II, § 31 Rn. 1 ff. 403 Jarass, in: Merten/Papier, HGR II, § 38 Rn. 16. 404 Hierzu ausführlich oben Teil 1 B. Siehe auch Merten, in: Merten/Papier, HGR II, § 42 Rn. 43. Der Ausdruck „Distanz des einzelnen zum Staat“ geht zurück auf Forsthoff, Staat der Industriegesellschaft, S. 78. 405 Daneben sind auch die Begriffe der Be- oder Einschränkung, Beeinträchtigung, Verkürzung oder Schranke gebräuchlich. Überwiegend werden die genannten Begriffe synonym verwendet, siehe Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 231 f. Präzise bezeichnet „Eingriff“ eine Grundrechtsbeeinträchtigung im Abwehrbereich der Grundrechte, vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1 Rn. 26. 406 Büllesfeld, Polizeiliche Videoüberwachung, S. 130; grundlegend Bethge, VVDStRL 57 (1998), S. 7 (7 ff.). 407 Bethge, VVDStRL 57 (1998), S. 7 (10). 408 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1 Rn. 25.

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Teil 3: Freiheit von Furcht im Grundgesetz

folgen.409 Erst wenn hoheitliches Handeln ein Grundrecht in dessen subjektiv-abwehrrechtlicher Funktion betrifft, muss es verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. Daher kann das Vorliegen eines Eingriffs in ein Grundrecht auch nicht vollkommen losgelöst von der betroffenen Grundrechtsgewährleistung festgestellt werden. 2. Klassischer Eingriffsbegriff Den Ausgangspunkt für Überlegungen zum Eingriff bildet auch heute noch der sog. klassische Eingriffsbegriff.410 Dieser hat zur Voraussetzung, dass ein Eingriff - final und nicht bloß unbeabsichtigte Folge eines auf ganz andere Ziele gerichteten Staatshandelns, - unmittelbar und nicht bloß zwar beabsichtigte, aber mittelbare Folge des Staatshandelns, - Rechtsakt mit rechtlicher und nicht bloß tatsächlicher Wirkung ist und - mit Befehl und Zwang angeordnet bzw. durchgesetzt wird.411 Erfüllt ein staatliches Handeln diese vier Kriterien der Finalität, Unmittelbarkeit, Rechtsaktqualität und Imperativität, ist es unproblematisch als rechtfertigungsbedürftiger Eingriff einzustufen.412 Dieses Verständnis erfasst jedoch nicht alle relevanten Beeinträchtigungen grundrechtlicher Schutzgegenstände. Auch im Hinblick auf die Problematik von Einschüchterungseffekten stößt das klassische Eingriffsverständnis an seine Grenzen, da die Wirkungsweise einschüchternder Maßnahmen typischerweise nicht alle der genannten Kriterien erfüllt. Einschüchterungseffekte treten nicht nur als finale, sondern auch als unbeabsichtigte Nebenfolge staatlichen Handelns auf. Zugleich folgt die nachteilige Wirkung nicht unmittelbar aus der staatlichen Maßnahme, sondern entsteht erst vermittelt durch die innere Reaktion des Betroffenen. Schließlich sind die entsprechenden Maßnahmen regelmäßig nicht rechtsförmig. 3. Moderner oder erweiterter Eingriffsbegriff Der klassische Eingriffsbegriff wird allgemein als zu eng angesehen.413 Nach heutigem Grundrechtsverständnis bieten Grundrechte nicht nur Schutz vor rechts409

Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 247 ff. Überzeugend zur heutigen Bedeutung Stern, Staatsrecht III/2, S. 104. 411 So die Begriffsbestimmung bei Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 259. 412 Die vier Kriterien sind allgemein anerkannt, vgl. nur Dreier, in: Dreier, GG I, Vorb. Rn. 124; kritisch hingegen Stern, Staatsrecht III/2, S. 82 ff. 413 Siehe nur Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 260. Trotz der mit einer Erweiterung einhergehenden Probleme, können Tendenzen, den Eingriffsbegriff wieder auf den klassischen Begriff zurückzuführen, kaum überzeugen. 410

C. Grundrechtseingriffe durch Einschüchterungseffekte

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förmigen, finalen und unmittelbaren Beeinträchtigungen, sondern auch gegenüber faktischen und mittelbaren Einwirkungen.414 Als Eingriff kann danach jedes staatliche Handeln zu qualifizieren sein, das dem Einzelnen ein Verhalten, das in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, unmöglich macht oder wesentlich erschwert, gleichgültig, ob diese Wirkung final oder unbeabsichtigt, unmittelbar oder mittelbar, rechtlich oder tatsächlich, mit oder ohne Befehl und Zwang erfolgt.415 Insofern öffnet der sog. moderne oder erweiterte Eingriffsbegriff alle vier Kriterien des klassischen Eingriffs.416 Dies bedeutet jedoch nicht, dass umgekehrt jede faktische oder mittelbare Einwirkung des Staates als Eingriff zu qualifizieren ist.417 Um die Abgrenzungsfunktion des Eingriffsbegriffs zu bewahren und die Handlungsfähigkeit des Staates nicht unzumutbar einzuengen, besteht weitgehende Einigkeit, dass eine Eingrenzung des Eingriffsbegriffs notwendig ist.418 Obwohl heute nach ganz überwiegender Auffassung nicht mehr am klassischen Eingriffsbegriff festgehalten wird, bilden dessen Merkmale häufig den Ausgangspunkt für die Annahme eines Eingriffs nach dem erweiterten Eingriffsverständnis.419 Zur Begründung eines Grundrechtseingriffs wird nicht selten auf Finalität, Unmittelbarkeit oder Intensität der Maßnahme bzw. Schwere der Belastung abgestellt. Das Bundesverfassungsgericht führt aus, faktische oder mittelbare Einwirkungen seien als Eingriffe zu qualifizieren, sofern sie „in der Zielsetzung und ihren Wirkungen“ klassischen Eingriffen „gleichkommen“.420 Welche Kriterien eine Beeinträchtigung im Einzelnen erfüllen muss, um einen Grundrechtseingriff dazustellen, ist Gegenstand anhaltender Diskussionen.421 Ohne diese in ihren Einzelheiten nachzuzeichnen oder die Problematik 414 BVerfGE 105, 279 (300 ff.); 113, 63 (76); 116, 202 (222); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1 Rn. 28; Sachs, in: Sachs, GG, Vor Art. 1 Rn. 83; Dreier, in: Dreier, GG I, Vorb. Rn. 123, 125; – Zur Diskussion um den Grundrechtseingriff allgemein und grundlegend siehe: Bleckmann/Eckhoff, DVBl. 1988, S. 373 (373 ff.); Bethge, VVDStRL 57 (1998), S. 7 (7 ff.); Weber-Dürler, VVDStRL 57 (1998), S. 57 (57 ff.); Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen; Kirchhof, Verwalten durch „mittelbares“ Einwirken; Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte; Eckhoff, Grundrechtseingriff, S. 173 ff.; Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 424 ff. 415 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 261; Kloepfer, Verfassungsrecht II, § 51 Rn. 31; Peine, in: Merten/Papier, HGR III, § 57 Rn. 29 ff. 416 Dreier, in: Dreier, GG I, Vorb. Rn. 125. 417 Einen (knappen) Überblick über unterschiedliche Ansätze zur Eingrenzung bieten: Sachs, in: Sachs, GG, Vor Art. 1 Rn. 83 ff.; Stern, Staatsrecht III/2, S. 128 ff. Zur Notwendigkeit der Eingrenzung mit Blick auf die polizeiliche Videoüberwachung siehe Büllesfeld, Polizeiliche Videoüberwachung, S. 131 ff. 418 Siehe etwa Büllesfeld, Polizeiliche Videoüberwachung, S. 131; Kloepfer, Verfassungsrecht II, § 51 Rn. 32. 419 Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 151 f. 420 BVerfGE 116, 202 (222); 105, 252 (273); 110, 177 (191); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1 Rn. 29. 421 Zur anhaltenden Diskussion um ein modernes Eingriffsverständnis siehe nur: Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 136 ff.; Sachs, in: Sachs, GG, Vor Art. 1 Rn. 83 ff.; Dreier, in: Dreier, GG I, Vorb. Rn. 125 ff.; ferner bereits Bethge, VVDStRL 57 (1998), S. 7 (7 ff.); Weber-Dürler, VVDStRL 57 (1998), S. 57 (57 ff.) jeweils m.w.N.

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Teil 3: Freiheit von Furcht im Grundgesetz

eines erweiterten Eingriffsverständnisses umfassend und abschließend zu entfalten, konzentriert sich diese Untersuchung auf grundlegende Aspekte, welche im Zusammenhang mit der Frage nach einem Grundrechtseingriff durch Einschüchterung Relevanz erlangen.

II. Grundrechtsbeeinträchtigung durch Einschüchterungseffekte Obwohl vielfach mit einschüchternden Wirkungen argumentiert wird, ist bisher weitestgehend unklar, ob staatliche Maßnahmen gerade aufgrund ihrer einschüchternden Wirkung auf den Freiheitsbereich eines Grundrechts als Eingriffe qualifiziert werden können. Lässt sich die Annahme eines Grundrechtseingriffs grundsätzlich auf Einschüchterungseffekte stützen? Offen ist insbesondere, ob die einschüchternde Wirkung einer Maßnahme hinreichende Bedingung für die Annahme eines Eingriffs ist oder ob noch weitere Anforderungen erfüllt sein müssen. Teilweise wird angenommen, aufgrund von Einschüchterungseffekten sei die Eingriffsschwelle regelmäßig überschritten.422 Insofern soll die von einer Maßnahme ausgehende einschüchternde Wirkung bereits ausreichen, um einen Grundrechtseingriff anzunehmen. Andere nehmen weitergehende Differenzierungen vor oder ziehen zusätzliche Kriterien, wie Finalität, Intensität, Zwangsgleichheit oder Zurechenbarkeit der Beeinträchtigung, heran.423 Teilweise wird geltend gemacht, auf Abschreckungseffekte könne es für die Annahme eines Eingriffs gerade nicht ankommen.424 Ganz überwiegend wird die Frage nach einem Eingriff durch Einschüchterungseffekte lediglich für einzelne Maßnahmen erörtert. Im Folgenden soll auf diese Ansätze nur insoweit eingegangen werden, wie sich ihnen über den Einzelfall hinausgehende Erkenntnisse entnehmen lassen. 1. „Subjektiver Eingriffsbegriff“? Teilweise wird die Diskussion um einen Eingriff durch Einschüchterungseffekte im Sinne eines „subjektiven Eingriffsbegriffs“ verstanden.425 Für die Annahme eines Eingriffs soll entscheidend sein, ob der Grundrechtsträger sich beeinträchtigt fühlt.426 422 Maßgeblich auf die Entstehung eines Überwachungsdrucks ohne weitere Einschränkungen stellen ab: Büllesfeld, Polizeiliche Videoüberwachung, S. 142 ff.; Schwabenbauer, Heimliche Grundrechtseingriffe, S. 140; a.A. Henrichs, BayVBl. 2005, S. 289 (293, 299). 423 Zu den einzelnen Ansätzen näher in den folgenden Abschnitten. 424 So Höfling, in: Sachs, GG, Art. 8 Rn. 57. 425 Siehe Robrecht, NJ 2000, S. 348 (349); Robrecht, NJ 2008, S. 9 (10 f.); Büllesfeld, Polizeiliche Videoüberwachung, S. 132; Fischer, VBlBW. 2002, S. 89 (92): „Dabei wird vielfach auf den subjektiven Eindruck des Betroffenen abgestellt.“; deutlich Henrichs, Bay-

C. Grundrechtseingriffe durch Einschüchterungseffekte

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Diese Sichtweise verkennt jedoch, dass es – auch bei einer Eingriffsbegründung durch Einschüchterungseffekte – nicht darauf ankommen kann, ob sich der Betroffene subjektiv beeinträchtigt fühlt oder eine Beeinträchtigung befürchtet, sondern ob tatsächlich eine psychisch vermittelte Beeinträchtigung grundrechtlicher Schutzgüter vorliegt.427 Wenn im Grundgesetz von „eingreifen“, „Einschränkungen“, „Beschränkungen“ und „Beeinträchtigungen“ die Rede ist, kann dies nicht durch die entsprechende Befürchtung ersetzt werden. Eine relevante Beeinträchtigung kann nicht allein deshalb angenommen werden, weil der Betroffene meint, beeinträchtigt zu sein. Auch wenn eine staatliche Maßnahme influenzierend, psychisch oder subtil wirkt, ist es notwendige Voraussetzung, dass tatsächlich ein grundrechtliches Schutzgut nachteilig belastet wird. So ist es auch zu verstehen, wenn davon ausgegangen wird, Grundrechte schützten nicht vor subjektiven Befindlichkeiten.428 Es wurde bereits dargelegt, dass mit Blick auf Einschüchterungseffekte ein objektiviertes Verständnis gelten muss.429 Eine Bezeichnung als „subjektiver“ Eingriff ist somit zumindest missverständlich.430 Sie kann allenfalls als Beschreibung des mit dem modernen Eingriffsbegriff einhergehenden Perspektivwechsels gesehen werden, wonach zur Eingriffsbestimmung nicht die Art der Maßnahme, sondern die Wirkungen auf den einzelnen Grundrechtsträger in den Blick zu nehmen sind. Nicht überzeugend ist es hingegen das Vorliegen eines Eingriffs allein von subjektiven Empfindungen der Betroffenen abhängig zu machen.431 2. Einschüchterungseffekte als Fall des modernen Eingriffsbegriffs Als notwendige Mindestvoraussetzung für die Annahme eines Grundrechtseingriffs muss ein Verhalten eines Grundrechtsrechtsverpflichteten belastende oder nachteilige Wirkungen für den Grundrechtsträger entfalten.432

VBl. 2005, S. 289 (293), der eine sog. subjektive Eingriffsbetrachtung jedoch ablehnt. Siehe ferner: Geiger, Video-Überwachungstechnologie, S. 112 ff.; Stern, Staatsrecht III/1, S. 645 f. Fn. 105; offen lassend VGH Mannheim, NVwZ 2004, S. 498 (500). 426 In diese Richtung Kloepfer/Breitkreutz, DVBl. 1998, S. 1149 (1152); Roos, Kriminalistik 1994, S. 674 (675); siehe auch die Darstellungen bei Roggan, NVwZ 2001, S. 134 (136) sowie Henrichs, BayVBl. 2005, S. 289 (293). 427 Zutreffend Held, Intelligente Videoüberwachung, S. 108 Fn. 177. 428 So Kloepfer, Verfassungsrecht II, § 51 Rn. 36; a.A. Stern, Staatsrecht III/2, S. 204 ff. 429 Zum objektivierten Verständnis in der Rechtsprechung des BVerfG siehe bereits oben in Teil 2 A. I. 1. sowie allgemein in Teil 3 B. IV. 1. 430 Etwa Roggan, NVwZ 2001, S. 134 (136). 431 Zur Subjektivität von Furcht siehe bereits die Ausführungen oben in Teil 3 B. IV. 1. 432 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1 Rn. 25.

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Teil 3: Freiheit von Furcht im Grundgesetz

a) Nachteilige Wirkung auf ein grundrechtliches Schutzgut Ein Eingriff durch Einschüchterungseffekte kommt nur in Betracht, sofern eine Belastung des Grundrechtsträgers bewirkt wird. Erforderlich ist eine Verkürzung des grundrechtlichen Schutzbereichs, eine Beschränkung oder eine Beeinträchtigung der Integrität eines grundrechtlichen Schutzguts.433 Maßgeblich sind insofern allein die (Aus-)Wirkungen auf den Grundrechtsträger.434 Grundrechte als Abwehrrechte schützen insbesondere Verhaltensfreiheit als die Möglichkeit des Einzelnen zu tun und zu lassen, was er will.435 Daneben werden Zustände, Eigenschaften oder Situationen als Elemente der natürlichen Persönlichkeit geschützt und Rechtspositionen in ihrem passiven Bestand garantiert.436 Welche Wirkungen Einschüchterungseffekte im Einzelnen entfalten, kann von Art und Ausgestaltung der einschüchternden Maßnahme sowie dem betroffenen Lebensbereich abhängig sein. So kann etwa die Videoüberwachung einer Versammlung dazu führen, dass (potenzielle) Teilnehmer von einer Teilnahme an der Versammlung absehen oder ihr Verhalten auf der Versammlung ändern. Eine Gefährderansprache kann bewirken, dass der Betroffene eine bestimmte Veranstaltung wie ein Fußballspiel nicht besucht. Auch können Maßnahmen, von denen Einschüchterungseffekte ausgehen, dazu führen, dass Betroffene ihre Meinung nicht frei äußern, ihre Religion nicht ausüben oder einen öffentlichen Platz meiden. Sofern Einschüchterungseffekte derartige nachteilige Wirkungen auf die Grundrechtsausübung entfalten, ist eine Beeinträchtigung der jeweils betroffenen grundrechtlich geschützten Verhaltensfreiheit denkbar. Wirkt sich beispielsweise der von einer Videoüberwachung ausgehende Anpassungsdruck auf die freie und unkontrollierte Bewegung und das Verhalten des Einzelnen aus, kommt ein Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit in Betracht, sofern keine spezielle Verhaltensfreiheit betroffen ist.437 Die besondere Wirkungsweise von Einschüchterungseffekten macht jedoch eine weitergehende Begründung erforderlich. So wird gegen einen Eingriff eingewandt, die äußere Handlungsfreiheit bleibe durch Einschüchterungseffekte gerade unberührt. Anders als bei herkömmlichen Beeinträchtigungen würden Handlungsoptionen und Entfaltungsmöglichkeiten nicht unmittelbar durch eine externe Einwirkung

433 Zur Integritätsbeeinträchtigung siehe Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 151. Die Begrifflichkeiten sind in der Sache gleichbedeutend: Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 231 f. Kritisch zur Verwendung des Begriffs des Schutzbereichs im Zusammenhang Einschüchterungseffekten jedoch Oermann/Staben, Der Staat 52 (2013), S. 630 (641). 434 Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 151. 435 Sachs, in: Sachs, GG, Vor Art. 1 Rn. 43. 436 Sachs, in: Sachs, GG, Vor Art. 1 Rn. 44. 437 Vgl. Fischer, VBlBW. 2002, S. 89 (92).

C. Grundrechtseingriffe durch Einschüchterungseffekte

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unmöglich gemacht oder zumindest wesentlich erschwert.438 Zumindest die Metapher einer Schutzbereichsverkürzung stoße daher an ihre Grenzen.439 Zutreffend ist, dass im Fall von Einschüchterungseffekten grundrechtlich geschütztes Verhalten in der Regel weder rechtlich verboten, noch tatsächlich verhindert wird. Beispielsweise wird dem Betroffenen durch eine Gefährderansprache weder der Besuch der Veranstaltung verboten, noch wird er physisch, etwa durch schleppende Kontrollen, von einer Teilnahme abgehalten. Es besteht lediglich ein „psychisches Hindernis“, welches dazu führt, dass grundrechtliche Freiheiten ganz oder teilweise nicht ausgeübt werden. Diese Wirkungsweise zeichnet einschüchternde Maßnahmen gerade aus. Erst die psychische, innere Umsetzung der externen Einwirkung hat zur Folge, dass bestehende Handlungsoptionen und Entfaltungsmöglichkeiten faktisch nicht wahrgenommen werden.440 Dennoch kann eine relevante Beeinträchtigung vorliegen. Dass Grundrechte auch vor mittelbaren, psychisch wirkenden Beeinträchtigungen schützen, ist grundsätzlich anerkannt.441 Die Freiheitsrechte umfassen als Ergänzung der Verhaltensfreiheit auch die entsprechende Willensentschließungsfreiheit zu Ausübung der grundrechtlichen Freiheit. Diese dem Handeln vorgelagerte Freiheit ist betroffen, sofern ein Grundrechtsträger aufgrund von Einschüchterungseffekten grundrechtlich geschützte Handlungen nicht unterlässt. Einschüchternde Maßnahmen beeinträchtigen somit die durch das jeweils betroffene Freiheitsrecht geschützte Willensentschließungsfreiheit. Jedenfalls, wenn sich die Einwirkung auf die innere Willensentschließungsfreiheit auf die Ausübung der äußeren Freiheit auswirkt, kann eine Grundrechtsbeeinträchtigung anzunehmen sein.442 Deutlich wird dies am Beispiel der Videoüberwachung einer Versammlung.443 Müssen potenzielle Teilnehmer die Überwachung und Registrierung ihres Verhaltens befürchten, kann dies den freien Entschluss zur Versammlungsteilnahme beeinträchtigen. Da die Versammlungsfreiheit sowohl die innere Entschlussfreiheit als auch die äußere Handlungsfreiheit umfasst, kann die grundrechtliche Freiheit nicht nur durch äußere Einwirkungen auf Teilnahme und Durchführung beeinträchtigt werden, sondern auch durch Einwirkungen auf den Willen und den Entschluss der 438

Oermann/Staben, Der Staat 52 (2013), S. 630 (640 f.). Oermann/Staben, Der Staat 52 (2013), S. 630 (641). 440 Oermann/Staben, Der Staat 52 (2013), S. 630 (641), die insofern von Internalisierung sprechen. Zur Wirkungsweise von Einschüchterungseffekte siehe bereits oben Teil 3 A. II. 441 Vgl. Murswiek, DVBl. 1997, S. 1021 (1022 ff.); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1 Rn. 28; Kloepfer, Verfassungsrecht II, § 51 Rn. 27 f. 442 Für die Versammlungsfreiheit Neskovic/Uhlig, NVwZ 2014, S. 335 (337); siehe ferner Geiger, Video-Überwachungstechnologie, S. 163. Zum Schutz der Entschließungsfreiheit zur Grundrechtsausübung bereits oben in Teil 3 B. III. 1. b). 443 Einen Eingriff bejahen etwa: Neskovic/Uhlig, NVwZ 2014, S. 335 (336 ff.); Kloepfer/ Breitkreutz, DVBl. 1998, S. 1149 (1152 f.); vgl. bereits Kübler, JuS 1966, S. 319 (319 f.); siehe auch Koranyi/Singelnstein, NJW 2011, S. 124 (124 ff.); Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, § 1 Rn. 80 ff., § 12a Rn. 13. 439

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Teil 3: Freiheit von Furcht im Grundgesetz

Teilnehmer, an der Versammlung teilzunehmen, nachteilig betroffen sein.444 Jedenfalls wenn sich diese Einwirkung äußerlich manifestiert, indem der Betroffene in der Ausübung der Versammlungsfreiheit gehemmt wird, ist eine Beeinträchtigung des Grundrechts zu bejahen.445 Bewirkt das staatliche Handeln hingegen nur in ein diffuses Gefühl oder lässt die Grundrechtswahrnehmung unberührt, kann eine relevante Beeinträchtigung nicht angenommen werden.446 Eine Beeinträchtigung anderer grundrechtlicher Schutzgegenstände, wie Zustände, Eigenschaften oder Situationen als Elemente der natürlichen Persönlichkeit, welche vorrangig in ihrem passiven Bestand geschützt werden,447 kommt durch Einschüchterungseffekte nicht in Betracht. Damit können grundrechtliche Verhaltensfreiheiten wie die Versammlungs- und Meinungsfreiheit, aber auch die allgemeine Handlungsfreiheit, durch Einschüchterungseffekte beeinträchtigt werden. Für das allgemeine Persönlichkeitsrecht und seine speziellen Ausprägungen ist indes eine Beeinträchtigung durch Einschüchterungseffekte nur insofern denkbar, als dass der Schutzbereich – zumindest mittelbar – auch Verhalten schützt.448 Sind mit einer staatlichen Maßnahme Einschüchterungseffekte verbunden, die sich nachteilig auf die Grundrechtsausübung auswirken, so kann eine Beeinträchtigung der jeweils betroffenen Verhaltensfreiheit anzunehmen sein. Dies gilt unabhängig davon, ob man dogmatisch an das geschützte (äußere) Verhalten oder den vorgelagerten Willensentschluss anknüpft. b) Einschüchterungseffekte als Fall mittelbarer Selbstbeeinträchtigung Ob im Falle von Einschüchterungseffekten von einer unmittelbaren oder mittelbaren Beeinträchtigung auszugehen ist, wird unterschiedlich beurteilt.449 Während etwa die Gefährderansprache regelmäßig als unmittelbarer und finaler Eingriff

444

Vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, § 1 Rn. 80 ff., § 12a Rn. 13. Nach Kübler, JuS 1966, S. 319 (319) ist entscheidend, ob sich der innere Willensentschluss nach außen manifestiert. Nur insofern liege ein Eingriff in den rechtlich relevanten Bereich der Freiheit vor. 446 Hier dürfte es auch an der Schutzbedürftigkeit fehlen, vgl. hierzu Teil 3 B. III. 1. b). 447 Zu den verschiedenen Schutzgegenständen der Abwehrrechte siehe im Überblick Stern, Staatsrecht III/1, S. 622 ff. 448 So kann beispielsweise der „Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten“ nicht durch Einschüchterung beeinträchtigt werden. Andererseits sind einschüchternde Wirkungen auf die Ausübung der vom informationellen Selbstbestimmungsrecht umfassten Verfügungsbefugnis durchaus denkbar, wenn etwa persönliche Informationen aufgrund psychischen Drucks preisgegeben werden, vgl. Held, Intelligente Videoüberwachung, S. 85 f. 449 Allgemein kritisch in Bezug auf das Kriterium der Unmittelbarkeit Sachs, in: Sachs, GG, Vor Art. 1 Rn. 87. 445

C. Grundrechtseingriffe durch Einschüchterungseffekte

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qualifiziert wird,450 ist mit Blick auf andere Maßnahmen überwiegend von einer mittelbaren bzw. mittelbaren und faktischen451 Beeinträchtigung durch Einschüchterung die Rede.452 Die Abgrenzung zwischen unmittelbaren und mittelbaren Eingriffen erweist sich gerade bei faktischen Beeinträchtigungen häufig als schwierig.453 Mittelbarkeit wird insbesondere bejaht, wenn erst ein durch staatliches Handeln ausgelöstes Verhalten Dritter die Beeinträchtigung des Grundrechtsträgers bewirkt, beispielsweise bei staatlichen Warnungen oder Empfehlungen.454 Nach heutigem Grundrechtsverständnis können auch mittelbare Beeinträchtigungen als Grundrechtseingriffe qualifiziert werden.455 Es kann grundsätzlich keinen Unterschied machen, ob die Beeinträchtigung eines grundrechtlichen Schutzgutes unmittelbar durch staatliches Verhalten bewirkt wird oder ob sich der Staat für die gleiche Wirkung eines Dritten oder des Betroffenen selbst bedient. Andernfalls könnte der Staat durch eine „Flucht in die Mittelbarkeit“ rechtliche Bindungen umgehen.456 Die Unmittelbarkeit erweist sich nicht als notwendiges Kriterium für die Eingriffsqualität. Mittelbare Beeinträchtigungen sind nicht nur bei einer Beeinträchtigung durch das Verhalten Dritter möglich. Bei von der staatlichen Gewalt nur mitverursachten Beeinträchtigungen kann – abhängig davon, wer den zusätzlichen Beitrag geleistet hat – zwischen Selbst-, Dritt- und Fremdbeeinträchtigungen differenziert werden.457 Als Selbstbeeinträchtigungen werden dabei solche Beeinträchtigungen qualifiziert, die der Betroffene selbst mitverursacht.458 Hier sind auch Beeinträchtigungen durch Einschüchterungseffekte einordnen. Im Fall von Einschüchterungseffekten wird die beeinträchtigende Wirkung nicht durch einen privaten Dritten, sondern durch den Grundrechtsträger selbst herbeigeführt. Nicht unmittelbar die staatliche Handlung selbst, sondern erst die (psychische) Reaktion des Betroffenen auf die einschüchternde Maßnahme bewirkt die Beein450

So OVG Lüneburg, NJW 2006, S. 391 (392). Zu Recht kritisch zur häufig auftauchenden „Verschmelzung“ der Merkmale faktisch und mittelbar: Dreier, in: Dreier, GG I, Vorb. Rn. 125. 452 So etwa Oermann/Staben, Der Staat 52 (2013), S. 630 (640). 453 Siehe nur exemplarisch die Diskussion zwischen Bleckmann/Eckhoff, DVBl. 1988, S. 373 (373 ff.) und Schwabe, DVBl. 1988, S. 1055 (1056 f.); zuletzt Bleckmann/Eckhoff, DVBl. 1988, S. 1057 (1057 f.). 454 Ausführlich zu mittelbaren Grundrechtsbeeinträchtigungen: Bethge, in: Merten/Papier, HGR III, § 58 Rn. 1 ff.; Eckhoff, Grundrechtseingriff, S. 197 ff. 455 Siehe nur Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 262. 456 Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 157 f. 457 So etwa Stern, Staatsrecht III/2, S. 168 ff., wonach Drittbeeinträchtigungen von einem anderen Privaten, Fremdbeeinträchtigungen hingegen von einer fremden Staatsgewalt mitverursacht werden. Zur Unterscheidung zwischen Dritt- und Selbstbeeinträchtigungen auch Sachs, in: Sachs, GG, Vor Art. 1 Rn. 89 ff. 458 Ausführlich Stern, Staatsrecht III/2, S. 169 ff. 451

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Teil 3: Freiheit von Furcht im Grundgesetz

trächtigung. In der internen Umsetzung der staatlichen Einwirkung kann somit eine Zwischenursache gesehen werden, welche die beeinträchtigende Wirkung des staatlichen Handelns „vermittelt“. Aufgrund der Wirkungsweise von Einschüchterungseffekten ist daher regelmäßig von einer mittelbaren (Selbst-)Beeinträchtigung auszugehen, wobei der Einschüchterungseffekt das Bindeglied zwischen staatlicher Handlung und der Beeinträchtigung grundrechtlicher Freiheit ausmacht.459 c) Betroffensein in individueller Grundrechtsposition Staatliches Handeln kann nur Eingriffsqualität haben, wenn der Grundrechtsträger in einer individuellen Grundrechtsposition betroffen ist.460 Die staatliche Maßnahme muss insofern an den Grundrechtsträger gerichtet sein oder zumindest auf individuelles Verhalten bezogen werden können. Zu nennen ist etwa die erkennbare Videoüberwachung, welche den (potenziellen) Versammlungsteilnehmer in seiner Grundrechtsausübung betrifft. Hier wird ein (faktischer) Eingriff regelmäßig angenommen, sofern die staatliche Maßnahme von der Teilnahme an der Versammlung oder von anderen durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Verhaltensweisen abschreckt.461 Demgegenüber scheidet ein Eingriff aus, wenn Einschüchterungseffekte so diffus oder allgemein bleiben, dass es an einem hinreichenden Bezug zu einer individuellen Grundrechtsposition fehlt. Insofern erscheint ein Eingriff durch Einschüchterungseffekte insbesondere zweifelhaft bei heimlichen Maßnahmen bzw. Maßnahmen, von denen der Grundrechtsträger keine Kenntnis hat. Anknüpfungspunkt für eine einschüchternde Wirkung könnte lediglich das Wissen um die Möglichkeit einer solchen Maßnahme sein, mithin die Ermächtigungsgrundlage. Regelmäßig wird es insofern jedoch an einem hinreichend engen Bezug zwischen der staatlichen Handlung und einer konkreten grundrechtlich geschützten Verhaltensweise fehlen. In welches Grundrecht soll etwa durch die gesetzliche Regelung einer Rasterfahndung eingegriffen werden? In Betracht käme hier lediglich die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG, wobei jedoch gänzlich offen bleibt, in welchem Verhalten der Grundrechtsträger konkret betroffen sein soll. Mögliche Einschüchterungseffekte beziehen sich hier weniger auf ein konkretes grundrechtlich geschütztes Verhalten, sondern wirken – wenn überhaupt – nachteilig auf die allgemeine Freiheitsausübung. Für die Frage nach der Eingriffsqualität einer Maßnahme kann es jedoch nicht auf Beeinträchtigungen über den individuellen Grundrechtsträger hinaus ankommen. Nachteilige Auswirkungen auf andere Grundrechtsträger oder die Gesellschaft 459

Von einem mittelbaren Grundrechtseingriff durch Einschüchterung gehen ebenfalls ausdrücklich aus: Oermann/Staben, Der Staat 52 (2013), S. 630 (640). 460 Vgl. für staatliche Warnungen: Murswiek, DVBl. 1997, S. 1021 (1030); Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 156. 461 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 8 Rn. 13 m.w.N.

C. Grundrechtseingriffe durch Einschüchterungseffekte

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insgesamt können bei der Feststellung der Eingriffsqualität in Bezug auf den einzelnen Grundrechtsträger grundsätzlich keine Relevanz erlangen.462 Ein (individueller) Grundrechtseingriff kann nicht maßgeblich mit der überindividuellen Wirkungsweise einer Maßnahme begründet werden. Bei darüber hinausgehenden Wirkungen handelt es sich nach zutreffender Ansicht um Aspekte objektiv-rechtlicher Grundrechtsgehalte, welche erst im Rahmen der Verhältnismäßigkeit Bedeutung erlangen können.463 Sind Einwirkungen auf konkrete grundrechtlich geschützte Verhaltensweisen nicht zu befürchten bzw. anzunehmen, scheidet ein Grundrechtseingriff jedoch aus. Zu weitgehend wäre es daher, einen Grundrechtseingriff anzunehmen, wenn von einer Maßnahme lediglich allgemeine Einschüchterungseffekte auf den Grundrechtsgebrauch insgesamt ausgehen.464 Dies kann insbesondere für heimliche Maßnahmen mit großer Streubreite gelten.465 3. Zurechenbarkeit von Beeinträchtigungen durch Einschüchterung Nicht jegliche nachteilige Auswirkung auf einen grundrechtlichen Schutzbereich ist als Grundrechtseingriff zu qualifizieren: Ein Eingriff ist lediglich anzunehmen, wenn die nachteilige Wirkung auf den Schutzbereich eines Grundrechts von einem ursächlichen und zurechenbaren Verhalten der öffentlichen Gewalt ausgeht.466 Die negativen Auswirkungen müssen somit auf ein hoheitliches Handeln zurückgeführt werden können und dem Staat zurechenbar sein.467 Sofern staatliches Handeln eine Beeinträchtigung eines Schutzgegenstands verursacht, bedarf es wegen des grundsätzlich umfassenden Schutzzwecks der Grundrechte eines besonderen Grundes, eine Zurechnung der Beeinträchtigung abzulehnen.468 Dieser kann sich insbesondere aus der fehlenden Finalität staatlichen Handelns oder der Komplexität des Kausalzusammenhangs zwischen staatlichem Handeln und Beeinträchtigung ergeben.469 462

Anders wohl Oermann/Staben, Der Staat 52 (2013), S. 630 (644), die bei der Bewertung der Eingriffsqualität jedenfalls mittelbar über das Kriterium der Erheblichkeit der Beeinträchtigung auch überindividuelle Wirkungen einbeziehen. 463 Siehe hierzu eingehend das nachfolgende Kapitel der Arbeit (Teil 3 D.). 464 So auch Assion, in: Telemedicus e.V., Überwachung und Recht, S. 31 (57 f.), der die Annahme eines Eingriffs an weitere Voraussetzungen knüpft. 465 Skeptisch insofern Schoch, JURA 2008, S. 352 (357); vgl. zur automatisierten KfzKennzeichenerfassung, Schleierfahndung und Rasterfahndung: Kral, Polizeiliche Vorfeldbefugnisse, S. 91 ff.; ferner Breyer, NVwZ 2008, S. 824 (825). 466 Vgl. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 (2001), Rn. 49; zum Kriterium der Zurechenbarkeit bei mittelbaren Beeinträchtigungen allgemein Bleckmann/Eckhoff, DVBl. 1988, S. 373 (380); Eckhoff, Grundrechtseingriff, S. 270 ff.; Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S. 21 f.; Bethge, VVDStRL 57 (1998), S. 7 (40); siehe auch BVerfGE 66, 39 (60). 467 BVerwG, NJW 2006, S. 1303 (1304). 468 Stern, Staatsrecht III/2, S. 174. 469 Stern, Staatsrecht III/2, S. 174.

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Teil 3: Freiheit von Furcht im Grundgesetz

Die Problematik einschüchternder Wirkungen ist dadurch gekennzeichnet, dass nachteilige Wirkungen auf die Grundrechtsausübung zwar an staatliches Handeln anknüpfen, sie aber unmittelbar erst durch eine Entscheidung des Grundrechtsträgers bewirkt werden. Während das Merkmal der Kausalität noch relativ leicht festgestellt werden kann (hierzu a)), stellt sich die Frage nach der Zurechenbarkeit einer durch Einschüchterungseffekte verursachten nachteiligen Wirkung als zentral für die Bewertung der Eingriffsqualität einschüchternder Maßnahmen dar (hierzu b) und c)).470 Anzumerken ist zunächst, dass Grundsätze zur Zurechnung mittelbarer Beeinträchtigung bislang ganz überwiegend im Zusammenhang mit mehrpoligen Beeinträchtigungskonstellationen entwickelt wurden, insbesondere für Fälle, in denen die Beeinträchtigung beim Grundrechtsträger erst durch einen Dritten bewirkt wird. Zu nennen sind etwa die Fälle staatlicher Warnungen und Informationstätigkeit. Demgegenüber wirken Einschüchterungseffekte als mittelbare Selbstbeeinträchtigungen nur im Verhältnis zwischen Staat und Bürger; insofern liegt eine bipolare Konstellation vor. Die Grundsätze zur Zurechnung mittelbarer Beeinträchtigungen sind jedoch auf bipolare Verhältnisse grundsätzlich entsprechend anwendbar.471 a) Kausalität staatlichen Handelns Als Grundrechtseingriff können nur Einwirkungen eines Grundrechtsverpflichteten, mithin des Staates i.w.S., qualifiziert werden.472 Als Mindestvoraussetzung zur Annahme eines Eingriffs muss die Belastung grundrechtlicher Schutzgüter durch staatliches Handeln verursacht worden sein; erforderlich ist eine geschlossene Kausalkette.473 Im Fall von Einschüchterungseffekten besteht zwischen staatlicher Handlung und nachteiliger Wirkung auf den Schutzbereich eines Freiheitsrechts regelmäßig kein direkter, unmittelbarer, sondern ein komplexer Kausalnexus. Für die durch Einschüchterung bewirkte Entscheidung des Grundrechtsträgers, eine grundrechtliche Freiheit nicht oder nur eingeschränkt wahrzunehmen, können ganz unterschiedliche Faktoren maßgeblich sein, die sich nicht alle dem Staat zurechnen lassen.474 Zu nennen sind etwa die individuelle Persönlichkeit des Grundrechtsträgers oder äußere Umstände, die die Entstehung von Einschüchterungseffekten verringern oder ver-

470 Dies gilt hier ebenso wie bei anderen mittelbaren Beeinträchtigungen, wie beispielsweise staatlichem Informationshandeln oder anderen Maßnahmen indirekter Verhaltenssteuerung, vgl. Lenski, ZJS 2008, S. 13 (15). 471 Zur Übertragbarkeit siehe Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 161. 472 Siehe nur Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1 Rn. 24. Näher zu den Grundrechtsverpflichteten Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 1 Rn. 30 ff. 473 Eingehend zur Kausalität als Voraussetzung der Zurechenbarkeit vgl. Eckhoff, Grundrechtseingriff, S. 278. 474 Assion, in: Telemedicus e.V., Überwachung und Recht, S. 31 (36 ff.).

C. Grundrechtseingriffe durch Einschüchterungseffekte

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stärken können.475 Teilweise wird der Einfluss von Bürgerrechtlern betont, deren Einsatz gegen bestimmte staatliche Maßnahmen Einschüchterungen sogar noch begünstigen könnte.476 Daher überschneiden sich bei der Entstehung von Einschüchterungseffekten die Verantwortungssphären des Staates, des Grundrechtsträgers selbst sowie anderer Privater. Der Staat ist grundsätzlich nur für sein eigenes Verhalten verantwortlich, nicht hingegen für Handlungen Dritter.477 Dementsprechend kann der Staat immer nur im Rahmen seiner Beteiligung für eine Beeinträchtigung verantwortlich sein.478 Um als Grundrechtseingriff qualifiziert werden zu können, muss sich eine Beeinträchtigung durch Einschüchterungseffekte kausal auf ein staatliches Handeln zurückführen lassen. Es reicht dabei aus, wenn der Staat die nachteilige Wirkung zumindest mittelbar verursacht hat; ein direkter Kausalzusammenhang ist nicht erforderlich.479 Umgekehrt scheidet ein Eingriff durch Einschüchterungseffekte aus, wenn sich die beeinträchtigende Wirkung überhaupt nicht – auch nicht mittelbar – auf staatliches Handeln zurückführen lässt.480 Ein Grundrechtseingriff durch Einschüchterung ist daher grundsätzlich ausgeschlossen, wenn die nachteilige Wirkung allein durch ein Handeln Privater verursacht wird.481 b) Zurechnungskriterien Teilweise wird bereits die geschlossene Kausalkette zwischen staatlicher Handlung und der durch Einschüchterung bewirkten Beeinträchtigung als ausreichend erachtet, um die Zurechenbarkeit und somit das Vorliegen eines Grundrechtseingriffs zu bejahen.482 So sollen staatliche Maßnahmen regelmäßig die Schwelle zum Eingriff überschreiten, sofern von ihnen Einschüchterungseffekte ausgehen.483 Insbe475 Zu unterschiedlichen Faktoren, welche die Wirkungsweise von Einschüchterungseffekten beeinflussen können siehe oben Teil 3 A. II. 2. 476 Rath, vorgänge 04/2008, S. 79 (79 f.); zustimmend Bull, Informationelle Selbstbestimmung, S. 70 f. 477 Assion, in: Telemedicus e.V., Überwachung und Recht, S. 31 (53). 478 Vgl. zutreffend Eckhoff, Grundrechtseingriff, S. 297; eindeutig auch Assion, in: Telemedicus e.V., Überwachung und Recht, S. 31 (56). 479 Mittelbare Grundrechtseingriffe sind in Literatur und Rechtsprechung grundsätzlich anerkannt, siehe nur Dreier, in: Dreier, GG I, Vorb. Rn. 125 ff. m.w.N.; siehe auch Eckhoff, Grundrechtseingriff, S. 278. 480 Assion, in: Telemedicus e.V., Überwachung und Recht, S. 31 (52). 481 Zur Grundrechtsbindung Privater vgl. jedoch Höfling, in: Sachs, GG, Art. 1 Rn. 116. Der weitergehenden Frage, inwiefern Grundrechte auch in der Privatrechtsordnung wirken und staatliche Schutzpflichten auslösen können, soll vorliegend nicht nachgegangen werden. 482 Oermann/Staben, Der Staat 52 (2013), S. 630 (643 f.). 483 Für Videoüberwachungsmaßnahmen: Kloepfer/Breitkreutz, DVBl. 1998, S. 1149 (1152); Saurer, DÖV 2008, S. 17 (20); Büllesfeld, Polizeiliche Videoüberwachung, S. 133, 142 ff. Für informationelle Maßnahmen allgemein: Schwabenbauer, Heimliche Grundrechtseingriffe, S. 140 ff.

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Teil 3: Freiheit von Furcht im Grundgesetz

sondere mit Blick auf Videoüberwachungsmaßnahmen wird teilweise jedweder Einsatz von Videokameras wegen der damit verbundenen Einschüchterungswirkungen als Eingriff qualifiziert.484 Würde jedoch jede – noch so entfernte, unvorhersehbare oder zufällige – Wirkung staatlichen Handelns auf grundrechtliche Freiheiten als Grundrechtseingriff qualifiziert, wären Konturenlosigkeit und Ausuferung des Eingriffsbegriffs die Folge; der Eingriffsbegriff verlöre seine Bedeutung.485 Insofern bedarf es auch im Hinblick auf Einschüchterungseffekte einer differenzierten Bewertung, inwiefern einschüchternde Wirkungen auf die Grundrechtsausübung dem Staat zurechenbar sind. Weder kann jede kausal durch staatliches Handeln verursachte Einschüchterung einen Grundrechtseingriff darstellen. Noch kann allgemein angenommen werden, den Staat treffe wegen des „Dazwischentretens“ des Grundrechtsträgers selbst für Beeinträchtigungen durch Einschüchterung überhaupt keine Verantwortung. Erforderlich ist vielmehr ein hinreichend enger Zusammenhang zwischen staatlicher Handlung und Beeinträchtigung des Grundrechtsträgers, der es rechtfertigt, die nachteiligen Auswirkungen der Verantwortung des Staates zuzurechnen.486 Insofern haben sich für die Frage der Zurechenbarkeit mittelbarer Beeinträchtigungen bestimmte Kriterien herausgebildet, welche auch für die Problematik von Einschüchterungseffekten Anwendung finden können. aa) Finale Verhaltensbeeinflussung Nach ganz überwiegender Auffassung reicht die Finalität des Staatshandelns aus, um auch bei faktischen und mittelbaren Beeinträchtigungen die Eingriffsqualität zu bejahen.487 Finale staatliche Maßnahmen lassen sich vergleichsweise unproblematisch als Eingriffe qualifizieren.488 Dies bedeutet vorliegend, dass grundsätzlich ein Eingriff durch Einschüchterungseffekte bejaht werden kann, wenn der Staat nachteilige Wirkungen auf den Freiheitsgebrauch durch Einschüchterung gezielt hervorruft.489 Davon geht auch das OVG Lüneburg in einer Entscheidung zu Gefährderansprachen aus. Demnach sei nicht jede Einwirkung auf die Willensentscheidung aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 und Art. 8 Abs. 1 GG als Grundrechtseingriff zu qualifizieren, maßgeblich sei, welche Wirkungen mit der Maßnahme erzielt werden sollten.490 Der Spielraum für die Willensentschließung könne aus Furcht vor polizeilichen Maßnahmen und Nachteilen so stark beeinflusst sein, dass der Betroffene keine Ent484 485 486 487 488 489 490

(537).

So wohl Roggan, NVwZ 2010, S. 1402 (1404). Kloepfer, Verfassungsrecht II, § 51 Rn. 32. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1 Rn. 25. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1 Rn. 29. Dreier, in: Dreier, GG I, Vorb. Rn. 126. So auch Assion, in: Telemedicus e.V., Überwachung und Recht, S. 31 (56). OVG Lüneburg, NJW 2006, S. 391 (392); vgl. Heintzen, VerwArch 81 (1990), S. 532

C. Grundrechtseingriffe durch Einschüchterungseffekte

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schließungsfreiheit mehr für die Ausübung seiner Versammlungs- und Meinungsfreiheit sehe.491 Die Gefährderansprache stelle daher einen Grundrechtseingriff dar, wenn sie gezielt und unmittelbar die Willensentschließungsfreiheit der (potenziellen) Versammlungsteilnehmer beeinträchtige.492 Kral betont insbesondere für die polizeiliche Videoüberwachung deren Charakter als Maßnahme der indirekten Verhaltenssteuerung.493 Entscheidend sei, ob die durch Einschüchterung erzeugte Verhaltensänderung bezweckt war.494 Bei der präventivpolizeilichen Videoüberwachung sei die einschüchternde Wirkungsweise gerade primäres Ziel der Maßnahme.495 Mit Blick auf Überwachungsmaßnahmen ist demnach maßgeblich, ob die Beobachtung und Registrierung der grundrechtlich geschützten Tätigkeit als solcher gilt oder ob diese nur „zufällig“ betroffen ist. So ist ein Eingriff beispielsweise zu bejahen, wenn es um die Überwachung gerade einer Versammlung als solcher oder der Teilnehmer gerade in dieser Eigenschaft geht.496 bb) Objektive Vorhersehbarkeit Während mit Blick auf mittelbare Beeinträchtigungen zunächst vornehmlich auf das Kriterium der Finalität abgehoben wurde, wurden später auch unbeabsichtigte, aber vorhersehbare und in Kauf genommene Nebenfolgen als Grundrechtseingriffe qualifiziert.497 Staatliches Verhalten stellt danach einen Grundrechtseingriff dar, wenn die beeinträchtigende Wirkung für den verantwortlichen Hoheitsträger im Zeitpunkt seines Handelns vorhersehbar war, wobei das objektiv vorhandene Wissen bzw. der Maßstab einer Durchschnittsperson maßgeblich ist.498 Die objektive Vor-

491

OVG Lüneburg, NJW 2006, S. 391 (392). OVG Lüneburg, NJW 2006, S. 391 (392); vorhergehend VG Göttingen, Urteil vom 27. Januar 2004 – 1 A 1014/02 –, juris, noch ohne Betonung des Finalitätskriteriums; a.A. etwa Rachor, in: Denninger/Rachor, HbPolR, Teil E Rn. 757, der insbesondere auf die Intensität des Appells abstellt. Zur Eingriffsqualität einer Gefährderansprache allgemein: Kießling, DVBl. 2012, S. 1210 (1211); Rachor, in: Denninger/Rachor, HbPolR, Teil E Rn. 754 ff., 757. 493 Kral, Polizeiliche Vorfeldbefugnisse, S. 82 ff. 494 Siehe Kral, Polizeiliche Vorfeldbefugnisse, S. 85, 89. 495 Kral, Polizeiliche Vorfeldbefugnisse, S. 89. 496 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 789; siehe bereits Bäumler, JZ 1986, S. 469 (471). 497 Vgl. BVerwGE 71, 183 (193 f.) – Transparenzliste; BVerwGE 82, 76 (79) – Transzendentale Meditation; Dreier, in: Dreier, GG I, Vorb. Rn. 127. Entstanden ist die Diskussion insbesondere im Zusammenhang mit staatlichen Warnungen, Empfehlungen und Hinweisen. Anders als im Fall von Einschüchterungseffekten liegt insofern ein mehrpoliges Verhältnis vor, in dem die Beeinträchtigung auf Verhaltensänderungen Dritter beruht. 498 Ausführlich Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 159 ff. (m.w.N.), der überzeugend darlegt, weshalb nicht das konkret verfügbare Wissen der verantwortlichen Person bzw. Behörde maßgebend sein kann. Nach Oermann/Staben, Der Staat 52 (2013), S. 630 (643 f. Fn. 59) kann 492

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Teil 3: Freiheit von Furcht im Grundgesetz

hersehbarkeit ist zu bejahen, wenn die Realisierung einer Grundrechtsbeeinträchtigung für den betroffenen Grundrechtsträger angesichts der staatlichen Handlung eine vernünftige Entscheidung darstellt.499 Dieses Kriterium – auch als Finalitätsäquivalent500 bezeichnet – wird insbesondere im Zusammenhang mit staatlichen Informationen und Warnungen herangezogen und kann auf den Fall von Einschüchterungseffekten übertragen werden. Die Wirkungsweise von Einschüchterungseffekten ist vergleichbar, da nachteilige Folgen für den Grundrechtsträger ebenfalls faktisch und mittelbar, nämlich vermittelt durch eine Reaktion auf staatliches Verhalten, entstehen. So nahm das OVG Münster mit Blick auf die Videobeobachtung einer Versammlung von etwa 40 bis 70 Teilnehmern an, der konkrete Einsatz der Kameraübertragung sei geeignet, bei den Versammlungsteilnehmern das Gefühl des Überwachtwerdens mit den damit verbundenen Einschüchterungseffekten auszulösen.501 Das Gericht stellt darauf ab, dass aufgrund der Videobeobachtung Bürger von der Teilnahme hätten abgeschreckt werden können.502 Auch sei bei dem konkreten Einsatz aus Sicht eines verständigen Teilnehmers zu befürchten gewesen, es könne jederzeit beabsichtigt oder versehentlich eine Aufnahme gemacht werden.503 Nachteilige Wirkungen durch Einschüchterungseffekte sind demnach dem Staat jedenfalls zurechenbar, wenn sie objektiv vorhersehbar sind und billigend in Kauf genommen wurden. Maßgeblich ist, ob die betreffende Maßnahme objektiv geeignet ist, einen verständigen Betroffenen einzuschüchtern und von der Ausübung der grundrechtlichen Freiheit abzuhalten oder ihn darin zu hemmen. cc) Nicht-finale Verhaltensbeeinflussung Einschüchterungswirkungen können jedoch auch als unbeabsichtigte und unerwünschte (Neben-)folgen eines auf andere Ziele gerichteten Staatshandelns entstehen.504 Insofern ist fraglich, ob und inwiefern auch nicht-finale Beeinträchtigungen durch Einschüchterungseffekte Grundrechtseingriffe darstellen können bzw. dem Staat zugerechnet werden können.

die Sicht des handelnden Staates nicht maßgeblich sein. Offen bleibt, ob das Kriterium der objektiven Vorhersehbarkeit grundsätzlich abgelehnt wird. 499 Ausführlich Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 162 f. 500 Dreier, in: Dreier, GG I, Vorb. Rn. 127; vgl. auch Eckhoff, Grundrechtseingriff, S. 246 f. 501 OVG Münster, DVBl. 2011, S. 175 (175); vorgehend bereits VG Münster, NWVBl. 2009, S. 487 (487 f.). 502 OVG Münster, DVBl. 2011, S. 175 (175) – Hervorhebung durch die Verfasserin. 503 OVG Münster, DVBl. 2011, S. 175 (175). 504 Vgl. Oermann/Staben, Der Staat 52 (2013), S. 630 (642, insbes. Fn. 53).

C. Grundrechtseingriffe durch Einschüchterungseffekte

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Nach vorherrschender Ansicht in Rechtsprechung und Literatur ist die Finalität der Maßnahme kein notwendiges Merkmal des Eingriffs.505 Überzeugend wird angenommen, für die Relevanz einer Beeinträchtigung grundrechtlicher Positionen könne es auf die Zielrichtung oder den Zweck staatlichen Handelns nicht ankommen.506 Schon dem Wortlaut des Grundgesetzes lasse sich keine derartige Einengung des Eingriffsbegriffs entnehmen.507 Auch mache es aus Sicht des betroffenen Grundrechtsträgers keinen Unterschied, ob eine Grundrechtsbeeinträchtigung beabsichtigt oder unbeabsichtigt herbeigeführt wurde.508 Zudem sei es wenig überzeugend, die Bewertung einer Maßnahme von der Vorstellung des handelnden Staates abhängig zu machen.509 Ein Grund, wieso hiervon im Fall von Einschüchterungseffekten abgewichen werden sollte, ist nicht ersichtlich.510 Auch hier ist die Finalität der Beeinträchtigung zwar grundsätzlich hinreichendes, nicht aber zwingendes Kriterium. Gleiches gilt im Wesentlichen für das einengende Kriterium der objektiven Vorhersehbarkeit. Ein Grundrechtseingriff durch Einschüchterungseffekte kommt somit auch bei nicht-finalen Beeinträchtigungen in Betracht. Wann insofern ein Grundrechtseingriff zu bejahen ist, lässt sich jedoch kaum allgemein, sondern nur mit Blick auf den Einzelfall beantworten. Maßgeblich ist, ob die nachteilige Wirkung durch Einschüchterungseffekte bei einer wertenden Betrachtung im Einzelfall dem Staat als Eingriff in den Freiheitsbereich des Betroffenen zuzurechnen ist.511 Sofern ein Grundrechtseingriff nicht bereits aufgrund der Zielsetzung der Maßnahme zu bejahen ist, kommt es insbesondere darauf an, inwiefern die betreffende Maßnahme in ihrer Wirkung mit einem klassischen Eingriff vergleichbar ist.512 Insofern können etwa die Erheblichkeit oder Intensität der Beeinträchtigung sowie die Länge der Kausalkette zwischen staatlichem Handeln und nachteiliger Wirkung relevant werden.513 Zu weitgehend ist es jedenfalls, dem Staat die Verantwortung auch für objektiv unvernünftige, fernliegende Reaktionen sowie bloß subjektiv empfundene

505 BVerfGE 66, 39 (60); Stern, Staatsrecht III/2, S. 128 ff.; Kloepfer, Verfassungsrecht II, § 51 Rn. 26; Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 153. 506 Ausführlich Stern, Staatsrecht III/2, S. 179 ff. 507 Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 153; Roth, Faktische Eingriffe, S. 231 f. 508 Deutlich Kloepfer, Verfassungsrecht II, § 51 Rn. 26. 509 Eingehend Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 155 m.w.N.; Oermann/Staben, Der Staat 52 (2013), S. 630 (643 f., Fn. 59). 510 So auch Oermann/Staben, Der Staat 52 (2013), S. 630 (642). 511 Vgl. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 (2001), Rn. 49; Oermann/Staben, Der Staat 52 (2013), S. 630 (640, 643) sieht dies mit Blick auf Einschüchterungseffekte bei einer geschlossenen Kausalkette als unproblematisch an. 512 Nach BVerfGE 116, 202 (222); 105, 252 (273); 110, 177 (191) ist entscheidend, ob Maßnahmen „in der Zielsetzung und ihren Wirkungen“ klassischen Eingriffen gleichkommen; siehe auch Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1 Rn. 29. 513 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1 Rn. 29.

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Teil 3: Freiheit von Furcht im Grundgesetz

Einschüchterungen des Grundrechtsträgers aufzuerlegen.514 Festzuhalten bleibt, dass auch nicht-finale Maßnahmen aufgrund von Einschüchterungseffekten auf grundrechtliche Freiheiten grundsätzlich als Grundrechtseingriffe qualifiziert werden können.515 c) Zurechnungsunterbrechung bei freiwilliger Selbstbeeinträchtigung Mit Blick auf die Zurechnung stellt sich im Falle von Einschüchterungseffekten ein weiteres Problem. Einschüchterungseffekte zeichnen sich gerade dadurch aus, dass nachteilige Wirkungen auf den Freiheitsgebrauch nicht unmittelbar durch staatlichen Zwang bewirkt werden, sondern dass der Betroffene selbst aufgrund von Einschüchterung sein Verhalten anpasst, ändert oder bestimmte Verhaltensweisen unterlässt.516 Auch wenn sich die einschüchternden Wirkungen kausal auf staatliches Handeln zurückführen lassen, beruht die Nicht-Ausübung grundrechtlicher Freiheiten dabei letztlich auf einem Willensentschluss des Grundrechtsträgers selbst. Hier stellt sich die Frage, ob der Staat verantwortlich sein kann, wenn ein Grundrechtsträger selbst auf die Ausübung seiner grundrechtlichen Freiheiten verzichtet. Inwiefern kann dem Staat eine von ihm (mit-)verursachte Reaktion des Betroffenen zugerechnet werden?517 Einschüchterungseffekte können – wie bereits dargestellt – als Problem mittelbarer Selbstbeeinträchtigung betrachtet werden.518 Hierbei überschneiden sich die Verantwortlichkeitssphären des Staates und des Grundrechtsträgers. Für die Frage, ob eine zurechenbare Grundrechtsbeeinträchtigung vorliegt, ist somit zwischen der Verantwortlichkeit des Staates und des Betroffenen selbst abzugrenzen.519 Insofern erlangt die Frage nach einer Zurechnungsunterbrechung zentrale Bedeutung. aa) Freie Willensentscheidung des Grundrechtsträgers Veranlasst ein staatliches Handeln den Grundrechtsträger dazu, bestehende grundrechtliche Freiheiten nicht auszuüben, kann mit Rücksicht auf die Selbstbestimmung des Grundrechtsträgers eine Zurechnung zum Staat zu verneinen sein.520 Nach überzeugender Ansicht unterbricht die freie Willensentscheidung des Grundrechtsträgers den Zurechnungszusammenhang zur Staatsgewalt.521 So ist der Staat grundsätzlich nicht für Grundrechtsbeeinträchtigungen verantwortlich, welche 514 Siehe Sachs, JuS 1995, S. 303 (307). Zur „subjektiven“ Eingriffsbestimmung bereits oben Teil 3 C. II. 1. 515 So im Ergebnis auch Oermann/Staben, Der Staat 52 (2013), S. 630 (642). 516 Assion, in: Telemedicus e.V., Überwachung und Recht, S. 31 (34). 517 Vgl. Stern, Staatsrecht III/2, S. 186. 518 Siehe zur Einordnung als mittelbare Selbstbeeinträchtigungen bereits Teil 3 C. II. 2. b). 519 Assion, in: Telemedicus e.V., Überwachung und Recht, S. 31 (53 f.). 520 Sachs, JuS 1995, S. 303 (306). 521 Sachs, JuS 1995, S. 303 (306); Bethge, VVDStRL 57 (1998), S. 7 (44).

C. Grundrechtseingriffe durch Einschüchterungseffekte

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der Grundrechtsträger selbst durch faktisches Tun herbeiführt oder abzuwenden unterlässt.522 Dabei ist die bloße Nichtausübung von Grundrechten freilich nicht mit der Figur des rechtlich bindenden Grundrechtsverzichts gleichzusetzen.523 Dass der Staat für selbstbestimmte Handlungen des Bürgers nicht verantwortlich ist, ergibt sich bereits aus dem Charakter der Freiheitsrechte.524 Die Grundrechte schützen nicht einen bestimmten Freiheitsgebrauch, sondern eine beliebige Ausübung. Davon umfasst ist grundsätzlich auch, grundrechtliche Freiheiten nicht oder nur teilweise wahrzunehmen. Kein Bürger ist gezwungen, an einer Versammlung teilzunehmen oder seine Meinung offen zu äußern. Ebenso steht es jedem frei, welchen Weg durch die Stadt er wählt, ob er ein Fußballspiel besucht oder welches Kommunikationsmittel er für vertrauliche Informationen verwendet. Ferner ist es dem Einzelnen unbenommen, etwaige Sanktionsrisiken in seinem Entscheidungsprozess einzubeziehen. Kurz: Grundrechtsträger können grundsätzlich ihr gesamtes Verhalten beliebig gestalten, ändern oder anpassen, ohne dass sie ihre Entscheidung rechtfertigen müssen; insofern liegt selbst eine grundrechtsgeschützte Freiheitsbetätigung vor. Für die Frage der staatlichen Verantwortlichkeit kommt es im Falle von Selbstbeeinträchtigungen daher entscheidend darauf an, ob das Verhalten des Grundrechtsträgers auf einer freien Willensentscheidung beruht. Anders gewendet ist maßgeblich, ob das kausale Staatshandeln die freie Willensentscheidung des Grundrechtsträgers unberührt lässt.525 Diese Grundsätze finden nach hier vertretener Auffassung auch auf die Problematik von Einschüchterungseffekten Anwendung: Durch einschüchternde Maßnahmen schafft der Staat eine Rahmenbedingung oder Situation, in der der Betroffene sich grundsätzlich selbst dazu entscheidet, sein Verhalten anzupassen und bestehende Freiheiten nicht wahrzunehmen. Sofern sich die Nicht-Ausübung von Grundrechten aufgrund von Einschüchterungseffekten als eigene Freiheitswahrnehmung des Grundrechtsträgers darstellt, kann der Staat hierfür nicht verantwortlich gemacht werden.526 Insoweit überlagert die Selbstbestimmung des Grundrechtsträgers die staatliche Verantwortlichkeit, sodass der Zurechnungszusammenhang zwischen staatlichem Handeln und Beeinträchtigung unterbrochen 522

Stern, Staatsrecht III/2, S. 203. So zutreffend auch Bethge, VVDStRL 57 (1998), S. 7 (44) Stern, Staatsrecht III/2, S. 203; Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 152 ff.; Dreier, in: Dreier, GG I, Vorb. Rn. 129 ff.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1 Rn. 35 f. Insofern ist es zumindest missverständlich, wenn im Zusammenhang mit Einschüchterungseffekten ein Grundrechtsverzicht diskutiert wird, vgl. etwa Hasse, ThürVBl. 2000, S. 169 (171). 524 Vgl. Stern, Staatsrecht III/2, S. 203. Wenig überzeugend ist es daher, wenn Eckhoff annimmt, die wertende Zuordnung des Beeinträchtigungserfolges zur Eigenverantwortung des Beeinträchtigten müsse wegen Art. 1 Abs. 3 GG die Ausnahme bleiben, siehe Eckhoff, Grundrechtseingriff, S. 286. 525 Stern, Staatsrecht III/2, S. 203. 526 Assion, in: Telemedicus e.V., Überwachung und Recht, S. 31 (54 f.). 523

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Teil 3: Freiheit von Furcht im Grundgesetz

ist.527 Teilweise wird angenommen, die Selbstverantwortung des Grundrechtsträgers überlagere eine staatliche Verantwortung selbst dann, wenn der Staat das Verhalten des Betroffenen final gesteuert habe.528 Die Unterbrechung der Zurechenbarkeit kann jedenfalls nur angenommen werden, soweit sich das durch Einschüchterung verursachte Handeln bzw. Nichthandeln des Grundrechtsträgers tatsächlich (noch) als eigenverantwortlich darstellt. Ist die Beeinträchtigung hingegen nicht von einer freien Willensentscheidung getragen, ist die Zurechenbarkeit der Beeinträchtigung zum Staat gegeben, mithin der Staat nach oben genannten Grundsätzen für die Beeinträchtigung verantwortlich. bb) Abgrenzungen im Einzelfall Im Einzelnen kann es freilich schwierig sein zu bestimmen, inwiefern (noch) von einer Eigenverantwortlichkeit des Grundrechtsträgers ausgegangen werden kann. Teilweise wird angenommen, Eigenverantwortlichkeit sei lediglich in Fällen von Zwang, Täuschung, Drohung oder Erschleichung auszuschließen.529 Eine Verantwortlichkeit des Staates lediglich anzunehmen, sofern der Grundrechtsträger gezwungen, getäuscht oder bedroht wurde, ist jedoch als zu eng abzulehnen. Auch außerhalb der genannten Fallgruppen können die mit einer staatlichen Maßnahme verbundenen Einschüchterungseffekte in ihren Wirkungen auf grundrechtliche Freiheiten klassischen Eingriffen gleichkommen. Vielmehr ist aufgrund der Vielgestaltigkeit einschüchternder Maßnahmen und der komplexen Wirkungsweise auf die Entscheidung des Betroffenen eine allgemein-gültige Beurteilung kaum möglich. Erforderlich ist eine wertende Betrachtung im Einzelfall, ob sich die nachteilige Wirkung auf die Freiheitsausübung der Verantwortlichkeit des Staates zuordnen lässt.530 Maßgeblich ist, ob aufgrund von Einschüchterungseffekten (noch) von einem freien Willensentschluss des Betroffenen ausgegangen werden kann oder ob die nachteiligen Wirkungen normativ dem Staat zuzurechnen sind. Anders gewendet kommt es entscheidend darauf an, ob von der staatlichen Handlung derartige Einschüchterungseffekte ausgehen, dass das Verhalten des betroffenen Bürgers nicht mehr als eigenverantwortlich angesehen werden kann.531 In diese Richtung geht es auch, wenn die Rechtsprechung im Zusammenhang mit Gefährderansprachen darauf abstellt, ob der Spielraum für die Willensentschließung aus Furcht so stark beeinflusst ist, dass der Grundrechtsträger keine Entschließungsfreiheit mehr für die 527

Vgl. Stern, Staatsrecht III/2, S. 203. So Stern, Staatsrecht III/2, S. 203 f.; zustimmend Sachs, JuS 1995, S. 303 (307). 529 So Stern, Staatsrecht III/2, S. 913, der insofern auf die Kriterien für einen wirksamen Grundrechtsverzicht zurückgreift; a.A. Hasse, ThürVBl. 2000, S. 169 (171 f.). 530 Assion, in: Telemedicus e.V., Überwachung und Recht, S. 31 (52 ff.); vgl. auch Sachs, in: Sachs, GG, Vor Art. 1 Rn. 88 ff. 531 Assion, in: Telemedicus e.V., Überwachung und Recht, S. 31 (54 ff.). Ähnlich für die Videoüberwachung des öffentlichen Raumes Hasse, ThürVBl. 2000, S. 169 (171 f.). 528

C. Grundrechtseingriffe durch Einschüchterungseffekte

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Ausübung seiner Grundrechte sieht.532 Entscheidend ist, ob im Einzelfall trotz der Einschüchterung durch die betreffende Maßnahme noch von einer freien Willensentscheidung des Grundrechtsträgers ausgegangen werden kann. Ist dies der Fall, unterbricht das für die Eingriffswirkung mitursächliche Verhalten des Grundrechtsträgers den Zurechnungszusammenhang. Dabei können bei der Bewertung im Einzelfall unterschiedliche Aspekte Berücksichtigung finden. Zunächst kann die Ausgestaltung der konkreten Maßnahme relevant sein, wobei entscheidend sein dürfte, wie sich das staatliche Handeln für den Betroffenen bzw. einen objektiven Dritten vernünftigerweise darstellt. Weiterhin ist einzubeziehen, welche Nachteile aufgrund der Maßnahme drohen oder zumindest nicht ohne Grund befürchtet werden. Je größer die Unvorhersehbarkeit und Schwere etwaiger nachteiliger Folgen sind, desto höher ist der mit einer Maßnahme verbundene psychische Druck auf den Betroffenen. Umgekehrt können zumutbare Möglichkeiten befürchtete Nachteile abzuwenden etwaige Einschüchterungswirkungen abschwächen. Neben den genannten Aspekten, die an die staatliche Handlung als solche anknüpfen, ist der im Einzelfall nachteilig betroffene Freiheitsbereich relevant. Maßnahmen, die grundrechtssensible Bereiche wie die Versammlungsfreiheit oder Meinungsfreiheit betreffen, dürften die Eingriffsschwelle eher überschreiten, als solche, welche lediglich die allgemeine Handlungsfreiheit berühren. Entscheidend ist auch, ob die nachteilig betroffene Aktivität wesentlich für die Grundrechtsausübung ist. Zur Veranschaulichung kann das Beispiel einer Videoüberwachung bei einer Versammlung dienen. Das VG Münster hielt bei einer deutlich sichtbaren Kameraüberwachung, die von einem vorausfahrenden Überwachungswagen bei einer Kleinversammlung (ca. 40 Teilnehmer) erfolgte, Einschüchterungswirkungen für plausibel und bejahte eine Grundrechtsbeeinträchtigung.533 Die Kamerapräsenz wirke einschüchternd, da aufgrund der Größe der Veranstaltung eine nichtüberwachende, rein koordinierende Nutzung der Übersichtsaufnahmen ausscheide.534 Dem folgend bejahte auch das VG Berlin für die Videobeobachtung einer Versammlung aufgrund der Einschüchterungswirkungen die Eingriffsqualität der Maßnahme.535 Es entstehe ein Gefühl des Beobachtetwerdens, das den einzelnen Versammlungsteilnehmer ungewollt einschüchtern und zu bestimmten Verhaltensweisen, bis hin zur Nichtteilnahme an der Versammlung, veranlassen könne.536

532 OVG Lüneburg, NJW 2006, S. 391 (392); vorausgehend VG Göttingen, Urteil vom 27. Januar 2004 – 1 A 1014/02 –, juris. 533 VG Münster, NWVBl. 2009, S. 487 (487 f.); bestätigt durch OVG Münster, DVBl. 2011, S. 175 (175 f.); siehe auch Waldhoff, JuS 2011, S. 479 (480). 534 Söllner, DVBl. 2010, S. 1248 (1249) – Anmerkung zum Urteil des VG Berlin, DVBl. 2010, S. 1245 (1245 ff.). 535 VG Berlin, DVBl. 2010, S. 1245 (1245 ff.). 536 VG Berlin, DVBl. 2010, S. 1245 (1245 f.).

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Teil 3: Freiheit von Furcht im Grundgesetz

Die Argumentation des VG Münster kann weitgehend überzeugen.537 Bei der Annahme eines Grundrechtseingriffs aufgrund von Einschüchterungseffekten ist eine differenzierte Sichtweise erforderlich. Dies wird bei näherer Betrachtung der genannten Entscheidungen deutlich. Während das VG Münster über einen Einsatz von Videokameras bei einer Kleinversammlung (ca. 40 Teilnehmer) zu entscheiden hatte, betraf die Entscheidung des VG Berlin die Zulässigkeit von Übersichtsaufnahmen bei einer Großdemonstration (ca. 25 000 Teilnehmer).538 Nach Ansicht Söllners seien Einschüchterungswirkungen hier indes nicht plausibel.539 Anders als bei kleinen Veranstaltungen seien bei Großdemonstrationen Übersichtsaufnahmen regelmäßig zur Koordinierung der Polizeikräfte erforderlich oder zumindest denkbar; die Videoüberwachung stelle insofern eine maßvolle, nachvollziehbare Maßnahme dar.540 Ein Grundrechtseingriff sei demnach abzulehnen; es liege vielmehr lediglich eine subjektive Belastung vor, welche die Eingriffsschwelle nicht überschreite.541 Dem ist insofern zuzustimmen, als dass die Entstehung von Einschüchterungswirkungen im konkreten Einzelfall zu bewerten ist. Für die Beurteilung der entstehenden Einschüchterungseffekte und des Anpassungsdrucks sind insbesondere die konkrete Ausgestaltung der Videoüberwachung, die Größe der Versammlung sowie Anzahl, Positionierung und Sichtbarkeit der Kameras maßgeblich. Während bei einem zurückhaltenden Einsatz von Videoüberwachungsmaßnahmen bei Großveranstaltungen der psychische Druck auf den einzelnen Teilnehmer überschaubar bleibt, kann die massive Kameraüberwachung einer kleinen Versammlung spürbare Einschüchterungseffekte entfalten, die in ihrer Wirkung mit einem klassischen Eingriff vergleichbar sind. Ähnliches gilt mit Blick auf die Videoüberwachung des öffentlichen Raumes. Ob diese eine faktische Beeinträchtigung der allgemeinen Handlungsfreiheit darstellt, wird unterschiedlich beurteilt und ist bislang nicht abschließend geklärt.542 Zutreffend dürfte es sein, anhand einer normativen Bewertung im Einzelfall, festzustellen, ob von der Maßnahme derartige Einschüchterungswirkungen ausgehen, die die Annahme eines Grundrechtseingriffs rechtfertigen. Ob die Schwelle zum Grund537 Zustimmend auch Söllner, DVBl. 2010, S. 1248 (1248 ff.); Koranyi/Singelnstein, NJW 2011, S. 124 (124 ff.). 538 Überzeugend und differenziert Söllner, DVBl. 2010, S. 1248 (1249 f.). 539 Söllner, DVBl. 2010, S. 1248 (1249 f.). 540 Söllner, DVBl. 2010, S. 1248 (1250), wobei die Unterscheidung zwischen Fragen der Eingriffsbestimmung und verfassungsrechtlichen Rechtfertigung nicht immer trennscharf gelingt. 541 Söllner, DVBl. 2010, S. 1248 (1250); Waldhoff, JuS 2011, S. 479 (480). 542 In diese Richtung tendiert wohl A. Schmitt Glaeser, BayVBl. 2002, S. 584 (584 ff., insbes. 587); differenziert Schewe, NWVBl. 2004, S. 415 (417); siehe auch Dolderer, NVwZ 2001, S. 130 (131 f.). Ob daneben aufgrund der Erhebung personenbezogener Daten (auch) ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung vorliegen kann, ist nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit und kann daher offen bleiben.

C. Grundrechtseingriffe durch Einschüchterungseffekte

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rechtseingriff überschritten ist, soll nach Schewe im Einzelfall von Umfang und Ort der Videoüberwachung abhängig sein: Jedenfalls wenn eine unbeobachtete Fortbewegung im Innenstadtbereich nicht mehr möglich ist, oder wenn Orte videoüberwacht werden, die für die Ausübung politischer Grundrechte von großer Bedeutung sind, sei ein Eingriff anzunehmen.543 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Dolderer, der von einer Beeinträchtigung der allgemeinen Handlungsfreiheit jedenfalls dann ausgeht, wenn sich die Videoüberwachung nicht auf bestimmte Bereiche konzentriert (etwa Kriminalitätsschwerpunkte), sondern strategisch im gesamten sicherheitsrechtlich interessanten öffentlichen Raum eingesetzt wird.544 Bei den genannten Aspekten handelt es sich freilich nur um einzelne Anhaltspunkte, die im Rahmen einer wertenden Betrachtung einbezogen werden können. Jedenfalls ist eine Verantwortlichkeit des Staates für Einschüchterungswirkungen nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil der Betroffene von der staatlichen Maßnahme Kenntnis hat und sich dieser bewusst aussetzt. Das Unterlassen eines ausdrücklichen Protests, kann nicht stets mit einem Einverständnis gleichgesetzt werden.545 Denkbar sind Fälle, in denen sich Personen einer Videoüberwachung nur widerwillig aussetzen, da sie beispielsweise den betroffenen öffentlichen Platz auf dem täglichen Weg zur Arbeit überqueren müssen. Gleiches gilt, wenn jemand trotz Kenntnis einer Überwachung an einer Versammlung teilnimmt und es „lediglich“ unterlässt, in besonderer Weise auf sich und sein Anliegen aufmerksam zu machen, etwa durch eine Rede oder Plakate. Ähnlich ist es zu bewerten, wenn ein Grundrechtsträger aufgrund der Unsicherheit über drohende (Haftungs-)Risiken von bestimmten Verhaltensweisen Abstand nimmt. In diesen Fällen kann von einer freiwilligen Nicht-Ausübung bzw. freiwilligen Selbstbeeinträchtigung kaum die Rede sein. Festzuhalten bleibt, dass der Staat für autonomes Handeln des Bürgers – auch wenn dieses in der Nicht-Ausübung von Grundrechten besteht – grundsätzlich nicht verantwortlich ist. Während eine eigenverantwortliche Handlung des Bürgers den Zurechnungszusammenhang unterbricht, ist der Staat umgekehrt für Einschüchterungswirkungen verantwortlich, wenn sich die Beeinträchtigung nicht mehr als freiwillige Handlung bzw. Entscheidung des Grundrechtsträgers darstellt. Wann dies der Fall ist, muss aufgrund einer wertenden Betrachtung des Einzelfalls bestimmt werden.

543 Nach Schewe, NWVBl. 2004, S. 415 (417) sei in diesen Fällen die „Schwelle zum Eingriff jedenfalls […] überschritten“. 544 Dolderer, NVwZ 2001, S. 130 (132). 545 Siehe BVerfG-K, NVwZ 2007, S. 688 (690); VGH Mannheim, NVwZ 2004, S. 498 (450); ferner Saurer, DÖV 2008, S. 17 (19); zustimmend Hasse, ThürVBl. 2000, S. 169 (171); anders noch VGH München, Entscheidung vom 3. 4. 2006 – 24 ZB 06.05 –, juris, wonach es dem Betroffenen zumutbar sei, die Beeinträchtigung durch eigenes Verhalten auszuschließen.

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Teil 3: Freiheit von Furcht im Grundgesetz

4. Erheblichkeitsschwelle Um eine Ausuferung des Eingriffsbegriffs zu vermeiden, wird verschiedentlich gefordert, nur solche Maßnahmen als Eingriffe zu qualifizieren, die eine gewisse Erheblichkeitsschwelle überschreiten.546 Insofern ist auch von einem Bagatellvorbehalt, einer Bagatell- oder Geringfügigkeitsgrenze die Rede.547 Nach überzeugender Auffassung bieten Grundrechte keinen Schutz vor nur geringfügigen Bagatellen, vor bloßen Belästigungen oder rein subjektiven Empfindlichkeiten.548 Da ansonsten jedes beliebige staatliche Handeln als Eingriff zu qualifizieren wäre, ist eine Bagatellgrenze für den Grundrechtsschutz zu bejahen, unterhalb derer eine Grundrechtsrelevanz ausscheidet.549 Darüber hinaus ist für die Annahme eines Grundrechtseingriffs ein besonderer Intensitätsgrad der Belastung, ein besonders schwerwiegendes Betroffensein des Grundrechtsträgers jedoch grundsätzlich nicht erforderlich.550 Der abwehrrechtliche Grundrechtsschutz kann nicht davon abhängig gemacht werden, ob die Belastung des Grundrechtsträgers besonders schwerwiegend ist. Es besteht kein Grund, jemandem, der durch die gleiche Maßnahme weniger schwer belastet wird, Grundrechtschutz vorzuenthalten.551 Sofern eine Maßnahme nur eine geringe Belastungsschwere aufweist, wirkt sich dies nicht auf die Annahme eines Eingriffs, sondern erst im Rahmen der Rechtfertigung aus.552 Auch mit Blick auf die Problematik von Einschüchterungseffekten wird zur Begründung eines Grundrechtseingriffs teilweise mit der Erheblichkeit der Beeinträchtigung argumentiert.553 Nach dem Vorgesagten gilt, dass auch einschüchternde Maßnahmen eine gewisse (schutzbereichsabhängige) Erheblichkeitsschwelle überschreiten müssen, um überhaupt als Eingriffe qualifiziert zu werden. Völlig geringfügige, bagatellhafte Einwirkungen durch Einschüchterung sind nicht grundrechtsrelevant. Jedoch sind umgekehrt nicht nur besonders schwerwiegende Einschüchterungen als Grundrechtseingriffe zu qualifizieren. Sofern das Bundesverfassungsgericht von „exzessiven Observationen und Registrierungen“554 spricht, ist

546

Kloepfer, Verfassungsrecht II, § 51 Rn. 35. Vgl. Peine, in: Merten/Papier, HGR III, § 57 Rn. 49 sowie Eckhoff, Grundrechtseingriff, S. 255 m.w.N. 548 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 268. 549 Eckhoff, Grundrechtseingriff, S. 255 ff.; Kloepfer, Verfassungsrecht II, § 51 Rn. 35 f.; a.A.: Stern, Staatsrecht III/2, 204 ff.; Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S. 88, 149. 550 Vgl. Eckhoff, Grundrechtseingriff, S. 261 ff. m.w.N. 551 Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 156. 552 Vgl. Murswiek, DVBl. 1997, S. 1021 (1023) zu Lenkungsabgaben. 553 So etwa Oermann/Staben, Der Staat 52 (2013), S. 630 (644 ff.). 554 Siehe nur BVerfGE 69, 315 (349) – Brokdorf. 547

C. Grundrechtseingriffe durch Einschüchterungseffekte

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davon auszugehen, dass es die Grenze der Verfassungswidrigkeit, nicht aber des Schutzbereichs markieren will.555 Die Frage, wie zwischen bloß geringfügigen Lästigkeiten und grundrechtsrelevanten Beeinträchtigungen abzugrenzen ist, ist freilich schwierig und kaum allgemein zu beantworten.556 Jedenfalls darf die Annahme einer Bagatellgrenze nicht dazu führen, dass psychisch vermittelte Wirkungen auf die Grundrechtsausübung tendenziell als geringfügig eingeschätzt werden und einschüchternde Maßnahmen auf diese Weise unter die Bagatellgrenze gedrückt werden.557

III. Zwischenergebnis Sofern staatliches Verhalten begründete Furcht verursacht und so zu Verhaltensanpassungen und Hemmungen in der Grundrechtsausübung führt, kann dies einen Grundrechtseingriff in die jeweils nachteilig betroffene Verhaltensfreiheit begründen. 1. Leistungsfähigkeit der modernen Eingriffsdogmatik Es hat sich gezeigt, dass die moderne Eingriffsdogmatik grundsätzlich geeignet ist, die Problematik einschüchternder Wirkungen auf die Grundrechtsausübung zu erfassen. Daher bedarf es – anders als teilweise angenommen oder zumindest suggeriert – keiner Erweiterung oder Subjektivierung des Eingriffsbegriffs. Ausgehend vom modernen Eingriffsbegriff kann ein Grundrechtseingriff durch Einschüchterungseffekte angenommen werden, sofern der Staat zurechenbar Einschüchterungseffekte verursacht und so die Ausübung grundrechtlicher Freiheiten beeinträchtigt.558 Sofern ein Grundrecht auch die innere Entschlussfreiheit, das Grundrecht auszuüben, schützt, liegt eine Beeinträchtigung vor, wenn eine einschüchternde Maßnahme zurechenbar bewirkt, dass der Betroffene auf seine Grundrechtsausübung verzichtet.559 Dabei ist nach hier vertretener Auffassung ein Eingriff jedenfalls zu bejahen, wenn die staatliche Handlung die Einschüchterungswirkung bezweckt oder zumindest im Einzelfall objektiv geeignet ist, Einschüchterungseffekte zu generieren und so auf das Verhalten des Betroffenen zu wirken. Darüber hinaus können auch 555

Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, § 1 Rn. 83; siehe auch Kniesel, NJW 1992, S. 857 (860); Höfling, in: Sachs, GG, Art. 8 Rn. 57; Kloepfer, Verfassungsrecht II, § 63 Rn. 46; Hoffmann-Riem, in: Merten/Papier, HGR IV, § 106 Rn. 31; ferner bereits Alberts, NVwZ 1989, S. 839 (839). 556 Peine, in: Merten/Papier, HGR III, § 57 Rn. 49. 557 Vgl. zu den Gefahren eines Bagatellvorbehalts allgemein Peine, in: Merten/Papier, HGR III, § 57 Rn. 49. 558 Neskovic/Uhlig, NVwZ 2014, S. 335 (337). 559 Für die Versammlungsfreiheit: Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 789; Hoffmann-Riem, in: Merten/Papier, HGR IV, § 106 Rn. 31.

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Teil 3: Freiheit von Furcht im Grundgesetz

nicht-finale Maßnahmen im Einzelfall wegen der von ihnen ausgehenden Einschüchterungseffekte als Grundrechtseingriffe zu qualifizieren sein. Aufgrund der besonderen Wirkungsweise von Einschüchterungseffekten ist ein Eingriff jedoch regelmäßig ausgeschlossen, sofern der Beeinträchtigungserfolg nicht der Verantwortung des Staates, sondern der Eigenverantwortlichkeit des Grundrechtsträgers zuzuordnen ist. Verzichtet der Grundrechtsträger freiwillig auf die Ausübung grundrechtlicher Freiheiten, unterbricht dies die Zurechnung zur staatlichen Verantwortung und schließt die Annahme eines Eingriffs aus. Insofern stellt sich die Frage nach einem Grundrechtseingriff durch Einschüchterungseffekte als Abgrenzung zwischen staatlicher Verantwortlichkeit für mittelbare Selbstbeeinträchtigungen und der Eigenverantwortlichkeit des Grundrechtsträgers dar. Maßgeblich ist, ob durch die Einschüchterung der Spielraum für die Willensentschließung des Betroffenen derart stark beeinflusst ist, dass dem Staat die mittelbare Selbstbeeinträchtigung zuzurechnen ist. Dies ist aufgrund einer wertenden Betrachtung im Einzelfall zu bestimmen. Erneut betont werden soll, dass ein Eingriff durch Einschüchterungseffekte nur mit Blick auf das jeweils nachteilig betroffene Freiheitsrecht in Betracht kommt.560 Eine einschüchternde Maßnahme kann sich unter den oben genannten Voraussetzungen als Beeinträchtigung des Freiheitsrechts darstellen, dessen Ausübung gehemmt oder verhindert wird.561 Diese Konzeption entspricht auch der Dogmatik anderer mittelbar wirkenden Beeinträchtigungen, wie staatlichen Warnungen und Informationstätigkeiten oder (Lenkungs-)Steuern. 2. Begrenzter Anwendungsbereich Ungeachtet der schwierigen Abgrenzung im Einzelfall dürfte die Figur des Einschüchterungseingriffs nur in engem Umfang Bedeutung erlangen. Obwohl nach hier vertretener Auffassung Einschüchterungseffekte grundsätzlich geeignet sind, Grundrechtseingriffe zu begründen, ist die praktische Relevanz auf wenige Konstellationen begrenzt.562 Zum einen dürfte in vielen Fällen ein Grundrechtseingriff bereits aus anderen Gründen zu bejahen sein, sodass eine Argumentation mit der einschüchternden Wirkung der betreffenden Maßnahme nicht erforderlich ist. Dies gilt insbesondere für einschüchternde Maßnahmen, die bereits die Merkmale eines klassischen Ein560

Ausführlich bereits oben in Teil 3 B. III. 1. Hong, in: Rensen/Brink, Linien der Rechtsprechung des BVerfG I, S. 155 (161): „Die Kennzeichenerfassung kann sich […] als funktionales Äquivalent eines grundrechtlichen Eingriffs in andere grundrechtliche Freiheiten darstellen. Wird etwa die Teilnahme an Versammlungen oder die Beteiligung an einer Bürgerinitiative gezielt notiert, so kann dies verhaltenssteuernde Wirkung entfalten und die ausgeübten Kommunikationsfreiheiten als eingriffsgleiche Maßnahme betreffen.“ – Hervorhebungen durch die Verfasserin. 562 Held, Intelligente Videoüberwachung, S. 108. 561

D. Einschüchterungseffekte als Faktor der Eingriffsintensität

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griffs erfüllen. Zum anderen sind nur wenige Konstellationen denkbar, in denen von einer staatlichen Maßnahme derartige einschüchternde Wirkungen auf die Grundrechtsausübung ausgehen, dass eine Beeinträchtigung der jeweils nachteilig betroffenen Verhaltensfreiheit festgestellt werden kann. Insofern ist erneut hervorzuheben, dass für die Annahme eines Grundrechtseingriffs konkrete Einschüchterungseffekte auf bestimmte grundrechtlich geschützte Verhaltensweisen erforderlich sind. Nachteilige Wirkungen durch allgemeine Einschüchterungseffekte auf die generelle Grundrechtsausübung reichen hingegen nicht aus. Nicht Gegenstand dieser Arbeit ist die weitergehende Frage, welche Konsequenzen aus der Annahme einer Grundrechtsbeeinträchtigung durch Einschüchterungseffekten folgen. Was bedeutet es für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer staatlichen Handlung, sofern im Einzelfall aufgrund von Einschüchterungseffekten ein Eingriff in das nachteilig betroffene Freiheitsrecht angenommen wird? Zu beachten ist, dass die Bejahung eines Eingriffs nur die Beeinträchtigung des Schutzbereichs bedeutet, nicht dessen Verletzung. Diese liegt erst vor, wenn die betreffende staatliche Maßnahme nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt, die das Grundgesetz an Eingriffe solcher Art stellt. Zur Feststellung, ob eine Grundrechtsverletzung vorliegt, bedarf es der weiteren Prüfung insbesondere des (qualifizierten) Vorbehalts des Gesetzes und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.563

D. Einschüchterungseffekte als Faktor der Eingriffsintensität Nach der Untersuchung einer Eingriffsbegründung durch Einschüchterungseffekte soll der Einfluss von Einschüchterungseffekten auf die Intensität einer Beeinträchtigung in den Blick genommen werden. Anders als im vorherigen Abschnitt steht damit nicht die Frage im Fokus, ob ein Eingriff vorliegt, sondern wie die Beeinträchtigung zu bewerten ist. Auch im Zusammenhang mit der Eingriffsintensität wird ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verschiedentlich mit einschüchternden Wirkungen argumentiert. Einschüchterungseffekte sollen nicht nur das Vorliegen eines Eingriffs begründen können, sondern zumindest auch Orientierung über dessen Intensität geben.564 Hinsichtlich der Frage, anhand welcher Kriterien ein Eingriff als schwerwiegend einzustufen ist, ist noch vieles offen.565 Die Untersuchung konzentriert sich im Folgenden auf den Aspekt der einschüchternden Wirkung als mögliches Kriterium. Um die Relevanz der Fragestellung für die Grundrechtsprüfung zu verdeutlichen, 563

Die Frage der verfassungsrechtlichen Anforderungen an sog. Einschüchterungseingriffe ist nicht mehr Gegenstand dieser Arbeit. 564 So Schwabenbauer, Heimliche Grundrechtseingriffe, S. 149. 565 Allgemein zu Faktoren, die die Eingriffsintensität erhöhen können, vgl. Nettesheim, VVDStRL 70 (2011), S. 7 (24).

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Teil 3: Freiheit von Furcht im Grundgesetz

wird zunächst die dogmatische Bedeutung der Eingriffsintensität allgemein in den Blick genommen (I.). Anschließend ist die Frage zu beantworten, ob von einer Maßnahme ausgehende Einschüchterungseffekte eine erhöhte Schwere des Eingriffs begründen können (II.).

I. Eingriffsintensität und Grundrechtsschutz Es ist allgemein anerkannt, dass der Intensität einer Beeinträchtigung für den Grundrechtsschutz Bedeutung zukommen kann.566 Dabei bezeichnet die Eingriffsintensität – oder auch Eingriffsschwere – allgemein das Ausmaß der durch einen staatlichen Akt bewirkten Minderung grundrechtlicher Freiheiten oder Güter.567 1. Anforderungen an die Zulässigkeit von Grundrechtseingriffen, insbes. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Die Intensität eines Eingriffs hat Einfluss auf die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die betreffende Maßnahme, insbesondere auf solche, die sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergeben.568 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (auch Übermaßverbot)569 ist für die gesamte Staatsgewalt maßgeblich und materielle Grenze für die Beschränkung von Grundrechten, jedenfalls soweit Abwehrgehalte betroffen sind.570 Überwiegend wird der Grundsatz auf das Rechtsstaatsprinzip sowie das Wesen der Grundrechte gestützt.571 Trotz der im Einzelnen umstrittenen Her566 Grundlegend zur Bedeutung der Eingriffsintensität für den Grundrechtsschutz siehe Scherzberg, Grundrechtsschutz und „Eingriffsintensität“, insbesondere S. 18 f. Scherzberg differenziert zwischen der Eingriffsintensität als materiellrechtlicher und kompetenzieller Determinante. Zur Eingriffsintensität speziell bei Informationseingriffen Gusy, in: Baumeister/ Roth/Ruthig, FS Schenke, S. 395 (395 ff.). 567 Zum Begriff der Eingriffsintensität siehe Scherzberg, Grundrechtsschutz und „Eingriffsintensität“, S. 17. Da der Begriff keinerlei Aussage über das Vorliegen eines Eingriffs trifft, sei er insofern „untechnisch“ zu verstehen. 568 Ein Überblick über die Rechtmäßigkeitsanforderungen, die von der Eingriffsschwere determiniert werden, gibt Gusy, in: Baumeister/Roth/Ruthig, FS Schenke, S. 395 (397). 569 Zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vgl. allgemein Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 160; Ossenbühl, in: Badura, FS Lerche, S. 151 (152 f.); Stern, in: Badura, FS Lerche, S. 165 (165 ff.); Schlink, in: Badura/Dreier, FS 50 Jahre BVerfG II, S. 445 (445 ff.); Merten, in: Merten/Papier, HGR III, § 68 Rn. 1 ff.; Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, § 26 Rn. 87; Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 Kap. VII (2006), Rn. 107 ff.; Stern, Staatsrecht III/2, S. 762 ff. 570 Die Anwendbarkeit im Hinblick auf Leistungsgehalte, Grundrechtsausgestaltungen und Gleichheitsrechte ist teilweise noch ungeklärt, vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 81. 571 Ein Überblick findet sich bei Dreier, in: Dreier, GG I, Vorb. Rn. 145; ausführlich zur Herleitung: Stern, in: Badura, FS Lerche, S. 165 (165 ff.); Merten, in: Hengstschläger, FS Schambeck, S. 349 (357 ff.).

D. Einschüchterungseffekte als Faktor der Eingriffsintensität

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leitung ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz heute als verfassungsrechtliches Prinzip allgemein anerkannt. Für den Grundrechtsschutz kommt ihm „überragende Bedeutung“ zu.572 Er gilt grundsätzlich sowohl für das einschränkende Gesetz und bei dessen Anwendung573 als auch für die Beschränkung eines (vorbehaltlosen) Grundrechts durch kollidierendes Verfassungsrecht.574 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass - der verfolgte Zweck als solcher legitim ist, - der Einsatz des Mittels im Hinblick auf den verfolgten Zweck geeignet und erforderlich ist und - die Beeinträchtigung und der verfolgte Zweck in angemessenem Verhältnis zueinander stehen.575 Nach dem Grundsatz der Erforderlichkeit darf es kein milderes Mittel gleicher Effektivität geben. Eine intensivere Beeinträchtigung darf erst gewählt werden, wenn der verfolgte Zweck mit einer weniger intensiven Beeinträchtigung nicht in gleicher Weise erreicht werden kann.576 Insofern ist die Beeinträchtigungsintensität zusammen mit der Wirksamkeit des Mittels zu bewerten.577 Vor allem aber erlangt die Schwere des Eingriffs bei der Frage der Angemessenheit (auch Verhältnismäßigkeit i. e.S., Übermaßverbot, Zumutbarkeit oder Proportionalität)578 Bedeutung. Danach darf eine Beeinträchtigung nicht außer Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen;579 verlangt wird eine adäquate Zweck-Mittel-Relation.580 Es hat eine (Gesamt-)Abwägung zwischen der Schwere der grundrechtlichen Beeinträchtigung und der Bedeutung des angestrebten Ziels, zwischen Individual- und Allgemeininteresse zu erfolgen.581 Je schwerwiegender ein Eingriff, desto schwerer müssen die ihn rechtfertigenden Belange wiegen.582 572

So Sachs, in: Sachs, GG, Vor Art. 1 Rn. 135; Dreier, in: Dreier, GG I, Vorb. Rn. 145 jeweils m.w.N. 573 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 81a. 574 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1 Rn. 52. 575 Siehe Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 297. Teilweise wird die Verfolgung eines legitimen Zwecks nicht als Element des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes angesehen, sondern der Prüfung vorangestellt, ohne dass sich hieraus inhaltliche Differenzen ergeben. Zur dogmatischen Struktur vgl.: Merten, in: Merten/Papier, HGR III, § 68 Rn. 52; Dreier, in: Dreier, GG I, Vorb. Rn. 146. 576 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 303; Dreier, in: Dreier, GG I, Vorb. Rn. 148. 577 Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 153. 578 Zu den Begriffen siehe Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 86. 579 Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 154. 580 Dreier, in: Dreier, GG I, Vorb. Rn. 149. 581 Dreier, in: Dreier, GG I, Vorb. Rn. 149; vgl. auch Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 86a. Dabei stößt die Abwägung wegen ihrer Offenheit sowie fehlender rationaler und verbindlicher Maßstäbe auch auf Kritik: Schlink, in: Badura/Dreier, FS 50 Jahre BVerfG II,

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Teil 3: Freiheit von Furcht im Grundgesetz

Folglich ist die Eingriffsintensität sowohl für die Erforderlichkeit als auch die Angemessenheit des Eingriffs relevant.583 Ähnliches gilt auch mit Blick auf den Bestimmtheitsgrundsatz.584 Auch hier richten sich die Anforderungen nach dem Gewicht des Grundrechtseingriffs: Je schwerwiegender ein Eingriff ist, desto bestimmter muss das ihn rechtfertigende Gesetz sein.585 Auf diese Weise bestimmt die Eingriffsintensität wesentliche verfassungsrechtliche Anforderungen an die Zulässigkeit einer Grundrechtsbeeinträchtigung.586 Dies bedeutet nicht, dass schwerwiegende Eingriffe verfassungsrechtlich generell unzulässig sind. Vielmehr sind die verfassungsrechtlichen Anforderungen, abhängig von der Eingriffsintensität, mal höher, mal weniger hoch anzusetzen.587 2. Prüfungsumfang588 des Bundesverfassungsgerichts bei Urteilsverfassungsbeschwerden Des Weiteren beeinflusst das Kriterium der Eingriffsintensität den Umfang der verfassungsgerichtlichen Prüfung bei Urteilsverfassungsbeschwerden.589 Grundsätzlich prüft das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit staatlicher Akte umfassend. Um jedoch die Entstehung einer sog. Superrevisionsinstanz zu vermeiden, ist nach allgemeiner Ansicht der Prüfungsumfang bei Verfassungsbeschwerden, die fachgerichtliche Urteile zum Gegenstand haben (sog. Urteilsverfassungsbeschwerden), einzuschränken. In ständiger Rechtsprechung beschränkt sich das Gericht bei der Kontrolle der Auslegung und Anwendung einfachen Rechts durch die Fachgerichte auf die Prüfung der Verletzung „spezifischen S. 445 (469 ff.); Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, S. 78 f.; Pieroth/Schlink/Kingreen/ Poscher, Grundrechte, Rn. 307 ff.; Ladeur, Abwägung in der Grundrechtsdogmatik, S. 12 ff.; Ossenbühl, VVDStRL 39 (1981), S. 189 („Gleich- und Weichmacher der Verfassungsmaßstäbe“). 582 Kloepfer, Verfassungsrecht II, § 51 Rn. 102 f. 583 Vgl. für die Erforderlichkeit: Dreier, in: Dreier, GG I, Vorb. Rn. 148; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 152 f. Für die Angemessenheit: Merten, in: Merten/Papier, HGR III, § 68 Rn. 71; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 86a. 584 Hierzu siehe Gusy, in: Baumeister/Roth/Ruthig, FS Schenke, S. 395 (397). 585 Siehe nur BVerfGE 120, 378 (403 ff., 430); Gusy, in: Baumeister/Roth/Ruthig, FS Schenke, S. 395 (397). 586 Vgl. Gusy, in: Baumeister/Roth/Ruthig, FS Schenke, S. 395 (397). 587 Gusy, in: Baumeister/Roth/Ruthig, FS Schenke, S. 395 (399). 588 So die gängige Terminologie. In neueren Entscheidungen wird auch von „Kontrollbefugnis“ gesprochen. Der Begriff der „Kontrolldichte“ wird hingegen im Zusammenhang mit der Überprüfung von Gesetzgebung verwendet. Vgl. hierzu Schlaich/Korioth, Bundesverfassungsgericht, Rn. 281. 589 Siehe Düwel, Kontrollbefugnisse des Bundesverfassungsgerichts, S. 92 ff.; Schlaich/ Korioth, Bundesverfassungsgericht, Rn. 307 f.; Kenntner, in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, S. 9 (17); Lechner/Zuck, BVerfGG, § 90 Rn. 99 f.; grundlegend Scherzberg, Grundrechtsschutz und ”Eingriffsintensität”, S. 224 ff.

D. Einschüchterungseffekte als Faktor der Eingriffsintensität

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Verfassungsrechts“.590 Dabei ist nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts für die Bestimmung des Prüfungsumfangs (auch) die Eingriffsintensität bedeutsam:591 Je intensiver die Grundrechtsbeeinträchtigung im Einzelfall sei, desto eingehender könne die verfassungsgerichtliche Prüfung der gerichtlichen Entscheidung erfolgen. Bei höchster Eingriffsintensität dürfe das Gericht die fachgerichtliche Wertung durch seine eigene ersetzen und den Fall abschließend entscheiden.592 Trotz teilweiser Kritik im Schrifttum hat das Kriterium, wohl auch aufgrund seiner Flexibilität und Fallbezogenheit, große praktische Bedeutung erlangt.593 In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Schwere des Eingriffs (Intensitätskriterium) maßgeblicher Steuerungsfaktor bei der Überprüfung der fachgerichtlichen Auslegung und Anwendung materiellen Rechts.594 Insbesondere in Zweifelsfällen wird dem Kriterium entscheidende Indizwirkung für den Prüfungsumfang beigemessen.595

II. „Eingriffsintensivierender Einschüchterungseffekt“: Einschüchterungseffekte als Kriterium der Eingriffsintensität Zu klären ist, ob die Intensität eines Eingriffs als erhöht einzuordnen ist, sofern mit der Maßnahme Einschüchterungseffekte verbunden sind. 1. Überblick über Rechtsprechung und Literatur Wie im Rahmen der Rechtsprechungsanalyse bereits gezeigt, verweist das Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen zur Begründung einer hohen Eingriffsintensität (auch) auf mit der betreffenden Maßnahme verbundene Einschüchterungseffekte.596 Im Sondervotum des Richters Schluckebier zur Entschei590 Vgl. allgemein zum Prüfungsumfang bei Urteilsverfassungsbeschwerden: Kenntner, in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, S. 9 (9 ff.); Schlaich/Korioth, Bundesverfassungsgericht, Rn. 280 ff. Auf die hiermit verbundene Abgrenzungsproblematik soll in der vorliegenden Arbeit nicht näher eingegangen werden, vgl. hierzu Lechner/Zuck, BVerfGG, Einl. Rn. 150 ff. 591 Kenntner, in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, S. 9 (9, 17). Ob das Intensitätskriterium als Fortentwicklung der Heck’schen Formel – so Lechner/Zuck, BVerfGG, § 90 Rn. 99 – oder als unabhängiger Ansatz – in diese Richtung Schlaich/Korioth, Bundesverfassungsgericht, Rn. 308 – zu sehen ist, kann für diese Arbeit offen bleiben. 592 Vgl. BVerfGE 42, 143 (149); siehe auch Schlaich/Korioth, Bundesverfassungsgericht, S. 307 f. m.w.N. zur Rechtsprechung. 593 Etwa Kenntner, in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, S. 9 (9, 17) m.w.N. zur Kritik. 594 Ausführlich Scherzberg, Grundrechtsschutz und „Eingriffsintensität“, S. 22 ff. 595 So Lechner/Zuck, BVerfGG, Einl. Rn. 153. Von einer Indizfunktion geht auch Düwel, Kontrollbefugnisse des Bundesverfassungsgerichts, S. 154 f. aus. 596 Siehe oben Teil 2 A. III. 3. u. 4.

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Teil 3: Freiheit von Furcht im Grundgesetz

dung zur Vorratsdatenspeicherung findet sich insofern der Begriff des „eingriffsintensivierenden Einschüchterungseffekts“.597 Die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung aufgreifend, werden Einschüchterungseffekte auch in der Literatur zur Begründung einer erhöhten Eingriffsintensität herangezogen.598 Ein mit der Maßnahme verbundener Einschüchterungseffekt soll dazu führen, dass der Eingriff als schwerwiegend einzustufen sei. Ausführungen finden sich insoweit sowohl im Rahmen der Verhältnismäßigkeitserwägungen,599 als auch im Zusammenhang mit der Frage nach dem verfassungsgerichtlichen Prüfungsumfang.600 Dabei werden neben den unmittelbaren Wirkungen auf den Grundrechtsträger auch einschüchternde Wirkungen auf weitere (potenziell) Betroffene sowie die Gesellschaft insgesamt berücksichtigt. Beispielsweise wird im Bereich der Meinungsäußerungsstreitigkeiten ein schwerwiegender Grundrechtseingriff gerade damit begründet, dass die Maßnahme über die konkrete Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit hinaus negative Auswirkungen auf die Grundrechtsausübung allgemein und die freie geistige Auseinandersetzung insgesamt haben könne.601 Ähnlich wird im Hinblick auf die Eingriffsintensität informationeller Maßnahmen argumentiert: Insbesondere im Zusammenhang mit Überwachungsmaßnahmen wird ein schwerwiegender Eingriff regelmäßig mit Einschüchterungseffekten begründet. Dabei seien nicht nur die Folgen für den individuellen Grundrechtsträger, sondern auch die Wirkung auf die Gesellschaft insgesamt zu berücksichtigen. Dies gelte insbesondere, sofern das beeinträchtigte Verhalten einen besonderen Gemeinwohlbezug aufweise.602 Insbesondere von anlasslosen Maßnahmen mit großer Streubreite könnten erhebliche Auswirkungen auf das Gemeinwohl ausgehen, weil sie Missbrauchsrisiken und ein Gefühl des Überwachtwerdens hervorrufen könnten.603 Auch die Heimlichkeit einer Maßnahme soll Einschüchterungseffekte und damit die Schwere des Eingriffs verstärken. So könne das Wissen um eine mögliche heimliche Überwachung zu einem diffusen Gefühl des Überwachtwerdens führen.604 597

Sondervotum Schluckebier BVerfGE 125, 260 (366). Siehe Cornils, JURA 2010, S. 443 (446 f.); Roggan, NVwZ 2011, S. 590 (592); kritisch Gusy, in: Baumeister/Roth/Ruthig, FS Schenke, S. 395 (410). 599 Siehe etwa: Horn, DÖV 2003, S. 746 (748); Gerhards, (Grund-)Recht auf Verschlüsselung?, S. 159 f.; Welsing, Recht auf informationelle Selbstbestimmung, S. 427 ff.; siehe auch; Neskovic/Uhlig, NVwZ 2014, S. 335 (337 ff.); Aernecke, Schutz elektronischer Daten, S. 171 ff.; Schwabenbauer, Heimliche Grundrechtseingriffe, S. 149; deutlich Denninger, in: Denninger/Rachor, HbPolR, Teil B Rn. 64 f.; ähnlich auch Büllesfeld, Polizeiliche Videoüberwachung, S. 217 ff., der jedoch von einem eigenständigen Aspekt ausgeht, der von der Intensität des Eingriffs zu unterscheiden ist; siehe ferner Rath, KJ Beiheft 01/2009, S. 65 (70); zumindest implizit Pohl, KJ 2003, S. 317 (318, 321 ff.). 600 Angedeutet bereits bei W. Schmitt Glaeser, AöR 113 (1988), S. 52 (67, 69 f.). 601 W. Schmitt Glaeser, AöR 113 (1988), S. 52 (66 ff.). 602 BVerfGE 100, 313 (381); vgl. auch Pohl, KJ 2003, S. 317 (323). 603 Denninger, in: Denninger/Rachor, HbPolR, Teil B Rn. 64 f. 604 Vgl. Schwabenbauer, Heimliche Grundrechtseingriffe, S. 165 ff.; Aernecke, Schutz elektronischer Daten, S. 171 ff. 598

D. Einschüchterungseffekte als Faktor der Eingriffsintensität

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Sowohl in der Rechtsprechung als auch im Schrifttum wird demnach eine erhöhte Eingriffsintensität angenommen, sofern mit einer Maßnahme verbundene Einschüchterungseffekte über die konkret-individuelle Betroffenheit hinaus negative Auswirkungen auch auf die generelle Grundrechtsausübung und damit letztlich auf die freiheitliche Gesellschaft insgesamt haben können. 2. Kritik und Stellungnahme Die Heranziehung von Einschüchterungseffekten zur Begründung einer erhöhten Intensität des Eingriffs wird vielfach kritisiert. Sofern sich Einwände gegen die Relevanz von Einschüchterungseffekten als solche richten, erfolgte bereits eine Auseinandersetzung.605 Nicht näher eingegangen werden soll auch auf Stimmen, die die einschüchternde Wirkung bestimmter Maßnahme lediglich im Einzelfall anders bewerten. Insbesondere mit Blick auf eine anlasslose Speicherung von Telekommunikationsdaten oder eine polizeiliche Rasterfahndung werden teilweise die mit der Maßnahme verbundenen Einschüchterungseffekte als geringfügig eingeschätzt.606 Dies bedeutet jedoch nicht, dass Einschüchterungseffekte als Kriterium der Eingriffsintensität generell abgelehnt werden. Abweichende Einschätzungen zur Frage, inwiefern eine bestimmte Maßnahme einschüchternd wirkt, betreffen die tatsächliche, psychische Wirkungsweise einzelner Maßnahmen, nicht aber die grundsätzliche dogmatische Bedeutung der Argumentationsfigur. Vielmehr beschränkt sich die Auseinandersetzung an dieser Stelle auf Einwände, die sich speziell gegen die Begründung einer erhöhten Eingriffsintensität mit Einschüchterungseffekten richten. Insbesondere ist auf die ernstzunehmende Kritik einzugehen, welche Faktoren für die Bestimmung der Eingriffsintensität überhaupt maßgeblich sein können: Sind nur die Auswirkungen auf den von der Maßnahme unmittelbar Betroffenen entscheidend? Oder kann die Anzahl der Betroffenen ein maßgebliches Kriterium sein?607 Inwiefern können auch (Neben-)Folgen für Dritte und die Allgemeinheit berücksichtigt werden?608 Zwar stellen sich die genannten Fragen grundsätzlich für jeden Grundrechtseingriff und unabhängig vom Problem möglicher Einschüchterungseffekte. Wie dargelegt, begründen jedoch sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch Teile der Literatur die besondere Schwere eines Eingriffs gerade mit den nachteiligen Wirkungen, die Einschüchterungseffekte auf Dritte sowie die Gesellschaft insgesamt haben können. Daher erlangt die Frage, welche Auswirkungen bei der Bestimmung 605

Siehe oben Teil 3 B. IV. So Bull, Informationelle Selbstbestimmung, S. 97; offenbar der abweichenden Meinung der Richter Schluckebier BVerfGE 125, 260 (365 ff.) und Eichberger BVerfGE 125, 260 (280 ff.) folgend. Zur Rasterfahndung siehe Horn, DÖV 2003, S. 746 (748). 607 Büllesfeld, Polizeiliche Videoüberwachung, S. 217. 608 Vgl. allgemein zu dieser Frage: Heusch, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 42; Stern, Staatsrecht III/2, S. 781 m.w.N.; siehe auch bereits Gentz, NJW 1968, S. 1600 (1604). 606

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Teil 3: Freiheit von Furcht im Grundgesetz

der Eingriffsintensität Berücksichtigung finden können, im Zusammenhang mit Einschüchterungseffekten besondere Relevanz. Gegen eine Einbeziehung auch von Auswirkungen auf Dritte sowie die Gesellschaft insgesamt lässt sich insbesondere einwenden, dass Grundrechte primär (Abwehr-)Rechte des individuellen Grundrechtsträgers sind. So wird etwa im Zusammenhang mit Maßnahmen staatlicher Überwachung betont, dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Individualgrundrecht dem einzelnen Grundrechtsträger zustehe, nicht hingegen als Kollektivrechtsgut die Gesellschaft insgesamt schütze.609 Daher könne bei der Bestimmung der Eingriffsintensität nur die Betroffenheit des einzelnen Grundrechtsträgers, nicht aber Auswirkungen auf Dritte oder die Gesellschaft, Berücksichtigung finden.610 Allein die Betroffenheit Vieler erhöhe nicht die Eingriffsintensität gegenüber dem Einzelnen.611 Aspekte wie die Anzahl der Betroffenen, die Massenhaftigkeit oder Streubreite einer Maßnahme, welche nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts Einschüchterungseffekte verstärken können, seien ohne Relevanz für die Eingriffsintensität.612 Teilweise wird sogar weitergehend angenommen, eine hohe Anzahl Betroffener könne die Eingriffsintensität sogar vermindern, wenn der Einzelne dadurch in der „Masse untergeht“.613 Nach gegenteiliger Ansicht sind bei der Abwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung auch Folge- und Nebenwirkungen einer Maßnahme für die Schwere des Eingriffs zu berücksichtigen.614 Es dürfe nicht nur der unmittelbare Nutzen für den Staat und die unmittelbare Belastung des Betroffenen betrachtet werden. Auch Beeinträchtigungen Dritter und des Gemeinwohls seien einzubeziehen.615 Insofern können auch lediglich mittelbare Auswirkungen auf andere Grundrechte relevant werden.616 Dem ist mit Blick auf die Problematik von Einschüchterungseffekten zuzustimmen. Die Einbeziehung auch von Auswirkungen auf andere als den Grund609

Bull, Informationelle Selbstbestimmung, S. 18 f., 62 f., 77 f.; vgl. auch die Darstellung bei Gusy, in: Baumeister/Roth/Ruthig, FS Schenke, S. 395 (410); Büllesfeld, Polizeiliche Videoüberwachung, S. 217. 610 In diese Richtung das Sondervotum der Richterin Haas BVerfGE 115, 320 (373 f.); siehe auch Bull, Informationelle Selbstbestimmung, S. 18 f., 62 f., 77 f. 611 Etwa Horn, DÖV 2003, S. 746 (748), der die Anzahl der Betroffenen und die Streubreite einer Maßnahme dennoch im Rahmen der Abwägung einbezieht. Insofern ergeben sich im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit kaum Unterschiede. Vgl. auch Bull, Informationelle Selbstbestimmung, S. 99 f. 612 So das Sondervotum Haas BVerfGE 115, 320 (373 f.). 613 Sondervotum Haas BVerfGE 115, 320 (373 f.); Waechter, NdsVBl. 2001, S. 77 (83). 614 Stern, Staatsrecht III/2, S. 781 m.w.N.; Heusch, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 42; siehe auch Gentz, NJW 1968, S. 1600 (1604). 615 Für Maßnahmen der Videoüberwachung Büllesfeld, Polizeiliche Videoüberwachung, S. 217 ff. 616 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1 Rn. 46 m.w.N.

D. Einschüchterungseffekte als Faktor der Eingriffsintensität

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rechtsträger selbst sowie die Gesellschaft insgesamt lässt sich dogmatisch mit der objektiv-rechtlichen Funktion der Grundrechte begründen.617 Grundrechte sind nicht nur (Abwehr-)Rechte des Einzelnen, sondern ihnen lassen sich auch objektive Gewährleistungsgehalte entnehmen. Neben subjektiven Rechten vermitteln Grundrechte eine objektive Wertordnung für das gesamte staatliche und gesellschaftliche Leben. Insofern wird neben der Freiheit des Einzelnen auch eine freiheitliche Gesellschaft insgesamt gewährleistet.618 Wie bereits dargelegt, wird etwa die Meinungsfreiheit nicht nur aus Sicht des individuellen Grundrechtsträgers geschützt, sondern auch in ihrer gesamt-gesellschaftlichen Bedeutung, als Ausdruck einer Wertentscheidung der Verfassung zugunsten der Meinungsfreiheit als solcher, die wesentliche Voraussetzung einer freiheitlichen Demokratie ist.619 Auch anderen Grundrechten lassen sich objektiv-rechtliche Gehalte entnehmen: So stehen die Kommunikationsfreiheiten, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, Art. 10 GG sowie Art. 13 GG in einem funktionellen Zusammenhang, den Grundrechten kommt neben der individualschützenden auch kollektivschützende Funktion zu.620 Insbesondere die Unbefangenheit der Kommunikation ist wichtiges Element eines freiheitlich-demokratischen Gemeinwesens und bedarf besonderen Schutzes.621 Bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung staatlicher Maßnahmen müssen die objektiv-rechtlichen Gehalte der entsprechenden Grundrechte grundsätzlich ebenfalls Berücksichtigung finden.622 Nur auf diese Weise kann die verfassungsrechtliche Bewertung der komplexen Lage widerstreitender Interessen gerecht werden.623 Ein Grund, wieso hiervon im Fall von Einschüchterungseffekten abgewichen werden sollte, ist nicht ersichtlich. Die Freiheit der Gesellschaft insgesamt kann darunter leiden, wenn von einer staatlichen Maßnahme einschüchternde Wirkungen ausgehen, die nicht nur den Betroffenen selbst, sondern auch andere Grundrechtsträger in ihrer Grundrechtsausübung hemmen. So kann etwa eine staatliche Überwachung das Gemeinwohl beeinträchtigen, sofern von ihr allgemeine Einschüchterungseffekte auf die Wahrnehmung etwa der Versammlungs- oder Meinungsfreiheit ausgehen.624 617 Hierzu Gusy, in: Baumeister/Roth/Ruthig, FS Schenke, S. 395 (410 f.); siehe auch Büllesfeld, Polizeiliche Videoüberwachung, S. 217; Pohl, KJ 2003, S. 317 (322). 618 Zu den objektiv-rechtlichen Grundrechtsgehalten eingehend bereits oben Teil 3 B. III. 2. 619 Grundlegend BVerfGE 7, 198 (205) – „Lüth“. 620 Denninger, ZRP 2004, S. 101 (104). 621 Büllesfeld, Polizeiliche Videoüberwachung, S. 217; siehe auch C. Arndt, NJW 2000, S. 47 (47 ff.). 622 Denninger, ZRP 2004, S. 101 (104); Gusy, in: Baumeister/Roth/Ruthig, FS Schenke, S. 395 (411). Eine andere Frage ist, ob objektive Gewährleistungen im Verfassungsbeschwerdeverfahren geltend gemacht werden dürfen. Dies muss im Rahmen dieser Arbeit offen bleiben; vieles deutet daraufhin, die prozessuale Antragsbefugnis enger zu fassen. Vgl. hierzu Gusy, in: Baumeister/Roth/Ruthig, FS Schenke, S. 395 (401 f.). 623 Vgl. Heusch, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 42. 624 Vgl. Gusy, in: Baumeister/Roth/Ruthig, FS Schenke, S. 395 (410 f.).

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Teil 3: Freiheit von Furcht im Grundgesetz

Insofern wirkt es sich erhöhend auf die Eingriffsintensität aus, wenn die einschüchternde Wirkung viele Grundrechtsträger in ihren Handlungsweisen betrifft und das beeinträchtigte Verhalten einen besonderen Gemeinwohlbezug aufweist.625

III. Zwischenergebnis Nach hier vertretener Auffassung determinieren mit einer Maßnahme verbundene Einschüchterungseffekte, neben anderen Aspekten, die Anforderungen, welche die Verfassung an die betreffende Maßnahme im Einzelfall stellt. Demnach weisen Maßnahmen, von denen Einschüchterungseffekte auf den Grundrechtsgebrauch ausgehen, regelmäßig eine höhere Eingriffsintensität auf und müssen demnach höheren verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen. Das Übermaßverbot verlangt, dass je schwerer ein Eingriff wiegt, desto schwerer müssen auch die Belange wiegen, die den Eingriff rechtfertigen. Dies bedeutet im vorliegenden Zusammenhang, dass gerade die mit einer Maßnahme verbundenen, einschüchternden Wirkungen rechtfertigungsbedürftig sind. Gehen von einer staatlichen Handlung Einschüchterungseffekte aus, so ist die damit verbundene Beeinträchtigung schwerwiegender und es bedarf gewichtiger Gründe, diese aufzuwiegen. Umgekehrt kann die Schwere einer Beeinträchtigung abgemildert werden, indem nachteilige Wirkungen durch Einschüchterung verringert oder vermieden werden. Insofern ist angesichts (potenzieller) Einschüchterungseffekte auf eine möglichst grundrechtsschonende Gestaltung und Umsetzung der betreffenden Maßnahmen zu achten. Das Übermaßverbot erfordert es, die mit einer Maßnahme verbundenen Einschüchterungseffekte auf ein Mindestmaß zu beschränken, sofern dadurch nicht der Zweck der Maßnahme gefährdet wird. Denkbar ist etwa, die Streubreite einer Maßnahme zu begrenzen oder Transparenz- und Rechtsschutzmaßnahmen vorzusehen, um Einschüchterungswirkungen zu verringern.626 Dies bedeutet nicht, dass einschüchternde Maßnahmen per se verfassungswidrig sind. Vielmehr ist die Frage, welche Bedeutung Einschüchterungseffekten im Rahmen der verhältnismäßigen Zuordnung von Grundrecht und beschränkendem Rechtsgut zukommt, im Wege der Güterabwägung zu klären. Erforderlich ist es, Einschüchterungseffekte soweit wie möglich zu vermeiden oder zu verringern. Anders als teilweise angenommen, lässt sich dem indes kein objektives Einschüchterungsverbot entnehmen.627 625

BVerfGE 100, 313 (381); siehe auch Pohl, KJ 2003, S. 317 (323 f.). Zu diesem Ergebnis kommt im Hinblick auf die Vorratsdatenspeicherung überzeugend Moser-Knierim, Vorratsdatenspeicherung, S. 380. Zum Grundrechtsschutz durch Verfahren allgemein Dreier, in: Dreier, GG I, Vorb. Rn. 105 m.w.N. 627 Sofern W. Schmitt Glaeser, AöR 113 (1988), S. 52 (68) von einem „Verbot indirekter Grundrechtsbeeinträchtigung durch Verunsicherung“ spricht, ist dies zumindest missverständlich. 626

E. Zusammenfassung: Freiheit von Furcht im Grundgesetz

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Abschließend soll – nochmals – der Unterschied zur Frage einer Eingriffsbegründung aufgrund einschüchternder Wirkungen betont werden: Während das Vorliegen eines Grundrechtseingriffs nur aufgrund konkreter Einschüchterungseffekte auf grundrechtlich geschütztes Verhalten eines betroffenen Grundrechtsträgers in Betracht kommt, erlangen bei der Frage nach der Eingriffsintensität auch – oder sogar gerade – allgemeine Einschüchterungseffekte auf die generelle Grundrechtsausübung Bedeutung. Dass insofern auch Auswirkungen auf die generelle Grundrechtsausübung, auf andere Grundrechtsträger sowie die Gesellschaft insgesamt einzubeziehen sind, ist dogmatisch der objektiv-rechtlichen Dimension des Grundrechtsschutzes zuzuordnen.

E. Zusammenfassung: Freiheit von Furcht im Grundgesetz Der Begriff der Einschüchterungseffekte bezeichnet Konstellationen, in denen staatliches Handeln – bezweckt oder unbezweckt – Furcht verursacht und so die Ausübung grundrechtlicher Freiheiten hemmt oder verhindert. Furcht und Einschüchterung können in vielgestaltigen Situationen und aufgrund unterschiedlicher Auslöser entstehen und bewirken, dass der Betroffene bestimmte Verhaltensweisen ändert, anpasst oder sogar vollständig unterlässt. Auf diese Weise können Einschüchterungseffekte die Freiheitsausübung beeinträchtigen. Dabei findet die Annahme von Einschüchterungswirkungen grundsätzlich Bestätigung in psychologischer und sozialwissenschaftlicher Forschung, obgleich hier weitere Untersuchungen durchaus geboten erscheint. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist maßgeblich, dass die einzelnen Freiheitsrechte in ihrem jeweiligen Gewährleistungsbereich auch Einschüchterungseffekte abwehren. Einschüchterungswirkungen staatlicher Handlungen auf die Freiheitsausübung sind daher zum einen bei der Eingriffsbegründung zu berücksichtigen. Zum anderen erhöhen sie die Eingriffsintensität und damit die Rechtfertigungsanforderungen an festgestellte Eingriffe und den Prüfungsumfang bei Urteilsverfassungsbeschwerden.628 Indem die Abwehr von Einschüchterungseffekten nicht generell bei einem einzelnen Grundrecht verankert wird, sondern an die jeweils nachteilig betroffene Verhaltensfreiheit anknüpft, stellt sich das Problem als Frage des modernen Eingriffsbegriffs dar. Sofern Einschüchterungseffekte in ihrer nachteiligen Wirkung auf grundrechtliche Freiheiten mit einem klassischen Eingriff vergleichbar sind, können sie grundsätzlich Grundrechtseingriffe begründen. Entgegen anderer Ansicht geht mit der Annahme eines Eingriffs durch Einschüchterung jedoch keine Subjektivierung oder Erweiterung des Eingriffsbegriffs einher. Rechtliche Relevanz kann nur 628

So auch Hong, in: Peters/Janz, Handbuch des Versammlungsrechts, Teil B. I. Rn. 103.

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Teil 3: Freiheit von Furcht im Grundgesetz

begründete Furcht bzw. ein objektiviertes Verständnis von Einschüchterungseffekten erlangen. Ausgehend vom modernen Eingriffsbegriff können staatliche Handlungen, von denen Einschüchterungseffekte ausgehen, in ihrer Wirkung grundrechtliche Freiheiten ebenso beeinträchtigen wie andere faktisch-mittelbare Einwirkungen; hier können Parallelen zu influenzierenden Maßnahmen aus dem Bereich staatlicher Informationen und Warnungen gezogen werden. Über eine individuelle Beeinträchtigung hinaus entfalten Einschüchterungseffekte auch nachteilige Wirkungen auf die generelle Grundrechtsausübung und das freiheitliche Gemeinwesen insgesamt. Das Bundesverfassungsgericht geht überzeugend davon aus, dass allgemeine gesellschaftliche Einschüchterungseffekte die Intensität einer Beeinträchtigung erhöhen.629 Diese Dimension ist den objektivrechtlichen Grundrechtsgehalten zuzuordnen. Wegen der nachteiligen Wirkung auf die Freiheitsausübung in der Gesellschaft insgesamt, sind Einschüchterungseffekte soweit möglich zu vermeiden bzw. zu verringern. Wie die Untersuchung gezeigt hat, lässt sich die Problematik von Einschüchterungseffekten grundsätzlich mit der herkömmlichen Grundrechtsdogmatik fassen und bewältigen. Bereits deshalb besteht für die Herleitung eines neuen Grundrechts auf Freiheit von Furcht oder eine Erweiterung und Subjektivierung des Eingriffsbegriffs kein Bedürfnis.

629

Vgl. Hong, in: Peters/Janz, Handbuch des Versammlungsrechts, Teil B. I. Rn. 103.

Teil 4

Fazit, Konsequenzen und Zusammenfassung in Thesen A. Fazit und Konsequenzen I. Freiheit von Furcht als wesentliches Element der Freiheit Mit Blick auf Ursprung und Entwicklung stellt sich Freiheit von Furcht als komplexe Figur dar, der unterschiedliche, teils gegensätzliche, Bedeutungen beigemessen wurden und immer noch werden. Anders als dies das ältere Schrifttum nahe legt, ist dabei keineswegs nur eine Betrachtung aus sicherheitsrechtlicher Perspektive möglich. Indem Freiheit von Furcht wesentlich für die Ausübung grundrechtlicher Freiheiten ist, entfaltet sie im Verhältnis zwischen Bürger und Staat verfassungsrechtliche Relevanz. Diese „doppelte“ Bedeutung, welche mit dem Charakter der Freiheitsrechte als Abwehrrechte und Schutzpflichten korrespondiert, findet sich bereits in den Staatstheorien von Hobbes, Locke und Montesquieu angelegt. Einerseits wird die Gewährleistung von Sicherheit vor zwischenmenschlicher Furcht als Staatszweck ausgemacht. Andererseits kann die Staatsgewalt selbst Auslöser und Gegenstand von Furcht sein. Vor diesem Hintergrund ist es bemerkenswert, dass die Bedeutung von Freiheit von Furcht im Verhältnis zwischen Bürger und Staat in der rechtswissenschaftlichen Literatur bislang unterbelichtet blieb. Für das Verfassungsrecht erfährt die so verstandene Idee von Freiheit von Furcht ihre Übersetzung im Begriff der Einschüchterungseffekte. Obgleich das Bundesverfassungsgericht den Begriff maßgeblich prägte, lassen die betreffenden Entscheidungen mit Blick auf die Dogmatik noch viele Fragen offen.

II. Konsequenzen für staatliches Handeln Angesichts der aufgezeigten grundrechtlichen Bedeutung von Freiheit von Furcht drängt sich die Frage auf: Wenn Einschüchterungseffekte die Grundrechtsausübung beeinträchtigen können und nachteilige Wirkungen durch Einschüchterung insbesondere auf die generelle Grundrechtsausübung eingriffsintensivierend wirken, welche Konsequenzen ergeben sich hieraus für staatliches Handeln?

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Teil 4: Fazit, Konsequenzen und Zusammenfassung in Thesen

Obwohl die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dogmatisch (noch) wenig ausgearbeitet ist, zeigt sich deutlich, dass Einschüchterungseffekte wegen ihrer nachteiligen Wirkungen auf die Freiheitausübung aus grundrechtlicher Sicht unerwünscht sind. Das Bundesverfassungsgericht sieht Einschüchterungseffekte als Übel, welches es zu vermeiden gilt.1 Einschüchterungseffekte sind – verfassungsrechtlich betrachtet – keineswegs „neutral“, sondern zu vermeiden und zu verringern. Dies gilt grundsätzlich für Handlungen aller staatlichen Gewalt, mithin für Gesetzgebung ebenso wie für Rechtsprechung und vollziehende Gewalt. Wie die Rechtsprechungsanalyse gezeigt hat, erkennt insbesondere das Bundesverfassungsgericht die Problematik von Einschüchterungseffekten für die Grundrechtsausübung durchaus an, die Argumentation mit einschüchternden Wirkungen ist fest etabliert. Jedoch ist das Gericht in seinen Entscheidungen bei der Bewertung einschüchternder Maßnahmen eher zurückhaltend, weshalb der tatsächliche Einfluss von Einschüchterungseffekten auf die verfassungsrechtliche Prüfung als gering einzuschätzen ist. Insofern bleibt der durch die Rechtsprechung vermittelte Schutz vor einschüchternden Wirkungen oftmals hinter den selbst gesetzten Erwartungen zurück. Demgegenüber steht das Ergebnis der vorliegenden Untersuchung, dass Einschüchterungseffekte nach dem modernen Eingriffsverständnis Grundrechtseingriffe begründen und die Intensität einer Beeinträchtigung erhöhen können. Angesichts dieser Bedeutung von Freiheit von Furcht für die Grundrechtsausübung und ausgehend von den Feststellungen der vorliegenden Arbeit, ist mit Blick auf staatliches Handeln Folgendes anzumerken: Erstens sollte die Figur der Einschüchterungseffekte in der Rechtsprechung nur Verwendung finden, sofern einschüchternde Wirkungen auch tatsächlich zu besorgen sind. Zwar kann die Erwähnung auch in anderen Fällen für das Problem der Einschüchterung sensibilisieren. Es erscheint jedoch wenig sinnvoll, bei informationellen Maßnahmen des Staates „reflexartig“ auf die Gefahr von Einschüchterungseffekten zu verweisen, ohne dass diesen im konkreten Fall verfassungsrechtliche Relevanz zukommt. Dies schmälert die Wirkmächtigkeit der Argumentationsfigur und steht einer konsequenten Beurteilung entgegen. Insofern ist eine restriktivere Verwendung der Argumentationsfigur in der Rechtsprechung erforderlich. Sofern – zweitens – mit einer konkreten Maßnahme tatsächlich Einschüchterungseffekte verbunden sind, sind diese ernst zu nehmen. Einschüchterungswirkungen auf die Grundrechtsausübung sind bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung von Maßnahmen zu berücksichtigen und soweit möglich zu vermeiden. Es kann kaum überzeugen, einer Maßnahme einschüchternde Wirkungen zuzuschreiben, ohne dass sich dies in der weiteren Prüfung der Verfassungsmäßigkeit auswirkt. 1 Nach Assion, in: Telemedicus e.V., Überwachung und Recht, S. 31 (79) sei eine Einschüchterung aus „verfassungsrechtlicher bzw. grundrechtlicher Sicht unerwünscht“.

B. Zusammenfassung in Thesen

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Drittens können nach hier vertretener Auffassung Einschüchterungseffekte Grundrechtseingriffe begründen. Diesbezüglich war das Bundesverfassungsgericht bislang zurückhaltend; es deutet die Möglichkeit einer Beeinträchtigung durch Einschüchterung in seinen Entscheidungen lediglich an. Demgegenüber stützen Fachgerichte immer öfter die Begründung eines Eingriffs auf mit der Maßnahme verbundene Einschüchterungseffekte. Insofern erscheint eine konsequente Weiterentwicklung der bundesverfassungsrechtlichen Rechtsprechung geboten. Abschließend ist anzumerken, dass gerade angesichts der fortschreitenden technischen Entwicklung und der damit größer werdenden Möglichkeiten staatlicher Überwachung die Frage nach der verfassungsrechtlichen Bewertung von Einschüchterungseffekten weiter an Aktualität gewinnen wird. Daher sind Rechtsprechung – allen voran das Bundesverfassungsgericht – und Literatur gefordert, zur Präzisierung und Differenzierung der Problematik beizutragen, um Einschüchterungseffekte handhabbar und justiziabel zu machen. Die vorliegende Arbeit hat hierzu einen Beitrag geleistet und offene Fragen aufgezeigt. Letztlich wird es jedoch vor allem von der Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts abhängen, ob einschüchternde Wirkungen auf den Grundrechtsgebrauch wirksam vermieden werden oder ob Freiheit von Furcht (wieder) zur „vergessenen Freiheit“ wird.

B. Zusammenfassung in Thesen 1. Seit der Entstehung des Grundgesetzes taucht der Gedanke einer Freiheit von Furcht immer wieder auch in rechtlichen Zusammenhängen auf. Die Figur der Einschüchterungseffekte kann mittlerweile als fester Bestandteil verfassungsgerichtlicher Argumentation gelten. Jedoch ist Freiheit von Furcht kein feststehender Rechtsbegriff, sondern findet in vielgestaltigen Zusammenhängen und mit ambivalenter Bedeutung Verwendung. Dies macht eine Untersuchung der Bedeutung von Freiheit von Furcht im Verfassungsrecht notwendig. 2. Der historische Ursprung des Begriffs „Freiheit von Furcht“ liegt in der sog. VierFreiheiten-Rede Franklin D. Roosevelts aus dem Jahr 1941. Davon ausgehend fand das Motiv als eine von vier elementaren menschlichen Freiheiten Eingang in die Atlantik-Charta (1941) und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (1948). Obwohl inhaltlich zunächst auf Furcht vor Krieg und dessen Folgen beschränkt, verschließt sich der Begriff bereits in seinem historischen Ursprung nicht einem weitergehenden Verständnis. 3. Als ideengeschichtliches Fundament von Freiheit von Furcht gelten die Staatstheorien T. Hobbes, J. Lockes und Montesquieus. Während Hobbes die gegenseitige Furcht als den Ausgangspunkt des Staates begreift, erkennen Locke und Montesquieu – freilich aus unterschiedlichen Blickwinkeln – Furcht als Bedrohung von Freiheit und Grund für die Begrenzung von Staatsmacht an.

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Teil 4: Fazit, Konsequenzen und Zusammenfassung in Thesen

4.

Trotz zahlreicher Bezugnahmen in der Literatur ist die Anschlussfähigkeit der historischen und staatstheoretischen Hintergründe für die Bedeutung von Freiheit von Furcht im deutschen Verfassungsrecht zweifelhaft. Einerseits zeigt sich bereits hier die Bedeutung von Furcht für die menschliche Freiheit, anderseits ist die Aussagefähigkeit für das deutsche Verfassungsrecht naturgemäß begrenzt.

5.

Das Bundesverfassungsgericht setzt sich mit der Idee der Freiheit von Furcht unter dem Begriff der Einschüchterungseffekte auseinander. Gemeint sind nachteilige Wirkungen staatlichen Handelns auf grundrechtliche Freiheiten, wobei auch gesamtgesellschaftliche Auswirkungen von Einschüchterung einbezogen werden.

6.

Die Argumentationsfigur findet in der Rechtsprechung bisher vor allem in zwei unterschiedlichen thematischen Kontexten Verwendung: Zum einen im Zusammenhang mit dem Risiko staatlicher Sanktionen bei strittigen Meinungsäußerungen, zum anderen im Zusammenhang mit Maßnahmen staatlicher Überwachung und Informationstätigkeit. Zugleich erkennt das Gericht an, dass einschüchternde Wirkungen grundsätzlich auch von anderen staatlichen Handlungen ausgehen können.

7.

Obwohl das Bundesverfassungsgericht sich in seinen Entscheidungen regelmäßig mit Einschüchterungseffekten auseinandersetzt, bleibt die dogmatische Bedeutung weitgehend unklar. Ausführungen finden sich im Zusammenhang mit dem Gewährleistungsgehalt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, bei der Frage nach einer Grundrechtsbeeinträchtigung, im Rahmen von Verhältnismäßigkeitserwägungen sowie bei der Bemessung des Prüfungsumfangs bei Urteilsverfassungsbeschwerden. Deutlich wird, dass einschüchternde Wirkungen jedenfalls die Intensität einer Beeinträchtigung erhöhen sollen.

8.

Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist vielgestaltiger Kritik ausgesetzt. Trotz berechtigter Einwände angesichts terminologischer und dogmatischer Unklarheiten sowie Wertungswidersprüchen greift die Kritik an der Rechtsprechung die Figur der Einschüchterungseffekte nicht grundsätzlich an, sondern verdeutlicht vielmehr die Notwendigkeit einer Ausarbeitung der Dogmatik.

9.

Ausgehend vom Begriffsverständnis des Bundesverfassungsgerichts sind Einschüchterungseffekte anzunehmen, sofern staatliches Handeln – bezweckt oder unbezweckt – Furcht verursacht und in der Folge den Betroffenen davon abhält, seine grundrechtlichen Freiheiten auszuüben. Weitergehend kann abhängig von den Wirkungen zwischen positiver und negativer Einschüchterung sowie konkreten und allgemeinen Einschüchterungseffekten differenziert werden.

10. Dass Furcht und Einschüchterung Verhaltensänderungen und -hemmungen bewirken können, wird durch Erkenntnisse der psychologischen und sozial-

B. Zusammenfassung in Thesen

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wissenschaftlichen Forschung bestätigt. Dies gilt insbesondere mit Blick auf den Bereich staatlicher Überwachungstätigkeit. 11. Freiheit von Furcht ist elementar für die menschliche Freiheit, insbesondere für die freie Entfaltung der Persönlichkeit und die Unbefangenheit der Kommunikation. Darüber hinaus betreffen einschüchternde Wirkungen auch die generelle Grundrechtsausübung in der Gesellschaft insgesamt und wirken so auf die Bedingungen eines freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens. 12. Dem Grundgesetz lässt sich kein eigenständiges Grundrecht auf Freiheit von Furcht entnehmen. Dahingehende Ansätze, insbesondere von Roßnagel, Herzog und Scholler, lassen sich weder aus den Grundrechtsbestimmungen herleiten, noch sind sie mit dem heutigen Grundrechtsverständnis zu vereinbaren. 13. Freiheit von Furcht wird durch bestehende Grundrechte im Rahmen ihrer jeweiligen Schutzbereiche gewährleistet. Soweit die einzelnen Freiheitsrechte subjektiv-rechtlich die Entschließungsfreiheit zur Freiheitsausübung umfassen, gewährleisten sie grundsätzlich auch die Abwehr von Einschüchterungseffekten auf die Grundrechtsausübung. Daneben lässt sich der Schutz vor Einschüchterungseffekten der objektiv-rechtlichen Dimension des Grundrechtsschutzes zuordnen. 14. Gegen die Grundrechtsrelevanz geltend gemachte Einwände greifen nur teilweise durch. Überzeugend kann im Verfassungsrecht nur begründete, nachvollziehbare Furcht Bedeutung erlangen, weshalb ein objektiviertes Verständnis von Einschüchterungseffekten zugrunde zu legen ist. Demgegenüber können die Einwände mangelnder Empirie und Schutzbedürftigkeit nicht zu überzeugen, sondern verdeutlichen lediglich erneut den Bedarf an Konkretisierung und Differenzierung. 15. Sofern von staatlichen Handlungen einschüchternde Wirkungen auf die Ausübung grundrechtlicher Freiheiten ausgehen, können Einschüchterungseffekte die Annahme eines Eingriffs in das jeweils nachteilig betroffene Freiheitsgrundrecht begründen. 16. Beeinträchtigungen durch Einschüchterungseffekte sind mit Blick auf den modernen Eingriffsbegriff als mittelbare Selbstbeeinträchtigungen zu qualifizieren. Daher erlangt die Frage der Zurechenbarkeit eines vom Staat (mit-) verursachten Beeinträchtigungserfolgs zentrale Bedeutung. Grundsätzlich sind dem Staat nachteilige Wirkungen als Eingriff zurechenbar, sofern die Einschüchterungswirkung bezweckt oder zumindest objektiv vorhersehbar ist. Darüber hinaus können im Einzelfall auch nicht-finale Beeinträchtigungen durch Einschüchterung zurechenbar sein. 17. Jedoch ist eine Unterbrechung der Zurechenbarkeit zum Staat anzunehmen, sofern sich die durch Einschüchterungseffekte bewirkte Verhaltenshemmung oder -änderung (noch) als freie Willensentscheidung des Grundrechtsträgers darstellt. Insofern ist im Einzelfall aufgrund einer wertenden Betrachtung eine

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Teil 4: Fazit, Konsequenzen und Zusammenfassung in Thesen

Abgrenzung zwischen den sich überlagernden Verantwortungsbereichen des Staates und des betroffenen Grundrechtsträgers erforderlich. 18. Daneben erhöhen mit einer staatlichen Handlung verbundene Einschüchterungseffekte die Intensität einer Beeinträchtigung. Insofern können einschüchternde Wirkungen – materiell – verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitserwägungen sowie – prozessual – die Bestimmung des Prüfungsumfangs bei Urteilsverfassungsbeschwerden determinieren. 19. Anders als bei der Frage einer Eingriffsbegründung durch Einschüchterungseffekte, sind bei der Betrachtung der Eingriffsintensität neben der individuellen Beeinträchtigung auch negative Wirkungen auf die generelle Ausübung grundrechtlicher Freiheiten und das Gemeinwohl einzubeziehen. Dieser bereits in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts angelegte Aspekt lässt sich dogmatisch der objektiv-rechtlichen Dimension der Grundrechte zuordnen.

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Sachwortverzeichnis Abschreckung siehe Einschüchterung Abschreckungseffekte siehe Einschüchterungseffekte Abwehrfunktion 145, 150 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 27 ff., 35 f. Allgemeine Handlungsfreiheit siehe Handlungsfreiheit, allgemeine Allgemeines Persönlichkeitsrecht siehe Persönlichkeitsrecht, allgemeines Angst siehe Furcht Atlantik-Charta 23 ff., 31 ff., 35 Autonomie 101 ff. Beeinträchtigung 73, 148 ff. – faktische 147, 151, 166 – finale 146 f., 158 ff. – mittelbare 147, 152 ff., 156 – Selbstbeeinträchtigung 152 ff., 162 ff. – Zurechnung 113, 155 ff., 162, 170 Beobachtung 62, 96, 97 f., 104, 140 Bestimmtheitsgebot 116, 141 f. Bundesverfassungsgericht – Rechtsprechung 18, 53 ff. – Urteilsverfassungsbeschwerde 77 f., 174 f., 181 Chilling effects 92 f., 142 – siehe auch Einschüchterungseffekte Demokratie 101, 106 ff., 116 f., 179 Eingriff – Informationseingriff 61 f. – Intensität 75 ff., 77, 171 ff. – Qualität 143 ff. – subjektiver 120, 148 f., 162, 169 – siehe auch Beeinträchtigung Eingriffsbegriff – klassischer 146 – moderner 146 f., 149 ff., 169 f., 181

Einschüchterung 55, 89, 93 Einschüchterungseffekte – allgemeine 94, 155, 171, 181 – Argumentationsfigur 72, 79, 87 f. – Definition 54 ff., 91 – konkrete 94, 171, 181 – negative 93 – objektiviertes Verständnis 55, 135 ff. – positive 93, 138 – Wirkung 94 ff. Einschüchterungseingriff 143 ff., 170 Entschließungsfreiheit 125 ff., 133, 151 Europäische Menschenrechtskonvention 38, 113 ff. Four Freedoms siehe Vier Freiheiten Freedom from fear 30 ff. – siehe auch Freiheit von Furcht Freiheit von Furcht – Begriff 54 f., 90 f. – eigenständiges Grundrecht 109 ff., 117 – Grundrechtsrelevanz 100 – historischer Ursprung 23 ff. – vergessene Freiheit 37 Furcht – Begriff 54 f., 90 – irrationale 134 ff. Gefährderansprache 143, 150 f., 152, 158 f. Gefühlsschutz 134 f. Gemeinwesen, freiheitlich demokratisches 56, 131 f., 142, 179 Gemeinwohl 56, 76, 93, 130 f. Gesellschaftsvertragstheorien 39 ff., 43 f. Gewissensfreiheit 115 Grundrechte – objektiv-rechtliche Dimension 76, 129 ff., 133, 179 – subjektiv-rechtliche Dimension 118 Grundrechtsausübung 107, 125 ff., 165, 169 – generelle 77, 133, 171, 177, 182

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Sachwortverzeichnis

– individuelle 133 – unbefangene 127, 132 – Verzicht 123 Grundrechtsprüfung 66, 74, 83, 87 Grundrechtsverzicht 163 Handlungsfreiheit, allgemeine 128 f. Informationelle Selbstbestimmung siehe Recht auf informationelle Selbstbestimmung Internalisierung 95, 151 Kommunikation 64, 70, 75, 105 Kommunikationsgrundrechte 71, 117 Konformität 95 f., 98 Kriminalitätsfurcht 19 f., 117 Lebensäußerungen, öffentliche 103 ff. Lüth-Entscheidung 59, 129, 179 Meinungsäußerungen 57, 71, 107 Meinungsfreiheit 24, 58, 60, 130 Menschenwürde 37, 104, 109 ff. Objektformel 111 Objektive Selbstaufmerksamkeit 97 f. Online-Durchsuchung 63 Panoptische Effekte 96 Persönlichkeitsentfaltung 102 ff., 142 Persönlichkeitsrecht, allgemeines 68, 109 ff. Privatsphäre 70, 102 ff., 117, 140 Rasterfahndung 82, 83 Recht auf informationelle Selbstbestimmung – Herleitung 68 ff. – Schutz vor Einschüchterung 123 ff. Rechtsstaat 38, 116 f., 138 ff. Sanktionen, staatliche 57 ff., 81, 87, 98, 144 Sicherheit – Begriff 90 – subjektive 49

Staatstheorie 39 ff., 51 f., 145 Subjektivität von Furcht 50, 55, 134 ff. Übermaßverbot siehe Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Überwachung – Gefühl des Überwachtwerdens 54, 65 – Handyüberwachung 64, 76 – Kfz-Kennzeichenüberwachung 65, 83, 105 – staatliche 61 ff. – Wirkung 94 ff. Überwachungsdruck 95, 121 Überwachungsstaat 97, 112 Unbefangenheit 94, 101, 106, 108, 179 Unsicherheit 40, 58, 62 f. Urteilsverfassungsbeschwerde siehe Bundesverfassungsgericht Verhaltensanpassung 64, 95, 99, 169 Verhaltensbeeinflussung 96, 119, 135 f., 138 f. – finale 73, 158 f. – juristische Personen 55 – nicht-finale 160 ff. – Vermeideverhalten 95, 98 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 74 ff., 155, 172 ff., 178 Versammlung 68, 103 f., 143 f. – Polizeipräsenz 128, 143 – Überwachung 84, 118, 143, 151 f., 160, 165 ff. Versammlungsfreiheit 71 f., 128 ff., 132 f., 142 – innere 126, 151 Versammlungsgesetz, bayerisches 61, 84 Videoüberwachung 84 f., 94, 143, 158 f., 165 ff. – Kameraattrappe 84 f., 120 – Kamera-Monitor-Verfahren 84 – öffentlicher Plätze 17, 63, 73, 167 Vier Freiheiten 25, 28 f. Vier-Freiheiten-Rede 23 ff., 30, 38, 51 Volkszählungsurteil 62 f., 68, 71, 139 Vorratsdatenspeicherung 63, 81, 99