Kunst und Gender: Zur Bedeutung von Geschlecht für die Einnahme von Spitzenpositionen im Kunstfeld 9783839439906

Is art female? A survey of the paradox gender dichotomy at the international top level of art.

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German Pages 310 Year 2017

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Table of contents :
Inhalt
1. Einleitung
2. Zentrale Forschungsfelder zu Kunst und Geschlecht
3. Theoretischer Rahmen: Eine paradoxe Logik in einem paradoxen Feld
4. Empirische Untersuchung: Geschlechterstrukturen an der Spitze des Kunstfelds – Produktion und Vermittlung in relativer Distanz zu den Zentren der Macht
5. Zusammenfassung und Resümee: Das Paradox der Geschlechterdichotomie im Kunstfeld
Anhang
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Dank
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Kunst und Gender: Zur Bedeutung von Geschlecht für die Einnahme von Spitzenpositionen im Kunstfeld
 9783839439906

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Katrin Hassler Kunst und Gender

Image | Band 121

Katrin Hassler (Dr. phil.) ist Dozentin an der Leuphana Universität Lüneburg sowie an der NABA (Nuova Accademia di Belle Arti) in Mailand. Die Kulturwissenschaftlerin mit Schwerpunkt in der Kunstsoziologie forscht zu Themen der zeitgenössischen Kunst, den Gender Studies sowie der empirischen Sozialforschung. In den vergangenen Jahren koordinierte sie den interdisziplinären Komplementärstudienbereich an der Leuphana Universität Lüneburg und arbeitete für Kunstinstitutionen in Deutschland und Italien.

Katrin Hassler

Kunst und Gender Zur Bedeutung von Geschlecht für die Einnahme von Spitzenpositionen im Kunstfeld

Gefördert vom Deutschen Akademikerinnenbund e.V., www.dab-ev.org.

Gefördert von der Gerda-Weiler-Stiftung für feministische Frauenforschung e.V. D – 53894 Mechernich, www.gerda-weiler-stiftung.de. Gefördert von der Ludwig Sievers Stiftung, http://www.sievers-stiftung.de. Zgl.: Dissertation, Leuphana Universität Lüneburg, 2016, u. d. T.: Das Paradox der Geschlechterdichotomie – Eine empirische Studie zur Bedeutung von Geschlecht für die Einnahme von Spitzenpositionen im Kunstfeld.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:// dnb.d-nb.de abrufbar. © 2017 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: Katrin Hassler Druck: docupoint GmbH, Magdeburg Print-ISBN 978-3-8376-3990-2 PDF-ISBN 978-3-8394-3990-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

1. 2.  

 

3.  

 

Einleitung | 9

 Zentrale Forschungsfelder zu Kunst und Geschlecht | 23   2.1   Soziologische Zugänge | 24   2.2   Kulturpolitische Untersuchungen | 38   2.3   Der kunsthistorische Gender-Diskurs | 46   2.4   Geschlechterforschung und Spitzenpositionen | 62 Theoretischer Rahmen: Eine paradoxe Logik in einem paradoxen Feld | 69  

3.1   Die männliche Herrschaft | 71   3.1.1   Naturalisierung des Geschlechterverhältnisses und symbolische Macht | 77   3.1.2   Vergeschlechtlichter und vergeschlechtlichender Habitus | 84   3.1.3   Macht der Struktur und Faktoren der Veränderung | 91   3.1.4   Synthesen: Geschlecht im sozialen Raum | 98   3.2   Das Kunstfeld | 115   3.2.1   Koexistenz: Ökonomische Logik und reine Kunst | 117   3.2.2   Kapital | 120   3.2.3   Position und Disposition | 125   3.2.4   Die Geschlechterdimension im Kunstfeld – zum Ansatz einer Gender-Kunstfeld-Theorie | 129

 

4.  

Empirische Untersuchung: Geschlechterstrukturen an der Spitze des Kunstfelds – Produktion und Vermittlung in relativer Distanz zu den Zentren der Macht | 145

4.1   Untersuchungsdesign | 146   4.1.1   Methodisches Vorgehen | 146   4.1.2   Begriffe und ihre Operationalisierung | 153   4.1.2.1    Geschlecht als Dichotomie | 153   4.1.2.2   Akteur/innen und Institutionen | 158   4.1.2.3   Die internationale Spitze in einem globalen Feld | 163

 

4.2   Untersuchungsergebnisse I: Künstler/innen – vergeschlechtlichte Strukturen in der Kunstproduktion | 167   4.2.1  Drei Ebenen der Exklusion: Marginalisierung und Prädisposition in der relativen Betrachtung des Feldes | 167   4.2.2   Generationenfrage – persistente Ungleichheit und veränderte Inklusion | 174   4.2.3   Die geografische Herkunft: Zentrum, Peripherie und Künstlerinnen aus dem Iran | 189   4.2.4   Abgehängt – ökonomisches Kapital | 205   4.2.5   Der geringe Einfluss von Geschlecht in der regressionsanalytischen Betrachtung | 218   4.2.6   Zur relativen Autonomie symbolischen sowie ökonomischen Kapitals und Pablo Picasso wie Andy Warhol als Ausnahmestars (Exkurs) | 226   4.3   Untersuchungsergebnisse II: Kunstfeldakteur/innen | 231   4.3.1   Vermittlerinnen – die musealen Spitzen und führenden Galerien | 232   4.3.2   Die hundert Mächtigen – Sammler/innen, Kurator/innen und weitere Akteur/innen des Feldes | 247

 

5.  

Zusammenfassung und Resümee: Das Paradox der Geschlechterdichotomie im Kunstfeld | 255

 

Anhang | 277

 

Literaturverzeichnis | 281

 

Abbildungsverzeichnis | 303

 

Tabellenverzeichnis | 305

 

Dank | 307  

 

 

 

                                               

„Ich hätte mich sicherlich nicht einem solch schwierigen Thema gestellt, wenn nicht die ganze Logik meiner Forschung mich dazu veranlaßt hätte. In der Tat habe ich mich über das, was man das Paradox der doxa nennen könnte, schon immer gewundert. Die Tatsache, daß die Weltordnung, so wie sie ist, mit ihren Einbahnstraßen und Durchfahrverboten, im eigentlichen wie im übertragenen Sinn, ihren Verpflichtungen und Sanktionen grosso modo respektiert wird und daß es nicht zu mehr Zuwiderhandlungen oder Subversionen, Delikten und »Verrücktheiten« kommt […]. Ich habe auch immer in der männlichen Herrschaft und der Art und Weise, wie sie aufgezwungen und erduldet wird, das Beispiel schlechthin für diese paradoxe Unterwerfung gesehen, die ein Effekt dessen ist, was ich symbolische Gewalt nenne. […]“ PIERRE BOURDIEU (2005), DIE MÄNNLICHE HERRSCHAFT, S. 7F.

 

1.

Einleitung

„Da die Frauen das symbolische Kapital der Familien verwalten, sind sie ganz folgerichtig dazu berufen, diese Rolle auf den Unternehmensbereich zu übertragen. […] Das erklärt, inwiefern man die Frauen generell durch einfache Ausweitung ihrer traditionellen Rolle mit Funktionen (zumeist untergeordneter Art, obwohl der kulturelle Sektor einer der wenigen ist, wo Frauen Führungspositionen besetzen können) in der Produktion oder Konsumption der symbolischen Güter und Dienstleistungen […] bis hin zur Haute Couture oder hohen Kultur betrauen kann.“1

Pierre Bourdieu weist in diesem Zitat nicht nur auf die Ausweitung der traditionellen Rolle von Frauen (vom häuslichen Rahmen auf den Unternehmensbereich) hin, die sich in die symbolische Produktion wie Konsumption hinein erstreckt und damit neben der Haute Couture auch die hohe Kultur umfasst; Bourdieu skizziert den kulturellen Sektor überdies als einen der wenigen, in dem Frauen die Einnahme von Führungspositionen möglich ist.2 Erweisen sich diese Thesen in der Konfrontation mit dem aktuellen Diskurs um Kunst und Gender als bislang kaum beachtet, rückt Bourdieu gerade hinsichtlich der Analyse von Spitzenpositionen Faktoren in das Blickfeld, die eine Betrachtung von Geschlechterungleichheit im Kunstfeld in Relation zum gesellschaftlichen Raum nahelegen. Eine solche Perspektivierung des Gender-Kunst-Diskurses auf der Grundlage einer Gesellschaftstheorie3 vermag es, das

                                                                                                                                                                           

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Bourdieu (2005a), S. 173ff. Vgl. ebd. Zur Bedeutung einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive in der Geschlechterforschung und dem Beitrag, den Bourdieu hier leistet, äußern sich beispielsweise Jäger/König/ Maihofer: „Wie inzwischen von vielen betont (vgl. Kahlert und Weinbach in diesem Bd.), reichen Einzelanalysen nicht mehr aus, um die gegenwärtigen Transformationsprozesse in den Geschlechterverhältnissen und deren komplexe Gleichzeitigkeit von Wandel und Persistenz angemessen zu erfassen. Ihre kritische Einschätzung bedarf einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive und damit einer produktiven Verbindung von Gesellschaftstheorie und Geschlechterforschung (vgl. auch Maihofer 2007). Hierzu leistet Bourdieu in Die männliche Herrschaft einen wichtigen Beitrag.“ [Herv. im Orig.] (Jäger/König/Maihofer [2015], S. 29).

10 | K UNST UND G ENDER

Kunstfeld4 als ein Subuniversum des sozialen Raums – und nicht als eine isolierte Sphäre – zu erfassen, wobei diese Relationalität gleichermaßen für die geschlechtliche Strukturierung dieses Mikro- wie Makrokosmos gilt. Dem Ansatz gelingt es infolgedessen, die in der kunstwissenschaftlichen Forschung, Kunstkritik wie Kunstpraxis häufig vertretene These der Marginalisierung von Frauen nicht nur kritisch zu hinterfragen, sondern auch in einem Gefüge gesellschaftlicher Machtbeziehungen zu entziffern. Als ein Merkmal des spätestens seit den 1970er Jahren existenten und stetig intensivierten Diskurses um Kunst und Geschlecht erweist sich eine vergleichsweise beharrliche Resistenz gegen quantitative Verfahren, die sich in einer relativ begrenzten Datenlage zur Repräsentanz von Frauen im Kunstfeld – für das Spitzenfeld gilt dies in besonderem Maße – äußert. Gerade diesbezügliche Daten vermögen es indessen, in der Verknüpfung mit den vielzähligen Ergebnissen der stark idio- wie ethnografisch ausgerichteten kunsthistorischen und -wissenschaftlichen Forschung, der Diskussion neue Impulse zu liefern. Intention der vorliegenden Auseinandersetzung ist es, diese Lücke an Daten zur geschlechtlichen Strukturierung des Spitzenfelds der Kunst um ein weiteres Stück zu schließen. Die empirische Untersuchung wie die Interpretation der Daten verläuft dabei entlang einer theoretischen Reflexion anhand eines auf Bourdieus Geschlechtertheorie sowie seiner Theorie des künstlerischen Feldes entwickelten Ansatzes einer Gender-Kunstfeld-Theorie. Ergebnisse aus der kunsthistorischen wie kunstwissenschaftlichen Forschung dienen gleichwohl als wesentliche Bezugspunkte der Analyse. Die Debatte zum künstlerischen Feld bildet in der geschlechtertheoretischen Beschäftigung Pierre Bourdieus zwar keinen zentralen Analysegegenstand und ebenso wenig zeigt Bourdieu Interesse an einer gesonderten                                                                                                                                                                            

4

Abweichend von Bourdieus Bezugnahme auf das künstlerische Feld wird in der vorliegenden Analyse auf das Kunstfeld rekurriert, was sich in der Berücksichtigung von Kunst produzierenden wie vermittelnden Akteur/innen erklärt. Zwar geht Bourdieu von dem methodischen Postulat aus „[…]  dass das »Subjekt« der künstlerischen Produktion und ihres Produkts nicht der Künstler sei, sondern die Gesamtheit der Akteure, die mit der Kunst verbunden, an der Kunst und deren Existenz interessiert, von ihr angezogen sind, die von der und für die Kunst leben – Produzenten von als künstlerisch eingestuften Werken (großen oder kleinen, berühmten, das heißt gefeierten, oder unbekannten), Kritiker, Sammler, Kunstvermittler, Konservatoren, Kunsthistoriker usw.“ (Bourdieu [1993c], S. 210f.) und subsumiert die Kunst gleichermaßen „in der Tradition anti-idealistischer Zugänge gerne unter dem Begriff der »kulturellen« oder auch »symbolischen Produktion«“ (Wuggenig [2011], S. 482; Wuggenig bezieht sich hier auch auf Chiapello [1998], S. 231). In der Bevorzugung des Begriffs des „künstlerischen Feldes“ gegenüber dem des „Kunstfelds“ oder auch „ästhetischen Feldes“ (siehe dazu Berleant [1970]) geht es Bourdieu „in erster Linie darum, das Kunstwerk von der Produktionsseite her zu erklären, aus der Handlungslogik der Schaffenden. Diese Handlungslogik impliziert seiner Meinung nach beim Autor durchaus auch Vorannahmen eines potentiellen Zielpublikums der ästhetischen Produkte; diese Hypothesen bleiben aber immer noch Teil des Produktionsaspektes.“ (Jurt [2010], S. 313; siehe dazu auch Wuggenig [2011], S. 482). In der Wiedergabe und Deskription der Theorie Bourdieus wird in der vorliegenden Untersuchung entsprechend die Verwendung des „künstlerischen Feldes“ beibehalten.

 

E INLEITUNG

| 11

Bezugnahme auf Geschlecht in der Erstellung seiner Theorie des künstlerischen Feldes. Wie eingangs verdeutlicht, liefert sein Ansatz dennoch einen aufschlussreichen und bislang nur schwach beachteten Beitrag zum Diskurs um Kunst und Geschlecht. Die vorgenommene Synthese und die Weiterentwicklung der beiden theoretischen Bezugspunkte bieten dabei einen Rahmen, der die Argumentationen zu Geschlechterrepräsentationen im Kunstfeld um eine kritische Perspektive auf symbolische Gewalt und Machtverhältnisse bereichert und es ermöglicht, vergeschlechtlichte Machtverhältnisse samt des relationalen Verhältnisses von Akteur/innen, Institutionen und Feldern in den Fokus zu rücken. Als zentrale Ergebnisse des Vorgehens lassen sich nicht nur die Darstellung der relativen Unterrepräsentation von Frauen im Spitzenfeld der Kunst sowie Abstufungen nach produktiven und vermittelnden Positionen hervorheben; auch die Dechiffrierung der Befunde mittels der These der relativen Distanz dieses sozialen Universums zum Zentrum der Macht gewährt eine neue Perspektive auf die Geschlechterdifferenzierung im Kunstfeld, die immer auch entlang der historischen Verwobenheit vergeschlechtlichter Habitus und strukturaler Eigenschaften des Feldes zu analysieren ist. Die französische Soziologin Marie Buscatto bezeichnete die Forschung zu Frauen in künstlerischen Feldern im Jahr 2007 als einen „Boom“5 und es lassen sich vielzählige Beispiele nennen, die von der anhaltenden Aktualität des Themas zeugen – im wissenschaftlichen Diskurs wie im Praxisfeld der visuellen Künste. Die beiden Diskussionsebenen – Wissenschaft und Praxis – erweisen sich dabei an vielen Stellen als nicht klar voneinander differenzierte Sphären, häufig bilden gerade ihre Schnittstellen ein Charakteristikum der hier relevanten Debatten (weitere Ausführungen dazu finden sich unten). Aus den vergangenen Jahren lässt sich eine Reihe an Journals, Publikationen und Konferenzen nennen, in denen die Bedeutung von Geschlecht im Kunstfeld innerhalb eines Wissenschaftsdiskurses oder zumindest eines wissenschaftsnahen Diskurses – meist maßgeblich in der Kunstgeschichte verankert – zur Diskussion stand. Um nur einige wiederzugeben, erschien im Dezember 2011 eine Ausgabe „Feminism!“ des in Deutsch und Englisch publizierten Kunstjournals „Texte zur Kunst“.6 Unter der Herausgeberschaft von Isabelle Graw diskutieren Kritiker/innen und Wissenschaftler/innen wie Marie-Luise Angerer, Elahe Haschemi Yekani, Charlotte Klonk, Pamela M. Lee und Julia Voss die Aktualität von Feminismus und Post-Gender.7 Zentral stellte sich die Frage nach dem Status quo der mit dem Begriff „Feminismus“ assoziierten Bewegung zwischen den politisierten Ursprüngen und einem Zeitgeist des „Postfeminismus“, den die Autorinnen auch als „Symptom einer sich selbst als »postideologisch« gerierenden Ideologie“ bezeichnen.8 Mit der Zeitschrift „FKW // Zeitschrift für Geschlechterforschung und visuelle Kultur“ existiert für den deutschsprachigen Raum seit dem Jahr 1986 ferner ein Organ, das sich ausschließlich dem in seinem Titel genannten Thema widmet und sich jüngst u. a. mit Fragen zu (Post-)Kolonialität9 oder Intersektionalität10 auseinander                                                                                                                                                                            

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Vgl. Buscatto (2007), S. 71. Vgl. Graw (2011) (Hg.). Vgl. ebd. Vgl. Buchmann/Graw/Rebentisch (2011), S. 4. Vgl. Brandes/Wienand (Hg.) (2016).

 

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setzte. Die Zeitschrift intendiert laut eigener Angaben eine kritische Kulturgeschichte des Visuellen aus einer Gender-Perspektive und geht über eine rein kunst- und kulturtheoretische Betrachtungsweise hinaus.11 Auf internationaler Ebene kommt dem Online-Journal „n.paradoxa“, seit dem Jahr 1998 herausgegeben von der Kunsthistorikerin Katy Deepwell, eine ähnliche Funktion zu.12 Das Journal ist in seiner Orientierung auf zeitgenössische Kunst (post 1970) und „visual arts only“ ausgerichtet.13 Ein besonders prominentes Beispiel bildet das Symposium „The Feminist Future: Theory and Practice in the Visual Arts“ im Jahr 2007 im MoMA (Museum of Modern Art, New York), also einer mit höchster Konsekrationsmacht ausgestatteten Institution des Feldes. Die Debatte – an der sich auch Akteurinnen aus der Wissenschaft wie Linda Nochlin oder Griselda Pollock beteiligten – erweist sich hier als im Zentrum des Kunstfelds (bezogen auf das Praxisfeld) angelangt. Weitere Konferenzen erfolgten in jüngerer Zeit im Neuen Berliner Kunstverein unter dem Titel „f******* – Towards New Perspectives on Feminism“14 (auf den Podien diskutierten Akteurinnen aus dem Praxisfeld wie Katharina Grosse, Philomene Magers ebenso wie die Wissenschaftlerin Angela McRobbie) sowie im Bonner Kunstverein unter dem Titel „Ihre Geschichte(n)“15. Beide wurden im Jahr 2013 abgehalten, letztere mit Fortsetzungen in München („Door Between Either and Or Part“) und Bremen („Girls can tell“).16                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    

10 Vgl. Frübis/Futscher (Hg.) (2014). 11 „FKW […] analysiert visuelle Repräsentationen und Diskurse in ihrer gesellschaftlichen und geschlechterpolitischen Bedeutung. So verbindet FKW kunst- und kulturtheoretische, bild- und medienwissenschaftliche, genderspezifische, politische und methodische Fragestellungen zu einer kritischen Kulturgeschichte des Visuellen.“ https://www.fkw-journal.de/ [02.02.2016]. 12 In der Januar-Ausgabe des Jahres 2016 stand etwa der Beitrag von Frauen in der „Sound Art“ zur Diskussion (vgl. Deepwell [Hg.] [2016]), einige Ausgaben zuvor das Thema „Lessons from History“ – debattiert wurde zum einen über die feministische Geschichte, zum anderen über Dominanzstrukturen spezifischer „Geschichten“ (vgl. dies. [Hg.] [2015], S. 4). 13 Vgl. http://www.ktpress.co.uk/about-nparadoxa.asp [02.02.2016]. 14 Siehe dazu: http://www.nbk.org/diskurs/feminismus_symposium.html [10.03.2015]. 15 Siehe dazu: http://www.bonner-kunstverein.de/ausstellungen/archiv/ihre-geschichten/ 16 Siehe dazu: http://www.kunstverein-muenchen.de/de/doorbetweeneitherandorpart2 [10.03. 2015] sowie http://www.gak-bremen.de/de/ausstellungen/girls-can-tell/ [10.03.2015]. Die Präsenz des Diskurses auf medialer Ebene unterstreichen zahlreiche Beiträge aus der Kunstpresse der letzten Jahre. Um nur einige Beispiele zu nennen, diskutierte das Magazin ARTnews die Repräsentation von Künstlerinnen auf der bevorstehenden Venedig Biennale von Okwui Enwezor im April 2015 mit der Überschrift „What’s the gender makeup of the 2015 Venice Biennale?“. Beantwortet werden konnte die Frage mit einem Künstlerinnenanteil von 33 % gegenüber einem Künstleranteil von 54 %, die weiteren 13 % setzten sich aus Kollektiven zusammen (vgl. ARTnews [2015b]). In der Ausgabe vom Juni desselben Jahres widmete sich das Magazin dem Thema „Women in the Art World“ (vgl. ebd. [2015a]). Im Online-Magazin Artnet News fand sich im September 2014 (neben weiteren Gender-Artikeln) die Frage: „Is the Art World Biased?“ (vgl. Artnet News  

 

E INLEITUNG

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Zwei Merkmale, die den Diskurs um Kunst und Geschlecht – dessen Beginn meist in der Veröffentlichung des 1971 publizierten Artikels Linda Nochlins „Why have there been no great women artists?“ angesetzt wird17 – auszeichnen, bedürfen einer besonderen Akzentuierung: Wie oben angeführt, setzen sich verschiedene Akteursgruppen auf unterschiedlichen institutionellen Ebenen mit diesem Diskurs auseinander. Dabei bilden sich die Diskussionsstränge häufig nicht explizit innerhalb des Wissenschaftsoder Praxisfeldes aus, vielmehr generieren Wissenschaftler/innen, Künstler/innen, Kurator/innen und Kritiker/innen gemeinsame Foren und agieren somit in einem auch als transdisziplinär zu bezeichnenden Raum.18 Dieses Zusammenkommen auf verschiedenen professionellen Ebenen gelagerter Perspektiven erschwert mitunter eine klare Abgrenzung der wissenschaftlichen von künstlerischen oder kunstkritischen Positionen. Bereits die Anfänge der Auseinandersetzungen um Kunst und Geschlecht in den 1970er Jahren im Rahmen der sogenannten zweiten, stark politisierten und aktivistisch ausgerichteten feministischen Welle spielten sich verstärkt in einem sämtliche gesellschaftliche Bereiche integrierenden und weniger disziplinär eingeschränkten wissenschaftlichen Diskurs ab. Das Symposium „The Feminist Future“ weist (wie die weiteren genannten) auf eine Fortsetzung dieser Tradition hin. Obgleich sich an diese Phase eine Ausdifferenzierung in akademische und stärker handlungsorientierte Felder anschloss, ist hier ein Ursprung der auch im neuen Jahrtausend fortbestehenden transdisziplinären Einheiten des Diskurses, wie Bezugnahmen auf mannigfaltige theoretische Zugänge, zu vermuten. So vertraten und diskutierten die Protagonist/innen verschiedener Generationen von Wissenschaftler/innen, Künstler/innen                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    

[2014a]). Und der Kunstkritiker Brian Boucher bemerkte in einem Artnet-News-Artikel aus dem März 2015: „[…] girls run the world. That’s arguably especially true in the art world […].“ (Boucher [2015]). Den Standpunkt Bourdieus überschreitend bezieht er sich auf die große Anzahl mächtiger und einflussreicher Kunstberaterinnen, Spezialistinnen in Auktionshäusern und Galeristinnen, die im internationalen Feld agieren (vgl. ebd.). In seiner Bezugnahme auf „Mädchen“ erweist sich das gendertheoretische Reflexionsvermögen des Kritikers allerdings als gering. Die Reichweite der Diskussion auch in populäre Medien hinein und über die Profession der Künstlerin hinaus zeigt ferner die DezemberAusgabe der „Vanity Fair“ des Jahres 2014: In dieser wurden unter dem Titel „Prima Galleristas“ führende internationale Galeristinnen vorgestellt und von der Fotografin Annie Leibovitz als die einflussreichen vierzehn Frauen dieses Metiers inszeniert (siehe dazu Sischy [2014]). Folgende Galeristinnen sind in der Fotografie von Leibovitz abgebildet: Eva Presenhuber, Galerie Eva Presenhuber; Marianne Boesky, Marianne Boesky Gallery; Paula Cooper, Paula Cooper Gallery; Marian Goodman, Marian Goodman Gallery; Barbara Gladstone, Gladstone Gallery; Shaun Caley Regen, Regen Projects; Helene Winer, Metro Pictures Gallery; Janelle Reiring, Metro Pictures Gallery; Luisa Strina, Galeria Luisa Strina; Philomene Magers, Sprüth Magers; Jeanne Greenberg-Rohatyn, Salon 94; Victoria Miro, Victoria Miro Gallery; Monika Sprüth, Sprüth Magers; Rhona Hoffman, Rhona Hoffman Gallery (die Fotografie von Leibovitz ist online einsehbar, siehe dazu: http://www.vanityfair.com/culture/2014/12/women-art-dealers-portraits [01.06.2015]). 17 Siehe dazu bspw. Lee (2011), S. 43. 18 Zum Begriff der Transdisziplinarität siehe beispielsweise Mittelstraß (2007) sowie Gibbons et al. (1994) und Nowotny/Scott/Gibbons (2001) zum „Mode 2“ Diskurs.

 

14 | K UNST UND G ENDER

und Kurator/innen im MoMA den Status quo des Diskurses unter Heranziehung essentialistischer, dekonstruktivistischer, intersektionaler und postkolonialer Theorien, die Erweiterungen in den Diskussionen der Men-, Queer- und Transgender-Studies fanden.19 Als zweites charakteristisches Merkmal der Debatte lässt sich eine weitgehend idiografische Ausrichtung aufzeigen. Wie bereits angeführt liegen, im Gegensatz zu an qualitativen bzw. ethnographischen Analyseverfahren orientierten Studien, vergleichsweise wenige Auseinandersetzungen vor, in welchen die Gewinnung von numerischen Daten bzw. Analysen mittels quantitativer Methoden im Vordergrund stehen.20 Für Untersuchungen des internationalen Spitzenfelds der Kunst gilt dies in besonderem Maße. Ausnahmen bilden die von Alain Quemin im Rahmen der Studie „Les Stars de l’art contemporain“ im Jahr 2013 durchgeführten Geschlechteranalysen sowie die von Gudrun Quenzel im Jahr 2000 vorgelegte Untersuchung „Inklusion und Exklusion im Kunstfeld – Prozesse geschlechtsspezifischer sozialer Schließung“. Beide Auseinandersetzungen bilden – wie sich im Verlauf der Studie abzeichnet – zentrale Grundlagen in diesem Diskurs und in der sich daran anschließenden Dissertation. So wird im Rahmen der Untersuchung neben der Bezugnahme auf die Daten und Ergebnisse der genannten Studien auch ein methodisch ähnliches Vorgehen gewählt, das auf der Auswertung aus verschiedenen Kunstfeldrankings gewonnener Sekundärdaten basiert. Anders als in der Untersuchung Quemins erfolgt eine theoretische Rahmung der Daten, die einer Zuspitzung der Interpretation der Ergebnisse sowie einer Akzentuierung der machtanalytischen Perspektive über die Ansätze Pierre Bourdieus dient. Von beiden Studien unterscheidet sich die Dissertation im Umfang der berücksichtigten Daten und hinsichtlich der Einbeziehung verschiedener Akteursgruppen. Nicht nur Künstler/innen als kunstproduzierende Teilnehmer/innen an den Spielen des Feldes, sondern auch Inhaber/innen vermittelnder Positionen (insbesondere Museumsdirektor/innen und Galerist/innen) werden in das Untersuchungsdesign integriert. Diese Ausweitung der Perspektive ermöglicht neben der numerischen Auswertung eine genaue Beobachtung der in den diversen Geschlechterrepräsentationen versteckten Ungleichheits- und Machtverhältnisse. Die vorgelegte Analyse deckt nicht weniger als 2500 Künstler/innen im Spitzenbereich ab, außerdem rund 200 führende Positionen im Bereich der Museumsdirektor/innen und Galerist/innen, während in den älteren Studien eine Konzentration auf die Top 100 Künstler/innen erfolgte. Mittels der Berücksichtigung der gemäß dem Kriterium der sym                                                                                                                                                                            

19 Siehe dazu auch Widrich (2007). Lucy Lippard, Linda Nochlin, Griselda Pollock und Anne Wagner stehen dabei für eine Generation an Kunsthistoriker/innen, die den Diskurs seit den 1970er Jahren vorantreiben. Auf dem Symposium vertreten war zudem eine jüngere Generation an Kunsthistoriker/innen, Kunstwissenschaftler/innen und Kurator/innen, u. a. Ute-Meta Bauer, Beatriz Colomina und Catherine de Zegher. Marina Abramovic, die Guerrilla Girls und Martha Rosler beteiligten sich als Künstler/innen an dem Symposium. 20 Wie in dem Kapitel zu den zentralen Forschungsfeldern verdeutlicht, liegt zwar eine nicht zu geringe Anzahl an Untersuchungen aus kunstsoziologischer, -ökonomischer wie kulturpolitischer Perspektive vor, diese fanden bis dato aber keine systematische Integration in die maßgeblich im kunsthistorischen Diskurs verankerte Debatte um Kunst und Geschlecht.

 

E INLEITUNG

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bolischen Anerkennung führenden 2500 Positionen des Kunstfelds konnte verdeutlicht werden, mit welchen Verzerrungen die Fokussierung auf die Top 100 Positionen einhergeht. Dies zeigt sich nicht nur in Bezug auf das Charakteristikum Geschlecht, sondern auch im Hinblick auf andere Merkmale der Akteur/innen, beispielsweise deren geografische Herkunft. Somit können vergeschlechtlichte Machtverhältnisse mittels eines den Untersuchungsraum stärker differenzierenden Betrachtungsansatzes analysiert werden, der – wie verdeutlicht werden soll – für die Diskussion fruchtbar ist, bislang jedoch keine Beachtung gefunden hatte. Die Recherche veranschaulichte zudem, dass diejenigen Studien, die Daten zu dieser Thematik liefern, selten auf komplexeren statistischen Modellen basieren und sich vorwiegend im Bereich einfacherer Survey-Forschung bewegen, die sich auf lineare Verteilungen und Kreuztabellen stützt. Beachtlich ist, dass verschiedene Ansätze aus nichtakademischen Kontexten zur Verfügung stehen, die unter Berücksichtigung ihrer Entstehungskontexte in einem wissenschaftlichen Diskurs, der selbst vergleichsweise wenige Zahlen zur Verfügung stellt, Anknüpfungspunkte bieten. Neben der Künstlerinnengruppe „Guerrilla Girls“ trifft dies auch auf die Arbeiten der Kuratorin und Journalistin Maura Reilly zu. In Performances und Aktionen weisen die Guerrilla Girls seit der Mitte der 1980er Jahre auf die weitgehende Exklusion von Frauen im Mikrokosmos der Kunst hin, indem sie (meist) auf Plakaten Daten zur Marginalisierung von Künstlerinnen in bedeutenden Ausstellungshäusern präsentieren. 21 „Do women have to be naked to get into the Met. Museum?“22 Diese Frage nach der Repräsentation von Frauen in zweierlei Hinsicht stellten die Guerrilla Girls erstmals im Jahr 1989; auf das Feld der Moderne sowie dessen Rezeption in der zeitgenössischen Ausstellungspraxis bezugnehmend, gaben sie dabei Folgendes zu bedenken: „Less than 5 % of the artists in the Modern Art sections are women, but 85 % of the nudes are female.“23 Reillys Beitrag „Taking the Measure of Sexism: Facts, Figures and Fixes“ erschien in einer speziell zu Frauen in der Kunstwelt herausgegebenen Ausgabe der Zeitschrift ARTnews. In verschiedenen Grafiken zur Beteiligung von Künstlerinnen an Ausstellungen in bedeutenden Museen in den USA, in Frankreich, in Deutschland und im Vereinigten Königreich sowie auf internationalen Biennalen, etwa der documenta, der Venedig Biennale und der Whitney Biennale, weist lediglich letztere im Jahr 2010 einen Künstlerinnenanteil von 50 % auf.24 Die Kunsthistorikerin Katy Deepwell widmet sich dem Phänomen seit mehreren Jahren in Publikationen sowie in dem erwähnten Online-Journal n.paradoxa und lieferte u. a. Daten, die sich auf die Beteiligung von Künstlerinnen an der documenta zwischen den Jah                                                                                                                                                                            

21 Vgl. Guerrilla Girls (1989): http://www.guerrillagirls.com/posters/nakedthroughtheages. shtml [28.06.2014]. 22 Ebd. 23 Vgl. http://www.guerrillagirls.com/naked-through-the-ages/ [20.02.2017]. Eine Wiederholung der Aktion in den Jahren 2005 und 2012 brachte sogar eine rückläufige Präsenz von Künstlerinnen in den Abteilungen für „Modern Art“ des Metropolitan Museum of Art in New York (Met) in diesem Zeitraum zum Vorschein. Laut den Angaben auf dem Plakat zählten sie für das Jahr 1989 5 % Künstlerinnen, für das Jahr 2005 3 % und für das Jahr 2012 geben die Guerrilla Girls einen Künstlerinnenanteil von 4 % an (vgl. ebd.). 24 Vgl. Reilly (2015). Die Whitney Biennale 2010 kuratierte Francesco Bonami (siehe ebd.).

 

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ren 1955 (4 %) und 2007 (46 %) beziehen.25 Im Rahmen dieser Auseinandersetzung diskutiert Deepwell das Fehlen von Gender-Statistiken zum Kunstfeld und führt diese Lücke auf eine im Feld vorherrschende Abneigung gegen Statistiken bzw. Quantifizierung im Allgemeinen und Gender-Statistiken im Besonderen zurück.26 Sie schildert diesbezüglich ihre Erfahrung in einer Panel-Diskussion zu dem Thema „What about Feminism“ im Stedelijk Museum im Dezember 2005: „When I and another speaker presented the levels of representation of women artists, this provoked a very negative response from the audience, but especially from several young curators present. The implication of their criticism was that figures about the proportion of male to female artists in exhibitions or in society are not relevant and to cite or use them, was not just inadequate, but even not permissible.“27

Ausschlaggebend für die insgesamt geringe Bezugnahme auf Zahlen zum Geschlechterverhältnis in diesem Diskurs ist neben den von Deepwell veranschaulichten individuellen Abneigungen, die in den (hyper-)idealistischen, -konstruktivistischen und -individualistischen Traditionen des Feldes wurzeln, ferner, dass zum Kunstfeld, dessen Subfeld der visuellen Künste und insbesondere dessen Spitzensegment nur wenige Untersuchungen existieren, die als Verweisquellen überhaupt zu verwenden wären. Datensätze, die einer Sekundärdatenauswertung dienen können, erweisen sich als rar, was u. a. auf der relativ geringen Größe des Feldes in Verbindung mit seiner grundsätzlichen Intransparenz sowie seinen nicht selten informellen Berufsbildern und Ausbildungswegen gründet. Wie Quenzel auf Bourdieu bezugnehmend beschreibt, handelt es sich bei dem Berufsbild Künstler/in um eines der am wenigsten kodifizierten.28 Bourdieu äußert sich folgendermaßen zur Offenheit künstlerischer und literarischer Felder, die er vom bedeutend stärker kodifizierten bzw. regulierten universitären Feld abgrenzt: „Im Unterschied vor allem zum universitären Feld ist für die literarischen oder künstlerischen Felder ein sehr geringes Ausmaß an Kodifizierung kennzeichnend. Eine ihrer hervorstechendsten Eigenschaften besteht in der hohen Durchlässigkeit ihrer Grenzen und der extremen Diversität, in der Definition der von ihnen gebotenen Posten und in eins damit der Legitimitätsprinzipien, die sich hier gegenüberstehen […].“ [Herv. im Orig.]29

Nach Mayerhöfer stoßen regelmäßig durchgeführte Evaluationen wie der Mikrozensus oder Volkserhebungen (die das Feld nur aggregiert erfassen) auch deshalb an                                                                                                                                                                            

25 Vgl. Deepwell (2009), S. 10. 26 Vgl. ebd. Auf die Untersuchungen und Texte Katy Deepwells wird im Folgenden verschiedentlich Bezug genommen, an dieser Stelle sei lediglich auf dies. (2009 und 2010) verwiesen. Erwähnt sei auch, dass Deepwell auf das „fragmentarische, lückenhafte statistische Bild zu professionell im Kunstfeld tätigen Frauen“ bereits vor mehr als zehn Jahren aufmerksam machte (vgl. dies. [2001], S. 6). 27 Dies. (2009), S. 10f. 28 Vgl. Quenzel (2000), S. 25. 29 Bourdieu (1999), S. 358.

 

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Grenzen, weil eine trennscharfe Unterscheidung von Kunstarbeitsmärkten im engeren Sinn und Kulturarbeitsmärkten im weiteren Sinn nicht möglich ist.30 Für den ökonomischen Pol des Feldes in Deutschland liegen zwar seit mehreren Jahren Daten zum Kunstmarkt in der amtlichen Statistik vor, diese berücksichtigen aber erstaunlicherweise nicht die Genderdebatte.31 Neben einer solchen „Geschlechterblindheit“ der amtlichen Kulturstatistik – was gleichermaßen auf Deutschland und die Schweiz zutrifft, auf Österreich nur bedingt32 – erweist sich überdies die bereits angesprochene methodologische Orientierung der vornehmlich mit dieser Diskussion beschäftigten Disziplinen, wie der kunsthistorischen Forschung, in Teilen auch der Geschlechterforschung, für die insuffiziente Datenbasis zum Kunstfeld und dessen Spitzen verantwortlich. Bei Zugrundelegung der Unterscheidung von idiografischen und nomothetischen Herangehensweisen sind die Forschungsfelder, in denen die Diskussionen geführt werden, vornehmlich ersterer zuzuordnen.33 Allerdings resultieren beispielsweise aus den Digital Humanities neuere Strömungen in der Kunstgeschichte (wie in der Geschlechterforschung), die bezüglich der Methodik auch Veränderungen hin zu stärker quantitativ ausgerichteten Designs hervorrufen. Benjamin Zweig verweist in seinem Text „Forgotten Genealogies: Brief Reflections on the History of Digital Art History“ auf den im Vergleich zu anderen Disziplinen wie der Archäologie oder der Literaturwissenschaften verzögerten Integrationsprozess digitaler Instrumente.34 Dabei hebt er quantitative Designs als Herausforderung wie Ergänzung des kunsthistorischen Methodensets hervor: „As the foundation for methods such as topic modeling and data mining, the quantitative analysis of art historical data can be both a challenge and a complement to the case-study model of practice.“35 Ohne die Bedeutung der für die Diskussion zentralen Ergebnisse einer idiografischen oder stärker qualitativ wie ethnographisch orientierten Forschung aus den vergangenen Jahrzehnten in Abrede stellen zu wollen, möchte die vorliegende Untersuchung zeigen, dass eine Öffnung der Perspektive auf Analyseinstrumente des quantitativen Paradigmas der Diskussion um „Kunst und Geschlecht“ weitere Impulse und darüber hinaus auch Fundamente liefern kann. Eine qualitative Studie, die Phänomene in der Tiefe und in ihrer Singularität untersucht, ist demnach nicht als unvereinbar mit einer quantitativen Analyse zu betrachten, die eine weitreichende Datenbasis bietet, Zusammenhänge auf der Makroebene darzustellen und die Einordnung von Einzelfällen in umfassen                                                                                                                                                                            

30 Vgl. Mayerhöfer (2006), S. 276f. 31 Siehe dazu bspw. Bertschek et al. (2015, 2014). Die Nichtberücksichtigung der Genderdebatte in diesen vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie beauftragten Berichten erstaunt auch hinsichtlich des ansonsten relativ starken politischen Interesses an der Thematik und des weitgehenden Ausweises einer Gendervariablen in der amtlichen Statistik bezogen auf andere Berufsfelder wie dem der Wirtschaft oder Wissenschaft (siehe dazu bspw. Statistisches Bundesamt [2014b] sowie Mischke/Wingerter [2012]). Diese Lücke bedarf einer dringenden Schließung in weiteren Berichten. 32 Siehe dazu bspw. Weckerle/Schmucki/Page (2014) sowie creativ wirtschaft austria (2015). 33 Zu nomothetischen und idiografischen Herangehensweisen siehe bspw. Babbie (2014), S. 23ff. sowie S. 93ff. 34 Vgl. Zweig (2015), S. 40. 35 Ebd., S. 46.

 

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dere Strukturen vorzunehmen vermag.36 Denn wie im Verlauf der vorliegenden Untersuchung deutlich werden soll, kann gerade die Zusammenführung beider Perspektiven (quantitativer wie qualitativer) im Sinne von „Mixed Methods“ besonders fruchtbar sein.37 Die in Kapitel 2 ausgeführten Diskussionen zu den Diskursen in den verschiedenen relevanten Forschungsbereichen leisten daher auch einen bislang in der Literatur nicht vorhandenen Überblick über bestehende Erhebungen und Daten und damit ein Kompendium zu diesem Themenfeld. Erkennbar wird für den wissenschaftlichen Diskurs um Kunst und Gender, dass ein inter- oder sogar transdisziplinäres Vorgehen, bei dem thematisch konzentrierte Zugänge aus mehreren Forschungsfeldern – der (Kunst-)Soziologie, der Kunstgeschichte, der Kulturpolitik und der Geschlechterforschung – Beachtung finden, ausgesprochen ergiebig sein kann. Ungeachtet der aufgezeigten Schwierigkeiten, Daten zum Gender Gap im Kunstfeld zu erheben oder auf bestehende zurückzugreifen, kann zwischenzeitlich auf eine Reihe an Studien verwiesen werden – auch auf quantitativer Ebene. Sichtbar bleibt die Lücke hinsichtlich eines über den Bereich der führenden hundert künstlerischen Positionen hinausgehenden und weitere Akteursgruppen integrierenden Analyseansatzes. Die Studie gliedert sich in drei Untersuchungseinheiten: Zunächst erfolgt in Kapitel 2 eine Vorstellung der vier für die Analyse relevanten Forschungsfelder. In Kapitel 3 findet sich eine Darlegung des theoretischen Rahmens, in dem eine Zusammenführung des geschlechtertheoretischen Ansatzes Pierre Bourdieus mit seiner Theorie des künstlerischen Feldes sowie deren Weiterentwicklung zu einem Ansatz einer „Gender-Kunstfeld-Theorie“ geleistet wird. Und schließlich werden in Kapitel 4 Geschlechterstrukturen im Spitzenfeld der Kunst mittels einer auf verschiedenen Datensätzen basierenden empirischen Untersuchung in zwei Abschnitten analysiert und diskutiert. Kapitel 2 trägt den Titel „Zentrale Forschungsfelder zu Kunst und Geschlecht“ und dient der Vorstellung relevanter Zugänge aus der Soziologie, der Kunstgeschichte, der Geschlechterforschung sowie von kulturpolitischer Seite. Methodisch wie auch in ihrer theoretischen Bezugnahme auf Pierre Bourdieu ist die geleistete Untersuchung primär der Soziologie bzw. Kunstsoziologie im engeren Sinn zuzuordnen, in Kapitel 2.1 findet sich daher eine Diskussion zum Stellenwert „Geschlecht“ thematisierender Studien in diesem Forschungsfeld. Dabei stellt sich die Frage, weshalb in diesem Forschungsgebiet, das aufgrund des bestehenden methodischen wie theoretischen Instrumentariums für eine solche Analyse prädestiniert ist, lange wenig Interesse an diesem Themenkomplex bestand; Betonung findet aber auch die im deutschsprachigen Diskurs in jüngerer Zeit verstärkte Diskussion hierzu. Schließlich wird auf eine Reihe von Studien und Ergebnisse verwiesen, die für die vorliegende Untersuchung von Relevanz waren und wesentliche Anknüpfungspunkte boten. In Kapitel 2.2 wird mit „kulturpolitischen Untersuchungen“ ein zweiter Forschungsbereich akzentuiert, in dem quantitative Studien zur Thematik vorliegen. In der Recherche zeigte sich der Bestand einer Reihe solcher Analysen. Von den soziologischen Auseinandersetzungen unterscheiden sie sich maßgeblich in ihrer Zentrierung auf die Erzeugung von Handlungsempfehlungen für politische Institutionen, woraus vielfach                                                                                                                                                                            

36 Siehe dazu auch Olsen (2004), S. 9. 37 Zu Mixed Methods Ansätzen siehe u. a. Creswell (2009) sowie Gray (2014).

 

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ein weit gefasster Begriff kultureller und künstlerischer Felder resultiert. Zudem fehlt es in einigen Fällen an einer Differenzierung professioneller und nicht-professioneller Sphären wie Akteur/innen, was gerade in der Betrachtung von Machtverhältnissen zu Ungenauigkeiten führt. Unter Berücksichtigung dieser wesentlich dem Untersuchungskontext geschuldeten und in der kulturpolitischen Ausrichtung möglicherweise weniger bedeutsamen Problematiken bieten die Ergebnisse aufschlussreiche Orientierungspunkte und Vergleichsdaten, die in der vorliegenden Analyse von großem Nutzen waren. Die Darstellung erfolgt jedoch aus genanntem Grund getrennt von den soziologischen Untersuchungen. Einen zentralen Bezugspunkt bildete der in Kapitel 2 vorgestellte „kunsthistorische Gender-Diskurs“. In der Kunstgeschichte besteht spätestens seit den 1970er Jahren eine ebenso vielseitige wie breite Auseinandersetzung zur Analyse der Bedeutung von Geschlecht in künstlerischen Kontexten, wobei sich das Forschungsfeld in verschiedenen Entwicklungsstufen von einer marginalen Position in das Zentrum der kunsthistorischen Forschung und des Kunstdiskurses verlagerte. In der Diskussion dieser Subdisziplin der Kunstgeschichte stellt sich auch die Frage nach der Bedeutung quantitativer Analysen in der idiografisch ausgerichteten kunsthistorischen Forschung. Von besonderem Belang ist dabei, wie das Zusammenführen von Ergebnissen aus kunsthistorischen Studien mit solchen aus quantitativ orientierten soziologischen bzw. kunstsoziologischen Untersuchungen für beide Forschungskontexte fruchtbar gemacht werden kann. Als vierte Perspektive wird der Studie die Geschlechterforschung zugrunde gelegt. Zwar existieren hier zahlreiche Untersuchungen zu Spitzensegmenten verschiedener sozialer Felder, insbesondere dem wissenschaftlichen wie ökonomischen, das Kunstfeld findet in quantitativen Analysen bislang jedoch kaum Beachtung. Dies verwundert umso mehr, da es sich um ein soziales Universum handelt, für das ein ausnehmend hoher Frauenanteil im tertiären Bildungssektor (auf Studierendenebene wie auf den höheren Hierarchiestufen) kennzeichnend ist. Insofern bildet das Kunstfeld gerade für die Geschlechterforschung einen besonders interessanten, bislang aber wenig beleuchteten Untersuchungsraum. Für die vorliegende Studie spielt dieser Forschungsbereich wesentlich aufgrund der bestehenden theoretischen wie methodischen Herangehensweisen, der Instrumente und Konzepte eine besondere Rolle – für die Analyse relevante Aspekte werden in dem Kapitel vorgestellt. Resultierend aus den Darlegungen in Kapitel 2 kann erstmals ein Kompendium zu quantitativ orientierten Untersuchungen zu Gender und Kunst offeriert werden. Ferner zeigt diese Auseinandersetzung, inwiefern aus den einzelnen Perspektiven wesentliche Impulse zur Entwicklung des vorgelegten Forschungsdesigns erfolgten. In Kapitel 3 findet sich unter dem Titel „Theoretischer Rahmen: Eine paradoxe Logik in einem paradoxen Feld“ eine Ausführung der theoretischen Bezugspunkte der Untersuchung. Liegen nur wenige Überlegungen Pierre Bourdieus selbst vor, die sich explizit der Bedeutung von Geschlecht in künstlerischen Feldern widmen, wird eine fruchtbare Synthetisierung und Weiterentwicklung seiner Geschlechtertheorie sowie der Theorie des künstlerischen Feldes zu einem beide Ebenen integrierenden theoretischen Ansatz präsentiert. Damit erfolgt der Entwurf eines theoretischen Rahmens für die Untersuchung von Geschlechterstrukturen im Kunstfeld sowie die Explikation eines Analyseinstruments, welche es ermöglichen, Geschlecht als zentrale Analysekategorie für die Spitzenregionen des Kunstfeldes heranzuziehen; dieses Vorgehen erlaubt darüber hinaus, Machtverhältnisse – offensichtliche wie verdeckte

 

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– in den Fokus zu rücken. Kapitel 3.1 widmet sich Bourdieus geschlechtertheoretischem Entwurf „Die männliche Herrschaft“. Zentral sind dabei Ausführungen zur Naturalisierung der Geschlechterverhältnisse und zur symbolischen Macht (Kapitel 3.1.1), zum vergeschlechtlichten und vergeschlechtlichenden Habitus (Kapitel 3.1.2) sowie zum Kräftefeld der auf der Verteilung von Kapital beruhenden Struktur und zu Faktoren der Transformation des Feldes (Kapitel 3.1.3). Im Folgekapitel (Kapitel 3.1.4) wird das Konzept der männlichen Herrschaft mit geschlechtertheoretischen Überlegungen Bourdieus aus früheren Untersuchungen, aber auch mit Ergebnissen aus weiteren Studien der Geschlechterforschung konfrontiert, um eine Anwendbarkeit des Zugangs für Analysen des Sozialraums zu ermöglichen. Dieser Schritt der theoretischen Entwicklung einer Geschlechterdimension im sozialen Raum dient der Zuspitzung der Analyse des Kunstfelds, modelliert als ein Subuniversum der gesellschaftlichen Makrosphäre. Für die Untersuchung relevante Konzepte und Begriffe der Theorie des künstlerischen Feldes werden in Kapitel 3.2 vorgestellt. Ausführungen finden sich in diesem Zusammenhang zu der von Bourdieu für den Mikrokosmos der Kunst als grundlegend herausgestellten Koexistenz der ökonomischen Logik und der Logik der reinen Kunst (Kapitel 3.2.1); ferner stehen die verschiedenen in diesem Feld relevanten Kapitalformen (Kapitel 3.2.2) sowie Bourdieus Verständnis von Position und Disposition (Kapitel 3.2.3) im Vordergrund. In der abschließenden Synthese der präzisierten Ebenen wird die für die Studie entscheidende Geschlechterdimension des Kunstfelds herausdestilliert und zu einem Ansatz einer GenderKunstfeld-Theorie fortentwickelt (Kapitel 3.2.4). Ein besonderer Fokus liegt auf den von Flaubert in „Die Erziehung des Herzens“ vorgestellten und von Bourdieu im Anschluss daran interpretierten weiblichen Dispositionen. Der Prädisposition von Frauen, vermittelnde Aufgaben in dieser sozialen Sphäre zu übernehmen, kommt dabei besondere Aufmerksamkeit zu. Darüber hinaus erweist sich das Verständnis dieses sozialen Universums als ein beherrschtes im Machtfeld als zentral, da ein solches die relative Distanz zum Zentrum der Macht sowie die relative Domination eingenommener Positionen zu verdeutlichen vermag. In diesem Oszillieren zwischen einem Mikrokosmos, der sich als ein Möglichkeitsraum für Frauen in besonderem Maße herauskristallisiert, aber gleichzeitig immer auch einer relativen Beherrschung unterliegt, zeigt sich besonders deutlich, inwiefern das Geschlechterverhältnis im Kunstfeld als ein paradoxes zu bezeichnen ist. Für die empirische Untersuchung ergeben sich daraus die folgenden zentralen Fragestellungen: Ist das Kunstfeld als eine soziale Sphäre zu betrachten, in dem es Frauen in besonderem Maße gelingt, Spitzenpositionen einzunehmen? Kann unter Berücksichtigung der Fraktionszugehörigkeit bzw. spezifischen Kapitalakkumulation von einer weiblichen Prädisposition, professionell im Kunstfeld zu agieren, ausgegangen werden und welche Rolle spielen diesbezüglich das symbolische und ökonomische Kapital, das Geburtsjahr sowie die geografische Herkunft? Gilt dies insbesondere hinsichtlich der vermittelnden Tätigkeiten und wie verhält sich demgegenüber die produktive Profession der Künstler/in? Welche Interpretationen der erzielten Ergebnisse erschließen sich aus der Beachtung eines relational verstandenen Sozialraums und insbesondere aus der daraus hervorgehenden relativen Distanz des Kunstfelds zum Zentrum der Macht? Die empirischen Analysen erfolgen in Kapitel 4 mittels verschiedener Datensätze zu den gemäß dem Kriterium der symbolischen Reputation führenden Künstler/innen des Feldes (n = 2612), zu den Museumsdirek-

 

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tor/innen der führenden Museen (n = 186), zu Galerist/innen der führenden internationalen Galerien (n = 251) sowie zu weiteren Akteur/innen des Feldes, wie Sammler/innen und Kurator/innen, die über eine besonders hohe Sichtbarkeit in diesem sozialen Universum verfügen (n = 125). Von Interesse ist dabei nicht nur die rein zahlenmäßige Repräsentation der Akteur/innen, sondern auch die Verschränkung von Geschlecht mit weiteren aus soziologischer Sicht relevanten Variablen wie symbolischem und ökonomischem Kapital, geografischer Herkunft sowie der Zugehörigkeit zu Künstler/innengenerationen. Der im theoretischen Rahmen konkretisierte Ansatz einer Gender-Kunstfeld-Theorie dient dabei als Analyse- wie Interpretationsgrundlage. Die Vorstellung des Untersuchungsdesigns in Kapitel 4.1 umfasst die Ausführung des methodischen Vorgehens (Kapitel 4.1.1) sowie die Klärung für die Untersuchung relevanter Begriffe und deren Operationalisierungen (Kapitel 4.1.2). Besondere Beachtung erhält die Diskussion der Verwendung einer dichotomen Geschlechtervariablen (Kapitel 4.1.2.1). Des Weiteren werden die in der Untersuchung zentralen Akteursgruppen des Kunstfelds vorgestellt, im Einzelnen Künstler/innen, Museumsdirektor/innen und Galerist/innen (Kapitel 4.1.2.2). Begründung findet ferner das zugrunde gelegte und für die Analyse substanzielle Verständnis der Spitze des internationalen Kunstfelds (Kapitel 4.1.2.3). Die Analysen erfolgen in Kapitel 4.2 sowie in Kapitel 4.3. In einem ersten Schritt (Kapitel 4.2.1) werden drei sich in Bezug auf Geschlecht unterscheidende Exklusionsebenen des Spitzensegments herausgearbeitet, die auch in der weiteren Auseinandersetzung der Einteilung und Kategorisierung der Künstler/innen nach symbolischem Kapital dienen. In Kapitel 4.2.2 wird die Frage aufgeworfen, ob sich im Spitzensegment ein Wandel dahingehend abzeichnet, dass die Bedeutung von Geschlecht in den jüngeren Kohorten des Feldes für die Einnahme von Positionen an Relevanz verliert. Eine Untersuchung der Bedeutung der geografischen Herkunft für die Einnahme von Spitzenpositionen im Kunstfeld erfolgt dann in Kapitel 4.2.3. Neben einer Differenzierung nach Kontinenten wird auch nach Zentrum und Peripherie des Feldes unterschieden; als besonders aufschlussreich erweisen sich Ergebnisse zur Region des Mittleren und Nahen Ostens (MENA-Region) sowie zum Iran. Inwiefern das Geschlecht von Spitzenkünstler/innen Einfluss auf die Höhe erzielter Zuschlagspreise auf dem Tertiärmarkt38 nimmt und Frauen auf ökonomischer Ebene als „abgehängt“ zu bezeichnen sind, ist Thema in Kapitel 4.2.4. Hier zeigt sich, dass die Untersuchung von ökonomischem Kapital und insbesondere die Analyse von Kunstmarktdaten – wie sie vielfach aus wissenschaftlichen Untersuchungen, aber auch aus der Kunstpresse vorliegen – einer differenzierten Betrach                                                                                                                                                                            

38 Neben der verbreiteten dichotomen Kunstmarktunterscheidung in Primär- und Sekundärmarkt (siehe dazu u. a. Velthuis [2011], S. 470 und Zorloni [2013], S. 38) besteht ein stärker differenzierender Betrachtungsansatz in Primär-, Sekundär- und Tertiärmarkt in der Kunstmarktliteratur (vgl. Wuggenig/Rudolph [2013], S. 116). Letzterer findet auch in der vorliegenden Untersuchung Anwendung – Wuggenig/Rudolph beziehen sich diesbezüglich auf Singer/Lynch: „The market for contemporary art may be classified into three interrelated submarkets; namely, the primary market where artists sell their art to collectors and to dealers; the secondary market in which dealers sell art to collectors; and the tertiary market in which collectors and dealers recycle, through the auction houses, art which had previously entered the secondary market for art.” (Vgl. Singer/Lynch [1994], S. 21).

 

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tung des methodischen Vorgehens und der Instrumentarien bedürfen. Als besonders aufschlussreich erweisen sich sodann die Ergebnisse der Durchführung verschiedener Regressionsanalysen zum Zusammenhang von Geschlecht und symbolischem sowie ökonomischem Kapital, unter zusätzlicher Berücksichtigung des Geburtsjahrs der Künstler/innen (Kapitel 4.2.5). Entgegen der häufig vertretenen Marginalisierungsthese kann mittels dieser Analysemethode darauf verwiesen werden, dass Geschlecht keinen oder nur einen geringen Einfluss auf die Erzielung von symbolischem wie ökonomischem Kapital nimmt – wobei die wenigen männlichen Starkünstler einer gesonderten Betrachtung bedürfen. In einem Exkurs zum Zusammenhang zwischen symbolischem und ökonomischem Kapital knüpft Kapitel 4.2.6 an eine seit vielen Jahren bestehende Diskussion in der (Kunst-)Soziologie an. Die Hervorhebung von „Schwarzen Schwänen“ legt aber auch hier eine Rückbindung an die Geschlechterdiskussion nahe. Ermöglicht Kapitel 4.2 damit weitreichende Einblicke zu den Geschlechterstrukturen in Bezug auf Spitzenkünstler/innen, zeichnet sich Kapitel 4.3 durch die Integration weiterer Akteursgruppen in die Analyse aus – der Fokus liegt auf Museumsdirektor/innen und Galerist/innen (Kapitel 4.3.1), zudem auf weiteren relevanten professionellen Gruppen wie Sammler/innen und Kurator/innen (Kapitel 4.3.2). Die Analyse der Museumsdirektor/innen basiert auf einer von den Herausgeber/innen des Kunstkompasses veröffentlichten Liste der weltweit führenden Museen, die, um relevante Variablen erweitert, substanzielle Einsichten zur Bedeutung von Geschlecht im Bereich der internationalen Spitzenmuseen zulässt. Analog wird die Einnahme führender Positionen im Feld der Galerist/innen auf der Basis eines von Artinvestor herausgegebenen Rankings durchgeführt und die Integration weiterer Akteursgruppen über die jährlich erscheinende Art Review-Liste der hundert mächtigsten Personen der Kunstwelt – „Power 100“ – ermöglicht. Diese weite Forschungsperspektive lässt eine Analyse vergeschlechtlichter Machtverhältnisse zwischen verschiedenen relational betrachteten professionellen Gruppen zu, was die Aufmerksamkeit auf horizontale wie vertikale Ungleichheiten und damit auch auf verdeckte Dynamiken und Asymmetrien lenkt. Auf empirischer Grundlage werden somit komplexe Geschlechterstrukturen des Kunstfelds nachgezeichnet und offengelegt, wobei die Verhältnisse symbolischer Macht einen besonderen Schwerpunkt bilden. Im Anschluss an Pierre Bourdieu wird damit eine Konstruktion des wissenschaftlichen Objekts – der Geschlechterstrukturen im Kunstfeld – vorgenommen, die, wie Beate Krais formuliert, „[…] die Institutionen, Organisationen und Personen bzw. Klassen von Personen nicht isoliert, herausgelöst aus dem sozialen Kontext betrachtet, aus dem heraus die innere Logik des sozialen Handelns der Akteure sich erst erschließt, sondern die den relevanten sozialen Kontext als ein Gefüge von Relationen, Macht- und Herrschaftsbeziehungen in den Blick nimmt.“39

                                                                                                                                                                           

39 Krais (2001a), S. 330.

 

2.

Zentrale Forschungsfelder zu Kunst und Geschlecht

Verschiedene Forschungsfelder erwiesen sich für die Untersuchung als relevant, im Einzelnen handelt es sich um die soziologische, die kulturpolitische und die kunsthistorische Perspektive sowie die der Geschlechterforschung. Die Auseinandersetzung mit diesen vier Feldern erlaubt es, neben der Abbildung des Forschungsstandes auch einen bislang in der Literatur nicht vorhandenen Überblick zu den bestehenden quantitativ orientierten Analysen zu Kunst und Geschlecht zu geben. Die Soziologie bildet – maßgeblich in ihrer kunstsoziologischen Ausprägung als eine „spezielle Soziologie“ oder „Bindestrichsoziologie“ – sowohl theoretisch wie methodisch die Basis der vorliegenden Studie. Wie in Kapitel 2.1 veranschaulicht, existiert hier eine nicht zu geringe Anzahl quantitativer Studien, die eine Auseinandersetzung mit Geschlechterasymmetrien aufweisen. Umso mehr überrascht die geringe Beachtung, die den Arbeiten in den kunstsoziologischen Debatten zum Geschlechterphänomen zukommt sowie deren bislang schwache Systematisierung. Von den in dieser Disziplin bestehenden theoretischen Zugängen, die Analysen von Kunstfeldern, Kunstwelten oder Kunstsystemen auf verschiedene Fragestellungen hin ermöglichen,1 wurde vornehmlich auf die Theorie Pierre Bourdieus rekurriert.2 Vergleichsweise viele Untersuchungen zur Bedeutung von Geschlecht in künstlerischen Universen sowie im Feld der visuellen Künste weisen eine kulturpolitische Orientierung auf. Ist dieser Forschungsbereich teilweise nur schwer von einem soziologischen zu trennen, erwies sich eine solche Differenzierung hinsichtlich der Unterschiede in den Forschungsintentionen wie methodischen Herangehensweisen als relevant. Die angeführten kulturpolitischen Studien (Kapitel 2.2) leisteten für die Diskussion insbesondere aufgrund der relativ breiten hier zur Verfügung stehenden Datenbasis und somit der Bereitstellung von Vergleichswerten einen wesentlichen Beitrag. Einer besonderen Hervorhebung bedarf die kunsthistorische Geschlechter- wie Genderforschung, die über einen eigenständigen, etablierten und in Teilen institutionalisierten Status innerhalb der Kunstgeschichte verfügt. Spielen empirische Methoden – insbesondere quantita                                                                                                                                                                            

1 2

Siehe dazu ausführlich bspw. Danko (2012). Anzumerken bleibt an dieser Stelle, dass Bourdieu (wie beispielsweise auch Niklas Luhmann) selbst nicht als Kunstsoziologe zu bezeichnen ist, sondern als Soziologe, der eine auf die Kunst angewandte allgemeine Soziologie vertritt (siehe dazu auch die Ausführungen in Fn. 3).

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tive – in diesem stark idiografisch ausgerichteten Feld kaum eine Rolle, liegt hier ein beachtliches Wissen zu „Kunst und Geschlecht“ vor. Dieses erweist sich als äußerst fruchtbar in der Zusammenführung mit den in der empirischen Analyse gewonnenen Daten. Die Ausführungen zu dem für die vorliegende Untersuchung relevanten kunsthistorischen Gender-Diskurs finden sich in Kapitel 2.3. Abschließend dient Kapitel 2.4 der Vorstellung einer weiteren, für die Untersuchung zentralen Perspektive – der Geschlechterforschung. In dieser besteht ein Analysestrang, in dem eine virulente Auseinandersetzung mit der Bedeutung von Geschlecht in Spitzensegmenten verschiedener Felder des sozialen Raums geführt wird. Hier geleistete theoretische Überlegungen und empirische Analysen bildeten in der Erstellung der Untersuchung zum Kunstfeld einen wesentlichen Bezugspunkt. Wird dem sozialen Universum der Kunst bislang auf quantitativer Ebene relativ wenig Beachtung geschenkt, erweist sich dieses als Lieferant relevanter Erkenntnisse für die Geschlechterforschung.

2.1 S OZIOLOGISCHE Z UGÄNGE Zur Bedeutung von Geschlecht für die Einnahme von Spitzenpositionen im Kunstfeld liegen relativ wenige Untersuchungen und Daten vor, für quantitative sowie über nationale Untersuchungsfelder hinausgehende Studien gilt dies im Besonderen. Im Vergleich zu anderen gesellschaftlichen Feldern – wie dem wissenschaftlichen oder ökonomischen – erscheinen die Informationsgrundlagen zu diesem spezifischen Mikrokosmos als spärlich; Untersuchungen, die nationale, lokale oder auch semi- wie nicht-professionelle Kunstfelder auf Geschlechterungleichheiten hin analysieren, finden sich deutlich häufiger. Aufgrund des vergleichsweise hohen Frauenanteils in kunsthistorischen und – mittlerweile – auch künstlerischen Studiengängen verwundert die geringe Beachtung des Spitzensegments dieses sozialen Universums besonders. Die disziplinäre Kultur der kunsthistorischen Forschung lässt eine Auseinandersetzung mit quantitativen Analysen kaum erwarten (wobei Entwicklungen im Rahmen der Digital Humanities zu beobachten bleiben, wie in der Einleitung diskutiert); hingegen bietet die allgemeine Soziologie in ihrer Beschäftigung mit kulturellen Feldern sowie die Kunstsoziologie im engeren Sinn3 ein methodisches Spektrum, das                                                                                                                                                                            

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Die vorgenommene Unterscheidung zwischen Zugängen einer allgemeinen Soziologie sowie Soziologie der Kunst oder Kunstsoziologie verweist auf die anhaltende Debatte zur Verortung dieses Forschungsfelds. Galt die Soziologie der Kunst – häufig auch als Soziologie der Künste bezeichnet – noch gegen Ende des 20. Jahrhunderts als randständig und nicht-institutionalisiert, zumindest auf das Wissenschaftsfeld in Deutschland bezogen, können seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts Veränderungen wahrgenommen werden, die sich u. a. in einer Vielzahl kunstsoziologischer Veröffentlichungen sowie der Gründung des Arbeitskreises für eine Soziologie der Künste im Oktober 2010 auf dem DGSKongress in Frankfurt äußern (vgl. Steuerwald/Schröder [2013, S. 8f.]; zu dieser Diskussion siehe ferner De La Fuente [2007, 2010], Kirchberg/Wuggenig [2004] sowie Gerhards [1997a]). Die Soziologie der Kunst oder die Kunstsoziologie findet sich demnach in einer Etablierungsphase hin zu einer zunehmend eigenständigen Disziplin bzw. einer Bindestrich-Soziologie. Eduardo De La Fuente versteht die im vergangenen Jahrhundert weitge-

 

 

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sowohl das Instrumentarium für quantitative Analysen als auch ein differenziertes Verständnis des Feldes bereithält. Die marginale Behandlung des Themas lässt sich, wie einleitend ausgeführt, ferner auf die nur geringfügige Existenz von Datenquellen zurückführen, die mit der relativen Intransparenz und Informalität des Kunstfelds einhergeht. Häufig informelle und wenig kodifizierte Berufsbilder und Karrierewege – der Fall beispielsweise bei Künstler/innen, Kurator/innen oder Galerist/innen – erschweren eine differenzierte Analyse der Felder und Akteursgruppen. Dies stellt einen zentralen Unterschied zum wissenschaftlichen Feld als Untersuchungsraum dar,                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    

hend missachtete Soziologie der Künste im Jahr 2007 als „well established »subdiscipline« of sociology“ (De La Fuente [2007], S. 409) und fasst neuere Strömungen dieser Forschungsrichtung unter der Bezeichnung „new sociology of art“ zusammen. Letztere begreift er als Weiterentwicklung der theoretischen Ansätze Pierre Bourdieus (künstlerische Felder) sowie Howard S. Beckers (Kunstwelten), aber auch in Abgrenzung zu diesen beiden Klassikern (vgl. ebd., S. 409ff.). Als fundamentale Neuerung der jüngeren Strömungen der Kunstsoziologie betrachtet er die Integration von Werken und Objekten in die soziologische Analyse (vgl. ebd., S. 420f. sowie ders. [2010], S. 4), eine Perspektive, deren Aufkommen er maßgeblich auf den u. a. von Howard S. Becker herausgegebenen Band „Art from Start to finish“ (2006) zurückführt (vgl. De la Fuente [2007], S. 420ff.). Die Vertreter/innen der „new sociology of art“ vereint nach De La Fuente „[…] the felt need to grapple with the aesthetic properties of art, including re-examining the vexed question of the work itself.“ (Ebd., S. 410). In Bezugnahme auf DeNora (1995, 2000, 2003) und Molotch (2003, 2004) plädiert er für eine Berücksichtigung konkreter Werke und deren Einflussnahme auf das soziale Leben (vgl. De La Fuente [2007], S. 423) und wendet sich damit direkt gegen den Ansatz Bourdieus und eine „Bourdieusian orthodoxie“ (vgl. ebd.; siehe dazu auch Fox [2013], S. 3f.). Zudem zeigt sich in jüngeren kunstsoziologischen Strömungen eine Ausweitung bzw. Aufweichung der von Bourdieu vorgenommenen Differenzierung in hochkulturelle und populäre Praktiken. Nina Tessa Zahner spricht der Kunst gar ein durch erhöhten Pluralismus hervorgerufenes demokratisierendes Potenzial zu (vgl. Zahner [2006], S. 288ff.). Dem ist die Kritik Hans-Peter Müllers entgegenzusetzen, eine solche Perspektive widerspreche der sozialen Wirklichkeit (vgl. Müller [2011], S. 226; weitere Ausführungen hierzu finden sich im Kunstfeldkapitel [Kapitel 3.2]). Die vorliegende Verwendung des Begriffs der Kunstsoziologie trägt den neueren Entwicklungen in und Diskussionen zu dieser sich institutionalisierenden Disziplin bzw. Subdisziplin Rechnung; gleichermaßen werden Ansätze, die einen allgemeinen soziologischen Zugang aufweisen und vertreten auch als solche wiedergegeben. Letzteres trifft u. a. auf Bourdieu zu, der, wie von Ulf Wuggenig dargelegt, hinsichtlich seines diversifizierten wie systematischen wissenschaftlichen Projekts kein Interesse an einer spezialisierten »Soziologie der Kunst« zeigt, wie sie einer zu weit vorangetriebenen Arbeitsteilung in dieser Disziplin entspreche (vgl. Wuggenig [2011], S. 491; Wuggenig bezieht sich an dieser Stelle auf Bourdieu [1987c]). Entgegen der in der jüngeren Kunstsoziologie teilweise anzutreffenden Abgrenzung von Bourdieus Ansatz, findet in der vorliegenden Analyse eine explizite Bezugnahme auf sein theoretisches Werk statt. Diese Forcierung dient der Aufdeckung von Machtverhältnissen zwischen Akteur/innen und Akteursgruppen sowie von Geschlechterasymmetrien im Feld, für die Bourdieu ein effektives Instrumentarium zur Verfügung stellt, wie im theoretischen Rahmen dieser Arbeit expliziert.

 

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zu welchem zahlreiche Längs- wie Querschnittsdaten existieren. Wie Krais anmerkt, weist die amtliche Statistik seit langem Studierende und Personal an Hochschulen getrennt nach Geschlecht aus; die Entwicklung der Frauenanteile kann demgemäß über einen langen Zeitraum nachgezeichnet werden, auch differenziert nach Hochschularten und Disziplinen.4 Wie bereits diskutiert, könnte die Integration einer Genderperspektive in die gegenwärtig weitgehend geschlechterblinden Kulturstatistiken in Deutschland und der Schweiz (für Österreich trifft dies nur bedingt zu) auch hinsichtlich des Kunstfelds eine stärker differenzierende Auseinandersetzung mit Geschlechterasymmetrien ermöglichen.5 Zudem erweisen sich neuere, auch auf internationaler Ebene angelegte Erhebungen zu den „Creative Industries“, der „Creative Class“ und zur „Creative Economy“6 als potenzielle Datenquellen (weitere Ausführungen hierzu finden sich im Folgekapitel zu den kulturpolitischen Untersuchungen). Das Spitzenfeld der Kunst kann als Analysefeld für die Soziologie, wie Kunstsoziologie wesentliche Erkenntnisse in der Geschlechter-Diskussion liefern. Diverse Ansätze lassen sich als Basis eines solchen Forschungskomplexes hervorheben – neben ausschließlich diesem Thema gewidmeten Untersuchungen, existieren weitere, in denen dem Merkmal ein eher sekundärer Stellenwert zukommt. Da bislang kein zureichender Überblick zu dem Spektrum und den Ergebnissen dieser Analysen vorliegt, wird ein solcher an dieser Stelle geleistet. Die Kunsthistorikerin Katy Deepwell unternahm auf der Internetpräsenz des von ihr gegründeten Online und Print Magazins „n.paradoxa“ mit einer Rubrik „Statistics“ bereits einen Vorstoß hierfür,7 indem sie eine grundlegende Aufstellung bestehender Studien bereitstellt, nach nationalen Untersuchungskontexten systematisiert.8 Diese einerseits naheliegende Differenzierung wurde in der vorliegenden Studie zugunsten einer Unterscheidung in soziologische und kulturpolitische Untersuchungen aufgebrochen. Eine Trennung, die vor allem der Zielsetzungen und der damit verbundenen theoretischen wie methodischen Herangehensweisen der einzelnen Analysen Rechnung trägt: In der Kategorie „kulturpolitische Untersuchungen“ findet sich eine Zusammenfassung von Studien, die sich primär durch eine Generierung spezifischer Handlungsempfehlungen auf politischer Ebene auszeichnen und in der Regel von politischen Institutionen (wie der Europäischen Kommission, Länderregierungen oder der Administration in größeren Städten) in Auftrag gegeben wurden. Diese Gruppe wird in Kapitel 2.2 weiter ausgeführt. Die unter dem Titel „Soziologische Zugänge“ summierten Arbeiten, zeichnen sich in den meisten Fällen durch eine theoriegeleitete Herangehensweise aus und gehen methodisch häufig über reine Häufigkeitsverteilungen hinaus. Im Mittelpunkt                                                                                                                                                                            

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Vgl. Krais (2000b), S. 11. Siehe dazu bspw. Bertschek et al. (2015, 2014) sowie Weckerle/Schmucki/Page (2014) und creativ wirtschaft austria (2015). Siehe dazu z. B. UNESCO (2015), United Nations/UNDP/UNESCO (2013) sowie UNCTAD (2010). Seit dem Jahr 1998 werden hier unter dem Titel „international feminist art journal“ wissenschaftliche und kritische Artikel zu feministischer Kunst und Kunsttheorie publiziert, wobei eine ausschließliche Bezugnahme auf visuelle Kunst stattfindet (siehe dazu: www. ktpress.co.uk/ [20.12.2012]). Siehe dazu ebd.

 

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steht weniger die Erzeugung spezifischer Empfehlungen als vielmehr das Aufdecken von Strukturen im Feld. Trotz alledem existieren zum Teil fließende Übergänge zwischen den beiden Kategorien. Ein Schwerpunkt beider Untersuchungsgruppen liegt auf dem Gender-Pay-Gap, wobei Überschneidungen zur Kunstökonomik bestehen. Es zeigte sich, dass gegenüber dem auf der Internetseite von „n.paradoxa“ gelisteten Bestand inzwischen auf einen deutlich größeren Pool an Analysen zu der Thematik verwiesen werden kann. Ist der Diskurs um „Kunst und Gender“ in der französischsprachigen (Kunst-)Soziologie stärker ausgeprägt,9 als dies für den deutschsprachigen Raum gilt,10 findet sich auch in letzterem ein wachsendes Interesse, wie beispielsweise in der Thematisierung von Geschlecht in verschiedenen jüngst erschienenen kunstsoziologischen Bänden deutlich wird. Bemerkenswert ist, dass das Thema einen nahezu selbstverständlichen Status erlangt. Zu nennen ist der Band „Artistic Practice: Social Interactions and Cultural Dynamics“, herausgegeben von Tasos Zembylas im Jahr 2014. Die französische Soziologin Marie Buscatto bringt in diesem ein Kapitel mit dem Titel „Artistic practices as gendered practices“ ein. Buscatto bezeichnet Gender in diesem Zusammenhang als vollwertige Kategorie innerhalb der Kunstsoziologie.11 In der Darlegung soziologischer Ansätze zu Geschlecht nennt sie zahlreiche qualitative Untersuchungen, vor allem aus dem französischsprachigen Raum, die sich diesem Thema widmen. Auf quantitative Untersuchungen geht Buscatto nicht weiter ein. 12 Gleichermaßen im Jahr 2014 erschien der Band „Kunstsoziologie“ von Alfred                                                                                                                                                                            

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Im französischen Diskurs bewegen sich viele der Soziologinnen, die eine explizite Auseinandersetzung mit Geschlecht in künstlerischen Professionen (v. a. Musik, aber auch Bildende Kunst, Tanz, Film, Creative Industries) leisten, in der Arbeitssoziologie. Sie publizieren in arbeitssoziologischen Zeitschriften und beziehen sich dabei vielzählig auf ein künstlerisches Forschungsfeld. Mit dem von Margaret Maruani seit der Gründung im Jahr 1994 herausgegebenen Journal „travail, genre, art“ findet sich aus dieser wissenschaftlichen Perspektive ein eigenes Organ, das sich explizit diesem Thema widmet. Neben dem genannten Journal wird auch eine ganze Reihe an Texten in „Travail, Genre et Sociétés“ publiziert, auch hier zeigt sich die Verankerung des Diskurses über die Kunstsoziologie im engeren Sinn hinausgehend. Protagonistinnen dieser Debatte sind neben Margaret Maruani u. a. Dominique Pasquier, Marie Buscatto und Hyacinthe Ravet. Auffallend ist in Bezug auf die vorliegende Arbeit, dass sich ein Bezug auf viele der Hauptwerke Bourdieus in diesem Diskurs findet, etwa auf „Die Regeln der Kunst“, „Die Liebe zur Kunst“, „Die feinen Unterschiede“ und „Sozialer Sinn“ – von einer Bezugnahme auf „La domination masculine“ wird hingegen weitgehend abgesehen, was mit der sehr kritischen Diskussion in Frankreich, vor allem im feministischen Diskurs, in Zusammenhang gebracht werden kann (vgl. Thébaud [2005]). Beispielsweise stieß Bourdieus Hervorhebung amerikanischer Texte hier auf die Kritik, die französische Debatte noch unsichtbarer zu machen (vgl. ebd., S. 239f.). 10 Wobei die Diskurse nicht ausschließlich im deutsch- oder französischsprachigen Raum angesiedelte sind – Vernetzungen liegen hier wie in den meisten Forschungsfeldern vor. 11 Vgl. Buscatto (2014), S. 44. 12 Vgl. Ebd. Tasos Zembylas gab bereits im Jahr 2000 im Anschluss an ein Symposium den Band „Kunst und Politik: Kunstfreiheit – Geschlechterasymmetrie“ heraus (vgl. Zembylas [Hg.] [2000] sowie Baier [2000], Bei [2000], Guth [2000]).

 

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Smudits et al., in dem ein Kapitel zur Kunstsoziologie und feministischen Theorie vorliegt: In der Bezugnahme auf die drei Themenfelder „Frauenforschung und »Frauenkultur«“, „Differenzen zwischen Frauen und Intersektionalität“ sowie „Queer Theory, Postmoderne und »Neue« Feminismen“, spannt er einen Bogen von den Anfängen der Auseinandersetzungen mit Kunst und Geschlecht in den 1970er Jahren bis zur gegenwärtigen Debatte. Wie schwer eine eindeutige Identifikation kunstsoziologischer Zugänge in dieser Diskussion ist, zeigt sich in seinen Verweisen auf die Anfänge der kunsthistorischen Geschlechterforschung mit Linda Nochlin sowie auf die feministische Filmtheorie geprägt durch Laura Mulvey.13 Diesen Ansätzen, die Smudits et al. als kunstwissenschaftliche Frauenforschung der 1970er und 1980er Jahre deklarieren, fügen sie Beispiele der sozialwissenschaftlichen Frauenforschung (u. a. bezogen auf das HerStory-Narrativ) sowie Entwicklungen in den Cultural Studies um Angela McRobbie und Jenny Garber hinzu.14 Als prägend für die 1980er Jahre erweisen sich laut der Autor/innen der Ansatz der Intersektionalität sowie damit einhergehende postkoloniale Diskurse, auf die in den 1990er Jahren die postmodernistischen Debatten um Judith Butler folgen.15 Dieser umfangreiche wie aufschlussreiche – kunsthistorische, philosophische und sozialwissenschaftliche Ansätze integrierende – Überblick verweist einmal mehr auf den Bedarf einer Strukturierung dieses speziell kunstsoziologischen Forschungsfeldes. Einer Hervorhebung bedarf ferner der Band „Kunstsoziologie“ von Dagmar Danko aus dem Jahr 2012. In dem Kapitel „… und außerdem: Die Gender-Perspektive“ nennt sie verschiedene Ansätze einer „kunstsoziologischen Genderforschung“, wobei auch sie auf kunsthistorische Untersuchungen verweist, denen sie ein soziologisches Potenzial zuschreibt. Die in den USA tätige Soziologin Janet Wolff beschreibt sie dabei als eine der bekanntesten britischen Kunstsoziologinnen, die über die kritische Beschreibung der männlichen Dominanz in dieser Sphäre hinausgeht, wenn sie die Kanonbildung in der Kunstgeschichte hinterfragt.16 Neben den von Nathalie Heinich gebildeten Typologien weiblicher Identitäten17 nennt die Autorin des Weiteren Alexandra Howson als Gender-Soziologin, die eine eigene Definition einer feministischen Kunstsoziologie vorlegt und diskutiert.18 Die Ausführungen Dankos weisen auf das Bestehen eines in der Kunstsoziologie verankerten Forschungssets hin, das bezogen auf weitere Systematisierungen des Feldes sowie hinsichtlich des Entstehens neuer Untersuchungen ausbaufähig bleibt. Die Darstellungen Marie Buscattos, Alfred Smudits et al. wie Dagmar Dankos verdeutlichen eine auch im kunstsoziologischen Diskurs existieren                                                                                                                                                                            

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Zu Mulvey siehe beispielsweise Mulvey (1975). Siehe dazu insbesondere McRobbie/Garber (1976). Vgl. Smudits et al. (2014), S. 117 – 122. Vgl. Danko (2012), S. 106. Da quantitative Perspektiven in der kunstsoziologischen Arbeit Janet Wolffs keine Rolle spielen, wird im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht weiter auf diese eingegangen. Ihre Arbeiten leisten aber, wie auch von Dagmar Danko dargelegt, einen wichtigen Beitrag zur kunstsoziologischen Gender-Debatte (siehe dazu u. a. Wolff [2000, 2006]). Dies gilt gleichermaßen für Nathalie Heinich und Alexandra Howson. 17 Vgl. Heinich (1997). 18 Vgl. Howson (2005).

 

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de Fokussierung auf idiografisch bzw. qualitativ orientierte Arbeiten, wie sie einleitend bereits im Zusammenhang mit der kunsthistorischen Forschung benannt wurde. Ergänzend folgt eine Übersicht zu Studien, die eine quantitative Herangehensweise im weitesten Sinn aufweisen und sich im Kontext der vorliegenden Analyse als relevant erwiesen – im Rahmen der Kompendien erstaunlicherweise aber keine Beachtung fanden. Dieses Vorgehen vermag es die beachtliche Zahl an existierenden Untersuchungen aufzuzeigen, zu denen bislang keine Bündelung oder Systematisierung vorliegt – eine solche wird im Folgenden geleistet: Alain Quemin publizierte im Jahr 2013 den Band „Les Stars de l’art contemporain“, in dem er dem Geschlechterthema ein eigenständiges Kapitel widmet. Unter dem Titel „L’influence du genre dans l’accès à la notoriété: la place des femmes dans les palmarès réputationnels“ präsentiert er zahlreiche anhand kunstfeldbezogener Rankings vorgenommene Auswertungen zur Bedeutung von Geschlecht im Spitzenfeld der Kunst. 19 Quemin legt eine detaillierte Analyse der Repräsentation von Künstlerinnen im Kunstkompass seit dem Jahr 1970 vor. Berücksichtigung finden zudem Verkaufspreise sowie das Geburtsjahr von Künstler/innen. Nehmen Künstlerinnen im Kunstkompass von 1970 lediglich 6,6 % der Listenplätze ein, vermindert sich dieser Anteil bis zum Ende der 1980er Jahre sogar. Den geringsten Künstlerinnenanteil weist das Jahr 1986 mit 2,6 % auf. Seit Anfang der 1990er Jahre steigt der Frauenanteil an, dabei ist ein Sprung von 6,2 % im Jahr 1992 auf 12 % im Jahr 1993 zu verzeichnen. Bis zum Jahr 2012 steigt der Wert weiter und ab dem Jahr 2007 machen Frauen über 20 % der gelisteten Künstler/innen aus. Den höchsten Wert identifiziert Quemin für das Jahr 2009 mit einem Anteil von 24,8 %. Anhand der Daten des Kunstkompasses gelingt es ihm, eine diachrone Betrachtung der Repräsentation von Frauen unter den führenden hundert Künstler/innen des internationalen Feldes zu leisten.20 Des Weiteren legt er eine Querschnittsuntersuchung vor, indem er die Werte des Kunstkompasses mit den hundert führenden Künstler/innen nach dem Artindex-Ranking aus den Jahren 2011 und 2012 sowie den Künstlerinnen nach ArtFacts.Net aus dem Jahr 2013 zusammenführt. Dabei steht die Darstellung der in den einzelnen Rankings auf den Top 100 Positionen gelisteten Künstlerinnen im Vordergrund. Betonung findet beispielsweise, dass Cindy Sherman in allen Bewertungen einen Listenplatz unter den führenden fünf Künstler/innen erhält, gleichwohl differieren die Wertungen vieler anderer Künstlerinnen in den verschiedenen Rankings sehr viel stärker.21 Zeigt sich einerseits die „Starposition“ Shermans – die sich auch in der Untersuchung dieses Bandes bekräftigt – offenbaren sich zudem die aufgrund der unterschiedlichen Bewertungsverfahren der einzelnen Rankings hervorgerufenen variierenden Ergebnisse. Isa Genzken beispielweise wird im Kunstkompass aus dem Jahr 2011 auf Rang 56 gelistet, im Artindex (2012) hingegen erhält sie keine Wertung unter den Top 100 Positionen. Yoko Ono dagegen erzielt in letzterem Ranking eine Wertung auf Rang 65, findet aber keinen Eingang in den Kunstkompass (2011).22 Hier ist davon auszugehen, dass es sich um einen nationalen Bias zugunsten der aus                                                                                                                                                                            

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Vgl. Quemin (2013). Siehe dazu insbesondere die Tabelle in ebd., S. 354. Vgl. ebd., S. 357ff. Vgl. ebd.

 

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Deutschland stammenden Künstlerin Isa Genzken im Gegensatz zur gebürtigen Japanerin Yoko Ono im Kunstkompass handelt.23 Neben einem Kapitel zur Repräsentation von Künstlerinnen im französischen Kunstfeld24 findet sich in der Untersuchung Quemins eine Auseinandersetzung mit der Bedeutung von Geschlecht auf dem Kunstmarkt. Unter den in Artprice gelisteten führenden 500 Künstler/innen verweist der Soziologe auf einen Frauenanteil von 8,5 % in den Jahren 2010/2011, gegenüber einem Anteil von 11 % vier Jahre zuvor.25 Damit hebt Quemin eine erkennbar stärkere Anerkennung von Künstlerinnen von institutioneller Seite hervor, als sich dies für den Kunstmarkt abzeichnet.26 Als aufschlussreich erweist sich des Weiteren die Erfassung der Akteurinnen der Power 100 Listen von ArtReview von dem Jahr 2002 bis zum Jahr 2012. Hier zeigt sich ein Anstieg des Anteils der weiblichen Akteur/innen von 16 % (2002) auf 35,6 % (2012). Als höchster Wert sind dabei 25,2 % der gelisteten Akteurinnen insgesamt der Gruppe der Sammler/innen zuzurechnen.27 Quemin stellt mit seiner Gender-Untersuchung eine große Anzahl an Zahlen zur Verfügung (auf diversen Rankings gründend), die auf Häufigkeitsauswertungen zu den Top 100 Künstler/innen am symbolischen Pol des Feldes basieren. Damit existiert ein weiter Datenpool für diesen Forschungsbereich – allerdings ohne eine tiefergehende Reflexion oder einer Zusammenführung mit weiteren Merkmalen, wie z. B. der Herkunft der Künstler/innen. Die im Folgenden vorgelegte Untersuchung verdeutlicht, dass aber gerade ein solches Vorgehen wesentliche Ergebnisse liefern kann. Catrin Seefranz und Philippe Saner gaben im Jahr 2012 eine Studie unter dem Titel „Making Differences“ heraus; es handelt sich um eine explorative Vorstudie, die im Zusammenhang mit einem Forschungsprojekt zu sozialen Ungleichheiten an Kunsthochschulen entstand. Die Studie untersucht soziale Asymmetrien bei Studierenden in drei Schweizer Kunsthochschulen, wobei Geschlecht eine zentrale Rolle zukommt. Die Analyse erfolgt vor allem qualitativ, an einigen Stellen finden sich quantitative Argumentationen. 28 Unter der Kapitelüberschrift „Gender-Politiken“ diskutieren Seefranz/Saner Präferenzen in der Fächerwahl von Studierenden. Dabei zeigt sich, dass Professor/innen die Wahl als ausgeglichen beschreiben und nicht von einer geschlechtsspezifischen Entscheidung ausgehen – tatsächlich besteht bei den Studentinnen aber eine Präferenz u. a. für kunstvermittelnde Studienfächer sowie den                                                                                                                                                                            

23 Nähere Ausführungen zur starken und zu hohen Bewertung Deutschlands im Kunstkompass siehe Wuggenig (2012b), S. 82. Eine gesonderte Diskussion zu den diversen Bewertungsverfahren und den Effekten in den Ergebnissen findet sich in Kapitel 4.3. 24 Vgl. Quemin (2013), S. 362f. 25 Vgl. ebd., S. 364ff. 26 Vgl. ebd., S. 368f. 27 Vgl. ebd., S. 378. Eine Gegenüberstellung der Power 100 Liste mit den weiteren Kunstfeld-Rankings erweist sich hinsichtlich der auf Expert/innenmeinungen basierenden Bewertungen Ersterer als interessant. Sichtbar wird die vergleichsweise hohe Wertung von Frauen im Kunstfeld durch professionelle Akteur/innen des Feldes, die sich in den anderen bspw. nach Ausstellungsrepräsentationen bemessenden Listen nicht in gleichem Maße zeigt. Quemin geht in seiner Untersuchung nicht weiter auf diese Bewertungsdifferenz ein, sie wird in der vorliegenden Untersuchung aber insbesondere in Kapitel 4.3.2 diskutiert. 28 Vgl. Seefranz/Saner (2012).

 

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Bereich der Restaurierung/Konservierung. Der Studentinnenanteil beträgt hier deutlich über 67 %. Für die großen Studiengänge hingegen – zu denen Fine Arts und Design zählen – liegt der Anteil weiblicher Studierender demgegenüber bei 50 % bis 67 %.29 Insgesamt beträgt der Studentinnenanteil laut der Studie 59,5 % an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK), 76,3 % an der Hochschule der Künste (HKB) und 74,7 % an der Haute École d’Art et de Design Genève (HEAD).30 Unter der Überschrift „Männliche Herrschaft in einem verweiblichten Feld“ verweisen Seefranz/Saner auf Asymmetrien in der Besetzung von Positionen – das Geschlechterverhältnis kehrt sich demnach auf der Stufe der Dozent/innen zugunsten der männlichen Kollegen um. In diesem vornehmlich qualitativen Forschungsabschnitt wird sichtbar, dass geschlechtliche Hierarchien in den untersuchten Kunsthochschulen keine Problematisierung finden – zumindest gilt dies für die Gruppe der in der Untersuchung befragten Akteur/innen.31 Die Analyse bringt somit neben den vielfältigen qualitativen Ergebnissen auch einige wesentliche Daten auf quantitativer Ebene hervor. Neben dieser Studie liegen weitere zum europäischen Kunsthochschulumfeld vor, u. a. von Haase (2011) und Borer et al. (2009);32 da der Hochschulbereich im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht von zentralem Interesse ist, finden sich an dieser Stelle keine weiteren Ausführungen hierzu. Marita Fliesbäck veröffentlichte im Jahr 2011 eine groß angelegte Analyse zum Einkommen von Künstlerinnen und Künstlern in Schweden („A Survey of Artists’ Income from a Gender Perspective. Economy, Work and Family life“). In der auf einem Datenpool von „Statistics Sweden“ basierenden Studie diskutiert sie neben Fragestellungen zu ökonomischen Differenzen auch Vereinbarkeitsproblematiken im Kunstfeld.33 Aufgrund der theoretischen Fassung und des methodischen Vorgehens wird die Studie den soziologischen zugeordnet; für das „Swedish Arts Grants Comittee“ durchgeführt, ist sie auch im kulturpolitischen Sektor verankert und ein geeignetes Beispiel dafür, beide Bereiche in einer Analyse zusammen zu denken. Als Ergebnis geht aus der Studie u. a. hervor, dass Künstlerinnen über ein im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen höheres Einkommen aus „Besitz“ verfügen. Fliesbäck erkennt darin einen vergleichsweise höheren Status nach sozialer Herkunft von Künstlerinnen gegenüber ihren Kollegen.34 Ein Ergebnis, das auch über das schwedische Kunstfeld hinaus von Bedeutung sein könnte und auf das im theoretischen Rahmen erneut rekurriert wird – die Formulierung einer solchen Statusthese findet sich auch im Rahmen des Ansatzes einer Gender-Kunstfeld-Theorie. Unter dem Titel „Style Matters: Explaining the Gender Gap in the Price of Paintings“ zielt Jukka Savolainen in einer Untersuchung aus dem Jahr 2006 darauf, Geschlechterdifferenzen in der Preiserzielung von Gemälden amerikanischer Künstler/innen zu beschreiben und zu erklären. Er analysiert, basierend auf Regressionsanalysen, den Gender-Pay-Gap in einem lokalen Kunstfeld der USA. Auch diese Untersuchung hat somit keine internationale Reichweite, stellt                                                                                                                                                                            

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Vgl. Seefranz/Saner (2012), S. 90. Vgl. ebd., S. 53. Vgl. ebd., S. 93. Siehe dazu ebd., S. 8; hier findet sich auch eine weitere Diskussion dieser Untersuchungen. Vgl. Fliesbäck (2011). Vgl. ebd., S. 9.

 

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aber über das lokale Feld hinausreichende relevante Referenzpunkte her; u. a. zeigt sich in Bezug auf Gemälde, dass von Künstlerinnen erzielte Preise durchschnittlich ca. 25 % unter den von ihren Kollegen liegen. Dieses Ergebnis lässt darauf schließen, dass die Preiserzielung hier in ein System eingebettet ist, das nach Geschlecht differenziert und im Kleinen ein Verhältnis widerspiegelt, das sich auch auf dem gesamten Arbeitsmarkt in den USA findet. Fokussiert die Studie von Savolainen explizit den Gender-Effekt, werden unten weitere kunstökonomisch orientierte Untersuchungen genannt, die den Gender-Pay-Gap in einen größeren Analysekontext einbeziehen. Auffallend ist, dass sich in allen Untersuchungen ein Gap um 20 % erkennen lässt. Methodisch geht Savolainen über reine Häufigkeitsauswertungen hinaus und erzielt wesentliche Ergebnisse anhand von Regressionsanalysen, die in einem rein idiografisch angelegten Forschungsfeld sowie in auf einfacheren Häufigkeitsauswertungen basierenden Surveys verborgen bleiben.35 Einen zentralen Stellenwert nimmt ferner die von Gudrun Quenzel im Jahr 2000 unter dem Titel „Inklusion und Exklusion im Kunstfeld – Prozesse geschlechtsspezifischer sozialer Schließung“ verfasste Untersuchung ein. Quenzel analysiert – basierend auf der Theorie der sozialen Schließung Frank Parkins sowie der Theorie des künstlerischen Feldes Pierre Bourdieus und vornehmlich anhand des Capital Kunstkompasses – den internationalen Erfolg von Künstlerinnen.36 Auf die Studie finden sich im Rahmen der vorliegenden Untersuchung mehrfache Bezugnahmen beispielsweise hinsichtlich eines Überblicks zur Entwicklung des Künstlerinnenanteils im internationalen Feld von dem Jahr 1970 bis zum Jahr 1999. Deutlich wird, dass ein Anteil von über 20 % im Kunstkompass erstmals im Jahr 1999 erzielt wurde.37 Von 1970 bis 1986 hält sich der Anteil hingegen relativ konstant zwischen 3 % und 7 %. Ein Anstieg des Frauenanteils diagnostiziert Quenzel ab dem Jahr 1988, dies führt sie aber auch auf ein im Ranking verändertes Bewertungsverfahren zurück. Der Kunstkompass erscheint ab diesem Jahr in einer überarbeiteten Form und lässt eine verstärkte Beachtung jüngerer Künstler/innen zu.38 Zu den zentralen Ergebnissen der Studie zählt, dass Künstlerinnen bis zum Jahr 1991 keine Platzierung im oberen Drittel des Rankings aufweisen; die einzige Ausnahme bildet Bridget Riley, sie nimmt im Jahr 1971 Rang 28 ein. Quenzel hebt die Geschlechterdiskrepanz zwischen Karriereanfang und internationaler Spitze hervor und kommt zu dem Ergebnis, dass die Chance eines männlichen Kunsthochschulabsolventen, auf eine internationale Anerkennung, mehr als dreimal                                                                                                                                                                            

35 Vgl. Savolainen (2006). 36 Vgl. Quenzel (2000). Zum theoretischen Ansatz von Frank Parkin siehe Parkin (1979), auf die Theorie des künstlerischen Feldes Pierre Bourdieus wird im theoretischen Rahmen ausführlich eingegangen. 37 Siehe dazu Quenzel (2000), S. 52. Eine Ausnahme bildet der Jahrgang 1980, wobei sich die Daten auf die Auswertung des Kunstatlas beziehen. Quenzel sieht hier eine Erklärung für einen höheren Anteil vor allem in dem sich vom Kunstkompass unterscheidenden Auswertungsverfahren in Form einer Altersbegrenzung. In den jüngeren Künstler/innengenerationen besteht demnach eine geringere Ungleichheit als in einem Sample, das alle Jahrgänge integriert (siehe dazu ebd., S. 53). 38 Vgl. ebd.

 

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so hoch ist, wie die für eine Studentin desselben Jahrgangs.39 Auf Raymonde Moulin bezugnehmend weist Quenzel darauf hin, dass beim Eintritt in das Feld – gemessen an Zahlen zu Hochschulabsolvent/innen – ein paritätisches Verhältnis zwischen Künstlerinnen und Künstlern besteht.40 Dies wird auch in den im Kunstatlas ausgewiesenen Anteilen sichtbar: Für das Jahr 1980 zeigt sich ein Künstlerinnenanteil von 28 %, für das Jahr 1984 ein Anteil von 19 % und für das Jahr 1987 ein Anteil von 15 %. Quenzel führt diese relativ starke Inklusion von Frauen auch auf die Altersbegrenzung in der Bewertung zurück.41 Die im Kunstatlas aufgenommenen Künstler/innen überschreiten das Alter von 40 Jahren nicht.42 Hervorzuheben ist Quenzels Gegenüberstellung der Daten zum Kunstfeld zu solchen aus dem politischen Feld: Deutlich zeigt sich in beiden sozialen Universen ein Anstieg des Frauenanteils ab den 1990er Jahren, wobei laut Quenzel feldexternen Faktoren eine entscheidende Rolle zukommt und sich eine Differenz zwischen dem untersuchten politischen Feld in Deutschland und in den USA abzeichnet. Während in Deutschland Frauen auf führenden Positionen in der Politik über eine größere Präsenz verfügen als in der Kunst erweist sich das Verhältnis in den USA als umgekehrt.43 Die Studie Gudrun Quenzels stellt einen wesentlichen Beitrag in der Analyse der Bedeutung von Geschlecht im internationalen Kunstfeld dar. Vor allem in der Demonstration der numerischen Repräsentationen von Künstler/innen leistet sie Grundlagenarbeit, indem sie einen quantitativen Einblick zu den Geschlechterverhältnissen im Kunstfeld auf internationaler Ebene vorlegt. Für die Dissertation bildet die Arbeit einen zentralen Ausgangspunkt, sowohl auf empirischer als auch auf theoretischer Ebene. Alison Beale und Anette van den Bosch legten im Jahr 1998 einen Herausgeberband zu Karrieren von Künstlerinnen in Australien und Kanada vor. Unter dem Titel „Women Artist’s Careers: Public Policy and the Market“ präsentiert van den Bosch zwar keine eigene Datenanalyse, bezieht sich aber auf verschiedene Quellen, die Daten zu Künstlerinnen in Australien liefern und setzt diese zueinander in Beziehung – besondere Betonung findet die Analyse von David Throsby und Beverley Thompson „A New Economic Study of Australian Artist“.44 Van den Bosch hebt ein differenzielles Einkommenslevel zwischen Künstlerinnen und Künstlern hervor und verweist auf die sozial verankerte Sorgearbeit für Kinder, die insbesondere Künstlerinnen an einer erfolgreichen Karriere hindert. Künstlerinnen erkennen diese Marginalisierung gemäß der Autorin oft selbst nicht – ein Verkennen der Problematik, zusätzlich gefördert durch eine kleine Anzahl von „High-Profile“ Künstlerinnen, die als Legitimation der                                                                                                                                                                            

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Vgl. Quenzel (2000), S. 82. Quenzel verweist an dieser Stelle auf Moulin (1996), S. 20. Vgl. Quenzel (2000), S. 53. Vgl. ebd., S. 51. Ein Vorgehen, das den neuen Avantgardeströmungen der 1980er Jahre Rechnung tragen sollte (vgl. ebd.). 43 Vgl. ebd., S. 54f. 44 Siehe dazu Throsby und Thompson (1994), eine vom Kulturministerium herausgegebene und damit auch der Kategorie kulturpolitische Untersuchungen zuzurechnende Studie. Von Throsby liegen zwischenzeitlich neuere Daten zu kulturellen Feldern in Australien vor, siehe dazu bspw. Throsby (2010).

 

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Gleichbehandlung dienen.45 Eine weitere Begründung findet die Autorin in den sich unterscheidenden Benchmarks der Karriere- bzw. Erfolgsdefinition zwischen Künstlern und Künstlerinnen.46 Ferner weist sie auf die stärkere regionale Ausrichtung von Künstlerinnen hin sowie auf ein höheres Bildungskapital von letzteren gegenüber ihren männlichen Kollegen.47 Hinsichtlich eines geschlechterspezifischen Preiseffektes stellt van den Bosch fest, dass Künstlerinnen seltener von einer Galerie vertreten werden als ihre Kollegen und daher auch geringere Preise erzielen.48 Ein aktuelles Beispiel zur Diskussion von Kunst und Geschlecht in Australien zeigt die Internetplattform „Countess – Women count in the Artworld“.49 Es handelt sich dabei um einen Internetblog, auf dem seit dem Jahr 2008 eine große Menge an Daten zur Geschlechterrepräsentation in der zeitgenössischen Kunstwelt Australiens gesammelt wurde.50 Ein wesentliches, die beiden genannten Quellen ergänzendes Ergebnis zum Kunstfeld in Australien geht des Weiteren aus der vorliegenden Studie hervor: Demnach sind 36,8 % aller Künstler/innen aus Australien, die unter den führenden 2500 Positionen des Feldes nach ArtFacts.Net gelistet werden, Frauen. Damit weist Australien im betrachteten Spitzenfeld den höchsten relativen Künstlerinnenanteil aller Kontinente auf.51 Ohne auf die an späterer Stelle ausgeführten Ergebnisse der vorliegenden Studie im Detail einzugehen, erweist sich die Verflechtung regionaler (auf den Kontinent bezogen) und internationaler Perspektiven hier als besonders erhellend. Neben den angeführten Untersuchungen, die sich explizit einer Gender-Thematik widmen,52 lassen sich weitere nennen, die eine Gender-Fragestellung zumindest implizit aufnehmen bzw. verfolgen. Während einige Wissenschaftler/innen diesem Thema viel und eigenständigen Raum zuweisen, wird es in anderen Untersuchungen zumindest mit aufgenommen, letzteres trifft in jüngerer Zeit insbesondere auf Ulf Wuggenig (2012), Carroll Haak (2005), Jens Beckert und Jörg Rössel (2004) sowie                                                                                                                                                                            

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Vgl. Van den Bosch (1998), S. 216ff. Vgl. ebd., S. 217f. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Siehe dazu http://countesses.blogspot.de [02.06.2015]. Siehe ebd. Siehe dazu die Ausführungen im empirischen Teil der Untersuchung – insbesondere in Kapitel 4.2.3. 52 Einen expliziten Fokus auf Geschlecht weist zudem die Untersuchung von Omar Lizardo „The Puzzle of Women’s ‘Highbrow’ Culture Consumption: Integrating Gender and Work into Bourdieu’s Class Theory of Taste” aus dem Jahr 2006 auf (vgl. Lizardo [2006]). Da die Studie nicht auf der Produktionsebene angelegt ist, sondern eine Geschlechteranalyse auf der Rezeptionsseite leistet, wird sie in dem vorliegenden Überblick nicht einzeln aufgeführt und diskutiert. Darüber hinaus finden zahlreiche Studien, die sich dem Thema über qualitative Analysemethoden nähern. Prominent kann Fowler/Wilson (2004) genannt werden, die sich insbesondere mit Fragen der Vereinbarkeit im Feld der Architektur auseinandersetzen. Zudem zeichnete Buscatto (2007, 2014) ein umfangreiches Bild zur Bedeutung von Geschlecht im kulturellen Subfeld der Jazzmusik. Zu weiteren qualitativen Studien siehe ferner dies. (2014).

 

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Merijn Rengers und Olav Velthuis (2002) zu. Mit den Untersuchungen Hans Peter Thurns (1985) und Raymonde Moulins (1985, 1992) lassen sich auch prominente Beispiele nennen, in denen Geschlecht bereits in den 1980er und 1990er Jahren als Analysevariable eine Rolle spielt. Hans Peter Thurn weist im Jahr 1985 in der Untersuchung „Künstler in der Gesellschaft“ darauf hin, dass das Einkommen von Künstlerinnen, die ihren Lebensunterhalt aus dem Verkauf von Kunst heraus bestreiten, um 40 % niedriger liegt als bei ihren männlichen Kollegen. Er resümiert, dass Frauen im Berufsfeld Kunst mit erheblich größeren Schwierigkeiten konfrontiert sind als ihre männlichen Kollegen. 53 Die Untersuchung basiert auf einer Befragung von 110 Künstler/innen aus Düsseldorf und Umgebung.54 Raymonde Moulin integriert in ihre Untersuchung „L´artiste, l´institution et le marché“, publiziert im Jahr 1992, verschiedene Schaubilder zur Situation von Frauen im französischen Kunstfeld.55 Deutlich wird in der Studie, die sich auf Daten des INSEE56 aus dem Jahr 1988 stützt, eine stärkere Vertretung von Frauen in den jüngeren Künstler/innenkohorten, als dies für die älteren Kohorten gilt. Allerdings findet sich in allen Kohorten eine Unterrepräsentation der Künstlerinnen gegenüber ihren männlichen Kollegen.57 Bereits einige Jahre zuvor, 1985, beschreibt sie in „Les Artistes“ (gemeinsam mit Jean-Claude Passeron, Dominique Pasquier und Fernando Porto-Vasquez) das Kunstfeld als eine Männerdomäne. Eines der elementaren Ergebnisse dieser frühen Studie ist – wie von Quenzel aufgenommen –, dass bei Eintritt in das Feld keine geschlechtsspezifische Diskriminierung vorliegt, die Aufstiegschancen nach Geschlecht hingegen signifikant variieren.58 Ulf Wuggenig veranschaulicht in seiner Untersuchung zum Züricher Kunstfeld „Das Kunstfeld – Eine Studie über Akteure und Institutionen der zeitgenössischen Kunst“ aus dem Jahr 2012, dass im Spitzenfeld der Kunst im Vergleich zu geistes- und sozialwissenschaftlichen Feldern der weibliche Anteil nicht nur deutlich höher sondern auch stark gewachsen ist. Demnach beträgt der Anteil an weiblichen Autor/innen soziologischer Studien im Spitzenfeld der hundert einflussreichsten Autor/innen des 20. Jahrhunderts lediglich 4 %. Die Zahl basiert auf einer Umfrage unter Mitgliedern der International Sociological Association aus dem Jahr 2000.59 Auf den Kunstkompass Bezug nehmend nennt Wuggenig für das Spitzensegment im Kunstfeld hingegen einen Frauenanteil von 22 % unter den führenden 100 Künst                                                                                                                                                                            

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Vgl. Thurn (1985), S. 31ff. Vgl. ebd., S. 9. Vgl. Moulin (1992), S. 279 ff. Das „Institut national de la statistique et des études économiques“ (INSEE) ist das französische amtliche statistische Amt. 57 Vgl. Moulin (1992), S. 284. 58 Vgl. dies./Passeron/Pasquier/Porto-Vasquez (1985), S. 28ff. Die Auswertungen basieren auf verschiedenen Datenquellen, insbesondere wurden Datensätze der französischen Sozialversicherung sowie des INSEE hinzugezogen. Ferner fanden solche aus verschiedenen Ausstellungskatalogen Anwendung (vgl. ebd., S. 21ff. sowie S. 28). 59 Vgl. Wuggenig (2012a), S. 34. Wuggenig bezieht sich an dieser Stelle auf eine Umfrage der International Sociological Association (siehe dazu: International Sociological Association [Hg.] [2000], Books of the century, http://www.isa-sociology.org/books.).

 

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ler/innen im Jahr 2000.60 Er weist, auf die Untersuchung von Gudrun Quenzel rekurrierend, auf einen stark gewachsenen Anteil anerkannter Produzentinnen im Kunstfeld hin. In den frühen 1970er Jahren betrug der Frauenanteil im Spitzensegment laut des Capital Kunstkompasses folglich noch weniger als 5 %.61 Bereits einige Jahre zuvor betont Ulf Wuggenig die wichtige aber beispielsweise von Harrison C. White vernachlässigte Rolle von Mary Cassatt als „Netzwerkerin“ der Impressionist/innen62 und rückt auch in diesem Zusammenhang die Frage nach der Bedeutung von Geschlecht im künstlerischen Feld in den Blick.63 Jens Kastner greift diesen Vorstoß in „Die ästhetische Disposition: eine Einführung in Pierre Bourdieus Kunsttheorie“ im Jahr 2009 auf und betont, es fehle bis dato an einer systematischen Betrachtung der Geschlechterverhältnisse im Kunstfeld.64 Auf die Ausführungen von Wuggenig zur Bedeutung der „Netzwerkarbeit“ von Mary Cassatt bezugnehmend hebt er die fehlende Beachtung der Geschlechterverhältnisse auch in Bourdieus Untersuchungen zum künstlerischen Feld hervor. Bourdieu insistiert zwar in seinen Überlegungen zur männlichen Herrschaft darauf, wie sehr die geschlechtliche Arbeitsteilung die soziale Welt strukturiert, soziale Tätigkeiten den Geschlechtern zugewiesen werden und es sich dabei um eine „gigantische soziale Maschine“ zur Ratifizierung der Geschlechterverhältnisse handelt;65 in seinen Ausführungen zum künstlerischen Feld geht er dessen ungeachtet nicht weiter auf diese Problematik ein. Die im Anschluss daran formulierte These Kastners, die heutige personelle Dominanz von Frauen auf dem Kunstmarkt und ihre weitgehende Absenz von den großen Museen basiere auf der Tradition der Kunstförderung in den bürgerlichen Salons (welchen meist Frauen vorstanden)66 findet insbesondere in Kapitel 3.2.4 eine Vertiefung. Zur Erwerbstätigkeit in künstlerischen Feldern existiert die Studie „Künstler zwischen selbständiger und abhängiger Erwerbsarbeit“ von Carroll Haak (2005). In der Untersuchung zeichnet sie die Entwicklung der Erwerbstätigkeit von Musiker/innen, darstellenden Künstler/innen und bildenden Künstler/innen auf der Basis einer Analyse von Individualdaten (Mikrozensus 2000) seit den achtziger Jahren nach. Haak weist auf eine deutlich geringere Einkommensdifferenz nach Geschlecht bei Künstler/innen hin, als dies bei Unternehmensberater/innen der Fall ist.67 Ein Ergebnis, das hinsichtlich der in der vorliegenden Untersuchung aufgeworfenen Frage, inwiefern das Kunstfeld gegenüber anderen sozialen Feldern eine geringere Geschlechterungleichheit aufweist, Be                                                                                                                                                                            

60 Vgl. Wuggenig (2012a), S. 34. Er verweist auf den Capital Kunstkompass in RohrBongard (2001) sowie auf Quenzel (2000). 61 Vgl. Wuggenig (2012a), S. 34. Wuggenig bezieht sich auf Quenzel (2000). 62 Vgl. Wuggenig (2007), S. 229ff. Der Soziologe Harrison C. White wurde im Kunstdiskurs vor allem für eine Untersuchung zu institutionellen Veränderungen innerhalb der französischen Kunstwelt des 19. Jahrhunderts bekannt, die er gemeinsam mit der Kunsthistorikerin Cynthia White in den frühen 1960er Jahren verfasste (vgl. ebd., S. 221; bei der Studie handelt es sich um White/White [1993/1965]). 63 Vgl. Wuggenig (2007), S. 229ff. 64 Vgl. Kastner (2009), S. 60. 65 Vgl. Bourdieu (2005a), S. 21. 66 Vgl. Kastner (2009), S. 60. 67 Vgl. Haak (2005), S. 7f.

 

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deutung gewinnt. Die Ausrichtung auf abhängige Beschäftigungsverhältnisse und den Rückgang unbefristeter Stellen erweist sich in der Analyse zum Spitzensegment als weniger relevante Problematik; im Hinblick auf die Betrachtung von Kunstarbeitsmärkten in Deutschland und der Prekarisierung künstlerischer Arbeit in diesem Feld bringt die Studie Haaks indessen wesentliche Ergebnisse auch in Bezug auf Geschlechterungleichheiten hervor. Auf den Kunstmarkt bezogen müssen schließlich zwei weitere Untersuchungen genannt werden: Jens Beckert und Jörg Rössel stellen im Jahr 2004 in ihrer Studie „Kunst und Preise: Reputation als Mechanismus der Reduktion von Ungewissheit am Kunstmarkt“ fest, dass für Kunstwerke von Frauen tendenziell ein niedrigerer Preis erzielt wird, als dies für Kunstwerke ihrer männlichen Kollegen der Fall ist.68 Aus dem Jahr 2002 liegt zudem eine Untersuchung von Merijn Rengers und Olav Velthuis vor, in der sie die Determinanten von Preisen zeitgenössischer Kunst in niederländischen Galerien anhand von Mehrebenenanalysen untersuchen.69 Rengers/Velthuis beziehen sich – wie Jukka Savolainen – auf Galeriepreise, also auf den Primärmarkt und stellen eine männlich Dominierung des Marktes fest: 75 % der verkauften Werke stammen von Künstlern.70 Die Preisdifferenz liegt laut der Studie unter 20 %, wobei sich dieser Wert zum Teil über Faktoren wie Alter und Werkgröße erklärt. Werke von Künstlerinnen zeigen sich nicht nur aufgrund des Geschlechts günstiger, sondern auch angesichts des durchschnittlich jüngeren Alters und der differenten Karrierewege.71 Die Autoren betonen, dass es einer detaillierten Untersuchung von Gendereffekten auf dem Kunstmarkt in weiteren Untersuchungen bedarf.72 Die Systematisierung der Untersuchungen beleuchtet die beachtliche Zahl existenter Studien zur Bedeutung von Geschlecht im Kunstfeld (bzw. in verschiedenen Kunstfeldern) sowie deren unterschiedliche Schwerpunkte; auch die differierende Bezugnahmen auf lokale oder nationale Felder – maßgeblich auf die oben demonstrierten Problematiken im Zusammenhang mit der Datengewinnung zurückzuführen – wurden deutlich. Quemin wie Quenzel, die beide das internationale Spitzenfeld fokussieren, bilden diesbezüglich Ausnahmen. Das Interesse an der Forschung zu „Gender und Kunst“ wie Buscatto als einen „Boom“ zu bezeichnen,73 ist möglicherweise zu hoch gegriffen. Sichtbar wird jedoch, dass der Gender-Diskurs zu einem Bestandteil (kunst-)soziologischer Forschung auch im deutschsprachigen Raum geworden ist. Findet sich eine quantitative Perspektive zwar deutlich seltener als qualitative Herangehensweisen, kann auch hier inzwischen auf einen Pool an Untersuchungen verwiesen werden. Einfache wie komplexe Surveys erzeugten vielfältige Ergebnisse, wobei das internationale Spitzenfeld nach wie vor wenig Beachtung findet – im Hinblick auf Machtverhältnisse und vertikale Segregationen erweist sich letzteres allerdings als besonders aufschlussreich.                                                                                                                                                                            

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Vgl. Beckert/Rössel (2004), S. 12. Vgl. Rengers/Velthuis (2002). Vgl. ebd., S. 7. Vgl. ebd., S. 21. Vgl. ebd., S. 24. Vgl. Buscatto (2007), S. 71.

 

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Als Bourdieu im Jahr 1992 „Les règles de l’art. Genèse et structure du champ littéraire“ veröffentlicht, widmet er dem Thema „Geschlecht“ kaum Aufmerksamkeit. Diese Vernachlässigung ist umso beachtlicher, als ihm die Bedeutung der „Geschlechtervariablen“ schon in seinen frühen Algerienstudien bewusst war.74 Galt die Thematisierung von Geschlecht zu dieser Zeit in der „allgemeinen Soziologie“ noch nicht als Standard, sondern war Diskussionsgegenstand in einem speziellen geschlechtersoziologischen Diskurs, findet sich heute eine veränderte Situation. Die Diskussion von Geschlecht ist selbstverständlich in der Soziologie wie Kunstsoziologie verankert und auch Pierre Bourdieu trägt diesem Wandel mit seinen Publikationen zur „Männlichen Herrschaft“ ab den 1990er Jahren Rechnung. Widmet er Geschlecht zumindest in seinen späten Wirkungsjahren Aufmerksamkeit, bleibt die Thematik bei anderen prominenten soziologischen Theoretikern wie Niklas Luhmann und Howard S. Becker weitgehend ausgeblendet. Becker allerdings erweist sich dem Thema zumindest insofern zugewandt, als er das Vorwort zu „Femmes du Jazz“ (im Jahr 2007 von Marie Buscatto publiziert) verfasst. Es handelt sich um eine Studie zu den „Jazzwomen“ in Frankreich, deren Außenseiter-Status in einem von Männern dominierten Milieu ein Paradoxon darstellt. Die nachweisbare Marginalisierung von Frauen wird in dieser Welt des Jazz negiert, weil man sich als freiheitsliebend und besonders tolerant versteht.75 Obwohl sich die Akteur/innen der Jazz Szene als wenig konformistisch bezeichnen, finden sich hier organisationale Praktiken, die zu einer nicht intendierten Diskriminierung von Frauen führen, wie es Howard S. Becker formuliert.76 Etablierte sich die kunsthistorische Genderforschung inzwischen als eigenständiger Forschungsbereich innerhalb der Kunstgeschichte (Kapitel 2.3), zeigt sich im Laufe der Untersuchung auch, inwiefern die Berücksichtigung von Ergebnissen aus soziologischen Studien hier aufschlussreiche neue Perspektiven öffnet. Dies gilt für empirische Untersuchungen insgesamt, insbesondere aber für quantitativ orientierte und vonseiten der Kunstgeschichte kaum leistbare Herangehensweisen. Trotz des Erscheinens diverser neuer Studien, gilt es dieses Forschungsfeld und das „fragmentarische, lückenhafte statistische Bild zu professionell im Kunstfeld tätigen Frauen“77 zukünftig weiter auszubauen und um neue Untersuchungen und Ergebnisse zu ergänzen.

2.2 K ULTURPOLITISCHE U NTERSUCHUNGEN Die vergleichsweise große Anzahl an Studien von kulturpolitischer Seite zur Unterrepräsentation von Frauen in Kulturberufen zeugt von der Aktualität dieses Themas auf der politischen Agenda. Gleichwohl variieren die Untersuchungen in ihrem Analysefokus – meist stehen kommunale oder nationale Felder im Vordergrund, zu einer globalen bzw. transnationalen Perspektive liegen auch von dieser Seite kaum Ergebnisse vor. Wobei ein im Dezember 2015 von der UNESCO herausgegebener Bericht                                                                                                                                                                            

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Siehe dazu z.B. Bourdieu (1976). Vgl. Buscatto (2007); siehe dazu auch Danko (2012), S. 105. Vgl. Becker (2007), S. 11. Deepwell (2001), S. 6.

 

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zur Kreativwirtschaft mit der expliziten Hervorhebung der Gender-Thematik möglicherweise ein Umdenken attestiert.78 Laut Hennefeld/Stockmann zeigt sich in der Kulturpolitik in Deutschland seit einigen Jahren ein zunehmendes Interesse wie ein wachsender Bedarf an Evaluationen.79 Zur Berücksichtigung der Analyse von Geschlechterasymmetrien in solchen Untersuchungen kultureller Felder auf städtischer, nationaler wie internationaler Ebene finden sich verschiedene Beweggründe: Aus einem im Rahmen der Kulturförderung der Stadt Wien im Jahr 2013 herausgegebenen Leitfaden geht das Argument der Förderung gesellschaftlicher Gerechtigkeit im Sinn einer gleichen Teilhabe von Frauen und Männern im Kunst- und Kulturbetrieb als Aufgabe der politischen Administration hervor. Darüber hinaus verweisen die Autoren auf gesetzliche Vorgaben im Rahmen von „Gender Budgeting“, die politische Entscheidungsträger berücksichtigen müssen.80 Im Rahmen der Millenniums-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen werden ähnliche Instrumente auch auf internationaler Ebene eingefordert, „gender equality“ steht dabei im Zusammenhang mit kultureller Entwicklung. 81 McGuigan bringt die kulturpolitische (und nicht lediglich sozialpolitische) Aufgabe Geschlechtergerechtigkeit (beispielsweise im Zugang zur Kunst) zu schaffen, als eine                                                                                                                                                                            

78 Vgl. UNESCO (2015). Der Zusammenschluss der Vereinten Nationen, UNDP und UNESCO veröffentlichte im Jahr 2013 zudem eine Untersuchung, die einer Analyse der Creative Industries auf internationaler Ebene diente. Auch im Rahmen dieses Berichts wurden Geschlechterasymmetrien beschrieben, mit einem Fokus auf Empowerment Prozessen in Entwicklungszusammenhängen und somit einer Perspektive, die keine Anschlusspunkte an die vorliegende Analyse bot. Der Report findet in diesem Kapitel dennoch Erwähnung, da die Untersuchung als eine der wenigen eine internationale Perspektive bietet und aufgrund des Bedeutungszuwachses der Kreativwirtschaft in globalen Wirtschaftszusammenhängen eine Fortentwicklung solcher Studien zu erwarten ist (zum Report siehe United Nations/UNDP/UNESCO [2013]). 79 Vgl. Hennefeld/Stockmann (2013), S. 7. Hennefeld/Stockmann beziehen sich hier explizit auf die deutsche Kultur und Kulturpolitik sowie die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik Deutschlands (vgl. ebd.). Klein verweist diesbezüglich auf ein vornehmlich wirtschaftspolitisches Interesse an der Evaluation kulturpolitischer Leistungen, u. a. ausgelöst durch die Globalisierung, demografische Verwerfungen, Digitalisierung, die Finanzkrise oder auch die Schuldenbremse (vgl. Klein [2013], S. 9). Zur wirtschaftspolitischen Ausrichtung von Kulturpolitik siehe auch Throsby (2010) sowie McGuigan (2004). Throsby diagnostiziert eine Veränderung der traditionellen Aufgabe der Kulturpolitik, sich um finanzielle Unterstützung für die Künste, das kulturelle Erbe oder auch Institutionen wie Museen und Galerien zu kümmern; in jüngerer Zeit entwickelte sich weltweit ein gesteigertes Interesse an den „Creative Industries“ als Quelle von Innovation und ökonomischer Dynamik. Auf internationaler Ebene erlangen die Problematiken des Umgangs mit kulturellen Gütern und Dienstleistungen demnach zunehmend an Prominenz in verschiedenen multilateralen und bilateralen Wirtschaftsverhandlungen (vgl. Throsby [2010], S. ix). 80 Vgl. Bauer/Rieck (2013). 81 Vgl. Throsby (2010), S. 197. Ergebnisse dieser Forderung werden im „Creative Economy Report“ der Vereinten Nationen wiedergegeben (siehe dazu den bereits genannten Report United Nations/UNDP/UNESCO [2013]).

 

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bereits im Marshallplan verankerte und damit schon seit Ende der 1940er Jahre in der Kulturpolitik Europas existente Zielsetzung an.82 Neben den genannten (demokratischen) Bestrebungen Geschlechteregalität im Rahmen kulturpolitischer Instrumente zu fördern und zu schaffen, sollten darüber hinaus aber auch wirtschaftliche Aspekte des Interesses an Genderdaten vonseiten der Kulturpolitik nicht ausgeklammert werden. Verweisen Throsby und McGuigan auf die zunehmend ökonomischen Ausrichtungen der Kulturpolitik,83 ist aus der Genderforschung gleichermaßen bekannt, dass die Analyse von Geschlechterasymmetrien in wirtschaftlichen Kontexten in den vergangenen Jahren verstärkt an Bedeutung gewonnen hat – allerdings weniger aus egalitären Gesichtspunkten und vielmehr hinsichtlich eines Verständnisses von Frauen als eine nicht ausreichend ausgeschöpfte betriebswirtschaftliche Ressource.84 Aus diesem ökonomischen Interesse hervorgehend ist die Berücksichtigung von Genderungleichheiten in politisch initiierten Untersuchungen zur Kreativwirtschaft auch zukünftig und möglicherweise verstärkt zu erwarten. In der vorliegenden Analyse kam verschiedenen kulturpolitischen Untersuchungen als Lieferanten von Vergleichsdaten Relevanz zu. Berücksichtigt man die im Folgenden ausgeführten Eigenheiten der Studien, bieten sie eine breite Datenbasis sowie wesentliche Einblicke zur Situation von Frauen im sozialen Universum der Kunst. Die in dieser Kategorie zusammengefassten Analysen zeichnen sich durch eine Initiierung wie Finanzierung von öffentlicher Seite aus, beispielsweise durch die Europäische Kommission, den Deutschen Kulturrat oder die Administration in größeren Städten. Die Untersuchungen zielen meist auf eine Formulierung konkreter Handlungsempfehlungen, u. a. im Sinn von Gender-Mainstreaming-Programmen. Spielen wirtschaftspolitische Absichten gerade in den Studien der jüngeren Zeit eine besondere Rolle,85 kommt eine theoretische Einbettung überwiegend nicht zum Tragen. Wie im theoretischen Teil der Arbeit ausgeführt, sollte eine solche aber beispielsweise hinsichtlich der relativen Beherrschung des kulturellen Feldes im Sozialraum und der sich daraus ergebenden relativ dominierten Positionen der Akteur/innen Beachtung finden. Die Ergebnisse der Studien beziehen sich vornehmlich auf soziodemografische Merkmale, Bildung/Ausbildung und Einkommen; in einigen umfangreicheren Analysen stehen auch Fragen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie zur Diskussion. Untersuchungen, die einen sehr weiten und unspezifischen Professionsbegriff in Bezug auf das Kunstfeld aufweisen, wurden im Rahmen der vorliegenden Studie nicht näher berücksichtigt. Dies trifft beispielsweise auf die Untersuchung „Women Artists: 1990-2005“ aus dem Jahr (2008) von Bonnie Nichols zu, sie summiert unter der Kategorie Künstler/innen „Fine Artist“, „Art directors“ und „Animators“ und misst einen Frauenanteil von 47,4 %. Wie weit Kategorien teils gefasst werden, zeigt dieses Beispiel sehr gut.86 Des Weiteren wurden nur in wenigen                                                                                                                                                                            

82 Vgl. McGuigan (2004), S. 33. 83 Siehe dazu Throsby (2010) sowie McGuigan (2004); siehe dazu auch die Ausführungen in Fn. 79. 84 Vgl. Rybnikova (2014), S . 390. Weitere Ausführungen hierzu finden sich im Kapitel zur Geschlechterforschung (2.4). 85 Siehe dazu bspw. Throsby (2010) sowie McGuigan (2004). 86 Vgl. Nichols (2008).

 

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Fällen Untersuchungen herangezogen, in denen nicht- oder semi-professionelle künstlerische Segmente im Analysefokus standen. Überraschend ist die feststellbare Nichtbeachtung gendersensibler Daten in einigen Berichten zur Kreativwirtschaft – der jüngst erschienene und eingangs erwähnte Report Re|Shaping Cultural Policies weist diesbezüglich möglicherweise auf eine Fortentwicklung im Sinn einer breiteren Diskussion der Gender-Problematik hin.87 Findet sich auch eine explizite Auseinandersetzung zu Geschlecht in dem international ausgerichteten Creative Economy Report 2013 der Vereinten Nationen, UNDP und UNESCO, zielen die Ergebnisse insbesondere auf Empowerment Prozesse in Entwicklungszusammenhängen. 88 In dem vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) veröffentlichten Monitoring zu ausgewählten wirtschaftlichen Eckdaten der Kultur- und Kreativwirtschaft 2014 wird von einer Diskussion möglicher Geschlechterungleichheiten vollständig abgesehen.89 Ähnlich verhält es sich im Bericht zur Kreativwirtschaft in der Schweiz aus demselben Jahr – auch in diesem sind keine Angaben zur Bedeutung von Geschlecht auf dem Kunstmarkt ausgewiesen.90 Der Österreichische Kreativwirtschaftsbericht (2015) gibt zumindest bezüglich der Aufteilung der Selbstständigen in der Kreativwirtschaft nach Bereichen auch Auskunft zur Geschlechterdifferenzierung: Insgesamt liegt in der Österreichischen Kreativwirtschaft demnach ein Frauenanteil von 22 % vor, die höchsten Anteile weisen die Bereiche Design (35 %) wie Musik, Buch und künstlerische Tätigkeit (32 %) auf; der geringste Frauenanteil zeigt sich für die Kategorien Software und Games (8 %) sowie Radio und TV (10 %).91 Hier wird eine Lücke offenbar, die in zukünftigen Berichten unbedingt einer Auseinandersetzung Bedarf und hinsichtlich der Beachtung geschlechtlicher Ungleichheiten in anderen Bereichen wie der Wissenschaft oder Wirtschaft nicht nachvollziehbar ist. Im Folgenden schließt nun eine Vorstellung derjenigen Studien an, die Anschlusspunkte hinsichtlich der Erstellung des Untersuchungsdesigns boten und/oder deren Ergebnisse in der Auseinandersetzung mit dem Spitzenfeld der Kunst als Referenzdaten dienten: Zum kulturellen Feld in Europa legten Cliche/Mitchell/Wiesand im Jahr 2000 unter dem Titel „Pyramid or pillars: unveiling the status of women in arts and media professions in Europe“ eine umfangreiche vergleichende Studie vor. Die Untersuchung wurde unter der Trägerschaft des „European Research Institute for                                                                                                                                                                            

87 Vgl. UNESCO (2015). Die bislang unzureichende Beachtung der Gender-Thematik (als Teilaspekt der Diskussion um Menschenrechte sowie der Sicherung von Meinungs-, Informations- und Kommunikationsfreiheit) wird in dem Bericht explizit angesprochen, wenn auch nicht mit gesonderten Zahlen belegt. Die Förderung von Frauen als Künstlerinnen und Produzentinnen kultureller Güter wie Dienstleistungen wird dabei hervorgehoben und in einem eigenen Kapitel diskutiert (siehe dazu Kapitel 9 des Reports). Grundlage bildet die Ausgangssituation einer insgesamt starken Repräsentation von Frauen im kulturellen Sektor in den meisten Teilen der Welt, nicht aber bezogen auf Entscheidungspositionen (vgl. ebd., S. 5). 88 Vgl. United Nations/UNDP/UNESCO (2013); siehe dazu ausführlich Fn. 78. 89 Vgl. Bertschek et al. (2015). 90 Vgl. Weckerle/Schmucki/Page (2014). 91 Vgl. creativ wirtschaft austria (2015), S. 50.

 

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Comparative Cultural Policy and the Arts“ (ERICArts) veröffentlicht. Sie entstand in der Vorbereitung der „Intergovernmental Conference on Cultural and Media Policies for Development“ der UNESCO im März/April 1998 in Stockholm, diente der Bereitstellung von Informationen zu geschlechterspezifischen Fragestellungen im kulturellen Sektor und sollte Vorschläge zur Entwicklung der Kulturpolitik hervorbringen.92 Die Autor/innen definieren das professionelle Feld „Arts and Media“ vorab und legen der Untersuchung eine Unterteilung in verschiedene künstlerische Professionsbereiche zugrunde, die sie als „Cultural Domains“ bezeichnen: „Music“, „Performance“, „Visual Art“, „Writing/Publishing“, „Intermedia“, „Heritage“ and „Administration“.93 Zudem unterscheiden sie innerhalb eines Professionsbereiches verschiedene Gruppen nach deren Funktion, u. a. „Authorship“, „Artistic Direction“, „Teaching“ und „Administration/Management“. Auf der Ebene der Visual Arts wurde in der Kategorie „Authorship“, die die Künstler/innen umfasst, eine Unterteilung nach „Sculptor“, „Painter“, „Graphic Artist“ und „Photographer“ vorgenommen.94 Somit liegt eine sehr detaillierte Betrachtung einzelner Akteursgruppen vor. Die sehr klassische Unterteilung nach Malerei, Bildhauerei usw. in dieser Kategorie birgt im Hinblick auf die Analyse von Geschlechterungleichheiten die Problematik, vielfach von Künstlerinnen genutzte Medien – wie Performance oder Media Art – nicht zu berücksichtigen. Als zentrales Ergebnis geht aus der Studie von Cliche/Mitchell/ Wiesand hervor, dass Frauen im kulturellen Feld über eine starke Präsenz verfügen – im Besonderen trifft dies auf nicht-künstlerische Berufsgruppen zu. Frauen besetzen demnach vornehmlich Positionen in der Verwaltung und Dokumentation in Bibliotheken, Archiven und Museen oder sie nehmen unterstützende Positionen ein, wie die Assistenz der Direktion. Frauen besetzen zunehmend Positionen in den Medien (TV, Radio, Druck, Werbung und Digital Art Companies) und in den literarischen Künsten (auch Journalismus), verfügen aber in den Feldern der Musik, Architektur, Fotografie und Bildhauerei über eine geringe Präsenz.95 Deutlich wird eine Asymmetrie im ökonomischen Status von Künstlerinnen und Künstlern – Frauen verdienen demnach 15 % bis 30 % weniger als ihre männlichen Kollegen.96 In der Analyse der Besetzung von Entscheidungspositionen, orientiert an dem Konzept der „gläsernen Decke“97, erweist sich die relativ starke Präsenz von Frauen im kulturellen Feld nicht gleichermaßen gültig für Entscheidungsfunktionen. Dies bestätigt sich auch für die oben als „feminisiert“ dargelegten Sektoren. In Ländern, in denen viele Frauen „Senior-Management Positionen“ besetzen (beispielsweise als Museumsdirektorinnen) zeigte sich in der Studie zudem häufig eine relativ abgewertete Wahrnehmung der Institutionen.98 Die Betrachtung der prozentualen Anteile von Museumsdirektorinnen in verschiedenen Ländern Europas verdeutlichen stark variierende Werte innerhalb des Kontinents; Finnland weist mit 52 % einen überproportional hohen Frauenanteil                                                                                                                                                                            

92 93 94 95 96 97 98

Vgl. http://kvc.minbuza.nl/uk/archive/commentary/cliche.html [14.12.2012]. Vgl. Cliche/Mitchell/Wiesand (2000), S. 5f. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 15. Vgl. ebd., S. 16. Siehe dazu Kapitel 2.4. Vgl. Cliche/Mitchell/Wiesand (2000), S. 18.

 

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unter den Museumsdirektor/innen auf, Deutschland und das Vereinigte Königreich verfügen mit jeweils 22 % über vergleichsweise wenige Entscheidungsträgerinnen in Museen. 99 Folgende Erklärungen bieten Cliche/Mitchell/Wiesand für die LänderDifferenzen: In Finnland besetzen Frauen nicht nur mehr als die Hälfte der Positionen als Museumsdirektorinnen, insgesamt sind 66 % der Angestellten in Museen weiblich. Dabei zeigt sich, dass Gehälter von Museumsdirektor/innen im Vergleich zu anderen Kulturberufen relativ gering ausfallen – die Autor/innen geben ein Monatsgehalt von rund 2100 Euro an.100 In Spanien stellen Cliche/Mitchell/Wiesand einen Direktorinnenanteil von 28 % fest; Interviews lassen darauf schließen, dass Frauen verstärkt Galerien und Museen leiten, da eine Anerkennung als „Creators“ für sie schwer ist. Eine künstlerische Professionalisierung bleibt weitgehend verschlossen, während es Frauen offen steht, Verwaltungsaufgaben zu übernehmen und Künstler/innen zu managen.101 Für Deutschland stellen die Autor/innen fest, dass der Frauenanteil zwar weitaus geringer als in einigen anderen europäischen Ländern ausfällt, der Anteil an Direktorinnen aber von 12 % im Jahr 1994 auf 22 % im Jahr 1999 angestiegen ist. Ähnliche Ergebnisse finden sich für Österreich und die Niederlande.102 Somit bietet die Studie wesentliche Erkenntnisse auf einer überregionalen Ebene, wobei die Verbindung der quantitativ gewonnenen Ergebnisse mit solchen aus qualitativen Teilanalysen als besonders hilfreich in der Reflexion der Daten bewertet werden kann. Zum Kunstfeld in Deutschland bestehen die im Folgenden vorgestellten Untersuchungen und Ergebnisse, die auf eine umfangreiche Vermessung des Feldes verweisen; ungeachtet dessen treffen die Analysen kaum Aussagen zu professionellen Spitzen – in Bezug auf Geschlecht bleiben somit wichtige Asymmetrien verborgen: Gabriele Schulz, Olaf Zimmermann und Rainer Hufnagel gaben für den Deutschen Kulturrat im Jahr 2013 die Untersuchung „Arbeitsmarkt Kultur. Zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Kulturberufen“ heraus, in der sie sich partiell auch dem Thema „Geschlecht“ widmen.103 Von Marlies Hummel wurde im Namen des Bundeverbands Bildender Künstlerinnen und Künstler (BBK) im Jahr 2008 die Untersuchung „Die wirtschaftliche und soziale Situation bildender Künstlerinnen und Künstler“ veröffentlicht.104 Zudem findet sich von Annette Brinkmann und Andreas Wiesand die Untersuchung „Frauen im Kultur- und Medienbetrieb III“ aus dem Jahr 2001.105 Eine weitere Geschlecht fokussierende Untersuchung publizierten Jens Leberl und

                                                                                                                                                                           

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Vgl. Cliche/Mitchell/Wiesand (2000), S. 19. Vgl. ebd., S. 19f. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 19ff. Vgl. Schulz/Zimmermann/Hufnagel (2013). Vgl. Hummel (2008). Vgl. Brinkmann/Wiesand (2001). Die Studie erschien als Report für das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Es bestehen zudem Vorgängerstudien, die an dieser Stelle nicht einzeln ausgeführt werden.

 

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Gabriele Schulz im Jahr 2003 für den Deutschen Kulturrat – sie trägt den Titel „Frauen in Kunst und Kultur II“.106 Schulz/Zimmermann/Hufnagel zeigen, dass auf Kulturarbeitsmärkten in Deutschland mit 58 % ein leicht höherer Beschäftigungsanteil von Frauen besteht, als dies im gesamten Arbeitsmarkt (52 %) der Fall ist.107 Bezüglich des Jahresdurchschnittseinkommens in der Künstlersozialversicherung versicherter bildender Künstler/innen stellen sie fest, dass das Einkommen von Frauen im Durchschnitt 28 % unter dem ihrer männlichen Kollegen liegt. Das Jahreseinkommen von 14.692 Euro ist aber auch bei letzteren vergleichsweise gering. Bei den Künstlerinnen liegt es bei 10.628 Euro.108 Brinkmann/Wiesand weisen ebenfalls auf asymmetrische Einkommensverhältnisse zwischen Frauen und Männern in kulturellen Institutionen hin. Wie in anderen Berufsfeldern ist der Verdienst in erster Linie altersabhängig, allerdings bestehen signifikante Unterschiede zwischen den Geschlechtern: Während Männer sich in der Regel mit fortschreitendem Alter beruflich etablieren und ihr Einkommen steigern, gilt dies nicht für die weiblichen Kolleginnen.109 In der höchsten Einkommensgruppe war fast jeder zweite Mann gelistet, aber nur jede vierte Frau. Gründe hierfür stellen zum einen geringere Vergütungssätze beim Berufseinstieg dar, zum anderen Karriereknicke – beispielsweise durch berufliche Aus- oder Teilerwerbszeiten bedingt.110 Zahlen, die sich speziell auf das Kunstfeld beziehen, weisen auf einen Teilnahmeanstieg von Frauen in Kunstausstellungen von 16,7 % auf 25,6 % (1971 bis 1999) hin. Ein Wert um 25 % pendelte sich ab den 1980er Jahren ein.111 Eine Übersicht zur Leitung von Kunstmuseen und öffentlichen wie privaten Galerien zeigt für die Jahre 1993/94 einen Frauenanteil von 24,5 % auf, der in den Jahren 1998/99 auf 36 % ansteigt. Problematisch ist an den Darstellungen die weitgehend undifferenzierte Aufnahme verschiedener Museums- und Galerietypen in einer Kategorie.112 Die Studie                                                                                                                                                                            

106 Vgl. Leberl/Schulz (2003). Die Untersuchung baut auf der bereits 1996 herausgegebenen Studie zu Frauen in Kulturberufen („Kunst und Kultur von Frauen“) auf (vgl. Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland [Hg.] [1996]). 107 Vgl. Schulz/Zimmermann/Hufnagel (2013), S. 219. Die Daten basieren auf dem sozioökonomischen Panel (SOEP) Welle BA (siehe dazu ebd.). 108 Vgl. ebd., S. 159. 109 Fast jeder zweite Mann (48 %) verdiente in den Kulturberufen 1998 mindestens 3.000 DM pro Monat, nur 18 % verdienten weniger als 1800 DM. Bei den Frauen ergibt sich demgegenüber die folgende Situation: 44 % der Frauen befinden sich im Jahr 1998 in der mittleren Einkommensgruppe zwischen 1800 und 3000 DM. Die Zahl der gering verdienenden Frauen (bis 1800 DM) übertraf mit 31 % die am besten verdienenden (mehr als 3000 DM), die einen Anteil von 25 % ausmachten. 110 Vgl. Brinkmann/Wiesand (2001), S. 91f. Ein Vergleich der Jahre 1993 und 1998 zeigt diesbezüglich keine Veränderungen. 111 Vgl. ebd., S. 94. Die Angaben beziehen sich auf eine Auswertung der Angaben des „Belser Kunstquartals“ der Jahrgänge 1971, 1975, 1980, 1985, 1991, 1994 und 1999 (jeweils 3. Quartal) (vgl. ebd.). 112 Vgl. ebd., S. 101. Die Auswertungen wurden anhand des vom Deutschen Kulturrat herausgegebenen Pressetaschenbuches Kunst und Kulturvermittlung 1993/94 (848 Einträge)  

 

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des Deutschen Kulturrats von 2003 weist einen ähnlichen Direktorinnenanteil für Kunstmuseen auf – demnach wird jedes vierte Kunstmuseum in der Bundesrepublik in dem Untersuchungszeitraum von einer Frau geleitet.113 Die Untersuchung von Marlies Hummel ist insbesondere hinsichtlich der Analyse des Bildungskapitals von Künstler/innen hervorzuheben. Demnach verfügen Künstlerinnen und Künstler zu jeweils rund 55 % über einen Abschluss an einer Kunstakademie oder an einer Kunsthochschule; 39 % der Künstler und rund 41 % der Künstlerinnen absolvierten ein Studium an einer Fachhochschule oder an einer anderen Hochschule. Als Autodidakt/in bezeichnen sich 20 % der Künstler, aber nur rund 16 % der Künstlerinnen.114 Die Studie von Leberl/Schulz zielte darauf, Zahlen vorzulegen, die Aufschluss über das Erreichen der Maßnahmen individueller Künstler/innenförderung der Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland geben konnten unter besonderer Berücksichtigung der weiblichen Akteurinnen. Zudem diente sie der Verdeutlichung dessen, in welchem Maße Frauen Leitungsfunktionen in den kulturellen Institutionen und Kulturverwaltungen besetzen. Die Erhebung erfolgte im Zeitraum 1995 bis 2000.115 In den Ergebnissen verweist die Studie auf einen überdurchschnittlich hohen Frauenanteil unter den bildenden Künstler/innen von 43,4 % (der Frauenanteil in ausgewählten Kulturberufen beträgt laut der Studie in toto 37,5 %).116 Zeigt sich insgesamt ein Anstieg des Anteils von Frauen in Kulturberufen, sprechen die Autor/innen dennoch nicht von einer gleichberechtigten Verteilung – Vereinbarkeitsproblematiken liegen auch in diesen Berufsgruppen weitgehend bei den Frauen. Damit tragen sie in erster Linie mit diesen verbundene Nachteile wie finanzielle Einbußen oder Karriereknicke.117                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    

sowie des Taschenbuchs Kunst, Architektur, Design aus dem Jahr 1998/99 (1564 Einträge) vorgenommen (vgl. Brinkmann/Wiesand [2001], S. 101). Vgl. Deutscher Kulturrat e.V. (2003), S. 49. Dabei zeigt sich eine sehr unterschiedliche Aufteilung zwischen Bundesländern: Den Museen Hamburgs und Schleswig-Holsteins standen ausschließlich Männer vor. In Mecklenburg-Vorpommern dagegen waren mit 71 % fast drei Viertel der Museumsdirektor/innen weiblich. Den zweithöchsten Frauenanteil erreicht Sachsen-Anhalt mit 50 %. Die Spanne der Länderwerte betrug damit im Jahr 1995 zwischen 0 % und 50 % und in den Jahren 1997 sowie 2000 zwischen 0 % und 75 % (siehe dazu ebd.). In der Quelle sind auch die kommissarischen Museumsleitungen angegeben; als solche fungiert oftmals der Stellvertreter oder die Stellvertreterin, wobei Frauen laut der Studie das Amt der stellvertretenden Leitung verhältnismäßig häufiger innehaben. Bei vakanten Führungspositionen zählen in der Untersuchung die Stellvertreter/innen, wodurch sich die Frauenquote erhöht (vgl. siehe dazu ebd., S. 50). Die weiteren Künstler/innen des Samples sind in Ausbildung (0,1 %) oder verfügen über eine andere Ausbildung 21,9 %, die Unterschiede zwischen Künstlern und Künstlerinnen liegen jedoch bei max. 0,2 %. Die Angaben enthalten Mehrfachnennungen einzelner Künstler/innen (siehe dazu Hummel [2008], S. 21). Vgl. Leberl/Schulz (2003), S. 7. Der Anteil an Frauen unter den bildenden Künstler/innen vergrößerte sich in der Gegenüberstellung der Jahre 1993 und 1998 um 1,4 %. Vgl. ebd., S. 15f.

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Die Ausführungen veranschaulichen die Bandbreite an Analysen, in denen aus einer kulturpolitischen Perspektive heraus die Repräsentation von Frauen in verschiedenen Professionen und Institutionen des kulturellen Feldes von Interesse ist. Auf einzelne Ergebnisse finden sich – vornehmlich zum Vergleich – Bezüge in der empirischen Untersuchung, verschiedene relevante Punkte erfahren in diesem Rahmen eine weitere Darlegung. Daher sei an dieser Stelle lediglich zusammenfassend vermerkt, dass das kulturelle Feld laut der vorgestellten Analysen als ein weitgehend „feminisiertes“ bezeichnet werden kann. Gleichermaßen stellte sich eine Marginalisierung von Akteurinnen gegenüber ihren männlichen Kollegen heraus, insbesondere hin zu den mit Reputation und ökonomischem Kapital besser ausgestatteten Positionen – auch im europäischen Vergleich. Zudem fanden sich Hinweise auf eine deutliche Einkommensasymmetrie bei Künstler/innen, der Verdienst von Frauen umfasste laut Cliche/Mitchell/Wiesand im Jahr 2000 15 % bis 30 % des Einkommens der männlichen Kollegen (bezogen auf eine breite Definition von Künstler/innen). Für das Jahr 2013 erwies sich ein um 28 % geringerer Verdienst bei bildenden Künstlerinnen gegenüber ihren männlichen Kollegen als gegeben (Schulz/Zimmermann/Hufnagel). Als ein zentrales Ergebnis dieser Übersicht kulturpolitischer Untersuchungen kann die Einforderung einer stärkeren Differenzierung hinsichtlich der Professionen, der Professionalität aber auch der Institutionen Betonung finden, um verdeckte Asymmetrien noch besser zu erkennen. Zudem stellt sich der Anteil auf transnationaler Ebene angelegter Analysen als relativ gering heraus – eine stärkere Bezugnahme auf solche erscheint angesichts zunehmend international wie global organisierter kultureller Felder unabdingbar.118

2.3 D ER

KUNSTHISTORISCHE

G ENDER -D ISKURS

“Feminist Art Finally Takes Centre Stage” war in der New York Times im Januar 2007 anlässlich des Symposiums „The Feminist Future: Theory and Practice in the Visual Arts“ im MoMA (Museum of Modern Art, New York) zu lesen. Die lange im Voraus ausverkaufte Veranstaltung vereinte Wissenschaftler/innen und Akteur/innen aus dem Praxisfeld der Künste.119 Das MoMA, von Ulf Wuggenig als die „main bas-

                                                                                                                                                                           

118 Da eine insgesamt sehr große Anzahl weitgehend regional ausgerichteter Analysen existiert, die ebenfalls dieser Kategorie zuzurechnen wären, sei an dieser Stelle angemerkt, dass diejenigen Studien eine zentrale Hervorhebung erfahren, die in der weiteren Untersuchung von Bedeutung sind. Es handelt sich somit nicht um ein abgeschlossenes Bild der hier zur Verfügung stehenden Arbeiten, was im Rahmen der vorliegenden Studie nicht als notwendig erschien und den Rahmen gesprengt hätte. Genannt seien aber u. a. Braster/Sartori (1999), Herber (2009) und McCall (1975) als weitere regionale Felder fokussierende Arbeiten. Zudem finden sich neben den genannten Untersuchungen zum Kunstfeld in Deutschland weitere zu nationalen Feldern (Länder/Staaten), z.B. von Schelepa et al. (2008) zu Österreich. 119 Vgl. Cotter (2007).

 

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tion of Western modern and contemporary Art“ bezeichnet, gilt als eine mit höchster Konsekrationsmacht ausgestattete Institution des Kunstfelds.120 Was geschieht mit einem Diskurs, der die Konsekration einer solchen Institution erfährt? Holland Cotter verweist in einem Artikel in der New York Times darauf, dass das Thema „Kunst und Geschlecht“ im Jahr 2007 damit in der Kunstwelt angekommen sei.121 Mechtild Widrich stellt in ihrem Rückblick auf das Symposium in der Kunstzeitschrift „Springerin“ die Frage, ob der Eingang der Thematik in dieses Museum als Erfolg zu verbuchen ist oder ob es den Abschluss einer ehemaligen Epoche signalisiert.122 Griselda Pollock hingegen setzt beiden Wertungen entgegen, die Musealisierung feministischer Kunst sei als das Aufzwingen einer kanonisierten Sichtweise zu verstehen, die einer Zurückweisung bedarf.123 Die Organisator/innen des Symposiums geben als dessen Intention an, die Beziehung von Kunst und Gender kritisch zu befragen, zu untersuchen inwiefern „Gender“ gegenwärtig für Künstler/innen, Akademien und Museen von Bedeutung ist und welche Rolle „Gender“ zukünftig für die Kunstpraxis wie -wissenschaft spielen kann.124 Hinsichtlich der theoretischen Ansätze zeigt sich (wie einleitend bereits erwähnt) in den Vorträgen und Diskussionen der Veranstaltung ein breiter, essentialistische, dekonstruktivistische, intersektionale und postkoloniale Ansätze umfassender Diskurs, der ferner Bezüge auf Men-, Queer- und Transgender-Studies aufweist.125 Protagonist/innen verschiedener Generationen von Wissenschaftler/innen, Künstler/innen und Kurator/innen vertreten diese heterogenen Ansätze – Lucy Lippard, Linda Nochlin, Griselda Pollock und Anne Wagner stehen dabei für einen Diskurs und eine Generation an Kunsthistoriker/innen, die die Diskussion seit den 1970er Jahren vorantreiben. Als eine jüngere Generation an Kunsthistoriker/innen, Kunstwissenschaftler/innen und Kurator/innen zählen demgegenüber Ute-Meta Bauer, Beatriz Colomina und Catherine de Zegher. Marina Abramovic, die Guerrilla Girls und Martha Rosler vertraten die künstlerische Profession. In dieser Zusammenführung der verschiedenen Akteursebenen zeigt sich die für den Diskurs um Kunst und Gender in weiten Teilen kennzeichnende, stark transdisziplinäre Ausrichtung.126 Zur Abbildung des Status quo dieses Forschungsbereichs um „Kunst und Gender“, der seit den 1970er                                                                                                                                                                            

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Vgl. Wuggenig (2009), o.S. Vgl. Cotter (2007). Vgl. Widrich (2007). Vgl. ebd. Vgl. http://www.moma.org/visit/calendar/events/5 [28.03.2014]. Linda Nochlin bringt in dem Abschlussvortrag des Symposiums ein, dass in den verschiedenen auf dem Symposium vertretenen Sichtweisen auf „Kunst und Geschlecht“ das Spektrum zwischen essentialistischen und an Dekonstruktion orientierten Ansätzen sichtbar wird. Sie bemängelt das vollständige Loskoppeln des Feminismus von den Anliegen der Frauen in dekonstruktivistischen Ansätzen. In ihrer Exklusivität hält sie jedoch eine essentialistische wie dekonstruktivistische Orientierung für problematisch (vgl. Nochlin wiedergegeben von Widrich [2007]). 126 Zum Begriff der in der Einleitung bereits angeführten „Transdisziplinarität“ siehe beispielsweise Gibbons et al. (1994) und Nowotny/Scott/Gibbons (2001) zum „Mode 2“ Diskurs sowie Mittelstraß (2007).

 

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Jahren eine zunehmende Etablierung und Institutionalisierung erfuhr, dient der folgende Überblick zu den verschiedenen Entwicklungsphasen, theoretischen Ansätzen und damit zusammenhängend auch Begrifflichkeiten. Als Bezugspunkte dienen insbesondere die von Anja Zimmermann sowie Barbara Paul vertretenen Positionen um Kunstgeschichte und Gender-Studies – eine Auseinandersetzung, die schließlich auf die Diskussion der Bedeutung quantitativer Analysen von Geschlechterverhältnissen innerhalb dieses Forschungsfeldes zielt. Veränderungen in den Terminologien, von der „feministischen Forschung“ und „Frauenforschung“ zur „Geschlechterforschung“, den „Gender Studies“ bis hin zu „Men-“, „Queer-“ und „TransgenderStudies“, finden sich gleichermaßen in der kunsthistorischen Forschung und weisen auf grundlegende Modifikationen von Fragestellungen und theoretischen Prämissen in der Beschäftigung mit dem Geschlechterphänomen im Lauf der vergangenen Jahrzehnte hin.127 Zimmermann zeigt, dass es sich bei den Bezeichnungen um unterschiedliche forschungsgeschichtliche Momente handelt, diese hingegen keine auf Fortschritt ausgerichtete Entwicklung darstellen. Der explizit politische Anspruch einer feministischen Kunstgeschichte beispielsweise kann auch Bestandteil kunstgeschichtlicher Gender-Studies sein.128 Paul fasst die genannten Terminologien als unterschiedliche (wissenschafts-)politische Standpunkte auf. So versteht sie die Etablierung der Frauenkunstgeschichte als eine erste intensive Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Situation von Frauen und Geschlechterverhältnissen durch Kunsthistorikerinnen im Zuge der neuen Frauenbewegung.129 Bereits in den 1960er Jahren artikulierten Kunsthistorikerinnen, Kunstkritikerinnen und Kunstvermittlerinnen im Kontext dieser Bewegung vornehmlich in den USA und in Großbritannien, aber auch in Deutschland, Frankreich und Italien, massive Kritik an den vorherrschenden kunsthistorischen Praktiken.130 Die Auseinandersetzungen verstärkten sich innerhalb der Kunstgeschichte in Europa wie in den USA während der 1970er Jahre. Im Zentrum des wissenschaftlichen Erkenntnisinteresses standen geschlechterpolitische Fragestellungen, die im Verbund mit Nachbardisziplinen alte Muster aufbrachen.131                                                                                                                                                                            

127 Siehe dazu auch Zimmermann (2006), S. 13. 128 Vgl. ebd. Zimmermann bezieht sich insbesondere auf feministische Forschung, Frauenforschung, Geschlechterforschung und Gender Studies (vgl. ebd.). 129 Vgl. Paul (2008), S. 298f. Außerakademischen Aktivitäten kamen in dieser ersten Phase eine große Bedeutung zu, die Einführung des Begriffs „feministische Kunstgeschichte“ sollte dabei die politische Motivation und Zielrichtung verdeutlichen. Den Feminismusbegriff versteht Paul in diesem Kontext nicht als einen statischen, sondern durch das Beruhen auf gesellschaftlichen Verhältnissen, kontinuierlichen Veränderungen unterworfen. Die Verwendung des Begriffs der „Feminismen“ vermag es hier auf die unterschiedlichen Theorien und Praktiken zu rekurrieren, die dem Feminismus zeitgleich zugeordnet werden (vgl. ebd.). 130 Vgl. ebd. 131 Vgl. ebd. Die Untrennbarkeit der Produktion von Bedeutung mit der Produktion von Macht sieht Paul als Prämisse gemeinsamer Ansatzpunkte feministischer Wissenschaft, wobei die Infragestellung der Naturalisierung von Geschlechterrollen sowie die Untersuchung der patriarchalen Ordnung, deren Legitimationsmechanismen und Machtdispositionen im Mittelpunkt stand. Paul schreibt der feministischen Kunstgeschichte – als dezi  

 

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„Why have there been no great women artists?“ fragte Linda Nochlin 1971 in ihrem Text, der vielfach als der Ausgangspunkt einer Auseinandersetzung mit Geschlecht innerhalb der Kunstgeschichte zitiert wird.132 Nochlin analysierte in dem Essay die gesellschaftlichen und institutionellen Instanzen, die zur Minderung des weiblichen Kunstniveaus beitragen. Die Ausschlussmechanismen in der Ausbildung und Karriere von Künstlerinnen, vor denen sich eine Kunstgeschichtsschreibung über den Mythos des „genialen Künstlers“ entfalten konnte, standen dabei im Fokus.133 Sie verneint eine von anderen Feministinnen vorgebrachte spezifische weibliche Ästhetik mit der Begründung, der regionale, soziale und historische Kontext präge Kunst und Karriere weit mehr als die Geschlechtszugehörigkeit.134 Unter der Leitfigur Griselda Pollocks stellte die englische „Künstlerinnenforschung“ und deren Wendung hin zu den Cultural Studies rund zehn Jahre später eine weitere Perspektive zur Diskussion: Pollock hinterfragte mit dem (ironischen) Titel „Old Mistresses“ von 1981 die Geschlechtskategorie „weiblich“ grundlegend. Sie argumentierte gegen den, vor allem von Nochlin und Sutherland vorgelegten sozialhistorischen Ansatz, der eine Einschreibung kunstausübender Frauen in den Mainstream beabsichtigte. 135 Diesen Standpunkt vertritt sie auch 26 Jahre später im MoMA wie oben bereits angedeutet. Pollocks Anliegen ist es, das Bild der Künstlerin von der Renaissance bis zur Gegenwart als ein konstruiertes zu beleuchten, das vor allem der Bestätigung des männlichen Pendants dient. Sie kritisiert Nochlins Gleichberechtigungsbestrebungen und warf ihr vor, die ideologischen Verstrickungen mit den künstlerischen und kunsthistorischen Institutionen zu ignorieren. Pollock selbst verfolgt demgegenüber den Ansatz, Denkmodelle zu dekonstruieren und damit die Weiblichkeitsstereotypen, unter denen die Künstlerinnen rezipiert wurden, sowie deren gesellschaftliche und soziale Instrumentalisierung zu ermitteln. Dieses Vorgehen sollte ihr dazu dienen, die Geschlechtsbestimmung „weiblich“ als soziale Kategorie sichtbar zu machen.136 Pollock bezieht sich damit nicht auf das Ausschlussprinzip – das ihr zufolge erst im 20. Jahrhundert durch die Kunstgeschichtsschreibung erfolgte – sondern stellt die Künstlerin als „das Andere“ des männlichen Künstlers in den Mittelpunkt. Als eine ihrer zentralen Thesen kann die Aussage hervorgehoben werden, die Ernennung von Künstlerinnen als „Ausnahmen“ verschleiere gesellschaftliche und künstlerische Bedingungen                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    

diert politischer Wissenschaft – dabei eine entscheidende Kraft hinsichtlich der Destabilisierung traditioneller kunsthistorischer Wissenseinheiten und Deutungsmuster zu (vgl. Paul (2008), S. 298ff.). Vgl. Nochlin (1971); siehe dazu bspw. auch Muysers (2006), S. 185. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 184. Auch Sutherland, die gemeinsam mit Nochlin die Ausstellung Women Artists 1550 – 1950 (1976/77 LA, Pittsburgh, Brooklyn) kuratierte, führte diesen Ansatz weiter und untersuchte die Gemeinsamkeiten von Künstlerinnen des 15. – 18. Jahrhunderts. Das Künstlerinnenbild, das sie dabei aufzeigte, basierte u. a. auf einer starken Präsenz im Kunstgeschehen, der Herkunft aus einer Künstlerfamilie, der Beschränkung auf bestimmte Gattungen unter Verzicht auf das Aktstudium, ein sehr frühes Debüt sowie ein großes soziales Netzwerk (vgl. ebd.). Vgl. dies. (2010), S. 763f. Vgl. dies. (2006), S. 187.

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im Werdegang dieser Frauen und nehme Formen eines weiblichen Künstlermythos an.137 Erhellend erweisen sich in diesem Zusammenhang auch die Ausführungen von Charlotte Klonk und Michael Hatt. Nach ihnen besteht das Problem der NichtSichtbarkeit von Frauen bei Nochlin nicht in individuellen Charakteristiken, sondern in institutionellen Vorurteilen und praktischen Hindernissen.138 In der Darstellung von Parker und Pollock in Erweiterung und in Abgrenzung zu Nochlin ist es jedoch nicht nur das Patriachat, das Hindernisse aufstellt, sondern das Basieren der Gesellschaft auf einer sexistischen Struktur.139 Nochlin wie Pollock prägen den Diskurs um Kunst und Geschlecht seit den 1970 Jahren bis heute (wie in dem MoMA-Symposium deutlich wird) und in Erweiterung wie in Abgrenzung zu den beiden Ansätzen bildeten sich eine Reihe jüngerer Entwicklungslinien heraus. Diese werden im Folgenden nachgezeichnet um abschließend Einblicke zu aktuellen Tendenzen und Diskussionen zu geben. Zimmermann nimmt im Jahr 2006 eine Einteilung in fünf Entwicklungsphasen vor,140 wobei sie die seit den 1970er Jahren einsetzende Aufarbeitung der Geschichte bildender Künstlerinnen als Ausgangspunkt und erste Phase in dieser kunsthistorischen Auseinandersetzung mit der Kategorie Geschlecht sieht. Die Diskussion bezog sich demnach sowohl auf die künstlerische Produktion, als auch auf Lebens- und Arbeitsbedingungen.141 Als zweite Phase nennt Zimmermann die Beschäftigung mit Körperbildern in Kunst und Kunstgeschichte, Fragen zur Repräsentation kommen auf und es erfolgt eine Kritik an Weiblichkeitsbildern in der Kunst.142 Verhandlung von Psychoanalyse, Geschlecht und Visualität sowie die Infragestellung traditioneller Vorstellungen von Identität und „Selbst“ über das analytische Konzept des Unbewussten beschreibt sie                                                                                                                                                                            

137 Vgl. Nochlin (2006), S. 188. 138 Vgl. Klonk/Hatt (2006), S. 150ff. 139 Vgl. ebd. 152f. Sie stellen die These auf, dass Frauen auch als „inferior“ betrachtet worden wären, hätten sie Zugang zu Aktzeichenklassen gehabt, denn die „Bedeutung“ wurde und wird von Männern kontrolliert. Somit besteht dieser Unterschied auch nach jedweden institutionellen Veränderungen weiter. Nach dieser Auffassung wurden Frauen nicht von der Kunstgeschichte ausgeschlossen, sondern stereotypisiert oder missrepräsentiert. Sie wurden dafür benutzt männliche Kreativität zu definieren. Die Teilhabe an einer patriarchalen Handlung erfolgt somit nicht zwingend bewusst – sie wird als natürliche Ordnung betrachtet und so verhält es sich nach Parker/Pollock (1981) auch mit der Kunstgeschichte (vgl. Klonk/Hatt [2006], S. 155). 140 Zimmermann nimmt ihre Einteilung im Anschluss an Spickernagel vor. Letztere unterscheidet im Jahr 1986 die feministische Kunstgeschichte in drei Interessensgebiete: Erstens die „Recherche und Analyse von Werk, Lebens- und Schaffensbedingungen von künstlerisch tätigen Frauen“. Zweitens die Klärung der Frage nach einer weiblichen Ästhetik: Haben Frauen aufgrund ihrer von Männern zu unterscheidenden Rolle einen eigenen Zugang zum schöpferischen Vermögen entwickelt? Und drittens folgt die Analyse der „Darstellung der Frau in der Kunst“ (vgl. Spickernagel [1986], S. 264ff., siehe dazu auch Zimmermann [2006], S. 11). 141 Vgl. ebd., S. 21. 142 Vgl. ebd., S. 23f.

 

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als dritte Phase;143 es folgen Ansätze in denen Ethnie und Geschlecht – beispielsweise in der Verknüpfung von sexueller und ethnischer Differenz – zusammen gedacht werden.144 Schließlich rückt als fünfte Phase die Frage nach der „Auflösung von Geschlecht“ oder auch der „Geschlechtertheorie in Auflösung?“ in den Vordergrund. In diesem Kontext sieht Zimmermann auch die Auseinandersetzungen auf der Kunsthistorikerinnentagung im Jahr 2002 in Berlin, in deren Rahmen zur Diskussion stand, ob ein spezielles Forum feministisch und/oder geschlechtertheoretisch ausgerichteter Forschung überhaupt noch benötigt werde.145 Barbara Paul legt im Jahr 2008 eine vor allem in den jüngsten Entwicklungen stärker differenzierende Unterscheidung der im Kontext feministischer Kunstgeschichte und kunstwissenschaftlicher Gender Studies entwickelten neuen Forschungsperspektiven vor. Sie unterscheidet in die folgenden Themenbereiche: Frauen und Kunstbetrieb, Repräsentation von Weiblichkeit, Körperdiskurse sowie Paradigmen aus jüngerer Zeit, die seit den späten 1990er Jahren in Erscheinung treten – zu diesen zählt sie u. a. Raumpraktiken, Kunstgeschichte als Bildwissenschaft, kulturwissenschaftliche Gender-Studies, Postkolonialismus und Queer Studies.146 (1) Frauen und Kunstbetrieb: Unter diesem Themenbereich fasst Paul geschichtliche und sozialhistorische Herangehensweisen, in denen die (Wieder)Entdeckung ausgegrenzter Künstlerinnen sowie die Sichtbarmachung ihrer Kunstwerke den Ausgangspunkt bilden. Aus einer sozialhistorischen Motivation interessierten hier insbesondere geschlechtsspezifisch bedingte Arbeits- und Lebensbedingungen. Zudem wurden auf den Grundstrukturen des Faches basierende Strategien und Mechanismen geschlechtsbedingter Marginalisierungen untersucht.147 Die bereits in den 1960er Jahren geführten und in den 1980er Jahren intensivierten Diskussionen um das Autorverständnis, insbesondere im Anschluss an Roland Barthes und Michel Foucault, führten auch in der feministischen Kunstgeschichte zu einer Infragestellung des „Schöpferkünstlers“, des autonomen Kunstwerks und des Geniebegriffs. Damit ließ sich nach Paul auch die Konstruktion ästhetischer, sozioökonomischer und machtpolitischer Zielsetzungen, die mit dem „Künstlergenie“ in Verbindung standen, verdeutlichen.148 Die Diskussion um die Aufnahme von Künstlerinnen in den kunsthistorischen Kanon führte ferner zu der Ansicht, diese nicht einfach dem Bestehenden zufügen zu können; vielmehr erwiesen sich strukturelle Veränderungen kunstwissenschaftlichen Argumentierens als notwendig. 149 Dieser ersten Entwick                                                                                                                                                                            

143 Vgl. Zimmermann (2006), S. 24f. 144 Vgl. ebd., S. 28ff. Zimmermann fügt dem hinzu, dass diese Debatte in anderen feministischen Zusammenhängen schon früher eingesetzt hatte, vor allem im US-amerikanischen Raum (vgl. ebd.). 145 Vgl. ebd. 146 Vgl. Paul (2008). 147 Vgl. ebd., S. 300. 148 Vgl. ebd., S. 301. 149 Vgl. ebd., S. 302. Die Diskussionen um solche Veränderungen konzentrieren sich, wie Paul darlegt, auf die Mechanismen und Funktionen der Kanonbildung über eine möglichst mythenfreie Biografik und semiotisch-strukturell akzentuierte Charakterisierungen einzelner Werke. Das „Kanonproblem“ soll auf diese Weise samt seiner inhärenten bipo  

 

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lungsphase rechnet Paul auch Ansätze zu, in denen feministische Kunsthistorikerinnen umfangreiche Dokumentationen von Künstlerinnen-Oeuvres und Schriftquellen initiierten und deren Sichtbarmachung reklamierten. Auch die Protestaktionen der Guerrilla-Girls, die seit den 1980er Jahren meist im Zusammenhang mit Performances Zahlen zur Präsenz von Künstlerinnen im Kunstbetrieb vorlegen, situiert Paul in diesem Themenfeld.150 (2) Repräsentation von Weiblichkeit: Diese zweite Kategorie begreift Paul in der heutigen Verwendung nicht mehr nur vordergründig im Sinn von Darstellungen und Abbildungen:151 „Vielmehr bezeichnet er [der Repräsentationsbegriff] den komplexeren Zusammenhang, durch den Einsatz von Zeichen, die innerhalb kultureller Codes und Systeme Bedeutung gewinnen, Aussagen zu formulieren. Es geht also nicht nur um das auf den ersten Blick zu Sehende, sondern um die mit visuellen Mitteln stellvertretend konturierten Denksysteme und Handlungsmuster.“152

Betonung finden hier die Rezipient/innen, denen im Vermittlungsvorgang eine bedeutende Funktion zukommt, indem sie Lesarten markieren und Bedeutung produzieren.153 Die bereits beschriebene in der Kunstgeschichte diskutierte Problematisierung des individuellen Autors oder Künstlers als ein intentional handelndes Subjekt sowie des „geschlossenen“ Werkbegriffs, führte seit den 1980er Jahren zu einer Verlagerung des kunsthistorischen Interesses zu Diskursen und diskursiven Praktiken. Machteffekte von Aussageformationen und Handlungsmustern sowie die damit verbundene Produktion von Subjektivitäten standen, so Paul, im Vordergrund – auf die Diskurstheorie Michel Foucaults wurde dabei insbesondere Bezug genommen.154 Geschlechterbedingte diskursive Kodierungen und Ordnungsmuster unterzog die feministische Wissenschaft einer auch ideologiekritischen Analyse; Bilder von „männlich“ oder „weiblich“ existieren demnach nicht als natürlich gegebene, sondern als Konstruktionen.155 Kunstwerke fungieren aus diesem Standpunkt als Bestandteile übergreifender historisch, kulturell und auch geschlechterpolitisch zu differenzierender Diskursformationen. Das diskursive Praktizieren von den Handlungstragenden des Kunstbetriebs als ein Umgang mit der Kunst zeigt sich hier in Form eines weitreichenden Forschungsfelds.156 Paul verweist in diesem Zusammenhang auch auf die                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    

laren Geschlechterordnung und seines Hegemonieanspruchs überwunden oder doch wenigstens in seinen Effekten minimiert werden (vgl. Paul [2008], S. 302). Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 304. Ebd. Vgl. ebd. Siehe dazu u. a. Foucault (1966, 1973). Vgl. Paul (2008), S. 304. Vgl. ebd. Als ein Beispiel für eine historische, soziale und kulturelle Bedingtheit geschlechterdifferenzierender Repräsentationen nennt Paul das Gemälde „La Loge“ von Auguste Renoir aus dem Jahr 1874, das eine Frau und einen Mann in einer Theaterloge zeigt. Unter anderem sieht Paul die geschlechterdifferenzierende Repräsentation in der Darstellung einer dem Geschehen gegenüber eher passiven Frau und eines aktiven Man-

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Bezugnahme von Kunsthistoriker/innen auf psychoanalytische Theorien.157 (3) Körperdiskurse: Eine Akzentverschiebung von „Bildern von Frauen“ zur „Frau als Bild“ wird ab den 1980er Jahren auch in kunstgeschichtlichen Diskussionen um den Körper und die Analyse von Naturalisierungsstrategien relevant.158 Erneut stehen psychoanalytische Theorien im Fokus, die der Verdeutlichung der Rolle von Signifikationssystemen und Repräsentationsprozessen bei der geschlechtsspezifischen Konstituierung von Subjektpositionen und Identitäten dienen. Besondere Bedeutung gewann dabei Jaques Lacans „Das Spiegelstadium als Bildner der Ich-Funktion“159, da Visualität in diesem Ansatz bei der Subjekt- und Identitätsbildung eine hervorgehobene Rolle spielt.160 Laut Lacan tritt das Kind durch die Identifikation mit seinem Spiegelbild und durch die sprachliche, mimische und gestische Vermittlung mit diesem „Anderen“ in die sprachlich-kulturelle, in die symbolische Ordnung ein.161 Diese Argumentation kritisiert Judith Butler im Jahr 1990 mit dem Hinweis, die Identität eines Kindes/Individuums bilde sich notgedrungen geschlechtsspezifisch heraus, da die symbolische Ordnung der Moderne wesentlich von kulturell konstruierten Geschlechterdifferenzen bestimmt werde. Mit der Herstellung von Bezügen innerhalb der Strukturen dieser kulturellen Ordnung perpetuiere Lacan demnach dieses System anstelle dessen bipolare Konstruiertheit darzustellen.162 Auch im Anschluss an Derridas Dekonstruktion von Systemzwängen machen sich feministische Theoretikerinnen dem Poststrukturalismus zugerechnete Positionen aus den 1960er bis 1980er Jahren zunutze. Frauen werden nicht mehr als materielle Zeichenträger oder Signifikant gesehen, vielmehr wird die Stellung der Frau als Vorstellung, Bild oder Signifikat verstanden, das Teil des patriarchalen Systems ist. Diese gilt es zu dekonstruieren und alternative Konzepte aufzubringen.163 Das Modell der Differenz zwischen „Mann“ und „Frau“ wurde insbesondere durch französische feministische Theoretikerinnen wie Hélène Cixous und Luce Irigaray vertreten.164 Die Idee der „écriture féminine“, des weiblichen Schreibens, wurde dabei auch auf die bildende Kunst übertragen.165 Eine neue, nicht mehr in einem dichotomischen und hierarchischen System verankerte weibliche Sprache, Körperlichkeit und Sexualität sollten dem Aufbau eigener weiblicher Identitäten und frauenspezifischer (Handlungs-)Räume dienen.166 Paul beschreibt solche identitätsstiftenden Differenzmodelle für die Bewusstwerdung und                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    

nes. Renoir arbeitet hier in seinem Gemälde mit Blick- und Wahrnehmungssystemen, die von kulturellen, geschlechtsspezifischen Konventionen geprägt sind. Zur näheren Beschreibung siehe Paul (2008), S. 304ff. Seit den 1970er Jahren wurden diese vornehmlich von Filmtheoretikerinnen als Analyseinstrument hinzugezogen (siehe dazu u. a. Mulvey [1975]). Vgl. Paul (2008), S. 307. Siehe dazu Lacan (1949). Vgl. Paul (2008), S. 307. Vgl. ebd. Vgl. Butler (1991), S. 75ff. Vgl. Paul (2008), S. 308. Siehe dazu beispielsweise Cixous (1975) und Irigaray (1974). Vgl. Paul (2008), S. 308. Vgl. ebd.

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Verwirklichung selbstbestimmter Identitäten von Frauen historisch für unbedingt notwendig. Einerseits führten sie zwar zu einer Intensivierung des Geschlechterantagonismus, andererseits förderten sie aber auch das Forschungsinteresse an der Kategorie Geschlecht. Nicht nur die (Re-)Konstruktion von Frauenidentitäten, sondern auch die sich seit den 1980er Jahren etablierende Dekonstruktion von Geschlechteridentitäten im Sinn des dekonstruktiven Feminismus wurden somit ermöglicht.167 In der Kunstgeschichte entwickelte sich neben der Analyse historischer Weiblichkeitsbilder, ein Interesse an den Konstruktionsmechanismen sowie Repräsentationseffekten von Weiblichkeit oder auch Männlichkeit.168 Die Kritik Weiblichkeit über das Paradigma des „Anderen“ zu definieren, damit die Geschlechterhierarchie zu konservieren und den Ausschluss der Frauen zu stärken, kam in den 1980er und 1990er Jahren vermehrt auf. Das Zweigeschlechtermodell selbst stand nun zur Disposition. Insbesondere Judith Butlers Ansatz der „Performativität von Geschlecht“ stand in diesem Zusammenhang in den USA, aber auch in Deutschland intensiv und kontrovers zur Diskussion.169 Mit dem Konzept der Performativität der Geschlechteridentitäten, das sie maßgeblich in „Gender Trouble. Das Unbehagen der Geschlechter“ (1991) entwirft, geht Butler nicht von bewussten Handlungen, sondern von Effekten des Geschlechterdiskurses aus. Neue von feministischer Seite vorgebrachte Subjektkonzeptionen versteht sie als in patriarchalen Strukturen verhaftete – gerade letztere sollen aber bekämpft werden, da Identitäten den kulturellen Diskursen entsprechend produziert und naturalisiert werden.170 Das biologische Geschlecht (sex) versteht Butler als „gendered“, da es erst über kulturelle (meist heterosexuelle) Zuschreibung erkennbar wird.171 Wie beschrieben waren die visuellen Ausdifferenzierungen und Kodifizierungen des weiblichen Körpers bereits in den 1970er Jahren Thema der feministischen Kunstgeschichte, in den 1980er und 1990er Jahren trat diese Diskussion erneut auf – mit einem Fokus auf deren historische Veränderungen.172 (4) Weitere Paradig                                                                                                                                                                            

167 Vgl. Paul (2008), S. 308. 168 Vgl. ebd. Siehe dazu u. a. Barta et al. (Hg.) (1987) sowie Jones (1994). 169 Vgl. Paul (2008), S. 309. Paul bezieht sich hier auf Benhabib/Butler/Cornell/ Fraser (1993). 170 Vgl. Paul (2008), S. 309. 171 Vgl. ebd. 172 Paul zeigt diesbezüglich beispielsweise, dass eine Vorstellung von Mann und Frau als biologisch grundlegend zu unterscheidende Geschlechter (Zwei-Leiber Modell) keineswegs immer bestand (vgl. ebd., S. 310). Das Vordringen dekonstruktivistischer und poststrukturalistischer Ansätze sowie solche der strukturalistischen Psychoanalyse in den GenderDiskurs des Kunstfelds in den 1980er Jahren beschreiben auch Wuggenig/Prinz (2012); sie erkennen eine Durchdringung einer Reihe akademischer und kultureller Felder, darunter auch das der visuellen Kunst, mit den verschiedenen Ausrichtungen jener in Frankreich entwickelten neo-nietzscheanischen, aber auch neostrukturalistischen Strömung, die mit Namen wie Michel Foucault, Jacques Derrida, Roland Barthes, Gilles Deleuze oder Jacques Lacan verbunden sind (vgl. Wuggenig/Prinz (2012), S. 207). „Ein Teil des Feminismus bildete auf dieser paradigmatischen Grundlage mit Autorinnen wie Judith Butler und Gayatri Chakravorty Spivak einen theoretischen Flügel aus, der auch im künstlerischen Feld einen nicht unerheblichen Einfluss gewann.“ (Ebd.).

 

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men ab den 1990er Jahren: Die Ablehnung dichotomischer und totalisierender Sichtweisen von Geschlechterhierarchisierungen und Dominanzkulturen sowie eine inter- und transdisziplinäre Ausrichtung beschreibt Barbara Paul als gemeinsame Merkmale der weiteren Paradigmen der feministischen Kunstgeschichte der 1990er Jahre. Zu Letzteren zählt sie u. a. Raumpraktiken, Kunstgeschichte als Bildwissenschaft, Kulturwissenschaftliche Gender Studies, Postkolonialismus wie QueerStudies.173 Das Themenfeld der „Raumpraktiken“ setzt nach Paul an einem sich in den 1990 Jahren verstärkt entwickelnden Interesse an Fragen der Geschlechterkonstruktionen im Kontext der Architekturgeschichte und Raumforschung an. Raum wird in diesem Zusammenhang verstanden als materieller wie medialer Teil der visuellen Kultur, in dem sich ästhetische, kulturelle und soziale Praktiken überlagern. Die Erfahrung von Raum sowie dem zugrunde liegende Wahrnehmungsmuster basieren folglich auf einer „Koppelung der materiellen Strukturen mit den Konnotierungen der symbolischen Ordnung.“174 Das Paradigma der „Kunstgeschichte als Bildwissenschaft“ rückt hinsichtlich der großen Bedeutung von Visualität in unserer heutigen Kultur zunehmend in den Fokus kunsthistorischer Forschung. Nach Paul geht es hier neben einem erweiterten Bildbewusstsein und einem veränderten Medienbegriff auch darum, die Konstitution von Körpern und damit auch von Geschlecht zu analysieren. Nicht nur Repräsentationen von Körpern stehen im Mittelpunkt, sondern auch geschlechterbedingte Kodierungen visueller Repräsentationssysteme wie Fragen nach einem „doing gender“ im Gegensatz zu einem „having sex/gender“.175 Im Rahmen der „Kulturwissenschaftlichen Gender Studies“ als weitere Perspektive begreift Paul kunsthistorische Gender Studies als grundsätzlich kulturwissenschaftlich ausgerichtet. Die Kritik an traditionellen, insbesondere geschlechterdichotomischen Ordnungssystemen von Kunst und Kunstbetrieb, wird als Teil der Kultur insgesamt begriffen. Von Interesse sind in diesem Untersuchungsfeld beispielsweise Hierarchien der Kunstgattungen sowie deren geschlechtsbedingte Kodierungen oder auch die Unterscheidung zwischen „High“ und „Low Art“. Der Kategorie „Gender“ schreibt Paul in diesem Zusammenhang eine zentrale Funktion zu, da sie eine elementare Kategorie jeder Kulturtheorie bildet.176 In der Postkolonialismus-Diskussion wird Gender mit der Kategorie „Ethnizität“ analytisch verknüpft, um Mechanismen in der Herstellung von Dominanzkulturen und deren politische Funktionalisierung zu untersuchen. An den Debatten beteiligten sich auch Künstler/innen, im Fokus steht die Etablierung einer veränderten Perspektive, die es ermöglicht historische Verstrickungen der Kunstgeschichte und von dieser forcierte Strategien der Abgrenzung – der In- wie Exklusion – kritisch zu diskutieren.177 Im Rahmen der Queer Studies steht hingegen eine Kritik des Heterozentrismus um eine kategoriale Rekonzeptualisierung von Geschlecht und Sexualität im Fokus. Demnach ist nicht nur Geschlecht, sondern auch Sexualität als ein Konstrukt zu begreifen, das kulturell reguliert wird; in der Kunst und visuellen Kultur stehen aus diesem Ansatz heraus geschlechtertransgressi                                                                                                                                                                            

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Vgl. Paul (2008), S. 315. Vgl. ebd., S. 315f. Vgl. ebd., S. 316. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 317.

 

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ve Modelle zur Diskussion. Nach Paul findet sich in der Diskussion von Repräsentationseffekten, Blickregimes und Raumpraktiken eine Infragestellung vermeintlich stabiler Konzeptionen einer Zwangsheterosexualität.178 Paul hebt schließlich hervor, dass die kunsthistorischen Gender Studies, auch in Deutschland, einen „mitunter weithin integrierten Bestandteil der Kunstgeschichte an Universitäten“ darstellen, aber auch an den übrigen Institutionen des Kunstbetriebs. Als Indizien dafür dienen Professuren, Ausstellungen, Tagungen wie Publikationen (auch Zeitschriften, Abschlussarbeiten, Graduiertenkollegs etc.). Die Interventions- und Interaktionsbestrebungen gilt es allerdings, so Paul, unbedingt zu intensivieren, da die „GenderPerspektivierung“ nicht als ein nach belieben verhandelbarer Forschungsaspekt anzusehen ist, sondern jeder Untersuchung zugrunde liegen sollte. 179 Beate Söntgen spricht sich in diesem Zusammenhang auch dafür aus, „Geschlechterdifferenz“ als ein Paradigma zu fassen, „das sämtliche Forschungsfelder durchzieht statt sich auf das Ghetto einer eigens ausgewiesenen Professur zu beschränken.“180 Die Ausführungen veranschaulichen, dass die Debatten um „Kunst und Geschlecht“ ein breites und differenziertes Forschungsfeld in der Kunstgeschichte hervorgebracht haben, das im Zentrum des Kunstfelds – in der Wissenschaft wie Praxis – angelangt ist. Das MoMA-Symposium sowie Diskussionen in Museen, Journals, Universitäten, Kunstvereinen und Off-Spaces zeugen von dem großen Interesse an diesem Thema, wobei es nicht nur um eine historische Einordnung eines Diskurses geht, sondern vor allem auch dessen Weiterführung und Aktualisierung wesentlich ist.181 Erkennbar sind internationale Vernetzungen, wobei die in den USA geführten Auseinandersetzungen neben den Debatten in Großbritannien und in Deutschland als zentrale in Erscheinung treten. Im Folgenden stehen nun aktuelle Tendenzen der Gender-Kunst-Diskussion im Vordergrund, der Fokus liegt auf den Debatten in Deutschland. Das Spektrum der Auseinandersetzungen wird anhand von Beiträgen in Fachzeitschriften (deren Reichweiten überwiegend auch über den deutschsprachigen Diskurs hinausgehen) verdeutlicht. Aufgezeigt werden ferner jüngere Entwicklungen im Hochschulbereich und es wird auf verschiedene Konferenzen der vergangenen Jahre verwiesen; zudem findet sich eine ergänzende Veranschaulichung von Vernetzungen im internationalen Raum. Auf verschiedene Ereignisse wurde bereits einleitend hingewiesen, um an dieser Stelle eine vertiefende Betrachtung als zusammenhängende Bewegung zu leisten. Der Überblick richtet sich nicht auf ein ausschließlich universitäres Forschungsfeld, sondern rückt auch hier das Zusammenkommen von Wissenschaftler/innen und Akteur/innen aus der Praxis zur Diskussion dieses Themas in das Zentrum: Existierte das Thema „Gender“ nach Beate Söntgen noch im Jahr 1996 in deutschen Fachzeitschriften der Kunstgeschichte nicht,182 zählt es inzwischen zum selbstverständlichen Repertoire vieler (wissenschaftlicher) Journals, in Einzelheften wie gesonderten Beiträgen. Nach Söntgen erhielt die Diskussion erst                                                                                                                                                                            

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Vgl. Paul (2008), S. 318. Vgl. ebd., S. 319. Söntgen (2001), S. 39. Zur Historisierung und Fortentwicklung des Paradigmas der „Geschlechterdifferenz“ für eine kulturwissenschaftlich gefasste Kunstgeschichte siehe ferner ebd. 182 Vgl. dies. (1996b), S. 7.

 

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mit der Etablierung von Zeitschriften wie „Texte zur Kunst“ oder „kritische berichte“ einen Raum – vor allem auch in Themenheften. Diesen Medien liege, so Söntgen, ein Verständnis der Kunstgeschichte als Wissenschaft zugrunde, die kultur- und gesellschaftspolitische Fragen umgreifen muss.183 „Texte zur Kunst“ veröffentlichte im Dezember 2011 eine Ausgabe, die den Titel „Feminismus!“ trug, zehn Jahre nach der Herausgabe eines Hefts mit dem Titel „Ausnahmefrauen /// Sie kam und blieb“.184 Wie einleitend dargelegt diskutieren Kritiker/innen und Wissenschaftler/innen in ersterer Ausgabe die Aktualität von Feminismus und Post-Gender,185 wobei sich die Debatte zwischen den politisierten Ursprüngen der Bewegung und einem Zeitgeist des „Postfeminismus“ aufspannte.186 Die Version aus dem Jahr 2001 hingegen stellte die Frage, inwiefern an die Stelle krasser Diskriminierungen – wie in der Kunstwelt bis in die achtziger Jahre hinein durchaus übliche explizite Ausgrenzungen oder verbale Herabsetzungen – heute eher „subtile Sexismen“ getreten seien.187 In der Zeitschrift „kritische berichte“ werden spätestens seit der 1990er Jahre Themen im Spektrum von „Geschlecht und Kunst“ diskutiert, neben zahlreichen Einzelbeiträgen finden sich zudem verschiedene Themenhefte – u. a. wurde im Jahr 2007 eine Ausgabe mit dem Titel „Fremde Männer – Other Men“ herausgegeben, das in der Verschränkung von Gender und Race angesiedelt ist. Zuvor erschien im Jahr 2001 ein Heft unter dem Titel “The Anthropological Turn – Gender Studies als Kunstgeschichte“; 1998 wurde eines unter dem Titel „Kunsthistorikerinnen seit 1970: Wissenschaftskritik und Selbstverständnis“ veröffentlicht.188 Mit „FKW // Zeitschrift für Geschlechterforschung und visuelle Kultur“ besteht ein wissenschaftliches Organ im deutschsprachigen Raum, das ausschließlich dieser Auseinandersetzung gewidmet                                                                                                                                                                            

183 Vgl. Söntgen (1996b), S. 7. 184 Siehe dazu Texte zur Kunst, Heft Nr. 84 / Dezember 2011 / „Feminismus!“ sowie Texte zur Kunst Heft Nr. 42 / June 2001 /„Ausnahmefrauen /// Sie kam und blieb“. Zudem finden sich einige Ausgaben aus den 1990er Jahren, u. a. Heft Nr. 22 / May 1996 „Sexuelle Politik?“, Heft Nr. 17 / February 1995 „Männer“, Heft Nr. 15 / September 1994 „Sexismen“, Heft Nr. 11 / September 1993 „Feministische Theorien“. Des Weiteren sind zahlreiche Einzelbeiträge u. a. von der Herausgeberin der Zeitschrift Isabelle Graw erschienen, letztere beschäftigte sich spätestens seit den 1990er Jahren intensiv mit der Diskussion um Kunst und Gender, zu nennen sind beispielsweise Graw (1994) sowie dies./Söntgen (2001). Ferner veröffentlichte Graw im Jahr 2003 den Band „Die bessere Hälfte. Künstlerinnen des 20. und 21. Jahrhunderts“, in dem sie prominente Künstlerinnen als Ausnahmepositionen diskutiert (vgl. Graw [2003]). 185 Vgl. dies. (Hg.) (2011). 186 Vgl. Buchmann/Graw/Rebentisch (2011), S. 4. 187 Vgl. Graw/Söntgen (2001). 188 Siehe dazu Heft 4 / Jahrgang 35, Nr. 4 (2007) Fremde Männer – Other Men, Heft 4 / Jahrgang 29 aus dem Jahr 2001 war dem Thema “The Anthropological Turn – Gender Studies als Kunstgeschichte“ gewidmet, Heft 3 / Jahrgang 26 aus dem Jahr 1998 dem Thema „Kunsthistorikerinnen seit 1970: Wissenschaftskritik und Selbstverständnis“. Zu den vielzähligen Texten siehe u. a. Held/Pohl (1984), Salomon (1993) und Albrecht/ Below/Schorr (2002).

 

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ist189 – in den Ausgaben des Jahres 2014 standen Themen wie „Material und Medium“, „Intersektionalität“ oder „Affekt und Repräsentation“ zur Diskussion. Auf universitärer Ebene ist der Diskurs weitestgehend als institutionalisiert zu betrachten, wie die Einsetzung explizit diesem Thema gewidmeter Forschungsbereiche, Professuren und Institute verdeutlicht. An der Universität Oldenburg findet sich ein Forschungsbereich „Kunst- und kulturwissenschaftliche Gender Studies“, Barbara Paul besetzt gegenwärtig die gleichnamige Professur.190 Im Jahr 2010 wurde zudem das Mariann Steegmann Institut „Kunst & Gender“ als Forschungseinrichtung mit Sitz an der Universität Bremen eingerichtet.191 Und auch an Kunstakademien lassen sich ähnliche Bewegungen aufzeigen: An der Kunsthochschule für Medien in Köln besetzt Marie-Luise Angerer eine Professur mit den Schwerpunkten Medien, Kultur und Gender;192 an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg wurde eine Professur für Kunst- und Kulturwissenschaften/Gender Studies eingerichtet, sie wird gegenwärtig von Hanne Loreck besetzt.193 Handelt es sich hierbei nicht um eine vollständige Liste, lässt sich an den Beispielen dennoch explizieren, inwiefern von einer Institutionalisierung die Rede sein kann. Deutlich wird dies auch in der Verankerung dieser Diskussion in den Curricula kunsthistorischer wie künstlerischer Studiengänge an Universitäten wie Kunstakademien. Die Einrichtung einer eigenen Sektion auf dem internationalen Kunsthistorikerkongress in Nürnberg im Jahr 2012 unter dem Titel „Das geschlechtsbezogene Objekt“ zeugt von der Aktualität des Themas und den Vernetzungen im Bereich der kunsthistorischen Geschlechterforschung (also auf explizit wissenschaftlicher Ebene), auch auf internationaler Ebene. Die Sektionsleitung lag bei Pamela M. Lee (Stanford/USA) und Sabeth Buchmann (Wien/ Österreich), mit Beiträgen waren u. a. Isabelle Graw und Beate Söntgen in der Sektion vertreten.194 Im Neuen Berliner Kunstverein wurde im Februar 2013 ein Symposium unter dem Titel „f******* – Towards New Perspectives on Feminism“ abgehalten. Auf den Podien diskutierten u. a. Katharina Grosse (Künstlerin), Philomene Magers (Sprüth Magers Galerie), Angela McRobbie (Professorin Goldsmiths University London) und Julia Voss (Leitung Kunstressort der Frankfurter Allgemeinen Zeitung) zu Gender-Politiken des Kunstmarkts sowie zu Feminismus, Politik und prekären Ökonomien.195 Im Vorfeld des Symposiums erschien eine mehrseitige Sonderbeilage in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, überschrieben mit dem Titel „Ein

                                                                                                                                                                           

189 Siehe dazu: http://www.fkw-journal.de/index.php/fkw/index [10.03.2015]. 190 Siehe dazu: https://www.uni-oldenburg.de/kunst/kunst-und-kulturwissenschaftl-genderstudies/ [28.07.2015]. 191 Siehe dazu: http://www.mariann-steegmann-institut.de [28.07.2015]. 192 Siehe dazu: http://wissenschaft.khm.de/wpersonen/marie-luise-angerer/ [28.07.2015]. 193 Siehe dazu: http://www.hfbk-hamburg.de/ [28.07.2015]. An der Universität für angewandte Kunst in Wien, um ein weiteres Beispiel aus dem deutschsprachigen Raum zu nennen, wurde ein „Gender Art Lab“ eingerichtet (siehe dazu http://www.dieangewandte. at [29.07.2015]). 194 Siehe dazu: http://www.ciha2012.de/programm/die-21-sektionen.html [10.03.2015]. 195 Siehe dazu: http://www.nbk.org/diskurs/feminismus_symposium.html [10.03.2015].

 

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altes Thema muss neu gedacht werden“.196 Dieses Beispiel zeigt, wie präsent das Thema inzwischen auch im Feuilleton einer Tageszeitung zur Diskussion steht.197 Im Mai 2013 fand im Bonner Kunstverein ein weiteres Symposium unter dem Titel „Ihre Geschichte(n)“ statt, zur Diskussion stand das Vermächtnis von Künstlerinnen seit den 1960er Jahren, aber auch die Entwicklung der Debatte um Feminismus und Kunst unter dem Einfluss dekonstruktivistischer Theorien wie derjenigen Judith Butlers.198 Das Symposium mündete in zwei weitere im selben Jahr in München („Sex jenseits von Gender?“) und Bremen („Girls can tell“).199 Als einflussreiche Stimme und Netzwerkerin im internationalen Diskurs ist zudem Katy Deepwell – Professorin für „Contemporary Art Theory and Criticism“ an der Middlesex University – zu nennen, die als Gründerin und Herausgeberin des Internetmagazins „n.paradoxa“ einen wesentlichen Beitrag in diesem Forschungszusammenhang leistet.200 Hervorzuheben sind die von ihr initiierten „Feminist Art Salons“ in London und Berlin (beispielsweise im März 2014), wobei eine Konnektivität der Akteur/innen in den verschiedenen Städten via Live-Stream besteht.201 Zu nennen sind ferner Initiativen wie FAK, gegründet an der Hfg Karlsruhe, in der Themen zur Chancengleichheit an Kunsthochschulen im Fokus stehen202 oder „CALL – Plattform für KUNST und FEMINISMUS“, initiiert von (ehemaligen) Studierenden an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg (HFBK). Neben der Herausgabe eines Magazins organisiert die Gruppe u.a. Talks und Ausstellungen, im Jahr 2015 waren

                                                                                                                                                                           

196 Vgl. FAZ, Feuilleton, 18.1.2103, S. 31ff., abrufbar auf den Internetseiten von Espace Surplus, die das Symposium mit ausrichteten: http://www.new-perspective.org/index.php ?/statementreihe/statements/ [10.03.2015]. 197 Die Publikation steht sicherlich im Zusammenhang mit Julia Voss – zu diesem Zeitpunkt Ressortleiterin, heute stellvertretende Leiterin des Feuilletons. Voss ist als eine der Protagonistinnen im gegenwärtigen deutschsprachigen Diskurs um Kunst und Geschlecht nicht nur in der Tagespresse präsent, sondern auch im wissenschaftlichen bzw. wissenschaftsnahen Diskurs (siehe beispielsweise Voss [2011]). 198 Siehe dazu: http://www.bonner-kunstverein.de/ausstellungen/archiv/ihre-geschichten/ [10.03.2015]. 199 Siehe dazu: http://www.kunstverein-muenchen.de/de/doorbetweeneitherandorpart2 [10.03.2015]; das Symposium wurde im Zusammenhang mit einer Ausstellung unter dem Titel „Door Between Either and Or Part“ abgehalten. Ausführungen zu den Veranstaltungen in Bremen finden sich unter: http://www.gak-bremen.de/de/ausstellungen/girls-cantell/ [10.03.2015]. 200 Siehe dazu: http://www.ktpress.co.uk [10.03.2015]. 201 Siehe dazu z.B. http://www.ktpress.co.uk/salon.asp [10.03.2015]. Eine weitere Akteurin aus dem englischsprachigen Raum ist Lara Perry (Universität Brighton), sie leitete von 2010 bis 2012 das internationale Forschungsnetzwerk „exploring feminist curating practices“ und betreut die „FCNETWORK List“, ein wichtiges internationales Vernetzungsuns Austauschmedium. 202 Siehe dazu: http://fak-hfg.tumblr.com/about [13.03.2015] sowie die von der Gruppe herausgegebene Publikation „Body of Work“ aus dem Jahr 2015 (vgl. FAK [Hg.] [2015]).

 

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sie im Rahmen der Ausstellung „Feministische Avantgarden“ in der Hamburger Kunsthalle mit einem Audiozine präsent.203 In der Veranschaulichung dieses seit nunmehr fünfzig Jahren existenten Diskurses um Kunst und Geschlecht innerhalb der kunsthistorischen Forschung wie der Kunstpraxis, verdeutlichte sich einerseits eine seit einigen Jahren bzw. Jahrzehnten einsetzende Historisierung (Beate Söntgen weist auf diese schon im Jahr 2001 hin),204 gleichzeitig aber auch eine fortwährende Aktualisierung. Dabei verwundert die lediglich marginale Rolle, die Erhebungen und Daten zur vergeschlechtlichten Ungleichheitsstruktur im Kunstfeld nach wie vor zukommt – diesbezüglich wurde einleitend bereits auf wenige Beispiele, wie die Aktionen der Guerrilla Girls oder die Statistiken Katy Deepwells und Maura Reillys verwiesen. Hinzuzufügen ist zudem das kollaborative Kunstprojekt von Micol Hebron, initiiert im Rahmen einer Ausstellung im West L.A. College im Jahr 2013. 205 Entstanden ist eine weitreichende Sammlung an Postern und Daten zu international bedeutenden Kunstgalerien – in den meisten Fällen wird eine klare Unterrepräsentation der Künstlerinnen sichtbar.206 Katy Deepwell brachte wiederholt Daten und Statistiken in die Debatten ein, u. a. veröffentlichte sie im Juni 2009 einen Beitrag in der Zeitschrift „FKW // Zeitschrift für Geschlechterforschung und visuelle Kultur“. Unter dem Titel „Equal but Different: questions about rights, statistics and feminist strategies for change“ führt sie Zahlen zur Repräsentation von Künstlerinnen im Rahmen der documenta an und verweist, auf die bereits vorgestellte Untersuchung von Cliche/Mitchell/Wiesand bezugnehmend, auch auf Zahlen zu weiteren Akteur/innen des Feldes.207 Wie einleitend angeführt, drückt sie hier ihre Verwunderung über die ihr stetig begegnenden Abneigungen gegenüber der statistischen Darstellung von Geschlechterrepräsentationen aus und bezieht sich konkret auf eine Panel Diskussion im Stedelijk Museum in Amsterdam. Die offensichtliche Abneigung gegenüber Statistiken interpretiert sie dahingehend, dass die Demonstration der Zahlen in ihrem Vortrag als Limit des im Kunstfeld möglichen und nicht als Beispiele aus den operativen Bereichen der Kultur – als Indikatoren einer Entwicklung – begriffen wurden. Weiter drückt sie ihr Erstaunen darüber aus, dass derartige Statistiken nicht als Aufruf dienten, die ungleiche Situation zu verändern.208 Eine Erklärung findet sie in einem verbreiteten Qualitäts                                                                                                                                                                            

203 Siehe dazu: http://callzine.org/index.php/audiocall---audiozine/2/ [29.05.2015]. Im deutschsprachigen Raum findet sich des Weiteren die Forschungsgruppe „Gender ver/handeln“ an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK), wobei die Initiierung, Sichtbarmachung und Intensivierung von Aktivitäten im Feld von Gender, Queer und Postkolonialismus zentral sind (http://blog.zhdk.ch/genderverhandeln/ [13.03.2015]). 204 Vgl. Söntgen (2001), S. 34. 205 Siehe dazu http://micolhebron.com [10.03.2015]. Im Rahmen der Ausstellungseinladung rief sie Künstler/innen dazu auf, Plakate zur Repräsentation von Frauen in kommerziellen Kunstgalerien zu gestalten. 206 Siehe dazu: http://gallerytally.tumblr.com [10.03.2015]; das Projekt findet eine Fortsetzung im Internet. 207 Vgl. Deepwell (2009). Deepwell bezieht sich hier u. a. auf Cliche/Mitchell/ Wiesand (2000). 208 Vgl. Deepwell (2009), S. 10.

 

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argument, dem statistische Datenerhebungen scheinbar entgegenstehen – „it is quality that counts in art and not who made it“.209 Aus jüngerer Zeit existieren zwei weitere Publikationen aus dem musealen Bereich sowie dem Kunstjournalismus, in denen Statistiken eine elementare Rolle spielen. Im März 2015 wurde von der „Association of Art Museum Directors“ und dem „National Center for Arts Research“ die Studie „The Gender Gap in Art Museum Directorships“ veröffentlicht. In der umfangreichen Studie wird nicht zuletzt deutlich, dass Frauen lediglich ein Viertel der Museen in den USA leiten, die über ein Budget von über 15 Mio. Dollar verfügen. Ein Missverhältnis findet sich insbesondere auch in dem im Verhältnis 0,71 Dollar zu 1 Dollar differierenden Verdiensten von Direktorinnen und Direktoren.210 Diese Studie ist auch aufgrund ihrer Bezugnahme auf Museumsdirektorinnen interessant, eine Akteursgruppe, der bislang erkennbar weniger Beachtung zukam als Künstlerinnen. In der Zeitschrift ARTnews, in der auch der zuvor genannte wegweisende Text von Linda Nochlin (1971) veröffentlicht wurde, findet sich in der Juniausgabe 2015 der Artikel von Maura Reilly der den Titel „Taking the Measure Of Sexism: Facts, Figures and Fixes“ trägt. Anhand verschiedener Gender-Statistiken zu Ausstellungspräsenzen und Biennale-Teilnahmen gibt Reilly Einsichten in nach wie vor existente Marginalisierungen von Künstlerinnen. Zwar nimmt die Autorin seit den 1970er Jahren viele Veränderungen in Bezug auf Geschlechterungleichheiten im Kunstfeld wahr, nach wie vor kann aber nicht von einem ausgeglichenen Geschlechterverhältnis die Rede sein. Der immer wieder angebrachte Satz “women are treated equally in the art world now” muss herausgefordert werden, so Reilly: 211 „The existence of a few superstars or token achievers – like Marina Abramovic, Tracey Emin, and Cindy Sherman – does not mean that women artists have achieved equality. Far from it. The more closely one examines art-world statistics, the more glaringly obvious it becomes that, despite decades of postcolonial, feminist, anti-racist, and queer activism and theorizing, the majority continues to be defined as white, Euro-American, heterosexual, privileged, and, above all, male. Sexism is still so insidiously woven into the institutional fabric, language, and logic of the mainstream art world that it often goes undetected.“ 212

Die Beispiele verweisen auf eine Integration von Statistiken in der Diskussion um „Kunst und Gender“ sowohl aus einer kunsthistorischen Perspektive wie auch in der Kunstpraxis. Gleichermaßen zeigt sich, dass diese in einer ansonsten sehr breiten wissenschaftlichen Debatte um „Kunst und Gender“ eher eine Ausnahme bilden und vorzugsweise eine Verortung an den Rändern hin zu stärker populär ausgerichteten Zeitschriften oder in der Praxis, u. a. in der musealen Arbeit, aufweisen. Insofern als quantitative Methoden und damit verbundene Messinstrumente gegenwärtig (noch) nicht zum „klassischen“ Repertoire der Kunstgeschichte zählen, ist deren breite                                                                                                                                                                            

209 Deepwell (2009), S. 10. 210 Vgl. Gan et al. (2015). Im März 2017 wurde eine Neuauflage der Studie publiziert (siehe dazu Voss et al. (2017). 211 Vgl. Reilly (2015). 212 Ebd.

 

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Verwendung auch nicht zu erwarten. Die aufgemachte Differenzierung zwischen einer idiografischen Ausrichtung der kunsthistorischen Disziplin, im Gegensatz zu nomothetisch orientierten Wissenschaften wurde bereits Ende des 19. Jahrhunderts von Wilhelm Windelband diskutiert. Letzterer gliedert verschiedene Disziplinen nach dem Umgang mit ihrem Material, wobei er zwischen dem individuellen und generellen unterscheidet:213 „[…] idiographic sciences had an interest in the unique and concrete, while nomothetic sciences searched for the general. Windelband associated the first with the humanities, the latter with the natural sciences […].”214 Ist die Kunstgeschichte nach dieser Unterscheidung methodisch den idiografischen Wissenschaften zuzuordnen, haben sich in diversen Disziplinen, u. a. in verschiedenen Feldern der Soziologie, „Mixed Methods“ als Alternative zu strikt im qualitativen oder quantitativen Methodenspektrum angesiedelten disziplinären Herangehensweisen etabliert.215 Wie eingangs dargestellt zeichnen sich aber auch gerade in der Kunstgeschichte im Rahmen der Digital Humanities Veränderungen und eine Öffnung ab. Ohne die für die Diskussion um Kunst und Geschlecht zentralen Ergebnisse einer idiografischen oder stärker qualitativ wie ethnologisch orientierten Forschung aus den vergangenen Jahrzehnten in Frage zu stellen, soll daher mit der vorliegenden Untersuchung gezeigt werden, dass eine Erweiterung des Methodenspektrums auf quantitativ orientierte Analyseinstrumente neue Perspektiven eröffnen kann. Wie im Verlauf der vorliegenden Studie sichtbar wird, ist gerade die Zusammenführung beider Perspektiven – quantitativer wie qualitativer – im Sinn von „Mixed Methods“, als besonders fruchtbar zu bewerten.216 Sowohl in diesem als auch in den vorhergehenden Kapiteln zu soziologischen und kulturpolitischen Untersuchungen zu Kunst und Geschlecht wurde bereits deutlich, dass eine Erweiterung der Debatte anhand statistischer Daten, auch den Gender-Diskurs in der Kunstgeschichte bereichern kann. Da eine Erweiterung nicht singulär vonseiten der kunsthistorischen Forschung erwartet werden kann, erscheint eine Integration (kunst-)soziologischer Perspektiven sinnvoll. Weist Katy Deepwell auf das „fragmentarische, lückenhafte statistische Bild zu professionell im Kunstfeld tätigen Frauen“ hin,217 soll die nachfolgende Untersuchung zu Geschlechterstrukturen im Kunstfeld einen Beitrag zur Schließung ebendieser Lücke leisten.

2.4 G ESCHLECHTERFORSCHUNG

UND

S PITZENPOSITIONEN

Die Analyse von Geschlechterasymmetrien auf Spitzenpositionen bildet einen zentralen Bestandteil der Geschlechterforschung, neben einem ausgeprägten qualitativen Forschungsstrang kommen quantitative Designs vielfach zum Einsatz. Zu verschiedenen sozialen Universen liegen Untersuchungen vor, wobei das Feld der visuellen                                                                                                                                                                            

213 Vgl. Bouterse/Karstens (2015), S. 351. 214 Ebd. 215 Vgl. Small (2011), S. 58. Zur Entwicklung des Forschungsfeldes „Mixed Methods“ siehe ebd., S. 60ff. 216 Zu Mixed Methods Ansätzen siehe u. a. Creswell (2009). 217 Vgl. Deepwell (2009), S. 6.

 

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Künste wenig Beachtung erlangt. Im vorliegenden Fall interessieren diese Studien und Ergebnisse hinsichtlich ihrer methodischen wie theoretischen Herangehensweisen und deren Übertragbarkeit auf eine Kunstfeldanalyse. Vorgestellt werden zudem Konzepte, die in der Diskussion um Spitzenpositionen als besonders relevant gelten. Hier gewonnene Daten zum ökonomischen und wissenschaftlichen Feld dienen darüber hinaus einer Gegenüberstellung der Ergebnisse zum Kunstfeld. Die „Frauenforschung“ entwickelte sich maßgeblich in den 1970er Jahren und führte zur Etablierung der „Geschlechter-“ wie „Genderforschung“, parallel (und in Überschneidung) zu dem vorgestellten kunsthistorischen Forschungssegment. Vonseiten des sozialwissenschaftlichen Mainstreams kam einer explizit soziologischen Geschlechterforschung – als neue Forschungsperspektive innerhalb der Disziplin – lange wenig Akzeptanz entgegen. Irene Dölling und Beate Krais verweisen noch für das Jahr 1995 auf eine widerwillige Kenntnisnahme der empirischen Frauenforschung. „Geschlecht“ wurde in sozialwissenschaftlichen Untersuchungen lange als ein Merkmal behandelt, das im Unterschied zur Kategorie „Klasse“ als etwas der gesellschaftlichen Praxis grundsätzlich Entzogenes, „natürlichen Gegebenheiten“ zuzuordnendes, galt:218 „Erst die feministische Theorie-Debatte und die empirische Frauenforschung, die bis heute vom sozialwissenschaftlichen Mainstream nur widerwillig zur Kenntnis genommen werden, haben langsam ein Bewusstsein entstehen lassen, daß »Geschlecht« für die sozialwissenschaftliche Analyse nicht einfach ein natürliches Datum wie die Augenfarbe darstellt, sondern selbst gesellschaftlich produziert wird.“ [Herv. im Orig.]219

Hinzu kamen (und kommen nach wie vor) Ressentiments gegenüber quantitativen Verfahren in der Geschlechterforschung; solche Designs sind laut Michael Meuser präsent, es existiert aber eine in der sozialwissenschaftlichen Forschung selten in dieser Ausprägung anzutreffende Präferenz für qualitative Designs. Die zurückweisende Haltung entstand nicht zuletzt aufgrund der Dominanz quantitativer Instrumente in der Praxis der empirischen Sozialforschung und des kritischen Umgangs mit gängigen Methoden des wissenschaftlichen Mainstreams in der frühen Frauenforschung.220 Ulrike Teubner betont auch im Jahr 2010 die geringe Beachtung und das Potenzial quantitativer Messinstrumente zur Analyse beruflicher Segregation auf internationaler Ebene: „Unter methodischen Gesichtspunkten fällt allerdings auf, dass die Diskussion um die quantitativen Kriterien (Messinstrumente verschiedener Art) zur Vergleichbarkeit von beruflicher Segregation im interkulturellen Vergleich in der deutschen Frauenforschung bisher wenig geführt wird. Das gilt auch für die Rezeption oder den Anschluss an eher makroökonomisch orientierten Thesen zu Wandel und Konstanz der beruflichen Segregation.“221                                                                                                                                                                            

218 219 220 221

Vgl. Dölling/Krais (1997), S. 8. Ebd. Vgl. Meuser (2010), S. 94f. Teubner (2010), S. 504.

 

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Eine Diskussion zur Resistenz gegen quantitative Methoden innerhalb der Geschlechterforschung findet sich in dem von Christina Hughes und Rachel Lara Cohen im Jahr 2012 publizierten Band „Feminism counts: Quantitative Methods and Researching Gender“.222 Die geringe Akzeptanz solcher Methoden ist folglich eine nach wie vor konkrete Problematik: „Within the field of feminism and women’s studies debates about, and resistance to, quantification persist.“223 Deutlich wird desgleichen, dass dieses vonseiten der Sozialwissenschaften zur Verfügung gestellte Instrumentarium zwischenzeitlich in zahlreichen Untersuchungen Anwendung findet.224 In der Diskussion von Spitzenpositionen findet sich alternativ zum Begriff der „Spitze“ der weithin gängige Begriff der „Führung“ in der Forschung, angelehnt an den im englischsprachigen Raum populären Begriff „Leadership“. Die Bezugnahme auf eine Spitze erfolgt dabei vor allem in der soziologisch orientierten Forschung und lässt sich sowohl auf ein Feld (Spitzenfeld) als auch auf die Akteursebene (Spitzenposition/en) übertragen.225 Die Verwendung des vor allem akteursbezogenen Begriffs der „Führung“ weist demgegenüber stärker auf einen ökonomischen oder psychologischen Forschungskontext hin.226 Rosabeth Moss Kanter beispielsweise – als eine der ersten Autorinnen, die sich explizit dem Thema Frauen in Führungspositionen zuwandte – berief sich auf die Leadership-Debatte; in dem im Jahr 1977 erschienenen Buch „Men and Women of the Corporation“ beleuchtete sie die Situation der wenigen Frauen in den Führungsetagen amerikanischer Unternehmen.227 Kanter geht davon aus, dass organisatorische Strukturen im Sinn von Max Weber formale, unpersönliche und damit auch geschlechtsneutrale Strukturen darstellen. Geschlechterasymmetrien in Organisationen bilden somit nicht in diesen Strukturen verankerte gesellschaftliche Ungleichheiten, sie existieren vielmehr als Resultat des Minoritätenstatus und der niedrigeren hierarchischen Positionierung von Frauen.228 Einen weiteren Bezugspunkt vieler Studien zu Frauen in Führungs- wie Spitzenpositionen bildet seit den 1990er Jahren das Konzept der „gendered organization“ von Joan Acker.229 Organisationen bezeichnet Acker als vergeschlechtlicht, da die unterschiedliche Verteilung von Einkommen, Aufgaben und Positionen zwischen Männern und Frauen nicht beliebig oder zufällig besteht, sondern systematisch. Die Segregation basiert demnach maßgeblich auf Annahmen zur gesellschaftlichen Trennung von Produktions- und Reproduktionsarbeit, die auch in Organisationen „inkorporiert“ und in der vergeschlechtlichten „Substruktur“ von Organisationen verankert sind.230 Die                                                                                                                                                                            

222 223 224 225

Siehe dazu Hughes/Cohen (Hg.) (2012). Ebd., S. 1. Vgl. ebd. Siehe dazu aus dem deutschsprachigen Raum beispielsweise Beaufäys/Engels/Kahlert (2012) oder auch Krais (2001b). Siehe dazu Rybnikova (2014). Rybnikova betrachte das Thema aus der Perspektive der Führungsforschung, in der die Geschlechterdebatte ein Randthema darstellt (vgl. ebd., S. 414). Vgl. Kanter (1977); siehe dazu auch Rybnikova (2014), S. 389. Vgl. Wilz (2010), S. 515. Vgl. Acker (1990). Vgl. Wilz (2010), S. 516.

226

227 228 229 230

 

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Diskussion um Spitzen- wie Führungspositionen besteht bereits in frühen Ansätzen der Geschlechterforschung, Kanter und Acker gelten hier als einflussreiche Protagonistinnen. Im Jahr 2007 fand sich im Nachgang der Veröffentlichung einer Studie von McKinsey zum Thema „Women matter“ eine breite gesellschaftliche Diskussion zu Frauen in führenden Positionen.231 Ist der Studie eine Reaktivierung des Themas „Frauen und Führung“ in Deutschland zu verdanken, hält Rybnikova sie aufgrund der ausschließlichen Fokussierung auf die ökonomischen Effekte der Frauenbeteiligung in Unternehmen sowie hinsichtlich der erheblichen Reduktion des komplexen Themas für problematisch.232 Die Studie beschäftigt sich vor allem mit dem betriebswirtschaftlichen Nutzen einer stärkeren Beachtung weiblicher Führungskräfte – hervorgehoben werden Frauen als eine nicht ausreichend ausgeschöpfte wirtschaftliche Ressource.233 Nach Rybnikova changiert die Debatte heute in ihren grundlegenden Argumentationsstrukturen zwischen ökonomistischen und feministisch-emanzipatorischen Argumenten. Erstere heben, wie in der McKinsey Studie, den (wirtschaftlichen) Nutzen der Frauen für Betriebe hervor. Letztere legen den Fokus stärker auf die Ursachen der Benachteiligung dieser Akteursgruppe.234 Zur Diskussion stehen in diesem Kontext verschiedene im Folgenden zusammengefasste Konzepte.235 Das Konzept der gläsernen Decke erfuhr im vergangenen Jahrzehnt große Popularität, es kann jedoch schon auf einen Artikel von Hymowitz und Schellhardt aus dem Jahr 1986 zurückgeführt werden.236 Der Begriff wurde von den Autor/innen im Zusammenhang mit dem Nicht-Vorankommen von Frauen auf der Karriereleiter geprägt und bald darauf von akademischen Autor/innen übernommen – in der wissenschaftlichen Diskussion folgte laut Rybnikova eine „modeähnliche Verbreitung“.237 Rybnikova begreift den Begriff weniger als ein wissenschaftliches Konzept, sondern                                                                                                                                                                            

231 Vgl. Desvaux/Devillard-Hoellinger/Baumgarten (2007). 232 Vgl. Rybnikova (2014), S . 390. 233 Vgl. ebd. Rybnikova führt aus, dass Frauen aus Sicht der frauenbezogenen Managementforschung als eine ökonomisch wertvolle Ressource aufgefasst werden und sich eine gesonderte Auseinandersetzung mit Akteurinnen und ihrer Gleichstellung in den Organisationen allein damit rechtfertigen lässt. Im Vordergrund der Diskussion stehen nicht die Frauen, sondern die Leistungen von Organisationen. Frauen stellen eine der vielen Ressourcen dar, deren Nutzung zahlreiche Erträge verspricht, z.B. Kreativitätsgewinne, Kompetenzerträge oder auch einen Legitimationszuwachs. Rybnikova bezeichnet dieses Vorgehen als den Versuch eine möglichst gelungene ökonomische Instrumentalisierung der weiblichen Potenziale zu forcieren. In der McKinsey Studie wird dieses Argumentationsmuster besonders deutlich, wenn die Ergebnisse auf kurze, mediengerechte Slogans wie „Companies with a higher proportion of women in top management may perform better …“ (Desvaux/Devillard-Hoellinger/Baumgarten [2007], S. 1) zusammengefasst werden. Erkennbar wird dies auch in der Aussage „Women’s positive impact on organisational excellence … and on financial performance.“ (Ebd., S. 12; siehe dazu auch Rybnikova [2014], S. 390). 234 Vgl. ebd. 235 Siehe dazu auch ebd. 236 Vgl. Hymowitz/Schellhardt (1986). 237 Vgl. Rybnikova (2014), S. 407.

 

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vielmehr als eine einprägsame Metapher, die der Erklärung der Unterrepräsentation von Frauen in hierarchisch höheren Führungspositionen dient. Hürden in weiblichen Karrieren sind demnach maßgeblich auf das Geschlecht und weniger auf individuelle Eigenschaften rückführbar.238 Dieses Konzept entwickelten Ryan und Haslam im Jahr 2005 weiter und stellten die These auf, dass Frauen, die die gläserne Decke durchbrechen, in prekären und risikoreichen Positionen landen – sich also auf einen gläsernen Abgrund begeben. 239 Der Misserfolg von Unternehmen bietet günstige Rahmenbedingungen für den Aufstieg weiblicher Führungskräfte. Bei finanzieller Stabilität in Betrieben erfolgt meist eine Berufung von Männern in die Position der Vorstandsvorsitzenden; Frauen steigen auf solche Positionen meist bei einer vergleichsweise schlechten Unternehmensleistung im Vorfeld auf.240 Unternehmen, die längere Zeit keinen finanziellen Erfolg verbuchen können, befördern häufiger Frauen in den Vorstandsvorsitz. Diese, in das Spitzensegment vorgedrungenen Frauen bewegen sich aufgrund der verstärkten Unsicherheiten auf einem gläsernen Abgrund.241 Ein weiteres, oftmals im Zusammenhang mit Wissenschaftskarrieren angebrachtes Konzept ist das der Leaky Pipeline. Übliche Erklärungsansätze für den geringen Frauenanteil in Spitzenpositionen in der Wissenschaft aus der Geschlechterforschung und Wissenschaftssoziologie zeigen sich vielfältig – ein zu kleiner Pool an Nachwuchswissenschaftlerinnen, fehlende berufliche Netzwerke sowie die zu geringe Einbindung in die Scientific Community, eine eingeschränkte räumliche Mobilität, ein zu geringeres berufliches Engagement aufgrund familiärer Verpflichtungen oder auch geschlechtsspezifisch segregierte Fachkulturen sowie männliche Interpretationsnormen.242 Die Bündelung dieser Hindernisse in der Leaky Pipeline akzentuiert den häufigen Abbruch einer Wissenschaftskarriere bei Frauen im Qualifikationsprozess hin zu den begehrten Lehrstühlen.243 Ein auf breiter Ebene populärer Begriff ist der Gender-Pay-Gap. Auch dieser geht auf Initiativen aus den 1970er Jahren zurück, die für eine Angleichung der Gehälter von Männern und Frauen eintraten.244 Unterschiede nach Geschlecht existieren demnach nicht nur hinsichtlich der Führungspositionen, auch im Gehalt bestehen starke Differenzen – auf Leitungsebenen wird dies besonders deutlich.245 Im Jahr 2012 liegt der Gender-Pay-Gap in Deutschland bei 22,4 %, die höchste Differenz messen O’Reilly et al. im selben Jahr in Estland mit 30 %. Die geringsten Werte weisen Slowenien (2,5 %) sowie Neu Seeland (6,2 %) auf.246 Sind in den westlichen Gesellschaften viele Veränderungen hin zu einer Geschlechtergleichheit zu verzeichnen, lassen sich in diversen sozialen Bereichen weiterhin Muster erkennen, die Benachteiligungen von Frauen – wenn auch verdeckte –                                                                                                                                                                            

238 239 240 241 242 243 244 245 246

Vgl. Rybnikova (2014), S. 407. Vgl. Ryan/Haslam (2005). Vgl. ebd., S. 86. Vgl. Rybnikova (2014), S. 408f. Vgl. Schubert/Engelage (2011), S. 432. Vgl. ebd. Vgl. O’Reilly et al. (2015). Vgl. Rybnikova (2014), S. 392. Vgl. O’Reilly et al. (2015), S. 301.

 

Z ENTRALE F ORSCHUNGSFELDER ZU K UNST UND G ESCHLECHT

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in sich bergen. Insbesondere Asymmetrien zwischen Männern und Frauen mit ansteigender Hierarchieebene erweisen sich als augenfällig.247 Eine Betrachtung der Zahlen zum Wissenschaftsbereich verdeutlicht dies: Aus Daten des statistischen Bundesamts geht hervor, dass im Jahr 2011 knapp 52 % aller Universitätsabsolvent/innen in Deutschland Frauen waren (an Fachhochschulen lag der Anteil bei rund 39 %). Unter den promovierten Wissenschaftler/innen betrug der Frauenanteil im Jahr 2009 etwa 43 %, unter den Habilitierten machten Frauen im selben Jahr rund 25 % aus. In der Gruppe der berufenen Professor/innen finden sich Frauen auf jedem fünften Posten (20 %) und bei den W3- und den herkömmlichen C4-Professuren ist lediglich ein Anteil von 15 % zu verzeichnen.248 Die Fokussierung auf das Spitzenfeld in der folgenden Analyse der Geschlechterstrukturen im Kunstfeld trägt ebensolchen Erkenntnissen der Geschlechterforschung Rechnung, wonach eine verstärkte Exklusion von Frauen bei ansteigender Hierarchieebene zu erwarten ist. Dass das Feld der bildenden Künste bislang kaum Beachtung im Rahmen der quantitativ orientierten Geschlechterforschung fand, verwundert: Im Hinblick auf Zahlen zum tertiären Bildungssektor weist das Kunstfeld einen relativ hohen Anteil an Studentinnen sowie weiteren Akteurinnen auf (hierauf wird in Kapitel 4.2 im Detail eingegangen) und erscheint daher gerade für die Geschlechterforschung als relevant. Eine Erklärung für die geringe Beachtung dieses Feldes wurde bereits mit der relativen Intransparenz und Informalität des Feldes angeführt. Demnach bestehen zum Kunstfeld nur wenige Datenquellen, die für eine Sekundärdatenanalyse genutzt werden können und regelmäßig durchgeführte Statistiken, wie der Mikrozensus oder Volkserhebungen, die das Feld nur aggregiert erfassen, stoßen an Grenzen. Ferner knüpft hier auch die Problematik an, dass meist keine trennscharfe Unterscheidung von Kunstarbeitsmärkten im engeren Sinn und Kulturarbeitsmärkten im weiteren Sinn vorliegen und somit nur allgemeine Aussagen abgeleitet werden können.249 Dieses Phänomen beschreibt, wie im Vorhergehenden bereits erwähnt, einen zentralen Unterschied zu anderen Untersuchungsfeldern (wie dem der Wissenschaft oder Ökonomie), zu denen zahlreiche Längs- wie Querschnittdaten existieren. Etwa weist die amtliche Statistik seit langem Studierende und Personal an Hochschulen getrennt nach Geschlecht aus; die Entwicklung der Frauenanteile kann entsprechend über einen langen Zeitraum nachgezeichnet werden, auch differenziert nach Hochschularten und Disziplinen.250 Die Vorlage eines Ansatzes, der es ermöglicht anhand quantitativer Analysen auch relevante Daten für das soziale Universum der Kunst zu liefern, wird im Folgenden geleistet. Von besonderer Bedeutung für die Erstellung des theoretischen Rahmens, aber auch der Entwicklung der empirischen Analyse, waren dabei die theoretischen Überlegungen und empirischen Studien einer Gruppe von Geschlechtersoziologinnen: Irene Dölling, Beate Krais und Steffanie Engler sowie weitere diesem Zirkel angehörende Wissenschaftlerinnen legten eine Vielzahl an Untersuchungen zu Frauen in Spitzenpositionen (vornehmlich zum wissenschaftlichen Feld) vor, die in der                                                                                                                                                                            

247 Siehe dazu auch Rybnikova (2014), S. 392. 248 Vgl. ebd. Rybnikova bezieht sich auf Zahlen des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 2012. 249 Vgl. Mayerhöfer (2006), S. 276f. 250 Vgl. Krais (2000b), S. 11. Siehe dazu auch die Ausführungen in Kapitel 2.1.

 

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Analyse zum Kunstfeld wesentliche Anhaltspunkte lieferten. Ferner konnte hier auf die Diskussion zu den theoretischen Entwürfen Pierre Bourdieus und deren Nutzen für die Geschlechterforschung zurückgegriffen werden. Hilfreich erwiesen sich etwa die Auseinandersetzungen zur Anwendung des methodischen Instrumentariums Bourdieus in Geschlechteranalysen zu verschiedenen sozialen Feldern. 251 Mit Bourdieu ein im Kreise der Geschlechterforschung nicht unumstrittenen Ansatz als theoretische Rahmung zu wählen, aber auch inwiefern sich dieser sowie dessen Weiterentwicklung zu einem Ansatz einer Gender-Kunstfeld-Theorie in der Untersuchung als besonders fruchtbar herauskristallisierte und für die Analyse der verschiedenen Ebenen von Machtverhältnissen eine zentrale Rolle spielt, steht im folgenden Kapitel zur Diskussion.

                                                                                                                                                                           

251 Siehe dazu insbesondere Dölling/Krais (2007).

 

3.

Theoretischer Rahmen: Eine paradoxe Logik in einem paradoxen Feld

Die Theorie des künstlerischen Feldes Pierre Bourdieus sowie dessen geschlechtertheoretischer Ansatz der männlichen Herrschaft bilden die zentralen Bezugspunkte des theoretischen Rahmens. Dienen die Konzepte Bourdieus als Instrumentarium,1 erweist sich ferner die Synthese der beiden Theorien sowie deren Weiterentwicklung zu einem Ansatz einer Gender-Kunstfeld-Theorie – die eine feldspezifische Untersuchung von Geschlecht unter spezifischer Berücksichtigung symbolischer Machtverhältnisse zulässt – als besonders fruchtbar. Mit der Theorie des künstlerischen Feldes legt Bourdieu einen Ansatz vor, der eine Rekonstruktion der sozialen Logik und Dynamik dieses Mikrokosmos ermöglicht und dabei auch den Besonderheiten dieser spezifischen Sphäre der kulturellen Produktion im Vergleich zu anderen sozialen Universen Rechnung trägt. Das künstlerische Feld funktioniert folglich nach einem eigenen, u. a. zum ökonomischen oder auch wissenschaftlichen Feld unterscheidbaren Regelsystem. Bourdieu hebt ein von symbolischer Herrschaft gekennzeichnetes Verhältnis der Akteur/innen hervor, wobei es sich nicht um „brutale, ökonomische Ausbeutung“ handelt, die auf physischer Stärke basiert, sondern um eine Ausbeutung, die, wie er es benennt, auf der Komplizenschaft und Liebe des Ausgebeuteten gründet. Er verweist diesbezüglich auf eine Umkehrung der ökonomischen Welt.2 Einer Hervorhebung bedarf, dass Bourdieu in diesem Zusammenhang Bezug auf das Verhältnis der Geschlechter nimmt, so führt er aus: „Ich glaube, dass nichts den Machtverhältnissen im künstlerischen und literarischen Feld mehr ähnelt, als das Verhältnis der Geschlechter: ein Verhältnis, das von symbolischer Herrschaft gekennzeichnet ist.“3 Das Zitat ist insofern charakteristisch für Bourdieus Auseinandersetzung mit dem Geschlechter-Phänomen, als er diesem in „Die Regeln der Kunst“                                                                                                                                                                            

1

2 3

Die Verwendung des Begriffs des Instrumentariums orientiert sich in diesem Zusammenhang maßgeblich an Bock/Dölling/Krais und deren im Jahrbuch für Frauen- und Geschlechterforschung (2007) dargelegte Perspektive auf Bourdieus Praxistheorie als „innovatives analytisches Instrumentarium für die Geschlechterforschung“ (vgl. Bock/Dölling/ Krais [2007], S. 15). Diese Perspektive findet eine Zuspitzung in der Bezeichnung des Instrumentariums als „Werkzeugkasten für die Frauen- und Geschlechterforschung“ (siehe dazu den gleichnamigen Artikel (Dölling/Krais [2007]). Vgl. Bourdieu in Bourdieu/Graw (1996). Ebd.

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keine eigenständige Diskussion widmet, das Thema jedoch nicht gänzlich ausblendet. Das Vorhaben der Entwicklung eines Ansatzes einer Gender-Kunstfeld-Theorie aus Bourdieus theoretischem Instrumentarium, resultiert aus der Annahme, die Untersuchung von Geschlechterstrukturen oder der speziellen Situation differenzieller beruflicher Chancen in Abhängigkeit von Geschlecht erweise sich dann als besonders fruchtbar, wenn sie unter Berücksichtigung des spezifischen Regelsystems des untersuchten sozialen Universums realisiert wird. Steffani Engler geht diesbezüglich davon aus, dass Geschlecht als Dimension des Sozialen durch die Vermittlung der Felder zum Tragen kommt. Demnach betrachtet sie auch die Mechanismen, die in unterschiedlichen sozialen Feldern wirken und Geschlechtseffekte produzieren, als spezifisch:4 „Dass Geschlecht in verschiedenen sozialen Feldern mit unterschiedlichen Relevanzstrukturen versehen werden kann, macht es notwendig, die Mechanismen und Funktionsweisen von Ordnungssystemen in den jeweiligen Feldern aufzuzeigen. Bourdieu stellt die Mittel bereit, nicht nur die Verschiedenheit der Bedeutung von Geschlecht und damit verbundene Ungleichheiten festzustellen, sondern die Funktionsweise von Mechanismen in den jeweils unterschiedlichen sozialen Gefügen aufzuzeigen und somit zu analysieren, wie diese Unterschiede zustande kommen. Hierzu dient die Konstruktion des sozialen Raums als Hintergrund der Generierung von Fragestellungen. Die relationale Betrachtungsweise führt dazu, dass nicht Frauen oder Männer zum Ausgangspunkt der Untersuchung gemacht werden, sondern das soziale Gefüge, in dem Frauen und Männer agieren.“5

Die vorliegende Untersuchung unterliegt daher auch nicht einer Betrachtung von Männern und Frauen als voneinander losgelöste Gruppen, vielmehr basiert sie auf einem Verständnis relational verbundener Akteur/innen, die in einem bestimmten sozialen Gefüge agieren. Insbesondere am Beispiel des wissenschaftlichen Feldes liegen verschiedene Untersuchungen vor, die der Analyse von Geschlecht innerhalb eines als relativ autonom gefassten sozialen Universums – in diesem Falle der Hochschule – gewidmet sind; zu diesen zählen u. a. Engler (2000), Krais (2000a, 2000b, 2000c) sowie Le Hir (2000).6 Auch zu kulturellen Feldern bestehen diverse Analysen, wobei die spezifischen Regeln der jeweiligen Subfelder sowie sich daraus ergebende Voraussetzungen einer geschlechtsbedingten Einnahme von Positionen hervorgehoben werden. Dies ist der Fall zum literarischen Feld (Hipsky [2000]), zum Feld der Musik (Buscatto [2007, 2010, 2013], Reitsamer [2011]) sowie zum Feld der Architektur (Fowler/Wilson [2004]). Um Geschlechterstrukturen auch vorliegend feldspezifisch analysieren zu können, werden im theoretischen Rahmen das Konzept der „männlichen Herrschaft“ sowie zentrale Ansätze der Theorie des künstlerischen Feldes vorgestellt. Entscheidend ist darüber hinaus die Herausarbeitung derjenigen Passus in der theoretischen Arbeit Pierre Bourdieus, in denen sich bereits eine Reflexion der Geschlechterdimension im Hinblick auf kulturelle und künstlerische Felder findet. Hinsichtlich der Methodik wie der Ergebnisse werden Untersuchungen zu anderen                                                                                                                                                                            

4 5 6

Vgl. Engler (2013), S. 253. Ebd., S. 256. Vgl. ebd., S. 254f.

 

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sozialen Mikrokosmen – dem wissenschaftlichen und ökonomischen Feld (Hermann [2004]) sowie zu den oben genannten Subfeldern des kulturellen Universums – einbezogen. Ein Überblick zu Bourdieus Auseinandersetzung mit der „männlichen Herrschaft“ und der sich daraus entwickelnden Perspektive für die Geschlechterforschung findet sich entsprechend in Kapitel 3.1. Entlang des Verständnisses von symbolischer Macht als zentrale Ungleichheit herstellende Institution in der Arbeit Bourdieus, wird diese in Kapitel 3.1.1 im Zusammenhang mit dem Konzept der Naturalisierung des Geschlechterverhältnisses vorgestellt. Dem Habitus (vor allem in seiner vergeschlechtlichten und vergeschlechtlichenden Form) widmet sich Kapitel 3.1.2 – inwiefern von Konstanz und Wandel des Geschlechterverhältnisses die Rede sein kann, ist Thema in Kapitel 3.1.3. Besondere Relevanz erlangt Kapitel 3.1.4, in diesem wird eine Erweiterung des Konzepts der männlichen Herrschaft geleistet, indem eine theoretische Übertragung in den sozialen Raum erfolgt. Dafür werden Bourdieus Bezugnahmen auf Merkmale von Geschlecht in weiteren Schriften – insbesondere „Sozialer Sinn“ und „Die feinen Unterschiede“ – herausgearbeitet, zusammengefasst und sodann zur männlichen Herrschaft aber auch zum gesellschaftlichen Raum in Beziehung gesetzt. Mittels der Integration von Ergebnissen weiterer Untersuchungen der Geschlechterforschung werden ferner völlig neue Aspekte einer im gesellschaftlichen Raum verankerten Geschlechterdimension offengelegt. Der nächste Schritt dient der Darlegung der Theorie des künstlerischen Feldes, um schließlich Aussagen zu Geschlechterstrukturen im sozialen Universum der Kunst und insbesondere dessen Spitzenfeld zu explizieren. Im Einzelnen finden sich Ausführungen zur Koexistenz der ökonomischen Logik und der reinen Kunst (Kapitel 3.2.1), zum Kapitalbegriff und der Bedeutung der verschiedenen Kapitalformen im künstlerischen Feld (Kapitel 3.2.2). In Kapitel 3.2.3 stehen die zentralen Begrifflichkeiten der Position wie Disposition sowie das soziale Altern im Mittelpunkt. Zentral erweisen sich sodann die feldspezifischen Überlegungen zu Geschlecht in Kapitel 3.2.4: Unter dem Titel „Die Geschlechterdimension im Kunstfeld“ wird ein Ansatz einer Gender-Kunstfeld-Theorie vorgelegt, basierend auf den zuvor präzisierten Elementen, deren Zusammenführung sowie Weiterentwicklung. Darüber hinaus findet sich eine Diskussion der von Bourdieu in „Die Regeln der Kunst“ sowie von Flaubert in „Die Erziehung des Herzens“ gebotenen – in der Forschung aber bislang kaum beachteten – weiblichen Dispositionen sowie deren Modellierung zu einem Analyseinstrumentarium von Geschlechterstrukturen im (zeitgenössischen) Kunstfeld. Somit wird ein theoretischer Rahmen als Grundlage der empirischen Untersuchung in Kapitel 4 vorgelegt, der neue Einsichten in die geschlechtliche Strukturierung des sozialen Universums der Kunst und dessen Spitzen erlauben soll.

3.1 D IE

MÄNNLICHE

H ERRSCHAFT

Macht- und Herrschaftsverhältnisse sowie soziale Ungleichheit stehen im Fokus der theoretischen wie empirischen Arbeit Pierre Bourdieus. Auch in „Die männliche Herrschaft“ – im Jahr 1998 in französischer Sprache und im Jahr 2005 in der deutschen Übersetzung erschienen – bilden ungleiche gesellschaftliche Bedingungen zwischen Männern und Frauen die zentralen Bezugspunkte der Auseinandersetzung.

 

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Dieses spezifische Machtverhältnis versteht Bourdieu als eines, das symbolischer Gewalt unterliegt; das Geschlechterverhältnis begreift er nicht nur als ein grundlegendes symbolisches Relationsprinzip, sondern auch als ein Herrschafts- und Differenzierungsprinzip, das in die reproduktiven Prozesse der Gesellschaftsordnung eingelassen ist. „Geschlecht“ ist demnach ein soziokulturelles Konstrukt, das in einer Dialektik subjektiver und objektiver Erscheinungen ein überaus stabiles Herrschaftsverhältnis konstituiert.7 Die männliche Herrschaft lässt sich laut Bourdieu im Anschluss daran als exemplarische oder auch paradigmatische Form „[…] eines ganz allgemeinen Modells von Herrschaft, das sich als symbolische Herrschaft bezeichnen lässt […]“ konstruieren.8 In der Vorrede des im französischen Original unter dem Titel „La domination masculine“ erschienenen Buches betont Bourdieu, die ganze Logik seiner Forschung habe ihn dazu veranlasst, sich diesem schwierigen Thema zu widmen. Er habe immer in der männlichen Herrschaft und der Art und Weise, wie sie aufgezwungen und erduldet wird, das Beispiel schlechthin für diese paradoxe Unterwerfung gesehen, die ein Effekt dessen ist, was er symbolische Gewalt nennt.9 Zugleich hatte er, wie in einem Gespräch mit Irene Dölling und Margarete Steinrücke formuliert, den Eindruck, dass die symbolische Herrschaft in der theoretischen Begründung der feministischen Kritik bislang keine Berücksichtigung fand. Ebendieser schreibt er aber das Potenzial zu, die fehlende systematische und kohärente theoretische Konstruktion zu bilden, die alle diese Ergebnisse der empirischen Forschung zu fundieren vermag.10 Ein ambitioniertes Vorhaben, das, wie an späterer Stelle ausgeführt, seitens der Geschlechterforschung auch starke Kritik hervorrief. Positive Stimmen wie Beate Krais und Gunter Gebauer betonen, dass Bourdieu mit der Vorlage dieses Werks zu den wenigen namhaften Soziolog/innen zählt, die in ihrer empirischen Arbeit berücksichtigen, dass soziale Akteur/innen als Frauen wie Männer existieren und das Geschlechterverhältnis als zentralen Gegenstand der Soziologie thematisieren.11 Eine Vorstellung des Ansatzes der männlichen Herrschaft erfolgt im Weiteren mittels des Verständnisses der Naturalisierung des Geschlechterverhältnisses wie der symbolischen Gewalt, des vergeschlechtlichten und vergeschlechtlichenden Habitus sowie der Persistenz und des Wandels der Geschlechterrelationen, um in einem weiteren Schritt eine Zusammenführung mit der Theorie des künstlerischen Feldes zu ermöglichen. Zur besseren Einordnung des Ansatzes erfolgt einführend eine Darlegung zur Rolle, die der geschlechtertheoretischen Auseinandersetzung in Bourdieus Arbeit insgesamt zukommt. Ferner steht die zu seinem Entwurf geführte Debatte vonseiten der Geschlechterforschung zur Diskussion. „La domination masculine“ ist die umfangreichste Auseinandersetzung des Soziologen mit der Disparität zwischen den Geschlechtern. Die Studie fußt auf dem bereits im Jahr 1990 erschienenen gleichnamigen Aufsatz, veröffentlicht in der von Bourdieu gegründeten Zeitschrift „Actes de la recherche en sciences sociales“. Entfaltet Bourdieu erst in diesen beiden Publikationen in den 1990er Jahren das analyti                                                                                                                                                                            

7 8 9 10 11

Vgl. Dölling (2004), S. 75; Dölling bezieht sich hier auf Bourdieu (1997b), S. 218. Vgl. ebd., S. 219. Vgl. ders (2005), S. 7f. Vgl. ders. (1997b), S. 218f. Vgl. Krais/Gebauer (2002), S. 8.

 

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sche Potenzial dieser spezifischen Form der symbolischen Herrschaft, ist letztere bereits in früheren Untersuchungen zugegen:12 Gemeinsam mit Jean-Claude Passeron verfasste er im Jahr 1964 die Studie „Le héritiers“, eine Auseinandersetzung mit dem Bildungserfolg von Jungen und Mädchen sowie den dafür entscheidenden Faktoren – eine Untersuchung von Geschlechterdifferenzen war anfänglich nicht vorgesehen.13 Erst im Forschungsverlauf erwies sich die Frage, ob die mit der Klassenzugehörigkeit und die mit dem Geschlecht verbundenen ungünstigen Faktoren im gleichen Sinn wirken als substanziell:14 Die soziale Herkunft führt demnach zu einer Eliminierung im Bildungszugang, das Geschlechtsmerkmal hingegen bewirkt vor allem eine Abdrängung in bestimmte Fächer und Fakultäten.15 In der im selben Jahr gemeinsam mit dem Soziologen Abdelmalek Sayad verfassten Studie „La déracinement. La crise de l´agriculture traditionnelle en Algérie“ erweist sich Geschlecht ebenfalls als ein für die Untersuchung bedeutendes und grundlegendes soziales Konstrukt und wird als zentrales Teilungsprinzip der kabylischen Gesellschaft herausgearbeitet.16 Hervorzuheben sind ferner die beiden meist als Hauptwerke Bourdieus bezeichneten Untersuchungen „La Distinction. Critique sociale du jugement“ (1979)17 und „Le Sens pratique“ (1980)18. In diesen erfolgt an verschiedenen Stellen eine Bezugnahme auf die Bedeutung von Geschlecht, dem Phänomen wird aber keine hervorgehobene oder eigenständige Relevanz zuerkannt. Es lässt sich vermuten, dass Bourdieu auch aufgrund der zu diesem Zeitpunkt noch geringen Legitimation der Geschlechterforschung, eine Auseinandersetzung in diesem Rahmen vernachlässigt und nicht für erforderlich hält. In Bezug auf „Die feinen Unterschiede“ begründet Bourdieu im Nachhinein die weitgehende Nichtbeachtung von Geschlecht mit der Problematik, dass es sich bei dem von ihm konstruierten sozialen Raum um einen öffentlichen und                                                                                                                                                                            

12 13 14 15

Siehe dazu auch Krais (2001a), S. 324. Die deutsche Übersetzung liegt seit 1971 vor, siehe dazu Bourdieu/Passeron (1971). Vgl. Bourdieu (1997b), S. 218. Bourdieu und Passeron weisen darauf hin, dass innerhalb der herkunftsbedingten ungleichen Verteilung der Bildungschancen Jungen und Mädchen nahezu gleichgestellt sind. Dabei zeigt sich eine leichte Benachteiligung der Mädchen in den unteren Klassen. Bei Führungskadern und mittleren Kadern verringert sich der Geschlechterunterschied oder gleicht sich ganz aus. Die Benachteiligung von Mädchen zeigt sich um so deutlicher, je niedriger ihre Herkunft ist. Von Bedeutung ist vor allem das Ergebnis, dass sich die Ungleichheit der Bildungschancen in der Einschränkung der Studienwahl zeigt – Mädchen gehen demnach (unabhängig von ihrer sozialen Herkunft) mit großer Wahrscheinlichkeit in die philosophische Fakultät, die Jungen in die naturwissenschaftliche. Hier wirken sich nach den Autoren die traditionellen Modelle der Arbeits- und Begabungsteilung zwischen den Geschlechtern aus. Zudem betonen sie, dass die Mehrzahl der Mädchen dazu „verurteilt“ sei, sich in der philosophischen wie naturwissenschaftlichen Fakultät auf einen Lehrberuf vorzubereiten (vgl. Baumgart [Hg.] [1997], S. 232 – 244). 16 Vgl. Bourdieu/Sayad (1964). 17 In der deutschen Übersetzung im Jahr 1982 unter dem Titel „Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft“ erschienen. 18 In der deutschen Übersetzung im Jahr 1987 unter dem Titel „Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft“ veröffentlicht.

 

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somit in erster Linie männlichen handelt. Der primäre und statistisch gesehen bedeutende Unterschied zwischen Männern und Frauen liegt demnach in der Wahrscheinlichkeit des Zugangs zum öffentlichen Raum, wobei der Zugang für Frauen weitgehend eingeschränkt ist:19 „Einer der statistisch gesehen bedeutenden Unterschiede ist die Wahrscheinlichkeit des Zugangs zum öffentlichen Raum, die Männer und Frauen radikal voneinander trennt. Ein gesellschaftliches Individuum, Mann oder Frau, ist durch die Wahrscheinlichkeit charakterisiert, im öffentlichen Raum zu sein, einen Beruf, eine sozial anerkannte Stellung zu haben usf. Hier liegt der primäre Unterschied zwischen den Männern und den Frauen. Und erst danach kann man sie durch die bedingte Wahrscheinlichkeit charakterisieren, sich im öffentlichen Raum oben oder unten zu befinden, und hier sieht man wieder, daß die Frauen systematisch unter den Männern stehen.“ 20

Auf diese grundlegende Diskussion wird an späterer Stelle vertiefend eingegangen. In „Sozialer Sinn“ spielt „Geschlecht“ in der Ausführung der kabylischen Gesellschaftsordnung insofern eine zentrale Rolle, als Bourdieu diese maßgeblich als eine auf der Geschlechterdivision aufbauende beschreibt. Dennoch schließt sich auch an dieser Stelle keine Diskussion an, die das Phänomen explizit im Kontext der Geschlechtertheorie behandelt. Erst viele Jahre später widmet sich der Soziologe dem Thema in „Die männliche Herrschaft“, wobei seine Ausführungen substanziell auf dem in „Sozialer Sinn“ entwickelten Geschlechtermodell der kabylischen Gesellschaft aufbauen.21 Die damit einsetzende veränderte Beachtung und Bedeutung von Geschlecht in der Arbeit Bourdieus seit den 1990er Jahren kann auch parallel zur zunehmenden Etablierung der Geschlechterforschung begriffen werden – eine Entwicklung vom Nischendasein im Rahmen der feministischen Forschung und Frauenforschung hin zu einem legitimen Bestandteil u. a. einer soziologisch orientierten Wissenschaft. Dabei trug Bourdieu, wie von Françoise Thébaud verdeutlicht, gerade in Frankreich durch das Einbringen seiner zentralen wissenschaftlichen Position für die Geschlechterforschung selbst zur Legitimierung dieses Wissenschaftsbereiches bei.22 Die geschlechtertheoretische Arbeit Bourdieus fand mehr oder minder schnell Eingang in die Geschlechterforschung, in der Rezeption seiner Arbeit ist der Diskurs präsent, spielt aber bis heute eine vergleichsweise nachrangige Rolle. Seitens der Geschlechterforschung wurde Bourdieu anfangs vor allem in Frankreich der Vorwurf entgegen gebracht, er ignoriere die wichtige und inzwischen umfangreiche von dieser wie der feministischen Forschung erbrachte Arbeit.23 Beate Krais berichtet noch im Jahr 2001 von einer Rezeptionssperre gegenüber Bourdieus Theorie in der Frauen-

                                                                                                                                                                           

19 20 21 22 23

Vgl. Bourdieu (1997b), S. 222. Ebd. Siehe dazu ders. (1987a). Vgl. Thébaud (2005), S. 238f. Siehe dazu bspw. Skeggs (2004), S. 21 sowie Thébaud (2005).

 

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und Geschlechterforschung, ähnlich dem „mainstream“ der deutschen Soziologie;24 ferner weisen Ulla Bock, Irene Dölling und Beate Krais im Jahr 2007 darauf hin, dass Rezensionen in einschlägigen deutschsprachigen Fachzeitschriften für Soziologie noch immer ausstehen.25 In der Vielzahl anhand Bourdieus geschlechtertheoretischem Ansatz entwickelter Untersuchungen in den vergangenen 15 Jahren zeigt sich ungleich obiger Einschätzungen aber auch dessen Akzeptanz und Bedeutung vor allem im deutsch- und englischsprachigen wie im französischsprachigen Raum. Bourdieus geschlechtertheoretischer Ansatz sowie weitere Bestandteile seiner Theorie – vordergründig die Feldtheorie und das Habituskonzept – werden häufig als überaus fruchtbar betont, wobei letzteres Konzept auch als Alternative zum Rollenmodell verhandelt wird. Fröhlich/Rehbein verweisen im Jahr 2009 sogar auf die erstaunlich gewichtige Rolle, die Bourdieu in der deutschen Geschlechterforschung zukommt, dabei betonen sie die kaum zu überschätzende Bedeutung von Beate Krais für dessen Rezeption. 26 Zu den Autor/innen im deutschsprachigen Diskurs, die Bourdieu konsequent als theoretischen Ansatz etablieren, bietet Steffani Engler (2010) eine umfangreiche Übersicht. Engler bezieht sich auf Wissenschaftler/innen, die sich in ihrer empirischen und theoretischen Arbeit zu Geschlechterverhältnissen oder zu konkreten Geschlechterarrangements in verschiedenen gesellschaftlichen Segmenten immer wieder auf Pierre Bourdieus soziologische Theorie stützen. Seit Mitte der 1980er Jahre finden sich demnach in diversen Arbeiten Versuche, Konzepte des Soziologen in die Geschlechteranalyse einzuführen und im Rahmen dieser zu nutzen.27 Dabei zeigt sich, dass die Untersuchungen teils spezifische Felder und Professionen in den Blick nehmen, etwa das Wissenschaftsfeld (Schlüter [1986], Engler [1988]) oder Ingenieurinnen (Janshen/ Rudolph [1987]); andere Ansätze führen eine Auseinandersetzung auf theoretischer Ebene u. a. Bock-Rosenthal (1990) und Engler/Friebertshäuser (1992).28 In den 1990er Jahren erlangen Beate Krais, Irene Dölling und Steffanie Engler verstärkt Präsenz in diesem Forschungsbereich. Sie zählen auch heute zu dessen Protagonistinnen im deutschsprachigen Raum – und darüber hinaus. Der Fokus liegt weiterhin auf dem Wissenschaftsfeld (Engler [1993], Hasenjürgen [1996]); ferner etabliert sich eine erweitere Perspektive, die sich beispielsweise in Analysen zu Arbeitertöchtern im Lehramt und im Arztberuf (Rohleder [1997]) oder auch vergeschlechtlichter Kochgewohnheiten (Frerichs/Steinrücke [1993]) äußert. In dieser Phase ist ein Anschluss an die Debatten zum Zusammenhang von Klasse und Geschlecht zu beobachten, was sich u. a. bei Frerichs (1997) zeigt.29 Axeli-Knapp bezeichnet diese noch immer aktuelle und grundlegende Auseinandersetzung in der Geschlechterforschung – auch in Bezug auf die Rezeption                                                                                                                                                                            

24 Vgl. Krais (2001a), S. 318. Dies verwundert umso mehr, als in der Frauen- und Geschlechterforschung ansonsten mit Hilfe eines breiten Spektrums unterschiedlicher theoretischer Ansätze versucht wird, sich Klarheit über ihren Gegenstand zu verschaffen (vgl. ebd). 25 Vgl. Bock/Dölling/Krais (2007), S. 8. 26 Vgl. Fröhlich/Rehbein (2009b), S. 385. 27 Vgl. Engler (2010). 28 Vgl. ebd. 29 Vgl. ebd.

 

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Bourdieus – als „liegengebliebene theoretische Baustelle“.30 Das Feld der Wissenschaft erweist sich auch nach der Jahrtausendwende als zentraler Untersuchungsraum in dieser Diskussion, wie beispielsweise bei Zimmermann (2000), Engler (2001) und Beaufaÿs (2003) deutlich wird. Zudem bleiben die Auseinandersetzungen zur Verschränkung von Klasse und Geschlecht wesentlich (Frerichs [2000], Vester/ Gardemin [2001]). Den Diskurs forciert auf theoretischer Ebene nach wie vor Beate Krais – die in diesem Zusammenhang auch international große Aufmerksamkeit erlangt.31 Sie betrachtet die Auseinandersetzung mit Bourdieu insbesondere als hilfreich, um die Missverhältnisse zwischen einer die Ergebnisse der Frauen- und Geschlechterforschung ignorierenden Mainstream-Soziologie und einer Geschlechtersoziologie, die immer noch eine marginalisierte Position im Wissenschaftsfeld einnimmt, zu überwinden.32 Im englischsprachigen Diskurs gaben Lisa Adkins und Beverly Skeggs im Jahr 2004 den Band „Feminism after Bourdieu“ heraus. Dieser leistet einen Überblick zu den mittels der Theorie Pierre Bourdieus in diesem Feld diskutierten Themen wie „Klasse und Geschlecht“, symbolische Gewalt sowie die Habitustheorie und verdeutlicht die über die Grenzen nationaler Wissenschaftsfelder der Geschlechterforschung hinausgehende Diskussion. Neben Adkins und Skeggs treten in dem Band u. a. Terry Lovell, Angela McRobbie, Bridget Fowler, Lois McNay sowie Anne Witz als Protagonistinnen der Debatte hervor. Deutlich wird in zahlreichen Verweisen zudem die Bedeutung der Arbeiten von Toril Moi (1991/1999) and Janet Wolff (1999), die die Ressourcen Bourdieus insbesondere in Bezug auf Geschlechterdynamiken in Feldern kultureller Produktion aufzeigten. 33 Skeggs differenziert zwischen denjenigen Wissenschaftler/innen, die mit Bourdieus Arbeiten sehr eng verwoben sind und seine Theorien weiterentwickeln – u. a. McNay und Fowler – und einer Gruppe, in der die Reformulierung der Theorien sowie ein eher eklektischer Gebrauch zentral ist.34 Marie-Pierre Le Hir, die insbesondere zum Wissenschaftsfeld forscht, hebt in ihren Arbeiten die Stärke der Praxistheorie Bourdieus hervor, den Antagonismus von Subjektivismus und Objektivismus überwinden zu können, wobei der Möglichkeit in Begrifflichkeiten wie Feld und Habitus zu denken, eine herausragende Rolle zukommt.35 Zur sehr kritisch geführten Diskussion um „La domination masculine“ in Frankreich in den Jahren nach der Veröffentlichung des gleichnamigen Buches findet sich ein sehr umfassender und aufschlussreicher Text von Françoise Thébaud (2005). Bourdieus geschlechtertheoretischem Entwurf kommt in dem starken soziologischen Diskurs zur Bedeutung von Geschlecht in künstlerischen Professionen in Frankreich (wie in Kapitel 2.1 ausgeführt) eine relativ nachrangige Rolle                                                                                                                                                                            

30 Vgl. Knapp (2005), S. 72. 31 Vgl. ebd. 32 Vgl. Krais (2001a). Auch Michael Meuser kommt in diesem Zusammenhang eine hervorzuhebende Position zu. Da er sich insbesondere im Bereich der Maskulinitätsforschung bewegt, die im Kontext der vorliegenden Untersuchung weniger zentral ist, werden die Arbeiten an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt. 33 Vgl. Adkins (2004), S. 5. 34 Vgl. Skeggs (2004), S. 20. 35 Vgl. Le Hir (2000), S. 130f.

 

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zu.36 Verweise auf die „Die Regeln der Kunst“, „Die feinen Unterschiede“, „Sozialer Sinn“ und andere bedeutende Werke Bourdieus finden sich zwar in den meisten dieser Arbeiten, von einer Bezugnahme auf „La domination masculine“ sehen die Autorinnen aber weitgehend ab. Die Hervorhebung der Bedeutung von Bourdieus Theorie in Bezug auf die Legitimierung der Geschlechterforschung im Wissenschaftsfeld,37 geht so mit einer Zurückhaltung in der Anwendung und Kritik seines Ansatzes der männlichen Herrschaft einher. Wie Thébaud illustriert, bezieht sich die Kritik vonseiten der Geschlechterforschung wie feministischen Wissenschaften in Frankreich maßgeblich auf die „Laxheit“ im Umgang mit Arbeiten früherer Wissenschaftlerinnen. Die Hervorhebung amerikanischer Texte stößt ferner auf die Kritik, die französische Debatte noch unsichtbarer zu machen.38 Vor dem Hintergrund der aufgezeigten Diskussionen und Debatten um die Bedeutung von „Die männliche Herrschaft“ im deutsch-, englisch-, wie französischsprachigen Raum nimmt der geschlechtertheoretische Entwurf Bourdieus in der vorliegenden Untersuchung eine zentrale Stellung ein. Er wird aber auch hier nicht als ausschließlicher Bezugspunkt verstanden, sondern als ein Ansatz, der gerade im Zusammendenken mit weiteren theoretischen wie empirischen Arbeiten seine Schlagkraft entwickelt. In der Zusammenführung mit „Sozialer Sinn“, „Die Regeln der Kunst“ sowie Auszügen aus anderen Werken Bourdieus und mittels der Integration von Ergebnissen weiterer Wissenschaftler/innen, dient dieses Vorgehen dazu, Akteur/innen des gesellschaftlichen Raums als relationale zu verstehen, die einem nach Geschlecht differenzierendem Machtverhältnis unterliegen. Dieses Herrschaftsverhältnis muss dabei einerseits in Bezug auf spezifische professionelle Felder, damit aber auch in Relation zur gesamten sozialen Sphäre verstanden werden. 3.1.1 Naturalisierung des Geschlechterverhältnisses und symbolische Macht Bourdieu legt seinem geschlechtertheoretischen Ansatz eine Analyse des androzentrischen Unbewussten in der Gesellschaft der Berber in der Kabylei zugrunde. Die Tradition und Gesellschaft der Kabylen, die schon in seinen frühen Studien zentral sind, in den Fokus dieser Untersuchung zu stellen, ergibt sich für ihn vor allem unter dem Gesichtspunkt, dass die kulturelle Tradition, die sich dort behauptet, eine paradigmatische Realisation der mediterranen Tradition darstellt.39 Letztere ist, so                                                                                                                                                                            

36 Marie Buscatto beispielsweise, die eine Vielzahl an Publikationen zu Kunst und Geschlecht aus soziologischer Perspektive verfasst hat und als eine der Expert/innen auf diesem Gebiet zählt, bezieht sich kaum auf Pierre Bourdieu. In ihrer ethnologischen Herangehensweise findet sie eine sehr viel stärkere Anbindung an Howard Becker, der auch das Vorwort zu ihrem Buch „Femmes du jazz: Musicalités, féminités, marginalités“ schrieb (vgl. Buscatto [2007]). 37 Vgl. Thébaud (2005). 38 Vgl. ebd., S. 239f. 39 Dies belegen laut Bourdieu ethnologische Studien zu Ehre und Scham in unterschiedlichen mediterranen Gesellschaften u. a. bei Peristiany (1974) oder Pitt-Rivers (1963) (vgl. Bourdieu [2005a], S. 15).

 

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Bourdieu, auch heute noch lebendig, wenn auch nur unvollständig und unzusammenhängend – zudem partizipiert die gesamte europäische Kultur an dieser Tradition.40 In der methodischen Anwendung einer ethnografischen Analyse der objektiven Strukturen und kognitiven Formen – Bourdieu bezeichnet dies auch als eine „Sozioanalyse des androzentrischen Unbewussten“ – erscheint ihm eine Objektivierung der Kategorien des Unbewussten als möglich. Ein Vorgehen, das Bourdieu, wie im folgenden Zitat deutlich wird, als substanziell erachtet:41 „Da wir, Männer wie Frauen, Teil des Gegenstandsbereiches sind, den wir zu erfassen suchen, haben wir in Form unbewußter Wahrnehmungs- und Bewertungsschemata die historischen Strukturen der männlichen Ordnung verinnerlicht. Wir laufen daher Gefahr, daß wir zur Erklärung der männlichen Herrschaft auf Denkweisen zurückgreifen, die selbst Produkt dieser Herrschaft sind.“42

Ein Anliegen Bourdieus in „La domination masculine“ ist es, „Verstandeskategorien“ zu untersuchen, mit deren Hilfe die Welt konstruiert wird. Zur Veranschaulichung dieses Ansatzes bedient er sich eines synoptischen Schemas, das die kabylische Gesellschaft als ein System homologer Gegensätze vermittelt, in das Dinge und Aktivitäten nach dem Gegensatz von männlich und weiblich eingegliedert werden.43 Diese Gegensatzpaaren wie hoch/tief, oben/unten, vorne/hinten, rechts/links, trocken/feucht, hart/weich etc. basieren nach Bourdieu auf einer willkürlichen Einteilung – allerdings erlangt diese objektive und subjektive Notwendigkeit.44 Es handelt sich um Denkschemata, die Unterschiede und Unterscheidungsmerkmale (z.B. in körperlicher Hinsicht) als Naturunterschiede registrieren, letztlich aber selbst zu deren Existenz beitragen und sie „naturalisieren“, „[…] indem sie sie in ein System scheinbar ebenso natürlicher Unterschiede einordnen.“45 Als Effekt werden die von diesen Denkschemata erzeugten Erwartungen „durch den Lauf der Welt“ und insbesondere durch biologische und kosmische Zyklen immer wieder bestätigt. Das den Denkschemata zugrunde liegende gesellschaftliche Herrschaftsverhältnis tritt durch diese Verkehrung von Ursache und Wirkung nicht ins Bewusstsein. Akteurinnen und Akteuren scheint es vielmehr so, als handele es sich um ein von Machtverhältnissen freies System von Sinnbeziehungen: „Insofern die von ihm [dem mythisch rituellen System] nahegelegten Auffassungs- und Einteilungsprinzipien objektiv an schon bestehende Einteilungen angepasst sind, bestätigt es die be-

                                                                                                                                                                           

40 Dies zeigt u. a. ein Vergleich der in der Kabylei beobachteten Rituale mit den Dokumentationen der Rituale im Frankreich des frühen 20. Jahrhunderts van Genneps (1937 – 1958) (vgl. Bourdieu [2005a], S. 15f.). 41 Vgl. ebd., S. 14ff. 42 Ebd., S. 14. 43 Siehe dazu ebd., S. 97. 44 Vgl. ebd., S. 18. 45 Ebd., S. 19.

 

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stehende Ordnung dadurch, daß es ihr ein offizielles, allgemein bekanntes und anerkanntes Dasein verleiht.“46

Somit entsteht eine gesellschaftlich konstruierte Einteilung der Geschlechter, die scheinbar natürlich ist. Es wird eine Beziehung zur Welt ermöglicht, die – so Bourdieu – Edmund Husserl als „natürliche Einstellung“ oder auch „doxische Erfahrung“ bezeichnete und kein Benennen der sozialen Möglichkeitsbedingungen erfordert. Diese Erfahrung, die die soziale Welt und ihre willkürliche Einteilung als natürlich und evident auffasst, schließt die „[…] vollkommene Anerkennung von deren Legitimität ein.“47 Zudem zeigt sich die Macht dieser Ordnung „[…] an dem Umstand, dass sie der Rechtfertigung nicht bedarf: Die androzentrische Sicht zwingt sich als neutral auf und muß sich nicht in legitimatorischen Diskursen artikulieren.“ 48 Bourdieu verweist auf eine „gigantische symbolische Maschine“, die zur Ratifizierung der männlichen Herrschaft dient, auf der sie gründet. Als Beispiele nennt er die geschlechtliche Arbeitsteilung (strikte Zuweisung der Tätigkeiten nach Ort, Zeit und Mitteln), die Struktur des Raums (Versammlungsort und Markt vs. Haus) sowie die Struktur der Zeit (Tag, Agrarjahr, Lebenszyklus). Bereits im Jahr 1980 führt er in „Le Sens pratique“ eine ausführliche Analyse des mythisch-rituellen Systems in der Gesellschaft der Berber in der Kabylei an, auf das er Jahre später in „La domination masculine“ zurückgreift. 49 Die Weltsicht der kabylischen Tradition fußt demnach auf einem grundlegenden Teilungsprinzip, nach dem alle Dinge dieser Welt in zwei komplementäre Klassen eingeteilt werden. Eine Ordnung einzuführen, so Bourdieu, heißt eine Unterscheidung anzubringen, die auch die Unterteilung in entgegengesetzte Wesenheiten beinhaltet. Durch eine willkürliche Setzung werden Grenzen gesetzt, die den Unterschied und die unterschiedlichen Dinge hervortreten lassen. Dabei handelt es sich um einen Akt, der kollektiven Glauben – das Nichtwissen um seine eigene Beliebigkeit – voraussetzt und hervorbringt. 50 Die Grenze zwischen den Geschlechtern bezeichnet Bourdieu als „die Grenze überhaupt“, die nicht überschritten werden darf. Auf Zuwiderhandlungen folgen Ausschlussrituale – Zuwiderhandelnde werden als Neutrum, Zwitter oder Geschlechtslose betrachtet.51 Diese in der kabyli                                                                                                                                                                            

46 Bourdieu (2005a), S. 19. Bourdieu vergleicht dieses mythisch-rituelle System in seiner Rolle auch mit der des juristischen Feldes in stärker differenzierten Gesellschaften (vgl. ebd.). 47 Vgl. ebd., S. 20 48 Ebd., S. 21. 49 Siehe dazu ders. (1987a), S. 369 – 489, insbesondere zur Einteilung des Agrarjahres (vgl. ebd., S. 390 – 439), zur Einteilung des Tages (vgl. ebd., S. 441 – 450) und zur Struktur des Binnenraums des Hauses (vgl. ebd., S. 486 – 489). 50 Vgl. ebd., S. 369f. 51 Vgl. ebd., S. 371ff ; zu Beispielen und ausführlichen Beschreibungen dieser Rituale siehe ebd. Dass diese Form der „Verweiblichung“ als Diffamierungsstrategie nicht nur in der kabylischen Gesellschaft existiert, zeigt Franziska Schößler in dem Band „Gender Studies“. Schößler bezieht sich u. a. auf die frauenfeindliche Studie von Otto Weininger „Geschlecht und Charakter“ aus dem Jahr 1903 und legt dar, dass um das Jahr 1900 (aber auch danach) die Verweiblichung als überaus wirksame Form der Stigmatisierung oder Effeminierung  

 

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schen Lebenswelt existente Geschlechtergrenze spiegelt sich in körperlicher Hinsicht, in der häuslichen Umwelt, in der räumlichen Aufteilung, in der gesamten sozialen Welt und in der Natur wider. In dieser Präsenz fungieren die Einteilungen der Geschlechter als systematische Schemata der Wahrnehmung, des Denkens und Handelns.52 Die männliche Soziodizee zieht folglich ihre Kraft aus zwei gleichzeitig vollzogenen und verdichteten Operationen:53 „[…] sie legitimiert ein Herrschaftsverhältnis, indem sie es einer biologischen Natur einprägt, die selbst eine naturalisierte gesellschaftliche Konstruktion ist.“54 Nach Bourdieu handelt es sich um eine symbolische Konstruktionsarbeit, die sich nicht auf eine rein performative Operation reduzieren lässt. Körper (wie Geist) werden tiefgreifenden und dauerhaften Transformationen unterzogen, die eine differenzierende Definition der legitimen (vor allem sexuellen) Gebrauchsweisen des Körpers aufzwingen. Als Resultat entstehen zwei Artefakte, der männliche Mann und die weibliche Frau – jegliche Zugehörigkeit zum anderen Geschlecht wird so aus dem Bereich des Denkbaren und Machbaren ausgeschlossen:55 „Nur durch eine Somatisierung der gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse nimmt der willkürliche nomos, der die beiden Klassen zu etwas Objektivem macht, die Gestalt eines Naturgesetzes an […].“ [Herv. im Orig.]56 Die unterschiedlichen Identitäten verkörpern sich auf diese Weise durch die kollektive Sozialisationsarbeit in – nach dem herrschenden Einteilungsprinzip – klar unterscheidbaren Habitus. Beide Geschlechter existieren nur in Relation zum jeweils anderen.57 Die symbolische Gewalt sowie die symbolische Herrschaft, als weitere wesentliche Elemente Bourdieus geschlechtertheoretischen Ansatzes, bilden die Basis auf der die                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    

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von Männern anderer Ethnien gehandhabt wurde, gleichfalls bei Afroamerikanern, Afrikanern, Chinesen oder Juden. Durch diese Verweiblichung wurden sie aus dem Raum weißer Männlichkeit ausgeschlossen und dieser untergeordnet (vgl. Schößler [2008], S. 42). Vgl. Bourdieu (2005a), S. 17ff. Das von Bourdieu angeführte synoptische Schema beinhaltet die Struktur der Zeit, des Tages, des Agrarjahres sowie des Lebenszyklus, unterteilt in männlich und weiblich (vgl. ebd., S. 21f.). Es handelt sich um eine grafische Konstruktion, die dazu dient, einen Überblick über die Gesamtheit der Praktiken zu schaffen, die das Erzeugungsmuster reproduzieren sollen (vgl. ders. [1987a], S. 557). Gegensatzpaare sind bspw. innen/außen, unten/oben, feucht/trocken, Winter/Sommer. „Innen“ ist der Frau zugeordnet und umfasst vornehmlich Orte innerhalb des Hauses, z.B. die Küche und den Stall sowie Tätigkeiten, die im Innenraum des Hauses erfolgen, wie die Pflege und Erziehung der Kinder, die Versorgung der Tiere, das Sauberhalten des Hauses oder das Weben. „Außen“ dagegen stellt den Bereich der Männer dar – es umfasst Arbeiten, die vornehmlich im Außenraum stattfinden, wie die Herde ausführen, auf den Markt gehen, das Feld bearbeiten, an Versammlungen teilnehmen, etc. (vgl. insbesondere ebd., S. 381; weitere Ausführungen und Beispiele finden sich in ebd., S. 369 – 489 und S. 391ff. sowie ders. [2005a], S. 36ff.). Vgl. ebd., S. 44. Ebd., S. 44f. Vgl. ebd., S. 45. Ebd. Vgl. ebd., S. 45f.

 

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Differenz zwischen den Geschlechtern aufbaut. In „Die männliche Herrschaft“ weist Bourdieu darauf hin, dass er das Adjektiv „symbolisch“ in einem strengen Sinn verwendet; die theoretischen Grundlagen hierzu verfasste er bereits im Jahr 1977 in dem Text „Sur le pouvoir symbolique“.58 Besonders relevant ist für Pierre Bourdieu ein Verständnis des „Symbolischen“, aus dem keine Betonung der „symbolischen Gewalt“ resultiert und somit eine Verharmlosung der Rolle physischer Gewalt einhergeht. Die Tatsache, dass Frauen mit körperlicher Gewalt und Ausbeutung konfrontiert sind, möchte er durch seinen Ansatz der symbolischen Gewalt nicht „vergessen (machen)“. „Symbolisch“ wird vielfach im Gegensatz zu „real“ und „effektiv“ begriffen, woraus häufig der Schluss entsteht, es handele sich bei der „symbolischen Gewalt“ um eine rein „geistige“ Gewalt, ohne reale Auswirkungen. Bourdieu begreift dieses Verständnis als eine naive Unterscheidung eines schlichten Materialismus. Durch die materialistische Theorie der Ökonomie der symbolischen Güter möchte er diesem den Boden entziehen, indem er der Objektivität der subjektiven Erfahrung der Herrschaftsverhältnisse ihren Platz in der Theorie einräumt.59 Das Konzept der symbolischen Macht, das Bourdieu in „La domination masculine“ anwendet, stellt, wie hier verdeutlicht, einen grundlegenden Bestandteil seiner theoretischen Arbeit dar und nimmt in seiner herrschaftsanalytischen Soziologie insgesamt eine Schlüsselstellung ein.60 Er entwickelte das Konzept bereits in seinen frühen Arbeiten, so widmete er sich in Untersuchungen zur Gesellschaft der Berber in der Kabylei den symbolischen Formen der Ehre, die der Heiratspolitik der Berber ebenso zugrunde lag wie den vorkapitalistischen Wirtschaftsprinzipien in der Kabylei.61 In seiner Ethnografie dieser Gesellschaft stellte Bourdieu bereits heraus, wie in rituellen Praktiken, mythischen Diskursen, Redensarten und Sprichwörtern, Rätseln, grafischen Darstellungen, räumlichen und zeitlichen Strukturen sowie durch Körpertechniken, Haltungen und Verhaltensweisen symbolische Gewalt ausgeübt wird,62 auch zwischen den Geschlechtern. Der Terminus „symbolische Gewalt“ bildet dabei einen Widerspruch in sich selbst – etwa in der Lenkung der Aufmerksamkeit auf alltägliche, durch die Kraft des Symbolischen ausgeübte „gewaltlose“ Formen von Gewalt. In „Die männliche Herrschaft“ bezeichnet Bourdieu diese auch als eine „sanfte“ Gewalt: „Es ist jene sanfte für ihre Opfer unmerkliche, unsichtbare Gewalt, die im wesentlichen über rein symbolische Wege der Kommunikation und des Erkennens, oder genauer des Verkennens, des Anerkennens oder, äußerstenfalls, des Gefühls ausgeübt wird. Diese soziale Beziehung, die so außerordentlich gewöhnlich ist, bietet daher eine besonders günstige Gelegenheit, die Logik einer Herrschaft zu erfassen, die im Namen eines symbolischen Prinzips ausgeübt wird, das der Herrschende wie der Beherrschte kennen und anerkennen.“63                                                                                                                                                                            

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Vgl. Bourdieu (2005a), S. 64. Bourdieu nimmt hier Bezug auf ders. (1977). Vgl. ders. (2005a), S. 64f. Vgl. Schmitt (2009), S. 231. Vgl. Neckel (2002), S. 31. Vgl. Schmitt (2009), S. 234. Bourdieu (2005a), S. 8.

 

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Mit diesem Konzept der symbolischen Gewalt entwirft Bourdieu auch eine Antwort auf die Frage, weshalb Differenzen in den Existenzbedingungen von denen, die diesen Unterschieden unterliegen, oft als akzeptabel, natürlich und selbstverständlich verstanden werden. Die Hinnahme führt er weder auf die Wirksamkeit von Propaganda noch auf physischen Zwang zurück, sondern mit der durch symbolische Wirkungen erpressten Beteiligung der Beherrschten an der über sie ausgeübten Herrschaft. Eng verwandte Konzepte der symbolischen Gewalt stellen die „symbolische Macht“ und „symbolische Herrschaft“ dar, wobei erstere die Möglichkeit zur Ausübung symbolischer Gewalt bezeichnet und letztere die Verstetigung dieser Möglichkeit.64 Hinsichtlich einer mangelnden Systematisierung erfährt Bourdieus Konzept der symbolischen Gewalt allerdings von Lothar Peter auch Kritik. Demnach unterscheidet Bourdieu nicht systematisch zwischen Gewalt, Macht und Herrschaft und es fehlt an konsequenten Definitionen ebendieser Begriffe sowie des Symbolischen.65 Ferner blieben laut Peter Vergleiche zwischen den Konzepten struktureller Gewalt und Ideologiekritik oder Verknüpfungen von symbolischer Gewalt zu anderen gesellschaftlichen Formen von Gewalt in Bourdieus Ausführungen aus.66 Bourdieus Konzept verwirft Peter dennoch nicht, vielmehr hält er es für das Erkennen und die wissenschaftliche Analyse gegenwärtiger subtiler Herrschaftsverhältnisse für überaus brauchbar. Er zielt daher vor allem auf eine Verbesserung des Konzepts und auf eine Präzisierung der Begriffe wie Herrschaft, Macht und Gewalt.67 Für den Herrschaftsbegriff schlägt er die folgende Formulierung vor, wonach es sich um ein gesellschaftliches Verhältnis handelt, „[…] in dem und durch das bestimmte individuelle und korporative Akteure aufgrund ihrer Verfügung über Ressourcen Herrschaft über andere Akteure ausüben können, die über diese Ressourcen nicht verfügen und/oder von einer Teilhabe an ihnen ausgeschlossen sind oder werden sollen. Im Gegensatz zu Max Weber wird hier Herrschaft als ein gesellschaftliches in-

                                                                                                                                                                           

64 Vgl. Schmitt (2009), S. 231. 65 Vgl. Peter (2011). Kritik an einer unzureichenden Definition grundlegender Begrifflichkeiten im Werk Bourdieus findet sich auch bei Fröhlich/Rehbein/Schneickert (vgl. Fröhlich/ Rehbein/Schneickert [2009], S. 403). Bourdieu selbst trat einer solchen Kritik der mangelnden Kohärenz und Korrespondenz jedoch mit Beteuerungen einer konstruktivistischen Wissenschaftstheorie entgegen. Demnach bemühte er sich „Hinweise auf eine inkonsistente und unpräzise Verwendung von Begriffen durch die Forderung nach Offenheit und Kontextualität auszuhebeln.“ (Ebd.). Dieser Kritik an der mangelnden Bestimmtheit der Begriffe bei Bourdieu liegt gemäß diesen Autoren oftmals auch die Feststellung zugrunde, „er verschleiere mit unscharfen oder überladenen Begriffen lediglich altbekannte Weisheiten.“ (Ebd.). Fröhlich/Rehbein/Schneikert verweisen nichtsdestotrotz darauf, dass solche, als schwache Einzelkonzepte definierte, innerhalb größerer Argumentationslinien auch eine beachtliche Schärfe zukommen kann und sie damit als Stärke der bourdieuschen Gesamttheorie ausgelegt werden können (vgl. ebd.). 66 Vgl. Moebius (2011), S. 65. 67 Vgl. Peter (2011), S. 12f.

 

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stitutionalisiertes Über- und Unterordnungsverhältnis gefasst, das auf ungleicher Ressourcenverteilung und -verfügung innerhalb der Gesellschaft beruht.“68

Als Ressourcen werden dabei auch die spezifischen Verfügbarkeiten über die unterschiedlichen Kapitalformen anerkannt.69 Des Weiteren kann „Macht“ nach Peter als das Vermögen von Akteuren und Institutionen bezeichnet werden, „Ressourcen zu mobilisieren und einzusetzen, um eigene, mit anderen Akteuren und Institutionen konkurrierende oder zu ihnen und anderen Lebewesen in Widerspruch stehende Ansprüche, Interessen und Ziele durchzusetzen.“70 Bezieht sich Macht demnach auch auf das Vermögen, auf diese Ressourcen zurückzugreifen, ist Gewalt nach Peter der „Modus“, „[…] durch den und in dem sich Macht konkret realisiert. Dieser Modus beinhaltet, dass Menschen und anderen Lebewesen etwas aufgezwungen wird, was sie entweder nicht wollen, weil es ihre Lebensbedingungen und -möglichkeiten einschränkt, oder was sie nur deshalb akzeptieren, weil sie die Funktion von Gewalt, Herrschaft auszuüben, Macht zu exekutieren und damit Lebensbedingungen und -möglichkeiten zu reduzieren, zu beschädigen und zu zerstören, nicht erkennen, sich über diese Funktion täuschen und sie als natürlich und legitim mystifizieren.“71

Das Konzept der symbolischen Gewalt zielt bei Bourdieu letztlich auf die Berücksichtigung der Beteiligung der Beherrschten an ihrer Beherrschung. Dabei versteht er diese Mitwirkung als ein aktives, aber nicht als ein bewusstes oder willentliches Einverständnis. Vielmehr gründet diese Form der Beteiligung auf einem körperlich verankerten Glauben. Sie stützt sich auf die realen Wirkungen und Kräfte des Symbolischen und vollzieht sich als unwillkürliche, praktische Verkennung und Anerkennung. Den Kern der symbolischen Gewalt bildet ein sozialer Wirkungszusammenhang, der sich in die Momente der Naturalisierung und Legitimierung sowie der Anerkennung und Verkennung aufgliedern lässt. Damit Macht auf Dauer bestehen kann, muss sie „die Willkür, die ihr zugrunde liegt, unkenntlich machen und sich […] als legitim anerkennen lassen.“72 Der symbolischen Gewalt unterliegt ein soziales Gewaltverhältnis, bei dem Beherrschte und Herrschende in einer Machtbeziehung stehen. Dabei werden nicht nur die Beherrschten, sondern auch die Herrschenden von ihrer Herrschaft beherrscht. Die Mitwirkung der Beherrschten an der über sie ausgeübten Domination liegt darin begründet, dass sie zur Selbstwahrnehmung, zur Wahrnehmung und praktischen Erkenntnis der sozialen Welt nur über Schemata verfügen und verfügen können, die den herrschenden Klassifizierungen und Bewertungen entsprechen. Erkenntnisakte der Dominierten werden dadurch auch zu Verkennungsund Unterwerfungsakten:73                                                                                                                                                                            

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Peter (2011), S. 12f. Vgl. ebd. Ebd., S. 13. Ebd., S. 14. Vgl. Bourdieu (2004), S. 322. Vgl. ders. (2005a), S. 27f., siehe dazu auch Schmitt (2009), S. 232f.

 

84 | K UNST UND G ENDER „So nimmt z. B. ein Beherrschter jedes Mal, wenn er, um sich zu beurteilen, eine der für die herrschende Einteilung konstitutiven Kategorien (wie brillant/ernsthaft, distinguiert/vulgär, einmalig/gewöhnlich) verwendet, in Bezug auf sich selbst, ohne es zu wissen, den herrschenden Standpunkt ein und übernimmt damit in gewissem Sinne für die Selbstbewertung die Logik des negativen Vorurteils.“74

Da die Kategorien und Bewertungsschemata nach Bourdieu im Habitus verkörpert sind, fungiert dieser auch als: „[…] vis insita, die potentielle Energie, die schlafende Kraft, aus der die symbolische Gewalt […] ihre geheimnisvolle Wirksamkeit bezieht“.75 Bourdieu spricht im Zusammenhang mit Geschlecht daher auch von einem vergeschlechtlichten und vergeschlechtlichenden Habitus. Dieser wird im folgenden Kapitel vorgestellt und diskutiert. 3.1.2 Vergeschlechtlichter und vergeschlechtlichender Habitus Der Habitus ist das „Körper gewordene Soziale“, in diesen gehen laut Bourdieu die Denk- und Sichtweisen, die Wahrnehmungsschemata sowie die Prinzipien des Urteilens und Bewertens ein, die in einer Gesellschaft bestehen.76 Es handelt sich um kulturelle Ordnungen, die unser Handeln und unsere sprachlichen wie praktischen Äußerungen strukturieren; der Soziologe bezeichnet sie als generierendes Prinzip, als Operator oder modus operandi, die jene regelhaften Improvisationen – die gesellschaftliche Praxis – hervorbringen.77 Der Operator ist Produkt der Geschichte eines Individuums, in welchem die Vergangenheit in der Gegenwart fortbesteht. Die Konstruktion von Ordnungen erfolgt in der sozialen Praxis, sie ist keine rein geistige Operation, die nur im Denken von Subjekten anzusiedeln ist.78 In „Sozialer Sinn“ zeigt Bourdieu, dass die Regelhaftigkeit der Gesellschaft und der sozialen Subjekte im körperlichen Handeln entsteht. Den praktischen Sinn, unter dem er die mit dem Habitus gegebene Fähigkeit versteht, Handlungsweisen zu erzeugen, die mit den sozialen Ordnungen übereinstimmen, charakterisiert Bourdieu als, „[…] in motorische Schemata und automatische Körperreaktionen verwandelte gesellschaftliche Notwendigkeit.“79 Somit ist der Körper als Speicher von sozialen Erfahrungen ein wesentlicher Bestandteil des Habitus.80 Auch in „Die männliche Herrschaft“ setzt sich Bourdieu mit der Einlagerung des Sozialen im Körper auseinander und führt die dominante männliche Position u. a. auf die „Somatisierung gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse“ zurück. 81 Laut Bourdieu bestimmt die soziale Konstruktion des Geschlechterverhältnisses über den                                                                                                                                                                            

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Bourdieu (1997a), S. 165. Ders. (2001b), S. 216. Vgl. ders./Wacquant (1996), S. 161. Vgl. Krais (2001a), S. 321. Vgl. ebd. Bourdieu (1987a), S. 127. „Sozialer Sinn“ ist im franz. Original als „Le Sens pratique“ erschienen, woraus sich die Bezeichnung des „praktischen Sinns“ ableiten lässt. 80 Vgl. Krais (2001a), S. 322. 81 Vgl. Bourdieu (2005a), S. 45.

 

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Habitus die Körpervorstellung und das Körperleben. Eine Unterscheidung von Geist und Körper (z.B. auch in sex und gender) besteht, wie es Beate Krais darlegt, im Habitus-Konzept nicht. Soziale Subjekte werden hier vielmehr als „mit einem Körper ausgestattete Menschen“, die nicht reine „Geisteswesen“ sind, verstanden. 82 Der Körper ist bei Bourdieu somit konstitutiver Bestandteil des handelnden Menschen und der sozialen Welt, womit sich der Ansatz von dem in der Geschlechterforschung prominenten Konzept der sozialen Rolle unterscheidet.83 Sowohl im Habituskonzept als auch in dem Konzept der sozialen Rolle besteht der Versuch soziales Handeln von Subjekten erklärbar und prognostizierbar zu machen; in beiden wissenschaftlichen Konstrukten stellt sich die Frage, wie Menschen als soziales, als vergesellschaftlichtes Subjekt gedacht werden können. Dennoch lassen sich die beiden Ansätze nach Krais insofern unterscheiden, als die soziale Rolle verstanden wird, als ein dem Subjekt von außen „angesonnenes Bündel von Verhaltenserwartungen“, die als Erwartungen, wie auch Werte und Normen, im Medium des „reinen Geistes“ verbleiben.84 Bourdieu hingegen begreift den Habitus als Bestandteil eines „lebenden Organismus“, der nach einer systematischen Logik arbeitet, nicht aber nach einer mechanistischen – der Habitus bezeichnet also nicht eine endliche Menge verinnerlichter Regeln oder Werte.85 Bourdieu entwickelt hier einen analytischen Zugang zur                                                                                                                                                                            

82 Vgl. Krais (2001a), S. 322. 83 Vgl. ebd., S. 319. Im Wesentlichen geht das Rollenkonzept auf Talcott Parsons zurück, der dieses in seinen Untersuchungen zur Familie ausgearbeitet und in seine funktionalistische Vorstellung von Gesellschaft eingebunden hat. Die von ihm konstruierte weibliche Rolle repräsentiert in diesem Konzept die partikularen und expressiven Orientierungen und ist auf die Aufrechterhaltung des familialen Systems gerichtet. Die männliche Rolle repräsentiert hingegen die universalen und instrumentellen Orientierungen. Sie ist über das Primat der Erwerbstätigkeit nach außen, auf die Aufrechterhaltung der Gesellschaft gerichtet. Im Gegensatz zum weiblichen Part wird der des Mannes in eine Vielzahl unterschiedlicher Rollen aufgesplittet und diskutiert – als Vorgesetzter, Angehöriger eines Berufsverbandes, Fußballspieler etc. Geschlechtsrollen sind nach diesem Verständnis Rollen, die aufgrund biologischer Merkmale zugeschrieben werden (vgl. ebd., S. 319f.). Zwar vermag es Parsons hier über Simmel (1985) wie Durkheim (1973) hinauszugehen, die zwar die sozialen Strukturen der Geschlechterbeziehung rekonstruierten und das Machtverhältnis bereits als Resultat von Arbeitsteilung erklärten, dieses aber als ein Naturphänomen verklärten (vgl. Wobbe et al. [2011], S. 10 – 11) – Parsons dreht dieses Verhältnis von Dekonstruktion und Substanzialisierung um und führt bereits die geschlechtstypischen Charakterzüge von Männern und Frauen auf ihre unterschiedliche Sozialisation und gesellschaftliche Verortung zurück. Problematisch bleibt, dass er die geschlechtliche Arbeitsteilung als unumgänglich für den Strukturerhalt funktional differenzierter Gesellschaften versteht (vgl. Becker-Schmidt [2010], S. 65; siehe dazu auch Kahlert/Weinbach (2014), S. 1f.). 84 Vgl. Krais (2001a), S. 323. 85 Bourdieu stellt hier den Vergleich mit einem Fußballspiel an, um die für die Funktionsweise des Habitus charakteristische Unmittelbarkeit und Kreativität hervorzuheben: Spieler/innen mit großer Spielerfahrung wissen intuitiv, wie sie mit einer unbekannten Ballkonstellation umgehen. Sie können diese Intuition aber nicht unmittelbar auf andere Spiele übertragen (vgl. Bourdieu [1987a], S. 122).

 

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sozialen Welt, in dem das soziale Subjekt als vergesellschaftlichtes konstruiert wird – Individuum und Gesellschaft existieren nicht als entgegengesetzte.86 Der Ansatz ermöglicht es Handlungen gleichzeitig als Handeln des Individuums sowie als sozial vorstrukturierte Praxis zu begreifen. In Bezug auf die Differenz der Geschlechter ist bei Bourdieu auch von einem „vergeschlechtlichten“ und einem „vergeschlechtlichenden“ Habitus die Rede. Dieses Konzept macht die Theorie laut Beate Krais für die Geschlechterforschung insbesondere fruchtbar, u. a. da es eine Alternative zur „Rolle“ darstellt. Die Frauen- und Geschlechterforschung vermochte es somit die Wirksamkeit von „Geschlecht“ nicht nur in spezifischen sozialen Situationen (wie beispielsweise dem familialen Kontext) zu zeigen, sondern vielmehr deren ständige Präsenz hervorzuheben – spezifische Situationen erweisen sich als durch das Geschlechterverhältnis vorstrukturierte.87 Das Konstrukt der sozialen Rolle wird heute zwar nicht mehr in der Intensität diskutiert, wie es in den sechziger und frühen siebziger Jahren der Fall war, als soziologisches Paradigma ist es aber laut der Soziologin keineswegs in Vergessenheit geraten. Es etablierte sich vielmehr zum selbstverständlichen Bestandteil des sozialwissenschaftlichen Repertoires – losgelöst von dem struktur-funktionalistischen Entstehungskontext bildet die „soziale Rolle“ nach wie vor das zentrale Konstrukt zur Erfassung der Gesellschaftlichkeit individuellen Handelns.88 Krais führt in diesem Zusammenhang an, dass die empirischen Ergebnisse und theoretischen Debatten der Frauen- und Geschlechterforschung verdeutlichen, „[…] dass die Geschlechterdifferenzierung im Rahmen des Rollenbegriffs nicht angemessen konzeptualisiert werden kann.“89 Insbesondere erweisen sich verschiedene Aspekte der Wirkungsweise von Geschlecht laut Krais nicht mit dem Konzept kompatibel, beispielsweise ermöglicht es im Gegensatz zu dem des Habitus keine systematische Aufschlüsselung der beobachteten Machtasymmetrien.90 Das analytische Potenzial des Rollenbegriffs liegt darin, dass es ermöglicht situationsspezifisch unterschiedliches soziales Handeln zu untersuchen. Nach diesem Muster „spielen“ Menschen mehrere soziale Rollen und aktualisieren diese in spezifischen Situationen; weitere Rollen werden in dieser Situation als irrelevant verstanden. Das Prozessuale, die Konstruktion von Geschlecht in der sozialen Situation – vonseiten der Geschlechterforschung auch als „doing gender“ beschrieben – das vor allem in ethnomethodologischen Untersuchungen herausgearbeitet wurde, bleibt in der Rollentheorie unbeachtet. Individuen übernehmen hier eine von der Gesellschaft bereitgehaltene Rolle, der Begriff richtet sich also auf das Vorgegebene und Fixierte des so                                                                                                                                                                            

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Vgl. Krais (2001a), S. 323. Vgl. ebd. Vgl. ebd. S. 320. Ebd. Vgl. ebd. Beispielsweise von Lookwood (1956) wird diese Unzulänglichkeit der Rollentheorie, Macht- und Herrschaftsverhältnisse zu untersuchen, in allgemeiner Form schon seit langem diskutiert. Bereits 1978 brachten Lopata/Thorne in die Diskussion ein, dass der Bezug auf einen bestimmten Interaktionskontext, auf ein bestimmtes Beziehungsgefüge oder eine spezifische soziale Situation für die soziale Rolle konstitutiv ist (vgl. Krais [2001a], S. 320).

 

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zialen Handelns.91 Der Habitusbegriff hingegen kann in Bourdieus Theorie – und somit auch in „La domination masculine“ – nur im Zusammenhang mit dem Begriff der Disposition gedacht und verstanden werden, wobei letzterer im Modell des sozialen Raums als Pendant zur sozialen Position fungiert. Jeder „äußerlichen Position“ entspricht eine „verinnerlichte Disposition“, wie es Maja Suderland auf Bourdieu rekurrierend darstellt – Disposition spielt dabei auf Veranlagung, Neigung, Gesinnung oder auch Bereitschaft an. 92 In „Die feinen Unterschiede“ entwirft Bourdieu ein „System der Dispositionen“, das die Wechselbeziehungen der sozialen Akteur/innen untereinander sowie den Zusammenhang mit den sozialen Verhältnissen systematisch in den Blick nimmt. Dieses System kann laut Suderland auch als eine alternative Bezeichnung für den „Habitus“ betrachtet werden.93 Eine explizite Definition des Dispositionsbegriffs findet sich bei Bourdieu indessen kaum, die Bedeutung muss überwiegend aus den Bedeutungszusammenhängen der jeweiligen Verwendungskontexte sowie in Abgrenzung zum Habitusbegriff sekundär erschlossen werden. 94 Demnach können die Dispositionen dem Habitus als vorgelagert begriffen werden, sie sind als inkorporierte Strukturen vorerst unsichtbar in den Akteur/innen vorhanden und erst die systematische Einheit dieser dauerhaften Dispositionen bezeichnet aus diesem Standpunkt heraus den Habitus.95 Wenden Beherrschte also Kategorien an, die aus der Perspektive der Herrschenden konstruiert wurden, und erscheinen ihnen diese Kategorien als natürlich, können diese zu einer systematischen Selbstabwertung und Selbstentwürdigung führen. Bourdieu verweist auf die Vorstellung vieler kabylischen Frauen, die ihr Geschlecht als defizitäre, hässliche, abstoßende Sache empfinden.96 Die symbolische Gewalt, die Bourdieu hier beschreibt, be- und entsteht (wie im Vorhergehenden bereits ausgeführt) gerade in dieser Zustimmung der Beherrschten mit den Herrschenden. Dabei kommen erstere um eine Zustimmung nicht umhin, da sie nur über Erkenntnismittel verfügen, die Dominante wie Dominierte gemein haben und als „natürlich“ erscheinen.97 Die deutlich werdende paradoxe Lo                                                                                                                                                                            

91 Vgl. Krais (2001a), S. 321. Diese Darlegung des Rollenkonzepts, das auch heute oft als zentrales Konstrukt der Vermittlung von Gesellschaft und Individuum verstanden wird, verdeutlicht laut Krais, weshalb es der Frauen- und Geschlechterforschung so schwer fällt, über den Diskussionskontext einer Bindestrichsoziologie hinauszugehen – der Forschungsbereich sei an grundlegende Kategorien und gängige Erkenntnisinstrumente der Soziologie nicht anschlussfähig. Umgekehrt zeigt sich die Soziologie, so Krais, gegenüber zentralen Einsichten der Frauen- und Geschlechterforschung als verschlossen. Das von Bourdieu entwickelte Habitus-Konzept hingegen weist gemäß der Soziologin genau diese Offenheit auf (vgl. ebd.). 92 Vgl. Suderland (2009), S. 74. Suderland bezieht sich hier auf Bourdieu (1987a), 101 f. 93 Vgl. Suderland (2009), S. 73. 94 Vgl. ebd. 95 Vgl. ebd. Suderland bezieht sich hier auf Bourdieu (1976), S. 165. 96 Vgl ders. (2005a), S. 65f. 97 Vgl. ebd., S. 66. Auch dass Frauen in Frankreich mit großer Mehrheit erklären, ein Partner sollte in ihrer Vorstellung älter und größer sein als sie selbst und zwei Drittel der Frauen einen kleineren Mann sogar ausdrücklich ablehnen, nennt Bourdieu als Beispiel. Frauen berücksichtigen in der Vorstellung, die sie sich von einer Beziehung mit einem Mann  

 

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gik der männlichen Herrschaft und der weiblichen Unterwerfung wird, so Bourdieu, nur dann verständlich, „[…] wenn man von den nachhaltigen Auswirkungen der sozialen Ordnung auf die Frauen (und die Männer), d.h. von den spontan an diese Ordnung angepassten Dispositionen, die sie ihnen aufzwingt, Kenntnis nimmt.“ [Herv. im Orig.]98 Die symbolische Kraft ist laut Bourdieu eine Form von Macht, die ohne Zwang unmittelbar, „wie durch Magie“ auf Körper ausgeübt wird, „[…] indem sie sich auf Dispositionen stützt, die wie Triebfedern in die Tiefe der Körper eingelassen sind.“99 Die Möglichkeitsbedingungen dieser Form von Macht liegen demzufolge in der vorgängigen Arbeit, die für die nachhaltige Transformation der Körper sowie für die Erzeugung der dauerhaften Dispositionen notwendig ist, die sie auslöst und wachruft. Eine Arbeit, die sich im Wesentlichen auf unsichtbare Weise vollzieht, „[…] durch das unmerkliche Vertrautwerden mit einer symbolisch strukturierten physischen Welt und die frühzeitige und fortwährende Erfahrung von Interaktionen, die von den Strukturen der Herrschaft geprägt sind.“100 Es handelt sich um eine Logik der fortlaufenden Verschleierung und Invisibilisierung von Zwecken, Intentionen und Nutzenkalkülen.101 Ein Ausschluss der Frauen muss nicht wie die Exklusion der kabylischen Frauen von öffentlichen Plätzen explizit erfolgen – er kann ebenso effektiv durch eine „gesellschaftlich aufgezwungene Agoraphobie“ bestehen, eine Form, die die Aufhebung der sichtbaren Verbote lange überdauern kann und auch dazu führt, dass Frauen sich selbst ausschließen.102 Diese Form der symbolischen Gewalt im Gegenzug mit den Waffen des Bewusstseins und des Willens allein zu besiegen hält Bourdieu für illusorisch – vor allem da die Resultate und Bedingungen ihrer Wirksamkeit in Form von Dispositionen dauerhaft in das Innerste der Körper eingeprägt sind.103 Trotz der Beseitigung der äußeren Zwänge und formalen Freiheiten wie das Wahlrecht, das Recht auf Bildung oder der Zugang zu allen Berufen, kann weiterhin der Selbstausschluss und die „Berufung“ an die Stelle der ausdrücklichen Exklusion treten. Die symbolische Macht kann dabei nur durch den Beitrag derer, die ihr unterliegen, weil sie sie als solche konstruieren, wirksam sein. Hier wird erneut deutlich, inwiefern der Ansatz der männlichen Herrschaft auch die Beteiligung der Unterdrückten in den Blick nimmt, den Frauen aber nicht die alleinige Verantwortung für ihre Unterdrückung zuschreibt. Einerseits erweisen sich die Dispositionen als Produkt objektiver Strukturen, die ihre Wirksamkeit wiederum nur den Dispositionen verdanken, die von ihnen ausgelöst werden und die zu ihrer Reproduktion bei                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    

machen, allgemein geteilte Wahrnehmungs- und Bewertungsschemata. Um die Würde des Mannes, die ihm a priori zuerkannt wird und über die sich auch die Frau identifiziert, aufrecht zu erhalten, müssen Frauen einen Mann lieben, dessen Würde klar bezeugt ist. Diese erschließt sich auch dadurch, dass der Mann die Frau sichtlich „überragt“ und basiert auf einer scheinbar willkürlichen Neigung, die weder reflektiert noch in Frage gestellt wird (vgl. Bourdieu (2005a), S. 67f.). Ders. (1976), S. 70f. Ders. (2005a), S. 71. Ebd. Vgl. Rademacher (2001), S. 42. Vgl. Bourdieu (2005a), S. 73. Vgl. ebd., S. 72f.

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tragen. Andererseits – und in dieser Hinsicht wendet sich Bourdieu, wie er betont, u. a. gegen einen idealistischen Konstruktivismus ethnomethodologischer Provenienz – muss auch von der gesellschaftlichen Konstruktion der kognitiven Strukturen, „[…] die die Konstruktionsakte der Welt und ihrer Mächte organisieren […]“104 , Kenntnis genommen werden. Denn diese praktische Konstruktion ist kein willentlicher, freier, bewusster „intellektueller“ Akt eines Subjekts.105 Vielmehr ist sie ein Effekt des Vermögens, „[…] das in Form von Wahrnehmungsschemata und Dispositionen […], die für bestimmte symbolische Äußerungen der Macht »empfänglich« machen, dauerhaft in die Körper der Beherrschten eingeprägt ist.“ [Herv. im Orig.]106 Als Grund für die Stabilität und Kontinuität der symbolischen Gewalt im Geschlechterverhältnis nennt Bourdieu damit die Habitualisierung und Somatisierung der Geschlechterkonstruktion. Dabei lehnt er, wie Claudia Rademacher darlegt, jegliche Form eines Biologismus ab. „Natur“ und „Kultur“ sind demnach gleichursprünglich und die Unterscheidungen „Frau = Natur“ sowie „Mann = Kultur“ bilden eine der zentralen Legitimationsstrategien der männlichen Herrschaft.107 Der Habitus als Ensemble von Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsschemata ist somit das sozialisatorische Produkt einer „sozialen Benennungs- und Einprägungsarbeit.“108 „[…] die Sozialisationsarbeit [kann] nur darauf abzielen, daß Grenzen, die vor allem den Körper betreffen […], verinnerlicht und in die Körper eingeschrieben werden.“109 Die Einteilung der Geschlechter ist aus dieser Perspektive in der ganzen sozialen Welt und in inkorporiertem Zustand in den Körpern, genauer in den Habitus der Akteurinnen und Akteure präsent, die als systematische Schemata der Wahrnehmung, des Denkens und Handelns fungieren.110 Beide Geschlechter existieren nur in Relation zum jeweils anderen – Bourdieu begreift dies als Produkt einer zugleich theoretischen und diakritischen Konstruktionsarbeit. Durch diese wird das Geschlecht als vom anderen Geschlecht gesellschaftlich unterschiedener Körper erzeugt. Durch die Regelmäßigkeit der bereits beschriebenen physischen wie sozialen Ordnung werden die Dispositionen aufgezwungen und eingeprägt, durch Einsetzungs- und Ablösungsriten – in der kabylischen Tradition beispielsweise die Beschneidung oder die Emanzipation des Jungen von seiner Mutter – verstärkt. Während Männer lernen, in öffentlichen Räumen zunehmend mehr Platz zu beanspruchen, bleiben Frauen in einer Art unsichtbaren Umzäunung eingeschlossen, die ihre Bewegungsfreiheit wie ihre Fortbewegungsmöglichkeit eingrenzt – deren sichtbarer Ausdruck ist der Schleier.111 Dem Einwand, dass heute viele Frauen mit traditionellen Normen und Formen gebrochen hätten, die Einschränkungen in der körperlichen Beweglichkeit wie dem sozialem Auftreten bedeuten, hält Bourdieu u. a. den Umgang mit der Frau in der Werbung entgegen. Die symbolische Disponibilität der Frau wird hier nicht zuletzt durch                                                                                                                                                                            

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Bourdieu (2005a), S. 74f. Vgl. ebd., S. 74. Ebd., S. 75. Vgl. Rademacher (2001), Fn. 6. Vgl. ebd., S. 42. Bourdieu (1997a), S. 184f. Vgl. ders. (2005a), S. 19f. Vgl. ders. (1997a), S. 45ff.

 

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den dargebotenen und gleichzeitig verweigerten Körper ausgedrückt. So prägen sich die für die gesellschaftliche Ordnung konstitutiven Einteilungen, genauer noch die zwischen den Geschlechtern instituierten sozialen Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse allmählich in zwei verschiedene Klassen von Habitus ein. Sie äußern sich in Gestalt gegensätzlicher und komplementärer körperlicher Hexis sowie in Form von Auffassungs- und Einteilungsprinzipien. Als Effekt werden alle Gegenstände der Welt und alle Praktiken nach Unterscheidungen klassifiziert, die sich auf den Gegensatz von männlich und weiblich zurückführen lassen.112 Die Logik, dass Männer Frauen die untergeordneten, undankbaren Aufgaben überlassen und Frauen diese Aufgaben als selbstverständlich übernehmen, und dass es Dispositionen sind, die dieses Handeln hervorrufen, findet Bourdieu nicht nur in dem paradigmatischen Beispiel der Gesellschaft der Kabylen. Er trifft auch „heute noch und ganz in unserer Nähe“ auf diese Logik, u. a. zeigt er dies in Gesprächen und Beobachtungen im Rahmen der Untersuchungen über die Ökonomie des Hausbaus in „Der Einzige und sein Eigenheim“.113 Männer bringen hier nicht selten ihre Status bedingte Überlegenheit dadurch zum Ausdruck, dass sie den den Frauen überlassenen, „subalternen“ Fragen der Haushaltsführung mit ausgesprochener Gleichgültigkeit gegenübertreten. Dies gilt insbesondere für Männer, die Autoritätspositionen bekleiden.114 Beispiele dieser Art führt Bourdieu auf ein System dauerhaft in die Körper eingeprägter Strukturen zurück115 – folglich kann sich die von der feministischen Bewegung geforderte symbolische Revolution nicht auf eine bloße Umkehrung des Bewusstseins und des Willens beschränken: „Das Fundament der symbolischen Gewalt liegt ja nicht in einem mystifizierten Bewußtsein, das es nur aufzuklären gälte, sondern in Dispositionen, die an die Herrschaftsstrukturen, ihr Produkt, angepaßt sind.“ 116 Eine Aufkündigung des Einverständnisses kann demnach allein von einer radikalen Umgestaltung der gesellschaftlichen Produktionsbedingungen der Dispositionen erwartet werden – denn mittels einer solchen wäre es möglich, dass die Beherrschten den Herrschenden und sich selbst gegenüber den dominanten Standpunkt einnehmen.117 Die symbolische Gewalt stützt nach Bourdieu die männliche Herrschaft – ist also von einem Umsturz der bestehenden Geschlechterverhältnisse die Rede, sollte bei der Entschleierung und Entzauberung der „symbolischen Ordnung“ angesetzt werden. Es bedarf eines Bruchs mit den Repräsentationen, Klassifikationen, Dispositionen und Vorstellungen, die in Bezug auf die Geschlechter existieren. Der Revolution der Geschlechterverhältnisse muss eine symbolische Revolution vorausgehen. 118 Die Herangehensweise lässt sich, laut Rademacher, somit von der ethnomethodologischen unterscheiden, insofern, als letztere davon ausgeht, dass das symbolische System binärer Klassifikationen den Ursprung der männlichen Herrschaft bildet. Aus dieser Sicht begründet die in jeglicher Alltagsinteraktion vollzogene binäre Klassifikation (männ                                                                                                                                                                            

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Vgl. Bourdieu (1997a), S. 56f. Vgl. ders. (1998e). Vgl. ders. (2005a), S. 62. Bourdieu bezieht sich hier auf ders. (1998e). Vgl. ders. (2005a), S. 76. Ebd., S. 77. Vgl. ebd. Vgl. Rademacher (2001), S. 43.

 

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lich/weiblich) ein Ungleichheitsverhältnis zwischen den Geschlechtern. Die Wurzeln der männlichen Herrschaft liegen demzufolge in den mikrosozialen Bedeutungs-, Benennungs- und Klassifikationsakten.119 Bourdieu betont demgegenüber: „[…] dass die männliche Herrschaft nur einen »Sonderfall« von sozialer Ungleichheit darstellt und stets mit übergreifenden makrosozialen Ungleichheits- und Herrschaftsstrukturen verwoben ist.“ 120 Den Motor der gesellschaftlichen Entwicklung begreift Bourdieu im Anschluss daran (in der Tradition von Karl Marx und Max Weber) im Kampf sozialer Akteur/innen und sozialer Gruppen um die Teilhabe an ungleich verteilten Lebenschancen.121 Als Ausgangspunkt der sozialen Ungleichheitsverhältnisse – zu denen hier auch die zwischen den Geschlechtern zählen – betrachtet er die „objektiven Strukturen“, die von der Wissenschaft in Form der Wahrscheinlichkeit des Zugangs zu Gütern, Dienstleistungen und zur Macht erfasst sind.122 Nach Bourdieu lassen sich die Kontinuitäten und Transformationen der Geschlechterverhältnisse daher nur im Bezugsrahmen eines allgemeinen Modells symbolischer Herrschaft fassen. Sprachliche Benennungs- und Bedeutungsakte, alltagsweltliche Klassifikationen (männlich/weiblich, aktiv/passiv, rational/emotional etc.) sind folglich nicht alleiniger Ort der Genese von Geschlechterungleichheit, auch wenn sie letztere reproduzieren und stabilisieren.123 3.1.3 Macht der Struktur und Faktoren der Veränderung „Wie erklärt sich das Überleben der kompromißlosen androzentrischen Sicht einer Welt […]? Was hat trotz der tiefgreifenden Veränderungen der produktiven Tätigkeiten und der Arbeitsteilung […] den Fortbestand dieser Weltsicht sichergestellt? Wie soll man dieser augenscheinlichen Dauerhaftigkeit, die im übrigen dazu beiträgt, einer geschichtlichen Konstruktion den Anschein einer natürlichen Wesenheit zu verleihen, Rechnung tragen, ohne Gefahr zu laufen, sie zu bestätigen, indem man die Ewigkeit einer Naturgegebenheit für sie verantwortlich macht?“124

Diese drei Fragen stellt Bourdieu in seiner Auseinandersetzung mit der Konstanz und dem Wandel der Geschlechterverhältnisse. Das „Ewig-Währende“ begreift er als das Ergebnis einer Verewigungsarbeit, die er auch als geschichtliche Enthistorisierungsarbeit bezeichnet – diese gilt es zu rekonstruieren. Selbiges schlägt er für die Geschichte der fortdauernden (Wieder-)Herstellung der objektiven und subjektiven Strukturen der männlichen Herrschaft vor, die zu einer kontinuierlichen Reproduktion der männlichen Herrschaft – von Generation zu Generation – führt.125 Ist daher von einer „Geschichte der Frauen“ die Rede, so muss diese auch der Reproduktion der beruflichen oder disziplinären Hierarchien sowie der ungleichen Dispositionen                                                                                                                                                                            

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Vgl. Rademacher (2001), S. 44. Ebd., S. 43. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 44. Rademacher bezieht sich hier auf Bourdieu (1987a), S. 112. Vgl. Rademacher (2001), S. 44. Bourdieu (2005a), S. 143f. Vgl. ebd.

 

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Rechnung tragen. Denn diese fördern den Ausschluss von Frauen und führen dazu, dass letztere sich an dieser Exklusion selbst beteiligen.126 Folglich bedarf es des Einbezugs der Geschichte der Akteurinnen, Akteure und Institutionen (z.B. des Staats, der Kirche oder von Schulen), die dauerhaft an der Sicherstellung der Permanenz der Geschlechterasymmetrie mitwirken, in die Analyse.127 Als den wirklichen Gegenstand einer Geschichte der zwischengeschlechtlichen Beziehungen begreift Bourdieu die Historie der sukzessiven Verbindungen struktureller Mechanismen, die die Reproduktion der geschlechtlichen Arbeitsteilung gewährleisten; darüber hinaus auch Strategien, die über Institutionen und einzelne Akteur/innen die Struktur der Herrschaftsverhältnisse zwischen den Geschlechtern im Lauf einer überaus langen Geschichte dauerhaft perpetuierten. Bourdieu geht von einer Förderung der transhistorischen Invarianten der Beziehungen zwischen den Geschlechtern durch die Geschichtswissenschaft aus. 128 Um dem entgegenzuwirken, müsste innerhalb dieser Disziplin eine ständige Auseinandersetzung mit der immer wieder neu einsetzenden (Re-)Konstruktion der Auffassungs- und Einteilungsprinzipien erfolgen, die zur Erzeugung der Geschlechter führen.129 Diese Reproduktionsarbeit stellten laut Bourdieu bis vor kurzer Zeit hauptsächlich drei objektiv aufeinander abgestimmte Instanzen sicher – die Familie, die Kirche sowie die Schule, die in besonderem Maße auf die unbewussten Strukturen einwirkten. Als Hauptinstanz der Förderung der Reproduktion der männlichen Herrschaft betrachtet Bourdieu die Familie, in der sich die Erfahrung der geschlechtlichen Arbeitsteilung sowie die legitime Vorstellung dieser Teilung schon frühzeitig aufzwingen. Ferner schärft bzw. schärfte die Kirche eine explizit familialistische Moral ein, die von patriarchalen Werten beherrscht ist; Bourdieu hebt die Symbolik der heiligen Texte hervor, die auf die historischen Strukturen des Unbewussten einwirken, wenn auch indirekt. Die Schule vermittelt als dritte Instanz die Unterschiede zwischen Mann und Frau, die die Grundvoraussetzung der patriarchalen Vorstellung bilden – und zwar zudem als eine vom Einfluss der Kirche befreite.130 Als weiterer Faktor kann der Staat Betonung finden, denn Vorschriften und Verbote des privaten Patriarchats konnten hier durch die eines „öffentlichen Patriarchats“ ratifiziert und vermehrt werden. Die von Bourdieu dargestellte männliche                                                                                                                                                                            

126 Vgl. Bourdieu (2005a), S. 145. 127 Vgl. ebd. „Die historische Forschung darf sich nicht darauf beschränken, die Veränderungen der Situation der Frau im Laufe der Zeit oder die Beziehung zwischen den Geschlechtern in den verschiedenen Epochen zu beschreiben. Ihre Aufgabe ist es auch, für jeden Zeitabschnitt den Zustand des Systems von Akteuren und Institutionen, Familie, Kirche, Staat, Schule usf., zu erfassen, die zu verschiedenen Zeitpunkten, mit unterschiedlichem Gewicht und unterschiedlichen Mitteln, dazu beigetragen haben, die männlichen Herrschaftsverhältnisse mehr oder weniger vollständig der Geschichte zu entziehen.“ [Herv. im Orig.] (Ebd., S. 145f.). 128 Vgl. ebd., S. 147. 129 Vgl. ebd., S. 146. Ebenso müsste auch eine Auseinandersetzung mit den verschiedenen Kategorien (hetero- und homo-)sexueller Praktiken erfolgen, in der beachtet wird, dass Heterosexualität selbst gesellschaftlich konstruiert und zum allgemeinen Maßstab „normaler“ sexueller Praxis erhoben wurde (vgl. ebd.). 130 Vgl. ebd., S. 149.

 

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Herrschaft, ist heute nicht mehr mit der Evidenz gegeben, dass sie sich nach wie vor von selbst versteht. Der erweiterte Zugang zum Gymnasial- und Hochschulunterricht, zu bezahlter Arbeit und somit letztlich auch zur öffentlichen Sphäre, sind Veränderungen, die auch aus der Infragestellung der Selbstverständlichkeit dieser Herrschaft resultieren, ebenso die gewachsene Distanz zu häuslichen Tätigkeiten und Reproduktionsfunktionen in Verbindung mit einem höheren Heirats- und Fortpflanzungsalter, einer kürzeren Unterbrechung der Berufstätigkeit nach der Geburt eines Kindes sowie einer steigenden Scheidungs- und sinkenden Heiratsrate. Der Zugang zur Bildung und die Transformationen der produktiven Strukturen führten offensichtlich zu einem Wandel der Position von Frauen in der Arbeitsteilung, den Bourdieu allerdings mit folgendem Zitat einschränkt und das an den relativen Positionen Unveränderte hervorhebt: „So läßt sich feststellen, daß Frauen nun in den intellektuellen Berufen oder in der Verwaltung und den verschiedenen Formen des symbolischen Dienstleistungsgewerbes – Journalismus, Fernsehen, Kino, Radio, Werbung, Public Relations, Ausstattung – erheblich häufiger und auch in den der traditionellen Definition weiblicher Tätigkeiten nahen Berufen (im Unterrichtswesen, in der Sozialhilfe und bei medizinischen Hilfstätigkeiten) in noch stärkerem Maße als bislang vertreten sind. Das heißt, daß die Diplomierten ihre Hauptbeschäftigungsmöglichkeit in den mittleren intermediären Berufen (mittlere Verwaltungsangestellte, Techniker, Angehörige des medizinischen und sozialen Personals usf.) gefunden haben, daß sie aber von den Posten mit Autorität und Verantwortung, insbesondere in der Wirtschaft, dem Finanzwesen und der Politik, praktisch ausgeschlossen bleiben. Die sichtbaren Veränderungen der Lage verdecken in der Tat das an den relativen Positionen Unveränderte […].“131

Demnach verbergen die sichtbaren Modifizierungen Kontinuitäten sowohl in den Strukturen wie in den Repräsentationen. Dies wird u. a. deutlich, wenn Frauen – unter sonst gleichen Umständen – fast immer und auf allen Ebenen der Hierarchie gegenüber den Männern untergeordneten Positionen und Einkommen einnehmen.132 Auch Ungleichheiten in der Verteilung auf die verschiedenen Schulzweige weisen, wie bereits ausgeführt, auf das Fortbestehen der Differenzen hin: Zwar absolvieren inzwischen mehr Mädchen als Jungen ein Abitur und studieren – in den angesehenen Fachrichtungen sind Studentinnen dennoch weniger, in den Naturwissenschaften nach wie vor sehr schwach vertreten. In den Berufsschulen beschränken sich die Schülerinnen auf traditionell als „weiblich“ und wenig qualifiziert geltende Fächer, z.B. im Gesundheitswesen, als Verwaltungs- und kaufmännische Angestellte, als Sekretärinnen etc. Fächer wie Mechanik, Elektrotechnik und Elektronik bleiben praktisch auch heute den Jungen vorbehalten.133 Auf den Erhalt der Struktur homologer Gegensatzpaare der traditionellen Teilung im tertiären Bildungssystem verweist Bourdieu in Bezugnahme auf die Verteilung nach Elitehochschulen und Universitäten, innerhalb dieser auf juristische/medizinische Fakultäten und philosophische Fa                                                                                                                                                                            

131 Bourdieu (2005a), S. 157. 132 Vgl. ders. (1997b), S. 227. 133 Vgl. ders. (2005a), S. 157. In diesem Zusammenhang kann insbesondere auch auf die Untersuchung von Marie-Pierre Le Hir (2000) verwiesen werden.

 

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kultäten und hier in der Differenzierung nach Philosophie/Soziologie und Psychologie oder auch Kunstgeschichte.134 Eine Logik, die den Zugang zu den verschiedenen Berufszweigen wie die Positionen innerhalb dieser regelt: „Das schlagendste Beispiel für diese Permanenz um und durch den Wandel ist die Tatsache, daß die zunehmend von Frauen eingenommenen Positionen entweder bereits abgewertet (die Facharbeiter sind mehrheitlich Immigranten oder Frauen) oder in Abwertung begriffen sind, was wie bei einem Schneeballeffekt durch die Abwanderung der Männer noch verstärkt wird. Und obwohl Frauen auf allen Ebenen des sozialen Raumes anzutreffen sind, so sind ihre Zugangschancen (und ihre Vertretungsrate) um so geringer, je seltener und gefragter die Positionen sind (so daß der aktuelle und potentielle Frauenanteil wohl das beste Indiz für die relative Position und den relativen Wert der verschiedenen Berufe ist).“ [Herv. im Orig.]135

Die formelle Gleichheit von Männern und Frauen verschleiert demzufolge, dass letztere bei gleichen Voraussetzungen stets die weniger günstigen Positionen bekleiden. Als besten Beweis für die Statusunsicherheit von Frauen auf dem Arbeitsmarkt bringt Bourdieu die Tatsache an, dass sie bei gleichen Voraussetzungen stets schlechter bezahlt werden als Männer oder mit dem gleichen Diplom weniger anerkannte Stellen erhalten als männliche Kollegen. Er unterstreicht, die proportional stärkere Betroffenheit der Frauen von Arbeitslosigkeit und prekären Arbeitsverhältnissen sowie die verstärkte Einnahme von Teilzeitstellen – eine Tatsache, auf die ein beinahe unvermeidlicher Ausschluss von den Spielen um Macht und Karriereperspektiven folgt.136 Der Gender-Pay-Gap etwa oder auch die mit der Teilzeitarbeit einhergehende Exklusion von Machtpositionen erweisen sich auch heute – fast zwei Jahrzehnte nach dem erscheinen von „La domination masculine“ – als nach wie vor existente Problematiken, die von der Persistenz der Geschlechterungleichheit zeugen und in Wissenschaft wie Politik zur Diskussion stehen. Werden herrschenden Positionen zunehmend häufiger von Frauen eingenommen, liegen diese, so Bourdieu, auf die Untersuchungen der Soziologin Marià Antonia García de León zu den „diskriminierten Eliten“ verweisend, meist in den untergeordneten Regionen des Feldes der Macht, u. a. im Bereich der Produktion und Zirkulation der symbolischen Güter, dem Verlagswesen, dem Journalismus, den Medien und dem Unterrichtswesen.137 Eine Feststellung die in Bezugnahme auf das Kunstfeld an späterer Stelle von besonderem Interesse sein wird. Für das Verständnis der statistischen Verteilung von Befugnissen und Privilegien zwischen Männern und Frauen sowie der zeitlichen Entwicklung müssen laut Bourdieu zwei Eigenschaften berücksichtigt werden: Erstens ist allen Frauen unabhängig von ihrer Position im sozialen Raum die Trennung von den Männern durch einen „negativen symbolischen Koeffizienten“ gemeinsam. Letzterer affiziert alles, was sie sind und was sie tun negativ und liegt einem systematischen Ganzen homologer Unterschiede zugrunde. Zweitens bleiben Frauen aber trotz der gemeinsamen spezifischen Erfahrungen durch die ökonomischen und kulturellen Un                                                                                                                                                                            

134 135 136 137

Vgl. Bourdieu (2005a), S. 158. Ebd., S. 159. Vgl. ebd., S. 159ff. Vgl. ebd.

 

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terschiede voneinander getrennt. Diese Eigenschaften wirken sich auch auf die subjektive und objektive Art und Weise aus, in der Frauen die männliche Herrschaft erleiden und erfahren.138 Deutlich wird, dass die Veränderungen der vergangenen Jahrzehnte nicht zu einer Annullierung der Unterbewertung des symbolischen Kapitals, das die Weiblichkeit mit sich bringt, führte:139 „Ansonsten gehorchen die Veränderungen in der Situation der Frauen stets der Logik des traditionellen Modells der Teilung in männlich und weiblich. Die Männer beherrschen nach wie vor den öffentlichen Raum und das Feld der Macht (insbesondere der ökonomischen über die Produktion). Den Frauen hingegen wird (jedenfalls überwiegend) der private (häusliche, für die Reproduktion bestimmte) Raum zugewiesen, wo die Logik der Ökonomie der symbolischen Güter fortwirkt, oder sie sind für jene Arten von Ausdehnung dieses Raumes vorgesehen, wie es die pädagogischen und sozialen Dienste (vor allem im Krankenhaus- und Pflegebereich) oder auch die Bereiche der symbolischen Produktion (der literarische, kunsthistorische oder journalistische Bereich usf.) sind.“140

Bestimmen nach wie vor die alten Strukturen der geschlechtlichen Teilung, die Richtung und Form der Veränderung, so führt Bourdieu dies einerseits darauf zurück, dass sie in mehr oder weniger stark vergeschlechtlichten Karrieren und Stellen objektiviert bestehen. Ferner leitet er diese Situation aber auch über drei praktische Prinzipien her, von denen sich sowohl Frauen als auch ihre Umgebung leiten lassen. Nach dem ersten Prinzip „verlängern“ die den Frauen übertragenen Funktionen ihre „häusliche“ Funktion. Sie übernehmen Stellen im Unterricht, in der Pflege und im Dienst. Nach dem zweiten Prinzip gelten Frauen gegenüber Männern als nicht weisungsbefugt – bei der Besetzung einer Autoritätsposition können daher männliche Mitarbeiter weiblichen vorgezogen werden. Die Tätigkeit der Frauen bleibt damit auf untergeordnete Hilfsfunktionen beschränkt. Schließlich verleiht das dritte Prinzip dem Mann das Monopol des Umgangs mit technischen Gegenständen und Maschinen:141 „[…] durch die Erfahrung einer »geschlechtlich« geregelten sozialen Ordnung und durch die expliziten Ordnungsrufe ihrer Eltern, Lehrer und Mitschüler, die selbst mit aus ähnlichen Erfahrungen der Welt erworbenen Prinzipien ausgestattet sind, inkorporieren die Mädchen in Form von Wahrnehmungs- und Bewertungsschemata die Prinzipien der herrschenden Sichtweise, die für das Bewußtsein nur schwer zugänglich sind. Und diese bringen sie dazu, die soziale Ordnung, so wie sie ist, für normal oder gar natürlich zu halten und ihrem Schicksal gleichsam zuvorzukommen, indem sie die Berufswege oder Laufbahnen, von denen sie auf alle Fälle ausgeschlossen sind, ablehnen und diejenigen anstreben, für die sie auf jeden Fall bestimmt sind. Die daraus resultierende Konstanz der Habitus ist einer der wichtigsten Faktoren für die relative Konstanz der Struktur der geschlechtlichen Arbeitsteilung: Da die Vermittlung dieser Prinzipien im wesentlichen von Körper zu Körper und d.h. jenseits von Bewußtsein und Diskurs erfolgt, entziehen sie sich der bewußten Kontrolle und damit der Korrektur oder der                                                                                                                                                                            

138 139 140 141

Vgl. Bourdieu (2005a), S. 161f. Vgl. ebd. Ebd., S. 162f. Vgl. ebd., S. 163.

 

96 | K UNST UND G ENDER Veränderung. […] Zudem bestätigen und verstärken sich diese Prinzipien gegenseitig, da sie objektiv aufeinander abgestimmt sind.“142

Bourdieu unterstellt Männern damit keine organisierten Widerstandsstrategien; gleichwohl erkennt er, dass die Spontanlogik der Kooptationsakte, die dazu tendiert den Geschlechteranteil einer sozialen Gruppe zu bewahren, aus einer diffusen und stark emotionalen Angst rührt: Die Angst vor der Gefahr einer Feminisierung in Bezug auf eine soziale Position und die damit verbundene geschlechtliche Identität.143 Wurde bis zu dieser Stelle die Konstanz der Herrschaftsverhältnisse verdeutlicht, geht Bourdieu weiter, indem er einen möglichen Wandel und Veränderungen dieser Verhältnisse diskutiert. Substanziell für eine Modifikation ist demnach das Verständnis der Relationalität des Herrschaftsverhältnisses zwischen Männern und Frauen – und zwar im Ganzen der sozialen Räume und Teilräume. Diese Auffassung kann dazu führen, „[…] das Phantasiegebilde des ewig weiblichen zu zerstören […].“144 Ziel einer solchen Destruktion ist die Aufdeckung der Konstanz der Struktur der zwischen den Geschlechtern bestehenden Herrschaftsbeziehung, die trotz der zeit- und positionsbedingten substanziellen Veränderungen bestehen bleibt.145 Daher stellt sich die Frage nach der Arbeit, die notwendig ist um die männliche Herrschaft der Geschichte zu entreißen; es bedarf einer Befragung der sozialen Mechanismen und Handlungen, die sich für die Enthistorisierung der männlichen Herrschaft verantwortlich zeigen und die jede an geschichtlichen Umgestaltungen beteilige Politik kennen muss. Letztlich zwingt die Feststellung der transhistorischen Konstanz der Herrschaftsverhältnisse laut Bourdieu aber vor allem dazu – hier wendet er sich insbesondere auch gegen den performanztheoretischen Ansatz Judith Butlers – die Unhaltbarkeit der Appelle der „postmodernen Philosophen“, die eine Überwindung des Dualismus fordern, zu erkennen.146 Denn diese Binaritäten versteht er als tief in den Dingen bzw. Strukturen sowie in den Körpern verankert – er begreift sie nicht als aus einem bloßen Benennungsakt hervorgegangene, weshalb er eine Aufhebung „durch einen Akt performativer Magie“ ausschließt. 147 Bourdieu versteht die Geschlechter im Anschluss daran nicht als „bloße Rollen“, die von Akteur/innen nach belieben eingenommen werden können; vielmehr wertet er sie als tief in die Körper und ein Universum eingeprägte – und aus dieser Einprägungsarbeit beziehen sie ihre Macht.148 Die Schemata des vergeschlechtlichten Unbewussten begreift Bourdieu als hochdifferenzierte geschichtliche Strukturen.149 Sie reproduzieren sich durch Lernprozesse, in denen Erfahrungen, die Akteur/innen mit den Strukturen der Räume machen, verarbei                                                                                                                                                                            

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Bourdieu (2005a), S. 165. Vgl. ebd., S. 165f. Ebd., S. 177. Vgl. ebd. Ausführungen zur dieser Diskussion finden sich in Kapitel 4.1.2.1. Vgl. Bourdieu (2005a), S. 177f. Vgl. ebd., S. 178. Hier grenzt sich Bourdieu von Goffmans Ansatz ab, der die Schemata des vergeschlechtlichten Unbewussten als „grundlegende strukturierte Alternativen“ begreift (vgl. ebd., S. 180).

 

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tet werden. Die Bedeutung und Ausdifferenzierung von Geschlecht im sozialen Raum bzw. in verschiedenen Teilräumen – die Bourdieu hier anspricht aber nicht weiter ausführt – ist Thema des folgenden Kapitels. An dieser Stelle sei abschließend darauf hingewiesen, dass gerade die oben betonte Wendung des Soziologen gegen eine reine Benennungsarbeit geschlechtlicher Asymmetrien, eines der wesentlichen Elemente seines Ansatzes bildet. Sein Standpunkt, die von der feministischen Bewegung geforderte symbolische Revolution dürfe sich nicht auf eine bloße Umkehrung des Bewusstseins und des Willens beschränken, ist, wie eingangs hervorgehoben, eine der Passagen, an dem die Kritik feministischer Forschung wie der Geschlechterforschung häufig ansetzt. Der Ansatz wird von dieser Seite oft als zu statisch aufgefasst, etwa wenn er davon ausgeht, dass eine Aufkündigung des Einverständnisses der Opfer der symbolischen Gewalt mit den Herrschenden, allein von einer radikalen Umgestaltung der gesellschaftlichen Produktionsbedingungen jener Disposition erwartet werden kann. Bourdieu geht hier von einer Modifikation aus, welche die Beherrschten dazu bringt, den Herrschenden und sich selbst gegenüber den Standpunkt der Dominierten einzunehmen. Ein Dominationsverhältnis, so Bourdieu, das der Komplizenschaft der Dispositionen bedarf, hängt, was sein Fortbestehen oder seine Veränderung angeht, insbesondere vom Fortbestehen oder von der Veränderung der Strukturen ab, deren Produkt diese Dispositionen sind.150 Um sich nun der Frage anzunähern, welche Bedeutung dieser paradoxen Logik der männlichen Herrschaft hinsichtlich der Einnahme von Positionen im Kunstfeld zukommt, soll im folgenden Kapitel dargelegt werden, wie Geschlecht im sozialen Raum zu verstehen ist. Denn wie verdeutlicht, geht Bourdieu einerseits von einer hierarchischen geschlechtlichen Disposition aus, die für alle Akteur/innen dieses Raums gilt, insofern man diese als relational zueinander denkt. Ferner verweist er darauf, dass sich das Paradox dieser Doxa je nach eingenommener Position in diesem gesellschaftlichen Kosmos unterschiedlich auswirkt. Demnach unterliegen soziale Felder einer je eigenen geschlechtlichen Logik, die weiterhin als relationale zu denken sind: „Dieses Inbeziehungsetzen macht es erklärlich, warum sich dieselbe Herrschaftsbeziehung in unterschiedlichen Formen an den verschiedenen Tätigkeiten von Frauen beobachten läßt, ob es sich um den hingebungsvollen unengeltlichen Einsatz der Frauen der Wirtschafts- und Finanzbourgeoisie für ihr Haus und ihre Wohltätigkeitsaktivitäten handelt […] oder […] auf der Ebene des Kleinbürgertum, um eine Lohnarbeit im Angestelltenverhältnis, die, fast immer zweitrangig, die Arbeit des Mannes ergänzt und mir ihr vereinbar ist. […] Diese Beziehungen, die der Position der Akteure im sozialen Raum entsprechend der Form nach, manchmal außerordentlich und deutlich sichtbar, manchmal minimal und so gut wie nicht erkennbar, verschieden aber homolog und daher durch Familienähnlichkeit verbunden sind, trennen und vereinen die Männer und Frauen in einem jeden der sozialen Universen und lassen damit die »mystische Demarkationslinie« […] zwischen ihnen fortbestehen.“151

                                                                                                                                                                           

150 Vgl. Bourdieu (2005a), S. 77f. 151 Ebd., S. 186.

 

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3.1.4 Synthesen: Geschlecht im sozialen Raum Pierre Bourdieu begreift die Beziehung der Geschlechter, wie verdeutlicht, als ein grundlegendes symbolisches Relationsprinzip, als ein Herrschafts- und Differenzierungsprinzip, das in die reproduktiven Prozesse der Gesellschaftsordnung eingelassen ist. Er versteht die Geschlechterrelation als die exemplarische oder auch paradigmatische Form eines allgemeinen Modells von Herrschaft, das er als symbolische Herrschaft bezeichnet.152 Der geschlechtertheoretische Ansatz der männlichen Herrschaft wurde im Vorhergehenden anhand von Publikationen diskutiert, die Bourdieu diesem Thema explizit widmet. Erweiternd dazu wird nun eine Synthese dieser mit weiteren Werken vorgelegt, wobei letztere nicht ausdrücklich auf eine Geschlechteranalyse zielen, eine solche aber im Rahmen der Erforschung gesellschaftlicher Ungleichheiten und Machtverhältnisse mit verhandeln. Im Mittelpunkt stehen dabei die meist als Bourdieus Hauptwerke hervorgehobenen Untersuchungen „Die feinen Unterschiede“153 sowie „Sozialer Sinn“.154 Dieser Ansatz ermöglicht es, der Theorie immanente aber von Bourdieu selbst nicht zusammengeführte und strukturierte geschlechtertheoretische Thesen zu systematisieren um anschließend Überlegungen zu einer Geschlechterdimension im sozialen Raum und dessen Subräumen – wobei insbesondere das Kunstfeld von Interesse ist – anzustellen. Dabei erfolgt eine Integration weiterer Studien aus der Geschlechterforschung, die eine zusätzliche Zuspitzung des Entwurfs ermöglichen. Dieses Vorgehen dient der Vorlage eines über die Darstellungen in „Die männliche Herrschaft“ hinausgehenden geschlechtertheoretischen Ansatzes, in dem der Einordnung von Geschlecht im sozialen Raum zentrale Relevanz zukommt und Analyseinstrumente wie Feld, Kapital und Habitus Beachtung finden. Der Ansatz bildet an späterer Stelle auf das Kunstfeld zugespitzt eine Matrize für die empirische Untersuchung. Die Analyse der sozialen Wirklichkeit kann bei Bourdieu, wie Hans-Peter Müller es darlegt, entlang einer vertikalen Achse der Gesellschaft, die ihre soziale Hierarchie und das differenzierte Klassengefüge erschließt sowie einer horizontalen Achse, die eine Differenzierung der Gesellschaft in verschiedene Felder – u. a. das der kulturellen Produktion oder das ökonomische Feld – ermöglicht, vorgenommen werden.155 Das Kunstfeld wird im Anschluss daran als ein spezifisches gesellschaftliches Subuniversum dieses sozialen Raums sowie des Feldes der kulturellen Produktion verstanden. Die Aufmerksamkeit liegt also nicht auf einem isolierten Mikrokosmos und den für diesen charakteristischen Regeln, sondern auf dessen relativem Verhältnis zu einem gesellschaftlichen Makrokosmos. Bourdieu legte in „Die Regeln der Kunst“ ein Modell vor, das er „Das Feld der kulturellen Produktion im Feld der Macht und im sozialen Raum“ betitelte.156 An dieser Stelle eingeführt, erfolgt eine detaillierte                                                                                                                                                                            

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Vgl. Bourdieu (1997b), S. 219. Vgl. ders. (1982). Vgl. ders. (1987a). Vgl. Müller (2014), S. 46. Eine Differenzierung nach Feldern erfolgt gleichermaßen entlang der vertikalen Achse. 156 Vgl. Bourdieu (1999), S. 203

 

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Besprechung des Modells im Kunstfeldkapitel;157 zunächst dient es einer ersten Vorstellung des relationalen Gefüges des Sozialraums, in das Überlegungen zu Geschlecht einfließen sollen. Für eine Ergänzung des Schemas um eine auf theoretischer Ebene entwickelte und in das Modell projezierte Geschlechterdimension wird ebendiese Relationalität vorausgesetzt – ausgehend von einer Auffassung des Geschlechterverhältnisses, wonach dieses zwar spezifische Ausprägungen im Kunstfeld annimmt, damit aber auch als Teil des gesellschaftlichen Raums zu denken ist. Um ein Verständnis der Geschlechterstrukturen im sozialen Universum der Kunst zu entwickeln, erfolgt daher vorab eine Herausarbeitung zentraler Merkmale von Geschlecht im gesamten sozialen Raum. Bourdieus theoretischer Entwurf der männlichen Herrschaft fußt maßgeblich auf der Bezugnahme auf das Modell der Kabylen sowie auf Rückgriffen auf Virginia Woolfs Roman „To the Lighthouse“ und der hier beschriebenen vergeschlechtlichten Habitus der Familie Ramsay;158 es findet sich jedoch keine systematische Adaption der sich daraus ergebenden Erkenntnisse auf die Arbeiten zum sozialen Raum und zu den sozialen Feldern. Dass eine solche Übertragung möglich und aufschlussreich ist, lässt sich im Folgenden explizieren. HansPeter Müller reklamiert in diesem Zusammenhang, dass Bourdieu zu seiner Studie der männlichen Herrschaft weder eine empirische Basis vorlegte noch einen Rekurs auf die aktuelle Situation von Frauen unternahm, „die ein empirisches Widerlager zum Modell der Kabylei hätte abgeben können.“159 Dieser Kritik stehen zwar sämtliche Verweise Bourdieus auf eigene empirische Daten sowie Ergebnisse aus Studien anderer Wissenschaftler/innen in „Die männliche Herrschaft“ entgegen, dennoch verwundert die letztlich geringe Beachtung und die Vernachlässigung einer Bezugnahme auf Zahlen hinsichtlich des hohen Stellenwerts, den Bourdieu solchen in vielen anderen Werken zukommen lässt. Wesentliche Anhaltspunkte zum Geschlechterverhältnis im sozialen Raum lassen sich der Diskussion um Klasse und Geschlecht, die in der Geschlechterforschung generell, aber eben auch in Bezugnahme auf Bourdieu geführt wurde, entnehmen. Zu erwähnen sind beispielsweise die Arbeiten von Frerichs (2000), Lovell (2004), Meuser (2006), Reay (2004) sowie Skeggs (2004), eine zusätzliche Beachtung von Aspekten der Intersektionalität findet sich des Weiteren bei Klinger/Knapp (2007) oder auch Kohlmorgen (2007). Dabei überrascht, dass Geschlecht im Zusammenhang mit der Klassenlage, gemessen am ökonomischen Kapital bzw. gesamten Kapitalvolumen – also der in Bourdieus Modell verankerten vertikalen Achse – von großem Interesse ist; ein Zusammendenken mit der horizontalen Achse und damit ein zusätzlicher oder spezifischer Fokus auf das kulturelle Kapital sowie nach diesem differenzierte gesellschaftliche Felder, findet hingegen selten Beachtung. Bourdieu selbst entzieht sich der Klärung dieses Phänomens ein Stück weit, indem er angibt eine Problematik darin zu sehen, das Verhältnis von Klasse und Geschlecht im Habitus von Akteur/innen empirisch begründen zu können – auf die Frage nach der Feldzugehörigkeit geht er gar nicht ein:                                                                                                                                                                            

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Siehe dazu auch Abbildung 1 und Abbildung 2, beiden liegt das genannte Modell Bourdieus zurgrunde. Vgl. Woolf (1927). Müller (2014), S. 314.

158 159

 

100 | K UNST UND G ENDER „[…] Aber vielleicht müssen wir dieses Problem schlicht und einfach fallenlassen, weil wir nicht die Mittel haben, es zu entscheiden: was wir beobachten, das sind immer gesellschaftlich und geschlechtlich konstruierte Habitus. Es ist ein wenig so wie mit dem »Angeborenen« und dem »Erworbenen«: Man kann wissenschaftlich nicht auseinanderhalten, was der Klasse und was dem Gender zukommt […]. Was in der Sozialisation, d. h. in einer vergeschlechtlichten, geschlechtlich bestimmten sozialen Position erworben wird, das ist eine vergeschlechtlichte, geschlechtlich spezifizierte soziale Disposition.“160

Kann Bourdieu in der Geschlechterforschung als ein durchaus bedeutsamer und vielfach als theoretischer Bezugspunkt herangezogener Impulsgeber in diesem Diskurs um Klasse und Geschlecht bezeichnet werden, erscheint es gleichzeitig notwendig den von ihm propagierten Ansatz kritisch, auch auf Lücken, zu hinterfragen und weiterzuentwickeln. Monique de Saint Martin, selbst der Forschungsgruppe um Bourdieu angehörend, kritisiert nachgängig die Vernachlässigung der GenderDimension in „La distinction“: „As far as gender is concerned, there seems to have been something of a blind spot. Why was gender not considered to be one of the most important dimensions, and why was no attempt made to represent a space for male lifestyles and tastes, and one for female?“161 De Saint Martin hebt einerseits die nicht existente Datenbasis als Erklärung hervor, so bezogen sich die verwendeten INSEE Daten aus dem Jahr 1967 lediglich auf die männliche Population; weitere Daten aus Meinungsbefragungen ließen keine zusammenhängende Analyse der sozioprofessionellen Kategorie und Geschlecht zu.162 Gleichermaßen wirft sie dem Vorgehen Bourdieus eine fast vollständige Blindheit vor, denn bestanden ohne Zweifel Hürden hinsichtlich der Integration einer Gender-Perspektive, wäre sie dennoch möglich gewesen: „If we had really wanted to take gender into consideration, it would have been possible, even if it meant constructing both male and female schemas of social space and lifestyle with only a small number of indicators.“163 Einen Versuch den Zusammenhang von Klasse und Geschlecht empirisch zu dechiffrieren wurde von Petra Frerichs und Margareta Steinrücke in den 1990er Jahren unternommen, indem sie eine Analyse zur Differenzierung von Klassengeschlecht und Geschlechterklasse durchführten. Dabei ist hervorzuheben, dass sie – wenn auch dem Titel nicht zu entnehmen – sowohl auf das ökonomische als auch das kulturelle Kapital rekurrieren und zudem Ergebnisse hinsichtlich eines ökonomischen und kulturellen Pols des Sozialraums zur Verfügung stellen.164 Im Fokus des Forschungsprojekts stand das Vorhaben beide Ungleichheitsebenen, Klasse wie Geschlecht, „theoretisch im Zusammenhang zu betrachten und empirisch die je konkrete Verschränkung dieser Ungleichheiten zu untersuchen.“165 Die Studie brachte verschiedene wesentliche Ergebnisse hervor: Die verbreitete Annahme geschlechtliche Ungleichheit hätte zum Analysezeitpunkt längst ihre Bedeutung verloren – vertreten u. a. von Heintz und                                                                                                                                                                            

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Bourdieu (1997b), S. 225. De Saint Martin (2014), S. 25. Vgl. ebd. Ebd. Siehe dazu insbesondere Abbildung 3 in Frerichs (2000), S. 48. Ebd., S. 39.

 

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Nadai (1998) – bestätigte sich in der Studie nicht. Gezeigt wurde dies beispielsweise im über den gesamten Sozialraum bestehenden und statistisch nachweisbaren differenziellen Einkommen von Männern und Frauen. Hinsichtlich der strukturellen Ausprägungen, gemessen an symbolischem und ökonomischem Kapital der Akteur/innen, kommen Frerichs/Steinrücke zu dem Ergebnis, dass eine deutliche geschlechtsspezifische Verteilung besteht, wonach Frauen sämtlicher Berufsgruppen zum kulturellen Pol hin, die Männer fast aller beruflichen Positionen zum ökonomischen Pol hin situiert sind. Ausnahmen bilden die höheren Beamten und Freiberufler. Als weitere Struktur konnten die Autorinnen auf eine Stellungsspezifik bei der Situierung der Frauen verweisen, wonach „Frauen nahezu durchgängig über weniger Gesamt-Kapital-Volumen, aber über gleich viel oder mehr kulturelles Kapital als die männlichen Vergleichsgruppen verfügen, was ihre Positionen tendenziell zum kulturellen Pol hin und zugleich nach unten (weniger Kapitalvolumen) verschiebt.“166 Die Ergebnisse der Studie basieren auf Auswertungen des SOEP, woraus sich 19 fein differenzierte berufliche Stellungen ergaben.167 In der Analyse konnte also mittels quantitativer Analysen anhand der Variablen Bildungsabschlüsse und Nettoarbeitseinkommen nachgewiesen werden, dass Geschlecht Einfluss auf die Sozialstruktur – die Klasse und Klassenbildung – nimmt. Dieses Ergebnis zur Klassenhypothese kann in der vorliegenden Untersuchung zum Spitzenfeld der Kunst (als ein spezifisches Universum des Sozialraums) insofern eine Nuancierung erfahren, als auch in der Region hin zum kulturellen Pol eine männliche Domination (hinsichtlich mit besonders viel symbolischem Kapital ausgestatteter Positionen) innerhalb einer „weiblichen Klasse“ vorliegt. Den Diskussionen um Klasse und Geschlecht steuerten Frerichs/Steinrücke des Weiteren als Ergebnis bei, dass Geschlechtsunterschiede weitgehend von Klassendifferenzen überlagert und dominiert werden. Damit bestätigt sich, dass Gemeinsamkeiten und Affinitäten zwischen Mann und Frau innerhalb einer Klasse in der Regel größer sind als die zwischen Frauen (oder Männern) über die Klassengrenzen hinweg. Besonders deutlich erwies sich dies beispielsweise in den größeren Einkommensunterschieden qua Klassenzugehörigkeit als innerhalb einer Klasse qua Geschlecht.168 Am Beispiel der häuslichen Arbeitsteilung legte die Studie dar, dass in jeder Klasse und Klassenfraktion eine je eigene Vorstellung und Realisierungsform von Weiblichkeit und Männlichkeit besteht.169 Ohne an dieser Stelle weiter auf diese Untersuchung eingehen zu können, vermögen die verschiedenen Ergebnisse die Vielschichtigkeit der Problematik, Geschlecht bezogen auf gesellschaftliche Teilräume zu analysieren, verdeutlichen. Es zeigt sich aber auch, dass eine Analyse von Geschlecht im gesellschaftlichen Raum dann besonders genau sein kann, wenn ebendiese Teilräume in ihrer relationalen Anlage bedacht werden. Dabei müssen drei Ebenen Beachtung finden: Einerseits gilt es, die im gesamten gesellschaftlichen Raum verankerte Geschlechterdimension zu berücksichtigen, die Einfluss auf alle Akteur/innen der gesellschaftlichen Sphäre nimmt und zu einer generellen Ungleichheit zwischen Männern und Frauen führt. Im Sinn der Bestätigung der Klassenge                                                                                                                                                                            

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Frerichs (2000), S. 43. Vgl. ebd. Vgl. Steinrücke (2006), S. 80f. Vgl. ebd.

 

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schlechtshypothese170 und deren Übertragung auf soziale Felder ist aber auch im Kunstfeld davon auszugehen, dass zwischen Frauen und Männern innerhalb dieser Sphäre größere Gemeinsamkeiten und Affinitäten bestehen, als dies für Akteurinnen und Akteure zwischen verschiedenen Feldern der Fall ist. Darüber hinaus kann argumentiert werden, dass auch im sozialen Universum der Kunst eine spezifische Vorstellung und Realisierungsform von Weiblichkeit und Männlichkeit vorliegt, die wiederum von der in anderen Räumen zu unterscheiden ist. Zwar erfolgt bei Frerichs/Steinrücke keine explizite Analyse nach Feldern, die horizontale Differenzierung nach kulturellem und ökonomischen Pol lässt eine Übertragung ihrer Ergebnisse aber plausibel erscheinen und impliziert, dass ein spezifisches Geschlechterverhältnis im Kunstfeld – wie in jedem anderen sozialen Feld – vorliegt, das auf den verschiedenen, oben genannten Ebenen zu entziffern ist. Übertragen auf die Feldlogik kann von einem feldspezifischen Geschlechterverhältnis ausgegangen werden, wonach innerhalb eines jeden Feldes eine bestimmte Ausprägung und Realisierungsform der Geschlechterrelationalität existiert, die zudem als Unterscheidungsmerkmal zwischen verschiedenen Feldern dienen kann.171 Für das Kunstfeld ist folglich von                                                                                                                                                                            

170 Die Klassengeschlechtshypothese formulierten Frerichs/Steinrücke wie folgt: Jede Klasse und Klassenfraktion bringt ihre eigenen Vorstellungen und Realisierungsformen von „Weiblichkeit“ und „Männlichkeit“ hervor, sodass sich die Geschlechterbeziehungen klassenspezifisch ausdifferenzieren. Es gibt nicht das Geschlecht (gender) schlechthin, sondern (theoretisch) so viele Geschlechter wie es Klassen und Klassenfraktionen gibt (vgl. Frerichs [2000], S. 40). 171 Die Unterscheidung bzw. Definition von Feld und Klasse wurde von Bourdieu selbst (insbesondere Bourdieu [1985]) aber auch in der Sekundärliteratur ausführlich diskutiert. Als zusammenhängend können Feld und Klasse insofern betrachtet werden, als Bourdieu beide innerhalb des sozialen Raums modelliert, so formuliert er zur sozialen Klasse: „Es existieren keine sozialen Klassen (auch wenn die an der Theorie von Marx orientierte politische Arbeit in bestimmten Fällen dazu beigetragen haben mag, ihnen eine Existenz zumindest in Gestalt von Mobilisierungsinstanzen und Mandatsträgern zu geben). Was existiert, ist ein sozialer Raum, ein Raum von Unterschieden, in denen die Klassen gewissermaßen virtuell existieren, unterschwellig, nicht als gegebene, sondern als herzustellende.“ [Herv. im Orig.] (Ders. [1998a], S. 26). Zu den Feldern, insbesondere zum ökonomischen und dem künstlerischen – die an späterer Stelle in diesem Kapitel von besonderem Interesse sind – schreibt er: „Im Laufe ihrer Entwicklung bilden die Gesellschaften Universen aus (das, was ich Felder nenne), die eigene Gesetze haben und autonom sind […] Das Grundgesetz des ökonomischen Felds, das von den utilitaristischen Philosophen entwickelt wurde, lautet: Geschäft ist Geschäft; das des künstlerischen Feldes, das explizit von der Schule des sogenannten L’art pour l’art aufgestellt wurde, heißt: Der Zweck der Kunst ist die Kunst, die Kunst hat keinen anderen Zweck als die Kunst; usw.“ (Ders. [1998e], S. 148). Hans-Peter Müller weist auf die skeptischen Äußerungen Bourdieus zur „realen Existenz“ von Klassen sowie der Hervorhebung des symbolischen gegenüber des materiellen Klassenkampfs, betont aber, dass Bourdieu in letzter Instanz unverdrossen am Begriff der Klasse festhält (vgl. Müller [2013], S. 70f.). Das Hauptgeschehen allerdings, so Müller, spielt sich bei Bourdieu gerade in modernen Gesellschaften in und auf Feldern ab (vgl. ebd. S. 72). Margareta Steinrücke fasst den Klassenbegriff  

 

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einer spezifischen Realisierung eines männlichen und eines weiblichen Geschlechts auszugehen, deren strukturelle Merkmale in der nachfolgenden empirischen Untersuchung herausgearbeitet werden sollen. Legte Bourdieu selbst keine empirische Untersuchung zur aktuellen Situation von Frauen vor, lassen sich mit der Studie von Frerichs/Steinrücke ein Beispiel und Ergebnisse seitens der Geschlechterforschung aufzeigen, die Einblicke in die Strukturierung wie Habitualisierung von Geschlecht im Sozialraum geben und empirische Daten dazu liefern. Solche Auseinandersetzungen bilden eine wesentliche Basis für die vorgenommene theoretische Fassung der Tendenzen des Geschlechterverhältnisses im gesamten gesellschaftlichen Kosmos und im Kunstfeld. Darüber hinaus dienten die von Bourdieu selbst vorgelegten Hinweise und empirischen Anhaltspunkte zu einer Geschlechterdimension im sozialen Raum als zentrale Orientierungspunkte – sie werden im Folgenden ausgeführt: In „Die feinen Unterschiede – Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft“, das im französischen Original im Jahr 1979 unter dem Titel „La distinction – Critique social du jugement“ erstmals erschien, leistet Bourdieu einen umfangreichen Theorieentwurf, der anhand einer empirischen Untersuchung zum Geschmacksurteil die kulturelle Fundierung sozialer Ungleichheit beschreibt.172 Einen elementaren Bestandteil dieser                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    

Bourdieus in Bezug auf ihre mit Petra Frerichs durchgeführten Untersuchung wie folgt: „In Bourdieus Modell des sozialen Raums werden vertikal je nach Gesamtumfang von ökonomischem und kulturellem Kapital, über das verfügt wird (viel, mittel, wenig) die drei großen Klassen (Groß)Bürgertum, Kleinbürgertum und Volksklassen mit ihrem jeweiligen Habitus und Lebensstil (Distinktion, Prätention und Wahl der Notwendigkeit) gebildet, die je nach Zusammensetzung der beiden Kapitalarten (relativ viel kulturelles und wenig ökonomisches, gleichviel von beidem oder umgekehrt viel ökonomisches und wenig kulturelles Kapital) horizontal in Klassenfraktionen differenziert werden.“ (Steinrücke [2006], S. 74). Aus dieser Differenzierung der Klassen nach horizontalen und vertikalen Achsen im gesellschaftlichen Raum lassen sich dann auch die verschiedenen Felder und damit zusammenhängende Geschlechterlogiken ableiten. 172 Siehe dazu u. a. Kastner (2012), S. 31. Der Kritik Jaques Rancières, Bourdieu schaffe mittels des performativen Charakters dieses Werks erst die Realität der Ungleichheit, die er beschreibe (siehe dazu Wuggenig in Jurt/Wuggenig (2014), S. 202; er bezieht sich hier auf Rancière [2007]) entgegnet Wuggenig die Arbeiten von Thomas Piketty und seiner Schule. Anhand letzterer lässt sich bereits des Längeren die Reale Entwicklung der Ungleichheit in Frankreich wie in anderen Ländern in historischer Perspektive aufzeigen (siehe dazu bspw. Atkinson/Piketty [Hg.] [2007]). Rancières Schriften – und insbesondere dessen Beschwörungen einer „Gleichheit der Intelligenzen“ – fügen laut Wuggenig „in dieser Hinsicht der Vielzahl der im philosophischen Diskurs axiomatisch vorausgesetzten Aspekte und Kriterien von Gleichheit bloß noch eine weitere Dimension hinzu.“ (Wuggenig in Jurt/Wuggenig [2014], S. 204). Eine weitere Kritik Rancières an Bourdieus Werk findet sich in dem (Struktur-)Determinismusvorwurf, wonach Akteur/innen als rein determinierte Subjekte erkannt und in ihrem aktiven Handeln verkannt werden, auch bezogen auf den ästhetischen Geschmack. Rancière setzt Bourdieus Ansatz (sowie der Soziologie insgesamt) – beide bezeichnet er auch als „Kriegsmaschinen“ – eine ästhetische Neutralisierung des Wissens („aesthetic neutralisation of knowledge“) entgegen, der er eine demokratisierende Wirkung zuspricht (vgl. Rancière [2007], S. 2ff.). Dabei missach  

 

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Arbeit bildet die anhand der Korrespondenzanalyse erstellte Abbildung des „Raums der sozialen Positionen“ und des „Raums der Lebensstile“,173 in der eine explizite Auseinandersetzung mit der Position und Disposition von Frauen an einer Stelle erfolgt: In der Mitte der Abbildung des sozialen Raums – der Ort der mittleren Klassen – findet sich ein Diagramm, das auf die Herkunft von Frauen und Männern aus einer sozio-professionellen Klasse hinweist.174 Demnach stammen Männer, die über ein mittleres kulturelles wie ökonomisches Kapital verfügen vor allem aus den unteren Klassen, ihre Position ist häufig mit einem sozialen Aufstieg verbunden. Der Prozentsatz an Männern, die mittleren Positionen angehören, aber einer höheren Klasse entstammen, zeigt sich mithin als relativ gering. Im Gegensatz dazu spielt die soziale Herkunft bei den Frauen, die eine mittlere Position im sozialen Raum einnehmen eine schwächere Rolle, insofern als sie in stärker ausgeglichenem Maße aus den unteren, den mittleren und den höheren Klassen stammen. Ein geringfügig größerer An                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    

tet Rancière den von Bourdieu definierten Möglichkeitsraum gleichermaßen wie er eine verkürzte Sichtweise von Position und Disposition im bourdieuschen Sinn aufweist (siehe dazu auch Wuggenig [2015], S. 2). Rothmüller versteht diese Auffassung des Forschungsansatzes Bourdieus, der eine Trennung zwischen den blinden „gewöhnlichen“ Akteur/innen und den „erleuchteten“ Soziolog/innen unterstellt, als „Ausdruck einer einseitigen und verkürzten Rezeption, die seine sehr differenzierten Arbeiten zu diesem Thema nicht zur Kenntnis nimmt.“ (Vgl. Rothmüller [2014], S. 154). Wuggenig sieht den Gipfel dieser Determinismuskritik Rancières an Bourdieus Soziologie im „Vorwurf des Polizeicharakters“ – eine hinsichtlich eines als Anti-Essentialist und Anti-Naturalist bekannten Soziologen absurde Position, der Wuggenig allenfalls zugesteht, sie früher als manch anderer erhoben zu haben, wie beispielsweise Luc Boltanski, Laurent Thévenot oder auch Bruno Latour (vgl. Wuggenig in Jurt/Wuggenig [2014], S. 189). Jurt fügt hinzu, nach Bourdieu erleichtere gerade die Analyse der Kritik der Mechanismen der Reproduktion die Intervention (vgl. Jurt in ebd., S. 195). Gleichfalls sollte Bourdieu nicht als Reproduktionstheoretiker verstanden werden, denn „Bourdieu spricht sich gerade gegen einen substantialistischen Klassenbegriff aus und konstruiert auf der Basis von Kapitalvolumen und Kapitalstruktur theoretische Klassen. Die zentrale Kategorie in diesem Zusammenhang ist die der »Strategie«. Die von Bourdieu in Bezug auf den Habitus angesprochene »Freiheit in Grenzen« bedeutet, dass in unterschiedlichen Feldern die Ressourcen und Dispositionen unterschiedlich eingebracht werden können.“ (Ebd.). Eine Betrachtung der sozialen und politischen Praxis Bourdieus als intervenierender Intellektueller offenbart eine Entkräftung des Determinismus-Vorwurfs auch in dem Aspekt, als solche Interventionen auf Bourdieus Überzeugung fußten, Veränderungen seien durchaus möglich (vgl. ebd.). 173 Siehe dazu Bourdieu (1982), S. 212. Der Raum der sozialen Positionen ist aufgebaut entsprechend der synchronischen und diachronischen Verteilung von Volumen und Struktur des Kapitals in seinen verschiedenen Ausprägungen. Die Position jeder Gruppe wird dabei determiniert durch das Ensemble an charakteristischen und unter diesen Verhältnissen als relevant definierten Merkmalen. Der Raum der Lebensstile hingegen ist durch die Verteilung der Praktiken und Merkmale definiert, die für den Lebensstil konstitutiv sind, in dem sich eine jeweilige soziale Lage niederschlägt (vgl. ebd., S. 211ff.). 174 Vgl. ebd., S. 212f.

 

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teil der Frauen kommt aus mittleren und unteren Klassen gegenüber denjenigen, die aus höheren Klassen stammen und mittlere Positionen einnehmen. Der Anteil der aus höheren Klassen stammenden Akteur/innen ist innerhalb der Gruppe der Frauen weitaus größer als dies innerhalb der entsprechenden Gruppe der Männer der Fall ist. Somit weisen die beiden Diagramme darauf hin, dass in diesem sich in der Mitte des sozialen Raums befindlichen Segment Frauen aus höheren Klassen professionelle Positionen einnehmen, die ebenfalls von Männern besetzt werden, die aus niedrigeren Klassen als die Frauen stammen. Im Spektrum dieser sozio-professionellen Kategorie finden sich neben den medizinisch-sozialen Dienstleistungen auch Kunsthandwerker wie -händler und Kulturvermittler (die Kunstproduzenten finden sich auf mit höherem Kapitalvolumen ausgestatteten Positionen). De Saint Martin weist in folgendem Zitat auf diese Gender-Bezugnahme Bourdieus hin: „However, as far as the core of the book is concerned – the construction of social space and the space of lifestyles – only two histograms close to the medico-social services draw attention to the fact that, in these professions, women at that time often came from the upper classes whereas the majority of men were of working class origin.“175

Im Rahmen seiner Theorie des künstlerischen Feldes bringt Bourdieu einen ähnlichen Zusammenhang, in anderer Formulierung, erneut zum Ausdruck, wenn er den Frauen der Bourgeoisie eine vermittelnde Position zwischen den Männern ihrer Klassenfraktion und den Intellektuellen sowie den jungen Bourgeois zuspricht.176 Bemerkenswert ist zudem, dass er es an dieser Stelle für zentral erachtet, überhaupt auf geschlechtliche Asymmetrien hinzuweisen. Seine ansonsten eher marginale Bezugnahme auf Frauen führt er selbst (wie vorgängig ausgeführt) auf die Problematik zurück, dass diese aufgrund des vielfachen Ausschlusses aus der öffentlichen Sphäre bzw. der Berufsarbeit nur schwer im sozialen Raum einzuordnen sind.177 Letzteren, maßgeblich an Professionen festgemachten, bezeichnet er in diesem Zusammenhang auch als einen „männlichen Raum“.178 Diese bewusste „Nichtbeachtung“ professionell agierender Frauen beschreibt eine in den 1970er und 1980er Jahren und teilweise auch darüber hinaus gängige Praxis soziologischer Forschung. Wie Nancy Riley für die demografische Forschung expliziert, vollzog sich erst um die Jahrhundertwende eine grundlegende Veränderung, wobei noch für die 1990er Jahre eine weitgehende Ignoranz der Geschlechtervariablen in der Demografieforschung anzutreffen ist.179 Die heute veränderte Situation kann sicherlich zum einen auf die zunehmende Inklusion von Frauen in den Arbeitsmarkt in den vergangenen 30 Jahren zurückgeführt werden; maßgeblich ist dieser Perspektivenwechsel aber auch den kontinuierlichen Verweisen auf diesen Missstand vonseiten der Geschlechterforschung zuzuschreiben. Unter Beachtung dieses Status quo in den 1980er und 1990er Jahren verwundert Bourdieus lediglich randständige Diskussion der Bedeutung von Geschlecht für die                                                                                                                                                                            

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De Saint Martin (2014), S. 25. Siehe dazu die Ausführungen zur Geschlechterdimension im Kunstfeld. Vgl. Bourdieu (1997b), S. 221f. Vgl. ders. (1982). Vgl. Riley (2005), S. 109.

 

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Einnahme sozialer Positionen kaum und ebenso wenig überrascht seine Beschreibung von Geschlecht als ein sekundäres Merkmal in „Die feinen Unterschiede“.180 Dieser Kategorie ordnet Bourdieu neben dem geschlechtsspezifischen Koeffizienten auch die geografische Verteilung sowie die ethnische Zugehörigkeit und das Alter zu. Merkmale, die als unterschwellige Anforderung, als reale und dennoch nicht förmliche Auslese- oder Ausschlussprinzipen funktionieren.181 Dies führt Bourdieu etwa zu der Annahme, dass sekundäre Merkmale in diesem Sinn innerhalb des offiziellen Berufsbildes nicht auftauchen, aber dennoch unterschwellig wirken. Sie lenken vom Eintritt in den Beruf die gesamte Karriere über mehr oder weniger offen die Kooptationsentscheidungen. Daraus resultiert auch, dass Mitglieder der Körperschaft ohne entsprechende Merkmale entweder ausgeschlossen oder auf Außenseiterpositionen abgeschoben werden.182 Bourdieu betont, dass diese sekundären Merkmale, die für die abgegrenzte Gruppe konstitutiv sind, aber nicht erwähnt werden, zugunsten der bevorzugten Charakteristik einer Gruppe leicht verschleiert werden.183 Er bezeichnet und verwendet Geschlecht also als ein sekundäres Merkmal, ihm ist dabei aber durchaus bewusst, dass es sich um einen Verschleierungsmechanismus handelt. Noch gegen Ende der 1990er Jahre betrachtet er die Aufnahme von Geschlecht als Hauptvariable in seinen Untersuchungen nicht als Alternative. In einem Interview mit Irene Dölling und Margareta Steinrücke im Jahr 1997 weist er vielmehr darauf hin, dass er es sogar für sehr gefährlich halte, aus dem Geschlecht die Hauptvariable zu machen: „Ich denke, es ist sehr gefährlich, aus dem Geschlecht die Hauptvariable zu machen; das kann mystifizierende Effekte haben. Und es kann den Frauen in sozial höheren Positionen die Möglichkeit geben, im Namen der Einheit des gender, Frauen mit niedrigerem sozialen Status zu dominieren […]. Es besteht diese Gefahr, daß die gesellschaftlich dominierenden Frauen ihre partikularen Interessen auf Kosten der dominierten Frauen verallgemeinern. Daher meine Zurückhaltung … Aber vielleicht müssen wir dieses Problem schlicht und einfach fallenlassen, weil wir nicht die Mittel haben, es zu entscheiden […].“184                                                                                                                                                                            

180 Siehe dazu u. a. Bourdieu (1982), S. 176f. sowie ders. (2011), S. 194. 181 Vgl. ders. (1982), S. 176f. 182 Dies hat etwa zur Folge, dass sich Ärztinnen oder Anwältinnen insbesondere auf Frauenkundschaft verwiesen sehen (vgl. ebd.). 183 Vgl. ebd. 184 Ders. (1997b), S. 224f. Diese Überlegungen bzw. Befürchtungen bringt Bourdieu auch im Schlussteil von „Die männlichen Herrschaft“ an. Dort betont er, dass sich die feministische Bewegung nicht in patentierte feministische Formen des politischen Kampfes, wie der Forderung nach Parität in den politischen Instanzen abdrängen lassen darf. Zwar erinnern diese Kämpfe daran, so Bourdieu, dass der Universalismus, den das Verfassungsgericht proklamiert, nicht so universell ist, wie es den Anschein hat. Gleichzeitig sieht er hierin aber die Gefahr, dass die Wirkung einer anderen Form von fiktivem Universalismus verstärkt wird, und zwar die vorrangige Begünstigung von Frauen, „die aus denselben Regionen des sozialen Raums stammen wie die Männer, die gegenwärtig die herrschenden Positionen einnehmen.“ (Ders. [2005a], S. 199).

 

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Dass Bourdieu Geschlecht aber dennoch als Koeffizienten von Bedeutung betrachtet – wenn nicht als primären, dann doch innerhalb von Klassenfraktionen – zeigt er an anderer Stelle in „Die feinen Unterschiede“. Demnach definiert sich eine Klasse oder Klassenfraktion nicht allein durch ihre Stellung in den Produktionsverhältnissen, sondern eben auch durch einen bestimmten (verborgenen) geschlechtsspezifischen Koeffizienten.185 Die kollektive Laufbahn einer gesellschaftlichen Klasse kann, so Bourdieu, u. a. in ihrer „Verweiblichung“ oder „Vermännlichung“ zum Ausdruck kommen. Zudem kann sich der Abstieg einer Position in der Tatsache ihrer „Verweiblichung“, auch in Verbindung mit einer Anhebung der sozialen Herkunft äußern.186 Bourdieu versteht in diesem Zusammenhang soziale Klassen nicht als durch ein Merkmal, noch durch eine Summe oder eine Kette von Merkmalen definierte. Vielmehr manifestiert sich eine Klasse durch die Struktur der Beziehungen zwischen allen relevanten Merkmalen,187 wobei auch ein sekundäres wie das Geschlecht von Bedeutung sein kann: „[…] eine Klasse definiert sich wesentlich auch durch Stellung und Wert, welche sie den beiden Geschlechtern und deren gesellschaftlich ausgebildeten Einstellungen einräumt. Darin liegt begründet weshalb es ebenso viele Spielarten der Verwirklichung von Weiblichkeit gibt wie Klassen und Klassenfraktionen, und weshalb die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern auf der Ebene der Praxis wie der Vorstellungen innerhalb der verschiedenen Gesellschaftsstrukturen höchst unterschiedliche Ausprägungen annimmt.“188

Bourdieu räumt dem Geschlechtskoeffizienten eine durchaus bedeutende Rolle ein, die allerdings je nach Klasse oder Klassenfraktion unterschiedliche Ausprägungen annimmt – ein Ergebnis, das sich empirisch begründet dann auch bei Frerichs/Steinrücke zeigt. Und er führt diesen Gedanken sogar noch weiter, indem er davon ausgeht, dass sich die „Wahrheit“ einer Klasse oder Klassenfraktion u. a. in ihrer geschlechtsspezifischen Verteilung und in der zeitlichen Entwicklung dieser Verteilung ausdrückt. Die niedrigsten Positionen zeichnen sich demnach auch durch einen erheblichen und wachsenden Anteil von Ausländern und/oder Frauen sowie insbesondere ausländischen Frauen aus. Vor allem Dienstleistungs- und Pflegeberufe – verstärkt Berufe im häuslichen Dienstleistungssektor – sind somit praktisch Frauen vorbehalten.189 Eine weitere im Hinblick auf die vorliegende Untersuchung besonders relevante Aussage Bourdieus, die er auch empirisch begründet, findet sich in „Die feinen Unterschiede“ an der Stelle, an der er betont, dass die traditionelle Rollenverteilung mit wachsendem Bildungskapital abnimmt und sich der gesellschaftlich produzierte Unterschied zwischen den Geschlechtern abschwächt, steigt man in der gesellschaftlichen Hierarchie nach oben und insbesondere zu den dominierten Fraktionen der herrschenden Klasse:                                                                                                                                                                            

185 186 187 188 189

Vgl. Bourdieu (1982), S. 176ff. Vgl. ebd., S. 178. Vgl. ebd., S. 182. Ebd., S. 185. Vgl. ebd., S. 182.

 

108 | K UNST UND G ENDER „Im übrigen schwächt sich der gesellschaftlich produzierte Unterschied zwischen den Geschlechtern ab, steigt man in der gesellschaftlichen Hierarchie nach oben und vor allem bis zu den dominierten Fraktionen der herrschenden Klasse, in denen die Frauen sich zunehmend typische Vorrechte der Männer (wie das Interesse an Politik und die Lektüre der sogenannten führenden Meinungsorgane) aneignen, während hier die Männer sich zu Interessen und Einstellungen (z.B. in Fragen des Geschmacks) bekennen, die sie in anderen Klassen als »verweiblicht« abstempeln würden.“190

Bourdieus Argumentation kann hier als die Beschreibung eines „Geschlechterhabitus“ (oder einer „Geschlechterdisposition“) verstanden werden, der (bzw. die) je nach Position im sozialen Raum differiert und ist insofern besonders interessant, als die geschlechtsbezogenen habituellen Differenzen (als gesellschaftlich produzierte und nicht als natürliche zu verstehen) in höheren gesellschaftlichen Fraktionen eine geringere Ungleichheit zwischen Mann und Frau aufweisen, als dies für die unteren Fraktionen der Fall ist. Insbesondere trifft dies auf die dominierten Fraktionen der herrschenden Klasse zu, zu denen als „beherrschte Herrschende“ auch die Akteur/innen des Kunstfelds zählen. Als Beispiele, die diese je nach sozialer Position verschiedene Differenz zwischen den Geschlechtern beschreiben können, nennt Bourdieu das Interesse an Politik sowie die Lektüre führender Meinungsorgane, die für Frauen am kulturellen Pol der herrschende Klasse mit größerer Selbstverständlichkeit in den Habitus eingegangen sind als dies für Frauen gilt, die Positionen an anderen Orten des Sozialraums einnehmen. Gleichermaßen bekennen sich Männer auf diesen Positionen hin zum kulturellen Pol zu Fragen des Geschmacks, die wiederum für Akteure an anderen Orten des sozialen Raums nicht mit einer vergleichbaren Selbstverständlichkeit vertreten werden können. In den dominierten Fraktionen der herrschenden Klassen erweisen sich damit geschlechtsspezifisch differenzierende habituelle Eigenschaften, wie die genannten, als weniger stark ausgeprägt als dies in anderen Klassenfraktionen der Fall ist. Daraus ergibt sich, im Anschluss an Bourdieu, dass aus der sozialen Praxis – also auch dem vergeschlechtlichten Verhalten – soziale Strukturen produziert werden („wirkliche“ oder wahrgenommene“), aus denen im Handeln der Individuen hergestellte soziale Klassen entstehen,191 die sich in ihrer Geschlechterdifferenz unterscheiden lassen. Vergeschlechtlichte Habitus äußern sich demnach nicht nur in den im sozialen Raum vertikal gedachten sozialen Klassen, sondern auch in der horizontalen Unterscheidung zwischen dem kulturellen und dem ökonomischen Pol. Mit Blick auf die folgende Untersuchung zum Kunstfeld geht hieraus bereits hervor, dass in letzterem und insbesondere an dessen autonomen Pol, die habituelle Differenz zwischen Männern und Frauen weitgehend abgeschwächt ist. Bourdieu stützt diese Aussage folgendermaßen: „Eine Untersuchung getrennt nach Fraktionen würde zweifelsohne zutage fördern, daß in Bezug auf Politik wie Ästhetik die geschlechtsspezifischen Differenzen zunehmend schwinden im Übergang sowohl von den beherrschten zu den herrschenden Klassen als auch – innerhalb der herrschenden Klasse und wohl auch innerhalb des Kleinbürgertums – von den ökonomisch                                                                                                                                                                            

190 Bourdieu (1982), S. 599. 191 Vgl. Krais (2007), S. 138.

 

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dominanten zu den dominierten Fraktionen. Alles deutet darauf hin, daß im politischen Bereich wie anderswo mit wachsendem Bildungsgrad auch der Geschlechtsstatus verstärkt abgelehnt wird.“192

Die geschlechtsspezifischen Differenzen in Bezug auf Politik und Ästhetik – und somit auch die Dispositionen – schwächen sich also im Übergang von den beherrschten zu den herrschenden Fraktionen sowie vom ökonomischen Pol zum kulturellen Pol weiter ab. Mit wachsendem Bildungsgrad wird auch der Geschlechterstatus abgelehnt. Inwiefern am ökonomischen Pol der herrschenden Fraktionen auch heute durchaus starke Geschlechterdifferenzierung bestehen, zeigt die Studie jüngeren Datums „Primates of Park Avenue“ von Wednesday Martin. Eine ausgeprägte Geschlechterteilung wird hier u. a. in der Übernahme der finanziellen Versorgung der Familie durch Männer deutlich, während die Sorgearbeit für die Kinder von den Frauen geleistet wird. Für letztere geben die häufig über ein hohes Bildungskapital verfügenden Frauen ihre eigenen erfolgreichen Karrieren oftmals auf.193 Eine Zuspitzung dieser Situation findet sich in dem von Martin angebrachten Beispiel, wonach vormals beruflich erfolgreiche Frauen nach der Aufgabe ihrer Karrieren zugunsten der Familie und Kinder von ihren Ehemännern eine jährliche Prämie in Form eines „WifeBonus“ – „an annuity given to a female spouse by her husband for meeting certain benchmarks“194 – für eine besonders gelungene „Ehefrau-Mutter-Performance“ ausgezahlt bekommen. Martin zeigt an diesem Beispiel (welches von einigen der Frauen zudem als feministischer Akt beschrieben wird), die stark asymmetrische Geschlechterbeziehung zwischen den finanziell gut abgesicherten Ehepartner/innen ihrer Studie.195 Wuggenig beschreibt die Geschlechterdifferenzierung in diesen obersten Regionen des Machtfeldes auf die Studie Martins bezugnehmend wie folgt: „Das Leben der Frauen aus den obersten Regionen des Machtfeldes ist auf Haushalt, Nachwuchs und Statussicherung der Kinder festgelegt. Für beide untersuchten Geschlechter gilt hochgradige Homosozialität, sozialer Verkehr innerhalb der eigenen Klassenfraktion wie in der eigenen Geschlechterkategorie.“196

Bedarf es bezüglich der Bedeutung von Geschlecht in den herrschenden Klassen demnach auch einer Unterscheidung zwischen den dominierenden und den dominierten Fraktionen, ist für die Einnahme professioneller Positionen im Kunstfeld von einer geringeren geschlechtsbedingten Exklusion auszugehen, als dies für Positionen am herrschenden Pol des Machtfelds gilt. Abstufungen sind auch in dieser Region hin zu den mit besonders viel Macht ausgestatteten Positionen zu erwarten – für die Betrachtung von Spitzenpositionen ist dies insbesondere von Interesse. In obigen Ausführungen klingt damit auch an, was Bourdieu in „La domination masculine“                                                                                                                                                                            

192 193 194 195 196

Bourdieu (1982), S. 628. Vgl. Martin (2015). Luscombe (2015). Vgl. ebd. Wuggenig (2015), S. 2.

 

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schlussfolgert – der kulturelle Sektor sei einer der wenigen, in dem Frauen Führungspositionen offen stehen:197 „[…] obwohl der kulturelle Sektor einer der wenigen ist, wo Frauen Führungspositionen besetzen können […].“198 Abschließend lässt sich den Ausführungen zur Bedeutung von Geschlecht im gesellschaftlichen Raum auch eine Aussage hinsichtlich der unteren Klassenfraktionen hinzufügen. Ebenfalls in die feinen Unterschiede weist Bourdieu auf eine Differenzierung nach der Rigidität der Moralvorstellungen in Bezug auf die Geschlechter hin: „Eine ganze Gruppe von Indikatoren dokumentiert, daß bei allem, was die Sexualität und die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung angeht, die unteren Bevölkerungsklassen den rigideren Moralvorstellungen folgen. Was etwa die Kleidung betrifft, lassen sie – gewiß aus praktischen Gründen – Hosen bei der Arbeit gern zu, weisen sie jedoch viel häufiger als andere Klassen als Kleidung fürs Haus oder zum Ausgehen zurück; sie mißbilligen auch Miniröcke immer noch sehr stark […]. Die Arbeiter (53,2 %) und vor allem die Landwirte (34 %) neigen weniger als die Cadres moyens (57 %) und Cadres supérieurs (59 %) dazu, die Virginität eines Mädchens völlig unwichtig zu finden […].“199

Fasst man die genannten Charakteristiken zusammen, lässt sich ein im Anschluss an Bourdieu gedachtes, theoretisches Modell des sozialen Raums mit dem Ausweis besonderer Merkmale einer Geschlechterdimension in diesem sowie den sozialen Feldern und Klassen erstellen, wie in Abbildung 1 aufgezeigt. Der Entwurf basiert auf Bourdieus gesellschaftlichem Raum, den er zur Einordnung des kulturellen Felds in „Die Regeln der Kunst“ vorlegte.200

                                                                                                                                                                           

197 198 199 200

Vgl. Bourdieu (2005a), S. 175. Ebd. Ders. (1982), S. 598, Fn. 13. Siehe dazu ders. (1999), S. 203.

 

!

!

ÖKN) KK+)

) ) )

Traditionelle)Rollenverteilung) nimmt)mit)steigendem) Bildungskapital)ab)(vgl.)Bourdieu) (2005a)).)

Abschwächung)des) gesellschaftlich) produzierten)GeschlechterN unterschieds)(vgl.)Bourdieu) (1982)).)

(vgl.)Bourdieu)(1982)).)

Frauen)eignen)sich) Vorrechte)an,)die)Männern) zugeschrieben)werden;) Männer)bekennen)sich)zu) verweiblichten) Einstellungen)und) Interessen)(bspw.)im) Bereich)des)Geschmacks))

Professionelle)Positionen) unterliegen)der) Zuständigkeit)der) Produktion)von) symbolischem)Kapital)(vgl.) Bourdieu)(1999,)2005a)).)

Bourdieu)(1982)).)

Verstärkte)Ablehnung)des) Geschlechterstatus)(vgl.)

ÖK) KK)

ÖK+) KK+)

Machtfeld) Ökonomisches) Feld))

Subfeld)der)eingeschränkten) Produktion)

In)Bezug)auf)das)Kapital)und)die) professionelle)Position)verstärkter) sozialer)Aufstieg)von)Männern)und) Konstanz)bzw.)Abstieg)von)Frauen)(vgl.) Bourdieu)(1982)).) Relativ)rigide)Moralvorstellungen)in) Bezug)auf))Sexualität)und) geschlechtsspezifische)Arbeitsteilung) (vgl.)Bourdieu)(1982)).))

ÖK+) KKN) !

Finanzielle)Versorgung)der) Familien)durch)Männer) ausgeprägt)(vgl.)Martin)(2013)).)

(vgl.)Martin)(2013)).)

Häufiger)Abbruch)der)Karriere)bei) Frauen,)die)über)ein)hohes) Bildungskapital)verfügen)zugunsten) der)Sorgearbeit)für)Kinder/Familie)

Abbildung)1:)Theoretisches)Modell)des)sozialen)Raums)mit)Ausweis)besonderer) Merkmale)zur)Geschlechterdimension)in)sozialen)Feldern)und)Klassen)(eigene) Darstellung)im)Anschluss)an)Bourdieu)(1982,)1999,)2005)sowie)Martin)(2013)))

ökonomisches)Kapital) kulturelles)Kapital)

ÖKN) KKN!

Ort)der) unteren) Klassen)

(nationaler))sozialer)Raum)

nichtprofessionelle) Ort)der) Kulturproduktion) mittleren) Klassen)

Dominierte) Ort)der) Fraktionen)der) herrschenden)Klasse) oberen) Klassen) Feld)der)) kulturellen) Produktion)

Frauen)ist)es)in)besonderem) Maße)möglich,)FührungsN positionen)zu)übernehmen) (bspw.)hohe)Kultur,)Haute) Couture))(vgl.)Bourdieu)(2005a)).)

Abbildung 1: Theoretisches Modell des sozialen Raums mit Ausweis besonderer Merkmale zur Geschlechterdimension in sozialen Feldern und Klassen (eigene Darstellung im Anschluss an Bourdieu [1982, 1985a, 1999, 2005a] sowie Martin [2015]) T HEORETISCHER R AHMEN : E INE PARADOXE L OGIK IN EINEM PARADOXEN F ELD

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Entlang einer horizontalen sowie einer vertikalen Achse manifestiert sich die Zusammensetzung der verschiedenen Kapitalarten an den verschiedenen Orten dieses Raums. An der vertikalen Achse findet sich eine Unterscheidung der oberen, der mittleren und der unteren Klassen, die Bourdieu in „Sozialer Raum und Klassen“ als theoretische beschreibt.201 Zudem finden sich in dem Schema Kennzeichnungen zum kulturellen und ökonomischen Feld, zum Machtfeld sowie zu den dominierten Fraktionen der herrschenden Klassen. In einem weiteren Schritt wurden die oben ausgeführten Geschlechtermerkmale anhand von gestrichelten Linien den entsprechenden Bereichen des Modells bzw. der gesellschaftlichen Sphäre zugefügt. Diese Visualisierung sowie die Ausführungen zu den Merkmalen diente der Übersetzung der einzelnen Elemente in ein Schema, in dem eine Integration der theoretisch verstandenen Geschlechterdimension in den sozialen Raum und insbesondere in das Feld der kulturellen Produktion erfolgte (Abbildung 2). Abermals basierend auf Bourdieus Darstellung des gesellschaftlichen Raums und des kulturellen Felds in „Die Regeln der Kunst“ wurde diesem Schema neben der Unterscheidung nach den verschiedenen Kapitalarten – dem ökonomischen, dem kulturellen und dem spezifischen symbolischem Kapital – ein weiteres Element zur Strukturierung des Raums zugefügt: Die Geschlechterdifferenz. Letztere basiert auf Merkmalen, wie sie in Abbildung 1 im Einzelnen aufgeführt wurden und umfasst damit mit dem Geschlecht der Akteur/innen verbundene Zuschreibungen, (Prä-)Dispositionen oder auch habituelle Eigenschaften. Abbildung 2 verdeutlicht, dass nach diesem Schema das Feld der kulturellen Produktion (dem Quadranten links oben zugehörig), tendenziell als eines derjenigen hervorgehoben werden kann, das sich durch eine besonders geringe Geschlechterdifferenz (G - -) auszeichnet; demgegenüber ist der rechte untere Quadrant

                                                                                                                                                                           

201 Vgl. Bourdieu (1985). Zur Klassendefinition Bourdieus bleibt es, die Kritik Wuggenigs anzumerken, wonach Bourdieu – zumindest im empirischen Teil seiner Studie – die Klassen des Machtfeldes nur in unzureichender Weise erfasste. Wuggenig beschreibt dies „als ein grundsätzliches Problem »repräsentativer« soziologischer Survey Studien, bekannt als deren »middle class bias«. Repräsentanten der Eliten bzw. der oberen Klassen im engeren Sinn, also etwa des Personenkreises jenseits derjenigen, die im Jargon der Investmentbanken als »next door millionaires« bezeichnet werden, finden sich in Stichproben, wie Bourdieu sie heranzog, z.B. gar nicht.“ (Wuggenig in Jurt/Wuggenig [2014], S. 203). An anderer Stelle argumentiert Wuggenig, die Machtelite bzw. die Fraktion der Mächtigen und (Super-)Reichen fand in Bourdieus Studie gleichermaßen keine Berücksichtigung, wie eingewanderte Migrant/innen aus (ehemaligen) Kolonien (vgl. Wuggenig [2015], S. 2). Hinsichtlich Rancières Vorwurf der Performanz von Ungleichheit bei Bourdieu (siehe dazu Fn. 172) konstatiert Wuggenig vielmehr deren faktische Untertreibung (vgl. Wuggenig [2015], S. 2). Die in diesem Sinn „Mächtigen“ sind in dem dargestellten theoretischen Modell (Abbildung 2) der herrschenden Fraktion des Machtfelds zuzuordnen und werden in der Bezugnahme auf die Studie Martins (2015), deren Analysen zur Homosozialität dieser Gruppe sowie der „hochgradig geschlechtsspezifischen Normierung des Lebensstils der Privilegierten“ (vgl. Wuggenig [2015], S. 2) in die vorgenommenen Überlegungen und Ausführungen integriert.

 

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– eine Region der beispielsweise Landwirte, Landarbeiter und Handwerker angehören202 – durch eine besonders starke Geschlechterdifferenz (G + +) gekennzeichnet. Abbildung 2: Theoretisches Modell zur Geschlechterdifferenz im sozialen Raum und im Feld der kulturellen Produktion (eigene Darstellung im Anschluss an Bourdieu [1999], S. 203 sowie Bourdieu [1982, 1985a, 2005a] und Martin [2015]) !

ÖK+) KK+)

Ort)der)) oberen)Klassen) Dominierte)Fraktionen) der)herrschenden)Klasse)

Auton+) ÖkL) SSK+)

AutonL) Ök+) SSKL)

Feld)der) kulturellen)Produktion)

ÖKL) KK+)

Machtfeld)

nichtprofessionelle)Kulturproduktion)

ÖK+) KKL)

Ort)der)) mittleren)Klassen)

(nationaler))sozialer)Raum)

Ort))der)) unteren)Klassen)

ÖKL) KKL)

ÖK) KK) SSK) Auton) GD)

)

ökonomisches)Kapital) kulturelles)Kapital) spezifisches)symbolisches)Kapital) Autonomiegrad) Geschlechterdifferenz)

Subfeld)der)eingeschränkten)Produktion)

 

Die Differenz verhält sich in der Abbildung des sozialen Raums folgendermaßen: Der Unterschied schwächt sich von den unteren hin zu den höheren Klassenfraktionen ab und ebenfalls vom ökonomischen hin zum kulturellen Pol des Feldes. Daraus ergibt sich eine besonders starke Geschlechterdifferenz am ökonomischen Pol der ! unteren Klassenfraktionen sowie eine besonders geringe Geschlechterdifferenz am

Abbildung)1:)Theoretisches)Modell)der)Geschlechterdifferenz)im)sozialen)Raum)und)        im)Feld)der)kulturellen)Produktion)(eigene)Darstellung)im)Anschluss)an)Bourdieu)                                                                                                                                                                     (1999),)S.)203)) 202 Vgl. Bourdieu (1982), S. 212.

 

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kulturellen Pol der herrschenden Klassen. Diesem offenbaren Möglichkeitsraum für Frauen am kulturellen Pol des Sozialraums (Macht-)Positionen einzunehmen, deren Einnahme an anderen Orten stärker determiniert ist, muss aber auch ein weiterer Gedanke hinzugefügt werden und zwar die Differenzierung zwischen den dominanten und den dominierten Fraktionen der herrschenden Klasse und dem hierin verborgenen Machtverhältnis. Denn die im theoretischen Modell gezeigte geringe Geschlechterdifferenz am kulturellen Pol des Feldes zeigt sich damit auch in einer Region des Sozialraums verortet, die in relativer Distanz zu dessen Machtzentrum liegt. Bourdieus Ansatz die weibliche Dispositionen aus dem Markt der symbolischen Güter heraus zu erklären, legt die Übertragung ihrer innerhäuslichen Position auf professionelle Bereiche nahe – sie übernehmen vornehmlich Tätigkeiten, die zur Ästhetik und somit zu der Gestaltung des sozialen Images und zum öffentlichen Erscheinungsbild einer Familie zählen: „Da die Frauen das symbolische Kapital der Familien verwalten, sind sie folgerichtig dazu berufen, diese Rolle auf den Unternehmensbereich zu übertragen. Dort wird fast immer von ihnen verlangt, die Tätigkeiten der Präsentation, der Repräsentation und des Empfangs […], aber auch die Gestaltung der großen bürokratischen Rituale zu übernehmen, die wie die häuslichen Rituale zur Erhaltung und Mehrung des sozialen Kapitals an Beziehungen und des symbolischen Kapitals beitragen.“203

Eine geringe Geschlechterdifferenz, die sich in der Besetzung professioneller – vor allem auch leitender – Positionen äußert, dabei aber in den dominierten Bereichen des Machtfeldes verortet ist, lässt sich somit auch unter dem Aspekt einer relativen Beherrschung interpretieren. Funktionen in der Konsumption oder Produktion der symbolischen Güter und Dienstleistungen, der Distinktionszeichen – bis hin zur Haute Couture oder hohen Kultur – zu übernehmen, verweist auf Zuständigkeiten in einem ebensolchen dominierten Bereich.204 Sie verbleiben Tätigkeiten untergeordneter Art, die der gesellschaftlichen Sphäre der „beherrschten Herrschenden“ zuzurechnen sind. Ein Paradox in der weiblichen Disposition, das Bourdieu wie folgt erklärt: „Es sieht demnach ganz so aus, als ob der Markt der symbolischen Güter, dem die Frauen die besten Beweise für ihre berufliche Emanzipation verdanken, diesen »freien Mitarbeitern« der symbolischen Produktion die Scheinfreiheiten nur gewährt, um von ihnen ihre eifrige Unterwerfung unter die symbolische Herrschaft, die durch die Mechanismen der Ökonomie der symbolischen Güter ausgeübt wird, und ihren Beitrag zu ihr um so sicherer zu erhalten.“205                                                                                                                                                                            

203 Bourdieu (2005a), S. 173. 204 Vgl. ebd., S. 175. 205 Ebd., S. 176. Bourdieu fügt dem hinzu: „Das intuitive Erfassen dieser Mechanismen, das sicherlich einigen von der feministischen Bewegung vorgeschlagenen subversiven Strategien, wie der Verteidigung des natural look, zugrunde liegt, müsste sich auf alle Situationen erstrecken, in denen die Frauen glauben und glauben machen können, dass sie die Verantwortung eines selbsttätigen Akteurs tragen, während sie doch auf den Status symbolischer Vorzeige- oder Manipulationsmittel reduziert sind.“ [Herv. im Orig.] (Ebd.).

 

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Aus diesen Zusammenhängen konstatiert sich die Notwendigkeit, die hierarchische geschlechtliche Disposition zum einen auf der Ebene der Relation der Geschlechter innerhalb einer spezifischen sozialen Region – beispielsweise einem Feld – zu betrachten und gleichermaßen die Produktion wie Reproduktion von Hierarchien auf struktureller Ebene – in der Zuweisung von Positionen in unter- und übergeordnete, dominierte und dominierende Klassenlagen – in die Untersuchung zu integrieren. Als Feld der symbolischen Produktion, das laut der Ausführungen eine relativ geringe Geschlechterdifferenz aufweist – auch bezogen auf professionelle Positionen – erweist sich das Kunstfeld somit als ein besonders interessantes für die Analyse von Geschlechterstrukturen, innerhalb dieses sozialen Universums wie in Relation zum gesellschaftlichen Makrokosmos.

3.2 D AS K UNSTFELD „Die Erziehung des Herzens“, von Gustave Flaubert im Jahr 1869 verfasst, bildet die Grundlage, auf der Bourdieu seine Theorie des künstlerischen Feldes in „Die Regeln der Kunst“ formuliert. Flaubert erzählt die Geschichte des Frédéric Moreau, ein aus der Provinz, aus bürgerlichem Hause stammender junger Mann, der nach Paris kommt. Die Struktur des sozialen Raums, in dem sich Moreau bewegt, erweist sichbei Bourdieu als die Struktur des sozialen Raums, in dem der Autor selbst situiert war – das literarische Feld gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Paris; in diesen Jahren formiert sich das künstlerische Feld und es bildet sich die relative Autonomie dieses sozialen Universums heraus, die Bourdieu auch noch zur Zeit der Verfassung der „Regeln der Kunst“ als grundlegendes Charakteristikum des Feldes erachtet.206 Im Jahr 1992 in Frankreich erschienen, ist es vorrangiges Ziel der Untersuchung, gültige Aussagen für alle Felder der Kulturproduktion abzuleiten und Ausdifferenzierungen im Feld der Bildenden Kunst wie der Literatur herauszuarbeiten.207 Im Fokus der Studie steht die Genese der Autonomie der künstlerischen Felder, deren Ausgang in der Expansion des Markts der kulturellen Güter in Frankreich gegen Ende des 19. Jahrhunderts verstanden wird. Ausgehend von der Frage nach dem Verhältnis zwischen der sozialen Welt und den kulturellen Objekten gilt die Untersuchung der Produktion kultureller Produkte. Letztere weist einerseits eine innere Logik und Dynamik auf und kann andererseits von ihren historischen Bedingungen oder sozialen Funktionen her verstanden werden.208 Bourdieu versucht damit den Gegensatz einer immanenten und externen Erklärung kultureller Werke, der sich auch in dem Spannungsverhältnis einer klassisch geisteswissenschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Tradition widerspiegelt, zu überwinden. Dieser Zugang, kulturelle Objekte zum Gegenstand soziologischer Untersuchungen zu machen und gleichzeitig deren innere Logik beachten zu können, gilt als grundlegend für Bourdieus Konzeption der kulturellen Felder.209                                                                                                                                                                            

206 207 208 209

Siehe dazu insbesondere Bourdieu (1999), S. 227f. Vgl. ebd., S. 340, Fn. 1. Vgl. Krais (1999). Vgl. Bourdieu (1999), S. 328.

 

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Bourdieu begreift Kunst als ein soziales Interesse, das in Verbindung mit einem gruppen- bzw. klassenspezifischen Habitus steht und als ein Instrument im Kampf um gesellschaftliche Definitionsmacht dient.210 Dies verdeutlicht sich, wenn er in „Die Liebe zur Kunst“ die sozialstrukturellen Merkmale von Museumsbesucherinnen und -besuchern sowie die Beschaffenheit der Institution Museum herausarbeitet. Er zeigt, dass die Rezeption von Kunst als ein erlernter Prozess zu begreifen ist; Leidenschaft für Kunst ist demnach nicht als eine angeborene Disposition, sondern als ein Produkt kultureller Lernprozesse zu verstehen, die beispielsweise in der Schule oder in der Familie erfolgen.211 Die kontemplative Kunstrezeptionsstrategie dagegen beschreibt nach Bourdieu lediglich eine spezifische Position im Kampf um die gesellschaftliche Definitionsmacht und zwar die der herrschenden intellektuellen Fraktion. Geschmackspräferenzen begreift er als Merkmale von sozialem Status, die „Liebe zur Kunst“ vor allem als ein Distinktionsmechanismus der herrschenden Klasse.212 Kunst unterstützt infolgedessen die Anerkennung und Legitimierung der sozialen Klassenverhältnisse, da sie die objektiven Kräfte- und Machtverhältnisse insofern reproduziert, als „ästhetische Begnadung“ 213 zu einer selbstverständlich gegebenen Ordnung der sozialen Welt erhoben wird. Die gesellschaftliche Funktion der Kunst, so Zahner, kann damit gelesen werden, als eine Ungleichheit zu konstituierende und Herrschaft aufrecht zu erhaltende.214 Dass für die Rezeption von Kunst große Mengen an inkorporiertem ästhetischem oder auch kulturellem Kapital als Voraussetzung gelten, verdeutlicht Bourdieu bereits im Jahr 1970 in „Zur Soziologie der symbolischen Formen“. Fröhlich/Mörth sprechen in diesem Zusammenhang auch von einer „Oberschichtensozialisation“.215 Der von Zahner vorgebrachten Kritik einer zunehmenden Demokratisierung der Kunst durch das verstärkte Erreichen eines Massenpublikums und damit einer Abkehr von den lediglich „elitären Nutzern“ einer Hochkultur216 hält Hans-Peter Müller entgegen, dieser „kulturwissenschaftliche Trick“ – die Unterschiede zwischen Hoch- und Populärkultur im Zuge der Argumentation postmoderner Diskurse zu nivellieren – passe nicht zur sozialen Wirklichkeit. Müller                                                                                                                                                                            

210 Vgl. Zahner (2006), S. 75f. Dieser Ansatz der Theorie des künstlerischen Feldes kann auch als Alternative zur Ästhetik Kants gelesen werden, der das Geschmacksurteil als ein rein kontemplatives fasst, indem er die Beschaffenheit eines Kunstwerks lediglich mit Lust und Unlust in Zusammenhang bringt, nicht aber wie Bourdieu mit einem Interesse (vgl. ebd.). 211 Vgl. ebd. 212 Vgl. ebd. 213 Bourdieu (1970), S. 194. 214 Vgl. Zahner (2006), S 76. Zahner verweist an dieser Stelle auf Robbins (1991), S. 123 – 125 sowie Garnham/Williams (1986), S. 124 – 125. 215 Vgl. Fröhlich/Mörth (1994), S. 22. Bourdieu baut auf Panovskys Ikonologie auf, wenn er davon ausgeht, dass jede Betrachtung von Kunstwerken eine bewusste oder unbewusste Dekodierung derselben enthält. Er bezieht sich dabei u. a. auf Panofsky (1980) sowie ders. (2002). Demnach ist ein adäquates Verständnis eines Kunstwerks nur gegeben, wenn der Rezipient oder die Rezipientin über den vollständigen „Dekodierungsschlüssel“ verfügt (vgl. Bourdieu [1970], S. 159 – 163 sowie ders. [1982], S. 19). 216 Vgl. Zahner (2006), S. 288ff.

 

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hebt demgegenüber das Beispiel der klassischen Musik hervor, die sich nach wie vor als eine Domäne weniger Enthusiast/innen darstellt – und das trotz der massenhaften Verbreitung über verschiedenste Formen von Tonträgern.217 Nach Bourdieu impliziert eine Analyse in Feldbegriffen drei miteinander zusammenhängende notwendige Momente: In einem ersten Schritt muss eine Untersuchung der Position des Feldes im Verhältnis zum Machtfeld erfolgen. In diesem Vorgehen erweist sich z.B. das literarische Feld als ein in das Universum der Macht eingeschlossenes, das sich in der Position der Beherrschten befindet. Zweitens bedarf es der Ermittlung der objektiven Strukturen der Relationen zwischen den Positionen der in diesem Feld miteinander konkurrierenden Akteur/innen oder Institutionen. Und schließlich müssen die Habitus der Akteur/innen analysiert werden. Damit zusammenhängend gilt es, Dispositionensysteme, die Akteur/innen jeweils durch Verinnerlichung eines bestimmten Typs von sozialen und ökonomischen Verhältnissen erworben haben, zu untersuchen.218 Im Folgenden werden zentrale Ansätze der Theorie des künstlerischen Feldes Bourdieus expliziert, die sich für das Verständnis des Vorgehens in der empirischen Untersuchung zu den Geschlechterstrukturen im Kunstfeld als relevant erwiesen. Die Koexistenz von ökonomischer Logik und reiner Kunst (Kapitel 3.2.1), die Bedeutung der verschiedenen Kapitalarten (Kapitel 3.2.2) sowie eine Diskussion zu Positionen und Dispositionen im Kunstfeld (3.2.3) stehen dabei im Mittelpunkt. In einem weiteren Kapitel zur Geschlechterdimension folgt die Darlegung des Ansatzes einer Gender-Kunstfeld-Theorie, die eine Analyse zur Bedeutung von Geschlecht für die Einnahme von Positionen in diesem sozialen Universum ermöglichen soll. Legte Pierre Bourdieu keine explizite Untersuchung zur Bedeutung von Geschlecht im künstlerischen Feld vor, bieten seine theoretischen Ansätze eine Basis für eine solche und können für eine geschlechtertheoretische Untersuchung dieses Mikrokosmos weiterentwickelt und fruchtbar gemacht werden (Kapitel 3.2.4). Die verschiedenen Kapitel vermögen es darüber hinaus zu verdeutlichen, inwiefern Bourdieu das künstlerische Feld als eine paradoxe Welt begreift und sich die Geschlechterverhältnisse in diesem sozialen Universum als eine paradoxe Logik in einer paradoxen Welt manifestieren. 3.2.1 Koexistenz: Ökonomische Logik und reine Kunst Die „ökonomische Logik der literarisch-künstlerischen Industrien“ und die „anti»ökonomische« Ökonomie der reinen Kunst“ bilden die beiden entgegengesetzten Pole des künstlerischen Feldes. Bourdieu geht von einer antagonistischen Koexistenz zweier Produktions- und Zirkulationsweisen aus, die entgegengesetzten Logiken gehorchen, sowie von einem heteronomen und einem autonomen Pol des Feldes. Die anti-„ökonomische“ Ökonomie der reinen Kunst basiert dabei auf der obligaten Anerkennung der Werte der Uneigennützigkeit und Interessenlosigkeit sowie auf der Verleugnung der Ökonomie im Sinn des Kommerziellen und des kurzfristigen ökonomischen Profits.219 Privilegiert wird die aus einer autonomen Geschichte erwach                                                                                                                                                                            

217 Vgl. Müller (2011), S. 226. 218 Vgl. Bourdieu (1996), S. 136. 219 Vgl. ders. (1999), S. 228.

 

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sene spezifische Produktion, die keine andere Nachfrage anerkennen kann, als die von ihr selbst (langfristig) produzierte. Sie orientiert sich an der Akkumulation des symbolischen Kapitals, das dabei als verleugnetes, aber anerkanntes oder auch legitimes „ökonomisches“ Kapital gilt. Es handelt sich um einen regelrechten Kredit, der in der Lage ist, unter bestimmten Voraussetzungen und langfristig ökonomische Profite abzuwerfen.220 Wie von Magerski ausgeführt, können Produzent/innen an diesem Pol des Feldes lediglich mit ihren eigenen Konkurrent/innen als Kundschaft rechnen – zumindest temporär. Kleinere, vielfach kurzlebig aufblühende Zeitschriften und Verlage, deren Rezipient/innen sich meist aus den eigenen Mitarbeitenden rekrutieren, zeugen davon. Die vergleichsweise kleine Leserschaft schadet diesen Unternehmungen hinsichtlich des symbolischen Kapitalzuwachses ebenso wenig, wie das Scheitern der Selbstverleger/innen – denn dieses Handeln zielt explizit in Opposition zur „Herrschaft des Geldes“ auf eine „verkehrte ökonomische Welt“, wonach der Erfolg auf symbolischem Terrain mit wirtschaftlichem Verlust einhergeht.221 Die „ökonomische Logik der literarisch-künstlerischen Industrien“ hingegen macht aus dem Handel mit Kulturgütern einen Handel wie jeden anderen. Dieser ist vor allem auf den Vertrieb, den sofortigen und temporären Erfolg ausgerichtet und passt sich der vorgängigen Nachfrage der Kundschaft an. Allerdings grenzt Bourdieu das ökonomische Handeln an dieser Stelle ein: Die dem Feld zugehörigen Betriebe können nur dann ökonomische Gewinne einer gewöhnlichen wirtschaftlichen Unternehmung und symbolische Gewinne aus den intellektuellen Unternehmungen kumulieren, wenn die „grobschlächtigen“ Formen des Merkantilismus seitens der Betriebe abgewiesen werden.222 Bourdieu rekurriert auf einen objektiv und subjektiv auf Profitmaximierung ausgerichteten – vom (ökonomischen) Eigennutz geleiteten – wirtschaftswissenschaftlichen Kapitalbegriff, demzufolge die Gesamtheit der gesellschaftlichen Austauschverhältnisse eine Reduktion auf den bloßen Warenaustausch erfahren. Alle anderen Formen des sozialen Austauschs erklärt die Wirtschaftstheorie zu „nichtökonomischen“ uneigennützigen Beziehungen.223 Bourdieu benennt die von der L’art pour l’art propagierte Uneigennützigkeit im Anschluss daran wie folgt: „[…] die Leute werden nicht mechanisch gekauft, sondern werden fast in einem magischen Sinne besessen. Um zu verstehen, dass so ein System funktionieren kann, muss es eine umgekehrte Logik und Leute geben, die darauf vorbereitet sind, zu sagen, dass sie bereit sind, für die Kunst zu sterben. Das gilt nicht für die ökonomische Welt - in der ökonomischen Welt arbeiten die Leute für ihr Gehalt, aber auch da gibt es Formen von Mystifikationen.“224

Die Negation des Ökonomischen wird somit zur notwendigen Erfolgsvoraussetzung am relativ autonomen Pol des künstlerischen Feldes.225 Bourdieu formuliert: „Auf symbolischem Terrain vermag der Künstler nur zu gewinnen, wenn er auf wirtschaft                                                                                                                                                                            

220 221 222 223 224 225

Vgl. Bourdieu. (1999), S. 228. Vgl. Magerski (2011), S. 79. Vgl. Bourdieu (1999), S. 229. Vgl. ders. (1982b), S. 50f. Ders. in ders./Graw (1996). Vgl. Wuggenig (2011), S. 525.

 

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lichem Terrain verliert (zumindest kurzfristig), und umgekehrt (zumindest langfristig).“226 Ererbte wirtschaftliche Merkmale wie Einnahmen aus Kapital und Besitz gehen aus dieser paradoxen Ökonomie als eine Voraussetzung für das Überleben bei fehlendem Markt hervor. Erben verfügen, so Bourdieu, wie in Flauberts „Erziehung des Herzens“ über einen entscheidenden Vorteil hinsichtlich der reinen Kunst. Das ererbte ökonomische Kapital erkennt Bourdieu auch als einen der wesentlichen Faktoren des differenziellen Erfolgs der avantgardistischen Unternehmungen sowie ihrer zum Teil verlorenen oder auch erst langfristig rentablen Investitionen.227 Er entwirft – an diese Überlegungen angelehnt – ein Kräftefeld, das an einem heteronomen und einem autonomen Pol ausgerichtet ist. Innerhalb dieses Feldes – als „Feld der kulturellen Produktion im Feld der Macht und im sozialen Raum“ bezeichnet (Abbildung 1 wie Abbildung 2 bauen auf diesem auf) und als Modell des Zustands des literarischen Feldes beschrieben, das sich um das Jahr 1880 herstellt – spielen sich die internen Kämpfe der Akteurinnen und Akteure ab. Bourdieu betrachtet es zur Zeit der Verfassung der Theorie des künstlerischen Feldes als nach wie vor gegeben.228 Bezugnehmend auf die chiastische Struktur des Raums zeigt er zwei Formen von Hierarchien auf: Die Hierarchie, die dem kommerziellen Erfolg entspricht sowie die Hierarchie des Prestige.229 Die Entwicklung eines autonomen Sektors oder auch einer Avantgarde innerhalb der verschiedenen Gattungen erkennt Bourdieu zwischen dem Beginn des 19. Jahrhunderts (mit der Lyrik) und den achtziger Jahren desselben Jahrhunderts (mit dem Theater). Innerhalb der einzelnen Gattungen wiederum kommt es zu weiteren Spaltungen und zwar der zwischen einem experimentellen und einem kommerziellen Sektor. Es handelt sich um zwei Märkte, die durch ihre antagonistische Beziehung zueinander definierte Pole desselben Raums bilden. Zwischen den beiden Märkten besteht dabei keine scharf gezogene Grenze:230 „Der Gegensatz zwischen den Gattungen verliert seine strukturierende Kraft zugunsten des Gegensatzes zwischen den beiden Polen innerhalb eines Subfeldes: dem Pol der reinen Produktion, bei dem die Produzenten tendenziell nur die weiteren Produzenten (die zugleich Konkurrenten sind) als Abnehmer haben und wo sich Lyriker, Romanciers und Theaterleute treffen, die homologe Positionseigenschaften aufweisen, aber deren Beziehungen auch antagonistisch sein können, auf der einen Seite; der Pol der den Erwartungen des breiten Publikums unterworfenen Massenproduktion auf der anderen Seite.“ 231

Somit kommt es zumindest in dem autonomsten Sektor des Feldes der Kulturproduktion (zu der Bourdieu die symbolische Dichtung zählt, die lediglich die anderen Produzent/innen als Abnehmer/innen hat) zu einer systematischen Umkehrung der Grundprinzipien der üblichen Ordnungslogiken. Diese systematische Inversion sieht er zum einen gegenüber der Logik der Geschäftswelt, da die „reine Kunst“ Profit                                                                                                                                                                            

226 227 228 229 230 231

Bourdieu (1999), S. 137. Vgl. ebd., S. 137f. Vgl. ebd., S. 187 sowie insbesondere ebd., S. 227f. Vgl. ebd., S. 190. Vgl. ebd., S. 197. Ebd., S. 198.

 

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streben ausschließt und keinerlei Entsprechung zwischen Investition und Einkommen garantiert. Zudem versteht er sie in Bezug auf die Logik der Macht, indem weltliche Ehrungen und Gunstbezeugungen verurteilt werden. Dies zeigt sich in einem Extrem in der Zurückweisung der institutionalisierten Kulturautorität, wenn in bestimmten Epochen und Sektoren des Feldes der Malerei das Fehlen einer (hoch-)schulischen Ausbildung und Anerkennung, als ein Ehrentitel erscheinen mag.232 3.2.2 Kapital Große Mengen an inkorporiertem ästhetischem oder auch kulturellem Kapital gelten im Anschluss an Bourdieu als Voraussetzung für die Rezeption von Kunst:233 „Das Kunstwerk im Sinne eines symbolischen – und nicht so sehr ökonomischen Gutes (auch das nämlich kann es sein) – existiert als Kunstwerk überhaupt nur für denjenigen, der die Mittel besitzt, es sich anzueignen, d.h. es zu entschlüsseln.“234 Die Codes – unter denen Bourdieu etwa die Fähigkeit zur Entschlüsselung der Stilrichtung oder der Epochenzuordnung durch den Vergleich mit anderen Kunstwerken versteht – lassen die Bedeutung eines Kunstwerks als rätselhaft und unverständlich erscheinen. Sie erwecken den Eindruck „nicht für einen gemacht zu sein“.235 Solche Codes sind daher auch als eine spezifische Form kulturellen Kapitals, die durch die unterschiedliche Kapitalverteilung Distinktionsgewinne abwerfen, zu begreifen:236 „Weil die Aneignung der Kulturgüter Anlagen und Kompetenzen voraussetzt, die ungleich verteilt sind (obwohl scheinbar angeboren), bilden diese Werke den Gegenstand einer exklusiven (materiellen oder symbolischen) Aneignung, und weil ihnen die Funktion von (objektiviertem oder inkorporiertem) kulturellen Kapital zukommt, sichern sie einen Gewinn der Distinktion – im Verhältnis zum Seltenheitsgrad der zu ihrer Aneignung notwendigen Instrumente – und einen Gewinn an Legitimität, den Gewinn überhaupt, der darin besteht, sich so, wie man ist, im Recht, im Rahmen der Norm zu fühlen.“ [Herv. im Orig.]237

Der Konsum von Kunst eignet sich, aus dieser Perspektive, als Manifestation habitueller Geschmackspräferenzen zur Legitimation sozialer Unterschiede, zur Distinktion und somit auch zur Akkumulation symbolischen Kapitals.238 Der Kapitalbegriff fungiert als einer der zentralen Begriffe in der Sozialtheorie Pierre Bourdieus und ist eng mit der Feldtheorie verknüpft – Feld und Kapital definieren sich gegenseitig und gehören zwingend zusammen. Die im Folgenden beschriebenen, analytisch und begrifflich unterscheidbaren Kapitalformen bilden das theoretische Kriterium zur Differenzierung der spezifischen Felder.239 Von der „praktischen Verfügung“ über die ent                                                                                                                                                                            

232 233 234 235 236 237 238 239

Vgl. Bourdieu (2011b), S. 327. Siehe dazu auch Fröhlich/Mörth (1994), S. 22. Bourdieu (1970), S. 169. Vgl. Fuchs-Heinritz/König (2006), S. 56f. Vgl. Bourdieu (1982), S. 17ff. Ders. (1982), S. 359. Siehe dazu auch Fröhlich (1994), S. 45f. Vgl. Schwingel (2000), S. 79f.

 

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sprechende Kapitalsorte hängt die Handlungs- und Profitchance ab, die Akteur/innen innerhalb spezifischer sozialer Felder offenstehen.240 Der erweiterte Kapitalbegriff Bourdieus bezieht sich nicht mehr ausschließlich auf das ökonomische Kapital, sondern ebenso auf das kulturelle und das soziale. Kapital versteht Bourdieu als „akkumulierte Arbeit“241, „[…] entweder in Form von Materie oder in verinnerlichter, »inkorporierter« Form.“242 Ökonomisches Kapital bildet sich unmittelbar in Geld oder auch in institutionalisierter Form – etwa in Eigentumsrechten – ab.243 Es herrscht eine „[…] tendenzielle Dominanz des ökonomischen Feldes.“244 Der Ansatz sollte allerdings nicht als eine Reduktion gesellschaftlicher Sachverhalte auf ihren materiellwirtschaftlichen Wert gefasst werden. Vielmehr übt Bourdieu in seiner Kapitaltheorie gerade auch Kritik an dem wirtschaftstheoretischen Kapitalbegriff, den er als einen von der historisch spezifischen Wirtschaftspraxis kapitalistischer Gesellschaften aufgezwungenen identifiziert:245 „Dieser wirtschaftswissenschaftliche Kapitalbegriff reduziert die Gesamtheit der gesellschaftlichen Austauschverhältnisse auf den bloßen Warenaustausch, der objektiv und subjektiv auf Profitmaximierung ausgerichtet und vom (ökonomischen) Eigennutz geleitet ist. Damit erklärt die Wirtschaftstheorie implizit alle anderen Formen sozialen Austausches zu nichtökonomischen, uneigennützigen Beziehungen.“ [Herv. im Orig.]246

Ein derart reduzierter Kapitalbegriff, wie Bourdieu den wirtschaftswissenschaftlichen hier beschreibt, lässt sowohl die Eigenarten vorkapitalistischer Wirtschaftsformen (z.B. die ökonomischen Verhältnisse in der Kabylei) sowie die Besonderheiten der nicht-warenförmigen Ökonomien der verschiedenen sozialen Felder in ausdifferenzierten Gesellschaften nicht begreifen. Folglich gelingt eine Erfassung spezifischer Ökonomien, die sich von den materiell-ökonomischen unterscheiden, mit dem wirtschaftswissenschaftlichen Kapitalkonzept nicht. Dies führt maßgeblich zur Kritik Bourdieus, an der vonseiten der Wirtschaftstheorie unterstellten Uneigennützigkeit, hinsichtlich verschiedener kultureller, sozialer und symbolischer Praxisformen. Gleichzeitig hebt er die polymorphen Interessen, Einsätze und Profitmöglichkeiten in den verschiedenen Feldern hervor.247 Ökonomisches Kapital in Form von ererbtem Kapital ist nach Bourdieu, wie vorne bereits angedeutet, für eine künstlerische Laufbahn vergleichsweise zentral. Dies                                                                                                                                                                            

240 Bourdieus Kapitalbegriff kann dabei auf Karl Marx (1972) zurückgeführt werden, gleichzeitig zeichnet er sich durch die Erweiterung dieses Kapitalbegriffs aus (vgl. Hoppe [2002], S. 193). Hoppe nennt neben der marxistischen Klassentheorie ebenso das Schichtenmodell Max Webers sowie den französischen Strukturalismus als zentrale Denkmodelle, die die bourdieuschen Arbeiten beeinflussten (vgl. ebd.). 241 Bourdieu (1992b), S. 49. 242 Ders. (1983), S. 183. 243 Vgl. ders. (1992b), S. 52. 244 Ders. (1985a). S. 11. 245 Vgl. Schwingel (2000), S. 82. 246 Bourdieu (1992b), S. 50f. 247 Vgl. Schwingel (2000), S. 82.

 

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zeigt sich bei Frédéric Moreau – dem Protagonisten von Flauberts „Die Erziehung des Herzens“ – ebenso wie in neueren Studien. Marita Fliesbäck weist im Rahmen einer Untersuchung zu professionellen Künstler/innen in Schweden im Jahr 2011 darauf hin, dass Frauen über ein im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen höheres Einkommen aus Besitz verfügen. Fliesbäck führt dies auf einen vergleichsweise höheren Status nach sozialer Herkunft von Künstlerinnen gegenüber ihren Kollegen zurück.248 Im Kontext der vorliegenden Untersuchung erwies sich dieses Phänomen insofern als aufschlussreich, als es nahelegt, dass das relativ hohe Einkommen aus Besitz der Künstlerinnen als Ausgleich zum „negativen weiblichen Kapital“ fungiert.249 Das kulturelle Kapital kann in drei unterscheidbaren Formen auftreten, als inkorporiertes, als objektiviertes oder als institutionalisiertes Kapital. Dabei zeigt sich das inkorporierte kulturelle Kapital als körpergebunden und beruht auf einer Übertragung, z.B. durch Erziehung.250 Der Begriff bezieht sich auf sämtliche kulturelle Fähigkeiten, Fertigkeiten und Wissensformen, die durch Bildung erworben werden können.251 Das objektivierte kulturelle Kapital stellt sich über objektivierte Güter dar, ist übertragbar und steht immer in Beziehung zu den inkorporierten Formen (z.B. eine Gemäldesammlung, Bücher, Maschinen, technische Instrumente etc.).252 Während sich kulturelles Kapital im objektivierten Zustand nicht klar von ökonomischem unterscheiden lässt – da Objekte immer auch einen materiellen Wert besitzen – erweist sich die Eigenständigkeit des inkorporierten kulturellen Kapitals als unzweideutig: Es ist grundsätzlich körper- und damit personengebunden. Aus genanntem Grund ist eine Akkumulation des kulturellen Kapitals stärkeren Einschränkungen unterworfen, als dies bei ökonomischem Kapital der Fall ist. Die unmittelbare Inkorporation des Kulturkapitals leisten Akteur/innen immer selbst und kann nicht durch andere verrichtet werden.253 Dieses Kriterium der Körpergebundenheit verdeutlicht, dass Kompetenzen, die als kulturelles Kapital verinnerlichte sind, einen Bestandteil der Dispositionen des Habitus darstellen:254 „Inkorporiertes Kapital ist ein Besitztum, das zu einem festen Bestandteil der »Person«, zum Habitus geworden ist; aus »Haben« ist »Sein« geworden.“255 Für die Verinnerlichung kulturellen Kapitals wird daher primär mit Zeit gezahlt, die zum Lernen und Aneignen von kulturellen Fertigkeiten notwendig ist. Die leibliche Aneignung kulturellen Kapitals gilt aber neben dem inkorporierten auch für das objektivierte kulturelle Kapital – auch wenn dies auf den ersten Blick weniger deutlich ist. Ein Buch benötigt Rezipierende, eine Maschine Personen, die diese bedienen können, ein Kunstgegenstand eine entsprechende ästhetische Dis                                                                                                                                                                            

248 Vgl. Fliesbäck (2011), S. 9. 249 Siehe dazu auch die Ausführungen im Kapitel zur „männlichen Herrschaft“, wie dort verdeutlicht, sind Frauen nach Bourdieu „von den Männern durch einen negativen symbolischen Koeffizienten getrennt“ (Bourdieu [2005a], S. 161). 250 Vgl. Hermann (2004), S. 138. 251 Vgl. Schwingel (2000), S. 84. 252 Vgl. Hermann (2004), S. 138. 253 Vgl. Schwingel (2000), S. 84. 254 Vgl. ebd. 255 Bourdieu (1992b), S. 56.

 

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position des Betrachtenden.256 Das institutionalisierte kulturelle Kapital steht demgegenüber für einen dauerhaften, rechtlich garantierten Wert und zeigt sich in Form von Titeln und Bildung. Allerdings können Transformationsprozesse zu Entwertungen dieser Kapitalform führen.257 Durch die Vergabe von Titeln (Schulabschluss, Universitätsdiplom etc.) verfügen entsprechende Personen nicht nur über inkorporiertes, sondern über legitimes kulturelles Kapital. So unterscheiden sich beispielsweise Titelinhaber/innen von Autodidakt/innen. Letztere verfügen, selbst wenn sie eine bessere inkorporierte kulturelle Kompetenz aufweisen, lediglich über illegitimes kulturelles Kapital. Der Zugang zu bestimmten Berufen hängt von der Legitimität des kulturellen Kapitals ab, ebenso das damit verbundene ökonomische Kapital in Form eines Einkommens. Diese Form des institutionalisierten Kapitals beschreibt außerdem ein Beispiel für eine weitere von Bourdieu angeführte Kapitalform, das symbolische Kapital. Dieses schöpft (wie in Kapitel 3.1.1 ausgeführt) seine über die inkorporierten Kompetenzen hinausgehende Wirksamkeit aus seiner Legitimität, also aus der gesellschaftlichen Anerkennung.258 Zusammenfassend kann kulturelles Kapital als eines bezeichnet werden, dass dem Zugang zu Position und zu Status im kulturellen Feld dient.259 Dabei unterliegt es immer der eigenständigen Logik des kulturellen Feldes und der dort geltenden Spielregeln.260 Eine Konvertierung in ökonomisches Kapital gelingt nur unter bestimmten Voraussetzungen, wobei dies von Faktoren wie Zeit und Bedarf in einem sozialen Feld abhängt.261 Das symbolische Kapital beruht als weitere Kategorie auf speziellen Wahrnehmungskategorien der sozialen Wertschätzung und der anerkannten Autorität.262 Es kann alle Kapitalsorten umfassen und ist entweder in der gesamten Gesellschaft oder in bestimmten sozialen Feldern legitimiert.263 Bourdieu bezeichnet es auch „[…] als wahrgenommene und als legitim anerkannte Form der drei vorgenannten Kapitalien (gemeinhin als Prestige, Renommee, usw. bezeichnet) […].“264 Es beschreibt in einem bestimmten zeitlichen und kulturellen Kontext eine Basis von Machtbeziehungen;265 Beispiele bilden etwa das Kulturkapital – insofern es durch einen Titel legitimiert ist – sowie das soziale Kapital generell.266 Auch sämtliche Formen des Kredites sozialer Anerkennung zählen als symbolisches Kapital, beispielsweise die (symbolische) Wertschätzung, die über hohes ökonomisches Kapital verfügende Akteur/innen oder Institutionen durch gemeinnützige Spenden und Stiftungen erhalten können.267 Die Ausstattung mit symbolischem Kapital bestimmt über die Wahrnehmung von                                                                                                                                                                            

256 257 258 259 260 261 262 263 264 265 266 267

Vgl. Schwingel (2000), S. 85. Vgl. Hermann (2004), S. 138. Vgl. Schwingel (2000), S. 85f. Vgl. Bourdieu (1983). Vgl. Schwingel (2000), S. 87. Vgl. Hermann (2004), S. 138. Vgl. Bourdieu (1998a), S. 108. Vgl. Hermann (2004), S. 139. Bourdieu (1985a), S. 11. Vgl. Hermann (2004), S. 139. Vgl. Bourdieu (1992b), S. 77, Anm. 20. Vgl. ders. (1987b), S. 245.

 

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Akteur/innen im sozialen Raum, so begreift Bourdieu auch die ethnische Identität als eine Ausprägung dieser Kapitalform in differenzierten Gesellschaften. Es handelt sich um ein Wahrgenommen werden in Gestalt des Namens oder der Hautfarbe, welches als positives oder negatives Vermögen fungieren kann.268 Auch Geschlecht zählt in diesem Sinn als symbolisches Kapital. Diese Kapitalform ermöglicht mittels der Anerkennung und Legitimität die Verschleierung von Herrschafts- und Austauschverhältnissen, indem zwischen Herrschenden und Beherrschten ein Einvernehmen durch gemeinsame Wahrnehmungs- und Bewertungskategorien besteht.269 Zu nennen bleibt das soziale Kapital, zu diesem zählen insbesondere soziale Verpflichtungen und Beziehungen, Familie und Freundschaften, wobei sowohl die Quantität als auch die Qualität von Bedeutung ist. Es bildet u. a. den Zugang zu „Mächtigen“ und politischen Entscheidungsträgern270 und resultiert somit aus der Ausnutzung, „[…] eines dauerhaften Netzes von mehr oder weniger institutionalisierten Beziehungen gegenseitigen Kennens oder Anerkennens[…].“ [Herv. im Orig.]271 Auf dieses Netz können Akteur/innen zurückgreifen, wenn sie Unterstützung durch andere Akteur/innen oder Gruppen bedürfen. Es handelt sich beim sozialen Kapital um Ressourcen, die auf der Zugehörigkeit zu einer Gruppe beruhen,272 neben den genannten zählen dazu auch Clubs, Adelsgruppen, politische Parteien, Ehemalige von Elite-Schulen etc.273 Die Profitchancen bei der Reproduktion des ökonomischen und kulturellen Kapitals vergrößern sich in Abhängigkeit der Größe der Netze an sozialen Beziehungen. Akteur/innen halten ihr Netzwerk durch permanente Beziehungsarbeit aufrecht, das auf gegenseitiger Anerkennung und Wertschätzung beruhende Sozialkapital übt damit einen Multiplikatoreneffekt aus.274 Die Unterscheidung der verschiedenen Kapitalformen ermöglicht für Bourdieu die Konstruktion des sozialen Raums, wobei sich die Positionen der Akteur/innen und Gruppen nach räumlichen Distanzen verteilen, die sozialen Distanzen entsprechen.275 Das Kapitalvolumen weist auf die Distribution der Akteur/innen nach dem Umfang ihres gesamten Kapitals hin; die Kapitalstruktur umfasst die verschiedenen Kapitalsorten.276 Bourdieu unterscheidet in die Gruppen „dominierte Herrschende“, „dominierende Herrschende“ und „Beherrschte“,277 wobei Erstere beiden Gruppen über eine relativ große Menge an akkumuliertem Kapital verfügen. Die dominierten Herrschenden zeichnen sich in der Kapitalstruktur dabei insbesondere über ein hohes Volumen an kulturellem Kapital gegenüber einem geringeren Volumen an ökonomischem Kapital aus. Die dominante Herrschaftsgruppe hingegen weist ein hohes Vo                                                                                                                                                                            

268 Vgl. Bourdieu (1998a), S. 175; zu weiteren Beispielen des sozialen Kapitals siehe auch ders. (1976), S. 11 – 47. 269 Vgl. ders. (1998a), S. 108. 270 Vgl. Cyba (1995). 271 Bourdieu (1992b), S. 63. 272 Vgl. ebd. 273 Vgl. Schwingel (2000), S. 87. 274 Vgl. Bourdieu (1992b), S. 63. 275 Vgl. Hermann (2004), S. 139. 276 Vgl. ebd. 277 Vgl. Bourdieu (1984), S. 213 sowie S. 708.

 

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lumen an ökonomischem Kapital, dagegen aber ein relativ geringeres Volumen an kulturellem Kapital auf. Die Beherrschten verfügen insgesamt über ein relativ geringes Kapitalvolumen. Aus der Aggregation der Kapitalien (über die Personen verfügen) und der Zuordnung der Personen mit der gleichen Kapitalausstattung zu ein und derselben Klasse ergibt sich bei Bourdieu letztlich die Klassenstruktur einer Gesellschaft. Die Ausstattung mit den Kapitalien ist dabei durch zwei Unterdimensionen spezifiziert: Erstens bezeichnet das Kapitalvolumen die Summe aller Kapitalsorten (ökonomisches, soziales und die drei Formen des kulturellen Kapitals), wobei Akteur/innen über das Volumen ihres Kapitals entlang einer vertikalen Achse in der Klassenstruktur positioniert werden können.278 Zweitens benennt Bourdieu die Kapitalzusammensetzung bzw. die Kapitalstruktur, worunter er das „Mischungsverhältnis“ der verschiedenen Kapitalien versteht.279 Wie Gerhards anmerkt, berücksichtigt Bourdieu bei der Bestimmung der Kapitalstruktur in „Die feinen Unterschiede“ allein das ökonomische und das kulturelle Kapital – das soziale Kapital vernachlässigt er ohne nähere Begründung.280 Die Zusammensetzung aus kulturellem und ökonomischem Kapital konstituiert eine horizontale Achse des zweidimensionalen Klassenschemas.281 Bourdieu beschränkt sich allerdings nicht auf eine abstrakte Benennung von Klassen und Klassenfraktionen, über die Angabe konkreter Berufspositionen bezeichnet er sie zumindest exemplarisch genauer.282 Für die Akteur/innen folgt aus dieser „objektiven Strukturierung der Praxisfelder“, dass sie äußeren Zwängen unterliegen, die das Gegenstück zu den inneren, habituell bedingten Zwängen darstellen. Daraus folgt eine Einschränkung der Praxismöglichkeiten sozialer Akteur/innen sowohl – wie bereits beschrieben – durch die verinnerlichten Grenzen des Habitus als auch durch die externen Strukturverhältnisse sozialer Felder. Kapitalstrukturen kennzeichnen sich ferner durch die ständige Reproduktion und ein Beharrungsvermögen. Vorhandene Strukturen werden über Institutionen und Dispositionen wiederhergestellt, wobei letztere wiederum Produkte der Kapitalstrukturen darstellen. Ziel von Akteur/innen ist es, nach diesem Konzept Kapital zu akkumulieren, in Abhängigkeit des sozialen Feldes, in welchem sie sich bewegen.283 3.2.3 Position und Disposition Das Feld besteht aus einem permanenten Wechselverhältnis von Positionen, Dispositionen und Positionierungen – ein Mechanismus, der eine rein strukturalistische wie auch deterministische Sichtweise des künstlerischen Feldes ausschließt.284 Positionen in einer solchen sozialen Sphäre ergeben sich aus der Stellung einzelner Akteur/innen im gesellschaftlichen Raum als ganzem, geprägt durch bestimmte Dispositionen, habituelle Voraussetzungen, die Akteur/innen mitbringen und als Einsatz im                                                                                                                                                                            

278 279 280 281 282 283 284

Vgl. Gerhards (2008), S. 729. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. Hermann (1995), S. 140. Vgl. Kastner (2009), S. 64f. Kastner bezieht sich hier auf Bourdieu (1999), S. 365ff.

 

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Kampf um diese Positionen einbringen. Die Positionierungen bezeichnet Kastner als das aktivste Element in der Entstehung des Feldes. Akademische Stellen, einzelne Statements, Aufrufe, Artikel oder einzelne Kunstwerke können gleichermaßen als solche fungieren, wobei nicht jedes Kunstwerk automatisch als Positionierung anzusehen ist – denn als solche existiert es nur in Relation zu anderen Kunstwerken.285 Positionierungen finden eine Rückbindung an bestimmte Positionen und werden als Einsatz im Kampf um Veränderung oder Beibehaltung des Feldes eingesetzt. 286 Kastner weist darauf hin, dass sie nicht dem freien Willen oder spontanen Eingebungen entspringen, sondern mehr oder weniger wahrscheinlich sind. Entsprechend erscheint die Gründung von Bewegungen oder Zeitschriften, die Aufgabe von Positionen wie Kooperationen oder die Bekämpfung von Gegner/innen – all das, was die Kämpfe im Feld ausmacht – in bestimmten Situationen, Positionen, Relationen und Kontexten mehr oder weniger machbar.287 Neben der Position ist auch die (künstlerische) Disposition in diesem Zusammenhang von Bedeutung, Bourdieu beschreibt sie in „Die Regeln der Kunst“ als ein Ensemble von inkorporierten Eigenschaften, die über die Art des Spiels wie auch über den Erfolg in diesem Spiel entscheiden. Im Einzelnen schließt er hier Eleganz, ein ungezwungenes Auftreten und Schönheit ebenso ein wie das eigentliche Kapital in seiner dreifachen Ausprägung: als ökonomisches, soziales und kulturelles – die gleichsam Trümpfe darstellen.288 Die Positionen und Dispositionen wirken sich auf die Laufbahn bzw. Karriere der Akteur/innen aus; die gesellschaftliche Laufbahn definiert Bourdieu dabei „[…] als Serie nacheinander von demselben Akteur oder derselben Gruppe von Akteuren in verschiedenen Räumen nacheinander bezogenen Positionen […].“ [Herv. im Orig.]289 Innerhalb einer Gruppe können verschiedene Plätze eingenommen werden – zentrale, marginale, hohe, niedrige, auffällige oder unauf                                                                                                                                                                            

285 Vgl. Kastner (2009), S. 66. 286 Vgl. ebd., S. 64f. 287 Vgl. ebd., S. 66. Wie Zimmermann es für das wissenschaftliche Feld demonstriert, ist auch Zeit als wichtige Ressource für die Erlangung von Positionen anzusehen. Zeit, die notwendig ist um wissenschaftliches Prestige oder universitäre wie wissenschaftliche Macht zu erlangen (beispielsweise indem Verwaltungsaufgaben übernommen werden), bezeichnet Bourdieu als soziale Zeit. Diese gilt als grundsätzlich knappe Ressource, wobei Akteur/innen entscheiden müssen, was für ihren Machterhalt oder sogar zur Verbesserung der Position im wissenschaftlichen sozialen Raum notwendig ist (vgl. Zimmermann (2000), S. 29f.). 288 Vgl. Bourdieu (1999), S. 30. 289 Ebd., S. 409. Bourdieu führt dies wie folgt weiter aus: „Jede gesellschaftliche Laufbahn ist als durch die Dispositionen des jeweiligen Habitus geprägte, besondere Art und Weise zu verstehen, sich im sozialen Raum zu bewegen; insofern jeder Platzwechsel in Richtung auf eine neue Position eine mehr oder weniger umfangreiche Gruppe wechselseitig austauschbarer Positionen ausschließt und daher eine unumkehrbare Verengung des Fächers ursprünglich miteinander vereinbarer Möglichkeiten mit sich bringt, markiert er eine Etappe im Prozeß sozialen Alterns, das sich an der Anzahl jener Entscheidungen bemessen ließe, an den Verzweigungen des Baums mit den ungezählten toten Ästen, in dem sich die Geschichte eines Lebens darstellen ließe.“ [Herv. im Orig.] Ebd., S. 410.

 

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fällige.290 So hängt die subjektive Beziehung, die Schriftsteller/innen oder andere Künstler/innen jederzeit zum Raum des Möglichen unterhalten, in hohem Maße von den Möglichkeiten der statusgemäßen Zuerkennung zum gegebenen Zeitpunkt ab. Zudem erweist sich diese Relation als vom Habitus bedingt, der sich ursprünglich in einer Position ausbildete, die ihrerseits einen bestimmten Zugang zum Möglichen impliziert:291 „Gleichviel ob die gesellschaftliche Konsekration und Statuszuweisung auf gehobene soziale Herkunft, besondere Diplome oder – für Schriftsteller besonders wichtig – auf den Beifall aus Kollegenkreisen zurückzuführen ist: in jedem Fall erleichtert sie den Zugang zu den seltensten Möglichkeiten und erhöht über die damit verliehene Sicherheit die subjektive Fähigkeit, sie praktisch in Anspruch zu nehmen.“292

Bourdieu geht von einem Möglichkeitsfeld aus, das einem bestimmten Individuum objektiv gegeben ist: „Einem bestimmten Umfang ererbten Kapitals entspricht ein Bündel ungefähr gleich wahrscheinlicher, zu ungefähr gleichwertigen Positionen führender Lebensläufe – das einem bestimmten Individuum gegebene Möglichkeitsfeld […].“ [Herv. im Orig.]293 Wechsel in Entwicklungsverläufen hängen meist von kollektiven (Kriege, Krisen, etc.) oder individuellen Ereignissen (u. a. Zusammentreffen, emotionalen Bindungen, Beziehungen) ab.294 Wie im Folgenden verdeutlicht, kommt dem Alter für die Einnahme von Positionen insbesondere im kulturellen Feld eine hervorzuhebende Rolle zu. Der Gegensatz zwischen den zwei Polen des sozialen Raums und den mit diesen verbundenen Auffassungen von Ökonomie zeigt sich auch im Gegensatz der zwei Lebenszyklen des Unternehmens der Kulturproduktion. Bourdieu beschreibt dies auch als zwei Modi des Alterns von Unternehmen sowie Produzenten und Produkten, die sich gegenseitig absolut ausschließen. Einerseits handelt es sich um Unternehmen mit kurzen Produktionszyklen, wie die Haute Couture, andererseits um solche mit langem Produktionszyklus, beispielsweise dem Kleinverleger. Letzterer erhebt die Ablehnung weltlicher Kompromisse zur Pflicht und fasst Erfolg und künstlerischen Wert als Gegensatz.295 Kleine avantgardistische Unternehmen unterscheiden sich von den Großunternehmen und großen Häusern ebenso wie Produkte, die als Neue vorläufig als ökonomisch wertlos gelten – den definitiv entwerten, veralteten und den „gediegenen Alten“ oder „klassischen“ Produkten, verbunden mit einem konstanten oder konstant wachsenden ökonomischen Wert. Solche Unterschiede lassen sich auch auf der Ebene der Produzent/innen ausmachen, der sich eher aus (biologisch) jüngeren rekrutierenden Avantgarde, den „fertigen“ oder „überholten“ Künstlern (die biologisch auch zu den jüngeren gehören können) sowie den „Klassikern“, der kanonisierten Avantgarde. Bourdieu verdeutlicht diese Zusammenhänge an der Relation zwischen dem                                                                                                                                                                            

290 291 292 293 294 295

Vgl. Bourdieu (1999), S. 412. Vgl. ebd. Ebd., S. 412f. Ders. (1982), S. 188. Vgl. Ebd. Vgl. ders. (1999), S. 236.

 

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biologischen und künstlerischen Alter von Maler/innen Pariser Galerien um das Jahr 1900, welche er an der Position misst, die das Feld diesen Künstler/innen in seinem raumzeitlichen Koordinatensystem zuweist. Er zeigt, dass die Maler/innen der avantgardistischen Galerien in einem Gegensatz zu den (biologisch) gleichaltrigen Akteur/innen stehen, die in Galerien der „Rive droit“ ausstellen. Gleichzeitig stehen sie aber auch im Gegensatz zu den viel älteren oder bereits verstorbenen Künstler/innen derselben Galerien. Während sie mit ersteren lediglich das biologische Alter verbindet, besetzen sie eine Position, die letzterer – der ihrer prestigereichen Vorgänger/innen – homolog ist. Für sie besteht die Aussicht, in späteren Etappen der Entwicklung des Feldes homologe Positionen einzunehmen. Ihrem Werk gewidmete Konsekrationsindizes wie Kataloge, Artikel oder Bücher zeugen davon.296 Während Bourdieu die avantgardistischen Künstler/innen als zweifach „jung“ bezeichnet – hinsichtlich ihres künstlerischen Alters und ihrer (vorläufigen) Ablehnung von Geld und weltlicher Größe – bezeichnet er die „Künstlerfossilien“ als doppelt alt – bezüglich des Alters ihrer Kunst und Produktionsmuster, aber auch ihres Lebensstils.297 Er weist darauf hin, dass der Vorrang, welcher der Jugend vonseiten des kulturellen Feldes zukommt, ebenfalls auf die zugrunde gelegte Verleugnung von Macht und Ökonomie zurückgeht. Versuchen sich Künstler/innen über Bekleidungsattribute und körperlicher Hexis auf der Seite der Jugend zu situieren, so führt Bourdieu dies darauf zurück, dass der Gegensatz des Alters dem Gegensatz von bürgerlicher Seriosität und der intellektuellen Ablehnung derselben homolog ist. Die Distanz zu Geld und Machtinstanzen steht in einer Beziehung zirkulärer Kausalität zum Status des Herrschenden in beherrschter Position – endgültig oder für eine gewisse Zeit von Geld und Macht entfernt.298 Diesbezüglich weist Bourdieu auch auf eine Entsprechung der Logik zwischen den Geschlechtern innerhalb der dominanten Region des Macht-Feldes hin. Als Effekte der Stellung der Frauen der Bourgeoisie als Herrschende und Beherrschte zugleich, erkennt Bourdieu eine strukturelle Nähe zu der jungen Bourgeoisie und den Intellektuellen. Daraus leitet sich eine Prädisposition von Frauen der Bourgeoisie ab, die Rolle von Vermittlerinnen zwischen den herrschenden und beherrschten Fraktionen einzunehmen. Über die Salons beispielsweise, so Bourdieu, spielten sie diese Rolle auch seit jeher.299 Auf dieses für die zu entwickelnde Perspektive der Geschlechterdimension im Kunstfeld substanzielle Argument finden sich im Folgekapitel weitere Bezugnahmen. Unter dem Altern von Autor/innen, Werken und Schulen versteht Bourdieu auch einen Kampf zwischen denjenigen, die bereits Epoche gemacht haben und darum kämpfen, zu überdauern, und denjenigen, die nur Epoche machen können, wenn sie Erstere aufs Altenteil schicken. Geht es Ersteren um Kontinuität, Identität und Reproduktion, so bemühen sich Letztere um Diskontinuität, Bruch, Differenz und Revolution:300„Epoche machen, das heißt untrennbar damit auch: eine neue Position                                                                                                                                                                            

296 297 298 299 300

Vgl. Bourdieu (1999), S. 244. Vgl. ebd., S. 245. Vgl. ebd., S. 248. Vgl. ebd., S. 249. Vgl. ebd., S. 253.

 

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jenseits der etablierten Positionen, vor diesen Positionen, als Avantgarde entstehen zu lassen und mit der Einführung der Differenz die Zeit zu schaffen.“ 301 3.2.4 Die Geschlechterdimension im Kunstfeld – zum Ansatz einer Gender-Kunstfeld-Theorie Die Bedeutung von Geschlecht für die Einnahme von Positionen im Kunstfeld ist Gegenstand des abschließenden Kapitels des theoretischen Rahmens. Im Mittelpunkt steht die Herausarbeitung einer Geschlechterdimension basierend auf Pierre Bourdieus Darstellung und Analyse des Machtfelds in Flauberts „Die Erziehung des Herzens“. Die Synthese relevanter Konzepte der Theorie des künstlerischen Feldes und der Geschlechtertheorie Bourdieus sowie deren Erweiterung um Aspekte verschiedener kunstwissenschaftlicher wie geschlechtertheoretischer Untersuchungen zielen in der Entwicklung eines Ansatzes einer Gender-Kunstfeld-Theorie dann vor allem auf die Bezugnahme auf das Kunstfeld heute. „Das Macht-Feld in der Erziehung des Herzens“ betitelt Bourdieu ein grafisches Modell des künstlerischen Feldes um das Jahr 1848, das er im Prolog seines Werks „Die Regeln der Kunst“ präsentiert (siehe Abbildung 3). In dieser Darstellung des als Machtfeld definierten Raums finden sich die Protagonist/innen aus Flauberts Roman „Die Erziehung des Herzens“ aufgeführt, auf ihren jeweils relationalen Positionen.302 Der soziale Raum dieses Romans lässt sich, so Bourdieu, vermittels der von Flaubert gelieferten Hinweise konstruieren und es können Positionen darin ausgemacht werden.303 Dabei ist es möglich, das von Bourdieu erstellte Machtfeld und die hier enthaltenen Positionen einer Geschlechteranalyse zu unterziehen und entsprechend zu interpretieren. Das Feld ist verortet zwischen den beiden Polen „Kunst und Politik“ sowie „Politik und Geschäfte“. Die Festlegung der Positionen der Akteur/innen erfolgt nach der Zugehörigkeit zu den drei sich innerhalb dieser Achse befindenden Salons. Bourdieu bezeichnet dieses Machtfeld auch als „ein regelrechtes Milieu […], worin soziale Kräfte wirken, Kräfte der Anziehung und Abstoßung […].“304 Am Pol „Kunst und Politik“ ist der Salon der Arnoux situiert, als Gemäldehändler stellt er „den Repräsentanten von Geld und Geschäft innerhalb der Kunstwelt dar.“305 In dem Salon verkehren vor allem Akteur/innen künstlerischer Professionen, u. a. Maler, Mystiker, Zeichner, Bildhauer und Dichter.306 Am gegenüberliegenden Pol „Politik und Geschäfte“ findet sich der Salon der Dambreuse, deren Gäste vor allem dem wirtschaftlichen und politischen Leben angehören – etwa Gelehrte, Richter, berühmte Ärzte, ehemalige Minister und Grundeigentümer.307 In einem mittleren Bereich besteht der Salon von Rosanette, deren Gäste sich aus beiden gegensätzlichen Polen                                                                                                                                                                            

301 302 303 304 305 306 307

Bourdieu (1999), S. 253. Vgl. ebd., S. 25. Vgl. ebd., S. 23. Ebd., S. 29. Ebd., S. 26. Vgl. ebd., S. 27f. Vgl. ebd., S. 24. In Bezugnahme auf die Darstellung Bourdieus werden hier lediglich die maskulinen Professionsbezeichnungen angeführt.

 

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rekrutieren.308 In dem Modell finden sich damit Markierungen verschiedener „Kreise“, die Bourdieu anhand gesellschaftlicher Praktiken der Kooptation wie Empfänge, Abendgesellschaften und Freundestreffen zieht.309 Abbildung 3: Das Macht-Feld in „Die Erziehung des Herzens“ (eigene Darstellung im Anschluss an Bourdieu [1999], S. 25)

Schauspielerinnen'

'

Delmar

Rosanette'

De'Comaing' de'CISY' Dittmer,'Maler' Lovarias,'Mystiker' Burrieu,'Zeichner' Braive,'Porträtist,' Sombaz,'Karikaturist' Vourdat,'Bildhauer' Rosenwald,'Komponist' Lorris,'Dichter' Meinsius,'Maler'

Oudry' (Nachbar)

ARNOUX' Mme.'Arnoux'

Vatnaz'

FRÉDÉRIC'

DAMBREUSE' Mme.'Dambreuse' Cécile' '

PELLERIN' HUSSONNET'

REGIMBART' Mme.'Regimbart'

KUNST'UND'POLITIK'

Gelehrte,'' Richter,'' berühmte'Ärzte,' ehemaliger'Minister,' Geistlicher'eines' großen'Pfarrbezirks,' hohe'Beamte,' Grundeigentümer,'' usw.'

MARTINON'

ROQUE' Louise' DESLAURIERS'

SENECAL' DUSSARDIER'

POLITIK'UND'GESCHÄFTE'

Gäste'bei'den'Arnoux'

Gäste'bei'den'Dambreuse'(nach'1848)

Gäste'bei'den'Dambreuse'(vor'1848)

Gäste'bei'Rosanette

Zwei Merkmale sind in Bezug auf Geschlecht insbesondere interessant: Die Definition der Akteurinnen über ihren Ehemann bzw. über ihre familiale Anbindung sowie die Tatsache, dass Frauen hier überhaupt als relevante Akteurinnen in Erscheinung treten. Mit Ausnahme von Rosanette und Vatnaz310 sind alle Akteurinnen des Feldes einem männlichen Akteur – dem Ehemann oder Vater – zugeordnet. Ihre Darstellung erfolgt relativ gesehen kleiner als die der jeweils zugehörigen Akteure. Die Positionen von Mme. Arnoux und Mme. Dambreuse – als für den Kontext der Untersuchung zentrale Akteurinnen – werden damit entsprechend der Positionen ihrer Ehemänner definiert. Diese geschlechtliche Interpretation der Positionen des Machtfeldes verwundert hinsichtlich des Bezugs auf das literarische Feld im 19. Jahrhundert nicht, denn bürgerlichen Frauen war es zu dieser Zeit bekanntermaßen kaum mög                                                                                                                                                                            

308 Vgl. Bourdieu (1999), S. 27f. 309 Vgl. ebd., S. 23. 310 Da Mme. des Larsallois in der vorliegenden Analyse eine untergeordnete Rolle spielt, wird sie in der Abbildung nicht aufgenommen.

 

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lich, in einer offiziellen professionellen Position in Erscheinung zu treten.311 Interessant erweist sich hingegen, dass Bourdieu eine Positionierung von Frauen über deren familiale Anbindung auch in den 1980er und 1990er Jahren nicht für gänzlich ungerechtfertigt hält und als allgemeine Konvention deklariert (siehe dazu auch die Ausführungen in Kapitel 3.1.4): „Was aber bei der Konstruktion des Raumes, die ich in Die feinen Unterschiede vorgestellt habe, nicht gesagt wird, ist, daß es sich um einen öffentlichen, d.h. männlichen Raum handelt. […] Nach allgemeiner Konvention werden die Frauen den sozialen Positionen zugeordnet, die ihre Ehemänner einnehmen. Diese Konvention ist nicht gänzlich ungerechtfertigt, da die Frauen in dem Maße, wie es Klassenhomogenität gibt, in etwa die gleichen Eigenschaften wie ihre Männer haben. Sie ist zugleich aber gefährlich, weil sie vergessen läßt, daß die Frauen nicht in diesem Raum sind.“312

Wie bereits einführend zur männlichen Herrschaft zitiert, erweist sich die Wahrscheinlichkeit des Zugangs zum öffentlichen Raum, laut Bourdieu, als einer der statistisch gesehen bedeutenden Unterschiede, der beide Genusgruppen radikal voneinander zu trennen vermag. Männer und Frauen als gesellschaftliche Individuen charakterisieren sich demnach auch durch die Wahrscheinlichkeit, im öffentlichen Raum zu sein oder über einen Beruf bzw. eine sozial anerkannte Stellung zu verfügen. Hier erkennt Bourdieu den primären Unterschied zwischen den beiden Gruppen. Erst im Anschluss daran kann die bedingte Wahrscheinlichkeit, sich im öffentlichen Raum oben oder unten zu bewegen, Beachtung finden – allerdings stehen Frauen auch dann systematisch unter den Männern.313 Die erschwerte Einordnung von Frauen im Sozialraum ergibt sich aufgrund deren Ausgrenzung von diesem.314 Ist eine Exklusion infolge fehlender Professionalisierungsmöglichkeiten für das 19. Jahrhundert historisch nachvollziehbar, stellt sich die Frage des Status der Frauen im gesellschaftlichen Raum ein Jahrhundert später von neuem. Bekanntermaßen führten verschiedene Wellen der Frauenbewegung zu einer weitreichenden Veränderung der Bedingungen; dies gilt zumindest für westliche Länder. Bestand in Deutschland noch in den 1970er Jahren ein Gesetz, das die Zustimmung des Ehemanns zur Ausübung eines Berufs der Ehefrau offiziell einforderte und somit als offizielle und öffentlich praktizierte Exklusion zu bewerten ist,315 finden sich heute primär versteckte Marginalisierungen.316 Aus zahlreichen Untersuchungen der Geschlechterforschung geht hervor, inwiefern solche – u. a. aufgrund von Kooptationsentscheidungen und als Folge von Teilzeitarbeit oder auch der Übernahme von mit weniger Reputation ausgestatteten

                                                                                                                                                                           

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Siehe dazu bspw. Heinich (1997). Bourdieu (1997b), S. 222. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 221f. Vgl. Weibler (2012), S. 494. Dies gilt zumindest im weitesten Sinn für Mitteleuropa und Nordamerika.

 

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Tätigkeiten – zum Tragen kommen.317 Erweist sich der professionelle Status, dem häusliche und familiale Tätigkeiten in den 1980er Jahren nicht zugerechnet werden, als wesentliches Element des bourdieuschen Sozialraums, wird deutlich, inwiefern der Soziologe letzteren als einen männlichen modelliert.318 Die meines Erachtens nach gerechtfertigte Kritik De Saint Martins an Bourdieus Auslassung von Frauen im sozialen Raum sowie an seinen Erklärungen hierfür wurde bereits in Kapitel 3.2.4 diskutiert.319 Die in „Die männliche Herrschaft“ angebrachte Warnung, es bestehe die Gefahr, das an den „relativen Strukturen Unveränderte“ aufgrund oberflächlicher Veränderungen zu übersehen, erscheint nichtsdestotrotz und auch in Bezug auf das Kunstfeld als besonders relevant. Das zweite, noch interessantere Merkmal, das aus Abbildung 3 hervorgeht, bezieht sich auf die Tatsache, dass Akteurinnen in das Machtfeld Bourdieus überhaupt Eingang finden. Mit Rosanette kann sogar auf eine Frau im Machtfeld verwiesen werden, die gegenüber ihrem Partner (Delmar) eine hervorgehobene Position besetzt sowie auf Vatnaz, die, alleinstehend, eine eigenständige Position aufweist. Zeigt Bourdieu in seiner Analyse also insgesamt kaum Interesse an der Bedeutung von Geschlecht für die Einnahme von Positionen im künstlerischen Feld, vermag es das folgende Zitat, auf das bereits verschiedentlich verwiesen wurde, zu verdeutlichen, dass er einen Geschlechtereffekt durchaus erkannte:320 „Entsprechend dieser Logik wäre auch die Beziehung zwischen den Geschlechtern innerhalb der dominanten Region des Macht-Feldes zu analysieren, und genauer die Effekte der Stellung als Herrschende und Beherrschte zugleich, die den Frauen der »Bourgeoisie« zukommt und die sie (strukturell) den jungen »Bourgeois« und den »Intellektuellen« näherbringt, womit sie prädisponiert sind für die Rolle von Vermittlern zwischen den herrschenden und beherrschten                                                                                                                                                                            

317 Siehe hierzu u. a. Marie Buscatto (2007), sie arbeitet verdeckten Exklusionen in Bezug auf das Subfeld der Jazzmusik heraus oder auch Henninger (2015), zur Bewertung wissenschaftlicher Leistungen in Berufungsverfahren. 318 Vgl. Bourdieu (1997b), S. 222. Die daraus resultierende, nicht nur bei Bourdieu anzutreffende, häufige Ignoranz der Geschlechtervariable in wissenschaftlichen Arbeiten der 1970er und 1980er Jahre (Riley legt dies ausführlich beispielsweise für den Bereich der demografischen Forschung vor [Riley [2005], S. 109]), erfuhr in den vergangenen dreißig Jahren eine weitreichende Veränderung. Die Beachtung von Geschlecht in der Forschungspraxis ist dabei auch, wie in Kapitel 3.1.4 dargestellt, auf die Etablierung der Geschlechterforschung und deren Einfluss auf verschiedenste Wissenschaftsbereiche zurückzuführen sowie auf veränderte Professionalisierungsmöglichkeiten von Frauen, u. a. hervorgerufen durch emanzipatorische Bewegungen. Neben der zunehmenden beruflichen Professionalisierung von Frauen außerhalb der „Sorge- und Pflegearbeit“ wurden in der Politik wie in der Wissenschaft Anstrengungen unternommen, „Care Work“ als ernstzunehmende professionelle Kategorie zu etablieren. Diese Diskussion um die in diesem Rahmen veränderte Forschungspraxis kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit keine weitere Vertiefung erfahren. 319 Siehe dazu insbesondere De Saint Martin (2014), S. 25. 320 Vgl. Bourdieu (1999), S. 235 – 249.

 

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Fraktionen (eine Rolle, die sie denn auch seit jeher, insbesondere über die »Salons« gespielt haben).“321

Bourdieu weist auf verschiedene relevante Punkte hin: Erstens bezieht er sich auf Frauen, die den dominanten Regionen des Machtfeldes angehören. Trotz ihrer Zugehörigkeit zum ökonomischen Pol – als Frauen per se mit einem Negativkapital ausgestattet322 – beschreibt Bourdieu sie als beherrschte Herrschende. Die Stellung der Frauen der Bourgeoisie zeichnet sich demnach dadurch aus, dass sie Herrschende und Beherrschte zugleich sind. Bourdieu erkennt hier einen strukturellen Zusammenhang zwischen ebendiesen Frauen der Bourgeoisie und den gleichfalls beherrschten Herrschenden Gruppen der jungen Bourgeois und der Intellektuellen. Während sich die relative Dominiertheit der Frauen über die männliche Herrschaft erklärt, unterliegen die jungen Bourgeois einer altersbedingten Dominierung und die Intellektuellen sind aufgrund ihrer Stellung im Sozialraum – also ihrer relativen Kapitalakkumulation – beherrscht (siehe dazu auch Kapitel 3.2.3 zur Position und Disposition im künstlerischen Feld). Als besonders aufschlussreich erweist sich, dass Bourdieu den Frauen der Bourgeoisie aus diesem Zusammenhang hervorgehend eine Prädisposition für die Rolle von Vermittlerinnen zwischen den herrschenden und beherrschten Fraktionen zuspricht, die sie insbesondere über die Salons ausüben konnten.323 Bezogen auf die beschriebenen Akteur/innen in „Die Erziehung des Herzens“ trifft dies exemplarisch auf Mme. Arnoux sowie Mme. Dambreuse zu. Rosanette, der demi-monde angehörend, ist diesen Frauen der Bourgeoisie nicht zuzurechnen. Als eine aus der Provinz stammende Kleinbürgerin324 kann Mme. Arnoux aufgrund ihrer Heirat mit einem Galeristen (später Fabrikant) durchaus als eine Aufsteigerin bezeichnet werden. Sie stellt eine Bürgersfrau dar, die sich in einer traditionellen Mutterrolle befindet, sich vornehmlich um die Kinder und den Haushalt kümmert; über ihren Mann und im Rahmen des Salons pflegt sie soziale Kontakte. Der Salon findet in den privaten Räumlichkeiten der Familie statt, empfangen werden Gäste aus dem kulturellen und politischen Leben und in ihrem Handeln ist Mme. Arnoux in hohem Maße an gesellschaftliche Konventionen gebunden – was sie von den Akteurinnen der demi-monde unterscheidet.325 Mme. Arnoux bewegt sich in einem vorgegebenen und strukturierten Möglichkeitsraum, wobei ihre Optionen der tatsächlichen und nicht nur symbolischen Teilhabe am öffentlichen Leben aufgrund ihrer weiblichen Disposition eine starke Einschränkung erfahren.326 Dies gilt gleichermaßen für Mme. Dambreuse, deren Salon das Pendant zu dem der Arnoux’ am ökonomischen Pol darstellt. Mme. Dambreuse ist die Tochter eines Präfekten, sie wird auch als ein „einfaches Fräulein Boutron bezeichnet“, die im Gegensatz zu ihrem Ehemann lediglich über                                                                                                                                                                            

321 Bourdieu (1999), S. 249. 322 Wie verschiedentlich erwähnt, sind Frauen nach Bourdieu „von den Männern durch einen negativen symbolischen Koeffizienten getrennt […].“ (Ders. [2005a], S. 161). 323 Vgl. Ders. (1999), S. 249. 324 Vgl. Flaubert (1969), S. 231. 325 Vgl. Bourdieu (1999), S. 27f. 326 Vgl. Flaubert (1969) sowie Bourdieu (1999).

 

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ein mäßiges Vermögen verfügt.327 Als ihr Mann verstirbt, gewinnt sie über das Erbe erheblich an Macht; die weitere Teilnahme am gesellschaftlichen Leben steht ihr jedoch lediglich über eine erneute Heirat offen. Das soziale und ökonomische Kapital kann nur über das symbolische Kapital eines Mannes in den sozialen Raum eingebracht werden. Die Salonnière Rosanette gehört der demi-monde an und nimmt entsprechend eine weniger zentrale Position im Machtfeld ein. Als Zugehörige der demi-monde gilt sie zwar als „Ausgestoßene“,328 Bourdieu spricht aber gleichermaßen von „unabhängigen Frauen“, welche die intermediäre und etwas anrüchige Welt – die demi-monde, zwischen Bohème und monde gelegen – beherrschen. Rosanette stammt aus den unteren Klassenfraktionen329 und lebt – ausgehalten von verschiedenen Geliebten (u. a. Oudry, Dambreuse, Frédéric, Delmar) – ein Leben in relativem Luxus. Ausgeschlossen von den Gesellschaften der monde ist sie frei von den bürgerlichen Zwängen, unterliegt jedoch einer relativ starken finanziellen Abhängigkeit.330 In dem Salon Rosanettes treffen Akteur/innen aus allen Fraktionen aufeinander. Die demi-monde rekrutiert sich dabei aus beiden gegensätzlichen gesellschaftlichen Polen – wie Bourdieu es darstellt, begegnen sich in den „Salons der Kokotten“, die einen neutralen Boden darstellten, Reaktionäre der verschiedenen Richtungen – sowohl der interessenlosen Kunst als auch des Geschäfts.331 Nach Bourdieu gelingt es diesen unabhängigen Frauen, ihre Funktion als Mittlerin zwischen den dominierenden Bürgern und den dominiert-dominierenden Künstlern bis in die letzte Konsequenz zu erfüllen, gerade aufgrund ihrer Unabhängigkeit.332 Gleichzeitig verfügen                                                                                                                                                                            

327 Vgl. Flaubert (1969), S. 288. 328 Vgl. ebd., S. 237. 329 Bei Flaubert heißt es, Rosanette habe bei ihren Eltern, die Seidenweber in einer Lyoner Vorstadt waren, als Lehrmädchen gearbeitet. Ihr Vater, ein fleißiger und tüchtiger Mann, vertrank das erarbeitete Geld. Mit fünfzehn Jahren wurde Rosanette von ihrer Mutter an einen fremden, abstoßenden Mann vermittelt, der sie mit in ein Nebenzimmer eines Restaurants nahm. Von dem Tag an blieb sie widerwillig dort und kehrte nicht mehr zu ihrer Familie zurück (vgl. ebd., S. 402f.). 330 Flaubert zeigt in einem Streit zwischen Vatnaz und Rosanette, dass letztere durchaus Sympathien zu einem bürgerlichen Leben hegt. Die Aussage Rosanettes, Frauen seien einzig zur Liebe oder zur Erziehung der Kinder und der Führung des Haushaltes geboren, bezeichnet Flaubert als das Spielen einer „guten Bürgerin“ (vgl. ebd., S. 420). 331 Vgl. Bourdieu (1999), S. 27f. 332 Vgl. ebd. Whitney Chadwick beschreibt ein ähnliches Beispiel anhand der Künstlerin Suzanne Valadon. Beschrieben als „illegitimate daughter of a laundress“ wurde Valadon (1967 – 1938) in den frühen 1880er Jahren Künstlermodell, nachdem sie als Zirkusdarstellerin gearbeitet hatte. Sie stand Modell für Pierre Puvis de Chavannes, Henri de Toulouse-Lautrec, Pierre-Auguste Renoir und andere Künstler und war damit Teil des „sexually free bohemian life of early twentieth-century Paris.“ Valadons Zugang zur Kunstwelt kam nicht über Bildung (sie war weitgehend autodidaktisch ausgebildet), sondern über ihre Identifikation mit einer Klasse von „sexually available artist’s models“. Diese Assoziation befreite sie von Erwartungen bezüglich ihrer Respektabilität und ermöglichte ihr eine Art „einfaches Verhältnis“ mit anderen Künstlern und Patronen. Ein  

 

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diese Frauen aber über relativ geringe gesellschaftliche Macht und Reputation – der Möglichkeitsraum, in dem sie agieren ist dadurch stark eingeschränkt. Ihr Handeln verbleibt letztlich im Rahmen dieser Halbwelt. Auch die männlichen Akteure definiert Bourdieu in der Abbildung des Machtfelds zwischen den beiden Polen. Ihre hervorgehobene Bedeutung verstärkt sich in der gegenüber den Akteurinnen größeren Schrift. Arnoux und Dambreuse fungieren als „Symbole zur Kennzeichnung und Repräsentation der relevanten Positionen des sozialen Feldes […].“333 Sie stellen die Protagonisten der jeweiligen Pole dar und verfügen aufgrund ihrer Position im Macht-Feld – der spezifischen Kapitalakkumulation sowie der Zugehörigkeit zum männlichen Geschlecht – über eine Disposition, die sie mit der größtmöglichen relativen Macht des beschriebenen sozialen Raums ausstattet. Frédéric nimmt eine zentrale Stellung im Feld ein, insofern als ihm der Zugang zu allen Salons offen steht. Er verfügt über eine besonders große Menge an sozialem Kapital, befindet sich aber gleichzeitig in einer „Zone gesellschaftlicher Schwerelosigkeit“.334 Die potenziell auseinanderstrebenden Kräfte der beiden Pole des Feldes heben sich hier, so Bourdieu, im Laufe der Zeit auf und gleichen sich aus. 335 Überträgt man den im Vorhergehenden zitierten und beschriebenen Geschlechtereffekt in Bourdieus Ausführungen nun auf die Akteur/innen in „Die Erziehung des Herzens“, erklärt sich die strukturelle Ähnlichkeit zwischen den Frauen der Bourgeoisie und den Intellektuellen sowie die daraus hervorgehende vermittelnde Position der Frauen. Frédéric, der sich als Angehöriger der jungen Generation unentschieden zwischen den beiden Polen bewegt, sowohl den Intellektuellen, als auch den Künstler und angehenden Juristen verkörpert, kann in diesem Vorgehen exemplarisch als eine zu vermittelnde Person angesehen werden. Ebenso finden sich aber auch die anderen Akteure jüngeren Alters wie Martinon oder Cisy sowie die Künstler und Intellektuellen auf einer solchen Position. Die Salons, insbesondere der Dambreuse und der Arnoux, begreift Bourdieu dabei als zentrale Institutionen der Vermittlung.336 Dieses Beispiel skizziert, inwiefern die Salons somit einen Möglichkeitsraum der Frauen der Bourgeoisie bilden und ihnen bereits im 19. Jahrhundert eine quasi-offizielle Position im kulturellen Feld ermöglichten. Dies gilt auch dann, wenn die Salons in einem lediglich halböffentlichen Raum angesiedelt waren. Diese Ausführungen unterstützen ferner die Aussage von Jens Kastner, Salons seien im Anschluss an Bourdieu als die einzige (halb-)öffentliche Aufgabe der Frauen der bürgerlichen Klasse in der von Bourdieu beschriebenen Zeit zu verstehen. Die Aufgabe bestand insbesondere darin, „Künstler (und selten Künstlerinnen) und Literaten (selten Literatinnen) in ihren Salons zu präsentieren und miteinander bekannt zu machen.“337 Beachtung finden muss in diesem Zusammenhang aber auch, dass Bourdieu                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    

solches Verhältnis war für weibliche aus der Mittelklasse stammende Künstlerinnen zu dieser Zeit nur selten möglich (vgl. Chadwick [1990], S. 267). Bourdieu (1999), S. 23. Vgl. ebd., S. 34. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 88f. Kastner (2009), S. 60. In Bezugnahme auf Lilo Weber (2009) weist Kastner darauf hin, dass die heutige personelle Dominanz von Frauen in den Institutionen des Kunstmarkts

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die Salons vor allem als Mittlerinstanzen zwischen den Feldern versteht, so wollen die Inhaber der politischen Macht den Künstlern ihre Sicht aufzwingen und sich gleichzeitig deren Konsekrations- und Legitimationsmacht zu eigen machen. Die Künstler versuchen demgegenüber eine mittelbare Kontrolle über die verschiedenen vom Staat verteilten materiellen und symbolischen Gratifikationen zu gewinnen.338 Deutlich erweist sich hier wiederum der eingeschränkte Möglichkeitsraum der Frauen – zwar räumt dieser ihnen eine vermittelnde und unterstützende Rolle ein, von den Machtspielen auf politischer und wirtschaftlicher Ebene bleiben sie aber weiterhin – auch durch ihre Exklusion von der Übernahme öffentlicher Aufgaben – ausgeschlossen. Die Rolle der Salonnières in den Darstellungen Flauberts liegt vor allem in der Bereitstellung und Organisation der Rahmenbedingungen der Salons.339 Unter Einbeziehung des weitgehenden Ausschlusses von Frauen aus dem öffentlichen Raum im 19. Jahrhundert, kann den Salons letztlich somit zwar eine emanzipative Anbindung für Frauen der Bourgeoisie an das öffentliche Leben dieser Zeit zugeschrieben werden. Die Handlungsoptionen beschränken sich allerdings vornehmlich auf das kulturelle Feld – dies gilt in Bezug auf die bürgerlichen Salons, für den kulturellen wie den ökonomischen Pol des Sozialraums gleichermaßen. Ist diese beschriebene Form der Inklusion von Frauen Ende des 20. Jahrhunderts, für Frauen Anfang des 21. Jahrhunderts sicherlich nicht mehr als emanzipativ hervorzuheben, lassen sich anhand der Betrachtung dieser besonderen Situation und Relationen in Verbindung mit weiteren Ausführungen Bourdieus zur männlichen Herrschaft dennoch verschiedene Aussagen zur geschlechtlichen Struktur und Disposition im Kunstfeld auch in jüngerer Zeit treffen. Mittels obiger Darstellungen und Interpretation können verschiedene Positionen und Dispositionen der Frauen unterschieden werden, wobei sich die soziale Herkunft bzw. Zugehörigkeit als besonders relevant erweist. Beide Bürgersfrauen, Mme. Arnoux und Mme. Dambreuse, nehmen aufgrund ihrer sozialen Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht in den herrschenden und beherrschten Regionen des Macht-Feldes gegenüber den Männern – insbesondere ihren Ehemännern – eine beherrschte Position ein. Obwohl die Salons symbolisch den Namen der Frauen tragen, verfügen diese letztlich über geringe operative Macht. Beiden Bürgerinnen ist das Beherrschtsein sowie die Exklusion von der Übernahme öffentlicher Aufgaben infolge ihrer Geschlechtszugehörigkeit gemein. Die Frauen fungieren als Unterstützerinnen und dienen als symbolisches Kapital sowie der Reproduktion desselben. Als Salonnières stehen die Frauen mit ihrem Namen also einem Vermittlungsraum vor, ihr aktiver Part bleibt aber auf die Organisation dieses Raums sowie dessen symbolischen Vorstehens beschränkt – sie schaffen die Rahmenbedingungen für die Vernetzung ihrer Ehemänner mit anderen Akteuren des öf                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    

auf diese Tradition der Kunstförderung zurückgeht. Dabei muss aber, so Weber, insbesondere beachtet werden, dass in den Chefetagen der großen Museen nach wie vor kaum Frauen zu finden sind und die Arbeiten von Frauen weiterhin weniger Geld einbringen als die ihrer männlichen Kollegen (vgl. Kastner [2009], S. 60 sowie Weber [2009], S. 9). 338 Vgl. Bourdieu (1999), S. 88f. 339 Das Verfügen über die Gästeliste bietet ihnen dabei indirekte Einflussmöglichkeiten. Madame Dambreuse bspw. entscheidet zum Unmut ihres Mannes Martinon einzuladen (vgl. Flaubert [1996], S. 221).

 

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fentlichen Lebens. Die Salons dienen damit auch dem Gewinnen sozialen Kapitals – wobei Frauen von diesem aktiven und öffentlichen Part eine weitgehende Exklusion erfahren.340 Rosanette als Vertreterin der demi-monde stehen demgegenüber größere Freiheiten und operative Möglichkeiten in der Ausgestaltung ihres Salons zu. Aufgrund ihrer Herkunft aus und Zugehörigkeit zu mit wenig Kapital ausgestatteten Klassenfraktionen verfügt aber auch sie über keinen direkten gesellschaftlichen Einfluss außerhalb der demi-monde. Die Abhängigkeit der Frauen von ererbtem Kapital und der Fraktionszugehörigkeit erweist sich noch deutlicher in der Hinzuziehung des Beispiels der Prinzessin Mathilde. Die Prinzessin erhebt sich in ihrem Salon als Schützerin und Mäzenin der Kunst. Sie bemüht sich um Vergünstigungen und Protektionen für ihre Freunde wie u. a. die Légion d’honneur für Flaubert oder den Preis der Académie Francaise für George Sand.341 Über ihr hohes ererbtes Kapital verfügt Prinzessin Mathilde gegenüber anderen Frauen über relativ großen öffentlichen Einfluss und es ist ihr möglich, symbolisches Kapital in Form von Preisen, Orden oder Positionen zu vermitteln. In dieser Machtposition ist sie den Salonnières aus den bürgerlichen Milieus überlegen. Schließen lässt sich daraus, dass Frauen der oberen Klassenfraktionen, in ihrer untergeordneten Rolle gegenüber den Männern derselben Fraktion, mit steigendem gesellschaftlichen Ansehen ihrer Familien (oder auch steigendem symbolischem Kapital) über größere Möglichkeiten verfügen, mit relativer Macht ausgestattete Positionen einzunehmen. Für Frauen aus strukturell höheren Klassenfraktionen liegt hier das Potenzial, eine homologe Position zu Männern aus den darunterliegenden Klassenfraktionen einzunehmen, auch insofern als sie als Beherrschte einzustufen sind. Dennoch gilt für alle Frauen, dass ihre Aufgaben in der Darstellung sowie Reproduktion symbolischen Kapitals verhaften bleiben.342 Dies trifft zumindest für die Verhältnisse im Paris des 19. Jahrhunderts zu. Die spezifische Disposition der Frauen lässt sich damit als eine in Bezug auf die Ausstattung mit Macht primär von der Position im sozialen Raum und der Zugehörigkeit zu Klassenfraktionen abhängige bezeichnen. Die weibliche Disposition ist immer der männlichen aus der gleichen gesellschaftlichen Fraktion unterlegen. Eine Überlegenheit von Frauen erscheint lediglich in Bezug auf Akteur/innen gegeben zu sein, die aus untergeordneten Klassenfraktionen stammen. Das Kunstfeld stellt im Anschluss daran – aufgrund der beherrschten Position im Machtfeld – einen Raum dar, der es Frauen höherer Klassenfraktionen ermöglicht, mit relativer Macht verbundene Positionen                                                                                                                                                                            

340 Vgl. Flaubert (1969). Im Einzelnen wurde an dieser Stelle lediglich auf die Salonnières eingegangen, dem sei hinzugefügt, dass Cécile (die Nichte der Dambreuse) wie auch Marthe (die Tochter von Mme. Arnoux) Anwärterinnen der Positionen ihrer Mütter darstellen. Auf die weiteren von Flaubert genannten Frauen finden sich keine Bezugnahmen, da sie über keine nennenswerten Machtpositionen verfügen. 341 Vgl. Bourdieu (1999), S. 91. Insbesondere hervorzuheben ist, dass es sich bei letzterer um die Protektion einer Künstlerin handelt, für diese Zeit durchaus als eine „Ausnahmefrau“ einzustufen. 342 Deutlich wird dies etwa in der Darstellung von Rivalitäten um Frauen als Interaktionen, die mit der Rivalität um eine berufliche Stellung oder die Protektion durch Monsieur Dambreuse vergleichbar sind (siehe dazu ebd., S. 37).

 

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einzunehmen.343 In den Darstellungen Flauberts können Frauen, wie von Bourdieu angemerkt, demgemäß als Vermittlerinnen angesehen werden und verfügen über umso mehr relative Macht, je höheren Klassenfraktionen sie entstammen. Die vermittelnde Position übernehmen sie in Bezug auf Akteure, die dem gesellschaftlichen Status des Ehemanns oder der Familie untergeordnet sind. Aus der Sicht des herrschenden Pols handelt es sich um Intellektuelle oder bezogen auf das Alter auf jüngere Akteur/innen. In ihrer mit relativer Macht ausgestatteten Position fungieren die Frauen der Bourgeoisie folglich als beherrschte Herrschende, als symbolisches Kapital der Familien und dienen der Reproduktion sowie der Verwaltung desselben. Da sich die Reproduktion des symbolischen Kapitals in besonderem Maße am kulturellen Pol vollzieht, besteht eine Prädisposition der Frauen der Bourgeoisie für die Übernahme von Tätigkeiten im kulturellen Feld. Laut Bourdieu findet sich diese weibliche Prädisposition jedoch nicht nur in Flauberts Salons des 19. Jahrhunderts, er sieht sie vielmehr auch in jüngerer Zeit für gegeben. So schreibt er Frauen – viele Jahre später und ohne eine direkte Bezugnahem auf seine früheren Analyseergebnisse – etwa die Berufung zu, diese Rolle auf den Unternehmensbereich zu übertragen, indem sie „Tätigkeiten der Präsentation, der Repräsentation und des Empfangs“ übernehmen oder „die Gestaltung der großen bürokratischen Rituale“. Diese dienen, wie die häuslichen Rituale, der Erhaltung und der Mehrung des sozialen und symbo                                                                                                                                                                            

343 Aufschlussreich erweist sich in der von Flaubert aufgezeigten Konstellation der Akteur/innen des Weiteren die Position der Vatnaz. Als nicht verheiratete Intellektuelle ist sie am kulturellen Pol situiert. Sie fordert die Gleichberechtigung der Geschlechter oder zumindest die Möglichkeit, dass Frauen eine Schulbildung erhalten, öffentliche Aufgaben und Berufe übernehmen können und als Berufstätige auch öffentlich anerkannt werden – als Hebamme, Künstlerin, Literatin oder auch im Staatswesen. Die Position der Vatnaz weist darauf hin, dass emanzipatorische Bewegungen in dieser Zeit vor allem aus den Fraktionen des kulturellen und intellektuellen gesellschaftlichen Pols zu erwarten waren, wobei die Position in Flauberts Darstellung mit keiner nennenswerten Macht ausgestattet war (vgl. Flaubert [1969], S. 420). „Nach der Meinung der Vatnaz war die Befreiung des Proletariats nur durch die Befreiung der Frau möglich. Sie wollte, daß Frauen zu allen Ämtern zugelassen werden, sie verlangte die Nachforschung nach dem Vater unehelicher Kinder, ein neues Gesetzbuch sowie die Abschaffung oder zum mindestens eine vernünftigere gesetzliche Regelung der Ehe […] Die Ammen und die Hebammen sollten staatlich bezahlte Beamtinnen werden. Es sollte ein Ausschuss zur Prüfung der Werke von Frauen geschaffen werden. Es sollte besondere Verleger für Frauen, eine polytechnische Schule für Frauen, eine Nationalgarde für Frauen, es sollte alles für Frauen geben! Und da die Regierung ihre Rechte nicht anerkenne, müßten sie die Gewalt durch Gewalt besiegen. Zehntausend Bürgerinnen mit guten Gewehren könnten dem Rathaus schon einen schrecken einjagen.“ (Vgl. ebd., S. 404). Auch das folgende Zitat ist diesbezüglich von Interesse: „Die Vatnaz hingegen war der Ansicht, daß die Frau im Staatswesen ihre Stelle haben müsste. Einst hätten die Gallierinnen Gesetze gegeben, ebenso die Angelsächsinnen; und die Weiber der Huronen hätten am Rat teilgenommen. Am Zivilisationswerk müssten alle gemeinsam mitarbeiten, hierin hätten alle miteinander zu wetteifern, um endlich anstelle des Individualismus die Gemeinschaft, anstelle der Zersplitterung die große Kultur zu setzen.“ (Vgl. ebd., S. 420).

 

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lischen Kapitals.344 Es handelt sich um Aktivitäten, die der traditionellen Rolle der Frau entsprechen, durch deren Ausweitung werden Frauen mit Funktionen in der Konsumption oder Produktion der symbolischen Güter und Dienstleistungen, der Distinktionszeichen bedacht – bis hin zur Haute Couture oder hohen Kultur. Beachtung finden muss dabei, dass es sich vor allem um Funktionen untergeordneter Art handelt und der kulturelle Sektor, laut Bourdieu, einen der wenigen darstellt, in dem Frauen überhaupt Führungspositionen besetzen können.345 Bourdieu schließt aus diesen Überlegungen, dass Frauen dem Markt der symbolischen Güter zwar die besten Beweise für ihre berufliche Emanzipation verdanken, es sich dabei aber um eine Scheinfreiheit handelt. Denn gleichermaßen zeigt sich hier eine Unterwerfung unter die symbolische Herrschaft, ausgeübt mittels der Mechanismen der Ökonomie der symbolischen Güter.346 Hier erlangt – wie bereits im Kapitel zur Bedeutung von Geschlecht im sozialen Raum angesprochen – das Paradox der männlichen Herrschaft besondere Sichtbarkeit, insofern als die scheinbare berufliche Emanzipation letzten Endes zur Erhaltung der Domination beiträgt. Dieser Aussage fügt Bourdieu noch hinzu, Frauen glauben und werden auf diese Weise glaubend gemacht, dass sie die Verantwortung einer selbsttätigen Akteurin tragen, sie bleiben aber auf dem Status „symbolischer Vorzeige- oder Manipulationsmittel“ reduziert.347 An anderer Stelle weist er darauf hin, dass gerade die scheinbare Übernahme offizieller Positionen von Frauen in der Aristokratie (beispielsweise in der Organisation von Empfängen und der Führung der Salons) eine überlegene Disposition geriert. Dies gilt, so Bourdieu, auch in den 1990er Jahren, wobei die Überlegenheit von Frauen lediglich gegenüber Akteur/innen aus unteren Klassenfraktionen besteht und die geschlechtlichen Herrschaftsstrukturen folglich fortwirken: „In der Aristokratie sieht das so aus, daß die Hausherrin die Anzeigen verschickt, die Empfänge organisiert, den Salon führt usf. Man findet also die gleichen Herrschaftsstrukturen wieder, aber so stark modifiziert, daß die unterlegenen Dispositionen in den herrschenden Klassen oft als überlegene erscheinen können.“348

Aus diesen Feststellungen lassen sich insbesondere zwei grundlegende und strukturelle Aussagen für einen Ansatz einer Gender-Kunstfeld-Theorie treffen und spezifische Eigenschaften zur Übernahme von Positionen im Kunstfeld durch Frauen darlegen: (1) Übernehmen Frauen im 19. Jahrhundert über die Salons Aufgaben der Repräsentation und der Reproduktion symbolischen Kapitals, führt sich diese Situation fort, indem Frauen auch in jüngerer Zeit Funktionen etwa in der Produktion der symbolischen Güter und Dienstleistungen besetzen, wie in der Haute Couture oder hohen Kultur. Im Anschluss an die These Bourdieus erklärt sich hier die Einnahme führender Positionen von Frauen gerade im Bereich der kulturellen Produktion. (2) Aus einer kritischen Perspektive betrachtet, zeigt sich in dieser scheinbaren Übernahme mit                                                                                                                                                                            

344 345 346 347 348

Vgl. Bourdieu (2005a), S. 173. Vgl. ebd., S. 175. Vgl. ebd., S. 176. Vgl. ebd. Ders. (1997b), S. 223.

 

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relativer „Macht“ ausgestatteter Positionen hingegen eine Perpetuierung geschlechtlicher symbolischer Machtverhältnisse. Frauen treten hier letztlich – auch in der Übernahme von leitenden Aufgaben – als beherrschte in Erscheinung, worin ferner das an den relativen Strukturen Unveränderte zum Vorschein kommt. Die Darstellungen Flauberts – und somit auch die hier vermittelten weiblichen Dispositionen sowie mit diesen verbundene Möglichkeiten in der Einnahme von Positionen – liegen mehrere Jahrhunderte zurück. In deren Synthese mit Bourdieus Ausführungen zur männlichen Herrschaft und zum gesellschaftlichen Raum sowie in einer darüber hinausgehenden Interpretation der vergeschlechtlichten Positionen (auch im Kontext kunstwissenschaftlicher und geschlechtertheoretischer Forschungsarbeiten), konnte gleichwohl gezeigt werden, dass in der Zuerkennung bedeutsamer Funktionen im kulturellen Feld die Distanz der Frauen zum Zentrum der Macht nach wie vor zum Tragen kommt.349 In einer Analyse der Bedeutung von Geschlecht für die Einnahme von Positionen im Kunstfeld in seiner heutigen Form, wie sie in den folgenden Kapiteln vorgenommen wird, ist es daher unerlässlich, den symbolischen Machtverhältnissen in ihren geschlechtlichen Ausprägungen sowie gerade auch in Relation zum sozialen Raum Beachtung zu schenken. Dies ermöglicht der vorgelegte Ansatz einer Gender-Kunstfeld-Theorie. Erfolgte die Herleitung dieser Überlegungen anhand geschlechtlicher Dispositionen im 19. Jahrhundert, setzt dieses Vorgehen an Bourdieus Ausführungen sowie seiner methodischen Herangehensweise in „Die Regeln der Kunst“ an. Demnach handelt es sich hierbei um die entscheidende Phase der Geschichte, die zur Etablierung des künstlerischen Feldes führt, wie es nach Bourdieu auch in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts vorliegt: „Die Geschichte, deren entscheidende Phasen ich anhand einer Serie von synchronen Schnitten wiederzugeben versucht habe, führt zur Etablierung jener besonderen Welt, nämlich des künstlerischen wie des literarischen Feldes, so wie wir es heute kennen.“350 Zeigt Bourdieu die Entwicklung des sozialen Universums der Kunst in jenen Jahren zwischen dem Antagonismus eines ökonomischen und eines kulturellen Pols auf, dient diese Perspektive damit nicht in erster Linie einer historisierenden Darstellung. Vor allem gilt die Untersuchung, wie in den vorhergehenden Kapiteln zum künstlerischen Feld verdeutlicht, der Darlegung von Strukturen, die sich bis heute für diesen Mikrokosmos als grundlegend erweisen. Erfolgte anhand der Charakterisierungen von Mme. Arnoux, Mme. Dambreuse und Rosanette eine Skizzierung von Grundzügen einer weiblichen Disposition im Kunstfeld, diente auch dies weniger einer historischen Einordnung der Frauen in diesem sozialen Universum; vielmehr ließ sich damit die Basis einer Gender-Kunstfeld-Theorie begründen und somit eine Basis für weitere Überlegungen zur Bedeutung von Geschlecht in diesem spezifischen sozialen Universum bereitstellen – auch in dessen gegenwärtigen Ausprägungen. Ein Vorgehen, dass von der Aussage Beate Söntgens gestützt wird, wonach im Rahmen einer bürgerlichen Gesellschaftsordnung im 19. und frühen 20. Jahrhundert Geschlechterpositionen bestimmt und festgelegt wurden, die immer noch über Gültigkeit verfü                                                                                                                                                                            

349 Der Begriff der relativen Distanz zum Zentrum der Macht wurde im Zusammenhang mit Geschlecht auch von Marie-Pierre Le Hir geprägt (siehe dazu Le Hir [2000], S. 139). 350 Bourdieu (1999), S. 227.

 

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gen.351 Unter Berücksichtigung der weitreichenden Veränderungen in Bezug auf Geschlechterpositionen im Kunstfeld dient die nachfolgende empirische Untersuchung daher auch der Klärung der Frage, inwiefern die mittels der Ansätze Bourdieus dargelegten geschlechtlichen Positionen im Kunstfeld nach wie vor Beständigkeit erfahren. In der Untersuchung stehen neben vermittelnden Berufsgruppen wie Museumsdirektor/innen und Galerist/innen vor allem Künstler/innen im Fokus. Dabei steht auch zur Diskussion, inwiefern letztere eine Integration in eine Analyse mittels des dargelegten theoretischen Entwurfs vergeschlechtlichter Feldstrukturen erfahren können. Kann die Profession Künstler/in zwar als eine verstanden werden, die der symbolischen Produktion und Reproduktion dient, handelt es sich nicht um eine per se vermittelnde, für die nach Bourdieu insbesondere eine Prädisposition von Frauen besteht. Die Positionen von Künstler/innen in diesem Rahmen zu diskutieren, erscheint aber gerade deshalb als bedeutsam. Verbunden mit Schlagworten wie Individualismus und Geniekult handelt es sich auf den ersten Blick um eine Disposition, die der von Bourdieu beschriebenen weiblichen entgegengesetzt ist. Wobei Linda Nochlin im Hinblick auf Veränderungen in der geschlechtlichen Exklusion darauf hinwies, dass das Prädikat der „greatness“ (lange mit einer stark exklusiven Wirkung für Künstlerinnen versehen) zur Beschreibung von Künstler/innen zunehmend an Bedeutung einbüße – das Meisterwerk ist dem Werk gewichen, so die Kunsthistorikerin, und der Einfluss der Theorie auf den Kunstdiskurs konnte mehr Bedeutung erlangen.352 Mit der Öffnung der Ausbildungswege, insbesondere der Kunstakademien Anfang des 20. Jahrhunderts war es Frauen überhaupt erst möglich, sich dieser Profession gewissermaßen legitimiert zu widmen. Wie Deepwell darlegt, ist es nicht neu, dass Frauen eine künstlerische Ausbildung erfahren, neu ist lediglich, die Möglichkeit der Ausübung einer professionellen Tätigkeit in diesem Berufsstand.353 Aufschlussreich erweisen sich ferner die Ausführungen von Beatrice von Bismarck. In dem Band „Auftritt als Künstler“ befasst sie sich mit der Konstitution von Künstlerschaft nach dem Jahr 1960 sowie mit Zuschreibungen an Künstler/innen.354 Der Auftritt als Künstler vollzieht sich demnach als identitärer Prozess, in dem eigen- wie fremdproduzierte Bilder abgeglichen werden. In diesem Vorgang findet eine Verwebung der jeweils prägenden historischen Kontexte statt sowie eine Anpassung an die                                                                                                                                                                            

351 Vgl. Söntgen (1996b), S. 9. 352 Nochlin hebt hier hervor, dass ein theoretischer Diskurs wie er heute besteht, Anfang der 1970er Jahre in der Kunstgeschichte nicht existierte. Zwar galten die Frankfurter Schule oder Freud als akzeptiert, Lacan wie der französische Feminismus waren dagegen kleine Punkte am Horizont. Der Einzug der Theorie veränderte nach Nochlin die akademische Welt sowie die Kunstwelt hinsichtlich des Denkens über Kunst, aber auch in Bezug auf Geschlecht und Sexualität stark (vgl. Nochlin [2006], S. 22ff.). Siehe dazu auch die Ausführungen in Kapitel 2.3 zum kunsthistorischen Gender-Diskurs. 353 Deepwell veranschaulicht, dass über viele Generationen hinweg eine Vielzahl an Frauen künstlerisch ausgebildet wurde, die Ausbildung aber nicht einer eigenständigen Karriere als Künstlerin diente. Meist wurde das Kunstschaffen mit der Heirat beendet, selten bestand die Möglichkeit der Professionalisierung als Kunstlehrerin (siehe dazu Deepwell [2010], S. 112). 354 Vgl. von Bismarck (2010).

 

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Anforderungen. 355 Kennzeichnend ist für diese Formationsverläufe, so Bismarck, dass sich Topoi eines überzeitlichen, mythisch naturalisierten Künstlerbildes mit großer Konstanz bis heute abzeichnen – dieses ist nahezu ausnahmslos männlich bestimmt.356 Trotz der seit vierzig Jahren bestehenden Auseinandersetzungen mit „dem Verschwinden des Autors“, „der Flexibilisierung der Grenzen zwischen Kunst und Leben“ sowie „den Neufassungen des künstlerischen Arbeitsbegriffs“ ist es erstaunlich, so Bismarck, dass Darstellungen von Künstler/innen obgleich deren zeitgenössischer Bindungen „immer wieder von Charakterisierungen durchzogen sind, die mythisch grundiert sind […].“357 Beispiele hierfür drücken sich gemäß der Kunsthistorikerin u. a. in übermenschlicher Größe und Leiden sowie in der genialistische Schöpfungskraft aus.358 Diese Ansätze von Linda Nochlin, Katy Deepwell und Beatrice von Bismarck weisen darauf hin, dass es zwar weitreichende Veränderungen in Bezug auf geschlechtliche Exklusionsmechanismen im Kunstfeld gab, dass von einer gänzlichen „Entmythologisierung“ des genialen, männlichen Schöpferkünstlers indessen nicht auszugehen ist. In der nachfolgenden Untersuchung stellt sich folglich vordergründig auch die Frage, inwiefern Unterschiede in der Repräsentation von Frauen in der Profession von Künstlerinnen als produktive Akteur/innen und Museumsdirektorinnen wie Galeristinnen als vermittelnde Akteur/innen in der Analyse der Geschlechterstrukturen im Kunstfeld festgestellt werden können. Findet die Produktion symbolischen Kapitals nicht nur im künstlerischen Feld statt, stellt dieses dennoch ein Praxisfeld dar, wie verdeutlicht, in dem eine solche von hervorzuhebender Bedeutung ist. Entsprechend der Disposition zur symbolischen Produktion ist davon auszugehen, dass es Frauen in diesem Feld in besonderem Maße möglich ist, professionelle Positionen, auch im Spitzenbereich einzunehmen. Diese Annahme wird auch von der aufgezeigten abgeschwächten Geschlechterdifferenz in den oberen Regionen des sozialen Raums und hier insbesondere hin zum kulturellen Pol gestützt (siehe dazu Kapitel 3.1.4). Insofern als sich Kunst in besonderem Maße zur Akkumulation symbolischen Kapitals eignet (wie durch die Darlegung der Theorie des künstlerischen Feldes deutlich wurde) und Frauen diese gesellschaftliche Aufgabe in besonderem Maße zugedacht ist (wie aus den Ausführungen hervorging), lässt sich die Präsenz von Frauen auf professionellen Positionen im Kunstfeld als besonders naheliegend erklären. Beachtung finden muss dabei gleichwohl die dargelegte Differenzierung zwischen produktiven und vermittelnden Tätigkeiten. Ferner gilt es im Rahmen einer solchen Analyse nach Geschlecht zu bedenken, dass die Einnahme von Positionen im Kunstfeld immer auch einer relativen Dominiertheit im gesamten Sozialraum unterliegt. Dies gilt auch für den Spitzenbereich des Feldes. Wie von Marie-Pierre le Hir (2000) zum wissenschaftlichen Feld aufgezeigt, kann die Besetzung leitender Positionen durch Frauen nicht nur auf deren

                                                                                                                                                                           

355 356 357 358

Vgl. von Bismarck (2010), S. 8. Vgl. ebd. Ebd., S. 17. Vgl. ebd.

 

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Machtpositionen hinweisen, sondern auch auf die relative Distanz zu den Machtzentren des gesellschaftlichen Raums.359

                                                                                                                                                                           

359 Le Hir (2000) führt ihre eigene Besetzung einer Professur darauf zurück, dass Sie sich im Fachbereich Französisch fern von den eigentlichen universitären Machtzentren bewegt (vgl. ebd.).

 

4.

Empirische Untersuchung: Geschlechterstrukturen an der Spitze des Kunstfelds – Produktion und Vermittlung in relativer Distanz zu den Zentren der Macht

Das Kunstfeld stellt ein soziales Universum dar, in dem es Frauen in besonderem Maße möglich ist, Spitzenpositionen einzunehmen – diese These liegt der empirischen Untersuchung im Anschluss an den zuvor entwickelten Ansatz einer GenderKunstfeld-Theorie zugrunde. Gleichermaßen gilt es die relative Dominiertheit dieses Mikrokosmos im gesellschaftlichen Raum und die daraus zu schließende relative Distanz zum Zentrum der Macht zu beachten. Sind Frauen hier in Spitzenpositionen besonders häufig vertreten, muss eine Bewertung dieses Phänomens immer auch unter der Berücksichtigung der relativen Positionen dieses spezifischen sozialen Universums und dessen Akteur/innen erfolgen. An das theoretische Repertoire anknüpfend steht im Mittelpunkt der folgenden Analyse, ob und inwiefern sich das Geschlecht von Akteur/innen auf die Einnahme von Positionen im internationalen Spitzenfeld der Kunst auswirkt.1 Die im Anschluss an Pierre Bourdieu formulierte These einer Prädisposition von Frauen, vermittelnde Tätigkeiten im Kunstfeld zu übernehmen (Kapitel 3.2.4), führt in der Untersuchung zu der zentralen Frage nach einer möglichen Divergenz produzierender und vermittelnder Professionen hinsichtlich ihrer Geschlechterstrukturierung. Im Analysefokus stehen daher Künstler/innen als kunstproduzierende sowie Museumsdirektor/innen und Galerist/innen als im weitesten Sinn kunstvermittelnde Akteur/innen. Die Studie dient zum Einen der Überprüfung der herausgearbeiteten Geschlechterdimension im Kunstfeld und des Ansatzes einer Gender-Kunstfeld-Theorie; gleichwohl ist sie darauf gerichtet, das relativ geringe Wissen um die Bedeutung von Geschlechterstrukturen an der Spitze dieses sozialen Universums auf quantitativer Ebene zu erweitern. In einem Analyseabschnitt zu Künstler/innen basiert die Studie auf einer Auswertung der führenden 2500 Positionen im internationalen Spitzenfeld der Kunst nach ArtFacts.Net, gemäß dem Kriterium der symbolischen Anerkennung (Kapitel 4.2). Kapitel 4.2.1 skizziert die Strukturierung des Feldes entlang dieses Merkmals – zur Diskussion steht dabei, ob in Bezug auf Geschlecht eine weitestgehend homogene                                                                                                                                                                            

1

Angaben zur Operationalisierung der Geschlechtervariablen finden sich in Kapitel 4.1.2.1.

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Anerkennung in diesem Bereich vorliegt oder inwiefern eine Ungleichheitsstruktur besteht, die eine differenzierende Betrachtung dieses Spitzensegments erfordert. In Kapitel 4.2.2 stellt sich die Frage nach einem Wandel insofern, als das Geschlecht der Akteur/innen in den jüngeren Künstler/innengenerationen zunehmend an Bedeutung für die Einnahme von Positionen in diesem Universum verliert. Im Kontext der Diskussion um ein internationales bzw. globalisiertes Kunstfeld erfolgt eine Auseinandersetzung zum Zusammenhang der Herkunft von Künstler/innen und deren Geschlecht (Kapitel 4.2.3). Eine Differenzierung nach Zentrum und Peripherie des Feldes sowie nach Kontinenten erwies sich dabei als besonders fruchtbar, ein weiterer Fokus liegt auf der MENA-Region und insbesondere dem Iran. Der Gender-Pay-Gap wird in Kapitel 4.2.4 hinsichtlich der Bedeutung von Geschlecht für die Generierung ökonomischen Kapitals thematisiert; dabei steht auch zur Debatte, inwiefern der kulturelle und der ökonomische Pol des Feldes divergente Geschlechterstrukturen aufweisen. In Kapitel 4.2.5 stellt sich schließlich mittels verschiedener Regressionsanalysen die Frage nach dem Zusammenhang des Geschlechts der Künstler/innen und der von diesen eingenommenen Positionen, hinsichtlich des symbolischen und ökonomischen Kapitals gleichermaßen. Daran anknüpfend werden die Daten im Folgekapitel auf die wechselweise Beeinflussung von symbolischem und ökonomischem Kapital geprüft; eingeleitet als Exkurs zu einer für die (Kunst-)Soziologie substanziellen Frage, kann auch diese Diskussion um den Aspekt einer Geschlechterdimension erweitert werden (4.2.5). Eine hinsichtlich der Professionen breitere Perspektive eröffnet sodann Kapitel 4.3. Beachtung finden Museumsdirektor/innen und Galerist/innen (Kapitel 4.3.1) sowie weitere Gruppen, u. a. Sammler/innen und Kurator/innen (Kapitel 4.3.2). Diese Integration ermöglicht die Gegenüberstellung verschiedener professioneller Positionen im Feld und insbesondere die Klärung der Frage nach einer divergierenden Geschlechterstruktur zwischen produktiven und vermittelnden Akteursgruppen. Der Untersuchung vorangestellt ist das Design der Studie in Kapitel 4.1, wobei eine Vorstellung der methodischen Herangehensweise sowie der einzelnen Datensätze in Kapitel 4.1.1 erfolgt. Ausführungen zu zentralen Begrifflichkeiten und deren Operationalisierungen finden sich in Kapitel 4.1.2 – zur Diskussion steht dabei die Verwendung einer dichotomen Geschlechtervariablen (4.1.2.1.), zudem schließt sich eine Charakterisierung der in der Untersuchung aufgenommenen professionellen Akteursgruppen an (4.1.2.2.). Thematisiert wird überdies das internationale Spitzenfeld der Kunst sowie eine Anwendung der Feldtheorie Bourdieus auf dieses (Kapitel 4.1.2.3.).

4.1 U NTERSUCHUNGSDESIGN 4.1.1 Methodisches Vorgehen In der Analyse von Geschlechterstrukturen steht die Spitze eines nachfolgend als internationales Kunstfeld definierten Universums im Fokus. Von besonderem Interesse sind dabei die relativen Positionen von Akteurinnen und Akteuren, die über ein besonders hohes Maß an symbolischer Aufmerksamkeit in diesem Mikrokosmos verfügen. Trotz der Ausrichtung auf zeitgenössische Akteur/innen erweisen sich Bezug-

 

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nahmen auf historische Positionen als wesentlich – dies dient u. a. dem Vergleich verschiedener Generationen und damit auch der Diskussion von Persistenz und Wandel in diesem Feld. Es folgt eine Vorstellung der wesentlichen Punkte des Untersuchungsdesigns, im Mittelpunkt steht das methodische Vorgehen. Der empirischen Untersuchung liegen vier Datensätze zu verschiedenen Akteursgruppen für eine Sekundärdatenanalyse zugrunde. Mittels einer Literaturauswertung konnten zudem einzelne Variablen ergänzt werden, u. a. das Bildungskapital von Künstler/innen und Museumsdirektor/innen sowie die Herkunftsorte letzterer. Die Recherche basierte dabei auf der Auswertung zahlreicher Interviews und Texte sowie Internetseiten (u. a. von Institutionen), in Einzelfällen wurden Informationen von Akteur/innen eingeholt. Ferner erfolgte die Integration der für die Analyse zentralen Geschlechtervariablen in einer dichotomen Unterscheidung (weiblich/männlich). Die Erstellung des Künstler/innensamples erfolgte auf Grundlage des Rankings ArtFacts.Net – eine Datenbank, die der Erfassung der Ausstellungspräsenzen von Künstler/innen auf internationalem Niveau seit 1996 dient. Das Portal besteht seit dem Jahr 2001 und stellt eine der umfangreichsten Datenquellen ihrer Art dar. ArtFacts.Net bewertet Künstler/innen nach der professionellen Aufmerksamkeit, die diesen in einem internationalen Kunstzirkel zukommt und umfasste Anfang des Jahres 2015 29.323 Ausstellungsorte aus 190 Ländern, 609.527 Ausstellungen weltweit sowie 100.011 gelistete Künstler/innen.2 Ziel der Rangliste ist die Bewertung von Künstler/innen nach deren Positionen im Feld – gemessen an der symbolischen Anerkennung und ungeachtet des ökonomischen Erfolgs.3 Die Beurteilung erfolgt anhand der Präsenz in Ausstellungen, wobei auch ein Institutionenranking (Ausstellungsorte) in die Auswertung eingeht. Zudem finden die Galerieanbindungen der Künstler/innen sowie die Einbindung in Peer-Groups Beachtung.4 Maßgeblich gehen die Bemessungen damit auf kuratorische Entscheidungen zurück. Für die vorliegende Untersuchung erfolgte eine Auswertung der Top 2500 Künstler/innen nach ArtFacts.Net (Stand 04/2010). Neben dem Rang der Künstler/innen lieferte die Datenbank eine                                                                                                                                                                            

2 3 4

Siehe dazu www.ArtFacts.net/about_us_new [07.02.2015]. Nach www.ArtFacts.net/marketing_new/?Services,Artist _Ranking [13.12.2013]. „The aim of the Artist Ranking system is to arrange artists by their exhibition success. The Artist Ranking Tool evaluates exhibitions held on an international level since 1996.“ [Herv. im Orig.] (www.ArtFacts.net/tour/artist-ranking/ [25.07.2014]). Die ArtFacts.Net-Methode lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Die Vergabe der Punkte erfolgt entlang des Vernetzungsgrades der einzelnen Künstler/innen; Aernout Mik zum Beispiel erhält je einen Punkt pro Galerieverbindung (5), öffentlicher Sammlung (9) und Land (7), in dem er vertreten ist. Die Summe von 21 Punkten vererbt er wiederum an die Institutionen, die seine Aufmerksamkeit fördern. Jede Galerie, jede Sammlung und jede Stadt bekommt also die Summe aller Netzwerkpunkte der Künstler/innen, die mit dieser in Relation stehen – Städte mit vielen Galerien und Museen erhalten entsprechend mehr Netzwerkpunkte als kleinere Städte ohne Kunstszene. Die Institutionen geben die Summe ihrer Punkte ihrerseits an die Ausstellungen zurück, bei Gruppenausstellungen werden diese durch die Anzahl der beteiligten Künstler/innen geteilt. Dieses Vorgehen ermöglicht es auch jungen Künstler/innen (die über Präsenz in den relevanten Institutionen verfügen), unter die Top 100 zu gelangen (vgl. www.ArtFacts.net/marketing_new/?Services,Artist_Ranking [20.11.2013]).

 

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Punktewertung sowie die Variablen Geburtsjahr, Todesjahr und Herkunft (nach Nationalität). Tabelle 1: Datensatz zu Künstler/innen  

Variable  

Theoretisches     Konstrukt   Eigenname   Symbolisches  Kapital   Ökonomisches  Kapital  

Name  Künstler/in   Rang     Punkte   Max.  Zuschlagspreis   Geburtsjahr  

Zeitliche  Komponente   (Wandel)    

Raumbezogene     Komponente     (Globales  Kunstfeld)  

Todesjahr  

Datenquelle1   ArtFacts.Net   ArtFacts.Net   Artprice.com   ArtFacts.Net  

Alter  

nach  ArtFacts.Net  

Geografische  Herkunft   (Staat)  

ArtFacts.Net  

Geografische  Herkunft   (Kontinent)    

nach  ArtFacts.Net  

Zentrum/Peripherie2   Geschlechtsbezogene     Komponente     (dichotom:  m/w)  

Geschlecht    

von  Autorin  zugefügt  

1 Alle Daten zu den Künstler/innen wurden ArtFacts.Net und Artprice.com im Jahr 2010 und in Teilen erneut im Jahr 2014 entnommen. 2 Die Einteilung in Staaten des Zentrums und der Peripherie erfolgte nach Quemin (2006), siehe dazu Kap. 4.1.2.2.

 

Dem Sample zugefügt wurde die Variable Geschlecht; die Top 500 Positionen fanden zudem eine Erweiterung um die Variable ökonomisches Kapital. Letzteres basiert auf dem von den Künstler/innen jeweils bis zum April 2010 höchsten erzielten Zuschlagspreis gemäß Artprice.com.5 Ergänzend wurden über die Variable geografische Herkunft (Staat) weitere Einteilungen, u. a. in geografische Herkunft nach Kontinent sowie nach Zentrum und Peripherie vorgenommen. Aus den beschriebenen Variablen ließ sich schließlich ein Datensatz erstellen, der die in Tabelle 1 angeführten Komponenten umfasst – dieses Sample zu internationalen Spitzenkünstler/innen enthält damit Querschnittsdaten zu den führenden 2500 Künstler/innen der Spitze des internationalen Kunstfelds. Die Daten ermöglichten es, Geschlechterstrukturen hinsichtlich der Einnahme von Spitzenpositionen von Künstler/innen nachzuzeichnen                                                                                                                                                                            

5

Artprice.com basiert auf einem umfassenden Archiv zu Auktionen und Auktionsergebnissen. Die Datenbank umfasst 27 Millionen Auktionspreise, detaillierte Auktionsresultate und mehr als 529.000 Künstler/innen (vgl. http://de.artprice.com [20.11.2013]).

 

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und Zusammenhänge mit symbolischem und ökonomischem Kapital, mit einer zeitlichen Komponente (die Aussagen zur Altersstruktur sowie zu Veränderungen im Feld zulässt) sowie einer raumbezogenen Ebene (geografische Herkunft, u. a. nach Kontinent oder Zentrum/Peripherie) aufzuzeigen. Mittels einer Gegenüberstellung von Vergleichsdaten aus dem Jahr 2014 konnte zu verschiedenen Untersuchungseinheiten eine Längsschnitterfassung und somit eine Analyse des zeitlichen Verlaufs vorgelegt werden. Die Auswertung der Daten erfolgte anhand der Darstellung numerischer Häufigkeiten, in Streudiagrammen und Regressionsanalysen. Da Geschlechterstrukturen nicht nur in Bezug auf Künstler/innen, sondern auch in Relation zu anderen professionellen Akteursgruppen des Feldes von Interesse waren, wurden weitere Datensätze erstellt. Zum Einen entstand, basierend auf dem Kunstkompass aus dem Jahr 2009, ein Sample zu Museumsdirektor/innen international führender Museen. Des Weiteren konnte ein auf dem Artinvestor Galerienranking (2008) gründender Datensatz zu Galerist/innen zusammengestellt werden. Weitere Einsichten in das Feld (etwa zu Sammler/innen und Kurator/innen) ließ das Art Review Ranking „Power 100“ aus dem Jahr 2012 zu. Dieses Vorgehen ermöglichte es, die unterschiedlich im sozialen Raum positionierten Akteur/innen und professionellen Gruppen zueinander in Bezug zu setzen. Dabei ließen die verschiedenen Indikatoren der Datensätze zwar keine direkten Vergleiche einzelner Gruppen zu, es konnten aber wesentliche Tendenzen dieses Zusammenspiels verdeutlicht werden. Es folgen eine Vorstellung der Datensätze zu den Museumsdirektor/innen und Galerist/innen sowie Ausführungen zu einigen Details zur Power 100 Liste. Der Kunstkompass wurde erstmals im Jahr 1970 veröffentlicht und erscheint seitdem jährlich – bis zum Jahr 2007 in der Zeitschrift Capital, von 2008 bis 2014 im Manager Magazin.6 Wie seitens des Magazins beschrieben, erfolgt im Rahmen des Rankings eine Bemessung der Reputation von Künstler/innen, welche demzufolge das Resultat einer „systematischen Auswertung von Ausstellungen, Auszeichnungen und Rezensionen weltweit ist.“7 Umsatzerfolge und Auktionsrekorde spielen dabei – so die Darstellung – keine Rolle.8 Der vorliegenden Untersuchung diente eine im Rahmen des Kunstkompasses erstellte Liste bedeutender internationaler Museen sowie die punktmäßige Bewertung letzterer als Datenbasis. Im Jahr 2009 umfasste die

                                                                                                                                                                           

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7 8

Die Entwicklung des Kunstkompasses sowie dessen erstmaliges Erscheinen im Jahr 1970 geht auf den Kunst- und Wirtschaftsjournalisten Willi Bongard zurück, seit dem Jahr 1995 wird das Ranking von Linde Rohr-Bongard herausgegeben. Nach verschiedenen Wechseln der Publikationsorte (Capital sowie Manager Magazin) erscheint der Kunstkompass seit April 2015 in dem Magazin Weltkunst. www.manager-magazin.de/thema/kunstkompass/ [25.07.2014]. Vgl. ebd. Die Bewertung der Künstler/innen erfolgt anhand von Ruhmespunkten. In die Beurteilung fließen Einzelausstellungen in über 250 international bedeutenden Museen, die Teilnahme an rund 150 wichtigen Gruppenausstellungen, Rezensionen in Kunstmagazinen, Ankäufe führender Ausstellungshäuser sowie Auszeichnungen (u. a. Goslarer Kaiserring) ein (vgl. ebd.).

 

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Liste rund 200 Institutionen, unterteilt in eine Spitzengruppe (800 Punkte) sowie in eine zweite Gruppe (600 Punkte).9  

Tabelle 2: Datensatz zu Museumsdirektor/innen   Theoretisches    

 

Variable  

Ebene  

Akteursebene  

Institutionelle    

Konstrukt  

 

Eigenname  

Institution  (Name)  

Symbolisches  Kapital  

Punkte  

Raumbezogene  Kompo-­‐ nente     (Globales  Kunstfeld)  

Standort    

Eigenname    

Inhaber/in  leitende  Po-­‐ sition  (Name)  

Zeitliche  Komponente   (Wandel)    

Geburtsjahr  

Raumbezogene  Kompo-­‐ nente     (Globales  Kunstfeld)    

Geografische  Herkunft   (Staat)  

Datenquelle  

  Kunstkompass  (2009)    

Alter   Internet-­‐  und  Literatur-­‐ recherche  

Zentrum/Peripherie  

Geschlechtsbezogene   Komponente     (dichotom  m/w)  

Geschlecht  

Bildungskapital  

Bildungsabschluss  

 

 

Im nächsten Schritt folgte eine Recherche der jeweiligen Besetzungen der höchsten Leitungspositionen (meist Direktor/innen, teils Präsident/innen), die namentlich sowie als Geschlechtervariable in den Datensatz eingingen. Eine ergänzende Literaturauswertung ermöglichte die zusätzliche Aufnahme des Geburtsjahrs, des Bildungskapitals sowie der geografischen Herkunft (Staat) dieser Personen.10 Somit entstand ein Datensatz, der Aussagen zur geschlechtsabhängigen Einnahme von Leitungspositionen in international führenden Museen im Zusammenhang mit Alter und Bil                                                                                                                                                                            

9

Vgl. www.manager-magazin.de/lifestyle/artikel/a-628482.html [25.07.2014]. In den jüngeren Ausgaben des Kunstkompasses werden keine weiteren Listen zu den international führenden Museen aufgeführt. 10 Die Recherche erfolgte auch hier über Analysen von Interviews und Texten sowie institutionellen Internetseiten. In Einzelfällen wurden persönliche Informationen von Akteur/innen eingeholt. Als Grundlage dienten Texte, Interviews, Studien und Untersuchungen aus der Kunstpresse, Kunstgeschichte, (Kunst-)Soziologie und Geschlechterforschung.

 

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dungskapital zulässt. Zur besseren Nachvollziehbarkeit demonstriert Tabelle 2 die Zusammensetzung des Datensatzes. Ein dritter Datensatz zu Galerist/innen wurde mittels eines Rankings zu den international führenden Galerien – von der Zeitschrift Artinvestor im Jahr 2008 herausgegeben – erstellt. Auch dieser Datenpool erfuhr eine Erweiterung um die Geschlechtervariable sowie den Galeriestandort und das Gründungsjahr der gelisteten Galerien. Dabei zeigte sich u. a., inwiefern die Profession der Galerist/innen als eine relativ intransparente angesehen werden kann. Während in der Literatur und im Internet umfangreiche Informationen zu den Künstler/innen sowie Museumsdirektor/innen vorliegen, gilt dies für die Galerist/innen nicht gleichermaßen. Die Erstellung eines den anderen beiden im Umfang ähnlichen Datensatzes, wäre nur über die Durchführung einer eigenen Befragung möglich – im Rahmen der vorliegenden Untersuchung konnte dies nicht geleistet werden.11 Tabelle 3: Datensatz zu Galerist/innen  

Institutionelle  Ebene  

 

Theoretisches     Konstrukt   Eigenname  

Name  Galerie  

Symbolisches  Kapital  

Punkte  

Zeitliche  Komponente   (Wandel)    

Galeriegründung  

Raumbezogene    

Galerienstandort/e  

Komponente     (Globales  Kunstfeld)  

Akteursebene  

Variable  

Datenquelle   Galerienranking  Artin-­‐ vestor  (2008)  

Internet-­‐  und  Litera-­‐ turrecherche    

Zentrum/Peripherie  

Eigenname  

Name  Inhaber/in  lei-­‐ tende  Position  

Geschlechtsbezogene   Komponente     (dichotom  m/w)  

Geschlecht  

Internet-­‐  und  Litera-­‐ turrecherche    

 

Der Galerist/innen-Datensatz umfasst daher zwar vor allem Daten auf institutioneller Ebene (beispielsweise das Jahr der Galeriegründung sowie der Galeriestandort/die Galeriestandorte), die mittels des Samples erzielten Ergebnisse lassen aber auch hier wesentliche Einblicke zur Geschlechterstrukturierung zu. Der Datensatz setzt sich aus den in Tabelle 3 aufgelisteten Komponenten zusammen. Im Weiteren schloss eine Untersuchung der führenden hundert Positionen im Kunstfeld nach der Power 100 Liste aus dem Jahr 2012 an. Das Ranking – jährlich von                                                                                                                                                                            

11 Eine eigenständige Erhebung zu Galerist/innen bildet ein Desiderat für weitere Untersuchungen zu den Geschlechterstrukturen im Kunstfeld.

 

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dem Magazin Art Review erstellt und herausgegeben – bewertet die hundert einflussreichsten Persönlichkeiten des Kunstfelds, gemäß der Einschätzung von Experten.12 Vertretung finden Akteur/innen u. a. aus den Kategorien Galerist/in, Künstler/in, Sammler/in, Museumsdirektor/in, Kurator/in, Kritiker/in, Kunstmesse und Auktionshaus. Die Erstellung der Liste erfolgt mittels 20 bis 30 jährlich durchgeführten Expertinnen- und Experteninterviews, auch einige Redaktionsmitglieder der ArtReview werden hierzu befragt. Die Jury setzt sich in jedem Jahr neu zusammen, wobei die Expert/innen anonym bleiben.13 Die Erhebung im Rahmen dieser Liste erfolgt damit auf deutlich intransparenterem Wege, als dies hinsichtlich der anderen verwendeten Rankings der Fall ist. Gerade aufgrund der alternativen, expert/innenbasierten Bewertung, ist die Rangliste aber im Kontext der vorliegenden Untersuchung von wesentlichem Interesse. Kastelan/Tarnai/Wuggenig bezeichnen Listen wie die Power 100 als: „[…] Ranglisten, journalistischen Typs, mit deren Hilfe auch versucht wird, Realitäten im Feld zu schaffen. Es wird beansprucht, «a comprehensive listing oft the artworld’s most powerful figures» zu übermitteln.“14 Das heißt, in der Verwendung dieses Rankings muss die gewissermaßen subjektive, von Insidern vorgenommene, Einschätzung der Positionen im Feld, Beachtung finden, die damit den Vorteil birgt, eine zweite, sich methodisch von ArtReview wie dem Kunstkompass unterscheidende Perspektive auf die Machtpositionen des Feldes zu präsentieren. Da die vorgenommenen Auswertungen anhand der Power 100 Liste im Vergleich zu den sonstigen Analysen einen deutlich geringeren Umfang aufweisen, wird von einer ausführlichen Darstellung der Komponenten an dieser Stelle abgesehen. Eine eingehendere Beschreibung findet sich in Kapitel 4.3.2. Abschließend sei angemerkt, dass die Analyse zu den Künstler/innen aufgrund der Größe und der teils intervallskalierten Datenbasis in Häufigkeitsauswertungen, Streudiagrammen und Regressionsanalysen vorgenommen wurde. Die weniger umfangreichen Daten zu den Museumsdirektor/innen, Galerist/innen und weiteren Akteur/innen des Feldes legten indessen Häufigkeitsauswertungen als zentrales Instrument nahe. Die Interpretation der Ergebnisse erfolgte maßgeblich entlang des im theoretischen Rahmen vorgestellten Ansatzes einer Gender-Kunstfeld-Theorie sowie den Ausführungen zu einer Geschlechterdimension in diesem Mikrokosmos. In der Verwendung und Gegenüberstellung der verschiedenen Rankings und ihrer Einbettung in das Kunstfeld, ließen sich schließlich umfangreiche Aussagen zu den Geschlechterstrukturen dieses sozialen Universums treffen. Die vor allem auf der Makroebene angesiedelte Untersuchung vermag es dabei auch zu zeigen, inwiefern eine empirische Analyse zu dem oft als intransparent deklarierten Kunstfeld mittels bestehender und allgemein zugänglicher Daten möglich ist.15                                                                                                                                                                            

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Siehe dazu: www.artreview.com/power_100/ [25.07.2014]. Siehe dazu auch Thon (2009). Kastelan/Tarnai/Wuggenig (2012), Fn. 31. Rankings – wie ArtFacts.Net oder der Kunstkompass – erfahren aus wissenschaftlicher Perspektive sehr unterschiedliche und teilweise sehr kritische Betrachtungen. Verzerrungen, wie der im Kunstkompass deutliche Bias in Bezug auf die verstärkte Aufnahme von Künstler/innen aus Deutschland (auch in der Bewertung der führenden Museen sichtbar),

 

 

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4.1.2 Begriffe und ihre Operationalisierung 4.1.2.1 Geschlecht als Dichotomie „Dieses Buch setzt mit einem Paradox ein: Es behandelt ausschließlich Künstlerinnen und beschwört damit jenes Differenzdenken herauf, das es im Grunde bekämpft.“16 Das Eingangszitat aus der im Jahr 2003 von Isabelle Graw veröffentlichten Untersuchung zu Ausnahmefrauen in der Kunst „Die bessere Hälfte. Künstlerinnen des 20. Und 21. Jahrhunderts“ beschreibt eine Problematik, der sich jede Analyse stellen muss, in der eine Reduktion der Geschlechtervariable auf eine weibliche und eine männliche Genusgruppe erfolgt. Auch der vorliegenden Studie liegt damit eine Geschlechterdichotomie zugrunde, die von poststrukturalistischen wie dekonstruktivistischen Ansätzen der Geschlechterforschung eine kritische Hinterfragung sowie teilweise eine gänzliche Infragestellung erfährt. Spätestens seit dem Erscheinen von Judith Butlers „Gender Trouble“ im Jahr 1990 in den USA, ein Jahr später in der deutschen Übersetzung,17 findet sich die Kritik, dass eine dichotome Unterscheidung von Geschlecht der Erhaltung genau dieser Binarität Vorschub leiste. Mit Judith Butler, so Susanne Schröter, gewann die Betrachtung von Geschlecht als einer sozialen Konstruktion an Popularität. Offen bleibt dabei, bis zu welchem Grad „der physische Körper in diese radikale Theorie mit eingeschlossen wird.“18 Geht es Butler primär darum „gender-Hierarchien“ und „Zwangsheterosexualität“ mit einem subversivem Spiel, mit Parodie und einem performativen Wechsel von Geschlechtsidentitäten zu verunsichern,19 erweist sich in der Untersuchung von Isabelle Graw, ebenso in der vorliegenden, ein anderes Anliegen als zentral: Graw verweist darauf, dass sie zwar ausschließlich die Werke von Künstlerinnen betrachtet, dabei aber nicht von einer „wesensbedingten Andersheit von Frauen oder einem vermeintlich weiblichen Prinzip“ ausgehe.20 Im Vordergrund steht vielmehr die Prämisse, dass sich Künstlerinnen im Allgemeinen innerhalb des gesellschaftlichen Segments „Kunstbetrieb“ in „einer besonderen – nicht dem Biologischen geschuldeten – Situation befinden.“21 Auch in der vorliegenden Untersuchung werden geschlechtsbedingte soziale Ungleichheiten, die sich beispielsweise in der asymmetrischen Besetzung                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    

16

17 18 19 20 21

müssen bei der Verwendung von Listen dieser Art Beachtung und in der Interpretation Berücksichtigung finden. Zur Kritik am nationalen Bias zugunsten Deutschlands im Kunstkompass siehe beispielsweise Wuggenig (2012b), S. 82 sowie Graw (2008), S. 46ff., Knebel (2007), S. 97, Quemin (2006) und Zembylas (1997), S. 7. Graw (2003), S. 10. Isabelle Graw bezieht sich hier auf Claudia Honegger und Caroline Arni, wonach Joan Scott auf dieses Paradox aufmerksam machte (vgl. Honegger/Arni [2001]). Demzufolge besteht das Paradox darin, „dass der Prozess gegen den Ausschluss der Frauen aus Gesellschaft und Politik nicht ohne Rekurs auf Geschlechterdifferenz und auf »die Frauen« zu formulieren sei.“ (vgl. Graw [2003], S. 11, Fn. 1). Vgl. Butler (1991). Vgl. Schröter (2000), Einleitung. Vgl. ebd. Vgl. Graw (2003), S. 10. Ebd.

 

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von Spitzenpositionen in sozialen Feldern widerspiegeln, einer sozialen Konstruiertheit von Geschlecht zugeschrieben. Das Vorgehen, diese dichotomen Strukturen aufzuzeigen, dient dabei der Sichtbarmachung der bestehenden Ungleichheitsstrukturen, um diese überhaupt hinterfragen zu können. Es steht zur Diskussion, inwiefern trotz des Wissens um die soziale Konstruktion von Geschlecht nach wie vor eine Geschlechterdichotomie im Kunstfeld besteht. Kann empirisch auf eine Binarität hingewiesen werden, verdeutlicht dies, dass ungeachtet der Reflexion der sozialen Konstruiertheit von Geschlecht in Diskursen des Kunstfelds – sowohl auf theoretischer Ebene als auch in der Kunstpraxis – eine Geschlechterdichotomie in der Repräsentation auf Spitzenpositionen besteht und persistent ist. Für das soziale Universum der Kunst erweist sich diese Fragestellung gerade hinsichtlich der im theoretischen Rahmen formulierten These, Frauen sei es in diesem Mikrokosmos in besonderem Maße möglich, führende Positionen einzunehmen, als besonders relevant.22 Wird der von Judith Butler proklamierten praktischen Unmöglichkeit, ein einheitliches Subjekt Frau zu bestimmen, zugestimmt,23 erweist sich im Verlauf der vorliegenden Untersuchung nichtsdestotrotz eine persistente und empirisch darstellbare Geschlechterdichotomie als gegeben – auch wenn die Binarität letztlich in den Köpfen der Akteur/innen produziert wird. Argumentiert Bourdieu sehr radikal gegen die u. a. von Judith Butler geforderte Überwindung des Dualismus, dient seine Position vor allem der bereits in Kapitel 3.1.3 dargelegten Feststellung der transhistorischen Konstanz der Herrschaftsverhältnisse. Bourdieu appelliert, die Unhaltbarkeit der Aufforderungen postmoderner Philosophen, die eine Überwindung des Dualismus fordern, zu erkennen, womit er sich auch gegen den performanztheoretischen Ansatz Judith Butlers wendet. Er begründet diese Position in der tiefen Verankerung der Dualismen in den Dingen bzw. Strukturen sowie in den Körpern; sie beruhen nicht auf einem bloßen Benennungsakt und sind auch nicht „durch einen Akt performativer Magie“ aufhebbar:24 „Die Geschlechter sind alles andere als bloße »Rollen«, die man (in der Art der drag queens) nach Belieben zu spielen vermöchte, denn sie sind in die Körper und ein Universum eingeprägt und beziehen daraus ihre Macht.“25 Bourdieu begreift die Schemata des vergeschlechtlichten Unbewussten als hochdifferenzierte geschichtliche Strukturen, die sich durch Lernprozesse reproduzieren, in denen Erfahrungen, die Akteur/innen mit den Strukturen der Räume machen, verarbeitet werden.26 Um eine Veränderung des Geschlechterdualismus herbeizuführen, bedarf es der Aufdeckung und des Aufzeigens dieser bestehenden binären Strukturen. Erscheinen die Standpunkte Judith Butlers und Pierre Bourdieus an dieser Stelle als unvereinbar, beschreibt Paula-Irene Villa in einem Paper aus dem Jahr 2011, inwiefern die beiden Positionen in ihren jeweiligen Zielsetzung durchaus „wohlwollend“ miteinander konfrontiert werden können und das Potenzial aufweisen, sich gegenseitig zu ergänzen.27 Demnach betonen beide, Butler wie Bourdieu, in der Frage nach der Ge                                                                                                                                                                            

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Siehe dazu insbesondere Kapitel 3.2.4 zur Geschlechterdimension im Kunstfeld. Vgl. Villa (2011). Vgl. Bourdieu (2005a), S. 177f. Ebd., S. 178. Vgl. Ebd. Vgl. Villa (2011), S. 52f.

 

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schlechterdifferenz die diskursive bzw. herrschaftsförmige Konstitution der alltagsweltlich als natürlich angenommenen Geschlechterdifferenzen. Butler bezieht sich dabei auf „die Normativität der dafür wesentlichen diskursiven Kategorien“, Bourdieu auf „die Stabilisierung und Legitimierung symbolischer Herrschaft, die sich mittels Naturalisierungen vollzieht.“28 Auch Stephan Moebius weist auf die Übereinstimmungen zwischen Bourdieu und Butler hin, zumindest in der Gegenüberstellung zu einem universalistischen Feminismus oder differenztheoretischen Ansätzen – er argumentiert: „Politisch gesehen bedeutet dies, dass weder universalistische, auf Gleichheit zielende Strategien noch differenztheoretische feministische Strategien eine »symbolische Revolution« und Veränderung der Gesellschaft bewirken.“ 29 Denn, so Moebius, ignoriert der universalistische Feminismus den Herrschaftseffekt, wonach sich die so genannte Universalität an den herrschenden männlichen Standards ausrichtet, der differenztheoretische Ansatz hingegen vertieft den herrschenden Essentialismus, anstelle ihn aufzuheben. 30 Die politische Lösung Bourdieus liegt in einer symbolischen Subversion, ähnlich wie sie auch in der Theorie Judith Butlers vorgeschlagen wird. Seine Strategie fußt weder auf einem spontanen revolutionären Akt noch auf Identitätspolitik, sie bedarf vielmehr einer langwierigen Dekonstruktion und Umwandlung der inkorporierten Kategorien und Denkschemata, „die über Erziehung und ihre alltägliche Wiederholung den Status evidenter und natürlicher Realität erlangten.“31 Elisabeth Klaus und Margreth Lünenborg sprechen bezüglich des Rekurrierens auf Geschlecht in der Forschungspraxis von einem Paradoxon, da die Forschung hier vor der erkenntnistheoretischen Herausforderung steht, „[…] das Objekt der Erkenntnis – die binäre Geschlechterlogik und seine gesellschaftlichen Erscheinungsformen – empirisch zum Ausgangspunkt nehmen zu müssen und zugleich im Forschungsprozess genau diese Prämisse als symbolisches Konstrukt zur Disposition zu stellen.“32 Gabriele Sturm verweist auf Veränderungen der theoretischen Fokusse und damit einhergehend der methodologischen Zugriffe im Feld feministischer Wissenschaft in den 1990er Jahren. Forscher/innen begannen in dieser Zeit, die Wissensbestände hinsichtlich der Situation von Frauen zu ergänzen und das Geschlechterverhältnis sowie die strukturierende Wirkung von Geschlecht in gesellschaftlichen Prozessen (einschließlich der Wissenschaft) zu analysieren. Ferner erfolgte eine zunehmende Infragestellung der Kategorie Geschlecht selbst; es setzte sich ein Bewusstsein von Frauen als nicht homogener Gruppe durch – Geschlecht galt zwar weiterhin als wesentliche, aber nicht einzig relevante Dimension sozialer Ungleichheit. Der verstärkt aufkommenden Annahme, unterschiedliche Geschlecht                                                                                                                                                                            

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Vgl. Villa (2011), S. 61. Moebius (2011), S. 62. Siehe dazu Bourdieu (2005a), S. 111f. Moebius (2011), S. 62. Kann an dieser Stelle nicht tiefer auf ein Zusammendenken der beiden Ansätze von Bourdieu und Butler eingegangen werden, beschreibt ein solches Vorgehen auch im Anschluss an Villa sowie Moebius eine für die Geschlechterforschung aufschlussreiche Orientierung. Hinsichtlich empirischer (auch quantitativer) Ausrichtungen der Geschlechterforschung und der hier zu führenden Diskussionen um ein dichotomes Geschlechterverständnis, gilt es diese zukünftig weiter zu verfolgen. 32 Klaus/Lünenborg (2011), o.S.

 

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errelationen könnten nur interdisziplinär ausgelotet werden, folgte damit eine Ausdifferenzierung der Zielsetzungen feministischer Forschung. 33 Diese Entwicklungen führten zu einem Verständnis von Geschlecht als zunehmend „erklärungsbedürftiges, am ehesten relationales Phänomen“, in der Empirie fanden zunehmend „kontextsensible, ergebnisoffene und antiessentialistische Verfahren“ Anwendung.34 Lünenborg weist in Bezug auf Untersuchungen aus der Medien- und Kommunikationsforschung auf das fortwährende Zurückgreifen auf die Kategorie Mann/Frau hin. Und obwohl es Anspruch der Geschlechterforschung ist, genau diese binäre Struktur der Zweigeschlechtlichkeit zu dekonstruieren, kann, so Lünenborg, im Prozess der empirischen Analyse nicht auf die Dichotomisierung verzichtet werden. Ein vollständiger Verzicht auf die Identifikation weiblich/männlich erscheint ihr für die Medien- oder Rezeptionsanalyse nicht sinnvoll, „da damit gesellschaftlich relevantes Wissen verloren gehen würde.“35 Liegt auch der vorliegenden Untersuchung ein dichotomes Verständnis von Geschlecht zugrunde, wird dieses als ein sozial konstruiertes und relationales gefasst. Wie von Engler (2010) dargelegt, ist der Problematik eines Geschlechterdualismus mit Bourdieu auch insofern zu begegnen, als er Geschlecht relational versteht.36 Wurde der Sachverhalt, dass es Frauen und Männer gibt, in der Diskussion um „doing gender“ im Rahmen der Frauen- und Geschlechterforschung als sozial produzierter Unterschied gefasst, begreift Engler das Aufbrechen dualistischen Denkens bei Bourdieu noch über die Kategorie Geschlecht hinausgehend: „Im Verständnis von Bourdieu bilden nicht Frauen und Männer als Einzelwesen den Ausgangspunkt von Untersuchungen, sondern „Relationen“ als „Realisierungen des historischen Handelns“.37 Zwar ist davon auszugehen, dass Geschlecht mehr Ausprägungen als männlich und weiblich aufweist und eine Dichotomisierung somit ein reduktionistisches Vorgehen darstellt; wie in der Untersuchung deutlich wird, existiert im Kunstfeld jedoch eine geschlechtliche Differenzierung, die nach ebendiesem binären Prinzip funktioniert. Bestätigung findet dies auch in einer jüngst von Schonfeld/Sweeney herausgegebenen Studie zur Geschlechterdiversität in den kulturellen Institutionen New Yorks. Die großangelegte Studie – sie umfasst nicht weniger als 48.280 Arbeitnehmer/innen – befragte nach den Kategorien „Male“, „Female“, „Does not identify as either male or female“ sowie „Decline to State“.38 Das Ergebnis brachte die folgende Verteilung hervor: 52,5 % der Arbeitnehmer/innen verstehen sich als Frauen, 46,7 % als Männer, 0,2 % identifizieren sich weder mit dem weibli                                                                                                                                                                            

33 Vgl. Sturm (2008). 34 Vgl. ebd. 35 Lünenborg (2012), S. 82. Verwiesen werden kann an dieser Stelle auch auf die von Lünenborg je nach Gegenstand und Fragestellung vorgeschlagene Dynamisierung der Struktur. Letztere wird von ihr angebracht, da die dichotome Unterscheidung zwischen Mann und Frau nicht immer relevant und nur selten alleine erklärend ist. Im Zusammenwirken mit anderen sozialen und kulturellen Dimensionen von Differenz kann somit auch das Heraustreten aus der Dichotomie und das Erweitern um andere Formen der Performativität von Geschlecht in Untersuchungen eingebunden werden (vgl. ebd., S. 82). 36 Vgl. Engler (2010), S. 258. 37 Ebd., S. 248; Engler bezieht sich an dieser Stelle auf Bourdieu/Wacquant (1996), S. 160. 38 Vgl. Schonfeld/Sweeney (2016), S. 8.

 

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chen noch mit dem männlichen Geschlecht und 0,5 % verweigerten die Aussage.39 Demnach erweisen sich die Kategorien Male/Female nach wie vor als dominant. Diese Binarität zugunsten der Auflösung von Geschlecht in empirischen Untersuchungen als strukturierende Kategorie radikal zu verwerfen, führt damit letztlich zur Persistenz auf dieser Differenzierung basierender, verdeckt wirkender Dichotomien. Die Auflösung von Geschlecht als strukturierende Kategorie für Spitzensegmente sozialer Felder ist erstrebenswert, kann aber nur geschehen, indem die verdeckten Asymmetrien enthüllt und reflektiert werden. Buchmann/Graw/Rebentisch gehen sogar soweit, die Abwehr gegen die Kategorie „Frau“ als Kurzschluss zu bezeichnen, der sich „nur zu gut mit der neoliberalen Ideologie des Postideologischen verträgt […].“40 Sie erkennen in der gegenwärtigen Situation einen Zeitgeist des „Postfeminismus“ oder „Postgender“, ein Symptom einer sich als „postideologisch“ gerierenden Ideologie. Diese Ideologie verkennt Ungleichheit als individuelles Versagen, entsprechend ist es auch der individuellen Frau zuzuschreiben, ob sie sich durch ihre Geschlechtszugehörigkeit beschränken lässt oder nicht.41 Sie folgern: „Der Feminismus war und ist keine Institution zur Verteidigung dieser Kategorie – tatsächlich hat der Neoliberalismus das unfreie Moment an der Identifikation mit ihr durchaus richtig getroffen –, sondern eine Bewegung, die, wie alle sozialen Bewegungen, auf ihre Selbstaufhebung zielt, eben weil die für sie zentrale Kategorie (auf vielfältige Weise) für die unter ihr Gefassten faktisch mit Ungleichheit und also Unfreiheit verbunden ist. Gerade vor dem Hintergrund ihrer falschen (falsch postideologischen) Aufhebung aber geht es heute wie damals paradoxerweise darum, auf der Kategorie »Frau« zu beharren – um sie loswerden zu können, denn das wäre allein unter den Bedingungen einer tatsächlich realisierten Gleichheit möglich.“42

In diesem Sinn dient die im Folgenden geleistete empirische Untersuchung auch dazu, den Stimmen entgegenzuwirken, die sich auf den heute ausgeglichenen Zugang zum Bildungssystem und somit auf eine gleichwertige Inklusion hinsichtlich professioneller und erfolgreicher Karrieren in Spitzensegmenten berufen. Die in den vergangenen hundert Jahren erfolgte Öffnung des Bildungssystems ist zweifelsohne als großer Fortschritt zu werten. Dennoch dürfen neben offensichtlichen Veränderungen, die hinter diesem Fortschritt versteckten, unsichtbaren Strukturen, die für eine Perpetuierung von Geschlechterungleichheiten sorgen, nicht außer Acht gelassen werden. Pierre Bourdieu bezieht sich diesbezüglich (wie ausführlich bereits in Kapitel 3.1.3 dargelegt) auf die verborgenen Kontinuitäten sowohl in den Strukturen wie in den Repräsentationen, die hinter den erkennbaren Veränderungen häufig verborgen bleiben.43 Er formuliert diese Problematik folgendermaßen: „Die sichtbaren Veränderungen der Lage verdecken in der Tat das an den relativen Positionen unveränderte.“44                                                                                                                                                                            

39 Vgl. Schonfeld/Sweeney (2016), S. 8. Die Zahlen wurden auf eine Stelle nach dem Komma gerundet. 40 Buchmann/Graw/Rebentisch (2011), S. 5. 41 Vgl. ebd., S. 4. 42 Ebd. S. 5. 43 Vgl. Bourdieu (1997b), S. 227. 44 Ders. (2005a), S. 157.

 

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Die formelle Gleichheit von Männern und Frauen verschleiert demnach, dass letztere bei gleichen Voraussetzungen stets die weniger günstigen Positionen bekleiden. Als besten Beweis für die Statusunsicherheit der weiblichen Teilnehmerinnen auf dem Arbeitsmarkt verweist er auf die Tatsache der stets schlechteren Bezahlung bei gleichen Voraussetzungen gegenüber Männer oder dass sie mit dem gleichen Diplom weniger anerkannte Stellen erhalten als ihre männlichen Kollegen. Zudem weist Bourdieu darauf hin, dass sie proportional stärker von Arbeitslosigkeit und prekären Arbeitsverhältnissen betroffen sind und eher auf Teilzeitstellen verwiesen werden. Eine Tatsache, die beinahe unvermeidlich eine Exklusion von Frauen von den Spielen um Macht und Karriereperspektiven bewirkt.45 Die nach wie vor tief in unseren gesellschaftlichen Strukturen und Denkschemata verankerten dichotomen geschlechtlichen Herrschaftsverhältnisse können dann aufgebrochen werden, wenn sie reflektiert, entschleiert und sichtbar gemacht werden – die nachfolgende Studie leistet einen solchen Beitrag zur geschlechtlichen Domination im Kunstfeld. 4.1.2.2 Akteur/innen und Institutionen Im Analysefokus der empirischen Untersuchung liegen die Geschlechterstrukturen verschiedener kunstproduzierender wie -vermittelnder Professionen – Künstler/innen, Museumsdirektor/innen sowie Galerist/innen. Daher folgt eine kurze Charakteristik dieser für die Untersuchung besonders relevanten Akteursgruppen; von einer Auseinandersetzung mit Sammler/innen, Kritiker/innen und Kurator/innen, die im Untersuchungskontext vergleichsweise weniger Raum einnehmen, wird an dieser Stelle zugunsten einer Einführung im zugehörigen Kapitel abgesehen. Künstler/innen: Eine professionelle Karriere als Künstler/in beginnt meist mit einem Studium an einer Kunstakademie oder Kunsthochschule. Walther MüllerJentsch geht davon aus, dass in dieser Berufsgruppe in der Regel ein bürgerlicher Hintergrund vorliegt, sozialstatistisch ordnet er sie den freien Berufen des Bürgertums zu. Dabei verstehen sie sich häufig als Antipoden einer zweckrational eingerichteten Welt und eines bürgerlichen Lebensstils. Müller-Jentsch bezieht sich hier auf prominente Beispiele aus der Kunstgeschichte, u. a. Vincent van Gogh, „die sich selbst um den Preis der Armut allein der Kunst verpflichtet fühlten.“46 Im Ensemble der bürgerlichen Berufe weist er der Künstlerprofession eine Ausnahmestellung zu. Der Künstlerberuf ist demnach ein wirtschaftlich ungesicherter und dem Habitus nach „antibürgerlicher“.47 Carrol Haak verdeutlicht, dass es sich bei Künstler/innen um eine hochgebildete Gruppe handelt, die mehrheitlich über einen Hochschulabschluss verfügt; sie agieren meist als Selbstständige – Erfolg und Misserfolg liegen auf Künstlerarbeitsmärkten sehr nahe beisammen.48 Das Einkommen ist, abgesehen von einigen Spitzenverdienenden, außerordentlich gering, es „liegt weit unter dem                                                                                                                                                                            

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Vgl. Bourdieu (2005a), S. 159ff. Müller-Jentsch (2012), S. 87f. Vgl. ebd., S. 107. Vgl. Haak (2008), S. 158.

 

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der übrigen Erwerbstätigen mit ähnlichem Qualifikationsniveau“.49 Laut Goodrow können 95 % der bildenden Künstler/innen nicht von ihrer Kunst allein leben.50 Müller-Jentsch verweist in diesem Zusammenhang auch auf Zahlen der Künstlersozialkasse, die für die 166.000 Mitglieder im Jahr 2010 ein durchschnittliches Jahreseinkommen von 13.300 Euro angab.51 Er sieht in der Künstlerfigur, außerhalb des behördlichen Verkehrs, eine Figur, die auf der Konstruktion einer heroisierenden Biografik und zugehörigen Stereotypen basiert.52 Zu letzteren zählt der Autodidakt, der keiner Schulung und Übung bedarf – er wird als Künstler geboren.53 Unterliegt dieser „Künstlertypus“ in jüngerer Zeit einer zunehmenden Dekonstruktion, wie Beatrice von Bismarck ausführt,54 zeigt sich in einer solchen „Heroisierung“ dennoch einer der entscheidenden Unterschiede in den Zuschreibungen, die gegenüber Künstler/innen und anderen Akteur/innen im Feld wie Galerist/innen oder Museumsdirektor/innen bestehen. Auch in Pierre Bourdieus „Die Regeln der Kunst“ finden sich verschiedene Aussagen zu Künstler/innen, so gehören dem „Macht-Feld“ in „Die Erziehung des Herzens“ u. a. Maler, Zeichner, Porträtisten, Karikaturisten, Bildhauer, Komponisten und Dichter an.55 Mit der Erfindung der reinen Ästhetik kristallisierte sich laut des Soziologen die „reine“ Künstlerfigur heraus, eine Innovation die von der Erfindung der Figur des „großen berufsmäßigen Künstlers“ nicht zu trennen sei. Dieser Künstlertypus vereint den Sinn für die Grenzüberschreitung und die Freiheit gegenüber den Konformismen mit dem Rigorismus einer Lebens- und Arbeitsdisziplin, die auch Wissenschaftler und Gelehrte auszeichnen. Bürgerlicher Wohlstand, also eine entsprechende gesellschaftliche Herkunft sowie Ehelosigkeit bilden die Voraussetzungen, so Bourdieu, diese Berufung anzunehmen.56 In dem Band „Auftritt als Künstler“ setzt sich Beatrice von Bismarck mit der Konstitution von Künstlerschaft nach dem Jahr 1960 auseinander und stellt dabei auch die Frage nach den Erwartungen und Anforderungen an diesen gesellschaftlichen Status.57 Von Bismarck betont, dass zahllose Zuschreibungen an Künstler/innen existieren und ihre Charaktere als außerordentlich divergent erscheinen. Diese seit dem Umbruch zur Postmoderne gewachsene Vielfalt an möglichen Rollen, die Künstlern zur Verfügung stehen, hilft aber auch zu verschleiern, inwiefern sich der „Künstler-Auftritt“ von dem Auftreten                                                                                                                                                                            

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Haak (2008), S. 158. Vgl. Goodrow (2004), S. 23. Vgl. Müller-Jentsch (2012), S. 87f. An dieser Stelle wird das von Müller-Jentsch verwendete Maskulinum beibehalten, da die Stereotypen insbesondere auf männliche Künstler Bezug nehmen. Vgl. ebd. Vgl. von Bismarck (2010). Auch an dieser Stelle findet sich eine Beibehaltung der maskulinen Bezeichnungen, da sich Bourdieu, wie verschiedentlich dargelegt, vor allem auf Künstler bezieht. Künstlerinnen war es zu dieser Zeit nahezu unmöglich öffentlich in Erscheinung zu treten. Vgl. Bourdieu (1999), S. 184. In Bezug auf den Romanschriftsteller nimmt Bourdieu sogar explizit Bezug auf die Bedeutung von Geschlecht. Hier auftretende Hierarchisierung der Autoren der verschiedenen Romangattungen lassen sich demnach durch soziale Herkunft und Geschlecht erklären (vgl. ebd., S. 190f.). Vgl. von Bismarck (2010), S. 7.

 

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in anderen Berufsgruppen wie beispielsweise Apotheker/innen, Handwerker/innen oder Schauspieler/innen unterscheidet.58 Sie verdeutlicht, dass eine eindeutige Definition von Künstler/innen kaum gegeben werden kann, vielmehr handelt es sich um Zuschreibungen, die einer ständigen Entwicklung unterliegen: „Die Definition »des Künstlers«, mithin historisch variabel, entwickelt sich in diesem Geflecht als fortwährend neu zu findende Übereinkunft zwischen den beteiligten, Individuen und Institutionen gleichermaßen. Für das jeweils gültige Bild des Künstlers können entsprechend nicht vorrangig Künstlerinnen und Künstler verantwortlich gemacht werden, sondern sie tragen gleichberechtigt mit allen anderen im Feld Handelnden zu ihm bei, Betrachter/innen, Kritiker/innen, Kurator/innen, Wissenschaftler/innen, Galerist/innen, künstlerisch Ausbildende und Auszubildende, Sammelnde und Betrachtende sowie die jeweils mit ihnen affiliierten Einrichtungen.“59

Wie in dem Kapitel zum Gender-Diskurs in der kunsthistorischen Forschung dargelegt, verändern sich mit den sich wandelnden Künstler-Auftritten auch die Zuschreibungen, die an das Geschlecht von Künstler/innen gestellt werden – damit einher geht eine sich wandelnde Akzeptanz von Künstlerinnen. Beatrice von Bismarck verweist neben der Anerkennung der veränderten Zuschreibungen nichtsdestotrotz auf ein überzeitliches, mythisch naturalisiertes Künstlerbild, das sie als nahezu ausnahmslos männlich bestimmtes versteht.60 Die im kunsthistorischen Gender-Diskurs geführte Diskussion um die u. a. auf diesen Künstler-Mythos zurückgehende Exklusion von Künstlerinnen auf professionellen Positionen (siehe dazu Kapitel 2.3) erweist sich somit als einer der Ausgangspunkte, der eine quantitative Untersuchung der Repräsentation von Künstler/innen auf Spitzenpositionen im Kunstfeld besonders interessant erscheinen lässt – auch im Vergleich zu weniger mythologisierten professionellen Gruppen. Die Analyse des Wandels der numerischen Repräsentation von Künstlerinnen anhand der Geburtsjahre der im Spitzenfeld präsenten Künstler/innen zeigt sich hier besonders relevant. Der Studie liegen die führenden 2500 künstlerischen Positionen des internationalen Spitzenfelds der Kunst zugrunde – diejenigen Künstler/innen, die über ein besonders hohes Maß an Aufmerksamkeit und damit verbunden ein sehr hohes symbolisches Kapital im Feld verfügen. Die Bemessung erfolgt mittels des Künstler/innen Rankings ArtFacts.Net. Museumsdirektor/innen: Museen fungieren als zentrale Legitimationsinstanz des Kunstfelds, dies verdeutlicht Jens Kastner im Jahr 2009 in dem von ihm publizierten Band „Die ästhetische Disposition“. Das Museum fungiert demnach laut Bourdieu innerhalb der Kunstwelt als zentrale Entscheidungsinstanz.61 Wuggenig konstatiert dies auch für die Gegenwart, indem er feststellt, dass hier der Kampf um künstlerische Anerkennung sowie die Einschreibung in die Kunstgeschichte entschieden                                                                                                                                                                            

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Vgl. von Bismarck (2010), S. 7. Ebd., S. 7f. Vgl. ebd., S. 8. Vgl. Kastner (2009), S. 98.

 

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wird. 62 Ein vom Arts Council England vorgeschlagenes Modell, das „Art-EcoSystem“, sieht verschiedene Stufen der Anerkennung im Kunstfeld vor. Die vierte und letzte Stufe der Konsekration in Form von öffentlicher Anerkennung wird dabei über Museen vermittelt erreicht.63 Das Museum etablierte sich, so Kastner, mit seiner Wandlung zu einer zentralen Instanz bürgerlicher Kultur zugleich zur wichtigsten Konsekrationsinstanz des Kunstfelds.64 Die Bedeutung des Museums gegenüber den anderen Institutionen formuliert er folgendermaßen: „Zwar sind auch Kunstkritik und vor allem Galerien und Kunstmessen an den Entscheidungen darüber beteiligt, ob etwas Kunst ist oder nicht. Letzter und langfristiger Garant für die Gültigkeit dieser Entscheidungen ist und bleibt aber das Museum.“ 65 Der Autor unterscheidet in kunsthistorische Museen und meist zeitgenössisch orientierte Kunsthallen, letztere stehen in einem teils auf Andienung teils auf Abgrenzung beruhenden Konkurrenzverhältnis zu ersteren.66 Wuggenig hebt insbesondere das New Yorker MoMA als die „main bastion of Western modern and contemporary Art“ hervor.67 An anderer Stelle merkt er an: „Der Kampf um künstlerische Anerkennung und die Einschreibung in die Kunstgeschichte wird nicht im privaten, sondern im öffentlichen Bereich entschieden: im Museum.“68 Aus dem Verständnis von Museen als höchste Konsekrationsinstanzen des Feldes, lässt sich ferner schließen, dass leitende Positionen in diesen Institutionen als mit besonders viel Macht ausgestattete zu bezeichnen sind. Dies gilt insbesondere insofern, als die Akzeptanz durch die bedeutenden Museen als langfristiger Garant für eine erfolgreiche Karriere als Künstler/in im Spitzenfeld betrachtet werden kann. Die Analyse zu den Spitzenmuseen in der vorliegenden Untersuchung brachte, wie an späterer Stelle ausgeführt, als interessantes Ergebnis hervor, dass sich die Direktor/innen dieser Häuser durch ein besonders hohes (meist) spezifisches Bildungskapital auszeichnen (siehe dazu Kapitel 4.3.1). Der relativ stark formalisierte Ausbildungsweg fordert in der Regel mindestens ein abgeschlossenes kunsthistorisches Studium, meist eine Promotion – letztere gilt häufig schon für Volontariate an großen Museen als Voraussetzung. Der Zugang zu führenden Positionen in solchen Institutionen ist somit stark an formalisierte Kriterien gebunden, für Frauen gilt dies in noch stärkerem Maße als für Männer. Die Möglichkeit, als Autodidakt/in eine Künstler/innenlaufbahn einzugehen oder auch Galerist/in zu werden, scheint im Hinblick auf den geringeren Grad der Formalisierung der Karrierewege größer als dies bei Museumsdirektor/innen der Fall ist. Die vorliegende Studie basiert auf einer Analyse der Direktor/innen der führenden rund 200 Museen des internationalen Kunstfelds und damit des musealen Spitzensegments. Eine Liste dieser Museen                                                                                                                                                                            

62 Vgl. Wuggenig (2007), S. 230; siehe dazu auch Kastner (2009), S. 98. 63 Vgl. Arts Council England (Hg.) (2004), S. 6; siehe dazu auch Kastelan/Tarnai/Wuggenig (2012), S. 91. 64 Vgl. Kastner (2009), S. 98ff.; Kastner verweist im Weiteren auch auf Bourdieu (1982), S. 58f. 65 Kastner (2009), S. 99. 66 Vgl. ebd., S. 101. 67 Vgl. Wuggenig (2009), o.S. 68 Ders. (2007), S. 230.

 

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wurde von den Herausgeber/innen des Kunstkompasses im Jahr 2009 veröffentlicht (siehe dazu Kapitel 4.1.1). Galerist/innen: In der Zusammenstellung der Untersuchungsdaten zu Galerien und Galerist/innen stellte sich das Feld der Galerien im Vergleich zu dem der Museen als ein relativ intransparentes heraus. Die geringe Formalisierung des Feldes wurde u. a. darin offensichtlich, als kein formaler Ausbildungsweg für dieses Berufsbild besteht: So verdeutlichten die Daten, dass viele der Galerist/innen – ähnlich den Museumsdirektor/innen – über einen Hochschulabschluss in Kunstgeschichte verfügen. Ein kunsthistorisches Studium ist aber nicht wie bei den Direktor/innen als formale Voraussetzung für dieses Berufsbild zu verstehen. Ökonomisches Kapital (um überhaupt auf dem Markt agieren zu können) sowie soziales Kapital (z.B. in Form eines Netzwerks mit Künstler/innen wie Sammler/innen) können hingegen als Voraussetzung für eine Galeriegründung begriffen werden. Bourdieu versteht „Gemäldehändler“ auch als Repräsentanten von Geld und Geschäft innerhalb der Kunstwelt.69 Er geht davon aus, dass der Künstler, „[…] der das Werk schafft, selbst innerhalb des Feldes erschaffen wird: durch all jene nämlich, die ihren Teil dazu geben, daß er »entdeckt« wird und die Weihe erhält als »bekannter« und anerkannter Künstler – die Kritiker, Schreiber von Vorworten, Kunsthändler usw.“70 Den Kunsthändler begreift Bourdieu dabei einerseits als Akteur, der „die Arbeit des Künstlers ausbeutet“, andererseits aber auch fördert:71 „So ist der mit Kunst Handelnde (Galeristen, Verleger usw.) zum Beispiel jener, der die Arbeit des Künstlers ausbeutet, indem er mit dessen Produkten Handel treibt und untrennbar damit aber auch jener, der, indem er das Produkt der künstlerischen Herstellung auf den Markt der symbolischen Güter trägt, durch seine Ausstellung, Veröffentlichung oder Inszenierung diesem eine um so bedeutendere Konsekration sichert, je arrivierter und anerkannter er selbst ist.“72

Galerist/innen lassen die Künstler/innen in den Kreislauf der Konsekration eintreten73 und spielen eine hervorgehobene Rolle um überhaupt Präsenz im Kunstfeld erlangen zu können. Die Vorstellung, Galerist/innen agierten interessenlos und irrational als „inspirierte Entdecker“ hält Bourdieu für eine Verklärung der Wirklichkeit: „Die charismatische Vorstellung der »großen« Galeristen oder Verleger als inspirierte Entdecker, die geleitet von ihrer interesselosen und irrationalen Leidenschaft für ein Werk, den Maler oder Schriftsteller »gemacht« oder ihm ermöglicht haben, sich selbst zu machen, indem sie ihn in schweren Stunden durch den Glauben, den sie in ihn gesetzt haben, unterstützen und von

                                                                                                                                                                           

69 Vgl. Bourdieu (1999), S. 26. Pierre Bourdieu bezieht sich hier auf Monsieur Arnoux in „Die Erziehung des Herzens“ von Gustave Flaubert. 70 Bourdieu (1999), S. 271. 71 Vgl. ebd. 72 Ebd. 73 Vgl. ebd., S. 272.

 

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materiellen Sorgen befreien – diese Vorstellung ist eine Verklärung der wirklichen Funktionen.“74

Das zuvor vorgestellte Modell des Art-Eco-Systems ermöglicht es, verschiedene Akteur/innen des Kunstfelds hinsichtlich ihrer Beteiligung am Konsekrationsprozess im Feld der zeitgenössischen Kunst zu analysieren.75 Das Modell weist vier Stufen der Anerkennung auf, wobei Kastelan/Tarnai/Wuggenig den Prozess als idealtypisch rekonstruierten bezeichnen.76 Die Anerkennung erfolgt demnach in folgender Reihenfolge: 1. Peers/Gleichgestellte, 2. Kritiker/innen, 3. Galerist/innen und Sammler/ innen und 4. Museen. Wird den Kritiker/innen wie Sammlerinnen in der vorliegenden Untersuchung etwas weniger Aufmerksamkeit gewidmet, stehen die weiteren für den künstlerischen Konsekrationsprozess zentralen Professionsgruppen im Fokus der Analyse. Besonders hervorzuheben ist die in dem Schema veranschaulichte Bedeutung von Peers und Galerien für den Eintritt in das professionelle Feld sowie die Beurteilung der Museen als höchste Konsekrationsinstanz.77 Auch Bourdieu nimmt auf verschiedene Institutionen und die mit diesen verbundenen Akteur/innen im Feld Bezug, die er für das Funktionieren der Ökonomie der Kulturgüter als grundlegend erachtet. Er verweist auf spezifische Institutionen, „[…] die das Funktionieren der Ökonomie der Kulturgüter voraussetzt: Ausstellungsstätten (Galerien, Museen usw.), Konsekrationsinstanzen (Akademien, Salons usw.), Instanzen der Reproduktion der Produzenten (Kunstschulen usw.), spezialisierte Akteure (Händler, Kritiker, Kunsthistoriker, Sammler usw.), die mit den objektiv vom Feld verlangten Dispositionen und den spezifischen Wahrnehmungs- und Bewertungskategorien ausgestattet sind, […].“ [Herv. im Orig.]78

Die Gegenüberstellung der verschiedenen professionellen Gruppen – der Künstler/innen, Museumsdirektor/innen und Galerist/innen – dient in der nachfolgenden Studie neben den jeweils individuellen Analysen auch der Offenlegung möglicher differenzieller Geschlechterstrukturen zwischen den verschiedenen Akteursgruppen. Im Anschluss an die theoretische Rahmung wird dabei auch eine Differenzierung nach produktiven und vermittelnden Tätigkeiten vorgenommen. 4.1.2.3 Die internationale Spitze in einem globalen Feld Das Spitzensegment des internationalen Kunstfelds definiert sich in der vorliegenden Untersuchung durch Institutionen und Akteur/innen, die über ein besonders hohes Maß an Aufmerksamkeit im Feld verfügen. Letztere bemisst sich anhand von symbolischem Kapital, festgestellt mittels Sekundärdatenauswertungen verschiedener Rankings zu Künstler/innen, Galerist/innen, Museumsdirektor/innen sowie weiteren Ak                                                                                                                                                                            

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Bourdieu (1999), S. 272. Vgl. Kastelan/Tarnai/Wuggenig (2012), S. 91. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Bourdieu (1999), S. 459.

 

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teur/innen des Feldes; zugrunde liegt die Annahme, dass sich die Akteur/innen mit abnehmendem symbolischem Kapital von der Spitze entfernen. Im Fokus der Studie steht damit ein soziales Universum, das in einem globalen Feld situierte Institutionen umfasst und Akteur/innen verschiedener Herkunftsländer – weltweit – einbezieht, die in international ausgerichteten Netzwerken und Peer-Groups agieren. Dass das Kunstfeld in diesem Sinn als ein transnationales verstanden werden kann, zeigen beispielsweise Buchholz/Wuggenig (2012) sowie Kastelan/Tarnai/Wuggenig (2012). Aus der von Ulf Wuggenig herausgegebenen Kunstfeldstudie aus dem Jahr 2012 geht etwa hervor, dass dem Zentrum des Züricher Kunstfelds zuzurechnende Akteur/innen79 in den zwei Jahren vor der Befragung (2009/10) zu fast 80 % auch Institutionen in New York, zu annähernd 50 % solche in Osteuropa und zu immerhin rund 20 % Institutionen in China besuchten.80 Kastelan/Tarnai/Wuggenig verweisen an anderer Stelle zudem auf die vom Art Council England 2004 in Auftrag gegebene Studie „Taste Buds“,81 in der Kunst, die lediglich auf lokaler oder regionaler Ebene sichtbar ist und nicht in dem inter-/transnationalen Kunstzirkel präsent ist, auch als „non-art“ bezeichnet wird.82 Basierend auf der Theorie Pierre Bourdieus, wird das künstlerische Feld, wie in Kapitel 3.2 dargelegt, als ein soziales Universum verstanden, in dem sich Kämpfe um privilegierte Positionen zwischen den Akteurinnen und Akteuren vollziehen. Inwiefern die auf den nationalen französischen Raum bezogene Theorie auf ein globales Kunstfeld übertragen werden kann, zeigt Larissa Buchholz in ihrer Studie „The Global Rules of Art“ aus dem Jahr 2013. In einer detaillierten Analyse und Zusammenführung globalisierungstheoretischer Ansätze und Untersuchungen erfolgt hier eine Übersetzung der Theorie von Pierre Bourdieu in einen internationalen bzw. globalen Raum.83 Buchholz entwirft in der Untersuchung einen                                                                                                                                                                            

79 Kastelan/Tarnai/Wuggenig unterteilen das Züricher Kunstfeld entlang einer ZentrumsPeripherie-Achse in ein Zentrum, eine Semi-Peripherie und eine Peripherie sowie in ein Zentrum des Zentrums und eine Peripherie des Zentrums. Eine weitere Unterteilung der Peripherie erfolgt entsprechend dieser Logik (vgl. Kastelan/Tarnai/Wuggenig [2012], S. 103ff.). Die Abstufung erfolgt in Anlehnung an die auf die soziale Makroebene bezogene Theorietradition (vgl. ebd.). In der Studie aus dem Jahr 2012 wurde im Vergleich zu dem in früheren Untersuchungen verwendeten eindimensionalen, auf die Rezeption von Kunstzeitschriften gestützten Index, ein mehrdimensionaler Index „im Sinne einer Weiterentwicklung des Maßes für Zentrum und Peripherie“ verwendet (zu den Untersuchungen mit eindimensionalem Index siehe u. a. Tarnai/Wuggenig [1996, 1998]). Indikatoren des mehrdimensionalen Index waren u. a. Vertrautheit mit Künstler/innen, Kurator/innen und Sammler/innen, die über hohes symbolisches Kapital verfügen sowie die Rezeption von Kunst- oder Kulturzeitschriften (mit Kunstbezug) und der Besuch von Kunstmessen und Großausstellungen. Die Position auf der Zentrums-Peripherie Skala wird somit anhand des spezifischen kulturellen Kapitals bemessen, mit dem Akteur/innen und Institutionen ausgestattet sind (vgl. Kastelan/Tarnai/Wuggenig [2012], S. 103ff.). 80 Siehe dazu Buchholz/Wuggenig (2012), S. 184 (Grafik 22). 81 Vgl. Kastelan/Tarnai/Wuggenig (2012), S. 97. 82 Arts Council England (2004). 83 Vgl. Buchholz (2013).

 

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Ansatz, der es ermöglicht, feldtheoretisch basiert das globalisierte Kunstfeld zu analysieren: „With increasing relative autonomy from (national) subfields, a global field grows to more than the sum of its national parts, without, however, being completely independent from them. The more globalized a cultural field, the higher is what I call vertical autonomy, that is, the more it has developed its own culture, structure, intermediaries, as well as modes of valuation. In sum, a global cultural field, defines a hierarchically structured realm of cultural production in which agents (individual and organizational) have extended their competition over valued resources associated with a common cultural practice and related shared meanings to a transcontinental scale in such a way that it becomes relatively autonomous from national fields.“ [Herv. im Orig.]84

Buchholz identifiziert drei zentrale Mechanismen für die Entstehung eines solchen globalen Feldes, die eine transkontinentale Ausweitung der Kämpfe im Feld ermöglichen und signalisieren: Erstens nennt sie die Formierung globaler institutioneller Zirkel, bezogen auf eine Infrastruktur, die der weltweiten Zirkulation von Personen, Ideen und Gütern über nationale Grenzen hinweg dient. Als Beispiele zieht sie internationale Biennalen sowie in Anlehnung an die Untersuchungen von Anna Boschetti und Gisèle Sapiro internationale Buchmessen heran.85 Diese Zirkel beanspruchen besondere Bedeutung, da sie direkt oder indirekt Akteur/innen verschiedener regionaler oder nationaler Felder miteinander verbinden. Die Entstehung dieser globalen Infrastruktur geht mit einer anwachsenden, sich zunehmend professionalisierenden Anzahl an Vermittler/innen einher, die „cross-border flows“ zu ihrem zentralen Fokus machen.86 Zweitens wird die Formierung des globalen Feldes durch die Kreation transnationaler oder globaler institutioneller Evaluations- und Konsekrationsformen unterstützt, etwa in Form von internationalen Kunstpreisen oder Künstler/innenrankings.87 Buchholz bezeichnet diese auch als institutionelle Formen transnationalen oder globalen Kapitals, die einen geografisch erweiterten Kampf um die Werte des Feldes ermöglichen.88 Als dritten und möglicherweise wichtigsten Indikator der Globalisierung nennt sie einen feldspezifischen globalen Diskurs.89 Die Studie vermag es zu zeigen, inwiefern Bourdieus Verständnis von Konzepten als „temporäre Konstrukte“ zur Unterstützung empirischer Analysen verstanden werden sollten,                                                                                                                                                                            

84 Buchholz (2013), S. 19. 85 Vgl. Boschetti (2004), S. 204 sowie Sapiro (2010), S. 243. 86 Vgl. Buchholz (2013), S. 20. Buchholz verweist an dieser Stelle u. a. auf Pascale Casanova und bezeichnet solche Akteur/innen auch als „polyglot cosmopolitan figures“ oder „exchange brokers“ (vgl. Casanova [2004[1999]]). 87 Vgl. Buchholz (2013), S. 20. Als ein Beispiel für einen solchen Preis nennt Buchholz den internationalen Literaturnobelpreis; sie bezieht sich an dieser Stelle auf die Untersuchung zum Feld der Literatur von Casanova (2004[1999], S. 126 – 163), in dem letztere ein Modell zur Produktion, Zirkulation und Bewertung von Literatur auf internationaler Ebene entwirft. 88 Vgl. Buchholz (2013), S. 20. 89 Vgl. ebd., S. 21.

 

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die in Anbetracht verschiedener Kontexte und Fragestellungen modifiziert werden können.90 Das kulturelle Feld lässt sich aus dieser Perspektive auch nicht als „realist theory“ mit vorgegebenen Grenzen begreifen, vielmehr handelt es sich um eine Analysemethode, die dazu dient, ein Objekt des Wissens zu konstruieren, das über das im allgemeinen Sinn Sichtbare hinausgeht.91 Entsprechend folgert Buchholz: „The empirical boundaries and validity of a cultural field have to be determined in the course of research, and may transgress, principally, those of particular nation-states.“92 An diesen Überlegungen lässt sich der in der vorliegenden Untersuchung anvisierte Untersuchungsraum – das Spitzenfeld der Kunst auf internationaler Ebene –anschließen. Eine für die Analyse der geografischen Herkunft von Künstler/innen sowie der Standorte der Museen wie Galerien hilfreiche Einteilung nach Zentrum und Peripherie wurde im Jahr 2006 zudem von Alain Quemin vorgelegt. Quemin identifiziert – insbesondere mittels des Kunstkompasses – Nationen, die dem Zentrum bzw. der Peripherie des Kunstfelds zuzurechnen sind. Das betrachtete soziale Universum umfasst dabei lediglich Künstler/innen, die über einen hohen Grad an Aufmerksamkeit in diesem professionellen, globalen Kunstfeld verfügen. Damit bezieht sich diese Zentrums-Peripherie-Definition Quemins auf ein Zentrum des Zentrums und eine Peripherie des Zentrums. Eine Einteilung, die für die Operationalisierung der Herkunftswie Standortvariable in ein Zentrum und eine Peripherie in der vorliegenden Untersuchung äußerst hilfreich war und von Quemin wie folgt ausgeführt wird: „To sum up, the world of contemporary art thus clearly has a centre, because it functions very much as a duopoly formed by, on the one hand, the US and, on the other, Europe (or, more precisely, a few countries in Western Europe: Germany, the UK, France and Italy, and sometimes Switzerland), with Germany very much at its heart. These five or six countries are all among the world’s richest nations.“93

Neben dem Zentrum des Zentrums besteht nach Quemin eine Peripherie des Zentrums, wobei sich dieses aus den im Kunstfeld weniger bedeutsamen – über geringere Macht verfügenden – Staaten zusammensetzt: „In contrast to this emphatically western centre, there is an ‘artistic periphery’ that consists of all those countries that do not belong to this double geographical nucleus constituted by that handful of Western European countries and the US.“94

                                                                                                                                                                           

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Bourdieu (1985b), S. 11 sowie Bourdieu in ders./Wacquant (1996), S. 125f. Vgl. ebd., S. 127ff. Buchholz (2013), S. 13. Quemin (2006), S. 542. Ebd., S. 543.

 

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4.2 U NTERSUCHUNGSERGEBNISSE I: K ÜNSTLER / INNEN – VERGESCHLECHTLICHTE S TRUKTUREN IN DER K UNSTPRODUKTION 4.2.1 Drei Ebenen der Exklusion: Marginalisierung und Prädisposition in der relativen Betrachtung des Feldes Dank verschiedener Untersuchungen zum Zentrum des Kunstfelds, u. a. von Diana Crane (2002), Alain Quemin (2002 und 2013), Ulf Wuggenig (2002), Larissa Buchholz/Wuggenig (2005), Buchholz (2013) sowie Heike Munder/Wuggenig (2012) liegt ein vielseitiges Wissen zu Aspekten des Globalen, zu künstlerischen Avantgarden, zu Starkünstler/innen sowie zu Akteur/innen und Institutionen an der Spitze dieses sozialen Universums vor. Die Bedeutung von Geschlecht für die Einnahme von Spitzenpositionen fand dabei zwar in Ansätzen Berücksichtigung, bis dato fehlt es jedoch – mit Ausnahme von Quenzel (2000) – an einer spezifischen Auseinandersetzung. Gudrun Quenzel leistet (wie im Kapitel zum Forschungsfeld der Soziologie ausgeführt) einen wesentlichen Beitrag zu diesem Analysekomplex, vor allem in der Darlegung der numerischen Repräsentationen von Künstler/innen. Ähnlich der Studie Quemins – die in diesem Zusammenhang gleichermaßen hervorzuheben ist – liegt der Fokus von Quenzel auf den führenden hundert künstlerischen Positionen des Feldes. Ein Untersuchungsraum, der als absolute Spitze einen Bereich umfasst, der eine Exklusion und Ungleichheitsstruktur in besonderem Maße aufweist. In seiner umfangreichen Untersuchung zu den „Stars“ der zeitgenössischen Kunst aus dem Jahr 2013 widmet Alain Quemin dem Geschlechterthema unter dem Titel „L’influence du genre dans l’accès à la notoriété: la place des femmes dans les palmarès réputationnels“ ein Kapitel.95 Er analysiert die Marginalisierung von Künstlerinnen im Spitzenfeld der Kunst maßgeblich anhand des Kunstkompasses sowie der Top 100 Positionen nach ArtFacts.Net, dem französischen Artindex, dem ArtnetRanking sowie der Power 100 Liste (ArtReview). Damit erzielt er eine differenzierte Betrachtung der Top 100 Spitze des Feldes durch verschiedene Ranglisten. Die Betrachtung eines weiter gefassten Spitzenfeldes verdeutlicht demgegenüber, dass im Bereich der führenden 2500 Positionen (das Sample umfasst 2612 Künstler/innen)96 nicht von einer homogenen Geschlechterstruktur die Rede sein kann und die Geschlechterasymmetrie schon auf der Ebene der Top 500 Positionen gegenüber den Top 100 Positionen deutlich abnimmt. Es konnte zwischen drei Ebenen differenziert werden, die je unterschiedliche Exklusionsstrukturen aufweisen und verschiedene Ausschlusskategorien am symbolischen Pol des internationalen Spitzenfeldes der Kunst darstellen: Deutet die erste Ebene, die Ränge der Top 100 Positionen, auf eine sehr starke Ungleichheit hin, schwächt sich diese auf den beiden weiteren Ebenen den Rängen 101 – 500 sowie den Rängen 501 – 2500 deutlich ab.                                                                                                                                                                            

95 Siehe dazu Quemin (2013), S. 337 – 385. 96 Die Zahl von 2612 Künstler/innen auf den Top 2500 Positionen nach ArtFacts.Net erklärt sich durch die teilweise Mehrfachbesetzung einzelner Positionen durch Künstler/innenpaare oder -gruppen.

 

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Tabelle 4: Top 2500 Künstler/innen des internationalen Kunstfelds nach Rang (symbolisches Kapital)1 (Datenquelle: ArtFacts.Net 04/2010) Rang  (symboli-­‐ sches  Kapital)  

Alle   Künstler/innen  

Anteil     Künstlerinnen    

n  

%  

Top  10  

10  

10,0  

 

Top  50  

52  

7,7  

 

Top  100  

103  

12,6  

 

Top  500  

514  

18,9  

 

Top  1000  

1037  

22,9  

 

Top  1500  

1552  

24,4  

 

Top  2000  

2079  

24,9  

 

Top  2500  

2612  

25,4  

 

1 Bei Mehrfachbesetzung eines Ranges, bspw. durch Gruppen, werden alle Künstler/innen einzeln gewertet.

Aus Tabelle 4 geht hervor, dass im Bereich der Top 100 Positionen ein Künstlerinnenanteil zwischen 7,7 % (Top 50) und 12,6 % (Top 100) vorliegt. Auf den Top 500 Rängen steigt der Anteil auf 18,9 %, auf den Top 1000 auf 22,9 % an. Für die Top 2500 Ränge ergibt sich ein Künstlerinnenanteil von 25,4 %. Damit ist ein Anstieg von 10,3 Prozentpunkten von den Top 100 auf die Top 1000 Positionen zu verzeichnen. Der Sprung von den Top 1000 auf die Top 2500 weist dagegen eine relative Stagnation mit einem Anstieg von lediglich 2,5 Prozentpunkten auf. Im Bereich der Top 100 Ränge findet sich somit in Bezug auf die Geschlechtervariable eine besonders starke Asymmetrie. Insgesamt zeigt sich eine abschwächende Ungleichheit hin zu den mit weniger symbolischem Kapital ausgestatteten Positionen des Samples. Tabelle 5 beschreibt die Künstlerinnenanteile in verschiedenen Rang-Kategorien nach symbolischem Kapital: Deutlich wird erneut und gegenüber der ersten Tabelle sogar verstärkt, der steigende Anteil von Künstlerinnen mit den höheren Kategorien. Dem Anteil von 12,6 % unter den Top 100 Rängen stehen 27,4 % auf den Positionen 2001 bis 2500 gegenüber. Bereits die Ränge 501 – 1000 weisen einen Künstlerinnenanteil von 26,8 % auf. Können die führenden hundert Positionen mit einem sehr geringen Künstlerinnenanteil als eine erste Exklusionskategorie betrachtet werden, steigt ihr Anteil auf der Ebene der Ränge 101 bis 500 bereits merklich an (7,8 Prozentpunkte in Tabelle 5). Damit zeigt sich eine starke Veränderung des Künstlerinnenanteils auf den Rängen 101 bis 500; ab dem Rang 500 sind die Veränderungen, die zwischen den Segmenten maximal 0,8 Prozentpunkte umfassen, hingegen gering.

 

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Tabelle 5: Top 2500 Künstler/innen des internationalen Kunstfelds nach Rangkategorien (symbolisches Kapital) (Datenquelle: ArtFacts.Net 04/2010)1 Alle     Künstler/innen  

Anteil     Künstlerinnen  

n  

%  

1-­‐100  

103  

12,6  

101-­‐500  

411  

20,4  

501-­‐1000  

522  

26,8  

1001-­‐1500  

515  

27,2  

1501-­‐2000  

527  

26,6  

2001-­‐2500  

533  

27,4  

Ränge  (symboli-­‐ sches  Kapital)    

1 Bei Mehrfachbesetzung eines Ranges, bspw. durch Gruppen, werden alle Künstler/innen einzeln gewertet.

Hervorzuheben ist der Rang 500, ab diesem ändert sich die Differenz nach Geschlecht lediglich geringfügig (26,8 % auf den Positionen 501 bis 1000 und 27,4 % auf den Positionen 2001 bis 2500) – der Künstlerinnenanteil pendelt sich auf einem Niveau um 27 % ein. Die Werte lassen drei Exklusionsebenen erkennen, wie in Tabelle 6 illustriert: (1) Ein stark exklusiver Bereich zeigt sich im Bereich der führenden hundert Künstler/innen – der Künstlerinnenanteil beträgt 12,6 %. (2) Der Anstieg um 7,8 Prozentpunkte zur zweiten Kategorie (Ränge 101 – 500), von 12,6 % auf 20,4 %, weist gegenüber der Kategorie 1 auf eine relative Inklusion der Künstlerinnen hin. Dennoch ist das Erzielen einer Spitzenposition auch auf dieser Ebene für weibliche Akteurinnen deutlich schwerer als dies für die männlichen Kollegen der Fall ist. Tabelle 6: Drei Exklusionsebenen nach Geschlecht am symbolischen Pol des internationalen Spitzenfelds der Kunst (Datenquelle: ArtFacts.Net 04/2010) Ränge  

Anteil  Künstlerinnen     %  

1-­‐100  

12,6  

101-­‐500  

20,4  

501-­‐2500  

27,0  

(3) Die dritte Ebene beschreibt mit einem Anteil von 27 % eine weitere Inklusion von Künstlerinnen auf den Positionen 501 bis 2500. Hier liegt ein Anstieg des Frau-

 

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enanteils um 6,6 Prozentpunkte vor. Die Daten verdeutlichen ein exklusives Zentrum der führenden hundert Positionen des Spitzenfelds – auf dieser Exklusionsebene erweist sich der Zugang für Künstlerinnen als stark eingeschränkt, wohingegen sich auf den weiteren Ebenen eine relative Inklusion beobachten lässt. Aufgrund der unterschiedlichen Indikatoren können obige Ergebnisse nicht direkt in Relation zu solchen aus Untersuchungen zu anderen Spitzenfeldern (wie dem ökonomischen oder wissenschaftlichen) gesetzt werden. Die Gegenüberstellung der Daten mit Werten zum ökonomischen Feld indiziert allerdings eine Tendenz, wonach die dargelegte Geschlechterasymmetrie für ein internationales Spitzensegment vergleichsweise gering ausfällt. Findet sich eine überstaatliche oder sogar globale Perspektive auf Spitzenpositionen auch zu anderen Feldern eher selten – die meisten Studien basieren hier ebenfalls auf kleineren Untersuchungseinheiten – lassen sich Beispiele demonstrieren, in denen Daten zu einem europäischen wie auch einem internationalen Feld vorliegen. Eine Betrachtung von Spitzenpositionen auf nationaler Ebene impliziert in diesem Zusammenhang, dass der Frauenanteil aufgrund der mit weniger Macht ausgestatteten Positionen höher ist, als dies in Untersuchungen zu internationalen Feldern der Fall ist. Zahlen von Catalyst.org97 zeigen, dass im Jahr 2014 lediglich 5 % der Fortune 500 und 5,3 % der Fortune 1000 Unternehmen – womit die führenden börsenorientierten Unternehmen weltweit untersucht werden – eine Vorstandsvorsitzende vorsteht.98 Ferner veranschaulicht eine Studie der europäischen Kommission aus dem Jahr 2012, dass in den höchsten Entscheidungsgremien der größten börsenorientierten Unternehmen in den EU-Mitgliedsstaaten 13,7 % der Positionen von Frauen besetzt waren.99 Der Anteil weiblicher Führungskräfte (Vorsitzende oder Präsidentin) in rund 600 der größten in der EU börsennotierten Unternehmen betrug im Jahr 2012 3,2 %.100 In einer Untersuchung zu Vorständen und Aufsichtsräten in den führenden Wirtschaftsunternehmen Deutschlands weisen Elke Holst und Anita Wiemer ebenfalls auf eine starke männliche Dominanz hin:101 Lediglich 2,5 % der Vorstandspositionen werden demnach in den 200 größten Unternehmen (ohne Finanzsektor) von Frauen besetzt. Den 833 Vorstandsmitgliedern insgesamt stehen hier 21 Frauen gegenüber. Auf der Ebene der Top 100 Unternehmen finden sich lediglich 0,9 % Frauen in den Vorständen – sie besetzen vier der 441 Positionen. In den Vorständen der 50 größten Unternehmen ist eine Frau gelistet,102 eine weibliche Vorsit                                                                                                                                                                            

97

Die Non-Profit Organisation zählt als eine der weltweit führenden zur Förderung von Frauen in der Wirtschaft. Catalyst initiierte im Jahr 1984 ihren jährlichen Zensus der Fortune 500 Unternehmen, im Jahr 1993 veröffentlichten sie ihren bis heute fortgeführten Jahresreport erstmals (vgl. Gross [2015], S. 1f.). 98 Vgl. http://www.catalyst.org/knowledge/women-ceos-fortune-1000 [10.01.2015]. Im Januar 2017 steigt der Anteil der Frauen auf den führenden 500 Positionen auf 5,8 % (vgl. http://www.catalyst.org/knowledge/women-ceos-sp-500 [30.03.2017]. 99 Vgl. Europäische Kommission (2012), S. 9. 100 Vgl. ebd., S. 12. 101 Vgl. Holst/Wiemer (2010), S. 2. 102 Vgl. ebd., S. 2ff.; es handelt sich um Barbara Kux, Leiterin des Supply Chain Management bei Siemens (Rang 4 der umsatzstärksten Unternehmen) (vgl. ebd.).

 

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zende ist zudem lediglich einmal auf Rang 198 anzutreffen.103 In den Aufsichtsräten der größten 100 und der größten 101 bis 200 Unternehmen besteht laut der Studie ein Frauenanteil von 10,1 % bzw. 9,5 %.104 Diese Zahlen verdeutlichen, dass auf internationaler und europäischer Ebene, aber auch in Deutschland, im Bereich der Privatwirtschaft (gemessen an Vorstandspositionen führender börsenorientierter Unternehmen) eine stärkere Marginalisierung von Frauen vorliegt, als dies für den Kunstbereich (gemessen an den führenden internationalen Künstler/innen) der Fall ist. Dies gilt insbesondere für den Vergleich mit der Position der Vorstandsvorsitzenden; zudem zeichnete sich auch hier eine stärkere Exklusion hin zur Spitze ab. Zahlen zum wissenschaftlichen Feld erweisen sich in diesem Zusammenhang ebenfalls als interessant. Tabelle 7 zeichnet Frauenanteile auf den Qualifizierungsebenen des Studienabschlusses sowie der Professur in verschiedenen Fächergruppen nach, u. a. in der Kategorie Kunst und Kunstwissenschaften. Professuren gelten hier als Spitzenpositionen, wobei der überdurchschnittlich hohe Anteil an Professorinnen im Bereich der Kunst und Kunstwissenschaften von 30,7 % herausragt. Diesen Wert übertreffen lediglich die Sprach- und Kulturwissenschaften mit einem Anteil von 31,4 %. Alle anderen Fächergruppen zeigen einen deutlich geringeren Frauenanteil auf dieser Qualifizierungsstufe, max. 18,4 % (Sport) und min. 7,7 % (Veterinärmedizin). Der zugehörige Bundesbericht zum wissenschaftlichen Nachwuchs verweist für Professuren an Universitäten in Deutschland insgesamt (fachübergreifend) auf einen Frauenanteil von 19 %.105 Hervorzuheben ist somit der relativ hohe Frauenanteil auf wissenschaftlichen Spitzenpositionen im Bereich der Kunst und Kunstwissenschaften gegenüber den weiteren angegebenen Fachgruppen sowie im Bundesvergleich. Noch aussagekräftiger erweisen sich die Zahlen in der Gegenüberstellung der Absolventinnenanteile als potenzieller Nachwuchs: Im Bereich Kunst und Kunstwissenschaften beträgt der Frauenanteil unter den Absolvent/innen 65,5 %, diesen Anteil übertreffen die Sprach- und Kulturwissenschaften – als stark feminisierte Fachgruppe – mit einem Anteil von 77,1 %. Den höchsten Absolventinnenanteil aller gelisteten Fachgruppen weist die Veterinärmedizin auf. Der geringste Anteil findet sich in den Ingenieurwissenschaften mit 24,5 %. Das in Tabelle 7 ebenfalls ausgewiesene Verhältnis zwischen Absolventinnen und Professorinnen ist mit 0,47 in der Fachgruppe Kunst und Kunstwissenschaften am höchsten, gefolgt von den Sprach- und Kulturwissenschaften (0,41) sowie der Fachgruppe Sport (0,39). In einem mittleren Bereich finden sich die Ingenieurwissenschaften, die Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sowie Mathematik und naturwissenschaftliche Fächer mit einem Verhältnis um 0,3.                                                                                                                                                                            

103 Vgl. Holst/Wiemer (2010), S. 2ff.; es handelt sich um Petra Hesser bei IKEA Deutschland (Rang 198) (vgl. ebd.). 104 Nach Holst/Wiemer ist der leicht höhere Frauenanteil ersterer Gruppe den Mitbestimmungsregelungen großer Unternehmen zuzurechnen – die Anteile der Vertreter/innen sind hier abhängig von den Mitarbeitendenzahlen. Zudem wird ein großer Anteil der Aufsichtsrätinnen aus den Inhaberfamilien rekrutiert (vgl. ebd.). Abele gibt für das Jahr 2012 einen Frauenanteil von 15 % auf den Vorstandsposten der Top-100-Unternehmen an der Londoner Börse an, sie bezieht sich auf Sealy/Vinnicombe (2012) (vgl. Abele [2013], S. 42). 105 Konsortium Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs (2013), S. 198.

 

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Eine erstaunlich hohe Diskrepanz zwischen Absolventinnen (86,6 %) und Professorinnen (7,7 %) weist die Veterinärmedizin mit einem Quotienten von 0,1 auf. Als zentrales Ergebnis zeigt sich, dass die Wahrscheinlichkeit für Frauen eine Professur zu übernehmen – im Vergleich der Frauenanteile zwischen Absolventinnen und Professorinnen aller gelisteten Fachgruppen – im Bereich der Kunst und Kunstwissenschaften am höchsten ist.  

Tabelle 7: Anteil an Absolventinnen und Professorinnen an Universitäten im Jahr 2010 in Deutschland nach Fächergruppen in % (Quelle: Konsort. Bundesbericht Wissenschaftl. Nachwuchs [2013], S. 198)1   Absolventinnen2   (%)  

Professorinnen3   (%)  

Verhältnis     Prof./Absolv.  

Kunst  und  Kunstwiss.  

65,5  

30,7  

0,47  

Sprach-­‐  und  Kulturwiss.  

77,1  

31,4  

0,41  

Sport    

47,2  

18,4  

0,39  

Rechts-­‐,  Wirtschafts-­‐  

48,7  

16,2  

0,33  

Ingenieurwiss.  

24,5  

     7,8  

0,32  

Mathematik,  Naturwiss.  

42,8  

11,7  

0,27  

Veterinärmedizin  

86,6  

     7,7  

0,09  

Fächergruppen  

und  Sozialwiss.  

1 Der Bericht basiert auf Daten des statistischen Bundesamts, Fachserie 11, Reihe 4.1, 4.2, 4.4 2 Universitärer Abschluss einschließlich der Prüfungsgruppen künstlerischer und sonstiger Abschluss; Bachelor- und Masterabschlüsse einschließlich Fachhochschulen. 3 Professorinnen und Professoren an Universitäten und gleichgestellten Hochschulen (einschließlich Pädagogischer und Theologischer Hochschulen, ohne Juniorprofessorinnen und -professoren.

Einen detaillierten Einblick zu den Geschlechterstrukturen in den verschiedenen Hochschultypen, die unter der Fächergruppe Kunst und Kunstwissenschaften gefasst werden, gibt der von Kortendiek et al. herausgegebene „Gender-Report – Geschlechter(un)gleichheit an nordrhein-westfälischen Hochschulen“. Laut der Studie weist diese Fächergruppe einen Studentinnenanteil von 62,7 % gegenüber einem Professorinnenanteil von 28,6 % auf. Dieses Professor/innen-Absolvent/innen-Verhältnis von 0,46 liegt sehr nah an dem im obigen Bundesbericht angegeben Verhältnis von 0,47. Als besonders aufschlussreich lässt sich in dem Bericht hervorheben, dass Professorinnen an Kunsthochschulen deutlich seltener vertreten sind, als dies an den Universitäten für die kunstwissenschaftlichen Fachgruppen gilt. Der Studentinnenanteil in kunstwissenschaftlichen Fachgruppen umfasst an den Universitäten mehr als zwei Drittel der Studierenden insgesamt. Die Professorinnenanteile reichen von einem Drittel bis hin zu einer Mehrheit an Professorinnen gegenüber ihren männlichen Kollegen an den Universitäten Paderborn und Dortmund. 106 Diese auf Nordrhein                                                                                                                                                                            

106 Vgl. Kortendiek et al. (2013), S. 122.

 

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Westfalen bezogenen Daten erweisen sich damit auch hinsichtlich der im theoretischen Teil der vorliegenden Untersuchung formulierten These als relevant, wonach es Frauen in vermittelnden Professionen des Kunstfelds in noch stärkerem Maße möglich ist Spitzenpositionen einzunehmen als dies für die kunstproduzierende Profession der Künstler/in gilt. Bestätigt sich dies erneut in den in Kapitel 4.3.1 angeführten Vergleichsdaten zu Künstler/innen, Museumsdirektor/innen und Galerist/innen, liegt im Bereich der Hochschulen und Kunstakademien, wie an dieser Stelle verdeutlicht, eine ebensolche Tendenz vor. Erhellend erweisen sich auch Daten zum wissenschaftlichen Feld in Österreich und England: Laut der Österreichischen Hochschulstatistik weist die Universität der angewandten Kunst in Wien im Jahr 2012 einen Studentinnenanteil von 58 % auf;107 in der Studienabschlussstatistik 2014 werden für die Akademie der bildenden Künste in Wien 86 Frauen und 61 Männer angeführt, also 58,5 % Absolventinnen. Cooper gibt für das Jahr 2011/12 zudem an, dass rund 62 % der Kunst und Design Studierenden im Vereinigten Königreich weiblich sind.108 Damit verweisen die angeführten Zahlen zur Bedeutung von Geschlecht für die Besetzung von Spitzenpositionen in verschiedenen professionellen Feldern darauf, dass das Kunstfeld als ein Subuniversum des sozialen Raums zu betrachten ist, in dem es Frauen in besonderem Maße gelingt, führende Positionen einzunehmen. Im Besonderen konnte dies für das Kunstfeld im Vergleich zum ökonomischen Feld demonstriert werden, zu welchem mittels Catalyst.org auch Daten auf internationaler Ebene vorliegen. Dass dies nicht nur für Künstlerinnen, sondern auch für weitere Akteurinnen des Feldes, u. a. Museumsdirektorinnen und Galeristinnen gilt – hier sogar in noch stärkerem Maße – verdeutlichen die in Kapitel 4.3.1 angeführten Daten. Zum Feld der Wissenschaften konnte vor allem auf Zahlen zu Hochschulen in Deutschland verwiesen werden – auch hier wurde die Tendenz einer vergleichsweise großen Möglichkeit für Frauen in kunstbezogenen Fächergruppen Spitzenpositionen einzunehmen akzentuiert. Die auf numerischer Ebene bestehende Marginalisierung von Künstlerinnen wie Kunstwissenschaftlerinnen soll in dieser Darstellung und in diesem Vergleich nicht verdeckt werden, sie liegen ohne Zweifel vor. Gleichwohl gilt es zu betonen, dass das Kunstfeld in Relation zu anderen sozialen Universen eine relativ geringe Asymmetrie aufweist bzw. als eminent inklusives zu betrachten ist. Im Anschluss an Bourdieu, der dieses Phänomen in „Die Regeln der Kunst“ wie in „Die männliche Herrschaft“ erkennt, aber nicht weiter expliziert, ist es auf die beherrschte Situation der Akteur/innen im künstlerischen Feld sowie die Prädisposition von Frauen (insbesondere der oberen Klassen) für die Besetzung einer Position im kulturellen wie künstlerischen Feld zurückzuführen.109 Diesen Überlegungen kann abschließend eine weitere Zahl zugefügt werden, auf die Ulf Wuggenig in Bezug auf das Feld der Soziologie hinweist: Nach einer Befragung der International Sociological Association (ISA) finden sich unter den hundert einflussreichsten Autor/innen des

                                                                                                                                                                           

107 Vgl. Universität Wien (Hg.) (2012). 108 Vgl. Cooper in Clark (2014). 109 Siehe dazu die Ausführungen zu einem Ansatz der Gender-Kunstfeld-Theorie (Kapitel 3.2.4).

 

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20. Jahrhunderts lediglich 4 % Frauen.110 Der Anteil liegt also auch hier deutlich unter dem der führenden hundert künstlerischen Positionen.111 Wurden in der Befragung Autor/innen der vergangenen hundert Jahre berücksichtigt, handelt es sich um einen Zeitraum, der bekanntermaßen in Bezug auf Professionalisierungsmöglichkeiten von Frauen sehr unterschiedliche Phasen aufweist und in der Bewertung Beachtung finden muss. Drei der vier gelisteten Autorinnen sind vor dem Jahr 1910 geboren – im Einzelnen handelt es sich um Ruth Benedict (*1887), Hannah Arendt (*1906) und Simone de Beauvoir (*1908). Lediglich Maria Mies (*1931) kann zu einer jüngeren und zeitgenössischen Autor/innengeneration gezählt werden. Die hier aufgeworfene Frage nach den raumzeitlichen Veränderungen in Bezug auf Geschlecht, wird im folgenden Kapitel auch hinsichtlich der Künstler/innen gestellt. In diesem werden Geschlechterasymmetrien in verschiedenen Generationen von Künstler/innen analysiert, um die Frage von Persistenz oder Wandel vergeschlechtlichter Strukturen im Spitzenfeld der Kunst zu diskutieren. 4.2.2 Generationenfrage – persistente Ungleichheit und veränderte Inklusion Im Jahr 1971 stellte die Kunsthistorikerin Linda Nochlin die im Kontext kunsthistorischer Geschlechterforschung seither wohl am häufigsten zitierte Frage: „Why have there been no great women artists?“112 Der gleichnamige in dem Magazin ARTnews erschienene Text wird häufig als Beginn der Entwicklung einer geschlechterorientierten Perspektive in der kunsthistorischen Forschung bezeichnet. Nochlins Ambition war es, Künstlerinnen in die kunsthistorische Sozialgeschichte zu integrieren,113 wobei ihr eine kritische Auseinandersetzung mit den Institutionen des Feldes zentral erschien. Entscheidendes Element dieses Ansatzes war die Wendung gegen eine Rehabilitierungsstrategie nicht anerkannter Künstlerinnen, in der sozialhistorische Aspekte keine Berücksichtigung finden: Hält sie diese Praxis für wesentlich, um das Wissen der Kunstgeschichte über Künstlerinnen zu erweitern, beanstandet sie eine fehlende Hinterfragung der Voraussetzungen der Exklusion. Ebenso kritisch betrachtet die Kunsthistorikerin differenztheoretische Ansätze, deren vordergründiges Bemühen der Unterscheidung zwischen weiblicher und männlicher Kunst gilt. Dieser Diskussion entgegnet sie, dass Künstlerinnen meist eine größere Nähe zu den jeweils zeitgenössischen Kollegen aufweisen als zu Kolleginnen über Epochen hinweg.114 Nochlin versteht Frauen als „acknowledged outsider“, als „the maverick »she«“, während sie dem Mann die „white-male-position-accepted-as-natural“ zuweist und                                                                                                                                                                            

110 Vgl. Wuggenig (2012a), S. 34. Wuggenig bezieht sich hier auf die International Sociological Association (2012), http://www.isa-sociology.org/books. 111 Bei der Nennung dieser Zahl muss beachtet werden, dass sie auf eine Befragung unter Mitglieder/innen der ISA zurückgeht und es sich damit um ein subjektives Bild der für die befragten Soziolog/innen einflussreichsten Autor/innen handelt. 112 Vgl. Nochlin (1971), o.S. 113 Vgl. Muysers (2010), S. 761. 114 Vgl. Nochlin (1971), o.S.

 

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das „hidden »he«“ als Subjekt aller wissenschaftlichen Prädikate begreift.115 Beschreibt sie die in den 1970er Jahren verbreitete Annahme „There are no women artists because women are incapable of greatness“116 als Initial für ihre Beschäftigung mit diesem Thema, ist diese Unzulänglichkeits-These heute als weitgehend überwunden zu bewerten.117 Die Frage nach dem Zugang von Künstlerinnen zum Feld (und insbesondere zu dessen Spitze) stellt sich indessen weiterhin. Nochlin bezieht die Exklusion von Frauen historisch auf deren minderen gesellschaftlichen Status, der eine mit Rembrandt, Cézanne oder Picasso vergleichbare künstlerische Karriere oder Werkentwicklung für Künstlerinnen verhinderte. Merkmale, die der Erlangung eines gewissen Grades an Bekanntheit dienten, umfassten laut Nochlin (in der Kunst wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen) „[…] to be born white, preferably middle class and above all, male.“ 118 Sie betont allerdings ihre Verwunderung darüber, wie vielen Frauen trotz dieser starken Repressionen ein „exzellenter“ Status in der Kunst zukommt.119 Mit dieser Position wird Linda Nochlin im Jahr 1971 zur weg                                                                                                                                                                            

115 Vgl. Nochlin (1971), o.S. Nochlin bezieht sich auf John Stuart Mill, der, so Nochlin, als einer der ersten bereits Mitte des neunzehnten Jahrhunderts Geschlechterasymmetrien mit sozialwissenschaftlichen Mitteln untersuchte, wenn sie aufgreift, dass eine Tendenz bestehe, alles als „natürlich“ geltende – sowohl im wissenschaftlichen als auch im privaten Umfeld – auch als „natürlich“ zu akzeptieren, anstelle es zu hinterfragen (vgl. ebd.). 116 Vgl. ebd. 117 Die Persistenz der Debatte – zumindest in Einzelmeinungen – zeigt sich allerdings im Kunstfeld immer wieder. So merkte der Galerist Max Hetzler im Jahr 1985 in der Kunstzeitschrift Wolkenkratzer an: „Galeristinnen sollten nur Künstlerinnen ausstellen. Dann hören sie nämlich von selber auf. Die besten können dann Assistentinnen von Galeristen werden.“ (Hetzler zitiert nach Sonna [2009]). Jüngst wurde die Diskussion in einem Spiegelinterview von dem Künstler Georg Baselitz erneut angetrieben (wobei von diesem eine öffentliche Entschuldigung vorliegt): „Frauen malen nicht so gut. Das ist ein Fakt. Es gibt natürlich Ausnahmen. Agnes Martin oder aus der Geschichte Paula ModersohnBecker. Immer wenn ich ein Bild von ihr sehe, bin ich glücklich. Aber auch sie ist kein Picasso, kein Modigliani, auch kein Gauguin.“ (Baselitz in Von Beyer/Knöfel [2013]). Nur zwei Jahre später versuchte Georg Baselitz Künstlerinnen erneut zu diskreditieren. „Der Markt lügt nicht“ wird er demnach von einer englischen Tageszeitung wiedergegeben (vgl. Voss [2015]). Voss zitiert Baselitz wie folgt: „Die Frauen könnten ihre Kunst einfach nicht verkaufen. Der teuerste Künstler wäre demnach der beste, und Künstlerinnen wären deshalb häufig günstiger als ihre Kollegen, weil die Qualität nicht stimmte.“ (Ebd.). 118 Nochlin (1971), o.S. 119 Vgl. ebd. Zur gesellschaftlichen Rolle der Frau im 19. Jahrhundert siehe auch Heinich (1997). Die Frage nach der Repräsentation von Frauen in der Kunst wird in der Zeitschrift ARTnews, in der Nochlins Text im Jahr 1971 erschien, bis heute, auch im Austausch mit Nochlin, diskutiert. Der von der Kunsthistorikerin verfolgte soziologisch orientierte Zugang zur Kunst sollte „dispassionate, impersonal, sociological and institutionally-oriented“ sein und den Fokus auf die Institutionen des Kunstfelds legen. Dieser neue und im von der Kunstgeschichte dominierten Feld wenig legitimierte Ansatz zielte darauf, die von Nochlin als „romantic, elitist, individual-glorifying and monographic  

 

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weisenden Protagonistin in der Diskussion um Kunst und Geschlecht, die sie bis heute geblieben ist – dies zeigt sich beispielsweise an ihrer prominenten Teilnahme an dem eingangs genannten MoMA-Symposium im Jahr 2007.120 Ein Jahr zuvor hatte sie den Titel ihres Textes aus den 1970er Jahren erneut aufgenommen und mit einem Zusatz versehen: „Why Have There Been No Great Women Artists? Thirty Years After.”121 Zwar stellt sie in diesem weitreichende Veränderungen der Positionierungsmöglichkeiten von Frauen im Kunstfeld fest, eine vollständige Inklusion sei aber nach wie vor nicht zu verzeichnen.122 An diese noch immer zentrale Diskussion – inwiefern von veränderten Produktionsbedingungen von Künstlerinnen die Rede sein kann bzw. Geschlechterdifferenzierungen im Spitzenfeld der Kunst heute gar nicht mehr existent sind – schließen die folgenden Ausführungen zu der Generationenfrage an. Die Darstellung der Künstlerinnenanteile verschiedener Jahrgänge ermöglicht es dabei, faktische Aussagen zur Persistenz sowie zum Wandel der asymmetrischen Verhältnisse zu treffen. Der Untersuchung liegen keine Längsschnitt-,                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    

producing“ bezeichnete Substruktur aufzudecken, auf der laut ihr die Kunstgeschichte dieser Zeit aufbaute. Dies betraf insbesondere den Geniekult und die semi-religiösen Konzeptionen der Künstlerrolle (vgl. Nochlin [1971], o.S.). Nochlin folgte der Annahme, dass die Anerkennung als „great artist“ vor allem in den sozialen Institutionen und dem von diesen gegenüber verschiedenen Klassen oder Individuen Verbotenem bzw. Gefördertem zu suchen sei. Die wenigen Künstlerinnen, die in den kunsthistorischen Kanon eingegangen sind, so Nochlin, hatten fast ausnahmslos einen Künstler als Vater, der der Tochter den Weg in die Kunst ebnete. Im 19. und 20. Jahrhundert bestand zumindest ein enges persönliches Verhältnis zu einer dominanteren männlichen Künstlerfigur, die die Funktion des Förderers übernahm (Nochlin betont, dass diese Charakteristik auch für die männlichen Kollegen zutreffend sei, aber nicht in diesem fast ausschließlichen Maße) (vgl. ebd.). Das Problem liegt demnach weniger in feministischen Konzepten zu Feminität, sondern in der naiven Misskonzeption von Kunst, die davon ausgeht, Kunst sei ein direkter, persönlicher Ausdruck individueller, emotionaler Erfahrung. Kunst, so Nochlin, ist fast nie ein solcher, große Kunst ist es nie (vgl. ebd.): „The making of art involves a self-consistent language of form, more or less dependent upon, or free from, given temporally-defined conventions, schemata or systems of notation, which have to be learned or worked out, either through teaching, apprenticeship or a long period of individual experimentation.” (Ebd.). 120 Genannt werden muss an dieser Stelle auch Griselda Pollock als weitere Protagonistin in diesem Diskurs. Ihre dekonstruktivistische Position wird an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt, da sie für den Ansatz der vorliegenden Untersuchung weniger relevant ist. Ihr Beitrag ist aber ähnlich dem Nochlins in der kunsthistorischen Geschlechterforschung wegweisend (siehe dazu auch die Ausführungen in Kapitel 2.3). Zu ihrer Arbeit siehe u. a. Pollock (1999, 2003) sowie Parker/Pollock (1981). 121 Der Artikel erschien im Rahmen einer Konferenzpublikation „Women artists at the millennium“ im Jahr 2006. Die gleichnamige Konferenz fand an der Princeton Universität statt, Vorträge hielten u. a. Mary Kelly, Linda Nochlin, Griselda Pollock, Lisa Tickner, Anne Wagner und Catherine de Zegher (siehe dazu auch http://www.princeton.edu/main/ news/archive/A97/91/18K20/index.xml [13.02.2015]). 122 Vgl. Nochlin (2006).

 

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sondern lediglich Querschnittsdaten aus dem Jahr 2010 zugrunde – diese dem ArtFacts-Ranking entnommenen Zahlen enthalten künstlerische Positionen verschiedener Generationen, die bis in das 19. Jahrhundert zurückreichen. Aus Tabelle 8 geht ein Frauenanteil im gesamten Sample der Top 2500 Künstler/innen von 25,2 % hervor,123 ein Wandel zeichnet sich hier insofern ab, als der Anteil der weiblichen Kolleginnen in den jüngeren Kohorten deutlich zunimmt. Nehmen Künstlerinnen in der Kohorte der bis zum Jahr 1929 geborenen lediglich 11,6 % der Positionen ein, zeigt sich bereits in den Jahrgängen 1930 bis 1939 ein Anstieg um 4,3 Prozentpunkte zu 15,9 %. Der Anteil erhöht sich weiter – in der Kohorte 1940 – 1949 finden sich 23,2 %, in den Jahrgängen 1950 – 1959 27,2 % Künstlerinnen. Unter den 1960 bis 1969 Geborenen steigt der Anteil erneut auf 32 %, bei den Geburtsjahren 1970 – 1979 auf 36 % Künstlerinnen. Eine Ausnahme bildet die insgesamt sehr kleine, lediglich sieben von 2543 Künstler/innen (0,3 %) umfassende Kohorte der ab 1980 geborenen, in der keine Künstlerin gelistet ist. Es handelt sich um die jüngste der angeführten Generationen – die Künstler/innen waren im Jahr 2010 maximal 30 Jahre alt. Die These, eine bei den vor dem Jahr 1930 geborenen Künstler/innen starke Asymmetrie in Spitzenpositionen schwäche sich unter den jüngeren Jahrgangskohorten deutlich ab, zeigt sich in der Tabelle weitgehend bestätigt. Der Künstlerinnenanteil von lediglich 11,6 % in der Kohorte der bis 1929 Geborenen verwundert dabei kaum. Die ungleiche Verteilung erklärt sich insbesondere im gesellschaftlichen Status der Frauen und den damit zusammenhängenden fehlenden Professionalisierungsmöglichkeiten – im Speziellen an Kunstakademien – zu dieser Zeit. Dazu zählen auch die von Linda Nochlin untersuchten kunstfeldinternen Mechanismen wie die Etablierung des maßgeblich auf männliche Künstler ausgerichteten „Geniekults“.124 Historisch gesehen zählten die künstlerischen Fächer in den Hochschulen zu den letzten, die eine Öffnung für Frauen erfuhren.125                                                                                                                                                                            

123 Die Differenz von 0,2 Prozentpunkten zum Künstler/innenanteil im gesamten Sample im vorhergehenden Kapitel, erklärt sich über zu einigen Künstler/innen nicht vorhandene Angaben zum Geburtsjahr. Letztere konnten in dem vorliegenden Kapitel nicht in die Untersuchung eingehen. 124 Vgl. Nochlin (1971), o.S. Auf den Mythos um die genialistische Schöpfungskraft von Künstlern wurde bereits hingewiesen, siehe dazu bspw. von Bismarck (2010), S. 8. 125 Wurden die meisten Berufe im Laufe des 20. Jahrhunderts laut Elisabeth Mayerhöfer zumindest formaljuristisch für Frauen zugänglich, mit dem Effekt (beispielsweise in medizinischen Berufen) einer höheren Repräsentanz von Frauen, zählte der Kunstbereich zu einem der letzten, der seine Institutionen für Frauen öffnete (vgl. Mayerhöfer [2006], S. 276). Lange Zeit bestand die einzige Möglichkeit für Frauen ein Studium an einer Kunstakademie zu beginnen in einer Ehrenmitgliedschaft, die allerdings nicht mit einer vollen Mitgliedschaft zu vergleichen war – die Teilnahme am Unterricht und Ausstellungen war nicht gestattet und eine Lehrerlaubnis nicht vorgesehen (vgl. Sutherland/Nochlin [Hg.] [1977], S. 26 ff.). Wie von Isabel Schulz ausgeführt, zählte zu diesen Künstlerinnen u. a. Artemisia Gentileschi (1593 – 1652), die 1616 als eine der ersten Frauen an der Academia del Disegno in Florenz studieren konnte. Im Jahr 1783 wurde Elisabeth VigéeLebrun (1755 – 1842) Mitglied der Pariser Akademie und 1800 zudem Ehrenmitglied der Kunstakademie St. Petersburgs (vgl. Schulz [1991]). Da die Akademie bis zum Ende des  

 

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Tabelle 8: Top 2500 Künstler/innen des internationalen Kunstfelds nach Jahrgangskohorten1 (Datenquelle: ArtFacts.Net 04/2010)2 Alle     Künstler/innen  

Davon     Künstlerinnen  

n  

%  

bis  1929  

500  

11,6  

1930  bis  1939  

232  

15,9  

1940  bis  1949  

293  

23,2  

1950  bis  1959  

397  

27,2  

1960  bis  1969  

728  

32,0  

1970  bis  1979  

375  

36,0  

ab  1980  

         7  

-­‐  

gesamt  

2532  

25,2  

Geburtsjahr  

1 Zugehörigkeit zu Jahrgangskohorte nach Geburtsjahr. 2 Bei Mehrfachbesetzung eines Ranges, bspw. durch Gruppen, werden alle Künstler/innen einzeln gewertet.

 

Erst mit der gesetzlichen Gleichstellung von Frauen und Männern in Deutschland im Jahr 1919 sieht Anne-Kathrin Herber einen Wendepunkt, in der Folge des Gesetzesentwurfs ließen demnach die meisten Kunstakademien in Deutschland Frauen zum Kunststudium zu. 126 Die exklusive Praxis hinsichtlich der Professionalisierungsmöglichkeiten von Frauen zeigt sich hier für das Kunstfeld als besonders restriktiv (im Vergleich beispielsweise zu medizinischen Berufen). Aufschlussreich ist hinsichtlich der Öffnung des Feldes auch Katy Deepwells Untersuchung der Situation von Künstlerinnen in England zwischen den Weltkriegen. In verschiedenen Grafiken veranschaulicht sie, dass es zwar schon zu dieser Zeit einen großen Pool an Künstlerinnen gab, es für diese aber ungleich schwerer war, eine ihren männlichen Kollegen vergleichbare Reputation zu erlangen. Bereits zu dieser Zeit machten Frauen ein Viertel bis zu einem Drittel der ausstellenden Künstler/innen der Royal Academy, des NEAC sowie der London Group aus.127 Deepwell veranschaulicht ferner, dass über viele Generationen hinweg eine große Anzahl an Frauen künstlerisch ausgebildet wurde, auch wenn diese Ausbildung nicht dazu dienen sollte, eine eigen                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    

18. Jahrhunderts die wichtigste Ausstellungsinstitution verkörperte, waren Frauen von der Möglichkeit öffentlich als professionelle Künstlerin aufzutreten, ausgeschlossen – eine Situation, die sich erst mit der Einführung der Salons änderte (vgl. Herber [2009], S. 61, siehe dazu auch Filter [1986]). 126 Vgl. ebd., S. 183. 127 Vgl. Deepwell (2010), S. 99.

 

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ständige Karriere als Künstlerin anzustreben. Meist wurde das Kunstschaffen mit der Heirat beendet, selten bestand die Möglichkeit der Professionalisierung als Kunstlehrerin.128 Dass Studentinnen heute sogar einen leicht größeren Anteil der Studierenden an Kunsthochschulen und -akademien bilden, geht aus diversen Studierendenstatistiken hervor. Um an dieser Stelle nur ein Beispiel der bereits im vorhergehenden Kapitel ausgeführten Daten zu nennen, zeigt sich in der deutschen Hochschulstatistik für das Wintersemester 2013/14, dass insgesamt 35.184 Studierende an Kunsthochschulen studieren, davon 19.969 Studentinnen (56,8 %).129 In dem in Tabelle 8 dargelegten fortlaufenden Anstieg des Künstlerinnenanteils über die verschiedenen Jahrgänge hinweg, weisen die Kohorten 1960 bis 1969 (32 %) sowie 1970 bis 1979 (36 %) einen vergleichsweise hohen Frauenanteil auf. Allerdings deuten die Zahlen nicht auf eine Angleichung an das durch Hochschulen ausgebildete Potenzial an Nachwuchskünstlerinnen hin. Im Zuge des hier prognostizierten Wandels bleibt es also zu beobachten, inwiefern sich die Zahlen an den Spitzen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten weiter verändern, insbesondere, wenn die genannten großen Kohorten an Absolventinnen im Feld nachrücken.130 Offen bleibt die Frage, nach der Bewertung der Absenz von Künstlerinnen in der jüngsten Kohorte. Die ab 1980 Geborenen (der zum Zeitpunkt der Untersuchung also 30-jährigen und jüngeren Künstler/innen) erscheinen in Relation zu den weiteren Gruppen mit einem Anteil von 0,3 % zwar als nahezu vernachlässigbar, aufgrund der ausnahmslosen Präsenz von Künstlern erfährt diese Nachwuchskohorte dennoch eine gesonderte Betrachtung: Sieben Künstlern gelingt ein Einstieg in den Spitzenbereich des Feldes bereits in sehr jungen Jahren; Zwei Vermutungen liegen als Erklärung für dieses ausschließlich von Künstlern besetzte Generationssegment nahe. Zum einen kann es sich um einen „backlash“ handeln, wonach die mindestens seit den Geburtsjahrgängen der 1940er Jahre andauernde Stärkung des Künstlerinnenanteils, in den 1980er Jahren eine rückläufige Tendenz erfährt. Eine weitere Begründung stellt die Annahme dar, dass es einigen “Ausnahmekünstlern“ gelingt, den Übergang von der Kunstakademie zur professionellen Laufbahn in einem sehr kurzen Zeitraum zu vollbringen – möglicherweise gestützt durch homosoziale Kooptation.131 Eine erneute Untersuchung der Entwicklung der                                                                                                                                                                            

128 Siehe dazu Deepwell (2010), S. 36 – 58 sowie S. 112, Fn. 55. 129 Vgl. Statistisches Bundesamt (2014a), S. 5. 130 Die Galeristin Holly Solomon vermutete bereits im Jahr 1989, der Karriereknick spiele bei Frauen aufgrund der Familiengründungsphase zunehmend eine zu vernachlässigende Rolle. Dies scheint sich in den Zahlen von Tabelle 8 zu bestätigen, stellt dabei aber nur einen von vielfachen Einflussfaktoren dar: „One very important thing has happened in the last ten years. Women used to have to make a big decision at about the age of thirty, whether to have children or not. Now they can wait until they’re forty or forty-five. So those all-important work years from thirty to forty, when men artists usually come into their own, are now available to women.“ (Solomon zitiert durch Tomkins [1989], S. 47). 131 Soziale Netzwerke rekrutieren nach Michael Meuser ihre Mitglieder durch einen Mechanismus, der in der Organisationsforschung als „homosoziale Kooptation“ bezeichnet wird: „Homosozialität bedeutet, die Mitglieder einer sozialen Gruppe orientieren sich aneinander. Sie favorisieren Mitglieder der Eigengruppe auf Kosten von Mitgliedern anderer Gruppen. Sie suchen Nähe zu denen, die ihnen gleich bzw. ähnlich sind. Kooptation  

 

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Zahlen der Jahrgangskohorte der nach 1980 Geborenen im Jahr 2014132 zeigt indessen, dass sich die Exklusion von Künstlerinnen in dieser jüngsten Kohorte nur vier Jahre später nicht fortsetzt. Die Gruppe besteht in dem Sample von 2014 aus fünf Künstlerinnen und fünf Künstlern – somit liegt hier ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis vor.133 Die Vermutung, dass es nur sehr jungen Künstlern, nicht aber ihren Kolleginnen gelingt, innerhalb sehr kurzer Zeiträume den Übergang von der Kunstakademie in eine professionelle künstlerische Laufbahn zu bewerkstelligen, kann damit nicht gehalten werden. Ob sich hier ein Wandel abzeichnet oder einer der Jahrgänge eine Ausnahme darstellt, bedarf einer Beobachtung durch weitere Untersuchungen in den kommenden Jahren und Jahrzehnten und kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht abschließend geklärt werden. Im Anschluss an die im vorhergehenden Kapitel herausgearbeiteten Exklusionsebenen soll im Folgenden überprüft werden, inwiefern hinsichtlich der drei festgestellten Exklusionsstufen Verschränkungen mit dem Geburtsjahr von Akteur/innen auftreten. Die Positionen der Künstler/innen können neben den oben analysierten Rängen auch anhand der von ArtFacts.Net vergebenen Punktwertung definiert werden. Dies bietet, wie in den Diagrammen demonstriert, den Vorteil eines intervallskalierten Datenniveaus und somit eine Darstellung, die Distanzen zwischen den Künstler/innen besser verdeutlichen kann. Ein erstes Streudiagramm (Abbildung 4) visualisiert die Top 100 Künstlerinnen und Künstler des internationalen Kunstfelds nach Geburtsjahr und symbolischem Kapital (Punkte nach ArtFacts.Net, 04/2010). Namentlich aufgeführt finden sich je Jahrzehnt (Geburtsjahr) die Künstlerin und der Künstler, die über die jeweils höchsten Punktwertungen verfügen. Verschiedene Merkmale dieses Spitzensegments können in der Darstellung veranschaulicht werden: Erstens fällt eine Künstlergruppe um Vincent van Gogh aufgrund des hohen Alters und der vollständigen Exklusion von Frauen in diesem Alterssegment auf. Zweitens stechen Andy Warhol und Pablo Picasso als Ausnahmekünstler heraus, deren Positionen sich durch eine große Distanz zu allen anderen Künstler/innen auszeichnen. Drittens befinden sich alle gelisteten Künstlerinnen in einem überraschend eingeschränkten Bereich und gehen generell nur den Jahrgängen nach 1900 angehörend in das Ranking ein. Einer Hervorhebung als Ausnahmen bedürfen Louise Bourgeois und Cindy Sherman hinsichtlich der relativ hohen Punktwertungen.134                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    

bezeichnet den Prozess der Hineinnahme neuer Mitglieder in ein Netzwerk.“ (Meuser [2006]). Auf den Bestand einer solchen Kooptation in Kunsthochschulen weist Barbara Baier in ihrer Analyse hin; in Interviews mit Kunststudentinnen zeigte sich demnach eine im Gegensatz zu den Studenten stärkere persönliche Distanz zu Professoren: „Fand ein künstlerischer Austausch der Professoren mit Auszubildenden statt, dann vorzugsweise mit männlichen.“ (Baier [2000], S. 81f.). 132 Top 2500 Künstler/innen nach ArtFacts.Net 09/2014. 133 Zu den einzelnen Künstler/innen der Auswertungen von ArtFacts.Net 2010 und 2014 siehe Tabelle 34 und Tabelle 35 im Anhang. 134 Ein zunächst zu vermutender leichter Zusammenhang zwischen der Position nach Punkten und dem Geburtsjahr der Künstler/innen für den Zeitraum ab ca. 1850 bis ca. 1950, woraus eine in den jüngeren Generationen bestehende höhere Wahrscheinlichkeit hohe Punktwertungen zu erzielen hervorgehen würde, bestätigt sich in der Korrelationsberech  

 

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Abbildung 4: Top 100 Künstler/innen des internationalen Kunstfelds nach Geburtsjahr und symbolischem Kapital (namentliche Nennung der Künstlerin und des Künstlers mit der höchsten Punktwertung je Jahrzehnt [Geburtsjahr]) (Datenquelle: ArtFacts.Net 04/2010)

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Um Paul Cézanne, Vincent van Gogh und Paul Gauguin wird in Abbildung 4 eine Gruppe von Künstlern sichtbar, die (alle kurz vor und kurz nach dem Jahr 1850 geboren) mehr als hundert Jahre nach ihrer aktiven Teilnahme an den Spielen und !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! !

nung nicht. Ebenso wenig zeigt sich eine Umkehrung für die Generationen ab dem Jahr 1950.

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Kämpfen des künstlerischen Feldes zu dem exklusiven Bereich der führenden hundert Künstler/innen zählen. Alle diese Künstler gehören der Gruppe der Impressionisten an, neben den oben genannten handelt es sich ferner um Edgar Degas, PierreAuguste Renoir und Claude Monet. Im Anschluss an Bourdieu können diese impressionistischen Künstler auch als arrivierte oder konsekrierte Avantgarde sowie als „Klassiker“ bezeichnet werden; sie stehen im Gegensatz zu bereits „überholten“ Künstler/innen ihrer Generation sowie zu den jungen Avantgarden.135 Allerdings erzielen sie im Raum der hundert Besten eine vergleichsweise geringe Bewertung: Alle Werte liegen unter 200.000 Punkten. Als auffallend erweist sich, dass keine der impressionistischen Künstlerinnen Eingang in dieses Spitzenfeld findet. Können Berthe Morisot und Mary Casatt als die erfolgreichsten Malerinnen dieser Bewegung betrachtet werden,136 erzielen sie zwar eine Bewertung unter den Top 2500 Künstler/innen, finden sich aber relativ schlechter positioniert als ihre männlichen Starkollegen: Mary Casatt (*1844) belegt Rang 551, Berthe Morisot (*1841) Rang 2241. Sichtbar wird die Distanz der männlichen und weiblichen Künstler/innen einer historischen Bewegung, was an späterer Stelle dieses Kapitels eine Vertiefung erfährt. Hinsichtlich der arrivierten Avantgarde ist zudem Pablo Picasso als Ausnahme hervorzuheben: Er nimmt mit einer sehr hohen Punktwertung von über 500.000 Punkten eine absolute Spitzenposition ein, die lediglich von Andy Warhol übertroffen wird (auch letzterer kann zur arrivierten Avantgarde gezählt werden, gehört aber einer jüngeren Generation an). Bezeichnend sind die großen Distanzen, die Picasso und Warhol zu allen weiteren Akteur/innen – Frauen wie Männern – aufweisen und sie in ihren Ausnahmepositionen als „Stars“ des Feldes heraustreten lassen. Auf der Ebene der vor dem Jahr 1900 geborenen „Klassiker“ zeigt sich ein vollständiger Ausschluss von Frauen, wie bereits in der impressionistischen Gruppe hervorgehoben. Auch „rehabilitierte“ Künstlerinnen finden keine Inklusion in dieses exklusive Feld. Künstlerinnen, die Zugang zu diesem Spitzenfeld der Top 100 erhalten, erweisen sich als in einem auffallend eingeschränkten Segment positioniert: Allen ist ein Geburtsjahr nach 1900 gemeinsam und sie überschreiten die Wertung von 300.000 Punkten nicht. Elf der dreizehn Künstlerinnen zeigen zueinander kaum Varianz in den Positionen; Ausnahmen bilden Louise Bourgeois und Cindy Sherman, die jeweils eine Bewertung von über zweihunderttausend Punkten erzielen. Ihre Positionen stellen sich in Relation zur Gruppe der Künstlerinnen ähnlich der von Warhol und Picasso zum gesamten Sample dar – von letzteren unterscheiden sie sich allerdings in der deutlich geringeren Bewertung. Können Warhol und Picasso für das gesamte Feld als Stars bezeichnet werden, nehmen Sherman und Bourgeois eine vergleichbare Starposition in Bezug auf die Künstlerinnen ein. Louise Bourgeois, im Jahr 1911 geboren, ist dabei die älteste aller unter den Top 100 gewerteten Frauen – alle weiteren sind zwischen dem Jahr 1944 (Yoko Ono) und 1965 (Tacita Dean) geboren. Cindy Sherman charakterisiert eine relative Loslösung von allen anderen in die Wertung eingegangenen Künstlerinnen hinsichtlich der erhaltenen Punkte: Sie erzielt nicht nur die höchste Bewertung aller Akteurinnen, sondern setzt sich durch einen relativ starken Abstand in der Punktzahl von Künstlerinnen wie Künstlern ihrer                                                                                                                                                                            

135 Vgl. Bourdieu (1999), S. 241ff.; siehe dazu auch Kapitel 3.2.3. 136 Vgl. Wuggenig (2007), S. 227.

 

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Altersklasse ab. Zur Übersicht zeigt Tabelle 36 (im Anhang) alle Künstlerinnen der führenden hundert Positionen samt dem Namen und Geburtsjahr, der geografischen Herkunft sowie dem Rang. Nach Cindy Sherman und Louise Bourgeois erzielt Marina Abramovic mit 153.301,66 Punkten Rang 36. Pippilotti Rist belegt Rang 49 und hebt sich durch ihr relativ junges Alter ab, sie ist im Jahr 1962 geboren – als einzige weitere Künstlerin dieser jungen Generation findet Tacita Dean (*1964) Eingang in die Top 100 Wertung. Zu erkennen ist dies auch in Abbildung 4, in der Dean nicht namentlich aufgeführt ist, sich aber in unmittelbarer Nähe zu Rist befindet. Eine weitere Analyse des Studienabschlusses der Spitzenkünstlerinnen, der es vermag Auskunft zum Zeitpunkt eines möglichen Beginns einer professionellen Karriere zu geben, ergab das folgende Bild (für Details siehe Tabelle 36 im Anhang): Die meisten Künstlerinnen erlangten ihre Abschlüsse im Jahr 1970 und später. Valie Export beendet ihre Ausbildung an der Kunstgewerbeschule Linz sowie der Höheren Bundeslehr- und Versuchsanstalt für Textilindustrie in Wien bereits im Jahr 1964. Für Louise Bourgeois und Emilia Kabakov konnten diesbezüglich keine eindeutigen Angaben gefunden werden. Cindy Sherman, Marina Abramovic, Rosemarie Trockel, Jenny Holzer, Nan Goldin und Mona Hatoum beenden ihre künstlerische Ausbildung alle in den 1970er bzw. Anfang der 1980 Jahre. Pippilotti Rist und Tacita Dean stellen Nachwuchskünstlerinnen dar, ihr Akademieabschluss liegt im Jahr 1988 bzw. 1992. Für alle gelisteten Künstlerinnen zeichnet sich hier ein Möglichkeitsraum ab, in dem eine Spitzenkarriere auch für Frauen möglich ist und für vorhergehende Generationen in diesem Maße nicht vorhanden war. Die Entwicklung dieses Raums kann auch im Zuge der gesellschaftlichen Veränderungen seit den 1970er Jahren gesehen werden – u. a. im Rahmen der Frauenbewegung ergaben sich, wie im Vorhergehenden ausgeführt, weitreichende Veränderungen in Bezug auf Professionalisierungsoptionen von Frauen. Die Visualisierung in Abbildung 4 und hier insbesondere die geringe Streuung der weiblichen Positionen im Vergleich zur weiten Streuung der männlichen (auf allen Generationsebenen) zeigt mit welcher Prägnanz im Kunstfeld Exklusionsmechanismen wirkten und wirken. Der für die ab 1949 geborenen Künstlerinnen zwar erweiterte, aber in den Positionen dennoch eingeschränkte Möglichkeitsraum, wird für die Spitze des Kunstfelds offensichtlich. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit die Inklusion der Künstlerinnen ab den 1970er Jahren ein Phänomen beschreibt, das auf einen tatsächlichen Wandel im Feld hinweist. Handelt es sich um einen solchen, liegt eine Veränderung des Möglichkeitsraums von Künstlerinnen insofern vor, als sich eine Inklusion auch an der Spitze dieses Universums vollzogen hat. Für nachfolgende Generationen würde dies einen Fortbestand dieses Raums bedeuten, der sich zunehmend an den der Künstler angleicht. Für die genannten Akteurinnen ließe sich schließen, dass ihnen der Eingang in die Gruppe der arrivierten Avantgarde zumindest teilweise gelingen kann; ferner würden sie im Laufe der raumzeitlichen Veränderung eine breitere Streuung in den Positionen aufweisen. Eine weitere Erklärung, die weniger auf einen Wandel und mehr auf eine Perpetuierung der Bedingungen hinweisen könnte, ist, dass es den Künstlerinnen zwar gelingt als Avantgarde in das Spitzenfeld einzutreten, ein Übergang zur arrivierten Avantgarde aber nicht erfolgt. Im Laufe der Zeit würde sich hier entsprechend ein Abstieg der Künstlerinnen zeigen, ihr Erfolg wäre nicht wie bei den männlichen Kollegen als ein langfristiger zu bewerten. Selbst wenn junge Akteurinnen auf diese Positionen nachrücken, ist es weiterhin nur in Ausnahmen möglich eine den Künstlern äquivalente

 

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Nähe zum Zentrum der Macht zu erhalten. Eileen Cooper, Künstlerin und als erste Frau „Keeper of the Royal Academy“ weist mit folgendem Zitat auf diese mögliche Problematik hin: “My worry is that unless we challenge preconceptions today as strongly as possible, in 100 years’ time younger generations will look upon 21stcentury art as a male pursuit, in the same way that we now regard earlier art.”137 Geklärt werden kann an dieser Stelle nicht abschließend, ob es sich um einen tatsächlichen Wandel oder eine verdeckte Perpetuierung der Geschlechterverhältnisse handelt. Erscheint ein Wandel zwar als wahrscheinlich, bedarf es auch an dieser Stelle einer weiteren Beobachtung der Entwicklungen des Feldes in den kommenden Jahren und Jahrzehnten. Auf die Altersbedingte Ausnahmeposition von Louise Bourgeois wurde bereits eingegangen. An dieser Stelle sei auf einige weitere charakteristischen Merkmale der Künstlerin hingewiesen: Ihre beiden Altersgenossen unter den Top 100 Künstler/innen – Jackson Pollock (*1912/Rang 64) und Philipp Guston (*1913/Rang 89) – übersteigt Bourgeois in ihrer Bewertung sichtbar. Auch gegenüber Willem de Kooning (*1904/Rang 85), mit dem sie in Gruppenausstellungen der 1950er Jahre vertreten war, nimmt sie eine deutlich höhere Position ein. Bourgeois beginnt ihre künstlerische Karriere in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts, sie studierte zunächst Mathematik an der Sorbonne, wechselte aber später an die Ecole du Louvre und die Ecole des Beaux-Arts. Nach ihrer Heirat mit dem amerikanischen Kunsthistoriker Robert Goldwater im Jahr 1938 zog sie nach New York und setzte ihr Kunststudium an der Art Student League fort.138 Den Ruhm einer „Starkünstlerin“ gewinnt sie im Vergleich zu einigen Altersgenossen erst sehr spät.139 Die Künstlerin verzeichnete bereits in den Jahren 1949 und 1953 drei Einzelausstellungen in New York und stellte neben führenden Vertretern des abstrakten Impressionismus (neben de Kooning bspw. Ad Reinhardt und Robert Motherwell) in Gruppenausstellungen aus,140 ferner war sie im Jahr 1964 in der Stable Gallery präsent und nahm an einflussreichen New Yorker Ausstellungen teil – u. a. an der von Lucy Lippard kuratierten „Eccentric Abstraction“ (1966) in der Fischbach Gallery. In den 1970er Jahren gelang es ihr zunehmend Aufmerksamkeit zu erzielen, auch im Zusammenhang mit der Frauenbewegung.141 Den Weg an die Spitze ebnete die erste Retrospektive im Jahr 1982 im New Yorker Museum of Modern Art – die erste große Schau für eine Frau in der Geschichte dieser Institution. Louise Bourgeois ist zu diesem Zeitpunkt bereits 71 Jahre alt.142 Die Ausnahmeposition der Künstlerin zeigt sich nicht nur in dem sichtbaren Erfolg als Ausstellungskünstlerin (auf symbolischer Ebene), denn auch ökonomisch gesehen erzielt sie große Erfolge: Im Jahr 2011 wurde ihr Kunstwerk „Spider“ für 10.722.500 US-Dollar versteigert, 143 ein Höchstgebot für ein                                                                                                                                                                            

137 138 139 140 141 142 143

Cooper in Clark (2014). Vgl. Thon (2004). Vgl. Meier/Mönnig (2014), S. 127. Vgl. Thon (2004). Zum Ausstellungsüberblick siehe z.B. http://projekte.adk.de/bourgeois/ [05.12.2014]. Vgl. Thon (2004). Siehe dazu: www.christies.com/lotfinder/sculptures-statues-figures/louise-bourgeois spider-5496701-details.aspx [13.09.2014].

 

G ESCHLECHTERSTRUKTUREN AN DER S PITZE DES K UNSTFELDS

| 185

Kunstwerk einer Künstlerin zu diesem Zeitpunkt.144 Auch zu Cindy Sherman, als Starkünstlerin und einziger Frau unter den Top 10 der Weltspitze, können einige Merkmale Betonung finden: Tabelle 9 zeigt, dass unter den zehn führenden Künstler/innen im Jahr 2010 lediglich drei – Bruce Naumann, Gerhard Richter und Cindy Sherman – noch lebende Künstler/innen gelistet sind. Es gelingt vor allem bereits verstorbenen Künstlern, solche – mit sehr hohem symbolischem Kapital ausgestattete – Positionen einzunehmen. Tabelle 9: Top 10 Künstler/innen des internationalen Kunstfelds (Datenquelle: ArtFacts.Net 04/2010) Geburts-­‐   Todes-­‐   jahr   jahr    Geburtsort  

 

1   Andy  Warhol  

1928  

1987  

Pittsburgh/US  

New  York  City/US  

2   Pablo  Picasso  

1881  

1973  

Málaga/ES  

Mougin/FR  

3   Bruce  Nauman  

1941  

-­‐  

Fort  Wayne/US  

-­‐  

4   Gerhard  Richter  

1932  

-­‐  

Dresden/DE  

-­‐  

5   Joseph  Beuys  

1921  

1986  

Krefeld/DE  

Düsseldorf/DE  

6   Cindy  Sherman  

1954  

-­‐  

Glen  Ridge/US  

-­‐  

7   Robert  Rauschenberg   1925  

2008  

Port  Arthur/US  

Captiva  Island/US    

8   Sol  LeWitt  

1928  

2007  

Hartford/US  

New  York  City/US    

9   Paul  Klee  

1879  

1940  

Münchenbuchsee/DE  

Muralto/CH  

10   Henri  Matisse  

1869  

1954  

Le  Cateau-­‐Cambrésis/FR   Cimiez/FR    

Rang   Name  

Todesort  

Sherman nimmt also als einzige weibliche Künstlerin eine Position in dieser absoluten Spitzenkategorie ein und das unter der zusätzlich exklusiven Bedingung, zu den drei „lebenden“ Künstler/innen zu zählen. Die Betrachtung der ausschließlich „lebenden“ Akteur/innen dieses Segments, zeigt damit auch einen vergleichsweise hohen Frauenanteil. Sherman ist ferner die jüngste dieser führenden Künstler/innen und gehört als US-Amerikanerin der am stärksten vertretenen Länderzugehörigkeit an. Lag der Fokus bis zu dieser Stelle auf den führenden hundert Positionen, folgt eine Analyse für die beiden weiteren herausgearbeiteten Exklusionskategorien – der Ränge 101 bis 500 sowie der Ränge 501 bis 2500 Künstler/innen. Aus Abbildung 5, in der die zweite Kategorie wiedergegeben wird, sowie aus Abbildung 6 und Abbildung 7, in denen alle Künstler/innen der dritten Kategorie markiert sind, zeigt sich die bereits für die Top 100 Positionen herausgestellte verstärkte Inklusion von Künstlerinnen mit dem jünger werden der Generationen.                                                                                                                                                                            

144 Siehe dazu Thornton (2012). Wie in Kapitel 4.2.4 verdeutlicht, wurde dieses Höchstgebot inzwischen überboten.

 

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Abbildung 5: Künstler/innen der Ränge 101 bis 500 des internationalen Kunstfelds nach Geburtsjahr und symbolischem Kapital (Punkte nach ArtFacts.Net) (Datenquelle: ArtFacts.Net 04/2010)

 

Abbildung 6: Künstler/innen der Ränge 501 bis 1450 des internationalen Kunstfelds nach Geburtsjahr und symbolischem Kapital/Rang (Datenquelle: ArtFacts.Net 04/2010)

 

G ESCHLECHTERSTRUKTUREN AN DER S PITZE DES K UNSTFELDS

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Abbildung 7: Künstler/innen der Ränge 1551 bis 2500 des internationalen Kunstfelds nach Geburtsjahr und symbolischem Kapital/Rang (Datenquelle: ArtFacts.Net 04/2010)*

*Aufgrund der Auswertungsmöglichkeiten von max. 1000 Variablen in einem Streudiagramm bei SPSS wurde das Exklusionssegment 3 in zwei Schaubilder aufgeteilt und die Ränge der Top 1450 bis 1550 ausgegrenzt.

Finden sich in den linken Bereichen der Diagramme nur wenige rote Markierungen, treten diese in den rechten Hälften vergleichsweise häufig auf. Die bereits tabellarisch angeführte numerische Marginalisierung von Künstlerinnen fällt insbesondere im Zusammenhang mit einer Exklusion von vor dem Jahr 1900 geborenen Künstlerinnen auf. Zu erkennen ist auf beiden Stufen, verstärkt auf letzterer, dass eine sichtbare Angleichung der Anteile von Künstlerinnen und Künstlern erfolgt, die nach dem Jahr 1950 geboren sind. Auch vor dem Jahr 1950 und sogar vor dem Jahr 1900 geborene Künstler/innen erfahren eine relative Inklusion mit abnehmendem Rang. Dies gilt insbesondere in Relation zu den Top 100. Das heißt, die vom kunsthistorischen Kanon zum Teil „rehabilitierten“ Künstler/innen finden hier, auf den relativ betrachtet hinteren Rängen, Zugang zum Spitzenfeld. Die anhand dieser Streudiagramme dargelegten Tendenzen werden in Kapitel 4.2.5 erneut aufgenommen und mittels einer Regressionsanalyse auf ihren statistischen Zusammenhang geprüft. Dabei finden auch die in den beiden folgenden Kapiteln ausgeführten Variablen geografische Herkunft und ökonomisches Kapital Beachtung. Auf die Frage „»Why Have There Been No Great Women Artists?« Thirty Years After“145, gibt Linda Nochlin die Antwort, dass geschlechtsspezifische Unterschiede                                                                                                                                                                            

145 Nochlin (2006).

 

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in der Kunstwelt nach wie vor auftreten, aber auch Veränderungen zu verzeichnen sind. Das Prädikat der „greatness“ hat zur Beschreibung von Künstler/innen, bzw. der meist exklusiven Bezeichnung von Künstlern, an Bedeutung verloren;146 das Meisterwerk ist dem Werk gewichen und der Einfluss der Theorie auf den Kunstdiskurs hat an Bedeutung gewonnen, gerade letztere ermöglichte es künstlerische Arbeit auch mittels geschlechtertheoretischer Ansätze zu reflektieren.147 Louise Bourgeois, Jenny Holzer, Mary Kelly oder auch Cindy Sherman zählen heute zu den prominenten Positionen zeitgenössischer Kunst und stellen gemeinsam mit jüngeren Künstlerinnen148 Wege der Unterminierung der repräsentativen Doxa in ihrer künstlerischen Arbeit zur Diskussion.149 Charakteristisch für diese Künstlerinnen ist, so Nochlin, ihre Dominanz in Medien, die nicht Malerei und Skulptur im traditionellen Sinn umfassen. Sie suchen verstärkt Wege, um Barrieren zwischen Medien und Genres zu überwinden und neue Untersuchungs- und Ausdrucksmodi zu erkunden. Nochlin schließt, dass Künstlerinnen, Kunsthistorikerinnen und Kunstkritikerinnen in den vergangenen 30 Jahren einen Wandel herbeiführen konnten, indem sie vor allem den Diskurs und die Produktionsbedingungen des Feldes veränderten. Die Aufnahme von Gender Studies in Universitäten sowie eine weite Produktion kritischer Stellungnahmen, die sich mit Geschlechterfragen in Museen und Kunstgalerien auseinandersetzen, aber auch Künstlerinnen, über die gesprochen und auf die geschaut wird, zeugen davon.150 Die vorgestellten Daten ermöglichen es, diese weitreichenden Veränderungen in Bezug auf die Inklusion von Künstlerinnen im Spitzenfeld der Kunst der vergangenen 150 Jahre auch auf numerischer Ebene nachzuvollziehen. Lassen sich die Entwicklungen im jüngsten Segment der Künstler/innen zwar nicht eindeutig absehen, erwies sich in den jüngeren Generationen insgesamt eine geringere Geschlechterasymmetrie, als dies für die Kohorten der vor dem Jahr 1950 Geborenen gilt. Insbesondere die um 1970 geborenen Künstler/innen markieren diesbezüglich einen Wendepunkt. Können Louise Bourgeois und Cindy Sherman als Ausnahmestars betrachtet werden, die über ein besonders hohes symbolisches Kapital verfügen, zeigt sich für alle Künstlerinnen der jüngeren Generationen ein Möglichkeitsraum an die Spitze dieses sozialen Universums vorzudringen. Allerdings wurden mit Andy War                                                                                                                                                                            

146 Nochlin nimmt in der Verwendung des Begriffs der „greatness“ Bezug auf das noch in den 1950er wie 60er Jahren (aber auch darüber hinaus) bestehende Künstlerideal des männlichen und genialistischen Schöpfers, der exklusiv dazu befähigt ist große, also bedeutende Werke zu schaffen (für weitere Ausführungen siehe Nochlin (2006), S. 22f.). 147 Vgl. ebd., S. 22ff. 148 Zu diesen Künstlerinnen zählt Nochlin Ann Hamilton, Sam Taylor-Wood, Pipilotti Rist oder auch Shirin Neshat (vgl. ebd., S. 28). 149 Vgl. ebd., S. 22f. 150 Vgl. ebd., S. 26. Trotz dieser Veränderungen, schließt Nochlin, müssen Frauen weiterhin und gerade in Zeiten, in denen bestimmte patriarchale Werte im Wiederaufkommen sind (Nochlin prognostiziert diese anhand einer Reihe von Zeitungsartikeln, die Aussage wie „The Return of the Manly Man“ [New York Times] transportieren), überzeugt ihre Opfer- oder Unterstützerrolle zurückweisen: „We will need all our wit and courage to make sure that women´s voices are heard, their work is seen and written about.” (Vgl. ebd., S. 26).

 

G ESCHLECHTERSTRUKTUREN AN DER S PITZE DES K UNSTFELDS

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hol und Pablo Picasso auch zwei Starpositionen hervorgehoben, die eine nach wie vor männlich und dazu historisch dominierte absolute Spitze des Feldes darstellen – Positionen zu denen bislang keiner Künstlerin der Zugang gelang. Ist dem zwar zu entgegnen, dass Warhol wie Picasso Ausnahmeerscheinungen gegenüber Künstlerinnen wie Künstlern gleichermaßen markieren, wird dieses Phänomen an späterer Stelle im Rahmen der Diskussion um „Schwarze Schwäne“ erneut aufgegriffen. 4.2.3 Die geografische Herkunft: Zentrum, Peripherie und Künstlerinnen aus dem Iran Zwischen dem „Mythos der Globalisierung“151 und der „Globalisierung als neuer Weltordnung“152 bewegen sich die Globalisierungsdebatten der vergangenen zwanzig Jahre.153 Die Internationalisierung des Kunstfelds ist dabei Thema verschiedener Untersuchungen aus (kunst-)soziologischer Perspektive, zu den prominenten Positionen in diesem Bereich zählen Buchholz (2005, 2013), Buchholz/Wuggenig (2005, 2012), Crane (2002, 2009) sowie Quemin (2006, 2013). Die Frage nach der Heterogenisierung oder Homogenisierung der Kunstwelt lokalisiert Larissa Buchholz in einem Diskurs, der sich zwischen zwei grundlegenden Positionen bewegt.154 Einerseits findet sich die u. a. von Rasheed Araeen vertretene Position, die zunehmende Globalisierung der Kunstwelt führe zu einer Heterogenisierung der Akteur/innen.155 Andererseits besteht der von Buchholz (2008, 2013) sowie Buchholz/Wuggenig (2005, 2012) vertretene Standpunkt, dem auch Quemin (2006, 2013) zuzurechnen ist, die Globalisierung der Kunstwelt habe die US-amerikanische und europäische Dominanz keineswegs verdrängt.156 In der Studie von Larissa Buchholz und Ulf Wuggenig aus dem Jahr 2005 „Cultural Globalisation between Myth and Reality: The Case of the Contemporary Visual Arts“ zeigt sich eine klare Überlegenheit westlicher Staaten im Zentrum des Kunstfelds: „According to our data, the Northwest clearly dominates the centre of the art field, headed by the EU-US dyad. Yet, the predominance of this region becomes even more apparent if one takes into account that the majority of non-Northwestern artists with high visibility lives (lived) and works (worked) on North-Western art metropolises, usually New York, but also London, Paris, Cologne and Berlin […].“157

 

Wurde das Phänomen der Globalisierung in diesem Kontext vielseitig diskutiert, fand die Geschlechtervariable in diesem soziologischen Diskurs bislang wenig Be                                                                                                                                                                            

151 152 153 154 155 156

Bourdieu (1998d). Hart/Negri (2000). Vgl. Buchholz/Wuggenig (2005). Vgl. Buchholz (2013), S. 7. Vgl. Araeen (2001), S. 23. Vgl. Buchholz (2013), S. 7. Buchholz bezieht sich hier insbesondere auf Quemin (2006), S. 543f.; als Publikation jüngeren Datums sei die folgende hinzugefügt: Ders. (2014), S. 385 – 422. 157 Buchholz/Wuggenig (2005).

 

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achtung.158 Eine solche Analyse von Zusammenhängen zwischen der geografischen Herkunft von Künstler/innen und deren Geschlecht im Spitzenbereich der Kunst wird indessen im Folgenden geleistet. Untersucht werden die Top 2500 Positionen gemäß ArtFacts.Net (2010), hinsichtlich ihrer Herkunft aus zentralen und peripheren Staaten des Feldes sowie nach Kontinenten. Die geografische Herkunft bezieht sich dabei auf den Geburtsort der Künstler/innen.159 Zum Zentrum werden im Anschluss an Quemin Deutschland, das Vereinigte Königreich, Frankreich und Italien, die Schweiz sowie die USA gezählt. Alle weiteren in dem Ranking aufgeführten Staaten zählen zur Peripherie. 160 Untersucht wird ferner, ob die geografische Herkunft in den in Kapitel 4.2.1 herausgearbeiteten drei Exklusionsebenen in gleicher Weise verteilt ist und inwiefern hier jeweils eine Verschränkung zwischen Geschlecht und geografischer Herkunft auszumachen ist. Die starke Position der USA zeigte sich bereits in Kapitel 4.2.2 – fünf der zehn führenden Künstler/innen nach ArtFacts.Net sind diesem Kontinent zuzurechnen: Andy Warhol, Bruce Naumann, Cindy Sherman, Robert Rauschenberg und Sol LeWitt. Weitere Herkunftsstaaten von Top 10 Künstler/innen bilden Spanien (Pablo Picasso), Deutschland (Gerhard Richter, Joseph Beuys, Paul Klee) und Frankreich (Henri Matisse) (siehe dazu auch Tabelle 9). Alle Künstler/innen dieser führenden Gruppe der Kunstfeldspitze gehören der EU-USA Dyade nach Buchholz/Wuggenig (2005) an, nahezu alle stammen aus den von Quemin (2006) als Zentrum definierten Staaten (Spanien als Herkunftsort Picassos bildet eine Ausnahme).161 Cindy Sherman, die als einzige Frau unter den zehn führenden Künstler/innen gelistet ist, gehört dem größten Cluster USA an. Damit zeigt sich eine in erster Linie von US-amerikanischen und europäischen Künstler/innen männlich dominierte Spitze. Die Betrachtung des Verhältnisses der aus zentralen wie aus peripheren Staaten aufgeführten Künstler/innen der Top 2500 Positionen des internationalen Spitzenfelds der Kunst, ergibt das folgende in Tabelle 10 dargelegte Bild: In der Kategorie der Top 100 (n = 103) stammen 34 % der Künstler/innen aus peripheren Staaten, 66 % aus Zentrumsstaaten. In der Kategorie der Top 500 nimmt der Anteil der                                                                                                                                                                            

158 Eine Beachtung der Geschlechtervariablen findet sich in der Studie von Cliche/Mitchell/ Wiesand (1998/2000), die sich auf die Repräsentation von Künstlerinnen verschiedener europäischer Länder beziehen (siehe dazu auch Kapitel 2.2). Für die vorliegende Untersuchung konnten die Ergebnisse, u. a. aufgrund einer fehlenden Unterscheidung professioneller und nicht-professioneller Künstler/innen, nur teilweise als Vergleichswerte dienen (vgl. Cliche/Mitchell/Wiesand [1998/2000]). 159 Zu beachten ist, dass der Geburtsort bei einigen Künstler/innen nicht den Ort darstellt, an dem sie aufgewachsen sind, ihr Studium bzw. ihre Ausbildung absolviert haben oder heute leben. 160 Die Zentrums-Peripherie Struktur der Kunstwelt wurde in Kapitel 4.1.2.2 beschrieben und orientiert sich an der Einteilung von Quemin (2006): „[…] the world of contemporary art thus clearly has a centre, because it functions very much as a duopoly formed by, on the one hand, the US and, on the other, Europe (or, more precisely, a few countries in Western Europe: Germany, the UK, France and Italy, and sometimes Switzerland), with Germany very much at its heart. These five or six countries are all among the world’s richest nations.“ (Ebd., S. 542). 161 Vgl. ebd.

 

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Künstler/innen aus peripheren Staaten zu, er steigert sich auf 39,9 %; 60,1 % der Akteur/innen dieses Segments kommen aus Zentrumsstaaten. In der dritten Kategorie (Top 2500) liegt ein nahezu ausgeglichenes Verhältnis zwischen den Künstler/innen der beiden Herkunftsgruppen vor – hier finden sich 49,7 %, die aus peripheren Staaten stammen gegenüber 50,3 % aus den Zentrumsstaaten.  

Tabelle 10: Künstler/innenanteile (Top 2500) aus zentralen und peripheren Staaten des Kunstfelds (Datenquelle: ArtFacts.Net 04/2010)1/2  

Top  100  

Top  500  

Top  2500  

Zentrum     Peripherie  

Gesamt  

%  

%  

n  

%  

Künstlerinnen  

53,8  

46,2  

13  

100,0  

Künstler  

67,8  

32,2  

90  

100,0  

Alle      

66,0  

34,0  

103  

100,0  

Künstlerinnen  

56,7  

43,3  

97  

100,0  

Künstler  

60,9  

39,1  

417  

100,0  

Alle      

60,1  

39,9  

514  

100,0  

Künstlerinnen  

49,8  

50,2  

663  

100,0  

Künstler  

50,5  

49,5  

1948  

100,0  

Alle  

50,3  

49,7  

2611  

100,0  

1 Zentrum: USA, Deutschland, das Vereinigte Königreich, Frankreich, Italien, Schweiz. Zur Peripherie zählen alle weiteren im Ranking aufgeführten Staaten (die Einteilung erfolgt nach Quemin [2006]). 2 Bei Mehrfachbesetzung eines Ranges, bspw. durch Gruppen, werden alle Künstler/innen einzeln gewertet.

Damit erwies sich als wesentliches Ergebnis, dass die geografische Herkunft nach Peripherie und Zentrum für den Bereich der Top 2500 Künstler/innen nahezu keine Rolle spielt, hin zur Spitze des Feldes aber an Bedeutung gewinnt und sich eine erkennbare Hegemonie der Zentrumsstaaten im Bereich der Top 100 Künstler/innen findet. Die von Buchholz/Wuggenig im Jahr 2005 aufgezeigte EU-USA Dyade bestätigt sich hier erneut für das Jahr 2010. Als besonders relevant lässt sich hervorheben, dass diese Dyade unter den Top 500 Positionen in abgeschwächter Form ebenso besteht, auf den Top 2500 Positionen aber keine Rolle mehr spielt. Deutlich wird hier eine in Bezug auf die Herkunft stärker heterogene Herkunftsstruktur im Segment der Top 2500 Positionen, die sich durch eine Homogenisierung hin zur Spitze (hier Top 100) auszeichnet. Aufschlussreich erwies sich im Weiteren die Differenzierung nach Künstlerinnen und Künstlern. Wie aus Tabelle 10 auch hervorgeht, findet sich in der Kategorie der Top 100 Künstler/innen ein stark exklusiver Charakter in der Verschränkung von geografischer Herkunft und Geschlecht. Die Herkunft aus Zentrumsstaaten ist bei den gelisteten Künstlern besonders stark ausgeprägt, bei den Künstle-

 

192 | K UNST UND G ENDER

rinnen hingegen weitaus weniger relevant: Die Herkunftsanteile aus peripheren und zentralen Staaten differieren hier mit 46,2 % (Peripherie) zu 53,8 % (Zentrum) deutlich weniger, als dies bei den Künstlern (32,2 %/67,8 %) der Fall ist. Die Daten weisen auf eine Tendenz hin, wonach die Herkunft aus dem Zentrum für die Top 100 Künstler als ein Inklusionskriterium hervorgeht, dieses Kriterium indessen unter den führenden 500 Positionen (60,9 %) und verstärkt unter den Top 2500 Platzierungen (50,5 %) an Bedeutung verliert. In der ausschließlichen Betrachtung der Künstlerinnen zeigt sich ein leichter Anstieg unter den Top 500 Positionen (56,7 %), der unter den Top 2500 (49,8 %) rückläufig ist und auch hier eine Angleichung findet. Sowohl bei den Künstlerinnen als auch bei den Künstlern kann der geografischen Herkunft aus zentralen oder peripheren Staaten in dem Untersuchungsbereich der führenden 2500 Platzierungen somit kaum eine Bedeutung beigemessen werden. Eine sichtbare Differenz zeigt sich aber im Bereich der Top 10, der Top 100 und abgeschwächt der Top 500 Ränge, wobei die Verschränkung zwischen geografischer Herkunft und Geschlecht in der Kategorie der führenden hundert Positionen besonders deutlich ausfällt. Damit handelt es sich bei letzterem Bereich um einen in mehreren Hinsichten exklusiven – in Bezug auf die Herkunft, das Geschlecht sowie die Verschränkung der beiden Merkmale. Eine stärker differenzierende Unterteilung des Top 2500 Segments nach kontinentaler Herkunft und Geschlecht, wiedergegeben in Tabelle 11, brachte im Anschluss an obige Zahlen weitere Einsichten hervor. Die Anzahl der Akteur/innen der jeweiligen Kontinente im Spitzenfeld weisen auf die Vertretung der jeweiligen Regionen in diesem sozialen Universum und damit auf deren Einfluss wie deren Macht hin.162 Auch in dieser Unterscheidung erweisen sich Europa und die USA als die oben beschriebene Zentrums-Dyade. Die beiden Kontinente stellen mit 2269 Nen                                                                                                                                                                            

162 Eine Diskussion zum machttheoretischen Paradigma im Diskurs um die Globalisierung findet sich bspw. bei Buchholz/Wuggenig (2012). Sie heben diese macht- und konflikttheoretische Perspektive u. a. im Anschluss an Galtung (1980) hervor und grenzen sie von Positionen ab, in denen von grenzüberschreitenden Transaktionen, der Herausbildung eines universell geteilten Bewusstseins oder wie bei McLuhan (1962) von der Vorstellung eines gemeinsamen „globalen Dorfes“ die Rede ist. Demnach bestehen „einseitige Abhängigkeiten («dependencia»), soziale Polarisierungen und asymmetrische Beziehungen zwischen Einheiten, die als Zentren und Peripherien eines Weltsystems bzw. transnationaler Welten aufgefasst werden“, es handelt sich um „Elemente einer asymmetrisch und hierarchisch verbundenen Struktur, welche wesentlich bestimmt ist durch von den Zentren ausgehende Prozesse der Expansion und Durchdringung.“ (Buchholz/ Wuggenig [2012], S. 165). Buchholz/Wuggenig weisen zudem auf die Dreiteilung des Weltsystems bei Immanuel Wallerstein (2004) hin, in dessen Tradition sich der Begriff „Welt-System“ entweder auf politisch koordinierte „Weltreiche“ oder auf „Weltökonomien“ bezieht. Wird in Weltsystem-Theorien von einem einzigen System ausgegangen, besteht aus der Perspektive der Schule von Wallerstein erst seit dem 19. Jahrhundert nur noch ein einziges Weltsystem, „nämlich die moderne Weltökonomie des Kapitalismus, die in einen Kern, eine Semi-Peripherie und eine Peripherie differenziert ist – dennoch aber eine Vielzahl kultureller Systeme kennt.“ (Buchholz/Wuggenig [2012], S. 175).

 

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nungen 86,4 % aller sich im Sample befindenden Künstler/innen – Europa führt die Liste mit n = 1579 klar an.  

Tabelle 11: Top 2500 Künstler/innen nach kontinentaler Herkunft1 (Datenquelle: ArtFacts.Net 04/2010)   Kontinent  

Alle   Künstler/innen  

Europa  

n  

Davon     Künstlerinnen     %  

1579  

23,1  

Nordamerika  

690  

28,7  

Asien  

195  

28,2  

Südamerika  

93  

29,0  

Afrika  

51  

37,3  

Australien  

19  

36,8  

1 Geburtsort

Australien hingegen kann als der Kontinent bezeichnet werden, der die geringste Präsenz im Spitzenfeld aufweist – aus dieser Region stammen mit 19 Künstler/innen lediglich 0,7 % aller Top 2500 Akteur/innen des internationalen Feldes. In einem mittleren Bereich finden sich Asien (n = 193) und Südamerika (n = 93) sowie Afrika (n = 51). In der Betrachtung der Anteile der jeweils aus den Erdteilen stammenden Künstlerinnen zeigt sich demgegenüber ein zur kontinentalen Präsenz im Feld gegenteiliger Verlauf: Der Frauenanteil erweist sich in den wenig sichtbaren Kontinenten des Feldes als am stärksten und umgekehrt.163 Demnach ist das Vordringen in das Spitzensegment für Künstlerinnen vergleichsweise einfacher, wenn sie aus peripheren Regionen des Feldes stammen, insbesondere zeigt sich dies für Afrika und Australien. Stammen sie dagegen aus Zentrumsregionen, aus Europa oder den USA, ist die anteilsmäßige Inklusion der Künstlerinnen gegenüber ihren männlichen Kollegen relativ geringer – der Anteil sinkt folglich mit einer steigenden Machtposition der Herkunftsländer. Da die Überlegung naheliegt, dass die starke Marginalisierung von Künstlerinnen in Europa und möglicherweise auch in anderen Kontinenten maßgeblich auf einen verdeckten Generationeneffekt zurückzuführen ist, wurde in Tabelle 12 eine erneute Auswertung aller ab dem Jahr 1940 geborenen Künstler/innen vorgenommen. Diese Verschiebung des Untersuchungsbereiches in Richtung der jüngeren Generationen bewirkt einen höheren Anteil von Künstlerinnen in allen Kontinenten außer Asien. Den vergleichsweise stärksten Anstieg weisen Europa (um 5,3 Prozent                                                                                                                                                                            

163 Die einzige geringfügige Abweichung findet sich zwischen Afrika und Australien, wobei der Künstlerinnenanteil in Afrika mit 37,3 % leicht höher liegt, als in Australien mit 36,8 %.

 

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punkte) und Nordamerika (um 5,4 Prozentpunkte) auf – hier kommt tatsächlich der Generationeneffekt zum Tragen.  

Tabelle 12: Top 2500 Künstler/innen (1940 und später geboren) nach kontinentaler Herkunft1 (Datenquelle: ArtFacts.Net 04/2010)   Kontinent   Europa  

Alle   Künstler/innen   n  

Davon     Künstlerinnen     %  

1039  

28,4  

 

Nordamerika  

446  

34,1  

 

Asien  

180  

27,8  

 

Südamerika  

70  

31,4  

 

Afrika  

46  

41,3  

 

Australien  

18  

38,9  

 

1 Geburtsort.

Zudem kann ein Bezug zu den im vorhergehenden Kapitel diskutierten arrivierten Avantgarden hergestellt werden, die neben einer männlichen auch eine westliche Domination aufweisen. Die Staaten der Semi-Peripherie wie Peripherie stellen kaum Künstler/innen dieser in den historischen Kanon eingegangenen Gruppierungen. Mit einem Anteil von 28,4 % zeigt sich in dieser Berechnung der nach dem Jahr 1940 Geborenen eine stärkere Inklusion von Künstlerinnen europäischer Herkunft, als dies für das gesamte Sample gilt. Im Vergleich weist der Kontinent (neben Asien) dennoch eine stärkere Repression von Künstlerinnen und den größten Anteil an Künstlern auf. Die als peripher herausgestellten Regionen – Afrika und in noch stärkerem Maße Australien – kennzeichnet erneut ein vergleichsweise hoher Frauenanteil (Afrika: 41,3 %, Australien: 38,9 %). Einer Hervorhebung bedarf der Künstlerinnenanteil Nordamerikas, mit rund 34 % zeigt sich hier die stärkste Inklusion im Zentrum und in den mittleren Regionen. Diese Kombination von Zentrumskontinent und verstärkter Inklusion von Künstlerinnen kann zumindest zum Teil erklären, dass es einer Künstlerin wie Cindy Sherman gelingt, eine solch prominente Position unter den führenden zehn Künstler/innen einzunehmen. Eine ähnliche Situation, wonach der Einfluss des Geschlechts auf die Einnahme von Spitzenpositionen in den USA deutlich geringer ausfällt als in Europa, zeigt sich an späterer Stelle auch in der Analyse von Museumsdirektor/innen. Wie bezüglich der vermittelnden Professionen ausgeführt wird, bestehen Studien zu anderen professionellen Feldern, die auf eine solche geringere Geschlechterungleichheit in den USA gegenüber Europa gleichermaßen hinweisen. Um an dieser Stelle zwei Beispiele anzubringen, zeigt Christiane Dienel in ihrer Untersuchung, in der sie einen Vergleich zu Frauen in Führungspositionen in den USA und verschiedenen europäischen Ländern liefert, dass die in den USA bereits in

 

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den 1990er Jahren stärker als in Europa eingesetzte Minderheitenförderung164 sowie eine für die USA aber auch Schweden typische progressive Frauenförderung165 zu einem sichtlich höheren Frauenanteil in wissenschaftlichen Spitzenpositionen in diesen Ländern führte.166 Gleichermaßen geht aus einer jüngeren Analyse von Bertram hervor, dass in den USA sichtbar mehr Frauen in Entscheidungspositionen tätig sind, als dies in Deutschland der Fall ist.167 Die in diesen Studien festgestellte progressive Förderung von Frauen in den USA lässt vermuten, dass sie ebenfalls im Kunstfeld und in diesem Fall bei Künstlerinnen zu einem höheren Frauenanteil auf solchen Positionen führt, als dies in Europa der Fall ist. Das World Economic Forum gibt jährlich in Kooperation mit der Harvard University und der University of Berkeley einen Global-Gender-Gap-Report heraus.168 Der Report wurde 2006 eingeführt und erstellt Länderrankings auf der Grundlage nationaler Geschlechterungleichheiten nach ökonomischen, politischen, bildungs- und gesundheitsbasierten Kriterien.169 Aus dem Bericht geht ein weiteres, in Verbindung mit obigen Zahlen aufschlussreiches Ergebnis hervor: In europäischen Ländern sowie Nordamerika liegt demnach im globalen Vergleich eine relativ geringe Geschlechterungleichheit vor. Afrika weist im Gegensatz dazu laut des Reports eine sehr hohe, Asien wie Südamerika eine mittlere Asymmetrie in dieser weltweiten Gegenüberstellung auf. Diese Angaben des WEF verhalten sich weitgehend gegenläufig zu den Zahlen im Kunstfeld, insbesondere für das gesamte Sample (Tabelle 11), aber auch für den Zeitraum ab 1940 (Tabelle 12). Australien stellt in beiden Tabellen, Nordamerika in letzterer eine Ausnahme dar.170 Deutlich zeichnet sich insbesondere für Europa und Afrika eine gegenläufige Tendenz der Geschlechterasymmetrie in der Besetzung von Positionen im Kunstfeld und der vom WEF definierten globalen Geschlechterungleichheit ab – hier verwundert, dass Afrika, als Kontinent mit relativ hohen Differenzen nach Geschlecht, dennoch einen vergleichsweise hohen Künstlerinnenanteil im Spitzenfeld der Kunst aufweist. In Europa, als Kontinent mit relativ geringer Ungleichheit nach Geschlecht, besteht hingegen eine verhältnismäßig schwache Inklusion von Künstlerinnen. Wie erklärt sich diese entgegengesetzte Ausrichtung der globalen und der kunstfeldbezogenen Geschlechterasymmetrie? Im Anschluss an Konzepte der vertikalen Segregation171 ließe sich schließen, dass Künstle                                                                                                                                                                            

164 165 166 167 168 169 170

Vgl. Dienel (1996), S. 136. Vgl. ebd., S. 156. Vgl. ebd., S. 38. Vgl. Bertram (2009), S. 49. Vgl. Hausmann/Tyson/Zahidi (2010). Vgl. www.weforum.org/issues/global-gender-gap/index.html [02.08.2014]. Die globale Ungleichheit wurde von Seiten des WEF auch durch eine interaktive Karte dargestellt, in der alle Staaten und Regionen eingesehen werden können; die Karte ist unter folgendem Link abrufbar: http://widgets.weforum.org/gender-gap-heat-map/ [16.05. 2017]. Auf der Seite sind ebenfalls die eingenommenen Ränge der Nationen abrufbar, weitere Ausführungen erfolgen in den Reports. 171 Unter vertikaler Segregation wird in der Geschlechterforschung eine Hierarchisierung nach Geschlecht verstanden, wobei Frauen meist die unteren Hierarchieebenen besetzen,  

 

196 | K UNST UND G ENDER

rinnen insbesondere dann Präsenz im Kunstfeld erhalten, wenn vergleichsweise geringe Chancen vorliegen, über diesen Beruf Reputation und Macht zu erlangen. Weist Buchholz darauf hin, dass Künstler/innen, die aus an kunstfeldbezogenen Ressourcen reichen Ländern stammen, auch eine höhere Chance auf globalen Erfolg zukommt (während diese Chancen für aus ressourcenarmen Regionen stammende Künstler/innen gering ausfallen),172 kann die Aussage dahingehend eine Differenzierung erfahren, als dies für Künstler zutrifft, nicht aber in gleichem Maße für Künstlerinnen. Wie ausgeführt, besteht eine Geschlechterungleichheit, die es Künstlerinnen vor allem dann ermöglicht erfolgreich zu sein, wenn sie aus Regionen stammen, die über eine eher geringe Dominanz im Feld verfügen. Hinsichtlich einer vertikalen Segregation bedeutet dies, dass Frauen verstärkt mit weniger Macht belegte Positionen an der Spitze dieses sozialen Universums einnehmen. Eine Interpretation des Phänomens kann im Sinn einer Hierarchisierung von Professionen als weitere Erklärung auch im Hinblick auf eine geringere Reputation des Künstlerberufes in den weniger dominanten Staaten bzw. Kontinenten des Feldes erfolgen. Daraus ließe sich schließen, dass für Frauen dann die Möglichkeit besteht, Spitzenpositionen zu übernehmen, wenn die Künstlerprofession (auf das internationale bzw. westlich dominierte Feld bezogen) als vergleichsweise abgewertet gilt bzw. mit verhältnismäßig wenig gesellschaftlicher Reputation verbunden ist. In beiden Interpretationen nehmen Frauen relativ abgewertete Positionen ein, wobei sich die Devaluation in ersterer in Form einer Segregierung innerhalb des Kunstfelds zeigt, im Rahmen letzterer auf eine Hierarchisierung von Professionen im gesamten Sozialraum verweist. Eine weitere Analyse des Datensatzes vermochte es ferner das folgende, sich an obige Überlegungen anschließende, Phänomen darzustellen: Demnach findet sich mit 41,7 % ein überdurchschnittlich hoher Frauenanteil unter den im Ranking gelisteten Künstler/innen der MENA-Region (Tabelle 13).173 Der hohe Künstlerinnenanteil in dieser Region verwundert umso mehr, als es sich um eine Region handelt, die laut des WEF Global-Gender-Gap-Reports 2010 eine sehr hohe Geschlechterungleichheit zeigt. Israel schneidet gemäß dieser Wertung mit Rang 52 deutlich besser ab als die anderen gelisteten Staaten, sie befinden sich zwischen Rang 116 und 127 von 134 Staaten insgesamt. Die Herausnahme Israels aus dem Sample ruft in der Berechnung

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   

Männer die oberen (siehe dazu u. a. Dressel/Wanger [2004], S. 492 f., Scheidegger/ Osterloh [2004], S. 199, Wetterer [1999]). 172 Vgl. Buchholz (2013), S. 21. 173 Es handelt sich lediglich um 48 Künstler/innen und damit 1,8 % des gesamten Samples, aufgrund des auffälligen Werts schloss sich dennoch eine nähere Betrachtung an. Die Auswertung erfolgte anhand der MENA-Region Definition der Weltbank (2015). Demnach sind der Region die folgenden Staaten zuzurechnen: Algeria, Bahrain, Djibouti, Egypt, Iran, Iraq, Israel, Jordan, Kuwait, Lebanon, Libya, Malta, Morocco, Oman, Qatar, Saudi Arabia, Syria, Tunisia, United Arab Emirates, West Bank and Gaza, Yemen (vgl. http://go.worldbank.org/7UEP77ZCB0 [12.01.2015]. Nicht alle dieser Staaten sind unter den Top 2500 der ArtFacts-Liste (2010) vertreten, zu den im Ranking vertretenen Staaten siehe Tabelle 14.

 

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einen Künstlerinnenanteil von 58,3 % hervor.174 Daraus folgt, dass mehr als die Hälfte der im Jahr 2010 im Spitzenbereich des internationalen Kunstfelds agierenden, aus den genannten Ländern des Mittleren und Nahen Ostens stammenden Künstler/innen, Frauen sind. Tabelle 13: Künstler/innen der MENA-Region1 im Top 2500 Spitzenfeld der Kunst (Datenquelle: ArtFacts.Net 04/2010) Alle     Künstler/innen  

Davon     Künstlerinnen  

n  

%  

MENA-­‐

gesamt  

48  

41,7  

Region  

ohne  Israel  

24  

58,3  

 

1 Mittlerer und Naher Osten sowie Nordafrika.

Die einzelnen Staaten sowie die Anzahl der aus diesen stammenden Künstlerinnen wie Künstler gehen aus Tabelle 14 hervor. Deutlich wird in der Darstellung die auffallend hohe internationale Sichtbarkeit von Künstlerinnen aus dem Irak wie dem Iran, wobei die insgesamt geringe Fallzahl Berücksichtigung finden muss: Aus dem Irak stammt insgesamt eine Künstlerin des gesamten Samples; aus dem Iran kommen sieben Künstlerinnen gegenüber nur einem Künstler, der Frauenanteil beträgt 87,5 %. Israel weist mit 24 der 48 Künstler/innen eine sehr hohe absolute Anzahl auf; auffallend ist ferner die relativ große Zahl an Künstlern, es handelt sich um 18 Männer gegenüber nur sechs Frauen – der Künstlerinnenanteil beträgt 25 %. Ein relativ höherer Frauenanteil findet sich für Marokko (66,6 %) sowie Palästina (50,0 %). Hinsichtlich der vergleichsweise hohen Anzahl an Künstlerinnen, die einen Anteil von 87,5 % ausmachen, liegt die folgende Untersuchung des Iran als Herkunftsort von Starkünstlerinnen des internationalen Kunstfelds nahe. Aus Tabelle 15 gehen die aus dem Iran stammenden Künstler/innen im Einzelnen hervor; dabei wird deutlich, dass alle sieben Künstlerinnen im Jahr 1955 und später geboren sind und damit einer jüngeren Künstler/innengeneration angehören als der im Jahr 1940 geborene Abbas Kiarostami. Eine weiterführende Recherche ergibt, dass die Künstlerinnen zum Zeitpunkt der Erhebung alle nicht mehr im Iran leben – die meisten verließen ihn zum Studium oder schon früher. Kiarostami dagegen studierte in Teheran und lebt noch immer dort.175 Aus den künstlerischen Werken sowie Interviews mit und Texten zu den Künstler/innen lässt sich schließen, dass die Beschäftigung mit dem Iran in der

                                                                                                                                                                           

174 Die Staaten der MENA-Region nehmen im Global-Gender-Gap-Report folgende Ränge von 134 Gesamträngen ein: Algerien: 119, Ägypten: 125, Iran: 123, Irak: nicht gelistet, Israel: 52, Libanon: 116, Marokko: 127 (vgl. Hausmann/Tyson/Zahidi [2010]). 175 Vgl. Jeffreys (2005).

 

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Arbeit der meisten der Künstler/innen dennoch präsent ist.176 Die (geografische) Herkunft aus dem Iran, darüber hinaus die Rolle der Frau in der arabischen Welt (bspw. bei Shirin Neshat und Parastou Forouhar) werden dabei auch zu kritisch diskutierten Themen im Kunstfeld. Daraus wird ersichtlich, dass zumindest ein Bezug zu dem Geburtsland Iran besteht, auch wenn die Künstlerinnen selbst nicht mehr dort leben oder aufgrund ihrer kritischen künstlerischen Arbeit nicht mehr dort leben können. Tabelle 14: Top 2500 Künstler/innen der MENA-Region nach Herkunftsstaat1/2 (Datenquelle: ArtFacts.Net 04/2010)    

Künstler-­‐ innen  

Künstler  

Alle  

Anteil  Künstler-­‐   innen  (%)  

Irak    

1  

-­‐  

1  

100,0  

 

Iran    

7  

1  

8  

87,5  

 

Marokko    

2  

1  

3  

66,6  

 

Palästina    

1  

1  

2  

50,0  

 

Ägypten  

2  

3  

5  

40,0  

 

Israel  

6  

18  

24  

25,0  

 

Libanon   4  

1  

3  

4  

25,0  

 

Algerien  

-­‐  

1  

1  

0,0  

 

Gesamt  

20  

28  

48  

41,6  

 

1 Mittlerer und Naher Osten sowie Nordafrika. 2 Aus den weiteren Staaten der MENA-Region sind keine Künstler/innen unter den Top 2500 gelistet.

Neben erschwerten Professionalisierungsmöglichkeiten von Frauen im Iran insgesamt – nicht nur auf das Kunstfeld bezogen, verhindert häufig auch die restriktive Kulturpolitik – z.B. durch staatliche Zensur – eine (kritische) künstlerische Auseinandersetzung im Iran selbst.177 Kiarostami erweist sich als der einzige in Teheran                                                                                                                                                                            

176 Vgl. Neshat in Grossbongart (2010). Die Gründe des Verlassens des Irans sind dabei unterschiedlich. Einige haben ihn zum Studium verlassen oder emigrierten bereits im Kindesalter mit der Familie. 177 Parastou Forouhar beispielsweise berichtet von einer Ausstellung in einer großen Galerie in Teheran, in der sie eine Serie von Fotografien zeigen wollte, die kahlrasierte Hinterköpfe von Männern, die einen Tschador trugen, abbildeten. Zwei Tage vor der Eröffnung erhielt ihre Galeristin einen Anruf vom Kulturministerium mit der „Empfehlung“ auf die Ausstellungseröffnung zu verzichten. „Das bedeutet: Es können Schlägertrupps vorbeikommen, alles wird kurz und klein geschlagen. Es kann auf jeden Fall schwierig werden.  

 

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ausgebildete und nach wie vor dort lebende Künstler. Er ist im Jahr 1940 geboren und damit der älteste aller gelisteten iranischen Künstler/innen. 178 Den höchsten Rang nimmt Shirin Neshat ein (2010: 137; 2014: 216) – im Jahr 1957 geboren, ist sie neben der zwei Jahre älteren Shirazeh Houshiary älter als die anderen Künstlerinnen, die alle zwischen 1962 und 1974 geboren sind. Neshat stammt als Tochter eines Arztes aus einer wohlhabenden Familie, sie verließ den Iran mit 17 Jahren für ein Studium in den USA – ihr Kunststudium schloss sie in Berkeley ab. In einem Interview berichtet sie, dass ihr Vater ihr die besten Chancen ermöglichen wollte; die Kinder in den Westen zu „exportieren“, war zu dieser Zeit für vermögende Familien gängig, so Neshat.179 Auch die anderen gelisteten Künstlerinnen legten ein Studium in westlichen, in US-amerikanischen, deutschen, englischen oder französischen Kunstakademien ab, was auf die Dominanz der westlichen Ausbildungsinstitutionen im internationalen Feld hinweist. Um an dieser Stelle einige Beispiele zu nennen studierte Shirana Shabazi in Deutschland und in der Schweiz,180 Avish Khebrehzadeh in Italien sowie in den USA,181 Ghazel in Frankreich – über ein Stipendium verbrachte sie zudem einige Zeit in Berlin.182 Shirazeh Houshiary studierte u. a. in England183 und                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    

Daher haben meine Galeristin und ich uns zusammengesetzt und überlegt: Was können wir machen? […] Wir haben die Bilder aus den Rahmen geschnitten und nur die leeren Rahmen bei der Eröffnung ausgestellt.“ (Forouhar [2009] in: http://en.qantara.de/content/ parastou-forouhar-art-as-a-political-weapon [02.09.2014]). Vgl. Jeffreys (2005). Vgl. Neshat in Grossbongart (2010), S. 137; zu Neshat siehe auch Danto (2010). Shirana Shahbazi kam bereits mit neun Jahren nach Deutschland. Im Jahr 1995 Jahre begann sie ein Kommunikationsdesignstudium in Dortmund. Im Anschluss studierte sie Fotografie an der Hochschule für Gestaltung in Zürich. Residenzen führten sie nach New York (2003) und an das Hammer Museum in Los Angeles (2008) (siehe dazu: www. artnet.de/Künstler/shirana-shahbazi/biografie [02.08.2014]). Die 1974 in Teheran geborene Avish Khebrehzadeh wechselte nach einem Studienjahr in Teheran (1990 – 1991) an die Kunstakademie in Rom (1992 – 1996) und setzte ihr Studium der Fotografie und Philosophie in Washington DC fort (1996 – 1997) (siehe dazu: http://avishkz.com [03.08.2014]). Die 1966 geborene Ghazel studierte von 1988 – 1992 Visual Arts an der École des Beaux Arts in Nîmes, zudem schloss sie 1994 mit einem BA in Film an der Paul Valéry University (Montpellier) ab. 1993 ermöglichte ihr ein Stipendium einen Berlinaufenthalt, 1997 begann sie eine Serie filmischer Selbstportraits zu produzieren (Me-Series), in diesen stieg sie mittels Ironie in einen kritischen Dialog mit den sozialen Normen und sozialem Druck im Iran ein. Im Jahr 2000 erhielt sie einen französischen Kulturpreis (Prix Ricard) zur Unterstützung eines Kunstprojekts in New York (vgl. www.culturebase.net [05.08.2014]). Zwar ist Ghazel in Frankreich aufgewachsen, die iranische Herkunft spielte aber eine große Rolle für ihre Lebensumstände. Im Jahr 1997 erhielt sie ein Aufenthaltsverbot des französischen Immigrationsamtes für Frankreich und wurde aufgefordert das Land zu verlassen (vgl. ebd.). Shirazeh Houshiary studierte in den 1970er Jahren am Chelsea College of Art and Design. Nach Beendigung des Studiums war sie von 1979 bis 1980 Junior Fellow am College of Art in Cardiff. Ihre Werke waren erstmals 1982 für ein breiteres Publikum auf der

178 179 180

181

182

183

 

 

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Parastou Forouhar in Deutschland.184 Diese Zahlen verweisen einerseits auf eine relativ schnelle Veränderung in den Positionen einzelner Künstler/innen, andererseits zeigt sich ein nahezu konstantes Geschlechterverhältnis, das auf eine Dominanz von Künstlerinnen aus dem Iran gegenüber ihren männlichen Kollegen hinweist.185 Eine wiederholte Untersuchung der Positionen der genannten Künstler/innen in ArtFacts.Net im Jahr 2014 verdeutlicht, dass sich fast alle im Laufe von vier Jahren in ihrer Position verschlechterten (Tabelle 15). Khebrehzadeh, Ghazel und Kiarostami befinden sich im Jahr 2014 nicht mehr unter den Top 2500 Künstler/innen. Nachgerückt sind hingegen vier im Jahr 2010 noch nicht vertretene Künstler/innen: Die 1971 geborene Nairy Baghramian belegt den Rang 1011, Tala Madani (geboren 1981) Rang 1014, René Gabri (geboren 1968) findet sich auf Rang 2144 und Farhad Moshiri auf Rang 2306 (geboren 1963). Entsprechend zählen sieben Künstlerinnen und zwei Künstler iranischer Herkunft zum Spitzensegment der Top 2500 in der Bewertung gemäß ArtFacts.Net aus dem Jahr 2014.186 Auch diese neu gelisteten Künstler/innen absolvierten ihr Studium an Universitäten in den USA oder Europa und leben mit Ausnahme von Moshiri nicht mehr im Iran.187Auf der Suche nach Erklä                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    

Venedig-Biennale in der dortigen Sektion „Kunst gegen AIDS“ ausgestellt (vgl. www. shirazehhoushiary.com [05.09.2014]). Parastou Forouhar studierte von 1984 bis 1990 Kunst an der Universität Teheran und zog 1991 nach Deutschland, sie absolvierte ein Aufbaustudium an der HfG Offenbach. Seit 1992 lebt sie dort. Ihre Eltern wurden am 21. November 1998 in ihrem Haus in Teheran ermordet. Ihr Vater gehörte dem Kabinett von Premierminister Mehdi Bazargan an; beide zählten zu den führenden oppositionellen Politikern im Iran. Forouhar wurde im Dezember 2009 im Iran an ihrem Rückflug nach Deutschland gehindert. Grund für ihre Reise war die Teilnahme an einer Gedenkveranstaltung für ihre Eltern. Am 21. Dezember 2009 durfte sie das Land verlassen (vgl. Forouhar (2009) in: http://en.qantara.de/content/ iranian-artist-parastou-forouhar-suspect-commemoration [02.09.2014]). In einem Interview findet sich folgendes Zitat der Künstlerin: „Seit dem Amtsantritt von Ahmadinedschad ist es viel schlimmer geworden […] vorher sind Freiräume geschaffen worden, zum Beispiel in der Kunstszene. Das wurde alles Schritt für Schritt zurückgedrängt.“ (Forouhar [2009] in: http://en.qantara.de/content/parastou-forouhar-art-as-a-politicalweapon [02.09.2014]). Die Künstler/innen versuchen neue Freiräume im Internet zu schaffen, aber auch dort sei die Regierung dabei neue Barrieren zu bauen (vgl. ebd.). Zu Natasha Sadr Haghighian können auf dieser Ebene keine Erläuterungen gegeben werden, sie versteht ihre Vita als künstlerische Arbeit im Sinn von Bioswop (siehe dazu die biografischen Angaben Haghighians auf der Seite ihres Galeristen Johann König: www.johannkoenig.de [06.09.2014] sowie Information auf: www.bioswop.net [06.09. 2014]). Zu beachten ist an dieser Stelle die insgesamt sehr geringe Fallzahl von lediglich neun Künstler/innen. Da es sich um eine Vollerhebung der führenden internationalen Künstler/innen handelt, bilden diese aber ein „(nationales) Subsegment“ des globalen Feldes. Vgl. ArtFacts.Net [05.08.2014] Nairy Baghramian lebt seit 1984 in Berlin (vgl. www.villa-aurora.org [06.09.2014]). Die im Iran geborene Tala Madani schloss 2006 ein Kunststudium an der Yale University School of Art ab, sie lebt in Los Angeles (vgl. www.pilarcorrias.com [06.09.2014]). Der

184

185

186 187

 

 

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rungsansätzen lässt sich erneut der Bericht des World-Economic-Forum aus dem Jahr 2010 heranziehen. Die in dem Künstlerinnen-Datensatz aufgeführten Staaten der MENA-Region erhalten hier in der Gesamtwertung nach Gleichstellungskriterien ein relativ schlechtes Ergebnis.188 Tabelle 15: Top 2500 Künstler/innen iranischer Herkunft1 (Datenquellen: ArtFacts.Net 2010 und 2014) Künstler/in  

Geburtsjahr  

Ranking  2010   Ranking  2014  

Shirin  Neshat  

1957  

137  

216  

 

Natasha  Sadr  Haghighian  

1967  

691  

1929  

 

Shirana  Shahbazi  

1974  

793  

886  

 

Avish  Khebrehzadeh  

1969  

1487  

4064  

 

Ghazel  

1966  

1610  

3082  

 

Abbas  Kiarostami  

1940  

1625  

3159  

 

Parastou  Forouhar  

1962  

2051  

1806  

 

Shirazeh  Houshiary  

1955  

2318  

2286  

 

Nairy  Baghramian  

1971  

-­‐  

1011  

 

Tala  Madani  

1981  

-­‐  

1014  

 

René  Gabri  

1968  

-­‐  

2144  

 

Farhad  Moshiri  

1963  

-­‐  

2306  

 

1 Geburtsort.

Auffallend zeigt sich ein vergleichsweise hohes Bildungskapital von Frauen in diesen Staaten bei einem relativ geringen Beschäftigungslevel in der Wirtschaft. Laut des Reports ist von einer kleinen Gruppe sehr gut ausgebildeter Frauen auszugehen, die nur über geringe Chancen verfügen, in der Wirtschaft professionell agieren zu kön-

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   

1968 in Teheran geborene René Gabri lebte in Athen und Los Angeles bevor er nach New York zog; 1999 schloss er das Whitney Museum Independent Study Program ab, zudem studierte er an der Universität in Venedig sowie an der City University in New York (www.sharjahart.org [06.09.2014]). Farhad Moshiri (1963 im Iran geboren) lebt und arbeitet zwischen Teheran und Paris. Er schloss 1984 ein Studium am California Institute of the Arts ab (www.perrotin.com [06.09.2014]). 188 Zu den Rängen siehe Fn. 174.

 

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nen.189 Diesbezüglich erweist sich der „Arab Human Development Report 2005“ mit dem Untertitel „Towards the Rise of Women in the Arab World“ als aufschlussreich. In diesem findet sich der Hinweis, dass der Anteil weiblicher Studierender an den Universitäten gestiegen ist, junge Frauen ihre Studienfächer aber immer noch vorwiegend in Bereichen wie Literatur, Geistes- und Sozialwissenschaften wählen. In diesen Fächern stellen sie laut des Berichts sogar die Mehrheit der Studierenden dar, wobei es sich um die vom Arbeitsmarkt am wenigsten nachgefragten Fächer handelt.190 Auch Lutz/Crespo Cuaresma/Abbasi-Shavazi (2010) weisen darauf hin, dass die Expansion der Bildung von Frauen inzwischen den tertiären Sektor erreicht habe. Im Jahr 1998 waren bereits 52 % der Studierenden an staatlichen Universitäten Frauen, der Anteil erhöhte sich in nur einem Jahr auf 57 % (1999); im Jahr 2007 wurde ein Frauenanteil von 65 % gemessen.191 Die Betrachtung dieser Situation über den im theoretischen Rahmen herausgearbeiteten Ansatz einer Gender-Kunstfeld-Theorie vermag es die Zuständigkeit der Frauen im Bereich der Generierung symbolischen Kapitals zu betonen. Letzterer erweist sich für sehr gut ausgebildete Frauen im Gegensatz zu Bereichen der Erzielung ökonomischen Kapitals als durchlässiger. Wurde die These Bourdieus, der Kulturbereich stelle einen der wenigen dar, in dem Frauen                                                                                                                                                                            

189 Vgl. Hausmann/Tyson/Zahidi (2010). In Israel, das ebenfalls ein hohes Maß an Bildungsgleichheit vorweist, erweist sich die Möglichkeit, Positionen im Wirtschaftssektor einzunehmen, demgegenüber für Frauen als vergleichsweise hoch (vgl. ebd.). 190 Vgl. Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen (Hg.) (2005), S. 11. Dem Bericht ist zu entnehmen, dass die arabische Region, trotz der niedrigen Teilhabe von Frauen am Erwerbsleben insgesamt, zwischen 1990 und 2003 einen stärkeren Zuwachs des Anteils erwerbstätiger Frauen aufzeigt als alle anderen Regionen der Welt. Die Zuwachsrate belief sich bei arabischen Frauen auf 19 % gegenüber 3 % im internationalen Durchschnitt. Aufgrund des sehr geringen absoluten Anteils, ist es jedoch dabei geblieben, dass Frauen nirgendwo weniger am Wirtschaftsleben partizipieren als in diesem Raum: 33,3 % der weiblichen Bevölkerung älter als fünfzehn Jahre sind erwerbstätig, verglichen mit dem weltweiten Durchschnitt von 55,6 % (vgl. ebd., S. 11f.). Bourdieus Erklärung geschlechtlicher Reproduktion, die auch im Bildungssektor sichtbar wird, zeigt sich in folgendem Zitat: „[…] durch die Erfahrung einer »geschlechtlich« geregelten sozialen Ordnung und durch die expliziten Ordnungsrufe ihrer Eltern, Lehrer und Mitschüler, die selbst mit aus ähnlichen Erfahrungen der Welt erworbenen Prinzipien ausgestattet sind, inkorporieren die Mädchen in Form von Wahrnehmungs- und Bewertungsschemata die Prinzipien der herrschenden Sichtweise, die für das Bewußtsein nur schwer zugänglich sind. Und diese bringen sie dazu, die soziale Ordnung, so wie sie ist, für normal oder gar natürlich zu halten und ihrem Schicksal gleichsam zuvorzukommen, indem sie die Berufswege oder Laufbahnen, von denen sie auf alle Fälle ausgeschlossen sind, ablehnen und diejenigen anstreben, für die sie auf jeden Fall bestimmt sind. Die daraus resultierende Konstanz der Habitus ist einer der wichtigsten Faktoren für die relative Konstanz der Struktur der geschlechtlichen Arbeitsteilung: Da die Vermittlung dieser Prinzipien im wesentlichen von Körper zu Körper und d.h. jenseits von Bewußtsein und Diskurs erfolgt, entziehen sie sich der bewußten Kontrolle und damit der Korrektur oder der Veränderung.“ (Bourdieu [2005a], S. 165). 191 Vgl. Lutz/Crespo Cuaresma/Abbasi-Shavazi (2010), S. 257.

 

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Führungspositionen offen stehen als zentral hervorgehoben, erweist sich in diesem Zusammenhang auch die Bezugnahme auf eine Ausweitung der traditionellen Rolle von Frauen als wesentlich. Eine solche findet sich gemäß Bourdieu in der „Produktion oder Konsumption der symbolischen Güter und Dienstleistungen“, die er auch als „Distinktionszeichen“ beschreibt.192 So schließt er das am Beginn der Einleitung genannte Zitat mit den folgenden Worten ab: „Im häuslichen Rahmen für die Umwandlung des ökonomischen Kapitals in symbolisches Kapital verantwortlich, sind sie zum Eintritt in die permanente Dialektik von Prätention und Distinktion prädisponiert […].“ [Herv. im Orig.]193 Die Position der Frau in der Ökonomie der symbolischen Produktion und damit die Prädisposition, u. a. im kulturellen Feld professionell zu agieren, konkretisiert er an anderer Stelle, indem er auf mögliche Positionen in den literarischen, kunsthistorischen oder journalistischen Bereichen verweist.194 Die Ergebnisse zum internationalen Kunstfeld und im Speziellen der MENA-Region und dem Iran, in der Darstellung der Studierendenzahlen sowie der Gender-Aufteilungen auf die verschiedenen Fächergruppen der Universitäten in arabischen Ländern, lassen damit eine Tendenz erkennen, wonach in den untersuchten (stark patriarchal organisierten) Staaten, Frauen, die über ein hohes Bildungskapital verfügen, verstärkt Positionen im kulturellen Sektor einnehmen können. Eine Professionalisierung, die ferner als eine Ausdehnung des privaten – der Reproduktion zugeschriebenen – Raums verstanden werden kann. Das ökonomische Feld verbleibt in Bezug auf die Inklusion von Frauen, gegenüber dem stärker durchlässigen Feld der symbolischen bzw. kulturellen Produktion, weitgehend restriktiv. Für mit hohem Bildungskapital ausgestattete Akteurinnen ist es naheliegend, in diesen für sie zugänglichen Bereich auch professionell vorzudringen. Verfügen Familien über ein entsprechendes ökonomisches Kapital, kann das Bildungskapital über eine Ausbildung in den westlichen Universitäten (vor allem in den USA und in Europa) eine zusätzliche Aufwertung erfahren. Hinsichtlich der Künstler/innen erhöht die Ausbildung in solchen Universitäten die Wahrscheinlichkeit in das internationale Kunstfeld, anstelle eines stärker regionalen, vorzudringen. Das Beispiel ist insofern im Sinn einer vertikalen Segregation zu werten, als Künstlerinnen eine Inklusion in den kulturellen (beherrschten) Sektor und auch dessen Spitzenbereich erfahren, diese Inklusion aber mit einer Exklusion aus dem ökonomischen oder politischen (herrschenden) Sektor einhergeht. Hier wird sichtbar, dass die Einnahme von Positionen im Bereich der symbolischen Produktion durch Frauen eine Exklusion auch verschleiern oder verdecken kann. Ferner handelt es sich häufig um Frauen, die aus wohlhabenden Familien stammen und über ein besonders hohes Maß an ererbtem Kapital aus ihren Familien verfügen – eine Parallele zu den von Bourdieu als für den kulturellen Bereich prädisponiert charakterisierten Frauen der Bourgeoisie.195 Wie im theoretischen Rahmen formuliert, findet sich hier                                                                                                                                                                            

192 193 194 195

Vgl. Bourdieu (2005a), S. 174f. Ebd. Vgl. ebd., S. 162f. Anzuschließen wäre an dieser Stelle eine ausführliche qualitative Untersuchung zu den genannten Künstler/innen um diese Form der „Scheinfreiheit“ anhand von Beispielen zu vertiefen, was im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht geleistet werden kann. Zuzufügen ist an dieser Stelle aber auch die Tatsache, dass neben den im tertiären Bil-

 

 

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die Scheinfreiheit, wonach Frauen der symbolischen Produktion zwar die besten Beweise für ihre berufliche Emanzipation verdanken, dies aber mit einer Unterwerfung unter die symbolische Herrschaft einhergeht.196 Gleichzeitig konnte eingangs auf eine horizontale Segregation verwiesen werden, insofern als Künstlerinnen, die aus den Zentren oder auch Semi-Peripherien des Feldes stammen, mit einer verstärkten Exklusion von den Spitzenpositionen rechnen müssen. Diese Exklusion kann etwa auf die aufgewertete Position der Profession Künstler/in in den Zentren, aber auch in den Semi-Peripherien, zurückgeführt werden. In den Peripherien hingegen ist davon auszugehen, dass die Profession (zumindest bezogen auf das internationale Feld) mit weniger Prestige ausgestattet ist, als dies für die Zentren gilt. Gemäß dieser Zentrums-Peripherie-Unterscheidung der professionellen Reputation im globalen Feld kann von einer stärkeren Inklusion von Künstlerinnen in den der Peripherie angehörigen Regionen ausgegangen werden. Demgemäß scheint letztlich auch hier der Zugang von Künstlerinnen mit einer relativen Abwertung der Profession in der Herkunftsregion der Akteur/innen zusammenzuhängen. Der etwa von Kräussl prognostizierte Aufschwung der MENA-Region im internationalen Kunstzirkel, auf den Markt wie den Ausstellungsbetrieb bezogen, könnte hier Veränderungen hervorrufen. Einen Wandel erkennt Kräussl beispielsweise seit der Eröffnungsauktion von Christies im Jahr 2006 in Dubai oder in der Investition in eine starke Museumsinfrastruktur in Katar und Abu Dhabi; seit der ersten Auflage der Art Dubai im Jahr 2006 sowie der Eröffnung von Christies im selben Jahr kann ferner auf ein wachsendes Feld an Museen, Messen und Galerien verwiesen werden.197 Dieser Aufschwung des Feldes der MENA-Region und damit einhergehend ein Reputationsgewinn der professionellen Positionen in diesem – auch aus der Perspektive der regionalen Akteur/innen betrachtet – legt die Vermutung nahe, dass in den kommenden Jahren eine Verschiebung erfolgt, die zu einer Steigerung der Attraktivität der zunehmend mit mehr Prestige ausgestatteten Positionen auch für Männer führt. Es wird zu beobachten sein, inwiefern Verschiebungen globaler Strukturen im Kunstfeld mit Verschiebungen im Geschlechtergefüge des Feldes einhergehen.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    

dungssektor an Kunsthochschulen und Kunstakademien ausgebildeten Künstlerinnen, die in den Spitzenregionen des Kunstfelds agieren, auch einige aus dem arabischen Raum stammende Museumsdirektorinnen, Kuratorinnen und Sammlerinnen zu nennen sind, die ähnlich hohe Positionen besetzen. Eine weitere Untersuchung der Verschränkung von Geschlecht und Herkunft im Spitzenbereich des Kunstfelds zeigt sich hier als umso wesentlicher. Zu nennen ist u. a. die aus Katar stammende Sheika Al-Mayassa bint Hamad bin Khalifa Al-Thani, die von Artreview in ihrem jährlich publizierten Ranking „Power 100“ im Jahr 2013 als mächtigste Person der Kunstwelt gelistet wurde. Ferner sollte Sheikha Hoor Al Qasimi, aus den Vereinigten Arabischen Emiraten und u. a. Präsidentin der Sharjah Art Foundation sowie Kuratorin des Pavillons der Vereinigten Arabischen Emirate auf der Venedig-Biennale im Jahr 2015, in diesem Zusammenhang genannt werden. 196 Vgl. Bourdieu (2005a), S. 176. 197 Vgl. Kräussl (2014). Zu den jüngeren Entwicklungen im Kunstfeld der MENA-Region siehe bspw. auch Downey (Hg.) (2015) sowie Holert (2015).

 

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Fand oben vor allem die verdeckte Exklusion und relativ beherrschte Position der Künstlerinnen Betonung, gilt es ferner hervorzuheben, dass das Vordringen der Künstlerinnen aus der MENA-Region und insbesondere dem Iran in den Spitzenbereich des internationalen Feldes auch einen stark emanzipativen Charakter besitzt. Die Künstlerinnen erzielen über ihren Erfolg eine erhebliche Aufmerksamkeit, die sie zu Role-Models macht und der Diskussion um Geschlechterrollen, auch in der arabischen Welt, Präsenz verleiht. Die prognostizierten Veränderungen zur Sichtbarkeit der MENA-Region im Kunstfeld werden im Zusammenhang mit Geschlecht in den kommenden Jahren von besonderem Interesse sein, nicht nur in Bezug auf Künstlerinnen, sondern auch hinsichtlich der anderen Akteur/innen und Institutionen in diesem sozialen Universum. Dass Sheikha Al-Mayassa bint Hamad bin Khalifa Al-Thani (u. a. Chairperson des Quatar Museum) im Jahr 2013 Platz 1 des Power 100 Rankings von Artnet besetzte, deutet dies an.198 Die im Rahmen dieser Analyse zum internationalen Feld herausgearbeiteten Ergebnisse sollten damit nicht als lediglich in der diskutierten Region verankerte Geschlechterasymmetrien begriffen werden. Vielmehr erlaubte es dieses Beispiel, die Existenz der (paradoxen) Dichotomie zu verdeutlichen, die in westlichen Gesellschaften gleichermaßen – möglicherweise in Teilen weniger offensichtlich – besteht. In der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dieser Thematik gilt es einmal mehr sich den Fragestellungen im Diskurs um eine „Global Art“, die wie Leeb et al. es formulieren „zur Behauptung einer »Gegenwarts-Weltkunst«“ geworden ist, „die sich nach dem Vorbild einer ökonomischen Globalisierung der Welt zusammensetzt“, kritisch zu nähern.199 Leeb et al. schlagen in diesem Zusammenhang vor, „»Global Art« als neue Kategorie verdeckter europäischer und westlicher Selbstbeschreibung anzunehmen“ und eine Diskussion um ein „herrschafts- und kapitalismuskritisch differenziertes und pluralisiertes »Globales«“ als Möglichkeit zu fassen, „die Narrative der Kunst als transnationale entangled histories zu schreiben“.200 4.2.4 Abgehängt – ökonomisches Kapital Das Werk „Jimson Weed/White Flower No. 1“ (1932) von Georgia O’Keeffe erzielte im Jahr 2014 bei Sothebys einen Zuschlag von 44.405.000 US-Dollar201 und damit den höchsten je für ein Werk einer Künstlerin auf dem Tertiärmarkt verausgabten Preis. Das Gebot übertraf den einige Monate zuvor realisierten Auktionsrekord von rund 11.9 Mio. US-Dollar für Joan Mitchells „untitled work“ (1960) deutlich. „Après le déjeuner“ (1881) von Berthe Morisot ging im Jahr 2013 für 10.9 Mio. US-Dollar unter den Hammer und bis zum Jahr 2011 lag das Höchstgebot bei 10.7 Mio. USDollar für „Spider“ (1996) von Louise Bourgeois.202 Die Höchstmarke für Werke männlicher Künstler erreichte im Mai 2015 ebenfalls eine neue Dimension: Pablo Picassos „Women of Algiers (Version 0)“ (1955) wechselte für 179.4 Mio. US                                                                                                                                                                            

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Siehe dazu http://artreview.com/power_100/ [14.01.2015]. Vgl. Leeb et al. (2013), S. 4. Ebd., S. 5. Siehe dazu: www.sothebys.com [11.12.2014]. Siehe dazu: www.christies.com [13.09.2014].

 

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Dollar den Besitzer. Diese Summe übertraf den bestehenden Rekord vom November 2013, den bis dahin Francis Bacons “Three Studies of Lucian Freud” (1969) mit einem Verkaufswert von 142.4 Mio. US-Dollar hielt. Die Auktion brachte ferner den höchsten jemals erzielten Zuschlag für einen lebenden Künstler ein, 58.4 Mio. USDollar für “Balloon Dog (Orange)” von Jeff Koons aus dem Jahr 1994.203 Noch höhere Preise sind aus Private-Deals bekannt: Anfang des Jahres 2013 erwarb Steven Cohen Pablo Picassos „Le Rêve” (1932) für rund 155 Mio. US-Dollar. Diese Marke wird von einem der fünf Versionen Paul Cezannes „The Card Players” (1892-93) noch übertroffen; Katar kaufte es im Mai 2011 privat, der berichtete Preis liegt bei 250 Mio. US-Dollar. 204 Als schlagkräftig erweist sich in diesem Zusammenhang auch ein weiterer, jüngst von Roman Kräussl aufgezeigter Gap: „[…] an analysis of some five million auction records across varied media covering the past 55 years showed $34 billion in total turnover for the 20 top-performing male artists, while there was only $2.2 billion in turnover for the top 20 women during that same period.“205 In der Kunst- wie Tagespresse ist in den vergangenen Jahren ein starkes Interesse an dem oben demonstrierten Gender-Pay-Gap des Auktionsmarkts zu vermerken. Die Beachtung dieses Phänomens von wissenschaftlicher Seite erweist sich demgegenüber zwar als weniger stark ausgeprägt, es lassen sich aber auch aus (kunst-)soziologischer wie speziell (kunst-)ökonomischer Perspektive diverse Studien aufzeigen, die sich dieser Thematik widmen. Die Marginalisierung von Künstlerinnen auf dem Kunstmarkt ist Thema zahlreicher Artikel (beispielsweise auf Artdaily, Artnet oder auch in der Financial Times) – gleichzeitig findet sich ein verstärktes Bemühen, einen Wandel auf dem als männlich dominiert geltenden Auktionsmarkt zu prognostizieren. Die Herausgeber/innen von Artnet fragten im September 2014 „Is the Art World Biased?"206 und die Galeristin Agnès Monplaisir antwortete hierzu, gleichermaßen auf die Galerist/innen Bezug nehmend: “Sadly, I must answer yes. The highest-priced pieces of art continue to be produced only by men. Likewise, none of the art dealers representing these highly valued artists are female.” 207 Auch Maria Baibakova, Gründerin von Baibakova Art Projects, erkennt eine Gender-Bias auf dem Kunstmarkt, die sich allerdings nicht nur auf die Künstler/innen, sondern insbesondere auf Sammler/innen bezieht: „I often find myself sitting in auctions amongst the company of very few women. From a collector’s standpoint, I think the market is unfortunately still largely centered around men.“208 Titelte Artdaily einige Monate zuvor „Rediscovered painting by Artemisia Gentileschi achieves $1.2 million at Sotheby’s Paris“,209 stellt Sarah Thornton im Economist unter dem Titel „The price of being female“ im Jahr 2012 die zehn teuersten Werke von Künstlerinnen und Künstlern gegenüber. Dabei weist auch sie auf die deutliche Obstruktion von Künstlerin                                                                                                                                                                            

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Vgl. Kräussl/Lehnert/Martelin (2014), S. 2. Vgl. ebd. Kräussl (2016), S. 74. Siehe dazu auch die Ausführungen in ders. (2015). Vgl. Artnet News (2014a). Agnès Monplaisir, zitiert in ebd. Maria Baibakova, zitiert in ebd. Vgl. artdaily.com [27.06.2014].

 

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nen auf dem Kunstmarkt hin. Sie zeigt, dass der zu diesem Zeitpunkt höchste von einer Künstlerin erzielte Preis für „Spider“ von Louise Bourgeois unterhalb des schwächsten Auktionsergebnisses der männlichen Top 10 liegt. Bei letzterem handelt es sich um „Baloon Flower“ von Jeff Koons, das einen Zuschlag von 25.8 Mio. USDollar erhielt.210 Kräussl weist in einer diachronen Betrachtung von Auktionsverkäufen und -zuschlägen der vergangenen 15 Jahre darauf hin, dass Künstlerinnen in den Bereichen „postwar“ und „contemporary“ zwar mit einem Anteil von 8 % eine größere Präsenz erlangen, als dies für ihre historischen Kolleginnen gilt (5 %), dennoch erweist sich der Gesamtumsatz mit einem Anteil von 4 % auch hier als gering: „[…] based on our findings, we have determined that only 5 percent of the paintings sold at auction between 2000 and 2015 were created by female artists; the rest were by men. More striking still is that works by women represented only 2 percent of the total dollar turnover (all figures are USD). As expected, female artists do slightly better in the postwar and contemporary category. There, 8 percent of all paintings sold at auction between 2000 and 2015 were created by women, yet these paintings are responsible for only 4 percent of the total turnover. […] If there is a silver lining, it is simply that more works by female artists are hitting the block than was the case a decade or two ago. In 2000, only 3.3 percent of paintings sold at auction were by female artists; by 2015 that number was 7.4 percent.“211

Ein positives Bild zeichnet im Gegensatz zu obigen Beispielen Katherine Markley im Jahr 2013 in ArtnetNews. Mit der eingangs gestellten Frage „Once Again … Where Are All The Women Artist?“212 geht sie zwar einerseits davon aus, dass Frauen an der Top-Spitze der Auktionsverkäufe nach wie vor kaum existieren, dennoch prognostiziert sie einen möglichen Wandel: In der Gegenüberstellung einzelner TopKünstlerinnen mit ihren männlichen Peers zeigt sie, dass Yayoi Kusama in den vergangenen zehn Jahren höhere Gewinne erzielte als Gerhard Richter.213 Auch Cindy Sherman übertrifft demnach Andreas Gursky und Jeff Wall – laut Markley stammen vier der 15 am teuersten verkauften Werke auf Auktionen im Bereich der Fotografie von der Künstlerin. Zudem zählt sie zu den zwanzig Künstler/innen dieser Kategorie, die jemals die Millionenmarke auf einer Auktion überschritten haben.214 Erneut und auch hinsichtlich des ökonomischen Kapitals kann an dieser Stelle die bereits im Generationenkapitel exponierte Ausnahmeposition Shermans Betonung finden. Diesbezüglich erweist sich auch ein Befund Kräussls als aufschlussreich, wonach Frauen im Bereich der Fotografie zwar nach wie vor einen geringeren Anteil der Lose insgesamt verkaufen (9 %), die von diesen erzielten Zuschläge aber nahe an denjenigen der männlichen Kollegen liegen: „[…] In the category of photography, women fare better still, with 9 percent of the lots sold. Interestingly, in this category prices for works by women nearly match those of their male counterparts.“215 Das Phänomen                                                                                                                                                                            

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Vgl. Thornton (2012). Kräussl (2016), S. 74. Vgl. Markley (2013). Vgl. ebd. Vgl. ebd. Kräussl (2016), S. 74.

 

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Sherman ist im Anschluss daran ebenso im Zusammenhang mit dem Medium der Fotografie, als eine für Frauen auf ökonomischer Ebene weniger exklusive künstlerische Praxis, zu lesen (wobei zu prüfen bleibt, welcher Anteil des von Kräussl vorgelegten Werts allein auf diese eine Künstlerin zurückgeht). Jan Dalley verweist im Jahr 2010 in der Financial Times darauf, dass die Verkaufspreise der Top 100 Künstlerinnen nach dem Women’s Art Index zwar bei lediglich 43.000 Dollar liegen – im Vergleich zu 118.000 Dollar für die männlichen Kollegen – er betont aber auch, dass Künstlerinnen eine deutlich höhere Steigerungsrate der Verkaufspreise aufweisen als dies für Künstler der Fall ist: „[…] the Women’s Art 100 began to outperform the largely male Art 100 Index in 2000, and the compound growth rate for the Women’s Art 100 is running 4 points higher, at 11.6 per cent.”216 Ergänzend weist er darauf hin, dass eine Betrachtung von Preisen über 25 Jahre hinweg, zu dem Ergebnis kommt, dass Künstler/innen in ihrer Preisentwicklung gegenwärtig sehr viel stärker ansteigen als ihre männlichen Kollegen. Die zusammengesetzte Wachstumsrate liegt demnach für den Index „Women’s Art 100“ vier Punkte höher, bei 11,6 %, als bei dem „Art 100 Index“. 217 Gegenüber diesen durchaus positiven Prognosen von Markley und Dalley weisen weder Artnet noch Artprice im Jahr 2010 Künstlerinnen unter den Top 10 der Höchstgebote auf. Dies gilt für nach dem Jahr 1945 geborene Künstler/innen gemäß Artprice (Juli 2008 – Juni 2009)218 wie für eine generationenübergreifende Liste von Artnet (höchste Auktionsergebnisse im September 2010).219 Erhellend erweisen sich in diesem Zusammenhang die vonseiten der KunstmarktPlattform Artnet gebotenen Ausführungen: Um die Frage „Who Are the Top 100 Most Collectible Living Artists for December 2014?“ zu beantworten, veröffentlichten sie zwei Tabellen, einerseits die führenden hundert Kunstmarkt Künstler/innen (lebend) nach Gesamtverkäufen, andererseits die führenden hundert Kunstmarkt Künstler/innen (lebend) nach erzielten Höchstzuschlägen. Die Bemessungen beziehen sich auf Werte vom Januar 2011 bis zum November 2014. Angeführt wird ersteres Ranking von Gerhard Richter mit einem Verkaufswert von 982.610.920 USDollar, eine Summe die auf den Verkauf von 936 Werken zurückgeht. Yayoi Kusama rangiert mit einer Verkaufssumme von 119.060.508 US-Dollar auf Platz neun und findet damit eine Platzierung unter den Top 10. Erstaunlich ist, dass sie mit 1880 vermerkten Werken ungefähr doppelt so viele Arbeiten wie Richter verkaufte. Zwar gelingt es einer Künstlerin hier unter die Top 10 zu gelangen, die einzelnen Lose weisen aber sichtbar geringere Werte auf, als dies bei den männlichen Kollegen der Fall ist.220 Insgesamt nehmen Künstlerinnen nach dieser Wertung 6 % der Ränge ein, neben Yayoi Kusama finden sich fünf weitere Künstlerinnen in dem Ranking: Cindy Sherman auf Rang 25 (66.365.618 US-Dollar/389 verkauften Werken), Chen Peiqiu auf Rang 39 (451.176.815 US-Dollar/723 verkaufte Werke), Xu Lele auf Rang 74                                                                                                                                                                            

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Dalley (2010). Vgl. ebd. Vgl. Ehrmann (2009), S. 89. Siehe dazu www.artnet.com/Top10Auctions/Results.asp [5.9.2010]. Mit Ausnahme von Fan Zeng verkauften alle Künstler eine Anzahl von unter 1000 Werken in diesem Zeitraum. Für Fan Zeng gingen 1476 Werke in die Wertung ein (vgl. Artnet [2014b]).

 

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(22.860.271 US-Dollar/450 verkaufte Werke), Julie Mehretu belegt Rang 86 (20.515.489 US-Dollar/46 verkaufte Werke) und Vija Celmins Rang 96 (17.917.237 US-Dollar/82 verkaufte Werke). Die zweite Liste umfasst lediglich zwei Künstlerinnen: Rang 84 besetzt erneut Yayoi Kusama mit einem Zuschlagspreis von 7.109.000 US-Dollar (erzielt bei Christie’s New York im Jahr 2014). Auf Rang 94 ist zudem Cindy Sherman platziert, mit einem Verkaufspreis von 6.773.000 US-Dollar (ebenfalls im Jahr 2014 bei Christie’s New York).221 Führt Gerhard Richter das Feld mit 36 Nennungen erkennbar an, zeigt sich, dass für Künstlerinnen hier kaum die Möglichkeit besteht, den männlichen Kollegen gleichwertige Spitzenpositionen einzunehmen. Die Beispiele verdeutlichen die Vielseitigkeit der Ansätze, auf denen die Bemessungen des Gender-Pay-Gaps auf dem Auktionsmarkt basieren. Mit der Bewertung von Höchstpreisen, Jahresumsätzen und Wachstumsraten liegen sehr unterschiedliche Methoden vor, die auch in Untersuchungen der Kunstökonomie wie -soziologie Eingang finden. Schon der Vergleich der oben betrachteten Tabellen von Artnet legt es nahe, dass Ergebnisse und Erfolgsmeldungen ebenso wie Negativmeldungen einer entsprechend differenzierten Betrachtung bedürfen. In der dezidiert wissenschaftlichen Literatur zum Kunstmarkt (meist steht der Tertiärmarkt im Fokus, teilweise der Sekundärmarkt) erweist sich die Diskussion um den Gender Gap demgegenüber als vergleichsweise zurückhaltend. So findet sich eine primäre oder eigenständige Auseinandersetzung mit Geschlechtereffekten weder unter den prominenten aktuellen Positionen wie Kräussl (2014), Kräussl/Lehnert/Martelin (2014) und Pénasse/ Renneboog/Spaenjers (2014) noch bei Beckert/Rössel (2004) oder Rengers/Velthuis (2002). In einigen Untersuchungen erlangt die Gender-Debatte zumindest in Form von Hinweisen oder kurzen Abhandlungen Präsenz. Unter Einbeziehung von weniger prominenten Positionen sowie Studien, die sich nicht auf das Spitzenfeld beziehen, lassen sich einige Ergebnisse aufzeigen, die zumindest eine Grundlage in diesem Diskurs bilden können: Unter dem Titel „Style Matters: Explaining the Gender Gap in the Price of Paintings“ legte Jukka Savolainen im Jahr 2006 eine Analyse vor, die darauf zielte, Geschlechterdifferenzen in der Preiserzielung von Gemälden amerikanischer Künstler/innen zu beschreiben und zu erklären. Die Untersuchung basiert auf der Auswertung von sieben Ausgaben der Zeitschrift „New American Paintings“ (NAP, Open Studios Press), wobei es sich um Künstler/innen handelt, die über keine nationale Präsenz verfügen. 222 Die Ergebnisse verdeutlichen, dass Gemälde von                                                                                                                                                                            

221 Vgl. Artnet (2014b). 222 Vgl. Savolainen (2006), S. 85. Jede Ausgabe zeigt ca. 50 Künstler/innen und listet die erwarteten Preise sowie die Kontaktadressen zu den Künstler/innen auf. Die in der Zeitschrift vorgestellten Gemälde werden über regional durchgeführte jurierte Wettbewerbe ausgewählt. Die Juroren sind typischerweise Museumsdirektor/innen einer großen Institution aus dem Nordwesten der USA (auch Guggenheim und Whitney Museum). Da das Heft keine Werbung enthält, geht Savolainen davon aus, dass keine externe Bias in der Auswahl besteht. Die sieben Ausgaben beinhalten Daten von 1478 Gemälden, die von 357 Künstlern produziert wurden, wobei von jedem Künstler/jeder Künstlerin das Gemälde mit dem höchsten Verkaufspreis ausgewählt wurde. Die Untersuchung besteht aus acht Variablen, drei beziehen sich auf Gemäldeeigenschaften (Preis, Größe, Stil), weitere  

 

210 | K UNST UND G ENDER

Künstlerinnen durchschnittlich ca. 25 % unter den von Künstlern erzielten Preisen liegen.223 Savolainen beschreibt anhand verschiedener multivariater Modelle, dass der „künstlerische Stil“ (von verschiedenen untersuchten Künstler- und Werkcharakteristiken) die einzige Variable darstellt, die dabei einen nicht-trivialen Anteil der Preisdifferenz zwischen Männern und Frauen erklären kann.224 Zudem geht er von einer marktorientierten Sozialisation aus, die dazu führt, dass Männer aufgrund ihrer Erziehung dazu tendieren, größere Werke zu schaffen als Frauen – dieser Zusammenhang findet in den Daten allerdings keine Bestätigung.225 Anette van den Bosch hebt als ein zentrales Ergebnis ihrer Studie bezüglich eines geschlechterspezifischen Preiseffektes hervor, dass Künstlerinnen seltener als ihre Kollegen von einer Galerie vertreten werden – dies führt schließlich zu geringeren Preisen. Die Untersuchung basiert auf Daten zum nationalen Kunstmarkt in Australien aus dem Jahr 1998.226 Lässt sich der Analyse Jens Beckerts und Jörg Rössels „Kunst und Preise: Reputation als Mechanismus der Reduktion von Ungewissheit am Kunstmarkt“ (2004) lediglich entnehmen, dass Kunstwerke von Frauen tendenziell einen niedrigeren Preis erzielen, als die ihrer männlichen Kollegen,227 fallen die Ergebnisse von Merijn Rengers und Olav Velthuis aus dem Jahr 2002 detaillierter aus:228 Rengers/Velthuis beziehen sich auf Galeriepreise auf dem Primärmarkt niederländischer Galerien, Geschlecht findet hier Beachtung, steht aber ebenfalls nicht im Fokus.229 Erstaunt die Feststellung der geringeren Preiserzielung von Frauen gegenüber Männern kaum, ist der Studie als wesentliches Ergebnis zu entnehmen, dass sich in der deskriptiven Untersuchung ein Pay-Gap von 20 % abzeichnet, der in den Mehrebenenanalysen auftretende Effekt hingegen deutlich geringer ist. Das heißt, der Gender-Pay-Gap kann über die Inklusion von Faktoren wie Alter und Werkgröße zum Teil erklärt werden.230 Ausgehend von diesen Ergebnissen zur Geschlechtervariablen führten Rengers/Velthuis eine stufenweise Untersuchung zur Preisdifferenz zwischen Künstlerinnen und Künstlern durch. Diese Analyse brachte hervor, dass die Preisdifferenz zwischen Werken von                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    

fünf zeigen Künstler/innencharakteristiken (u. a. gender, age, race). Der Preis spiegelt den von Künstler/innen angestrebten Verkaufspreis wieder (vgl. Savolainen (2006), S. 86). Vgl. ebd. Wird die Variable konstant gehalten, verringert sich der Preis bei Frauen um rund 550 US-Dollar im Gesamtsample. Savolainen führt diese Differenz auf den Fakt zurück, dass 61 % der als figurativ oder realistisch klassifizierten Gemälden von Künstlern produziert wurden (vgl. ebd.). Vgl. ebd., S. 94. Vgl. Van den Bosch (1998). Vgl. Beckert/Rössel (2004), S. 12. Rengers/Velthuis analysieren Determinanten von Preisen zeitgenössischer Kunst in niederländischen Galerien anhand von Mehrebenenanalysen (vgl. Rengers/Velthuis [2002]). In ihrer Untersuchung beziehen sie sich auf drei Untersuchungsebenen: (1) das Kunstwerk (size, material), den/die Künstler/in (age, sex, place of residence, institutional recognition sowie die Galerievertretung (location, institutional affiliation, age) (vgl. ebd). Vgl. ebd., Fn. 17.

223 224

225 226 227 228 229

230

 

G ESCHLECHTERSTRUKTUREN AN DER S PITZE DES K UNSTFELDS

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Künstlerinnen und Künstlern 231 Euro beträgt, eine Inklusion von Dummies für das Jahr und das Medium erhöhte den Gender Gap auf 270 Euro. Die weitere Inklusion der Größe (-27 Euro), des Wohnorts (-8 Euro) und vor allem des Alters (-54 Euro) wie der Karrierecharakteristiken (-36 Euro) lassen den Gender-Pay-Gap auf 144 Euro sinken. Ein Ergebnis, das die zuvor berichtete Differenz sichtbar verringert.231 Ein insbesondere in Bezug auf das Spitzenfeld interessanter Schluss geht aus der Untersuchung von Larissa Buchholz zu den globalen Regeln der Kunst. Laut ihren Berechnungen nehmen Künstlerinnen im autonomen Kunstfeld 30 % der Positionen ein; im semi-autonomen wie heteronomen Feld weisen sie mit 4 % bzw. 5 % einen erkennbar geringeren Anteil auf. Die hier sichtbare stärkere Inklusion von Künstlerinnen am autonomen Pol führt Buchholz auch auf eine Erklärung Bourdieus zurück, wonach die Einnahme häretischer Positionen an ebendiesem deutlich einfacher ist, als hin zum heteronomen Pol.232 In eine ähnliche Richtung zielt auch die im Folgenden durchgeführte Untersuchung. Die Frage, inwiefern auf dem Tertiärmarkt erlangte Preise von Künstler/innen über im Feld erworbenes symbolisches Kapital erklärt werden können und in welcher Hinsicht hier eine Geschlechterdifferenz besteht, ist dabei zentral. An die Ergebnisse anknüpfend wird dieses Thema mittels verschiedener Regressionsanalysen im folgenden Kapitel weiter diskutiert. In den oben vorgestellten Untersuchungen zeigte sich eine präferierte Analyse des Geschlechtereffekts auf nationalen oder lokalen Kunstmärkten – zu einem internationalen Spitzenfeld liegen hingegen vergleichsweise wenige Daten vor. Die folgenden Ausführungen zielen nun darauf, Fragen auf ebendieser Ebene zu klären. Die Zahlen beziehen sich dabei nicht primär auf Künstler/innen des Auktionsmarkts, sondern stützen sich auf solche, die über ein besonders hohes Kapital am kulturellen Pol des Feldes verfügen. Die Top 500 Positionen des bereits in den vorhergehenden Kapiteln verwendeten ArtFacts-Samples wurden dafür um die von diesen Künstler/innen jeweils bis zum April 2010 erzielten höchsten Zuschlagspreise nach Artprice.com erweitert. Tabelle 16 zeigt den Mittel-, Minimal- wie Maximalwert der Variablen Geburtsjahr und symbolisches Kapital (Punktwertung in ArtFacts.Net 04/2010) sowie ökonomisches Kapital (max. Zuschlagspreis laut Artprice 04/2010), unterschieden nach Künstlerinnen und Künstlern. Ersichtlich wird die starke Abweichung des Mittelwerts des Geburtsjahrs zwischen den beiden Gruppen – liegt der Wert für Künstlerinnen im Jahr 1952, handelt es sich bei den Kollegen um das Jahr 1935. Der Mittelwert des gesamten Samples findet sich mit dem Jahr 1939 relativ dicht an dem Wert der Künstler, was sich insbesondere durch die numerische Stärke letzterer erklären lässt. Unterscheidet sich der Maximalwert in beiden Gruppen kaum (1978/1977), zeigt sich im Minimalwert eine erneute Differenz: Bei den Künstlerinnen liegt dieser im Jahr 1867, bei den Künstlern im Jahr 1830. Zum Vorschein kommt hier die bereits diskutierte späte Öffnung des Feldes für professionell agierende Künstlerinnen überhaupt. Bezüglich des symbolischen Kapitals ist eine lediglich leichte Asymmetrie des Mittelwerts zu erkennen, für die Künstlerinnen liegt dieser bei rund 79.000 Punkten, für die männlichen Kollegen ist er mit rund 89.000 Punkten angegeben. Der Wert aller Künstler/innen findet sich auch hier nahe an der Gruppe der Künstler. An                                                                                                                                                                            

231 Vgl. Rengers/Velthuis (2002), Fn. 17. 232 Vgl. Buchholz (2013), S. 170.

 

212 | K UNST UND G ENDER

gesichts der Spannbreite der angegeben Minimal- und Maximalwerte zwischen rund 45 und 590 Tausend Punkten erscheint die Differenz verhältnismäßig gering.   Tabelle 16: Geburtsjahr, Punkte und Zuschlagspreise der Top 500 Künstler/innen des internationalen Kunstfelds (Datenquellen: ArtFacts.Net 04/2010 und Artprice.com 04/2010)  

n  

Mean  

Min.  

Max.  

 

 

 

 

Künstlerinnen  

97  

1952  

1867  

1978  

Künstler  

416  

1935  

1830  

1977  

Alle  

513  

1939  

1830  

1978  

Geburtsjahr  

Symbolisches  Kapital   (Punkte  2010)1   Künstlerinnen  

 

 

 

 

97  

78.717  

44.622  

244.074  

Künstler  

417  

89.474  

44.528  

585.374  

Alle    

514  

87.444  

44.528  

585.374  

Ökonomisches  Kapital   (Max.  Zuschlagspreis    in   Euro)2   Künstlerinnen  

 

 

 

 

92  

418.748  

0,0  

6.272.411  

Künstler  

405  

3.962.343  

0,0  

76.929.600  

Alle  

497  

3.306.386  

0,0  

76.929.600  

1 Nach ArtFacts.Net 04/2010. 2 Nach Artprice.com 04/2010.

Unterscheidet sich der Minimalwert der beiden Gruppen kaum, zeigt der Maximalwert eine erstaunliche Diskrepanz: Der Wert der Künstler ist gegenüber dem der Künstlerinnen mehr als doppelt so hoch. Entsprechend der Ausführungen im Generationenkapitel kommt dieser hohe Wert maßgeblich über die enormen Bewertungen von Ausnahmekünstlern – im Speziellen Andy Warhol und Pablo Picasso – zustande. Die größte Differenz allerdings besteht zwischen den Beträgen des ökonomischen Kapitals: Liegt der Mittelwert der Künstlerinnen des max. erzielten Zuschlagspreises hier bei rund 419.000 Euro, setzt er bei den Kollegen um ein vielfaches höher an, bei rund 4 Mio. Euro. Der Maximalwert umfasst bei den Künstlerinnen rund 6,3 Mio. Euro, bei den Künstlern rund 76,9 Mio. Euro. Die in der Tabelle aufgezeigten Daten verzeichnen somit eine starke Differenz in der Preiserzielung nach Geschlecht. Dabei ist davon auszugehen, dass das Geburtsjahr – das im Mittel bei Künstlerinnen ca. 16 Jahre später liegt als bei den männlichen Kollegen – die Erzielung von Höchstpreisen beeinflusst. Ferner fällt die Geschlechterasymmetrie am autonomen Pol des Feldes (gemessen anhand des symbolischen Kapitals) sichtlich geringer aus als an dessen heteronomen Pol (gemessen anhand des ökonomischen Kapitals).

 

G ESCHLECHTERSTRUKTUREN AN DER S PITZE DES K UNSTFELDS

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Die Darstellung des Zusammenhangs des höchsten erzielten Zuschlagspreises und des Geburtsjahrs nach Geschlecht in Abbildung 8 sowie in Abbildung 9 anhand von Streudiagrammen ist im Anschluss an obige Zahlen in verschiedenen Hinsichten relevant: Zu erkennen ist in Abbildung 8 ein leichter negativer Zusammenhang zwischen der Höhe erzielter Zuschlagspreise und dem Geburtsjahr von Künstler/innen. Die Berechnung der Pearson-Korrelation ergibt den Koeffizienten r = -0,56 (n = 496); für das Sample der Künstler (n = 404) erscheint der gleiche Wert. Damit zeichnet sich für beide Berechnungen die Tendenz ab, umso später das Geburtsjahr liegt, desto geringer ist die Chance auf die Erzielung sehr hoher Zuschlagspreise. Für Künstlerinnen gilt dies nicht in gleichem Maße, der Pearson-Koeffizient weist hier einen leicht geringeren Wert von -0,49 auf (n = 92). Eine Erklärung dieses schwächeren Zusammenhangs findet sich in den weniger im hochpreisigen Extrembereich angesiedelten Preisen der Frauen. Anschaulich wird dies im folgenden Diagramm in der Distanz zwischen Pablo Picasso und Georgia O’Keeffe. Des Weiteren liegen die Geburtsjahre der Top 500 Künstlerinnen (mit Ausnahme von Käthe Kollwitz und Georgia O’Keeffe) alle nach dem Jahr 1900. Diesem Segment zugehörige Frauen bewegen sich also in Bezug auf den höchsten erzielten Zuschlagspreis sowie hinsichtlich des Geburtsjahrs in einem gegenüber ihren Kollegen deutlich eingeschränkten Bereich. Abbildung 8: Top 500 Künstler/innen des symbolischen Pols des Kunstfelds nach Geburtsjahr und höchstem erzielten Zuschlagspreis (n = 496, Pearson-Korrelation r = -0,56) (Datenquellen: ArtFacts.Net 04/2010 und Artprice.com 04/2010)*

*Namentliche Nennung der Künstlerin und des Künstlers mit höchstem Zuschlagspreis je Jahrzehnt (Geburtsjahr).

 

214 | K UNST UND G ENDER

Abbildung 9: Top 500 Künstler/innen des symbolischen Pols des Kunstfelds nach Geburtsjahr und höchstem erzielten Zuschlagspreis < 8 Mio (n = 443, PearsonKorrelation r = -0,44) (Datenquellen: ArtFacts.Net 04/2010 und Artprice.com 04/2010)*

*Namentliche Nennung der Künstlerin und des Künstlers mit höchstem Zuschlagspreis je Jahrzehnt (Geburtsjahr).

In Abbildung 9 wurde der betrachtete Raum insofern eingegrenzt, als lediglich diejenigen Künstler/innen Beachtung fanden, deren höchster Zuschlagspreis unter acht Millionen Euro liegt. In dieser vergrößerten Anschauung werden diejenigen Künstlerinnen wie Künstler sichtbar – vor allem rechts unten platziert – die über ein hohes symbolisches Kapital verfügen, aber nicht gleichermaßen sehr hohe Gewinne auf ökonomischer Ebene erzielen. Der vergleichsweise hohe Künstlerinnenanteil in diesem Segment lässt sich mittels der roten Markierungen deutlich erkennen. Die Pearson-Korrelation für den Zusammenhang von Geburtsjahr und ökonomischem Kapital liegt für dieses Sample insgesamt bei -0,44 (n = 443), wobei der Wert gegenüber Ersterem bei den Künstlerinnen erwartungsgemäß mit -0,49 (n = 92) konstant bleibt, für die Künstler aber deutlich sinkt – er liegt bei -0,41 (n = 351). Für die Frauen zeigt sich hier sogar ein stärkerer Zusammenhang als für die Männer, begünstigt durch die Exklusion der männlichen Superstars und Betonung des weiblichen Staräquivalents Georgia O’Keeffe. Hervorzuheben ist der Einfluss der wenigen männlichen Starkünstler, die in der zuvor beschriebenen Geschlechterdifferenzierung des gesamten Samples einen deutlichen Effekt hinsichtlich des Zusammenhangs von Geburtsjahr und der Höhe erzielter Zuschlagspreise verursachen; deren Ausschluss hingegen ein verändertes Bild bewirkt, wonach der Zusammenhang für die männliche Gruppe sichtbar sinkt. In Abbildung 8 wird dies besonders deutlich, wenn mit Ausnahme von

 

G ESCHLECHTERSTRUKTUREN AN DER S PITZE DES K UNSTFELDS

| 215

Andy Warhol, Francis Bacon und Marc Rothko (letzterer ist nicht namentlich in der Abbildung hervorgehoben, seine Position ist aber durch die Markierung in unmittelbarer Nähe zu ersteren beiden dargestellt) eine deutliche Überzahl an vor dem Jahr 1900 geborenen Künstlern der Top-Spitze angehören. Georgia O’Keeffe und Käthe Kollwitz sind ebenfalls diesen frühen Geburtsjahrgängen zuzurechnen, lediglich erstere erzielt aber auch ein vergleichsweise hohes ökonomisches Kapital (wobei auch sie sich auf das gesamte Sample bezogen am unteren Rand der Abbildung bewegt). In der Differenz zwischen Pablo Picasso (als Künstler der den höchsten Zuschlagspreis insgesamt erzielt) und Georgia O’Keeffe (die die höchste Wertung aller Künstlerinnen erfährt) ist dabei offenkundig, inwiefern Künstlerinnen im Hinblick auf die Erzielung von Höchstpreisen als „abgehängt“ bezeichnet werden können. Weitere Einsichten bietet die Darstellung der Verteilung der Künstlerinnen und Künstler in den verschiedenen Zuschlagspreissegmenten in Tabelle 17. Die höchste Kategorie weist hier Preise von über 50 Mio. Euro auf, die niedrigste Kategorie Preise bis zu 1 Mio. Euro. Deutlich bleibt zwar der Ausschluss der Künstlerinnen in ersterer Kategorie, bezeichnend ist aber auch, dass Positionen in diesem höchsten Segment lediglich von einem Prozent aller unter der Top 500 gelisteten Künstler/innen eingenommen werden. Es handelt sich, wie teilweise im Streudiagramm namentlich benannt, um Pablo Picasso, Paul Cézanne, Vincent van Gogh, Pierre-Auguste Renoir und Gustav Klimt. Diesen fünf Künstlern kann ein besonders hohes Kapital auf dem ökonomischen sowie dem symbolischen Markt zugesprochen werden, wobei alle vor dem Jahr 1900 geboren sind. Die Exklusion der Künstlerinnen in dieser Spitzenkategorie ist auch im Zusammenhang mit der ausschließlichen Präsenz von Künstler/innen der arrivierten Avantgarden zu betrachten, welcher im offiziellen kunsthistorischen Kanon kaum Frauen angehören (siehe dazu Kapitel 4.2.2).  

Tabelle 17: Maximal erzielte Zuschlagspreise auf dem Tertiärmarkt der Top 500 Künstler/innen am symbolischen Pol des internationalen Kunstfelds (Datenquellen: Artprice 04/2010 und ArtFacts.Net 04/2010)   Max.  Zuschlags-­‐ preis   (in  Mio.  Euro)  

Künstler   n  

Künstlerinnen  

%  

n  

Alle  

%  

n  

%  

>  50  

5  

1,0  

-­‐  

-­‐  

5  

1,0  

>  10  bis  50  

41  

8,3  

-­‐  

-­‐  

41  

8,3  

>1  bis  10  

88  

17,7  

8  

1,6  

96  

19,3  

bis  1    

271  

54,5  

84  

16,9  

355  

71,4  

Gesamt  

405  

81,5  

92  

18,5  

497  

100,0    

 

Die Kategorie „> 10 Mio. bis 50 Mio. Euro“ umfasst 8,3 % aller Künstler/innen der Top 500 Positionen. Am unteren Ende dieses Segments finden sich dabei einige Künstler jüngeren Geburtsjahres – im Einzelnen handelt es sich um Jasper Johns (1930), Gerhard Richter (1932), Bruce Naumann (1941), Jeff Koons (1955) sowie

 

216 | K UNST UND G ENDER

Damien Hirst (1965). Daraus geht hervor, dass die Möglichkeit eine symbolisch wie ökonomisch privilegierte Position einzunehmen für nach dem Jahr 1930 geborene Künstler/innen lediglich für Künstler besteht – weder Cindy Sherman, noch Yayoi Kusama oder Marlene Dumas gelingt dies. Kann somit die Exklusion von Künstlerinnen zwar in weiten Teilen über einen Generationeneffekt erklärt werden, bleibt eine Gruppe jüngerer Künstler davon unberührt. Selbst Sherman, zuvor als Ausnahmekünstlerin bezeichnet, die sich in vielerlei Hinsichten auch gegen männliche Kollegen ihrer Generation durchsetzt, ist auf ökonomischer Ebene dominiert. Aus der Tabelle geht des Weiteren hervor, dass es acht Künstlerinnen gelingt in das Segment „> 1 Mio. bis 10 Mio. Euro“ vorzudringen. Bei diesen Künstlerinnen handelt es sich um Georgia O’Keeffe (1878), Agnes Martin (1912), Louise Bourgeois (1911), Yayoi Kusama (1929), Bridget Riley (1931), Eva Hesse (1936), Marlene Dumas (1953) und Cindy Sherman (1954). Sichtbar ist auch in diesem Segment, das 88 Künstler aufweist, die vergleichsweise starke Repräsentation an männlichen Kollegen. Dass es sich bei den bis hier genannten Künstler/innen um ein absolutes Spitzensegment handelt, zeigen auch Kräussl/Lehnert/Martelin; sie legen dar, dass lediglich 1 % aller auf dem Tertiärmarkt zwischen dem Jahr 1970 und dem Jahr 2013 verkauften Werke den Wert von 1 Mio. US-Dollar überschritten haben.233 In Tabelle 18 zeigt sich in der Darlegung der Verteilung innerhalb der beiden Kategorien Künstlerinnen und Künstler, eine sichtbar breitere Streuung der erzielten Preise unter den Künstlern, als dies bei den Künstlerinnen der Fall ist: 91,3 % der Künstlerinnen insgesamt finden sich in der niedrigsten Kategorie von bis zu 1 Mio. Euro, nunmehr 8,7 % gelingt eine Positionierung in der nächst höheren Kategorie zwischen > 1 Mio. Euro bis 10 Mio. Euro. Tabelle 18: Maximal erzielte Höhe von Zuschlagspreisen (Tertiärmarkt) der Top 500 Künstler und Künstlerinnen am symbolischen Pol des internationalen Kunstfelds (Datenquellen: Artprice.com 04/2010 und ArtFacts.Net 04/2010) Max.  Zuschlags-­‐ preis   (in  Mio.  Euro)  

Künstler   n  

Künstlerinnen   %  

n  

%  

>  50  

5  

1,2  

-­‐  

-­‐  

>  10  bis  50  

41  

10,1  

-­‐  

-­‐  

>1  bis  10  

88  

21,7  

8  

8,7  

bis  1    

271  

66,9  

84  

91,3  

Gesamt  

405  

100,0*  

92  

100,0  

*Rundungsbedingt (nach SPSS) fehlen 0,1 %.

Innerhalb der Kategorie Künstler sind demgegenüber deutlich weniger Akteure der niedrigsten Ebene zuzurechnen, lediglich 66,9 % befinden sich in diesem Segment.                                                                                                                                                                            

233 Vgl. Kräussl/Lehnert/Martelin (2014), S. 3.

 

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Erweist sich die Ebene von über 50 Mio. Euro als Ausnahme (mit lediglich 1,2 %), ist eine sichtbare Präsenz von Künstlern auch auf den beiden mittleren Ebenen mit 10,1 % (> 10 bis 50 Mio. Euro) bzw. 21,7 % (>1 bis 10 Mio. Euro) zu verzeichnen. Folgende Ergebnisse lassen sich aus diesem Kapitel zusammenfassen: Es besteht ein Zusammenhang zwischen dem Geschlecht von Künstlerinnen und der Erzielung von Zuschlagspreisen insofern, als Künstlerinnen von den hochpreisigen Segmenten des tertiären Kunstmarkts über 10 Mio. Euro einen Ausschluss erfahren. Gleichzeitig wird über die Integration des Geburtsjahres in die Untersuchung in Abbildung 8 sichtbar, dass teilweise ein Generationeneffekt vorliegt, der zur Exklusion bzw. Obstruktion von Künstlerinnen beiträgt. Hier kann nicht ausschließlich von einem Geschlechtereffekt die Rede sein, es handelt sich mindestens um eine Verschränkung von Geschlecht, Geburtsjahr und ökonomischem Kapital (höchster erzielter Zuschlagspreis). Als wesentliches Ergebnis zeigt sich ferner, dass es einigen jüngeren Künstlern (nach 1930 geboren) mit einer hohen Bewertung auf symbolischer Ebene gelingt, auch ein vergleichsweise sehr hohes ökonomisches Kapital aufzuweisen. Künstlerinnen dieser Generationen erlangen einen solchen doppelten Erfolg nicht. Die Spitze des Feldes weist somit neben einer Exklusion auf symbolischer Ebene im Speziellen auch eine im Bereich des ökonomischen Kapitals auf – in der Distanz zwischen Pablo Picasso und Georgia O’Keeffe wurde dies besonders deutlich. Darüber hinaus konnte auf eine mit sinkendem Zuschlagspreis abgeschwächte geschlechtliche Differenz hingewiesen werden – das Geschlecht der Akteur/innen spielt auf der Ebene der Zuschläge von unter 1 Mio. Euro eine sichtlich geringere Rolle als in den sehr hochpreisigen Segmenten des Markts; deutlich wurde nichtsdestotrotz die Differenz auf numerischer Ebene. Inwiefern sich innerhalb von nur vier Jahren das Bild veränderte, wurde an den eingangs angeführten Zahlen nachgezeichnet. Erzielten Georgia O’Keeffe, Joan Mitchell und Louise Bourgeois seit der Erhebung im Jahr 2010 neue Rekorde und konnte das höchste Gebot aus dem Jahr 2010 (6,3 Mio. Euro) mit 44,4 Mio. US-Dollar (35,5 Mio. Euro/O’Keeffe) deutlich und mehrmals überboten werden, bewegte sich der Markt auch bei den männlichen Kollegen. Der Höchstzuschlag von 76,9 Mio. Euro (Picasso) im Sample aus dem Jahr 2010, liegt vier Jahre später mit Bacon bei 106 Mio. Euro (142,2 Mio. US-Dollar), fünf Jahre darauf mit dem Verkauf eines Werks von Pablo Picasso bereits bei 179.4 Mio USDollar. Damit wird sichtbar, dass zwar neue Höchstpreise von Künstlerinnen erzielt werden, sich die Distanz zu den führenden männlichen Kollegen aber kaum zu verringern scheint. Als wesentliches Ergebnis gilt es schließlich zu betonen, dass in Bezug auf die Bedeutung von Geschlecht für die Einnahme von Positionen ein offenbarer Unterschied zwischen dem symbolischen und dem ökonomischen Pol des Feldes besteht. Künstlerinnen gelingt es in Ersterem deutlich einfacher an die Spitzen zu gelangen, als dies für Letzteren gilt. Dies entspricht auch dem Ergebnis der Untersuchung von Larissa Buchholz aus dem Jahr 2013, die dieses Phänomen anhand eines Samples von rund 200 Positionen erkennt und (wie eingangs eingeführt) über die vereinfachte Möglichkeit der Einnahme häretischer Positionen am autonomen Pol des Feldes erklärt.234 Im Anschluss an die theoretischen Ausführungen in Kapitel 3 kann diese Erklärung noch weiter spezifiziert werden: Die von Künstlerinnen erfah                                                                                                                                                                            

234 Vgl. Buchholz (2013), S. 170.

 

218 | K UNST UND G ENDER

rene geringere Exklusion am autonomen Pol des Kunstfelds gegenüber dem ökonomischen Pol, kann u. a. auf die stärkere relative Dominiertheit des symbolischen Pols gegenüber letzterem im sozialen Raum sowie im Kunstfeld zurückgeführt werden – und damit zusammenhängend auch auf die Prädisposition von Frauen für die Einnahme von Positionen an diesem dominierten Pol des Sozialraums. Sind Kunstmarktpositionen stärker in Richtung des ökonomischen Pols des Kunstfelds situiert, Ausstellungspositionen hingegen stärker am kulturellen Pol des Feldes verortet, zeigt sich eine entsprechend unterschiedliche Beeinflussung der Positionseinnahme nach Geschlecht an den beiden Polen. Dieser Zusammenhang wird an späterer Stelle anhand der Ausweitung der betrachteten Akteursgruppen (u. a. auf Museumsdirektor/innen und Galerist/innen) erneut und vertiefend behandelt. Dass der aufgezeigte Zusammenhang zwischen dem Geschlecht von Künstler/innen und der Einnahme von Positionen am symbolischen wie ökonomischen Pol des Feldes durchaus einer differenzierten Betrachtung bedarf und inwiefern er auch regressionsanalytisch Bestätigung findet, wird im folgenden Kapitel diskutiert. 4.2.5 Der geringe Einfluss von Geschlecht in der regressionsanalytischen Betrachtung In den vorangegangenen Analysen manifestierten sich verschiedene Ebenen der Geschlechterungleichheit in der Besetzung von Spitzenpositionen im Kunstfeld. Es zeigte sich eine deutliche numerische Unterrepräsentation von Künstlerinnen gegenüber ihren männlichen Kollegen und die Unterteilung des Untersuchungsraums in drei Exklusionskategorien, die eine jeweils heterogene Struktur in Bezug auf Geschlecht aufweisen, erwies sich als aufschlussreich. Das Geburtsjahr konnte als starker Indikator nach Geschlecht hervorgehoben werden, wonach dieses in den jüngeren Kohorten für die Einnahme von Positionen sichtbar an Bedeutung verliert. Die geografische Herkunft stellte sich insofern als wesentlich heraus, als eine Exklusion von Künstlerinnen aus den Staaten des Zentrums des Feldes in stärkerem Maße vorliegt, als dies für diejenigen aus den peripheren Regionen gilt. Und, Künstlerinnen ist es nach wie vor nicht möglich, ein ihren männlichen Kollegen vergleichbares sehr hohes ökonomisches Kapital auf dem Tertiärmarkt zu erzielen; die ökonomische Spitze wird von einem kleinen Zirkel männlicher Starkünstler exklusiv vertreten. Dieser Fokussierung einzelner Aspekte geschlechtlicher Differenzierung, folgt nun die Frage, inwiefern sich ein Zusammenhang von Geschlecht und symbolischem wie ökonomischem Kapital für die Einnahme von Spitzenpositionen auch in einer Regressionsanalyse bestätigt. Dabei findet der Generationeneffekt anhand der Aufnahme des Geburtsjahrs ebenfalls Beachtung. Die folgenden Nullhypothesen liegen der Analyse zugrunde: (1) Das Geschlecht von Künstler/innen sowie deren Geburtsjahr und das von diesen erzielte ökonomische Kapital auf dem Tertiärmarkt zeigen keinen Zusammenhang mit der Höhe des von diesen Künstler/innen erzielten symbolischen Kapitals. (2) Das Geschlecht von Künstler/innen sowie deren Geburtsjahr und deren symbolisches Kapital im Kunstfeld weisen keinen Zusammenhang mit der Höhe des von diesen Künstler/innen erzielten ökonomischen Kapitals auf dem Tertiärmarkt auf.

 

G ESCHLECHTERSTRUKTUREN AN DER S PITZE DES K UNSTFELDS

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Geprüft werden Zusammenhänge zwischen den abhängigen und unabhängigen Variablen durch sequentielle multiple Regressionsanalysen.235 Als Zielvariable diente die Position nach symbolischem Kapital der Künstler/innen entsprechend der Punktewertung von ArtFacts.Net im April 2010 sowie die Position nach ökonomischem Kapital, anhand der von den Künstler/innen jeweils erzielten höchsten Zuschlagspreise auf dem Tertiärmarkt (nach Artprice.com im April 2010). Als Prädiktoren wurden Geschlecht, Geburtsjahr sowie der von den Künstler/innen bis zum Jahr 2010 jeweils erzielte höchste Zuschlagspreis bzw. die erzielte Punktwertung nach ArtFacts.Net herangezogen.236 Die Analysen basieren auf einem Sample, das die auf den 500 führenden Rängen nach ArtFacts.Net gelisteten Künstler/innen umfasst. Für diesen Bereich des Datensatzes wurden die von den Künstler/innen auf dem Tertiärmarkt jeweils erzielten höchsten Zuschlagspreise anhand von Artprice.com ermittelt und als weitere Variable zugefügt (n = 496). Teiluntersuchungen wurden für den Bereich der Top 100 (n = 102) vorgenommen sowie mit dem gesamten Datensatz (n = 2612) durchgeführt.237 Wie aus Tabelle 19 sowie aus Tabelle 20 hervorgeht, zeigt Geschlecht als Prädiktor in der vorgenommenen regressionsanalytischen Betrachtung einen schwachen Effekt auf die Position der Künstler/innen nach symbolischem wie ökonomischem Kapital. In Tabelle 19 (Modell 1 zum symbolischen Pol) beläuft sich der Effekt von Geschlecht auf 0,3 % der erklärten Varianz.238 Das Geburtsjahr (Aufnahme in Modell 2 zum symbolischen Pol) weist zwar eine hohe Signifikanz, aber ebenfalls nur einen geringen Effekt mit einem R2 -Wert von 2,9 % auf. Die Aufnahme des Zuschlagspreises in Modell 3 (zum symbolischen Pol des Feldes) geht mit einem Signifikanzverlust der Variable Geburtsjahr einher.239 Der höchste erzielte Zuschlagspreis erweist sich als hoch signifikanter Prädiktor (Tabelle 19/Modell 3). Un                                                                                                                                                                            

235 Die in Form einer sequentiellen multiplen linearen Regression durchgeführte Analyse diente dabei als ein statistisches Verfahren der Schätzung von Einflusseffekten der im Modell aufgenommenen Variablen und deren Beziehungen zueinander (siehe dazu auch Urban/Mayerl [2011], S. 41). 236 Die Daten wurden auf Linearität, Kollinearität, Normalverteilung der Residuen sowie Homoskedastie geprüft und ergaben, dass die Voraussetzungen für die Anwendung einer linearen Regression gegeben sind. Die bei einer Vollerhebung insbesondere zu berücksichtigende Normalverteilung (siehe dazu Broscheid/Gschwend [2003]) wurde u. a. über ein Normalverteilungsstreudiagramm untersucht. Zwar sind die Residuen nicht perfekt normalverteilt, aber nahe an der Diagonalen – somit kann von einer annähernden Normalverteilung die Rede sein (geprüft für symbolisches Kapital [Punktwertung] wie ökonomisches Kapital [max. Zuschlagspreis] als abhängige Variablen, bei ersterer liegt eine leicht linksschiefe Verteilung im Histogramm vor, bei letzterer eine leicht rechtsschiefe Verteilung). Dass lineare Regressionen auch für Vollerhebungen ein geeignetes Analyseinstrument bilden, demonstrieren Broscheid/Gschwend (2005). 237 Letztere umfassen nicht die Variable „Max. Zuschlagspreis“. 238 Der Vergleich des Ergebnisses mit dem R2-Wert im gesamten Datensatz der führenden 2500 Künstler/innen zeigt einen lediglich minimal höheren Wert von 0,5 %. Das heißt, auch an dieser Stelle findet sich kein aussagekräftiger Einfluss der Geschlechtervariablen auf die Positionen von Künstler/innen am symbolischen Pol des Kunstfelds. 239 Es ist von einer Kollinearität des Geburtsjahres mit dem Zuschlagspreis auszugehen.

 

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ter Hinzunahme dieser Variable erfährt das R2 eine Steigerung der Erklärungskraft auf 14,4 %. Das heißt 14,4 % der Einnahme von Positionen nach symbolischem Kapital können in diesem Sample über die Variablen Geschlecht, Geburtsjahr und Zuschlagspreis erklärt werden; 11,5 % der Erklärungskraft ist dem Zuschlagspreis als stärkstem Prädiktor zuzusprechen.240 Tabelle 19: Geschlecht, Geburtsjahr und ökonomische Anerkennung (max. Zuschlagspreis Tertiärmarkt) von Künstler/innen als Determinanten der Position im internationalen Spitzenfeld der Kunst nach symbolischem Kapital1 (Datenquellen: ArtFacts.Net 04/2010 und Artprice.com 04/2010)2    

Modell  1  

Modell  2  

β  

t  

β  

Geschlecht  

0,074  

1,647  

0,039  

Geburtsjahr  

 

 

-­‐0,170  

Zuschlagspreis  

 

 

2  

R (Adj.)   N  

0,003   496  

   

Modell  3   t  

         0,868  

β  

t  

0,025  

             0,584  

 -­‐3,766***  

0,058  

1,142  

 

 

0,412  

8,204***  

0,029  

 

0,144  

 

496  

 

496  

 

Angegeben sind die standardisierten beta-Regressionskoeffizienten sowie die t-Werte. *p