Die Abguss-Sammlungen von Düsseldorf und Göttingen im 18. Jahrhundert: Zur Rezeption antiker Kunst zwischen Absolutismus und Aufklärung 9783110616200, 9783110609493

In the 18th century, the first princely collection and the first university collection of plaster casts of ancient sculp

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German Pages 399 [400] Year 2019

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Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Einführung
Teil I: Die Sammlung von Antiken-Abgüssen am Hofe des Kurfürsten Johann Wilhelm von der Pfalz (1658/1679–1716) in Düsseldorf. Ihre Entstehung und Bedeutung
1. Einleitung
2. Zur Person: Johann Wilhelm von der Pfalz
3. Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm
4. Der Antikensaal unter Kurfürst Carl Theodor und das weitere Schicksal der Sammlung
5. Der Torso vom Belvedere und der Marsyas Medici im Mannheimer Antikensaal
6. Zur Sammlung von Gipsabgüssen an der Düsseldorfer Kunstakademie unter Lambert Krahe (1712–1790) und zur Rückforderung von Antikenabgüssen aus Mannheim
Teil II: Die Sammlung historischer Gipsabgüsse nach Antiken an der Universität Göttingen unter Christian Gottlob Heyne (1729–1812)
1 Einleitung
2. Der Aufbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob Heyne
3. Heynes Vorlesungen – Einbeziehung der Gipsabguss-Sammlung
Schlussbetrachtung
Anhang
Abkürzungs- und Literaturverzeichnis
Abbildungsnachweise
Personenregister
Sachregister
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Die Abguss-Sammlungen von Düsseldorf und Göttingen im 18. Jahrhundert: Zur Rezeption antiker Kunst zwischen Absolutismus und Aufklärung
 9783110616200, 9783110609493

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Ellen Suchezky Die Abguss-Sammlungen von Düsseldorf und Göttingen im 18. Jahrhundert

Ellen Suchezky

Die Abguss-Sammlungen von Düsseldorf und Göttingen im 18. Jahrhundert

Zur Rezeption antiker Kunst zwischen Absolutismus und Aufklärung

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungsfonds Wissenschaft der VG WORT.

ISBN 978-3-11-060949-3 e-ISBN (PDF) 978-3-11-061620-0 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-061605-7 Library of Congress Control Number: 2019935091 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Coverabbildung: Jan Frans van Douven, Doppelbildnis Johann Wilhelm von der Pfalz und Anna Maria Luisa de’ Medici, 1708, Florenz, Galleria degli Uffizi. Mit Genehmigung des Ministero per i beni e le attività culturali. Reproduktion und Vervielfältigung untersagt. Satz: Meta Systems Publishing & Printservices GmbH, Wustermark Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Vorwort Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um meine Dissertation, die ich im Sommersemester 2016 bei der Philosophischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg unter dem Titel „Zwischen Repräsentation und Gelehrsamkeit. Düsseldorf und Göttingen: Zwei Abguss-Sammlungen nach Antiken im 18. Jahrhundert“ eingereicht habe. Mein herzlicher Dank gilt Reinhard Stupperich und Caterina Maderna, die meine Dissertation betreut haben. Danken möchte ich Reinhard Stupperich, der mein Anliegen einer archäologischen Untersuchung auf archivalischer Quellenbasis gleich unterstützt hat, auch für Anregungen bei der Themenstellung und den Hinweis auf den „ungehobenen Schatz“ der bis dato noch nicht untersuchten Abguss-Sammlung des Kurfürsten Johann Wilhelm von der Pfalz in Düsseldorf. Ich danke meinen Lehrern sowie meinen Kolleginnen und Kollegen am Institut für Klassische Archäologie der Universität Heidelberg für die Gelegenheit zur Diskussion, für Lektorat, kritische Anmerkungen und hilfreiche Hinweise danke ich insbesondere Karin Meese, Nicolas Zenzen und Sarah Herzog. Danken möchte ich auch den zahlreichen Institutionen, die durch die oftmals sehr großzügige Bereitstellung von Bildmaterial für die Veröffentlichung zum Gelingen des Bandes beigetragen haben. Genannt seien an dieser Stelle nur das Archäologische Institut der Universität Göttingen, Glyptothek und Bayerische Staatsgemäldesammlungen in München, die Klassik Stiftung Weimar sowie das Metropolitan Museum of Art in New York (herzlichen Dank an Paul Zanker für die freundliche Vermittlung). Für die Bereitstellung von Abbildungen danke ich außerdem Joachim Raeder, Kiel. Mein großer Dank gilt der VG Wort für die Übernahme des Druckkostenzuschusses sowie der Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg für die Förderung der Publikation durch Erstattung der Kosten für die Bildrechte. Mein besonderer Dank gilt meiner Familie für Unterstützung in jeder Weise und für die unverzichtbaren „Wurzeln und Flügel“. Heidelberg, im Juni 2019

https://doi.org/10.1515/9783110616200-202

Ellen Suchezky

Inhalt Vorwort

V

Einführung

1

Teil I: Die Sammlung von Antiken-Abgüssen am Hofe des Kurfürsten Johann Wilhelm von der Pfalz (1658/1679– 1716) in Düsseldorf. Ihre Entstehung und Bedeutung 1

Einleitung

2 2.1 2.2

Zur Person: Johann Wilhelm von der Pfalz 13 13 Johann Wilhelm als Sammler Der Kurfürst als Auftraggeber und Mäzen: Porträts 17 und Hofkunst

3

Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm 24 24 Johann Wilhelms Resident in Rom: der Conte Fede Die Quellen zum Sammlungsaufbau und zur Rekonstruktion 26 der Bestände 30 Zur Ankunft der ersten Sendung von Abgüssen in Düsseldorf Die Aufstellung der Abgüsse in Düsseldorf – 41 das Galeriegebäude „Zwei kleine Italiener“: Die beiden Statuarii am Hofe 46 des Kurfürsten Zur speziellen Bedeutung der Abguss-Formen für Johann Wilhelm 49 und der repräsentativen Funktion der Sammlung 53 Kaunos und Byblis 53 Fundgeschichte und Verbleib 91 Ikonographische Deutung Die Sammlung Odescalchi (Kunstschätze aus dem Erbe der Königin 100 Christina) Die Trunkene Alte – ein antikes Original in der Düsseldorfer Sammlung 116 Erwerbungsgeschichte 116 Zur Deutung der Trunkenen Alten 132 Weitere Sendungen nach Düsseldorf 143

3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7

3.8 3.9

3.10

9

VIII

Inhalt

4

Der Antikensaal unter Kurfürst Carl Theodor und das weitere Schicksal 152 der Sammlung

5

Der Torso vom Belvedere und der Marsyas Medici im Mannheimer Antikensaal 154

6

Zur Sammlung von Gipsabgüssen an der Düsseldorfer Kunstakademie unter Lambert Krahe (1712–1790) und zur Rückforderung 158 von Antikenabgüssen aus Mannheim

Teil II: Die Sammlung historischer Gipsabgüsse nach Antiken an der Universität Göttingen unter Christian Gottlob Heyne (1729–1812) 1

Einleitung

2

Der Aufbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob 174 Heyne 174 Zur Quellenlage 177 Erwerbungsgeschichte 177 Die ersten Erwerbungen – Die Büsten von Herrenhausen 189 Die Bezugsquellen Zur Rekonstruktion verlorener Bronze-Bildnisse in Herrenhausen 191 mit Hilfe der Abgüsse Die „Faustina“ – ein Abguss einer verlorenen Büste 200 aus Herrenhausen? Zu den Parallelen zwischen Göttingen, Herrenhausen 211 und den Porzellanbüsten der Fürstenberger Manufaktur Zur Auswahl der Herrenhäuser Bildnisse und den Papiermaché-Büsten 219 von Ludwigslust 225 Der Ausbau der Sammlung 228 Der verlorene Abguss des „Schleifers“ 234 Zu den Abgüssen der „Laokoonsöhne“ 246 Der Erwerb der ersten großplastischen Statuen in Abgüssen Zur Praxis der Herstellung von Gipsabgüssen und der besonderen 254 Rolle der Köpfe und Büsten Die Schenkungen aus der Sammlung Wallmoden und die Praxis 258 des Ergänzens 263 Weitere Erwerbungen und Schenkungen 280 Zum System der Erwerbungen und der Aufstellung 280 Die Erwerbungen 286 Die Aufstellung

2.1 2.2 2.2.1

2.2.2

2.2.3

169

Inhalt

3 3.1 3.2 3.3

3.4 3.5

292 Heynes Vorlesungen – Einbeziehung der Gipsabguss-Sammlung 292 Inhalte und Zielsetzung 298 Geschmack und Kennerschaft 301 Zum Aufbau der Vorlesung 303 Kunst und Wissenschaft 304 Einbeziehung und Funktion der Gipsabguss-Sammlung 304 Die Abgüsse als Anschauungsmaterial Die „dekorative“ Funktion der Abgüsse und der Einfluss der schönen 308 Künste 311 Idealplastik und Porträts: „Kunstwerk“ und „Denkmal“ 316 Reproduktionen und „Original“-Debatte 318 Heynes Vorlesungen – Einflüsse und Wirkung 328

Schlussbetrachtung Anhang

IX

333 Anhang zu Teil I (Düsseldorf): Verzeichnisse 333 von Antikenabgüssen Anhang zu Teil II (Göttingen): Katalog der Erwerbungen 336 (chronologisch), Konkordanz

351 Abkürzungs- und Literaturverzeichnis Literaturverzeichnis zu Teil I (Düsseldorf) Literaturverzeichnis zu Teil II (Göttingen) Abbildungsnachweise 383

Personenregister Sachregister

387

381

351 363

Einführung In Düsseldorf und Göttingen entstanden im 18. Jahrhundert die erste fürstliche bzw. die erste universitäre Sammlung von Antikenabgüssen auf deutschem Boden. Beide waren damit auf ihre Weise innovativ und vorbildhaft. Dabei entsprang ihre Gründung gänzlich unterschiedlichen Motiven und bildete sich vor grundlegend anderem Hintergrund heraus. Die Abguss-Sammlung in Düsseldorf entstand zu Beginn des 18. Jahrhunderts auf Initiative des Wittelsbacher Kurfürsten Johann Wilhelm von der Pfalz (1658/ 1679–1716), der bereits als junger Adelsspross auf seiner Grand Tour die großen Fürstenhöfe und deren Kunstsammlungen kennengelernt hatte. Begründer der ersten universitären Abguss-Sammlung in Göttingen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war der Bibliothekar und Philologe Christian Gottlob Heyne (1729–1812). Initiator und Herr der Sammlung waren damit zwei Männer, die schon von ihrer Persönlichkeit und ihrer gesellschaftlichen Stellung her kaum unterschiedlicher hätten sein können: Auf der einen Seite der genussfreudige und kunstsinnige absolutistische Barockfürst Johann Wilhelm, der – auch wegen seiner Volksnähe – in Düsseldorf bis heute unter dem Namen Jan Wellem bekannt ist. Auf der anderen Seite der Philologe Heyne, ein nüchterner Buchgelehrter und fleißiger Publizist, außerdem ein gestrenger, angeblich eifersüchtiger Winckelmann-Kritiker, dem dessen Überschwang und Begeisterungsfähigkeit suspekt waren. Obwohl selbst aus sehr ärmlichen Verhältnissen stammend, war Heyne nicht frei war von Dünkel: Seine archäologischen Vorlesungen richteten sich ausschließlich an „junge Liebhaber (…) von Geburt und von Vermögen“.1 Die Vorlesungen hielt Heyne in der Göttinger Universitätsbibliothek, inmitten der dort aufgestellten Abgüsse. Dagegen waren die Abgüsse am Hofe des Kurfürsten in einem eigenen, an das Düsseldorfer Stadtschloss angeschlossenen Ausstellungsgebäude untergebracht. Der unterschiedliche Kontext und die verschiedene Funktion und Zielsetzung der Abguss-Sammlungen als Lehrbzw. Repräsentationsobjekte bedingten somit auch eine gänzlich unterschiedliche Präsentation und Zugänglichkeit der Sammlungen. Und auch die Bezugswege waren andere: Während der Kurfürst seine Antiken-Abgüsse über einen Residenten direkt aus Italien bezog, war Heyne zum Sammlungsaufbau mehr oder minder auf fahrende Händler angewiesen. Trotz des Strebens nach Monumentalität und Dauerhaftigkeit, erkennbar an Anzahl und Auswahl der Stücke sowie dem gewählten Material, ist von den Abgüssen der Düsseldorfer Sammlung, bedingt durch den historischen und politischen Fortgang der Ereignisse, nichts mehr erhalten. Umso größere Bedeutung kommt daher zur Erforschung der Sammlungsgeschichte der Auswertung der zeitgeschichtlichen Dokumente zu. Berühmtheit erlangte die Sammlung Johann Wilhelms insbesondere

1 Baden 1797, 206. https://doi.org/10.1515/9783110616200-001

2

Einführung

durch ihr Nachleben in Gestalt des Mannheimer Antikensaales, welches bislang weit gründlicher und umfassender untersucht worden ist als ihre Anfänge und frühe Geschichte am Düsseldorfer Hof. Die vorliegende Untersuchung versucht zum einen, die Entstehung der Sammlung in ihren historisch-geistesgeschichtlichen Zusammenhang einzuordnen. Zum anderen soll anhand von zeitgeschichtlichem Quellenmaterial der Aufbau der Sammlung nachgezeichnet werden. Im Rahmen der Rekonstruktion der Bestände soll neben der Auswahl der Stücke auch ein detaillierterer Blick auf die Erwerbungsvorgänge und die Rolle der beteiligten Personen geworfen werden. Einzelne wichtige Stücke bzw. Sammlungskomplexe werden gesondert und eingehender besprochen. Dargestellt werden soll außerdem das weitere Schicksal der Sammlung nach dem Ableben des Kurfürsten. Interessant und lohnend ist eine Untersuchung der Sammlung Johann Wilhelms in Düsseldorf, weil sie zum einen als repräsentativ betrachtet werden kann infolge ihrer Orientierung an den mächtigsten Höfen Europas, zum anderen als ihrerseits wegweisend als eine der ersten großen Antikensammlungen an einem deutschen Hof, deren Unterbringung in einem eigenständigen Galeriegebäude bereits als Vorbote einer Entwicklung vom fürstlichen Privatkabinett hin zum öffentlichen Museum gedeutet werden kann. Sie ist einerseits ein typisches Zeugnis des überindividuellen Repräsentationsbedürfnisses absolutistischer Barockfürsten wie andererseits Ausdruck der persönlichen Sammelleidenschaft Johann Wilhelms, der das Sammeln der Abgüsse als eine, wenn auch wesentliche, Sparte im Kontext weiterer Kunstsammlungen betrieb. Während Düsseldorf bereits in der Tradition höfischer Sammlungen stand, begründete die Göttinger Abguss-Sammlung die nicht nur für den deutschsprachigen Raum neue Tradition der Universitätssammlungen von Antikenabgüssen und war selbst Vorbild für die in der Folgezeit entstehenden Abguss-Sammlungen. Im Gegensatz zur kurfürstlichen Sammlung in Düsseldorf besteht die Göttinger AbgussSammlung bis heute fort, und auch ein größerer Teil der historischen Bestände hat sich bis auf den heutigen Tag erhalten. Diese Sammlung historischer Gipsabgüsse nach Antiken ist Gegenstand des zweiten Teils der vorliegenden Untersuchung. Mit Hilfe zeitgenössischer archivalischer Quellen und anhand der noch vorhandenen Bestände soll die Erwerbungsgeschichte dieser Sammlung unter Christian Gottlob Heyne nachgezeichnet werden. Dabei sollen wiederum auch einzelne spezielle Fälle, d. h. einzelne Abgüsse bzw. Abguss-Serien genauer untersucht werden. Ergänzende Informationen liefert der Vergleich mit parallelen Bildserien anderer Gattungen wie den Porzellanbüsten der Fürstenberger Manufaktur. Anders als in Düsseldorf sind wir in Göttingen genauer über die Aufstellungssystematik der Abgüsse unterrichtet, die daher ebenfalls eingehender untersucht werden soll. Ein weiterer wesentlicher Teil ist den von Heyne gehaltenen archäologischen Vorlesungen, die auch in Form von Hörermitschriften überliefert sind, und der Frage nach der Einbeziehung der Abguss-Sammlung in diesem Rahmen gewidmet. Eine neuerliche

Einführung

3

genaue Betrachtung der Göttinger Sammlung verspricht nicht nur die Klärung bisher nicht oder nicht abschließend geklärter Detailfragen der Sammlungsgeschichte, sondern ist auch interessant aufgrund der konstituierenden Eigenschaft der Sammlung im Hinblick auf die Gattung der universitären Abguss-Sammlungen nach Antiken und ihres diesbezüglichen Modellcharakters. Dabei soll sich durch die Gegenüberstellung der ersten fürstlichen und der ersten universitären Abguss-Sammlung nicht nur jeweils ein Bild mit mehr Tiefenschärfe ergeben, sondern auch die inhaltliche Bedeutung und die große Bandbreite der funktionalen Verwendungsmöglichkeiten beleuchtet werden, die Abguss-Sammlungen von antiker Plastik im 18. Jahrhundert haben konnten. Die vorliegende Untersuchung gliedert sich in zwei Hauptteile. Der erste ist der Sammlung von Antiken-Abgüssen am Hofe des Kurfürsten Johann Wilhelm von der Pfalz in Düsseldorf gewidmet, der zweite Teil befasst sich mit der Sammlung historischer Gipsabgüsse nach Antiken an der Universität Göttingen unter Christian Gottlob Heyne. Da es sich um zwei letztlich eigenständige Forschungsgegenstände handelt, ist nicht nur der Textteil in zwei größere Abschnitte aufgeteilt, sondern – da es darin keine wesentlichen Überschneidungen gibt – auch die Bibliographie. Jedem Teil ist außerdem ein eigener Quellen- bzw. Kataloganhang beigegeben. Außer der vorliegenden Einführung in das Thema soll eine abschließende Schlussbetrachtung noch einmal beide Sammlungen und deren Charakteristika einander gegenüberstellen und die wesentlichsten Ergebnisse zusammenfassen.

Teil I: Die Sammlung von Antiken-Abgüssen am Hofe des Kurfürsten Johann Wilhelm von der Pfalz (1658/1679–1716) in Düsseldorf. Ihre Entstehung und Bedeutung

Indes war es schon ein imposanter Bestand, der im Erdgeschoss des Galerie-Gebäudes Aufnahme gefunden hatte und die Reisenden, wenn auch nicht in demselben Grade wie die Gemälde-Galerie, in Erstaunen setzte. Wenn es heute keine Residenzstadt der Gegenwart oder Vergangenheit, keine Universität, keine Stadt mit einer Kunstakademie, Polytechnikum oder Kunstgewerbeschule gibt, wo man derlei nicht findet, so bot sich hier dem Reisenden zum erstenmal der Anblick einer Sammlung dar, die eine für jene Zeit umfassende, bisher nur aus Büchern und Kupferstichen zu gewinnende Übersicht über die berühmtesten Meisterwerke des Altertums gewährte.1 Theodor Levin

1 Th. Levin, Beiträge zur Geschichte der Kunstbestrebungen in dem Hause Pfalz-Neuburg II. Johann Wilhelm, Beiträge zur Geschichte des Niederrheins 20 = Jahrbuch des Düsseldorfer Geschichtsvereins 1905 (Düsseldorf 1906) = Levin 1906, 165.

1 Einleitung 300 Jahre ist es her, dass Johann Wilhelm von der Pfalz, seines Zeichens Kurfürst in Düsseldorf, in regem Briefwechsel mit seinem Residenten in Rom, dem Conte Antonio Maria de Fede, stand. In Düsseldorf entstand zu dieser Zeit die erste große fürstliche Sammlung von Gipsabgüssen nach den bedeutendsten Antiken auf deutschem Boden, und Fede hatte die Aufgabe, in der alma città entsprechende Abgüsse und weitere Kunstgegenstände für die Sammlungen des rheinischen Kurfürsten aufzutun. Am 3. September 1707 schreibt Johann Wilhelm an den Conte Fede in Rom: Es ist unser Wunsch, die schönsten und berühmtesten antiken Statuen in Abgüssen von Gips oder Stuck von dort zu erhalten, aber in der Grösse der Originale. Wir würden es uns genügen lassen, jedes Jahr drei bis zum Abschluss zu erhalten. Wenn dieser Plan ausführbar ist, wird zunächst eine Persönlichkeit ausfindig zu machen sein, die sich der Ausführung mit Fleiß, Korrektheit und Liebe unterzieht. Das Fertige wäre per Schiff nach Livorno zu schicken. Wir beabsichtigen S. Hoheit den Großherzog (von Toscana, Schwiegervater Johann Wilhelms, Anm. Levin) darum anzugehen, dass er sich des Weitertransports zur See annehme. Zuerst möchten wir, womöglich noch vor Ablauf dieses Jahres, den Hercules Farnese, den Apollo und den Laocoon erhalten. Sehen Sie zu, Ihr Bestes zu tun, um dieser unserer Liebhaberei (curiosità) willfährig zu sein. Jede Sorgfalt, die Sie darauf verwenden, wird uns in hohem Grade erfreuen.2

Diese wohl meistzitierte Textpassage – hier im Wortlaut der Übersetzung Levins – aus der Korrespondenz Johann Wilhelms an seinen Residenten gilt gewissermaßen als Startschuss für den Aufbau der Antikensammlung, die in den Folgejahren auf eine stattliche Größe von nahezu einhundert Stücken anwachsen sollte.3 Johann Wilhelm war ein leidenschaftlicher Kunstsammler. Neben seiner Sammlung von Kopien antiker Skulptur betrieb er den Aufbau einer der bedeutendsten und berühmtesten Gemäldesammlungen seiner Zeit. Etliche hundert Gemälde konnte der Kurfürst sein Eigen nennen, die meisten davon Werke holländischer und flämischer Künstler des 17. Jahrhunderts, wie Rubens, van Dyck und Rembrandt. Die Meisterwerke der Düsseldorfer Gemäldesammlung sind heute in der Alten Pinakothek in München als die dortigen Hauptwerke zu bewundern. In Düsseldorf waren beide Sammlungen miteinander verbunden, indem sie gemeinsam in einem eigens errichteten Galeriegebäude Platz fanden, welches zudem durch ein Treppenhaus und angrenzende Vorzimmer direkt mit dem Appartement des Kurfürsten im Düsseldorfer Stadtschloss verbunden war.4 Im Obergeschoss dieses dreiflügeligen Gebäudes, das um einen zentralen Ehrenhof angelegt war, befand

2 Zitiert nach Levin 1911, 153 f. (30. September 1707); vgl. Q 337, Johann Wilhelm an Fede (3. September 1707). 3 Baumstark 2009b, 83; Hofmann 1982, 313. 4 Quaeitzsch 2009b, 10 f. mit Abb. 1. 2; Baumstark 2009b, 81–84 mit Abb. 4. 5. https://doi.org/10.1515/9783110616200-003

10

1 Einleitung

sich die Gemäldesammlung, im Erdgeschoss war die Abguss-Sammlung untergebracht. Die Errichtung eines eigenständigen Gebäudes als Haus nur für die Kunst war innovativ und bedeutete einen entscheidenden Schritt auf dem Weg vom fürstlichen Privatkabinett zum öffentlichen Museum.5 Die Abgüsse sollten später mit der Verlegung der kurfürstlichen Residenz nach Mannheim gelangen, wo sie seit 1767 den Grundstock des berühmten Mannheimer Antikensaales bildeten.6 Der Mannheimer Antikensaal ist von zahlreichen Zeitgenossen besucht und beschrieben worden, besonders bekannt sind die Berichte von Goethe und Schiller.7 1803 gelangten die Abgüsse im Zuge der Wittelsbacher Erbregelung aus Mannheim nach München, wo von ihnen bis auf Überreste offenbar nichts erhalten geblieben ist.8 1991 konnte unter der Bezeichnung „Antikensaal-Galerie“ eine Sammlung von Antikenabgüssen im Westflügel des Mannheimer Schlosses eröffnet werden, mit deren Aufbau Wolfgang Schiering bereits ein Jahrzehnt zuvor begonnen hatte. Dabei handelt es sich um eine (Teil-)Rekonstruktion der ursprünglich im Mannheimer Antikensaal des 18. Jahrhunderts vorhandenen Bestände. Anlässlich des zwanzigjährigen Bestehens der „Antikensaal-Galerie“ und der 300jährigen Begründung der Kurpfälzer Abguss-Sammlung durch Johann Wilhelm fand 2011 ein Kolloquium mit dem Titel „Ein Wald von Statuen“ im Mannheimer Schloss statt.9 Es ist nicht so, dass Fede in dieser Zeit der einzige Briefpartner des Kurfürsten gewesen wäre, und doch entfällt ein Großteil seiner Korrespondenz auf den Briefwechsel mit dem römischen Residenten, der übrigens durchweg in italienischer Sprache geführt wurde. Mehrere hundert dieser Briefe sind auf uns gekommen10 und erlauben detaillierte Einblicke in den Verlauf des Aufbaus der Düsseldorfer Sammlung, Begleitumstände und Hindernisse, in Präferenzen und Bestrebungen

5 Baumgärtel 2006, 24; Gamer 1978, 206 f. 6 Schiering 1999, 267 f.; Levin 1906, 166. – Zur Übertragung der Abgüsse von Düsseldorf nach Mannheim sind zwei Daten überliefert: Aus dem Jahr 1731 existiert ein Übernahmeinventar mit dem Titel „Inventarium der von Düsseldorff und Benrath nacher Mannheim gesendeter Statuen, Mahlereien und sonstiger Sachen de anno 1731“, welches auch die „in giebs verfertigten Statuen“ auflistet (Karlsruhe, Badisches Generallandesarchiv, Pfalz-Generalia, 77/3895), s. Braun 1984, 21–29; Braun 1995, 179–184. 1753 beauftragte Carl Theodor seinen Hofbildhauer Verschaffelt, in Düsseldorf sämtliche Statuen und Formen aus Gips in Augenschein zu nehmen und diese gut verpackt per Schiff nach Mannheim bringen zu lassen, s. Levin 1906, 166; Alberts 1961, 66 (mit Hinweis auf Rescriptenauszug in der Akte II 622 Düsseld. Stadtarchiv). 7 Meixner 1995, 124 f. mit Anm. 5. 8 Schiering 1999, 269. 9 J. Franz – R. Günther – R. Stupperich (Hrsg.), „Ein Wald von Statuen“. Kolloquium zum zwanzigjährigen Bestehen der Antikensaal-Galerie und zur Begründung der Kurpfälzer Abguss-Sammlung vor 300 Jahren, Mannheim 6./7. Mai 2011, Peleus 62 (Ruhpolding 2014) = Franz – Günther – Stupperich 2014. 10 Im Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München (1698–1715, 17 Bände), s. Tipton 2006, 174 Anm. 217; Levin 1906, 159 Anm. 3.

1 Einleitung

11

des Kurfürsten, und nicht zuletzt in die eifrigen Bemühungen, aber oftmals auch Ausflüchte seines Residenten. Zuerst ausgewertet und in Teilen publiziert wurden die Briefe vor gut einhundert Jahren von Theodor Levin in Form dreier umfangreicher Beiträge zur Geschichte der Kunstbestrebungen in dem Hause Pfalz-Neuburg, erschienen im Rahmen der „Beiträge zur Geschichte des Niederrheins“ im „Jahrbuch des Düsseldorfer Geschichtsvereins“ in den Jahren 1905, 1906 und 1911. Levin hat dabei die Briefe nach inhaltlichen Schwerpunkten zusammengefasst und ausgewertet, also etwa nach den Bemühungen zum Erwerb bestimmter Gemälde oder anderer Kunstgegenstände, aber auch rund um den Aufbau der Abguss-Sammlung. Als hilfreich für das Verständnis haben sich dabei seine ergänzenden Hinweise erwiesen, wobei er aber auch an Wertungen aus der Perspektive seiner eigenen Zeit nicht immer gespart hat. Auf von ihm übersetzte Textpassagen wird im Folgenden gerne hin und wieder zurückgegriffen, da sie über den Inhalt hinaus in ihrer Sprache noch etwas von dem ursprünglichen nostalgischen Charme und blumig-höfischen Charakter der Originaltexte bewahrt haben. In neuerer Zeit (2006) erschienen ist eine umfangreichen Quellenstudie von Susan Tipton, die der Untersuchung der Kunstsammlungen des Kurfürsten Johann Wilhelm im Spiegel seiner Korrespondenz gewidmet ist,11 und in deren Rahmen weit über 500 Briefe von oder an Johann Wilhelm zusammengetragen und durchgesehen wurden.12 Insbesondere die daran angehängte Publikation der Briefe im originalen, nur stellenweise leicht gekürzten Wortlaut bildet für die vorliegenden Untersuchungen eine als komfortabel zu bezeichnende Arbeitsgrundlage, indem sie eine systematische Auswertung dieser maßgeblichen Quellen zur Erwerbungsgeschichte der kurfürstlichen Kunstsammlungen erlaubt. Der Umstand, dass es sich jedoch letztlich um Transkriptionen von Handschriften handelt, die nicht immer an jeder Stelle leserlich sind, und sich auch beim Prozess des Übertragens wiederum kleinere (Lese-)Fehler und Ungenauigkeiten einschleichen können, hat die inhaltliche Auswertung einiger Passagen etwas erschwert. In dieser Hinsicht konnte aber oftmals ein Abgleich des Textes bei Tipton mit dem Wortlaut bei Levin für Klarheit sorgen.13 Entsprechend sind, wenn nicht im Quellenteil bei Tipton ohnehin angegeben, zu einem Schreiben jeweils die Stellennachweise beider Publikationen angegeben. Zudem zitiert bzw. erwähnt Levin des öfteren Briefe oder Anlagen dazu, die bei Tipton

11 S. Tipton, „La passion mia per la pittura“. Die Sammlungen des Kurfürsten Johann Wilhelm von der Pfalz (1658–1716) in Düsseldorf im Spiegel seiner Korrespondenz, MüJb (Folge 3) 57, 2006, 71– 332 = Tipton 2006. 12 Diese größtenteils im Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München; ansonsten im Archivio di Stato in Florenz, im Nordrhein-Westfälischen Hauptstaatsarchiv Düsseldorf und im Generallandesarchiv Karlsruhe. 13 Zum Teil war auch der Vergleich mit den bei K. Lankheit, Florentinische Barockplastik (München 1962) = Lankheit 1962 abgedruckten Dokumenten, die auch Korrespondenz Cosimos III. mit Johann Wilhelm einschließen, zur Rekonstruktion des originalen Wortlautes aufschlussreich.

12

1 Einleitung

fehlen und möglicherweise im Laufe der Zeit verloren gegangen sind. Umgekehrt sind aber wiederum auch bei Tipton Briefe abgedruckt, die bei Levin nicht erscheinen, so dass durch Berücksichtigung beider Publikationen die größtmögliche Vollständigkeit erreicht werden kann.14

14 Das Datum der einzelnen Schreiben ist der Quellensammlung Tiptons entnommen und entspricht im Allgemeinen der Angabe bei Levin; nur in den Fällen, in denen Levin ein abweichendes Datum nennt, ist dieses ebenfalls angegeben.

2 Zur Person: Johann Wilhelm von der Pfalz Johann Wilhelm lebte als absolutistischer Barockfürst in der zweiten Hälfte des 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts.15 Er stammte aus dem Hause Wittelsbach, war seit 1679 Regent der Herzogtümer Jülich und Berg und seit 1690 auch Herzog von Pfalz-Neuburg und Kurfürst von der Pfalz.16 Er residierte in Düsseldorf und behielt dies auch bei, nachdem er Kurfürst geworden war, da die Residenz in Heidelberg in Folge des Pfälzischen Erbfolgekrieges zerstört war.17 Vor allem in Düsseldorf ist er bis heute auch unter dem volkstümlichen Namen Jan Wellem bekannt. In Berührung mit der antiken Kunst und Kultur kam er bereits sehr früh, im Zuge seiner Erziehung durch Jesuiten. Auf seiner Grand Tour (1674–1677) lernte Johann Wilhelm in jungen Jahren die großen europäischen Höfe und deren Sammlungen kennen: so Versailles, London, Madrid, Neapel, Rom und den Vatikan; insbesondere auch den kaiserlichen Hof in Wien und den Florentiner Hof.18 So wie sein Vater Kurfürst Philipp Wilhelm auch als „Schwiegervater Europas“ bekannt war, könnte man Johann Wilhelm als „Schwager Europas“ bezeichnen.19 Über seine zahlreichen Schwestern war er mit etlichen der europäischen Herrscherhäuser verwandtschaftlich verbunden. Von besonderer Bedeutung war die Verbindung zum österreichisch-habsburgischen Kaiserhaus: Johann Wilhelms älteste Schwester war mit dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, Leopold I. (1640– 1705) verheiratet, während er selbst wiederum in erster Ehe mit dessen Schwester verheiratet war.20 Als Kurfürst von der Pfalz gehörte Johann Wilhelm dem Kurfürstenkollegium an; den Kurfürsten des Heiligen Römischen Reiches oblag die Wahl des Königs, der dann als nächster in das Amt des römisch-deutschen Kaisers nachrücken sollte.

2.1 Johann Wilhelm als Sammler Bereits kurze Zeit nach Übernahme der Herzogtümer Jülich und Berg von seinem Vater Philipp Wilhelm und dem Bezug der Residenz in Düsseldorf im Jahre 1679 15 Das vorliegende Kapitel wurde in wesentlichen Teilen bereits vorab veröffentlicht in: Suchezky 2011. – Zur neueren kritischen Auseinandersetzung mit dem Begriff Absolutismus als Epochenbegriff, s. Müller 2009, 19; Duchhardt 2007, 40. 173 f. Als Beschreibung eines Herrschafts- und Repräsentationskonzeptes behält der Begriff des Absolutismus jedoch seine Berechtigung, vgl. Duchhardt 2007, 53–59. 16 Tipton 2006, 74 mit Anm. 11. 12. Zur Person des Kurfürsten, s. Müller 1986; Müller 1988; Müller 2009; Braubach 1961; Kühn-Steinhausen 1958a. 17 Tipton 2006, 74 mit Anm. 13. 14; Glaser 2009, 26 f. 18 Baumgärtel 2008b, 12; Glaser 2009, 27; Baumstark 2009b, 75; ausführlich Kühn-Steinhausen 1958a, 23–36. 19 Baumgärtel 2008b, 13 f.; Tipton 2006, 74 mit Anm. 15; vgl. Müller 1986, 9 f.; Glaser 2009, 23. 26 f. 20 Tipton 2006, 74; Glaser 2009, 23. 26. Zur politischen Bedeutung dieser Verbindung vgl. Glaser 2009, 27; Müller 1986, 9–23. https://doi.org/10.1515/9783110616200-004

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2 Zur Person: Johann Wilhelm von der Pfalz

beginnt Johann Wilhelm mit dem Aufbau seiner Kunstsammlungen. Zu diesem Zeitpunkt ist er bereits mit der Schwester des österreichisch-habsburgischen Kaisers Leopold I., Maria Anna Josepha (1654–1689), verheiratet.21 Er lässt alle Gemälde aus Schlössern und Kirchen seiner Vorfahren in Düsseldorf zusammenführen und erwirbt zahlreiche weitere in Italien, Holland und den südlichen Niederlanden (ab 1680).22 Insbesondere seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts hatte sich das Sammeln von Kunstwerken, insbesondere von Gemälden, geradezu zu einer repräsentativen „Pflicht“ der europäischen Herrscherhäuser entwickelt.23 1690 wird Johann Wilhelm mit dem Tode seines Vaters Kurfürst von der Pfalz und erhält damit die pfälzische Kurwürde. Kurz darauf heiratet er in zweiter Ehe – seine erste Frau ist inzwischen verstorben – Anna Maria Luisa de’ Medici (1667– 1743), die „letzte Medici“.24 Das große Doppelporträt von Jan Frans van Douven, dem Düsseldorfer Hofmaler, zeigt Johann Wilhelm und Anna Maria Luisa im Jahr 1708 und damit auf dem Höhepunkt der Macht des Kurfürsten (Abb. 1).25 Nach Verhängung der Reichsacht hatte der bayerische Kurfürst seine Kurwürde verloren, die nun 1708 an Johann Wilhelm von der Pfalz übertragen wurde.26 D. h. er hatte statt der achten nun wieder die fünfte Kur inne, die den Pfälzern im Dreißigjährigen Krieg verloren gegangen war. Auf diese beiden Kurwürden könnten die beiden im Hintergrund dargestellten Kurhüte anspielen.27 Mit der fünften Kur verbunden war zum einen das Amt des Erztruchsessen des Heiligen Römischen Reiches (dieser trug dem Kaiser bei der Krönung den Reichsapfel voran) und zum andern das Reichsvikariat, d. h. die Stellvertreterschaft des Kaisers im Falle eines Interims.28 Damit war Johann Wilhelm erster Mann des Reiches nach dem Kaiser. Bereits drei Jahre später sollte aus diesem in der Reichsverfassung verankerten Rechtsanspruch – versinnbildlicht durch die zentral ins Bild gesetzte Reichskrone – historische Wirklichkeit werden, indem Johann Wilhelm im Jahr 1711 nach dem Tode Josephs I. bis zur Wahl und Krönung des neuen Kaisers Karl VI. die Durchführung der laufenden Geschäfte

21 Baumgärtel 2008a, 193. 22 Baumgärtel 2008a, 193; Gaehtgens 1987, 59. 61; Alberts 1961, 39; vgl. dazu außerdem das Vorwort des Kataloges von Nicolas de Pigage, La Galerie Electorale de Dusseldorff (Basel 1778) = de Pigage 1778, S. VII, bei Alberts 1961, 36 in Übersetzung. – Zur Gemäldesammlung seines Großvaters Wolfgang Wilhelm, s. Baumgärtel 2008b, 14. 23 Epe 1990, 9. 24 Tipton 2006, 74. 25 Jan Frans van Douven, Doppelbildnis Johann Wilhelm von der Pfalz und Anna Maria Luisa de’ Medici, 1708, Florenz, Galleria degli Uffizi, Vasari-Korridor, „Collezione iconografica“, Inv. 1890, Nr. 2718. – Glaser 2009, 15–18 mit Abb. 1; Baumgärtel 2008b, 44 f. mit Abb. 8. 26 Glaser 2009, 36. Ebenso erhielt Johann Wilhelm (vorübergehend) die Obere Pfalz zurück. 27 Glaser 2009, 16. 28 Tipton 2006, 74; Glaser 2009, 15. 36. Nach der Goldenen Bulle von 1356 übten die pfälzischen Kurfürsten das Reichsvikariat zusammen mit dem Kurfürsten von Sachsen aus, entsprechend den rechtlichen Geltungsgebieten der pfälzische Kurfürst in den rheinischen, schwäbischen und fränkischen Landen, der sächsische Kurfürst in den sächsischen, s. Neuhaus 2003, 25 f.

2.1 Johann Wilhelm als Sammler

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Abb. 1: Jan Frans van Douven, Doppelbildnis Johann Wilhelm von der Pfalz und Anna Maria Luisa de’ Medici, 1708, Florenz, Galleria degli Uffizi.

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2 Zur Person: Johann Wilhelm von der Pfalz

übernahm.29 1714 wurde mit dem Ende des Spanischen Erbfolgekrieges im Frieden von Rastatt die fünfte Kur allerdings wieder auf den Kurfürsten von Bayern zurückübertragen, der sie durch die Verhängung der Reichsacht 1706 verloren hatte. Somit musste sich Johann Wilhelm fortan wieder mit der achten Kur begnügen.30 Bereits kurze Zeit nachdem der bayerische Kurfürst seiner Kurwürde durch Verhängung der Reichsacht verlustig gegangen war und noch ehe diese auf Johann Wilhelm übertragen wurde, begann dieser mit den ersten Unternehmungen zum Aufbau seiner Sammlung von Abgüssen der vornehmsten Antiken. Man fühlt sich unwillkürlich erinnert an die Praxis des forcierten Aufbaues von repräsentativen Antikensammlungen in Rom jeweils mit dem Amtsantritt eines neuen Papstes und damit dem Machtbeginn einer neuen Familie.31 In Düsseldorf spielten eine maßgebliche Rolle bei diesem Unterfangen Graf Antonio Maria de Fede (1649–1718) und dessen gute Beziehungen in Rom.32 Conte Fede war bereits seit 1693 (bis 1718) offizieller Repräsentant des Großherzogs von Toskana am päpstlichen Hof. Cosimo III. war der Vater Anna Maria Luisas de’ Medici und damit Schwiegervater Johann Wilhelms, und so wurde Fede im April 1697 auch ständiger Vertreter des Kurfürsten am Heiligen Stuhl;33 wie Johann Wilhelm überhaupt über ein weitgespanntes Netz an diplomatischen Residenten und Agenten in den Zentren Europas verfügte.34 Fede ermöglichte Johann Wilhelm den Erwerb von Abgüssen aus den bedeutendsten Antikensammlungen Roms (so hatte er Zugang zu den Antikensammlungen der Medici, Farnese, Ludovisi, Borghese, Odescalchi und Giustiniani; außerdem die Erlaubnis des Papstes zur Abformung der berühmtesten Stücke auf dem Kapitol).35 Neben der Abguss-Sammlung besaß Johann Wilhelm eine umfangreiche Sammlung von antiken Münzen, Medaillen, Gemmen und Kameen, provinzialrömischen Kleinplastiken, Urnen und anderen Gefäßen.36 Allein der Münzbestand umfasste

29 Glaser 2009, 16. 36; Tipton 2006, 74. 30 Tipton 2006, 74; Glaser 2009, 16. 37. 31 Vgl. Thomas 2003, 185. 32 Briefwechsel zwischen Johann Wilhelm und dem Conte Fede in italienischer Sprache im Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München (1698–1715, 17 Bände), s. Tipton 2006, 174 Anm. 217; Levin 1906, 159 Anm. 3. 33 Tipton 2006, 113 mit Anm. 217. 218; Levin 1906, 159. Conte Fede nahm dort die Stelle des verstorbenen Abbate Pierucci ein, s. Q 119, Johann Wilhelm an Cosimo III. de’ Medici in Florenz (27. April 1697); Levin 1906, 159. 34 Baumgärtel 2006, 38 f.; Baumstark 2009b, 76; Möhlig 1993, 27–33; Müller 1986, 7 f. 35 Tipton 2006, 113; Hofmann 1982, 313. – Levin 1911, 172; Q 641, Fede an Johann Wilhelm (22. Juli 1713); Q 665, Fede an Johann Wilhelm (18. November 1713). 36 Wulff 2000, 239. Den Grundstock dieser Antikensammlung bildete die 1704 aus Nijmegen erworbene Sammlung Johann Smetius’ d. J. (1636–1704), s. Wulff 2000, 239; Weber 1992, 15 f.; Tipton 2006, 157 Anm. 64 (mit Hinweis auf Inventar in Karlsruhe, Badisches Generallandesarchiv, PfalzGeneralia, 77/7801); Stupperich 2008, 13 f. mit Anm. 12. Einblick in die weiteren Bemühungen des Kurfürsten um den Erwerb von Antiken gewährt auch der über mehrere Jahre geführte Briefwechsel Johann Wilhelms mit Baron Ludovico Giuseppe Formentini in Venedig, u. a. zu einer Serie von zwölf Karneolen und weiteren Antikenfunden, darunter

2.2 Der Kurfürst als Auftraggeber und Mäzen: Porträts und Hofkunst

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rund 10 000 Stücke.37 Bereits seit der Antike galten Münzen als Sinnbild herrscherlicher Legitimation. Das Sammeln dieser Zeugnisse und die Rezeption des antiken Gedankenguts diente auch im Sinne des Absolutismus der politischen Legitimierung des Herrschers, indem sie die ethischen Grundlagen seiner Regierung, die sich u. a. an antiken Herrschaftsvorbildern orientierte, demonstrierte; damit stellte sich auch Johann Wilhelm in die Nachfolge antiker Herrscher.38 Besonderes Interesse hatte Johann Wilhelm an antiken Bodenfunden des Rheinlandes, denn dadurch ließ sich eine Verbindung zur antiken Tradition seines Landes herstellen, die ihn als Nachfahren der einstigen römischen Herrscher legitimierte.39 Gleichzeitig dienten – nach dem Vorbild Ludwigs XIV. – zeitgenössische Medaillenprägungen der Repräsentation absolutistischen Herrschertums, mit dem Ziel, den fürstlichen Ruhm möglichst weit über den Tod hinaus im Gedächtnis der Nachwelt zu verankern.40 Zu nennen sind in diesem Zusammenhang beispielsweise die sog. Kurfürstenmedaille (nach 1708), die Johann Wilhelm als Nachfahren einer Reihe pfälzischer Kurfürsten präsentiert,41 sowie die von Ph. H. Müller angefertigte Vikariatsmedaille von 1711.42 Eine vom Sprachsekretär des Kurfürsten, Giorgio Maria Rapparini, verfasste Huldigungsschrift auf Johann Wilhelm43 enthält zahlreiche Entwürfe zu Medaillen, die allerdings nie geprägt wurden.44

2.2 Der Kurfürst als Auftraggeber und Mäzen: Porträts und Hofkunst Antikenrezeption hieß aber nicht nur Sammeln von Antiken, sondern auch bildliche Selbstdarstellung in Form höfischer Porträts.45 In der höfischen Auftragskunst ließ

einem in Aquileia gefundenen Mercur und einem Bacchus aus Stein bzw. Marmor; die Briefe im Wortlaut publiziert bei Tipton 2006, 300 ff. 37 Wulff 2000, 259 Anm. 54. 38 Vgl. Wulff 2000, 241. 239. 39 Wulff 2000, 241. 40 Vgl. Bachmayer – Martin 1981b, 253 f.; Quaeitzsch 2009a, 162. 41 Bachmayer – Martin 1981b, 260; Bachmayer – Martin 1981a, 511 Nr. J 62; Stemper 1997, 377 f. Nr. 371. 42 Bachmayer – Martin 1981b, 260; Bachmayer – Martin 1981a, 511 f. Nr. J 63; Stemper 1997, 415 f. Nr. 403. Aus Anlass der Ausübung des Reichsvikariats ließ Johann Wilhelm mehrere Münzen und Medaillen prägen. 43 G. M. Rapparini, Le Portrait du Vrai Mérite Dans la Personne serenissime De Monseigneur l’Electeur Palatin (Düsseldorf 1709) = Rapparini 1709; das Original dieser sog. Rapparini-Handschrift heute im Heinrich-Heine-Institut, Düsseldorf. Vgl. Kühn-Steinhausen 1958b, S. XVII, sowie zu Johann Wilhelms Sammelleidenschaft in Bezug auf Münzen, s. Koetschau 1958, 2* f. 44 Koetschau 1958, 4*. 45 Vgl. Wulff 2000, 239.

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2 Zur Person: Johann Wilhelm von der Pfalz

sich Johann Wilhelm in Anlehnung an antike Götter- oder Kaisermotive bzw. in Posen kriegerischen Ruhmes darstellen. Als ein Beispiel seien zwei als Pendants konzipierte Porträts des Kurfürstenpaares vom Düsseldorfer Hofmaler Jan Frans van Douven genannt. Sie präsentieren Johann Wilhelm als Mars und Anna Maria Luisa de’ Medici als Minerva (Abb. 2a, b).46 Die Darstellungen sind angelehnt an Münzbilder antiker Herrscher, gleichzeitig hebt die mythologisierende Darstellung beide aus der Sphäre des MenschlichAlltäglichen heraus.47 Die Rolle des Mars, repräsentativ dargestellt mit reich geschmücktem Helm mit dem Pfälzer Löwen, betont die kriegerische Stärke und Durchsetzungskraft des Fürsten.48 Dagegen erscheint Anna Maria Luisa in Gestalt der Minerva als Beschützerin der Künste und Wissenschaften.49 Beide Aspekte werden auch in weiteren Werken der Hofkunst thematisiert. Den kriegerischen Ruhm Johann Wilhelms setzt auch das monumentale Reiterbildnis van Douvens in Szene (Abb. 3).50 Es zeigt den Kurfürsten als siegreichen Feldherrn auf einem kurbettierenden Schimmel vor dem Hintergrund einer bewegten Schlachtenkulisse. Allerdings ist Johann Wilhelm nie selbst zu Felde gezogen; es könnte sich allenfalls um eine Anspielung auf sein diplomatisches und finanzielles Engagement im Pfälzischen und Spanischen Erbfolgekrieg handeln.51 In erster Linie handelt es sich aber um einen Topos. In jedem Fall entsprach das barocke Reiterbildnis als aus der antiken Kaiserikonographie entlehntes Motiv dem Repräsentationsbedürfnis absolutistischer Fürsten. Dabei betont das Motiv des steigenden Pferdes, das vom Fürsten scheinbar mühelos dirigiert wird, souveräne 46 Jan Frans van Douven, Kurfürst Johann Wilhelm von der Pfalz als Mars, um 1700, München, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Alte Pinakothek, Inv.-Nr. 4023; Jan Frans van Douven, Anna Maria Luisa de’ Medici als Minerva, um 1700, Florenz, Palazzo Pitti, Museo degli Argenti, Inv. 1890, Nr. 5160. – Casciu 2006, 156 f. Nr. 19a. b; Baumstark 2009a, 395 (P. Lüdemann); Glaser 2009, 24 f. Abb. 3. 4. 47 Vgl. Baumstark 2009a, 395 (P. Lüdemann). 48 Vgl. auch die Statuette Kurfürst Johann Wilhelms als Mars, 1704, Silber, Email, Barockperlen, Edelsteine, Höhe 19 cm, München, Schatzkammer der Residenz (Schauß C 83), s. Miersch 2009, 88 Taf. 16 Abb. 29; Kunstmuseum Düsseldorf 1971, 210 Nr. 129 Taf. 75 (Chr. Theuerkauff); Hackenbroch 1983, 168–174 mit Abb. 6–9. 49 Baumstark 2009a, 395 (P. Lüdemann); Baumgärtel 2008b, 25. – Entsprechend ließ später im Übrigen auch Katharina die Große im Jahr ihrer Thronbesteigung (1762) ihr Konterfei mit Helm und Rüstung der Minerva auf eine Medaille prägen (später erschien Potjomkin auf Bildnissen und Medaillen als Mars), s. Tipton 1997, 73 f. mit Anm. 1; 76. Und davor feierte bereits ein Panegyricus Elisabeth I. als neue Minerva, s. Pfeiff 1990, 99. 50 Jan Frans van Douven, Reiterbildnis des Kurfürsten Johann Wilhelm von der Pfalz, 1703, Düsseldorf, Museum Kunstpalast, Gemäldesammlung, Inv.-Nr. M 91. – Glaser 2009, 20 Abb. 2; Quaeitzsch 2009b, 43 Nr. 69; Baumgärtel – Bürger 2005, 70 Nr. 40; Baumgärtel 2008b, 43 f. mit Abb. 32. 51 Vgl. Baumstark 2009a, 395 (P. Lüdemann). Zur Verwendung seiner Truppen als politisches Druckmittel im Pfälzischen Erbfolgekrieg, s. Müller 1986, 7. Vgl. außerdem die Bereitstellung seiner Heere zur Absicherung der Westgrenze gegenüber Frankreich im Spanischen Erbfolgekrieg, s. Wulff 2000, 231.

2.2 Der Kurfürst als Auftraggeber und Mäzen: Porträts und Hofkunst

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Abb. 2a: Jan Frans van Douven, Kurfürst Johann Wilhelm von der Pfalz als Mars, um 1700, München, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Alte Pinakothek.

Herrschergewalt und Überlegenheit über die mit ins Bild gesetzten Gegner. Passenderweise zierte das Reiterbildnis des Kurfürsten dann auch das Audienzzimmer des Düsseldorfer Schlosses.52 52 Baumstark 2009a, 401 (Chr. Quaeitzsch); Baumgärtel – Bürger 2005, 70.

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2 Zur Person: Johann Wilhelm von der Pfalz

Abb. 2b: Jan Frans van Douven, Anna Maria Luisa de’ Medici als Minerva, um 1700, Florenz, Palazzo Pitti, Museo degli Argenti.

Den Ruhm des kurfürstlichen Paares als Förderer der Künste und Wissenschaften betont hingegen die repräsentative Allegorie des Hofmalers Adriaen van der Werff (Abb. 4).53 Das hier ins Bild gesetzte Mäzenatentum galt ebenfalls als Herrscher-

53 Adriaen van der Werff, Die Huldigung der Künste (Allegorie auf das pfälzische Kurfürstenpaar als Mäzene), 1716, München, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Alte Pinakothek, Inv.Nr. 260. – Baumstark 2009b, 116–118 mit Abb. 21; Baumstark 2009a, 403 (M. Dekiert); Baumgärtel 2008b, 45. 48 mit Abb. 33.

2.2 Der Kurfürst als Auftraggeber und Mäzen: Porträts und Hofkunst

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Abb. 3: Jan Frans van Douven, Reiterbildnis des Kurfürsten Johann Wilhelm von Pfalz-Neuburg, 1703, Düsseldorf, Museum Kunstpalast.

tugend nach antikem Vorbild. Vor der Kulisse antikisierender Architektur huldigen die Personifikationen der sieben freien Künste, der artes liberales, dem Kurfürstenpaar als Mäzenen. Das Paar ist in Form eines ovalen Doppelporträts ins Zentrum des Bildes gerückt, gefügelte Genien bringen Lorbeerkranz und Palmzweig. Rechts und links erscheinen zwei pfälzische Löwen. Getragen wird das Bildnis von einem

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2 Zur Person: Johann Wilhelm von der Pfalz

Abb. 4: Adriaen van der Werff, Die Huldigung der Künste (Allegorie auf das pfälzische Kurfürstenpaar als Mäzene), 1716, München, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Alte Pinakothek.

2.2 Der Kurfürst als Auftraggeber und Mäzen: Porträts und Hofkunst

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Obelisken, dem Sinnbild unvergänglicher Tugend, mit dem pfälzisch-mediceischen Doppelwappen. Über dem Porträt des Paares zeigt ein Relief den Tugendhelden Hercules, der Neid und Unwissenheit besiegt. Das Bild des Kurfürsten als Hercules begegnet auch sonst mehrfach in der Herrscherpanegyrik. So bezeichnet ein kurz nach dem Tode Johann Wilhelms erschienener Katalog seiner Gemäldesammlung ihn als „Hercules Palatinus“ im Sinne eines Hercules Musagetes;54 und ein Medaillenentwurf seines Hofsekretärs Rapparini vereinigt wiederum Hercules und Minerva.55 Zum antiken Kanon der sieben freien Künste hat sich die Personifikation der Malerei gesellt, diese hält das Selbstporträt des Malers. Tatsächlich beschäftigte Johann Wilhelm Künstler der verschiedensten Ausrichtungen an seinem Hof (neben Malern z. B. auch Architekten bzw. Globenbauer, Bildhauer, Kupferstecher, Miniaturmaler, Goldschmiede, Medailleure und Elfenbeinschnitzer; außerdem Dichter, Musiker und Komponisten und andere mehr), so dass man zu dieser Zeit von einem Zentrum reger Kunstproduktion sprechen kann.56 Im Übrigen wurde auch um Künstler und Gelehrte konkurriert wie um Kunstwerke; auch diese sollten den Glanz des Hofes steigern. Indem einige der Künstler exklusiv für den pfälzischen Kurfürsten tätig waren, wurden auch deren Werke zu raren Kostbarkeiten, die nur als Geschenke des Kurfürsten in die Sammlungen anderer Höfe gelangen konnten.57 Die hier allegorisch ins Bild gesetzte Blüte der Künste und Wissenschaften versinnbildlichte das Goldene Zeitalter, das unter der Segensherrschaft des Kurfürsten angebrochen war. Insgesamt lässt sich feststellen, dass die politischen Erfolge Johann Wilhelms einhergingen mit einem intensivierten Bedürfnis nach und auch der politischen Notwendigkeit zur standestypischen Repräsentation, im Sinne einer Sichtbarmachung von Macht bzw. Machtansprüchen. Die Rezeption der Antike diente dabei nicht nur der höfischen Prachtentfaltung und dem Prestigegewinn, sondern auch der politischen Legitimierung des Herrschers. Mit dem Aufbau seiner Kunstsammlungen demonstrierte der Kurfürst außerdem nicht nur Geschmack, Kunstkennerschaft und ökonomische Stärke; sondern er machte zugleich deutlich, über welch weitgespanntes Netz aus verwandtschaftlichen und diplomatischen Beziehungen er verfügte, das den Aufbau der Sammlungen in so großem Stil erst ermöglichte.

54 G. J. Karsch, Ausführliche und gründliche Specification derer kostbarsten und unschätzbaren Gemählden, Welche in der Gallerie der Churfl. Residentz-Stadt Düsseldorff in grosser Menge anzutreffen sind (Düsseldorf o. J. [1716]) = Karsch 1716, Einleitung; Wulff 2000, 239 mit Anm. 58. 55 Kühn-Steinhausen 1958b, 74 Nr. 64. – Zur Hercules-Thematik in Bezug auf Johann Wilhelm vgl. auch die Bronzestatuette Kurfürst Johann Wilhelms von Gabriel de Grupello, zw. 1701/1708, Düsseldorf, Museum Kunstpalast, Inv.-Nr. mkp.PAP 159, s. a. Kunstmuseum Düsseldorf 1971, 104–106 Nr. 5 Taf. 3 (L. Tittel). 56 Vgl. Kühn-Steinhausen 1958b, S. XVIII–XX. 57 Baumstark 2009b, 77–79. Zur Rolle der Hofkünstler, die in Diensten Johann Wilhelms standen, vgl. außerdem Glaser 2009, 42; Baumgärtel 2008b, 34 f.

3 Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm 3.1 Johann Wilhelms Resident in Rom: der Conte Fede Unsere Geschichte beginnt im Jahre 1697 in Düsseldorf mit einer zunächst nicht sehr bedeutsam erscheinenden Personalie. So schreibt Kurfürst Johann Wilhelm von der Pfalz, Herzog von Jülich und Berg und Herzog von Pfalz-Neuburg, am 27. April in einem Brief an seinen Schwiegervater Cosimo III. de’ Medici in Florenz, er sei einverstanden mit dem von ihm vorgeschlagenen Abbate Antonio Maria Fede (1649–1718) als Nachfolger des verstorbenen Abbate Pierucci, seines bisherigen Agenten in Rom.58 Am Folgetag richtet Johann Wilhelm noch ein Schreiben in lateinischer Sprache an Papst Innozenz XII. (1615–1700), in dem er ihn bittet, zur Übernahme der Aufgaben des kürzlich verstorbenen Agenten Petro Peruccio (sic), Antonio Maria Fede schicken zu dürfen, der ihm von Seiner Durchlaucht dem Großherzog von Toskana sehr empfohlen worden sei.59 Dieser erklärte sich damit einverstanden, und von da an sollte Fede auch das Amt des ständigen Vertreters des Kurfürsten am Heiligen Stuhl bekleiden.60 So unspektakulär dieser Vorgang zunächst erscheinen mag, so weitreichend waren seine Folgen für die Entwicklung der Kunstsammlungen des Kurfürsten. Während der bisherige Resident Pietro Pierucci relativ farblos bleibt – sein Name erscheint auch in der Korrespondenz des Kurfürsten nur bei dieser einen Gelegenheit – erwies sich Fede für Johann Wilhelm als echter Glücksfall.61 So zeigte er sich in vielerlei Hinsicht als geschickter Diplomat, nicht nur wenn es darum ging, Abform-Genehmigungen zu erhalten.62 Fede hatte Zugang zu den Antikensammlungen der Medici, Farnese, Ludovisi, Borghese, Odescalchi und Giustiniani und ermöglichte Johann Wilhelm auf diese Weise den Erwerb von Abgüssen aus den bedeutendsten Antikensammlungen Roms.63 Zudem gelang es ihm, die Erlaubnis des Papstes

58 Q 119, Johann Wilhelm an Cosimo III. de’ Medici in Florenz (27. April 1697); Levin 1906, 159. 59 Q 120, Johann Wilhelm an Papst Innozenz XII. in Rom (28. April 1697). 60 Q 127, Papst Innozenz XII. aus Rom an Johann Wilhelm in Düsseldorf (27. Juli 1697). – Fede war von 1693 bis 1718 offizieller Repräsentant des Großherzogs von Toskana Cosimo III. de’ Medici am päpstlichen Hof, s. Tipton 2006, 173 Anm. 217. 61 Während Johann Wilhelm Pierucci im Rahmen seiner Grand Tour mehrmals begegnet war, vgl. Kühn-Steinhausen 1958a, 31. 33, scheint er Fede jedoch nie persönlich kennengelernt zu haben. Zwar hat der Kurfürst durchaus einige Reisen unternommen, Rom hat er nach seiner Grand Tour aber offenbar nicht noch einmal besucht, und auch von einem Aufenthalt Fedes in Düsseldorf ist nichts bekannt. 62 Levin 1906, 159 f.; Tipton 2006, 113 mit Anm. 217. 218. 63 Tipton 2006, 113; Hofmann 1982, 313. https://doi.org/10.1515/9783110616200-005

3.1 Johann Wilhelms Resident in Rom: der Conte Fede

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zur Abformung der berühmtesten Stücke auf dem Kapitol zu erwirken.64 Für seine Dienste unter Großherzog Cosimo III., dessen Repräsentant in Rom er auch weiterhin geblieben war, wurde er im Jahre 1700 von diesem in den erblichen Grafenstand erhoben.65 1649 in Pistoia geboren, hatte Fede in Pisa ein Studium beiderlei Rechts (iuris utriusque) absolviert. Im Jahr 1665 war er nach Rom gekommen, wo er auch als Prokurator tätig war.66 Aufgrund seiner zahlreichen Verdienste, die er sich unter Kardinal Leopoldo de’ Medici hatte erwerben können, hatte dieser ihn auch an den Großherzog von Toskana, Cosimo III., weiterempfohlen, für den er im Laufe der Zeit zu seinem Vertrauensmann am römischen Hofe wurde und dessen offizieller Repräsentant er dort lange Jahre bleiben sollte.67 Als geschickter Verhandler in kirchenpolitischen und diplomatischen Angelegenheiten gelang es ihm, dem Staate Toskana unter Cosimo III. erhebliche finanzielle Vorteile zu verschaffen, so beispielsweise hinsichtlich der diesbezüglichen Beteiligung der Toskana während des Spanischen Erbfolgekrieges.68 Allerdings erntete Fede für seine oft ein wenig übertriebene Eilfertigkeit gegenüber den Anliegen des Großherzogs wie gegenüber denen verschiedener Kardinäle, die ihm daneben im Übrigen auch ein Vertrauensverhältnis zu den Päpsten Innozenz XII. und Clemens XI. einbrachte, auch reichlich Kritik und beißenden Spott.69 So zeichnete der Historiker Riguccio Galluzzi (1739– 1801) in seiner berühmten Geschichte der Toskana das Bild eines Mannes, der es mit Heuchelei und einschmeichelndem Verhalten verstanden habe, das Vertrauen Cosimos zu gewinnen, und auch bei der Prälatur mit Opportunismus und vorgetäuschter Bescheidenheit zu Ansehen gelangt sei.70 Dass er dazu offenbar in der Tat einen gewissen Hang hatte, zeigt auch sein Briefwechsel mit Johann Wilhelm.

64 Levin 1911, 172; Q 641, Fede an Johann Wilhelm (22. Juli 1713); Q 665, Fede an Johann Wilhelm (18. November 1713). – Seit 1700 war dies Papst Clemens XI. (1649–1721) aus dem Hause Albani, mit dem ihn ein besonderes Vertrauensverhältnis verband, s. Levin 1906, 159 f. 65 Levin 1906, 160; Tipton 2006, 113. – Nicht nur mit Johann Wilhelm, sondern auch mit Cosimo III. stand Fede in regem brieflichem Austausch, s. Tipton 2006, 173 f. Anm. 217. Die Korrespondenz mit dem Großherzog von Toskana im Archivio di Stato in Florenz, s. Cotta Stumpo 1995, 553 f. 66 Zu den vielfältigen Aufgaben und Tätigkeiten Fedes in Rom, zu denen außer der Verhandlung kirchenpolitischer Fragen auch verschiedene alltägliche Angelegenheiten wie Einstellungen und Empfehlungen gehörten, s. Cotta Stumpo 1995, 553 f. 67 Cotta Stumpo 1995, 553, s. dort auch zur Rolle Fedes bei der Angelegenheit der Niederlegung der Kardinalswürde durch Francesco Maria de’ Medici und dessen Heirat mit Eleonora Gonzaga di Guastalla, welche den Medicis zur ersehnten Nachkommenschaft verhelfen sollte – wenn auch bekanntlich ohne Erfolg. 68 Vgl. Tipton 2006, 173 f. Anm. 217. 218; Cotta Stumpo 1995, 554. 69 Cotta Stumpo 1995, 554. 70 Cotta Stumpo 1995, 554; R. Galluzzi, Istoria del Granducato di Toscana sotto il governo della Casa Medici VII (Livorno 1781) = Galluzzi 1781, 266.

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3 Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm

In Rom lebte der Conte Fede im Palazzo Firenze am Campo Marzio, der üblichen Residenz der Botschafter der Toskana.71 Im Laufe des Sammlungsaufbaus sollte das Haus Fedes auch immer wieder als Lager und Zwischenstation für die für Düsseldorf bestimmten Formen bzw. Abgüsse antiker Statuen dienen. So wurden die von Arnaldi, einem der beiden für Johann Wilhelm tätigen Statuenkünstler, gekauften Formen zunächst zum „Palazzo di Campo Marzo“ transportiert und die Kisten dann später von dort zum Verladeplatz am Hafen gebracht.72 Damit war das Haus Fedes der eigentliche Ausgangspunkt der Reise. Später sollte Fede dem Kurfürsten noch berichten, allein die in den letzten Tagen aus der Galleria Odescalchi gewonnenen Werke füllten mehrere Räume im Erdgeschoss des Palazzo.73 Doch wir greifen vor.

3.2 Die Quellen zum Sammlungsaufbau und zur Rekonstruktion der Bestände Die wesentlichste Quelle zum Aufbau der Abguss-Sammlung des Kurfürsten Johann Wilhelm in Düsseldorf bildet seine Korrespondenz mit Graf Antonio Maria Fede in Rom. Diese wird im Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München verwahrt (1698– 1715, 17 Bände).74 Hinzu kommen noch einige Schreiben zwischen Johann Wilhelm und seinem Schwiegervater, Cosimo III. de’ Medici, die sich zum Teil in München, zum Teil in Florenz befinden, sowie die Briefe zwischen Cosimo und Fede im Archivio di Stato in Florenz. Dabei wird nur ein Teil der Stücke in den Briefen selbst explizit genannt – dies vor allem noch zu Beginn des Sammlungsaufbaus –, und so auch das einzige antike Original der Sammlung, die sog. Trunkene Alte, deren besondere Erwerbungsumstände aus der Sammlung Ottoboni noch ausführlich zur Sprache kommen werden; hinzu kommen den Briefen beigefügte, teilweise recht umfangreiche Listen mit den erreichbaren oder bereits angefertigten Stücken (bzw. deren Formen – auch dazu im Folgenden noch ausführlicher), mit deren Hilfe sich die Sammlungsbestände noch weiter rekonstruieren lassen.

71 Cotta Stumpo 1995, 554; Levin 1911, 168 Anm. 4: „Palazzo di Firenze in der Nähe der kleinen Piazza di Campo Marzo. Erst Eigentum der del Monte (Papst Julius III.), dann im Besitz der Fürsten von Toscana (Medici). Als Resident Cosimos III. hatte Fede in diesem Palaste seine Wohnung.“ 72 Q 559, Kostenaufstellung Fedes an den Kurfürsten vom 13. Januar 1711 (darin enthalten auch die Bezahlung Arnaldis für genannten Transport, gemäß dessen Rechnung vom 18. März 1710). 73 Q 726, Fede aus Rom an Johann Wilhelm (27. Oktober 1714). 74 Tipton 2006, 174 Anm. 217; Levin 1906, 159 Anm. 3. – Die Briefe im originalen italienischen Wortlaut liegen seit einigen Jahren in publizierter Form vor, s. Tipton 2006, 201–325. Hier sind auch zahlreiche Dokumente mit aufgenommen, die in der Erstpublikation großer Teile des Materials in Form kommentierter Übersetzungen durch Th. Levin nicht enthalten sind, s. Levin 1905/1906/1911. So berücksichtigte Levin ausschließlich die in München vorhandene Korrespondenz, während die Briefe zwischen Cosimo III. und Fede in Florenz bei ihm außen vor blieben.

3.2 Die Quellen zum Sammlungsaufbau und zur Rekonstruktion der Bestände

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Den Anfang macht dabei eine von Francesco Arnaldi, einem der beiden für Johann Wilhelm tätigen Statuarii, vorgelegte Liste, die alle Formen enthält, die er von „antiken Figuren aus Rom“ habe, einschließlich einer Aufstellung weiterer Formen, „die man von anderen haben könne“. Diese sind einem Schreiben Fedes an den Kurfürsten vom 3. August 1709 als Anlage angehängt.75 Ein Brief Fedes vom 19. November 1712 enthält ein handschriftlich von Gennaro Mannelli, dem anderen der beiden Statuarii, erstelltes Verzeichnis der berühmtesten Statuen Roms, von denen er die Formen anzufertigen beabsichtige.76 Noch umfangreicher ist die mit Schreiben Fedes vom 10. März 1714 übersandte Liste mit den von Mannelli bislang vollendeten Arbeiten.77 Einem Schreiben Fedes vom 20. Oktober 1714 lag außerdem noch ein Blatt von der Hand Mannellis bei, das heute augenscheinlich verloren, allerdings bei Levin zitiert ist.78 Mannelli nennt darin fünf bereits fertiggestellte Abgüsse der Sammlung Odescalchi, zwei weitere seien noch in Arbeit.79 Mit diesen gemeinsam wurde die Statue der Trunkenen Alten verschickt.80 Größere Gewissheit, was tatsächlich in die Düsseldorfer Sammlung gelangte und nicht nur angeboten wurde, ergibt sich dann aber erst aus dem Abgleich mit den beiden vorliegenden Inventarlisten der Sammlung aus dem Jahr 1716 bzw. 1731. Das Inventar von 1716 wurde nach dem Ableben Johann Wilhelms erstellt,81 das zweite 1731 (ebenfalls noch unter seinem Nachfolger und jüngeren Bruder Carl Philipp, 1661/1716–1742) anlässlich des geplanten Transports der Abgüsse nach Mannheim, nachdem die kurfürstliche Residenz dorthin verlegt worden war (im Folgen-

75 Q 452, Fede an Johann Wilhelm (3. August 1709), Anlage; Levin 1911, 165 (3. September 1709). 76 Q 623, Fede an Johann Wilhelm (19. November 1712), Anlage; Levin 1911, 170 f. 77 Q 678, Fede an Johann Wilhelm (10. März 1714), Anlage; Levin 1911, 173 f. (14. März 1714). 78 Q 725, Fede an Johann Wilhelm (20. Oktober 1714); Levin 1911, 178. Zumindest liegt das Blatt nicht mehr dem Schreiben bei, dem es ursprünglich angehängt war, deshalb ist es bei Tipton 2006 nicht genannt. Allerdings überliefert Levin dessen Inhalt, s. Levin 1911, 178. Genannt werden darin: „Il Tolomeo, il fauno che porta la capretta, la Venere che sta in atto di sciugarsi [sich abzutrocknen, Anm. Levin], la Dea Clizia e l’altra Venere greca.“ Dazu kommen (noch nicht abgeschlossen): „L’Alesandro et il Castore e Polluccie“. Bei dem „Alesandro“ handelte es sich dem Inventar von 1731 zufolge um eine Büste Alexanders des Großen (heute in Madrid?), der „Tolomeo“ scheint bislang noch nicht eindeutig zugeordnet, das Inventar von 1731 verrät aber zumindest so viel, dass es sich um eine Statue von 7 Fuß Höhe und nicht um eine Büste handelte. 79 Zur Sammlung Odescalchi und den Kunstschätzen aus dem Erbe der Königin Christina von Schweden im Folgenden noch ausführlich. 80 Q 725, Fede an Johann Wilhelm (20. Oktober 1714); Levin 1911, 178. 81 Inventar der Gipsabgüsse vom 14. Juli 1716 (heute verschollen) = Inv. 1716, abgedruckt bei Klapheck 1919, 136 f. Anlage IV; Hofmann 1982, 362 f. Zuerst publiziert von Wilhelm Herchenbach in der Zeitschrift des Düsseldorfer Geschichtsvereins nach dem Originaldokument in der Guntrumschen Sammlung, s. Herchenbach 1882, 18 f. sowie Levin 1906, 169. Zur Sammlung Carl Guntrums, in der sich das Inventar von 1716 befunden hatte s. Vollmer 2000.

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3 Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm

den auch als „Übernahmeinventar“ bezeichnet).82 Die tatsächliche Übertragung der Abgüsse erfolgte jedoch erst einige Jahre später, denn erst 1753 erteilte Johann Wilhelms Nach-Nachfolger Kurfürst Carl Theodor (1724/1742–1799) seinem Hofbildhauer Peter Anton von Verschaffelt (1710–1793) dann den Auftrag, in Düsseldorf sämtliche Statuen und Formen aus Gips in Augenschein zu nehmen und diese gut verpackt per Schiff nach Mannheim bringen zu lassen.83 In Mannheim kamen die Abgüsse dann später (1769) in den berühmten Mannheimer Antikensaal, der zur dortigen Zeichnungsakademie gehörte.84 Das Inventar aus dem Jahr 1716 ist nicht erhalten, aber auf dem Wege einer älteren Publikation überliefert.85 Demnach war es datiert auf den 14. Juli 1716 und trug den Titel „Inventarium der Gypsfiguren“. Es listete die im „neuen Bau der Untergallerie“ befindlichen Stücke auf, ca. einhundert Nummern, ungefähr die Hälfte davon großplastische Statuen. Auch die Trunkene Alte ist aufgeführt. Das Inventar enthält weiter den Hinweis, die zugehörigen Abguss-Formen befänden sich unter dem Dach des Galeriegebäudes, und nennt außerdem einige weitere Formen, aus denen noch keine Abgüsse hergestellt worden seien. Zudem seien vier Tonnen Scagliola vorrätig – daraus wurden die Abgüsse für den Kurfürsten angefertigt – und weitere 500 Pfund befänden sich in der Untergalerie selbst. „Auf dem Platz der Gallerien“ stünden vier Statuen „von Marmorstein“, zwei davon fast fertig, „die andern gar nicht fertig“. Das Inventar aus dem Jahr 1731 befindet sich im Badischen Generallandesarchiv in Karlsruhe.86 In dem übergreifenden „Inventarium der von Düsseldorf und Benrath nacher Mannheim gesendeter Statuen, Mahlereien und sonstiger Sachen de anno 1731“ sind auch „die von Mr. Gennaro Manelli in giebs verfertigte Statuen“ aufgelistet, d. h. die Abgüsse aus der Sammlung Johann Wilhelms in Düsseldorf. Als Verfasser ist Joh. W. Steinbuchel genannt. Das Abguss-Inventar umfasst fünfzig großplastische Werke, sieben Büsten werden explizit aufgeführt und weitere „52 allerhand Bruststücker“ summarisch erwähnt. Hinzu kommen noch ein paar weitere Stücke wie das Kapitell des Pantheon. Auch hier ist die Trunkene Alte mit erwähnt. Das Inventar ist sehr sorgfältig erstellt und enthält zusätzlich zu den Benennungen der einzelnen Stücke Maßangaben in Fuß sowie Angaben zur jeweiligen Sammlung, in der sich das Original befand. Die Bezeichnungen der einzelnen Stücke und die Herkunftsangaben sind in italienischer Sprache abgefasst, ergänzende Hinweise auf Deutsch.

82 Karlsruhe, Badisches Generallandesarchiv, Pfalz-Generalia, 77/3895 = Inv. 1731; Braun 1984, 21– 29; Braun 1995, 179–184. 83 Levin 1906, 166; Alberts 1961, 66 (mit Hinweis auf Rescriptenauszug in der Akte II 622 Düsseld. Stadtarchiv); Schreiben Carl Theodors an die Hofkammer vom 31. August 1753. 84 Schiering 1999, 267 f.; Levin 1906, 166. 85 Klapheck 1919, 136 f. Anlage IV; wieder abgedruckt bei Hofmann 1982, 362 f. Dieses Inventar kritisch kommentiert und mit ergänzenden Informationen versehen von Levin 1906, 169. 86 Karlsruhe, Badisches Generallandesarchiv, Pfalz-Generalia, 77/3895.

3.2 Die Quellen zum Sammlungsaufbau und zur Rekonstruktion der Bestände

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Die Reihenfolge der genannten Stücke deckt sich in beiden Inventaren weitgehend, und da das Inventar von 1716 ausdrücklich überschrieben ist: „im Neuen Bau der Untergalerie hat sich befunden wie folgt: (…)“, dürften beide somit im Wesentlichen die Aufstellung der Abgüsse in der Düsseldorfer Sammlung wiedergeben. Dennoch dürfte es sich bei dem späteren Inventar von 1731 kaum um die Abschrift des früher erstellten handeln: Das Inventar von 1716 enthält viele sehr ungewöhnliche Verschreibungen und kaum identifizierbare Benennungen, die im Inventar von 1731 deutlich korrekter erscheinen, zudem ist dort jeweils die Größe der Stücke mit angegeben, die im früheren Verzeichnis nicht mit aufgenommen wurde. Außerdem enthält das Inventar von 1731 anders als das vorhergehende Informationen zur Herkunft der jeweiligen Originale, die in den meisten Fällen ein Identifizieren der antiken Vorlage ermöglichen. Zwar trägt das spätere Inventar den Titel der „von Mr. Gennaro Manelli in giebs verfertigten Statuen“, es enthält aber ebenso auch Stücke nach Formen, die in der früheren Liste des Francesco Arnaldi (s. o.) erscheinen. Im Inventar von 1716 sind zudem einige Stücke genannt, die bis zum Tode des Kurfürsten ausdrücklich nur als Formen vorlagen, im Übernahmeinventar sind diese dann aber inzwischen unter den „in giebs verfertigten Statuen“, d. h. als Abgüsse, aufgeführt, so die Kolossalstatuen von Oktavian und Caesar (Inv. 1731, Nr. 19 bzw. 20) und zwei Niobiden.87 Das Inventar von 1731 wurde erstmals 1984 von Claudia Braun publiziert und zusätzlich zu den bereits darin enthaltenen Herkunfts- und Größenangaben kommentiert, d. h. um Hinweise zur Identifizierung der jeweiligen Originale ergänzt, weshalb für die vorliegende Untersuchung auf die neuerliche Erstellung eines Kataloges verzichtet wird.88 Etwaige wesentliche Abweichungen oder Ergänzungen werden im Text selbst bzw. im Anhang behandelt. Verwiesen sei außerdem auf den ausführlicheren Katalog der Abgüsse der Antikensaal-Galerie der Universität Mannheim, die einen wesentlichen Teil der Stücke zeigt, die sich vormals im Mannheimer Antikensaal befanden.89 Von den zahlreichen erhaltenen Reiseberichten von Besuchern der Düsseldorfer Residenz geht offenbar allein der des Frankfurter Gelehrten Zacharias Conrad v. Uffenbach (1683–1734), der sich dort im Jahr 1711 aufhielt, genauer auf die AbgussSammlung und einzelne darin enthaltene Stücke ein, woraus sich auch ein Terminus ante quem für den Erwerb der von ihm erwähnten Abgüsse ergibt.90 Interessant sind auch die Augenzeugenberichte von späteren Besuchern des Mannheimer Antikensaales, da sie zum Teil auch explizit dort vorhandene Anti-

87 Klapheck 1919, 137. 88 Braun 1984, 21–29; Braun 1995, 179–184. Bekannt war das Karlsruher Inventar von 1731 bereits Levin, s. Levin 1906, 169. 89 Schiering 1995, 134–178 (Katalog der Abgüsse). 90 Z. C. v. Uffenbach, Merkwürdige Reisen durch Niedersachsen, Holland und Engelland III (Ulm 1754) = Uffenbach 1754, 725 f. – Eine Zusammenstellung der Reiseberichte bei Müller – Tilch 1984.

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3 Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm

kenabgüsse erwähnen.91 In den meisten Fällen handelt es sich um Stücke, die nach dem Abgleich mit dem 1731 erstellten Inventar ursprünglich aus der Sammlung Johann Wilhelms in Düsseldorf stammen. Dies trifft jedoch nicht zu auf den Torso vom Belvedere und den Marsyas Medici, die zwar nach Ausweis von Antikensaalbesuchern des 18. Jhs. dort vorhanden waren, deren Fehlen im genannten Inventar es bislang allerdings fraglich erscheinen ließ, ob auch sie aus Düsseldorf nach Mannheim gelangt waren. Diese Frage lässt sich nun auf Grundlage der übrigen Quellen zur Sammlungsgeschichte mit einiger Zuverlässigkeit beantworten (s. u.). Als nicht ganz zuverlässig einzustufen ist im Übrigen eine von M. Wegner zusammengestellte und von W. Schiering wieder abgedruckte Liste von „nachweislich im Mannheimer Antikensaal vorhandenen Abgüssen“, da sie auch die Trunkene Alte aufführt, für deren Aufstellung im Antikensaal es eben keinen Beleg gibt.92 Es scheint sich vielmehr um eine Kompilation der im Antikensaal nachweisbaren und der zuvor für Düsseldorf erworbenen Stücke zu handeln. Ein dieser Untersuchung beigefügter Anhang enthält ein Verzeichnis der in den Briefen zwischen Johann Wilhelm und dem Conte Fede genannten Erwerbungen für die Düsseldorfer Sammlung. Hinzu kommen die vier von den beiden Statuenkünstlern vorgelegten Verzeichnisse – um Interpretationen im Zuge einer Übersetzung zu vermeiden, im originalen italienischen Wortlaut. Separat aufgelistet sind auch die im Reisebericht Uffenbachs beschriebenen Werke. Für die beiden Inventare aus dem Jahr 1716 bzw. 1731 sei auf die Publikationen von E. Hofmann bzw. C. Braun verwiesen.93 Die Briefe zwischen dem Kurfürsten und Fede in italienischer Sprache sind, wenn auch zum Teil in gekürzter Form, weitgehend wortgetreu nachzulesen im Quellenteil der von S. Tipton vorgelegten Studie zu den Sammlungen des Kurfürsten Johann Wilhelm von der Pfalz.94 Davon unberührt bleibt natürlich die Möglichkeit der Einsichtnahme der Originaldokumente in den genannten Archiven.

3.3 Zur Ankunft der ersten Sendung von Abgüssen in Düsseldorf Am 5. Juli 1710 schreibt Johann Wilhelm an Fede, er freue sich, dass die beiden Künstler auf dem Weg nach Düsseldorf seien, zumal die Kisten mit den Statuen bereits hier angekommen seien.95 Man hatte versucht, das Eintreffen der Künstler

91 Eine Zusammenstellung der Augenzeugenberichte zum Mannheimer Antikensaal findet sich bei Hofmann 1982, 317–331 mit Anhang VII, 3. 92 Wegner 1944, 131; Schiering 1980, 323 f. 93 Hofmann 1982, 362 f.; Braun 1984, 21–29; Braun 1995, 179–184. 94 Tipton 2006, 201–325. 95 Q 535, Johann Wilhelm an Fede (5. Juli 1710); dieses Schreiben nicht bei Levin, vgl. aber Levin 1911, 167, wonach der Kurfürst am 14. Juni 1710 das Eintreffen der ersten Sendung in Düsseldorf

3.3 Zur Ankunft der ersten Sendung von Abgüssen in Düsseldorf

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wie der Abgüsse und ihrer Arbeitsmaterialien möglichst zeitgleich, aber doch so zu arrangieren, dass die Männer keinesfalls vor den zusammenzusetzenden Skulpturen ankämen, damit diese, wie Fede immer wieder bemerkt, nicht untätig in Düsseldorf abwarten müssten.96 Welche Stücke diese erste Sendung enthielt, lässt sich dem Schreiben Fedes vom 4. Mai 1709 entnehmen, in dem er Johann Wilhelm mitteilt, nunmehr stehe die Ladung der vier Statuen bereit, nämlich der Flora,97 des Hercules Farnese98 sowie des Fechters99 und des Kentauren Borghese,100 wobei letztere ein weiteres Mal geformt worden sei, da das erste Exemplar an den Papst [Clemens XI., Anm. E. S.] gegangen sei, wie S. Kurf. D. bekannt sei (Abb. 5–8). Er hoffe also, sie an einem Tag kommender Woche verladen und umgehend nach Livorno schicken zu können, von wo sie dann mit der ersten sicheren Gelegenheit zu S. Kurf. D. gesandt würden, und mit den Statuen würden auch deren Formen geschickt, wie Seiner Durchlaucht ihm gütigerweise angeordnet habe.101 Die Statuenauswahl entsprach nicht genau den Wünschen des Kurfürsten in seinem initiativen Schreiben an Fede in dieser Angelegenheit, in dem er um Beschaffung von Abgüssen des Hercules Farnese, des Apoll vom Belvedere und des Laokoon gebeten hatte, denn der Apoll und der Laokoon waren (noch) nicht dabei.102 Zusätzlich zum gewünschten Hercules konnte er sich jedoch an Abgüssen der Flora Farnese sowie des Fechters und des Kentauren Borghese erfreuen. Bereits am 30. März 1709 hatte Fede dem Kurfürsten mitgeteilt, der Hercules, die Flora und der Fechter Borghese seien fertig und auch schon verpackt, nur der Kentaur sei gerade von Neuem in Bearbeitung, da der Papst den fertiggestellten für

angezeigt haben soll. Dies ist allerdings sicher unzutreffend, da Johann Wilhelm mit Brief vom 21. Juni 1710 an Fede noch mitgeteilt hatte, er erwarte täglich und mit Ungeduld die Ankunft der Kisten aus Holland (Q 528) und am 28. Juni 1710 er freue sich, dass die Statuarii aufgebrochen seien, denn die Gegenstände, die sie bräuchten, könnten nicht mehr weit von Düsseldorf entfernt sein (Q 530). Aus diesen Angaben lässt sich der Zeitpunkt der Ankunft der ersten Sendung eingrenzen auf einen Tag zwischen dem 28. Juni und dem 5. Juli 1710. – Hofmann 1982, 313 bleibt allgemeiner und schreibt zur Ankunft der ersten Kiste (wobei es sicher mehrere waren) mit Gipsabgüssen lediglich „1710“. Die Angabe Schierings 1995, 118, der Aufbau der Sammlung habe mit dem Eintreffen der ersten Abgüsse 1711 begonnen, ist vermutlich aus dem Reisebericht Uffenbachs (1683–1734) abgeleitet, der in diesem Jahr Düsseldorf besuchte und dort das Galeriegebäude ebenso wie die darin untergebrachte Sammlung von Gipsabgüssen im Aufbau vorfand, s. Uffenbach 1754, 725 f. 96 Q 471, Fede an Johann Wilhelm (12. Oktober 1709); Q 477, Fede an Johann Wilhelm (26. Oktober 1709); Q 489, Fede an Johann Wilhelm (14. Dezember 1709); Levin 1911, 166. 97 Neapel, Mus. Nazionale, Inv.-Nr. 6409; Inv. 1731, Nr. 2. 98 Neapel, Mus. Nazionale, Inv.-Nr. 6001; Inv. 1731, Nr. 1. 99 Paris, Mus. du Louvre, Inv.-Nr. MA 527; Inv. 1731, Nr. 3; vgl. Schiering 1995, 146–148 A 12 (Abb. 15). 100 Paris, Mus. du Louvre, Inv.-Nr. MA 562; Inv. 1731, Nr. 5. 101 Q 436, Fede an Johann Wilhelm (4. Mai 1709); Levin 1911, 162. 102 Q 337, Johann Wilhelm an Fede (3. September 1707); Levin 1911, 153 f. (30. September 1707).

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3 Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm

Abb. 5: Flora Farnese, Neapel, Museo Archeologico Nazionale, Inv.-Nr. 6409.

3.3 Zur Ankunft der ersten Sendung von Abgüssen in Düsseldorf

Abb. 6: Hercules Farnese, Neapel, Museo Archeologico Nazionale, Inv.-Nr. 6001.

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3 Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm

Abb. 7: Fechter Borghese, Paris, Musée du Louvre, Inv.-Nr. MA 527.

3.3 Zur Ankunft der ersten Sendung von Abgüssen in Düsseldorf

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Abb. 8: Kentaur Borghese, Paris, Musée du Louvre, Inv.-Nr. MA 562.

sich hätte haben wollen.103 Nun fehle nur noch die Ankunft eines geeigneten Schiffes, um die Statuen nach Livorno zu transportieren, wo der Großherzog für ihre 103 Q 427, Fede an Johann Wilhelm (30. März 1709); Levin 1911, 161. – Die erstmalige Fertigstellung des Kentauren hatte Fede dem Kurfürsten mit Schreiben vom 2. März 1709 gemeldet, s. Q 422, Fede

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3 Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm

Weiterreise nach Holland sorgen werde. Nicht alle Schiffe seien dazu ausgelegt, ein so großes Gewicht zu tragen, und für das eine, das aufgetaucht sei, habe der Besitzer einen so exorbitanten Preis verlangt, dass es nicht möglich gewesen sei, den Vertrag abzuschließen.104 Zuvor hatte er auch schon darauf hingewiesen, nicht alle Schiffe seien geeignet, um zwei Statuen von so beträchtlicher Größe, wie es der Hercules und die Flora seien, aufzunehmen.105 Alle drei selbigen Statuen kämen mit den Formen, in denen sie gegossen worden seien, zu S. Kurf. D., damit er nach Belieben davon weitere anfertigen lassen könne. Offenbar war Fede zunächst davon ausgegangen, dass der neue Abguss des Kentauren noch nicht fertig sein würde, bis sich ein geeignetes Transportmittel zur Versendung der drei bereitstehenden Abgüsse fände, und andererseits verbot es die immer wieder betonte Eilfertigkeit gegenüber dem Kurfürsten, die Absendung der fertigen Stücke deshalb aufzuschieben.106 In seinem Antwortschreiben (20. April 1709) äußerte sich Johann Wilhelm hocherfreut über die Tatsache, dass Seine Heiligkeit einen der fertiggestellten Abgüsse habe für sich behalten wollen, denn dies beweise doch, wie gut sie gelungen seien.107 In demselben Schreiben geht er auch auf den Vorschlag Fedes ein, die Statuen von einem der Künstler, die sie gearbeitet hätten, begleiten zu lassen. Wie aus den gestrichenen Textpassagen zu entnehmen ist, war er zunächst der Auffassung, dies sei wohl nicht notwendig, da er hier durchaus Leute habe, welche sie zusammenzufügen verstünden, und wenn es ihnen doch nicht gelingen sollte, wäre immer noch Zeit, von dort einen der oben genannten Künstler kommen zu lassen. Schließlich schrieb er aber doch einfach, es sei notwendig, dass er käme, denn inzwischen hatte sich auch Agostino Steffani, (Titular-)Bischof von Spiga, eingeschaltet und den Kur-

an Johann Wilhelm (2. März 1709); Levin 1911, 161. Vor diesem Hintergrund erscheint die Datierung der beiden Schreiben, mit denen Fede auch Cosimo III. über den Fortgang des Abguss-Unternehmens für Johann Wilhelm unterrichtete und in denen er auch von der Übergabe des ersten AbgussExemplares des Kentauren an den Papst berichtete, der eine von vier bereits fertiggestellten Statuen gewesen sei, bereits in das Jahr 1708 fraglich, s. Q 380, Fede an Cosimo III. (9. März 1708) und Q 384, Fede an Cosimo III. (16. März 1708). Vgl. dazu beispielsweise auch die (angeblich) ungefähr zeitgleiche Mitteilung Fedes vom 17. März 1708, in der er Johann Wilhelm erst die Fertigstellung der Form der kolossalen Statue des Hercules anzeigen konnte, des ersten Abgusses, der für den Kurfürsten angefertigt wurde, s. Q 385, Fede an Johann Wilhelm (17. März 1708). Erst ungefähr ein Jahr später, am 2. März 1709, teilt Fede Johann Wilhelm dann mit, vier Abgüsse seien fertig, einschließlich des ersten Kentauren-Abgusses, s. Q 422, Fede an Johann Wilhelm (2. März 1709). Daher können die genannten Schreiben an Cosimo inhaltlich nur in das Jahr 1709 gehören. 104 Q 427, Fede an Johann Wilhelm (30. März 1709); Levin 1911, 161. 105 Q 425, Fede an Johann Wilhelm (23. März 1709). 106 Vgl. auch die entsprechende Mitteilung Fedes an Cosimo III., er lasse nun das Duplikat des Kentauren anfertigen, den er sich verpflichtet gesehen habe dem Papst zu schicken, nachdem dieser Gefallen daran gefunden habe, und inzwischen werde er die anderen drei Statuen an Seine Durchlaucht den Kurfürsten schicken, sobald ein passendes Schiff an diesem Ufer anlege, s. Q 384, Fede an Cosimo III. (16. März 1708). 107 Q 433, Johann Wilhelm an Fede (20. April 1709); Levin 1911, 161 f.

3.3 Zur Ankunft der ersten Sendung von Abgüssen in Düsseldorf

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fürsten davon überzeugen können, er werde nicht „la decima parte del piacere“ haben, „che deve havere d’un opera così grandiosa, e così bella“, wenn er nicht den Künstler nach Düsseldorf berufe, der die Abgüsse gemacht habe.108 Allerdings dürfte seine Angabe, alleine die Form zum Abgießen des Kopfes der Flora sei aus mehr als 200 Gipsstücken zusammenzusetzen, etwas übertrieben gewesen sein. Im Übrigen ist die Geschichte um das Abguss-Exemplar für den Papst auch insofern interessant, als sie zeigt, dass Fede Cosimo umfassender und offenbar auch aktueller informierte als Johann Wilhelm. So schreibt Fede dazu viel ausführlicher an Cosimo als an den Kurfürsten, der nur lapidar mitgeteilt bekommt, der Kentaur sei gerade von Neuem in Bearbeitung, da der Papst den fertiggestellten habe für sich haben wollen.109 Fede hatte Johann Wilhelm am 2. März 1709 zunächst von der Fertigstellung des ersten Kentauren (als einer von vier Statuen) berichtet,110 und erst am 30. März 1709 und nur auf Nachfrage, welche Abgüsse denn nun fertiggestellt seien, teilte er ihm mit, dieser sei an den Papst gegangen.111 Dagegen informierte er Cosimo darüber bereits mit Schreiben vom 9. und 16. März 1709.112 Angeblich sollen diese beiden Schreiben sogar bereits in das Jahr 1708 datieren, aber dagegen spricht der Inhalt der Briefe, denn Fede schreibt darin, vier Statuen einschließlich des (ersten) Kentauren seien bereits fertiggestellt gewesen, wohingegen die Korrespondenz mit Johann Wilhelm eindeutig belegt, dass zu diesem Zeitpunkt, im März 1708, erst die Form für den allerersten Abguss, nämlich die kolossale Statue des Hercules, fertiggestellt war.113 Dagegen konnte Fede tatsächlich erst am 2. März 1709 nach Düsseldorf vermelden, vier Abgüsse seien fertig.114 Auch wenn Fede dem Kurfürsten später als Cosimo und erst auf Nachfrage von dem an den Papst gelieferten Kentauren-Abguss berichtet, geht man wohl fehl in der Annahme, er habe die Episode Johann Wilhelm vielleicht gar nicht mitteilen wollen, stand dieser doch auch mit seinem Schwiegervater Cosimo in regem Briefkontakt. Vielmehr „adelte“ das Interesse des Papstes an dem eigentlich für den Düsseldorfer Fürsten gedachten Abguss das von Fede organisierte Abguss-Unternehmen. Dies zeigt auch die angetane Reaktion Johann Wilhelms darauf sowie die ausführliche Beschreibung der Umstände, die Fede Cosimo darüber liefert. Zumindest hatte Fede es eiliger, dies alles

108 Q 426, Agostino Steffani aus Rom an Johann Wilhelm (30. März 1709); Levin 1911, 158 f. 109 Q 427, Fede an Johann Wilhelm (30. März 1709); Levin 1911, 161. 110 Q 422, Fede an Johann Wilhelm (2. März 1709); Levin 1911, 161. 111 Q 427, Fede an Johann Wilhelm (30. März 1709); Levin 1911, 161. Vgl. davor Q 423, Johann Wilhelm an Fede (10. März 1709). 112 Q 380, Fede an Cosimo III. (9. März 1708?) und Q 384, Fede an Cosimo III. (16. März 1708?). Nach ihrem Inhalt und dem Kontext der anderen Briefe können diese kaum im Jahr 1708, sondern nur ein Jahr später verfasst worden sein. Die Briefe zwischen Fede und Cosimo III. befinden sich im Archivio di Stato in Florenz und sind insofern bei Levin nicht berücksichtigt. Dieser hat augenscheinlich nur die in München verwahrte Korrespondenz ausgewertet. 113 Q 385, Fede an Johann Wilhelm (17. März 1708). 114 Q 422, Fede an Johann Wilhelm (2. März 1709).

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3 Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm

dem Großherzog zu berichten, der sein älterer Dienstherr war, als Johann Wilhelm, und möglicherweise war er zunächst auch nicht von der positiven Reaktion des Kurfürsten überzeugt, da sich dessen Sammlungsaufbau dadurch noch einmal verzögerte, und fand vielleicht, die Mitteilung könne warten, bis der Ersatzabguss hergestellt wäre. Auch wenn Fede dem Kurfürsten gegenüber betont hatte, nicht nur das Gewicht der kolossalen Statuen der Flora und des Hercules, sondern auch deren Größe erschwere die Suche nach einem passenden Schiff für deren Transport, belegen weitere Briefe, dass die Statuen keineswegs im Ganzen nach Düsseldorf transportiert werden sollten, sondern vielmehr in Teilabgüssen, die dann vor Ort zusammengesetzt werden sollten. Dies erscheint schon wegen der besseren Transportierbarkeit der aufgestellt mehr als drei Meter messenden Statuen plausibel und reduzierte zudem deutlich die Bruchgefahr auf der langen und von mehrfachen Verladevorgängen unterbrochenen Reise von Rom nach Düsseldorf. So empfahl Fede dem Kurfürsten, die Statuen von einem der Künstler begleiten zu lassen, da er es für notwendig halte, einen erfahrenen Mann mitzuschicken, damit er diese zusammensetzen und an ihrem Bestimmungsort aufstellen könne.115 Später schreibt er – am selben Tag wie Steffani –, dass mit den genannten Statuen auch einer der Künstler, der sie angefertigt habe, sich dorthin begeben solle, da es vielleicht nicht so einfach sein werde, sie wieder richtig zusammenzusetzen für jemanden, der darin nicht viel Erfahrung habe.116 Und schließlich teilt er mit, da er sich überlegt habe, dass einer der Statuarii nicht ausreiche, um S. Kurf. D. wohl zu dienen beim Zusammenfügen der bewussten Statuen, hielte er es für gut, mit diesem auch den Kompagnon zu schicken.117 Mit Schreiben vom 3. November 1708 hatte Fede dem Kurfürsten mitgeteilt, nun, nachdem die beiden Statuen des Hercules und der Flora Farnese fertiggestellt seien, seien die Abgüsse des Laokoon und des Fechters Borghese in Arbeit, deren Formen er habe ausfindig machen können.118 Sobald auch diese fertig seien, werde die Versendung mit der ersten günstigen Gelegenheit erfolgen.119 Kurz darauf berichtete Fede jedoch von der Arbeit am Kentauren und am Fechter Borghese (wobei der Kentaur dem Fechter als Gegenstück dienen sollte),120 ein andermal war dann vom Kentauren und vom Laokoon die Rede.121 Dies sorgte für einige Verwirrung und veranlasste schließlich auch Johann Wilhelm zu der Frage, welche Stücke denn nun zu

115 116 117 118 119 und 120 121

Q 371, Fede an Johann Wilhelm (11. Februar 1708). Levin 1911, 155 f. Q 427, Fede an Johann Wilhelm (30. März 1709); Levin 1911, 161. Q 449, Fede an Johann Wilhelm (17. Juli 1709); Levin 1911, 164. Q 412, Fede an Johann Wilhelm (3. November 1708); Levin 1911, 157. Q 419, Fede an Johann Wilhelm (2. Februar 1709); Levin 1911, 161. Darin nennt Fede als dritten vierten Abguss allerdings den Kentauren und den Laokoon. Q 417, Fede an Johann Wilhelm (22. Dezember 1708); Levin 1911, 158. Q 419, Fede an Johann Wilhelm (2. Februar 1709); Levin 1911, 161.

3.3 Zur Ankunft der ersten Sendung von Abgüssen in Düsseldorf

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erwarten seien, welche fertiggestellt seien, und welche denn nun noch in Bearbeitung,122 woraufhin Fede zunächst klarstellte, fertig und bereits verpackt seien der Hercules, die Flora und der Fechter Borghese (30. März 1709), der Kentaur sei von Neuem in Bearbeitung.123 Wenig später (4. Mai 1709) teilte er dann mit, die Ladung der vier Statuen stehe nunmehr bereit, nämlich der Flora, des Hercules Farnese und des Fechters und des Kentauren Borghese.124 Dagegen hatte Steffani in dem Schreiben an Johann Wilhelm, in dem er sich auch für die Bestellung der beiden italienischen Statuarii nach Düsseldorf eingesetzt hatte (30. März 1709, also zeitgleich mit dem Schreiben Fedes), berichtet, drei der Statuen seien fertiggestellt und zwei in Arbeit, womit außer dem Kentauren eigentlich nur der Laokoon gemeint gewesen sein kann.125 In dieser ersten Sendung war der Laokoon, an dem ja auch Fede zufolge offenbar bereits gearbeitet worden war, jedoch nicht enthalten. Erst ein paar Monate später ist wieder vom Laokoon die Rede: Am 3. August 1709 sendet Fede dem Kurfürsten ein Verzeichnis der Formen antiker Statuen aus Rom, die Francesco Arnaldi, einer der beiden Statuenkünstler, besitze, und von denen sie dort, das heißt in Düsseldorf, vorteilhafter Abgüsse herstellen könnten.126 Dieses Formenverzeichnis nennt sowohl den Laokoon, ausdrücklich mit den beiden Söhnen, als auch den von Johann Wilhelm anvisierten Apoll vom Belvedere. Beide waren dem späteren Mannheimer Übernahmeinventar zufolge als Abgüsse in der Sammlung Johann Wilhelms vorhanden,127 jedoch scheint zumindest der Apoll nicht mithilfe einer der Arnaldi-Formen in Düsseldorf hergestellt worden zu sein. Späteren Briefen Fedes ist vielmehr zu entnehmen, dass Mannelli nun die Möglichkeit habe, auf eine in Neapel bereits vorhandene Form des Apoll zurückzugreifen, um Zeit und Kosten einzusparen.128 Daraus ergibt sich jedenfalls eindeutig, dass bis dahin noch kein Abguss des Apoll nach Düsseldorf geliefert worden war. Der Fedes Angaben zufolge offenbar, oder angeblich, bereits begonnene Laokoon war möglicherweise nicht recht gelungen oder es fand sich, wie im Falle des zuerst abgegossenen Kentauren, ein anderer Abnehmer. Vielleicht war er aber auch einfach noch nicht vollendet, als man beschloss, anstelle fertiger Abgüsse nur noch die Formen zum Ausgießen vor Ort nach Düsseldorf zu schicken, wie dies in der Folgezeit dann praktiziert wurde. Unklar ist auch, ob es sich bei dem angefangenen Exemplar um die ganze Laokoon-Gruppe gehandelt hatte oder nur um die Figur des

122 Q 423, Johann Wilhelm an Fede (10. März 1709); Levin 1911, 161. 123 Q 427, Fede an Johann Wilhelm (30. März 1709); Levin 1911, 161. 124 Q 436, Fede an Johann Wilhelm (4. Mai 1709); Levin 1911, 162. 125 Q 426, Agostino Steffani an Johann Wilhelm (30. März 1709); Levin 1911, 158. 126 Q 452, Fede an Johann Wilhelm (3. August 1709); Levin 1911, 165 (3. September 1709). 127 Inv. 1731, Nr. 6 (Laokoon-Gruppe); Nr. 46 (Apoll vom Belvedere), s. Braun 1984, 24. 27. Vgl. Schiering 1995, 148–150 A 13 (Abb. 16); Schiering 1995, 142–144 A 8 (Abb. 12). 128 Q 633, Fede an Johann Wilhelm (15. April 1713); Levin 1911, 171. – Q 638, Fede an Johann Wilhelm (3. Juni 1713).

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3 Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm

Vaters. Dem Inventar von 1731 zufolge befand sich später jedenfalls ausdrücklich der „Laoconte del Vaticano co i suoi figli“ in der Sammlung. Der Abguss könnte aus einer der im Besitze Arnaldis befindlichen Formen gegossen worden sein, der in seinem o. g. Formenverzeichnis einen „Leonconte (sic) co i due figli di Belvedere“ nennt.129 Infrage käme aber auch eine der Formen, die einige Jahre zuvor für den König von Frankreich angefertigt worden waren, und die ausfindig zu machen Fede geglückt war, wie dieser berichtet.130 Mithilfe einer dieser Formen war der Abguss des Fechters Borghese hergestellt worden.131 Am 11. Mai 1709 vermeldet Fede, die Statuen seien bereits auf zwei Livorneser Schiffe verladen und würden früh am nächsten Morgen nach Livorno abfahren. Der Großherzog werde sich des Weitertransportes mit dem ersten englischen oder holländischen Schiff, das dort im Hafen anlege, annehmen. Die Statuen seien in zehn Kästen verpackt, die Spezifikation liege bei.132 Der Transport von Rom erfolgte grundsätzlich zunächst per Schiff bis Livorno,133 dem Florenz vorgelagerten Seehafen. Zur Sicherheit vor Piratenüberfällen entlang der Küste schickte der Großherzog von Toskana seine eigenen Galeeren bis Civitavecchia entgegen, um die mit den Statuen beladenen Barken zu eskortieren.134 Von Livorno ging es dann – zum Schutz vor Seeräubern („perché non cadano nelle mani di qualche corsaro inimico“) mit französischem Pass135 – weiter zur See bis nach Holland.136 In Amsterdam sollte die Sendung vom dortigen kurfürstlichen Residenten Wiser in Empfang genommen werden.137 Von dort erfolgte dann die letzte Etappe der Reise nach Düsseldorf. Am 24. Mai 1710 schreibt Johann Wilhelm an Fede, er habe Mitteilung, die Galeere des Kapitäns Giacomo Doncan mit den Frachtstücken der ersten Sendung sei am 20. Mai glücklich im Hafen von Amsterdam angekommen, wohin sie am 3. März von Livorno aus aufgebrochen war.138 Diese seien nun auf ein anderes Schiff zu verladen, um rheinaufwärts hierher transportiert zu werden. Wenn sie angekommen

129 Q 452, Fede an Johann Wilhelm (3. August 1709); Levin 1911, 165 (3. September 1709). 130 Q 412, Fede an Johann Wilhelm (3. November 1708); Levin 1911, 157. 131 Q 412, Fede an Johann Wilhelm (3. November 1708); Levin 1911, 157. – Q 417, Fede an Johann Wilhelm (22. Dezember 1708); Levin 1911, 158. 132 Q 437, Fede an Johann Wilhelm (11. Mai 1709); Levin 1911, 162. 133 Q 337, Johann Wilhelm an Fede (3. September 1707); Levin 1911, 153 f. (30. September 1707). 134 Q 440, Fede an Johann Wilhelm (1. Juni 1709); Levin 1911, 162. 135 Q 405, Fede an Johann Wilhelm (11. August 1708); Levin 1911, 157. – Q 406, Johann Wilhelm an Großherzog Cosimo III. de’ Medici in Florenz (1. September 1708). 136 Q 423, Johann Wilhelm an Fede (10. März 1709); Levin 1911, 161. 137 Q 348, Johann Wilhelm an Fede (15. Oktober 1707); Levin 1911, 154 f. – Levin a. O. gibt den Wortlaut abweichend wieder, die Sendung habe „an unsern Residenten Brickenar in Amsterdam“ adressiert werden sollen. Wiser war zwar zunächst Sondergesandter des Kurfürsten in Madrid, später aber in Den Haag, s. Levin 1906, 230 f. Von daher kommt er als Empfänger der Sendung durchaus in Betracht. 138 Q 519, Johann Wilhelm an Fede (24. Mai 1710); Levin 1911, 167.

3.4 Die Aufstellung der Abgüsse in Düsseldorf – das Galeriegebäude

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seien, werde er darauf achten lassen, dass nichts angerührt oder geöffnet werde, solange die Künstler selbst nicht hier seien – während die kostbare Fracht unterwegs war, hatte Fede zunächst gewarnt, man möge beim Auspacken der Kisten besondere Sorgfalt aufwenden und diese wegen der Bruchgefahr des Inhalts besser aufsägen als sie mit dem Hammer aufzubrechen,139 und dann doch lieber empfohlen, die Statuarii selbst mögen die Statuen in Empfang nehmen und das Ausladen derselben begleiten.140 In seinem Brief vom 5. Juli 1710 meldet Johann Wilhelm schließlich an seinen Residenten in Rom, „i cassoni colle statue siano gia arrivati qua“.141 Damit hatte der Transport mehr als ein Jahr gedauert.142 Deutlich schneller erreichten die Briefe zwischen dem Kurfürsten und Fede ihren Empfänger: Nach Ausweis des Datums der jeweiligen Antwortschreiben waren es ziemlich genau drei Wochen – fast ein Telegramm.143

3.4 Die Aufstellung der Abgüsse in Düsseldorf – das Galeriegebäude Die Aufstellung vor Ort erfolgte im sog. Galeriegebäude, einem eigens für die Kunstschätze des Kurfürsten errichteten Bauwerk (errichtet 1709–1714).144 Dabei handelte es sich um ein dreiflügeliges Gebäude, das um einen zentralen Ehrenhof angelegt war (Abb. 9a, b). Im Obergeschoss befand sich die Gemäldegalerie des Kurfürsten, während die Abgüsse im Erdgeschoss untergebracht waren. Die Gemäldesammlung Johann Wilhelms war im Übrigen eine der bedeutendsten und berühmtesten europäischen Gemäldesammlungen ihrer Zeit und umfasste etliche hundert Stücke, darunter vorwiegend Werke holländischer und flämischer Künstler des 17. Jhs. wie

139 Q 440, Fede an Johann Wilhelm (1. Juni 1709); Levin 1911, 162. 140 Q 517, Fede an Johann Wilhelm (10. Mai 1710). 141 Q 535, Johann Wilhelm an Fede (5. Juli 1710). 142 Verfolgt man die Dauer der verschiedenen Etappen dieser ersten Statuensendung nach Düsseldorf, stellt man fest, dass die Ladung besonders lange in Livorno auf ihren Weitertransport nach Holland hatte warten müssen: So waren die beiden Tartanen aus Rom bereits am 15. Juni 1709 dort eingelaufen, s. Levin 1911, 162 f. (das entsprechende Schreiben fehlt bei Tipton 2006). Dies bestätigt ein Schreiben Johann Wilhelms vom 6. Juli 1709, s. Q 447, Johann Wilhelm an Fede (6. Juli 1709); Levin 1911, 163. Erst am 3. März 1710 erfolgte dann der Weitertransport nach Amsterdam, s. Q 519, Johann Wilhelm an Fede (24. Mai 1710). 143 Dies lässt sich durchgängig beobachten, s. beispielsweise die Antwort Johann Wilhelms am 20. April 1709 auf Fedes Schreiben vom 30. März 1709, s. Q 433, Johann Wilhelm an Fede (20. April 1709) bzw. Q 427, Fede an Johann Wilhelm (30. März 1709). Am 2. August 1710 schreibt Johann Wilhelm an Fede, seine Briefe vom 12. Juli seien eingetroffen, s. Q 544, Johann Wilhelm an Fede (2. August 1710). 144 Das vorliegende Kapitel wurde bereits teilweise vorab veröffentlicht in: Suchezky 2011; Suchezky 2014. – Baumgärtel 2008a, 196; Quaeitzsch 2009, 10 f.

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3 Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm

Abb. 9: a) Nicolas de Pigage, Düsseldorfer Gemäldegalerie, Aufriss und Schnitt, 1776; b) Nicolas de Pigage, Düsseldorfer Gemäldegalerie, Grundriss, 1776.

3.4 Die Aufstellung der Abgüsse in Düsseldorf – das Galeriegebäude

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Rubens, van Dyck und Rembrandt.145 Die Meisterwerke dieser Sammlung zählen heute zu den Hauptwerken der Alten Pinakothek in München. Das Galeriegebäude war durch ein Treppenhaus mit dem Düsseldorfer Stadtschloss verbunden.146 Die Errichtung eines eigenständigen Gebäudes als Haus nur für die Kunst war innovativ und bedeutete einen entscheidenden Schritt auf dem Weg vom fürstlichen Privatkabinett zum öffentlichen Museum.147 Eine bildliche Vorstellung von der baulichen Situation und räumlichen Aufteilung vermitteln einerseits die Stiche von Nicolas de Pigage, andererseits ein Gemälde von Andreas Achenbach.148 Die Düsseldorfer Residenz und die Gemäldegalerie waren Gegenstand zahlreicher Reisebeschreibungen.149 Ausführlichere Berichte liegen beispielsweise von J. de Blainville (1705) und Z. C. von Uffenbach (1711) vor, wobei letzterer offenbar als einziger Besucher genauer auf die Abguss-Sammlung und einzelne darin enthaltene Stücke eingeht (s. u.).150 Blainville wurde vom Düsseldorfer Hofmaler van der Werff persönlich durch die Sammlungen geführt, allerdings existierten zum Zeitpunkt seines Besuches das Galeriegebäude und die Sammlung der Antikenabgüsse noch nicht, und die Gemälde waren noch im Residenzschloss untergebracht.151 Nicht mehr zu Lebzeiten Johann Wilhelms und etwas allgemeiner schildert ein Frankfurter Besucher namens J. H. Dielhelm (1739) seine Eindrücke des Galeriegebäudes und der Abguss-Sammlung: „Gleich darunter ist noch ein anderer Gang, so mit lauter Statuen von Marmor und Gips nach dem Abriß der vornehmsten Bildsäulen in Rom und Florenz, so der Churfürst Joh. Wilhelm mit vielem Fleiß und grossen Kosten abgiessen lassen, besetzt ist.“ 152 S. Wulff hat die Sammlungskonzeption mit Abgüssen antiker Bildwerke im Erdgeschoss und Werken der Malerei mit hauptsächlich religiöser Thematik im Obergeschoss als ideologisches Konzept im Sinne eines über die heidnische Antike trium-

145 Rund 350 Gemälde befanden sich in dem an das Schloss angefügten Galeriegebäude, über 200 in den kurfürstlichen Kabinetten und Schlafgemächern, s. Dekiert 2006, 11; Baumstark 2009c, 7. Rechnet man die außerhalb der Düsseldorfer Residenz befindlichen Gemäldebestände in den Schlössern von Bensberg und Benrath hinzu, könnte sich der Bilderbesitz Johann Wilhelms sogar auf rund 1000 Gemälde belaufen haben, s. Wulff 2000, 233; Levin 1911, 118. 146 Quaeitzsch 2009, 10 f. mit Abb. 1. 2; Baumstark 2009b, 81–84 mit Abb. 4. 5. 147 Baumgärtel 2006, 24; Gamer 1978, 206 f. 148 Nicolas de Pigage, Düsseldorfer Gemäldegalerie, Grundriss bzw. Aufriss und Schnitt, 1776, s. de Pigage 1778, S. B und C; Andreas Achenbach, Die alte Akademie in Düsseldorf, 1831, Düsseldorf, Museum Kunstpalast. – Die Stiche von de Pigage zeigen das Erdgeschoss allerdings nach Abtransport der Antikenabgüsse. Zum Galeriegebäude, von dem heute nur noch der linke Flügel auf dem Burgplatz erhalten ist, s. Mauer 2008, 42 f. 149 Diese zusammengestellt bei Müller – Tilch 1984. 150 Z. C. von Uffenbach, Merkwürdige Reisen (1711), s. Müller – Tilch 1984, 30–41; Uffenbach 1754, 725 f. 151 J. de Blainville, Reisebeschreibung (1705), s. Müller – Tilch 1984, 16–27. 152 J. H. Dielhelm, Rheinischer Antiquarius (1744, überarbeitete Fassung des Textes von 1739), s. Müller – Tilch 1984, 43–46.

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3 Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm

phierenden Christentums interpretiert.153 Dazu ist allerdings anzumerken, dass der Besitz antiker Skulpturen an sich in keiner Weise als „heidnisch“, sondern als mit dem katholischen Glauben voll und ganz vereinbar zu betrachten war. So gehörte dem Vatikan mit dem Antikenmuseum im Belvedere eine der bedeutendsten Sammlungen antiker Statuen, deren Monopolstellung durch ein striktes Ausfuhrverbot antiker Skulpturen gesichert wurde. Der Besitz antiker Statuen kam damit – überspitzt formuliert – „beinahe einem Bekenntnis zum Katholizismus gleich“.154 Will man die Aufstellungssystematik dennoch hierarchisch deuten, erscheint eine Gegenüberstellung der antiken und der neuzeitlichen Kunst in Anlehnung an die kunsttheoretische Debatte der Querelle des Anciens et des Modernes, in der u. a. die respektvolle Überwindung des antiken Vorbildes durch die moderne Kunst im Sinne eines fortlaufenden kulturellen Progresses postuliert wurde, wahrscheinlicher.155 Im Übrigen dürften schlicht auch praktische Gründe zur Aufstellung der großen und schweren Gipsstatuen im Erdgeschoss beigetragen haben, zumal außerdem die Beleuchtungssituation für die Betrachtung der Gemälde im Obergeschoss günstiger war, da das Licht nur durch Fenster zum Innenhof hin fiel. Neben dem Galeriegebäude befand sich die Werkstatt, in der die beiden italienischen Statuarii die in Teilabgüssen gelieferten Statuen zusammensetzten bzw. aus den Abgussformen Statuenabgüsse anfertigten. Bereits ganz zu Beginn des Sammlungsaufbaus, in einem der ersten diesbezüglichen Briefe an den Conte Fede, hatte Johann Wilhelm offensichtlich schon den Gedanken, der Einfachheit halber anstelle der „copie di stucco di codeste statue più celebri“ alleine die Formen zu transportieren, diesen dann aber offenkundig zunächst wieder verworfen, zumindest ist die entsprechende Textpassage im Konzept wieder gestrichen worden.156 In der Folgezeit ist dies dann aber doch so praktiziert worden. Lediglich die ersten Sendungen enthielten nicht nur die Formen, sondern auch die Statuen selbst,157 wenn auch in Form von vor Ort zusammenzusetzenden Teilabgüssen.158 So berichtet Fede dem Kurfürsten, die Form des Hercules Farnese sei bereits fertig und nun werde die der Flora hergestellt. Wenn auch diese fertig sei, werde das Gießen beider Statuen erfolgen.159

153 Wulff 2000, 240 f. 154 Walther 1998, 374. Die bedeutendsten Antikensammlungen des 17. Jh. außerhalb Italiens gab es am mediceisch geprägten französischen Königshof und bei dem ihm affiliierten Adel, s. Walther 1998, 374. 155 Quaeitzsch 2009a, 173. 156 Levin 1911, 154 mit Anm. 4; vgl. Q 348, Johann Wilhelm an Fede (15. Oktober 1707). 157 So bittet auch Johann Wilhelm Cosimo III., Fede einen französischen Pass zu besorgen, damit dieser ihm auf dem Seeweg die Kopien einiger Statuen sicher zukommen lassen könne, die dieser für ihn in Rom habe anfertigen lassen, s. Q 406, Johann Wilhelm an Cosimo III. in Florenz (1. September 1708). 158 Q 427, Fede an Johann Wilhelm (30. März 1709); Levin 1911, 161. 159 Q 393, Fede an Johann Wilhelm (16. Mai 1708); Levin 1911, 157. – Etwas später schreibt Fede an Johann Wilhelm, die Statue des Hercules stünde bereits fertig da, und „viele wünschen sie zu

3.4 Die Aufstellung der Abgüsse in Düsseldorf – das Galeriegebäude

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Über die damalige Situation rund um die Abguss-Werkstatt sind wir durch den Bericht eines Zeitzeugen unterrichtet. Der Frankfurter Gelehrte Zacharias Conrad v. Uffenbach (1683–1734) besuchte Düsseldorf im Jahre 1711, als bereits die ersten Abgüsse dort eingetroffen waren. Dort sah er auch das Galeriegebäude (für das er im Übrigen als erster den Namen „Kunsthaus“ geprägt hat) und die Werkstatt. Das Gebäude war zu diesem Zeitpunkt, ebenso wie die Sammlung der Abgüsse selbst, noch im Aufbau. In seinem Reisebericht schreibt er: (…) Neben dem Kunsthaus arbeiten auch zwey Italiäner in Gips unvergleichlich. Sie hatten sehr viele, doch meist kleine antique Statuen und Bildergens ringsherum fertig stehen. Zuletzt sahe ich das Kunsthaus selbst, so aber noch nicht fertig. Es stehet gleich vor dem Schloß, ist sehr groß, und hoch von Backsteinen aufgeführt. Oben darauf sollen die Antiquitäten und Medallien, wie auch die Mahlereyen kommen; unten aber lauter grosse Statuen. Wie dann in einem Zimmer bereits verschiedene sehr considerable Stücke stunden, dergleichen ich sonderlich an Grösse in Berlin nicht gefunden, obgleich mehrere. Die vornehmste waren folgende: Ein Hercules, und eine Flora von ganz entsetzlicher Grösse. (…) Ferner [726] waren sehr schön ein Centaurus, auf welchem ein Cupido saß, und ihn peitschte. Ferner ein Stück, so zwey Fechter, deren einer den andern zu Boden warf, vorstellte. Ein tanzender Satyr, dergleichen wir bey Herrn Tenkaaten in Amsterdam gesehen. Ein Mercurius und andere mehr.160

Die Äußerung, der Hercules und die Flora seien „von ganz entsetzlicher Grösse“ wird verständlich, wenn man bedenkt, dass beide eine Höhe von deutlich über drei Metern aufwiesen. Das für die Abgüsse verwendete Material war genau genommen nicht Gips, sondern Scagliola, also Stuckmarmor. Dem Kurfürsten gegenüber hatte Fede das Material, das in der Folgezeit in größeren Mengen mit den Abgussformen nach Düsseldorf geliefert wurde,161 mit seiner besonderen Haltbarkeit und Widerstandsfähigkeit angepriesen. So leiste dieses „auch dem Schlage mit dem Hammer Widerstand“.162 Zudem sei es ganz und gar innovativ („un’invenzione non pratticata fin’ora da altri“), denn im Gegensatz zu den Abgüssen, die nun für den Kurfürsten angefertigt würden, seien die Statuen, die der König von Frankreich habe formen lassen, und auch die im Palaste des Königs von Spanien und anderer Principi be-

sehen und die ersten Persönlichkeiten an diesem Hof wollen darin konkurrieren, sie zu bestaunen, da sie schöner wirke als das Original selbst“, s. Q 405, Fede an Johann Wilhelm (11. August 1708). Dies erscheint allerdings etwas übertrieben und auch fraglich vor dem Hintergrund, dass die Statue dann doch in Teilabgüssen transportiert wurde. 160 Uffenbach 1754, 725 f. 161 Vgl. Q 450, Johann Wilhelm an Fede (20. Juli 1709); Levin 1911, 163 f. – Q 453, Fede an Johann Wilhelm (10. August 1709); Levin 1911, 164. – Q 619, Johann Wilhelm an Fede (9. September 1712). – Q 679, Fede an Johann Wilhelm (24. März 1714); Levin 1911, 174. Eine Bestellung des Kurfürsten belief sich gar auf 30 000 Pfund Scagliola, s. Q 570, Johann Wilhelm an Fede (1. August 1711); Levin 1911, 169. 162 Q 357, Fede an Johann Wilhelm (17. Dezember 1707); Levin 1911, 155.

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3 Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm

findlichen alle noch aus Gips.163 Und nicht zuletzt sei das Material schöner als selbst Marmor („una mistura (…) più bello del marmo istesso“).164

3.5 „Zwei kleine Italiener“: Die beiden Statuarii am Hofe des Kurfürsten Zum Aufbau der Abguss-Sammlung am Hofe Johann Wilhelms in Düsseldorf bedurfte es neben Fedes unverzichtbarer Vermittlertätigkeit auch praktisch-künstlerischer Unterstützung. Zu diesem Zweck hatte Fede in Italien zwei offenbar ungewöhnlich fähige Statuarii anwerben können. Auf den Vorschlag Fedes, mit den Abgüssen auch einen der Künstler nach Düsseldorf zu schicken, da es eines erfahrenen Mannes bedürfe, um diese vor Ort zusammenzusetzen und an dem für sie vorgesehenen Standort aufzustellen,165 geht Johann Wilhelm zunächst nicht ein: Er sei erfreut, dass die Arbeit an der bewussten Statue [dem Hercules Farnese, Anm. E. S.] vorangehe, und was den Künstler angehe, der mit Scagliola arbeite, so habe er jemanden derselben Profession, dem es nicht an Geschick fehle, sodass es nicht nötig sein werde, ihn zu schicken.166 Erst nachdem Fede noch einmal auf die Angelegenheit zurückgekommen war, und sich gleichzeitig auch Agostino Steffani, (Titular-)Bischof von Spiga, eingeschaltet und dem Kurfürsten versichert hatte, er werde nicht „la decima parte del piacere“ haben, „che deve havere d’un opera così grandiosa, e così bella“, wenn er nicht den Künstler nach Düsseldorf berufe, der die Abgüsse gemacht habe,167 erklärte sich dieser einverstanden.168

163 Q 371, Fede an Johann Wilhelm (11. Februar 1708): „(…) sicché l’A.V.E. spero, che sarà sodisfatta di un’invenzione non pratticata fin’ora da altri, mentre le statue, che ha fatto formare il Re di Francia e che sono ancora nel palazzo del Re di Spagna e di altri Principi sono tutte di gesso come mi hanno constantemente affermato questi professori.“; Levin 1911, 155 f. übersetzt irrtümlich, das Material sei „mit Ausnahme der Statuen, welche der König von Frankreich hat abformen lassen, anderweits bis heute nicht zur Anwendung gekommen.“ (11. Februar 1708). – Vgl. außerdem Tipton 2006, 177 Anm. 245; Q 384, Fede an Großherzog Cosimo III. de’ Medici (16. März 1708): „(…) mà S. M. non fù ben servita, perché tutte le Sue statue furono formate di gesso, che non ha né vita, né durata, ma io l’hò fatte formare di scagliola (…).“ 164 Q 380, Fede an Großherzog Cosimo III. de’ Medici (9. März 1708). Entsprechend schreibt auch Steffani an den Kurfürsten, das Material stelle selbst den Carrarischen Marmor in den Schatten („fà vergogna allo stesso marmo di Carrara“), s. Q 426, Agostino Steffani aus Rom an Johann Wilhelm (30. März 1709); Levin 1911, 159. 165 Q 371, Fede an Johann Wilhelm (11. Februar 1708). Levin 1911, 155 f. 166 Q 376, Johann Wilhelm an Fede (3. März 1708) : „(…) avendo Noi qui persona della medesima professione e che non manca d’abilità, non occorrerà mandarlo“; Levin 1911, 156. 167 Q 427, Fede an Johann Wilhelm (30. März 1709); Levin 1911, 161. – Q 426, Agostino Steffani aus Rom an Johann Wilhelm (30. März 1709); Levin 1911, 158 f. 168 Q 433, Johann Wilhelm an Fede (20. April 1709); Levin 1911, 162.

3.5 „Zwei kleine Italiener“: Die beiden Statuarii am Hofe des Kurfürsten

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Der Künstler, von dem die Rede war, hieß Gennaro Mannelli, doch sein Name fiel zunächst nicht. In seinem Schreiben hatte Fede nicht nur erneut die Vorzüge des Materiales Scagliola betont, das anstelle von Gips zur Anfertigung der Antikenabgüsse für Johann Wilhelm zum Einsatz kam, sondern auch die Qualitäten des Statuenkünstlers hervorgehoben: Unter den Künstlern, die solcher Arbeit nachgingen, habe er einen ausgewählt, der mit besagter Scagliola viel Erfahrung habe und daraus Tischchen, Zimmerfußböden und andere Galanteriewaren fertige, die wahrhaft großer Fürsten würdig seien, wobei er einen erlesenen Geschmack zeige und eine Art und Weise, Blumen, Früchte und Vögel zu gestalten, die er noch nie bei anderen gesehen habe.169 (…) Besagter Künstler sei ein Mann von gutem Auftreten und tadellosen Sitten, gebürtig aus Sorrent, wo er aus guter bürgerlicher Familie stamme.170 Wenig später warb Fede dafür, nicht nur Mannelli, sondern auch seinen Kollegen, Francesco Arnaldi,171 nach Düsseldorf kommen zu lassen: Da er sich überlegt habe, dass einer der Statuarii nicht ausreiche, um S. Kurf. D. wohl zu dienen beim Zusammenfügen der bewussten Statuen, hielte er es für gut, mit diesem auch den Kompagnon zu schicken. Bei dieser Gelegenheit könne dieser die zahlreichen Formen weiterer sehr berühmter Statuen, die er besäße, mitbringen und diese dann dort ausformen, so dass man erhebliche Kosten für ihren Transport sparen würde. Außerdem könne man, da die beiden Männer gemeinsam an denselben gearbeitet hätten, schwerlich einen vom anderen trennen.172 Um weitere Überzeugungsarbeit zu leisten, schickte Fede mit seinem nächsten Schreiben gleich eine entsprechende Liste der im Besitze des Francesco Arnaldi befindlichen Formen antiker Statuen aus Rom mit, darunter so prominente Stücke wie die Laokoon-Gruppe und der Apoll vom Belvedere, den der Kurfürst sich von Anfang an gewünscht hatte, aber noch nicht besaß. Dazu kam noch eine Aufstellung weiterer Formen, „die man von anderen haben könne“.173 Johann Wilhelm genehmigte auch dies: Wenn einer der Statuarii nicht ausreichen werde, um die bewussten Statuen zusammenzufügen, und er es für gut erachte derer zwei zu schicken, so sei er damit einverstanden. Er dürfe

169 Eine Vorstellung von den vor seinem Eintritt in die Dienste des Kurfürsten von Mannelli hergestellten Scagliola-Werken und der Qualität seiner Arbeit vermitteln zwei bis heute erhaltene Hochaltäre in Italien, in der Nähe von Salerno: 1702 wurde Mannelli beauftragt, in der Kirche Santa Lucia (erbaut im 11. Jh.), Ortsteil der Stadt Cava de’ Tirreni (in Kampanien, etw. nördlich von Salerno) den neuen Hochaltar in farbiger Scagliola auszuführen. 1706 gestaltete er den Hochaltar der Wallfahrtskirche Sant’Antonio in Polla (Salerno), südöstlich von Salerno, ebenfalls in farbiger Scagliola. 170 Q 371, Fede an Johann Wilhelm (11. Februar 1708). Levin 1911, 155 f. Später ist noch zu erfahren, dass Salerno seine Heimat sei, s. Q 484, Fede an Johann Wilhelm (16. November 1709); Levin 1911, 166. 171 Von diesem erfahren wir nicht viel mehr, als dass er aus Rom stammte, s. Levin 1906, 171. 172 Q 449, Fede an Johann Wilhelm (17. Juli 1709); Levin 1911, 164. 173 Q 452, Fede an Johann Wilhelm (3. August 1709), Anlage; Levin 1911, 165 (3. September 1709).

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3 Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm

die beiden genannten Kameraden schicken und diese möchten die Formen weiterer Statuen mitbringen, die sonst noch ausfindig zu machen seien.174 Da, wie Fede mehrfach bemerkte, es nicht sinnvoll sei, dass die Statuarii vor der Sendung der Formen und der Materialien in Düsseldorf einträfen, da sie dort dann untätig bleiben müssten bis zu deren Ankunft, sollte ihre Abreise aus Rom nicht sofort erfolgen.175 Fede kündigte an, die beiden Männer loszuschicken, sobald die genannten Gegenstände in Livorno verladen worden seien, zu Lande, „weil sie die Bewegung des Meeres nicht gewöhnt seien“.176 Am 14. Juni 1710 meldet Fede, er habe heute Morgen die Künstler Gennaro Mannelli und Francesco Arnaldi mit dem gewöhnlichen Eilwagen nach dorthin entsandt. Da dieselben jedoch ihre Ehefrauen hier hätten, habe es einer etwas großzügigeren Demonstration bedurft, um sie dazu zu bewegen, sie zurückzulassen und eine so lange Reise zu unternehmen.177 Am 2. August 1710 haben die beiden Statuarii Düsseldorf bereits erreicht.178 Ein anschauliches Bild ihrer Tätigkeit am Hofe des Kurfürsten vermittelt der oben zitierte Zeitzeugenbericht des Z. C. von Uffenbach aus dem Jahr 1711, auch wenn dieser irrtümlich noch von Gips als Arbeitsmaterial ausging. Im September 1712, gut zwei Jahre nach der Ankunft der beiden Künstler in Düsseldorf, teilt Johann Wilhelm Fede mit, Gennaro Mannelli ginge noch einmal für einige Monate nach Italien.179 Am 19. November 1712 ist Mannelli bereits wieder in Rom, und Fede berichtet dem Kurfürsten, mit welcher Eilfertigkeit der Statuarius nun auch dort für ihn als Abformer tätig sei.180 Aus dieser Zeit, in der sich Mannelli – dann doch erheblich länger als geplant – in Rom aufhielt, um zahlreiche neue AbgussFormen zu gewinnen, stammen sämtliche von ihm überlieferten Statuen-Verzeichnisse. Das erste listete die berühmtesten Statuen Roms auf, von denen er die Formen anzufertigen beabsichtigte.181 Das zweite, übersandt mit dem Schreiben Fedes vom 10. März 1714, ist noch einmal um einiges umfangreicher und enthält dann die von Mannelli bislang vollendeten Arbeiten.182 Und als drittes erhielt Johann Wilhelm aus

174 Q 455, Johann Wilhelm an Fede (17. August 1709); Levin 1911, 164. 175 Q 471, Fede an Johann Wilhelm (12. Oktober 1709); Q 477, Fede an Johann Wilhelm (26. Oktober 1709); Q 489, Fede an Johann Wilhelm (14. Dezember 1709); Levin 1911, 166. 176 Q 484, Fede an Johann Wilhelm (16. November 1709); Levin 1911, 166. 177 Q 526, Fede an Johann Wilhelm (14. Juni 1710); Levin 1911, 167. 178 Q 544, Johann Wilhelm an Fede (2. August 1710); Levin 1911, 168. 179 Q 619, Johann Wilhelm an Fede (9. September 1712); Levin 1911, 170. Dagegen scheint sein Kollege Arnaldi bereits recht bald wieder ganz nach Italien zurückgekehrt zu sein, s. Levin 1906, 172 f. 180 Q 623, Fede an Johann Wilhelm (19. November 1712); Levin 1911, 170 f. Vgl. dazu auch Levin 1906, 172: „Manelli (sic) war in kurpfälzische Dienste getreten, wogegen sein Gefährte Arnaldi bald wieder in die Heimat zurückkehrte. Der Aufenthalt des Neapolitaners in Düsseldorf wurde durch eine mehrjährige Abwesenheit unterbrochen, die er in Rom zur Aufbringung eines grossen Vorrats von neuen und alten Formen verwertete.“ 181 Q 623, Fede an Johann Wilhelm (19. November 1712), Anlage; Levin 1911, 170 f. 182 Q 678, Fede an Johann Wilhelm (10. März 1714), Anlage; Levin 1911, 173 f. (14. März 1714).

3.6 Zur Bedeutung der Abguss-Formen und repräsentativen Funktion der Sammlung

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Rom eine Aufstellung von Werken der Sammlung Odescalchi, von denen Mannelli bereits Abguss-Formen genommen hatte oder noch daran arbeitete.183 Am 17. August 1715 meldet Fede die Einschiffung der letzten Sendung mit allen Formen und notwendigen Materialien nach Livorno und kündigt an, Mannelli werde in einigen Tagen seine Rückreise an den Kurfürstlichen Hof in Düsseldorf antreten.184 Am 14. September 1715 berichtet er dann von dessen erfolgter Abreise aus Rom.185 Am 3. November 1715 schreibt Johann Wilhelm schließlich an Fede, dieser Tage sei Mannelli in Düsseldorf eingetroffen und lobe sehr die Hilfe, die Fede ihm in jeder Hinsicht geleistet habe, wofür er wiederum ihm danke.186

3.6 Zur speziellen Bedeutung der Abguss-Formen für Johann Wilhelm und der repräsentativen Funktion der Sammlung Bemerkenswert ist, welche Bedeutung Johann Wilhelm nicht nur den Abgüssen als stellvertretenden Kunstwerken der Antike beimaß, sondern in besonderer Weise auch den Abguss-Formen.187 In einem seiner ersten Briefe bezüglich des Aufbaues der Abguss-Sammlung schreibt Conte Fede aus Rom an Johann Wilhelm: (…) Derselbe wird gern die ruhmbringende Verpflichtung auf sich nehmen, die Arbeit auszuführen, aber die Ausführung wird erhebliche Kosten verursachen, da die Formen, die in Rom nicht vorhanden sind, angefertigt werden müssen. Bei der beschränkten Zeit war es ihm bis jetzt nur möglich, den Farnesischen Hercules darauf hin zu prüfen, und sagt er mir, daß bei der Größe desselben die Summe von 500 Scudi römisch erforderlich sein wird, um die Arbeit auszuführen, wobei die Spesen, die aus dem Transport einer so schwer ins Gewicht fallenden Maschine (macchina) erwachsen werden, nicht eingerechnet sind. Die Formen würden alsdann zur Verfügung E. F. D. verbleiben, falls sie aber dem Professor zur weiteren Benutzung belassen werden, könnte er von seiner Forderung noch etwas herunter gehen.188

Woraufhin Johann Wilhelm antwortet: (…) Schicken Sie uns die besagte Statue nebst den Formen per See in einem Schiff mit französischem Pass nach Holland, und adressieren Sie die Sendung an unsern Residenten Brickenar ain Amsterdam unter Beifügung der Kostenrechnung (…).189

183 Q 725, Fede an Johann Wilhelm (20. Oktober 1714); Levin 1911, 178. 184 Q 754, Fede an Johann Wilhelm (17. August 1715); Levin 1911, 179; Tipton 2006, 156 Anm. 55 (dort irrtümlich Q 764 genannt). 185 Q 756, Fede an Johann Wilhelm (14. September 1715). 186 Q 760, Johann Wilhelm an Fede (3. November 1715). 187 Das vorliegende Kapitel wurde in wesentlichen Teilen bereits vorab veröffentlicht in: Suchezky 2011. 188 Q 339, Fede an Johann Wilhelm (14. September 1707); hier zitiert nach Levin 1911, 154 (24. September 1707). 189 Q 348, Johann Wilhelm an Fede (15. Oktober 1707); hier zitiert nach Levin 1911, 154 f.

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3 Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm

Offensichtlich wollte Johann Wilhelm, trotz der in Aussicht gestellten Kostenersparnis, nicht auf die Formen verzichten. Und in einem weiteren Brief an Fede bittet er einige Zeit danach um Auskunft, (…) welche (Abgüsse) fertiggestellt sind, und welche noch in Arbeit verbleiben, (…) auch welchen die Abgußformen beigegeben sind, und welchen nicht.190

Entsprechend schreibt auch Fede an den Kurfürsten: (…) Ich werde sie [die beiden Statuen, gemeint sind Flora und Hercules Farnese, Anm. E. S.] E. Chf. D. zusammen mit den Formen zugehen lassen, damit eventuell von einem guten dort befindlichen Künstler (professore) noch weitere Exemplare angefertigt werden können. Denn in der Tat sind diese beiden Statuen die berühmtesten, die in Rom aufbewahrt werden.191

Und einige Zeit später – anlässlich der nun bevorstehenden Versendung des Hercules, der Flora und des Fechters Borghese – weist er erneut auf diese Möglichkeit hin: Alle drei selbigen Statuen würden mit den Formen, in denen sie gegossen worden seien, zu S. Kurf. D. kommen, damit er nach Belieben davon weitere anfertigen lassen könne.192 Fede stellt in Aussicht, einer der beiden „operai“ sei bereit, in die Dienste des Kurfürsten in Düsseldorf zu treten und könne bei dieser Gelegenheit die Formen der anderen hervorragenden Statuen mitbringen, die er bis dahin angefertigt haben werde. Auch bietet er an, „eine Quantität Scagliola“ zu schicken, „um sie zur Wiederherstellung der Statuen zu verwenden, falls, was Gott verhüten möge, ihnen auf der Reise ein Unglück zustieße, oder um davon weitere anfertigen zu lassen.“ 193 Die Angelegenheit der mitgesandten Formen erschien Fede so bedeutsam, dass er sie mehrfach auch in seinen Schreiben an Cosimo III., den Schwiegervater Johann Wilhelms, in dessen Diensten er ebenfalls stand und dem er auch regelmäßig Bericht über den Fortgang des Düsseldorfer Abguss-Unternehmens erstattete, hervorhob. So berichtet er diesem von den vier Statuen für den Kurfürsten und den Formen, die dieser bestellt habe; S. Kurf. D. habe geruht, ihm die Anfertigung der schönsten Statuen Roms aufzutragen, mit ihren Formen, zur Nachahmung des Allerchristlichsten Königs, der dasselbe einige Jahre zuvor getan habe.194 Er kündigt an, ihm ein Muster der schönen Mischung zu senden, aus der die Statuen gearbeitet würden. Die Möglichkeiten, die sich durch die mitgesandten Formen ergaben, dürften auch Johann Wilhelm sehr wohl bewusst gewesen sein, und sehr wahrscheinlich

190 Q 423, Johann Wilhelm an Fede (10. März 1709); hier zitiert nach Levin 1911, 161. 191 Q 412, Fede an Johann Wilhelm (3. November 1708); hier zitiert nach Levin 1911, 157. 192 Q 427, Fede an Johann Wilhelm (30. März 1709); Levin 1911, 161. 193 Q 446, Fede an Johann Wilhelm (29. Juni 1709); Levin 1911, 163. 194 Q 384, Fede an Großherzog Cosimo III. de’ Medici (16. März 1708?). Nach seinem Inhalt und im Kontext der anderen Briefe kann dieser kaum im Jahr 1708, sondern nur ein Jahr später verfasst worden sein.

3.6 Zur Bedeutung der Abguss-Formen und repräsentativen Funktion der Sammlung

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plante er, die weiteren Exemplare im Rahmen des – nicht ganz unpolitisch motivierten – fürstlichen Geschenkaustausches weiterzureichen, wie er dies ähnlich auch mit Gemälden aus seiner Sammlung betrieb.195 Und in der Tat taucht auch genau dieser Gedanke in einem Schreiben Fedes auf: Mit Hilfe der beiden hervorragenden italienischen Scagliola-Arbeiter könne der Kurfürst nicht nur seine eigenen „königlichen Paläste“ mit Statuen ausschmücken, sondern auch noch den anderen nahestehenden Fürsten ein sehr wertvolles Geschenk machen („farne altresì un pregiatissimo dono agli altri principi circonvicini“).196 Der Austausch von Kunstwerken und anderen Luxusgütern war übliche Praxis zwischen den europäischen Fürstenhöfen und könnte auch als eine Art „Beziehungspflege“ bezeichnet werden, diente er doch der Versicherung gegenseitiger Gewogenheit. Allgemein gesprochen handelte es sich um symbolische Akte, die der ständig neuen Demonstration mindestens der Ebenbürtigkeit, eher noch der Überlegenheit dienten, und damit auch ein Mittel politischer Repräsentation waren. Dass es zu weiterer schwunghafter Reproduktion mit Hilfe der mitgelieferten Guss-Formen dann doch nicht mehr kam, ist wohl mit dem Tode Johann Wilhelms einige Zeit später zu erklären. Bis dahin waren die Abformer in Düsseldorf noch mit der Arbeit für seine eigene Sammlung ausgelastet.197 Die Korrespondenz Johann Wilhelms enthält Hinweise darauf, dass es sich beim Aufbau der Abguss-Sammlung zudem um ein Prestige-Projekt vor dem Hintergrund fürstlicher Konkurrenz handelte. So schreibt Graf Fede schmeichelnd an den Kurfürsten: (…) Dem edlen Beispiel E. Chf. D. folgend, hat der König von Portugal seinem hiesigen Gesandten den Auftrag erteilt, dieselben Statuen für ihn herstellen zu lassen. Da jedoch die besten Künstler für uns in Anspruch genommen und die andern Arbeiter dieser Profession nicht so geschickt sind, dürfte das Resultat kaum so glücklich ausfallen. Auch S. Maj. der König von Preußen läßt die Basis [eigentlich ein Kapitell, Anm. E. S.]198 einer antiken Säule abformen, die sich in dem berühmten Tempel des Pantheon, heute Rotonda genannt, befindet. So hat

195 Möhlig 1993, 36 mit Anm. 98. Ähnliches weiß Th. Levin auch schon über den Großvater Johann Wilhelms, Wolfgang Wilhelm, zu berichten, der dem Earl of Arundel ein kostbares Gemälde verehrte: Levin 1905, 100. Vgl. außerdem Levin 1906, 232 (Bericht Wisers, Sondergesandter des Kurfürsten in Madrid, vom 23. Juli 1694): „Damit werden hingegen villeicht Pferdt, Gemählde und andere Sachen abfallen“ als Erwiderung der kurfürstlichen Geschenke an den Königshof in Madrid; Levin 1906, 239–41. 196 Q 468, Fede an Johann Wilhelm (5. Oktober 1709). Entsprechend auch schon in Q 453, Fede an Johann Wilhelm (10. August 1709). 197 So soll es noch nicht einmal gelungen sein, zu Lebzeiten Johann Wilhelms von allen gelieferten Formen Abgüsse für die Düsseldorfer Sammlung anzufertigen, s. Levin 1906, 164. 175; Klapheck 1919, 137 (Inv. 1716). 198 Ein solches hat sich offenbar auch in der Sammlung Johann Wilhelms befunden und ist später auch von Goethe im Mannheimer Antikensaal beschrieben worden, s. Levin 1911, 163 Anm. 3; Levin 1906, 166; Meixner 1995, 130.

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3 Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm

der adlige Genius E. D. Anregung zu ähnlichen Gedanken gegeben und den Geschmack für so schöne Werke neu belebt, die seit längerer Zeit außer Mode gekommen waren (poste in disuso).199

Johann Wilhelm gegenüber preist Fede auch das für dessen Abgüsse verwendete Material Scagliola; dieses sei nicht nur außergewöhnlich haltbar, sondern auch ganz und gar innovativ („un’invenzione non pratticata fin’ora da altri“). So seien die Statuen, die der König von Frankreich habe formen lassen, und auch die im Palaste des Königs von Spanien und anderer Principi befindlichen alle von Gips, wie ihm die hiesigen Künstler („professori“) wiederholt versichert hätten.200 Von speziellem Interesse war für Johann Wilhelm der Vergleich mit der Sammlung des französischen Königs; insbesondere interessierten ihn Stücke, die auch Ludwig XIV. sein Eigen nannte. So betont Fede gegenüber dem Kurfürsten, ihm sei es gelungen, vom Herzog von Parma die Erlaubnis zur Abformung des Hercules Farnese zu bekommen, die bislang niemandem außer seiner Majestät dem Allerchristlichsten König erteilt worden sei.201 Außerdem sei es ihm gelungen, die Formen des Laokoon und des Borghesischen Fechters aufzufinden, „die vor einigen Jahren im Auftrag des Königs von Frankreich angefertigt worden und so intact geblieben sind, daß ich an dem Gelingen der Statuen nicht zweifle.“ 202 Hatte Johann Wilhelm die Möglichkeit den französischen König zu übertrumpfen, scheint ihm auch das höchst willkommen gewesen zu sein. So vermeldet Conte Fede am 18. November 1713 aus Rom, er habe sowohl vom Papst als auch vom Senat und den Konservatoren die Erlaubnis zur Abformung der berühmtesten Statuen vom Kapitol erhalten, und zwar in größerem Umfang, als dies seiner Majestät dem Allerchristlichsten König zugestanden worden sei.203 Er werde sich rühmen können, in seinem königlichen Palast eine Anzahl von Statuen einzigartiger Qualität und eine „Accademia“ [Sammlung, Anm. E. S.] zu haben, um die ihn alle Fürsten auf der Welt beneiden würden.204 Einige Monate später berichtet Fede, Gennaro Man-

199 Q 446, Fede an Johann Wilhelm (29. Juni 1709); hier zitiert nach Levin 1911, 163. 200 Vgl. Q 371, Fede an Johann Wilhelm (11. Februar 1708): „(…) sicché l’A.V.E. spero, che sarà sodisfatta di un’invenzione non pratticata fin’ora da altri, mentre le statue, che ha fatto formare il Re di Francia e che sono ancora nel palazzo del Re di Spagna e di altri Principi sono tutte di gesso come mi hanno constantemente affermato questi professori“. Levin 1911, 155 f. übersetzt irrtümlich, das Material sei „mit Ausnahme der Statuen, welche der König von Frankreich hat abformen lassen, anderweits bis heute nicht zur Anwendung gekommen.“ (11. Februar 1708). – Vgl. außerdem Tipton 2006, 177 Anm. 245; Q 384, Fede an Großherzog Cosimo III. de’ Medici (16. März 1708): „(…) mà S. M. non fù ben servita, perché tutte le Sue statue furono formate di gesso, che non ha né vita, né durata, ma io l’hò fatte formare di scagliola (…).“ 201 Q 369, Fede an Johann Wilhelm (4. Februar 1708); Q 371, Fede an Johann Wilhelm (11. Februar 1708); vgl. auch Levin 1911, 155. 202 Q 412, Fede an Johann Wilhelm (3. November 1708); hier zitiert nach Levin 1911, 157 f. 203 Q 665, Fede an Johann Wilhelm (18. November 1713). 204 Der Begriff „Accademia“ muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass die Sammlung der Ausbildung von Künstlern dienen sollte, vgl. dazu auch Hofmann 1982, 314.

3.7 Kaunos und Byblis

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nelli, der mit den Abformungsarbeiten betraut war, habe bereits den Großteil der Arbeiten erledigt; er verliere keine Zeit, auch Formen vieler weiterer Statuen anzufertigen, die die „Accademia“ Seiner Kurfürstlichen Durchlaucht auf der ganzen Welt berühmt machen würden. Er werde von allen Fürsten der Erde beneidet werden, und er könne ihm versichern – so wird er nicht müde zu betonen – dass der Allerchristlichste König bei weitem nicht so gut bedient worden sei, sowohl was die Qualität und Anzahl der Statuen, als auch das Material anbelangt, aus dem die Seiner Kurfürstlichen Durchlaucht gearbeitet seien.205 Darüber hinaus bemühte Johann Wilhelm sich auch um Abgüsse, deren Erwerb für den französischen Hof gescheitert waren, nämlich von der Reiterstatue des Marc Aurel auf dem Kapitol und der ganzen Trajanssäule.206 Die Sendung der beiden für Ludwig XIV. bestimmten Kolosse war im Golf von Lyon gesunken.207 Doch auch das Unterfangen des Kurfürsten blieb erfolglos. Von der Abformung der Trajanssäule nahm er selbst Abstand, nachdem Fede in Aussicht gestellt hatte, der König von Frankreich werde eine erneute Abformerlaubnis verlangen, der sich Johann Wilhelm dann offenbar anschließen wollte.208 Um eine Abformung des Marc Aurel zu erreichen, schrieb er selbst auf Anraten Fedes an den Papst, doch verliefen auch diese Bemühungen letztlich ergebnislos.209

3.7 Kaunos und Byblis Fundgeschichte und Verbleib Nachdem Johann Wilhelm gestorben war, wurde 1716 ein Inventar seiner AbgussSammlung erstellt,210 und 1731 ein weiteres, anlässlich des geplanten Transports der Abgüsse nach Mannheim (wegen der Verlegung der kurfürstlichen Residenz dorthin), im Folgenden auch als „Übernahmeinventar“ bezeichnet.211 Doch erst im Jahr 1753 erteilte Johann Wilhelms Nach-Nachfolger Kurfürst Carl Theodor (1724/ 1742–1799) seinem Hofbildhauer Peter Anton von Verschaffelt (1710–1793) dann den Auftrag, in Düsseldorf sämtliche Statuen und Formen aus Gips in Augenschein zu

205 Q 679, Fede an Johann Wilhelm (24. März 1714); Levin 1911, 174. 206 Q 700, Johann Wilhelm an Fede (22. Juli 1714); Levin 1911, 175; Levin 1906, 172. 207 Q 705, Fede an Johann Wilhelm (4. August 1714); Q 707, Fede an Johann Wilhelm (11. August 1714); Levin 1911, 176; Hofmann 1982, 314. 208 Q 707, Fede an Johann Wilhelm (11. August 1714); vgl. Q 717, Johann Wilhelm an Fede (2. September 1714); Levin 1911, 176 f. 209 Q 719, Johann Wilhelm an Papst Clemens XI. (9. September 1714); Levin 1911, 176 f. 210 Inventar der Gipsabgüsse vom 14. Juli 1716 (heute verschollen), abgedruckt bei Klapheck 1919, 136 f. Anlage IV; Hofmann 1982, 362 f. 211 Karlsruhe, Badisches Generallandesarchiv, Pfalz-Generalia, 77/3895 = Inv. 1731; Braun 1984, 21–29; Braun 1995, 179–184.

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3 Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm

nehmen und diese gut verpackt per Schiff nach Mannheim bringen zu lassen.212 Möglicherweise steht dies in Zusammenhang mit einer Initiative Verschaffelts, der erst kurz zuvor in die Dienste des Kurfürsten getreten war und gleich zu Beginn mit Widrigkeiten wie dem Fehlen einer geeigneten Bildhauerwerkstätte und „der zu Behuf der herrschaftlichen Arbeit benötigten Materialia“ konfrontiert war.213 In Mannheim kamen die Abgüsse dann einige Zeit später (1769) in den berühmten Mannheimer Antikensaal, der zur dortigen Zeichnungsakademie gehörte.214 Der Antikensaal diente dort aber nicht nur der künstlerischen Ausbildung, sondern wurde auch von prominenten Zeitgenossen wie Goethe und Schiller besucht, die ihre Eindrücke dort auch literarisch verarbeiteten. 1803 wurden die Abgüsse im Zuge der Wittelsbacher Erbregelung aus Mannheim nach München transferiert, wo von ihnen offenbar so gut wie nichts erhalten geblieben ist.215 Aus den beiden genannten Inventaren wissen wir, dass sich in der Düsseldorfer Sammlung und dann auch in Mannheim ein Abguss einer Statuengruppe von „Kaunos und Byblis“ befand, dessen Original als im Besitz des Conte Fede (1649–1718) befindlich bezeichnet wurde. Das nach dem Tod des Kurfürsten erstellte Verzeichnis der Gips-Figuren aus dem Jahr 1716 nennt diese unter der Bezeichnung „37. Canlis ex bipe“ 216 und auch das Mannheimer Übernahmeinventar von 1731 führt die Gruppe auf, diesmal unter der richtigeren Bezeichnung „Le Statue di Cavonis et Biblis del Conte Fede 5 Fueß hoch“.217 Der Abguss erscheint offenbar nicht (oder unter anderer Bezeichnung?) im Briefwechsel Fedes mit Johann Wilhelm, daher ist unklar, wann der Abguss nach Düsseldorf kam. Dennoch hat es sich ganz offensichtlich bei der im Mannheimer Inventar genannten Gruppe um einen Abguss aus der Düsseldorfer Sammlung gehandelt, denn diese ist dort ausdrücklich unter den von „Gennaro Manelli in giebs verfertigten Statuen“ aufgeführt, der die Abgüsse für Johann Wilhelm hergestellt hat. Der Abguss ist heute nicht mehr in Mannheim vorhanden, es sind davon jedoch Ende des 18. Jhs. nach der in Mannheim vorhandenen Gruppe Grisaille-Kopien angefertigt worden sowie 1778 auch Abgüsse, die für Herzo-

212 Levin 1906, 166; Alberts 1961, 66 (mit Hinweis auf Rescriptenauszug in der Akte II 622 Düsseld. Stadtarchiv); Schreiben Carl Theodors an die Hofkammer vom 31. August 1753. 213 Vgl. Beringer 1902, 6. 214 Schiering 1999, 267 f.; Levin 1906, 166. 215 Schiering 1999, 269; vgl. Stupperich 2006, 450. Erst 1807 trafen die Mannheimer Abgüsse in München ein, nachdem sie in Würzburg zwischengelagert worden waren, s. Meine-Schawe 2004, 30 mit Anm. 190. Im Jahr 1808 wurde ein Verzeichnis der im Antikensaal der Münchner Akademie der Bildenden Künste vorhandenen Gipsabgüsse erstellt. Da die Abgüsse aus Mannheim jedoch bis zu diesem Zeitpunkt aus Platzmangel noch nicht ausgepackt waren, sind sie nicht darin enthalten, s. Meine-Schawe 2004, 44 f., Anhang 3. Zum 1803 bevorstehenden Zuwachs an Abgüssen aus Mannheim s. Meine-Schawe 2004, 29 mit Anm. 183. 216 Klapheck 1919, 136 f. Anlage IV; Hofmann 1982, 362 f. Die Gruppe ist also nicht, wie Tipton 2006, 174 Anm. 224 annimmt, erstmals im Übergabeinventar von 1731 aufgeführt. 217 Braun 1984, 27 Nr. 39.

3.7 Kaunos und Byblis

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gin Anna Amalia von Sachsen-Weimar (1739–1807) bestimmt waren.218 In Weimar stellte Martin Gottlieb Klauer (1742–1801) dann weitere Kopien und Abgüsse davon her.219 Demnach handelte es sich um eine Statuengruppe, in der das bekannte antike Amor-und-Psyche-Motiv zu einer Szene abgewandelt wurde, in der der Jüngling, statt sich ihr zuzuwenden, sich der liebevollen Umarmung des Mädchens mit erhobener Rechter und beherztem Griff in ihr Haar zu erwehren sucht. Die Geschichte von Kaunos und Byblis kennen wir aus den Metamorphosen des Ovid.220 Demnach soll Byblis in leidenschaftlicher Liebe zu ihrem Zwillingsbruder Kaunos entbrannt sein. Als sie ihm diese jedoch in einem Brief gestand, wies er sie schroff zurück. In der Folge verließ Kaunos das Land, und Byblis verfolgte ihn, bis sie erschöpft zusammenbrach. Schließlich zerfloss Byblis in ihren eigenen Tränen und verwandelte sich in eine Quelle, die noch heute ihren Namen trägt. Weder der Düsseldorfer Abguss noch die Vorlage, sprich: das Original des Conte Fede, sind heute noch erhalten, und doch gibt es einige Anhaltspunkte, wie die Gruppe ausgesehen hat, aber auch eine Vielzahl offener Fragen, die Fundgeschichte und Verbleib des Stückes, Motiv und Darstellungsabsicht sowie die an der unvollständig aufgefundenen Gruppe vorgenommenen Ergänzungen und Umarbeitungen betreffen. Die Gruppe war schon vielfach Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen (auch als Illustration der Metamorphosen des Ovid), wobei die Einbeziehung von immer mehr Wiederholungen und immer mehr Materialien eher zur Verwirrung als zur Klarheit beigetragen hat. Beschäftigt haben sich damit u. a. Hermann Walter, von dem auch der „Kaunos und Byblis“-Artikel im LIMC stammt (der im Übrigen nur ein Stück, nämlich die hier behandelte Gruppe verzeichnet)221 sowie vor allem Wolfgang Schiering. Dieser hat seine umfangreiche Materialsammlung zum Thema vor inzwischen bereits mehr als zehn Jahren an Joachim Raeder weitergegeben, der einen neuen Artikel zur sog. Fede-Gruppe verfasst hat.222 Im Folgenden soll versucht werden zu skizzieren, was als gesichert zu betrachten ist und was die strittigen bzw. offenen Fragen sind. Dabei kann das vorliegende Beispiel verdeutlichen, wie sich aus der gemeinsamen Untersuchung von Original und Abguss wechselseitig Informationen gewinnen lassen, etwa bezüglich Fund-

218 Diese hatte 1778 bei Kurfürst Carl Theodor eine Abformung der Gruppe erbeten, s. Schiering 1990, 29 mit Anm. 3; Geese 1935, 183 f. Zu den Grisaillen s. Schiering 1990. 219 Drei davon sind in Weimar erhalten: eine Steinkopie aus Thüringer Kalkstein, Rokokosaal der Anna Amalia Bibliothek, Weimar; ein Toreutica- (d. h. Kunstbackstein-)Abguss, Schloss Tiefurt bei Weimar; ein Gipsabguss in Schloss Heidecksburg, Rudolstadt, s. Raeder 2014, 39 f. mit Abb. 1 und 2. 220 Ov. met. 9,454–665. 221 LIMC VIII Suppl. (1997) 670 Nr. 1 s. v. Kaunos (H. Walter) = Walter 1997; Walter 1995, 239–251 Taf. 55. 56. 222 In Peleus 62 (2014) zum Mannheimer Antikensaal, s. Raeder 2014, 39 mit Anm. 1. Dort auch eine Zusammenstellung der zahlreichen von Schiering zum Thema verfassten Beiträge.

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3 Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm

geschichte, Ergänzungen und ikonographischen Deutungen. Dabei ist der Abguss so etwas wie der Fingerabdruck des Originals – denn, vereinfacht gesagt, abgegossen werden kann nur, was bereits gefunden wurde. Das Vorhandensein eines Abgusses bildet also einen Terminus ante quem für die Auffindung des Originals bzw. der Vorlage. Ganz abgesehen von den Fällen, in denen der Abguss das Original überlebt hat, d. h. das Original verschollen oder zerstört ist und sich nur noch der Abguss erhalten hat. Im vorliegenden Fall der sog. Fede-Gruppe ist weder der Abguss noch das Original erhalten – und trotzdem wissen wir ungefähr, wie die Gruppe ausgesehen hat und verfügen auch sonst über einige Informationen dazu. Überliefert ist die Gruppe in einer Zeichnung Pompeo Batonis (1708–1787), rückseitig bezeichnet als „In casa del conte Fedi. F.“ (Abb. 10).223 Sie zeigt eine junge männliche und eine junge weibliche Figur, frontal stehend, aber einander leicht zugewandt, unbekleidet bzw. mit einem Mantel um die Hüften, umarmend bzw. mit eindeutig abweisender Geste, die noch durch den Griff in das Haar des Mädchens, um es wegzuziehen, unterstrichen wird. Dass es in der Abguss-Sammlung Johann Wilhelms einen entsprechenden Abguss gab, ergibt sich aus zwei Gründen: 1. der Erwähnung der Gruppe im Düsseldorfer Inventar von 1716 bzw. dem Mannheimer Übernahmeinventar von 1731 (Nr. 39) unter der Bezeichnung „Kaunos und Byblis“ mit dem Zusatz „des Conte Fede“ und 2. den von Martin Gottlieb Klauer gesichert nach dem (Mannheimer) Abguss angefertigten Abformungen und Wiederholungen, u. a. für Anna Amalia, die Herzogin von Sachsen-Weimar, die zum Teil erhalten sind (Abb. 11 u. 12)224 – wobei die Frage ist, wie genau diese Abformungen dem Mannheimer Abguss entsprachen,

223 Windsor, Eton College, Inv.-Nr. ECL-Bn.3:21–2013. – Walter 1995, 240 mit Taf. 55a; Bowron – Kerber 2007, 147 Abb. 125; Macandrew 1978, 150 Nr. 47 mit Taf. 23. Diese gehört zu einer Serie von Zeichnungen Batonis, die er im Auftrag Richard Tophams von Windsor (1671–1730) anfertigte. Die sog. Topham Collection befindet sich heute in Windsor, Library of Eton College. Dabei scheint Topham die Zeichenaufträge im Allgemeinen anhand einer Liste erteilt zu haben, die in italienischer Sprache die klassischen Skulpturen in verschiedenen römischen Sammlungen verzeichnete, wie sich an der mit dieser übereinstimmenden Nummerierung auf einem Teil der Zeichnungen erkennen lässt, s. Macandrew 1978, 144. 150 Nr. 49 und 50. Der Wert dieser Liste zur Feststellung der zu dieser Zeit in römischen Sammlungen vorhandenen Werke liegt auf der Hand. Im Falle der Zeichnung der Fede-Gruppe konnte sich Topham freilich nicht daran orientieren, denn die Sammlung des Conte Fede war in der Liste nicht mit verzeichnet. 224 Anna Amalia hatte Kurfürst Carl Theodor 1778 um eine Abformung der Gruppe gebeten, s. Schiering 1990, 29 mit Anm. 3; Geese 1935, 183 f. Drei der von Klauer hergestellten Abgüsse und Kopien sind in Weimar erhalten: eine Steinkopie aus Thüringer Kalkstein, sog. Oetterner Marmor, Rokokosaal der Anna Amalia Bibliothek, Weimar; ein Toreutica- (d. h. Kunstbackstein-)Abguss, Schloss Tiefurt bei Weimar; ein Gipsabguss in Schloss Heidecksburg, Rudolstadt, s. Raeder 2014, 39 f. mit Abb. 1 und 2. Zur Abformung der Gruppe für Anna Amalia s. a. Werche 2007, 262 f. mit Anm. 50 sowie Antlitz des Schönen 2003, 291 (G. Oswald).

3.7 Kaunos und Byblis

Abb. 10: Pompeo Batoni, sog. Fede-Gruppe, Rötel-Zeichnung, um 1730, Windsor, Eton College.

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3 Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm

Abb. 11: Martin Gottlieb Klauer, Steinnachbildung der Kaunos-Byblis-Gruppe, Weimar, Anna-Amalia-Bibliothek.

3.7 Kaunos und Byblis

Abb. 12: Martin Gottlieb Klauer, ‚Toreutica-Abformung‘ der Kaunos-Byblis-Gruppe, Schloss Tiefurt bei Weimar.

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3 Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm

also wie getreu sie diesen wiedergeben, d. h. ob sie tatsächlich aus der gleichen Negativform stammen, oder ob sie von Klauer verändert oder überarbeitet wurden – schließlich war Klauer Weimarer Hofbildhauer und dürfte sich wohl nicht nur als einfacher Abgießer verstanden haben.225 Gegen die Abhängigkeit des Abgusses von der Fede-Gruppe konnte man bislang anführen, dass erst der Sohn Fedes, Conte Giuseppe Fede, auf dem Gebiet der Villa Hadriana Ausgrabungen hat durchführen lassen (zwischen 1724 und 1742),226 und die Gruppe, die dort gefunden worden sein soll, also nicht die Vorlage gewesen sein kann für den bereits im Düsseldorfer Inventar von 1716 genannten Abguss. In der Folge hat man versucht, die Fede-Gruppe mit einem Neufund des jüngeren Conte Fede in der Villa Hadriana zu identifizieren, der dort „zwischen 1730 und 1735“ 227 eine Amor-Psyche-Gruppe ausgegraben haben soll.228 Es gibt jedoch keinen Grund anzunehmen, die Fede-Gruppe sei zu dieser Zeit bereits als Darstellung von Amor und Psyche gesehen worden, angesichts der ablehnenden Geste – der New Yorker Endymion-Sarkophag mit einer entsprechenden Amor und Psyche-Szene war noch unbekannt, er wurde erst 1825 gefunden229 –, und auch bei Apuleius findet sich keine Szene, zu der die Fede-Gruppe als Illustration passen würde.230 Auch die kapitolinische Amor und Psyche-Gruppe kannte zu dem Zeitpunkt noch niemand: Sie

225 Literatur zu Klauer nennt Walter 1995, 240 Anm. 11. Zu Unterschieden zwischen der Steinkopie Klauers und dem Mannheimer Abguss s. Raeder 2014, 41. So könnte der Kopf des Kaunos überhaupt ein Werk Klauers sein; vgl. zum „letzten Schliff“ durch Klauer Schiering 1990, 36; Raeder 2014, 41 zur Steinkopie Klauers: „Fast glaubt man, im Gesicht ein Porträt aus der Hand Klauers erkennen zu können.“ 226 Raeder 2014, 43. 227 Raeder 2014, 43; Raeder 1983, 132 Nr. II 11 mit Hinweis auf Ficoroni 1757, 127, der sich allerdings auf das konkrete Funddatum „1735“ festlegt. Vgl. außerdem Walter 1995, 244 mit Anm. 28, der die Stichhaltigkeit der Angaben Ficoronis überhaupt in Frage stellt, da dieser offenbar keine Kenntnis von den Fundumständen gehabt habe. Er bezieht sich auf Ficoroni 1741, 270 f.: „Nel 1735. (…) Nella detta Villa Adriana trovò il Conte Fede in un suo terreno un gruppo d’Amore, e Psiche d’eccelente lavoro. Nel presente anno ha pure nell’istessa Villa trovate molte colonne (…).“ 228 Dies hat dazu geführt, dass Raeder 2014, 43 f. nun von zwei verschiedenen, im Replikenverhältnis ergänzten Gruppen ausgeht, ausgehen muss, denn im Inventar von 1716 ist ja bereits der Abguss einer Kaunos und Byblis-Gruppe genannt. Zur Unterscheidung bezeichnet er die ältere Gruppe, aufgrund der wahrscheinlichen Ergänzung durch LeGros, als „LeGros-Gruppe“, den Neufund des jüngeren Fede, der nach der „LeGros-Gruppe“ ergänzt worden sei, als „Gruppe Emkendorf“ (zu den Gründen für diese Benennung s. u.). Die sonst übliche Bezeichnung „Fede-Gruppe“ vermeidet er gänzlich. Es sei jedoch an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass das „ÜbernahmeInventar“ von 1731 den aus Düsseldorf nach Mannheim zu transportierenden Abguss eindeutig mit dem Conte Fede in Verbindung bringt (darin genannt als „Le Statue di Cavonis et Biblis del Conte Fede“). Raeder dagegen will diese Gruppe jedoch einem portugiesischen Gesandten in Rom zuweisen, während sich im Besitz des (jüngeren) Fede erst der erwähnte Neufund befunden haben soll, s. Raeder 2014, 46. Dem widerspricht jedoch der hier zitierte Inventar-Eintrag von 1731. 229 Walter 1995, 249. 230 Walter 1995, 242; vgl. Apul. met. 4,28–6,24.

3.7 Kaunos und Byblis

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wurde erst 1749 auf dem Aventin gefunden (Abb. 13).231 Dagegen scheinen die bis dato bekannten Umarmungsgruppen, die als Darstellungen von Amor und Psyche betrachtet wurden, wie die mediceische Cupidogruppe,232 sämtlich geflügelt gewesen zu sein, was für die ungeflügelten Torsen der Fede-Gruppe eher eine andere Interpretation nahelegte, oder zumindest einen gewissen Deutungsspielraum eröffnete.233 Vor allem aber wissen wir inzwischen (seit wenigen Jahren), dass bereits der ältere Conte Fede, Antonio Maria, Grundstücke auf dem Gebiet der Villa Hadriana erwarb und dort Ausgrabungen durchführen ließ.234 In Besitz der Familie Fede befanden sich dort die Bereiche Ninfeo, Biblioteche, Palazzo, Valle di Tempe, Pecile und Piccole Terme.235 Mehrere Briefe von Thomas Jenkins (1722–1798) an den Antikensammler Charles Townley (1737–1805) bezeugen, dass es im Besitz des Conte Fede eine Gruppe gab, die Kaunos und Byblis darstellte und in der Villa Hadriana

231 Rom, Mus. Capitolini, Inv.-Nr. 408; Walter 1995, 241 Anm. 14. Zwar war die kapitolinische Gruppe selbst noch nicht bekannt, möglicherweise aber Repliken davon bzw. das Motiv als solches. Zu Repliken des Typus Kapitol s. Oehmke 2011, 832 mit Anm. 3–5. 232 Florenz, Uffizien, Inv.-Nr. 339; Mansuelli 1958, 90 f. Nr. 58 Abb. 54. Diese wurde 1666 entdeckt. 233 Vgl. Bissell 2003, 75; Roani Villani – Capecchi 1990, 156. Man kann also davon ausgehen, dass das zur Zeit der Ergänzung der Gruppe ikonographisch als „konventionell“ angesehene Amor und Psyche-Motiv geflügelte Figuren vorsah. Zur Ikonographie von Amor und Psyche-Gruppen s. a. Oehmke 2011, 832. Raeder 2014, 41 ist der Ansicht, dass „LeGros offensichtlich einen anderen Auftrag hatte“ als die ihm vorliegenden Torsen einer Replik der kapitolinischen Gruppe zu einer Amor und Psyche-Gruppe mit einander zugewandten Köpfen zu ergänzen. Jenkins habe dann später unter dem Eindruck der inzwischen gefundenen kapitolinischen Amor und Psyche-Gruppe die älteren Ergänzungen abnehmen lassen, s. Raeder 2014, 43 f. Dies dürfte aber wohl auch mit der Popularität der Gruppe zusammenhängen und nicht nur damit, dass erst durch sie der Schlüssel zur Deutung vorhanden gewesen wäre. Denn die Dresdner Gruppe (Dresden, Skulpturensammlung (Albertinum), Inv.-Nr. Hm 210), die offenbar in einem ähnlichen Erhaltungszustand war wie die Fede-Gruppe und bereits 1728 aus der Sammlung Albani nach Dresden gelangte, wurde als Amor und PsycheGruppe erkannt und als solche, einschließlich Flügeln, ergänzt, vgl. Raeder 2014, 41; Oehmke 2011, 831. 834; Aspris 1996, 7 Nr. A2. Aspris geht allerdings davon aus, die Dresdner Gruppe sei „nach der besser erhaltenen Gruppe im Kapitolinischen Museum ergänzt“, was schon chronologisch erst auf spätere Ergänzungen zutreffen kann. Die Flügelergänzungen sprechen vielmehr für die mediceische Amor und Psyche-Gruppe als Ergänzungsvorbild, wenn auch auf diesen einen Punkt beschränkt, oder auch für Sarkophagreliefs, vgl. Oehmke 2011, 834 mit Anm. 20 und 21; Raeder 2014, 41. Zudem nennt Aspris 1996, 7 zur Herkunft der Gruppe irrtümlich die Sammlung Chigi. Erst nach Abnahme der barocken Ergänzungen zwischen 1798 und 1826 erfolgte die Neuergänzung in Gips dann tatsächlich nach dem Vorbild der kapitolinischen Amor und Psyche-Gruppe, s. Oehmke 2011, 834 mit Anm. 19. Zu den noch existenten, im Barock ergänzten Köpfen der Gruppe s. Oehmke 2011, 832 Abb. 198, 2. 234 Tipton 2006, 113 mit Anm. 221. Entsprechende Kaufurkunden datieren aus den Jahren 1701, 1708 und 1714. Darin enthalten ist der ausdrückliche Hinweis, Fede habe ein Grundstück mitsamt den darin enthaltenen Altertümern erworben. 235 Bignamini – Hornsby 2010, I, 156; Paribeni 1994, 28 f.

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3 Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm

Abb. 13: Amor und Psyche, Rom, Musei Capitolini, Inv.-Nr. 408.

3.7 Kaunos und Byblis

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gefunden worden sein soll.236 Es spricht also von daher nichts mehr dagegen, dass bereits der ältere Fede dort die Gruppe gefunden hat und Johann Wilhelm davon einen Abguss bekam (schließlich war Fede ohnehin derjenige, der für Johann Wilhelm die Abgüsse besorgte). Das Mannheimer Übernahmeinventar von 1731 bezeichnet den Abguss nicht nur eindeutig als Abguss der Kaunos und Byblis-Gruppe im Besitz des Conte Fede (womit prinzipiell der ältere wie der jüngere gemeint sein konnte; inzwischen war sie aber mit Sicherheit im Besitz des jüngeren, da der ältere Conte Fede nicht mehr lebte), sondern das Inventar nennt den Abguss auch eindeutig als das Werk Mannellis. Mannelli war derjenige italienische Künstler, der in Düsseldorf die Abgüsse für Johann Wilhelm anfertigte; nach dessen Tod 1716 war er in die Heimat zurückgekehrt. Das heißt also, es handelte sich um den Abguss einer bereits dem älteren Fede gehörenden Gruppe unter der Bezeichnung „Kaunos und Byblis“. Was ist nun das Besondere an der Fede- bzw. Kaunos-Byblis-Gruppe? Sie ist das erste antike Denkmal, das als Darstellung der Kaunos und Byblis-Geschichte gedeutet wurde (nach Ovid, Metamorphosen 9,454–665).237 Die Körper der Gruppe entsprechen der erst später (1749) gefundenen kapitolinischen Amor und Psyche-Gruppe (Abb. 13), die ihr in puncto Beliebtheit bald den Rang ablaufen sollte, was sich auch an ihrer Rezeptionsgeschichte, die bis in die heutige Zeit reicht, erkennen lässt. Gleichwohl muss man sagen, dass wir auch für die Fede-Gruppe – mit ihren Pierre LeGros zuzuweisenden Ergänzungen238 – das ganze 18. Jahrhundert hindurch Zeugnisse ihrer Berühmtheit finden, darunter (meist verkleinerte) Nachbildungen in Ton, Marmor und Bronze sowie Darstellungen auf und Nachformungen in Porzellan.239 Unter den von Klauer angebotenen Gipsabgüssen nach der Antike waren beide Gruppen vertreten.240 Von der kapitolinischen Amor und Psyche-Gruppe unterscheidet sie sich in zwei wesentlichen Punkten: einmal in dem Abwehrmotiv mit abgewandtem Kopf des Kaunos, abwehrendem Arm und Griff in das Haar des Mädchens, um es wegzuziehen, und zum anderen durch das im Fußbereich höher geraffte Gewand, das die Füße des Mädchens sichtbar werden lässt – eine Variante, die wir so nur von der sog. Fede-Gruppe kennen. Dies ermöglicht es, die Gruppe um ein weiteres Motiv zu bereichern: Der Hinwendung des Mädchens wird dadurch Nachdruck verliehen, dass es sich auf die Zehenspitzen stellt.241 Die Frage ist, ob diese Abwand236 Vgl. Raeder 2014, 43 mit Anm. 21. Gruppe gesichert im Besitz des Giuseppe Fede durch dessen Testament, s. Giubilei 1995, 135. Den Fundort der im Besitz des jüngeren Conte Fede befindlichen Gruppe belegt auch der 1766 erschienene Reisebericht des englischen Reisenden John Northall, allerdings erscheint die Gruppe darin unter der Bezeichnung „Salmacis and Hermaphroditus“, s. Northall 1766, 342; Raeder 2014, 43; Tipton 2006, 174 Anm. 220. 237 Vgl. Walter 1995, 247. 238 Dazu s. u. 239 Raeder 2014, 43 mit Anm. 17. 240 Bode 1909, 269. 241 Bei der sog. Gruppe Emkendorf, die möglicherweise mit der verschollenen Fede-Gruppe identisch war und über die noch zu sprechen sein wird, betrifft dies den rechten Fuß der Byblis. Eine

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lungen antik sind oder als Ergänzungen auf den neuzeitlichen Restaurator zurückgehen; dabei wirkt sich erschwerend aus, dass das Original nicht mehr erhalten ist, und so nicht mehr genau nachzuvollziehen ist, was ergänzt wurde und was antiker Bestand war.242 Nach Walter jedoch „scheinen der Rechtsknick in der Rückenlinie des Jünglings“ und seine Schulterneigung „die Abwendungsgeste zu fordern“.243 Dies spräche dann für ein schon ursprünglich so angelegtes Motiv.244 Ganz im Gegensatz dazu stellt Bissell fest, „die im Torso angelegte Umarmung der Protagonisten suggeriert eher eine innige Beziehung als eine Zurückweisung“.245 Als Restaurator wird im Allgemeinen der Bildhauer Pierre LeGros (1666–1719) genannt, zum einen aufgrund stilistischer Vergleiche,246 zum anderen aufgrund eines Eintrages in einem nach seinem Tod erstellten Werkverzeichnis,247 wonach er eine antike Gruppe restauriert haben soll, von der nur noch die Büsten (busti) oder Torsen erhalten gewesen seien (da er 1719 gestorben ist, kann er im Übrigen keine erst zwischen 1730 und 1735 von dem jüngeren Fede gefundene Gruppe restauriert haben). Diese Gruppe habe er zur „favola di …“ restauriert, d. h. an der entscheidenden Stelle, an der die Namen und damit das Sujet gestanden haben, ist im Text eine Lücke;248 außerdem ist unklar, wir wörtlich der Begriff „favola“ zu nehmen ist – oder ob damit einfach „Geschichte“ oder „Mythos“ gemeint ist. Es erscheint frag-

Steinkopie der Fede-Gruppe von Martin Gottlieb Klauer treibt das Motiv insofern „auf die Spitze“, als er das Mädchen mit beiden Füßen auf den Ballen stehen lässt. Die Zeichnung Batonis erscheint in dieser Hinsicht nicht ganz eindeutig. 242 Zur Frage des Umfangs und der Absicht der Restaurierung das Motiv betreffend s. Walter 1995, 243. 249 f. Darüber hinaus geht Bissell 2003, 76 davon aus, dass LeGros auch die antiken Torsen überarbeitet hat, um sie den ergänzten Partien und seinem eigenen Stil anzugleichen. 243 Walter 1995, 249. Der Rechtsknick im Oberkörper der männlichen Figur erscheint noch deutlich ausgeprägter an einem Marmor-Torso in Venedig, vgl. Aspris 1996, 9 Nr. A 5 mit Abb. 16, der aufgrund der im Rückenbereich noch feststellbaren Flügelansätze und eines erhaltenen Stückes des Unterarmes und der linken Hand der Psyche sicher einer Amor und Psyche-Gruppe zuzuordnen ist. Dass es sich um eine Amor und Psyche-Gruppe mit Abwendungsgeste handelte, erscheint dennoch nicht unbedingt erforderlich und aufgrund der Seltenheit des Motives auch eher fraglich. 244 Diesbezüglich könnte ein genauerer Vergleich der Rückenansichten der Überlieferungen der Fede-Gruppe mit der der kapitolinischen Amor und Psyche-Gruppe aufschlussreich sein. Bei der Abbildung der Rückansicht der Gruppe Emkendorf (Schiering 1994, 51 Abb. 8), die in diesem Zusammenhang besonders interessant wäre, ist die Figur des Amor leider zu verschattet, um darauf Entsprechendes zu erkennen. 245 Bissell 2003, 75. 246 Raeder 2014, 41. 247 Raeder 2014, 41; Bissell 2003, 73 mit Anm. 2; 75 mit Anm. 15. Dieses befindet sich in Rom, Archives de l’Ambassade de France près le Saint-Siège, Vol. 13 sd 1 (Papiers personnels du chevalier de La Chausse 1650–1724). Bissell geht davon aus, dass es „vermutlich um 1722–23“ abgefasst wurde. 248 Raeder 2014, 41 mit Anm. 6. G. Bissell zufolge handelt es sich nicht etwa um eine Textlücke, die auf Unleserlichkeit beruht, sondern um eine Freilassung, in die der Titel des Werkes nachgetragen werden sollte – offenbar war dem Verfasser der Liste unklar, welches Sujet dargestellt war, s. Bissell 2003, 75 mit Anm. 16.

3.7 Kaunos und Byblis

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lich, ob diese Angaben ausreichen, um daraus eine bestimmte Gruppe oder ein bestimmtes Werk zu identifizieren. Zudem ist in dem Werkverzeichnis angegeben, LeGros habe die Gruppe im Auftrag des Botschafters von Portugal („Ambasciatore di Portogallo“) restauriert bzw. ergänzt, was sich mit der Kaunos und Byblis-Gruppe, die sich ja im Besitz des Conte Fede (erst des älteren, dann des jüngeren) befand, nur schwer zusammenbringen lässt, zumindest solange man davon ausgeht, dass die Gruppe vom Conte Fede selbst auf dem Gebiet der Villa Hadriana gefunden wurde. Gleichwohl ist versucht worden, dem in dem Verzeichnis von LeGros nicht namentlich genannten Botschafter von Portugal einen Namen zuzuweisen und zwischen diesem und der Fede-Gruppe eine Verbindung herzustellen.249 Dazu scheint jedoch die verlässliche Grundlage zu fehlen, da in LeGros’ Verzeichnis die Namen der Figuren und damit das Sujet nicht explizit genannt sind, und es fraglich ist, ob man auf diese Weise sicher ein bestimmtes Werk identifizieren kann. Dies stellt nicht in Abrede, dass auch die Fede-Gruppe von LeGros ergänzt worden ist – dies belegt insbesondere die hier unten zitierte Textpassage aus dem Testament des jüngeren Fede („restaurate dal celebre monsieur Le Groy“). Nur hatte die Annahme eines portugiesischen Gesandten als Auftraggeber der Restaurierung bereits die Konsequenz, dass nun schon zum Teil von zwei verschiedenen antiken Gruppen ausgegangen wurde, die beide jeweils zu einer Kaunos und Byblis-Gruppe ergänzt worden seien (in Abhängigkeit voneinander), was durch detaillierte Faltenvergleiche zu untermauern versucht wurde.250 Die Frage ist allerdings, wie verlässlich und aussagekräftig Vergleiche von Abbildungen und Wiederholungen der Gruppe in unterschiedliche Materialien und Medien, d. h. auch Zeichnungen, sein können. Und ganz abgesehen davon kann auch der „portugiesische Gesandte“, der ja namentlich nicht genannt ist, auf einem Irrtum beruhen, da LeGros die Werkliste nicht selbst erstellt hat und der Verfasser der Liste auch das dargestellte Sujet nicht zu benennen wusste (so könnte es sich möglicherweise auch um eine Verwechslung mit Fede gehandelt haben, der ja der toskanische Gesandte in Rom war). Ganz aus der Luft gegriffen erscheint die Person des portugiesischen Gesandten in diesem Zusammen-

249 Bissell, der – anders als Raeder – davon ausgeht, dass die von LeGros restaurierte Gruppe und die Gruppe im Besitz Fedes identisch sind, nimmt sehr allgemein an, dass diese „aus dem Besitz des Portugiesen eventuell wenig später in den des Grafen Antonio Maria Fede überging“. Zumindest sei „sicher, dass die Marmorgruppe schließlich in die Sammlung seines Sohnes Giuseppe Fede gelangte“, s. Bissell 2003, 73. Als Auftraggeber der Restaurierung, den portugiesischen Gesandten („Ambasciatore“), schlägt er André de Melo e Castro, Conde de Galveias, oder Rodrigo Anes de Sá Almeida e Meneses, Marquês de Fontes, vor, s. Bissell 2003, 78 Anm. 2. Dagegen sei Antonio do Rego, Vorgänger des Erstgenannten, „als Jesuit kein sehr wahrscheinlicher Auftraggeber“. Dies überrascht ein wenig, bezeichnet doch Bissell selbst LeGros als „wichtigsten Bildhauer des Jesuitenordens“, s. Bissell 2003, 73. Raeder dagegen sieht als einzige Verbindung Fedes zu der von LeGros ergänzten Gruppe den Abguss, den er davon für Düsseldorf beschafft hat, s. Raeder 2014, 46. Dies erklärt jedoch nicht die Besitzangabe „del Conte Fede“ im Verzeichnis von 1731 sowie auf der Zeichnung Batonis. 250 Raeder 2014, 44 f. Dazu siehe unten.

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3 Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm

hang allerdings dennoch nicht. So ist er auch in einem Schreiben Fedes an Johann Wilhelm erwähnt, in dem es um konkurrierende Abguss-Unternehmungen durch den König von Portugal und den preußischen König geht. Fede berichtet darin dem Kurfürsten: „Dem edlen Beispiel E. Chf. D. folgend, hat der König von Portugal seinem hiesigen Gesandten den Auftrag erteilt, dieselben Statuen für ihn herstellen zu lassen.“ 251 Von daher käme der Portugiese zumindest als Vorbesitzer der Gruppe durchaus in Betracht – möglicherweise als verlängerter Arm des portugiesischen Königs –, welche demnach erst im Anschluss in die Hände der Conti Fede gelangt wäre252 – allerdings wäre damit der Fundort auf dem im Besitz der Familie Fede befindlichen Gebiet der Villa Hadriana nahezu ausgeschlossen. Gesichert ist, dass sich die Gruppe im Besitz des jüngeren Fede befand. Sie erscheint im Testament des 1776 gestorbenen Giuseppe Fede unter der Bezeichnung „Caoni Bibli“.253 Das Testament enthält ein sorgfältig erstelltes Inventar „delle statue ed altri preziosi marmi in casa di me“, das der Unterzeichner offenbar selbst verfasst hat. Der betreffende Abschnitt im Wortlaut: Un gruppo di due figure abbracciate alto palmi sei incirca, con teste, gambe e braccia moderne, restaurate dal celebre monsieur Le Groy, che rappresenta Caoni Bibli favola ch’è narrata nelle Metamorfosi di Ovidio al libro XI,254 opera singolare e di eccelente scalpello greco, ammirata da tutte le nazioni.255

Danach lässt sich die Gruppe also eindeutig identifizieren, und auch die Ergänzung der Gruppe durch LeGros ist damit erwiesen, ebenso der (grobe) Umfang der Ergänzungen (Köpfe, Beine und Arme).256 Demnach dürfte das Motiv des hochgezogenen Gewandes auf den neuzeitlichen Restaurator zurückgehen. Die Frage nach der Urheberschaft des Abwehrmotivs lässt sich dennoch nicht ganz eindeutig beantwor-

251 Q 446, Fede an Johann Wilhelm (29. Juni 1709); hier zitiert nach Levin 1911, 163. 252 Vgl. dazu auch Bissell 2003, 73. 253 Giubilei 1995, 135. Verfasst wurde dieses am 18. September 1774, s. Giubilei 1995, 137. Testamentseröffnung war am 22. August 1776 in Rom, s. Giubilei 1995, 122. 254 Irrtümlich für Buch IX. 255 Hier zitiert nach Giubilei 1995, 135. 256 Die Urheberschaft der Ergänzungen durch LeGros bestätigt auch der Eintrag zur Fede-Gruppe im Stichwerk von Dominique Magnan, Elegantiores Statuae Antiquae in variis romanorum palatiis asservatae (Rom 1776) = Magnan 1776, S. XII („Caunus & Byblis“) Taf. 27 („Cauni et Byblidis stat. vet. marm.“). Demnach war die Gruppe im Besitz des Conte Fede befindlich und durch die Ergänzungen von LeGros zu einer Kaunos und Byblis-Gruppe umgewandelt worden, wobei es sich ursprünglich um eine Amor und Psyche-Gruppe gehandelt habe: Haud dubiè Amoris & Psyches imagines fuerunt statuae istae. Der Stich Magnans aus dem Todesjahr des jüngeren Conte Fede zeigt die Gruppe in der restaurierten Fassung mit Abwehrgestus und auf quadratischer Plinthe und belegt zusammen mit dem Testament des jüngeren Fede (s. u.) und einem Brief Jenkins’, dass die Gruppe mindestens bis zu diesem Zeitpunkt als Darstellung von Kaunos und Byblis erhalten blieb und erst später „umrestauriert“ wurde. Zum Brief Jenkins’ vom 4. September 1776 s. Bignamini – Hornsby 2010, II, 94 Nr. 170; TY 7/360.

3.7 Kaunos und Byblis

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ten – so war zwar der Kopf des Kaunos offenbar nicht erhalten, könnte aber, folgt man Walter, durch die Anlage der Rücken- und Schulterlinie des Torso vorgegeben gewesen sein.257 Offenbar war dieses einzigartige Kunstwerk („opera singolare“) der besondere Stolz seines Besitzers: Es erscheint in dem Inventar der kostbaren Marmorstatuen bereits an zweiter Stelle (nach der Erwähnung eines lyraspielenden Apoll von „alto palmi dieci incirca“), und wie Fede betont, werde es „ammirata da tutte le nazioni“. Auch sei es das Werk sowohl eines berühmten Restaurators, LeGros, wie auch ursprünglich eines hervorragenden griechischen Bildhauers – dass es sich um eine römische Kopie eines hellenistischen Werkes handelte, war ihm offenbar nicht bekannt. Leider gibt die zitierte Textstelle aus dem Testament Fedes keine Auskunft über den Fundort oder die Fundumstände des Stückes. Da bei einigen anderen im Inventar genannten Stücken der Fundort angegeben ist mit „trovata nella Villa Adriana“, muss man wohl davon ausgehen, Fede hätte dies auch bei der Kaunos und Byblis-Gruppe mit angegeben, so dies der Fundort der Gruppe oder dieser ihm überhaupt bekannt gewesen wäre.258 Auszuschließen ist jedenfalls, dass die von LeGros ergänzte Gruppe mit der vom jüngeren Fede auf dem Gebiet der Villa Hadriana gefundenen Amor und Psyche-Gruppe zu identifizieren ist, die er dort zwischen 1730 und 1735 gefunden haben soll (Ausgrabungen durch Giuseppe Fede dort zwischen 1724 und 1742 überliefert),259 denn LeGros starb bereits 1719.260

257 Walter 1995, 249. 258 Dies würde allerdings die Angabe, die Gruppe sei in der Villa Hadriana gefunden worden, die sich in einem Brief Jenkins’ an Townley aus dem Jahr 1794 (Bignamini – Hornsby 2010, II, 207 Nr. 408; TY 7/534), sowie davor im Reisebericht Northalls (1766 erschienen) findet, in Frage stellen, vgl. Raeder 2014, 43 mit Anm. 21. – Nicht nachvollziehbar ist die Angabe Averys 1983, 314 (zu Abb. 5), die Fede-Gruppe (als Vorlage einer Marmorwiederholung Delvaux’) sei ausgegraben worden, als Delvaux in Rom war. Dessen Aufenthalt in Rom endete im März 1733, nachdem er vier oder fünf Jahre dort gewesen war, s. Avery 1983, 312 mit Anm. 5. Gleiches gilt für die Angabe Jacobs 1999, 255, die Gruppe sei 1711 in der Villa Hadriana gefunden worden, ebenfalls ohne Begründung. 259 Raeder 2014, 43. Diese Amor und Psyche-Gruppe ist nicht erwähnt in dem vorliegenden Inventar der Marmorskulpturen „che attualmente esistono in casa di me“, das dem Testament Giuseppe Fedes beigefügt war. Möglicherweise befand sie sich bei Abfassung nicht mehr im Besitz Fedes, oder zumindest nicht in seinem Hause. Das Inventar enthält, neben einigen Köpfen oder Büsten, außer der Kaunos und Byblis-Gruppe lediglich drei ganze Statuen: einen Apoll, eine Venus und eine Flora, wobei zu letzterer angegeben ist, sie sei in der Villa Hadriana gefunden worden, s. Giubilei 1995, 135–137. Es ist wohl davon auszugehen, dass Fede einige der Fundstücke von dort vor Abfassung seines Testamentes verkauft oder verschenkt hat, oder bei fragmentierteren oder weniger wertvollen Stücken davon abgesehen hat, sie darin zu erwähnen, vgl. Giubilei 1995, 87. Zu der von Fede gefundenen Amor und Psyche-Gruppe vgl. noch Giubilei 1995, 108 Nr. 15. 260 Vgl. dazu auch schon Schiering 1994, 53 Anm. 6 (unten) mit Hinweis auf diesen Irrtum schon bei Haskell – Penny 1981, 191. – Zur weiteren Eingrenzung des zeitlichen Rahmens, innerhalb dessen LeGros die Kaunos und Byblis-Gruppe ergänzt haben könnte (u. a. wegen krankheitsbedingt nachlassender Schaffenskraft), s. Bissell 2003, 73 mit Anm. 4. Durch das Vorhandensein des Abgusses in der Sammlung Johann Wilhelms muss dies in jedem Fall vor 1716 stattgefunden haben.

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3 Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm

Wahrscheinlich ist auch, dass sich die Kaunos und Byblis-Gruppe davor schon im Besitz des Vaters, Conte Antonio Maria Fede, befand. Dafür spricht der in der Sammlung Johann Wilhelms vorhandene Abguss, der dem Übernahmeinventar von 1731 zufolge von der Kaunos und Byblis-Gruppe im Besitz des Conte Fede abgenommen worden war. Angefertigt hatte diesen demnach außerdem Gennaro Mannelli, der bis zum Tode Johann Wilhelms im Jahre 1716 für diesen als Abgießer tätig war.261 Es ist wohl davon auszugehen, dass mit dem im Inventar genannten „Conte Fede“ der ältere der beiden Fedes gemeint war, wenn damit an den Besitzer der Originalgruppe zum Zeitpunkt der Herstellung des Abgusses gedacht war, aber letztlich ist nicht auszuschließen, dass sich der Besitznachweis „del Conte Fede“ (Inv. 1731) auch auf den derzeitigen Besitzer der Gruppe bei Abfassung des Inventars bezogen haben könnte, welches dann der jüngere der beiden gewesen wäre. Das Verzeichnis von 1716 nennt zwar bereits den Abguss der Kaunos und Byblis-Gruppe in der Sammlung Johann Wilhelms („Canlis ex bipe“), bleibt aber Auskünfte zum damaligen Besitzer der Originalgruppe schuldig. Dies verwundert allerdings nicht wirklich vor dem Hintergrund, dass dieses Verzeichnis ohnehin sehr knapp, um nicht zu sagen marginal, gehalten ist und im Gegensatz zu dem Inventar von 1731 weder Maßangaben noch Informationen zu den jeweiligen Originalen enthält. Bissell geht davon aus, dass sich die Gruppe zunächst im Besitz des portugiesischen Gesandten befand, der auch der Auftraggeber der Restaurierung durch LeGros gewesen sein könnte. Später sei sie in den Besitz des Giuseppe Fede gelangt (dies ist durch den Eintrag in dessen Testament gesichert), könnte aber dazwischen noch dem Vater Antonio Maria Fede gehört haben.262 Damit hätte die Gruppe auch mit den Ausgrabungen des älteren Fede auf dem Gebiet der Villa Hadriana nichts zu tun. Gleichwohl waren sich auch Fede und LeGros persönlich bekannt: Sie waren einander im Zusammenhang mit der skulpturalen Neuausstattung der Lateransbasilika unter Papst Clemens XI. begegnet, an der LeGros neben zahlreichen anderen Bildhauern beteiligt war.263 Fede berichtete auch Kurfürst Johann Wilhelm brieflich von dem skulpturalen Großprojekt.264 Von daher hätte sicher auch Fede die Restau-

261 Darin ausdrücklich unter den von „Gennaro Manelli in giebs verfertigten Statuen“ aufgeführt, s. Braun 1984, 23; 27 Nr. 39. Auch die Erwähnung des Kaunos und Byblis-Abgusses in dem nach dem Tode des Kurfürsten verfassten Inventar von 1716 („Canlis ex bipe“, s. Hofmann 1982, 362) belegt das Vorhandensein eines Abgusses der Gruppe in der Sammlung Johann Wilhelms. 262 Vgl. Bissell 2003, 73. Dabei bezieht er sich auf ein nach dem Tode von LeGros erstelltes Werkverzeichnis, dem zufolge dieser im Auftrag des Botschafters von Portugal („Ambasciatore di Portogallo“) eine antike Gruppe restauriert haben soll, von der nur noch die Büsten (busti) oder Torsen erhalten gewesen seien. Allerdings ist dort das Sujet der Gruppe nicht genannt und daher die Identifikation mit der Kaunos und Byblis-Gruppe nicht gesichert. 263 Tipton 2006, 114 mit Anm. 225. 264 Tipton 2006, 174 Anm. 225. Fede berichtet davon erstmals in einem Brief vom 15. Dezember 1703 (Tipton 2006, 242 Q 247); der Kurfürst verspricht, den Bischof von Osnabrück daran zu erinnern, sich als Dank für seine Ernennung finanziell an dem Projekt zu beteiligen, s. Tipton 2006,

3.7 Kaunos und Byblis

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rierung der fragmentierten Kaunos und Byblis-Gruppe bei LeGros in Auftrag geben können. Bemerkenswert ist auch, dass die Gruppe offenbar keine Erwähnung in der Korrespondenz Fedes mit Johann Wilhelm findet (oder unter anderer Bezeichnung?), daher ist unklar, wann der Abguss nach Düsseldorf kam. Offenbar waren in den Briefen nur Stücke erwähnt, an denen noch Dritte – etwa als Besitzer, von denen noch eine Abformerlaubnis einzuholen war – beteiligt waren. Gehörte die Gruppe ohnehin Fede selbst, waren diesbezüglich wohl keine Verhandlungen nötig. Denkbar wäre auch, dass es sich um ein „Geschenk“ Fedes an seinen Auftraggeber handelte, für das dieser ihm im Gegenzug als Dank vielleicht keinen Brief, sondern ein Gegengeschenk, etwa in Form eines Gemäldes hat zukommen lassen, möglicherweise mit einer angehängten Nachricht, die sich nicht erhalten hat. Ein persönlicher Dank von Angesicht zu Angesicht scheidet jedenfalls als Erklärung für das Fehlen dieses Neuzugangs in der Korrespondenz zwischen Fede und dem Kurfürsten aus, denn beide scheinen sich nie persönlich kennengelernt zu haben. Nach seiner Grand Tour hat Johann Wilhelm Rom offenbar nicht noch einmal besucht, und auch von einem Aufenthalt Fedes in Düsseldorf ist nichts bekannt. Im Übrigen scheinen sich Fede und der Kurfürst in ihren Briefen weniger über einzelne Abgüsse ausgetauscht zu haben, dies vor allem noch zu Beginn des Abguss-Unternehmens, sondern Fede schickte im Verlauf des Sammlungsaufbaus eher ganze Verzeichnisse der von den Abguss-Künstlern angebotenen Stücke, und Johann Wilhelm bedankte sich dann nach Eintreffen für die Sendung insgesamt. Gut möglich, dass der Abguss oder auch die Form der Kaunos und Byblis-Gruppe des Conte Fede Teil der letzten nach Düsseldorf verbrachten Sendung war, von deren Verschiffung nach Livorno Fede dem Kurfürsten am 17. August 1715 berichtet.265 Zur Bestätigung des Eintreffens dieser Sendung in Düsseldorf durch Johann Wilhelm kam es augenscheinlich nicht mehr. Am 3. November 1715 meldet der Kurfürst lediglich noch die Ankunft des Statuarius Mannelli in Düsseldorf, der die Reise auf dem Landweg unternommen hatte.266 Ein allerletztes Schreiben von seiner Seite an Fede, „das für uns nichts Mitteilenswertes enthält“ soll vom 29. Dezember 1715 datieren.267

174 Anm. 225; 242 Q 251 (Februar 1704). Vgl. zu diesem Projekt auch zwei weitere Schreiben Fedes an Johann Wilhelm: Q 569 (12. Juli 1711) und Q 571 (8. August 1711) (zur Anfertigung einer Statue im Lateranstempel für fünftausend Scudi). Auch ein jüngerer Bruder Johann Wilhelms, Pfalzgraf Franz Ludwig, Bischof von Breslau und Worms, soll auf Vermittlung Fedes fünftausend Scudi für das Lateransprojekt beigetragen haben, s. Tipton 2006, 114. 265 Q 754, Fede an Johann Wilhelm (17. August 1715). 266 Q 760, Johann Wilhelm an Fede (3. November 1715). 267 Vgl. Levin 1911, 179: „Mit einem Reskript Johann Wilhelms vom 29. Dezember 1715, das für uns nichts Mitteilenswertes enthält, schließt die Korrespondenz mit Fede, soweit sie im K. bayer. Geh. Staatsarchiv vorhanden ist.“ – Tipton 2006 identifiziert das hier von Levin genannte Schreiben mit einem Brief vom 29. Dezember 1714 (nicht 1715), s. Q 738, das jedoch umgekehrt als bei Levin angegeben Fede an Johann Wilhelm verfasst hat; soweit bei Tipton 2006 publiziert, stammt das letzte von Johann Wilhelm an Fede gesandte Schreiben vom 3. November 1715, s. hier oben Q 760.

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3 Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm

An dieser Stelle ist noch einmal zurückzukommen auf die bereits oben erwähnte Rötelzeichnung Batonis, die als Darstellung der nicht auf uns gekommenen Kaunos und Byblis-Gruppe gilt.268 Dies liegt zum einen im dargestellten Motiv, das wir aus den Klauerschen Wiederholungen der Gruppe nach dem Modell des Abgusses Johann Wilhelms kennen, zum anderen in der rückseitigen Bezeichnung der Zeichnung „In casa del conte Fedi. F.“ begründet.269 Wie Raeder nun aber feststellt, unterscheiden sich die Batoni-Zeichnung und die Wiederholungen von Klauer in einigen wesentlichen Punkten – dies betrifft vor allem den Kopftypus des Kaunos wie die Fingerstellung seiner Hand und noch einige weitere Details –, so dass nicht davon ausgegangen werden kann, die Zeichnung zeige die antike Gruppe, wie sie durch die Klauerschen Kopien überliefert ist.270 Gegen die Annahme, diese Abweichungen lägen möglicherweise in zeichnerischer Freiheit begründet, spreche, dass diese sich jedoch an einer Marmorwiederholung der Gruppe, die Laurent Delvaux (1696–1778) für den Duke of Bedford in Woburn Abbey geschaffen hat, wiederfänden, die demnach in der Zeichnung Batonis dargestellt sein dürfte.271 Es gibt jedoch keinen Grund anzunehmen, Batoni habe statt der Originalgruppe, die sich zu der Zeit im Besitz und im Hause des jüngeren Conte Fede befand, eine Wiederholung

268 Schiering 1990, 33 mit Abb. 4. Die Zeichnung Batonis gehört zu einer Serie, die der junge Batoni in den Jahren zwischen 1727 und 1730 in Rom im Auftrag Richard Tophams von Windsor (1671–1730) anfertigte, s. Avery 1983, 314 Abb. 7; Bowron – Kerber 2007, 147 Abb. 125. Unverständlich bleibt vor diesem Hintergrund die Annahme Tiptons 2006, 113, Batoni hätte die Fede-Gruppe „vermutlich erst nach ihrem Verkauf in England studieren“ können, denn das Testament des jüngeren Fede belegt, dass sich die Gruppe bis zu dessen Tode 1776 in seinem Besitz in Rom befand. Batonis Auftraggeber Richard Topham starb bereits 1730, woraus sich ein Terminus ante quem für die Anfertigung der Zeichnung ergibt. Auch ist Batoni selbst augenscheinlich nie in England gewesen. Walter 1995, 245 gibt an, die Zeichnung Batonis „muss vor dem Jahr 1729 entstanden sein“, jedoch ohne Angabe von Gründen. Er verweist auf Bowron 1982, 83 f. Nr. 56 und Macandrew 1978, 150. Bei beiden findet sich allerdings kein entsprechender Hinweis. Offenbar befand sich die Gruppe dann deutlich später doch für etliche Jahre in England: Nach dem Tode des jüngeren Fede hatte Jenkins diese 1779 an Thomas Brand verkauft und bekam dann nach dessen Ableben 1794 erneut den Auftrag, für die Gruppe einen Käufer zu finden, s. Roani Villani – Capecchi 1990, 155; Bignamini – Hornsby 2010, II, 207 Nr. 408; TY 7/534 (3. Juli 1794). 269 Walter 1995, 240 mit Taf. 55a; Bowron – Kerber 2007, 147 Abb. 125. – Zu den Klauerschen Wiederholungen s. Raeder 2014, 39 f. mit Anm. 3 Abb. 1. 2. 270 Raeder 2014, 42; vgl. auch Schiering 1990, 36: „Einen besonderen Zauber der Zeichnung Batonis macht der Kopf des Kaunos aus. Hier ist der Unterschied (…) zur plastischen Fassung Klauers so groß, dass man zunächst denken könnte, Batoni hätte um 1730 in Rom überhaupt einen anderen Kopf gesehen und gezeichnet als der Maler der Grisaille [im Palais Seligmann in Leimen, Anm. E. S.] im Mannheimer Antikensaal.“ 271 Raeder 2014, 42 mit Anm. 14; zu der Gruppe in Woburn Abbey s. Jacobs 1999, 253 f. Nr. S 41 mit Abb. – Die herausragende Bedeutung der Fede-Gruppe belegt auch die Tatsache, dass Delvaux von dieser als einem von sieben berühmten Werken Roms eine Marmorkopie für den Duke of Bedford anfertigte, vgl. Raeder 2014, 42; Avery 1983, 312–321 (zu den anderen Werken der Serie; darunter die sog. Venus mit der Muschel, eine Variante der sog. Knöchelspielerin, außerdem die sog. kauernde Venus und der sog. Hermaphrodit Borghese).

3.7 Kaunos und Byblis

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von Delvaux abgezeichnet. Dies bestätigt auch die umseitig angegebene Bezeichnung des dargestellten Stückes „In casa del conte Fedi. F.“ 272 Zwar war es gängige Praxis, dass junge Künstler wie Batoni zu Übungszwecken die Werke anderer Künstler kopierten, um andere Stile, Materialien und Techniken kennenzulernen. Jedoch handelte es sich dabei nur um antike Skulpturen oder Werke alter Meister wie beispielsweise Raffael.273 Vielmehr ergibt sich aus den Unterschieden zwischen der gezeichneten Version Batonis und den Klauerschen Kopien, die bislang gemeinsam als bildliche Überlieferung der verlorenen Fede-Gruppe galten, und andererseits den genaueren Übereinstimmungen der Batoni-Zeichnung mit der Wiederholung, die Delvaux geschaffen hat, dass es sich bei den Klauer-Kopien nicht um so getreue Wiedergaben der verlorenen Fede-Gruppe handelt, wie bislang angenommen, sondern sowohl die Zeichnung Batonis als auch die Delvaux-Gruppe der verlorenen antiken Kaunos und Byblis-Gruppe offenbar deutlich näher stehen als dies die Wiederholungen Klauers tun.274 Das im 18. Jh. in Mannheim vorhandene Exemplar der Gruppe, das uns durch die in Weimar vorhandenen Nachbildungen und Abformungen überliefert ist, darf also mehr als Werk Klauers als als Wiedergabe der antiken Gruppe betrachtet werden. Dies bestätigen auch stilistische Vergleiche mit anderen Werken Klauers. Möglicherweise hat in Mannheim zunächst tatsächlich der Düsseldorfer Abguss gestanden, wenn, wurde dieser aber offenbar im späteren Verlauf des 18. Jhs. durch eine Version von Klauer (1742–1801) ersetzt.275 Auch die Grisaille der Kaunos und ByblisGruppe, die Schiering vor einigen Jahren im Palais Seligmann (erbaut zwischen 1792 und 1798) in Leimen entdeckt hat und die nach der Vorlage der in Mannheim vorhandenen Gruppe geschaffen worden sein soll, zeigt die Klauersche Version der Statuengruppe.276

272 Das „F.“ als Zusatz hinter dem Namen Fede dürfte für „Figlio“ und damit den jüngeren Fede stehen, in dessen Besitz sich die Gruppe bei Anfertigung der Zeichnung durch Batoni befand. – Mit Ausnahme einiger von Batoni selbst signierter Zeichnungen der Topham Collection tragen die übrigen Zeichnungen Batonis in dieser Sammlung umseitig die Angabe des Standortes des kopierten Objektes von der Hand Imperialis, s. Macandrew 1978, 144, so auch im Falle der Zeichnung der Kaunos und Byblis-Gruppe. Offenbar war auch der Kontakt Tophams zu Batoni über den Historienmaler Imperiali alias Francesco Fernandi (1679–1740) zustande gekommen, s. Macandrew 1978, 135. 273 Vgl. Bowron – Kerber 2007, 144 f. Offenkundig war die Originalgruppe zu der Zeit im Hause Fedes durchaus zugänglich, wie die von Delvaux angefertigte Version der Gruppe belegt, die ungefähr zeitgleich mit der Batoni-Zeichnung entstanden ist. Doch selbst wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, wäre Batoni wohl kaum auf eine moderne Wiederholung der Gruppe als Vorlage ausgewichen. 274 Raeder selbst bemerkt zur Steinkopie Klauers: „Fast glaubt man, im Gesicht ein Porträt aus der Hand Klauers erkennen zu können“, s. Raeder 2014, 41. 275 Wenn auch letztlich auf Grundlage des Abgusses aus Düsseldorf, möglicherweise auch mit Hilfe der von dort stammenden Form. 276 Vgl. Schiering 1990, 29. 36 mit Abb. 1. Die Grisaille-Malerei wird Peter Ferdinand Deurer (1777– 1844), Mannheimer Historien- und Porträtmaler, zugeschrieben. Dieser soll die Grisaille-Technik

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3 Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm

Die Ähnlichkeit der Delvaux-Gruppe mit der Zeichnung Batonis hat auch Avery erkannt.277 Aufgrund der Unterschiede beider zu einer Bronze-Verkleinerung Francesco Righettis (1749–1819) und deren klassischerer Haarwiedergabe des Kaunos im Gegensatz zu der diesbezüglichen „Flemish interpretation of Bernini’s style“ an der Marmorgruppe von Delvaux möchte er annehmen, die Bronze Righettis sei möglicherweise eine präzisere Wiedergabe des verlorenen Originals.278 Sollte dieses fragmentiert gewesen sein – er schreibt ganz offensichtlich in Unkenntnis des Testamentes des jüngeren Conte Fede, das genau dies belegt und auch eine Restaurierung u. a. der fehlenden Köpfe durch LeGros – könnte Delvaux’ Wiedergabe ein Versuch der Ergänzung gewesen sein, der Batoni so gut gefallen habe, dass er ihn in seiner Zeichnung übernommen habe.279 Dies interpretiert er wiederum als Beleg für eine „possibly close and friendly relationship“ zwischen dem jungen italienischen und belgischen Künstler.280 Die von Righetti geschaffene Bronze-Verkleinerung ist allerdings erst deutlich später als Delvaux’ Wiederholung, nämlich erst gegen Ende des 18. Jhs. entstanden, und es ist fraglich, inwieweit die Originalgruppe zu diesem Zeitpunkt zur Anschauung zur Verfügung stand.281 Wie Avery weiter feststellt, legt die Kopfhaltung der männlichen Figur der Delvaux-Gruppe ebenso wie ihre Geste eine andere Interpretation als „Amor und Psyche“ nahe und deckt sich insoweit auch mit der Bezeichnung der Gruppe als „Biblus et Canus“ in einer eigenhändigen Werkliste Delvaux’ von 1733.282 Vor diesem Hintergrund erstaunt aller-

bei Franz Anton von Leydensdorff in Mannheim gelernt haben und von 1801–1804 Aufträge für Wanddekorationen in Leimen und Heidelberg erhalten haben, s. Schulte-Arndt 1997, 13 f. 277 Avery 1983, 314. 317. 278 Avery 1983, 317 f. mit Abb. 8. Die Gruppe ist auch genannt in einem Verkaufskatalog von Bronzen Righettis unter der Bezeichnung „Amour & Psyché du Comte Foy“, s. Haskell – Penny 1984, 514. Offenkundig war die Bronze-Verkleinerung kein Einzelstück. Zu dem bei Avery 1983, 315 Abb. 8 abgebildeten Exemplar ist angegeben „formerly with Heim Gallery London“. Dieses ist signiert „F. Righetti“ und mit 1790 datiert, s. Haskell – Penny 1984, 176 Anm. 43. Zu einem weiteren Exemplar, das ebenfalls Righetti zugeschrieben wird, und das der Version Delvaux’ und der Zeichnung Batonis motivisch deutlich mehr entspricht, s. Jacobs 1999, 255 Abb. S 41b (dessen Aufbewahrungsort unbekannt). 279 Avery 1983, 317 f. 280 Avery 1983, 318. 281 Vgl. Walter 1995, 251. Wie ein Brief Jenkins’ an Townley belegt, befand sich die Gruppe seit 1778 im Besitze Thomas Jenkins’ (22. November 1778), s. Bignamini – Hornsby 2010, II, 110 Nr. 204; TY 7/383. Bald danach verkaufte er diese an Thomas Brand nach England, nach dessen Tod 1794 er sie im Auftrag des Erben erneut auf dem Kunstmarkt anbot. Einige Indizien sprechen dafür, dass sie sich seit 1796 dann offenbar auf Schloss Emkendorf im Besitz des Grafen Reventlow befand, dazu s. u. 282 Avery 1983, 318. 313 mit Anm. 8. Aus dieser Werkliste ergibt sich ein Terminus ante quem für die Entstehung der Delvaux-Gruppe in Woburn Abbey vor 1733. Walter 1995, 244 f. nennt dagegen als „sicheren ‚Terminus ante quem‘“ 1730, jedoch ohne Begründung. Er verweist lediglich allgemein auf Theuerkauff 1989 sowie Avery 1983, 314 f., wo sich dazu jedoch auch keine greifbaren Informationen finden.

3.7 Kaunos und Byblis

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dings die Bezeichnung der Righetti-Bronze als „Amor und Psyche“ – der hier dargestellte Abwehrgestus fällt noch vehementer aus als bei der Delvaux-Version: So scheint die rechte Hand der männlichen Figur der weiblichen regelrecht an die Kehle zu greifen, und seine Linke zieht ihr Haar noch weiter von sich weg. Der Kopf ist ebenso abgewandt wie bei Delvaux, zeigt sich in den Gesichtszügen jedoch beruhigter. Daneben fällt auf, dass in Righettis Variante die männliche Figur einen bis zur Mitte der Oberschenkel reichenden Mantel um die Hüften geschlungen hat, während der Mantelsaum der weiblichen Figur – ebenfalls anders als bei Delvaux – in der Art der kapitolinischen Amor und Psyche-Gruppe bis auf den Boden reicht und nur die Zehen freilässt. Möglicherweise erklärt sich aus diesem Vorbild auch die Bezeichnung der Bronze als „Amor und Psyche“. Jedoch wird in der Skulptur auch auf die Fede-Gruppe Bezug genommen: Auch wenn das Abwehrmotiv leicht verändert wiedergegeben ist, so stammt doch die Idee als solche von dieser, und auch die Bezeichnung „du Comte Foy“ verweist auf diese Gruppe als Vorbild. Dies wiederum unterstreicht einmal mehr die Bedeutung und Berühmtheit der Fede-Gruppe durch das 18. Jh. Interessanterweise sperren sich sowohl Raeder, wie lange vor ihm auch schon Avery, gegen den Gedanken, die Zeichnung Batonis und die Marmorgruppe von Delvaux könnten relativ getreue Wiedergaben der verlorenen Fede-Gruppe sein, obwohl dies die einzigen beiden der überaus zahlreichen Wiederholungen der Gruppe sind, die sich weitgehend entsprechen. Eher möchten beide an die Wiedergabetreue jeweils einer anderen Wiederholung glauben, die sich von der Batoni-Zeichnung und der Delvaux-Gruppe unterscheidet. Im Falle Averys die verkleinerte Bronze Righettis, da ihm der Kopf der männlichen Figur klassischer erscheint und er diesen der antiken Gruppe eher zuweisen möchte als die „Flemish interpretation“, die Delvaux offenbar an der Gruppe vorgenommen habe.283 Diese These beruht jedoch auf der Unkenntnis der Tatsache, dass die Gruppe ohne Köpfe gefunden wurde und LeGros diese ergänzt hat. Auch Righetti konnte also nicht wissen, und daher auch nicht wiedergeben, wie die ursprüngliche antike Gruppe diesbezüglich ausgesehen hat. Man hat wohl vielmehr davon auszugehen, dass Righetti mit seiner erst gegen 1790 entstandenen Variante bereits einem anderen, klassizistischeren Zeitstil unterworfen war als noch Delvaux um 1730. Stammen die Ergänzungen jedoch von LeGros, kann bei der Suche nach der Fede-Gruppe in den Reihen der zahlreichen Wiederholungen nicht eine möglichst „klassische“ Formensprache der Maßstab sein, zumal es sich um eine römische Kopie eines hellenistischen Werkes handelte, und das Aussehen der ursprünglichen, antiken Köpfe der Gruppe ohnehin als auf dieser Basis nicht mehr rekonstruierbar angesehen werden muss.284 Gleichzeitig

283 Avery 1983, 317 f. 284 Dabei ist, abgesehen von stilistischen Details, bereits fraglich, ob schon die antike Gruppe eine „Auseinandersetzung zwischen den beiden Kindern“, d. h. einen abgewandten Kopf der männlichen Figur und eine abwehrende Geste, impliziert hatte, s. Walter 1995, 249 f. Ebd. auch zur Frage nach der Abhängigkeit der Ergänzungen vom Originalbestand.

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3 Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm

bleibt Avery die Auskunft schuldig, warum er in seine Suche nach einer möglichst getreuen Wiedergabe der verlorenen Fede-Gruppe außer der Zeichnung Batonis lediglich die Delvaux-Gruppe (wenn auch in zwei verschiedenen Versionen)285 und die Bronze-Verkleinerung Righettis mit einbezieht, obwohl noch viele weitere Nachbildungen bekannt sind, und zudem gerade die Gruppe Righettis in der Gestaltung des Gewandes der weiblichen Figur mit den weit auf den Boden reichenden Stoffbahnen ihre Abhängigkeit von der kapitolinischen Amor und Psyche-Gruppe nicht verleugnen kann. Genannt seien an dieser Stelle beispielsweise die Wiederholungen von Klauer, die bislang, und so auch für Raeder, als die getreuesten Wiedergaben der Fede-Gruppe gelten – dies aufgrund der Tatsache, dass Klauer bei ihrer Anfertigung der ursprünglich aus Düsseldorf nach Mannheim gekommene Abguss der antiken Originalgruppe (wenn auch mit den von LeGros ergänzten Köpfen) bzw. die entsprechende Abgussform vorgelegen hat, allerdings ohne die Möglichkeit zu berücksichtigen, dass Klauer seinerseits Veränderungen daran vorgenommen haben könnte.286 Schließlich gehörten insbesondere die Köpfe, wie sie der Düsseldorfer Abguss wiedergab, auch schon nicht mehr zum antiken Originalbestand, und Veränderungen an diesen stellten folglich keinen unerhörten Eingriff in selbigen mehr dar. Die nicht zu leugnende Schwierigkeit, die Zeichnung Batonis mit den Klauerschen Kopien in Einklang zu bringen, lässt sich also weder durch die Annahme zeichnerischer Freiheit oder Ungenauigkeiten erklären, noch etwa durch das Vorhandensein zweier verschiedener antiker Originale, die in Abhängigkeit voneinander ergänzt worden seien.287 Vielmehr ist einerseits von der zeichnerischen Treue der Wiedergabe Batonis im Hinblick auf die von LeGros ergänzte Originalgruppe auszugehen,288 auch aufgrund der Übereinstimmungen mit der Marmorgruppe von Delvaux, andererseits belegt die Vielzahl voneinander verschiedener dreidimensionaler Wiederholungen der Fede-Gruppe die Virtuosität der Bildhauer im Umgang

285 Avery 1983, 317–19 mit Abb. 5. 10. 286 Zu den Klauerschen Wiederholungen s. Raeder 2014, 39 f. mit Anm. 3 Abb. 1. 2. 287 Raeder 2014, 42; vgl. Raeder 2014, 44–46 (im Zusammenhang mit der sog. Gruppe Emkendorf). Die Unterschiede betreffen vor allem den Kopf des Kaunos und die abwehrende Hand mit gespreizten Fingern, aber auch Details in der Wiedergabe des Mantels der Byblis. 288 Zur Qualität der durchaus kostspieligen Zeichnungen professioneller Kopisten des 18. Jhs., die Antikendarstellungen für Antiquare und Händler und als Andenken für Grand Tour-Reisende anfertigten, und die nicht zu verwechseln sind mit den Antikenzeichnungen, die Bildhauer in ihren Skizzen- und Musterbüchern zu Papier brachten, vgl. Macandrew 1978, 131–133. Die erlesenste Sammlung solcher Kopien nach antiken Bildwerken, hunderte von Zeichnungen umfassend, bildet die sog. Topham Collection, Library of Eton College, in der sich auch fünfunddreißig Werke Batonis, neun davon signiert, befinden, s. Macandrew 1978, 133 f.; Bowron – Kerber 2007, 145. Interessant ist in diesem Zusammenhang das von Batoni nach antiker Vorlage gezeichnete Endymion-Relief, das einerseits die exakte Wiedergabe der Vorlage erkennen lässt, andererseits in der Faltenanlage des Mantels durchaus von einem eigenen Gestaltungswillen Batonis zeugt, vgl. Bowron – Kerber 2007, 146 Abb. 124; Macandrew 1978, 147 Nr. 20 mit Taf. 11.

3.7 Kaunos und Byblis

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mit der antiken Vorlage, die möglicherweise auch schon LeGros bei Ergänzung der antiken Gruppe an den Tag gelegt hat.289 Selbst beim Vergleich der verschiedenen Wiederholungen innerhalb des Œuvres der einzelnen Meister, also neben den von Delvaux geschaffenen Werken etwa auch der Nachbildungen, die Klauer in verschiedenen Materialien von der Fede-Gruppe angefertigt hat, stellt man zwischen diesen teils geringere, teils nicht unerhebliche Unterschiede und Varianten fest.290 Der Bildhauer des 18. Jhs. war also ganz offensichtlich selbstbewusst genug, sich nicht als bloßer Kopist zu verstehen und bei Nachbildung eines antiken Werkes nicht nur seine eigene Handschrift anzubringen, sondern dieses auch noch in mehreren verschiedenen Versionen abzubilden. Nicht unerwähnt bleiben soll noch, dass für die Fede-Gruppe und ihre Wiederholungen das gesamte 18. Jahrhundert hindurch neben der Bezeichnung, und damit Deutung, als „Kaunos und Byblis“ auch die Benennung als „Salmacis und Hermaphroditus“ gebräuchlich ist.291 So gibt der englische Reisende John Northall in seinem Reisebericht für das Jahr 1752 an, in der Sammlung des jüngeren Conte Fede befänden sich „two exceedingly fine figures, supposed to be Salmacis and Hermaphroditus (…) found in the Villa Hadriana, in the way to Tivoli“.292 Auch die in der Berliner Skulpturensammlung befindliche Gruppe von Delvaux soll „Salmacis und Hermaphrodit“ darstellen, und zur Wiederholung in Woburn Abbey findet sich die Notiz von Delvaux selbst: „Byblis & Caunus ou Salmacis & Hermaphroditus“.293 Allerdings herrschte im 18. Jh. die Benennung als „Kaunos und Byblis“ vor, welche mit Beginn des 19. Jhs. dann von der als „Amor und Psyche“ abgelöst wur-

289 Vgl. Bissell 2003, 76 f. 290 Als Beispiele seien hier außer der von Delvaux nach dem Vorbild der Fede-Gruppe geschaffenen Marmorwiederholung in Woburn Abbey noch die zweite Fassung der Gruppe in der Berliner Skulpturensammlung sowie eine Terrakotta-Verkleinerung genannt. Eine Abbildung dieser verkleinerten Terrakottakopie von ca. einem halben Meter Größe auch bei Schiering 1994, 49 Abb. 5; Jacobs 1999, 253–255 (S 43). Alle drei Wiederholungen sind signiert. Allerdings könnte die Gruppe in Berlin aufgrund von Abweichungen in der Signatur unter Umständen auch nur „nach Delvaux“ angefertigt sein, s. Avery 1983, 321 Anm. 18; 315 Abb. 10. Sie befand sich bis 1989 in Privatbesitz und gelangte dann in die Berliner Skulpturengalerie, s. Theuerkauff 1989, 247; Avery 1983, 315 Abb. 10. Sie unterscheidet sich jedoch nicht, wie Raeder 2014, 42 feststellt, lediglich „durch einen Gewandzipfel und die Basis“ von der Gruppe in Woburn Abbey, sondern auch im Hinblick auf Stil und gesteigerte Expressivität, vgl. Avery 1983, 319. 291 Walter 1995, 241 mit Anm. 15. Vgl. Ov. met. 4,285–388. – Zu einer etwaigen motivischen Abhängigkeit des von Francesco Albani (1578–1660) um 1633 geschaffenen Ölgemäldes Salmacis und Hermaphroditus (Turin, Pinakothek) von der (späteren) Fede-Gruppe s. Walter 1995, 245–47 mit Taf. 56a. Diese hätte allerdings nicht unerhebliche Auswirkungen auf das zugrundezulegende Fund- bzw. Ergänzungsdatum der Gruppe und würde sie wohl außerdem als Fund auf dem Gebiet der Villa Hadriana ausschließen. 292 J. Northall, Travels through Italy (London 1766) = Northall 1766, 342; Raeder 2014, 43; hier zitiert nach Tipton 2006, 174 Anm. 220. 293 Raeder 2014, 42 mit Anm. 15; Avery 1983, 315 Abb. 9; 318 f.

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3 Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm

de.294 Möglicherweise steht dies in Zusammenhang mit der späteren Abnahme der restaurierten Partien und Neuergänzung der Gruppe mit einander zugewandten Köpfen, auf die im weiteren Verlauf noch zu sprechen zu kommen sein wird. Eine aufschlussreiche Quelle bilden noch einige Briefe Thomas Jenkins’, die dieser in den Jahren 1776–1778 und dann wieder 1794 aus Rom bzw. Castel Gandolfo an Charles Townley schrieb und in denen er auch von der sog. Fede-Gruppe berichtet.295 In einem Schreiben vom 4. September 1776 teilt er Townley mit, der Conte Fede sei gestorben, und obwohl er seine Marmorwerke als Erblehn vererbt habe, gehe er davon aus, dass alles verkauft werde.296 Man habe ihm jedoch das Vorkaufsrecht nach Seiner Heiligkeit 297 zugesagt, der davon auswähle, was ihm gefalle. Die besten Stücke seien zwei schöne Köpfe, die Gruppe von „Caunus & Biblis“ und die Statue eines Fauns in rotem Marmor. Am 30. September 1777 berichtet er dann, die beiden schönen Köpfe in Form von Hermen, der Faun in Marmo Rosso und drei weitere Köpfe, ehemals im Besitz des Conte Fede, seien an das „Museum“ gegangen.298 Er habe ein Angebot vorgelegt für die Gruppe von „Cupid & Psiche“, wisse aber nicht, ob diese ihm zufallen werde. Erst mehr als ein Jahr später teilt er mit, er habe gerade die Gruppe von „Caunus & Biblis“ des verstorbenen Conte Fede gekauft.299 Danach vergehen einige Jahre, bis Jenkins die Fede-Gruppe noch einmal in einem Brief an Townley erwähnt. Am 3. Juli 1794300 schreibt er, nun, mit dem

294 Walter 1995, 241. 295 Ein weiteres Schreiben Gavin Hamiltons (1723–1798) an Townley vom 29. August 1776 berichtet ebenfalls vom Tode des Conte Fede ein paar Tage zuvor. Dieser habe alles seinem Neffen und Erben in Ascoli hinterlassen, der Kardinal Marefoschi General-Vollmacht erteilt habe. Der beste Teil seiner „antiquities“ werde an das Museum des Papstes verkauft werden, s. Bignamini – Hornsby 2010, II, 92 Nr. 168; TY 7/615 (= Townley Archive, London, British Mus.). Jedoch ist, anders als von Raeder 2014, 43 mit Anm. 21 angegeben, die Statuengruppe des Conte Fede in diesem Brief nicht eigens erwähnt. 296 Bignamini – Hornsby 2010, II, 94 Nr. 170; TY 7/360. 297 Zu der Zeit Papst Pius VI. (1717–1799). 298 Bignamini – Hornsby 2010, II, 104 Nr. 192; TY 7/375. Mit dem „Museum“ ist das 1771 durch Papst Clemens XIV. (1705–1774) neu eingerichtete Museo Pio Clementino gemeint. Den Faun nennt auch das im Jahr 1774 verfasste Testament des jüngeren Fede als in dessen Besitz befindlich, s. Giubilei 1995, 136. Dieser sei in den an ein Nymphäum angrenzenden Ruinen in „detta mia villa Adriana“ gefunden und von „insigni professori“ restauriert worden. Dabei handelt es sich um die Statue eines Satyrn in „Rosso antico“ im Vatikan, Mus. Pio Clementino, Inv.-Nr. 801. Der sog. Fauno Rosso in den Musei Capitolini, Inv.-Nr. 657, befand sich dagegen bereits seit 1746 ebendort, soll aber ebenfalls der Villa Hadriana entstammen und im Jahr 1736 gefunden worden sein, allerdings nicht auf der Fede’schen Gemarkung, s. Raeder 1983, 65 Nr. I 48. Da es sich bei dem Testament Fedes um eine verlässliche Quelle, weil Informationen aus erster Hand handelt, ist damit auch die bislang strittige Frage nach dem Fundort des Satyrn im Museo Pio Clementino zu beantworten: Entgegen anderslautenden Vermutungen wurde er auf dem Gebiet der Villa Hadriana entdeckt. Zur bisherigen Fundortdiskussion s. Raeder 1983, 106 f. Nr. I 125. 299 Bignamini – Hornsby 2010, II, 110 Nr. 204; TY 7/383 (22. November 1778). 300 Bignamini – Hornsby 2010, II, 207 Nr. 408; TY 7/534.

3.7 Kaunos und Byblis

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Tode Mr. Brands, sei es an ihm, einen ungewöhnlich schönen weiblichen Kopf in vollkommenstem Erhaltungszustand zu veräußern, ebenso wie eine sehr elegante Gruppe von „Cupid & Psiche“, die sich früher im Besitz des Conte Fede befunden habe, wo sie irrtümlicherweise „Cadmus [sic] & Biblis“ genannt worden sei. Sie sei vom Conte in seiner Villa bei Tivoli, die Teil der Hadriansvilla sei, gefunden worden. Nach dem Tode des Conte habe er sie erworben und an Mr. Brand verkauft. Die Gruppe und den Kopf habe er nun im Auftrag von dessen Erben zu veräußern, und er fühle sich verpflichtet, ihm, Townley, das Vorkaufsrecht für den Kopf anzubieten. Den Briefen Jenkins’ ist also einiges über die weitere Geschichte der Fede-Gruppe nach dem Ableben des Conte Fede im Jahre 1776 zu entnehmen. Danach hatte Jenkins die Gruppe schließlich 1778 erworben, nachdem der Papst offenbar kein Interesse daran hatte, und an Thomas Brand weiterverkauft. Mit dem Tode Brands 1794 hatte er nun von dessen Erben den Auftrag, die Gruppe wieder zu veräußern. Nachdem die Gruppe auch in seinen Schreiben mal unter „Cupid & Psiche“, mal unter „Caunus & Biblis“ firmiert, klärt er in seinem letzten Brief schließlich darüber auf, Letzteres sei die irrtümliche Bezeichnung der Gruppe in der Sammlung des Conte Fede gewesen, und legt sich nun selbst auf „Cupid & Psiche“ fest. Den Fundort der Fede-Gruppe bestätigt er als „in His Villa at Tivoli, being Part of Adrian’s Villa“, der Finder sei der Conte selbst gewesen. Dafür käme jedoch, wie oben bereits ausgeführt, aufgrund der Tatsache des frühen Vorhandenseins eines Abgusses der Gruppe in Düsseldorf (vor 1716), nur der Vater des 1776 verstorbenen Conte Fede in Frage. Das Testament des jüngeren Fede nennt außerdem den Bildhauer LeGros als Urheber der Ergänzungen. Da dieser bereits 1719 starb, käme auch von daher nur der ältere Conte Fede als Finder in Betracht.301 Im Testament des jüngeren Fede ist der Fundort der Gruppe nicht genannt, und man kann wohl davon ausgehen, dass er dies auch bei der Kaunos und Byblis-Gruppe mit angegeben hätte, wäre ihm ihre Entdeckung auf dem Gebiet der Villa Hadriana bekannt gewesen, zumal der Fundort „Villa Hadriana“ bei anderen dort gefundenen Stücken, die das Testament erwähnt, genannt ist.302 Gleichwohl könnte sie sich unter der Vielzahl der Stücke befunden haben, die sein Vater dort entdeckt hat, ohne dass sein Sohn noch Kenntnis davon hatte. Allerdings überraschte dies ein wenig vor dem Hintergrund, dass dieser ansonsten durchaus über genaue Informationen zu der Statuengruppe wie Details und Urheberschaft der Ergänzungen verfügte. Jedenfalls waren die Verbindung der Familie Fede zu dem Gebiet der Villa Hadriana und die dort stattgefundene Ausgrabungstätigkeit bekannt und könnten gemeinhin zu der Annahme geführt haben, auch die Fede-Gruppe sei dort aus der Erde gekommen, was in der Tat möglich wäre. Man könnte die Villa Hadriana also auch als den „überlieferten Fundort“ bezeichnen, dem dann auch Jenkins folgt.

301 Ausgrabungen durch den jüngeren Conte Fede auf dem Gebiet der Villa Hadriana sind erst zwischen 1724 und 1742 belegt, s. Raeder 2014, 43. 302 Vgl. Giubilei 1995, 135 f.

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3 Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm

Jedoch ist davon auszugehen, dass sich in der Sammlung der Conti Fede nicht nur eigene Fundstücke befunden haben dürften, sondern sicher auch zugekauft wurde, und andererseits auch nicht alles behalten wurde, was auf dem Gebiet der Villa Hadriana zutage kam.303 Den Fundort „Villa Adriana“ nennt zuerst Francesco Ficoroni (1741), der jedoch angibt, der Conte Fede habe dort 1735 „un gruppo d’Amore, e Psiche“ gefunden.304 Aber weder die Bezeichnung der Gruppe als „Amor und Psyche“ – die Gruppe in der Sammlung Fedes lief unter der Bezeichnung „Kaunos und Byblis“ – noch das späte Funddatum, will man es denn für bare Münze nehmen, lassen sich mit der Fede-Gruppe in Verbindung bringen, denn es befand sich nun bereits vor 1716 ein Abguss davon in der Düsseldorfer Sammlung. Später ist es dann der englische Reisende Northall, der die Gruppe offenbar 1752 in der Sammlung des jüngeren Fede gesehen hat und die Villa Hadriani als deren Fundort angibt.305 Auch seine Bezeichnung der Gruppe als „Salmacis und Hermaphroditus“ deckt sich nicht mit dem Rufnamen der Gruppe in der Fede’schen Sammlung. Ein Funddatum nennt er nicht. Er gibt zudem den Fundort der von ihm genannten Stücke der Sammlung Fede summarisch mit „all these were found in the Villa Hadriana, in the way to Tivoli“ an, obgleich sich diese Angabe nur in einem Fall (der Herme des Hercules) mit der Fundangabe im Testament des jüngeren Fede („trovato nella Villa Adriana“) deckt. Insofern sind die Äußerungen Northalls eher mit Vorsicht zu genießen, zumal er auch den gesamten Palazzo Fiorenze Fedes mitsamt den darin beheimateten Sammlungen in seinem Reisebericht nur sehr oberflächlich streift und in einem Abschnitt von lediglich wenigen Zeilen abhandelt. Weitere noch als zeitgenössisch zu bezeichnende Quellen, die sich zum Fundort der Fede-Gruppe äußern, gibt es augenscheinlich nicht. Spätere Autoren scheinen lediglich immer wieder die Informationen der beiden hier genannten Passagen aufzugreifen. Dabei ist festzuhalten, dass Ficoroni eigentlich gar nicht behauptet, die Fede-Gruppe sei in der Villa Hadriana gefunden worden, auch keine „Kanuos und Byblis“-Gruppe oder „Salmacis und Hermaphroditus“, sondern eine „Amor und Psyche“-Gruppe. Man darf vielleicht davon ausgehen, dass Ficoroni als einem der Ausgräber der Villa Hadriana, und auch aufgrund der zeitlichen Nähe, die wesentlichsten bisher dort gemachten Funde bekannt gewesen sein dürften.306 Die Verbindung der eigentlichen Fede-Gruppe mit der Villa Hadriana stellt dann genau genommen erst Northall in dem kurzen Abschnitt seines Reiseberichtes her. Gleich-

303 So sind die auf dem Gebiet der Villa Hadriana gemachten Funde ohnehin deutlich umfangreicher als beispielsweise die im Testament des jüngeren Fede (gest. 1776) als noch in dessen Besitz bezeichneten Stücke, vgl. Giubilei 1995, 135–137. 304 Ficoroni 1741, 270. 305 Northall 1766, 342; Raeder 2014, 43. 306 Francesco Ficoroni (1664–1747) soll dort zwischen 1735 und 1744 Ausgrabungen unternommen haben, s. Bignamini – Hornsby 2010, 156; Paribeni 1994, 29 f.

3.7 Kaunos und Byblis

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wohl muss man zugeben, dass auch kein alternativer Fundort überliefert ist. Die Villa Hadriana als Fundort der Fede-Gruppe nennt dann erst wieder Thomas Jenkins in einem Schreiben an Townley vom 3. Juli 1794,307 während er in den Briefen, die er zwischen 1776 und 1778 an Townley geschrieben hat und in denen er die Gruppe erwähnt, zu den Fundumständen keinerlei Angaben macht. Er macht keinen Hehl daraus, dass er nun, nach dem Tode Thomas Brands, dem er die Gruppe dereinst (nach 1778) nach dem Ableben des jüngeren Conte Fede verkauft hatte,308 erneut einen Käufer für die beiden Statuen sucht, und versucht ihm diese „sehr elegante Gruppe von ‚Cupid & Psiche‘“, die sich früher im Besitz des Conte Fede befunden habe, wo sie irrtümlicherweise „Cadmus [sic] & Biblis“ genannt worden sei, auch durch die Information schmackhaft zu machen, sie sei vom Conte Fede selbst in seiner Villa bei Tivoli, die Teil der Hadriansvilla sei, gefunden worden – nachdem Townley damals, trotz mehrfacher werbender Hinweise Jenkins’, nicht so recht angebissen und auf den Kauf verzichtet hatte.309 Nach dem Tode des jüngeren Fede hatte der Verwalter des Erbes, Conte Giobatta Centini, die ganze Sammlung verkauft (das meiste davon gelangte ins Museo Pio Clementino).310 Dies hielt ihn bzw. den von ihm bevollmächtigten Monsignore Marefoschi freilich nicht davon ab, auf dem Gebiet der Villa Hadriana weitere Ausgrabungen durchführen zu lassen.311 In den Jahren zwischen 1777 und 1791 sollten dort

307 Bignamini – Hornsby 2010, II, 207 Nr. 408; TY 7/534. 308 Mit Schreiben vom 22. November 1778 hatte Jenkins Townley berichtet, er habe gerade die Gruppe von „Caunus & Biblis“ des verstorbenen Conte Fede gekauft, s. Bignamini – Hornsby 2010, II, 110 Nr. 204; TY 7/383. Thomas Brand war nur zweimal in Rom. Die Gruppe kann er nur während seines zweiten Aufenthaltes in Rom ab dem Jahr 1779 erworben haben, vgl. Bignamini – Hornsby 2010, I, 241 f. Der erste Aufenthalt war während seiner Grand Tour 1769. Allerdings ist die FedeGruppe in der ihm erteilten Export-Lizenz vom April 1780 nicht genannt (jedenfalls soweit bei Bignamini – Hornsby 2010, I, 242 zitiert). 309 Auch er greift offensichtlich auf die zuerst von Ficoroni gegebenen Informationen zurück, die sich inzwischen wohl schon als Allgemeingut etabliert hatten – sich aber ebenso sicher nicht mit der Fede-Gruppe verbinden lassen. Den Fedes galt die Gruppe bekanntlich als „Kaunos und Byblis“, während Ficoroni vom Fund einer „Amor und Psyche“-Gruppe berichtet, dies zudem im Jahr 1735, was mit dem Düsseldorfer Abguss der Gruppe, der dort spätestens 1716 vorhanden war, nicht zusammenpasst. 310 Bignamini – Hornsby 2010, I, 157 mit Anm. 28. Dort ist, nicht ganz zutreffend, von Conte Giobatta Centini als dem Erben Fedes die Rede. 311 Vgl. dazu auch das Schreiben Hamiltons an Townley vom 29. August 1776: „(…) Conte Fede died a few days ago, he has left every thing entailed to his nephew and heir at Ascoli, who has given a letter of attorney to the Cardinal Marefoschi with full powers etc. (…).“ (Bignamini – Hornsby 2010, II, 92 Nr. 168; TY 7/615). Demnach handelte es sich bei dem Erben Fedes um dessen Neffen. Dagegen nennt das Testament Giuseppe Fedes einen Felice Centini aus Ascoli als Alleinerben, s. Giubilei 1995, 122. Nach dem genealogischen Schema der Familie Fede-Centini, s. Giubilei 1995, 137, offenbar der Ur-Enkel der Schwester Giuseppe Fedes und Sohn G. B. Centinis, der die Sammlung verkauft und weitere Grabungen hat durchführen lassen (G. B. = Giovanni Battista, Kurzform: Giobatta bzw. Giambattista). Felice Centini, der eigentliche Erbe und Urgroßneffe Fedes, dürfte zu der Zeit noch ein Kind gewesen sein und sein Vater sein Erbe verwaltet haben. Diesen Zusammenhang

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3 Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm

noch einige bedeutende Funde zutage treten wie der Herakles Lansdowne (Getty Museum, Malibu) oder auch zwei Diskobole, einer davon im Museo Pio Clementino (Inv.-Nr. 2346), der andere im British Museum (Smith Kat.-Nr. 250).312 Lange Zeit galt die Gruppe nach Auflösung und Verkauf der Fede-Sammlung nach dem Tod des jüngeren Conte Fede als verschollen.313 Mithilfe der hier zitierten Briefe Jenkins’ lässt sich nun aber der Weg der Fede-Gruppe weiter verfolgen. Danach hat dieser die Gruppe wie gesagt 1778 erworben und 1779 an Thomas Brand verkauft. Nach dessen Tode bot er sie 1794 erneut auf dem Kunstmarkt an.314 Möglicherweise kam es in diesem Zusammenhang zur Abnahme der „abwehrenden“ Ergänzungen in der Werkstatt Jenkins’, um die Verkaufschancen zu erhöhen, schließlich war das Motiv der einander zugewandten kapitolinischen Amor und Psyche-Gruppe deutlich beliebter.315 Jedenfalls führt die Spur der Fede-Gruppe im Anschluss offenbar nach Schloss Emkendorf in Schleswig-Holstein, für das Friedrich Karl Graf von Reventlow (1755–1828) die Gruppe 1796 gekauft haben soll.316 Ein Foto im DAI Rom, das spätestens 1930/31 aufgenommen worden sein muss, zeigt zwar eine traditionelle Umarmungsgruppe von Amor und Psyche, aber auch das Motiv des hochgezogenen Gewandes, das die Füße des Mädchens bis über die Knöchel hinauf entblößt (Abb. 14).317 Dieses Motiv kennen wir nur von der Fede-Gruppe.318 Hinzu kommt noch die quadratische Plinthe, die die Zeichnung Batonis und später auch der Stich Magnans ebenfalls für die Fede-Gruppe belegen.319 Das DAI-Foto ist

bestätigt auch ein Rechnungsbeleg über Ankäufe aus dem Hause Fede für das Museo Pio Clementino aus dem Jahre 1777. Darin heißt es, der Betrag von dreitausend Scudi sei an den Conte Giambattista Centini, „padre e amministratore del Sig. Conte Felice erede scritto del fu Conte Giuseppe Fede“, zu zahlen, s. Roani Villani – Capecchi 1990, 165 Anm. 48. 312 Bignamini – Hornsby 2010, I, 157 mit Anm. 28. – Zu Ausgrabungen der Familie Fede auf dem Gebiet der Villa Hadriana s. a. Paribeni 1994, 28 f. 313 Walter 1995, 239 f. 314 Roani Villani – Capecchi 1990, 157; Walter 1995, 251. 315 Vgl. Bissell 2003, 73 mit Anm. 7; Walter 1995, 251; Roani Villani – Capecchi 1990, 157. 316 Roani Villani – Capecchi 1990, 157; Walter 1995, 251; vgl. Raeder 2014, 43: „1795“. Zum Erwerb der Gruppe durch Graf Reventlow und deren Aufstellung in der Vorhalle von Schloss Emkendorf s. Schiering 1994, 50. – Das Gut Emkendorf in Schleswig-Holstein ist im Übrigen nicht irgendein bescheidener Landsitz: Der Schwiegervater Reventlows hatte durch Zuckerplantagen in der Karibik ein beträchtliches Vermögen angehäuft, und dieses Geld ermöglichte der Familie die aufwendige klassizistische Ausgestaltung des Hauses, auch mit antiker Skulptur. 317 DAI Rom, Inv.-Nr. 65.1091; Roani Villani – Capecchi 1990, 157; Raeder 2014, 44 Abb. 3 („aus: Bildarchiv Kunsthalle Kiel“). Walter 1995, 250 Anm. 53 zufolge besitzt bzw. besaß auch das Archäologische Seminar der Universität Mannheim eine Kopie dieser Aufnahme. Zu weiteren fotografischen Aufnahmen der Gruppe Emkendorf s. Schiering 1994, 51 f. Abb. 7–9; 53 Anm. 22 und 29. 318 Zudem zeigt laut Walter 1995, 250 das Gewand der Byblis das gleiche Faltensystem wie bei der Fede-Gruppe. Unklar ist allerdings, welche Zeichnung oder Wiederholung er für diesen Vergleich heranzieht, da die Fede-Gruppe selbst dafür bekanntlich nicht mehr zur Verfügung steht. 319 Magnan 1776, S. XII („Caunus & Byblis“) Taf. 27 („Cauni et Byblidis stat. vet. marm.“).

3.7 Kaunos und Byblis

Abb. 14: Amor und Psyche-Gruppe, ehem. Herrenhaus Emkendorf bei Kiel.

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mit folgendem Kommentar versehen: „Ehemals Schloß Emkendorf. Im Jahre 1931320 in Rendsburg durch Feuer schwer beschädigt. Größe gleich der Gruppe im Museo Capitolino, Rom“. Spätestens 1929 mit Verkauf des Anwesens musste die Gruppe Emkendorf verlassen.321 Nach dem Museumsbrand von Rendsburg im Jahr 1930 bzw. 1931 wurde noch ein Foto der stark beschädigten, in mehrere Teile zerbrochenen Gruppe aufgenommen.322 Seither ist sie verloren. So stellt sich die Frage: Ist die auf dem DAI-Foto gezeigte Gruppe Emkendorf/Rendsburg identisch mit der verschollenen Fede-Gruppe? Der Weg der Fede-Gruppe von Rom nach Emkendorf ist bisher wie folgt skizziert worden: Nach dem Tod des jüngeren Fede wurde die Gruppe von dem Bildhauer Thomas Jenkins erworben, der sie an einen Freund (Thomas Brand, 1749–1794) verkaufte.323 Dies ist oben genannten Briefen von Jenkins an Townley zu entnehmen. Gleichwohl ist die Gruppe anschließend – entgegen der Vermutung von Roani Villani/Capecchi – mit ziemlicher Sicherheit als Brands Besitz in Italien geblieben und nicht zwischenzeitlich für mehrere Jahre nach England gelangt.324 Denn nachdem Brand gestorben war, ging sie an Jenkins zum Verkauf zurück (1794) und befand sich nachweislich auch 1796 in Rom (s. u.).325 Ein Hin- und Hertransport erscheint unwahrscheinlich, schon weil sich der beste Kundenkreis damals in England befand. Möglicherweise war der Hintergrund für das Verbleiben der Fede-Gruppe in Rom eine nicht erteilte Ausfuhrgenehmigung – in der Thomas Brand erteilten ExportLizenz vom April 1780 ist sie jedenfalls nicht genannt.326 Jenkins entfernte die Ergänzungen von LeGros und machte wieder eine (konventionelle)327 Amor und Psyche-Gruppe daraus,328 unter dem Eindruck der 1749 gefundenen kapitolinischen Amor und Psyche-Gruppe, wobei die Fußpartie mit

320 Raeder 2014, 43: „Dez. 1930“. Die Angabe Walters, es handele sich um ein Foto „aus dem Jahre 1932“ (Walter 1995, 250 mit Verweis auf Roani Villani – Capecchi 1990, 157) ist insoweit irreführend, als die Gruppe zu diesem Zeitpunkt offenbar bereits zerstört war. Roani Villani – Capecchi 1990, 157 mit Anm. 58 geben vielmehr an, das DAI-Foto stamme von einem früheren Foto, das 1932 inventarisiert worden sei. Dabei nennt Walter selbst als Zeitpunkt des Museumsbrandes von Rendsburg das Jahr 1931, s. Walter 1995, 251 bzw. davor ebenso schon Roani Villani – Capecchi 1990, 157 mit Anm. 58. 321 Schiering 1994, 50. 322 Schiering 1994, 52 Abb. 11. 323 Walter 1995, 251 mit Anm. 56; Haskell – Penny 1984, 175 mit Anm. 44 (Verweis auf Brief Jenkins’ vom 3. Juli 1794). 324 Vgl. Roani Villani – Capecchi 1990, 155. 325 Auch G. Bissell geht davon aus, dass Jenkins die Gruppe zwar an seinen Landsmann Brand veräußert habe, „aber vermutlich nie nach England schickte“, zumal die Erben Brands ihn 1794 baten, das Werk erneut auf dem Kunstmarkt anzubieten, s. Bissell 2003, 73. 326 Jedenfalls soweit bei Bignamini – Hornsby 2010, I, 242 zitiert. 327 Damit ist hier und im Folgenden gemeint: mit einander zugewandten Köpfen und Umarmungsgestus. 328 Walter 1995, 251 mit Anm. 56; Bissell 2003, 73 mit Anm. 7.

3.7 Kaunos und Byblis

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dem hochgezogenen Gewand bestehen blieb.329 Auf alten Fotos der Gruppe Emkendorf sollen auf der Rückseite auch noch „die Spuren der Caunus-Byblis-Ergänzungen zu erkennen“ sein.330 Interessanterweise nahm man keinen Anstoß daran, dass die hochgezogene Gewandpartie nicht der berühmten kapitolinischen Gruppe entsprach, ebenso wenig bemühte man sich um eine exakte Angleichung des rechten Armes der männlichen Figur an das Vorbild, bei dem der Arm stärker angewinkelt ist, und begnügte sich damit, die abwehrende in eine zärtliche Geste zu verwandeln. Gleichwohl lassen aber der Kopf und das Haar Amors deutlich erkennen, dass die kapitolinische Gruppe gemeint war. Offensichtlich ging es vor allem um Wiedererkennbarkeit und das gelehrte Zitat. Kurz darauf (1796) wurde die Gruppe dann von Graf Reventlow für sein Schloss in Emkendorf erworben.331 So berichtet Friederike Brun in ihrem Tagebuch über Rom (1800) unter dem 23. Januar 1796 von einem Besuch bei Thomas Jenkins, in dessen „Sammlung alter und antiker Statuen und Büsten (…), die Herr Jenkins aus Gefälligkeit Fremden überläßt“, sich auch eine „Gruppe des Amors und der Psyche, nach der Capitolinischen“ befunden habe.332 Demnach war die Gruppe zu diesem Zeitpunkt bereits „rückverwandelt“ worden. Mit zugegen war bei dieser Besichtigung der „Geist- und Kenntnisvolle Graf von R****l**u“,333 wie Schiering richtig bemerkt „zweifellos der Graf Fritz Reventlow“, der offenbar auch noch weitere Stücke bei Jenkins erworben hat.334 Kurz darauf berichtet Julia Reventlow in einem Brief an Luise Stolberg, geb. Reventlow (1746–1824) über die wichtigsten Erwerbungen, die Graf Reventlow bis dahin in Rom getätigt hatte, darunter „eine Gruppe von Psichä und Amor [Nr. 113] welche alle Kenner mit der Capitolinischen vergleichen“.335 In einem Brief aus Rom schrieb Reventlow an seinen Bruder: „Die Gruppe von Psyche und Amor kommt im Cabinett [Raum 5] auf einen eigens dazu zu bestellenden, unglasierten Fayence Ofen der das Postament dazu ausmacht, zu stehen.“ 336 An diesem ursprünglich gedachten Standort hielt man dann aber nicht fest, sondern platzierte die Gruppe in der Eingangshalle, gegenüber einer Statue des Apoll vom Belvedere.337 Einige Jahre später berichten auch Besucher von Schloss Emkendorf 329 Raeder 2014, 43 f.; vgl. Bissell 2003, 73 mit Anm. 7. 330 Raeder 2014, 44. 331 Roani Villani – Capecchi 1990, 157 mit Anm. 59; Schiering 1994, 50; Walter 1995, 251. Raeder 2014, 43 mit Anm. 19: „1795“, ohne nähere Begründung. 332 Brun 1800, 227 f. 333 Brun 1800, 227. 334 Schiering 1994, 50 mit Anm. 22 und 23 (mit Verweis auf Lohmeier – Müller 1980, 420 Nr. 113 bzw. 112). Bekannt sind zwei Aufenthalte des Grafen Fritz Reventlow und seiner Frau Julia in Italien (1783/84 und Dezember 1795 bis Mai 1797), s. Lohmeier – Müller 1980, 386 f. 335 Brief Julia Reventlows an Luise Stolberg (Rom, 18. März 1796, Altenhof Pk. 30 = Reichsarchiv Kopenhagen, Privatarkiv 6198: Reventlowsche Archive von Altenhof ), hier zitiert nach Lohmeier – Müller 1980, 388; vgl. Lohmeier – Müller 1980, 420 Nr. 113 („Amor und Psyche“). 336 Mißfeld 1954, 21, hier zitiert nach Lohmeier – Müller 1980, 420 Nr. 113. 337 Lohmeier – Müller 1980, 419 Nr. 103d. So berichtet der Hamburger Domherr Meyer: „Schon auf der Dielenflur trat, in göttlicher Hoheit und siegendem Stolz, Apollo von Belvedere, in einem

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von der dort in der atriumartigen Vorhalle aufgestellten Amor und Psyche-Gruppe.338 Erst nach Ende des zweiten Romaufenthaltes der Reventlows hatten die zahlreichen dort erworbenen Kunstgegenstände, auf dem Seeweg über Hamburg, im November 1797 Emkendorf erreicht, wie deren Pflegetochter Ina Holck in einem Brief an Luise Stolberg berichtet: „Jede Stunde kömmt ein neues Küchlein aus dem Ey heraus, welches uns alle an Rom erinnert. Die Gruppe [von Amor und Psyche, Anm. E. S.], die Vasen, die Büsten sind nun da.“ 339 Es scheint – jedenfalls für den Moment – nichts dagegen zu sprechen, dass es so gewesen ist, und die Fede-Gruppe sich also letztlich in Emkendorf befunden hat, mit „geradegerückten“ Köpfen, zumal das spurlose Verschwinden einer so bekannten und so oft wiederholten Gruppe auch eher unwahrscheinlich anmutet. Raeder allerdings will die Gruppe Emkendorf zwar mit der verschollenen Gruppe aus dem Besitz des Conte Fede, die über Jenkins und Brand und wieder Jenkins nach Emkendorf gelangte, nicht aber mit der von LeGros ergänzten Gruppe, identifizieren.340 Er geht vielmehr von zwei verschiedenen antiken Gruppen aus, die beide, fragmentiert aufgefunden, in Abhängigkeit voneinander zu Kaunos und ByblisGruppen ergänzt worden seien.341 So soll die von LeGros ergänzte Gruppe sich im Besitz des portugiesischen Gesandten in Rom befunden haben, von der dann auch der Düsseldorfer Abguss stamme,342 während sich im Besitz Fedes eine zweite, erst

vortrefflichen, von Canova besorgten Abguß von polirtem Gipsmarmor, hinter einer zierlichen Balustrade hervor. Ihm gegenüber die schöne Gruppe, Amor und Psyche, antik von Marmor, an den Armen und Beinen gut restaurirt; besonders der Kopf und alle Formen der Psyche schön.“, s. F. J. L. Meyer, Darstellungen aus Nord-Deutschland (Hamburg 1816) = Meyer 1816, 273. – Ob es sich bei dem bei Schiering 1994, 52 Abb. 9 abgebildeten Postament der Amor und Psyche-Gruppe um einen Ofen handelt, ist aufgrund der dunklen Abbildung schwer zu entscheiden. Diese und andere Statuengruppen als Ofenaufsatz zu verwenden war aber jedenfalls keine ungewöhnliche Idee, vgl. dazu beispielsweise die von Klauer geschaffene Abformung der Gruppe in Schloss Tiefurt bei Weimar (hier allerdings als „Kaunos und Byblis“), s. Haak-Macht 2008, Abb. 5. 338 Vgl. dazu den hier oben zitierten Bericht Meyers, s. Meyer 1816, 273, oder auch die entsprechende Passage aus den Lebenserinnerungen des Mediziners Christoph Heinrich Pfaff, der die Reventlows auf ihrer zweiten Italienreise begleitet hatte: „Einen nicht geringen Schmuck gewährte auch eine antike Gruppe in Marmor, Amor und Psyche darstellend.“, s. Chr. H. Pfaff, Lebenserinnerungen (Kiel 1854) = Pfaff 1854, 118 f.; Lohmeier – Müller 1980, 387. 339 Brief Ina Holcks an Luise Stolberg (Emkendorf, 1. November 1797, Altenhof Pk. 30), hier zitiert nach Lohmeier – Müller 1980, 389. 340 Raeder 2014, 44–46. 341 Dabei sei die Gruppe Fedes aus der Villa Hadriana nach dem Vorbild der von LeGros ergänzten Gruppe vervollständigt worden. Allerdings unterscheiden sich auch diese – überliefert in einem Abguss im Palazzo Antinori di Brindisi, Florenz und, so Raeder, der Toreutica-Abformung von Klauer in Schloss Tiefurt – im Hinblick auf den Kopf des Kaunos und dessen abwehrende Hand, s. Raeder 2014, 44 f. Die Ergänzung dieser zweiten Antike „nach dem Vorbild der damals schon berühmten LeGros-Gruppe“ (Raeder 2014, 46) würde sich damit lediglich auf die Übernahme des abwehrenden Motivs und des verkürzten Gewandes der Byblis beschränken. 342 Raeder 2014, 46.

3.7 Kaunos und Byblis

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später (1735) von ihm auf dem Gebiet der Villa Hadriana gefundene Gruppe befunden haben soll.343 Naturgemäß kann der Düsseldorfer Abguss im Besitze Johann Wilhelms aufgrund des späten Funddatums dieser Gruppe nicht von dieser abgenommen sein. So geht auch Raeder davon aus, dass der Abguss von der anderen, der von LeGros ergänzten Gruppe im Besitz des portugiesischen Gesandten stammen müsse.344 Das Problem dabei ist nur, dass das Inventar von 1731 den Düsseldorfer Abguss ausdrücklich als „Le Statue di Cavonis et Biblis del Conte Fede“ bezeichnet, und damit eindeutig eine Verbindung zwischen dem Düsseldorfer Abguss und der im Besitze des Conte Fede befindlichen Gruppe herstellt,345 bei der es sich schon rein zeitlich nicht um die erst 1735 gefundene Gruppe von Amor und Psyche, von deren Fund Ficoroni berichtet, gehandelt haben kann, sondern eben doch nur um die schon früher bekannte Gruppe mit den Ergänzungen LeGros’. Damit wäre die Gruppe des Conte Fede doch wieder identisch mit der von LeGros ergänzten Gruppe, wie bislang angenommen, und auch mit der bis zu ihrer Zerstörung in Emkendorf aufgestellten Statuengruppe, dort allerdings im Zustand einer Neuergänzung zu Amor und Psyche, wie die Fotos dokumentieren. Zum Beleg zweier unterschiedlicher ursprünglich vorhandener antiker Gruppen vergleicht Raeder nun das Foto der Gruppe Emkendorf einerseits (Abb. 14)346 mit einer Toreutica-Abformung Klauers als Stellvertreter der von LeGros ergänzten Gruppe (und damit auch des Düsseldorfer Abgusses) andererseits (Abb. 12)347 und stellt dabei Unterschiede fest. So sei der Amor der Gruppe Emkendorf stärker dem Mädchen zugedreht, und auch seine Schulter liege höher; außerdem bemerkt er Unterschiede in der Anlage der Gewandfalten.348 Zum einen ist aber der Blickwinkel des Fotos etwas anders gewählt (s. Fußpartie), zum anderen stellt man fest, dass diese Unterschiede bei anderen Wiederholungen Klauers, wie etwa der Weimarer Steinkopie (Abb. 11),349 nicht vorhanden sind. Dort ist der Oberkörper des Amor we-

343 Raeder 2014, 43. Dabei handelt es sich um eine offenbar ebenfalls unvollständig aufgefundene Amor und Psyche-Gruppe, von der Ficoroni berichtet, s. Ficoroni 1757, 127 und Ficoroni 1741, 270 f. Raeder 2014, 43 schreibt von einem Funddatum „zwischen 1730 und 1735“, an anderer Stelle „gegen 1730“ (Raeder 2014, 46), jedoch ohne Begründung. 344 Raeder 2014, 46. 345 Für Raeder 2014, 46 besteht diese Verbindung allein darin, dass Fede von der von LeGros ergänzten Gruppe einen Abguss für Düsseldorf beschafft hat, und dies aus der Sammlung eines (namenlosen) portugiesischen Gesandten in Rom, in dessen Besitz sich die Gruppe befunden habe. Dabei habe Fede seine später (Ficoroni: „1735“) aufgefundene Amor und Psyche-Gruppe dann ebenfalls nach dem Vorbild dieser Gruppe ergänzen lassen, vgl. Raeder 2014, 43. Dies alles passt jedoch nicht zusammen mit der Bezeichnung „Le Statue di Cavonis et Biblis del Conte Fede“ im bereits 1731 erstellten Inventar. Möglicherweise veranlasste dieser Umstand Raeder 2014, 43 bzw. 46 dazu, statt dem bei Ficoroni angegebenen Funddatum von einer Entdeckung „zwischen 1730 und 1735“ bzw. „gegen 1730“ auszugehen. 346 Raeder 2014, Abb. 3. 347 Raeder 2014, 40 Abb. 2. 348 Raeder 2014, 44. 349 Raeder 2014, 40 Abb. 1.

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3 Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm

niger zum Betrachter geneigt, und dies entspricht im Übrigen auch der Zeichnung Batonis. Dies wirft die Frage auf, wie genau sich Klauer bei der Anfertigung der Wiederholungen der Gruppe an die Vorlage, d. h. den Mannheimer Abguss gehalten hat, oder inwieweit er die Figuren noch einmal überarbeitet hat – oder anders ausgedrückt: wie getreu die Wiederholungen den verlorenen Mannheimer Abguss überhaupt wiedergeben (und damit die verlorene Fede-Gruppe). Eine gewisse Überarbeitung durch den Hofbildhauer Klauer ist vielleicht ohnehin zu erwarten, da er sich sicher nicht nur als bloßer Abgießer bzw. Kopist verstanden haben dürfte. Dass der Abguss im Palazzo Antinori di Brindisi in Florenz (Abb. 15), den Raeder350 heranzieht, um seine These von den beiden verschiedenen (im Replikenverhältnis ergänzten) antiken Vorlagen zu erhärten, in der Tat mehr Übereinstimmungen mit der Gruppe Emkendorf aufweist als mit den Klauerschen Wiederholungen, belegt nur einmal mehr, dass Klauer sich in einigen Punkten offenbar weniger als andere Kopisten der Gruppe an die ihm zur Verfügung stehende Vorlage – in seinem Fall den damals in Mannheim stehenden Abguss – gehalten hat. Und dies muss eben nicht bedeuten, dass der Mannheimer Abguss von einer anderen antiken Vorlage stammt als die übrigen Wiederholungen, derer es damit zwei gegeben hätte. Dieses Beispiel zeigt, wie problematisch es ist, durch Vergleiche der verschiedenen Wiederholungen, zumal gattungsübergreifend (dazu gehören neben dreidimensionalen Kopien aus verschiedenen Materialien auch Zeichnungen und GrisailleMalerei), tatsächlich verlässliche Aussagen zu Abhängigkeiten und zugrundeliegenden Vorlagen zu gewinnen.351 Gerade im vorliegenden Fall der Fede-Gruppe hat diese Herangehensweise dazu geführt, dass jede Untersuchung wieder zu anderen Ergebnissen gekommen ist. Ein nicht unwesentliches Problem bei der Untersuchung der Kaunos und ByblisGruppe ist, dass sich letztlich alle Wiederholungen (egal welcher Gattung) voneinander unterscheiden, und es deswegen nicht mehrere verschiedene Originalgruppen gibt – sondern wahrscheinlich eben doch nur die eine, die im Übrigen meiner Meinung nach als fragmentierte ursprüngliche Amor und Psyche-Gruppe aus dem Boden gekommen sein dürfte352 – und die exakten Faltenvergleiche möglicherweise nirgend-

350 Raeder 2014, 44 f. mit Abb. 4. 351 Vgl. dazu beispielsweise Raeder 2014, 42, der gar davon ausgeht, die Zeichnung Batonis sei nicht nach der antiken Originalgruppe angefertigt, sondern nach der von Delvaux geschaffenen Wiederholung in Woburn Abbey – wiederum basierend auf der Annahme, Klauers Wiederholung, von der sich die Zeichnung Batonis und die Delvaux-Gruppe übereinstimmend unterscheiden, gebe das verlorene Original exakt wieder. 352 Dies bestätigt auch der Eintrag zur Fede-Gruppe im Stichwerk von Dominique Magnan, Elegantiores Statuae Antiquae in variis romanorum palatiis asservatae (Rom 1776) = Magnan 1776, S. XII („Caunus & Byblis“) Taf. 27 („Cauni et Byblidis stat. vet. marm.“). Danach war die im Besitz des Conte Fede befindliche Gruppe durch die Ergänzungen von LeGros aus einer ursprünglichen Amor und Psyche-Gruppe in eine Kaunos und Byblis-Gruppe umgewandelt worden: Haud dubiè Amoris & Psyches imagines fuerunt statuae istae.

3.7 Kaunos und Byblis

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Abb. 15: Abguss einer Kaunos-Byblis-Gruppe, Florenz, Palazzo Antinori di Brindisi (Aldobrandini).

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3 Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm

wohin führen, jedenfalls nicht wirklich dazu geeignet sind, Abhängigkeitsverhältnisse zu klären. Damit stößt die Übertragung der archäologischen Methode der Kopienkritik auf die Analyse des Verhältnisses neuzeitlicher Wiedergaben zueinander und zu ihren Vorlagen hier an ihre Grenzen, auch wenn man davon ausgehen kann, dass Züge, die die Mehrzahl der Wiederholungen übereinstimmend tragen, wahrscheinlich auf das verlorene antike Original zurückgehen.353 Dabei stellt man fest, dass die Unterschiede der verschiedenen Wiederholungen gerade zu der Toreutica-Wiederholung Klauers, die bislang, nicht nur von Raeder, noch als die getreueste Wiedergabe der verlorenen Originalgruppe (mit Ergänzungen von LeGros) angesehen wurde, in einigen Punkten noch am größten zu sein scheinen.354 Dagegen weisen die meisten Wiederholungen Übereinstimmungen mit der Gruppe Emkendorf auf – die für Reventlow neu ergänzten Köpfe einmal ausgeklammert.355 Dies widerspricht einmal mehr der These zweier verschiedener antiker Statuengruppen, denn das hieße, es wäre die Gruppe Emkendorf gewesen, die in verschiedensten Gattungen wiederholt worden wäre, während die berühmte, von LeGros ergänzte Gruppe (angeblich getreu wiedergegeben in den Wiederholungen Klauers), die doch nach Ansicht Raeders das Ergänzungsvorbild für die Gruppe Emkendorf gewesen sein soll 356 und ohnehin früher gefunden, sonst keine Nachahmer gefunden hätte.357 Dass die meisten Wiederholungen mehr Übereinstimmungen mit der Gruppe Emkendorf aufweisen als mit den Klauerschen Wiederholungen, ist nicht weiter verwunderlich, denn schließlich handelte es sich bei der Gruppe Emkendorf, nach allem, was wir inzwischen wissen, mit großer Wahrscheinlichkeit um das bereits seit dem 18. Jh. verschwunden geglaubte antike Original selbst, während die bislang quasi als Stellvertreter der verschollenen antiken Gruppe gehandelte Toreutica-Abformung Klauers ja von vornherein nie mehr war als eine Abformung eines Abgusses, an der Klauer Veränderungen vorgenommen haben dürfte, die an der entsprechenden Steinnachbildung noch weiter getrieben sind.358 Wie Raeder zu der Steinkopie feststellt, „glaubt man fast, im Gesicht ein Porträt aus der Hand Klauers erkennen zu können“.359 Wenn man davon ausgeht, dass der Abguss im Palazzo Antinori di Brindisi die antike Gruppe in ihrem ersten Ergänzungszustand, und damit auch den Kopf des Kaunos auch nur annähernd getreu wiedergibt,

353 Vgl. Roani Villani – Capecchi 1990, 153. 354 Vgl. Raeder 2014, 42. 44. 355 Vgl. beispielsweise Raeder 2014, 45 zu Abguss im Palazzo Antinori di Brindisi, Florenz, der „offenbar die Amor-Psyche-Gruppe Emkendorf in ihrem ersten Ergänzungszustand als Caunus und Byblis wiedergibt“, was wohl zutrifft. 356 Raeder 2014, 46. 357 Die Grisaille der Kaunos und Byblis-Gruppe im Palais Seligmann in Leimen geht nicht direkt auf die antike, von LeGros ergänzte Gruppe, sondern auf die Gruppe im Mannheimer Antikensaal zurück, vgl. Schiering 1990, 29. 36. 358 Allerdings weist diese, anders als andere Wiederholungen, die auch durch die Zeichnung Batonis für die Fede-Gruppe belegte quadratische Plinthe auf, vgl. Raeder 2014, 40 Abb. 1. 359 Raeder 2014, 41.

3.7 Kaunos und Byblis

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so hat Klauer bereits an der Toreutica-Abformung den Kopf verändert, und damit wohl auch mehr dem klassizistischen Zeitgeschmack angepasst und, wie Raeder bemerkt, aus dem Kaunos an der Steinkopie dann weiterhin einen „deutlich älteren, größeren und schlankeren Knaben mit einem schmaleren und erwachseneren Gesicht“ gemacht, der „das Mädchen um einiges überragt“.360 Dafür spricht auch der Vergleich mit der Zeichnung Batonis, die ebenfalls die Leiber etwas fülliger wiedergibt und bei der der Kopf des Kaunos ebenfalls deutliche Unterschiede zu den Exemplaren von Klauer aufweist.361 Es wäre denkbar, dass der ursprünglich in Mannheim vorhandene Abguss im späteren Verlauf des 18. Jhs. durch eine Version von Klauer ersetzt worden sein könnte, wie die Grisaille-Malerei im Palais Seligmann in Leimen, die gegen Ende des 18. Jhs. nach der Vorlage der Gruppe aus dem Mannheimer Antikensaal angefertigt worden sein soll, nahelegt.362 Dafür spräche auch die besondere Wertschätzung der Wiederholungen Klauers, die nicht nur der schwunghafte Handel mit diesen belegt,363 sondern vor allem die Tatsache, dass Anna Amalia, die auch den aus Mannheim gelieferten Originalabguss der (ergänzten) antiken Gruppe besaß, offenbar der Version von Klauer den Vorzug gab und diese aufstellte.364 Letztlich hatte Anna Amalia die Gruppe wegen des Sujets bestellt (s. u.); dieses bot dann auch die Version von Klauer, nur in einer mehr dem Zeitgeschmack entsprechenden Ausführung und zudem in dauerhafterem Material (Stein bzw. Kunstbackstein). Der Abguss aus Mannheim diente Klauer dabei als Vorlage. Dass es dabei nicht einfach nur um die Übertragung der Gruppe in ein haltbareres (und vielleicht auch repräsentativeres) Material ging, belegt die Tatsache, dass die verschiedenen Ausführungen von Klauer sich untereinander unterscheiden – Klauer also gegenüber der Vorlage Veränderungen vorgenommen hat. Entsprechend scheint Klauer von dem zusammen mit der Kaunos und Byblis-Gruppe aus Mannheim gelieferten Abguss der Ildefonso-Gruppe

360 Raeder 2014, 41. 361 Vgl. auch Schiering 1990, 36: „Einen besonderen Zauber der Zeichnung Batonis macht der Kopf des Kaunos aus. Hier ist der Unterschied (…) zur plastischen Fassung Klauers so groß, dass man zunächst denken könnte, Batoni hätte um 1730 in Rom überhaupt einen anderen Kopf gesehen und gezeichnet als der Maler der Grisaille [im Palais Seligmann in Leimen, Anm. E. S.] im Mannheimer Antikensaal. Sicher ist, dass der Kaunoskopf der Grisaille, trotz kleiner Unterschiede im Detail, mit dem der Klauerschen Gruppe übereinstimmt.“ 362 Vgl. Schiering 1990, 29. 36 mit Abb. 1. 363 Vgl. dazu auch Geese 1935, 186 f., der von der „erstaunlich großen und ständig wachsenden Nachfrage nach Klauers eigenhändigen und nach der Antike abgeformten Werken“ berichtet. 364 Nebenbei bemerkt scheint auch Carl Theodor es nicht besonders eilig gehabt zu haben, die Antikenabgüsse aus Düsseldorf nach Mannheim bringen zu lassen. Zwar wurde im Jahr 1731 bereits ein Inventar der Abgüsse erstellt, jedoch erteilte der Kurfürst dann erst 1753 den Auftrag, sämtliche Statuen und Formen aus Gips nach Mannheim zu transportieren, s. Levin 1906, 166; Alberts 1961, 66 (mit Hinweis auf Rescriptenauszug in der Akte II 622 Düsseld. Stadtarchiv). Möglicherweise geht dies auf die Initiative Verschaffelts zurück, der erst kurz zuvor in die Dienste des Kurfürsten getreten war.

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3 Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm

offenbar auch nur einen weiteren Gipsabguss angefertigt zu haben,365 jedoch soweit bekannt kein Exemplar aus anderem Material. Vielleicht ging man auch davon aus, dass die Gruppe mit den Köpfen von Klauer der antiken Formensprache näherkam als die Version mit den mehr barock geprägten Ergänzungen – dass es sich um Ergänzungen handelte, war bekannt. Zumindest hat man sich in Weimar nicht mit dem Verschaffelt-Abguss aus Mannheim begnügt, sondern Klauer fertigte sogleich Wiederholungen der Gruppe an,366 die dann auch aufgestellt wurden, während man vom Abguss aus Mannheim zuletzt bei Bestellung durch Anna Amalia gehört hat, dieser wohl auch nicht aufgestellt war und über dessen weiteren Verbleib nichts bekannt ist.367 Möglicherweise ist der Abguss als Modell in die 1776 eingerichtete Weimarer Zeichenschule368 gelangt, bereits 1779 soll sich ein Abguss der „Kaunos und Byblis“-Gruppe dort befunden haben.369 Jedenfalls scheinen die Werke Klauers nach der Antike nicht geringer geschätzt worden zu sein als der Antikenabguss, an dessen Vorlage ohnehin vieles ergänzt war – insbesondere die Köpfe, die den so wesentlichen Gefühlsausdruck transportierten – sondern im Gegenteil waren diese es, die man aufstellte, und die bis heute aufgestellt sind, während der Verschaffelt-Abguss aus Mannheim augenscheinlich verloren ist. Sollte der Mannheimer Abguss nicht im späteren Verlauf des 18. Jhs. durch eine Wiederholung von Klauer ersetzt worden sein, muss man davon ausgehen, dass für die Leimener Grisaille bzw. deren gemalte Vorlage eben doch nicht, wie bislang angenommen, der in Mannheim aufgestellte Abguss der Kaunos und Byblis-Gruppe

365 Geese 1935, 184, allerdings ohne Angabe von Belegen. 366 Drei davon sind in Weimar erhalten: eine Steinkopie aus Thüringer Kalkstein, Rokokosaal der Anna Amalia Bibliothek, Weimar; ein Toreutica- (d. h. Kunstbackstein-)Abguss, Schloss Tiefurt bei Weimar; ein Gipsabguss in Schloss Heidecksburg, Rudolstadt, s. Raeder 2014, 39 f. mit Abb. 1 und 2. – Wie einem Schreiben Mercks vom 21. Februar 1779 zu entnehmen ist, war der von Anna Amalia bestellte Abguss zu diesem Zeitpunkt bereits fertiggestellt, aber noch nicht nach Weimar geliefert, während Klauer die von ihm angefertigte Steinkopie der Gruppe bereits im April 1779 in Rechnung stellt, s. Geese 1935, 184; Antlitz des Schönen 2003, 291 (G. Oswald). Er muss sich also gleich nach Eintreffen des Abgusses an die Arbeit gemacht haben. 367 Diese hatte 1778 Kurfürst Carl Theodor um eine Abformung der Gruppe gebeten, s. Schiering 1990, 29 mit Anm. 3; Geese 1935, 183 f. Zur Abformung der Gruppe für Anna Amalia s. a. Werche 2007, 262 f. mit Anm. 50 sowie Antlitz des Schönen 2003, 291 (G. Oswald). 368 Zur Weimarer Zeichenschule s. Seemann 2012, 76–78; zur Funktion Klauers als Lehrkraft an der Weimarer Zeichenschule und zur Lieferung von Gipsabgüssen und -büsten als Zeichenvorlagen durch Klauer und Friedrich Wilhelm Doell (1750–1816) s. Hellmuth 2009, 61. 64 f. 369 Knorr 2003, 138 mit Verweis auf Pischel 1916, 5. Sp. – Das Vorhandensein von Antikenabgüssen in der Zeichenschule belegt auch ein Bericht Friedrich Schillers, der diese 1787 besucht hatte, s. Knorr 2003, 138; F. Schiller an Chr. G. Körner (Weimar, 18. August 1787), in: Schillers Werke. Nationalausgabe, Bd. 24, 134.

3.7 Kaunos und Byblis

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Modell gestanden hat, sondern eine der Wiederholungen Klauers.370 Jedenfalls dürfte der aus Düsseldorf nach Mannheim gelangte Abguss der Kaunos und ByblisGruppe etwas anders ausgesehen haben als die Wiederholungen von Klauer oder die Grisaille-Darstellung in Leimen. Schon aufgrund der Zeitstellung der Ergänzungen von LeGros an der Originalgruppe, von der der in Johann Wilhelms Besitz befindliche Abguss stammte, dürften diese deutlich barocker gestaltet gewesen sein als bei Klauer wiedergegeben, an dessen Kopie bereits Schiering in Bezug auf den Kopf des Kaunos „die ausgesprochen klassizistischen Züge des Gesichtes und die harte Modellierung der Locken“ hervorgehoben hat.371 Die Figur des Kaunos kann zur Zeit von LeGros bzw. Johann Wilhelm wohl kaum mit einem derart klassizistischen Kopf ergänzt worden sein, der daher auf Klauer zurückgehen muss. In der Tat gibt es mehrere Wiederholungen, die die Gruppe entsprechend barock ergänzt wiedergeben: die Zeichnung Batonis,372 der Abguss im Palazzo Antinori di Brindisi (der offenbar die antike Gruppe in ihrem ersten Ergänzungszustand wiedergibt)373 und die Wiederholung von Delvaux.

Ikonographische Deutung Neben Fundgeschichte und Verbleib der Fede-Gruppe betrifft eine weitere Kontroverse in der Forschung deren ikonographische Deutung, d. h. neben der Benennung an sich insbesondere die Frage nach dem Urheber des dargestellten Motivs und

370 Darüber, welche der Klauerschen Wiederholungen der Grisaille in Leimen nun am nächsten steht, besteht nicht recht Einigkeit: Während sich Schiering 1990, 33 mit Abb. 3; 36 für die Steinkopie in der Weimarer Landesbibliothek ausspricht, plädiert Raeder 2014, 41 mit Abb. 2 für die Tonabformung der Gruppe in Schloss Tiefurt. Wie Schiering 1990, 33 f. zurecht bemerkt, berührt an der Klauerschen Steinkopie wie in der Leimener Grisaille (und auch auf der Zeichnung Batonis) „das Mädchen mit seinem Gewand den linken Oberschenkel des Knaben unmittelbar“. Darin unterscheidet sich die Tonabformung, bei der die beiden Figuren mit etwas mehr Abstand zueinander aufgestellt sind. Schiering schlussfolgert aus der Nähe der Grisaille und der Version von Klauer allerdings nicht, dass diese dort dargestellt ist, sondern sieht darin vielmehr den Beleg, „dass wir die plastische Gruppe Klauers als eine sehr getreue Kopie nach der von Anna Amalia aus Mannheim erbetenen Gruppe nehmen dürfen“, geht also von der Gruppe im Mannheimer Antikensaal als Vorlage der Grisaille-Malerei aus. 371 Vgl. Schiering 1990, 36. 372 Dagegen geht Schiering 1990, 36 – nach „geduldigem Vergleichen“ – davon aus, „dass Batoni auch für den Knaben denselben Kopf vor sich hatte wie der Maler der Grisaille“, diesen „nur ungleich charmanter dargestellt hat“. Als Beleg für Batonis zeichnerische Treue sei an dieser Stelle jedoch das von Batoni nach antiker Vorlage gezeichnete Endymion-Relief genannt, das die exakte Wiedergabe des Vorbildes erkennen lässt, vgl. Bowron – Kerber 2007, 146 Abb. 124; Macandrew 1978, 147 Nr. 20 mit Taf. 11. 373 Vgl. Raeder 2014, 44. Gemeint ist die Ergänzung als Kaunos und Byblis, die an der als das verlorene antike Original anzusprechenden Gruppe Emkendorf wieder entfernt worden war, um die Gruppe erneut in eine Darstellung von Amor und Psyche zu verwandeln.

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der Darstellungsabsicht. Dabei soll die Benennung der Gruppe als „Salmacis und Hermaphrodit“ an dieser Stelle nicht vertiefend besprochen werden, da sie, wie auch schon Walter festgestellt hat, innerhalb der ikonographischen Diskussion um die Fede-Gruppe nicht denselben Stellenwert hat wie die beiden anderen miteinander konkurrierenden Bezeichnungen „Kaunos und Byblis“ bzw. „Amor und Psyche“, die letztlich die beiden wesentlichen Pole der ikonographischen Deutung bilden.374 Die diesbezüglichen Fragen lassen sich also wie folgt zusammenfassen: Geht das von der konventionellen antiken Amor und Psyche-Gruppe abweichende Abwehrmotiv noch auf den antiken Künstler zurück oder auf einen neuzeitlichen Restaurator (bzw. dessen Auftraggeber)? Geschah die Abwandlung mit der Absicht, aus der konventionellen Umarmungsgruppe eine Kaunos und Byblis-Gruppe zu machen (sprich: war diese als Kaunos und Byblis-Gruppe gemeint)? Oder war dies möglicherweise eine unabsichtliche Umdeutung durch den neuzeitlichen Restaurator (der die kapitolinische Amor und Psyche-Gruppe ja noch nicht kennen konnte)?375 Oder könnte es sich trotz des Abwehrmotivs tatsächlich um eine antike Amor und Psyche-Gruppe handeln, das heißt: War es die Absicht des antiken Bildhauers eine Amor und Psyche-Gruppe mit Abwehrmotiv zu schaffen? Denn der Bildgedanke der Zurückweisung eines Annäherungsversuches mit einer entsprechenden Geste hat durchaus Parallelen in der antiken Kunst 376 – und dies sogar in der Darstellung von Amor und Psyche. Zu nennen ist an dieser Stelle der bekannte Endymion-Sarkophag in New York, auf dessen Deckel in einem Relieffeld eine Szene dargestellt ist, die die Zurückweisung Psyches durch Amor zeigt (Abb. 16a, b).377 Allerdings ist dieses Bild als singulär zu bezeichnen, denn es handelt sich dabei um das einzige bisher bekannte Beispiel einer solchen Darstellung (während der Bildgedanke „Amor quält Psyche“ häufiger, vor allem in Kleinkunst, Mosaiken und Wandmale-

374 Walter 1995, 241. 375 Die kapitolinische Amor und Psyche-Gruppe wurde erst 1749 entdeckt und scheidet somit als direktes Ergänzungsvorbild aus. Ikonographisch scheinen Amor und Psyche-Gruppen bis zum Fund der kapitolinischen Gruppe vor allem mit geflügelten Figuren verbunden worden zu sein, was im Gegensatz stand zu den zur Ergänzung vorliegenden Torsen der Fede-Gruppe, die ungeflügelt waren, s. Roani Villani – Capecchi 1990, 156. Dessen ungeachtet geht beispielsweise Jacobs 1999, 255 von einer absichtlichen Umwandlung in eine Kaunos und Byblis-Gruppe aus, die in Kenntnis des originalen Sujets, einer Amor und Psyche-Gruppe, im Zuge einer frei erfundenen Restaurierung erfolgt sei. Auch Bissell 2003, 75 nimmt an, dass aufgrund der motivischen Ähnlichkeit mit der bereits bekannten (geflügelten) mediceischen Cupidogruppe klar gewesen sein dürfte, dass es sich eigentlich um eine Amor und Psyche-Gruppe handelte, die LeGros dann bewusst in eine Kaunos und Byblis-Gruppe verwandelt habe. 376 z. B. in Darstellungen von Hippolytos, vgl. LIMC V (1990) 456 f. Nr. 93 s. v. Hippolytos I, Elfenbeinrelief, Athen, Benaki Mus., Inv.-Nr. 22119 (P. Linant de Bellefonds); vgl. dazu auch pompejanisches Wandgemälde Hippolytos, s. Walter 1995, 249 Anm. 49. 377 New York, Metropolitan Mus., Inv.-Nr. 47.100.4; Sichtermann 1992, 134–138 Nr. 80, bes. 136; Zanker – Ewald 2004, 322–325 Nr. 15 (B. Chr. Ewald).

3.7 Kaunos und Byblis

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Abb. 16a, b: Endymionsarkophag, New York, Metropolitan Museum of Art, Inv.-Nr. 47.100.4.

rei, anzutreffen ist).378 Dabei könnte an die Zurückweisung Psyches durch Amor nach der nächtlichen Aufdeckung seiner Identität mithilfe der Öllampe gedacht gewesen sein, eine Szene, die erst Apuleius schildert und die die nachantike Kunst oft 378 Walter 1995, 248 f.; vgl. dazu auch Aspris 1996, 100 mit Anm. 285. Zu Beispielen für „Amor quält Psyche“ s. a. LIMC VII (1994) 577 Nr. 99–109 s. v. Psyche (N. Icard Gianolio). Das Motiv gibt es auch umgekehrt („Psyche quält Amor“), s. ebd. 578 Nr. 114–117.

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3 Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm

dargestellt hat.379 Die Benennung ist gesichert durch die Schmetterlingsflügel der Psyche und auch durch eine weitere Szene auf demselben Sarkophag, die Amor und Psyche in der konventionellen Weise zeigt. Walter hat in seiner Besprechung der Fede-Gruppe zwar erstmals auf diese Parallele zur Fede-Gruppe hingewiesen, dabei das Deckelrelief mit Amor und Psyche am Endymion-Sarkophag aber ganz aus seinem Zusammenhang gelöst (und dieses auch vollkommen isoliert, d. h. ausgeschnitten, abgebildet), obwohl sich auf dem Sarkophag das Thema der zurückgewiesenen bzw. unerwiderten Liebe mehrfach wiederholt, und dies vielleicht auch ein Schlüssel zum Verständnis der Fede-Gruppe ist.380 Entsprechend schreibt Sichtermann zum Endymion-Sarkophag: „Hauptthema ist also die Problematik einer einseitigen, unerwiderten Liebe.“ Diese wird auf dem Sarkophag durch die Passivität Endymions im Hauptbildfeld zum Ausdruck gebracht. Ähnliches wiederholt sich auch auf dem Deckelrelief mit Selene und Endymion, der sich hier zwar nicht abwendet, aber doch den Arm nicht selbst um sie legt. Hinzu kommen das erwähnte Deckelrelief mit Amor, der Psyche abweist, und auch die Kontroverse zwischen Eros und Anteros unter dem rechten Löwenkopf. Die Bedeutung dieser Thematik spielt dann auch in der Rezeptionsgeschichte der Kaunos und Byblis-Gruppe eine Rolle. Vor wenigen Jahren ist ein Beitrag zur unerfüllten Liebe zwischen Anna Amalia von Weimar und Goethe erschienen, in dem der Wunsch der Herzogin nach einer Abformung dieser Gruppe als Ausdruck der Beziehung zwischen ihr und Goethe interpretiert wird.381 Diese hatte 1778 bei Kurfürst Carl Theodor eine Abformung der Gruppe erbeten.382 Vorausgegangen sein soll dem angeblich eine Begegnung Anna Amalias mit Verschaffelt in Düsseldorf während ihrer Rheinreise im Juni/Juli 1778.383 In seinem Antwortbrief vom 14. Au-

379 Geht man von einer derart spezifischen Interpretation der Szene in Abhängigkeit der von Apuleius entworfenen Episode aus, könnte dies erklären, wieso das Motiv „Amor weist Psyche ab“ nicht früher in der antiken Kunst begegnet, wohingegen das Motiv „Amor quält Psyche“ allgemeiner und an keine bestimmte Textstelle gebunden ist. Gleichwohl ist hier keine Öllampe dargestellt; die gesenkte Fackel, die Eros hält, erscheint auf Sarkophagen häufig als dessen Attribut, ebenso dürfte der Spiegel zu Füßen der Psyche als Attribut auf ihre Schönheit hinweisen. Im Hinblick auf den Grabkontext des Sarkophagreliefs bedeutete die dargestellte Szene – bliebe man bei der Anlehnung an Apuleius – zwar zunächst einen jähen Abschied, verhieße dann aber doch ein versöhnliches Ende und eine Wiedervereinigung der Liebenden. 380 Vgl. Walter 1995, 248 f. mit Taf. 56b. 381 Haak-Macht 2008, 79. 81–84. 382 Schiering 1990, 29 mit Anm. 3; Geese 1935, 183 f. 383 Vgl. Haak-Macht 2008, 81 mit Anm. 20; Werner 1996, 146. Offenbar überschnitt sich der Aufenthalt beider im selben Hotel in Düsseldorf. Ob man daraus schließen kann, „dass sie über die Anfertigung der Abgüsse von den Statuen ‚Castor und Pollux‘ und ‚Biblis und Caunus‘ gesprochen haben, (…) die Amalia bei Kurfürst Carl Theodor bestellt hatte“, s. Werner 1996, 146, oder Anna Amalia Verschaffelt traf, „offenbar um einige Abgüsse zu erwerben“, wie Haak-Macht 2008, 81 vermutet, bleibt reine Spekulation. Dem hier unten zitierten Schreiben Mercks zufolge waren die Abgüsse jedenfalls zu dem genannten Zeitpunkt offenbar noch nicht bestellt, hier irrt Werner a. O. also, vor allem aber nennt sie den Namen Maximilian von Verschaffelt, den sie irrtümlich als den

3.7 Kaunos und Byblis

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gust 1778 schreibt Johann Heinrich Merck (1741–1791), über dessen Vermittlung der Auftrag zustande kam, an Anna Amalia: „(…) daß der Churfürst mit Vergnügen eingewilligt habe, daß die Statuen Castor und Pollux, und Biblis und Caunus für Ihro Durchlaucht abgeformt würden.“ 384 Neben dem Abguss der Kaunos und ByblisGruppe wünschte sie also auch eine Abformung der sog. Ildefonso-Gruppe, die sich ebenfalls im Mannheimer Antikensaal befand.385 Merck fügt hinzu: „Herr Verschaffelt ist noch in München, so bald er wird zurückkommen, kann die Arbeit angefangen werden.“ 386 Dass es dabei nicht etwa um Unterstützung für Klauer bei der Anfertigung des Abgusses gegangen sein kann, ergibt sich aus der Tatsache, dass Klauer erst nach dessen Fertigstellung, im Sommer 1779, nach Mannheim kam.387 Der Abguss der „Kaunos und Byblis“-Gruppe in Mannheim, der dann 1779 nach Weimar geliefert wurde, ist demnach Verschaffelt zuzuweisen.388 Über den weiteren Verbleib dieses Abgusses, wie auch den der „Ildefonso-Gruppe“, ist nichts bekannt.389 In Weimar stellte Klauer dann weitere Kopien und Abgüsse davon her. Drei davon sind dort erhalten: eine Steinkopie aus Thüringer Kalkstein, sog. Oetterner Marmor, Rokokosaal der Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Weimar; ein Toreutica- (d. h. Kunstbackstein-)Abguss, Schloss Tiefurt bei Weimar; ein Gipsabguss in Schloss Heidecksburg, Rudolstadt.390 Von der Anfertigung einer Steinkopie der

Direktor der Mannheimer Zeichnungsakademie bezeichnet, so dass es sich u. U. auch um eine Verwechslung mit dem Sohn Verschaffelts handeln könnte. Die Abgüsse bezog Anna Amalia jedenfalls von dem Vater Peter Anton von Verschaffelt. 384 ThHStAW, Großherzogliches Hausarchiv A XVIII (Anna Amalia) Nr. 73 („Briefe des Kriegsrat Merck“); Gräf 1911, 2; Werche 2007, 262 f. Anm. 50. 385 Die Rezeptionsgeschichte der Ildefonso-Gruppe spiegelt ihre Interpretierbarkeit als „Idealbild einer Freundschaft“ wieder, so bspw. in Schadows Doppelstandbild der preußischen Prinzessinnen Luise und Friederike, s. Haak-Macht 2008, 84 mit Anm. 37. Beide Gruppen waren in Weimar als Pendants, sinnbildlich für „Liebe und Freundschaft“ aufgestellt, vgl. Haak-Macht 2008, 86 mit Anm. 52, und könnten so möglicherweise auch die enge Verbundenheit zwischen Anna Amalia und Goethe zum Ausdruck gebracht haben, die, so Haak-Macht 2008, 83, „anscheinend in der ‚stummen Sprache‘ von aufeinander bezogenen Gemälden und Skulpturen ihre wirkliche Beziehung zum Ausdruck gebracht haben“. Ob die Interpretation so weit reichen muss, bleibt allerdings fraglich, denn beide Gruppen erscheinen auch andernorts als Gegenstücke, so bspw. als Grisaillen nach den in Mannheim vorhandenen Exemplaren im Palais Seligmann, Leimen, s. Schiering 1990, 29. 386 Gräf 1911, 2; Geese 1935, 183. 387 Vgl. Geese 1935, 185; Bode 1909, 256 f. mit Hinweis auf Verfügung Carl Augusts vom 22. Mai 1779, der zufolge an Klauer 200 Taler für eine Reise nach Mannheim zu zahlen seien; Ende August war Klauer wieder in Weimar. 388 Vgl. Geese 1935, 183 f.; Haak-Macht 2008, 115 Anm. 20. 389 Haak-Macht 2008, 82. 390 Raeder 2014, 39 f. mit Anm. 3 und Abb. 1. 2. Zum Gipsabguss in Rudolstadt s. Antlitz des Schönen 2003, 290 f. Nr. 121 mit Abb. S. 207 (G. Oswald). Zu den drei bis heute nachweisbaren Exemplaren der Kaunos und Byblis-Gruppe im Besitz der Klassik Stiftung Weimar, darunter ein eiserner Ofenaufsatz im Festsaal des Weimarer Schlosses (hier genannt anstelle des Exemplares in der Heidecksburg), und deren Aufstellung s. a. Haak-Macht 2008, 85 f. Die Klauer’sche Kalksteinkopie der Gruppe stand demnach einige Jahre in einem Monopteros im Tiefurter Park, danach bis heute in

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3 Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm

Ildefonso-Gruppe für Anna Amalia ist nichts bekannt, im März 1780 soll Klauer für die Herzogin jedoch einen Gipsabguss davon angefertigt haben.391 In Weimar befindet sich ein bronzierter Gipsabguss der Gruppe im Treppenhaus des Goethehauses am Frauenplan, den der Dichter im Jahr 1794 von Klauer bezogen haben soll.392 Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch ein Schreiben Verschaffelts an Anna Amalia, das bestätigt, dass sie sich von ihm die Abgüsse der beiden Gruppen „Castor und Pollux“ und „Caunus und Biblis“ liefern ließ, und in dem dieser sie im Juni 1779 um Bezahlung der beiden längst gelieferten Statuengruppen „en platre“ bat.393 Verschaffelt hatte also in der Tat Abgüsse, und nicht Abgussformen, nach Weimar geliefert.394 Dies widerspricht der Annahme Raeders, die noch in Schloss Tiefurt und in Schloss Heidecksburg vorhandenen Abgüsse von Klauer könnten „aus den nach Weimar transferierten Negativformen direkt gewonnen worden“ sein.395 Dafür kämen also allenfalls Formen infrage, die Klauer dann selbst bei seinem Mannheimer Aufenthalt angefertigt haben könnte (s. u.). Allerdings fällt auf, dass bei der Abformung in Schloss Tiefurt der Oberkörper des Kaunos stärker zum Betrachter geneigt ist als bei der Gruppe Emkendorf, die wir inzwischen als das verlorene Original betrachten dürfen, und bei dieser beide Figuren auch mit größerem Abstand zueinander aufgestellt sind als bei der Gruppe Emkendorf, wodurch sich bei der Abformung der Eindruck ergibt, das Mädchen dränge sich im Oberkörper heftiger an ihn.396 Insofern unterscheidet sich die Abformung in Schloss Tiefurt also auch vom verlorenen Mannheimer Abguss, der von der Originalgruppe stammt, und kann somit keine getreue Kopie von diesem sein. Einen weiteren Abguss der Gruppe fertigte Klauer 1779 bspw. auch für den Weimarer Verleger Friedrich Justin Bertuch (1747–1822) an.397 Diesen und die Steinkopie aus Oetterner Marmor für Anna Amalia stellte Klauer laut seinem Rechnungsbuch her, ehe er selbst im Sommer 1779 nach Mannheim kam.398 Von daher käme als der Herzogin Anna Amalia Bibliothek. Zum eisernen Figurenofen von Lauchhammer im Weimarer Schloss s. Schreiter 2014, 415 mit Abb. 146d. 391 Geese 1935, 184, jedoch ohne Angabe von Belegen. 392 Antlitz des Schönen 2003, 292 (P. Rau); Maaß 1924, 69. Goethe hatte das Haus 1794 von Herzog Carl August von Sachsen-Weimar und Eisenach als Geschenk erhalten und nach seinen Vorstellungen ausgestaltet. 393 Hofmann 1982, 23. 336 (mit Verweis auf BayHStA, Abt. I, Fürstensachen 832 1/3 fol. 4 vom 27. 6. 1779). 394 Vgl. dazu auch ein Schreiben Mercks an Anna Amalia vom 21. Februar 1779 (hier zitiert nach Geese 1935, 184): „Wie ich höre, sind die für Ew. Durchlaucht bestellten Statuen fertig, und auch ins Wachs gesetzt. Wenn ich die Erlaubnis von Ew. Durchlaucht dazu habe, so will ich bei dem Herrn Chevalier Verschaffelt anfragen, warum er sie nicht abgehen läßt.“ Von Abgussformen ist auch hier nicht die Rede. 395 Raeder 2014, 41. 396 Vgl. Raeder 2014, 41. 397 Antlitz des Schönen 2003, 291. Der Preis dafür betrug 32 Reichstaler und 12 Groschen. 398 Eintrag im Rechnungsbuch Klauers vom 26. April 1779, s. Antlitz des Schönen 2003, 291. So auch bei Geese 1935, 184: „(…) im April 1779 überträgt Klauer die Kaunus und Biblis-Gruppe in den Oetternschen Stein und erhält dafür zweihundert Taler“.

3.7 Kaunos und Byblis

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Vorlage also eigentlich nur der Verschaffelt’sche Abguss in Frage. Bei seinem eigenen Aufenthalt in Mannheim hat Klauer dann offenbar selbst zahlreiche Formen abgenommen und nach Weimar gebracht, möglicherweise auch nochmal eine der Kaunos und Byblis-Gruppe, „denn fast alles, was an Bildwerken in Mannheim stand, taucht später in seinen Verkaufslisten auf.“ 399 Für die Klauer’sche Steinkopie nennen dessen Rechnungsbuch und auch ein Beleg zu den Schatullrechnungen der Anna Amalia übereinstimmend einen Preis von zweihundert Reichstalern – eine nicht ganz unerhebliche Summe und der Beleg der Wertschätzung und Bedeutung, die die Herzogin der Statuengruppe beimaß.400 Der Rechnungsbeleg Anna Amalias nennt unter dem 4. November 1780: „Zweyhundert Rthr. vor zwey Staduen von Etterschen Stein, Kaunus und Biblis vorstellend“.401 Dessen Datum lässt sich allerdings nicht ganz in Einklang bringen mit dem um mehr als ein Jahr früheren Eintrag Klauers, sodass vorerst nicht sicher zu beantworten ist, ob die Steinkopie der Kaunos und Byblis-Gruppe, die Klauer für Anna Amalia anfertigte, vor oder nach dessen Besuch in Mannheim entstanden ist, und somit auch nicht, ob dazu Verschaffelts oder ein von Klauer selbst angefertigter Abguss Modell gestanden hat. Einige Jahre nach der Abformung der Gruppe durch Verschaffelt für Anna Amalia ist noch die Lieferung eines Kaunos und Byblis-Abgusses von Verschaffelt an den Markgrafen Karl Friedrich von Baden (1728–1811) belegt.402 Die Gruppe war Teil einer umfangreicheren Bestellung von Gipsabgüssen im Jahr 1790 für den Badischen Hof, zu der unter anderem auch eine Abformung des Laokoon, der IldefonsoGruppe („Castor et Pollux“) sowie des „Satyr mit dem Böckchen“ gehörte. 399 Geese 1935, 185. Verkaufslisten der von Klauer angebotenen Stücke erschienen in den Jahren 1786, 1787 und 1789 im Journal des Luxus und der Moden, in dem auch die Rostsche Kunsthandlung in Leipzig ihr Angebot an Abgüssen inserierte, s. Geese 1935, 186. 400 Vgl. Werche 2007, 263 mit Anm. 50. 401 ThHStAW, A 941, Nr. 825; hier zitiert nach Werche 2007, 263 Anm. 50. Bei dem bei Werche 2007, 265 Abb. 9 abgebildeten Exemplar scheint es sich jedoch, anders als angegeben, nicht um die Steinnachbildung, sondern um den Toreutica-Abguss der Gruppe auf Schloss Tiefurt zu handeln. Derselbe Irrtum findet sich bei Schreiter 2014, Abb. 146c und 146e, welche beide den Ofenaufsatz in Toreutica im Tiefurter Schloss zeigen (dabei Abb. 146e fälschlich bezeichnet als das Exemplar aus Oetterner Kalkstein in der Großherzoglichen Bibliothek Weimar). Beide Versionen finden sich korrekt abgebildet bei Raeder 2014, 40 Abb. 1 und 2. Offenbar um einen Irrtum dürfte es sich bei der Feststellung Oswalds handeln: „Klauer fertigte – 1780 gleich zweimal – weitere Exemplare in Ettersch Stein an, erhielt dafür aber nur die Hälfte des einstigen Preises“, s. Antlitz des Schönen 2003, 291. Mit den zwei Statuen, für die Klauer nach dem zitierten Rechnungsbeleg Anna Amalias zweihundert Reichstaler erhielt, waren nicht zwei Gruppen „Kaunos und Byblis“ gemeint, sondern eine Gruppe, bestehend aus zwei Statuen. Es wäre m. E. auch unverständlich, warum Klauer plötzlich nur noch die Hälfte für seine Arbeit erhalten sollte. Im Übrigen ist auch die Existenz dreier Steinnachbildungen der Gruppe von der Hand Klauers sonst nicht nachweisbar. 402 Liste der bestellten Abgüsse für den Badischen Hof bei Hofmann 1982, 369 mit Verweis auf „Die Kunst und wissenschaftlichen Sammlungen zu Mannheim. Die Abgabe der von Verschaffelt verfertigten Gips-Abgüsse an den Markgrafen von Baden, 15. April 1790“, Königl. Kreisarchiv Speyer, Geh. Rats-Akten Nr. 991.

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3 Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm

Auch inhaltlich hat sich Verschaffelt weiter mit der Kaunos und Byblis-Thematik auseinandergesetzt, wie zwei Tuschfederzeichnungen von seiner Hand belegen. Die eine zeigt Byblis barfuß im gegürteten antikisierenden Gewand und mit antikisierender Frisur am Tisch sitzend beim Schreiben eines Briefes an Kaunos. In der Rechten hält sie einen Griffel, mit dem sie eine Wachstafel beschreibt. Den linken Arm hat sie nachdenkend aufgestützt, die Finger berühren die Stirn. Unter dem Tisch lugt ein kleiner Genius hervor, die Miene erkennbar besorgt. Das Blatt trägt die Unterschrift: „Biblis, qui marque sur une tablette de cire ses (sic) amour insestueuse (sic) pour son frère“.403 Eine weitere Zeichnung zeigt Byblis bei der Übergabe des Briefes an einen Boten, wobei ihr das Schreiben jedoch zunächst aus der Hand und zu Boden fällt.404 Beide Szenen beschreibt Ovid in seinen Metamorphosen.405 Entsprechend im Sinne der unerfüllten Liebe, wie dies in Bezug auf Goethe und Anna Amalia vermutet worden ist, lässt sich das Motiv der Kaunos und Byblis-Gruppe auch in Schillers Don Carlos interpretieren. Dieser kannte die Gruppe aus eigener Anschauung im Mannheimer Antikensaal 406 und wünschte sich diese als Requisit für die Aufführung seines Stückes.407 Darin schildert Schiller die aufwühlende Begegnung des Don Carlos mit der Statuengruppe: „Der Zufall führt ihn vor die Statue der Byblis und des Kaunus, er bleibt nachdenkend davor stehen (…). Der Prinz verlässt die Statue in großer Bewegung, man sieht Traurigkeit und Wut in seinen Gebärden abwechseln, er rennt heftig auf und nieder und fällt zuletzt matt auf ein Kanapee.“ 408 Daneben existieren aber auch andere Interpretationen der Gruppe, nämlich nicht nur als Sinnbild einer unglücklichen Liebe, sondern auch im Sinne einer unrechten, unnatürlichen Liebe – und letztlich lässt auch die Szene bei Schiller offen, welches nun der vorrangige Grund für den aufgewühlten Gemütszustand des Don Carlos ist: die Tragik der unerfüllten Liebe oder die Unrechtmäßigkeit der Bruderliebe der Byblis.409 Oftmals wird der antike Begriff der kaunischen Liebe auch fälschlich verwendet für ein sprichwörtliches „unrechtes oder unnatürliches Liebesverhältnis“,410 im Sinne einer auf Gegenseitigkeit beruhenden tragischen Geschwis-

403 Winterberg 2010, o. S. Kat.-Nr. 19, P. A. v. Verschaffelt, Byblis schreibt an Caunos, Tuschfederzeichnung mit Rötel auf Bütten, 15,8 × 15,6 cm, bis 2010 Baden-Württembergische Privatsammlung, 1974 erworben im Stuttgarter Kunsthandel. 404 Vgl. Winterberg 2010, o. S. Kat.-Nr. 19; Reiss-Museum Mannheim 1976, 90 Nr. 72 i, o. Abb. 405 Ov. met. 9,515–527. 568–572. 406 Schiller erwähnt die Gruppe unter der Bezeichnung „Kaunus und Biblis“ in seinem 1785 publizierten „Brief eines reisenden Dänen“, in dem er dem Besuch des Mannheimer Antikensaales eine eigene Textpassage gewidmet hat. Er nennt die Gruppe dort „unter den besten Stücken in diesem Saal“, s. Schiller 1785, 182. 407 Schiering 1994, 49; vgl. Schiering 1990, 34. 408 Sitte 1934, 153; auch zitiert bei Schiering 1994, 49. 409 Auch Schiering bezeichnet das Thema einmal als „Darstellung der unrechten Liebe“ und einmal als „unglückliche Bruderliebe“, s. Schiering 1990, 34 bzw. Schiering 1994, 49. 410 Sitte 1934, 154; vgl. dazu auch Walter 1995, 242 Anm. 22.

3.7 Kaunos und Byblis

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terliebe. Dies deckt sich jedoch weder mit der Schilderung bei Ovid, noch ist dies in der Fede-Gruppe so dargestellt.411 Bis heute ist die Fede-Gruppe das einzige (zumindest großteils) antike Denkmal, das unter der Bezeichnung „Kaunos und Byblis“ firmiert. Und obwohl die Gruppe zu dieser Zeit zu den bekanntesten antiken Skulpturen gehörte, hat sie beispielsweise in den druckgraphischen Illustrationen des 17. Jhs. zu den Metamorphosen des Ovid keinen Nachhall gefunden.412 Das Abwehrmotiv an sich, mit dem so typischen Griff in das Haar der weiblichen Figur, findet sich jedoch durchaus in der nachantiken Kunst. So hat Francesco Albani (1578–1660) in seinem mythologischen Gemälde Salmacis und Hermaphroditus, das er um 1633 geschaffen haben soll, eine der FedeGruppe entsprechende Situation mit einer weiblichen, den Versuch einer innigen Umarmung ausführenden Figur, und einer männlichen, die sich dessen erwehrt, dargestellt.413 Zu der einen abwehrenden Hand und der anderen, die das Haar der weiblichen Figur gepackt hat, um sie wegzuziehen, kommt hier allerdings noch das Motiv eines gegen den Oberschenkel der weiblichen Figur gestemmten Fußes hinzu. Die motivischen Übereinstimmungen zwischen dem Gemälde Albanis und der FedeGruppe haben Walter dazu veranlasst, hier eine Abhängigkeit des Gemäldes von der Skulpturengruppe zu vermuten – mit weitreichenden Folgen für das Funddatum, das damit vor 1633 läge.414 Aber nicht nur, weil es sonst keinerlei Anhaltspunkte für eine so frühe Bekanntheit der Gruppe gibt, sondern viel mehr Indizien für ein Funddatum Anfang des 18. Jhs., ist ein solcher Zusammenhang unwahrscheinlich. Zahlreiche Beispiele in der nachantiken Kunst belegen, dass es nicht selten im Laufe der Jahrhunderte zur typologischen Verselbständigung, oder auch zur neuen „Nacherfindung“ von Motiven gekommen war, ohne dass eine unmittelbare Abhängigkeit des nachantiken Werkes von dem motivisch entsprechenden antiken „Ur“Bild bestanden hätte. Als Beispiel sei hier nur die Geburt der Venus von Botticelli (1485/86) genannt, die aufgrund ihrer Ähnlichkeit zweifellos in der Nachfolge der Venus Medici steht, die aber gleichwohl Botticelli nicht als direkte Vorlage gedient haben kann, da sie erst um 1550 gefunden wurde. Es handelt sich vielmehr um

411 Vgl. aber Walter 1997, 670: „In manchen Texten ist es Kaunos, der seine Schwester liebt und von ihr abgewiesen wird“. Ebd. auch Hinweis auf Zusammenstellung der literarischen Quellen zum Kaunos und Byblis-Mythos bei Bömer 1977, 411 f. 412 Walter 1995, 246 f. 413 Turin, Galleria Sabauda, Inv.-Nr. 498. – Walter 1995, 245 mit Taf. 56a. Er übernimmt die Entstehungszeit „um das Jahr 1633“ von Tietze 1907/1999, 176, der das Gemälde allerdings für eine Wiederholung zweier weiterer Pendants, ebenfalls in Turin, hielt, auf die sich die Jahresangabe bei Tietze a. O. eigentlich bezieht (Inv.-Nr. 492 bzw. 493). Puglisi 1999, 198 Nr. 120 Abb. 238 behandelt das Gemälde Inv.-Nr. 498 als den eigentlichen Prototypen und datiert dieses etwas später (1645–50) wegen der nur schwach modellierten nackten Figuren, der „brightly keyed palette“ und erkennbarer Werkstattbeteiligung, s. Puglisi 1999, 198. Van Schaack 1969, 306 f. Nr. 186 nannte als Entstehungszeit des Gemäldes „the mid-1630’s“. Zu den Schwächen der späteren Malweise Albanis s. a. Tietze 1907/1999, 176. 414 Vgl. Walter 1995, 245 f.

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3 Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm

eine Bildformel, die sich auf dem Wege zahlreicher Kopien und Nachahmungen der Medici-Venus weiterverbreitet und gleichsam verselbständigt hat, auch in der Zeit, in der die Venus Medici selbst nicht sichtbar war. Im Falle des Abwehrmotives der Fede-Gruppe, das als Motiv grundsätzlich schon in der antiken Kunst zu finden ist, dürfte dies nicht viel anders gewesen sein, auch wenn hier die Bezeichnungen der jeweiligen männlichen und weiblichen Figur variieren. Man kann vielleicht davon ausgehen, dass es LeGros war, der sich von dem, was von der antiken Gruppe bei Auffindung erhalten war, zu einer Ergänzung hat inspirieren lassen, die das seit der Antike immer wiederkehrende spezifische Abwehrmotiv aufnahm – wenn auch bis dato offenbar noch nicht als Darstellung von „Kaunos und Byblis“. Zudem hat LeGros, wie Bissell konstatiert, womöglich „auch den vorgefundenen Torso übergangen, um dem Werk einen homogenen Charakter zu verleihen und den eigenen Stil im antiken Werk zu verankern.“ 415 Dabei halte LeGros nicht nur „seinen persönlichen Stil nicht zurück“, sondern mache gar „das antike Werk zu seinem eigenen“.416 So erlaubt die Untersuchung der Kaunos und Byblis-Gruppe wie ihrer Wiederholungen auch die allgemeine Erkenntnis, dass das 18. Jh. offenbar mehr Wert auf die Wiedererkennbarkeit berühmter Vorbilder legte als auf das exakte Kopieren kleinster Details und hier jeder Künstler seinen Gestaltungsspielraum zu nutzen wusste. Außerdem hatte das 18. Jh. ganz offensichtlich eine Schwäche für das Sujet und die Tragik der unerfüllten Liebe – jedenfalls kaum weniger als für das der erfüllten.417

3.8 Die Sammlung Odescalchi (Kunstschätze aus dem Erbe der Königin Christina) Ein Sammlungskomplex, der in der Korrespondenz Johann Wilhelms mit seinem Residenten Fede in Rom breiten Raum einnimmt, sind die Kunstschätze aus dem Erbe der Königin Christina von Schweden, die später in die Sammlung Odescalchi Eingang finden sollten. Johann Wilhelm war persönlich mit der Königin bekannt gewesen. Seit ihrer Abdankung und ihrem Übertritt zur katholischen Kirche hatte sie in Rom residiert und den jungen Johann Wilhelm (Ende 1675 oder Anfang 1676) im Rahmen seiner Grand Tour empfangen.418 Nach ihrem Tod 1689 war ihr Nachlass zunächst an Kardinal Decio Azzolini, ihren langjährigen Berater, gegangen; dieser

415 Bissell 2003, 76. 416 Bissell 2003, 76 f. 417 Vgl. dazu auch die oben geschilderte Szene bei Schiller, Don Carlos, in der die Kaunos und Byblis-Gruppe als Sinnbild der unerfüllten, oder auch der „unrechten Liebe“ (Schiering 1990, 34) erscheint. 418 Kühn-Steinhausen 1958a, 31.

3.8 Die Sammlung Odescalchi (Kunstschätze aus dem Erbe der Königin Christina)

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starb jedoch bereits wenige Monate später und vererbte die Kunstschätze an seinen Neffen Pompeo Azzolini.419 Azzolini wiederum verkaufte alles an Don Livio Odescalchi, Herzog von Bracciano und Neffe Papst Innozenz’ XI. (1611–1689)420 Mit dem Tod Odescalchis 1713 erbte dann sein Neffe Baldassare Odescalchi die Sammlung,421 in den Briefen zwischen Fede und Johann Wilhelm oftmals nur als Herzog von Sirmio (= Syrmium) genannt. D. h. bis 1713 hatten die Verhandlungen über den Erwerb von Kunstgegenständen bzw. über die Erteilung einer Abformungserlaubnis für Stücke aus der Sammlung noch mit Don Livio Odescalchi stattgefunden, der offenbar ein schwierigerer Verhandlungspartner als sein Neffe gewesen war. So schreibt Fede einmal an den Kurfürsten, der Herzog von Sirmio habe bereits Anweisung gegeben, die Formen der sehr kostbaren Statuen, die sich in seiner berühmten Galerie befänden, anzufertigen, während „S. Don Livio ruhmreichen Andenkens nie eine solche Erlaubnis habe erteilen wollen“.422 Mannelli habe sich auch schon mit den anderen ihm unterstehenden Künstlern an die Arbeit gemacht. Bis dato war es nur zur Zusendung verschiedener Listen und Inventare der Sammlung gekommen, wobei die Initiative offenbar von Fede ausgegangen war, zunächst in Form der Zusendung eines Inventars der Gemälde der Königin von Schweden, weitere zu Wandteppichen („arazzi“) und Statuen sollten folgen. Ein Verzeichnis der Medaillen und Kameen und „anderer dem Studium der Antike zukommenden Dinge“ könne im Moment nicht erstellt werden, da diese beim Herzog unter Verschluss seien, der allerdings gerade in Mailand sei und den Schlüssel bei sich trage, so teilt Fede dem Kurfürsten mit.423 Allerdings hatte sich Johann Wilhelm zwei Jahre zuvor schon einmal nach dem Verbleib einer Serie von Papst-Medaillen aus dem Besitz der verstorbenen Königin von Schweden erkundigt („la serie di medaglie de’Pontefici“).424

419 Tipton 2006, 114. 420 Tipton 2006, 114. 421 Tipton 2006, 114 bezeichnet diesen – offenbar irrtümlich – als den Cousin des Don Livio; vgl. dagegen Levin 1911, 175 Anm. 1: „Baldassare Erba, Schwester- und Adoptivsohn des verstorbenen Odescalchi“, demnach also sein Neffe. Offenbar sorgte diese Entscheidung für einige Überraschung. So schreibt Fede am 9. September 1713: „Dem ganzen Hofe ist es unerwartet gekommen, dass der verstorbene Fürst nicht den Herrn Grafen Giovanni Borromei zum Erben eingesetzt hat, den Sohn seiner Schwester und daher ein näherer Verwandter als die Herren Erba, die ihm vorgezogen sind, aber er rechtfertigt diese Übergehung in seinem Testamente damit, dass er den Wunsch seines Oheims, des Papstes Innocenz XI. heiligsten Angedenkens zu achten habe.“ (hier zitiert nach Levin 1911, 42). Demnach hätte es sich allerdings nicht, wie Levin 1911, 175 Anm. 1 angibt (hier oben zitiert), um den Neffen Odescalchis gehandelt, sondern doch um einen etwas entfernteren Verwandten. 422 Q 720, Fede an Johann Wilhelm (15. September 1714). 423 Q 492, Fede an Johann Wilhelm (21. Dezember 1709). 424 Q 332, Johann Wilhelm an Fede (30. Juli 1707).

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Die Sammlung Christinas von Schweden ist außergewöhnlich oft Thema in den Briefen zwischen Fede und Johann Wilhelm, wobei das Gros der betreffenden Korrespondenz in das Jahr 1710 fällt.425 Hinzu kommen noch ein paar Briefe aus den Folgejahren. Verhandlungen mit dem älteren Odescalchi fanden jedoch nur bis 1710 statt, wobei es um die Originale der Sammlung ging. Auf die Zusendung des Gemälde-Inventars hin schreibt Johann Wilhelm am 11. Januar 1710 an Fede, er wolle noch abwarten, ob es ihm gelingen werde, ihm auch jenes von den Wandteppichen und den Statuen und den anderen kostbaren Sachen („preziose suppellettili“) aus der Sammlung Odescalchis zu schicken, um darüber die notwendigen Überlegungen anstellen zu können und ihn später seine genauesten Absichten wissen zu lassen.426 Bald darauf schreibt Fede, die Verzeichnisse der Statuen und der Wandteppiche des Don Livio Odescalchi seien sicher längst bei S. Kurf. D. eingetroffen. Auch sei es ihm geglückt, das Inventar der Medaillen, die im berühmten Museum desselben aufbewahrt würden, zu bekommen, und er werde sich so schnell wie möglich die Ehre geben, es ihm zu schicken. Er habe schon eine Abschrift davon in Auftrag gegeben, die jedoch, da sie sehr umfangreich sei, nicht rechtzeitig fertig geworden sei, um sie S. Kurf. D. bereits mit vorliegender Botschaft zuzusenden.427 Da der Herzog derzeit weit weg von Rom sei, und daher für Fede für Verhandlungen oder einen Vertragsabschluss im Dienste des Kurfürsten unerreichbar, möge S. Kurf. D. seinen Residenten in Mailand oder Venedig damit beauftragen, wo sich der Signore Don Livio gegenwärtig befinde, um bequemer mit ihm verhandeln zu können.428 Es gehe das Gerücht, dass auch der König von Preußen überlege, diesen edlen Kauf zu tätigen. Er wisse nicht, wie viel man darauf geben könne, aber um sich zu vergewissern, schreibe er noch diesen Abend an den Conte Galli, seinen Stallmeister und engsten Vertrauten. Bei Gleichheit des Gebotes wolle er sich, in Erinnerung an dessen Zusage, dafür einsetzen, dass der Signore Duca S. Kurf. D. niemandem, wer es auch sei, nachstelle.429 Der Papst [Clemens XI., Anm. E. S.], der inzwischen Wind davon bekommen habe, dass der König von Preußen den Abschluss des Vertrages betreibe, habe bereits unter Androhung der strengsten und härtesten Strafen die Ausfuhr der Gegenstände, ob teilweise oder als Ganzes, untersagen lassen, da er unter keinen Umständen eine derartige Ausfuhr gestatten werde, um die Stadt nicht so kostbarer Kunstschätze zu berauben. Daher würden sich auch die Rimessen sehr beträchtlicher Geldsummen, die die Königin von England [Königin Anna, Anm. Levin] bei hiesigen Kaufleuten 300 000 Scudi deponiert haben solle, um davon Gemälde, antike Statuen und ande-

425 Allein zwischen Januar und November 1710 sind dazu von den beiden mehrere Dutzend Briefe verfasst worden. 426 Q 495, Johann Wilhelm an Fede (11. Januar 1710). 427 Q 499, Fede an Johann Wilhelm (1. Februar 1710). 428 Q 505, Fede an Johann Wilhelm (1. März 1710). 429 Q 505, Fede an Johann Wilhelm (1. März 1710); Levin 1911, 37.

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re kostbare Sachen zu kaufen, als nutzlos erweisen.430 Er werde die Angelegenheit im Auge behalten und dann unternehmen, was ihm gestattet sei, um S. Kurf. D. wohl zu dienen auf seine fürsorgliche Antwort hin. Wenn der Herzog wieder in Rom sei, wolle er die Verhandlungen mit diesem fortsetzen. Gleichzeitig weist Fede den Kurfürsten aber immer wieder darauf hin, dass er diesbezüglich mit ganz erheblichen Schwierigkeiten rechne, sowohl wegen der ungeheuren Offerten, die von anderen gemacht würden, nun da der Signore Principe sich anschicke, sich von den genannten Gegenständen zu trennen, als auch wegen der Widerstände des Papstes, der schwerlich erlauben werde, dass so kostbare Gegenstände aus der hiesigen Hauptstadt entfernt werden.431 Der Herzog werde sicher nach seinem eigenen Vorteil entscheiden und sich nie entscheiden, auf so kostbare Einrichtungsgegenstände zu verzichten, wenn die Not ihn nicht zwinge.432 Der Kurfürst fragt noch einmal zurück, ob das Gerücht über den geplanten Kauf durch den König von Preußen bestand habe, wofür die Königin von England die beträchtlichen dorthin überwiesenen Summen benötige, wie auch, ob Seine Heiligkeit nicht das Verbot, die Gegenstände auszuführen, werde aufheben lassen.433 Wenn er alle Dinge nach seinem Wunsch erwerben könne, würde er insbesondere zuerst über die Gemälde verhandeln, dann über die Wandteppiche und danach auch über die Medaillen und Statuen.434 Inzwischen war Odescalchi wieder nach Rom zurückgekehrt. Von dessen engem Vertrauten, dem Conte Galli, habe er, Fede, erfahren, dass es bislang zwei Offerten gebe, vom König von Preußen und von König August,435 die genaue Höhe werde man ihm noch mitteilen und ebenso, ob auch die Königin von England um den Kauf konkurriere.436 S. Kurf. D. sehe also, dass es notwendig wäre, eine Spende zu leisten, entweder höher oder wenigstens gleich jener der zwei oben genannten Monarchen, um vorgezogen werden zu können, und dann glaube er, dass der Papst niemals die Erlaubnis erteilen werde, dass so bedeutende Dinge aus Rom ausgeführt werden, die vielleicht zu den majestätischsten und edelsten Zierden dieses Vaterlandes gehören. Dessen ungeachtet werde er mit seinen Bemühungen bei genanntem Fürsten fortfahren.437 Man fragt sich allerdings schon, welchem Ziel diese Verhandlungen dienen

430 Q 505, Fede an Johann Wilhelm (1. März 1710); Levin 1911, 37. 431 Q 506, Fede an Johann Wilhelm (8. März 1710); Q 507, Fede an Johann Wilhelm (15. März 1710); Q 510, Fede an Johann Wilhelm (29. März 1710). 432 Q 510, Fede an Johann Wilhelm (29. März 1710). 433 Q 509, Johann Wilhelm an Fede (22. März 1710). 434 Q 512, Johann Wilhelm an Fede (5. April 1710). 435 Levin 1911, 38 Anm. 2: „August II., König von Polen, Kurfürst von Sachsen“. 436 Q 514, Fede an Johann Wilhelm (12. April 1710); Levin 1911, 38. 437 Q 514, Fede an Johann Wilhelm (12. April 1710). Bereits an anderer Stelle hatte Fede betont, um konkurrenzfähig zu sein, sei es notwendig, in Rom eine ganz erhebliche Summe an Bargeld vorlegen zu können: „aver pronta alla mano una soma esorbitantissima di danaro“, s. Q 510, Fede an Johann Wilhelm (29. März 1710). Vgl. dazu auch Q 515, Fede an Johann Wilhelm (26. April 1710); Q 517, Fede an Johann Wilhelm (10. Mai 1710).

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sollten, wo doch nach Fedes eigenem Bekunden eine Ausfuhrgenehmigung des Papstes offenbar ohnehin unerreichbar war. Auch der Kurfürst wird manches Mal seine Stirn gerunzelt haben über seinen römischen Residenten.438 Vielleicht muss man das Ganze aber einfach aus dem Bemühen Fedes heraus verstehen, dem Kurfürsten gegenüber den Wert und die Attraktivität der zum Verkauf stehenden Sammlung zu verdeutlichen, indem er nicht nur namhafte fürstliche Konkurrenz um deren Kauf auffuhr, sondern auch das Interesse des Papstes an den Kunstschätzen hervorhob, der diese für die Ewige Stadt erhalten wolle. Vielleicht dachte er aber auch daran, welche Meriten er sich verdienen könnte, sollte das Geschäft einschließlich der Exportgenehmigung allen Schwierigkeiten zum Trotz tatsächlich zustande kommen, denn dann hätte er quasi das Unmögliche möglich gemacht. Die Korrespondenz der Folgemonate war geprägt von den zunehmenden Zweifeln des Kurfürsten an der Glaubhaftigkeit der ihm zugetragenen Informationen439 und den Beteuerungen seines römischen Residenten, dass doch alles mit rechten Dingen zugehe, und dessen Eintreten für die Integrität seines Informanten Galli.440 Dabei ging es insbesondere um die Höhe der angeblich von anderen gemachten Offerten für den Kauf der Kostbarkeiten aus der Sammlung der ehemaligen Königin von Schweden. Angeblich strebte Odescalchi außerdem einen beträchtlichen Großgrundbesitz in der Lombardei an,441 was Johann Wilhelm nicht verstehen konnte angesichts seiner finanziellen Lage, und ob dieser nicht um seinen Ruf besorgt sei, wenn er ganz erhebliche Summen an Bargeld für den Verkauf der genannten Sachen fordere unter dem trügerischen Vorwand („specioso pretesto“), dass es viele Interessenten gebe, wo doch allbekannt sei, dass er sich seit vielen Jahren in derartiger Knappheit befinde und die Gläubiger immer abspeise mit der angeblich geplanten Veräußerung dieser Dinge.442 Dagegen betont Fede, Galli werde gewiss alles Mögliche tun, um den Vertrag zum Kauf der Einrichtungsgegenstände des Signore Duca di Sirmio zu unterstützen, welcher gewiss bei gleicher Offerte immer S. Kurf. D. jedem anderen vorziehen werde. Hingegen könnte der Vertrag von dessen Gläubigern verhindern werden, wenn nicht eine beträchtliche Summe Bargeld vorliege, da diese aus dem Erlös ihre Forderungen beglichen sehen wollten.443 Doch der Kurfürst hat weiter seine Zweifel, ob tatsächlich von anderen so große Offerten gemacht worden seien, zumal in Bargeld, und das trotz der strengen Verbote, die Gegenstände auszuführen.444 Dass der Conte Galli nicht habe herausfinden können, welches die

438 In der Korrespondenz der beiden ist in der Tat an einigen Stellen eine gewisse Verwirrung und teilweise auch eine leichte Ungehaltenheit aufseiten des Kurfürsten spürbar, der nicht zu Unrecht ein ums andere Mal empfand, dass Fede sich gerne mal selbst widersprach. 439 Johann Wilhelm an Fede (3. Mai 1710), zitiert bei Levin 1911, 39 (nicht bei Tipton 2006). 440 Q 520, Fede an Johann Wilhelm (24. Mai 1710). 441 Q 515, Fede an Johann Wilhelm (26. April 1710). 442 Q 518, Johann Wilhelm an Fede (17. Mai 1710); Levin 1911, 39. 443 Q 520, Fede an Johann Wilhelm (24. Mai 1710); Levin 1911, 39. 444 Q 522, Johann Wilhelm an Fede (31. Mai 1710); Levin 1911, 39.

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Fürsten seien, von denen dem Duca di Sirmio so große Offerten gemacht worden seien, bestätige ihn in dem Glauben, dass diese nur vermeintlich exorbitant seien, in Wirklichkeit seien dies lediglich die Summen, die man glauben machen wolle, für die bewussten Einrichtungsgegenstände zu verlangen.445 Um dennoch in Verhandlungen zu treten, werde es gut sein, dass er einen festgesetzten Preis dafür erfrage, im Übrigen möge er sich danach richten, was der Vescovo di Spiga ihm darüber noch schreiben werde.446 Allerdings müsse man sichergehen können, dass die behaupteten Offerten, die die bewussten Fürsten für die Einrichtungsgegenstände des S. D. Livio gemacht hätten, keine Erfindung seien, um den Preis hochzutreiben, denn er habe nahezu untrügliche Bestätigungen, dass man weder in Berlin noch in London im Traum an den Ankauf denke.447 Zeitgleich schreibt Fede noch einmal an den Kurfürsten, dass Odescalchi den Conte Galli zu ihm geschickt habe, um sich nach den höchsten Beschlüssen S. Kurf. D. die bewussten Einrichtungsgegenstände betreffend zu erkundigen. Bei dieser Gelegenheit habe dieser ihm erneut versichert, dass es viele große Persönlichkeiten gebe, die sehr vorteilhafte Offerten machten, um damit den Kauf zu versuchen, darunter insbesondere einige gekrönte Häupter. Er habe ein Gesuch an den Conte gerichtet, ihm die Forderungen seines Herrn für die genannten Einrichtungsgegenstände im Einzelnen zu offenbaren, deren Aufstellung er S. Kurf. D. mit einem der nächsten Briefe schicken werde.448 Er wiederholt auch noch einmal die Notwendigkeit, vor Ort Bargeld bereitzuhalten. Eine Woche später übersendet Fede Johann Wilhelm das Antwortschreiben des Grafen Galli aus Montalto im Original, aus welchem der Kurfürst die ganz exorbitanten Forderungen werde erkennen können, die der Duca di Sirmio in Bezug auf die Preise seiner bewussten Einrichtungsgegenstände habe. Und er bitte S. Kurf. D. untertänigst, ihm darüber seine verehrteste Meinung mitzuteilen, damit er dementsprechend seine Erwiderungen werde ausrichten können.449 In dem mitgesandten Schreiben Gallis berichtet dieser, noch einmal mit seinem Herrn Rücksprache gehalten zu haben, wobei er aber davon abgesehen habe, diesem „von dem Inhalt des Kurfürstlichen Schreibens Mitteilung zu machen“ (womit sicher die argwöhnenden Töne des Kurfürsten gemeint waren), sondern diesem vielmehr dessen nach wie vor bestehende Kaufabsicht kundgetan habe und „dass der Graf Fede um Angabe des

445 Q 527, Johann Wilhelm an Fede (19. Juni 1710); Levin 1911 41 (19. Juli 1710). 446 Q 527, Johann Wilhelm an Fede (19. Juni 1710); Levin 1911 41 (19. Juli 1710). 447 Q 528, Johann Wilhelm an Fede (21. Juni 1710); Levin 1911, 39. 448 Q 529, Fede an Johann Wilhelm (21. Juni 1710); Levin 1911, 39: „Im übrigen die alten, bis zur Ermüdung breit getretenen Versicherungen von den Offerten vieler gekrönter Häupter und der Ruf nach barem Geld.“ 449 Q 532, Fede an Johann Wilhelm (28. Juni 1710). Das mitgeschickte Schreiben des Grafen Galli im Wortlaut zitiert bei Levin 1911, 39 f.; Q 547, Graf Luigi Galli aus Montalto an Fede (27. Juni (August) 1710).

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Preises bitte, damit der Vertrag auf eine sichere Basis gestellt werden könnte“.450 Bezüglich der Zahlungsbedingungen habe der Herzog sich mit der Annahme eines Wechsels einverstanden erklärt, jedoch habe er sich „vergeblich bemüht, über etwaige neue Kaufanerbietungen etwas zu erfahren“. Dem Schreiben Gallis ist eine sehr ausführliche „Instruction“ beigefügt, nach der der Kurfürst zu unterrichten sei.451 Darin heißt es, wenige Monate nach dem Kauf der Sammlung der Medaillen durch den Herzog sei allein für diese eine Summe von 80 000 Scudi geboten worden. Dabei handele es sich „nach dem Urteil aller Reisenden und künstlerischen Sachverständigen (…) um die bedeutendste Sammlung, die ihnen zu Gesicht gekommen ist“. In Bezug auf die „Arazzi oder Tapeten“ führt Galli aus, eine Serie davon bestünde aus „zwölf Stücken nach Raphael, von sehr großen Dimensionen und einem ganz außerordentlichen Reichtum an Gold“ und reiche zur Ausstattung von drei Sälen aus.452 Schon zu Lebzeiten seien der Königin von Schweden 50 000 Louis d’Or dafür geboten worden mit der Klausel, dass sie sich an diesen bis an ihr Lebensende erfreuen dürfe, aber das Angebot sei abgelehnt worden. Auch dem Herzog habe man wiederholt Angebote dafür gemacht. Von England aus seien diesem 600 000 Scudi für die Gemäldegalerie, das Medaillen-Kabinett und sämtliche Tapeten in Goldwirkerei geboten worden. Von den Statuen und anderen Stücken in Marmor sei bisher nicht die Rede gewesen, „da sie dem Stoffe nach zu schwer beweglich sind“. Um die aktuellen Verhandlungen um die übrigen Kunstgegenstände nicht zu erschweren, solle derzeit auch nicht darüber diskutiert werden. Sollte der Kurfürst aber auch an diesen interessiert sein, „so müsse das späteren Verhandlungen vorbehalten bleiben und eine Auswahl des Wertvollsten erfolgen“. Für die vier besonders wertvollen Einzelstücke der Gemäldesammlung, drei von Correggio und eines von Raffael, habe Frankreich der schwedischen Königin 50 000 Scudi pro Stück geboten. Einzeln angeboten wäre für diese also ein viel höherer Preis zu erzielen als beim Gesamtverkauf. Allerdings räumt Galli ein, dass der Herzog für die Kunstgegenstände keinen so hohen Preis bezahlt habe. Dieser habe dem Vermittler „ein großes Geschenk gemacht, um den Abschluß des Vertrages zu erleichtern und auch die Geheimhaltung zu erreichen“, da im Falle eines „Bekanntwerdens eines solchen Verkaufsangebots die Zahl der Konkurrenten den Preis erheblich gesteigert“ hätte. Er nennt auch noch zusätzliche Kosten, die der Herzog angelegentlich des Kaufes habe tragen müssen, dazu die Miete für den Palazzo della Longara, in dem die gekauften Gegenstände untergebracht worden seien. Zudem läge „das beim Ankauf aufgewendete Geld seit zwanzig und mehr Jahren zinslos“. Abschließend stellt Galli

450 Zitiert nach Levin 1911, 39 f. 451 Ebenfalls im Wortlaut zitiert bei Levin 1911, 40 f.; Q 547, Graf Luigi Galli aus Montalto an Fede (27. Juni (August) 1710). 452 Vgl. dazu die Raffael-Gobelins in der Kunstakademie München, für die grafische Reproduktionen von Raffaels Fresken in den Vatikanischen Stanzen als Vorlage gedient haben. Diese sind jedoch nicht identisch mit der hier genannten Bildteppich-Serie, da erst zwischen 1730 und 1737 entstanden, s. Krems 2004.

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in Aussicht, „der bevorstehende Friede wird manch einem zu Reichtum verhelfen, der jetzt in Geldverlegenheiten steckt“, offenbar als Hinweis auf zu erwartende noch zunehmende Konkurrenz um den Ankauf der Sammlung. Deshalb habe er es für angebracht gehalten, ihm alles ordnungsgemäß darzulegen, und erwarte darüber eine abschließende Antwort.453 Mit Schreiben vom 12. Juli 1710 berichtet Fede, er habe bei einer erneuten Unterredung mit Galli diesem die Zweifel des Kurfürsten anvertraut, dass man an den Höfen von Berlin und London und denen anderer Fürsten nicht darüber nachdenke, diesen Kauf zu tätigen, worauf dieser ihn beschwichtigt habe, vielleicht sei Fede nicht genügend darüber unterrichtet.454 Jedenfalls betont Fede darauf gegenüber dem Kurfürsten, er wisse, dass der Signore Don Livio ein würdiger Neffe Innozenz’ XI. heiligen Angedenkens sei, und der Conte Galli sei sein alter aufrichtiger Freund. Er könne wohl glauben, dass beide auf ihren Vorteil bedacht seien, aber niemals werde er davon überzeugt sein, dass sie sich ihn auf anderem Wege als dem der Ehrenhaftigkeit verschaffen wollten, immer weit entfernt von jeder Unwahrheit und Täuschung. Der Conte habe ihm anvertraut, dass Odescalchi sich von den sehr kostbaren Dingen trennen werde, um seine Gläubiger zufrieden zu stellen, dabei aber keinen Verlust machen wolle und nichts unter Wert verkaufen. Er habe den Signore Conte gebeten, ihm schriftlich die Forderungen seines Fürsten zu spezifizieren. Da es sich um große Summen und so hochstehende Persönlichkeiten handle, halte er es für gut, sich nicht auf das Mündliche allein zu verlassen, damit es nicht zu Missverständnissen komme. Deshalb werde Galli auf einem Blatt den Preis angeben, den man für alles verlange, wie auch die Vergünstigungen, die S. Kurf. D. gewährt werden könnten. Mit den folgenden Briefen werde er dieses S. Kurf. D. zusenden, damit dieser dann seine höchsten Beschlüsse fassen könne. Bereits eine Woche darauf schickt Fede dem Kurfürsten die angekündigte Aufstellung, nicht ohne noch einmal die Aufrichtigkeit und Ehrenhaftigkeit Odescalchis, wie auch seines vertrauten Freundes Galli zu betonen. In der Anlage sendet er ihm das ausgesprochen umfangreiche Originalschreiben des Conte Galli.455 Aus diesem gehe hervor, dass die Anfragen sich auf sechshunderttausend Scudi beliefen. Galli selbst berichtet darin Fede, der Herzog habe nie vorgehabt, die Raritäten zu verkaufen, vielmehr sei er immer weit davon entfernt gewesen. Er schreibt recht unkonkret, die Offerte von sechshunderttausend Scudi sei dem Herzog von einem Gesandten („da un ministro“) gemacht worden. Er habe jedoch nicht in Verhandlungen treten wollen, ehe er nicht die Beschlüsse Seiner Durchlaucht gehört hätte. Die Einrichtungsgegenstände seien eigentlich nicht zum Verkauf bestimmt gewesen, man sei nur auf den Wunsch S. Kurf. D. eingegangen. Er werde sich nur davon trennen für eine Summe, die seine Zinsen begleiche, und eher werde er sich dazu

453 Wörtliche Zitate dieses Abschnitts nach Levin 1911, 40 f. 454 Q 538, Fede an Johann Wilhelm (12. Juli 1710); Levin 1911, 41. 455 Q 542, Fede an Johann Wilhelm (19. Juli 1710); Levin 1911, 41.

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entschließen, irgendwelche Immobilien zu verkaufen als die Möbelstücke („li mobile“) ohne die gebührenden Vorteile, denn diese seien sein Vergnügen („divertimento“). Er betont noch einmal den Wert und die Schönheit der Wandteppiche („arazzi“). Die Statuen könnten nicht unter diesen Vertrag fallen, da man sie nicht ohne vorherige Betrachtung schicken könne. Wenn S. Kurf. D. dies wünsche, werde es besser sein sich zu gedulden und das Seltenste und Transportabelste herauszusuchen. Er wäre nochmals persönlich vorbeigekommen, doch habe er es für besser gehalten, ihm (Fede) das Ergebnis des Gespräches schriftlich mitzuteilen, nach welchem er sich werde richten können, um an S. Kurf. D. zu schreiben.456 Da er von Johann Wilhelm zunächst keine Antwort in Bezug auf dessen Beschlüsse zum Sammlungsankauf erhält, hakt Fede am 23. August 1710 noch einmal nach: Er werde der Mitteilung, die er ihm vom Conte Galli gesandt habe, die Forderungen des Signore D. Livio für den Verkauf seiner kostbaren Einrichtungsgegenstände entnommen haben und die Standhaftigkeit, mit der er ihm versichere, dass es sich nicht um leere Offerten handele. Für andere könne er nicht bürgen, aber er könne Seiner Durchlaucht wohl versichern, dass er ihm immer das dargestellt habe, was ihm gesagt worden sei und geschrieben, mit der ihm eigenen Unschuld, und dass er getan habe, so viel ihm möglich gewesen sei, um den genannten Fürsten dazu zu bewegen, seine Forderungen herunterzuschrauben. Er werde also abwarten, dass S. Kurf. D. ihm gütigerweise seine Meinung andeute, damit er entweder den Vertrag schließen oder auflösen könne, wie dies auch der Sig. Don Livio wünsche, um die Freiheit zu haben, seine Maßnahmen ergreifen zu können.457 Die Erwiderung des Kurfürsten darauf fällt recht knapp aus: Bezüglich der Forderungen des Sig. D. Livio Odescalchi für den Verkauf der bekannten Einrichtungsgegenstände werde er ihm schnellstmöglich seine Beschlüsse bekannt geben.458 Eine Woche später ergänzt er, er wünsche die Offerten im Einzelnen zu erfahren, von denen der Conte Galli versichere, sie würden seinem Herrn dem Fürsten gemacht für die Statuen, die Medaillen und die Wandteppiche, und von wem.459 Am 29. September 1710 teilt Fede dem Kurfürsten nach einem neuerlichen Gespräch mit Galli mit, bezüglich der Gemälde bestünde keine Hoffnung, dass der Sig. Duca seine Forderungen herabsetze. Im Hinblick auf die Statuen, die Medaillen und die goldenen Wandteppiche könne es hingegen sein, dass er mit der geforderten Summe herunterginge, wenn man ein konkretes Angebot des Kurfürsten unterbreite.460 Er kündigt an, Galli wolle ihm in der kommenden Woche genauer die vorgelegten Angebote bekannt geben. An dieser Stelle erscheint bei Levin ein Schreiben Johann Wilhelms an den Bischof von Spiga, den er in dieser Angelegenheit um Rat fragt. „Inzwischen werde

456 457 458 459 460

Q 542, Fede an Johann Wilhelm (19. Juli 1710); Levin 1911, 41. Q 546, Fede an Johann Wilhelm (23. August 1710). Q 548, Johann Wilhelm an Fede (12. September 1710); Levin 1911, 41. Q 549, Johann Wilhelm an Fede (20. September 1710); Levin 1911, 41 f. Q 552, Fede an Johann Wilhelm (29. September 1710); Levin 1911, 42.

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[er] dem Grafen Fede nicht weitere Ordre erteilen und bei Beantwortung seiner Briefe den Gegenstand überhaupt nicht berühren, solange Ew. Hochwürden es angezeigt befinden.“ 461 Nun macht Fede etwas mehr Druck: Der Sig. D. Livio Odescalchi sei ihm im Hinblick auf den Kauf der bewussten Einrichtungsgegenstände mehrfach durch positive Beschlüsse entgegengekommen, nun wünsche er, entweder den Vertrag darüber zu schließen oder freigelassen zu werden, denn er sei an das bereits gegebene Wort gebunden, bei gleicher Offerte Seine Durchlaucht immer jedem anderen vorzuziehen. Also bitte er ihn, ihm darüber seine höchsten Ansichten anzuvertrauen.462 Doch auch Johann Wilhelm bleibt hartnäckig: Wenn der Principe Don Livio es eilig habe, seine Absichten bezüglich seiner Einrichtungsgegenstände zu erfahren, täte er auch gut daran, seine Neugier zu stillen in Bezug auf die Personen, von denen man beanspruche, mit ihm um deren Kauf zu konkurrieren.463 Nahezu ein halbes Jahr hören wir nichts mehr von der Angelegenheit, doch im Mai 1711 erkundigt sich der Kurfürst dann doch noch einmal nach der Sammlung Odescalchi, über die er von Fede zwischenzeitlich nichts mehr erfahren habe. Er habe gehört, es bestünde ein „päpstliches Ausfuhrverbot für Rom“, und er wolle gerne wissen, ob bei Zustandekommen des Kaufes dadurch Schwierigkeiten zu erwarten wären.464 Fede erklärt daraufhin, in der Angelegenheit die „mobili“ des Principe D. Livio betreffend gebe es nichts Neues. Er habe diesbezüglich keine weiteren Schritte unternommen, um zuerst die höchsten Beschlüsse S. Kurf. D. abzuwarten über die Offerte, die gemacht werden solle.465 Zum Ausfuhrverbot des Papstes berichtet er, bereits per Edikt aller vergangenen Päpste sei die Ausfuhr so kostbarer und seltener Einrichtungsgegenstände aus Rom verboten worden, werde aber nun, zur Zeit des regierenden Papstes, mit besonderer Strenge beachtet, sowohl weil Seine Heiligkeit ein besonderer Liebhaber derartiger Raritäten sei, als auch weil diese Stadt bereits so edler Schmuckstücke beraubt worden sei. Allerdings glaube er, dass, wenn S. Kurf. D. sich auf den Kauf derselben einigen würde, sein großes Ansehen den Straferlass („indulto“) für ihre Ausfuhr doch begünstigen könnte. Diesbezüglich könne er nichts versprechen, auch wenn er ihm so eine besondere Gnade wünsche und dazu beitrage, was immer ihm möglich sei. Erst mehr als zwei Jahre später, am 9. September 1713, nimmt Fede die Angelegenheit wieder auf, nachdem Odescalchi inzwischen gestorben war und Baldassare Erba als Universalerben eingesetzt hatte.466 Fede erlaubt sich den Hinweis, es werde nun wohl sicher große Konkurrenz um den Kauf der sehr kostbaren Einrichtungs-

461 Levin 1911, 42 (Schreiben Johann Wilhelms aus Bensberg vom 28. Oktober 1710), nicht bei Tipton 2006. 462 Q 553, Fede an Johann Wilhelm (8. November 1710). 463 Q 557, Johann Wilhelm an Fede (30. November 1710); Levin 1911, 42. 464 Johann Wilhelm an Fede (9. Mai 1711), zitiert bei Levin 1911, 42 (nicht bei Tipton 2006). 465 Q 563, Fede an Johann Wilhelm (30. Mai 1711). 466 Q 651, Fede an Johann Wilhelm (9. September 1713); Levin 1911, 42 f.; 175 Anm. 1.

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gegenstände geben, die sich in seiner Erbschaft befänden, besonders der Gemälde, für die der Verstorbene den Preis von dreihunderttausend Scudi abgelehnt habe, die ihm die Königin von England geboten habe, und der König von Polen habe in Prag Seiner Eminenz Albani erzählt, dass, als er ersucht habe, diese zu kaufen, der Signor Don Livio gewagt habe, als Preis die ganze Provinz Holstein zu verlangen.467 In seinem Reskript äußert sich Johann Wilhelm überrascht über den Tod des Fürsten Don Livio, zumal Fede ihn nicht über dessen Leiden benachrichtigt habe, obwohl er doch gewusst habe, dass er vorgehabt habe, mit ihm wegen seiner Galerie zu verhandeln, und dass man bei dieser Gelegenheit das Geschäft hätte abschließen können.468 Fede kontert, der Signore Don Livio sei ganz überraschend gestorben, als er sich eigentlich gerade auf dem Wege der Besserung befunden habe. Und es wäre völlig unpassend gewesen, mit ihm über den Verkauf seiner Bilder zu sprechen, als es ihm schlecht ging. Er dürfe S. Kurf. D. auch nicht verschweigen, dass, wenn man weder einen derartigen Vertrag habe aufstellen noch abschließen können, als er gesund war, man das noch viel weniger hätte bewirken können, als er schwer krank war. Vielmehr müsse er sagen, dass seine Forderungen so exorbitant waren, dass sie keine angemessene Offerte zuließen.469 Noch einmal erzählt Fede die Anekdote von der ungeheuerlichen Forderung an den König von Polen, die dieser damit abgeschmettert habe, dass entweder der Sig. Don Livio verrückt sei, oder dass er wohl ihn für verrückt halte. Er bitte S. Kurf. D. daher untertänigst, überzeugt zu bleiben, dass, wenn er die Gelegenheit gehabt hätte, ihm auch in dieser Angelegenheit zu dienen, er es mit seiner treuesten Aufmerksamkeit getan hätte. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch ein Auszug aus dem Testament des Don Livio Odescalchi, der als Anlage einem Brief Fedes an Cosimo III. beigefügt war.470 Darin führte Odescalchi noch einmal auf, welche Kostbarkeiten sich in seinem Besitz befanden und unter ausschließlich welchen Bedingungen sein Erbe diese verkaufen dürfe. Dazu gehörten die von der Königin von Schweden erworbenen Gemälde, Wandteppiche, Medaillen und Statuen, außerdem Kameen, Intaglien und antike Bronzen, Kanonen, Waffensammlungen und Silberwaren. Außerdem wünsche er, dass, wenn zum Zeitpunkt seines Todes insbesondere die goldenen Wandteppiche der genannten Königin von Schweden und sein Schmuck noch verpfändet seien, sein Erbe sie wiedererlange mithilfe der Erträge der geerbten Güter. Er erlau-

467 Levin 1911, 43 Anm. 1: „Der geographische Begriff war wohl Fede nicht recht klar. Daß aber in dem Briefe Olsazia und nicht Alsazia steht, ist außer Zweifel.“ Tipton 2006, 307, Q 651, transkribiert dagegen „Alsazia (?)“. 468 Q 659, Johann Wilhelm aus Bensberg an Fede (10. Oktober 1713); Levin 1911, 43 (1. Oktober 1713). 469 Q 621, Fede an Johann Wilhelm (21. Oktober 1712). Das Schreiben ist identisch mit Q 661, Fede an Johann Wilhelm (21. Oktober 1713), das aus inhaltlichen Gründen das korrekte Entstehungsjahr tragen muss. Vgl. auch Levin 1911, 43 (21. Oktober 1713). 470 Q 657, Auszug aus dem Testament des Don Livio Odescalchi, Anlage zu einem Brief Fedes an Cosimo III. in Florenz (30. September 1713).

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be den Verkauf der genannten Stücke nur zu einem höchst vorteilhaften Preis, und auch nur entweder zu einträglichen Beschäftigungen („impieghi fruttiferi“) oder zur Zierde, wie für einen Palast oder „giardini nobili“, und er wünsche nicht, dass man sie veruntreue, um Schulden zu bezahlen oder andere Erfordernisse. Zu einer Wiederaufnahme der Gespräche kam es dann erst wieder 1714 mit dem Erben Odescalchis, Baldassare Erba, dem neuen Herzog von Sirmio. In einem Schreiben Fedes an Johann Wilhelm vom 30. Juni 1714 regt dieser an, der Kurfürst möchte doch den Signore Marchese Erba, der sich in Wien befinde, um eine Abformerlaubnis für Mannelli für die kostbarsten Statuen der Sammlung Odescalchi bitten.471 Nun ging es also nicht mehr um die Originalsammlung, sondern um Abformgenehmigungen für Abgüsse. Später sollte dann aber durchaus auch noch einmal der Verkauf der kostbaren Einrichtungsgegenstände („i suoi preziosissimi arredi“) Thema sein. Der Herzog stand offenbar inzwischen unter größerem finanziellem Druck, der ihn dazu zwang, sich von Kunst- und Einrichtungsgegenständen zu trennen – der Duca di Bracciano müsse seine Gläubiger auszahlen, wie Fede berichtet.472 In diesem Schreiben zählt dieser auch noch einmal sehr ausführlich die zu erwerbenden Kunstgegenstände auf und nennt darunter auch explizit eine Reihe kostbarer Gemälde.473 Außerdem weist er auch noch einmal auf die Sammlung der Gemmen und Kameen hin. Seine Majestät der König von Polen habe dem Herzog bereits die Summe von dreihunderttausend Scudi für die Einrichtungsgegenstände geboten. Johann Wilhelm musste verzichten. In einem Schreiben vom 7. April 1715 verweist er auf die Umstände des soeben beendeten Krieges, die ihn zu außergewöhnlichen Kostenaufwendungen verpflichtet hätten, auch könne er sich nicht zur Ausgabe einer so großen Summe auf einmal entschließen.474 Fede möge daher der Angelegenheit ihren Lauf lassen, ohne in größere Verpflichtungen zu treten. Der Kurfürst behielt sich jedoch vor, die Angelegenheit zu geeigneterer Zeit wieder aufzunehmen, falls der Verkauf bis dahin nicht erfolgt sein sollte. Am 27. April 1715 bestätigt Fede, er werde gemäß den herrschaftlichen Geboten S. Kurf. D. nicht in den Verkauf der sehr kostbaren Ausstattung des Hauses Odescalchi eingreifen, da die unheilvollen Zeiten („tempi calamitosi“) es bis jetzt der Staatskasse S. Kurf. D. nicht gestatteten, sich eine so große Ausgabe aufzubürden.475 Die Gemälde gingen

471 Q 693, Fede an Johann Wilhelm (30. Juni 1714). 472 Q 746, Fede an Johann Wilhelm (1. April 1715). Damit war also genau der Fall eingetreten, den Don Livio Odescalchi in seinem Testament als von ihm unerwünscht geschildert hatte – der Verkauf der Kunstgegenstände aus der Not heraus, um Schulden zu begleichen. Dass auch er selbst mitunter in finanziellen Engpässen gesteckt hatte, zeigt die Tatsache, dass er seinem Testament zufolge ebenfalls einige Dinge hatte verpfänden müssen. 473 Darunter zahlreiche Werke von Rubens, Correggio (Antonio da Correggio), Paolo Veronese (Paolo Cagliari), Raffael und Tizian. 474 Q 747, Johann Wilhelm an Fede (7. April 1715); Levin 1911, 45. 475 Q 750, Fede an Johann Wilhelm (27. April 1715).

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3 Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm

schließlich (1721) nach Paris an Philippe II., Duc d’Orléans, den Regenten von Frankreich.476 Die Skulpturensammlung wurde 1724 an Philipp V. nach Madrid verkauft. Erfolgreicher als bei den Bemühungen um die Ausstattungsgegenstände und Originale war Johann Wilhelm hingegen beim Erwerb von Statuenkopien, d. h. Abgüssen, aus der ehemaligen Sammlung der Königin von Schweden, darunter die Gruppe „Castor und Pollux“ (sog. Ildefonso-Gruppe) und der „Satyr mit dem Böckchen“. Bereits 1709 hatte Fede einem Schreiben an den Kurfürsten eine umfangreiche Liste der im Besitze des Statuarius Francesco Arnaldi befindlichen AbgussFormen beigefügt.477 In einem ergänzenden, ebenfalls mitgesandten „Verzeichnis der Formen, die man von anderen haben könnte“ waren dann auch „Castor und Pollux“ sowie der „Satyr mit dem Böckchen“ genannt.478 Später wurden die Stücke dann aber augenscheinlich von seinem Kollegen Gennaro Mannelli geliefert (s. u.). Bereits einem Schreiben Fedes an Johann Wilhelm vom 19. November 1712 hatte ein Verzeichnis Mannellis beigelegen, in dem ebenfalls „Castor und Pollux“ sowie der „Satyr mit dem Böckchen“ genannt waren.479 Allerdings verfügte Mannelli zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht über Formen der genannten Statuen, und ebenso wenig über eine Abformgenehmigung für dieselben. Sein handschriftliches Verzeichnis listete lediglich die „figure più celebre di Roma“ auf, darunter den Satyr und „Castor und Pollux“, „heute Don Livio Odescalchi gehörend“, der eine solche Erlaubnis dann bekanntlich zunächst verweigern sollte.480 Demnach hatte auch Arnaldi einige Jahre zuvor noch etwas zu viel versprochen. Das von Mannelli vorgelegte Verzeichnis diente dazu, von Johann Wilhelm die Genehmigung zur Anfertigung von Formen der aufgelisteten Statuen einzuholen, im Sinne einer Bestellung. Dieser äußerte sich daraufhin mit allen genannten Stücken einverstanden und bat um rasche Inangriffnahme der entsprechenden Formen.481 Erst einem zwei Jahre später abgefassten Brief Fedes jedoch sollte dann eine handschriftliche Mitteilung Mannellis beiliegen, fünf Statuen der Gallerie Odescalchi seien fertig, darunter der genannte Satyr, außerdem ein „Tolomeo“, eine „Dea Clizia“ sowie zwei Venusstatuen. Die Gruppe von „Castor und Pollux“ ebenso wie der „Alesandro“ seien noch in Arbeit.482 Dabei handelte es sich jeweils um die For-

476 Tipton 2006, 115. Angeblich war es auch ein Problem, dass der Besitzer nicht bereit war, einzelne Werke zu verkaufen, s. Tipton 2006, 114. 477 Q 452, Fede an Johann Wilhelm (3. August 1709; Levin 1911, 165: 3. September 1709). 478 Darin wörtlich genannt als „Il Castore e Polluce della Reggina“ bzw. „Il Satiro che porta la Capra su le spalle della Regina“. 479 Q 623, Fede an Johann Wilhelm (19. November 1712). 480 Die Abformgenehmigung erteilte erst Baldassare Erba, der Erbe Odescalchis, während „S. Don Livio ruhmreichen Andenkens nie eine solche Erlaubnis habe erteilen wollen“, s. Q 720, Fede an Johann Wilhelm (15. September 1714). 481 Q 624, Johann Wilhelm an Fede (11. Dezember 1712). 482 Q 725, Fede an Johann Wilhelm (20. Oktober 1714). Das Blatt Mannellis ist heute augenscheinlich verloren, oder zumindest nicht mehr dem Schreiben beiliegend, dem es ursprünglich ange-

3.8 Die Sammlung Odescalchi (Kunstschätze aus dem Erbe der Königin Christina)

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men der Skulpturen: Fede schreibt explizit „i cavi grossi della singolarissima galleria Odescalchi“. Mannelli stellte einen Abschluss der Arbeiten bis Ende November in Aussicht. Die in dieser Mitteilung von Mannelli aufgeführten Stücke erscheinen später sämtlich im Inventar von 1731, jeweils mit der Angabe „della Regina di Suezia“.483 Hinzu kommen dort, ebenfalls aus dem Besitz der schwedischen Königin, noch eine weitere Venusstatue, ein Faun und ein weiterer Satyr, deren Abgüsse offenbar zu einem späteren Zeitpunkt angefertigt wurden.484 Im Vorfeld hatte Johann Wilhelm persönlich an den Herzog von Sirmio in Wien geschrieben und ihn um Erteilung einer Abformgenehmigung für die in der Galleria Odescalchi befindlichen Statuen an seinen für ihn in Rom tätigen Abformer gebeten und darum, „dass, wenn er geruhe, seinem Gesuch zuzustimmen, er jenen Personen einen Wink geben möge, die die Galerie betreuten.“ 485 Bereits kurz darauf, mit Antwortschreiben vom 8. August 1714, hatte Baldassare Odescalchi dem Kurfürsten mitgeteilt, er habe bereits de Romanis, seinem Minister in Rom, befohlen, seinem Abformer freien Zugang zur Galerie zu gewähren, um dort in aller Ruhe die Formen jener Statuen anzufertigen, die am meisten zum Wohlgefallen Seiner Kurfürstlichen Durchlaucht sein würden.486 Freudig übermittelte Johann Wilhelm Fede diese neue Wendung und kündigte an, im Hinblick auf die Abformungserlaubnis für den Marc Aurel und die Trajanssäule ebenfalls selbst an den Papst zu schreiben, sollte Fede in seinen nächsten Briefen keine entsprechende Bestätigung schicken.487 Am selben Tag verfasste er auch noch ein überschwängliches Dankesschreiben an den Herzog für seine Liebenswürdigkeit, in Rom den Befehl zu geben, damit es seinem Künstler gestattet sei, die schönsten Statuen seiner Sammlung („della di Lei galleria“) abzuformen.488 Am 20. Oktober 1714 vermeldet Fede, das Schiff sei in Rom eingetroffen, mit dem auch sonst die Kisten mit den zu Diensten S. Kurf. D. angefertigten Formen nach Livorno transportiert worden seien, weshalb es auch jene an Bord nehmen werde, die bereits in großer Zahl im großen Hof und den Loggien („loggiate“) seines

hängt war, deshalb bei Tipton 2006 nicht genannt. Allerdings überliefert Levin dessen Inhalt, s. Levin 1911, 178. Genannt werden darin: „Il Tolomeo, il fauno che porta la capretta, la Venere che sta in atto di sciugarsi [sich abzutrocknen, Anm. Levin], la Dea Clizia e l’altra Venere greca.“ Dazu kommen (noch nicht abgeschlossen): „L’Alesandro et il Castore e Polluccie“. Bei dem „Alesandro“ handelte es sich dem Inventar von 1731 zufolge um eine Büste Alexanders des Großen (heute in Madrid?), der „Tolomeo“ scheint bislang noch nicht eindeutig zugeordnet, das Inventar von 1731 verrät aber zumindest so viel, dass es sich um eine Statue von 7 Fuß Höhe und nicht um eine Büste handelte. 483 Inv. 1731, Nr. 30; Nr. 31 (oder 29?); Nr. 35; Nr. 37; Nr. 49; Nr. 52; Nr. 60, s. Braun 1984, 26–28. 484 Inv. 1731, Nr. 29 oder Nr. 31 (Venus); Nr. 34 (Faun); Nr. 41 (Satyr), s. Braun 1984, 26 f. 485 Q 701, Johann Wilhelm an den Herzog von Sirmio (22. Juli 1714). 486 Q 706, Baldassare Odescalchi, Herzog von Sirmio, aus Wien an Johann Wilhelm (8. August 1714). 487 Q 712, Johann Wilhelm an Fede (26. August 1714); Levin 1911, 176. 488 Q 713, Johann Wilhelm an den Herzog von Sirmio (26. August 1714).

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3 Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm

Palazzo bereitstünden, insbesondere auch jene mit den fertiggestellten Formen der ganz einzigartigen Galleria Odescalchi.489 Eine Woche später berichtet er, die Kisten mit den bewussten Arbeiten würden nunmehr verladen, aber das sehr regnerische Wetter sei dabei hinderlich, im Übrigen füllten allein die in den letzten Tagen aus der Galleria Odescalchi gewonnenen Werke mehrere Räume im Erdgeschoss seines Palazzo.490 Am 8. Dezember 1714 schreibt Fede an den Kurfürsten, nicht nur die Kisten mit den beschriebenen Formen seien verschifft worden, sondern auch die anderen würden schnellstmöglich verladen, da Gennaro Mannelli mit seiner üblichen Sorgfalt und Aufmerksamkeit alle Arbeiten der Galerie des Don Livio Odescalchi ruhmreichen Andenkens abgeschlossen habe, die gewiss eine der Hauptzierden der königlichen Galerie S. Kurf. D. sein würden, nicht nur durch die einzigartige Schönheit der Statuen, sondern auch weil anderen nicht gestattet worden sei, davon Formen oder Zeichnungen anzufertigen wegen der strengen Eifersucht, mit der sie gehütet worden seien von jenem Herrn – wie dies gewiss auch sein Erbe machen werde, sobald er sie gesehen habe. Daher habe der Kurfürst sehr gut daran getan, ihn um eine solche Erlaubnis zu bitten, ehe er einen Fuß nach Rom gesetzt habe.491 Sie erwarteten jetzt und mit besonderer Ungeduld die Nachricht, dass die erste Sendung der Kisten glücklich in Holland eingetroffen sei, da es nunmehr scheine, dass eine angemessene Zeit vergangen sei, um eine so lange Reise zurückzulegen. Am 30. Dezember 1714 schreibt Johann Wilhelm zurück, er werde nun das Eintreffen der versandten Formen erwarten, das ebenso glücklich sein möge wie bei den bereits aus Livorno angekommenen „Statuen, Formen, Scagliola und anderen Dingen“.492 Unterdessen bat Fede den Kurfürsten noch einmal um finanzielle Unterstützung für Mannelli, der sich in „qualche angustia“ befinde, und damit für seinen Unterhalt zu sorgen. Eine entsprechende Eingabe Mannellis habe er beigefügt.493 Woraufhin ihm Johann Wilhelm bald darauf mitteilte, über die Bittschrift des Gennaro Mannelli werde er wohlwollenden Beschluss fassen.494 Die ausstehende Sendung muss dann vor dem 17. Februar 1715 in Holland eingetroffen sein, denn Johann Wilhelm berichtet, er habe Nachricht von der glücklichen Ankunft der Sendung dort erhalten.495 Am 9. März 1715 schreibt Fede, er danke dem Herrgott und er danke S. Kurf. D. für den großen Trost, dass die Kisten endlich in Holland angekommen seien, allerdings fürchte Mannelli zu Recht, dass der Inhalt leiden könnte, wenn sie ohne seine Hilfe geöffnet würden, weshalb er S. Kurf. D.

489 Q 725, Fede an Johann Wilhelm (20. Oktober 1714); Levin 1911, 178. 490 Q 726, Fede an Johann Wilhelm (27. Oktober 1714). 491 Q 734, Fede an Johann Wilhelm (8. Dezember 1714). 492 Q 739, Johann Wilhelm an Fede (30. Dezember 1714). 493 Q 738, Fede an Johann Wilhelm (29. Dezember 1714). 494 Q 742, Johann Wilhelm an Fede (20. Januar 1715). 495 Levin 1911, 179. Dieses Schreiben scheint nicht mehr bei den Akten zu sein und fehlt bei Tipton 2006.

3.8 Die Sammlung Odescalchi (Kunstschätze aus dem Erbe der Königin Christina)

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untertänigst bitte, sich herabzulassen, den Befehl zu geben, dass sie nicht geöffnet werden, ehe dieser nicht bei S. Kurf. D. eintreffe (Fede schreibt: „ai piedi di V. A. E.“), was in wenigen Monaten erfolgen werde.496 Am 23. März 1715 berichtet Fede, Mannelli sei am Vortag noch für einige Tage nach Neapel gereist, um sich von seiner Familie (in Salerno) zu verabschieden. Unterdessen würden noch große Mengen („molte migliaia“) an Scagliola in Rom erwartet, die Mannelli mit den anderen verbliebenen Kisten mit Formen verladen werde, und dann werde er sich rasch zu S. Kurf. D. begeben, um die Ehre zu haben, letzte Hand an alle seine tugendhaften Bemühungen zu legen, die die Königliche Akademie S. Kurf. D. gewiss in der ganzen Welt berühmt machen würden.497 Nach nur 15 Monaten in Düsseldorf hatte der Kurfürst Mannelli noch einmal nach Italien zurückgeschickt, um dort weitere Formen und Material für die kurfürstliche Abguss-Sammlung zu besorgen. Drei Jahre sollte er dort bleiben und dann noch einmal „mit reichem Ertrage“ an den Rhein zurückkehren.498 Am 17. August 1715 berichtet Fede, Mannelli habe nunmehr die letzte Sendung von Kisten mit allen benötigten Formen und Materialien nach Livorno verladen, wobei er, Fede, nicht versäumt habe, sich für die schnellste und sicherste Versendung nach Livorno einzusetzen. Mannelli werde in einigen Tagen seine Reise an diesen Durchlauchtigsten Kurfürstlichen Hof antreten.499 Auf dem Weg nach Düsseldorf sollte Mannelli noch Zwischenstation am Hofe Cosimos III., dem Schwiegervater Johann Wilhelms, in Florenz machen und diesem auch ein von der Kurfürstin bei Benedetto Luti in Auftrag gegebenes Gemälde, das dieser endlich fertiggestellt hatte, zeigen. Mannelli werde bestätigen können, dass er mit dem genannten Künstler viele Auseinandersetzungen („molti contrasti“) gehabt habe, um dessen Vollendung zu erreichen.500 Am 14. September 1715 teilt Fede dem Kurfürsten mit, Gennaro Mannelli sei Donnerstag früh von dieser erhabenen Stadt abgereist, um an Seinen Durchlauchtigsten Kurfürstlichen Hofe zu kommen und seine Arbeit zu versehen, nachdem er seiner Reise alle notwendigen Materialien mit großer Aufmerksamkeit habe vorausgehen lassen. Auch habe er (Fede) es nicht unterlassen, zu allem Gewünschten beizutragen, wobei er ihm auch alle Briefe mitgegeben habe und alle anderen Papiere, die für das Glück und die Eile seiner Reise nützlich sein könnten.501 Am 3. November 1715 schließlich kann Johann Wilhelm vermelden, Mannelli sei dieser Tage in Düsseldorf eingetroffen und lobe sehr den Beistand, den Fede ihm in jeder Hinsicht geleistet habe, wofür ihm der Kurfürst seinen Dank erweist.502

496 497 498 499 500 501 502

Q 744, Fede an Johann Wilhelm (9. März 1715). Q 745, Fede an Johann Wilhelm (23. März 1715); Levin 1911, 179. Levin 1911, 179. Q 754, Fede an Johann Wilhelm (17. August 1715). Q 755, Fede an Cosimo III. in Florenz (14. September 1715). Q 756, Fede an Johann Wilhelm (14. September 1715). Q 760, Johann Wilhelm an Fede (3. November 1715).

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3 Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm

3.9 Die Trunkene Alte – ein antikes Original in der Düsseldorfer Sammlung Erwerbungsgeschichte Gemeinsam mit den Formen der Statuen, die Mannelli in der Galleria Odescalchi abgeformt hatte, wurde die Statue der Trunkenen Alten im Oktober 1714 nach Düsseldorf verschifft (Abb. 17).503 Sie war das einzige antike Marmororiginal, das sich in der Sammlung Johann Wilhelms in Düsseldorf befand, wobei es sich um eine römische Kopie des 1. Jhs. n. Chr. nach einem Original der hellenistischen Zeit handelt (spätes 3. Jh. v. Chr.).504 Ihren Rufnamen als „Trunkene Alte“ verdankt die Statue ihrer Identifikation mit einem bereits in der Antike berühmten Originalwerk, der anus ebria, von der Plinius d. Ä. berichtet.505 Demnach handelte es sich um eine in Smyrna aufgestellte Marmorstatue eines Künstlers namens Myron, wobei dieser aufgrund der späten Entstehung der Statue jedoch allenfalls ein Namensvetter des berühmten Erzgießers gewesen sein kann.506 Man hat sich mit der Übersetzung des Begriffes ebria als ‚trunken‘ im Allgemeinen auf eine Deutung des Zustandes der Figur als alkoholisiert festgelegt, wobei der Begriff möglicherweise auch ‚berauscht‘ im weiteren Sinne meinen könnte – eine Frage, auf die im Folgenden bei der genaueren Interpretation des Werkes noch einzugehen sein wird. Im Inventar von 1731 erscheint die Statue unter der Bezeichnung „La Statua di Marmo della vechia sacrificante 3 ½ Fues“ inmitten der Auflistung der in der Sammlung vorhandenen Abgüsse.507 Genannt ist sie im selben Inventar-Verzeichnis, zwei Seiten vor der Abguss-Liste, auch noch einmal unter den nach Mannheim zu transferierenden großplastischen Skulpturen, wobei es sich bei ihr um die einzige Antike zu handeln scheint. Bezeichnet ist sie dort als „Ein altes weib, so eine antiquität undt von Rom kommen, 3 ½ fues hoch undt 3 breith“.508 Es erstaunt nicht, dass die Eingruppierung der einzigen großplastischen Antike der Sammlung in die Verzeichnisse nicht ganz einfach war. So erscheint sie eben zweimal: sowohl unter den Antiken-Abgüssen als auch unter den (ansonsten offenbar ausschließlich modernen) großplastischen Skulpturen. Das ältere Inventar von 1716 nennt die Trunkene Alte unter der Bezeichnung „alte sacrificant von Marmor“.509 Dieses Verzeichnis gibt die damalige Aufstellung

503 Q 725, Fede an Johann Wilhelm (20. Oktober 1714). 504 Zanker 1989, 13. 15. 505 Plin. nat. 36,32. 506 Furtwängler 1910, 389. 507 Inv. 1731, Nr. 18, s. Braun 1984, 25. 508 Karlsruhe, GLA, Pfalz-Generalia, 77/3895; Stupperich – Kunze 2007, 128 f. mit Abb. 11 (R. Stupperich). 509 Hofmann 1982, 362 f. nach Klapheck 1919, 136 f. Anlage IV.

3.9 Die Trunkene Alte – ein antikes Original in der Düsseldorfer Sammlung

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Abb. 17: Sog. Trunkene Alte, München, Glyptothek, Inv.-Nr. 437.

der Gipsabgüsse im unteren Teil des Galeriegebäudes wieder, demnach hatte die Statue der Trunkenen Alten ihren Platz dort inmitten der Reihe der Abgüsse. Aus Düsseldorf gelangte sie später nach Mannheim und 1803 in die Münchner Resi-

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3 Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm

denz.510 Heute ist die Trunkene Alte in der Glyptothek in München zu sehen.511 Eine etwas jüngere Replik der Statue befindet sich heute im Kapitolinischen Museum in Rom (ergänzt nach dem Exemplar in München, das als einziges den Kopf der alten Frau überliefert) (Abb. 18).512 Zur Zeit Johann Wilhelms befand sich die Statue im Besitz des Kardinals und Papstnepoten Pietro Ottoboni (1667–1740), den Fede um die Erlaubnis bat, von dieser einen Abguss herstellen zu dürfen (1714).513 Doch Ottoboni beließ es nicht bei der Abformungserlaubnis, sondern ließ Fede völlig unerwartet gleich die Statue selbst ins Haus bringen, mit der Bitte, diese in seinem Namen als Geschenk an Kurfürst Johann Wilhelm nach Düsseldorf zu schicken, was Fede mit dem nächsten geeigneten Schiff auch tat.514 Weit weniger überraschend erscheint dieses Vorgehen jedoch, wenn man bedenkt, dass Ottoboni offenbar weniger eine Leidenschaft für das Sammeln von Antiken besessen zu haben scheint, sondern diese vielmehr bevorzugt als prestigeträchtige Geschenk- und Tauschobjekte im Rahmen diplomatischer Beziehungen einzusetzen pflegte.515 Mit der Anfrage Fedes um einen Abguss der Trunkenen Alten war für Ottoboni der passende Adressat für diese Antike gefunden. Die Statue der Trunkenen Alten war bereits damals berühmt und galt als eine der bedeutendsten Antiken Roms. Entsprechend war sie in dem 1704 erschienenen Stichwerk Raccolta di Statue antiche e moderne (Domenico de Rossi – Paolo Alessandro Maffei) abgebildet (Abb. 19).516 So schreibt auch Fede an Johann Wilhelm, dass 510 Furtwängler 1910, 387; Zanker 1989, 8. Christ 1864, 24 nennt zwei, möglicherweise heute nicht mehr erhaltene, Verzeichnisse über den Transport von Kunstwerken von Mannheim nach München im Jahr 1803, in denen explizit die Statue der Trunkenen Alten (dort bezeichnet als „sitzende Bacchantin“) genannt ist. Zum etwaigen Verbleib der genannten Verzeichnisse s. Stupperich 2006, 450 mit Anm. 35. 511 München, Glyptothek, Inv.-Nr. 437. 512 Rom, Mus. Capitolini, Inv.-Nr. 299; Furtwängler 1910, 387–389 Nr. 437; Meyer 1992, 51. 53. Zanker 1989, 13 gibt an, die Ergänzung der Replik im Kapitolinischen Museum nach der besser erhaltenen Münchner Replik sei im 17. Jh. erfolgt, was aufgrund des Funddatums wahrscheinlich ist, allerdings scheint es dazu keine exakten Belege zu geben. Dazu im Folgenden genauer. 513 Q 688, Fede an Johann Wilhelm (13. oder 23. Juni 1714); Levin 1906, 162 f. (23. Juni 1714). – Q 693, Fede an Johann Wilhelm (30. Juni 1714); Levin 1906, 163 (30. Juni 1714). – Zur Person Ottobonis und seiner Rolle als Förderer der Künste, und darunter insbesondere der Musik und des Theaters, s. Matitti 1997, 202–204. Der Kardinal bewohnte den Palazzo della Cancelleria. 514 Q 688, Fede an Johann Wilhelm (13. oder 23. Juni 1714); Levin 1906, 162 f. (23. Juni 1714). – Q 725, Fede an Johann Wilhelm (20. Oktober 1714); Levin 1911, 178. 515 Matitti 1997, 217 mit einigen Beispielen für diese Praxis. Zum Geschenk einer Statue des Apoll für Ludwig XIV. durch Ottoboni s. u. sowie Matitti 1997, 210–213. Oftmals liegen die Hintergründe dieser Vorgänge jedoch im Dunkeln, da offenkundig bisweilen zur Ausfuhr der Gegenstände auf die Genehmigung des Papstes „verzichtet“ wurde, s. Matitti 1997, 217. Dies erschwert die Rekonstruktion der ehemals im Besitz Ottobonis befindlichen Bestände und die Klärung des weiteren Verbleibs der Stücke. 516 D. de Rossi – P. A. Maffei, Raccolta di Statue antiche e moderne (Rom 1704) = de Rossi – Maffei 1704, 95 f. Taf. CIII („Statua di Sacerdotessa di Bacco nella Galleria del Cardinal Otthoboni“).

3.9 Die Trunkene Alte – ein antikes Original in der Düsseldorfer Sammlung

Abb. 18: Replik der sog. Trunkenen Alten, Rom, Musei Capitolini, Inv.-Nr. 299.

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3 Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm

Abb. 19: Stich der sog. Trunkenen Alten München, de Rossi – Maffei 1704, Taf. 103 („Statua di Sacerdotessa di Bacco nella Galleria del Cardinal Otthoboni“).

3.9 Die Trunkene Alte – ein antikes Original in der Düsseldorfer Sammlung

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die Statue „si trova stampata tra le più famose di quest’alma città“.517 Und auch das Vorhandensein zweier großplastischer Wiederholungen der Statue spricht für ihre Bedeutung. Es ist häufig vermutet worden, dass sich auch die zweite Kopie der Statue, jene Replik, die heute im Kapitolinischen Museum in Rom zu sehen ist, im Besitz Ottobonis befand.518 Am Anfang steht dabei der Museumskatalog des Museo Capitolino von G. G. Bottari aus dem Jahr 1755, in dem es heißt, die dort vorhandene „Trunkene Alte“ entstamme dem Besitz des Kardinals Ottoboni.519 Mit ziemlicher Sicherheit beruht diese Verknüpfung, die in der Folge immer wieder wiederholt worden ist, jedoch auf der irrtümlichen Identifizierung des kapitolinischen Exemplars mit der bei de Rossi – Maffei abgebildeten „Trunkenen Alten“, die dort als im Besitz Ottobonis befindlich bezeichnet ist.520 Dem Verfasser des Museumskataloges dürfte einzig die kapitolinische Trunkene Alte bekannt gewesen sein, wohingegen die Replik der Glyptothek München Rom schon vor mehr als vierzig Jahren Richtung Düsseldorf verlassen hatte und sich inzwischen bereits in Mannheim befand. Verständlich daher seine Annahme, der Stich bei de Rossi – Maffei zeige das kapitolinische Exemplar („ne fu pubblicata la stampa dal Maffei“).521 Zudem waren die Unterschiede der Zeichnung Maffei zur kapitolinischen Alten nicht so groß, dass nicht auch diese dargestellt gewesen sein konnte, zumal insbesondere der Kopf nach der Münchner Alten ergänzt war und diese außerdem zum direkten Vergleich nicht mehr zur Verfügung stand. Der kopienkritische Abgleich des Stiches mit beiden Repliken zeigt jedoch eindeutig, dass dort das Münchner Exemplar abgebildet ist.522 Es gibt also im 517 Q 693, Fede an Johann Wilhelm (30. Juni 1714). 518 Rom, Mus. Capitolini, Inv. Nr. 299; Meyer 1992, 51 mit Anm. 5; 52 f. Als gesichert gelten Fundort und -jahr dieser Replik (1620 in der Umgebung von S. Agnese an der Via Nomentana) und dass diese mit anderen rundplastischen Werken vom selben Fundort zunächst in den Palazzo Verospi gelangte, später (zwischen 1730 und 1740) dann in das Museo Capitolino, s. Meyer 1992, 51 mit Anm. 3. 5. 6. Fraglich ist lediglich, ob sie zwischenzeitlich noch in die Sammlung Ottobonis gelangt sein könnte, dazu s. u. 519 Matitti 1997, 210; Bottari 1755, 80: „Fu posseduta dalla famiglia Verospi, siccome viene asserito nell’Indice del presente Museo Capitolino. Passò poi nel dominio del cardinale Ottobuoni, la cui galleria adornava; quando ne fu pubblicata la stampa dal Maffei finalmente passò nel nostro Museo.“ Im Wortlaut übernommen im späteren Museumskatalog von 1821, s. Bottari – Foggini 1821, 229. Auch der irrtümliche Verweis auf Taf. 36, auf der die Trunkene Alte zu sehen sein soll, stammt bereits aus dem Katalog von Bottari 1755, 79. In beiden Ausgaben ist die Trunkene Alte tatsächlich auf Taf. 37 abgebildet. 520 Vgl. de Rossi – Maffei 1704, 95 f. Taf. CIII („Statua di Sacerdotessa di Bacco nella Galleria del Cardinal Otthoboni“). Dieser Sachverhalt wurde bereits treffend dargestellt von Furtwängler 1910, 389; vgl. Meyer 1992, 51 mit Anm. 9. 521 Bottari 1755, 79 f.; Bottari – Foggini 1821, 227. 229. 522 So auch schon Christ 1864, 42; vgl. Meyer 1992, 52 f. Die von Meyer a. O. dennoch konstatierten marginalen Übereinstimmungen, die der Stich einzig mit der kapitolinischen Replik teilt und die seiner Ansicht nach belegen, dass „dem Illustrator beide Statuen bekannt und zugänglich gewesen sein müssen“, sind m. E. nicht so greifbar und charakteristisch, dass sie nicht eine Zutat des Kupferstechers gewesen sein könnten. Bei genauer Betrachtung handelt es sich nämlich im Wesentlichen

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3 Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm

Grunde gar keine wirklich stichhaltigen Anhaltspunkte für die Annahme, Ottoboni habe beide Repliken der Trunkenen Alten besessen, auch wenn diese Vermutung immer wieder aufgegriffen und häufig als plausibel erscheinende Erklärung für die Schenkung des Münchner Exemplares an den Düsseldorfer Kurfürsten angeführt wurde.523 Festzuhalten bleibt dabei vor allem, dass die Verbindung der kapitolinischen Replik der Trunkenen Alten mit der Person Ottobonis überhaupt erstmals im genannten Katalog des Museo Capitolino von 1755524 hergestellt wird – und in Anlehnung daran in den späteren Beschreibungen des Museums wiederholt wurde –, während der „Indice“ des Museums, ebenso wie das 1750 erschienene Verzeichnis des Museums davon nichts wissen und einzig die Familie Verospi als vormalige Besitzerin nennen.525 Die maßgebliche Quelle zur Beantwortung der Frage, ob das kapitolinische Exemplar der Trunkenen Alten aus der Sammlung der Verospi zwischenzeitlich noch in den Besitz des Kardinals Ottoboni gelangte, bevor es schlussendlich in das Kapitolinische Museum kam, bilden jedoch die tagebuchartigen Aufzeichnungen des Marchese Alessandro Gregorio Capponi (1683–1746), des ersten „presidente antiquario“ des Museo Capitolino, der darin die sammlungsgeschichtliche Entwicklung seines Hauses zwischen den Jahren 1733–1746 beleuchtet.526 Daraus geht hervor, dass sich die Statue der Trunkenen Alten bis zum Jahr 1738 im Besitze der Familie Verospi befand und von dort direkt in das Kapitolinische Museum gelangte.527 Damit ist

lediglich um die Angabe zusätzlicher Falten in Bereichen, die an der Münchner Replik „flach und stark vernachlässigt“ (Meyer 1992, 53 mit Abb. 11), also wenig ausgearbeitet sind. Dagegen sind konkretere Unterschiede wie ein weiterer Ring am Zeigefinger der kapitolinischen Alten nicht in den Stich übernommen. Zur Anzahl der Korymben auf der Schulter des Gefäßes (in München drei, in Rom vier) erlaubt der Stich keine Aussage. Da bekannt ist, dass sich beide Repliken derzeit in Rom befanden, liefert die Frage, ob dem Stecher beide Repliken bekannt gewesen sind oder nicht ohnehin keine wesentlich neuen Erkenntnisse. Ein greifbarer Anhaltspunkt, ob sich beide im Besitz Ottobonis befanden, scheint sich daraus jedenfalls nicht zu ergeben. 523 Vgl. Meyer 1992, 53; Stupperich 1999, 337; Stupperich 2003, 62; Stupperich 2006, 452; Uebel 2007, 125. Die bloße Tatsache, dass es – so wurde zumindest bislang angenommen – rein technisch möglich wäre, dass sich die kapitolinische Replik der Trunkenen Alten zwischen der Sammlung der Familie Verospi, die als Vorbesitzerin gesichert ist, und dem Museo Capitolino noch im Besitze Ottobonis befunden haben könnte, reicht m. E. für eine solche Hypothese nicht aus. 524 Meyer 1992, 51 mit Anm. 5 nennt in diesem Zusammenhang einzig den deutlich späteren Katalog von Bottari – Foggini 1821 anstelle des Museumskataloges aus dem Jahr 1755, aus dem die maßgebliche Textpassage wörtlich übernommen ist, s. Bottari 1755, 80. Dies ist jedoch ganz wesentlich für die Frage, wann die irrtümliche Verknüpfung der kapitolinischen Trunkenen Alten mit der Person Ottobonis aufkam. 525 Vgl. Furtwängler 1910, 389; Bottari 1755, 80; Bottari – Foggini 1821, 229. 526 Rom, Archivio Storico Capitolino, Archivio Cardelli, Bd. 47 (Signatur: Miscellanea II serie, vol. 111) = Capponi 1733–1746, zur Trunkenen Alten s. dort fol. 62–64. Die Aufzeichnungen Capponis liegen seit einigen Jahren auch in publizierter Form vor, s. Franceschini – Vernesi 2005. 527 Franceschini – Vernesi 2005, 97; Matitti 1997, 210 mit Anm. 87. Demnach wurde die Trunkene Alte im September 1738 zum Preis von 400 Scudi zusammen mit einigen anderen Stücken für das Kapitolinische Museum erworben, nachdem Capponi diese einen Monat zuvor gemeinsam mit

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die Annahme, Ottoboni hätte beide Repliken besessen, ebenso eindeutig widerlegt wie die darauf aufbauende These, bei der Schenkung der Trunkenen Alten an den Kurfürsten könne das Vorhandensein einer zweiten Replik im Besitze Ottobonis irgendeine Rolle gespielt haben. Bevor Fede die Statue der Trunkenen Alten nach Düsseldorf schickte, sandte er einen Kupferstich davon an Johann Wilhelm („l’immagine impressa della medesima“). Diesen habe ihm ebenfalls Ottoboni übergeben, damit der Kurfürst sich dadurch im Voraus des Wertes und der Kunstfertigkeit des Werkes erfreuen könne.528 Johann Wilhelm bedankt sich gleich nach dessen Erhalt für den Kupferstich, aus dem er die schöne Erwerbung ersehe, die dank des großzügigen Entgegenkommens des Kardinals Ottoboni der hiesigen Galerie zukommen werde.529 Es ist angenommen worden, der Kardinal habe nicht nur ein Bild der von ihm geschenkten Statue an den Kurfürsten gesandt, sondern das gesamte o. g. Stichwerk von de Rossi – Maffei, von dem sich ein Exemplar aus dem Besitz des Kurfürsten in der Tat noch heute in der Bayerischen Staatsbibliothek in München befindet, was allerdings mit diesem Vorgang nichts zu tun haben muss.530 Insbesondere liefern die hier genannten diesbezüglichen Briefe zwischen Fede und Johann Wilhelm dafür keinerlei Anhaltspunkte. So bedankt sich der Kurfürst ausdrücklich für den Kupferstich der Statue („la stampa della statua“).531 Von der Zusendung einer gesamten Buchpublikation ist keine Rede. Zum Aufbau seiner Sammlung bemühte sich Johann Wilhelm gleichwohl um Abgüsse aller Kunstwerke, die zu dieser Zeit zum Kanon der berühmtesten Antiken gehörten, so wie ihn die Raccolta di Statue von de Rossi – Maffei wiedergibt, d. h. noch ohne die Funde von Pompeji und Herculaneum oder aus der Villa Hadriana.532 Es stellt sich die Frage, ob Johann Wilhelm bereits zu Beginn seiner Sammeltätigkeit im Besitz des Kataloges von de Rossi – Maffei gewesen sein könnte, anhand dessen er dann möglicherweise Abgüsse bestellt hätte. Sollte ihm die Stichpublikation erst als Geschenk Ottobonis im Jahr 1714 zugegangen sein, hätte dies mit dem frühen Sammlungsaufbau allerdings nichts mehr zu tun, denn die erste Bestellung des Kurfürsten datiert bereits in das Jahr 1707.533 Ähnlich wie mit dem Geschenk der Trunkenen Alten war Ottoboni im Übrigen auch mit einer Statue des Apoll, die er 1709 Ludwig XIV. schenkte, verfahren – auch

Domenico Campiglia in der Casa Verospi in Augenschein genommen hatte, s. Capponi 1733–1746, f. 62 und f. 63; Franceschini – Vernesi 2005, 97 f. mit Anm. 265. Zur Trunkenen Alten schreibt Capponi 1733–1746, f. 63: „la sacerdotessa di Bacco, alla quale è stata rifatta la testa e le braccia“, d. h. sie war zu diesem Zeitpunkt bereits ergänzt. 528 Q 699, Fede an Johann Wilhelm (21. Juli 1714). 529 Q 709, Johann Wilhelm an Fede (12. August 1714). 530 Vgl. Tipton 2006, 119. 531 Q 709, Johann Wilhelm an Fede (12. August 1714). 532 Offizieller Beginn der Ausgrabungen in Pompeji 1748, in Herculaneum ab 1738. 533 Q 337, Johann Wilhelm an Fede (3. September 1707); Levin 1911, 153 f. (30. September 1707).

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3 Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm

in diesem Fall sandte er zunächst nur eine Abbildung der Statue.534 Auch wenn es sich dabei um einen Stich gehandelt haben dürfte, der auch in der Publikation von de Rossi – Maffei enthalten war,535 schickte er ihm offenkundig auch diesmal lediglich das eine Bild und nicht den ganzen Katalog.536 Dabei gelangte die Statue zunächst in die Académie de France in Rom, da der Transport nach Frankreich zu der Zeit als kriegsbedingt zu riskant betrachtet wurde, erreichte den französischen Hof dann aber mit einigen Jahren Verspätung im Jahr 1715.537 Die Ausfuhrgenehmigung des Papstes für den Apoll war bereits 1709 erteilt worden.538 Das Geschenk der Trunkenen Alten an den Kurfürsten ist im Rahmen eines weitergehenden Geschenkaustausches zwischen diesem und dem Kardinal Ottoboni zu verstehen, beide sammelten Kunst, und Fede war dabei als Vermittler tätig.539 Ottoboni schenkte Johann Wilhelm aber auch eine Reliquie („Corpo Santo“) des San Giustino in einem mit Silber verzierten Kästchen, ein Vorgang, der in der Korrespondenz zwischen Fede und dem Kurfürsten mehrfach Erwähnung fand.540 Die Reliquie sollte Agostino Steffani (1654–1728), einer der berühmtesten Komponisten seiner Zeit, Diplomat, katholischer Titularbischof und außerdem „eine der hervorragendsten Vertrauenspersonen am Hofe Johann Wilhelms“,541 auf seiner Reise nach Düsseldorf mitnehmen,542 damit auf diese Weise der Corpo Santo mit aller Würde und größter Sicherheit („con più decoro e con maggior sicurezza“) in die Hände des Kurfürsten gelangte.543

534 Matitti 1997, 212 mit Abb. 16. 535 de Rossi – Maffei 1704, 95 Taf. CII. Die Statue ist dort explizit bezeichnet als „Statua d’Apollo nella Galleria del Cardinal Ottoboni“. 536 Dies die Annahme von Tipton 2006, 121; vgl. dagegen Matitti 1997, 212. 537 Matitti 1997, 212 f. Die Statue des Apoll scheint verschollen und ist möglicherweise während der Französischen Revolution verloren gegangen, s. Matitti 1997, 213. 538 Matitti 1997, 211 f. 539 Levin 1906, 160. Zur primären Auffassung von Antiken als kostbare Geschenke und Tauschobjekte im Rahmen diplomatischer Beziehungen durch Kardinal Ottoboni s. a. Matitti 1997, 217 mit einigen entsprechenden Beispielen; zu den Antiken im Besitz der Familie Ottoboni s. Matitti 1997, 204 f. 540 Levin 1906, 160–162. Vgl. dazu Q 375, Fede an Cosimo III. in Florenz (2. März 1708); Q 420, Fede an Johann Wilhelm (9. Februar 1709); Q 421, Johann Wilhelm an Fede (2. März 1709); Q 423, Johann Wilhelm an Fede (10. März 1709). 541 Levin 1911, 159. 542 Q 425, Fede an Johann Wilhelm (23. März 1709); Q 427, Fede an Johann Wilhelm (30. März 1709). Mit sich führen sollte Steffani bei dieser Gelegenheit außerdem ein kleines Gemälde von Annibale Carracci und einen Ablassbrief für Johann Wilhelm, beides aus den Händen des Papstes, s. Q 434, Agostino Steffani aus Rom an Johann Wilhelm (27. April 1709); Q 435, Fede an Johann Wilhelm (27. April 1709). Zu weiteren Informationen zur Person Steffanis s. Levin 1911, 159 f. – In jüngerer Zeit hat Steffani als historische Figur und Komponist neuerliche Würdigung erfahren durch einen 2012 erschienenen Kriminalroman von Donna Leon (Himmlische Juwelen) und zeitgleich ein Album von Cecilia Bartoli mit Opernarien von Agostino Steffani (Mission). 543 Q 425, Fede an Johann Wilhelm (23. März 1709).

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Während die kapitolinische Trunkene Alte im Jahr 1620 gefunden wurde, besteht für die Replik der Münchner Glyptothek zunächst nur ein Terminus ante quem, nämlich das Erscheinungsdatum des Kataloges von de Rossi – Maffei (1704).544 Doch zwei weitere Anhaltspunkte kommen hinzu: Der Kopf der kapitolinischen Replik wurde nach dem Münchner Exemplar ergänzt, somit könnte sich aus dem Zeitpunkt der Ergänzung, ließe er sich näher bestimmen, eine Verschiebung des Terminus ante quem in frühere Jahre ergeben. Zum anderen konnte im Jahr 1980 eine florentinisch-bolognesische Federzeichnung des 16. Jhs. als Wiedergabe der Trunkenen Alten identifiziert werden.545 Aufgrund des als gesichert zu betrachtenden Funddatums der kapitolinischen Statue im 17. Jh. kann es sich nur um eine Zeichnung nach dem Münchner Exemplar handeln, welches demnach bereits im 16. Jh. in Italien bekannt gewesen sein muss. Von der Vorlage unterscheidet sie sich darin, dass die Rechte nicht den Hals des Gefäßes knapp unterhalb der Mündung umfasst, sondern auf dessen Schulter liegt; zudem ist anders als an der Statue der rechte Unterschenkel vorgesetzt, und das Gefäß befindet sich mehr auf dem Schoß der Figur als zwischen den Knien, die bei der Statue weiter geöffnet sind. Harprath hat dies als „Eigenmächtigkeiten des Zeichners“ interpretiert,546 vielleicht könnte es sich aber auch um Hinweise darauf handeln, dass die Federzeichnung aus dem Gedächtnis entstanden ist. Dafür spräche auch, dass die Figur in der Zeichnung augenscheinlich auf einem Stuhl oder Hocker sitzend wiedergegeben ist, und nicht am Boden hockend wie die Münchner Trunkene Alte. Als fest datierbarer Beleg für die Bekanntheit des Typus der Trunkenen Alten einschließlich des Kopfes, und damit der Münchner Replik, vor der Mitte des 17. Jhs. kann zudem ein Gemälde Nicolas Poussins aus dem Jahr 1655 im Metropolitan Museum in New York dienen.547 Es zeigt die biblische Wundergeschichte der Heilung des Gelähmten durch Petrus und Johannes. Die Figur einer Bettlerin auf den Stufen im Vordergrund ist motivisch stark an die Trunkene Alte angelehnt, auch wenn sich in ihrem Schoß anstelle eines Weingefäßes ein strampelndes Kind befindet.548 Es hat sich gezeigt, dass die Trunkene Alte in den deutlich mehr als 300 Jahren, in denen sie bekannt ist, sehr unterschiedliche Wertschätzung erfahren hat. Dabei bezog sich die Beurteilung im Regelfall auf den Typus und nicht auf eine der beiden Repliken im Speziellen. Gerade die kritische Haltung des 19. und zum Teil auch des

544 Meyer 1992, 51. 53. 545 New York, Metropolitan Mus., Inv.-Nr. 80.3.122 (Gift of Cornelius Vanderbilt, 1880); Harprath 1992, 59 mit Abb. 19. Die Datierung der anonymen Zeichnung ergibt sich neben stilistischen Kriterien aus den orthografischen Charakteristika der beiden wohl von verschiedener Hand stammenden lateinischen Beischriften, die ebenfalls auf italienische Schreiber des späteren 16. Jhs. hinweisen. 546 Harprath 1992, 59. 547 New York, Metropolitan Mus., Inv.-Nr. 24.45.2 (Marquand Fund, 1924); Meyer 1992, 54 mit Abb. 16. 548 Darauf wird im Folgenden im Rahmen der inhaltlichen Deutung der Trunkenen Alten noch zurückzukommen sein.

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3 Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm

20. Jhs. hat jedoch dazu geführt, im Rückblick auch die positive Beurteilung Johann Wilhelms für die Trunkene Alte als Kunstwerk in Abrede zu stellen. So ist beispielsweise von Th. Levin, der sich sehr detailliert mit der Sammeltätigkeit des Kurfürsten auseinandergesetzt hat, die Frage aufgeworfen worden, wie groß die Freude Johann Wilhelms über dieses Geschenk wirklich gewesen sein mag, da sich das Werk „doch nicht unter die damaligen Begriffe von der Antike einordnen liess.“ Und er fügt hinzu: „Und wenn nun der Kurfürst erst geahnt hätte, dass er nicht eine opfernde Priesterin, sondern ein trunkenes altes Weib vor sich habe!“ 549 Es scheint zutreffend, dass die Trunkene Alte später von den Besuchern des Mannheimer Antikensaales nie erwähnt wurde,550 und wie Zanker feststellt, „würdigen weder Winckelmann noch Goethe die Skulptur, die ihnen nicht nur aus Maffeis Werk, sondern auch durch die capitolinische Replik bekannt gewesen sein muss, auch nur einer Erwähnung. Das hatte erstaunliche Folgen für die Münchner Alte.“ 551 Zanker betrachtet diesen Umstand offensichtlich als maßgeblich für die Geringschätzung der Statue in der Folgezeit, wie insbesondere die verweigerte Aufnahme in die Glyptothek Leo von Klenzes (1830).552 Die Statue war jedoch 1803 noch in die Münchner Residenz gelangt.553 Unzutreffend ist zudem die Annahme Zankers, Winckelmann habe die Trunkene Alte gänzlich unerwähnt gelassen. So deutet Winckelmann in seinem Trattato preliminare die „Statue einer betagten Frau“ („donna attempata“) im Kapitolinischen Museum als Darstellung der Hekuba, die den Tod ihres Enkels Astyanax betrauert („Hecuba, die Mutter des Hector und zwar in dem Augenblicke abgebildet (…), wo diese Königin den Astyanax von den Mauern der Stadt Troja herabstürzen sah“), und vermutet weiter, „der Künstler wollte (…) die unruhige Gemüthsart dieser Königin ausdrücken, welche ihre Zunge nicht bezähmen konnte und unaufhörlich in Schimpfworte gegen die Häupter der Griechen ausbrach; daher die Fabel von ihrer Verwandlung in einen Hund entstanden ist.“ 554 Die Wertschätzung, die Johann Wilhelm und seine Zeitgenossen der Statue der Trunkenen Alten entgegenbrachten, unterscheidet sich jedoch grundlegend von der ästhetischen Position des 19. und 20. Jhs., die ihre eigene Perspektive auch rückwirkend auf die Zeit Johann Wilhelms angewandt haben. Im Vorfeld der Schenkung der Statue durch Ottoboni an den Düsseldorfer Kurfürsten hatte Fede im Zuge seiner Bemühungen zur Erweiterung der Abguss-Sammlung den Abgießer Mannelli zu Ottoboni geschickt, um diesen um die Erlaubnis zur Abformung der Statue der Trun-

549 Levin 1906, 164. Zur sich wandelnden ästhetischen Beurteilung und Wertschätzung der Trunkenen Alten vgl. Zanker 1989, 8–11; Meyer 1992, 53. 57 f.; Schiering 1995, 159 f. A 21 (Abb. 23). 550 Schiering 1995, 160. 551 Zanker 1989, 8. 552 Schiering 1995, 159 f. 553 Furtwängler 1910, 387; Zanker 1989, 8. 554 J. J. Winckelmann, Monumenti antichi inediti I, Trattato preliminare dell’arte del disegno degli antichi popoli (Rom 1767) = Winckelmann 1767, S. XLVI, hier zitiert in der Übersetzung von Meyer – Schulze 1817, 98 f.

3.9 Die Trunkene Alte – ein antikes Original in der Düsseldorfer Sammlung

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kenen Alten zu bitten. Dabei ging es nicht um eine allgemeine Abformgenehmigung für Werke seiner Sammlung, sondern explizit um einen Abguss der berühmten Statue der „vecchia piangente“, die sich im Palazzo Ottobonis befand.555 Die Wertschätzung der Statue durch Johann Wilhelm ergibt sich aus seiner Korrespondenz mit Fede. Nachdem dieser ihm von dem Geschenk Ottobonis berichtet hatte, bedankte sich der Kurfürst zunächst überschwänglich für „il generoso dono del Signor Cardinale Ottoboni“ 556 und kurz darauf noch einmal für „il dono della bella statua“.557 Gesehen hatte er das Werk bis dahin noch nicht, auch noch nicht den Kupferstich desselben, den Fede ihm bald darauf zuschicken sollte. Jedoch hatte Fede ihm die Statue in höchsten Tönen angepriesen („una famosa statua rappresentante La vecchia piangente“ 558 – „il regalo della consaputa statua quale si trova stampata tra le più famose di quest’alma città“ 559 – „il regalo della nota e celebre statua“ 560), und da es sich um ein Werk aus der Sammlung des Kardinals Ottoboni handelte, hatte der Kurfürst sicher keinen Zweifel, dass das Lob zutraf. Der Kardinal, mit dem er einen regen Geschenkaustausch pflegte (s. o.), würde ihm schon von daher kaum etwas anderes als ein hervorragendes Meisterwerk schicken. Nachdem er den von Fede angekündigten Kupferstich der Trunkenen Alten erhalten hatte, revidierte er sein Urteil nicht, sondern bedankte sich für „la stampa della statua scorgendo da essa il bell’acquisto“.561 Dass es sich dabei nicht nur um eine höfliche Floskel handelte, ergibt sich aus der Tatsache, dass Johann Wilhelm der Statue später einen zentralen Platz inmitten seiner gesammelten Abgüsse in der unteren Etage des Galeriegebäudes einräumen sollte, wie sich aus den beiden erhaltenen Inventarlisten der Sammlung ergibt. Der zeitgenössische Stich in der Raccolta di Statue von de Rossi – Maffei (1704),562 von der sich auch ein Exemplar im Besitz Johann Wilhelms befand,563 zeigt die Statue auf einem profilierten und mit Kassettierungen und Pilastern geschmückten steinernen Rundsockel. Diese Art der Aufstellung hebt in gewisser Weise das Motiv des gesellschaftlich anstößigen Am-Boden-Hockens auf und bringt die Trunkene Alte wieder auf eine Ebene mit dem vor ihr stehenden oder sie umschreitenden Betrachter, der zuvor buchstäblich auf sie herabblicken musste. Gleichzeitig

555 Q 688, Fede an Johann Wilhelm (13. oder 23. Juni 1714); Levin 1906, 162 f. (23. Juni 1714). 556 Q 698, Johann Wilhelm an Fede (15. Juli 1714); Levin 1906, 163 mit Anm. 3. 557 Q 700, Johann Wilhelm an Fede (22. Juli 1714) = Q 695 (12. Juli 1714), dabei scheint nach inhaltlichen Gesichtspunkten die Datierung des Schreibens auf den 22. Juli 1714 zuzutreffen, denn der ausführlichste Dank für das Geschenk Ottobonis (in Q 698, s. o.) wird sicher die erste Reaktion des Kurfürsten auf Fedes Ankündigung des wunderbaren Geschenkes gewesen sein. 558 Q 688, Fede an Johann Wilhelm (13. oder 23. Juni 1714); Levin 1906, 162 f. (23. Juni 1714). 559 Q 693, Fede an Johann Wilhelm (30. Juni 1714). 560 Q 699, Fede an Johann Wilhelm (21. Juli 1714). 561 Q 709, Johann Wilhelm an Fede (12. August 1714). 562 de Rossi – Maffei 1704, 95 f. Taf. CIII. 563 Heute in der Bayerischen Staatsbibliothek in München, s. Tipton 2006, 119.

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3 Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm

weist die museale Sockelung die Statue als veritables Kunstwerk aus. Darin manifestiert sich einmal mehr die Wertschätzung für die Statue der Trunkenen Alten, die schon aus der Aufnahme in das Stichwerk der bedeutendsten Antiken Roms, aber auch aus zeitgenössischen Quellen wie dem Briefwechsel zwischen Fede und Johann Wilhelm zu ersehen ist. Dabei ist nicht ganz eindeutig zu beantworten, ob die Aufstellung auf einem Sockel (oder auch genauer: auf dem abgebildeten Sockel) der tatsächlichen Ausstellungssituation im Hause Ottobonis entsprach oder ob es sich dabei um eine Zutat des Kupferstechers handelt. Aus dem Übernahmeinventar von 1731 wissen wir, dass die Trunkene Alte später zusammen mit den Abgüssen aus Düsseldorf nach Mannheim gelangte, wobei der Auftrag zum Transport dorthin erst 1753 erteilt wurde.564 Wo genau die Statue in Mannheim aufgestellt war, ist bislang unklar, von den Besuchern des Antikensaals wurde sie augenscheinlich nie explizit erwähnt.565 Dies ist jedoch nicht weiter verwunderlich, da davon auszugehen ist, dass sie inzwischen aus der Sammlung der Gipsabgüsse herausgelöst worden war und ihren Platz zusammen mit anderen Antiken im Antiquarium Carl Theodors im Ostflügel des Mannheimer Schlosses gefunden hatte.566 Zwar nennt ein 1795 veröffentlichter Bericht eines anonymen Besuchers, wenn auch quasi unter „ferner liefen“, im Antikensaal „eine Bacchante“, womit die Trunkene Alte gemeint sein könnte – wenn, dürfte es sich jedoch am ehesten um einen Abguss des Originals gehandelt haben.567 Hatte die Abguss-Sammlung unter Johann Wilhelm noch repräsentative Zwecke verfolgt, diente der Antikensaal als Teil der Zeichnungsakademie in Mannheim nun der künstlerischen Ausbildung. Die Antikensammlung, d. h. die Sammlung der antiken Originale, befand sich dagegen im Schloss. Die Bezeichnung „Antikensaal“ legt nicht unbedingt gleich nahe, dass es sich dabei um eine Sammlung von Abgüssen nach Antiken und keineswegs um eigentliche antike Originale handelte – ein Umstand, der bisweilen auch schon unter Antikensaal-Besuchern des 18. Jhs. für Verwirrung gesorgt hatte.568 Wurde der Antikensaal im Allgemeinen von den Reisenden mehr frequentiert als das Antiquarium, d. h. die archäologische Sammlung, so

564 Inv. 1731, Nr. 18, s. Braun 1984, 25. – Levin 1906, 166; Alberts 1961, 66 (mit Hinweis auf Rescriptenauszug in der Akte II 622 Düsseld. Stadtarchiv); Schreiben Carl Theodors an die Hofkammer vom 31. August 1753. 565 Schiering 1980, 323; Schiering 1995, 160. 566 Schiering 1980, 323; Stupperich 1999, 337; Stupperich 2006, 444; Stupperich 2007, 79 f. Einen Sammlungskatalog oder eine Inventarliste der dort verwahrten Bestände gibt es nicht, eine grobe Vorstellung können jedoch die zeitgenössischen kurpfälzischen Jahreskalender vermitteln, s. Stupperich 2007, 80; Stupperich 2003, 62. 567 Walter 1925, Sp. 18 f.; vgl. Schiering 1980, 323 f. Der Bericht von 1795 erwähnt die „Bacchante“ ausdrücklich unter den Abgüssen, ein Zusatz wie „di Marmo“, wie ihn bspw. der Eintrag zur Trunkenen Alten im Inventar von 1731 enthält, fehlt. 568 So hatte bspw. Kotzebue nach seinem Besuch des Antikensaales im Jahr 1790 bekannt: „(…) Der Benennung nach erwartete ich eine Sammlung von würklichen Antiken zu finden (…)“, s. Anonymos 1923, Sp. 42; Franz 2014, 209.

3.9 Die Trunkene Alte – ein antikes Original in der Düsseldorfer Sammlung

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war letztere jedoch bei Gelehrten und Akademiemitgliedern angesehener als der Antikensaal.569 1803 kam die Statue der Trunkenen Alten nach München und wurde hier im alten Antiquarium der Residenz aufgestellt.570 Gegen den „schweren Stand“, den man der Trunkenen Alten schon zu der Zeit zugeschrieben hat, spricht im Übrigen, dass sie überhaupt unter den von Carl Theodors Nachfolger Max Joseph (1756–1825) nach München transferierten Stücken war, der außer der Abguss-Sammlung nur die besten Antiken für das Antiquarium seiner Residenz nach München bringen ließ.571 Tatsache ist, dass die Statue der Trunkenen Alten 1830 nicht in die von Leo von Klenze neu errichtete Glyptothek transferiert wurde, fraglich ist allerdings, ob dies einfach als Zeichen einer generellen Abwertung zu verstehen ist und man ihr die „Aufnahme verwehrt“ hatte, oder ob nicht möglicherweise auch der Charakter des neuen Museums eine Rolle gespielt haben könnte, dessen klassizistischer Ausrichtung die Trunkene Alte schon stilistisch entgegenstand, und diese von daher vielleicht als nicht „paßlich“ erachtet wurde.572 Zwar befanden sich dort auch Werke des Hellenismus wie der Faun Barberini, im Gegensatz zur Trunkenen Alten ließ sich dieser jedoch der Idealplastik zurechnen. Vor allem aber waren die Skulpturen in der Glyptothek – über die grundsätzlich chronologische Anordnung hinaus – nach einer ausgeklügelten Aufstellungssystematik geordnet, nach der sogar die weiteren Zukäufe für die Sammlung ausgerichtet wurden. Dabei ging es im Wesentlichen darum, die zum Gesamtkonzept, der „vollendeten Ordnung“, fehlenden Stücke zu erwerben, wobei nach so formalen Kriterien wie farbig oder weiß, sitzend oder stehend oder auch der Größe vorgegangen wurde.573 In der Sammlung selbst bevorzugte man symmetrische Aufstellungen und Pendantbildungen. Zudem ging es um eine ganz bestimmte von Klenze angestrebte Harmonie von Raum und Skulptur.574 All diese Vorgaben dürften ein Integrieren der Skulptur der Trunkenen Alten in das in sich abgeschlossene Sammlungskonzept noch zusätzlich erschwert haben, sofern dies überhaupt beabsichtigt war.575

569 Stupperich 2003, 62; Stupperich 2007, 79. 570 Furtwängler 1910, 387; Christ 1864, 24; Zanker 1989, 8. 571 Vgl. Stupperich 2007, 80. W. Christ spricht gar von den „Perlen“ des Antiquariums der Münchner Residenz, die aus den kurfürstlichen Sammlungen in Mannheim stammten, s. Stupperich 2007, 80 mit Anm. 5; Stupperich 2006, 450 mit Anm. 35. Eine eigentliche Inventar- oder Transportliste gibt es augenscheinlich nicht mehr, s. Stupperich 2007, 80; u. U. könnten sich im Wittelsbacher Geheimen Hausarchiv noch zwei unvollständige Transport-Verzeichnisse befinden, die Christ 1864, 24 (380) erwähnt, s. Stupperich 2006, 458 Anm. 35. 572 Vgl. Zanker 1989, 6. 8. 573 Wünsche 2005, 196. 198. 574 Wünsche 2005, 196. 202. 575 Vgl. auch Wünsche 1985, 109 Anm. 224: „Die Konzeption des Bacchussaales war aber bereits abgeschlossen, und die Statue hatte dort keinen Platz mehr. Ihren Wert hatte man damals durchaus erkannt.“ Er verweist auf Hefner 1845, 58 (s. u.).

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Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Frage, inwieweit überhaupt zur Eröffnung der neuen Glyptothek Kunstwerke aus der Residenz dorthin verbracht wurden oder werden sollten. Tatsächlich wird die Rolle der Sammlungsbestände des Antiquariums für den Aufbau der Glyptothek nicht ganz einheitlich beurteilt. Während Wünsche die Schwierigkeiten betont, „mit denen Ludwig zu kämpfen hatte, um einige Antiken aus Staatsbesitz und aus dem königlichen Antiquarium für seine Glyptothek zu erhalten“,576 beurteilt H. Frosien-Leinz die Attraktivität der Antiquariumsbestände und auch deren Erreichbarkeit für Ludwig I. eher gegenläufig: So ließen die spärlichen Nachrichten über das Antiquarium zu Beginn des 19. Jhs. „eine Art Schattendasein innerhalb des Hoflebens“ vermuten, „gelegentlich wurden hier Kunstwerke deponiert.“ 577 Und weiter: „Von Ludwig I. recht gering geschätzt, wurde der antike Bestand des Antiquariums als ein willkommenes Depot betrachtet, aus dem er drei Jahre vor Vollendung der Glyptothek im Jahre 1830 beliebig Werke besserer Qualität für seine Sammlung aussortieren und weniger gute unterstellen konnte.“ 578 Es gibt zumindest einen Beleg für die Übertragung von zwölf Antiken aus dem Antiquarium in die Glyptothek aus dem Jahr 1827.579 Dass Ludwig darauf verzichtete, die Statue der „Trunkenen Alten“ in die Glyptothek bringen zu lassen, die er „nach seiner Thronbesteigung aus dem Antiquarium hätte übernehmen können“, schreibt Wünsche praktischen Gründen im Zusammenhang mit dem Aufstellungskonzept der Glyptothek zu (s. o.).580 Wie Zanker annimmt, „mochte man, nachdem die Statue von Klenze nicht in seinen klassizistischen Kunsttempel aufgenommen worden war, sie offenbar auch in der Residenz nicht mehr sehen“.581 Tatsächlich verblieb sie dort jedoch noch mehr als dreißig Jahre582 – und damit nicht genug, würdigte Joseph von Hefner die Statue in seinem 1845 verfassten Verzeichniss der in der Sammlung des königl. Antiquariums befindlichen Alterthums-Gegenstände ausdrücklich als „vorzügliche Arbeit“ 583 –, ehe sie dann nach 1865 in Heinrich Brunns neue Abguss-Sammlung gelangt sein soll.584 Es steht zu vermuten, dass dies zusammen mit der Übertragung 576 Wünsche 1985, 64 f. mit Anm. 224. 577 Frosien-Leinz 1980, 318. 578 Frosien-Leinz 1980, 318. 579 München, BStGS, Glyptothek, Fach IX, lit. G. N. 1 (Brief vom 18. 4. 1827); Frosien-Leinz 1980, 321 Anm. 87. – Zu weiteren Antiken, die wie die Trunkene Alte aus Mannheim stammten und aus dem Antiquarium in die Glyptothek übertragen wurden, s. Stupperich 2006, 452 mit Anm. 45–47. 580 Wünsche 1985, 109 Anm. 224. 581 Zanker 1989, 8. 582 Zanker selbst zitiert Wilhelm Christ, der die Statue der Trunkenen Alten noch 1864 im Antiquarium erwähnt, s. Zanker 1989, 8 f. 583 Hefner 1845, 58. Hefner war „königlicher Gymnasialprofessor und Assistent des königlichen Antiquariums“. 584 Vgl. Zanker 1989, 8. Heinrich Brunn kam 1865 nach München und bekleidete dort als erster den neu geschaffenen Lehrstuhl für Klassische Archäologie. Die Gründung der Abguss-Sammlung erfolgte 1869. Zu der von Brunn neu eingerichteten Abguss-Sammlung und deren Unterbringung s. Weickert 1926, 253–257; Brunn 1867, sowie jetzt Kader 2013, 454.

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von 22 Gipsen aus dem Antiquarium der Residenz dorthin erfolgte.585 Dass sie dann jedoch – möglicherweise ohne Umschweife586 – den Weg in das Magazin des AbgussMuseums fand, kann in der Tat kaum als Zeichen besonderer Wertschätzung interpretiert werden.587 Und doch wurde der Trunkenen Alten auch zu der Zeit durchaus positive Würdigung zuteil: So schreibt Wilhelm Christ in seinen Beiträgen zur Geschichte der Antikensammlungen Münchens 1864, bei der Statue der Trunkenen Alten handele es sich um eine „unzweifelhafte Antike von hohem Werthe“ und rechnet sie unter „zwei der vortrefflichsten Werke des Antiquariums“, dessen „große Naturtreue und die anatomische Wahrheit billig unsere Bewunderung erregt“.588 Doch räumt auch er ein: „Diese bis zum Schrecken wahre Nachbildung eines fast hässlichen Gegenstandes entspricht so wenig unseren idealen Anforderungen an die Kunst, dass hiesige Künstler und Kunstfreunde an diesem Naturalismus wenig Geschmack finden können.“ 589 Dies mag eine Erklärung sein für ihre zeitweilige Aussonderung. Wie Zanker ausführt, ereilte die Replik im Museo Capitolino das gleiche Schicksal wie die in München, so „war (diese) schon im Laufe des 18. Jahrhunderts aus einem der Prachträume des Museo Capitolino in Rom entfernt und in die dunkle Galleria verwiesen worden“.590 Dieser Wertung widerspricht allerdings beispielsweise der Katalog des Kapitolinischen Museums von 1755 bzw. 1821, nach dem die Statue des Kardinals Ottoboni „la cui galleria adornava“ und „finalmente passò nel nostro Museo“ (auch wenn hier beide Repliken irrtümlich in eins gesetzt wurden).591 Unzweifelhaft ist außerdem in jedem Fall das Ansehen der Statue der Trunkenen Alten bei ihrem Erwerb aus der Slg. Verospi für das Kapitolinische Museum im Jahr 1738 durch den Marchese Capponi,592 den ersten „presidente antiquario“ des Museo Capitolino, dessen erklärtes Ziel es war, „a fare entrare nel Museo opere veramente degne e di riconosciuto prestigio“.593

585 Meyer 1992, 57; Weickert 1926, 254. 586 Meyer 1992, 57. Meyer spricht gar vom „Abstellraum des Gipsmuseums“. 587 Zanker 1989, 8; Furtwängler 1910, 387. Dabei glich die reguläre Unterbringung der Sammlung genau genommen lange Zeit auch eher einer magazinartigen Deponierung: „Statt Museumsräumen mußte sie ein kellerartiges Magazin beziehen, das, feucht und im Winter bitter kalt, bisher den Bänken des Hofgartens als winterlicher Unterschlupf gedient hatte.“ (Weickert 1926, 254). Hinzu kam eine Situation zunehmender räumlicher Enge und Überfüllung. 588 Christ 1864, 21. 24. 43. 589 Christ 1864, 43. Dadurch, dass Zanker 1989, 8 f. nur dieses eine Zitat wiedergibt und die anderen, hier zitierten Würdigungen Christs in Bezug auf die Trunkene Alte beiseitelässt, ergibt sich ein nicht ganz zutreffend negatives Bild. 590 Zanker 1989, 8. 591 Bottari 1755, 80; Bottari – Foggini 1821, 229. Der Irrtum scheint auf der Annahme zu beruhen, der Stich von de Rossi – Maffei 1704, 95 f. Taf. CIII (unterschrieben mit „nella Galleria del Cardinal Otthoboni“) zeige das kapitolinische Exemplar, dazu s. o. sowie Furtwängler 1910, 389. 592 Franceschini – Vernesi 2005, 97; Matitti 1997, 210 mit Anm. 87. 593 Arata 1994, 51 f.

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Die Münchner Replik, die als Geschenk des Kardinals Ottoboni an Johann Wilhelm zunächst nach Düsseldorf und später nach Mannheim gelangt war, kam 1895 auf Betreiben A. Furtwänglers dann doch noch in der Glyptothek zur Aufstellung, wo sie heute an prominenter Stelle im Eingangsbereich des Museums zu sehen ist.594

Zur Deutung der Trunkenen Alten Durch alle Zeiten hindurch war die Trunkene Alte geeignet, die Gemüter zu erhitzen. Dabei lebt sie vom Überraschungsmoment, resultierend aus dem schonungslosen Realismus ihrer Altersdarstellung und dem Verstoß gleichermaßen gegen Verhaltenskonventionen wie gegen Schönheitsideale. Hinzu kommt die Unmittelbarkeit ihrer physischen Präsenz. Die Alte hockt am Boden, ihr Gewand ist von der Schulter gerutscht, in ihrer Wein- (oder anderweitig bedingten) seligkeit lässt sie sich gehen, den Kopf zurückgeworfen in den Nacken, den Mund geöffnet, vielleicht lallend. Und auch die Darstellung ihrer physischen Erscheinung brüskiert den Betrachter: die schlaffe Haut, die hervortretenden Knochen, das eingefallene, faltige Gesicht mit den schlechten Zähnen und dazu die geschwollene Anatomie der vorderen Halspartie aus Sehnen, Schlagadern, Kehlkopf und Schilddrüse. Dergestalt empfängt sie heute den Besucher der Münchner Glyptothek gleich am Eingang. Für den heutigen Betrachter können sich Assoziationen ergeben etwa im Sinne einer sozialen Anklage, wie sie beispielsweise Duane Hansons Derelict woman (1973) verkörpert,595 oder auch als Sinnbild der Vergänglichkeit vergleichbar den schrumpeligen Früchten in Vanitas-Darstellungen, im Sinne eines Memento mori. Doch was war die ursprüngliche Intention hinter dem Werk und welche Deutungen hat die Trunkene Alte seit ihrer Auffindung erfahren? Im Hinblick auf die Funktion der Skulptur, d. h. des Vorbildes der Münchner Trunkenen Alten, in ihrem ursprünglichen Aufstellungskontext im antiken Griechenland hat Chr. Kunze die der hellenistischen Genreskulptur zuzurechnende Statue, ausgehend von den auch noch in hellenistischer Zeit vorherrschenden traditionellen Funktionen griechischer Skulptur (Votiv-, Grab- oder Ehrenstatue), thematisch bedingt der religiös motivierten Votivskulptur zugeordnet. Aufgrund ihrer Entstehungszeit im 3. Jh. v. Chr. könne römischer Einfluss, und damit eine dekorative Funktion als ambientaler Figurenschmuck, die vor der Zeit der römischen Herrschaft in Griechenland nicht nachzuweisen sei, ausgeschlossen werden.596 Als Genredarstellung verkörpert die Trunkene Alte, deren Züge veristisch, jedoch nicht individuell gestaltet sind, keine bestimmte Person und ist damit weder historisch noch mythologisch benennbar.597 594 595 596 597

Zanker 1989, 9; Furtwängler 1910, 387. Vgl. dazu Zanker 1989, 10 f. mit Abb. 3. Kunze 1999, 43. 45 f. Zum Genrebegriff s. a. Kunze 1999, 43.

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Am ehesten dürfte es sich um ein Weihgeschenk in einem Heiligtum gehandelt haben; aufgrund der Lagynos mit dem um den Gefäßhals gelegten Efeukranz sowie des dargestellten rauschhaften Zustands der Figur ist ein Votiv für Dionysos am wahrscheinlichsten.598 Als Hintergrund der Entstehung des Urbildes ist ein Kult, etwa in der Art des von Ptolemaios IV. (245–204 v. Chr.) eingerichteten Lagynophorienfestes in Alexandria denkbar, allerdings schließt sich dies im konkreten Fall mit Smyrna, dem von Plinius genannten Aufstellungsort in Kleinasien, aus.599 Dies hat zu Zweifeln an der Identifizierung der Statue mit dem von Plinius genannten Werk geführt, jedoch sind für den kleinasiatischen Raum weitere dionysische Kulte mit ähnlich exzessiven Trinkgelagen überliefert.600 Auch die Lagynos, das Gefäß, das die Trunkene Alte im Schoß hält und das für das Lagynophorienfest namengebend war, ist für die gesamte Region als Weingefäß belegt.601 Die Art der Darstellung spricht grundsätzlich gegen eine potentielle Deutung als Porträt einer weiblichen Stifterin. Denkbar erscheint dagegen, dass es sich um die Darstellung einer Priesterin (s. u.) oder einer Festteilnehmerin handeln könnte. Für eine mögliche Deutung als Festteilnehmerin wäre neben der Frage, inwieweit Frauen am Lagynophorien- oder ähnlichen Festen teilhatten, auch zu beantworten, wodurch eine solche als großplastisches Votiv bildwürdig geworden sein könnte.602 Eine mögliche Erklärung sieht Pfisterer-Haas in der „ungeheuren Beliebtheit dieses Typs in der Komödie und den davon abhängigen Statuetten“, wobei die Weihung der Statue in einem Dionysosheiligtum nicht nur dem Preisen der Großzügigkeit des Herrschers, der auch die einfache Bevölkerung an seinen Festen teilnehmen ließ, gedient hätte, sondern ihr Anblick in diesem Aufstellungskontext auch der Erheiterung der Oberschicht.603 Ähnlich hat Kunze auf die Einbeziehung auch der untersten Volksschichten im Rahmen dionysischer Kulte hingewiesen und der Trunkenen Alten in diesem Zusammenhang eine dazu passende, „auf eine niedere soziale Stellung weisende Cha-

598 Kunze 1999, 72; Zanker 1989, 48. 599 Kunze 1999, 70 Anm. 102. 600 Kunze 1999, 74. 601 Kunze 1999, 74. 602 Kunze 1999, 75. Speziell im Fall des Lagynophorienfestes scheint die Teilnahme nach Ausweis der Schriftquellen ausschließlich Männern vorbehalten gewesen zu sein, s. Kunze 1999, 73 Anm. 115; zu ausschließlich männlichen Teilnehmern an dionysischen Trinkgelagen s. a. Kunze 1999, 75 mit Anm. 122. 603 Pfisterer-Haas 1989, 83. Einem möglichen Zusammenhang mit einem alexandrinischen Fest wie etwa dem von Ptolemaios IV. eingerichteten Lagynophorienfest widerspricht ihres Erachtens nicht, dass die Komödie in Alexandria anders als im Athen des 4. Jhs. kein Bestandteil der Alltagskultur gewesen sei. Vielmehr mache die dortige gebildete Auseinandersetzung mit der Komödie die Trunkene Alte zu einem „letztlich sehr gelehrten Werk“, s. Pfisterer-Haas 1989, 83.

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rakterisierung“ attestiert.604 Dagegen spricht allerdings die von ihm zuvor selbst erwähnte „prachtvolle Kleidung und der aufwendige Schmuck“.605 Wie Kunze zeigen konnte, entspricht das Bildschema der betrunkenen, auf dem Boden hockenden alten Frau mit einem Trinkgefäß zwischen den gespreizten Knien einem in der hellenistischen Kleinkunst häufig anzutreffenden Silenstypus.606 Diese Übertragung des Bildschemas in die gleichsam weibliche, irdische Variante in Gestalt einer betrunkenen Alten ist dabei in der Kleinkunst in Form von Figurengefäßen (auch darin gleicht sie dem verwandten Silenstypus) noch vor der Entstehung der großplastischen Fassung der Trunkenen Alten nachweisbar, welche dann ihrerseits auch wieder fast ausschließlich in Form von Figurengefäßen rezipiert worden ist.607 Wiederholt ist auf die Übereinstimmung des Bildmotives der Trunkenen Alten mit dem literarisch überlieferten Topos der trunksüchtigen alten Frau hingewiesen worden, der bereits in der attischen Komödie des 4. Jhs. v. Chr. begegnet und dort verschiedenen Rollentypen wie der alten Hetäre oder der Amme unterlegt wurde.608 Kunze sieht das Motiv der Trunkenen Alten jedoch eher angelehnt an den in hellenistischen Epigrammen greifbaren Topos der maßlosen Trinkerin, auch dort paradigmatisch geschildert als alte Frau, deren Rolle aber im Gegensatz zur Komödie auf den Aspekt der Trunksucht reduziert sei, und dabei gesellschaftlichen Rang oder Funktion weitgehend außen vor lässt.609 Dafür spreche auch die oben beschriebene ikonographische Angleichung an den Silenstypus. Der thematische Fokus mag dabei auf dem Aspekt der Trunkenheit liegen, der von Kunze konstatierten weitgehenden Bedeutungslosigkeit der sozialen Stellung widerspricht die großplastische Fassung der Trunkenen Alten allerdings durch Schmuck, Kleidung und das wohlfrisierte Haar deutlich. Dies legt wiederum eher eine Deutung als alte Hetäre, eine ehemals „Vielverdienende“ nahe, wie von P. Zanker ausgeführt.610 Das sorgfältig drapierte Kopftuch, gleich einer Haube, liefert keinen wirklich greifbaren Hinweis, da es sowohl von Ammen als auch alten Frauen bei Kulthandlungen, alten Hetären, gelegentlich aber auch von jungen Frauen getragen wird.611 Zusammen mit dem von

604 Kunze 1999, 73. Zur diesbezüglichen Überlieferung im Hinblick auf das Lagynophorienfest s. Zanker 1989, 51–54. 605 Kunze 1999, 70. 72. Zu einer genaueren Betrachtung der Kleidung der Trunkenen Alten als Zeichen einer gehobenen sozialen Stellung und im Sinne einer Interpretation als Matrone im Dienst des Dionysos s. Wrede 1991, 173–175. 606 Kunze 1999, 77 f. mit Anm. 135. Kunze sieht darin auch eine inhaltliche Angleichung, die das Motiv der Trunksucht noch um eine satyresk-dämonische Note erweitert, s. Kunze 1999, 78 Anm. 135; 79. 607 Kunze 1999, 78; vgl. Pfisterer-Haas 1989, 83. 608 Kunze 1999, 71 f. 75; Pfisterer-Haas 1989, 37. 59. 64. 78–84; Zanker 1989, 22–25. 32 f. 609 Kunze 1999, 72; 75 f. mit Anm. 123; 79. 610 Zanker 1989, 25–31. 32 f. 35 f. 611 Kunze 1999, 72 f. Anm. 110.

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Wrede als priesterliche Tracht interpretierten Chiton mit aufwendigen Schulterschließen ist auch eine Interpretation als Darstellung einer Dionysos-Priesterin denkbar.612 Kehrt man noch einmal zu den komischen Rollentypen der Amme oder der Hetäre zurück, so stellt man fest, dass in der griechischen Koroplastik beide, wenn sitzend, nicht auf dem Boden wiedergegeben werden, sondern im Allgemeinen auf einer Sitzgelegenheit wie einem Stuhl oder einem Kissen.613 Gleichwohl erscheint das Motiv der Umarmung der Flasche dem Halten eines Wickelkindes im Schoß einer Amme angeglichen.614 Zudem wird der Eindruck des Am-Boden-Hockens durch die Füße und Beine reich umspielenden Gewandfalten gemildert, was sich von dem Motiv des Sitzens auf nackter Erde, wie es o. g. Silensfiguren zeigen, unterscheidet.615 Somit ist die Art des Sitzens der Trunkenen Alten kein Ausschlusskriterium für eine Deutung als Amme oder Hetäre.616 Bemerkenswert ist aber vor allem noch, dass sich durch die spezielle Komposition der Trunkenen Alten in Umrissen und Aufbau wie dem aufragenden Hals, den v-förmig geöffneten Knien und dem gleich einer Standplatte um die Sitzende drapierten Gewand die Assoziation einer großformatigen Lagynosflasche ergibt.617 Damit gleicht sie die durch das große Format verlorengegangene funktional-motivische Doppelung, die entsprechende Figurengefäße auszeichnet, aus und stellt wiederum die Trunkenheit als das zentrale Bildthema in den Vordergrund.618

612 Wrede 1991, 168 f. 173 f. Dagegen verweist Kunze darauf, dass ein derartiger Chiton auch in anderen Zusammenhängen getragen wird und daher nicht als spezifisch dionysische Priestertracht zu interpretieren ist, s. Kunze 1999, 71 Anm. 103. Als ebenso wenig spezifisch ist das Kopftuch zu betrachten, s. Kunze 1999, 72 mit Anm. 110. 613 Kunze 1999, 78 f. Anm. 135; vgl. Pfisterer-Haas 1989, 37 mit Abb. 36–41; 59 mit Abb. 97–100; Zanker 1989, 44 Abb. 30. 614 Auch dieser Topos ist nicht ohne literarische Entsprechung, s. Zanker 1989, 44; Kunze 1999, 79 Anm. 135. 615 Entsprechend ist die Trunkene Alte auch auf o. g. Zeichnung der Sammlung Vanderbilt in New York (s. Harprath 1992, 59 mit Abb. 19), der frühesten bekannten graphischen Wiedergabe der Münchner Replik, auf einem Stuhl oder Hocker sitzend wiedergegeben, wobei dies möglicherweise auf Anfertigung der Zeichnung aus dem Gedächtnis beruhen könnte. 616 Ikonographisch unterscheiden sich beide in der Koroplastik durch das von der alten Amme im Arm oder auf dem Schoß gehaltene Kind, während die alte Hetäre halbnackt oder in durchsichtigen Gewändern gezeigt ist, s. Pfisterer-Haas 1989, 36. 59. Bei beiden kann die Darstellung um den Aspekt der Trunksucht in Form eines großen Weingefäßes erweitert sein, s. bspw. Pfisterer-Haas 1989, Abb. 36 bzw. Abb. 97. 100. Dennoch ist die Zuordnung nicht immer ganz eindeutig, wobei für den antiken Betrachter ohnehin die Darstellung der Alten mit den bekannten Topoi im Vordergrund gestanden haben dürfte, s. Pfisterer-Haas 1989, 5. 617 Wrede 1991, 172. 618 Vgl. dazu auch Pfisterer-Haas 1989, 84: „Von den verschiedenen Topoi, mit denen man alte Frauen belegte, ist die Trunksucht der wichtigste. Auf ihn reduziert sich die Charakterisierung im Laufe der Zeit, die Flaschen werden größer, treten immer mehr in den Mittelpunkt, und die Frauen werden häufig selbst zu Gefäßen.“

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Betrachtet man die Entwicklung der Amme und der Hetäre als Bildthema, so ist festzustellen, dass lediglich die Amme schon vor ihrem Erscheinen in der attischen Komödie des 4. Jhs. als Typus vorhanden war, bis dahin allerdings als reines Attribut bzw. Begleitperson.619 In der Komödie und entsprechend auch in der bildenden Kunst wandelt sich ihre Rolle dann zu einer karikaturesken Spottfigur, ähnlich dem neu hinzugekommenen Frauentyp der alten Hetäre, die nun ebenfalls als eigenständiger Rollencharakter auftritt.620 Als komische Alte boten beide in ähnlicher Weise eine Projektionsfläche für Negativdarstellungen in Form erheiternder Überzeichnung. Die zuvor auf wenigen spätarchaischen Trinkschalen in orgiastischen Symposionszenen gezeigten „alten Hetären“ erscheinen dort nicht nur nicht als eigenständiger Charakter und lediglich als „reines Ausstattungsstück“,621 sondern sind auch insofern nicht vergleichbar, als es sich dort um reifere Frauen mit kräftigeren und üppigeren Körperformen handelte, die als augenscheinlich willkommene Teilnehmerinnen in das sexuell motivierte Geschehen eingebunden waren – im Gegensatz zur komischen Alten, die eben als nicht mehr attraktiv charakterisiert war.622 Für die Rolle der Amme bedeutet schließlich der Übergang zur neuen Komödie eine Neubewertung ihres Charakters, dem nun auch positive Seiten zugestanden werden, während die alte Hetäre zunächst nicht fortzuleben scheint – eine Entwicklung, die sich für beide Charaktere so offenbar auch in der gleichzeitigen Koroplastik vollzieht.623 Der allgemeiner gehaltene Topos der trinkfreudigen Alten begegnet jedoch auch weiterhin in der neuen Komödie und in hellenistischen und kaiserzeitlichen Epigrammen.624 Pfisterer-Haas sieht die Trunkene Alte, auf Grundlage der von ihr dargelegten Abhängigkeit des Topos von der attischen Komödie, inhaltlich in der Tradition des 4. Jhs.625 Zwar sei die Komödie in Alexandria anders als im Athen des 4. Jhs. kein Bestandteil der Alltagskultur gewesen, jedoch Gegenstand gebildeter Auseinandersetzung, die Trunkene Alte stelle sich somit als ein „letztlich sehr gelehrtes Werk“

619 Pfisterer-Haas 1989, 46. In ihrer Funktion als Begleiterin begegnet sie vornehmlich auf attischen Vasen des 6. und 5. Jhs. und Grabreliefs der zweiten Hälfte des 4. Jhs., s. Pfisterer-Haas 1989, 18–29. 30. 93 f. 97. 620 Pfisterer-Haas 1989, 46. 67. 621 Pfisterer-Haas 1989, 47; 67 mit Abb. 68–73. 622 Der große, von einer älteren Hetäre gehaltene Kelchkrater und die augenscheinlich willige Beteiligung am orgiastischen Treiben müssen insofern nicht als Zeichen der topischen Trunksucht und Geilheit alter Frauen interpretiert werden, s. Pfisterer-Haas 1989, 49 f. mit Abb. 72 u. 73, sondern sind bereits im Kontext von Symposion bzw. Komos verständlich. Wie Pfisterer-Haas 1989, 50 f., selbst feststellt, scheint es mehr um den Kontrast zu den jüngeren Komasten und weniger um eine eigentliche Darstellung des Alters gegangen zu sein, da man die Hetären bspw. hätte weißhaarig wiedergeben können. Zudem werden bisweilen auch junge Hetären angeheitert und mit großen Trinkgefäßen gezeigt, s. Pfisterer-Haas, 49 Anm. 182. 623 Pfisterer-Haas 1989, 46. 68. 96 f. 624 Pfisterer-Haas 1989, 81 f. 625 Pfisterer-Haas 1989, 98.

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dar.626 Zudem weist sie auf einen wesentlichen Unterschied zu anderen, typischen Beispielen der hellenistischen Genreplastik hin: Im Gegensatz zu den koroplastischen Darstellungen „alter Vetteln des 4. Jhs.“, die gealterte, aber durchaus von ursprünglichem oder auch andauerndem Wohlstand zeugende Körper zeigten, wiesen die ausgezehrten Gestalten des Hellenismus eine „Deformation des Mangels“ auf, die auf ein ganzes Leben außerhalb oder am Rande der Gesellschaft hindeutet.627 Auf die Kennzeichen zumindest ehemals vorhandenen Reichtums und Status auch an der Trunkenen Alten ist bereits hingewiesen worden. Der zweite wesentliche Aspekt der Darstellung ist das Alter der Trunkenen,628 wie dies auch die Rezeption des großformatigen Vorbildes in Form von Figurengefäßen belegt.629 Anders als an der großplastischen Ausführung entspricht die Komposition dort in ihrem blockhaft-axialsymmetrischen Aufbau mit der senkrecht gehaltenen Flasche und den parallel aufgestellten Unterschenkeln mehr den oben genannten Silensfiguren, gleichwohl folgt sie der „Trunkenen Alten“ in der prononcierten Darstellung der Altersmerkmale, wie insbesondere dem von tiefen senkrechten Falten durchzogenen Gesicht und der in sehnigen Falten wiedergegebenen Halspartie sowie in dem stets unbekleideten rechten und dem stets ganz von Gewandstoff bedeckten linken Arm und dem emporgereckten Kinn.630 Oftmals entspricht auch die Trinkflasche im Schoß erkennbar dem Vorbild. Das stoffreiche Gewand reicht bis zum Boden und lässt nur die vordere Fußpartie frei. Nimmt man die Rezeption der „Trunkenen Alten“ als Hinweis, welche Aspekte für wesentlich erachtet wurden, so scheint es hin und wieder auch um den Schmuck gegangen zu sein: Ein Exemplar in Köln zeigt am unbekleideten rechten Arm der Alten plastisch verzierte Armreife und mehrere Fingerringe.631 Auch das Haar erscheint stets sorgfältig frisiert. Für das Motiv des Sitzens wird teils ein Stuhl mit angegeben, teils sitzt die Alte auf dem Boden. Das erotisch konnotierte Motiv des von der Schulter geglittenen Gewandes, das sonst typischerweise bei Aphrodite-Darstellungen, aber auch sonst als gängige Schönheitschiffre begegnet, steht in eklatantem Gegensatz zum ausgezehrten Körper der Alten und provoziert damit den Vergleich der ansehnlichen Vergangenheit

626 Pfisterer-Haas 1989, 83. 627 Pfisterer-Haas 1989, 98. 628 Vgl. dazu auch Wrede 1991, 172: „Tatsächlich betont die Komposition der Trunkenen Alten den Aspekt der Alkoholikerin so einseitig, dass außer dem Alter alle weiteren Charakteristika als weniger wichtige Konnotationen zurückstehen, mit ihnen auch die ingenuinen Merkmale einer verblühten Hetäre.“ 629 Vgl. Pfisterer-Haas 1989, 83. Eine zusammenfassende Darstellung der Entwicklung und Bedeutung von weiblichen Altersdarstellungen in der griechischen Kunst findet sich bei Pfisterer-Haas 1989, 93–100. 630 Vgl. Salomonson 1980, Abb. 41–46. 56. Dabei ist der rechte Arm zum Teil ganz freigelassen bis zum Schulterträger, zum Teil aber auch von einem kurzen Ärmel bedeckt. 631 Salomonson 1980, 125 Abb. 42.

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mit dem verfallenen und derangierten Jetzt. Nicht sicher zu beantworten ist dabei, ob die verrutschte Kleidung dem rauschhaften Zustand der Trunkenen Alten anzulasten ist oder Ausdruck eines lüsternen und mannstollen Gehabes, wie es auch der Topos der trunksüchtigen Alten in der attischen Komödie beinhaltete.632 Ebenfalls zum Topos der komischen Alten gehört der Aspekt der übertriebenen Putzsucht, die auch die Trunkene Alte in Form von Schmuck, Kleidung und Frisur erkennen lässt.633 Folgt man Zanker, der davon ausgeht, dass die Münchner Trunkene Alte als römische Kopie des früheren 1. Jhs. n. Chr. das hellenistische Vorbild des 3. Jhs. v. Chr. in an den aktuellen Zeitstil angepasster Weise wiedergibt, so könnte sich dies zum einen in den Gewändern und der Frisur manifestieren, die stilistisch eher an Vorbilder des 5. und 4. Jhs. angelehnt scheinen und damit mehr dem klassizistischen Geschmack der Kaiserzeit entsprachen.634 Möglicherweise wurden aber auch die Alterszeichen gegenüber dem Vorbild gemildert, so wie auch die beiden bekannten Repliken diesbezüglich graduelle Unterschiede aufweisen (die spätere im Museo Capitolino erscheint diesbezüglich gemilderter als die ältere).635 Auf die krasse Altersdarstellung an sich konnte als zentrales Element der Bildaussage jedoch nicht verzichtet werden.636 Bereits mit der Bezeichnung der Statue als „Trunkene Alte“, zurückgehend auf Plinius d. Ä., der von einer anus ebria berichtet, einem bereits in der Antike gefeierten Originalwerk der hellenistischen Zeit, geht eine gewisse Festlegung auf die Ursache ihres Zustandes, nämlich Alkohol, einher.637 Das von Plinius beschriebene Werk gilt als Urbild der Trunkenen Alten in München und ihrer Replik im Kapitolinischen Museum in Rom. Dabei verwendet Plinius genau genommen das Adjektiv ebria, nicht ebriosa, also ‚betrunken, berauscht‘ und nicht ‚trunk-süchtig‘, wonach es sich dem Wortsinn nach also eigentlich um eine „Trunkene Alte“ und nicht um eine „alte Trinkerin“ handelt. Die Deutung in Richtung Alkoholismus basiert dabei maßgeblich auf der naheliegenden Verbindung mit dem literarisch überlieferten Topos der alten Frau als notorischer Trinkerin. Im engeren Wortsinn bedeutet ebrius zudem nicht nur ‚betrunken‘, sondern kann auch allgemeiner für ‚berauscht‘ stehen, womit prinzipiell auch andere Substanzen außer Alkohol in Betracht kämen.

632 Vgl. Zanker 1989, 41; Kunze 1999, 72. 633 Möglicherweise wurde dies noch deutlicher an dem wohl farbig gefassten hellenistischen Vorbild. 634 Zanker 1989, 12–14. 635 Für die Replik im Kapitolinischen Museum geht Zanker von einer Entstehung „wahrscheinlich erst im 2. Jahrhundert n. Chr.“ aus, s. Zanker 1989, 13. 636 Auch diese könnte am hellenistischen Marmororiginal durch eine wahrscheinliche farbige Fassung ebenfalls noch deutlicher hervorgetreten sein, s. Zanker 1989, 14. 637 Plin. nat. 36,32.

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Einen interessanten Ansatz zur Erklärung des desolaten körperlichen Zustands der Trunkenen Alten auf pharmakologischer Grundlage verfolgt U. Uebel, wobei ihre Untersuchung in Frage stellt, „ob es sich bei der ‚Trunkenheit‘ tatsächlich um den von den meisten Rezipienten behaupteten Alkoholexzess handelt“, und möchte den gezeigten körperlichen Verfall stattdessen vielmehr als Zeichen langfristigen Drogenkonsums interpretieren.638 In ihrer Funktion als Priesterin könnte die Alte für ihre Weissagungen „eidetische Stimulantien“ verwendet haben. So gebe es körperliche Anzeichen, die für einen häufigen Gebrauch von Mandragora (= Alraune, ein Nachtschattengewächs) sprächen, möglicherweise als Beimischung zum Wein oder auch durch Einatmen von Räucherdämpfen.639 Da die Droge Lichtscheu verursache, „wehrt sich die Alte mit Augenzwinkern“, daher die Falten in den Augenwinkeln.640 Zum einen sind diese aber in jedem Fall als stimmiges Altersmerkmal an einem auch sonst als alt charakterisierten Körper zu betrachten, zum anderen sind die Augen der Trunkenen Alten in ihrem gegenwärtig ins Bild gesetzten Rauschzustand weit und deutlich geöffnet. Als zweites nennt Uebel den Flüssigkeitsverlust, der zu gespannter und trockener Haut führe, im Gegensatz zum aufgedunsenen Gesicht einer Alkoholikerin. Zudem „verhindert die Störung der Schlingbewegung eine normale Nahrungsmittelaufnahme und erklärt so die ungewöhnliche Auszehrung der Alten“.641 Bei fortschreitendem Gebrauch von Alkohol wird aber auch dadurch ein letztlich kachektischer Zustand erreicht, wie auch Zanker feststellt: „Die Trunkene Alte der Glyptothek ist entsetzlich abgemagert. (…) Notorische Trinker werden häufig appetitlos, der Organismus versagt immer mehr, und sie magern ab. Das gilt vor allem für starke Trinker hochprozentigen Alkohols in der letzten Lebensphase.“ 642 Und letztlich tun Alter und Krankheit ihr Übriges zur Erklärung ihres hinfälligen Zustands. Darüber hinaus erkennt Uebel an der Statue der Trunkenen Alten in ihrem dargestellten Rausch konkrete Anzeichen für den augenblicklichen Einfluss der Droge auf den Parasympathikus durch die beiden entgegengesetzt wirkenden Substanzen Atropin und Scopolamin (rauschähnliche Erregungen einerseits bzw. narkotische

638 Uebel 2007, 125. 127–129; Stupperich – Kunze 2007, 90–93 (U. Uebel). Hingewiesen sei an dieser Stelle darauf, dass der Aufsatz von U. Uebel, und dort bes. der Abschnitt Herkunft–Fundort, s. Uebel 2007, 125, nicht ganz frei von Irrtümern und Ungenauigkeiten ist. So bezeichnet die Autorin z. B. fälschlicherweise D. de Rossi, den Herausgeber des bereits mehrfach zitierten Stichwerkes, in dem die Trunkene Alte abgebildet ist, als Bildhauer des Sockels, auf dem die Trunkene Alte dargestellt sei. Im selben Abschnitt wird, auf Grundlage der bereits oben zitierten Federzeichnung im Metropolitan Museum, New York, die Skulptur selbst irrtümlich „in die Mitte des 16. Jh. datiert“ (!). Zudem sei „die Figur mit Carl Theodor nach 1778 nach München“ gekommen, was jedoch erst 1803 unter seinem Nachfolger erfolgte. 639 Uebel 2007, 128 f. 640 Uebel 2007, 128. 641 Uebel 2007, 128. 642 Zanker 1989, 43.

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Lähmungen andererseits).643 So sei der „völlig gelöste Gemütszustand“ durch Scopolamin zu erklären, der pathetische Ausdruck mit dem „nach oben gereckten und zurückgeworfenen Kopf“ durch Atropin.644 Jedoch ist dies nichts, was sich nicht auch durch Alkohol erklären ließe. Fraglich erscheint zudem, ob die beiden entgegengesetzten Wirkungen von Atropin und Scopolamin in einem Organismus tatsächlich gleichzeitig nebeneinander auftreten können.645 Eine besondere Rolle spielt zudem noch die Flasche im Schoß der Trunkenen Alten und die Frage, ob die auf dem Stich bei de Rossi – Maffei (1704) gezeigte Flamme aus dem Hals des Gefäßes, die heute nicht mehr vorhanden ist, ursprünglich zugehörig war.646 Da der Stich in diesem Detail mit der älteren Federzeichnung im Metropolitan Museum,647 die ebenfalls die Münchner Replik zeigt, übereinstimmt, Maffei aber gleichzeitig „große Mühe auf ihre Rechtfertigung verwendet“,648 ist davon auszugehen, dass es sich um eine am Münchner Exemplar „einst tatsächlich ausgeführte und später verlorengegangene Ergänzung“ handelt.649 Dagegen unterstellte Bottari in seinem Katalog des Museo Capitolino aus dem Jahr 1755, die Flamme an der Mündung der Flasche und ihre Interpretation als Lampe ginge überhaupt erst auf Maffei zurück („Il Maffei (…) fece disegnare questo vaso vinario come una lucerna, ponendovi alla bocca delle fiammelle“).650 Diese Schlussfolgerung ergibt sich jedoch ganz logisch aus Bottaris irrtümlicher Annahme, die Vorlage des Stiches bei Maffei sei die – flammenlose – kapitolinische Trunkene Alte.651

643 Uebel 2007, 127 f. 644 Uebel 2007, 128. Beschreibende Zitate aus Zanker 1989, 44. 645 So zitiert Uebel 2007, 128 selbst aus Schmidbauer – v. Scheidt 1979, o. S.: „Im Gegensatz zu der zentral erregenden Wirkung des Atropin führt Scopolamin zu einem halbwachen Zustand, in dem die Willenskraft des Berauschten stark eingeschränkt scheint.“ Zudem enthält Mandragora in erster Linie den Wirkstoff Scopolamin und weniger Atropin. 646 de Rossi – Maffei 1704, 95 f. Taf. CIII. 647 New York, Metropolitan Mus., Inv.-Nr. 80.3.122 (Gift of Cornelius Vanderbilt, 1880); Harprath 1992, 59 mit Abb. 19. Aufgrund der wahrscheinlichen Entstehung der Zeichnung im 16. Jh. und dem als gesichert zu betrachtenden Funddatum der kapitolinischen Trunkenen Alten erst im 17. Jh. kann die Zeichnung von den beiden Repliken nur die in München zeigen. 648 Meyer 1992, 55. So schlägt Maffei u. a. eine Deutung als Mutter des Alkibiades bei den eleusinischen Mysterien vor, die der Künstler zu ihrer Kennzeichnung mit der „lampada di Bacco per i sacrifizi“ versehen habe, s. de Rossi – Maffei 1704, 95 f.; vgl. Zanker 1989, 6. 8. 649 Meyer 1992, 55 mit Anm. 26; entsprechend auch Harprath 1992, 59. Denkbar wäre auch eine absichtliche Entfernung, wie von Christ 1864, 43 vermutet, „vielleicht weil die späteren Besitzer jene verkehrte Restauration nicht ertragen mochten“. 650 Bottari 1755, 80; Bottari – Foggini 1821, 227. 651 So auch abgebildet bei Bottari 1755, 80 Taf. 37. Bottari dürfte allein die kapitolinische Replik noch bekannt gewesen sein, dagegen hatte die Münchner Replik Rom schon Jahrzehnte zuvor verlassen und befand sich inzwischen bereits in Mannheim. – Vgl. Meyer 1992, 60 Anm. 26. Diese irrtümliche Identifizierung der kapitolinischen Trunkenen Alten mit der bei de Rossi – Maffei 1704, 95 f. Taf. CIII abgebildeten Statue hatte außerdem schon zur fälschlichen Annahme geführt, beide Repliken hätten sich einstmals im Besitze Ottobonis befunden, dies aufgrund einer entsprechenden Beischrift zu dem Kupferstich. Dazu s. o.

3.9 Die Trunkene Alte – ein antikes Original in der Düsseldorfer Sammlung

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Zanker gibt an, die Ergänzung der Replik im Kapitolinischen Museum nach dem besser erhaltenen Exemplar in München sei im 17. Jh. erfolgt,652 was aufgrund ihres entsprechenden Funddatums wahrscheinlich ist, allerdings scheint es dazu keine exakten Belege zu geben. Der Katalog des Kapitolinischen Museums aus dem Jahr 1755 zeigt die Trunkene Alte in der Tat ergänzt mit dem nur am Münchner Exemplar im Original überlieferten Kopf, jedoch ohne die Flamme, die dort nach Ausweis des Stiches bei de Rossi – Maffei (1704) noch zu Beginn des 18. Jhs. zusammen mit der abgebrochenen Gefäßmündung in Ergänzung angebracht war.653 Demnach kann die Replik im Museo Capitolino entweder erst nach 1704 nach dem Vorbild der älteren Statue ergänzt worden sein, als dort die nachträglich hinzugefügte Flamme wieder entfernt worden war, oder der Ergänzer hat dieses Detail bewusst nicht mit übernommen. Augenscheinlich ist auch keine der koroplastischen Rezeptionen mit einer Flamme an der Flaschenmündung versehen. Die bei Maffei gezeigte Flamme ist also als ursprünglich nicht zugehörig zu betrachten, womit im Übrigen auch die Annahme Uebels, „die Lagynos wäre zum Abflammen der Pflanze gebraucht worden“ und die Kopfhaltung der Trunkenen Alten ergäbe sich im Zuge des „Einatmens der Dämpfe“, widerlegt ist.654 Die früheste neuzeitliche Deutung der Trunkenen Alten liegt uns ebenfalls in Form der oben genannten Zeichnung der Sammlung Vanderbilt im Metropolitan Museum vor, die zwei lateinische Beischriften trägt.655 Diese scheinen von zwei verschiedenen Schreibern, und zudem nicht von der Hand des (anonymen) Zeichners zu stammen, und lassen sich aufgrund der orthografischen Charakteristika italienischen Schreibern des späteren 16. Jhs. zuordnen.656 Beide bezeichnen die Trunkene Alte als Vestalin. Die Beschriftung am oberen Bildrand lautet: (Vestali)s longeva fovet inter aequora flam̅am („eine alte Vestalin hütet am Boden (hockend) die Flamme“, Lesung und Übersetzung H. Meyer), die am unteren Bildrand liest sich: amate virg. vestali inveterate in sacris obsequis („Bild einer geliebten Vestalischen Jungfrau, die alt geworden ist im heiligen Dienst“).657 Auf der zugehörigen Zeichnung ist die Flasche in ihrem Schoß mit Flamme dargestellt, diese Ergänzung dürfte maßgeblich gewesen sein für die Interpretation als Vestalin. Davor dürfte umgekehrt die Vermutung, es müsste sich um eine Priesterin handeln, basierend auf der Annahme, es könne keine „unwürdige Greisin“ darge-

652 Zanker 1989, 13. 653 Vgl. de Rossi – Maffei 1704, Taf. CIII. 654 Vgl. Uebel 2007, 128 f. Ihre Hypothese steht zudem in Widerspruch zu der von ihr selbst zuvor geäußerten Annahme „einer geringen Beimischung zum Wein“, s. Uebel 2007, 128. 655 New York, Metropolitan Mus., Inv.-Nr. 80.3.122 (Gift of Cornelius Vanderbilt, 1880); Harprath 1992, 59 mit Abb. 19. 656 Harprath 1992, 59. 657 Harprath 1992, 59. Die Anrede „amata“ für eine Vestalin begegnet auch in einer von Aulus Gellius überlieferten Berufungsformel, s. Gell. Noctes Atticae, 1,12,14. Einen greifbaren Beleg zur Erklärung dieses Rufnamens, etwa als „Geliebte der Götter“ o. ä., scheint es aber nicht zu geben.

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stellt sein, überhaupt zur Ergänzung des abgebrochenen Flaschenhalses mit einer Flamme geführt haben (an der Statue); daher vielleicht auch die Abwandlung des Sitzmotives in der Zeichnung, statt am Boden hockend auf einem Stuhl oder Hocker. Die Raccolta di Statue von de Rossi – Maffei (1704) bietet gleich mehrere Deutungen.658 Die Bildunterschrift des Stiches selbst bezeichnet das Werk als „Statua di Sacerdotessa di Bacco“. Auch auf dieser Darstellung ist wie gesagt die Mündung der Flasche mit einer Flamme versehen, das Gefäß also nicht als Trinkgefäß aufgefasst. Der zugehörige Katalogtext enthält mehrere verschiedene Deutungen, die alle auf der Interpretation der Flasche als Lampe („lampada“) basieren. Dabei schlägt Maffei einerseits eine allgemeinere, genrehafte Deutung als „Sacerdotessa, o Menade di Bacco“ vor (in der Überschrift: „Menade, o Baccante“), andererseits aber auch konkrete mythologische bzw. historische Benennungen, einmal als Mutter des Pentheus,659 einmal als Mutter des Alkibiades bei den eleusinischen Mysterien (opfernd mit einer brennenden Lampe), wobei das Bedürfnis, eine konkrete mythologische oder historische Figur zu benennen, grundsätzlich als zeittypisches Phänomen zu bezeichnen ist. Für seine Deutungen greift Maffei auch auf antike Autoren zurück (im konkreten Fall auf Apuleius, Plutarch und Plinius d. Ä.).660 Nicht ganz einheitlich sind auch die Bezeichnungen und damit Deutungen, die Fede im Briefwechsel mit Johann Wilhelm für die Trunkene Alte verwendet. Konkrete Benennungen im Sinne einer bestimmten Person oder mythologischen Figur kommen darin allerdings nicht vor. In seinem ersten diesbezüglichen Schreiben im Juni 1714, in dem Fede dem Kurfürsten von dem unerwarteten Geschenk Ottobonis berichtet, bezeichnet er die Statue als „die weinende Alte“ („una famosa statua rappresentante La vecchia piangente“),661 kurz darauf als „alte opfernde Priesterin“ („una vecchia sacerdotessa sagrificante“).662 In den weiteren Briefen, wie auch den Erwiderungen des Kurfürsten ist dann nur noch allgemein von der „bella statua“ oder auch dem „generoso dono del Signor Cardinale Ottoboni“ die Rede.663 Danach begegnet die Statue noch in den beiden bereits mehrfach zitierten Inventaren der Sammlung. Das nach dem Tode Johann Wilhelms erstellte Verzeichnis aus dem Jahr 1716 nennt sie als „alte sacrificant von Marmor“,664 das spätere Übernahmeinventar zum Transport der Abgüsse nach Mannheim als „La Statua di Marmo della vechia sacrificante“.665 Im selben Inventar erscheint sie auch noch einmal unter den nach

658 de Rossi – Maffei 1704, 95 f. Taf. CIII. 659 Die Fackel könne als „segno degli orgii“ verstanden werden, dabei schaue sie zu ihrem Sohn hinauf. Gedacht war dabei von Maffei also wohl eher an den Moment der Entdeckung des Pentheus durch seine Mutter als an die „Totenklage der Mutter um ihren Sohn“, vgl. Zanker 1989, 8. 660 Allerdings weisen die lateinischen Zitate doch einige Abweichungen von ihrer Vorlage auf. 661 Q 688, Fede an Johann Wilhelm (13. oder 23. Juni 1714); Levin 1906, 162 f. (23. Juni 1714). 662 Q 693, Fede an Johann Wilhelm (30. Juni 1714). 663 Q 698, Johann Wilhelm an Fede (15. Juli 1714); Q 700, Johann Wilhelm an Fede (22. Juli 1714). 664 Hofmann 1982, 362 f. nach Klapheck 1919, 136 f. Anlage IV. 665 Inv. 1731, Nr. 18, s. Braun 1984, 25.

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Mannheim zu transferierenden großplastischen Skulpturen, etwas uncharmant bezeichnet als „ein altes weib, so eine antiquität undt von Rom kommen, 3 ½ fues hoch undt 3 breith“.666 Zusammenfassend lässt sich zur Trunkenen Alten Folgendes festhalten: Wie ausgeführt wurde, dürfte es sich bei dem verlorenen hellenistischen Urbild der Trunkenen Alten um eine Weihgeschenk in einem Heiligtum gehandelt haben, wahrscheinlich für Dionysos. Als Vertreter der hellenistischen Genreplastik stellte sie trotz ihrer veristischen Gestaltung keine bestimmte historische oder mythologische Person dar. Aufgrund der reichen Kleidung und des Schmucks dürfte es sich am ehesten um die Darstellung einer ehemals „Vielverdienenden“, also einer alten Hetäre handeln. Ins Bild gesetzt war der literarisch überlieferte Topos der trunksüchtigen alten Frau, mit dem bereits die attische Komödie des 4. Jhs. v. Chr. neben der alten Hetäre auch die Amme charakterisierte. Gleichwohl sind in den mehr als 300 Jahren, in denen die Trunkene Alte bekannt ist, eine ganze Reihe unterschiedlicher Deutungen und zum Teil auch konkreter Benennungen vorgeschlagen worden. Während die Münchner Replik der Trunkenen Alten, das einzige Marmororiginal in der Statuensammlung des Kurfürsten Johann Wilhelm, 1714 durch Vermittlung des Conte Fede aus der Sammlung des Kardinals Ottoboni nach Düsseldorf verschifft worden war, war die kapitolinische Trunkene Alte aus dem Besitz der Familie Verospi unmittelbar in das Kapitolinische Museum gelangt und hatte sich, anders als bislang angenommen, zu keiner Zeit in der Sammlung Ottobonis befunden. Auch die oftmals unterstellte durchgängige Geringschätzung für das Werk in der Neuzeit hat sich nach Auswertung der Quellen so nicht bestätigt.

3.10 Weitere Sendungen nach Düsseldorf Noch bevor die erste Sendung von Abgüssen und Formen in Düsseldorf eingetroffen war, ging die zweite Sendung von Rom aus auf Reisen. Am 5. April 1710 lässt Fede den Kurfürsten wissen, alle Kisten seien bereits auf eine Livorneser Tartane verladen, welche sie an einem Tag der darauffolgenden Woche nach Livorno bringen werde.667 Außer den S. Kurf. D. bereits angekündigten Formen habe er in einen Kasten jene der berühmtesten Statuen Roms in Verkleinerungen („ridotte in piccolo“) hinzufügen lassen, von welchen er nicht bezweifle, dass sie den sehr edlen Geschmack S. Kurf. D. treffen würden, und er freue sich über die Gelegenheit, die sich ihm geboten habe, sie mit einem beträchtlichen (Preis-)Vorteil zu erwerben.668

666 Karlsruhe, GLA, Pfalz-Generalia, 77/3895; Stupperich – Kunze 2007, 128 f. mit Abb. 11 (R. Stupperich). 667 Q 511, Fede an Johann Wilhelm (5. April 1710); Levin 1911, 167. 668 Dabei dürfte es sich um die in dem von Francesco Arnaldi vorgelegten Formenverzeichnis erwähnten Verkleinerungen gehandelt haben: „I modelletti in piccolo delle piu [ein Wort wie „famose“ fehlt an dieser Stelle, Anm. E. S.] figure antiche di Roma che sono numero venti“ (Levin 1911,

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3 Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm

Wenn ihn dann die Nachricht erreiche, dass die oben erwähnten Sachen von Livorno nach Holland abgehen sollen, werde er nach einer angemessenen Zeitspanne die Statuarii zu Lande abreisen lassen, damit sie sich bei der Ankunft derselben dort befinden könnten. Am 26. April 1710 meldet Fede, die elf Kisten seien mit der „tartana del padrone Scappino“ bereits in Livorno eingetroffen. Die anderen vor Monaten von ihm dorthin geschickten Frachtstücke (d. h. die erste Sendung) hätten nunmehr Segel nach Amsterdam gesetzt.669 Am 5. Juli 1710 berichtet Fede, die zweite Sendung von elf Kisten sei in Livorno bereits auf das Schiff des holländischen Kapitäns Niccolò Veen aufgeladen worden, und dass man auf nichts anderes warte als auf die Gunst des Windes, um nach Amsterdam zu segeln.670 Am selben Tag vermeldet Johann Wilhelm die Ankunft der ersten Statuensendung in Düsseldorf 671 und am 2. August 1710 das Eintreffen der beiden Italiener in der Stadt.672 Die zweite Sendung nach Düsseldorf enthielt auch die Statue der Venus von Medici, an der Mannelli gearbeitet hatte (s. u.). Sie erscheint im Inventar von 1731 unter der Bezeichnung „La statua della Venere di villa medici 5 ½ Fueß hoch“.673 Am 21. Juni 1709 hatte Fede an den Kurfürsten nach Düsseldorf geschrieben, die berühmte Statue der Venus von Medici sei bereits geformt und mit derselben Vollkommenheit gelungen wie die anderen, weshalb er die Hoffnung hege, dass sie seinen sehr edlen Geschmack treffe. Er werde sie mit der ersten sicheren Gelegenheit, die sich ihm biete, nach Livorno schicken, damit sie von dort nach Holland gesandt werde.674 Am 19. Oktober 1709 bat Fede Cosimo III. einen Pass des französischen Königs zu besorgen, um vierzehn (letztlich waren es elf) Frachtstücke oder Kisten an den Kurfürsten zu schicken, in denen sich eine Statue aus Scagliola befände, die die berühmte Venus von Medici darstelle, und in den anderen einige Formen der berühmtesten Statuen Roms und diverse Mengen von Scagliola und andere Materialien um selbige Statuen zu formen. Er werde alles einpacken und bei der ersten sich bietenden Gelegenheit nach Livorno schicken. Die Künstler würden dann zu Lande nach Düsseldorf fahren und auf der Durchreise seiner Königlichen Hoheit (R. A. V.) ihre Aufwartung machen, um seine Aufträge entgegen zu nehmen.675 Am 16. November 1709 teilte Fede auch Johann Wilhelm mit, er habe Seine Durchlaucht

165: Formen frei modellierter Verkleinerungen), s. Q 452, Fede an Johann Wilhelm (3. August 1709), Anlage; Levin 1911, 165 (3. September 1709). 669 Q 515, Fede an Johann Wilhelm (26. April 1710); Levin 1911, 167. 670 Q 536, Fede an Johann Wilhelm (5. Juli 1710); Levin 1911, 168; s. dazu auch das diesem Brief beigefügte Schreiben Terriesis, Proveditore des Großherzogs von Toskana: Q 531, Francesco Terriesi aus Livorno an Fede (28. Juni 1710). 671 Q 535, Johann Wilhelm an Fede (5. Juli 1710). 672 Q 544, Johann Wilhelm an Fede (2. August 1710); Levin 1911, 168. 673 Florenz, Uffizien, Inv.-Nr. 224; Inv. 1731, Nr. 10; vgl. Schiering 1995, 158 A 19 (Abb. 22). 674 Q 444, Fede an Johann Wilhelm (21. Juni 1709); Levin 1911, 163 (22. Juni 1709). 675 Q 475, Fede an Cosimo III. (19. Oktober 1709).

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den Großherzog gebeten, aus Frankreich den geeigneten Pass zu beschaffen, um den Transport der Arbeitsmaterialien wie auch der berühmten Statue der Venus von Medici, die bereits fertiggestellt sei, abzusichern. Sobald die genannten Gegenstände in Livorno verladen seien, würden sich die Künstler auf den Weg machen, zu Lande, „weil sie die Bewegung des Meeres nicht gewöhnt seien“.676 Demzufolge wurde die Venus Medici als ausgegossene Statue geschickt zusammen mit einer Reihe weiterer Gussformen. In der zweiten Sendung müssen auch einige Statuen bzw. deren Formen enthalten gewesen sein, die Zacharias Conrad v. Uffenbach bei seinem Besuch im April 1711 im Düsseldorfer Galeriegebäude beschrieben hat: Die vornehmste waren folgende: Ein Hercules, und eine Flora von ganz entsetzlicher Grösse. (…) Ferner waren sehr schön ein Centaurus, auf welchem ein Cupido saß, und ihn peitschte. Ferner ein Stück, so zwey Fechter, deren einer den andern zu Boden warf, vorstellte. Ein tanzender Satyr, dergleichen wir bey Herrn Tenkaaten in Amsterdam gesehen. Ein Mercurius und andere mehr.677

Da der Hercules und die Flora Farnese, ebenso wie der Kentaur Borghese, bereits mit der ersten Sendung nach Düsseldorf geschickt worden waren, betrifft dies also die übrigen von ihm erwähnten Werke: den Satyrn mit der Fußklapper (tanzender Satyr) nach dem Vorbild in Florenz (Abb. 20),678 die Ringergruppe Florenz (Abb. 45a)679 sowie einen „Mercurius“. Zur Identifzierung des „Mercurius“ kommen grundsätzlich zwei verschiedene Werke in Frage: Das Inventar von 1731 nennt einmal einen „Mercurio di villa medici“ (Inv. 1731, Nr. 14), einmal einen „Mercurio di Firenze“ (Inv. 1731, Nr. 17). Allerdings nennt das von Arnaldi mit einem Brief Fedes vom 3. August 1709 vorgelegte Verzeichnis der in seinem Besitz befindlichen Formen680 auch einen „Mercurio de’ Medici“, der ohne Weiteres bis dahin abgegossen worden sein kann. Ebenso ist in diesem Verzeichnis die Venus Medici („La Venere de’ Medici“) genannt, die nachweislich mit der zweiten Sendung nach Düsseldorf geschickt wurde. Gut möglich also, dass es sich um den „Mercurio de’ Medici“ aus Arnaldis Formenverzeichnis handelte. Es ist festzustellen, dass sich die Originale zu einigen der für Johann Wilhelm angefertigten Antikenabgüssen damals nicht in Rom, sondern in Florenz befanden.681 Dies gilt beispielsweise für die Venus Medici, den von Uffenbach beschriebenen tanzenden Satyrn und die Ringergruppe und für den Schleifer, der erst in den

676 Q 484, Fede an Johann Wilhelm (16. November 1709); Levin 1911, 166. 677 Uffenbach 1754, 725 f. 678 Florenz, Uffizien, Inv.-Nr. 220; Inv. 1731, Nr. 13; vgl. Schiering 1995, 141 f. A 7 (Abb. 11). 679 Florenz, Uffizien, Inv.-Nr. 216; Inv. 1731, Nr. 12; vgl. Schiering 1995, 160–162 B 20 (Abb. 24) (Kohlezeichnung Leydensdorff nach Gipsabguss Mannheim). 680 Q 452, Fede an Johann Wilhelm (3. August 1709), Anlage; Levin 1911, 165 (3. September 1709). 681 Einige Originale, die sich heute in Florenz befinden, gelangten jedoch erst später dorthin.

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3 Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm

Abb. 20: Satyr mit der Fußklapper, Florenz, Galleria degli Uffizi, Inv.-Nr. 220.

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beiden Düsseldorfer Inventaren begegnet.682 Diese könnten jedoch aus Formen hergestellt worden sein, die sich in Rom befanden. So enthält beispielsweise die Liste des Francesco Arnaldi auch eine Form der Venus Medici.683 Dagegen ist von einer etwaigen Abguss-Kampagne für Johann Wilhelm in Florenz zumindest aus den vorliegenden Quellen nichts Greifbares zu erfahren. Nicht abschließend zu klären war daher bisher eine Bemerkung Cosimos in einem Schreiben an seinen Schwiegersohn Johann Wilhelm vom 3. Januar 1708: Er „hoffe, S. Kurf. D. Stuckfiguren von größerer Genauigkeit zu schicken als jene, die geschickt worden seien (…)“ („Io spero di mandar à V. A. E. delle figure di stucco di maggiore giustezza di quelle, che si sono mandate (…)“).684 Nach Auffassung Levins handelte es sich dabei nicht um „Beiträge zur Abgusssammlung in Originalgröße“, an der Cosimo „gänzlich unbeteiligt“ gewesen sei, sondern möglicherweise um Abgüsse von Verkleinerungen, die von „maggiore giustezza“ seien, „wenn bessere Originale benutzt wurden“.685 Dagegen vermutet Tipton, es handele sich um „Abgüsse jener Skulpturen, die Cosimo III. um 1660 persönlich von Rom nach Florenz hatte bringen lassen, um sie in der Tribuna der Uffizien zu präsentieren: die ‚Venus Medici‘, den ‚Tanzenden Faun‘, den ‚Schaber‘ und die ‚Ringergruppe‘.“ Durch die „neuen Abformungen von den Originalen“ habe er „offenbar verhindern wollen, dass drittklassige Abgüsse nach bereits vorhanden Kopien oder Matrizen aus Rom nach Düsseldorf verschifft wurden“.686 Allerdings finden sich in der Korrespondenz keinerlei explizite Hinweise, dass Cosimo Formen oder Abgüsse großformatiger Werke an Johann Wilhelm nach Düsseldorf geschickt hätte.687 Vor allem aber schreibt Cosimo von Figuren „di maggiore giustezza di quelle, che si sono mandate“ – zum Zeitpunkt seines Schreibens war jedoch die erste Sendung von Abgüssen an den Kurfürsten noch nicht einmal aus Rom abgeschickt.688 Es kann sich zumindest bei den hier

682 Florenz, Uffizien, Inv.-Nr. 230; Inv. 1731, Nr. 15 („Arrotino di villa medici“); Inv. 1716 („Splorator“). Vgl. Schiering 1995, 144 f. A 9 (Abb. 13). 683 Q 452, Fede an Johann Wilhelm (3. August 1709), Anlage; Levin 1911, 165 (3. September 1709). 684 Q 364, Cosimo III. aus Florenz an Johann Wilhelm (3. Januar 1708); Levin 1906, 177. 685 Levin 1906, 177. Auch sonst hatte Cosimo Verkleinerungen von Antiken nach Düsseldorf geschickt: So bedankt sich Johann Wilhelm bspw. einmal für die „marmi bellissimi“, die er in dieser Woche erhalten habe, worunter sich auch die „Lotta di Medici“, eine Verkleinerung der Ringergruppe in den Uffizien, befand, s. Q 327, Johann Wilhelm an Cosimo III. (13. Mai 1707); Levin 1906, 176. 686 Tipton 2006, 119 mit Anm. 253. 687 Wohl aber sorgte Cosimo für das sichere Geleit der Statuensendungen von Rom nach Livorno und dort für die Verladung und Weiterverschiffung nach Amsterdam, wie entsprechenden Dankesschreiben des Kurfürsten zu entnehmen ist, und besorgte auch einen französischen Pass für den sicheren Versand. Über Cosimos Hofbildhauer, Giovanni Battista Foggini (1652–1725), erfahren wir in diesem Zusammenhang nur, dass dieser in Livorno „die Einordnung der Kasten übernommen hatte“ (Levin 1906, 178) („che gli ha insieme accomodati“), und man deshalb hoffe, die Abgüsse erreichten ihr Ziel unbeschadet, s. Q 540, Cosimo III. aus San Cresci an Johann Wilhelm (14. Juli 1710); Levin 1906, 177 f. 688 s. o. und Q 437, Fede an Johann Wilhelm (11. Mai 1709); Levin 1911, 162.

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3 Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm

genannten Stücken also tatsächlich nicht um Beiträge zu Johann Wilhelms großformatiger Sammlung der Antikenabgüsse gehandelt haben. Speziell im Falle der Venus Medici für die Düsseldorfer Sammlung ist erwiesen, dass diese erst deutlich später in Rom von Mannelli in Scagliola gegossen wurde.689 Als Vorlage kann dabei eine in Rom bereits vorhandene Guss-Form gedient haben, oder aber – was bislang nicht zu belegen, aber eben auch nicht auszuschließen ist – eine Form, die neu von Cosimo nach Rom geschickt worden war.690 Gleiches gilt für die übrigen Abgüsse nach Originalen aus Florenz, die sich später nachweislich in Düsseldorf befanden. Von diesen sind jedoch möglicherweise nur die Formen geschickt worden – die Versendung als Scagliola-Abguss ist jedenfalls von den Florentiner Stücken allein für die Venus Medici gesichert.691 Aus der späteren sehr detaillierten Aufstellung Fedes der im Dienste des Kurfürsten geleisteten Aufwendungen für das Jahr 1710 ist zu ersehen, welche Kosten im Einzelnen für das Abguss-Unternehmen anfielen, außer Arbeits-, Material- und Transportkosten auch Porti, Zölle und Trinkgelder und die Kosten für die Reise der beiden Statuarii.692 Für die Versendung der Statuen und Formen wurden eigens durch einen Schreiner Kisten angefertigt. Aufgeführt sind auch zweihundert Scudi gezahlt an den Statuarius Francesco Arnaldi für die Formen der berühmtesten Statuen Roms und gesondert die Kosten für deren Transport von seinem Haus zum Palazzo di Campo Marzo, dem Domizil Fedes, das als Zwischenlager der für Düsseldorf bestimmten Gegenstände diente, und für den Transport der Kisten vom Palazzo di Campo Marzo zum Verladeplatz am Hafen. Genannt ist auch das Honorar für Mannelli für seine Arbeit an der Venus (Medici) und für das Aufbereiten und Verpacken aller gekauften Formen. Nach Vorauszahlung von achthundert Scudi am 1. Oktober 1709 durch den Baron de Wiser aus Neapel verblieb schließlich noch eine Forderung von fünfundzwanzig Scudi und 79 Baiochi auf die Gesamtrechnung. Enthalten war auch der Transport der Frachtstücke von Rom nach Livorno, aber nicht die Hauptetappe der Reise von Livorno nach Amsterdam. Dies dürfte dann über den holländischen Residenten abgewickelt worden sein.693 Der Materialbedarf war so groß, dass Johann Wilhelm Fede am 1. August 1711 zur Durchführung der Arbeiten um die Zusendung von 30 000 Pfund Scagliola bat. Diese sei mit größtmöglicher Eile aus Sizilien zu beschaffen und direkt nach Livorno

689 Q 444, Fede an Johann Wilhelm (21. Juni 1709); Levin 1911, 163 (22. Juni 1709). 690 Wäre es alleine um die Form gegangen, hätte man diese natürlich direkt aus Florenz nach Düsseldorf schicken können, in diesem Fall sollte jedoch ein Scagliola-Abguss durch Mannelli hergestellt werden. 691 Die betreffenden Formen könnten auch direkt nach Düsseldorf geschickt worden sein, es sei denn, man hätte zunächst geplant, in Rom auch von diesen Abgüsse herzustellen. 692 Q 559, Fede an Johann Wilhelm, Aufstellung der Kosten für das Jahr 1710 (13. Januar 1711); Levin 1911, 168 f. 693 Offensichtlich war Fede nur für die Begleichung der in Italien anfallenden Rechnungen zuständig.

3.10 Weitere Sendungen nach Düsseldorf

149

[d. h. nicht über Rom, Anm. E. S.] zu schicken, damit sie mit dem frühesten Schiff nach Holland gehen könne.694 Darauf antwortet Fede, er habe bei einem einheimischen Händler einige tausend Pfund vorrätig gefunden, die er sogleich nach Livorno schicke, den Rest werde er aus Sizilien kommen lassen. Allerdings rät er davon ab, das Material direkt nach Livorno senden zu lassen wegen der Unsicherheit des Seeweges, und da er so auch die Möglichkeit habe dieses zu prüfen, damit ja nichts Unbrauchbares geschickt werde.695 Mitte Oktober verfasst Fede dann die Mitteilung, er habe zwei Kisten mit sieben bis achttausend Pfund Scagliola nach Livorno abgesandt,696 deren Ankunft dort bestätigt er am 24. Oktober.697 Im September 1712 ordert Johann Wilhelm bei Fede weitere zehntausend Pfund Scagliola. Über die gewünschte Qualität werde ihm Gennaro Mannelli, der ohnehin wieder für einige Monate nach Italien ginge, noch Bescheid geben.698 Bereits am 19. November 1712 berichtet Fede dem Kurfürsten, mit welcher Eilfertigkeit der Statuarius Gennaro Mannelli ihm nun auch bei seiner Tätigkeit in Rom bemüht sei zu dienen.699 In der Anlage sendet er ihm ein von Mannelli selbst geschriebenes Verzeichnis der berühmtesten Statuen Roms, von denen dieser die Formen anzufertigen beabsichtige. Mit dessen Auswahl erklärt sich Johann Wilhelm einverstanden700 und teilt, um das Unternehmen voranzutreiben, bald darauf mit, er habe den Baron von Wiser um Überweisung von dreitausend Scudi gebeten, von denen Fede Mannelli nach Bedarf versorgen möge.701 Mit seinem Schreiben vom 10. März 1714 schickt Fede in der Anlage ein sehr umfangreiches Verzeichnis der von Gennaro Mannelli bis jetzt vollendeten Arbeiten, darunter unter einigen anderen die Formen des Torso vom Belvedere, der Venus Kallipygos, des Dornausziehers und des Hermaphroditen Borghese.702 Hinzu kamen noch knapp zwei Dutzend Büsten, zwei verkleinerte Gruppen wie der „Raub der Sabinerinnen“ und Berninis „Raub der Proserpina“ und einiges mehr. Am 29. April 1713 hatte Fede dem Kurfürsten berichtet, man habe zwölf antike Caesarenbüsten („i busti dei dodici Cesari antichi“) ausfindig machen können, und er habe bereits damit beginnen lassen, sie abzuformen, da der Statuarius Mannelli, der mit aller Genauigkeit darauf achte, S. Kurf. D. wohl zu dienen, glaube, dass sie passend seien, um die Nischen zu füllen, die sich in Seiner Königlichen Akademie („Sua Reale

694 695 696 697 698 699 700 701 702

Q 570, Johann Wilhelm an Fede (1. August 1711); Levin 1911, 169. Fede an Johann Wilhelm (22. August 1711), dieses Schreiben nur bei Levin 1911, 169 f. Q 573, Fede an Johann Wilhelm (13. Oktober 1711); Levin 1911, 170. Fede an Johann Wilhelm (24. Oktober 1711), nur bei Levin 1911, 170. Q 619, Johann Wilhelm an Fede (9. September 1712); Levin 1911, 170. Q 623, Fede an Johann Wilhelm (19. November 1712), Anlage; Levin 1911, 170 f. Q 624, Johann Wilhelm an Fede (11. Dezember 1712); Levin 1911, 171. Q 627, Johann Wilhelm an Fede (25. Dezember 1712); Levin 1911, 171. Q 678, Fede an Johann Wilhelm (10. März 1714); Levin 1911, 173 f. (14. März 1714).

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3 Der Aufbau der Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Johann Wilhelm

Accademia“) befänden.703 Fast alle der großplastischen Statuen und etliche der Porträts finden sich später im Mannheimer Antikensaal.704 Schon kurze Zeit darauf werden die von Mannelli aufgelisteten Stücke nach Düsseldorf versandt: Am 31. März 1714 teilt Fede dem Kurfürsten mit, Mannelli habe bereits die nächste, aus siebzehn Kisten bestehende Sendung nach Livorno verschifft, nämlich zwölf Kisten mit Formen und fünf mit Scagliola.705 Im Brief Fedes vom 21. April 1714 erfahren wir von der Ankunft der Sendung in Livorno und dass diese, da sie sogleich auf ein dort bereitstehendes holländisches Schiff hatte verladen werden können, bereits auf dem Weg nach Holland sei.706 Am 25. August 1714 berichtet Fede, Mannelli werde sobald wie möglich die Statue des Kardinals Ottoboni [d. h. die Trunkene Alte, Anm. E. S.] und weitere zehn Kisten mit Formen verschicken.707 Unterdessen sei er dabei, das Kapitell der Rotunde [d. h. des Pantheons, Anm. E. S.] und den Jupiter tonans aus den Diokletiansthermen abzuformen.708 Aus dem Schreiben Fedes vom 15. September 1714 ist zu erfahren, Mannelli arbeite nun mit anderen ihm unterstellten Künstlern an der Abformung der sehr kostbaren Statuen der Gallerie des Herzogs von Sirmio [aus dem Nachlass der Königin Christina von Schweden, Anm. E. S.], wozu dieser dankenswerterweise sein Einverständnis gegeben habe.709 Gut einen Monat später liegt einem Brief an Johann Wilhelm dann ein Blatt Mannellis bei, fünf Statuen der Gallerie Odescalchi [d. h. des Herzogs von Sirmio, Anm. Levin] seien fertig, ein „Tolomeo“, der „Satyr mit dem Böckchen“, eine „Dea Clizia“ sowie zwei Venusstatuen. Die Gruppe von „Castor und Pollux“ ebenso wie der „Alesandro“ seien noch in Arbeit.710 Er hoffe, die Arbeiten bis Ende November abschließen zu können. Die hier 703 Q 635, Fede an Johann Wilhelm (29. April 1713); Levin 1911, 172. Offenbar ging es um die Nischen in den Räumen der Düsseldorfer Abguss-Sammlung im Galeriegebäude, s. auch Levin 1911, 172. In der Liste Mannellis vom 10. März 1714 scheint dann allerdings kein Porträt dieser Kaiserserie erwähnt zu sein, ob der darin genannte Tiberius etwas damit zu tun hat, ist unklar. Das Düsseldorfer Inv. 1716 enthält zumindest einen Augustus, einen Tiberius, einen Nero und ein paar weitere Porträts römischer Kaiser. 704 Einige der in Mannellis Verzeichnis aufgeführten Porträts sind im Inventar von 1731 nicht einzeln genannt, sondern unter „noch 52 allerhand Bruststücker so alle ungefehr 3 biß 3 ½ Fuß hoch seyend“ zusammengefasst. Darunter könnten sich auch Exemplare der o. g. Kaiserserie befunden haben. Das Verzeichnis der im Besitze Arnaldis befindlichen Formen erwähnte ebenfalls eine (andere) Reihe von zwölf Porträts: „Dodici teste antiche delle più stimate della scola de’ Greci“, s. Q 452, Fede an Johann Wilhelm (3. August 1709), Anlage; Levin 1911, 165 (3. September 1709). 705 Q 680, Fede an Johann Wilhelm (31. März 1714); Levin 1911, 174. Zu dieser Sendung s. a. Q 679, Fede an Johann Wilhelm (24. März 1714); Levin 1911, 174. 706 Q 683, Fede an Johann Wilhelm (21. April 1714); Levin 1911, 174. 707 Q 711, Fede an Johann Wilhelm (25. August 1714); Levin 1911, 177. Diese wurden unterdessen im Haus Fedes zwischengelagert, s. Q 715, Fede an Johann Wilhelm (1. September 1714). 708 Vgl. Inv. 1731, Nr. 21; Nr. 23. 709 Q 720, Fede an Johann Wilhelm (15. September 1714); Levin 1911, 177. Zu diesem Sammlungskomplex ausführlich s. o. 710 Q 725, Fede an Johann Wilhelm (20. Oktober 1714); Levin 1911, 178. Das Blatt Mannellis ist heute augenscheinlich verloren, oder zumindest nicht mehr dem Schreiben beiliegend, dem es ur-

3.10 Weitere Sendungen nach Düsseldorf

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von Mannelli aufgeführten Stücke erscheinen später sämtlich im Inventar von 1731, jeweils mit der Angabe „della Regina di Suezia“.711 Zusammen mit den Abgussformen der Antiken aus der Sammlung Odescalchi wurde auch die Statue der Trunkenen Alten verschickt.712 Am 8. Dezember 1714 berichtet Fede Johann Wilhelm von der Verschiffung der Ladung nach Livorno.713 Am 30. Dezember 1714 erwidert der Kurfürst voller Vorfreude, er werde das glückliche Eintreffen der Sendung erwarten, so wie bisher „einige Statuen, Formen, Scagliola und andere Dinge aus Livorno“ in Düsseldorf angekommen seien.714 Am 17. Februar 1715 konnte Johann Wilhelm Fede bereits von der glücklichen Ankunft der Sendung in Holland Mitteilung machen.715 Am 17. August 1715 meldet Fede schließlich die Einschiffung der letzten Sendung nach Livorno („l’ultima spedizione de’ cassoni con tutti i cavi, e con tutti i materiali necessario“) und kündigt die baldige Rückkehr Mannellis nach Düsseldorf an.716 Wir erfahren nur, dass diese letzte Sendung „molte migliaia di scagliola“ und weitere Kisten mit den verbliebenen Formen enthielt.717

sprünglich angehängt war, deshalb bei Tipton 2006 nicht genannt. Allerdings überliefert Levin a. O. dessen Inhalt. Genannt werden darin: „Il Tolomeo, il fauno che porta la capretta, la Venere che sta in atto di sciugarsi [sich abzutrocknen, Anm. Levin], la Dea Clizia e l’altra Venere greca.“ Dazu kommen (noch nicht abgeschlossen): „L’Alesandro et il Castore e Polluccie“. Bei dem „Alesandro“ handelte es sich dem Inventar von 1731 zufolge um eine Büste Alexanders des Großen (heute in Madrid?), der „Tolomeo“ scheint bislang noch nicht eindeutig zugeordnet, das Inventar von 1731 verrät aber zumindest so viel, dass es sich um eine Statue von 7 Fuß Höhe und nicht um eine Büste handelte. 711 Inv. 1731, Nr. 30; Nr. 31 (oder 29?); Nr. 35; Nr. 37; Nr. 49; Nr. 52; Nr. 60, s. Braun 1984, 26– 28. Hinzu kommen dort, ebenfalls aus dem Besitz der schwedischen Königin, noch eine weitere Venusstatue, ein Faun und ein weiterer Satyr, deren Abgüsse offenbar zu einem späteren Zeitpunkt angefertigt wurden: Inv. 1731, Nr. 29 oder Nr. 31 (Venus); Nr. 34 (Faun); Nr. 41 (Satyr), s. Braun 1984, 26 f. 712 Q 725, Fede an Johann Wilhelm (20. Oktober 1714); Levin 1911, 178. 713 Q 734, Fede an Johann Wilhelm (8. Dezember 1714); Levin 1911, 178. 714 Q 739, Johann Wilhelm an Fede (30. Dezember 1714). 715 Johann Wilhelm an Fede (17. Februar 1715), Schreiben nur genannt bei Levin 1911, 179. 716 Q 754, Fede an Johann Wilhelm (17. August 1715); Levin 1911, 179. 717 Q 745, Fede an Johann Wilhelm (23. März 1715); Levin 1911, 179.

4 Der Antikensaal unter Kurfürst Carl Theodor und das weitere Schicksal der Sammlung Im Jahr 1731 wurde unter Johann Wilhelms Nachfolger und jüngerem Bruder Carl Philipp (1661/1716–1742) ein Verzeichnis der in Düsseldorf vorhandenen Antikenabgüsse erstellt, anlässlich des geplanten Transports der Abgüsse nach Mannheim (wegen der Verlegung der kurfürstlichen Residenz dorthin), auch „Übernahmeinventar“ genannt.718 Doch erst im Jahr 1753 erteilte Carl Philipps Nachfolger Kurfürst Carl Theodor (1724/1742–1799) seinem Hofbildhauer Peter Anton von Verschaffelt (1710–1793) dann den Auftrag, in Düsseldorf sämtliche Statuen und Formen aus Gips in Augenschein zu nehmen und diese gut verpackt per Schiff nach Mannheim bringen zu lassen.719 Möglicherweise steht dies in Zusammenhang mit einer Initiative Verschaffelts, der erst kurz zuvor in die Dienste des Kurfürsten getreten war und gleich zu Beginn mit Widrigkeiten wie dem Fehlen einer geeigneten Bildhauerwerkstätte und „der zu Behuf der herrschaftlichen Arbeit benötigten Materialia“ konfrontiert war.720 Levin hat vermutet, die relativ späte tatsächliche Verbringung der Abgüsse nach Mannheim habe vor allem räumliche Gründe gehabt: „So lange der Kurfürst an seinem neuen Schlosse in Mannheim baute, trug er nach den Düsseldorfer Schätzen kein Verlangen, denn er hatte kein Obdach für sie.“ 721 Offenbar handelte es sich dann aber schlussendlich auch um eine Rettungsaktion der in Düsseldorf von Zerstörung bedrohten Abgüsse und Formen: „Als das Gewicht der Abgüsse und Formen zu statischen Problemen am Gebäude führte, also den Schlossbau gefährdete und man in Düsseldorf deshalb erwog, sie zu zerstören, ordnete Carl Theodor die endgültige Überführung des Antikenbestandes aus Düsseldorf nach Mannheim an.“ 722 Doch auch dann wurden die Abgüsse augenscheinlich nicht im Schloss aufgestellt, sondern zunächst auf verschiedene Gebäude der Stadt verteilt.723 Erst 1767 kam es

718 Karlsruhe, Badisches Generallandesarchiv, Pfalz-Generalia, 77/3895 = Inv. 1731; Braun 1984, 21–29; Braun 1995, 179–184. 719 Levin 1906, 166; Alberts 1961, 66 (mit Hinweis auf Rescriptenauszug in der Akte II 622 Düsseld. Stadtarchiv); Schreiben Carl Theodors an die Hofkammer vom 31. August 1753. 720 Vgl. Beringer 1902, 6. 721 Levin 1911, 121. 722 Kunze 2007, 115 f.; s. dazu vor allem Grotkamp-Schepers 1980, 200 Anm. 98 mit einem entsprechenden Zitat aus dem Tagebuch des Stephan von Stengel (1750–1822), Hofbeamter und Berater Carl Theodors (Stengel, Tagebuch, GHA VI a 1. Teil 1, S. 58 f.). In Düsseldorf hatten die Abgüsse zumindest zu Lebzeiten Johann Wilhelms noch zu ebener Erde im sog. Galeriegebäude gestanden, die Formen wurden dort jedoch in der Tat unter dem Dach verwahrt, s. a. Inv. 1716. 723 Beringer 1902, 17; Grotkamp-Schepers 1980, 20. Im September 1766 wurden die Abgüsse und Formen provisorisch in drei Räumen des Schlosses gesammelt, s. Beringer 1902, 48; GrotkampSchepers 1980, 20 mit Verweis auf Reskript vom 5. 9. 1766 (GLA 213/1794 fol. 139). Später lagerten die Formen auf dem Speicher des Antikensaals, s. Beringer 1902, 54. https://doi.org/10.1515/9783110616200-006

4 Der Antikensaal unter Kurfürst Carl Theodor

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auf Anordnung Carl Theodor zur ordentlichen Unterbringung der Sammlung in einem eigenständigen, in der Stadt gelegenen Gebäude im Quadrat F 6,1. Das kurfürstliche Reskript vom Sommer 1767 erteilte den Auftrag, alle und jede in dero Schloss zu Mannheim und Düsseldorf hien und wieder verstreut aufbehaltene alte Statuen, Figuren und Modellen von Gips zu derselben bessere Conservirung sowohl, als besonders zum Gebrauch deren Mahlern und Bildhauern fürnehmlich aber zum studiren der in der Akademie der Zeichnungs-Kunst zu besagtem Mannheim sich übender Lehrjugend in einem besonderen Gebäu zusammengetragen und wohlverwahren zu lassen; darüber soll dem ersten Bildhauer und Akademiedirektor Verschaffelt die Oberaufsicht übertragen werden. Er soll sie nach Gutfinden in schicklicher Ordnung aufstellen, Einrichtung treffen, dass sie bestens erhalten und auch das Erforderliche repariert werde.724

Die Eröffnung des Antikensaals als Teil der Mannheimer Zeichnungsakademie erfolgte 1769. Der Antikensaal diente jedoch nicht nur der künstlerischen Ausbildung, sondern erlangte besondere Berühmtheit vor allem durch die zahlreichen, auch prominenten Zeitgenossen, die ihn besuchten und die ihre Eindrücke dort auch literarisch verarbeiteten, darunter Goethe und Schiller.725 Nachdem die Residenz 1778 nach München verlegt worden war und schließlich nach dem Tode Carl Theodors 1799 sicher war, dass Mannheim mit der rechtsrheinischen Pfalz an Baden abgetreten werden müsste, ließ Carl Theodors Nachfolger Max Joseph (1756–1825) die Abgüsse 1803 aus Mannheim nach München bringen, wo von ihnen heute so gut wie nichts mehr erhalten ist.726

724 Reskript vom 25. 8. 1767 (GLA 213/3691 fol. 24), hier zitiert nach Grotkamp-Schepers 1980, 200 Anm. 100. 725 Eine Zusammenstellung der Augenzeugenberichte zum Mannheimer Antikensaal findet sich bei Hofmann 1982, 317–331. 726 Stupperich 2006, 450; Schiering 1999, 269. Erst 1807 trafen die Mannheimer Abgüsse in München ein, nachdem sie in Würzburg zwischengelagert worden waren, s. Meine-Schawe 2004, 30 mit Anm. 190. Im Jahr 1808 wurde ein Verzeichnis der im Antikensaal der Münchner Akademie der Bildenden Künste vorhandenen Gipsabgüsse erstellt. Da die Abgüsse aus Mannheim jedoch bis zu diesem Zeitpunkt aus Platzmangel noch nicht ausgepackt waren, sind sie nicht darin enthalten, s. Meine-Schawe 2004, 44 f., Anhang 3. Zum 1803 bevorstehenden Zuwachs an Abgüssen aus Mannheim s. Meine-Schawe 2004, 29 mit Anm. 183.

5 Der Torso vom Belvedere und der Marsyas Medici im Mannheimer Antikensaal Etwas rätselhaft erschien bisher die Herkunft der Abgüsse des Torso vom Belvedere (Abb. 21)727 und des Marsyas Medici (Abb. 22),728 die sich nach Ausweis der Augenzeugenberichte des 18. Jhs. im Mannheimer Antikensaal befanden.729 Der Großteil der dort aufgestellten Abgüsse stammte noch aus der Sammlung Johann Wilhelms in Düsseldorf und war entsprechend in dem sog. Übernahmeinventar aus dem Jahr 1731 verzeichnet,730 das die später nach Mannheim transferierten Kunstgegenstände auflistete, nicht so jedoch augenscheinlich der Torso vom Belvedere und der Marsyas.731 Daher stellt sich die Frage, ob beide ursprünglich Teil der Düsseldorfer Sammlung waren, oder ob es sich um anderweitige Zukäufe für den Mannheimer Antikensaal handelte.732 Im Falle des Torso vom Belvedere ist dies recht eindeutig zu beantworten. Er erscheint unter der Bezeichnung „torso di bel videre“ im Inventar von 1716, das nach dem Tode Johann Wilhelms erstellt wurde und die im Erdgeschoss des Galeriegebäudes aufgestellten Antikenabgüsse auflistete. Und auch zu den Erwerbungsumständen liegen Informationen vor: So enthält ein Verzeichnis der von Mannelli angefertigten Stücke – zu dem Zeitpunkt des Sammlungsaufbaus in der Regel Formen –, angehängt an ein Schreiben Fedes an den Kurfürsten vom 10. März 1714 ausdrücklich einen „Torzo del Belverder“.733 Auch eine davor erstellte Liste der Stücke, von denen Mannelli die Formen anzufertigen beabsichtige, nannte bereits den Torso („Il Torzo di Belvedere nel Orti Vaticani opera di Apolonio sculdore 727 Rom, Mus. Vaticani, Mus. Pio Clementino, Inv.-Nr. 1192; vgl. Schiering 1995, 150–152 A 14 (Abb. 17). 728 Florenz, Uffizien, Inv.-Nr. 199. 729 So berichtet bspw. Sophie von La Roche in ihren Briefen über Mannheim (1791) = La Roche 1791, 233 von dem „armen Marsyas“ als einem der Werke im Antikensaal. Den „berühmten Torso“ beschreibt Kotzebue 1790 in Mannheim, s. Anonymos 1923, Sp. 42. Sowohl den „Mediceischen Marsias“ als auch den „Torso aus dem Vatikan“ nennt dort ein anonymer Besucher 1795, s. Walter 1925, Sp. 18 f. – Eine Zusammenstellung der Augenzeugenberichte zum Mannheimer Antikensaal findet sich bei Hofmann 1982, 317–331 mit Anhang VII, 3. Ein weiterer Reisebericht von 1773, der ebenfalls einige der dort vorhandenen Stücke, darunter den „Torso“, nennt, enthalten in Stubenrauch 1930, Sp. 135 f. 730 Karlsruhe, Badisches Generallandesarchiv, Pfalz-Generalia, 77/3895 = Inv. 1731: „Inventarium der von Düsseldorff und Benrath nacher Mannheim gesendeter Statuen, Mahlereien und sonstiger Sachen de anno 1731“; Braun 1984, 21–29; Braun 1995, 179–184. 731 Braun 1984, 21. 732 Vgl. Kunze 2007, 118: „Bevor 1769 der Antikensaal eröffnet wurde, reiste 1767/68 eine Gruppe von Akademiemitgliedern nach Italien, Verschaffelt schloss sich an, um Antiken für den Kurfürsten, aber auch um neue Abgüsse für den Antikensaal zu erwerben. (…) Nach 1769 gingen übrigens die Zukäufe aus Italien zur Vermehrung des Antikensaales weiter“. Allerdings führt er das nicht weiter aus und gibt auch keine Belege dafür an. 733 Q 678, Fede an Johann Wilhelm (10. März 1714), Anlage; Levin 1911, 173 f. (14. März 1714). https://doi.org/10.1515/9783110616200-007

5 Der Torso vom Belvedere und der Marsyas Medici im Mannheimer Antikensaal

Abb. 21: Torso vom Belvedere, Rom, Musei Vaticani, Museo Pio Clementino, Inv.-Nr. 1192.

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5 Der Torso vom Belvedere und der Marsyas Medici im Mannheimer Antikensaal

Abb. 22: Marsyas Medici, Florenz, Galleria degli Uffizi, Inv.-Nr. 199.

5 Der Torso vom Belvedere und der Marsyas Medici im Mannheimer Antikensaal

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Atenese“).734 Bekannt ist sogar das Datum, an dem der Torso vom Belvedere, oder besser gesagt: seine Gussform, von Rom aus auf die Reise nach Düsseldorf geschickt wurde: Am 31. März 1714 berichtet Fede Johann Wilhelm von der Absendung der entsprechenden Lieferung nach Livorno, bestehend aus siebzehn Kisten mit Formen und Scagliola.735 Etwas schwieriger zu klären ist die Herkunft des Marsyas. Dies hängt in erster Linie damit zusammen, dass er in den verschiedenen Verzeichnissen – wie andere Stücke auch – unter immer wieder anderen Namensvarianten begegnet, die eine sichere Identifizierung erschweren. Zudem besteht die Möglichkeit der Verwechslung mit „Mars“, der ebenfalls in verschiedenen Versionen begegnet. Zunächst ist festzustellen, dass das Inventar von 1716 sowohl einen martius als auch einen martus nennt, so dass zu vermuten ist, eines davon dürfte ,Mars‘, das andere ,Marsyas‘ bedeuten.736 Damit ist die Existenz des Marsyas bereits in Düsseldorf zumindest wahrscheinlich. Ein von dem Statuarius Francesco Arnaldi erstelltes Verzeichnis mit den in seinem Besitz befindlichen Formen von „antiken Figuren aus Rom“ nennt einen „Marzio de’ Medici“, der möglicherweise mit dem Marsyas zu identifizieren ist.737 Weitere Hinweise auf den Erwerb eines Mars oder eines Marsyas für die Düsseldorfer Sammlung sucht man in der Korrespondenz des Kurfürsten, sei es in den Briefen selbst, oder in daran angehängten Verzeichnissen, leider vergeblich. In beiden Fällen könnte sich das Fehlen im Inventar von 1731 dadurch erklären, dass möglicherweise nur die Formen davon nach Mannheim geliefert wurden, auch wenn 1716 nachweislich zumindest der Torso vom Belvedere als Abguss in Düsseldorf vorhanden war. Das Inventar von 1731 listet augenscheinlich nur die von Mannelli abgegossenen Statuen auf, die nach Mannheim gelangten, Formen waren es aber wohl noch mehr, zumal das Inventar von 1716 ohnehin deutlich umfangreicher ist als das Inventar von 1731. Dementsprechend könnten der Torso und der Marsyas auch Teil einer weiteren, sonst bislang nicht näher fassbaren Lieferung von Abgüssen aus Düsseldorf nach Mannheim gewesen sein.

734 Q 623, Fede an Johann Wilhelm (19. November 1712), Anlage; Levin 1911, 170 f. 735 Q 680, Fede an Johann Wilhelm (31. März 1714); Levin 1911, 174. Zu dieser Sendung s. a. Q 679, Fede an Johann Wilhelm (24. März 1714); Levin 1911, 174. 736 Inventar der Gipsabgüsse vom 14. Juli 1716 (heute verschollen) = Inv. 1716, abgedruckt bei Klapheck 1919, 136 f. Anlage IV; Hofmann 1982, 362 f. 737 Q 452, Fede an Johann Wilhelm (3. August 1709), Anlage; Levin 1911, 165 (3. September 1709).

6 Zur Sammlung von Gipsabgüssen an der Düsseldorfer Kunstakademie unter Lambert Krahe (1712–1790) und zur Rückforderung von Antikenabgüssen aus Mannheim Nachdem am 22. Mai 1755 der Düsseldorfer Galerieinspektor Gerhard Joseph Karsch gestorben war, sah Lambert Krahe (Abb. 23) nach fast zwanzigjährigem Aufenthalt in Rom die Gelegenheit zur Rückkehr in seine alte Heimats- und Geburtsstadt Düsseldorf gekommen. Er bewarb sich um die vakant gewordene Stelle am kurfürstlichen Hofe Carl Theodors, mit der für ihn nach langen Jahren eher unsicherer Einkommensverhältnisse als Künstler in Rom endlich Aussicht auf eine existenzsichernde Stelle bestand.738 Mit Erfolg – nachdem bereits im Februar 1756 die Entscheidung Carl Theodors für Krahe fassbar ist, wird dieser am 21. Oktober 1756 offiziell zum Galeriedirektor ernannt.739 Seine Tätigkeit entfaltet Krahe zunächst jedoch vor allem in Mannheim, wo er in seiner Funktion als „Directeur des Galleries et de la Collection d’Estampes à Mannheim“ die Kunstsammlungen Carl Theodors betreut.740 Für die Jesuitenkirche erschafft er vier Altargemälde und führt auch das monumentale Deckengemälde der Mannheimer Schlossbibliothek aus.741 Erst im Sommer 1761 verlagert sich seine Wirkungsstätte dann vornehmlich nach Düsseldorf, mit dem Auftrag zur Ausgestaltung der Deckengemälde in Schloss Benrath.742 In Diensten Carl Theodors erlebt Krahe den Aufstieg vom „Mahlerey-GallerieInspektor“, der auch Karsch gewesen war, zum „Mahlerey-Gallerie-Director zu Düsseldorff“ und erhält zusätzlich zum Beamtenstatus eines „Churpfälzischen Hofcammerraths“ den Rang des ersten Hofmalers.743 Aus Rom hatte Krahe eine sehr umfangreiche Sammlung von Handzeichnungen und Kupferstichen mitgebracht, die er auch nach seiner Rückkehr aus Rom noch weiter ausbaute.744 In seinem Besitz befand sich außerdem ein größerer Bestand an Gipsabgüssen, darunter nur zu einem geringen Teil großplastische Statuen, während kleinere Figuren, Büsten und Detailabgüsse das Gros der Sammlung ausmachten.745 738 Rosenberg 2013, 66. Rosenberg a. O. schreibt irrtümlich „Johann Wilhelm Karsch“. 739 Rosenberg 2013, 66 mit Anm. 195. 740 Rosenberg 2013, 69 mit Anm. 215. 217. 741 Rosenberg 2013, 67 f. 742 Rosenberg 2013, 69 mit Anm. 218. 743 Rosenberg 2013, 69. 744 Brink 2013, 17. 19. 745 Brink 2013, 19 mit Abb. 8; Schreiter 2013, 194 mit Anm. 14 und Abb. 1. Für die Provenienz der Abgüsse scheint es keine Belege zu geben, s. Schreiter 2013, 194. 198. Die Anzahl von 62 nachweislich in Krahes Besitz befindlichen Büsten widerspricht jedenfalls nicht einem möglichen Erwerb dieser Abgüsse aus Mannheim, da sich dort nicht, wie Schreiter 2013, 198 Anm. 57 irrtümlich anhttps://doi.org/10.1515/9783110616200-008

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Abb. 23: Erik Pauelsen, Porträt Lambert Krahes, 1781, Düsseldorf, Archiv der Kunstakademie.

nimmt, nur „24 Büsten insgesamt befanden“. Sie bezieht sich auf eine bei Schiering 1980, 324 wiedergegebene Liste mit den von Besuchern des Mannheimer Antikensaales erwähnten Stücken, tatsächlich befanden sich dort aber deutlich mehr Abgüsse. Allein aus Düsseldorf waren nachweislich annähernd 60 Büsten nach Mannheim gelangt, s. Inv. 1731.

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Seit 1762 hatte Lambert Krahe in Düsseldorf eine private Zeichenschule betrieben, aus der dann 1773 die „Akademie der Zeichen- und Malerkunst“ hervorgehen sollte.746 Friedrich K. G. Hirsching, der die Akademie aus eigener Anschauung kannte, schrieb in einem 1792 veröffentlichten Band seiner Nachrichten von sehenswürdigen Gemälde- und Kupferstichsammlungen (…) in Teutschland: „Die Akademie der Zeichen- und Malerkunst (…) besizt (sic) ein eigenes geräumiges Gebäude, das schönste in Düsseldorf, welches Kurfürst Karl Theodor dazu hergab.“ 747 Gemeint war das Palais Hondheim, nicht das Düsseldorfer Galeriegebäude, in dem sich noch in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Abguss-Sammlung Johann Wilhelms befunden hatte und das dann erst ab 1821 tatsächlich die Kunstakademie beherbergen sollte.748 1777 verkaufte Krahe seine Kunstsammlungen geschlossen an die Bergischen Landstände. Langjährige Verkaufsverhandlungen waren dem vorausgegangen, und auch im Ausland hatte Krahe nach einem ihm geeignet erscheinenden Käufer Ausschau gehalten.749 Letztlich nötigten ihn finanzielle Gründe zum Verkauf seiner Sammlung unter ihrem Wert.750 Für den Lehrbetrieb der Düsseldorfer Akademie war dies dennoch der denkbar günstigste Verlauf, denn auf diesem Wege blieben die Sammlungen den Schülern der Akademie als Vorlagenschatz erhalten. In dem 1779 erstellten Inventar Krahes, das die übereigneten Besitztümer nach Gattungen verzeichnete, wurde ausdrücklich deren (weitere) Nutzung durch die „Kurfürstliche Akademie der schönen Künste“ festgeschrieben: „Cette Collection a été achetée par Messieurs des Hauts Etats du Duché de Berg pour l’Utilité de l’Académie Electorale des beaux Arts à Dusseldorff“.751 Aus dem genannten Inventar ist außerdem ersichtlich, welche Abgüsse Krahe der Akademie überließ, 268 an der Zahl, die unter der Überschrift „Plâtre“ allerdings nur summarisch nach Gruppen aufgelistet wurden, darunter 62 Büsten und lediglich zwei großformatige Statuen: „Venus de Medicis & un Faune“.752 Darauf aufbau746 Mai 2010, 99 f. 107; Peters 1973, 12–15; vgl. Müller 1994, 55. 59. 747 Hirsching 1792, 43 f. Krahe selbst hatte die Akademie als „Académie für die Mahler und Zeichnungslehrlinge“ bzw. „Academie der Zeichens-Kunst“ bezeichnet, s. Rosenberg 2013, 70. 748 Etwas irreführend ist die Angabe Hirschings in einem früheren Band seiner Nachrichten: „In dem Viereck unter der Gallerie im ersten Stockwerke stehen marmorne und gypserne Bildsäulen, die Kopien von den berühmtesten Bildsäulen zu Rom und Florenz sind, auch Büsten und Modelle.“, s. Hirsching 1787, 192. Die Abgüsse, die unter Johann Wilhelm im Erdgeschoss des Galeriegebäudes aufgestellt waren, befanden sich zu diesem Zeitpunkt längst nicht mehr in Düsseldorf. – Zu den verschiedenen Standorten der Akademie s. a. Peters 1973, 8 f. Abb. 6. 749 Brink 2013, 18 mit Anm. 27; Rosenberg 2013, 72 f. 750 Rosenberg 2013, 72; Mai 2010, 109. 751 Handschriftliches Inventar der Sammlung, dessen Richtigkeit Lambert Krahe am 10. Februar 1779 eigenhändig bestätigte, 286 Bl. Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, LAV NRW R Berg, Landstände Akten 683 (ehem. Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, Inv.-Nr. Bergische Landstände, VII, 10) = Inv. Krahe 1779; Brink 2013, 18 f. mit Abb. 8 (Repro der Titelseite des Inventars). 752 Schreiter 2013, 194 mit Anm. 14 und Abb. 1 (Repro der Inventarseite). Bei dem Faun dürfte es sich, wie Schreiter 2013, 194 richtig bemerkt, um den Satyrn mit der Fußklapper handeln, der sich

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end sollte sich der Bestand der Abguss-Sammlung der Akademie in der Folgezeit jedoch noch um einige, insbesondere großplastische Stücke vergrößern, wie dem Augenzeugenbericht Hirschings zu entnehmen ist: Sie [die Akademie, Anm. E. S.] besizt herrliche Abdrücke der Antiken in Gips, z. B. Laocoon mit seinen beiden Söhnen; die mediceische Venus; den Schleifer; den Apollo, im Belvedere, eine der bewundernswürdigsten, der lieblichsten Gestalten. Die schöne Hermaphrodite auf einer Matrazze, die in der Gestalt wirklich schön, in der Lage aber unzüchtig ist. (…) Nun folgen noch der mediceische Apollo; die Venus mit dem schönen Hintern, oder die griechische Schäferin; ein Knab, der sich einen Dorn aus dem Fuß zieht; der Dorso; Amor und Psyche; der grose Gladiator oder der sterbende Mirmulus; die beiden Ringer; der sterbende Seneca, den man, wie auch die Hermaphrodite, in den borghesianischen Gärten fand; Castor und Pollux oder der Tod und das Leben; der Centaur; der Faun mit den Deckeln; der Faun mit dem Schafe; der Germanicus, und unzähliche andere Büsten, Basreliefs und Bruchstücke.753

Bis auf den „sterbenden Seneca“ sind alle genannten Stücke, neben Zeitzeugenberichten, durch das sog. Übernahmeinventar von 1731, das die aus Düsseldorf nach Mannheim transferierten Abgüsse aus der Sammlung Johann Wilhelms verzeichnete, auch für den Mannheimer Antikensaal des 18. Jhs. belegt.754 Tatsächlich hatte Krahe aus Mannheim den Ersatz zumindest der wichtigsten Stücke, die Johann Wilhelm noch für Düsseldorf erworben hatte und die sich nun in Mannheim befanden, verlangt.755 Belege über Lieferungen von Mannheim nach Düsseldorf gibt es für die Jahre 1757–1784, darunter offenbar auch eine größere Sendung von 66 Büsten.756 Bei den bald nach Krahes Rückkehr aus Italien nach Deutschland, aber vor dem Verkauf der Abguss-Sammlung an die Bergischen Landstände im Jahr 1777 anzusetzenden Bestellungen kann es sich eigentlich nur um Erweiterungen für seine damals noch private Vorlagensammlung gehandelt haben, mit der Eröffnung seiner privaten Zeichenschule 1762 auch um Unterrichtsmaterial für ebendiese. Ab der Gründung der Zeichenakademie bzw. spätestens ab dem Verkauf der Sammlung müssen es dann Zukäufe für die Düsseldorfer Akademie gewesen sein, Krahe als ihr Direktor blieb dabei der Auftraggeber. Den frühesten Beleg für eine Bestellung von Abgüssen aus Mannheim bildet eine Rechnung Verschaffelts aus dem Jahr 1757 für den Guss von „Brustbildern“,

ebenso wie die Venus Medici in den Uffizien in Florenz befindet; deren Kopien begegnen in der Neuzeit häufiger als Pendants. 753 Hirsching 1792, 43–45. Zum Zeitpunkt dieses Besuches von Hirsching in der Akademie war bereits Krahes Nachfolger Johann Peter Langer dort Direktor, s. Hirsching a. O. 754 GLA, Pfalz-Generalia, 77/3895 = Inv. 1731; Braun 1984, 21–29; Braun 1995, 179–184. Eine Zusammenstellung der von Besuchern genannten Stücke bei Schiering 1980, 323 f. 755 Hofmann 1982, 315 mit Anm. 3 (Akten in GLA). 756 GLA 213/3691 fol. 7 (Rechnung Verschaffelts vom 6. 9. 1757); Grotkamp-Schepers 1980, 75 mit Anm. 274; Hofmann 1982, 335 mit Anm. 1. Allerdings ist dem Text dieser Rechnung, jedenfalls soweit bei Grotkamp-Schepers a. O. zitiert, nur zu entnehmen, dass es um den Guss von „Brustbildern“ ging, ohne Angabe der Anzahl.

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die dem nunmehrigen Hofkammerrat und Galeriedirektor Krahe nach Düsseldorf geschickt worden seien; dies auf „gnädigsten Churfürstlichen Befehl“, und auch die Auslagen möge die „hochlöbliche Hofcammer refundiren“.757 Demnach kann es sich eigentlich nur um ein Geschenk des Kurfürsten an Krahe gehandelt haben, denn dieser war zwar inzwischen Direktor der Düsseldorfer Gemäldegalerie, die Zeichenakademie bestand jedoch noch in keiner Form. Vor allem aber hätte Krahe die Büsten kaum an die Bergischen Landstände verkaufen können, wie dies nachweislich der Fall war, wären diese nicht sein persönliches Eigentum gewesen. Denn wahrscheinlich waren die „Brustbilder“ (laut Grotkamp-Schepers 66 Stück)758 identisch mit der Serie von Büsten, die Krahe später den Landständen übergab (62 Stück). Dass es sich um zwei verschiedene Serien handelte, ist unwahrscheinlich, denn eine doppelt so große Anzahl an Vorlagen dürfte gar nicht in Umlauf gewesen sein.759 Mehr als zehn Jahre vergehen, bis weitere Abgüsse für Düsseldorf angefertigt werden, diesmal geht es um großplastische Stücke. Verschaffelt erbittet Holz zum Brennen von Gips „(…) weillen die grosse andicken (= antiken) figuren sollen nach und nach formiret werden“.760 Zwei Jahre später berichtet Zeller, der als Gipsformator an den Arbeiten beteiligt war, „acht dergleichen Stück“ seien „um nach Düsseldorf schicken zu können, verfertiget“, und erklärt sich bereit, weitere „zu fertigende und nach Düsseldorf der Gallerie zu übermachende Figuren (…) unterthänigst zu verfertigen“.761 Adressat ist hier also die Düsseldorfer Galerie und nicht wie bei den Büsten Krahe selbst; dazu passt, dass dieser später auch nur zwei Abgüsse großfiguriger Plastiken an die Landstände verkaufte. Weitere zwei Jahre später richtet Verschaffelt wiederum ein Gesuch an die Hofkammer um Holz zum Brennen von Gips für Abgüsse „von denen andick figuhren (…) umb die selbe nach Düseldorf zu überschicken“ und für das kurfürstliche Badehaus in Schwetzingen.762 Während die meisten Akten zur Anfertigung von Abgüssen aus Mannheim eher allgemeine Angaben zu Verbrauchsmaterialien und den entsprechenden Auslagen enthalten, listet ein Schreiben Verschaffelts in französischer Sprache explizit acht großplastische Werke auf, die auf Befehl des Kurfürsten für die Akademie in Düsseldorf abgeformt und in Gips gegossen wurden („Par ordre de Son Altesse Serenissime

757 GLA 213/3691 fol. 7 (6. 9. 1757); Grotkamp-Schepers 1980, 75 mit Anm. 274. Vier Büsten hat Krahe vielleicht behalten, oder sie waren im Laufe der zwanzig Jahre bis zum Verkauf der Serie an die Bergischen Landstände verloren gegangen. 758 Grotkamp-Schepers 1980, 75. 759 Im Falle zweier Serien mit identischen Stücken wäre der Kauf der Büsten aus dem Besitz Krahes ohnehin obsolet. 760 GLA 213/1794 fol. 148 (18. 2. 1768); Grotkamp-Schepers 1980, 75 f. mit Anm. 275. 761 GLA 213/1794 fol. 158f (12. 1. 1770); Grotkamp-Schepers 1980, 76 mit Anm. 276. – Zur Einstellung des Formators Carl Zeller als Unterstützung für Verschaffelt s. Grotkamp-Schepers 1980, 52; 75 mit Anm. 214; Hofmann 1982, 315 mit Anm. 4. 762 GLA 213/1794 fol. 160 (17. 8. 1772); Grotkamp-Schepers 1980, 76 mit Anm. 277.

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Electorale Palatine fait mouler et jeter les figures antiques pour son academie de Dusseldorp“).763 Genannt werden darin: der Schleifer, der Dornauszieher, Castor und Pollux, der Apoll [vom Belvedere, Anm. E. S.], der Sterbende Gladiator [= Sterbender Gallier, Anm. E. S.], die Ringergruppe, der Apollino und der Idolino. Bis auf den Idolino erscheinen diese Stücke später sämtlich auch in der Beschreibung der Zeichenakademie von Hirsching (s. o.). Die Aufstellung führt außerdem weitere, auf ausdrücklichen Wunsch Krahes gelieferte Abgüsse nach Arbeiten Verschaffelts auf: „Letriton. Le Cupidon ./. en bustes, Vogel, Voltaire, Alexandre.“ 764 Abschließend sind die „seit Beginn dieser Arbeit“ („depuis le comencement de cet ouvrage“) bis zum 20. Dezember 1777 entstandenen Kosten für Arbeit und Material im Detail aufgeschlüsselt. Letztlich belief sich die von Verschaffelt unterzeichnete Rechnung auf annähernd 700 Gulden. Von zweien der hier aufgezählten Stücke waren bereits einige Jahre zuvor (Beginn 1772, s. o.) von Verschaffelt Gipsabgüsse für das Schwetzinger Badehaus angefertigt worden, dem Apollino und dem Idolino, die sich dort in der nördlichen Vorhalle befinden. Ein Abguss des Amor von Verschaffelt wurde zusammen mit dem „Satyrn mit dem Böckchen“ („Faun von Ildefonso“) in der südlichen Eingangshalle aufgestellt.765 Am 25. August 1778 bittet Zeller um Vergütung seiner Mitarbeit an achtzehn bis zu jener Zeit angefertigten Abgüssen.766 Demnach war Zeller nicht an der Herstellung aller Abgüsse beteiligt: Zählt man die Stücke der verschiedenen Abguss-Serien zusammen, scheint die Zahl der bis dahin insgesamt angefertigten großplastischen Abgüsse etwas höher zu liegen. Zu zwei Serien à acht Stück kommen in jedem Fall vier weitere Abgüsse für das Schwetzinger Badehaus und möglicherweise noch einige Stücke mehr für Düsseldorf 767 – Büsten-Abgüsse und Abgüsse nach Verschaffelts

763 GLA 213/1794 fol. 196r; Schreiter 2013, 198 mit Abb. 2 (Repro); Grotkamp-Schepers 1980, 76 mit Anm. 278; Hofmann 1982, 335 mit Anm. 2. Während Grotkamp-Schepers a. O. und Hofmann a. O. das Schreiben auf den 13. 2. 1778 datieren, nennt Schreiter als Entstehungsjahr „1784“. Da die darin enthaltene Rechnung Verschaffelts jedoch ausdrücklich die von Beginn der Arbeit bis zum 20. Dezember 1777 aufgelaufenen Kosten aufführt, kann nur erstere Datierung zutreffen. 764 Die Marmorstatue des „Cupido“ von Verschaffelt ist nicht identisch mit dem ebenfalls von Verschaffelt geschaffenen Amor in der Münchner Residenz (s. u.). Dies ergibt sich aus der Beschreibung der heute verschollenen Statue des Cupido durch Verschaffelt in einer Abrechnung von 1779 und der im Verschaffelt-Porträt von Tischbein im Hintergrund erscheinenden Cupidostatue, s. Hofmann 1982, 255–257. 215. 217 mit Anm. 1 (BayHStA, Abt. I, Fürstensachen 832 1/3 fol. 34–35); J. H. Tischbein d. Ä., Bildnis des Architekten und Bildhauers Peter Anton von Verschaffelt, um 1780, Mannheim, Reiss-Engelhorn-Museen, Inv.-Nr. O 378. Vgl. auch Hofmann 1982, 292–294. 765 Zu den Gipsabgüssen für das „Badhaus“ s. a. Hofmann 1982, 285 f. mit Abb. 354–357. – Zu der von Verschaffelt angefertigten Marmorstatue des Amor s. Hofmann 1982, 288 f. mit Abb. 358. 766 GLA 213/1794 fol. 205; Grotkamp-Schepers 1980, 227 Anm. 278. 767 Es ist nicht ganz klar, ob die in Veschaffelts Schreiben bezüglich der Abgüsse für das Badehaus genannten Stücke, die nach Düsseldorf geschickt werden sollten, dann in der zweiten größeren Lieferung enthalten waren, wie Grotkamp-Schepers 1980, 76 annimmt, oder ob es sich um weitere Abgüsse handelte. Auch zu deren genauer Anzahl gibt es keine Angaben.

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eigenen Werken, die Krahe für die Düsseldorfer Akademie bestellt hatte, noch nicht mit eingerechnet. Für das Jahr 1784 ist noch ein weiterer Transport von Abgüssen nach Düsseldorf durch eine Bitte Verschaffelts um entsprechend benötigtes Füllmaterial belegt.768 Ob und wenn ja, welche der Abgüsse aus Mannheim heute noch in der Akademie in Düsseldorf vorhanden sind, lässt sich nicht abschließend beantworten. Zwar sollen sich in der Düsseldorfer Akademie noch etwa 170 Gipsabgüsse befinden, für diese scheint es allerdings keine Erwerbungsdaten zu geben.769 Einige der Abgüsse dürften aus der 268 Abgüsse umfassenden Sammlung Krahes stammen, die dieser 1777 den Bergischen Landständen überlassen hatte, wobei zumindest die darin vorhandenen 62 Büsten wahrscheinlich ursprünglich aus Mannheim kamen. Zwischen den in Düsseldorf befindlichen Abgüssen und den Stücken im sog. Übernahmeinventar von 1731, das die Abgüsse im Mannheimer Antikensaal auflistete, scheint es fast keine Übereinstimmungen zu geben,770 allerdings sind darin gerade die zahlreichen Büsten kaum einzeln erwähnt.771 Explizit genannt ist darin eine Büste des Homer, die auch in Düsseldorf vorhanden ist; diese könnte somit ein Abguss nach der Mannheimer Vorlage sein. Die Homer-Büste erscheint auch in der Beschreibung des Antikensaales von 1795,772 ebenso eine Büste des Lucius Verus und eine JupiterBüste, deren Düsseldorfer Abgüsse demnach ebenfalls aus Mannheim stammen dürften.773 Möglicherweise ist auch der Abguss eines Jünglings mit phrygischer Mütze aus Mannheim nach Düsseldorf gelangt, dafür könnten die auch für Mannheimer Stücke beschriebene leicht gelbliche Oberfläche und außerdem die Gipszusammensetzung sprechen, die auf eine Entstehung im 18. Jh. hinweist.774

768 GLA 213/1794 fol. 261 (2. 7. 1784); Grotkamp-Schepers 1980, 76 mit Anm. 280. 769 Schreiter 2013, 198 f. 770 Vgl. Schreiter 2013, 199. 771 Ergiebiger wäre von daher ein Abgleich der Düsseldorfer Bestände mit dem Verzeichnis von 1716 (Inv. 1716), da dort auch etliche Büsten aufgeführt sind. Eine Büste des Homer und eine des Lucius Verus sind darin jedenfalls genannt. 772 Walter 1925, Sp. 18 f. 773 Schreiter 2013, 204 mit Abb. 8 und 9. Allerdings handelt es sich bei den Köpfen des Jupiter und des Lucius Verus in der Sammlung der Düsseldorfer Akademie um sogenannte Masken, d. h. nur um Abformungen der Vorderseite. 774 Schreiter 2013, 201; 203 mit Abb. 3. Zur Beschreibung der Oberfläche der Mannheimer Abgüsse durch Besucher des Antikensaals s. Walter 1925, Sp. 18 f.; Stubenrauch 1930, Sp. 135 f. Aufgrund der Materialzusammensetzung lässt sich dieser Jünglingskopf offenbar mit dem des Homer und des Zeus zu einer Gruppe zusammenschließen, s. Schreiter 2013, 201. Der Vergleich der Abbildungen bei Schreiter 2013, 200–205 Abb. 3. 7. 8. 9 legt allerdings den Schluss nahe, es könnte anstelle des Homer vielleicht eher der Kopf des Lucius Verus zu dieser Gruppe gehören.

Teil II: Die Sammlung historischer Gipsabgüsse nach Antiken an der Universität Göttingen unter Christian Gottlob Heyne (1729–1812)

(…) und fort, aus diesem drängenden Tollhauslärm rettete ich mich in den historischen Saal, nach jener Gnadenstelle, wo die heiligen Bilder des belvederischen Apolls und der mediceischen Venus neben einander stehen, und ich stürzte zu den Füßen der Schönheitsgöttinn, in ihrem Anblick vergaß ich all das wüste Treiben, dem ich entronnen, meine Augen tranken entzückt das Ebenmaß und die ewige Lieblichkeit ihres hoch-gebenedeiten Leibes, griechische Ruhe zog durch meine Seele, und über mein Haupt, wie himmlischen Segen, goß seine süßesten Lyraklänge Phöbus Apollo.1 Heinrich Heine, Harzreise (1826) – „Bibliothekstraum“ –

1 Zitiert nach Heine 1973, 89.

1 Einleitung Die Göttinger Sammlung von Antikenabgüssen war bei ihrer Begründung im Jahr 1767 die erste universitäre Sammlung dieser Art in Deutschland. Ihre Entstehung ist eng verknüpft mit der Vorlesungstätigkeit Christian Gottlob Heynes (1729–1812), der seit 1763 Professor eloquentiae et poesis2 in Göttingen war und kurz darauf auch Direktor der Universitätsbibliothek wurde (Abb. 24). Im Jahr 1767 erwarb Heyne die ersten Gipsabgüsse für die Göttinger Sammlung und hielt auch seine archäologische Vorlesung zum ersten Mal. Dem Heyne-Biographen und -Schwiegersohn A. H. L. Heeren verdankt die Nachwelt ein anschauliches Bild von Heynes Wirken: Heyne hielt diese Vorlesung gewöhnlich im Sommer auf der öffentlichen Bibliothek. Er sah sich hier theils von Abgüssen der Antiken, theils von allen den Prachtwerken umgeben, welche Abbildungen der alten Kunstwerke darbieten. (…) aber er behielt doch immer den Hauptzweck vor Augen, seine jungen Zuhörer mit dem, was ihnen nach ihrer Lage Bedürfniß seyn konnte, besonders mit den wichtigern Kunstwerken, bekannt zu machen. Aber wenn er sie gleich als Kunstwerke ansehen lehrte, so erläuterte er sie doch gar nicht bloß ästhetisch; sondern zugleich auch wissenschaftlich und gelehrt. Auch beym Apoll und Laocoon hörte man keine Exclamationen. Viel weniger ging er dabey in metaphysische Erörterungen des Schönen hinein!3

Bereits aus dieser kurzen Beschreibung geht hervor, welchem Zweck die Abgüsse, die in Göttingen in der Universitätsbibliothek aufgestellt waren, dienen sollten, aber auch, dass Heyne sie neben den Kupferstichwerken zur Veranschaulichung seiner Ausführungen über die antike Kunst heranzog. Der Bibliothekar Heyne näherte sich der Antike als Philologe, wobei sein besonderes Interesse der griechischen Mythologie galt. In seine Untersuchungen bezog er auch das Gebiet der Archäologie mit ein, der er seine erstmals im Sommersemester 1767 gehaltene „Akademische Vorlesung über die Archäologie der Kunst des Altertums“ widmete.4 Dazu angeregt hatte ihn die Beschäftigung mit Winckelmanns Geschichte der Kunst des Altertums, die 1764 erschienen war.5 Bei der Vorbereitung seiner Vorlesung dürfte sich gezeigt haben, wie wenig ausreichend das bisher vorhandene Anschauungsmaterial war. Im allgemeinen handelte es sich um Kupferstiche, die allenfalls eine ganz grobe Vorstellung von den Originalwerken ermöglichten. Somit war die Beschaffung zumindest einer Auswahl an Gipsabgüssen für jede ernsthafte Beschäftigung mit der antiken Skulptur unabdingbar. Zunächst hatte Heyne eine Auswahl an modernen Kopien nach antiken Statuen in verkleinertem

2 3 4 5

GGA 1763, 39. Stück/31. März 1763, S. 306; GGA 1763, 85. Stück/16. Juli 1763, S. 681. Heeren 1813, 248. Boehringer 1981, 273. Boehringer 1981, 273.

https://doi.org/10.1515/9783110616200-010

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Abb. 24: J. H. W. Tischbein, Christian Gottlob Heyne (1729–1812), um 1800, Eutiner Landesbibliothek.

Format sowie Gipsabgüsse einiger Köpfe „in Lebensgröße“ zusammengetragen,6 die ihm zur Illustration seiner Vorlesungen dienen sollten. Diese bildeten anfänglich den Grundstock der Göttinger Abguss-Sammlung.

6 Boehringer 2001, 64.

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Die Aufstellung der Gipse in der Universitätsbibliothek erfolgte verteilt auf verschiedene Säle, wo sie nicht nur als Lehrmaterial, sondern neben der Zierde der Bibliothek auch der „Erweckung des Kunstsinnes“ und dem „Nutzen und Vergnügen“ der Studierenden dienen sollten.7 Im Laufe seines jahrzehntelangen Wirkens an der Universität Göttingen, und dank Heynes steten Bemühens um den weiteren Ausbau der Gipsabguss-Sammlung, wuchs diese auf einen Bestand von rund 70 Exemplaren an.8 Dabei handelte es sich überwiegend um Köpfe bzw. Büsten, aber auch um nahezu ein Dutzend großplastische Statuen. Die letzten Erwerbungen an Abgüssen tätigte Heyne im Jahr 1802. Ungefähr die Hälfte dieser historischen Abgüsse ist erhalten und befindet sich heute zusammen mit den zahlreichen später hinzugekommenen Stücken in eigens dafür vorgesehenen Räumen im Seminargebäude am Nikolausberger Weg,9 in dem u. a. auch das Archäologische Institut der Universität Göttingen untergebracht ist. Die Göttinger Sammlung war nicht nur die erste Gipsabguss-Sammlung an einer Universität, sie sollte für fast fünf Jahrzehnte auch die einzige bleiben. Die zweite Gründung erfolgte erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts unter dem Philologen Friedrich Gottlieb Welcker (1784–1868) in Form des „Akademischen Kunstmuseums“ an der Universität Bonn. Welcker hatte zunächst Heynes Nachfolge in Göttingen angetreten, kam dann aber bereits 1819 nach Bonn und übernahm dort zu seiner Lehrtätigkeit auch Aufbau und Leitung des Kunstmuseums, dessen Einrichtung schon bei den ersten Planungen für die Gründung der Universität Bonn (ab 1815) vorgesehen worden war. Einen ersten Katalog der von Heyne für Göttingen erworbenen Gipsabgüsse hat der langjährige Kustos der Sammlung, Christof Boehringer, bereits 1979 im Rahmen einer Ausstellungspublikation anlässlich des 250. Geburtstages von Christian Gottlob Heyne vorgelegt und ist dabei auch überblicksartig auf die Hintergründe des Sammlungsaufbaus und die Erwerbungsgeschichte der Abgüsse eingegangen.10 Auch die wichtigsten Quellen werden genannt. Der Katalog selbst führt die nachweislich von Heyne gekauften oder durch Schenkung erworbenen Abgüsse auf, einschließlich der verlorenen Stücke, und unternimmt soweit möglich eine Zuordnung zu den noch in der Sammlung vorhandenen Gipsen.11

7 Boehringer 2001, 64; Boehringer 1979, 103. 8 Siehe dazu auch den Katalog der Erwerbungen in chronologischer Reihenfolge hier im Anhang. 9 Graepler 2012a, 277 mit Abb. 2. 10 Chr. Boehringer, Die Sammlung von Gipsabgüssen antiker Skulpturen unter Chr. G. Heyne (mit Katalog der von Heyne für das „Akademische Museum“ in der Universitätsbibliothek Göttingen erworbenen Gipsabgüsse), in: Archäologisches Institut der Universität Göttingen (Hrsg.), Die Skulpturen der Sammlung Wallmoden. Ausstellung zum Gedenken an Christian Gottlob Heyne (1729–1812). Ausstellungskatalog Göttingen (Göttingen 1979) 100–115 = Boehringer 1979. 11 Konkordanz der von Heyne erworbenen Abgüsse mit dem Katalog von Chr. Boehringer einschließlich Erwerbungsdatum und Bezugsquellen hier im Kataloganhang.

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1 Einleitung

Neben Maßen und Erwerbungsdaten sind auch Hinweise auf die zugrundeliegenden Vorbilder der Abgüsse enthalten. Die eigentliche Ausstellung des Archäologischen Institutes der Universität Göttingen und somit auch der Hauptteil des Kataloges waren jedoch den Skulpturen der Sammlung Wallmoden gewidmet, wobei sich die darin enthaltenen Antiken bis heute als Dauerleihgaben in Gewahrsam des Archäologischen Instituts befinden. Von einigen Stücken sollte Heyne bzw. die Göttinger Sammlung Abgüsse als Geschenk erhalten. Dem Ausstellungsschwerpunkt entsprechend nimmt die Untersuchung und Darstellung der Gipsabguss-Sammlung der Heyne-Zeit in dem Band nur vergleichsweise wenig Raum ein, und auch zur Erwerbungsgeschichte der einzelnen Stücke sind lediglich Eckdaten enthalten.12 Vor diesem Hintergrund erscheint eine zu einer detaillierteren Darstellung führende Untersuchung einschließlich der Überprüfung der bislang vorgelegten Ergebnisse und ggf. Revidierung bzw. Ergänzung durchaus angezeigt. Ein bald darauf ebenfalls von Boehringer vorgelegter Beitrag, entstanden im Rahmen eines Symposions zu „Antikensammlungen im 18. Jahrhundert“, beschäftigt sich mit der Göttinger Sammlung unter Heyne als Beispiel einer Lehrsammlung von Gipsabgüssen im 18. Jahrhundert und enthält anstelle der Katalogform nun in ebenfalls knapper Darstellung einen chronologischen Überblick dieser frühen Phase der Sammlungsgeschichte, ergänzt um einen Anhang zur Aufstellungssystematik der Abgüsse in der Göttinger Universitätsbibliothek zur Heyne-Zeit.13 Ein Verzeichnis des gesamten Sammlungsbestandes an Abgüssen im Besitz des Archäologischen Instituts in Göttingen einschließlich der von Heyne erworbenen Stücke bis zum Jahr 1989 erschien 1990.14 Informationen zu den darin enthaltenen und den weiteren bis zum heutigen Tage hinzugekommenen Antikenabgüssen bietet in besonders komfortabler Weise das Online-Angebot des „Virtuellen Antikenmuseums Göttingen“ (VIAMUS).15 In den vergangenen Jahren sind noch einmal mehrere kurzgefasste Überblicksdarstellungen zur Göttinger Abguss-Sammlung veröffentlicht worden, die sich jedoch nicht detaillierter mit der Erwerbungsgeschichte einzelner Abgüsse der HeyneZeit befassen.16

12 Ohne konkrete Angabe der jeweiligen Belegstellen, diese finden sich dann jedoch bei Boehringer 1981 (s. u.). 13 Chr. Boehringer, Lehrsammlungen von Gipsabgüssen im 18. Jahrhundert am Beispiel der Göttinger Universitätssammlung, in: H. Beck u. a. (Hrsg.), Antikensammlungen im 18. Jahrhundert. Symposion Frankfurt Dezember 1978, Frankfurter Forschungen zur Kunst 9 (Berlin 1981) 273–288 = Boehringer 1981. 14 K. Fittschen (Hrsg.), Verzeichnis der Gipsabgüsse des Archäologischen Instituts der Georg-AugustUniversität Göttingen (Bestand 1767–1989) (Göttingen 1990) = Fittschen 1990. 15 Graepler 2012a, 277. 16 Diese erschienen im Rahmen von übergreifenden Publikationen zu den Museen und Sammlungen der Universität Göttingen bzw. im Zusammenhang mit einem Ausstellungsprojekt der AbgussSammlung der Freien Universität Berlin, s. Graepler 2012a; Graepler 2012b; Graepler 2013b.

1 Einleitung

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Eine große Ausstellung in der Göttinger Paulinerkirche im Jahr 2007 mit dem Titel „Das Studium des schönen Altertums. Christian Gottlob Heyne und die Entstehung der Klassischen Archäologie“ stellte in jüngerer Vergangenheit noch einmal die Person Heynes als den eigentlichen Begründer der Archäologie als universitäres Lehrfach und die verschiedenen von ihm zu Lehr- und Forschungszwecken genutzten Sammlungen, darunter die von ihm aufgebaute Sammlung der Gipsabgüsse, in den Vordergrund.17 Ein im Rahmen einer interdisziplinären Göttinger Ausstellung zur Darstellung von Antiken in den Reproduktionsmedien der frühen Neuzeit (2013/14) erschienener Beitrag über die Göttinger Gipsabguss-Sammlung der Heyne-Zeit stellt in Frage, inwieweit die Abgüsse von Heyne tatsächlich bereits mit dem Ziel der Begründung einer archäologischen Lehr- und Forschungssammlung erworben wurden, und betont die kritische Haltung Heynes gegenüber der Eignung der Reproduktionsmedien seiner Zeit als adäquate Wiedergabeformen antiker Kunst.18 Die hier gegebene Zusammenstellung enthält nur einen sehr kleinen Ausschnitt bisheriger Forschungen und Publikationen zum Thema und soll lediglich der Einführung und einem groben Überblick dienen.

17 D. Graepler – J. Migl (Hrsg.), Das Studium des schönen Altertums. Christian Gottlob Heyne und die Entstehung der Klassischen Archäologie. Ausstellungskatalog Göttingen (Göttingen 2007) = Graepler – Migl 2007. 18 D. Graepler, „Die Kupfer sind erbärmlich“. Die Reproduktion der Antike als quellenkritisches Problem im 18. Jahrhundert, in: M. Luchterhandt – L. Roemer – J. Bergemann – D. Graepler (Hrsg.), Abgekupfert. Roms Antiken in den Reproduktionsmedien der Frühen Neuzeit. Ausstellungskatalog Göttingen (Petersberg 2013) 115–132 = Graepler 2013a.

2 Der Aufbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob Heyne 2.1 Zur Quellenlage Neben den mehr als 30 noch erhaltenen Abgüssen sind es vor allem archivalische Quellen wie handschriftliche Verzeichnisse, Briefe und Rechnungsbelege, aber auch zeitgenössische Schriften zur Universitätsgeschichte, die über Entstehung und Ausbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob Heyne Auskunft geben.19 Der Großteil der betreffenden Dokumente befindet sich im Archiv des Archäologischen Instituts Göttingen sowie im Bibliotheksarchiv der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen. Die Identifizierung der Abgüsse anhand der Verzeichnisse wird allerdings dadurch erschwert, dass die darin überlieferten Bezeichnungen des 18. Jahrhunderts sich häufig nicht mit der heutigen, wissenschaftlichen Benennung decken. Dies gilt insbesondere für die Rekonstruktion der nicht mehr erhaltenen Stücke. Auch ist nur gelegentlich vermerkt, ob es sich jeweils um eine Büste oder um eine ganze Statue handelt. Als ältestes erhaltenes Dokument, gleichsam als „Ur-Inventar“, gilt eine Liste der 1767 von Heyne aus Herrenhausen erworbenen Abgüsse mit dem Titel „Gypsköpfe und Büsten auf der Bibliothek“.20 Diese von Heyne eigenhändig verfasste Liste ist undatiert, enthält aber den nachträglichen Vermerk, dass die Büsten im August 1771 mit Firnis getränkt worden seien,21 und wurde folglich vor diesem Datum erstellt.22 Dazu kommen drei weitere Verzeichnisse mit den in der Bibliothek aufgestellten Abgüssen. Das älteste ist überschrieben „Gypsabgüsse auf der Bibliothek, den 13ten Jan. 1788“ und gibt die Verteilung der Abgüsse auf die einzelnen Räume der Bibliothek wieder.23 Aufgrund der Handschrift ist es Jeremias David Reuß zuzuordnen, 19 Diese werden später im Zusammenhang mit den einzelnen Erwerbungen detaillierter behandelt. 20 Arch. Inst. Heyne A 13: „Gypsköpfe und Büsten auf der Bibl. Abgüsse von den bronzenen Köpfen in Herrnhausen. 18 Stücke“; Abb. (Repro) s. Fittschen 2007a, 91. 21 Dazu auch Arch. Inst. Heyne A 5. 22 Fittschen 2006, 88. 23 SUB, Bibl. Arch. A 33 c 25 (43); abgedruckt bei Döhl 2003, 32 f. Genannt werden: I.) Physicalischer Saal. II.) Theologischer Saal. III.) Medizinischer Saal. IV.) Historischer Saal. V.) Juristischer Saal. VI.) Philologischer Saal. VII.) Bibliothekariatszimmer. – Das Verzeichnis enthält nicht nur die Antikenabgüsse, sondern auch die neuzeitlichen Stücke in der Bibliothek. Die Nummerierungen der einzelnen Exponate hat Boehringer für den Katalog der Göttinger Sammlung übernommen, s. Boehringer 1979, 104–112. – Boehringer 1979, 100. 104 gibt an, Heyne habe die Gipsabgüsse für das „Akademische Museum“ erworben; dabei handelte es sich jedoch um ein „Naturalien-Cabinet“ im Untergeschoss des Bibliotheksbaues, vgl. Pütter 1788, 213. 232. Es fehlen Hinweise darauf, dass Heyne die Sammlung der Gipsabgüsse ebenfalls als „Akademisches Museum“ bezeichnet oder diesem zugerechnet hätte, auch wenn die Verbindung von Kunst- und Naturalienkabinett zu dieser Zeit durchaus nichts Ungewöhnliches war (vgl. z. B. das 1779 in Kassel eröffnete Museum Fridericiahttps://doi.org/10.1515/9783110616200-011

2.1 Zur Quellenlage

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dem zweiten Bibliothekar und Schwiegersohn Heynes.24 Zwischen 1785 und 1788 wurde das Bibliotheksgebäude umgebaut bzw. baulich erweitert;25 dies wird der Anlass für die Neuverzeichnung der Aufstellung der Gipsabgüsse gewesen sein. Ein weiteres, undatiertes Verzeichnis der aufgestellten Abgüsse wurde, ebenfalls von Reuß, nach 1793 verfasst, da die in diesem Jahr erworbene Clytia-Büste darin bereits genannt ist.26 Gegenüber dem Verzeichnis von 1788 ist die Verteilung der Gipsabgüsse in der Bibliothek, abgesehen von den inzwischen hinzugekommenen Stücken, im Wesentlichen unverändert.27 Zusätzlich enthält dieses Verzeichnis zu einigen wenigen Abgüssen Angaben zu deren Herkunft, sowie zu Zeitpunkt und Kosten der Anschaffung (Kaufpreis, Transport u. Aufstellung).28 Wieder eigenhändig von Heyne geschrieben ist das dritte Verzeichnis der aufgestellten Abgüsse vom August 1798 (wiederum ohne Angaben darüber, wann und von wo die Abgüsse erworben wurden).29 Inzwischen haben sich insofern Veränderungen ergeben, als die bis dahin im juristischen und philologischen Saal untergebrachten Statuen nun fehlen, somit dort (wie zuvor bereits im historischen Saal) dann nur noch Büsten aufgestellt waren.30 Zur Bestände-Rekonstruktion ist zu beachten, dass sowohl das „Ur-Inventar“ als auch die drei anderen Verzeichnisse nur die in der Bibliothek aufgestellten Gipsabgüsse enthalten, nicht aber die offensichtlich magazinierten Bestände der weiteren nachweisbaren Erwerbungen für die Sammlung.

num, s. Schweikhart 1979, 119; vgl. außerdem die Inschrift über dem Eingang des Pantheons im Wörlitzer Gartenreich: „Den Freunden der Natur und Kunst“, s. Rau 2003a, 128); vgl. Plesker 2006, 266. Durch seine Verbindung mit der Universitätsbibliothek unterstand das 1773 eingerichtete „Akademische Museum“ gleichwohl ebenfalls Heyne in dessen Funktion als Bibliotheksdirektor, s. Urban 2001, 91. 24 Boehringer 1979, 101 irrtümlich „Schönschrift eines Schreibers“; Fittschen 2006, 87 vermutet noch Heyne. – GGA 1789, 117. Stück/23. Juli 1789, S. 1169 (Ernennung von J. D. Reuß zum Unterbibliothekar). 25 Döhl 2003, 28 mit Anm. 32. 26 SUB, Bibl. Arch. A 33 c 25 (44). – Büste der sog. Clytia, s. Boehringer 1979, 114 Nr. 66; Vorbild London, British Mus., Inv.-Nr. 1874. Wieseler 1859, 1 datiert das Verzeichnis „etwa im J. 1783“, obwohl ihm selbst bekannt ist, dass die Clytia erst 1793 erworben wurde (Wieseler 1859, 2). Die Schrift haben sowohl Wieseler 1859, 1 als auch Boehringer 1979, 101, sowie zuletzt Fittschen 2006, 87 irrtümlich Heyne zugeordnet. 27 Hinzugekommen ist eine Rubrik „Philosophischer Saal“; da in der Liste nicht mit einer eigenen Nummer versehen und direkt neben die Abgüsse des „Physicalischen Saales“ geschrieben, möglicherweise eine Unterabteilung dieses sehr großen Saales. Für 1788 belegt Pütter 1788, 220 allerdings noch einen gemeinsamen „Medizinischen und Philosophischen Saal“ im Obergeschoss (ehem. „Theologischer Saal“). 28 Dies betrifft die Statuen der „Agrippina“, der großen „Vestale“ und des „Silenus mit dem Bacchus-Kind“. 29 SUB, Bibl. Arch. A 33 c 25 (45): „Stellung der Köpfe auf der Bibliothek“. 30 Döhl 2003, 35. Die betreffenden Statuen müssen vorübergehend an einem anderen Ort aufgestellt worden sein: Der Laokoon, der Apoll vom Belvedere und die Venus Medici wurden erst Ende des 19./Anfang des 20. Jhs. durch bessere Abgüsse ersetzt, der Florentiner Faun existiert bis heute.

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2 Der Aufbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob Heyne

Einige Seiten umfasst ein anderes Verzeichnis mit dem Titel „Liste der Zugänge an Kunstgegenständen 1767–1828“. Dieses wurde erst deutlich später als die anderen Listen in den Jahren 1828/29 von Reuß, inzwischen erster Bibliothekar in Göttingen, zusammengestellt (unter Heyne-Nachfolger Karl Otfried Müller).31 Abschnitt A. listet wiederum die „Büsten von Herrenhausen“ auf, offensichtlich eine Abschrift des ersten, von Heyne verfassten Dokuments.32 Geordnet sind die Abgüsse hier, statt nach ihrem Standort in der Bibliothek, nach dem Jahr ihrer Anschaffung, unter Angabe der Bezugsquelle und z. T. auch des Preises. In der Liste sind auch einige Stücke enthalten, die den anderen Verzeichnissen zufolge nicht in der Bibliothek aufgestellt waren (und möglicherweise magaziniert),33 außerdem nach 1798 hinzugekommene Stücke.34 Einige Angaben stehen jedoch in Widerspruch zu anderen, als durchaus zuverlässig einzustufenden Quellen, wie eigenhändigen Notizen Heynes oder Rechnungen von Lieferanten, so dass diese Liste mit Vorbehalt zu verwenden ist.35 Den frühesten Überblick über die Geschichte der Göttinger Abguss-Sammlung unter Berücksichtigung der genannten Verzeichnisse liefert dann der museographische Bericht Wieselers aus dem Jahr 1859.36 Allerdings haben ihm bei Abfassung seines Beitrages offenbar nicht alle Dokumente zur Verfügung gestanden;37 dem geschuldet, sind seine Angaben in einigen Teilen nicht ganz korrekt. Einen umfassenden Einblick in die räumliche Situation der Universitätsbibliothek Göttingen zur Heyne-Zeit, aus der Sicht eines Zeitgenossen, gewährt dagegen Johann Stephan Pütters Versuch einer academischen Gelehrtengeschichte von der Georg-Augustus-Universität zu Göttingen (einschließlich der Verteilung der Buchbestände und der Gipsabgüsse).38

31 SUB, Bibl. Arch. B 14 b; Döring 1994, 25 Anm. 30; Döhl 2003, 23 Anm. 14. 32 Vgl. Fittschen 2000, 51 f. Anm. 23. 33 Büsten der „Venus“, der „Flora“ und des „Mercurius“ (1767 von Roene, Hannover). Es fehlen auch die 15 Verkleinerungen, die Heyne ganz zu Beginn für die Sammlung erworben hatte; möglicherweise blieben diese nicht lange Teil der Sammlung, vgl. Boehringer 1981, 277. Außerdem (Boehringer 1981, 287 f.): Büsten des Apoll vom Belvedere (59.), des Laokoon (60.) und eines „Laokoonsohnes“ (61.); Sappho (67., erstmals in Vz. 1798 genannt). Vgl. auch Boehringer 1979, 112–114. 34 Boehringer 1981, 288: Minerva (68.), Krupeziontretender Satyr (69.) (laut SUB, Bibl. Arch. B 14 b beide 1802 erworben). 35 Auch Boehringer 1979, 101 konstatiert für diese Liste „einige Fehler für die Frühzeit“. So sind beispielsweise die zahlreichen angeblich 1775 erworbenen Büsten nachweislich 1774, einige bereits 1771 zur Sammlung gekommen, was für die Rekonstruktion der Reihenfolge der Anschaffungen relevant ist. 36 F. Wieseler, Die Sammlungen des archäologisch-numismatischen Instituts der Georg-AugustsUniversität. Ein museographischer Bericht. Festschrift Friedrich Gottlieb Welcker (Göttingen 1859) = Wieseler 1859. 37 Vgl. Fittschen 2006, 87 Anm. 3. 38 J. S. Pütter, Versuch einer academischen Gelehrtengeschichte von der Georg-Augustus-Universität zu Göttingen. Erster Theil bis 1765 (Göttingen 1765); Zweyter Theil von 1765 bis 1788 (Göttingen

2.2 Erwerbungsgeschichte

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2.2 Erwerbungsgeschichte 2.2.1 Die ersten Erwerbungen – Die Büsten von Herrenhausen Die frühesten Belege zu einem Ankauf von Gipsabgüssen durch Heyne bilden eine von ihm eigenhändig verfasste Liste zum Angebot der Firma Roene in Hannover39 sowie ein Schreiben dieser Firma vom 23. März 1767 zur Lieferung von 15 Verkleinerungen antiker Skulpturen und drei „Köpfen in Lebensgröße“.40 Um welche drei Köpfe es sich handelte, ist nicht ganz klar. Heynes handschriftliche Liste nennt Flora, Venus Medicea und Faustina, der Kaufbeleg jedoch Venus, Flora und Mercurius.41 Von den genannten Abgüssen hat sich nur eine „Faustina“-Büste erhalten, die anderen erscheinen in keinem Verzeichnis der in der Bibliothek befindlichen Stücke – d. h. sie waren nicht oder zumindest nicht lange dort aufgestellt.42 Ebenfalls im Jahr 1767 konnte Heyne weitere 18 Abgüsse für die Sammlung erwerben. In einem Memorandum schreibt er am 25. Juli 1771 zur Aufstellung der Gipsabgüsse in der Göttinger Bibliothek:

1788) = Pütter 1788. Fortgesetzt von F. Saalfeld: Dritter Theil von 1788 bis 1820 (Hannover 1820) = Pütter 1820 und G. H. Oesterley: Vierter Theil von 1820 bis 1837 (Göttingen 1838) = Pütter 1838. 39 Arch. Inst. Heyne A 1: Roene in Hannover, Liste zum Verkauf (1767); die Liste enthält offenbar Notizen Heynes zum Angebot von Roene mit Preisen und Größenangaben, umseitig sind unter der Überschrift „Flache Sachen“ mehrere Stücke mit dem Zusatz „sehr schön“ versehen; es handelt sich also nicht um einen Kaufbeleg. 40 Boehringer 1981, 276; Arch. Inst. Heyne A 1–3; genannt werden darin folgende verkleinerte Figuren: Venus Medicea, Amphitrite, Leda, Apollo, Venus Callipyga (unter der Bezeichnung ‚Griechische Schäferin‘), Faunus (‚cum crotalis‘ – so in Arch. Inst. Heyne A 2), Hermaphrodit (sub nomine ‚Schlafende Venus‘), ein schlafendes Kindgen, zwey sitzende Kindgen, noch zwey kleine Kindgen, Hercules, Simson, Mercurius. – Heyne hat für einige der Verkleinerungen die Maße notiert (Arch. Inst. Heyne A 1–3; Boehringer 1981, 276). Von Motiv und ungefährer Größe her decken sich davon mit Stücken der ebenfalls nahegelegenen Sammlung Wallmoden (ehem. Hannover-Herrenhausen, heute im Arch. Inst. der Universität Göttingen) und könnten von daher diesen entsprochen haben: schlafendes Kindgen (vgl. Schlafender Putto, Slg. Wallmoden 29 Nr. 4 – Länge 0,58 m); zwey kleine Kindgen (vgl. Amor und Psyche, Slg. Wallmoden 48 Nr. 14 – Höhe 0,89 m); Hercules (vgl. Herakles, Slg. Wallmoden 41 Nr. 11 – Höhe 1,02 m). 41 Arch. Inst. Heyne A 3: Rechnung der Firma Roene, ausgestellt von einem gewissen J. C. Schmidt, Hannover den 23. März 1767: „der Fenus und Flora Kopff, wie auch der Mercurius ist ohne auf das Postemend festgesetzt eingepacket (…) können also gantz leicht mit etwaß gutem Gips fest gemacht werden“. Vgl. auch SUB, Bibl. Arch. B 14 b: „von Roene in Hannover verehrt. Venus. Flora. Mercurius. Büsten.“, vielleicht jedoch in Abhängigkeit von Arch. Inst. Heyne A 3. – Boehringer 1981, 276 hält sich indes an Heynes Angebots-Liste (Flora, Venus Medicea und Faustina). – Der Musterkatalog des Amsterdamer Bleigießers Barend Dronrijp belegt, dass sich in Herrenhausen u. a. auch eine Flora und eine Venus befunden haben sollen, s. Boeck 2006, 70 – möglicherweise dienten diese als Vorlagen für die von Heyne bezogenen Abgüsse. 42 Boehringer 1981, 277. – Wobei nicht sicher ist, ob es sich bei der erhaltenen Faustina-Büste um die hier genannte handelt bzw. ob bei diesem ersten Ankauf Heynes überhaupt eine solche Büste erworben wurde; von beidem geht Boehringer 1981, 276 f. aus.

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2 Der Aufbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob Heyne

Es befinden sich auf hiesiger Bibliothek 18 Stücke Gypsabgüsse von den Antiken in Herrenhausen, welche vor einigen Jahren mit ziemlichem Aufwande zur Zierde des Bibliothekssaales sind verfertiget worden.43

Wann die Abgüsse erworben wurden und um welche es sich im Einzelnen handelt, ist einer „Liste von Zugängen an Kunstgegenständen 1767–1828“ im Bibliotheksarchiv zu entnehmen.44 Diese verzeichnet: A. 1767. Büsten von Herrenhausen; (Abgüsse von den bronzenen) (18 Stück) 1. Augustus 2. Tiberius 3. Claudius 4. Caligula 5. Nero 6. Galba 7. Vitellius 8. Vespasianus 9. Titus 10. Constantinus 11. Scipio 12. Sulla 13. Marius 14. Cicero 15. Drusus 16. Ptolemaeus 17. Epicurus 18. Faustina.

Dieser Teil der Liste deckt sich mit Heynes ältester Liste, dem „Ur-Inventar“ der „Gypsköpfe und Büsten auf der Bibliothek“.45 Von den zuvor erworbenen drei Abgüssen und Verkleinerungen war auch dort keine Rede. Doch zunächst ein Wort zu den Vorlagen der Bildnisserie, den „Büsten von Herrenhausen“. Dabei handelt es sich um eine Galerie von Bildnissen römischer Kaiser und weiterer antiker Persönlichkeiten, die sich im Festsaal des sog. Galerie-

43 Universitätsarchiv Göttingen, Kur. 6422 (alte Signatur: 4 V d 1/22), dazu Arch. Inst. Heyne A 4–7. 44 SUB, Bibl. Arch. B 14 b (Liste von Zugängen an Kunstgegenständen 1767–1828); dieser Teil der Liste („Büsten von Herrenhausen“) abgedruckt bei Fittschen 2000, 51 f. Anm. 23. – Aus Gründen der leichteren Identifizierbarkeit werden im Folgenden die hier aufgeführten Benennungen in Herrenhausen verwendet, auch für die entsprechenden Gipsabgüsse in der Göttinger Sammlung. Die heutige wissenschaftliche Bezeichnung der in der Regel antiken Vorbilder weicht in einigen Fällen davon ab, in anderen sind sie als Rufnamen beibehalten worden, s. Fittschen 2000, Tab. S. 55. An dieser Stelle auch Konkordanz beider Sammlungen mit Inventarnummern. 45 Arch. Inst. Heyne A 13.

2.2 Erwerbungsgeschichte

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Abb. 25: Festsaal des sog. Galeriegebäudes des Schlosses von Hannover-Herrenhausen.

gebäudes des Schlosses von Hannover-Herrenhausen befinden (Abb. 25).46 Das Galeriegebäude entstand in den Jahren 1694 bis 1698 unter Kurfürst Ernst August (1629–1698) und Kurfürstin Sophie (1630–1714).47 Ursprünglich als Orangerie genutzt, diente der langgestreckte Hauptsaal im Mittelbau des Gebäudes später als Festsaal.48 Dieser war mit Szenen der Aeneis und Herkules-Darstellungen ausgeschmückt.49 Die in farbige Alabasterbüsten50 eingesetzten Bronzebildnisse (Abb. 26a) waren entlang der fensterlosen Nordseite, ein Teil auch vor den Fensterzwischenräumen der Südseite auf Sockeln aufgereiht. 18 Postamente befinden sich an der nördlichen, 16 an der dem Garten zugewandten südlichen Saalseite; insgesamt sind es also 34. Sie sind mit der Wand verbunden und dadurch Teil der Architektur.51

46 Fittschen 2000, 49. 47 Hübner 1991, 119. 124; Lindau 2003, 127. 48 Die neue Orangerie entstand bereits in den Jahren 1722–23, s. Alvensleben – Reuther 1966, 73; Lindau 2003, 127–130. 49 Fittschen 2000, 49; Hübner 1991, 131–149. 50 Die Büsten bestehen aus einem offenbar sehr sorgfältig mit Alabasterstücken verkleideten Gipskern, so dass sie tatsächlich den Anschein von Marmor erwecken können, s. Fittschen 2006, 45. 51 Fittschen 2006, 20; vgl. Hübner 1991, 150 Anm. 160.

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2 Der Aufbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob Heyne

Abb. 26: a) Titus, Herrenhausen, Galeriegebäude; b) Titus, Gipsabguss, Archäologisches Institut Göttingen, A 1351.

2.2 Erwerbungsgeschichte

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Abb. 27: Kupferstich von Joost van Sasse, Hannover-Herrenhausen, Galeriegebäude, Innenansicht (um 1740).

Von den Bronzebüsten selbst haben sich nur dreizehn bis heute in Herrenhausen erhalten.52 Die Angaben zur ursprünglichen Anzahl der Büsten variieren. Auf einem um 1740 angefertigten Stich zählt man 28 Sockel mit Büsten (Abb. 27),53 ein zweiter

52 Die Verluste erklären sich möglicherweise auch durch das wechselvolle Schicksal der Sammlung, s. Fittschen 2000, 49 f.; Lindau 2003, 127. – 1803 als Kriegsbeute der Franzosen nach Schloss Laeken bei Brüssel verbracht, kehren 1814 oder 1816 offensichtlich nur vierzehn Büsten nach Herrenhausen zurück, vgl. Fittschen 2006, 26–28. Auch danach sind die Bronzen nicht immer im Galeriegebäude aufgestellt geblieben: 1859 im Schlösschen Fantaisie, 1891 im Provinzial-Museum, 1943 ausgelagert nach Schloss Blankenburg, 1945 Schloss Marienburg, 1953 Fürstenhaus (HerrenhausenMuseum) in Hannover. Erst seit 1956 befnden sich die Bildnisse wieder im Galeriegebäude zu Herrenhausen, s. a. Fittschen 2006, 28 f. – Das Bronzeporträt des Domitian wurde 1982 gestohlen. 53 Kupferstich von Joost van Sasse; Fittschen 2006, 33 und Taf. 2, 1; Kopie nach einer Zeichnung von J. J. (Johann Jacob) Müller von 1730, vgl. Thieme – Becker 29 (1935) 481 s. v. Joost van Sasse.

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2 Der Aufbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob Heyne

Stich von 1751, der offenbar auf dieselbe Vorlage zurückgeht, zeigt 29.54 Ein offizielles Inventar vom Oktober 1785, das früheste bekannte, nennt für die Nordseite „18 antique Köpfe von Brontze nebst Brustgewändern von Marmor, auf Pilastern von Marmor.“ Für die Südseite werden sechs weitere Bronzeköpfe und zwei Mohrenköpfe aus schwarzem Marmor genannt.55 Demnach hätten sich im Saal insgesamt 26 Bildnisse befunden: 24 Bronzeköpfe und die beiden Mohren. Namentlich bekannt sind allerdings 25 Bronzebildnisse.56 Diese Diskrepanz ist jedoch dadurch zu erklären, dass die Büste unter der Bezeichnung „Otho“, die im Gegensatz zu den anderen Stücken weder im Inventar von 1785 noch in einer der anderen Liste erscheint, sich heute aber in der Sammlung befindet, offenbar zunächst einen anderen Namen trug.57 Nach Spuren der Beschriftung auf dem Büstenfuß dürfte sie identisch sein mit der als verschollen geltenden Antonius-Büste.58 Dafür spricht auch, dass ein „Otho“ erstmals in einem anonymen Verzeichnis von 1846 erscheint, in dem der 1844 noch vorhandene „Antonius“ plötzlich fehlt, so dass eine Umbenennung in diesem Zeitraum anzunehmen ist.59 Hingewiesen sei außerdem noch auf eine von Baring 1748 veröffentlichte Liste, die nur 23 Bronzebildnisse und zwei Mohrenköpfe umfasst – der im späteren Inventar von 1785 genannte „Septimius Severus“ fehlt.60 Dieser könnte übersehen worden sein; denkbar wäre aber auch, dass er erst später zur Sammlung kam, da Heyne im Jahr 1767 von diesem auch keinen Abguss erworben hat.61 Nach Herrenhausen gelangt waren die Porträts Anfang des 18. Jhs. durch den Sohn Ernst Augusts, Kurfürst Georg Ludwig (1660–1727, ab 1714 auch König Georg I. 54 Stich von Nathaniel Parr, vgl. Fittschen 2006, 33; Abbildung (Nachdruck von 1752), s. Lindau 2003, Abb. 106, der auf dieser Darstellung 28 Büsten erkennen will. Es befinden sich aber auf der fensterlosen Saalseite je neun Büsten zu beiden Seiten des Eingangs, auf der gegenüberliegenden Seite elf. Dieselbe Darstellung auch bei Alvensleben – Reuther 1966, Abb. S. 24. In beiden Fällen offensichtlich eine Verwechslung mit dem Stich von Joost van Sasse, der 28 Büsten zeigt (trotz Bildunterschrift des abgebildeten Nachdrucks: „J. Müller delin.“ und „Parr sculp“ als Stich von Sasse bezeichnet). 55 NLA-Hauptstaatsarchiv Hannover (Königliches Hausarchiv), Dep. 103 XXIV Nr. 2488/1–2 Verschiedene alte Möbelinventare, 1719–1815; vgl. Hübner 1991, 149, der im Inventar 28 Büsten zählt, aber 26 benennt (inkl. der beiden Mohren). Das Mohrenpaar muss rechts und links des Portals in der Mitte der Südwand aufgestellt gewesen sein, da sich dort bis heute die im Inventar von 1785 beschriebenen abweichenden Sockel („statt Pilastern (…) Drachen von Marmor mit hölzernen Flügeln“) befinden, vgl. auch o. g. Stich von Sasse. 56 Fittschen 2000, 49 f. 57 Vgl. Hübner 1991, 149. 58 Fittschen 2006, 245 f. mit Anm. 3. 59 Fittschen 2006, 38; Fittschen 2006, 245 f. mit Anm. 3. Genannte Verzeichnisse, s. Molthan 1844; [Molthan] 1846 (dieses im Wortlaut zitiert bei Wieseler 1859, 18 Anm. 2). 60 Baring 1748, 79 f.; dazu auch Fittschen 2006, 33–35. 61 Auch trägt er keine Nummer im Nacken wie die meisten anderen in Herrenhausen erhaltenen Exemplare, vgl. Fittschen 2006, 265. Allerdings erscheint ein Septimius Severus zwar im Inventar von 1785, fehlt jedoch wieder in den Namenslisten von 1817 und 1819, s. Fittschen 2000, 49 Anm. 5. D. h. der heute in der Sammlung befindliche muss mit diesem nicht identisch sein.

2.2 Erwerbungsgeschichte

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von Großbritannien), aus dem Besitze Ludwigs XIV.62 Dieser wiederum soll sie angeblich zwanzig Jahre zuvor als im Tiber gefundene Antiken in Rom erworben haben.63 Tatsächlich handelt es sich bei den Herrenhäuser Büsten jedoch um neuzeitliche Porträts des späten 16. oder 17. Jhs.64 Gleichwohl wurden sie nach echten antiken Vorbildern (bzw. deren Nachahmungen) geschaffen, die sich für etliche der Bildnisse konkret benennen lassen.65 Es gibt einige Beispiele für in nachantiker Zeit geschaffene Kaiserbüsten, jedoch erst seit der Renaissance in Form von Kaiserserien, angeregt durch Suetons Beschreibungen der ersten zwölf römischen Kaiser, die 1470 in Übersetzung erschienen waren.66 Antike Vorbilder für suetonische Kaiserserien fehlen.67 Wohl aber wurden bei der späteren Schaffung von Kaisergalerien die einzelnen Porträttypen antiken rundplastischen Vorbildern entlehnt. Rundplastisch nicht überlieferte Typen konnten auch anhand von als passend erachteten Privatporträts, offenbar in Abgleich mit den entsprechenden Münzbildern, quasi neu geschaffen werden (Abb. 28).68 Auch die Herrenhäuser Serie setzt sich aus Stücken zusammen, deren Vorbilder auf verschiedene, teilweise weit auseinanderliegende Sammlungen verteilt sind. Die Bronzen selbst scheinen aber als Serie alle aus derselben Werkstatt zu stammen.69 62 Fittschen 2006, 23 f. – Die zuerst von G. Schnath vertretene Ansicht, eine Rechnung über das Vergolden von 28 Statuen aus dem Jahre 1709 belege bereits das Vorhandensein der Büsten in Herrenhausen, der dann auch Hübner 1991, 149 mit Anm. 154 gefolgt ist, konnte inzwischen widerlegt werden, s. Fittschen 2006, 24 mit Anm. 7–10; 34 mit Anm. 9. Das Dokument scheint sich vielmehr auf die antikisierenden Statuen im Gartentheater zu beziehen. Auch Zacharias Conrad von Uffenbach, der im Januar 1710 auf seiner Reise durch Niedersachsen Herrenhausen besucht hat, erwähnt die Büsten nicht, wohl aber die „verguldeten Statuen“, die gegen das Winterwetter durch Bretterverschläge geschützt waren, s. Uffenbach 1753, 416. 63 Vgl. Baring 1748, 79; [Molthan] 1846, 3. Zu weiteren Details, insbesondere zur Erwerbungsgeschichte und zum Verbleib der Herrenhäuser Büsten ausführlich Fittschen 2006, 23–31. – Interessant ist Barings Begründung, warum es sich um antike Stücke handeln müsse: „Daß es aber authentique alte Stücke, ergiebet nicht nur der Augenschein, sondern es zeuget hiervon auch der Kopf Neronis. Denn aus denen Römischen Geschichtschreibern bekandt, nachdem derselbe durch seine Tyrannische und grausame Regierung bey dem Volck sich verhasset gemacht, und Todes verblichen, dessen Statuen zerschmissen und herunter geworffen worden. (…) Da nun der Kopf unsers Neronis zu Herrenhausen auch zerbrochen gewesen, und aus dreyen Stücken wieder zusammen gesetzet: giebet dieser Umstand einen starcken Beweiß-Grund, daß diese Antiquitäten OriginalStücke seyn müssen.“ (Baring 1748, 80 f.). 64 Fittschen 2000, 50. 65 Fittschen 2000, 50, dazu Tab. S. 55; zu den antiken Vorbildern ausführlich Fittschen 2006, 41– 43, sowie Kat. S. 99–307. – Laut Fittschen weisen viele Exemplare in Herrenhausen noch die Nähte der Gipsform auf, mit deren Hilfe die Kopien angefertigt wurden, s. Fittschen 2000, 50 mit Anm. 10. 66 Paul 1983, 241–244. 67 Stupperich 1995, 43. 68 So beispielsweise der Bildnistypus des „Vitellius Grimani“ (s. u.). Daneben wurden auch zusätzlich zu den überlieferten antiken Porträttypen weitere moderne Bildnistypen desselben Namens neu geschaffen, wie z. B. ein neuzeitlicher Bildnistypus des Nero, vgl. Stupperich 1995, 46. 69 Fittschen 2000, 50.

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2 Der Aufbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob Heyne

Abb. 28: „Vitellius Grimani“ (sog. „Pseudo-Vitellius“), Venedig, Museo Archeologico Nazionale di Venezia, Inv.-Nr. 20.

2.2 Erwerbungsgeschichte

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Einige der Herrenhäuser Köpfe hat der Barockbildhauer zusätzlich mit Lorbeerkränzen versehen, die den jeweiligen antiken Vorlagen fehlen70 und die ungewöhnlicher Weise nur in einer Richtung um die Köpfe umlaufen (Abb. 29 und 30a–c).71 Sie bestehen aus einem aufwärts verlaufenden Zweig auf der einen Seite, und einem abwärts verlaufenden auf der anderen Seite, offenbar in freier Ergänzung zu rundplastischen Porträts nach dem Vorbild von Münzbildern, die ja nur eine Seite abbilden.72 Bei dieser Form der Bekränzung handelt es sich um ein typisch und ausschließlich neuzeitliches Phänomen.73 Lorbeerbekränzung generell ist bei den neuzeitlichen suetonischen Kaiserserien durchaus verbreitet, bei antiken rundplastischen Kaiserbildnissen hingegen die Ausnahme.74 Dass man die Herrenhäuser Büsten tatsächlich ehedem für kostbare antike Kunstwerke hielt, zeigt auch ihre Verschleppung durch die napoleonischen Truppen im Jahr 1803 (während die Originale der nahegelegenen Sammlung Wallmoden verschont blieben). Dies ist insofern nicht verwunderlich, als die Mehrzahl der Porträts ja in der Tat antiken Vorbildern folgt. Mit diesen zu einer Serie kombiniert, konnten dann auch die neuzeitlichen Porträttypen leicht für antik gehalten werden.75 Dieser Effekt war nicht ganz unbeabsichtigt – galt es doch als künstlerisches Ruhmesblatt,

70 Fittschen 2006, 41–43; vgl. beispielsweise den Herrenhäuser „Vitellius“ bzw. dessen Gipsabguss mit dem Bildnis des „Vitellius Grimani“ (sog. „Pseudo-Vitellius“) in Venedig, Mus. Archeologico, Inv.-Nr. 20 (Fittschen 2006, Taf. 57, 1. 2). – Von dem „Vitellius“ in Herrenhausen hat Paul 1983, 247 noch angenommen, er sei „nicht nach einem antiken Original, sondern nach einer Antikenfälschung der Renaissance gearbeitet worden“. Dieser Bildnistypus ist jedoch – zwar nicht als Kaiserporträt, aber in Form eines Privatporträts der Sammlung Grimani – durchaus aus der Antike überliefert, vgl. Stupperich 1995, 46. Auf Grundlage dieses Privatporträts wurde später (nachgewiesen seit dem 16. Jh.) der Bildnistypus des Kaisers Vitellius, der nicht aus der Antike überliefert ist, neu geschaffen. Vgl. dazu ausführlich Fittschen 2006, 186–189 mit Anm. 2; 196–198; zur Rezeption des „Vitellius Grimani“ s. a. Becker 2001, 143–152. 71 Einen solchen Kranz weisen nachweislich folgende der Herrenhäuser Köpfe auf: Tiberius, Claudius, Domitian (nur im Foto erhalten, Porträt wurde 1982 gestohlen), Galba, Vitellius, Vespasian, Titus, wobei sich davon nur die letzten vier auch als Abgüsse in Göttingen erhalten haben. Nur die in dieser Weise bekränzten Bildnisse der Herrenhäuser Serie haben Replikenentsprechungen in Potsdam, Schloss Sanssouci, wo sich eine weitere Zwölf-Kaiser-Serie befindet, vgl. Fittschen 2006, 49–55 Taf. 8–10. Die dortigen Bildnisse sind sämtlich in der für Herrenhausen typischen Weise bekränzt; die Bildnistypen entsprechen sich jedoch nur bei den auch in Herrenhausen bekränzten Bildnissen. Die darüber hinausgehenden Bildnistypen sind verschieden. 72 Boehringer 1981, 277; zur Vorbildfunktion römischer Münzbilder bei der Schaffung neuzeitlicher Kaiserporträtserien vgl. Stupperich 1995, 43 f. – Lorbeerbekränzte Büsten findet man im Galeriegebäude des Herrenhäuser Schlosses noch an anderer Stelle: im nördlichen Raum des Ostpavillons, in Form anonymer Heldenbüsten als Teil der gemalten Wanddekoration, vgl. Hübner 1991, 157; Alvensleben – Reuther 1966, 45. 73 Stupperich 1995, 44 Anm. 26. 74 Stupperich 1995, 44. – Für die Rezeptionsgeschichte der suetonischen Kaiserbildnisse scheint der Typus des lorbeerbekränzten Porträts sich als erheblich prägender herausgestellt zu haben als der antike unbekränzte Typus, s. Stupperich 1995, 58. 75 Vgl. Stupperich 1995, 46.

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2 Der Aufbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob Heyne

Abb. 29: Sog. Vitellius, Herrenhausen, Galeriegebäude.

2.2 Erwerbungsgeschichte

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Abb. 30a–c: Sog. Vitellius, Gipsabguss, Archäologisches Institut Göttingen, A 1349.

täuschend echte Antikenkopien anfertigen zu können, da dies als Beleg für erfolgreiches Antikenstudium gesehen wurde; der Weg zur absichtlichen Fälschung war dann offenbar bisweilen nicht mehr weit.76 76 Paul 1983, 243 f.

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2 Der Aufbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob Heyne

Erst gegen Ende des 19. Jhs. setzte sich die Erkenntnis durch, dass es sich bei den Herrenhäuser Bildnissen nicht um echte Antiken handelte.77 Der Erste, der Zweifel am antiken Ursprung der Bildnisse hatte, war Winckelmann. Entsprechend äußerte er sich in einem Brief an den Universalgelehrten Rudolf Erich Raspe. Raspe war der erste wissenschaftliche Bearbeiter der Antikensammlung im Schlösschen Wallmoden (seit 1767), unweit des Schlosses von Herrenhausen, und korrespondierte aus diesem Grund auch mit Winckelmann.78 Im selben Jahr (nur wenige Jahre nach den ersten Erwerbungen) konnte er bereits das erste Verzeichnis der Sammlung vorlegen.79 Noch vor dessen Veröffentlichung in der „Neuen Bibliothek der schönen Wissenschaften und freyen Künste“ wurde Raspe auf Empfehlung Wallmodens auch die Aufsicht und Beschreibung der Antiquitätensammlung Friedrichs II., des Landgrafen von Hessen-Kassel, anvertraut.80 Bereits in einem Schreiben vom 12. August 1767 hatte Raspe an Winckelmann offenbar die Frage gerichtet, ob die Lorbeerkränze einiger Kaiserporträts „vielleicht auf die Vergötterung der Kaiser deuten könnten“ (so ist dem Winckelmannschen Antwortschreiben vom 18. Dezember 1767 zu entnehmen). Winckelmann, der zu der Zeit in Rom weilte und die Bronzen selbst nicht gesehen hat, erwiderte, diese Vermutung „möchte nicht ohne allen Grund sein“, jedoch sei Lorbeerbekränzung bei Kaiserbildnissen unüblich.81 Außerdem aber sei „nun in Rom selbst eine große Seltenheit kayserlicher Bildnisse von Ertzt“ und daher „mehr als muthmaßlich, daß die Köpfe zu Hannover neu seyn, so wie viele andere Bildnisse der Kayser in Deutschen Gallerien.“ Hätte er sie selbst gesehen, wären ihm neben den Gussnähten sicher auch die in einer Richtung umlaufenden Lorbeerkränze an einigen der Porträts aufgefallen. Heyne wiederum war sowohl mit Winckelmann als auch mit Raspe persönlich bekannt.82 Von seiner Berufung nach Göttingen 1763 bis zur Ermordung Winckelmanns im Jahre 1768 stand Heyne mit diesem auch in brieflichem Kontakt.83 Und auch zwischen Heyne und Raspe bestand ein reger Briefwechsel.84 Es ist daher gut

77 Fittschen 2000, 51 mit Anm. 20. Noch J. Molthan hielt sie für antik; über die „Büsten im Orangerie-Saal zu Herrenhausen“ schreibt er: „Der Kopf und Hals dieser Büsten sind antik und von Bronze.“ (Molthan 1844, 19). 78 Fittschen 1979a, 6. – Zur Sammlung des Grafen Wallmoden s. u. S. 258–261. 79 R. E. Raspe, Nachricht von der Kunstsammlung des Hrn. General von Wallmoden zu Hannover, Neue Bibliothek der schönen Wissenschaften und freyen Künste 4. 2, 1767, 201–243 = Raspe 1767. 80 Gercke 2005, 67 f. Raspes Anstellung erfolgte offenbar auf Empfehlung Wallmodens an seinen Kriegskameraden Martin Ernst von Schlieffen (1732–1806), s. Gercke 2005, 68. – Friedrich II. (1720– 1785) war mit der Halbschwester des Grafen von Wallmoden verheiratet (zu diesem Zeitpunkt war die Ehe aber bereits wieder getrennt); Maria von Hannover und Wallmoden waren beide Kinder Georgs II. von Großbritannien. 81 Rehm – Diepolder 1956, 339 f. Nr. 920, Kommentar 558; Fittschen 2000, 51. 82 Fittschen 1979a, 6. 83 Boehringer 1981, 273. 84 Fittschen 2007b, 118; vgl. Hallo 1926, 278 Anm. 3.

2.2 Erwerbungsgeschichte

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möglich, dass Heyne auf dem einen oder anderen Wege von Winckelmanns Einschätzung der Bildnisse erfahren hat – allerdings erst nachdem die Gipsabgüsse schon in Göttingen waren. Auch wenn Heyne diese noch 1771 in einem Schreiben als „Gypsabgüsse von den Antiken in Herrenhausen“ bezeichnet, heißt dies nicht unbedingt, dass er selbst davon überzeugt war, dass es Antiken waren – handelte es sich bei dem betreffenden Schreiben doch um einen Antrag um Mittel zur besseren Aufstellung der Gipse in der Bibliothek (auf Konsolen) und für zusätzliche Ankäufe von Abgüssen. Zweifel an der Echtheit der Herrenhäuser Büsten hätte Heyne in diesem Zusammenhang wohl kaum geäußert. Es ist auch nicht gesagt, und sogar unwahrscheinlich, dass Heyne, so er früher von Winckelmanns Beurteilung erfahren hätte, auf Abgüsse der Herrenhäuser Büsten verzichtet hätte, denn auch Raspe, an den der Brief Winckelmanns ja direkt gerichtet war, schaffte dessen ungeachtet für die Sammlung des Landgrafen von Hessen-Kassel 1768 ebenfalls Abgüsse der Herrenhäuser Büsten an.85 Die Bezugsquellen Doch nun noch einmal zurück zum Erwerb der Abgüsse der Herrenhäuser Büsten für die Göttinger Sammlung. Für den Großteil der Stücke ist nicht sicher zu belegen, wer diese angefertigt hat. Laut Heyne soll jedoch ein gewisser „Ferrari (…) damals einen Theil dieser Abgüsse besorget“ haben.86 Die Brüder Ferrari aus Mailand gehörten Mitte des 18. Jhs. zu den führenden Antikenhändlern und belieferten die Höfe von Kassel, Braunschweig und Gotha sowie neben der Universität Göttingen auch die Akademien Dresden und Leipzig.87 Auch sollen sie als Handwerker umhergereist sein und auf Bestellung Skulpturen abgeformt haben.88 Zumindest zeitweilig müssen sich die Ferraris auch in Braunschweig aufgehalten haben, denn Raspe erwarb von ihnen dort 1768 auf der Durchreise vier weitere Abgüsse.89 Von 1774 an sollen sie eine Gipsformerei in Leipzig betrieben haben.90 Nachweislich bezogen

85 Vgl. Hallo 1934, 44; Gercke 2005, 69. – Wie sekundär die Unterscheidung zwischen „echt“ und „unecht“ im Hinblick auf antike Kunst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war, zeigt das Beispiel der Sammlung des Fürsten Leopold Friedrich Franz von Anhalt-Dessau (1740–1817) in Wörlitz, in der – zeittypisch – echte Antiken, moderne Kopien und Nachahmungen antiker Werke, Abgüsse und antikisierende Neufassungen nebeneinander aufgestellt waren, vgl. Lullies 1981, 203. 86 Universitätsarchiv Göttingen, Kur. 6422, dazu Arch. Inst. Heyne A 4–7. 87 Geese 1935, 185; Wolff Metternich 1981, 63; Rau 2003b, 61 mit Anm. 12. 13; vgl. Boehringer 1981, 281; vgl. auch Arch. Inst. Heyne A 12: „Pünktliche Abschrift des Leipziger Attestats“. – Von den Ferraris sollte Heyne in der Folgezeit noch etliche Abgüsse beziehen, s. Boehringer 1981, 276–281. 88 Boehringer 1981, 276. 89 Hallo 1926, 279. Dabei handelte es sich um die „Laokoon-Söhne“, einen Cicero und eine Proserpina nach Gianbologna, s. Hallo 1934, 43 f. – Zum Reise- und Handelsweg der Brüder Ferrari vgl. auch Oswald 2007, 287. 90 Boehringer 1979, 101; Fittschen 2006, 91 (beide leider ohne Belege für eine feste Werkstatt in Leipzig, gesichert ist wohl nur die Belieferung der Leipziger Akademie 1774).

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2 Der Aufbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob Heyne

1776 auch Goethe sowie Herzogin Anna Amalia (1739–1807) und ihr Sohn Herzog Carl August Abgüsse von Ihnen.91 Allerdings tragen nur zwei der Gipsabgüsse in Göttingen die Signatur „Giacomo Ferrari“ (der „Cicero“ und der „Constantinus“).92 In der Göttinger Sammlung hat sich der Gipsabguss einer Büste erhalten, die unter der Bezeichnung „Faustina“ geführt wurde (Abb. 37, s. u.).93 In Heynes „UrInventar“ der „Abgüsse von den bronzenen Köpfen in Herrnhausen“ („Gypsköpfe und Büsten auf der Bibliothek“) erscheint eine „Faustina“ an unterster Stelle der Liste, durch einen Strich von den übrigen Stücken getrennt und mit dem Zusatz „schon vorher“ versehen. Dies könnte bedeuten, dass sie nicht zusammen mit den übrigen Abgüssen der Herrenhäuser Büsten, sondern schon früher als diese erworben wurde. So es sich aber um den Abguss einer Büste aus Herrenhausen handelte, durfte sie in Heynes Liste der Herrenhäuser Büsten natürlich nicht fehlen. Der einzige zeitlich davor liegende Ankauf von Abgüssen, für den es Belege gibt, ist der bei Roene in Hannover, ebenfalls im Jahr 1767. Möglicherweise gelangte im Zusammenhang mit den von dort erworbenen, nicht erhaltenen Verkleinerungen und zwei weiteren Büsten auch eine Faustina-Büste in die Sammlung. Eine handschriftliche Notiz Heynes belegt zumindest das Vorhandensein einer „Faustina“ im Angebot Roenes, gleichwohl war in der entsprechenden Lieferung – laut Rechnungsbeleg – offenbar keine „Faustina“ enthalten.94 Interessanterweise hat sich eine handschriftliche Liste Heynes erhalten, die bestätigt, dass Roene tatsächlich auch Abgüsse von Herrenhäuser Büsten im Angebot hatte.95 Allerdings werden diese darin nicht im Einzelnen aufgeführt, so dass unklar bleibt, ob ein Abguss der „Faustina“ darunter war. Fittschen hat im Übrigen darauf hingewiesen, dass es sich dabei nicht um Abgüsse gehandelt habe, die mit den Herrenhäuser Büsten maßstabsgleich waren, sondern um leicht verkleinerte Exemplare,

91 Oswald 2007, 284 mit Anm. 5; Krügel 2008, 176 mit Anm. 10; 178 (unter Verweis auf ThHStAW, Schatullrechnungen 1775–1776, A 1062, Belege 546–759, Beleg 645). 92 Boehringer 1979, 112 Nr. 54; 107 Nr. 26. Beide Abgüsse tragen außerdem ihre Bezeichnung als „Cicero“ bzw. „Constantinus“ jeweils gemalt und geritzt auf dem Büstenfuß. 93 Boehringer 1979, 105 Nr. 12. – Eigentlich das Bild einer römischen Matrone, nach Vorbild Petworth House (West Sussex), hadrianisches Privatporträt, s. Raeder 2000, 183 Nr. 66. Auf dem Büstenfuß „Agrippina“. Abguss im Verzeichnis 1788 unter dem Namen „Agrippina“, 1798 „Faustina/ Agrippina“ – laut Boehringer 1979, 105 „eine wohl auf Raspe zurückgehende Verwechslung“; dieser hatte bereits eine in der Sammlung Wallmoden befindliche Marmor-Büste mit der Modefrisur Faustinas d. Ä. als die ältere oder die jüngere Agrippina identifiziert, und umgekehrt die Porträtbüste einer Frau claudischer Zeit als die ältere Faustina gedeutet, s. Slg. Wallmoden 1979, 75 f. Nr. 33 (K. Fittschen). Zu der Verwechslung könnte beigetragen haben, dass das claudische Porträt angeblich zusammen mit dem Bildnis des Antoninus Pius gefunden worden war, vgl. Slg. Wallmoden 1979, 69 Nr. 28 bzw. 74 Nr. 32 (K. Fittschen). – Im Abguss ist die Büste als Ganzes deutlich zu stark nach vorn geneigt, nicht der Kopf im Verhältnis zur Büste, vgl. Fittschen 2006, 303. 94 Arch. Inst. Heyne A 1: Roene in Hannover, Liste zum Verkauf (1767); Arch. Inst. Heyne A 3: Rechnung der Firma Roene (23. März 1767). 95 Arch. Inst. Heyne A 1 „Roene in Hannover, Liste zum Verkauf (1767)“ – darin u. a.: „12 Köpfe, Büsten, mit Postamenten denen in Herrenhauß Gallerie völlig gleich à 10–11 Zoll hoch à 4 rth“.

2.2 Erwerbungsgeschichte

191

da sich die Maßangaben auf die Büsten mitsamt den Postamenten bezögen.96 In derselben Angebotsliste ist aber unter einer anderen Rubrik („Köpfe in Lebensgröße“) neben einer „Flora“ und einer „Venus Medicea“ auch eine „Faustina“ genannt – dort allerdings ohne irgendeinen Hinweis auf eine Beziehung zu Herrenhausen. Zudem gibt es keinen Beleg, dass eine „Faustina“ bei dieser Gelegenheit auch tatsächlich erworben wurde.97 Gesetzt den Fall, wäre dies der einzige Abguss, der sich von jener ersten Roene-Bestellung erhalten hätte und in der Bibliothek aufgestellt worden wäre (s. u.).98 Da laut Heyne aber auch Ferraris ja nur „einen Theil dieser Abgüsse“ geliefert haben, ist es gut möglich, dass Heyne diesen und möglicherweise noch weitere Abgüsse der Herrenhäuser Porträts von der Fa. Roene bezogen hat.

Zur Rekonstruktion verlorener Bronze-Bildnisse in Herrenhausen mit Hilfe der Abgüsse Von den achtzehn Herrenhäuser Bronzen, von denen Heyne Abgüsse erworben hat, sind sieben dort heute nicht mehr vorhanden: Constantinus, Sulla, Marius, Cicero, Drusus, Epicurus und Faustina. In Göttingen haben sich aber offenbar ihre entsprechenden Abgüsse erhalten, so dass es möglich ist, mit ihrer Hilfe die fehlenden Bronzebildnisse der Herrenhäuser Serie zu rekonstruieren; einzig der „Epikur“ fehlt hier wie dort.99 Für die Rekonstruktion ist zunächst der Nachweis erforderlich, dass es sich bei den in Göttingen vorhandenen Gipsen überhaupt um Abgüsse dieser verlorenen Herrenhäuser Porträts handelt. Dafür spricht zum einen Heynes „Ur-Inventar“. Danach stammen alle achtzehn dieser Abgüsse von Bronzen in Herrenhausen.100 Und in der Tat sind auch alle achtzehn Bildnisse, die nach Ausweis der Verzeichnisse

96 Fittschen 2006, 90. – Dafür spräche auch der u. U. etwas geringere Preis, vgl. Fittschen 2006, 92: Laut Raspe sollte der von ihm erworbene Satz von 18 Abgüssen 108 Reichsthaler kosten, also 6 Reichsthaler pro Stück – allerdings habe Raspe dann doch nur 2 bzw. 3 Rth pro Abguss bezahlen müssen. Vgl. dagegen Hallo 1926, 279: Raspe habe Abgüsse von 18 Herrenhäuser Büsten und von Antiken der Slg. Wallmoden für (offenbar zusammen) etwa 100 Reichsthaler gekauft. Zu Raspes Ankauf von Abgüssen nach Herrenhäuser Büsten s. u. S. 220. 97 Auch andere Stücke, die Heyne als bei Roene erhältlich notiert hat, sind offensichtlich nicht in die Sammlung gelangt, vgl. Arch. Inst. Heyne A 1. 98 Vgl. Boehringer 1981, 277. 99 Boehringer 1979, 105 Nr. 12 (Faustina); 107 Nr. 26 (Constantinus); 108 Nr. 30 (Drusus); 109 Nr. 37 (Marius); 109 f. Nr. 38 (Sulla); 112 Nr. 54 (Cicero); 112 Nr. 53 (Epikur); vgl. auch Tabelle bei Fittschen 2000, 55. 100 Boehringer war dieses Inventar offenbar nicht bekannt, wohl aber die Abschrift desselben; diese hat er jedoch nicht berücksichtigt, da er sie für fehlerhaft hielt (was in anderen Teilen durchaus zutrifft), vgl. Boehringer 1979, 101. So erklärt sich, weshalb er für einige Gipse, zu denen in Herrenhausen keine Entsprechungen mehr existieren, stattdessen antike Bildnisse als direkte Vorlagen vorschlägt, vgl. Boehringer 1981, 277; Boehringer 1979, 109 f. 112. Vgl. auch Fittschen 2006, 89 Anm. 16. Am Erwerbungsjahr 1767 hält auch Boehringer fest, s. Boehringer 1979, 105–110.

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2 Der Aufbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob Heyne

Abb. 31: a) Galba, Gipsabguss, Archäologisches Institut Göttingen, A 1348; b) Galba, Herrenhausen, Galeriegebäude.

für Göttingen abgegossen wurden, namentlich für den damaligen Bestand an Bronzeköpfen in Herrenhausen zu belegen.101 Zum anderen stimmen die übrigen Bildnisse, von denen noch beide Versionen (Gips und Bronze) erhalten sind, erkennbar überein (bis in die Details der Bekränzung)102 (Abb. 31a–b, Galba; Abb. 26a–b, Titus) und lassen sich – so ein solches zu benennen ist – jeweils auch auf ein gemeinsames antikes Vorbild zurückführen.103 Die Herrenhäuser Büsten stehen dabei offenbar als Zwischenstufe zwischen antikem Vorbild und Gipsabguss,104 wobei der Barockbildhauer sich erlaubt hat, bei der Anfertigung der Bronzen einige Veränderungen gegenüber den antiken Vorbildern vorzunehmen.105 101 Fittschen 2000, 49 Anm. 5 (Namenslisten 1748, 1817 und 1819); Hübner 1991, 149 (Inventar 1785). Offensichtlich unrichtig daher die Angabe in Heyne 1822, 424, wonach sich in Herrenhausen überhaupt nur zwölf Bronzen befunden haben sollen. 102 Dies sind: Galba, Vitellius, Vespasian, Titus und Scipio (letzterer hier wie dort natürlich unbekränzt). 103 Fittschen 2000, Tab. S. 55. 104 Es ist nicht ganz auszuschließen, dass zwischen dem antiken Vorbild und den Bronzebüsten von Herrenhausen noch eine weitere Zwischenstufe, etwa in Form einer modernen Wiederholung, gestanden haben könnte. 105 Neben der hinzugekommenen Bekränzung will Paul außerdem eine Umformung und Vereinheitlichung der antiken Porträttypen feststellen, speziell eine Tendenz, die Gesichtszüge zu verbrei-

2.2 Erwerbungsgeschichte

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Die Abhängigkeit der Bildnisse, die in beiden Materialien erhalten geblieben sind, lässt sich also ohne eine Ausnahme sowohl archäologisch als auch mit Hilfe der verschiedenen Verzeichnisse nachweisen. Aufgrund der namentlichen Übereinstimmungen in den Listen ist daher sehr wahrscheinlich davon auszugehen, dass auch die übrigen Gipse ursprünglich Entsprechungen in Herrenhausen hatten. Da ein direkter Abgleich Bronze/Gipsabguss in diesen Fällen nicht mehr möglich ist, ist der archäologische Nachweis hier natürlich schwieriger. Aufgrund des typischen, in einer Richtung umlaufenden Lorbeerkranzes, den in exakt dieser Ausführung mehrere der in Herrenhausen erhaltenen Bronzeköpfe aufweisen, lässt sich jedoch zumindest der Gipsabguss des „Drusus“ als Abformung eines verschollenen Herrenhäuser Kopfes wahrscheinlich machen (Abb. 32a–c).106 Bei genauerer Betrachtung lassen sich aber auch für die weiteren Abgüsse Anhaltspunkte für einen Zusammenhang mit Herrenhausen finden. Den Göttinger „Cicero“ und den „Constantinus“ legt zunächst, neben der namentlichen Entsprechung, ihre Ferrari-Signatur als Abguss eines Kopfes aus Herrenhausen nahe, denn die Brüder Ferrari sollen ja, so Heyne, „damals einen Theil dieser Abgüsse besorget“ haben.107 Im Falle des „Cicero“ wird dies außerdem durch Barings Beschreibung des verschollenen Bronzekopfes bestätigt (Abb. 33).108 Hinzu kommt noch ein „Cicero“ desselben Typus in Fürstenberger Porzellan (s. u.; Abb. 39).109 Im Falle des „Constantinus“ (Abb. 34) passt allerdings der am Abguss vorhandene Büstenansatz nicht ganz zur Beschreibung des Herrenhäuser Bronze-Bildnisses im Inventar von 1785, worin es heißt, dieses sei eines der Exemplare „gantz ohne Draperie von Marmor“ gewesen.110 Der am Abguss vorhandene Büstenansatz an sich spricht bereits gegen ein Herrenhäuser Vorbild, denn zum einen geben die anderen Abgüsse jeweils nur den Bronzekopf ohne den zugehörigen Büstenabschnitt wieder. Zum anderen wurden Kopf und Büste des „Constantinus“ augenscheinlich „aus einem Guss“ gefertigt, d. h. die Vorlage wird bereits entsprechend aus Kopf und Büstenabschnitt bestanden haben, was die Beschreibung für den Herrrenhäuser „Constantinus“ ja explizit negiert (die Auflistung und Beschreibung der Bildnisse im Inventar ist zumindest so detailliert, dass ein stattdessen mit

tern. Bei der Übertragung der Marmorvorbilder in das Material Bronze habe man der sich dadurch ergebenden Veränderung der Wirkung der Einzelformen nicht Rechnung getragen, s. Paul 1983, 247 mit Abb. 19–30. 106 Fittschen 2006, Taf. 39, 1–4; vgl. o. S. 185 mit Anm. 71. 107 Universitätsarchiv Göttingen, Kur. 6422; Boehringer 1979, 112 Nr. 54; 107 Nr. 26. 108 Vgl. Fittschen 2006, 270 f.; Baring 1748, 81: „Der Cicero hat im Gesichte auch sein bekanntes Wahrzeichen, nemlich eine Erbse, oder Warze“. Demnach handelte es sich, wie auch beim Abguss, um einen Kopf nach dem Vorbild der Büste eines Unbekannten in Florenz, Uffizien, Inv. 1914 Nr. 393 („Cicero Ludovisi“), die wegen der Warze auf der linken Wange offenbar bereits seit ihrer Auffindung als „Cicero“ bezeichnet wurde, s. Fittschen 2006, 270. 109 Wolff Metternich 1981, 24. 39; Fittschen 2006, 274 mit Anm. 18; Taf. 84, 4. 110 NLA-Hauptstaatsarchiv Hannover (Königliches Hausarchiv), Dep. 103 XXIV Nr. 2488/1–2 Verschiedene alte Möbelinventare, 1719–1815.

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2 Der Aufbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob Heyne

Abb. 32a–c: „Drusus“, Gipsabguss, Archäologisches Institut Göttingen, A 1347.

2.2 Erwerbungsgeschichte

Abb. 33: Sog. Cicero, Gipsabguss, Archäologisches Institut Göttingen, A 655.

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2 Der Aufbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob Heyne

Abb. 34: Sog. Constantinus/Diphilos, Gipsabguss, Archäologisches Institut Göttingen, A 687.

2.2 Erwerbungsgeschichte

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dem Kopf verbundener bronzener Büstenabschnitt sicher Erwähnung gefunden hätte). Auch ist kaum anzunehmen, dass der Gipsgießer dem Kopf im Zuge des Abgießens in diesem einen Fall noch eine Büste hinzugefügt hat. Die Ferrari-Signatur alleine ist also noch kein hinreichender Beleg dafür, dass es sich um einen Herrenhausen-Abguss handelt. Da Ferraris einige Jahre später noch etliche weitere Porträtabgüsse nach Göttingen geliefert haben, scheint es sich auch bei dem „Constantinus“ vielmehr um einen dieser späteren Abgüsse zu handeln (s. u.). Die Frage nach der eigentlichen Vorlage muss in diesem Fall also zunächst offen bleiben. Auch zu den Göttinger Gips-Bildnissen des „Sulla“ und des „Marius“ (Abb. 35 und 36, Vorbilder „Sulla Barberini“ bzw. „Marius Barberini“)111 fehlen heute die Entsprechungen in Herrenhausen. Sie werden vor allem aufgrund der Tatsache, dass sie in Heynes Aufstellung der Abgüsse von Herrenhäuser Bronzen namentlich erwähnt sind, auf Herrenhäuser Vorbilder zurückgeführt.112 Entsprechungen in Fürstenberger Porzellan, die dies erhärten würden, gibt es augenscheinlich nicht.113 Allerdings bestätigt der Bericht eines Zeitzeugen, dass die verschollene Bronze des „Marius“ tatsächlich dem Typus des „Marius Barberini“ (wie in Göttingen) entsprochen hat. In Raspes Beschreibung der Sammlung Wallmoden heißt es nämlich im Abschnitt zu einer dort vorhandenen Marmorbüste („Marius Triumvir“): „Im Barberinischen Pallaste ist eben eine solche marmorne Büste und die von Bronze, die in der königl. Galerie zu Herrenhausen stehet, siehet ihr sehr ähnlich.“ 114 Grundsätzlich ist bei der Rekonstruktion der verlorenen Bronzeköpfe mit Hilfe von Göttinger Gipsabgüssen auf Basis der Namensgleichheit noch Folgendes zu bedenken: Auch wenn die in Heynes „Ur-Inventar“ als „Abgüsse von den bronzenen Köpfen in Herrnhausen“ aufgeführten Porträts namentlich sämtlich mit denen in den Herrenhäuser Verzeichnissen übereinstimmen, wäre es prinzipiell denkbar, dass es in Göttingen zwei oder gar mehrere Gipsporträts desselben Namens aber unterschiedlicher Typen gibt oder gab, wodurch eine Verwechslung mit einem Porträt gleichen Namens möglich wäre, das möglicherweise in gar keiner Beziehung zur Herrenhäuser Bildnisgalerie steht – dies scheint nach sorgfältiger Prüfung der Göttinger Verzeichnisse aber nicht der Fall zu sein.115

111 Kopenhagen, Ny Carlsberg Glyptotek, Inv.-Nr. 1575, Kat.-Nr. 589 (Poulsen 1951) bzw. Kat.Nr. 125 (Johansen 1994), ehem. Rom, Palazzo Barberini („Sulla Barberini“); München, Glyptothek, Inv.-Nr. 319, ehem. Slg. Barberini („Münchner Marius“). 112 Vgl. Fittschen 2006, 140–143 Kat. 3 („Sulla“, Vorbild dort irrtümlich als Kopenhagen, Ny Carlsberg Glyptotek, Mus. Nr. 598 bezeichnet); 136–139 Kat. 2 („Marius“). 113 Zur Bedeutung der Fürstenberger Porzellan-Büsten zur Rekonstruktion der Porträt-Bestände in Herrenhausen und Göttingen s. u. 114 Raspe 1767, 227 f. Nr. XXIII. 115 Später kommt zwar noch ein zweiter „Cicero“ hinzu; dieser lässt sich jedoch eindeutig der Schenkung des Grafen von Wallmoden aus dem Jahr 1781 zuordnen, da er in der dortigen Sammlung bis heute vorhanden ist, s. Slg. Wallmoden 1979, 73 f. Nr. 31 (K. Fittschen); zum Gipsabguss s. Boehringer 1979, 112 Nr. 56; vgl. u. S. 260 f.

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2 Der Aufbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob Heyne

Abb. 35: Sog. Sulla, Gipsabguss, Archäologisches Institut Göttingen, A 1353.

2.2 Erwerbungsgeschichte

Abb. 36: Sog. Münchner Marius, Gipsabguss, Archäologisches Institut Göttingen, A 1352.

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2 Der Aufbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob Heyne

Die „Faustina“ – ein Abguss einer verlorenen Büste aus Herrenhausen? In der Herrenhäuser Bildnisgalerie befand sich nachweislich auch ein „Faustina“Porträt, das heute jedoch verlorenen ist. Heyne hat ganz zu Beginn seiner Sammlungstätigkeit mindestens einen Abguss einer „Faustina“ für Göttingen erworben, denn sowohl unter den drei „Köpfen in Lebensgröße“, die Heyne als erste belegbare Erwerbungen von Roene aus Hannover bezogen hat, als auch in Heynes „Ur-Inventar“ der „Gypsköpfe und Büsten auf der Bibliothek“ wird eine „Faustina“ erwähnt – in letzterem explizit als einer der „Abgüsse von den bronzenen Köpfen in Herrnhausen“. Möglicherweise sind beide identisch, denn da die „Faustina“ in diesem Inventar von Heyne handschriftlich mit dem Zusatz „schon vorher“ versehen wurde, der Abguss also offensichtlich getrennt von den anderen erworben wurde, könnten sich beide Erwähnungen auf ein und denselben Abguss beziehen.116 Jedenfalls befindet sich in Göttingen ein Abguss, der sich sehr wahrscheinlich mit der dort in den Verzeichnissen genannten „Faustina“ identifizieren lässt,117 und auch in der Bearbeitung der Rückseite den frühesten Erwerbungen entspricht (Abb. 37a–c).118 Im Hinblick auf die Rekonstruktion des verlorenen Herrenhäuser Bronzekopfes gilt es zu untersuchen, in welcher Beziehung dieser Abguss zu dem verlorenen Herrenhäuser Bronzekopf der „Faustina“ steht, und ob es sich möglicherweise um einen Abguss davon handeln könnte – oder, wie bislang angenommen, um den Abguss der Büste einer römischen Matrone in Petworth House (West Sussex, England), Sammlung Leconfield (Abb. 38a–c).119 In der Tat scheint Heyne ja einen Abguss der „Faustina“ aus Herrenhausen erworben zu haben: Zum einen nennt er explizit eine „Faustina“ unter den Erwerbungen von Abgüssen der Herrenhäuser Büsten. Zum anderen heißt es im Herrenhäuser Inventar von 1785, der namentlich entsprechende Bronzekopf sei „mit einer kleinen Draperie von Marmor“ versehen gewesen (im Gegensatz zu den Kaiserbildnissen, die mit großen „Brustgewändern von Marmor“ ausgestattet waren, und den übrigen Porträts „gantz ohne Draperie“), was ebenfalls zuträfe.120 Allerdings soll in Herrenhausen zur Benennung des Porträts, das dort in den Verzeichnissen als „Faustina minor“ erscheint,121 der Vergleich mit Münzbildnissen geführt

116 Allerdings ist nicht sicher, ob Roene tatsächlich einen „Faustina“-Kopf geliefert hat. Zwar nennt Heyne eine „Faustina“ als bei Roene erhältlich (Arch. Inst. Heyne A 1: Roene in Hannover, Liste zum Verkauf (1767)), die Rechnung listet aber außer den übereinstimmend genannten Köpfen der Venus und der Flora als Drittes einen „Mercurius“ auf (Arch. Inst. Heyne A 3). 117 Boehringer 1979, 105 Nr. 12. – Auf dem Büstenfuß „Agrippina“. Abguss im Verzeichnis 1788 unter dem Namen „Agrippina“, 1798 „Faustina/Agrippina“. 118 Fittschen 2006, 302 mit Anm. 2. 119 Raeder 2000, 183 Nr. 66 (frühhadrianisches Privatporträt). 120 Vgl. Fittschen 2006, 303. 121 Vgl. Baring 1748, 80: „Faustina Iun.“; Inventar Herrenhausen 1785: „Faustina junior mit Draperie“ (NLA-Hauptstaatsarchiv Hannover (Königliches Hausarchiv), Dep. 103 XXIV Nr. 2488/1–2 Verschiedene alte Möbelinventare, 1719–1815).

2.2 Erwerbungsgeschichte

Abb. 37a–c: „Faustina“, Gipsabguss, Archäologisches Institut Göttingen, A 685.

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2 Der Aufbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob Heyne

Abb. 38a–c: Hadrianisches Privatporträt einer römischen Matrone, Petworth House (West Sussex), Sammlung Leconfield.

2.2 Erwerbungsgeschichte

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haben.122 Auf dieser Grundlage lässt sich aber eine potentielle Benennung des Göttinger Abgusses als „Faustina minor“ nur schwer nachvollziehen; ganz abgesehen davon, dass der Abguss in Göttingen, wenn überhaupt als „Faustina“, stets ohne jeglichen Namenszusatz begegnet.123 Das Original in England wurde dagegen offenbar nie als „Faustina“ identifiziert und scheint überhaupt keinen Rufnamen erhalten zu haben.124 Die Gipsbüste entspricht so exakt ihrem Vorbild in Petworth House, dass sie bislang stets für einen direkt davon abgenommenen Abguss gehalten wurde.125 Das Original befand sich offenbar jedoch bereits in England, als Heyne den Abguss erwarb.126 Fittschen hat außerdem dagegen vorgebracht, dass am Gipsabguss „der Kopf sehr viel weiter nach vorn geneigt“ sei als am Original und stattdessen einen verlorenen Herrenhäuser Kopf als unmittelbare Vorlage vorgeschlagen.127 Der zu weit nach vorne geneigte Kopf könne am Herrenhäuser Bildnis dadurch entstanden sein, dass die beiden Teile (der Bronzekopf und die im Inventar von 1785 erwähnte kleine Marmorbüste) sich einmal voneinander gelöst hätten und dann nicht wieder richtig zusammengesetzt worden seien (denn laut Bericht eines Zeitzeugen war die Faustina „hohl und in der Mitte zusammen gesetzt“).128 Gerade das letzte Argument beruht jedoch auf einem Irrtum: Am Abguss ist nämlich nicht der Kopf im Verhältnis zum Büstenabschnitt, sondern die Büste als Ganzes im Verhältnis zum Büstenfuß im Vergleich mit dem Original zu stark nach vorne geneigt, also schlichtweg falsch gesockelt (vgl. Abb. 37b und 38b).129 Im Hinblick auf die Verbindung von Kopf und Büste (Kopfausschnitt, Übergang von Halsund Gewandpartie, Verlauf der Hals- und Nackenlinie) entspricht der Abguss im Gegenteil genau dem Vorbild in England – zu genau, um sich über die Zwischenstufe eines Bronzekopfes auf einer (frei) nachgebildeten „Marmorbüste“ erhalten

122 Vgl. Baring 1748, 81: „Von dieser [der „Faustina“, Anm. E. S.] hat der iüngere Herr Tarter zu Herrenhausen ehedem eine Münze vorgezeiget, so diesem Bildniß ganz ähnlich war.“ 123 Fittschen hat als mögliche Erklärung für die Benennung des Porträts als „Faustina minor“ vorgeschlagen, man könne „den hoch auf dem Kopf thronenden „Turban“ für den weiter hinten sitzenden „Turm“ der Faustina-Frisur aus den Jahren zwischen 140 und 150 n. Chr.“ gehalten haben, s. Fittschen 2006, 304. – Auf dem Büstenfuß des Abgusses „Agrippina“; im Verzeichnis von 1788 unter dem Namen „Agrippina“, 1798 als „Faustina/Agrippina“. 124 Fittschen 2006, 302. 125 Fittschen 2006, 302 Anm. 5. Vgl. Boehringer 1979, 105 Nr. 12; Boehringer 1981, 285. 126 Vgl. Fittschen 2006, 302. So soll die Büste unter den von Charles Wyndham, 2nd Earl of Egremont, zwischen 1755 und 1763 in Rom erworbenen Antiken gewesen sein; erstmals in einem Katalog erwähnt wird sie allerdings erst ca. 1779/80, vgl. Raeder 2000, 26 f. 29. 183. 127 Vgl. Fittschen 2006, 303. 128 Fittschen 2006, 303; vgl. Baring 1748, 81. – Es ist allerdings die Frage, ob mit „hohl und in der Mitte zusammen gesetzt“ überhaupt eine Trennung von Kopf und Büste gemeint war, oder nicht doch eher eine vertikale Trennung des Bildnisses in zwei Hälften, etwa in eine vordere und eine hintere. 129 So auch noch bei Boehringer 1979, 105, der außerdem am Abguss einen zu langen Hals, bedingt durch eine verzogene Negativform, feststellt – dieser entspricht jedoch exakt dem Vorbild.

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2 Der Aufbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob Heyne

haben zu können.130 D. h. es kann sich kaum um den direkten Abguss des verlorenen Herrenhäuser Kopfes handeln (dies schließt aber nicht aus, dass dieser und der Göttinger Abguss demselben Typus entsprochen haben könnten). Außerdem fällt auf, dass in den anderen Fällen, in denen Abgüsse von Herrenhäuser Bildnissen genommen wurden, im Allgemeinen nur ein Gipsabguss des bronzenen Einsatzkopfes samt Hals, aber ohne die Büste angefertigt wurde; dies wäre also im Hinblick auf die mit abgegossene Büste ohnehin eine Ausnahme.131 Zudem weisen in Herrenhausen die Alabasterbüsten im Verhältnis zu den Bronzeköpfen eine erkennbare Übergröße auf – im Gegensatz zum stimmigen Größenverhältnis von Kopf und Büste am Bildnis Petworth ebenso wie am Abguss. Auch das Vorgehen des Kopisten, der die Büsten der Herrenhäuser Bildnisse angefertigt hat, hätte im Falle dieses Porträts anders als bei den übrigen gewesen sein müssen. Sind die Büsten, in die die anderen Herrenhäuser Köpfe eingelassen sind, nie Nachahmungen der ursprünglich den Porträts zugehörigen antiken Büsten (wenn auch durchaus ihrerseits nach antiken Vorbildern),132 hätte sich der Kopist in diesem einen Fall der Mühe unterzogen, eine bis in die Details des Faltenwurfes, selbst rückseitig, dem Original gleichende Büstenkopie anzufertigen.133 Wie bereits erwähnt soll das Original sich zu der Zeit, als der Abguss nach Göttingen kam, bereits in England befunden haben. Dies spricht aber nicht dagegen, dass der Göttinger Abguss von diesem Original stammt. Denn es könnte davor noch ein Abguss134 bzw. vor allem eine Abgussform davon hergestellt worden sein (vielleicht noch in Italien, woher das Porträt stammt). Der Zeitpunkt der Herstellung des eigentlichen Abgusses wäre danach also unabhängig von der Erreichbarkeit des Originals.135 Im Übrigen muss auch der von Heyne erworbene Abguss nicht erst dann angefertigt worden sein, als er schließlich nach Göttingen gelangte (oder kurz davor). Er könnte durchaus auch schon früher hergestellt worden sein, und war da vielleicht noch gar nicht für Heyne bestimmt. Nun unterscheidet sich der Abguss jedoch auch in einigen Punkten vom Original. Am Original sind die Nase, Teile der Ohren, ein kleines Stück oberhalb des 130 Genau genommen bestehen die Büsten der Herrenhäuser Bildnisse aus einem mit mehrfarbigen Alabasterstücken verkleideten Gipskern, s. Fittschen 2006, 45; vgl. von der Osten 1957, 62. 131 Vgl. auch den Göttinger Abguss des „Constantinus“ (Boehringer 1979, 107 Nr. 26), der ebenfalls mit Büstenabschnitt abgegossen wurde – allerdings gehört auch dieser zu den Stücken, die keineswegs als Abguss eines Herrenhäuser Bildnisses gesichert sind, zumal der Herrenhäuser „Constantinus“ laut Inventar von 1785 „gantz ohne Draperie von Marmor“ gewesen sein soll, vgl. o. S. 193 mit Anm. 110. 132 Vgl. Fittschen 2006, 45 f. 133 Vgl. Fittschen 2006, 47. 134 Von einem solchen Abguss könnten wiederum Abgussformen angefertigt worden sein; schließlich war das Anfertigen von Formen nach schon existierenden Abgüssen gängige Praxis. Dagegen spricht allerdings, dass der Göttinger der einzig bekannte Abguss des Bildnisses ist. Auch dürfte er selbst aufgrund der präzisen Wiedergabe der Einzelformen aus einer unmittelbar vom Original abgenommenen Form gegossen sein. 135 Vgl. dagegen Fittschen 2006, 302, der die Abwesenheit des Originals als Ausschlusskriterium für eine unmittelbare Abformung des Originals auffasst.

2.2 Erwerbungsgeschichte

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rechten Auges, ein Teil des Gewandes und der untere Teil der Büste ergänzt.136 Während der Abguss die Ergänzungen des Kopfes noch recht ähnlich denjenigen am Original wiedergibt, fällt auf, dass Original und Abguss unterhalb der quer über die Büste verlaufenden Bruchkante sowie am Mantelrevers unterschiedlich ergänzt sind.137 Dies könnte darauf hindeuten, dass die Ergänzungen an Original und Abguss möglicherweise nicht zeitgleich erfolgt sind.138 In jedem Fall aber muss die Abnahme der Form für den Abguss vor Ergänzung des unteren Büstenteiles und des Mantelrevers am Original erfolgt sein.139 Für die Unterschiede, die zwischen Abguss und Original im Hinblick auf die ergänzten Partien festzustellen sind, sind mehrere Erklärungen denkbar. So könnte die Abguss-Form vom noch unergänzten Original abgenommen worden sein. Ein solcher Vorgang wäre beispielsweise vorstellbar, wenn vom Original sehr rasch noch eine Form genommen werden sollte, ehe dieses exportiert wurde. Oder der Abformer selbst war nicht lange genug vor Ort, um bis zur Ergänzung des Originals abzuwarten. Abguss und Original wären danach dann unabhängig voneinander ergänzt worden. Im Zuge der eigenständigen Ergänzung des Abgusses könnte es dann nämlich auch zu der zu steilen Befestigung auf dem Büstenfuß gekommen sein, die das ergänzte Original nicht aufweist. Da der Abguss mit seinen Ergänzungen aus einem Stück, und damit aus einer durchgehenden Form gegossen ist, müsste die Vervollständigung an einem (Gips-) Modell vorgenommen worden sein, welches dann wiederum abgegossen worden wäre. D. h. der Göttinger Abguss wäre dann nicht unmittelbar aus einer vom Original abgenommenen Form gegossen, sondern aus einer Abguss-Form nach einem solchen ergänzten Modell.140

136 Vgl. Raeder 2000, 183. 137 Die durchaus gegebene Ähnlichkeit zwischen den beiden Ergänzungsversionen beruht auf einer gewissen Zwangsläufigkeit in der Fortführung der Gewandfalten, die sich aus der Berücksichtigung der Vorgaben ergibt. 138 Inwieweit sich die Ergänzungen von Nase und Ohren tatsächlich an Original und Abguss entsprechen, oder doch wie die übrigen ergänzten Teile unterscheiden, lässt sich anhand der Abbildungen allerdings nicht abschließend beurteilen. 139 Diese Abweichungen unterhalb der Bruchlinie und am Revers des Mantels sind von Fittschen nicht erwähnt worden. Er betont stattdessen, Abguss und Original stimmten „in ihrem Umriss und in der Anlage der Falten recht genau überein“, s. Fittschen 2006, 302 f. Da er außerdem davon ausgeht, der Herrenhäuser Kopf stehe als Zwischenstufe zwischen Original und Abguss, und dokumentiere ebenso wie dieser den ergänzten Zustand des Originals, hätte dies wesentliche Konsequenzen für den anzunehmenden Zeitpunkt der Ergänzung des Originals. Diese müsste dann noch vor Anfertigung des Herrenhäuser Kopfes, und damit noch im 17. Jh., vorgenommen worden sein, vgl. Fittschen 2006, 303. Bislang wurden Überarbeitung und Ergänzung des Originals der Werkstatt Bartolomeo Cavaceppis (1716–1799) zugeschrieben, s. Howard 1982, 257 Nr. 18; vgl. Raeder 2000, 183 f. mit Anm. 1; Fittschen 2006, 302. 140 Da der Abguss eines unvollständigen Bildnisses also ein recht aufwändiges Verfahren nach sich zog, wird man im Allgemeinen mit dem Anfertigen eines Abgusses bis nach der Ergänzung gewartet haben – es sei denn, das Original stand nur sehr kurze Zeit zum Abgießen zur Verfügung.

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2 Der Aufbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob Heyne

Für einen mehrfachen Abformungsprozess könnten prinzipiell auch die Ungenauigkeiten auf der Rückseite des Abgusses sprechen (vgl. Abb. 37c und 38c, bei Fittschen wiederum Beleg für eine Herrenhäuser Büste als Zwischenstufe zwischen Original und Abguss Göttingen).141 Ungenauigkeiten auf der Rückseite findet man allerdings auch bei unmittelbaren Abgüssen ohne irgendeine Zwischenstufe, wie dies beispielsweise der Vergleich der vorhandenen Herrenhäuser Bronze-Bildnisse mit ihren Abgüssen in Göttingen zeigt. Einige dieser Abgüsse weisen rückseitig z. T. recht erhebliche Abweichungen von den Herrenhäuser Vorlagen auf, die in der Tat den Anschein erwecken, als sei „jeweils nur die vordere Hälfte wirklich abgeformt, der hintere Teil dagegen frei modelliert worden.“ (K. Fittschen).142 Dies allein ist also noch kein Beleg für einen mehrfachen Abformungsprozess. Als weiteren Beleg für die Abhängigkeit des Abgusses vom Herrenhäuser „Faustina“-Bildnis hat Fittschen außerdem die unterschiedlich präzise Wiedergabe von Kopf und Büste am Abguss angeführt. Am Abguss sei der Porträtkopf präzise, die Gestaltung des Gewandes aber „flau und konturlos“, entsprechend der „durch das Material bedingten unterschiedlichen Reproduktionstechnik“ von Bronze-Kopf und Marmor-Büste in Herrenhausen.143 Dies trifft so jedoch nicht zu. Zum einen ist der Porträtkopf nicht rundum präzise (wie Fittschen an anderer Stelle ja selbst bemerkt),144 sondern zeigt auf seiner Rückseite gegenüber dem Original sogar noch den größten Verlust an Details – wohingegen gerade die Rückseite der Büste detailgetreu wiedergegeben ist. Zum anderen finden sich die signifikantesten Unterschiede zwischen Original und Abguss an den – ja offenbar ohnehin unabhängig voneinander – ergänzten Partien der Büste (unterer Büstenabschnitt, Teilstück des rechten Revers). Betrachtet man den ergänzten unteren Abschnitt der Gips-Büste nämlich genauer, stellt man an fast jeder Detailform, d. h. in diesem Fall am Verlauf der Mantelfalten, Abweichungen gegenüber dem Original fest. Von links beginnend erscheinen zunächst zwei dicht beieinander liegende, als Grate gearbeitete Falten. Die längere, rechte weist am Abguss in ihrem Verlauf einen leichten Knick nach innen und gleich darauf wieder in die Gegenrichtung auf, so dass sich ein gewundener, bewegter Eindruck ergibt. Im Gegensatz dazu wirkt die gleiche Falte am Original deutlich straffer. Sie verläuft in fast gerader Linie. Daneben zeigt sich an der Marmorbüste eine etwas breitere Umschlagfalte, die sich nach unten in sanftem Schwung verbreitert. Am Abguss ist ihr Verlauf am rechten Rand stärker senkrecht. In der Büstenmitte überschneiden sich die beiden Mantelrevers. Hier endet eine diagonal als Überschlag gebildete Mantelfalte. Nach

141 Vgl. Fittschen 2006, 302 Anm. 5. 142 Fittschen 2006, 94. Als Beispiele sind zu nennen: der Herrenhäuser Galba, Vespasian und Titus, vgl. dazu Fittschen 2006, Taf. 52; 53; 68, 1. 2; 69, 1; 71, 1. Ähnliche Abweichungen von ihren Vorlagen in Herrenhausen zeigen außerdem die Gipsabgüsse des Scipio (Fittschen 2006, Taf. 14, 3. 4) und des Vitellius (Rückseite des Abgusses bei Fittschen nicht abgebildet). 143 Fittschen 2006, 303. 144 Vgl. Fittschen 2006, 302 Anm. 5.

2.2 Erwerbungsgeschichte

207

Auflösung des Überschlages ist der Saumverlauf am Original etwas großzügiger bogenförmig, am Abguss dagegen gerader und diagonaler. Darauf folgen wieder zwei schmalere, schräg nach innen ausgerichtete Falten, diesmal am Abguss geradliniger, an der Marmorbüste bewegter. Über die linke Schulter der Büste ist senkrecht eine breitere, bandartig wirkende Falte aus Mantelstoff geführt. Diese endet im ergänzten unteren Büstenabschnitt. Während der Abguss die Falte dort fast gerade weiterführt, erscheint sie an der Originalbüste gebogener und etwas mehr in ihre Einzelformen aufgefächert. Die untere Büstenkontur wirkt am Original insgesamt etwas gerundeter. Abweichungen zwischen Original und Abguss den Originalbestand betreffend gibt es dagegen kaum. Der am Abguss festzustellende Verlust an Kontur an zwei größeren Partien der Kleidung (die mittlere, trichterförmig gebildete Partie der Tunika sowie der diagonale Überschlag des Palliums) erklärt sich durch die stark unterschnittenen Formen. Ansonsten besteht selbst bis in so feine Details wie die im oberen Teil nach innen abgeknickte kleine konkave Falte ganz innen am linken Revers sowie die leicht wellenförmig verlaufende Kante des diagonalen Mantelüberschlages Übereinstimmung. Die Abweichungen, die der Abguss gegenüber dem Original aufweist, lassen sich also nicht mit einem dazwischenstehenden Herrenhäuser Bronzekopf begründen, und wären dafür im Gegenteil noch zu gering. Denn bereits die Herrenhäuser „Faustina“ mit dem aus Bronze gegossenen Kopf und separatem Büstenteil aus Marmor müsste sich vom Original schon materialbedingt erheblich unterschieden haben, und zwar mehr noch als dies der Göttinger Abguss tut, der ja angeblich vom Bronzeporträt abgenommen worden sein soll. Eine Herrenhäuser Büste als Zwischenstufe zwischen Original und Gipsabguss scheidet also sicher aus. Ebenso ist auszuschließen, ein dazwischenstehendes Exemplar könnte überhaupt aus zwei zusammengesetzten Teilen (Kopf und Büste) bestanden haben (dafür entspricht der Abguss zu exakt dem Original). Geht man dennoch von einer Zwischenstufe aus, könnte es sich dabei eigentlich nur um ein ergänztes Modell auf der Basis eines unmittelbaren Abgusses des unergänzten Originals handeln, der abgenommen worden sein kann, noch ehe das Original England erreichte, d. h. auf dieses Modell würden dann auch die Ergänzungen, die der Göttinger Abguss aufweist, zurückgehen. Für die Unterschiede zwischen Abguss und Original im Hinblick auf die vorhandenen Ergänzungen sind jedoch noch weitere Erklärungen denkbar, die im Folgenden kurz skizziert werden sollen. So könnte der Abguss auch den ursprünglichen, noch unversehrten Originalzustand dokumentieren. Dies erscheint allerdings aufgrund der, in Anbetracht der qualitätvollen Ausführung des Porträts insgesamt, nicht hinreichend überzeugenden Fortführung der Gewandfalten unterhalb der quer verlaufenden Bruchkante eher unwahrscheinlich. Vor allem aber hieße das, das Porträt wäre in noch vollständigem Zustand gefunden und abgegossen worden, und erst danach wäre es zum Verlust der nun am Marmorbildnis ergänzten Teile gekommen. Dies ist wohl mit ziemlicher Sicherheit auszuschließen.

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2 Der Aufbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob Heyne

Im Übrigen wird auch die am Abguss – anders als am Original in seiner heutigen Form – festzustellende Neigung der Büste gegenüber dem Büstenfuß kaum auf den ursprünglichem Zustand zurückgehen. Zwar ist die Anbringung des Abgusses auf dem Büstenfuß grundsätzlich unabhängig von der vorgegebenen Sockelung des Originals, da der Fuß ohnehin nicht in einem Stück mit abgegossen wurde. Entsprechend umfasste auch die Abgussform nur die Büste ohne Fuß. Man darf aber wohl annehmen, dass man sich bei Vorliegen des Originals am vorgegebenen Neigungswinkel orientiert hätte.145 Da die gebeugt wirkende Sockelung des Abgusses weder dem ursprünglichen Zustand entsprochen haben kann, noch mit der heute ergänzten Büste in England übereinstimmt, lag bei Anfertigung des Abgusses offenbar nicht auch das Original, sondern nur die für den Abguss notwendige Form vor. Somit dürfte die unglückliche geneigte Anbringung des Abgusses auf dem Fuß wohl am ehesten auf den Gipsformer selbst zurückgehen.146 Dies gilt erst recht für den Fall, dass der Abguss nach der fragmentierten Büste hergestellt worden wäre (wie oben ausgeführt): Dann hätte der Abgießer selbst bei Vorliegen des Originals einen Befestigungswinkel definieren müssen. Denn dadurch, dass am Original der untere Teil der Büste weggebrochen war, fehlte ja auch die Information über den ursprünglichen Neigungswinkel der Büste gegenüber dem Büstenfuß. Eine dritte mögliche Erklärung für die Unterschiede zwischen Abguss und Original – und vielleicht die wahrscheinlichste – wäre schließlich, dass es sich bei der bestehenden nicht um die erste Ergänzung des Originals handelt, und der Göttinger Abguss noch den vorherigen, weniger zufriedenstellenden Zustand dokumentiert (wobei dieser vermutlich nicht einmal die Neigung nach vorne beinhaltete). Dies hätte nicht nur interessante Konsequenzen für die Rekonstruktion der Geschichte des Abgusses sondern u. U. auch für die der Original-Büste. Denn wäre, wie zuerst ausgeführt, die Abguss-Form vom noch unergänzten Original abgenommen worden, bei dem der untere Teil der Büste fehlte, müsste dieses bei Anfertigung des Abgusses (bzw. der Form) ein Neufund gewesen sein. Geht man jedoch stattdessen davon aus, dass das Original einmal anders ergänzt gewesen ist, bevor es nach England gelangte, und der Abguss noch diese frühere Ergänzung dokumentiert, dürfte es sich um ein Stück aus einer bestehenden Sammlung, die auch einfach der Bestand eines Antikenhändlers und/oder Restaurators gewesen sein könnte, gehandelt haben. Entsprechendes würde auch für den Zeitpunkt des Erwerbs des Porträts durch den Earl of Egremont gelten:147 Eine ihm zum Kauf angebotene unergänzte 145 Möglicherweise hätte dafür auch die bloße Kenntnis der Originalbüste genügt. Vielleicht darf man daraus schließen, dass der Gipsformer, der für den Göttinger Abguss verantwortlich zeichnet, nicht identisch ist mit dem, der die Abgussform vom Original genommen hat. 146 Dagegen nimmt Fittschen 2006, 303 an, die Neigung des Abgusses gehe auf die Herrenhäuser Vorlage zurück, allerdings basierend auf der unzutreffenden Annahme, der Kopf hinge nach vorne über. Tatsächlich ist es jedoch die Büste als Ganzes, die zu stark nach vorne geneigt ist. – In ähnlicher Weise zu steil auf dem Büstenfuß befestigt ist im Übrigen auch der 1774 von den Gebr. Ferrari nach Göttingen gelieferte Abguss des Homer Farnese, vgl. Boehringer 1979, 111 Nr. 47. 147 Vgl. dazu auch Fittschen 2006, 302 f. mit Anm. 9.

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Büste würde auf einen (aktuellen) Neufund hinweisen, eine ergänzte auf ein bereits aufgestelltes Exemplar (wobei dies nicht ein Stück einer Kunstsammlung gewesen sein muss, sondern auch ein für den Verkauf hergerichtetes Bildnis gewesen sein kann). Zu berücksichtigen bleibt dabei, dass der Ergänzungszustand des Originals bei Abnahme des Abgusses und zum Zeitpunkt seines Verkaufs nach England nicht derselbe gewesen sein muss. So könnte das Original beispielsweise noch unergänzt abgegossen, dem Earl aber dann inzwischen ergänzt angeboten worden sein. Dann hätte es sich zwar zum Zeitpunkt des Abgusses (bzw. der Anfertigung der Form) um einen Neufund gehandelt, zum Zeitpunkt des Kaufs aber um ein bereits ergänzt aufgestelltes Stück. War das Porträt im Übrigen noch unergänzt oder auch in einer ersten Version ergänzt, als es zum Kauf angeboten wurde, könnte der englische Sammler bzw. dessen Kunstagent der Auftraggeber für die Ergänzung oder auch Neuergänzung des Porträts gewesen sein, mit der es uns heute vor Augen steht. Die Überlegungen bezüglich des Abgusses liefern also, wenn auch keine gesicherten Erkenntnisse, so doch immerhin Anhaltspunkte für den Zeitpunkt und die Umstände der Ergänzung der Originalbüste bzw. allgemeiner zur Rekonstruktion der Herkunft und Geschichte des Originals. Auch Fittschen kommt anhand von Überlegungen in Bezug auf den Abguss zu dem Schluss, das Original dürfte ein Stück aus einer älteren Sammlung sein.148 Zu diesem Schluss gelangt er jedoch auf anderem Wege, ausgehend von der Annahme, der Göttinger Abguss sei eine unmittelbare Abformung des verlorenen Herrenhäuser Faustina-Kopfes. Da der Abguss dem ergänzten Original entspreche, dieser aber nicht direkt vom Original sondern der dazwischenstehenden Herrenhäuser Büste abgeformt sei, habe folglich auch diese bereits das Original mit den Ergänzungen wiedergegeben. Das wiederum hieße, die Ergänzungen am Original müssten noch vor Anfertigung des Bronzenachgusses vorgenommen worden sein, und damit deutlich früher als bislang angenommen, nämlich noch im 17. Jh. (denn die Herrenhäuser Bronzen waren ja ihrerseits keine Neuanfertigungen für Herrenhausen, sondern vom Kurfürsten als vermeintliche Antiken aus dem Besitz Ludwigs XIV. erworben worden). Damit wäre ausgeschlossen, dass die Ergänzungen auf die Werkstatt Bartolomeo Cavaceppis (1716– 1799) zurückgehen, wie bislang vermutet wurde.149 Interessant ist in diesem Zusammenhang auch der Vergleich mit der noch im 18. Jh. aus Rom erworbenen, sehr umfangreichen Abguss-Sammlung des Anton Raphael Mengs (1728–1779) in Dresden.150 So dokumentieren einige Abgüsse der Sammlung Mengs, dass viele Stücke zum Zeitpunkt der Abformung noch unergänzt bzw. vorläufig ergänzt waren, dies zeigen die seit der Abformung veränderten Originale.151 Unter Händlern und Ergänzern war es offenbar verbreitete Praxis, von den

148 Vgl. Fittschen 2006, 302 f. 149 Vgl. Fittschen 2006, 302 f. mit Anm. 8. 150 Kiderlen 2006, 22 f.; 30 f. 151 Vgl. Kiderlen 2006, 33 mit Anm. 6; 478 Liste der Abgüsse der Slg. Mengs, deren Originale seit der Abformung verändert wurden (knapp 30 Stücke).

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Stücken, die durch ihre Hände gingen, Abgüsse anzufertigen und diese auch zu verkaufen, und auf die Weise eine Art „sekundäre Verwertungskette“ zu betreiben; z. T. handelte es sich um Hilfsmodelle für die Ergänzungsarbeiten.152 Relevant ist dieser Sachverhalt auch im Hinblick auf den Göttinger Abguss der Faustina: Auch in diesem Fall dürften die Unterschiede zwischen dem Abguss und dem Original auf eine vorläufige Ergänzung des Originals (wahrscheinlich vor dem Export nach England) zurückzuführen sein – ob nun als Hilfsmodell oder als dauerhafte Ergänzung. Dass die Anfertigung von Formen und Abgüssen ihrer Waren bei den Bildhauern Cavaceppi und Carlo Albacini durchaus üblich war, ist bereits länger bekannt. Händler und Sammler wie Jenkins, Hamilton und Townley dürften ähnlich verfahren sein, wobei sie das eigentliche Abgießen sicher delegierten.153 Die sich bereits aus dem Bestand der Abgüsse der Sammlung Mengs ergebende relativ große Anzahl an Beispielen von Originalen, die nach dem Abgießen verändert wurden, zeigt, dass es sich offensichtlich um ein häufiges Phänomen handelte, dessen Hintergründe auch auf die Göttinger Faustina zutreffen dürften. Der Abguss kann also auch von daher als Dokumentation einer vorläufigen Ergänzung betrachtet werden und hat nichts zu tun mit einer dazwischen stehenden Herrenhäuser Bronzebüste (zumal die Unterschiede zwischen Original und Abguss gerade den ergänzten Abschnitt betreffen), und außerdem wohl auch nichts mit einer früheren antiken Ergänzung. Hier zeigt sich einmal mehr, wie der Vergleich mit anderen Sammlungen ergänzende Informationen und Hinweise liefern kann, wie eben in diesem Fall die Sammlung Mengs für die Abguss-Sammlung in Göttingen. Doch abschließend noch einmal zurück zur Frage des Zusammenhangs zwischen dem Göttinger Abguss und dem verlorenen Herrenhäuser Kopf. Denn auch wenn, wie gezeigt, der vorliegende Abguss der „Faustina“ kein Abguss der gleichnamigen Herrenhäuser Büste sein kann, muss Heyne doch einen dem dortigen in irgendeiner Weise entsprechenden Kopf erworben haben, denn er nennt eine „Faustina“ in seiner Erwerbungsliste der Abgüsse der Büsten aus Herrenhausen. Aus dem Zusatz „schon vorher“ ist außerdem zu schließen, dass dies vor dem Erwerb der übrigen Herrenhausen-Abgüsse erfolgt ist, Heyne also zu diesem Zeitpunkt offenbar keinen Abguss des dort aufgestellten Bronzekopfes mehr benötigte. Dafür sind dreierlei Erklärungen denkbar: Entweder hatte Heyne bereits einen unmittelbaren Abguss des Herrenhäuser Bildnisses (der heute verloren ist) oder aber einen Abguss, der diesem einfach im Typus entsprach. Dies könnte dann auch der heute noch vorhandene „Faustina“-Abguss gewesen sein. Als Drittes wäre theoretisch auch möglich, dass Heyne einfach bereits einen Abguss irgendeines anderen Typus, aber gleichfalls mit der Bezeichnung „Faustina“ hatte, und daher auf ein zweites Porträt gleichen Namens meinte verzichten zu können. Nur warum hätte er eine solche „Faustina“ dann in seine Liste der Herrenhäuser Büsten einreihen sol-

152 Kiderlen 2006, 33 f. 153 Kiderlen 2006, 34.

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len? Dies erscheint nicht wirklich plausibel. Da das Göttinger Exemplar wie gezeigt als direkter Abguss eines Herrenhäuser Kopfes sicher ausscheidet, muss man wohl doch am ehesten davon ausgehen, dass mit der in Heynes Liste genannten „Faustina“ ein Abguss gemeint war, der der Herrenhäuser „Faustina“ im Typus entsprach, und somit auch der in Göttingen vorhandene Abguss gewesen sein kann, oder es handelte sich dabei um einen tatsächlich von der Herrenhäuser „Faustina“ abgenommenen Abguss, der aber heute nicht mehr vorhanden ist. Im Hinblick auf die Rekonstruktion der einst in Herrenhausen vorhandenen Bronze-„Faustina“ bleibt festzuhalten: Der Göttinger „Faustina“-Abguss ist mit Sicherheit kein Abguss dieses verlorenen Bronzeporträts, aber die Annahme, dass er ihm im Typus entsprochen hat, hat einiges für sich. Zu den Parallelen zwischen Göttingen, Herrenhausen und den Porzellanbüsten der Fürstenberger Manufaktur Wie gezeigt lassen sich einige der verlorenen Herrenhäuser Bronzeporträts mit Hilfe ihrer in Göttingen noch vorhandenen Abgüsse rekonstruieren. Da sich aber auch in Göttingen wiederum nicht alle Abgüsse erhalten haben, die von der Herrenhäuser Serie stammen, ist es umgekehrt auch möglich, einige davon anhand der verbliebenen Bronzeköpfe zu rekonstruieren.154 Da auch in diesen Fällen kein direkter Abgleich der Bildnisse mehr möglich ist, bilden hier ebenfalls die erhaltenen Verzeichnisse die Grundlage. Auf diese Weise lässt sich das ursprüngliche Aussehen von immerhin sechs der sieben zerstörten Gipsbildnisse nachvollziehen (Augustus, Tiberius, Claudius, Caligula, Nero, Ptolemaeus). Darüber hinaus bestehen mehrere Übereinstimmungen zwischen Göttinger Gipsabgüssen und einer Serie verkleinerter Porträtbüsten der Fürstenberger Porzellanmanufaktur, deren Produktion bereits kurze Zeit nach Heynes ersten Ankäufen von Gipsabgüssen einsetzt (Abb. 39, 40).155 Durch ihre ebenfalls weiße Farbe und

154 Nach wie vor in Göttingen vorhanden sind folgende elf Abgüsse: Galba, Vitellius, Vespasian, Titus, Constantinus, Scipio, Sulla, Marius, Cicero, Drusus, Faustina; verloren sind: Augustus, Tiberius, Claudius, Caligula, Nero, Ptolemaeus, Epicurus (bis auf Ptolemaeus alle 1859 noch nachweisbar, s. Wieseler 1859, 18 Anm. 2); vgl. auch Tabelle bei Fittschen 2000, 55. 155 Fittschen 2000, 52. 54 mit Anm. 58. Zu Übereinstimmungen zwischen Göttinger Abgüssen und Porträtbüsten in Fürstenberger Porzellan s. a. den Katalog der Erwerbungen hier im Anhang. Die angegebenen Datierungen der Porzellanbüsten beziehen sich auf die Entstehungszeit der jeweiligen Modelle. – Zu der sehr umfangreichen Serie gehörten auch Porträts zeitgenössischer Persönlichkeiten, sowie Köpfe antiker und antikisierender neuzeitlicher Idealplastik. Die größten Bestände an Bildnisbüsten aus Fürstenberg befinden sich in Weimar (Museen der Klassik Stiftung Weimar, Fürstenberger Porzellan der Herzogin Anna Amalia), Braunschweig (HAUM) und Fürstenberg (Museum der Porzellanmanufaktur). – Zu den Fürstenberger Porzellanfiguren s. S. Ducret, Fürstenberger Porzellan III (Braunschweig 1965) = Ducret 1965; B. v. Wolff Metternich – M. Meinz (Hrsg.), Die Porzellanmanufaktur Fürstenberg. Eine Kulturgeschichte im Spiegel des Fürstenberger Porzellans I (München 2004) = Wolff Metternich – Meinz 2004.

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2 Der Aufbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob Heyne

Abb. 39: „Cicero“, Porzellanmanufaktur Fürstenberg, Braunschweig, Herzog Anton Ulrich-Museum, 1771.

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Abb. 40: „Drusus“, Porzellanmanufaktur Fürstenberg, Braunschweig, Herzog Anton Ulrich-Museum, 1771.

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2 Der Aufbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob Heyne

die matte Oberfläche des Biskuitporzellans konnten die Porzellanbüsten den Anschein verkleinerter Gipsabgüsse erwecken.156 Nach Fittschen gehen mindestens sieben der Fürstenberger Porträts ebenfalls auf Herrenhäuser Vorbilder zurück (Scipio, Ptolemaeus, Tiberius, Drusus, Caligula, Cicero und Demosthenes),157 womit die Nachahmungen in Fürstenberger Porzellan ebenfalls zur Rekonstruktion der beiden Porträtserien von Herrenhausen und Göttingen beitragen könnten.158 Bis auf den „Cicero“, „Demosthenes“ und „Drusus“ sind die genannten Bildnisse in der Tat sowohl in Bronze als auch in Porzellan erhalten und stimmen überein. Für den Fürstenberger „Cicero“ muss aufgrund der namentlichen Übereinstimmung und der Übereinstimmung mit dem Göttinger Exemplar (mit Beschriftung „Cicero“ und Ferrari-Signatur) ein Herrenhäuser Bildnis als Vorbild angenommen werden. Ein Porträt des „Demosthenes“ ist zwar auch für Herrenhausen belegt; welchem Typus dieses entsprochen hat, kann bislang jedoch nicht sicher entschieden werden, da dafür mindestens zwei verschiedene Typen in Frage kommen (s. u.).159 Der „Drusus“ lässt sich über den entsprechenden Abguss in Göttingen als dem Herrenhäuser Kopf folgend nachweisen (und natürlich durch den Kranz). Interessant zur Rekonstruktion bzw. Identifizierung ist besonders der „Epikur“ der Fürstenberger Serie, denn er fehlt in Herrenhausen und ist auch in Göttingen

156 Vgl. Kockel 2000, 43 f. 157 Fittschen 2000, 52–54; dort auch Hinweise auf Marmorrepliken der Porträts in Potsdam. – Zu den Porzellanporträts der Fürstenberger Manufaktur s. Fittschen 2006, 95–98. Vgl. dort außerdem die Abbildungen von Fürstenberger Porträts nach Herrenhäuser Vorlagen, vorwiegend in Braunschweig, HAUM, s. Fittschen 2006, Taf. 13, 4 („Scipio“); Taf. 32, 4 („Ptolemäus“); Taf. 36, 4 („Tiberius“, Privatbesitz); Taf. 38, 3 („Drusus“); Taf. 42, 2 („Caligula“, Fürstenberg, Manufaktur); Taf. 84, 4 („Cicero“, Münster, Westfälisches Landesmuseum). Das nach Fittschen wahrscheinliche Aussehen des Herrenhäuser „Demosthenes“ gibt die dem „Lysimachos Farnese“ folgende Fürstenberg-Büste wieder, vgl. Wolff Metternich 1981, 31 Abb. 5 (dort (irrtümlich?) als „Schleifer“ bezeichnet); Fittschen 2006, 292 Nr. 7. Vgl. dazu auch die ähnliche Porzellan-Büste „Römischer Spion“ bei BerswordtWallrabe 2002, 118 f. Nr. 142 mit Abb., letztere offenbar eine Variante desselben Typus. 158 Vgl. außerdem die Büsten der Zwölf-Kaiser-Serie in Potsdam, Schloss Sanssouci, s. Fittschen 2006, 49–55 Taf. 8–10. Mehrere dieser Bildnisse stehen zu Herrenhäuser Porträts in einem Replikenverhältnis. Aufgrund der Tatsache, dass jedoch nicht alle Porträts der beiden Serien übereinstimmen, ist auszuschließen, dass eine Porträtserie von der anderen abhängt. Beide scheinen vielmehr auf gemeinsame Vorbilder zurückzugehen, s. Fittschen 2006, 53. Alle Köpfe der Potsdamer Serie sind bekränzt, und zwar in der gleichen, unrichtigen Art (in einer Richtung umlaufend), wie dies auch die bekränzten Bildnisse in Herrenhausen zeigen. Interessanterweise sind genau die Herrenhäuser Porträts mit einem solchen Kranz versehen, die Replikenentsprechungen in Sanssouci haben, die darüber hinausgehenden Bildnisse – ihren jeweiligen Vorbildern entsprechend – in Herrenhausen hingegen unbekränzt (der Herrenhäuser Augustus trägt in Anlehnung an sein Vorbild in München, Glyptothek, Inv.-Nr. 317 einen korrekt angelegten Kranz, allerdings, vermutlich um ihn der Serie anzugleichen, einen Lorbeer- anstelle des Eichenkranzes). 159 Heyne hat zumindest 1767 keinen „Demosthenes“ für Göttingen erworben; unklar ist, welchem Typus der Göttinger „Demosthenes“ des Verzeichnisses von 1788 entsprochen hat, und ob es sich um einen Abguss nach Herrenhäuser Vorbild handelte.

2.2 Erwerbungsgeschichte

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nicht sicher zu identifizieren (leider ist davon allerdings bisher kein Exemplar in Abbildung veröffentlicht worden).160 In den übrigen Fällen sind die Porzellanporträts geeignet, die Annahmen, die sich bei der Rekonstruktion der Bildnisgalerien aus dem wechelseitigen Abgleich zwischen Herrenhausen und Göttingen ergeben, zu untermauern (so im Falle des Tiberius, Caligula und Ptolemaeus für Göttingen, sowie des Cicero und Drusus für Herrenhausen). Dies wiederum bestätigt die enge Parallelität der drei Bildnisserien. Die Übereinstimmungen zwischen Fürstenberger Porträts und Gipsabgüssen in Göttingen sind im Übrigen nicht auf die Herrenhäuser Bildnisse beschränkt; daher werden sich mit Hilfe der Porzellanbüsten möglicherweise auch noch weitere Gipsabgüsse rekonstruieren lassen, die inzwischen verloren sind, deren vormalige Existenz aber durch die Göttinger Verzeichnisse zu belegen ist.161 Außerdem gibt es nicht nur Beispiele von Fürstenberg-Büsten, die nicht den Herrenhäuser Bronzen entsprechen, weil das betreffende Bildnis in Herrenhausen nicht vorhanden war, sondern teilweise hat man auch eine andere Vorlage, d. h. einen anderen Typus verwendet, obwohl es das Porträt auch in Herrenhausen gab. Zu den Fürstenberg-Exemplaren, für die Herrenhausen keine Vorlage bieten konnte, gehört das Bildnis des „Julius Caesar“. Als Vorbild ist der inzwischen verschollene „Julius Caesar“ der Sammlung Wallmoden zu identifizieren.162 Zwar hat auch Göttingen einen Abguss dieses Kopfes erhalten, allerdings erst 1781, während die Porzellan-Büste bereits seit 1771 in Serie produziert wurde.163 Interessanterweise haben die Fürstenberger Modelleure nach demselben Vorbild zwei verschiedene Porzellan-Porträts „Julius Caesar“ hergestellt – einmal mit und einmal ohne Kranz.164 Dem Vorbild entspricht das unbekränzte Bildnis.165 Gleichzeitig begann auch die Produktion eines „Cicero“ (wie der sog. Caesar eigentlich ein Porträt eines unbekannten Mannes spätrepublikanischer Zeit, allerdings wahrscheinlich nach einer verlorenen Herrenhäuser Büste; vgl. auch hier den Abguss in Göttingen).166 Spätestens 1774 war die bekränzte Version des „Caesar“-Bildnisses erhältlich, als ein Modell einer zwölf Exemplare umfassenden Serie (offenbar sämtlich bekränzter) römischer Kaiserpor-

160 Vgl. Fittschen 2000, 54; Wolff Metternich – Meinz 2004, 236 („Epicur“, 1785–1800); 246 Nr. 55, ohne Daten. 161 Zu den weiteren Übereinstimmungen zwischen der Fürstenberger Serie und Gipsabgüssen in Göttingen s. Fittschen 2000, 54 mit Anm. 58. 162 Dessen vormalige Existenz zu belegen durch eine Zeichnung im Codex Kielmannsegg (darin Zeichnungen und Texte zu einer geplanten bebilderten Publikation der Wallmodenschen Sammlung, s. Müller 1979, 11–13), vgl. Slg. Wallmoden 1979, 19 Abb. 6. 163 Boehringer 1979, 107 Nr. 23; vgl. Wolff Metternich – Meinz 2004, 234. 164 Das unbekränzte Porträt von dem Modelleur Jean Desoches (1771); das bekränzte Modell von Johann Christoph Rombrich (1774), vgl. Wolff Metternich – Meinz 2004, 234 f. 165 Vgl. Ducret 1965, 239 Abb. 356 (links) (bekränzte Variante); Schroeder – Damaschke 1996, 138 Nr. 159 mit Abb. (unbekränzt). 166 Vgl. Wolff Metternich – Meinz 2004, 234; vgl. Ducret 1965, 239 Abb. 356 (rechts); 357; Boehringer 1979, 112 Nr. 54.

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träts.167 Ducret hat unter Berufung auf W. Geese die These vorgebracht, die Fürstenberger Imperatoren-Büsten seien „verkleinerte Abformungen von Klauers Büsten“ (gemeint sind Arbeiten des Weimarer Hofbildhauers Gottlieb Martin Klauer).168 Dies ist jedoch laut B. v. Wolff Metternich schon deshalb nicht haltbar, weil die ersten von Klauer nach Antiken gebildeten Büsten erst nach der Fürstenberger Kaiserserie entstanden seien, nämlich nach in den Jahren 1778/79 hergestellten Abgüssen aus dem Mannheimer Antikensaal.169 Gleichwohl seien „die Vorbilder sicher die gleichen antiken Büsten“. Nicht nach Herrenhäuser Vorlage angefertigt, obwohl dort vorhanden, sind die Fürstenberg-Büsten des Titus und des Nero.170 Das Porzellan-Porträt des Titus unterscheidet sich vom Herrenhäuser Exemplar (und dem entsprechenden Abguss in Göttingen) durch die etwas höher, und zudem ohne Angabe von Falten gebildete Stirnpartie, und vor allem durch den anders gestalteten Blattkranz, der hier nicht in einer Richtung um-, sondern zu beiden Seiten aufwärts verläuft, und zudem über der Mitte der Stirn nicht geschlossen ist.171 Der Kranz ist außerdem tiefer angesetzt, so dass er nicht wie in Herrenhausen über den Oberkopf gelegt ist, sondern den Haaransatz und den oberen Teil der Ohren verdeckt. Die Blattform ist etwas runder gebildet. Jedoch erscheinen die Gesichtszüge und die Kopfhaltung mit einer sehr leichten Wendung zur linken Seite so ähnlich, dass man vielleicht ein gemeinsames antikes Vorbild annehmen darf.172 Noch eindeutiger unterscheidet sich der Fürstenberger Nero von dem Exemplar in Herrenhausen (der Abguss in Göttingen ist verloren).173 Abgesehen von der markanten Kopfwendung, auf die beim Porzellan-Bildnis verzichtet wurde, und der mehr als Bogen angegebenen Stirnhaarkontur unterscheiden sich die Köpfe in den Proportionen wie in der Bildung der Einzelformen. Hinzu kommt am Fürstenberger Exemplar ein ähnlich der für die Herrenhäuser Bildnisse typischen Art gestalteter

167 Vgl. Wolff Metternich – Meinz 2004, 235. 238; vgl. Ducret 1965, 243 Abb. 362. 168 Ducret 1965, 191 mit Bezug auf W. Geese, Gottlieb Martin Klauer. Der Bildhauer Goethes (Leipzig 1935) = Geese 1935. 169 Wolff Metternich – Meinz 2004, 238 mit Anm. 153. Im Übrigen scheint W. Geese sich nicht wirklich dahin gehend geäußert zu haben; auch Ducret bleibt eine konkrete Stellenangabe schuldig. Vgl. aber Geese 1935, 191: „Die kleinen Biskuitbüsten der Fürstenberger Porzellanmanufaktur sind Verkleinerungen von Klauers Bildnissen der (sic) Goethe, Herder, Wieland, Carl August, Lavater, Raynal – wohl meist von Schubert in Braunschweig nach den Originalen modelliert und in verschiedenen Größen hergestellt.“ 170 Vgl. Ducret 1965, 243 Abb. 363 („Titus Vespasianus“); 364 („Nero Claudius Caesar“). 171 Vgl. Fittschen 2006, 241. 172 Als Vorbild hat Fittschen die Büste des Titus in Castle Howard bzw. eine verschollene antike Replik dieses Bildnisses vorgeschlagen, s. Fittschen 2006, 238 f. mit Taf. 70, 1. 2. – Bei dem Kranz des Herrenhäuser Exemplares handelt es sich in dieser Form ohnehin um eine herrenhausenspezifische Zutat; das antike Vorbild dürfte unbekränzt gewesen sein. Als unmittelbare Vorlage könnte auch eine neuzeitliche Kopie in Betracht kommen, vgl. Fittschen 2006, 239 f. mit Anm. 6. 173 Vgl. Fittschen 2006, 177. 181.

2.2 Erwerbungsgeschichte

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Lorbeerkranz,174 der dem Bronzekopf jedoch fehlt. Dass der heute in Herrenhausen vorhandene Kopf dennoch identisch ist mit dem damals aufgestellten Bronzebildnis belegt der Stich bei Baring.175 Während sich für den Kopf in Hannover als Vorbild ein fragmentiertes und zu einem Nero-Bildnis ergänztes Porträt des jungen Domitian benennen lässt,176 ist für das Fürstenberger Bildnis kein antikes Vorbild identifizierbar. Dieses scheint vielmehr nach einer Zeichenvorlage frei modelliert zu sein.177 Ansonsten bezogen die Modelleure der Fürstenberger Manufaktur ihre Vorlagen offenbar in erster Linie aus dem 1754 gegründeten Herzoglichen Kunst- und Naturalienkabinett Carls I. in Braunschweig (übrigens einem der ersten der Öffentlichkeit zugänglichen Museen des europäischen Kontinents).178 Dies wurde auch durch die enge Verknüpfung beider Institutionen begünstigt: Carl I. (1713–1780) war zugleich der Begründer der Porzellanmanufaktur, und hatte die Modelleure selbst aufgefordert, das herzogliche Museum als Lieferanten für Vorlagen zu nutzen.179 Neben anderen Stücken des Herzoglichen Kunst- und Naturalienkabinetts dienten auch die dort zusammengetragenen Gipsabgüsse von Antiken den Fürstenberger Modelleuren als Vorlagen.180 Interessant wäre daher auch ein Vergleich der Göttinger Verzeichnisse mit denen der Gipsabguss-Sammlung in Braunschweig – möglicherweise bestanden auch Übereinstimmungen zwischen der Göttinger und der Braunschweiger Sammlung, die zur Rekonstruktion der Bestände hilfreich sein könnten.181

174 Ob der Kranz tatsächlich auch in einer Richtung umläuft, lässt sich anhand der Abbildung bei Ducret 1965, 243 Abb. 364 nicht exakt beurteilen. 175 Vgl. Fittschen 2006, 25 Anm. 12; Taf. 5, 4; Baring 1748, Frontispiz. 176 Rom, Mus. Capitolini, Inv.-Nr. 427; Fittschen 2006, 177 mit Taf. 49; 50, 2. 177 Fittschen 2006, 181. Jedenfalls scheidet der verlorene Göttinger Abguss ebenso als Vorlage für das Porzellan-Bildnis aus, da es keinen Grund gibt anzunehmen, dieser könnte von einem anderen als dem Herrenhäuser Kopf abgenommen sein. 178 Damaschke 1996, 109; Wolff Metternich 1981, 21 f. 50. – Die Fürstenberger Büsten wiederum haben offenbar als Vorlagen für die Gothaer Porzellanmanufaktur gedient, s. Damaschke 1996, 111. Zumindest vier der Gothaer Porträtbüsten nach Antiken haben sich erhalten, s. Däberitz 1995, 148 f. Nr. IV. 14–17 („Seneca“, „Temosthenes“, „Drusus“, „Niobe la mere“); Rau 2003a, 309–311 Nr. 190– 193. Entsprechende Porträts sind offenbar von den Brüdern Ferrari als Abgüsse nach Göttingen geliefert worden. Allerdings steht der Gothaer „Drusus“ in der Ausgestaltung dem Fürstenberger Exemplar eindeutig näher als dem Abguss, so dass die Gothaer Manufaktur sich wohl in der Tat an Modellen der Fürstenberger Produktion orientiert hat. Der Gothaer „Temosthenes“ erscheint jedoch in Fürstenberg als „Röm. Spion“, unter der Bezeichnung „Demosthenes“ lief dort ein anderer Typus, vgl. Berswordt-Wallrabe 2002, 118 f. Nr. 142 mit Abb. (K. A. Möller) („Römischer Spion“); Wolff Metternich – Meinz 2004, 254 Abb. 200 f. („Demosthenes“). 179 Walz 1996, 2114. 180 HAUM Braunschweig, Archiv, H 29 „Beschreibung oder Inventarium des Herzoglich Braunschweigischen Museum. Erster Band“, S. 149–156, 11. Abgüsse in Gips. Das Verzeichnis wurde nach 1787 abgeschlossen, s. Walz – König-Lein 2000, 382; vgl. Damaschke 1996, 109 f. mit Anm. 11; vgl. Koch 1958, 147. 181 Offenbar waren auch dort einige der Abgüsse von den Brüdern Ferrari geliefert worden. So dankt Herzog Carl I. in einem Brief vom 19. Oktober 1771 Raspe, der sich sehr für die Verbreitung von Gipsabgüssen der Ferraris einsetzte, für Antikenabgüsse, vgl. Hallo 1926, 279 Anm. 2.

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2 Der Aufbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob Heyne

Aufgrund der zeitlichen Reihenfolge der Entstehung der Serien – die Produktion der Porzellan-Porträts beginnt erst nach der Aufstellung der Gipsabgüsse in Göttingen – wäre es prinzipiell denkbar, dass die Modelleure der Fürstenberger Manufaktur auch der Göttinger Gipsabguss-Sammlung Vorbilder entlehnt haben könnten.182 Als Beispiel für eine derartige Abhängigkeit ist die Büste eines neuzeitlichen „Römischen Redners“ in Göttingen (dort angeblich nicht mehr vorhanden) und dessen Typus in Fürstenberger Porzellan genannt worden.183 Allerdings lässt sich der genannte „Römische Redner“ als die in Göttingen sehr wohl noch vorhandene Bildnisbüste eines Unbekannten (sog. Demosthenes) identifizieren, dessen Typus ebenfalls unter der Bezeichnung „Demosthenes“ der Fürstenberger Serie angehört.184 Damit ist jedoch noch nicht erwiesen, dass in diesem (oder auch in anderen Fällen) ein Göttinger Abguss als Vorlage für eine Porzellanbüste gedient hat, zumal im Falle des „Demosthenes“ noch weitere Gipsabgüsse existieren, die ebenfalls als Vorlage in Betracht kommen könnten.185 Abgesehen davon ist für die Fürstenberger Bildnisse nach Typen der Herrenhäuser Serie prinzipiell immer auch eine unmittelbare Abhängigkeit von den Herrenhäuser Bildnissen denkbar. Grundsätzlich sind Übereinstimmungen von Porträts in den verschiedenen Serien bzw. Sammlungen ohnehin kein zwingender Beweis für mehr oder minder direkte Abhängigkeiten untereinander. Es können auch jeweils einfach dieselben Bezugsquellen für Gipsabgüsse zugrunde liegen, deren Angebot sich wiederum aus den nahegelegenen Antikensammlungen rekrutierte.186 Diskutiert wird außer der Frage nach den Vorlagen auch, wer der eigentliche Initiator zur Schaffung der Fürstenberger Serie mit ihrer „bildungspolitischen Zielsetzung“ gewesen sein könnte.187 Genannt wurden bisher Lessing und auch Heyne. Lessing, weil er neben seinem Interesse an der Antike als herzoglich braunschweigischer Bibliothekar „wohl auch Einfluss auf die herzogliche Verwaltung nehmen konnte“;188

182 Vgl. Damaschke 1996, 110. 183 Damaschke 1996, 110 mit Bezug auf Boehringer 1981, 283, der jedoch allein auf die parallele Existenz des Bildnistypus hinweist, ohne eine direkte Abhängigkeit zu unterstellen. 184 Vgl. Boehringer 1981, 283. 185 So hat sich ein entsprechender Gipsabguss offenbar auch in Goethes Besitz befunden, vgl. Schuette 1910, 50 Nr. 2 (Umrisszeichnung S. 49 Nr. 2), „Sogenannter Cato. Moderne Arbeit unbekannter Herkunft.“ H. Koch berichtet außerdem von weiteren Abgüssen nach demselben Urbild in Jena (früher im Lesesaal der Universitätsbibliothek), in Schloss Tiefurt bei Weimar und in einem der Dornburger Schlösser, s. Koch 1958, 145. 155; vgl. Boehringer 1979, 111 f. – Dazu wäre zunächst zu klären, inwieweit die bekannten Gips-Exemplare desselben Typus vor oder nach der Fürstenberger Büste entstanden sind; schließlich können auch die Porzellanbüsten wiederum Vorlage für weitere Porträtbüsten geworden sein. Zum möglichen „Urbild“ des „Demosthenes“ und dem Göttinger Exemplar s. unten S. 273–278. 186 Vgl. Fittschen 2000, 54. Auch zur Anfertigung der Porzellanbüsten wurden „Gipsoriginale“, d. h. Gipsabgüsse von antiken Kunstwerken als Vorlagen verwendet, vgl. Wolff Metternich 1981, 47. 187 Fittschen 2000, 54. 188 Fittschen 2000, 54 mit Verweis auf Wolff Metternich 1981, 47–50. Außerdem war Lessing „im ganzen deutschsprachigen Raum als Kunstrichter bekannt und galt neben Winckelmann als der

2.2 Erwerbungsgeschichte

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Heyne aufgrund seiner Gründung einer Gipsabguss-Sammlung noch vor Beginn der Produktion der Fürstenberger Bildnisse und aufgrund der zahlreichen Übereinstimmungen zwischen dieser und den Porzellan-Porträts.189 Die Frage ist allerdings, inwieweit es zu dieser „volkstümlichen Maßnahme“ (Fittschen) überhaupt eines Mittelsmannes bzw. eines Anstoßes von außen bedurfte, oder ob man die Initiative nicht Carl I. selbst zuschreiben kann, der sich dazu durch die Öffnung seines „Kabinetts“ für die Bevölkerung durchaus empfiehlt.190 Fraglich ist außerdem, wie „volkstümlich“ der Gedanke zur Schaffung der Fürstenberger Serie tatsächlich war; Heyne könnte man dann als Initiator zumindest ausschließen – die Bildung der breiten Masse war sein Anliegen nicht.191 Zur Auswahl der Herrenhäuser Bildnisse und den Papiermaché-Büsten von Ludwigslust Die Zusammenstellung der Herrenhäuser Bildnisgalerie, bestehend aus römischen Kaisern und verschiedenen anderen Figuren der griechischen und römischen Antike, existierte so im Wesentlichen offenbar schon unter Ludwig XIV., von dem die Serie erworben wurde.192 Nach Einschätzung Fittschens stammen die erhaltenen Bronzebildnisse aus stilistischen Gründen alle aus derselben Werkstatt.193 Die antiken Vorbilder lassen sich aber in verschiedenen, teilweise weit auseinander liegenden Sammlungen finden. Unklar ist daher, auf wen die Zusammenstellung der Bildnisse ursprünglich zurückgeht. Da es sich bei den Bronzebüsten der Überlieferung nach um angebliche Tiberfunde handelt, dürften die Stücke schon als Serie angeboten worden sein. Fittschen geht aber davon aus, dass es sich nicht um eine „inhaltlich geschlossene und formal einheitliche Bildnisgalerie“ handelte, sondern Georg I. „gekauft hat, was angeboten war“.194 Heyne hat nicht von allen Büsten, die in Herrenhausen vorhanden waren, Abgüsse erworben. Nach Göttingen gelangten zum einen neun Büsten der sog. suetonischen Zwölfkaisergalerie (ohne Caesar, Otho und Domitian). Offenbar waren in Herrenhausen zu der Zeit weder ein Caesar noch ein Otho vorhanden, beide fehlen sowohl in der Namensliste von 1748 als auch in der Inventarliste von 1785.195 Ein bedeutendste Kenner und Erneuerer der antiken Tradition.“ (Wolff Metternich – Meinz 2004, 250). Vgl. außerdem Wolff Metternich – Meinz 2004, 254: „Die Fürstenberg-Büsten nach Werken der antiken Kunst sind eine Beispielsammlung für Lessings Kunstkritik, die er aufgrund der Beschreibungen Winckelmanns, aber im Widerspruch zu dessen Auffassung formulierte.“ 189 Fittschen 2000, 54. 190 Vgl. Luckhardt 2004, 15–18; Matuschek 2004. 191 Vgl. Heidenreich 2006, 416. 192 Otho und Septimius Severus gehörten möglicherweise nicht zur ursprünglichen Serie, s. Fittschen 2000, 49 Anm. 5; 50 Anm. 14. 193 Fittschen 2000, 50. 194 Fittschen 2006, 37. 195 Ein Caesar gehörte offenbar nie zur Herrenhäuser Sammlung, er erscheint in keiner der Namenslisten und wäre – so vorhanden – sicher von Heyne als Abguss bestellt worden, s. Fittschen

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2 Der Aufbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob Heyne

Abguss des Domitiankopfes wäre allerdings möglich gewesen. Hinzu kamen als Vertreter der römischen Republik Scipio, Marius, Sulla und Cicero. Kopiert wurden auch die Bronzeköpfe des griechischen Philosophen Epikur (nicht aber der des Redners Demosthenes) und des Constantinus. Außerdem entstanden Abformungen des Drusus, des Ptolemaeus und der Faustina, deren dreier Anwesenheit Fittschen schon für die Herrenhäuser Bildnisgalerie als „kaum erklärbar“ bezeichnet hat.196 Verzichtet hat Heyne auf Abgüsse des Antonius (der in den Verzeichnissen der Kaisergalerie bis 1844 anstelle des Otho erscheint), des Clodius Albinus und des Jupiter.197 Das Bildnis des Septimius Severus lässt sich in Herrenhausen erst im Inventar von 1785 belegen.198 Die Entscheidung, Abgüsse der Herrenhäuser Büsten zu erwerben, zumal die Auswahl, die Heyne darunter getroffen hat, scheint vor allem praktische Gründe gehabt zu haben: Offenbar hatte der Herzog von Mecklenburg-Schwerin schon zuvor Abgüsse von den Büsten anfertigen lassen, die von Heyne dann auch für Göttingen bestellt wurden (womit die Auswahl eher für diesen als für Heyne repräsentativ wäre). Dies lässt sich aus einem Bericht Raspes an den Landgrafen von HessenKassel folgern.199 Raspe – seit 1767 nicht nur wissenschaftlicher Bearbeiter der Antikensammlung im Schlösschen Wallmoden, sondern auch Antiquarius der Kasseler Sammlung200 – erwarb 1768, ein Jahr nach Heyne, ebenfalls Abgüsse von 18 Herrenhäuser Büsten (von Hofbildhauer Johann Friedrich Ziesenis in Hannover),201 wobei diese allerdings nicht vollständig mit Heynes Erwerbungen übereinstimmten.202 In 2000, 52. Eine Büste mit dem Namen Otho ist heute in der Sammlung vorhanden; vermutlich handelt es sich dabei aber um die ursprünglich als Antonius bezeichnete Büste, die als verschollen gilt, s. Fittschen 2006, 245 f. mit Anm. 3 (vgl. o. S. 182). 196 Fittschen 2000, 50. 197 Wie eine Zeichnung im Codex Kielmannsegg (darin Zeichnungen und Texte zu einer geplanten bebilderten Publikation der Wallmodenschen Sammlung, s. Müller 1979, 11–13) belegt, befand sich in der Slg. Wallmoden ehemals ein Bildnis unter der Bezeichnung „Clodius Albinus“. Einen entsprechenden Abguss erwarb Heyne 1774 von Ferraris (in Göttingen offenbar als „Diogenes“), vgl. Boehringer 1979, 113 Nr. 63. 198 Hübner 1991, 149. 199 Gercke 2005, 69 mit Anm. 27. 200 Hallo 1926, 293 (Hinweis auf Heynes Glückwunsch an Raspe zur Anstellung in Kassel, Brief vom 8. Okt. 1767). 201 Hallo 1934, 44; Gercke 2005, 68 f. – Johann Friedrich Ziesenis (1715–1787) war ein Cousin des Hofmalers Johann Georg Ziesenis (1716–1776) in Hannover; dieser hat wiederum eine Büste des „Cicero“ als Zutat in einem seiner Gemälde verewigt, vgl. Fittschen 2006, 274 Anm. 20; Taf. 87, 2. 202 Vgl. Fittschen 2006, 92; Fittschen 2007a, 92. – Für Kassel werden genannt: „Marius, Scipio Africanus, Sulla, Cleopatra, Augustus, Tiberius, Drusus, Caligula, Claudius, Nero, Vitellius, Titus, Vespasianus, Cicero, Seneca, Faustina, Epikur, Constantinus“ – d. h. anstelle des von Heyne erworbenen „Galba“ und des „Ptolemaeus“ erscheinen hier „Cleopatra“ und „Seneca“. Allerdings sind für den Bestand an Büsten in Herrenhausen weder eine „Cleopatra“ noch ein „Seneca“ belegt, vgl. Namensliste bei Fittschen 2000, 49 Anm. 5. – Zur Kasseler Gipsabguss-Sammlung unter R. E. Raspe vgl. auch Schweikhart 1979, 122 mit Anm. 22. – Zusammen mit den Abgüssen der 18 Herrenhäuser Büsten hat Raspe offenbar auch Abgüsse von Antiken der Sammlung Wallmoden, sowie bei Ferraris

2.2 Erwerbungsgeschichte

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Raspes Bericht heißt es, die Abgüsse waren besonders preiswert, da sie mit Hilfe schon vorhandener Negativformen angefertigt werden konnten. Die „in der Herrnhäuser Gallerie bei Hannover befindlichen 18 busten der ersten römischen Kaiser“ seien „vor einigen Jahren für des regierenden Hertzogs von Mecklenburg Schwerin Durchlaucht und für die Goettingische Universität abgeformt worden“.203 Der englische Reisende Thomas Nugent berichtet in einem Reisebrief vom 21. November 1766 allerdings (zitiert nach der deutschen Ausgabe seines Berichtes von 1781/82), er habe bei seinem Besuch des Mecklenburger Hofes im Garten des Schlosses Ludwigslust Statuen römischer Kaiser gesehen, die aus Papiermaché bestanden: Etwas rechts von diesem Kanal kamen wir in den sogenannten Kaisersaal, einem Platz, der seinen Namen von den zwölf römischen Kaiserstatuen hat, die hier in die Runde herumstehen. Alle diese Statuen sind aus bloßer Pappe gemacht, aber von der Witterung so gehärtet, als der dauerhafteste Stein.204

Dass es sich dabei eigentlich nicht um Statuen, sondern um (im Übrigen bekränzte) Büsten handelte, belegt eine Radierung des Ludwigsluster Hofmalers Johann Dietrich Findorff aus dem Jahre 1767 (Abb. 41),205 von der auch eine (leicht abgewandelte) Reproduktion in Nugents Reisebericht enthalten ist (dort untertitelt mit „The Caesars Grove“).206 Von den zwölf Sandsteinpostamenten haben sich bis heute Reste vor Ort erhalten (ein Postament, das offenbar vollständig erhalten ist, wurde außerdem in der Nähe gefunden).207 Papiermaché wurde in Ludwigslust in großem Umfang für Dekorationen verwendet. Wie Rau annimmt, hatte Herzog Friedrich von Mecklenburg-Schwerin (1717–1785) „weder das Geld noch die Bildhauer oder Möglichkeit, sich wertvolleres Material zu beschaffen, so dass wahrscheinlich aus diesen praktischen Gründen die Technik des Papiermachés für Ludwigslust entwickelt wurde“ (sog. Ludwigsluster Carton).208 In der Tat war der Rohstoff, selbst im Vergleich mit dem Material Gips, in Braunschweig weitere vier Abgüsse (die „Laokoon-Söhne“, einen Cicero und eine Proserpina nach Gianbologna) erworben, vgl. Hallo 1926, 279; Hallo 1934, 43 f. 203 Zu Raspes Briefen vom 29./30. Sept., 10./11. Nov. 1768 an Landgraf Friedrich II. mit Bewilligungsreskripten s. Hallo 1926, 278 ff., hier zitiert nach Gercke 2005, 69 mit Anm. 27. Genannte Briefe offenbar in den Akten des Hessischen Landesmuseums in Kassel (UB/LMB Kassel). 204 Th. Nugent, Reisen durch Deutschland und vorzüglich durch Mecklenburg (Nachdr. der Ausg. Berlin 1781/82, ungekürzte Neuausgabe, Schwerin 1998) = Nugent 1998, 330. 205 Berswordt-Wallrabe 2005, 107 Abb. (H. Baudis); darauf sind jedoch 16 Büsten auf Postamenten zu sehen. Vgl. auch Berswordt-Wallrabe 2005, 106 (H. Baudis) (mit weiteren Literatur- und Quellenangaben). 206 Nugent 1998, Abb. S. 332 f. 207 Kreuzfeld 1998, 69–71. Danach Höhe der Postamente 5 Fuß; zugrunde gelegtes Maß: 1 meckl. Fuß = 0,286 m, s. Kreuzfeld 1998, 72 Anm. 3. 208 Rau 2003b, 79 f. Zur Ludwigsluster „Carton-Fabrique“ s. Becker 2004, 159–162; Kramer 1997, 18–21. Zusammenstellung weiterführender Literatur zur Ludwigsluster Kartonfabrik bei Becker 2004, 169 Anm. 37.

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2 Der Aufbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob Heyne

Abb. 41: Johann Dietrich Findorff, Der Kaisersaal im Park von Ludwigslust, Radierung (1767).

konkurrenzlos billig: Verwendet wurde Altpapier aus den herzoglichen Amtsstuben.209 Allerdings war die eigentliche Herstellung der Architekturelemente, Vasen und Statuen dann doch wieder mit nicht unerheblichem (wohl auch finanziellem) Aufwand verbunden, zumal man sich dabei in Ludwigslust der aufwendigen Schichttechnik (sog. Papierkasché) bediente.210 D. h. für die Anfertigung der Papiermaché-Büsten waren außerdem Modelle aus Holz, Ton oder Gips nötig, auf die die einzelnen Schichten aufgebracht werden konnten.211 Und um aus den so entstandenen Objekten die tatsächlich frappierende Illusion von Stuck, Porzellan, Marmor oder Bronze erstehen zu lassen, bedurfte es zudem sehr geschickter Bildhauer und Maler. Nicht zu vergessen überdies die Ausgaben für die in Ludwigslust ebenfalls recht aufwendig gestalteten Steinpostamente, die wohl eigens für die Büsten angefertigt wurden.212 Daher werden neben dem günstigen Rohstoff sicher auch die be-

209 210 211 212

Rossner 1998, 39. Rossner 1998, 38 f.; Becker 2004, 159. Vgl. Kramer 1997, 19; zu den verschiedenen Verarbeitungstechniken s. Rossner 1998, 38. Vgl. Kreuzfeld 1998, 70 f.

2.2 Erwerbungsgeschichte

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sonderen Eigenschaften des innovativen Materials, seine Leichtigkeit und Stabilität, seine Wandlungsfähigkeit wie die Vielfalt seiner Einsatzmöglichkeiten und – im Falle der im Freien aufgestellten Kaiserbüsten – auch seine Witterungsbeständigkeit eine Rolle gespielt haben (eine Eigenschaft, die sonst in der Tat nur wertvollere Materialien aufwiesen).213 Aufgrund der zitierten Passage aus Raspes Bericht in Kombination mit dem Stich von Findorff steht zu vermuten, dass die Serie der Kaiserbildnisse aus Papiermaché nach dem Vorbild der Gipsabgüsse angefertigt worden ist, die der Herzog von Mecklenburg-Schwerin von den Herrenhäuser Büsten hat anfertigen lassen.214 Unklar ist, inwieweit sich direkt nachweisen lässt, dass in Ludwigslust außer den Papiermaché-Büsten noch entsprechende Gipsabgüsse vorhanden waren;215 Krüger berichtet zumindest (leider ohne Quellenangabe), im Zusammenhang mit dem Schicksal der Formen nach der Schließung der Kartonfabrik und ihrer bereits weitgehenden Zerstörung zu Beginn des 19. Jhs., dass auch „alle Formen der Kaiserbüsten zum Beispiel zerbrochen waren“.216 Kreuzfeld rekonstruiert, offensichtlich in Unkenntnis ihrer wahrscheinlichen Abhängigkeit von den Büsten der Herrenhäuser Kaisergalerie, stattdessen unter Berufung auf die „Gepflogenheit der Barockzeit, Unterbau und Büste im Größenverhältnis 5 : 3 zu gestalten“, für die Papiermaché-Büsten eine jeweilige Höhe von 3 Fuß (ca. 0,86 m).217 Dies deckt sich in der Tat recht genau mit der Größe der Büsten in Herrenhausen, deren Abgüsse daher sehr wahrscheinlich als unmittelbare Modelle bei der Anfertigung der Papiermaché-Büsten anzunehmen sind.218 Hingewiesen sei noch auf die Tatsache, dass die englische Originalfassung des Nugentschen Reiseberichtes (1768) als Material der Büsten nicht Papiermaché, sondern „plaister“, also Gips nennt – dabei könnte es sich natürlich um einen Irrtum gehandelt haben, den der (damals anonyme) Übersetzer in seinem Text korrigiert hat (zumal Nugent selbst die Witterungsbeständigkeit des Materials hervorhebt).219 213 Die Wetterfestigkeit des Materials bestätigt auch eine spätere Anzeige in dem vom Weimarer Verleger Friedrich Justin Bertuch (1747–1822) herausgegebenen Journal des Luxus und der Moden, Oktober 1790, Intelligenz-Blatt, S. CXXXI („Verzeichniß der in der Herzogl. Carton-Fabrick zu Ludwigslust verfertigten Sachen nebst beygefügten Preisen“): „Es können auch die Vasen, wie die Büsten, so zubereitet werden, daß man sie ohne alle Gefahr der freyen Luft aussetzen kann.“ 214 Vgl. Fittschen 2007a, 92. Zu den Abformungen der Schweriner Serie vgl. außerdem Fittschen 2006, 93 mit Anm. 33. 215 Im Übrigen geht auch aus Raspes Korrespondenz offenbar nicht eindeutig hervor, dass es sich bei den Abformungen, die der Herzog von Mecklenburg-Schwerin erwarb, überhaupt um Gipsabgüsse handelte, vgl. Gercke 2005, 69; davon ist aber wohl auszugehen. 216 Krüger 1990, 96. 217 Kreuzfeld 1998, 71. 218 Den Abbildungen zufolge scheint auch die Höhe der Postamente von ca. 1,43 m (5 Fuß) in Ludwigslust zu den Sockeln im Galeriegebäude zu Herrenhausen vergleichbar (deren genaue Höhe allerdings offenbar in keiner Publikation zu finden ist). 219 Vgl. Nugent 1768, 247 f.: „Continuing our walk on the right side of the canal, we came to Caesar’s grove, so called from the bustos of the twelve Caesars, placed round this shady retreat. They

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Andererseits ist in der deutschen Übersetzung von den „zwölf römischen Kaiserstatuen“ die Rede, anstelle der „bustos of the twelve Caesars“, die Nugent gesehen hat, und für die es ja noch weitere Belege gibt.220 Ob die Übersetzung daher in jeder Hinsicht zuverlässiger ist als der Originalbericht selbst, ist zumindest fraglich – möglicherweise kannte ihr Verfasser die Kaisergalerie selbst gar nicht aus eigener Anschauung. Andererseits könnte es sich auch einfach um eine etwas „freiere“ Übersetzung handeln; schließlich stammt diese aus der Feder eines Ökonomen, der nicht unbedingt auch ein Kunstverständiger gewesen sein muss.221 Dennoch ist auf dieser Grundlage allein nicht als gesichert zu betrachten, dass die Kaiser-Büsten tatsächlich bereits aus Papiermaché waren.222 So könnte der Übersetzer auch lediglich angenommen haben, die Bildnisse seien aus „bloßer Pappe“ gewesen, weil er wusste, dass in Ludwigslust Papiermaché in großem Umfang für Dekorationen zum Einsatz kam. Andererseits wird aber auch Gips stattdessen wohl kaum die beschriebene Wetterfestigkeit gehabt haben. Am wahrscheinlichsten ist daher wohl, dass die Büsten doch aus einer Materialmischung gefertigt waren, die Kreuzfeld beschreibt: Pappmaché, bestehend aus Altpapier, Gips, Weingeist, Harz und Leim, überzogen mit einem „bis heute unbekannten, wetterfesten Material“.223 Dass dieses Material in seinem Erscheinen dem

are made of plaister, but become so hardened by the weather, as to be almost as durable as stone.“ – Als Herausgeber und Übersetzer gilt inzwischen Franz Christian Lorenz Karsten, ein mecklenburgischer Kameralist, Landwirtschaftsreformer und Ökonomieprofessor (1751–1829), s. Nugent 1998, 522. – In der Tat weist der Übersetzer auf die „vielfältigen Irrtümer des Verfassers“ hin und hat offensichtlich überhaupt in vielfältiger Weise in den Text eingegriffen, vgl. Nugent 1998, 415 f. 220 Vgl. Kreuzfeld 1998, 69 mit Anm. 4. 221 Bisweilen konnte der Ausdruck „Statue“ aber auch synonym für „Büste“ verwendet werden, wie ein Brief des Generals Hans Detlev v. Hammerstein aus dem Jahr 1814, in dem er sich zur Rücksendung der Herrenhäuser Bildnisse nach Hannover äußert, belegt: „Erlauben Ew. Wohlgeboren, daß ich Ihnen den einliegenden Bericht (…) übergebe, in welchem ich die Nachricht gegeben habe, daß ich die 14 Statuen von Bronze hier reclamirt habe, die Buonaparte aus Herrenhausen hatte wegnehmen und nach dem Schloße Laken bringen lassen. Es sind die Büsten von Ptolemäus, Scipio Africanus, Antonius, Augustus, Tiberius, Caligula, Claudius, Septimius Severus, Domitianus, Titus, Vespasianus, Vitellius, Galba, Nero.“ (NLA-Hauptstaatsarchiv Hannover (Königliches Hausarchiv), Dep. 103 XX 1676, hier zitiert nach Fittschen 2006, 27). Vgl. davor außerdem schon Baring 1748, 79: „Von den Statuen in der Gallerie zu Herrenhausen. Derer Statuen und Brustbilder, so in der Gallerie sich befinden, sind an der Zahl 23.“ 222 Auch hinter „Nugents Beschreibung als früheste Erwähnung der Ludwigsluster Pappmachéproduktion“ (S. Bock in: Nugent 1998, 330 Anm. *) ist daher ein Fragezeichen zu setzen – dies trifft lediglich auf die spätere deutsche Übersetzung zu. Die erste Abrechnung der Fabrik stammt im Übrigen erst aus dem Jahr 1783, vgl. Becker 2004, 159 mit Anm. 38. – Zwar berichtet auch E. Saubert in seiner Beschreibung Der Großherzogliche Schloßgarten zu Ludwigslust = Saubert 1899, 7 von „zwölf römischen Kaiserstatuen (…) aus Papiermaché“; er folgt jedoch offensichtlich der Übersetzung (auf diese nimmt er im Text mehrfach Bezug). Die Kaiserbildnisse seien „vor etwa 40 Jahren weggenommen und durch Sandsteinvasen ersetzt worden.“ 223 Kreuzfeld 1998, 72 Anm. 2. Zur Zusammensetzung der Papiermasse vgl. auch Becker 2004, 159.

2.2 Erwerbungsgeschichte

225

Aussehen von Gips sehr nahe kam, und dies auch beabsichtigt war, belegt eine Anzeige des Händlers Chr. F. Fleischer aus Leipzig, der ein ganzes Sortiment von „Carton-Waaren“ aus Papiermaché anbot, darunter „Büsten, Lebensgröße, nach den besten Anticken geformt“, die wahlweise „weiß staffirt, als Gyps, oder schön bronzirt“ erhältlich waren.224 Somit hätte auch Nugent mit seiner Deutung des Materials als „plaister“ in gewisser Weise recht gehabt. In Raspes Bericht heißt es, die Abformungen der Herrenhäuser Büsten seien „vor einigen Jahren für des regierenden Hertzogs von Mecklenburg Schwerin Durchlaucht und für die Goettingische Universität“ angefertigt worden. Fittschen hat angenommen, dass von diesen wohl nur der Herzog von Mecklenburg-Schwerin als der ursprüngliche Auftraggeber in Frage kommen könne, und Heyne – wie dann auch Raspe für Kassel – die günstige Gelegenheit genutzt habe, mit Hilfe der schon vorhandenen Formen auf einen Schlag eine ganze Serie von Gipsabgüssen für die Göttinger Sammlung zu erwerben.225 Für diese Reihenfolge spräche auch, dass Heyne die Abgüsse in der Tat erst kurze Zeit vor Raspe erworben hatte, und nicht schon „vor einigen Jahren“, wie Raspe in seinem Bericht schreibt; diese Zeitangabe kann sich demnach nur auf den Erwerb der Abgüsse durch den Herzog beziehen. Zudem beschreibt Nugent die offensichtlich mit Hilfe der Abgüsse gefertigten Büsten aus Papiermaché ja bereits 1766 im Schlosspark, also ein Jahr bevor Heyne die Abgüsse für Göttingen erwerben sollte. Allerdings erscheint vor dem Hintergrund, dass der Herzog offenbar der eigentliche Auftraggeber des Abguss-Unternehmens war, und in Anbetracht der Tatsache, dass die Anfertigung der Formen der Hauptkostenfaktor war, doch fraglich, inwieweit man sich in Ludwigslust tatsächlich vorrangig aus Finanznot für Papiermaché-Büsten entschieden hat. Nichtsdestotrotz dokumentiert aber die Verwendung unedlen Materials, sei es nun Gips oder Papiermaché, eine veränderte Einstellung gegenüber dem Materialwert an sich, der nun deutlich zurücktritt gegenüber der Bedeutung der reinen Form.226

2.2.2 Der Ausbau der Sammlung Die früheren Erwerbungen des Jahres 1767, die den Abgüssen der Herrenhäuser Büsten vorausgegangen waren, erscheinen in keinem der Verzeichnisse der Gipsabgüsse

224 Journal des Luxus und der Moden, Oktober 1789, Intelligenz-Blatt, S. CXLVII („Waaren-Anzeige von Christ. Friedrich Fleischer zu Leipzig“). Neben den Vorzügen der Leichtigkeit, Dauerhaftigkeit und Formbarkeit (und den „äußerst niedrigen Preißen“) wurde dort wiederum die Wetterfestigkeit hervorgehoben. So ließen sich die Stücke „so verfertigen, daß sie die Witterung aushalten und im Freyen aufgestellt werden können.“ (S. CXLVIII). 225 Vgl. Fittschen 2007a, 92; Fittschen 2006, 93 mit Anm. 33. 226 Vgl. Becker 2004, 163 f.; Kockel 2000, 44. So betont auch Krüger, die Käufer der Erzeugnisse der Ludwigsluster Kartonfabrik seien neben mecklenburgischem Hofadel und Landedelleuten auch vermögende Bürger des In- und Auslands gewesen, s. Krüger 1990, 95. D. h. die Papiermaché-Objekte

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2 Der Aufbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob Heyne

in der Bibliothek und waren demnach nicht dort aufgestellt; auch existieren sie heute nicht mehr in der Sammlung. Dagegen gelangten die im selben Jahr erworbenen 18 Abgüsse der Herrenhäuser Büsten in den Räumen der Göttinger Universitätsbibliothek zur Aufstellung.227 Dort standen sie zunächst auf Fensterbänken – möglicherweise ein weiteres Indiz dafür, dass Heyne recht spontan eine günstige Gelegenheit zum Erwerb von Abgüssen ergriffen hatte, ohne dass bereits für eine zweckmäßige Aufstellungsmöglichkeit gesorgt war.228 Heyne merkte bald, dass dies keine Dauerlösung sein konnte, da die Feuchtigkeit den Abgüssen zusetzte und sich die Fenster schlecht öffnen ließen.229 Im Juli 1771 bemühte er sich daher um die Aufstellung der Abgüsse auf Konsolen, die Ferrari ebenfalls aus Gips anzufertigen anbot. Die Büsten sollten außerdem zu ihrem Schutz „mit einem Fürniß getränkt“ werden. Beides erfolgte im August 1771.230 Bei Aufstellung der Büsten jeweils rechts und links der freistehenden Repositorien ergaben sich 22 freie Plätze. Daher bestellte Heyne gleich weitere vier Gipsköpfe bei Ferrari – „zur Symmetrie“. Genannt werden: „Der Laocoon mit seinem Sohne, der Rotatore und der Apollo Pythius“.231 An anderer Stelle schreibt Heyne wenig später, er habe 1771 „vier Gypsköpfe v. Laocoon dem Vater, vom Sohn, Apollo, dem Schleifer“ erworben.232 Mit dem „Rotatore“ bzw. „Schleifer“ könnte demnach dasselbe Bildnis gemeint sein – oder Heyne hatte sich noch einmal umentschieden. So könnte die Bezeichnung „Rotatore“ u. U. auch auf einen von Heyne falsch verstandenen „Lottatore“ (= Ringer) zurückgehen, auf den er dann aber doch zugunsten des „Schleifers“ verzichtet hätte.233 Heyne griff auch in diesem Fall auf von der Werkstatt Ferrari angebotene, demnach im Negativ schon vorhandene Exemplare zurück. Dies war schlicht die einfachste und auch preiswerteste Möglichkeit – offensichtlich kein ganz unwesentlicher Gesichtspunkt, wie der Antrag Heynes um Bewilligung der Mittel mit detaillierter Aufzählung der einzelnen Posten zeigt.234 So könnten letztlich die Kosten mitentschieden haben, welche vier Abgüsse Heyne für Göttingen erstehen sollte. kaufte man weniger weil, als vielmehr obwohl sie aus billigem Material waren. – Zur positiven Bewertung von Gips als Reproduktionsmaterial s. Cain 1995, 200–215. 227 Universitätsarchiv Göttingen, Kur. 6422 (Promemoria Heynes vom 25. Juli 1771), dazu Arch. Inst. Heyne A 4–7. 228 Vgl. Döring 1994, 13 mit Anm. 27. 229 Universitätsarchiv Göttingen, Kur. 6422, S. 1. 230 Arch. Inst. Heyne A 13; A 5. 231 Universitätsarchiv Göttingen, Kur. 6422. 232 Arch. Inst. Heyne A 5. 233 Dabei dürfte mit dem Abguss des „Rotatore“ bzw. „Lottatore“ ein Kopf vom Typus des Fechters Borghese gemeint sein. Bereits seit 1771 führte auch die Fürstenberger Porzellanmanufaktur einen (vermeintlichen) Kopf des Fechters Borghese unter der Bezeichnung „Luctator oder Fechter“, vgl. Wolff Metternich – Meinz 2004, 234. 245. Bei diesem angeblichen Kopf des Fechters Borghese handelte es sich allerdings tatsächlich um den sog. zweitältesten Sohn der Florentiner Niobiden (Florenz, Mus. Archeologico, Inv.-Nr. 13864), vgl. Wolff Metternich 1981, 59 f. Abb. 37; Ducret 1965, 242 Abb. 360. 234 Universitätsarchiv Göttingen, Kur. 6422.

2.2 Erwerbungsgeschichte

227

Abb. 42: Kopf des Laokoon, Gipsabguss, Archäologisches Institut Göttingen, A 458 a.

Von den vier neu erworbenen Köpfen haben sich bis heute der Laokoon (Abb. 42), möglicherweise der sog. Laokoonsohn (zur Identifikation des Abgusses s. u.) sowie der „Apollo Pythius“ erhalten (letzterer eigentlich eine Büste des Apoll vom Belvedere).235 Diese drei Köpfe werden allerdings im Inventar von 1788 mit den in der

235 Boehringer 1979, 112 Nr. 59 (Apollon vom Belvedere); Nr. 60 (Laokoon). Vgl. die Büste des Laokoon im Katalog der Rostschen Kunsthandlung, s. Rost 1794, 49 Nr. 14, sowie ebd. die Büste des Apoll, s. Rost 1794, 48 Nr. 7 („Apollo Pythius“).

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Bibliothek aufgestellten Stücken nicht genannt, d. h. sie waren offenbar zu diesem Zeitpunkt nicht, oder zumindest nicht mehr, in den Räumen der Bibliothek aufgestellt, obwohl Heyne sie ursprünglich explizit dafür erworben hatte. Zwar erscheint in dem Verzeichnis ein „Laocoon“; dabei handelte es sich aber offenbar um die (kurze Zeit nach den Köpfen des Laokoon und des Laokoonsohnes hinzugekommene) ganze Statue des Vaters ohne die Söhne (dazu s. u.). Der Laokoon-Statue räumte man also in der Bibliothek gegenüber der Büstenversion den Vorrang ein. Möglicherweise fand man es dann einfach unpassend, neben der ganzen Figur des Laokoon das Bildnis seines Sohnes in Form nur des Kopfes aufzustellen (und zumal nur eines der beiden Söhne). Auch die Büste des Apoll vom Belvedere war in der Bibliothek bereits durch die ganze Statue ersetzt worden. Der verlorene Abguss des „Schleifers“ Bei dem inzwischen verlorenen „Schleifer“ der Göttinger Sammlung soll es sich laut Boehringer eigentlich um einen Abguss nach einem Feldherrn-Kopf (sog. Aratos bzw. Lysimachos) aus der Sammlung Farnese im Nationalmuseum in Neapel gehandelt haben (Abb. 43).236 Nach der Beschreibung in einem Inventar der Sammlung Farnese von 1697 gehörte der Kopf dort zu einer Gruppe von achtzehn Bildnissen.237 Boehringer hat vorgeschlagen, dass der Gips statt nach dem Original des „Lysimachos Farnese“ in Neapel möglicherweise nach einem barocken Bronzenachguss in Braunschweig angefertigt worden sein könnte.238 Dort befindet sich in der Tat ein entsprechender Bronzekopf (unter der Bezeichnung „Hellenistischer Feldherr“).239 Demselben Typus folgt auch ein Modell der Porzellanbüsten der Fürstenberger Manufaktur (Abb. 44)240 sowie ein kleines Exemplar aus geschwärztem Ton der 236 Neapel, Mus. Nazionale, Inv.-Nr. 6141 („Lysimachos“, ehem. Farnese; bei Bernoulli 1901, 153 genannt als „der früher Arat genannte schöne Feldherrnkopf“ in Neapel; nicht zu verwechseln mit dem Porträt des „Crisippo“/„Arat“ Neapel, Mus. Nazionale, Inv.-Nr. 6127, wie bei K. A. Möller geschehen, s. Berswordt-Wallrabe 2002, 119 mit Anm. 4); Arndt – Bruckmann 1891–1910, Taf. 109 f.; Ruesch 1908, 258 f. Nr. 1087; Lorenz 1965, 9 III, 11; Zanker 1973, 37 Taf. 31; Fittschen 2006, 284–288 Kat. 21 mit Taf. 89, 1–3. – Zum Abguss s. Boehringer 1979, 111 Nr. 49 (demnach 1914 noch in Göttingen vorhanden). Auch die Rostsche Kunsthandlung hatte einen entsprechenden Kopf im Programm, allerdings ohne Büstenteil, s. Rost 1794, 51 Nr. 40 (dort als „Cato, im Museo Capitolino“). – Zur Benennung des Feldherrnporträts als „Schleifer“ wird das ähnliche Motiv der energischen Kopfwendung beigetragen haben. 237 Lorenz 1965, 7. Das Inventar der Slg. Farnese von 1697 abgedruckt in: Documenti inediti 1879, 381. 238 Boehringer 1979, 111 Nr. 49. So auch schon bei Wieseler 1859, 18 f. Anm. 4: „Er ist ein Abguss der Braunschweigischen Bronze“. 239 Braunschweig, HAUM, Inv.-Nr. Bro 260; Berger – Krahn 1994, 122 Kat. 78 mit Abb.; Fittschen 2006, 291 Taf. 89, 4. – Vgl. außerdem die entsprechende neuzeitliche Marmorbüste des „Aratos“ in Castle Howard/Yorkshire, Slg. Carlisle (Forschungsarchiv für antike Plastik 2658/12), offensichtlich bislang unpubliziert, nicht aufgenommen in Borg – v. Hesberg – Linfert 2005. 240 Berswordt-Wallrabe 2002, 118 f. Nr. 142 mit Abb. (K. A. Möller).

2.2 Erwerbungsgeschichte

Abb. 43: Feldherrn-Kopf (sog. Aratos bzw. „Lysimachos“, ehem. Farnese), Neapel, Museo Archeologico Nazionale, Inv.-Nr. 6141.

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2 Der Aufbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob Heyne

Abb. 44: „Röm. Spion/Schleifer“, Porzellanmanufaktur Fürstenberg, Braunschweig, Herzog Anton Ulrich-Museum, 1772.

2.2 Erwerbungsgeschichte

231

„Klauerschen-Kunst-Fabrick zu Weimar“ (deren Vorlagen zum Großteil identisch sind mit den in Fürstenberg verwendeten).241 Während das Klauersche Exemplar in der Tat mit „Aratos“ bezeichnet ist, trägt das Porzellanbildnis rückseitig die Bezeichnung „Spion“.242 In den Modell-Verzeichnissen der Fürstenberger Manufaktur erscheint neben dem „Röm. Spion“ der Zusatz „oder Schleifer“.243 Somit wäre es durchaus plausibel über die für den betreffenden Typus quasi synonyme Verbindung „Aratos“ (Klauer) – „Röm. Spion“ (Fürstenberg) und „Röm. Spion“– „Schleifer“ (Verzeichnis Fürstenberg), im verlorenen Göttinger „Schleifer“ einen Abguss vom Typus des „Aratos“ zu vermuten.244

241 Damaschke 1996, 110 f. mit Abb. (Braunschweig, HAUM, um 1800); Fittschen 2006, 292 Nr. 7. – Die typenmäßige Abhängigkeit der Porzellan- bzw. Tonbüste vom Vorbild des „Lysimachos Farnese“ hat K. A. Möller angezweifelt, s. Berswordt-Wallrabe 2002, 119 mit Anm. 4, und stattdessen ein „neu zu eruierendes Vorbild“ angenommen. In der Tat ist der Zusammenhang nicht auf den ersten Blick eindeutig. So ist beispielsweise die Kopfwendung an den Miniatur-Porträts weniger ausgeprägt als am vorgeschlagenen Vorbild. Die Details der Haarbildung an Stirnmitte und Schläfe scheinen aber wieder für eine Abhängigkeit zu sprechen. Den eindeutigen Beleg könnte der Vergleich der Haargestaltung am Hinterkopf liefern, die beim „Lysimachos Farnese“ recht ungewöhnlich gelöst ist: nicht als von einem Zentrum ausgehender Wirbel, sondern als zwar zum Teil sichelförmig gebildete, sich jedoch überkreuzende Haarsträhnen, vgl. Fittschen 2006, 287 Taf. 89, 2. Leider liegt keine Abbildung der Rückseite der Fürstenberger Büste vor. – Das bei Wolff Metternich 1981, 31 Abb. 5 abgebildete Fürstenberg-Exemplar (dort als „Schleifer“) ähnelt dem „Lysimachos Farnese“ mehr als die Porzellan-Büste („Römischer Spion“), die K. A. Möller zeigt, s. Berswordt-Wallrabe 2002, 118 f. Nr. 142 mit Abb. Offenbar handelt es sich um Varianten desselben Typus. Dies wäre kein Einzelfall: So existiert u. a. auch das Porträt Herzog Carls I. von Braunschweig in Fürstenberger Porzellan in mehreren Versionen, vgl. Ducret 1965, 214 f. Abb. 315. 317. 318; Schroeder – Damaschke 1996, 139 f. Nr. 160. 162. 242 Berswordt-Wallrabe 2002, 118 f. Nr. 142 mit Abb. (K. A. Möller). 243 Dies hat v. Wolff Metternich zu der Annahme veranlasst, es müsse sich wohl um zwei verschiedene Büsten handeln, s. Wolff Metternich 1981, 30. Die Bezeichnung „Römischer Spion“ für den „Schleifer“ in den Florentiner Uffizien war jedoch offenbar damals bei den Antiquaren nicht unüblich, vgl. Fittschen 2006, 289. 244 Dagegen hat Wolff Metternich 1981, 30 hinter dem in den Verzeichnissen genannten „Röm. Spion oder Schleifer“ nicht nur zwei verschiedene Büsten vermutet; deren Namen seien außerdem „schon früh verwechselt worden“. Der zweite dort gezeigte Kopf scheint jedoch auch nicht eigentlich den „Schleifer“ der Uffizien in Florenz wiederzugeben (eine Ausformung dieses Modelles ist offenbar außerdem mit der Bezeichnung „Rousseau“ versehen). Korrekt scheint jedenfalls, wie auch Wolff Metternich 1981, 30 schreibt, dass der in Fürstenberg mit „Röm. Spion“ bezeichnete Kopf im Typus dem „Aratos“ in Neapel folgt, vgl. Berswordt-Wallrabe 2002, 118 f. Nr. 142 mit Abb. (K. A. Möller) (zum Fürstenberger Exemplar „Büste eines römischen Spions“, 1772). Irritierend ist dabei nur, dass v. Wolff Metternich die beiden abgebildeten Typen der Fürstenberger Büsten den typologischen Vorbildern dann aber umgekehrt zuordnet, also den „Röm. Spion“/„Aratos“-Typus als den eigentlichen „Schleifer“ in Florenz identifiziert, vgl. Wolff Metternich 1981, 31 Abb. 5, während der (zumindest eher) dem Florentiner „Schleifer“ ähnelnde Fürstenberger Kopf angeblich im Typus dem „Arat“ in Neapel entsprechen soll, vgl. Wolff Metternich 1981, 30 f. mit Abb. 4. Bei der vermeintlichen Korrektur wie der zugrundeliegenden Annahme einer „frühen Verwechslung“ scheint es sich also vielmehr um einen Irrtum zu handeln.

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2 Der Aufbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob Heyne

Bildnisse vom Typus des „Lysimachos Farnese“/„Aratos“ begegnen jedoch mehrfach auch noch unter einer weiteren Bezeichnung: Die Bronzebüste des „hellenistischen Feldherrn“ in Braunschweig, die ja als unmittelbare Vorlage des Göttinger Abgusses in Frage kommt, wurde dort im 18. Jh. als „Demosthenes“ geführt.245 Gleiches gilt für das entsprechende Exemplar der Gothaer Porzellanmanufaktur, das dort ebenfalls als „Temosthenes“ benannt wurde.246 Ebenso hat der zu rekonstruierende Göttinger Abguss des „Schleifers“ in den Verzeichnissen außerdem den Namen „Demosthenes“ getragen: So nennt das undatierte Verzeichnis (nach 1793) einen „Demosthenes oder der vermeynte Schleifer“.247 Und im Text der Heyne-Vorlesung heißt es: „Daß der sogenannte Schleifer-Kopf einen griechischen Redner vorstelle, ist bewiesen.“ 248 Dies erhärtet die These, dass der in Göttingen ehemals vorhandene Abguss des „Schleifers“ dem Braunschweiger Bronzekopf respektive dem „Lysimachos Farnese“ entsprochen haben dürfte, da dieser Bildnistypus – analog dem verlorenen Abguss – sowohl als „Demosthenes“ wie auch als „Schleifer“ bezeichnet wurde. Auch zur Herrenhäuser Serie gehörte nachweislich ein Bildnis des „Demosthenes“, das sich jedoch nicht erhalten hat, und dessen Typus daher auch nicht bekannt ist. Fittschen hat vorgeschlagen, der Abguss in Göttingen könnte, statt vom Original oder dem Braunschweiger Bronze-Exemplar, auch eine Abformung des verlorenen Herrenhäuser „Demosthenes“ sein.249 Unter den 1767 von Heyne erworbenen Abgüssen nach Herrenhäuser Bildnissen war jedoch kein „Demosthenes“; in Betracht käme daher allenfalls eine nachträgliche Anfertigung.250 Die Möglichkeit, dass der Göttinger Abguss von dem verlorenen Herrenhäuser „Demosthenes“ stammen könnte, sei, so Fittschen, bislang nicht erwogen worden, weil die Existenz eines „Demosthenes“ in Herrenhausen bis vor wenigen Jahren nicht bekannt gewesen sei.251 Unter den Büsten der Herrenhäuser Galerie nennt jedoch schon Baring einen

245 Kat. Braunschweig 2004, 128 (R. Marth). – Zu den verschiedenen Benennungen des Bildnistypus als Aratos, Lysimachos und Demosthenes vgl. Fittschen 2006, 288. 246 Däberitz 1995, 148 Nr. IV. 15. 247 SUB, Bibl. Arch. A 33 c 25 (44). Dies wird der Grund dafür sein, dass Boehringer auch für den im Göttinger Verzeichnis von 1788 genannten „Demosthenes“ einen Abguss vom Typus des „Aratos“/„Lysimachos Farnese“ annimmt, s. Boehringer 1981, 287 Nr. 49. Allerdings scheint es sich, anders als von Boehringer angenommen, aufgrund der erfolgten Verwechslung des Abgusses mit dem „Schleifer“ in den Uffizien um den Abguss mit der Nr. 50 (im Verzeichnis von 1788 noch unbenamt) zu handeln, vgl. Fittschen 2006, 290 Anm. 26. Dafür spräche auch, dass die Nr. 49 des Verzeichnisses von 1788 („Demosthenes“) offenbar im nächsten Verzeichnis (nach 1793) in „Diogenes“ umbenannt worden ist (dort hinter „Diogenes“ in Klammern der vorherige Rufname „Demosthenes“), während dann, wie gesagt, unter der Nr. 50 „Demosthenes oder der vermeynte Schleifer“ zu lesen ist. 248 Heyne 1822, 245. 249 Fittschen 2006, 290. 250 Vgl. Fittschen 2006, 290 Anm. 27. 251 Fittschen 2006, 290 f. Anm. 27.

2.2 Erwerbungsgeschichte

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„Demosthenes“, dessen Liste offenbar durchaus seit Langem in der Literatur zum Thema Berücksichtigung findet.252 Im Übrigen ist der 1771 erworbene Abguss, wie Heyne selbst schreibt, unter der Bezeichnung „Schleifer“ nach Göttingen gekommen.253 Das heißt, der Abguss müsste dann nicht nur „außer der Reihe“ angefertigt, sondern außerdem unter einer anderen Bezeichnung als sein Vorbild in Herrenhausen erworben worden sein.254 Auch wenn der Abguss in Göttingen offenbar später in der Tat als „Demosthenes“ geführt wurde (im Verzeichnis von 1798 dann als „Redner, griech.“),255 ist er jedoch nicht der einzige, der dort zumindest zeitweilig unter dieser Bezeichnung erscheint.256 Somit könnten grundsätzlich auch zur Rekonstruktion der verlorenen Herrenhäuser Büste noch andere Beispiele der Göttinger Sammlung in Frage kommen (s. u.). Nicht unerwähnt bleiben soll schließlich, dass ein Abguss desselben Typus auch zum Ensemble des Mannheimer Antikensaales gehörte. Dies belegt eine entsprechende Darstellung in einem Zyklus von Ovalbildern (Grisaillen) nach antiken Porträts von Franz Anton Leydensdorff (1721–1795), die dieser, wie Schiering zeigen konnte, sehr wahrscheinlich nach Mannheimer Abgüssen anfertigte.257 Hier, wie in der parallelen Bildnisserie von leicht überlebensgroßen Sandsteinbüsten von Konrad Linck (1730–1793) im Schwetzinger Schlossgarten, trug das Bildnis den Namen „Solon“.258 Auch die Schwetzinger Porträts sind nach den Abgüssen des Mannhei-

252 Baring 1748, 80; vgl. Fittschen 2006, 23 mit Anm. 5. – Relativ neu ist hingegen der Nachweis der bereits ursprünglichen Existenz eines „Septimius Severus“ in der Herrenhäuser Bildnisgalerie durch das von Hübner 1991, 149 veröffentlichte Inventar Herrenhausen von 1785, vgl. Fittschen 2006, 34 f. 253 Arch. Inst. Heyne A 5. Dagegen Fittschen 2006, 290 irrtümlich, der Gipsabguss sei „unter dem Namen Demosthenes 1771 von den Gebrüdern Ferrari erworben worden“. Er folgt damit offenbar Boehringer 1981, 287 Nr. 49. 254 Im Hinblick auf die Namensgebung scheint es eher umgekehrt gewesen zu sein. Der als „Schleifer“ erworbene Abguss erscheint im Verzeichnis SUB, Bibl. Arch. A 33 c 25 (44) als „Demosthenes oder der vermeynte Schleifer“. Dies deutet wohl auf eine „Korrektur“ der Bezeichnung des Abgusses von „Schleifer“ in „Demosthenes“ hin. 255 SUB, Bibl. Arch. A 33 c 25 (45). 256 Vgl. dazu auch die Erwerbungsliste von Reuß (SUB, Bibl. Arch. B 14 b), die sowohl einen „Schleifer“ als auch einen „Demosthenes“ nennt. Danach können beide kaum identisch gewesen sein. 257 Schiering 1982, 390–392 Taf. 80 o. r.; vgl. Schiering 1981, 263; Schiering 1984, 12. 17. – Zur vermutlichen Entstehungszeit der Grisaillen Anfang der sechziger Jahre des 18. Jahrhunderts dürften sich die Abgüsse allerdings noch im Schloss befunden haben, da der Antikensaal erst 1769 eingerichtet wurde, vgl. Schiering 1982, 388. 390. 258 Fittschen 2006, 292; Schiering 1982, 389. 390 Anm. 19; Martin 1933, 376 mit Abb. 370. 371. – Hofmann möchte sieben der Schwetzinger Sandsteinbüsten hingegen Peter Anton von Verschaffelt (1710–1793) zuweisen, da es von mehreren der Bildnisse übereinstimmende Sandsteinausführungen gebe, die sicher Verschaffelt zugeschrieben werden können, vgl. Hofmann 1982, 250 f. mit Abb. 380–383. 361. Allerdings lassen sich gerade an diesen auf dieselben Vorbilder zurückgehenden

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2 Der Aufbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob Heyne

mer Antikensaales gefertigt.259 In beiden Fällen handelt es sich bei der Benennung des Typus des „Lysimachos Farnese“ als „Solon“ offensichtlich um eine Verwechslung, da ein zu der Zeit tatsächlich als „Solon“ bezeichneter Typus in Mannheim ebenfalls vorhanden war und eine Benennung des „Lysimachos Farnese“-Typus als „Solon“ ansonsten einzigartig geblieben ist.260 Der aktuell in der Mannheimer „Antikensaal-Galerie“ 261 vorhandene Abguss ist nicht vom Original, sondern vom Braunschweiger Bronzekopf abgenommen.262 Zu den Abgüssen der „Laokoonsöhne“ Heyne hat 1771 von den Gebr. Ferrari die Büste des Laokoon erworben (Abb. 42), und daneben auch den Kopf eines „Laokoonsohnes“.263 Das Verzeichnis von 1798 nennt für die Göttinger Sammlung dann jedoch die Köpfe beider Söhne, und auch 1825 ist ein zweiter Kopf noch belegt. Wann und von wo dieser zweite Kopf erworben wurde, ist allerdings nicht nachweisbar.264 Erhalten hat sich in Göttingen ein Abguss, auf dessen Büstenfuß mit Ölfarbe „Laoc[…]“, aller Wahrscheinlichkeit nach zu ergänzen als „Laocoon Sohn“, geschrieben steht (Abb. 45).265 Diesen hat man, zunächst naheliegend, bisher immer mit demjenigen „Laokoonsohn“ identifiziert, den Heyne zusammen mit dem Kopf des Vaters gekauft hat (s. o.). Der Kopf des zweiten Sohnes gilt als verloren. Es gibt jedoch Indizien dafür, dass der heute noch vorhandene Kopf erst durch Umbenennung zu einem „Laokoonsohn“ wurde, also ursprünglich unter anderer Bezeichnung erworben worden ist, und es eigentlich ein anderes Stück war, das 1771 unter dem Namen „Laokoonsohn“ in die Sammlung kam. Dies würde auch

Bildnissen deutliche Unterschiede zu den Schwetzinger Porträts in der Bildauffassung wie der Formensprache erkennen, vgl. Hofmann 1982, Abb. 311. 382; 306. 380; 308. 361. 259 Schiering 1981, 264; Schiering 1982, 390. – Über die in Grisaillen dargestellten Porträts hinaus existieren in Schwetzingen noch weitere Sandsteinbüsten nach Mannheimer Abgüssen, die zum Teil Verschaffelt zugeschrieben werden, vgl. Schiering 1981, 264 f. mit Abb. 6–8. Vgl. außerdem die Medaillonreliefs mit antiken Köpfen auf den vier Sandsteinobelisken in den Seitenfeldern des Schwetzinger Gartenparterres aus der Werkstatt Verschaffelts, unter denen sich auch eine Darstellung des in Mannheim „Solon“ genannten Feldherrn-Kopfes befand, vgl. Schiering 1982, 390 f.; Schiering 1981, 265 f. mit Abb. 10–12. 260 Vgl. Schiering 1982, 389 f. mit Anm. 19. 261 Bei der „Antikensaal-Galerie“ handelt es sich um eine 1991 eröffnete Sammlung von Antikenabgüssen im Mannheimer Schloss. Ihre Bestände stellen eine (Teil-)Rekonstruktion der nicht mehr erhaltenen Abguss-Sammlung des „Mannheimer Antikensaales“ des 18. Jahrhunderts dar, die der Mannheimer Zeichnungsakademie angeschlossen war, und sind als solche nicht mit dem „Mannheimer Antikensaal“ selbst zu verwechseln. 262 Wieczorek u. a. 1999, 321 Nr. 5.3.5 mit Abb.; Fittschen 2006, 291. 263 Universitätsarchiv Göttingen, Kur. 6422; Arch. Inst. Heyne A 5. – Büste des Laokoon s. Boehringer 1979, 112 Nr. 60 (A 458 a). 264 Vgl. Boehringer 1979, 112 f. Nr. 61. 62. 265 Vgl. Boehringer 1979, 112 f. Nr. 61 (A 1357).

2.2 Erwerbungsgeschichte

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Abb. 45: Sog. Laokoonsohn, Kopf(typus) des „unterliegenden Ringers“ der Ringergruppe Florenz, Gipsabguss, Archäologisches Institut Göttingen, A 1357.

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2 Der Aufbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob Heyne

Abb. 46: a) Ringergruppe, Florenz, Galleria degli Uffizi, Inv.-Nr. 216; b) „Unterliegender Ringer“ der Ringergruppe, Florenz, Galleria degli Uffizi, Inv.-Nr. 216 (Detail).

erklären, warum der konkrete Erwerb eines zweiten Sohnes nicht nachweisbar ist. Denn dieser wäre eben erst durch Umwidmung zu einem „Laokoonsohn“ geworden. Zunächst ist die Identifizierung des in Göttingen erhaltenen Abgusses als „Laokoonsohn“, wie dies die Beschriftung nahelegt, überhaupt als irrtümlich zu bezeichnen. Es handelt sich vielmehr um den Kopf(typus) des „unterliegenden Ringers“ der Ringergruppe Florenz (Abb. 46b).266 Aufgrund der deutlichen Kopfwendung zur linken Seite ist anzunehmen, dass man den Kopf wohl dem jüngeren Laokoonsohn zuordnete (in der Gruppe links von der Figur des Laokoon).267 Werner Fuchs hat einmal im Hinblick auf die echte Laokoongruppe formuliert, das „Leiden des Vaters spiegele sich im Blick des Jünglings“ (auch wenn sich dies eigentlich auf den älteren Sohn bezog).268 Diese Parallelität des Ausdrucks zum

266 Florenz, Uffizien, Inv.-Nr. 216; Boehringer 1979, 112 Nr. 61; Boehringer 1981, 278 f. mit Anm. 22. Die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe und der antike Ursprung sind allerdings umstritten, s. Fittschen 1990, 252 (A 1357). 267 Dabei scheint man sich daran nicht gestört zu haben, dass dieser im Original den Kopf in den Nacken wirft, was der Abguss nicht wiedergibt. Theoretisch wäre auch denkbar, dass man aufgrund der seitenverkehrten Wiedergabe der Laokoongruppe in Kupferstichen an den älteren Sohn dachte. Allerdings dürfte Heyne wohl bekannt gewesen sein, dass die Darstellungen gegenüber dem Original meist seitenverkehrt wiedergegeben waren. Außerdem kannte er nachweislich auch den – seitenrichtigen – Stich von François Perrier (Perrier 1653, Taf. 1). 268 Fuchs 1993, 380.

2.2 Erwerbungsgeschichte

237

Laokoon, bis insbesondere hin zu den zu dreieckiger Form aufgeworfenen Augenbrauen, bietet auch der vorliegende Kopf (vgl. Abb. 45 und 42).269 Dies wird sicher zu seiner Benennung als „Laokoonsohn“ beigetragen haben. Einmal mehr wird hier das besondere Interesse des 18. Jhs. an Physiognomie und Affekten, also Gemütsregungen, deutlich. Im Katalog der Rostschen Kunsthandlung wurde ein entsprechender Abguss dagegen nicht als Sohn des Laokoon, sondern als „Sohn der Niobe“ angeboten (Abb. 47; dort angezeigt als einer von „Zween verschiedene(n) Söhnen der Niobe, in der Villa Medicis“).270 Diese Benennung hat durchaus etwas für sich: Der Kopf des „unterliegenden Ringers“ wurde nämlich zusammen mit den Florentiner Niobiden gefunden und konnte von daher als zugehörig betrachtet werden. Eine der Repliken eines der Niobe-Söhne ist außerdem mit einer modernen Kopie des „Ringer“-Kopfes ergänzt worden (s. u.).271 Dadurch wurde der Kopf des „Ringers“ quasi zu einem Niobidenkopf. Somit könnte der entsprechende Abguss auch in Göttingen ursprünglich als „Sohn der Niobe“ gekauft, und erst später in einen „Laokoonsohn“ umetikettiert worden sein. Dafür spräche im Übrigen auch die wahrscheinlich nachträglich angebrachte Aufschrift in Ölfarbe, denn auch in anderen Fällen der Göttinger Sammlungsgeschichte, wie z. B. dem Abguss des noch zu besprechenden „römischen Redners/Demosthenes“, wurde offenbar die neue Bezeichnung nach Umbenennung (hier „Orator Rom.“) in Ölfarbe angebracht (s. u.). Und Gleiches gilt auch für die als „Faustina“ erworbene Büste, die nachträglich mit dem Schriftzug „Agrippina“ versehen wurde. Wurde der als „Laokoonsohn“ gekennzeichnete Kopf aber erst durch Umbenennung zu einem solchen, wirft dies die Frage auf, welchen anderen Abguss Heyne bereits als „Laokoonsohn“ gekauft hat, oder, falls verloren, wie dieser ausgesehen haben könnte. Zunächst müsste es sich um einen Kopf handeln, der für den älteren der beiden Söhne gehalten werden konnte, also vermutlich mit Kopfwendung nach rechts und in passender Größe (der Kopf des vermeintlichen jüngeren „LaokoonSohnes“ bzw. „Ringer“-Kopf ist mit einer Höhe von 30 cm relativ klein; zum Ver-

269 Vgl. dazu auch die Beschreibung August Wilhelm Schlegels (1767–1845) zur Darstellung des Isaak in der Laokoon-Adaption Opferung Isaaks von Andrea del Sarto in Dresden (um 1527/28): „Zwar ist der Mund vom Schrecken weit geöffnet, und die Augenbraunen spannen sich in der Ecke nach der Nase zu stark hinauf: aber das Edle der Züge bleibt völlig erkennbar. (…) Schmerz und Schönheit halten sich rührend die Wage (…).“ (A. W. Schlegel, Die Gemählde. Gespräch, Athenaeum 2, 1799, hier zitiert nach Müller 1996, 53). 270 Rost 1794, 53 Nr. 60, vgl. Rost 1779, 19; Rost 1786, 42. – Die Herkunftsangabe bei Rost ist nicht ganz verkehrt. Der Zyklus der Florentiner Niobiden befand sich bis 1775 in Rom, Villa Medici, danach in Florenz, s. Geominy 1992, 918; vgl. Geominy 1984, 536. 271 Niobide Mansuelli 1958 Nr. 79 = Geominy 1984, 600 Abb. 55 (Diagonalfigur (nicht glänzend mit „Ringer“-Kopf), Florenz, Uffizien, Inv.-Nr. 306). Vgl. Geominy 1984, 334–337. Nach dem Stichwerk J. B. de Cavalleriis’ muss diese Replik als der in der Vigna Thomasini gefundenen Gruppe zugehörig betrachtet werden, s. Geominy 1984, 73.

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2 Der Aufbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob Heyne

Abb. 47: „Sohn der Niobe“, Katalog Kunsthandlung Rost, Leipzig (1794).

2.2 Erwerbungsgeschichte

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gleich: Die übrigen Abgüsse in Göttingen sind meist 40–50 cm hoch). Außerdem dürfte es sich bei diesem wahrscheinlich ebenfalls um keinen „echten“ Laokoonsohn gehandelt haben. Während der Katalog der Kunsthandlung Rost keinen Aufschluss über das Aussehen des zugehörigen zweiten Kopfes erlaubt – abgebildet ist dort nur der uns schon bekannte Kopf, nicht aber sein Pendant 272 – existieren in Weimar bis heute zwei lange Zeit als „Laokoonsöhne“ bezeichnete Abgüsse, die ebenfalls der Werkstatt der Brüder Ferrari zugeschrieben werden. Der eine davon ist, wie in Göttingen, ein Abguss des „Unterliegenden“ der Ringergruppe (Abb. 48a), der zweite der Kopf des sog. zweitältesten Sohnes der Florentiner Niobiden (Abb. 48b).273 Ein solcher ist auch in Göttingen vorhanden (Abb. 49).274 Die Vermutung liegt daher nahe, dass die Göttinger „Laokoonsöhne“ die gleichen beiden Köpfe wie in Weimar gewesen sein könnten und es sich somit bei dem bislang in Göttingen als verloren geltenden zweiten „Laokoonsohn“ um den Kopf des Florentiner Niobiden gehandelt haben dürfte. In der Tat würde dieser Kopf auch im Hinblick auf die zu erwartende Kopfwendung nach rechts wie die vergleichsweise geringe Größe (0,34 m) zu dem ersten Kopf passen. Allem Anschein nach war es also der Kopf des Florentiner Niobiden, der bereits unter der Bezeichnung „Laokoonsohn“ nach Göttingen gelangte, und dieser wäre demnach mit dem im Jahr 1771 zusammen mit dem Kopf des Vaters erworbenen Abguss zu identifizieren (bislang angenommen als 1774 von den Gebr. Ferrari erworben, s. u.).275 Entsprechend dürfte dann der „Ringer“-Kopf mit der Aufschrift „Laokoonsohn“ der erst in den zweiten Sohn umbenannte, also 1774 ursprünglich als „Niobide“ von Ferraris erstandene Abguss sein. Diese These lässt sich anhand einer einfachen Gegenprobe belegen. Geht man davon aus, dass nur einer der beiden Abgüsse bereits als „Laokoonsohn“ gekauft

272 Vgl. Rost 1794, 53 Nr. 60 („Sohn der Niobe“, eigentlich Kopf des „unterliegenden Ringers“) 273 Vgl. Oswald 2007, 286 mit Anm. 11; 288 f. Abb. 1. 2. Allerdings geht Oswald davon aus, es handele sich bei beiden Stücken um Abgüsse von Niobiden. – Wie Boehringer festgestellt hat, weist der Abguss des Florentiner Niobiden in Göttingen Unterschiede zum Florentiner Kopf, insbesondere an den Schläfen auf, die entweder auf eine verschollene Replik oder auch eine Umbildung in Gips hinweisen, s. Boehringer 1979, 105. In dieser Hinsicht scheint der Abguss in Weimar dem Vorbild ähnlicher. Die beiden Göttinger Köpfe sind gegenüber den beiden in Weimar unschärfer und ihr Büstenausschnitt leicht abweichend. Allerdings kommt hier umgekehrt der Büstenausschnitt des „zweitältesten Sohnes“ in Göttingen der Vorlage näher: Er weist eine konkave Aussparung in der Form des Mantelüberwurfes auf, der am Original in Florenz über der linken Schulter, nahe am Halsansatz, verläuft. 274 Boehringer 1979, 105 Nr. 13 (A 1345). Vgl. auch den Abguss aus der Slg. Mengs in Dresden, s. Kiderlen 2006, 218 Nr. 40 (ASN 1915). 275 Boehringer 1979, 105 Nr. 13. – Dagegen spricht auch nicht der Umstand, dass dieser Abguss keine Beschriftung als „Laokoonsohn“ trägt: Auch die Büste des Laokoon selbst weist keine entsprechende Beschriftung auf; daher ist anzunehmen, dass auch der Abguss des mitgelieferten Sohnes kaum eine getragen haben wird.

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2 Der Aufbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob Heyne

Abb. 48: a) „Unterliegender Ringer“ der Ringergruppe Florenz, Gipsabguss, Weimar, GoetheNationalmuseum; b) Sog. zweitältester Sohn der Florentiner Niobiden (ehem. „Laokoonsohn“), Gipsabguss, Weimar, Goethe-Nationalmuseum.

wurde, der andere aber als „Sohn der Niobe“ erworben und später umbenannt wurde, müsste dieser – da Heyne nur einen einzigen „Sohn der Niobe“ erworben hat – im Verzeichnis von 1798, das zwei „Laokoonsöhne“ nennt, dann entsprechend fehlen. Dies ist in der Tat so: Außer den Söhnen des Laokoon erscheinen dort nur noch die drei „Niobe Töchter“, der „Sohn der Niobe“ dagegen nicht mehr.276 Entgegen den bisherigen Annahmen sind also beide sog. Laokoonsöhne identifizierbar und noch in Göttingen vorhanden – allerdings ist keiner davon tatsächlich ein Abguss eines Laokoonsohnes aus der berühmten antiken Gruppe. Selbst der Zeitraum, innerhalb dessen die Umbenennung stattgefunden haben muss, lässt sich relativ genau eingrenzen: Zwischen ca. 1793 und 1798, also dem Verzeichnis, in dem der „Sohn der Niobe“ noch genannt ist, und dem, in dem er fehlt, und stattdessen dann zwei „Laokoonsöhne“ erwähnt werden. Einen zusätzlichen erhärtenden Hinweis dafür, dass es sich bei dem Kopf, den Heyne als „Sohn der Niobe“ erworben hat (und der später dann in „Laokoonsohn“ umbenannt wurde), eigentlich um den „unterliegenden Ringer“ gehandelt haben

276 SUB, Bibl. Arch. A 33 c 25 (45).

2.2 Erwerbungsgeschichte

Abb. 49: Kopf des sog. zweitältesten Sohnes der Florentiner Niobiden, Gipsabguss, Archäologisches Institut Göttingen, A 1345.

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2 Der Aufbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob Heyne

dürfte, liefert möglicherweise auch das undatierte Göttinger Verzeichnis (nach 1793); darin findet sich nämlich gegenüber dem Verzeichnis von 1788 zu dem dort genannten Niobiden-Kopf der Zusatz „der schrägstehende“. Boehringer hat diesen, zunächst naheliegend, mit dem – zumindest formal – einzigen heute in Göttingen vorhandenen „Sohn der Niobe“ identifiziert (dem genannten Florentiner Niobiden, bei Geominy als „zweitältester Sohn“ bezeichnet).277 Die Frage ist aber, ob mit dem „schrägstehenden“ Niobiden nicht wahrscheinlicher diejenige Figur gemeint sein könnte, die (ganz von ungefähr?) auch bei Geominy als „Diagonalfigur“ unter den Niobiden behandelt wird. Genau jene Statue ist es nämlich, die in einer der Repliken mit dem Kopf des „unterliegenden Ringers“ (in moderner Kopie) ergänzt wurde (Abb. 50).278 Auch von daher könnte also mit dem verzeichneten Kopf des „schrägstehenden“ Niobiden der dem Kopftypus des „Ringers“ entsprechende Göttinger Abguss gemeint sein (wie gesagt mit der (späteren) Beschriftung als „Laokoonsohn“).279 Zwar rechnete man auch die beiden Ringer zeitweilig der Gruppe der Niobiden zu, mit denen sie gemeinsam 1583 in Rom gefunden wurden (man identifizierte sie mit den beiden Söhnen der Niobe, die beim Ringen vom Pfeil getroffen wurden, wie Ovid berichtet),280 so dass der Ringer-Kopftypus auch dadurch zu seiner Bezeichnung als „Niobide“ gekommen sein könnte. Da im Verzeichnis der Kopf des Niobiden aber ausdrücklich als „dem schrägstehenden“ zugehörig bezeichnet wird, war sicher nicht der Kopf, mit dem der untere Ringer ergänzt ist, gemeint, sondern der im Typus entsprechende, der mit der „Diagonalfigur“ verbunden ist. Gleichwohl ist der Abguss selbst – aufgrund der exakten Entsprechung der Einzelformen – offensichtlich vom Kopf des „unterliegenden Ringers“ abgenommen worden. Vielleicht darf man die Unschärfe der rechten, also der an der Ringergruppe dem Boden zugewandten Kopfseite, als der lagebedingt schwierigen Abformungssituation geschuldet betrachten.

277 Geominy 1984, 611 Abb. 89 (Florenz, Mus. Archeologico, Inv.-Nr. 13864); Gasparri 1999, 162 Nr. 16; 165 Abb.; Boehringer 1979, 105 Nr. 13 (dort noch irrtümlich als Typus Florenz, Uffizien, Inv.Nr. 304 = Niobide Mansuelli 1958 Nr. 76 bezeichnet); Fittschen 1990, 250 (A 1345). – Wie Geominy nachweisen konnte, ist es die Replik des „zweitältesten Sohnes“ im Museo Archeologico, nicht die in den Uffizien, die zur ursprünglich in der Vigna Thomasini gefundenen Gruppe gehört hat, s. Geominy 1984, 98 f. Bei der Neuaufstellung in Florenz sei der Austausch beider Figuren erfolgt, s. Geominy 1984, 39. 99. 278 Niobide Mansuelli 1958 Nr. 79 = Geominy 1984, 600 Abb. 55 (Diagonalfigur (nicht glänzend, mit „Ringer“-Kopf), Florenz, Uffizien, Inv.-Nr. 306); Geominy 1984, 334 f. 279 Nicht unerwähnt bleiben soll, dass von der Körperhaltung her prinzipiell auch der „zweitälteste Sohn“ der Niobiden als „schrägstehend“ aufgefasst werden könnte. Jedoch wurde dessen Büste wie gezeigt wahrscheinlich bereits unter der Bezeichnung „Laokoonsohn“ erworben, denn – im Gegensatz zum Kopf des „Unterliegenden“ – gibt es in diesem Fall keine Hinweise auf eine etwaige Umbenennung wie insbesondere eine nachträgliche Beschriftung mit Ölfarbe, wie sie auch an anderen älteren Abgüssen der Göttinger Sammlung fassbar ist (s. o.). 280 Chamrad 2001, 161–164. Vgl. Rost 1794, 53 Nr. 60.

2.2 Erwerbungsgeschichte

Abb. 50: „Diagonalfigur“ („schrägstehender“ Niobide?), Florenz, Galleria degli Uffizi, Inv. 306.

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Die Verbindung der beiden Köpfe – des „zweitältesten“ Florentiner Niobiden und des „Ringer“-Kopfes – beginnt also nicht erst mit ihrer parallelen Existenz in Form je eines Abgusses in der Göttinger Sammlung. Durch die Ergänzung einer Replik der „Diagonalfigur“ mit dem Kopf des „Ringers“ fand dieser Kopftypus Eingang in das Ensemble der Florentiner Niobiden, zu denen ja auch der „zweitälteste Sohn“ der Niobiden gehört (genau genommen war der „Ringer“-Kopf darin sogar doppelt bzw. dreifach vertreten, rechnet man die Ringergruppe selbst ebenfalls den Niobiden zu).281 Dazu passt, dass der Abguss des „Ringer“-Kopfes dann auch bei Rost, wie bereits erwähnt, als ein „Sohn der Niobe“ angeboten wurde.282 Gut möglich, dass mit dem anderen, im Katalog von Rost nicht abgebildeten Exemplar (angeboten wurden „Zween verschiedene Söhne der Niobe“) der Kopf des „zweitältesten Sohnes“ gemeint war.283 In Weimar galten die gleichen beiden Köpfe als die „Söhne des Laokoon“. Nach Göttingen gelangte aber, wie gezeigt, offenbar der eine Kopf als „Sohn der Niobe“, der andere als „Laokoonsohn“. Da im Verzeichnis von 1798 zwei Söhne des Laokoon genannt sind, hat man sich demnach für dieses Brüderpaar, und gegen eine Benennung als Niobiden entschieden, die ebenso möglich gewesen wäre (und den Tatsachen mehr entsprochen hätte). Bemerkenswert ist, dass die beiden Bildnisse, sobald man sie als (vermeintlich) zusammengehörig erkannt hatte, wieder der Aufstellung in der Göttinger Bibliothek würdig waren (im Gegensatz zum einzelnen „Laokoonsohn“, solange diesem noch kein Pendant zugeordnet war, s. o.). Angemerkt sei noch, dass das Beispiel des Laokoon und der „Laokoonsöhne“ eher der Annahme widerspricht, die Göttinger Sammlung könnte Vorlagen für die Fürstenberger Porzellanmanufaktur geliefert haben: Dort wurden Büsten des Laokoon mitsamt den beiden „richtigen“ Söhnen (wenngleich letztere nur als Varianten der Originaltypen) nachweislich bereits seit 1771/72 produziert.284 In Göttingen

281 Der moderne Kopf des oberen Ringers ist nach dem antiken (aber wohl nicht zugehörigen) Kopf des unteren Ringers kopiert, ebenso wie der Kopf des Niobiden Mansuelli Nr. 79, s. Achenbach-Kosse 1989, 79; Geominy 1984, 335. 282 Rost 1794, 53 Nr. 60, vgl. Rost 1779, 19; Rost 1786, 42. 283 So auch schon die Vermutung von Boehringer 1979, 105 Nr. 13. – Rost hatte Abgüsse der „Zween Söhne Laocoons“ außerdem im Angebot. Abgebildet war auch von diesen nur ein Exemplar, in diesem Fall der ältere der beiden Söhne, s. Rost 1794, 53 Nr. 69. Dieser entsprach ganz offenkundig dem „richtigen“ älteren Laokoonsohn (und nicht dem „zweitältesten“ der Florentiner Niobiden), so dass man dies wohl auch für den nicht abgebildeten jüngeren annehmen darf. Jedenfalls ist es bei Rost augenscheinlich nicht zu einer Verwechslung der Niobiden mit den Laokoonsöhnen gekommen, auch wenn im Katalog als Herkunftsangabe der Söhne des Laocoon „von der Originalgruppe in der Villa Medicis“ zu lesen ist. Der Zeichnung ist hier sicher die größere Aussagekraft beizumessen. 284 Vgl. Wolff Metternich – Meinz 2004, 234. 245. 240 f. Abb. 191–193; Seiler 2008, 84 Abb. 58. 59. – Vgl. auch die drei verschiedenen Varianten des Typus des älteren Laokoonsohnes in Gips, die in der Eisenkunstgussfabrik in Lauchhammer offenbar als Modelle für Eisengüsse aufbewahrt wurden, s. Döhner – Rüdiger 2004, 51 f. 55 Abb. 29–31. Allerdings ist unklar, ob es auf Grundlage eines dieser drei Modelle auch zur Ausführung als Gusseisenwerk kam, s. Döhner – Rüdiger 2004, 49.

2.2 Erwerbungsgeschichte

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hatte man zwar zu diesem Zeitpunkt zumindest einen (vermeintlichen) Sohn des Laokoon, dieser wurde aber nicht als Vorbild für eine der Porzellanbüsten der Söhne verwendet. Von daher ist anzunehmen, dass man in Fürstenberg wohl andere, verlässlichere Vorlagenlieferanten hatte, so dass man auf Vorbilder aus der Göttinger Sammlung nicht angewiesen war. Allerdings lässt die Bildung der Einzelformen der Porzellan-Köpfe der beiden Söhne die Vermutung zu, dass diese wohl ebenfalls nicht nach Vorlagen in Form von (Original-)Abgüssen gefertigt sein dürften, sondern möglicherweise nach Stichvorlagen.285 Für den Kopf des Laokoon (Vater) standen hingegen Gipsabgüsse im Herzoglichen Kunst- und Naturalienkabinett in Braunschweig als Vorlage zur Verfügung.286 Bei der Durchsicht der Fürstenberg-Büsten begegnet der Kopftypus des älteren der beiden Göttinger „Laokoonsöhne“ (vom Typus des „zweitältesten“ der Florentiner Niobiden) dennoch wieder: Unter der Bezeichnung „Luctator oder Fechter“ (gemeint war der „Fechter Borghese“).287 Die Benennung als „borghesischer Fechter“ ist jedenfalls, schon aufgrund der abweichenden Kopfwendung nach rechts, nicht zutreffend. Dagegen lassen sich zum Kopf des sog. älteren Sohnes des Laokoon in Göttingen (bereits identifiziert als „zweitältester“ unter den Florentiner Niobiden, aber offenbar als „Laokoonsohn“ erworben) deutliche Parallelen feststellen; dies betrifft beispielsweise die Form und scharfgratige Bildung der Brauenbögen, die sich in einer kantigen Bildung des Nasenrückens fortsetzt, wie auch die sichelartige Gestaltung des Schläfenhaares an der linken Kopfseite. In Fürstenberg setzt die Produktion dieses Porträts unter der Bezeichnung „Fechter“ bereits 1771 ein, ebenso die Produktion der Porträtköpfe der beiden Laokoonsöhne.288 Von daher konnte der gleiche Kopftypus in der Reihe der Porträtbüsten natürlich nicht auch noch als „Laokoonsohn“ erscheinen. Nach Göttingen scheint der Abguss aber, wie bereits ausgeführt, im selben Jahr unter der Bezeichnung „Laokoonsohn“ gelangt zu sein. Ein wenig überraschend mutet noch, vor dem Hintergrund der engen Beziehungen zwischen Fürstenberg und Weimar (Carl I., der Begründer der Fürstenberger Manufaktur, war der Vater Anna Amaliens), die teilweise hier wie dort unterschiedliche Benennung derselben Porträttypen an. So wurden in Weimar zwei Gipsporträts als „Laokoonsöhne“ bezeichnet („zweitältester Niobide“ und „Unterliegender“ der Ringergruppe), obwohl diese offenkundig nicht den Typen der Fürstenberger Lao-

285 Offenbar legte man in Fürstenberg größten Wert darauf, den Laokoon mitsamt beiden Söhnen im Programm zu haben, auch wenn man dabei zur Not auf dreidimensionale Vorlagen in Form von Gipsabgüssen verzichten musste. 286 Schroeder – Damaschke 1996, 131 mit Anm. 45. 287 Vgl. Wolff Metternich 1981, 59 f. Abb. 37; Ducret 1965, 242 Abb. 360; Wolff Metternich – Meinz 2004, 234. 245. – Vgl. auch den „Borghesischen Fechter“ unter den Bildnisbüsten aus geschwärztem Ton der „Klauerschen-Kunst-Fabrick zu Weimar“, deren Vorlagen zum Großteil identisch sind mit den in Fürstenberg verwendeten (HAUM Braunschweig, um 1800), s. Damaschke 1996, 110 f. Abb. 288 Vgl. Wolff Metternich – Meinz 2004, 234. 245; Wolff Metternich 1981, 59 f. Abb. 37.

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koonsöhne entsprachen. Und umgekehrt wurde der Kopftypus, der in Weimar als „älterer Sohn des Laokoon“ gedeutet wurde (eigentlich „zweitältester Niobide“) in der Serie der Porzellanbüsten als „Fechter“ geführt. D. h. in Fürstenberg wusste man, dass die „Laokoonsöhne“, über die man in Weimar verfügte, vom Typus her nicht den „richtigen“ Laokoonsöhnen entsprachen; bekannt war aber auch dort offenkundig nicht, um welche Köpfe es sich eigentlich handelte. Im Hinblick auf den Typus des „zweitältesten Niobiden“ (der in Weimar als älterer der beiden „Laokoonsöhne“ bezeichnet wurde) entschied man sich in Fürstenberg dann für eine Benennung als „Fechter“, zumal die Söhne des Laokoon ja bereits in der Porzellanserie vertreten waren.289

Der Erwerb der ersten großplastischen Statuen in Abgüssen Die Göttinger Sammlung der Gipsabgüsse bestand zunächst nur aus Köpfen oder Büsten, bis 1772 von den Gebrüdern Ferrari die ersten beiden vollständigen Gipsstatuen erworben werden konnten: der Krupeziontretende Satyr der Gruppe „Aufforderung zum Tanz“ und die Venus Medici.290 Kopien dieser beiden Statuen in den Florentiner Uffizien wurden auch sonst bevorzugt als Paar erworben und aufgestellt.291 Dazu kamen im selben Jahr zwei weitere Köpfe, der sog. Pseudo-Seneca („Bildnis eines greisen Dichters“)292 in Florenz und sehr wahrscheinlich der Kopf der Proserpina aus der Gruppe „Raub der Proserpina“ von Bernini, der unter der Bezeichnung „Cleopatra“ angeboten wurde.293 Raspe konnte 1768 im Zusammenhang mit den Herrenhausen-Abgüssen für die Kasseler Abguss-Sammlung auch Abgüsse der „Cleopatra“ und des „Seneca“ erwerben.294 Möglicherweise waren dies die gleichen

289 Vgl. Wolff Metternich – Meinz 2004, 241 Abb. 192. 193. Der Kopftypus des vermeintlichen „Fechters“ wurde wenig später noch einmal in der Fürstenberger Produktion aufgegriffen: Die Figur eines „Bildhauers“ (1779, aus einer Serie von vier Handwerkern aus glasiertem Porzellan) ist bei der Arbeit an eben diesem Kopf dargestellt, vgl. Damaschke 1996, 108 Abb. 290 Arch. Inst. Heyne A 8. – Satyr: Florenz, Uffizien, Inv.-Nr. 220; Boehringer 1979, 111 Nr. 45. – Venus: Florenz, Uffizien, Inv.-Nr. 224; Boehringer 1979, 111 Nr. 46. 291 Vgl. Kader 1999, 10. Vgl. auch Johann Zoffany, Die Tribuna der Uffizien, 1772–1778 (Windsor, Royal Collection), s. Wilton – Bignamini 1996, 136 Abb. 91. 292 Florenz, Uffizien, Inv. 1914 Nr. 58; Boehringer 1979, 112 Nr. 55. Bei dem heute vorhandenen Abguss handelt es sich nach dem Inventarbuch um eine Abformung des „alten, verdorbenen“ Exemplares von 1772, s. Fittschen 1990, 211 (A 1098). 293 Rom, Galleria Borghese, Inv.-Nr. 268; Faldi 1954, 29–31 Nr. 33; Boehringer 1979, 105 Nr. 11; vgl. Arch. Inst. Heyne A 8. Im Verzeichnis von 1788 (SUB, Bibl. Arch. A 33 c 25 (43)) genannt als „Daphne oder Proserpina“, in SUB, Bibl. Arch. A 33 c 25 (44) als „Daphne oder Proserpina v. Bernini“, im Verzeichnis von 1798 (SUB, Bibl. Arch. A 33 c 25 (45)) als „Proserpina“; in SUB, Bibl. Arch. B 14 b als „Cleopatra (v. Proserpina)“. Vgl. auch Rost 1794, 50 Nr. 27 (dort als „Daphne, vom Cav. Bernini, im Museo Capitolino“ bezeichnet, der abgebildete Typus zeigt jedoch Berninis Proserpina, nicht seine Daphne). 294 Vgl. Gercke 2005, 69; zu den Kasseler Büsten vgl. o. S. 220 mit Anm. 202.

2.2 Erwerbungsgeschichte

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beiden Köpfen wie in Göttingen, zumal Ferraris an der Abformung der Herrenhäuser Büsten ja offenbar auch beteiligt waren.295 Bereits seit 1771 produzierte die Fürstenberger Porzellanmanufaktur sowohl einen „Seneca“ als auch eine „Proserpina“.296 Da der in Göttingen erhaltene Abguss des „Seneca“ sehr genau dem Typus der Fürstenberger Büste entspricht, darf man dies wohl auch für den verlorenen Abguss der „Proserpina“ annehmen.297 Ein ebensolcher historischer Abguss des sog. Pseudo-Seneca in Florenz befindet sich in Weimar.298 Der Weimarer Abguss gilt als undatiert, könnte aber in relativer zeitlicher Nähe zu dem Göttinger Exemplar entstanden sein, da auch der Weimarer Hof nachweislich Abgüsse von den Brüdern Ferrari bezog.299 1774 lieferten die Ferraris die ganzen Figuren des Laokoon und des Borghesischen Fechters.300 Im Vorfeld der Anschaffung des Laokoon und des Borghesischen Fechters hatte Heyne mit dem hannoverschen Hofrat Georg Brandes korrespondiert. Nachdem dieser ihn zunächst ausdrücklich in seiner Kaufabsicht bestärkt hatte, schrieb Brandes bereits eine Woche später an Heyne: Daß sie [Laokoon und Borghesischer Fechter, Anm. E. S.] nach den Originalien abgeformet seyn solten, ist freilich anietzt wol nicht mehr zu vermuthen. Indeßen ist doch die Figur des Laokoons, so ich bei dem Herrn von Busch gesehen, recht schön, und kan es seyn, daß, da die Rußische Kaiserinn noch in den leztern Zeiten von den schönsten Antiken Abgüße erhalten, Ferrari auch diese Formen zu nutzen Gelegenheit gehabt habe.301

295 Fittschen 2007a, 92. 94; vgl. Fittschen 2006, 91. – Zwei der von Heyne bezogenen Abgüsse tragen eine Ferrari-Signatur. 296 Wolff Metternich – Meinz 2004, 234. 297 Vgl. Wolff Metternich 1981, 57 Abb. 34 (Seneca); 59 Abb. 35 (Proserpina). Als Vorbild des Fürstenberger „Seneca“ nennt Wolff Metternich 1981, 56 irrtümlich die „Bronzebüste des „Pseudo-Seneca“ aus der Villa der Pisonen bei Herculanum“, heute in Neapel, Mus. Nazionale, Inv.-Nr. 5616. Die Bildung des Stirnhaares weist jedoch eindeutig den Florentiner Marmorkopf (oder auch einen Abguss davon) als Vorlage aus. – Wenig später datiert eine tatsächliche Porzellan-Nachbildung des bronzenen „Pseudo-Seneca“ aus Herculaneum. Die Büste aus Biskuitporzellan wurde 1780 von der königlichen Porzellanmanufaktur in Capodimonte Neapel gefertigt und weist einen gegenüber der Bronzevorlage leicht vergrößerten Maßstab auf (Museo di Capodimonte Napoli, Inv.-Nr. P.S. 240), vgl. Bruer – Kunze 1997a, 194; Barocchi 1985, 74 Nr. 36 mit Abb. (A. C. Perrotti). 298 Krügel 2008, 185 mit Abb. 8 (dort allerdings irrtümlich als Abguss des in der Villa dei Papiri in Herculaneum gefundenen römischen Bronzekopfes Neapel, Mus. Nazionale, Inv.-Nr. 5616 bezeichnet). Der Abguss gehörte offenbar zum Bestand des Kunstkabinettes der ehemaligen Großherzoglichen Bibliothek, vgl. Krügel 2008, 182. 184. 299 Vgl. Oswald 2007, 284 mit Anm. 5; Krügel 2008, 176 mit Anm. 10; 178 (unter Verweis auf ThHStAW, Schatullrechnungen 1775–1776, A 1062, Belege 546–759, Beleg 645). 300 Boehringer 1979, 110 Nr. 39; 106 Nr. 19 (beide verloren). – Zu den Erwerbungen des Jahres 1774 s. Arch. Inst. Heyne A 9–11. 301 SUB, Cod. Ms. C. G. Heyne 125 (Brandes, Briefe an Heyne Bd. 3 1774/75), Nr. 33 (Hannover, den 25. April 1774); auch SUB, Bibl. Arch. A 33 c 23 (13), Briefauszug Reuß, Brandes an Heyne (25. April 1774). – Georg Friedrich Brandes (1719–1791) war der spätere Schwiegervater Heynes.

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2 Der Aufbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob Heyne

Heyne erwarb die beiden Stücke dennoch. Der Laokoon bestand allein aus der Statue des Vaters ohne die Söhne (Abb. 51), wie ihn auch die Akademien in Dresden und Leipzig besaßen, die ebenfalls von Ferraris beliefert wurden (wohingegen sich im „Mannheimer Antikensaal“ die ganze Gruppe befand).302 Dazu kamen ebenfalls 1774 weitere zwölf Köpfe bzw. Büsten303: die Florentiner Niobe und vier Niobiden,304 dazu ein Dionysos ehem. im Kapitolinischen Museum (erscheint im Verzeichnis von 1788 als „Ariadne“),305 eine nicht mehr identifizierbare „Paullina“ 306 und ein heute verlorener Abguss der von Winckelmann so genannten „Venus des Herrn Jenkins“ (Abb. 52; auch „Venus Barberini“).307 Über letztere hatte sich Winckelmann mehrfach in überschwänglichem Lob geäußert: Sie übertreffe „alle übrige Venus, ja die Florentinische bey weiten“ und sei „des Praxiteles würdig“;308 und an anderer Stelle: die „Venus, welche bereits erwähnter Herr Jenkins erhandelt hat, (sei) so vollständig erhalten, daß ihr kaum ein Finger fehlet, und

302 Boehringer 1979, 110 Nr. 39; Boehringer 1981, 279 f.; J. W. v. Goethe, Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit, Dritter Teil, Buch XI = WA I, 28, S. 85. 303 Boehringer 1979, 101; Boehringer 1981, 279 f. 304 Boehringer 1979, 104 Nr. 3; 106 Nr. 14–16. Der einzige männliche Niobide darunter wurde bislang mit dem Abguss Inv.-Nr. A 1345 identifiziert (Typus Florenz, Mus. Archeologico, Inv.-Nr. 13864; Geominy 1984, 611 Abb. 89; Gasparri 1999, 162 Nr. 16; 165 Abb.; bei Boehringer noch irrtümlich als Typus Florenz, Uffizien, Inv.-Nr. 304 bezeichnet), vgl. Boehringer 1979, 105 Nr. 13. Es gibt jedoch Anhaltspunkte, dass stattdessen der Abguss Inv.-Nr. A 1357 („Kopf des Unterliegenden der Ringergruppe Florenz“, Boehringer 1979, 112 Nr. 61) ursprünglich als Niobide nach Göttingen kam (dazu ausführlich s. o. S. 236–244). 305 Rom, Mus. Gregoriano Profano, Inv.-Nr. 734 (sog. Typus Basel); Boehringer 1979, 104 Nr. 4. Vgl. auch das entsprechende Exemplar in Fürstenberger Porzellan, s. Wolff Metternich 1981, 38 Abb. 17 („Ariadne“ 1793, Modelleur Schubert); 41 Nr. 54; Wolff Metternich – Meinz 2004, 246 Nr. 54. 306 Boehringer 1979, 105 Nr. 9. Dabei könnte es sich um ein zeitgenössisches Bildnis gehandelt haben, von denen sich im „physicalischen Saal“ neben den Antikenabgüssen noch weitere befanden, vgl. SUB, Bibl. Arch. A 33 c 25 (43 u. 44). In Frage käme, aufgrund der zahlreichen Parallelen zwischen Göttingen und den Fürstenberger Porzellan-Büsten, möglicherweise aber auch eine Büste, die in Fürstenberg unter dem Namen „Griechisches Mädgen“ gehandelt wurde, vgl. Wolff Metternich 1981, 38 Abb. 16; 41 Nr. 49 (1788, Modelleur Schubert); Wolff Metternich – Meinz 2004, 246 Nr. 49. Demselben Typus entsprach vermutlich auch die schon etwas früher hergestellte Porzellanbüste „Puella Graeca“ der Fürstenberger Manufaktur, vgl. Wolff Metternich 1981, 39 Nr. 5 (1771, Modelleur Desoches); Wolff Metternich – Meinz 2004, 245 Nr. 5. – In der Sammlung der berühmten italienischen Porzellanmanufaktur Doccia befindet sich noch das Wachsmodell zu einer Statuette Giovanni Battista Fogginis (1652– 1725) unter der Bezeichnung „Paolina moglie di Seneca“, s. Lankheit 1982, 126 mit Abb. 150. Nicht auszuschließen, dass auch das Göttinger Beispiel diese historische Persönlichkeit darstellen sollte. 307 Boehringer 1979, 105 Nr. 10. – Die Originalstatue befand sich bis zu ihrer Versteigerung im Juni 2002 in Newby Hall, Norfolk; dabei wurde eine Summe von fast £ 8 Mio. erzielt – der höchste Kaufpreis, der jemals für eine antike Statue bezahlt worden ist. In Newby Hall wurde die Statue durch eine exakte Kopie ersetzt. Vgl. Boschung – v. Hesberg 2007, 21 f. 33–37 N1 Taf. 1. 2. 3. – Zur „Venus des Herrn Jenkins“ vgl. auch Heyne 1778b, 139–141; zu diesem Zeitpunkt war ihm bereits bewusst, dass der Kopf nicht zugehörig war: „(…) sie ward ohne Kopf gefunden, aber vom Herrn Cavaceppi, so viel ich weis, ergänzt.“ (Heyne 1778b, 140). 308 Rehm – Diepolder 1956, 44 Nr. 664 (23. Juni 1764).

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Abb. 51: Laokoon, Statue des Vaters ohne die Söhne, Katalog Kunsthandlung Rost, Leipzig (1794).

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Abb. 52: „Venus des Herrn Jenkins“ (auch „Venus Barberini“), bis 2002 in Norfolk, Newby Hall.

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von so hoher Schönheit, daß sie alle Statuen dieser Göttinn, so gar die Mediceische, verdunkelt.“ 309 Zu den 1774 für Göttingen erworbenen Köpfen gehörten außerdem ein Hermes mit beflügeltem Petasos (antik?),310 ein Homer („Homer Farnese“, Büste neuzeitlich), sowie ein „Socrates“ und ein „Diogenes“ (auf dem Büstenfuß mit Ölfarbe die Bezeichnung „Philosophus“).311 Ein Gipsabguss des Homer, der nachweislich ebenfalls 1774 von Ferraris gefertigt wurde, hat sich im Landesmuseum Oldenburg erhalten.312 Der Typus des Hermes ist spätestens seit 1778/79 auch in der Serie der Fürstenberger Porzellanbüsten vertreten, der Homer seit 1774.313 Als Vorlage für die Fürstenberger Homer-Büste diente offenbar eine Bronzereplik eines unbekannten Künstlers des Barock, die Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) für die Wolfenbütteler Bibliothek erwerben konnte (heute in Braunschweig, HAUM).314 Bis in die Details der Gewandgestaltung des neuzeitlich angesetzten Büstenteiles, die sich deutlich

309 Bruer – Kunze 1997b, 30. – Wenig später hat Winckelmann selbst dies jedoch relativiert: „Die schöne Venus Hrn. Jenkins ist durch den Engl. Consul zu Livorno für den König gekauft. Bey genauer Untersuchung zeigete sich, daß das eine Bein und beyde Arme neu sind, und der Kopf gehöret nicht zu (der) Statue. Dieserwegen habe ich die Erlaubniß zur Ausfuhre nicht schwer gemacht.“ (Rehm – Diepolder 1956, 106 Nr. 711 (22. Juni 1765)). 310 Boehringer 1979, 110 Nr. 42. Vgl. auch den Abguss desselben Originals aus der Sammlung Mengs in Dresden mit Bruststück, Petasos-Flügel abgebrochen, s. Kiderlen 2006, 205 f. Nr. 10 (ASN 2881). – Der Abguss in Göttingen wurde laut Fittschen 1990, 252 erst 1979 inventarisiert, erscheint tatsächlich aber bereits in den Verzeichnissen von 1788 (SUB, Bibl. Arch. A 33 c 25 (43)) und nach 1793 (SUB, Bibl. Arch. A 33 c 25 (44)); gleiches gilt beispielsweise auch für die Niobiden Boehringer 1979, 105 f. Nr. 13. 15. Laut Definition Fittschen können diese Verzeichnisse jedoch „nicht als Inventare gelten, da sie keine Angaben zu den Erwerbungsdaten und zu den Herkünften der Gipsabgüsse enthalten“, s. Fittschen 2006, 88. Vor allem aber listen sie nur die in der Bibliothek aufgestellten, nicht aber die magazinierten Bestände auf, vgl. Boehringer 1979, 101. 311 Boehringer 1979, 111 Nr. 47. 48; 113 Nr. 63. – Einen Hermes und einen Homer, denen der Göttinger Sammlung entsprechend, vertrieb bereits 1779 auch die Rostsche Kunsthandlung, s. Boehringer 1979, 110 f. Nr. 42. 47. 312 Oswald 2007, 287 Anm. 14. – Möglicherweise stammt dieser Abguss aus dem Besitz des Hannoverschen Hofrates Georg Friedrich Brandes, dessen Privatbibliothek den Kern des Altbestandes der heutigen Landesbibliothek Oldenburg bildet. Brandes stand nicht nur in engem Kontakt mit Heyne, sondern hatte auch besonderes Interesse an antiker Kunst- und Kulturgeschichte. Auch die Göttinger und die Hannoversche Erwerbspolitik liefen über viele Jahre parallel, vgl. Crusius 2008, 61. 144. 147. 178. 313 Vgl. Berswordt-Wallrabe 2002, 122 Nr. 144 mit Abb. „Büste Merkur“ (K. A. Möller); BerswordtWallrabe 2002, 120 f. Nr. 143 mit Abb. „Büste Homer“ (K. A. Möller). Porzellanbüsten beider Typen befanden sich auch im Nachlass der Herzogin Louise Friederike, der Gattin Herzog Friedrichs von Mecklenburg-Schwerin, im Palais zu Rostock (heute in Schwerin, Staatliches Museum); gleiches gilt für den Typus des „Demosthenes“ (Boehringer 1979, 111 f. Nr. 50 (A 1356)), vgl. BerswordtWallrabe 2002, 123 Nr. 145 mit Abb. „Büste Demosthenes“ (K. A. Möller). 314 Berswordt-Wallrabe 2002, 121 (K. A. Möller). Zu dieser Bronzebüste und einer weiteren, die den oben S. 228–232 genannten „Lysimachos Farnese“/„Aratos“ zeigt und offenbar ebenfalls für Göttingen abgegossen wurde (beide in Braunschweig, HAUM) s. Kat. Braunschweig 2004, 127 f. (R. Marth). Beide Bronzen wurden in Braunschweig als antik geführt.

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2 Der Aufbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob Heyne

von der der Originalbüste unterscheidet, weist der Göttinger Gipsabguss ebenfalls starke Ähnlichkeit mit diesem Bronzeexemplar auf. Die Büste des Sokrates gilt als verloren. Aller Wahrscheinlichkeit nach dürfte es sich aber um den Typus gehandelt haben, den auch eine Porzellanbüste der Fürstenberger Manufaktur wiedergibt.315 Ebenso in Porzellan vertrieben wurde der Göttinger „Diogenes“, dessen möglicherweise nicht antikes Original heute verschollen ist.316 Neben der Namens- und Typengleichheit mit dem Fürstenberger Exemplar lässt sich der Abguss auch aufgrund der Übereinstimmung mit der von Rost angebotenen Büste als der in den Verzeichnissen genannten „Diogenes“ identifizieren. Außer zwei Duplikaten (eines davon mit der geritzten Inschrift „Diogenes“ in griechischen Buchstaben) befindet sich noch ein Abguss einer Replik des Philosophen-Bildnisses in Göttingen.317 Dieses Porträt könnte als Vorlage für die vermutlich neuzeitliche Variante gedient haben. Eine weitere, heute als verschollen geltende Replik befand sich ehemals in der Sammlung Wallmoden.318 Dort wurde sie allerdings unter der Bezeichnung „Clodius Albinus“ geführt. Für den Replikenabguss in Göttingen (A 1445) hat Fittschen vorgeschlagen, es könne sich um den 1767 von Heyne erworbenen Abguss der verschollenen Herrenhäuser Büste des „Epikur“ handeln, der bislang nicht sicher identifiziert werden konnte.319 Wie er selbst bemerkt, trug jedoch die in Fürstenberger Porzellan gebrannte neuzeitliche Replik den Namen „Diogenes“.320 Überdies hat es unter den Bildnissen der Fürstenberger Serie offenbar ein Modell mit dem Namen „Epikur“ außerdem gegeben.321 Von diesem ist allerdings bisher kein Exemplar in Abbildung veröffentlicht worden.322 Die letzte Erwerbung von Ferraris war schließlich die ganze Statue des Apoll vom Belvedere 1775.323 Brandes schreibt dazu an Heyne: Wenn Sie den Apoll für 40 rth bekommen, so ist es in der That ein guter Kauf, und wol angewendet. Meiner Einsicht nach halte ich diese Statue doch immer für die schönste des Alterthums, und die Bibliothek kan gewis mit keinem beßren Stücke ausgezieret werden.324 315 Vgl. Ducret 1965, 244 Abb. 367 (links). 316 Vgl. Ducret 1965, 244 Abb. 367 (rechts); Boehringer 1979, 113 Nr. 63. 317 Vgl. Göttingen A 610; A 611; A 1445 (letzterer bei Boehringer noch nicht verzeichnet, Alter Bestand, 1983 inventarisiert). 318 Boehringer 1979, 113 Nr. 63. Dies belegt eine Zeichnung im Codex Kielmannsegg, vgl. Slg. Wallmoden 1979, 19 Abb. 8. 319 Fittschen 2006, 294. 298 Taf. 90, 1–2; 92, 3–4. 320 Fittschen 2006, 298 f.; vgl. Ducret 1965, 244 Abb. 367. 321 Vgl. Wolff Metternich – Meinz 2004, 236 (1785–1800); 246 Nr. 55, ohne Daten. 322 Vgl. Fittschen 2000, 54. 323 Boehringer 1979, 111 Nr. 44; SUB, Bibl. Arch. A 33 c 23 (14): „Betrag der Kosten für einen Abguß in Gyps von der Statue des Apollo im Belvedere“. 324 Boehringer 1981, 280; SUB, Cod. Ms. C. G. Heyne 125 (Brandes, Briefe an Heyne Bd. 3 1774/75), Nr. 174 (Hannover, den 22. Sept. 1775); auch SUB, Bibl. Arch. A 33 c 23 (13), Briefauszüge Reuß, Brandes in Hannover an Heyne (22. September 1775).

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Ferrari waren über einige Jahre Heynes Hauptbezugsquelle für Gipsabgüsse. Im Laufe der Zeit hatten sie dutzende Büsten und zunehmend auch einige ganze Figuren nach Göttingen geliefert. Die Gebrüder Ferrari waren als Gipsabformer zunächst wohlgelitten, wie ein 1774 in Leipzig erstelltes Gutachten belegt, das von mehreren Professoren der Akademie, darunter Akademiedirektor Adam Friedrich Oeser, unterzeichnet wurde.325 Darin heißt es, die Gebrüder Ferrari bedürften „bey den Kennern der Alterthümer keine(r) Empfehlung, als ihre Kunst“. Die von ihnen u. a. an die Akademien in Dresden und Leipzig gelieferten Gipsabgüsse verrieten „ohne Ausnahme eine unglaubliche Genauigkeit, und den glücklichen Fleiß der Meisterhand“.326 Die tatsächliche Qualität der Abgüsse entsprach dem jedoch keineswegs: Nicht nur, dass der Laokoon und der Borghesische Fechter nicht von den Originalen abgeformt waren – wie sich herausstellte, war u. a. die Statue des Apoll vom Belvedere im Gipsabguss durch Weglassen der Stütze „verbessert“ worden – im 18. Jh. nicht unüblich – und laut Wieseler, der den Abguss noch selbst gesehen hat, außerdem unscharf.327 Gleiches gilt bzw. galt für die 1772 von Ferraris erworbenen Abgüsse des Krupeziontretenden Satyrn und der Venus Medici, die beide ebenfalls ohne Stütze geliefert worden waren.328 Der Abguss des Apoll wurde 1898, der der Venus 1906 durch den jeweils heute vorhandenen ersetzt.329 Auch den Abguss des Borghesischen Fechters bezeichnet Wieseler als flau. Da das heute in der Sammlung vorhandene Exemplar präzise ist, wurde dieser offensichtlich gegen den 1845 hinzugekommenen Abguss ausgetauscht.330 Der Laokoon wurde 1906 durch die ganze Gruppe ersetzt und ist heute nicht mehr vorhanden.331 Auch Heyne scheint die Qualität der von Ferraris gelieferten Abgüsse nicht auf Dau-

325 Arch. Inst. Heyne A 12: „Pünktliche Abschrift des Leipziger Attestats“ (21. Oktober 1774); Boehringer 1981, 281. – Vgl. auch schon davor die Empfehlung der Gebrüder Ferrari durch Raspe, „die auf meinen und anderer Liebhaber Rath endlich wagten, die Meister-Stücke der alten Skulptur durch Gips-Abgüsse über die Originale bekannter zu machen.“ (Briefentwurf an den Kanzler v. Dalberg in Erfurt, 2. Juni 1774, hier zitiert nach Hallo 1926, 279 Anm. 2). Auch in einem Brief an Wieland hatte Raspe diesen gebeten „dem guten Geschmak und den schönen Künsten einen recht wichtigen Dienst zu thun und der Gebrüder Ferrari endlich gewagtes Unternehmen nach allen Ihren Vermögen zu unterstützen. Es bestehet in nichts geringern als der Gemeinermachung der besten altern Sculpturen durch richtige Gyps-Abgüße über die Originale selbst geformt.“ (Brief aus Kassel, 2. Juni 1774, hier zitiert nach Seiffert 1983, 270 Nr. 288). 326 Wie Heyne erwarb auch Adam Friedrich Oeser 1774 für die Leipziger Akademie mehrere Gipsabgüsse von Ferraris, darunter den Laokoon und den borghesischen Fechter, sowie den Apoll vom Belvedere (den Heyne 1775 zuletzt kaufte); hinzu kamen mehrere Köpfe bzw. Büsten (Niobe, Homer, Venus), die ebenfalls für Göttingen erworben wurden, s. Rau 2003b, 83 Anm. 13; Dürr 1879, 83. 327 Boehringer 1981, 280 f.; Wieseler 1859, 18 Anm. 3. 328 Vgl. Boehringer 1981, 279 mit Anm. 26; Boehringer 1979, 111 Nr. 45. 46. 329 Fittschen 1990, 91 (A 348, Apoll vom Belvedere); Fittschen 1990, 113 (A 468, Venus Medici). 330 Fittschen 1990, 108 (A 446, sog. Fechter Borghese); Boehringer 1979, 106 Nr. 19. 331 Fittschen 1990, 111 (A 458, Laokoongruppe).

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2 Der Aufbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob Heyne

er überzeugt zu haben, so dass er nach dem Apoll vom Belvedere von weiteren Bestellungen bei ihnen absah.

Zur Praxis der Herstellung von Gipsabgüssen und der besonderen Rolle der Köpfe und Büsten Die Qualität eines Abgusses war schwer zu beurteilen. Ob ein Abguss präzise und originalgetreu und nicht etwa umgearbeitet war, ließ sich ohne Kenntnis des Originals kaum feststellen. Ein guter Abguss setzte zumindest voraus, dass die Gussform vom Original abgenommen war. Goethe berichtet von Händlern, die Originalabgüsse aus Italien mitbrachten, um von diesen weitere Abformungen herzustellen: Die Italiäner nämlich, welche die Messen beziehen, brachten manchmal dergleichen gute Exemplare [„Gypsabgüsse antiker Köpfe“, Anm. E. S.] mit, und verkauften sie auch wohl, nachdem sie eine Form darüber genommen.332

Und an anderer Stelle: Nachher fanden sich Gypsgießer in Frankfurt ein, sie hatten sich mit manchen Originalabgüssen über die Alpen begeben, welche sie sodann abformten und die Originale für einen leidlichen Preis abließen.333

Oft war es für die Abformer jedoch gar nicht möglich, an Originalformen zu gelangen (auch bei den erwähnten Abgüssen, die von Händlern auf Messen angeboten wurden, wird es sich oftmals nur um angebliche Originalabgüsse gehandelt haben). So sollen Ferraris einige Stücke „flüchtig und in der Eile auß der Farsettischen Sammlung in Venedig ohne Bewilligung der Besitzer auß besondrer Gefällichkeit der Aufseher der Formen“ gegossen haben.334 Die Gipsabguss-Sammlung Filippo Farsettis war nicht nur eine der größten, sondern auch eine der besten ihrer Zeit.335 Wie Winckelmann berichtet, hatte „der edle Venetianische Abt Farsetti mit Königlichen Kosten die besten alten Statuen in Rom abformen lassen“.336 Auch Goethe hat die Sammlung gesehen; in seiner Italienischen Reise schreibt er: In dem Hause Farsetti ist eine kostbare Sammlung von Abgüssen der besten Antiken. Ich schweige von denen, die ich von Mannheim her und sonst schon gekannt, und erwähne nur neuere Bekanntschaften. Eine Kleopatra in colossaler Ruhe, die Aspis um den Arm geschlun-

332 J. W. v. Goethe, Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit, Dritter Teil, Buch XIII = WA I, 28, S. 188 (hier zitiert nach Oswald 2007, 283). 333 J. W. v. Goethe, Italienische Reise, 14. April 1788 = WA I, 32, S. 324 (hier zitiert nach Oswald 2007, 283). 334 Arch. Inst. Heyne C 20; Kockel 2000, 48; Wieseler 1859, 18 Anm. 3; Boehringer 1979, 102 f.; Boehringer 1981, 281. 335 Röttgen 1981, 135; Rau 2003b, 83 Anm. 12. 336 Winckelmann 1764, 403.

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gen und in den Tod hinüber schlafend, ferner die Mutter Niobe, die ihre jüngste Tochter mit dem Mantel vor den Pfeilen des Apollo deckt, sodann einige Gladiatoren, ein in seinen Flügeln ruhender Genius, sitzende und stehende Philosophen.337

Das Anfertigen von Abgüssen nach Abgüssen war verbreitete Praxis (ebenso das Abformen von Bronzenachgüssen, wie sie beispielsweise Kassel besaß).338 Auch Anton Raphael Mengs (1728–1779) hat sich 1766 um Abgüsse aus der Sammlung Farsetti bemüht.339 Die Abgüsse aus der Mengsschen Sammlung waren ihrerseits von so guter Qualität, dass man von ihnen wiederum Formen für weitere Abgüsse anfertigen konnte.340 Häufig waren Abgüsse, die kopiert wurden, jedoch nachgearbeitet, so auch einige Stücke von Mengs. Das Nacharbeiten von Abgüssen galt jedoch im Allgemeinen durchaus nicht als unlauter, sondern wurde teilweise sogar als wünschenswerte Aufwertung der Vorlagen angesehen.341 Heyne teilte diese Ansicht jedoch keineswegs. In seiner Einleitung in das Studium der Antike von 1772 spricht er gar „von den Kopeyen, und dem hierunter herrschenden Betrug“, jedoch nicht ohne die Absicht, seinen Hörern im Gegenzug die „Vorschriften der Kunstverständigen zur Beurtheilung des Verfälschten und des Unächten“ an die Hand zu geben, sowie allgemein zum kritischen Umgang mit allen Arten von Reproduktionen aufzurufen: „Vorsicht bey dem Gebrauche der Kopeyen, Gypsgüsse und Kupferstiche.“ 342 In Ermangelung von Originalformen wurden sogar Abgüsse von frei geformten Nachbildungen nach Antiken angeboten. Auch davor warnte Heyne in seiner Vorlesung: „Man muß keine Abgüsse kaufen, welche in Formen gegossen sind, die über Nachbildungen, von neueren Bildhauern verfertiget, abgenommen worden.“ 343 Der Anspruch, nur qualitätvolle Abgüsse zu erwerben, die über die Originale abgeformt waren, und nicht ihrerseits über (nachgearbeitete) Kopien in Gips oder Bronze oder gar frei geformte Nachbildungen, bzw. die Schwierigkeit, solches über-

337 J. W. v. Goethe, Italienische Reise, 8. Oktober 1786 = WA I, 30, S. 134. – Bei der „Kleopatra“ handelte es sich um einen Abguss der schlafenden Ariadne im Vatikan – eine der verbreiteten Fehlinterpretationen jener Zeit, vgl. Parlasca 2000, 77. Allerdings hatte E. Q. Visconti die Statue bereits 1784 als Darstellung der schlafenden Ariadne identifiziert, s. Wolf 2002, 294 mit Anm. 1083. 338 Vgl. Döhner – Rüdiger 2004, 56. So sind laut Boehringer auch zwei der Niobidenköpfe, die Heyne von Ferraris erworben hat „mit Sicherheit nicht über die Originale geformt“, s. Boehringer 1981, 280; Boehringer 1979, 105 Nr. 13 (A 1345); Boehringer 1979, 106 Nr. 15 (A 1346). – Zu den Bronzenachgüssen antiker Statuen in Kassel s. Schweikhart 1979, 121. 124. 266–269 Nr. 519–522. 339 Röttgen 1981, 135 mit Anm. 27. Zur Sammlung der Gipsabgüsse von Anton Raphael Mengs in Dresden s. Kiderlen 2006. 340 Röttgen 1981, 139 f. 341 Schweikhart 1979, 121 mit Anm. 18. 342 Heyne 1772, 17. Kritisch äußert sich Heyne dort auch zum Thema Antikenergänzung und der „dadurch entstandenen fast allgemeinen Verfälschung“. Zu Heynes kritischer Haltung gegenüber den Reproduktionsmedien seiner Zeit, speziell Bildpublikationen und Gipsabgüssen, im Hinblick auf ihre dokumentarische Treue s. a. Graepler 2013a, 125. 127. 343 Heyne 1822, 63.

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haupt zu erkennen, wird vielleicht dazu beigetragen haben, dass in den nächsten Jahren in Göttingen zunächst keine neuen Abgüsse von Antiken hinzukamen.344 Die an den Stücken vorgenommenen Veränderungen waren oftmals nur geringfügig und daher umso schwerer festzustellen. Möglicherweise war Heyne dies inzwischen bewusst geworden und hatte ihn vorsichtiger werden lassen.345 Daneben waren, außer der üblichen Knappheit der Mittel, auch die Aufstellungsmöglichkeiten in den Räumen der Bibliothek begrenzt. Bereits 1774 hatte Georg Brandes an Heyne geschrieben: Daß Ferrari Sie in Versuchung geführet, begreife ich leicht, aber nicht, wo Sie mit den Sachen bleiben wollen. Jedoch das müßen Sie wißen, und nehmen Sie die beiden Stücke [gemeint sind der Laokoon und der Borghesische Fechter, Anm. E. S.] nur in Gottes Nahmen, wenn Sie selbige für 12 Pistolen erhalten können. Der Laokoon ist doch nicht die gantze Gruppe: wenigstens hat Herr von Busch nur den Vater allein, auch das, was Ferrari saget, nicht dafür bezahlet. Wie wir es mit der Bezahlung halten, komt am Ende auf eines hinaus. Können Sie einen Zuschuß thun, so wäre es vielleicht fürs gegenwärtige gut: sonst aber will ich es mal hinter eine Bücherrechnung flicken, damit auch nicht einst davon gesprochen werden dürfe.346

Die räumliche Knappheit mag auch einer der Gründe für die starke zahlenmäßige Präsenz kleinerer Abgüsse in der Göttinger Sammlung gewesen sein (v. a. Büsten bzw. Porträts und später auch einige kleinere Statuen) – ganz abgesehen von ihrer leichteren Transportierbarkeit (die unbeschadete Ankunft ganzer Statuen in Originalgröße stellte für die Lieferanten eine echte Herausforderung dar). Daneben kam Büsten bzw. Köpfen auch eine besondere eigene Bedeutung zu: Der Kopf konnte als stellvertretend für das ganze Werk betrachtet werden, die Physiognomie und die dargestellten Affekte waren wichtig, der Körper trat dahinter zurück.347 Da die Hauptaussage eines Werkes sich insbesondere in der Physiognomie und Mimik darzustellen schien, bedeutete die Reduktion auf das Büstenformat also weniger Beschränkung im Hinblick auf die Größe als vielmehr Konzentration auf die wesentliche Aussage des Werkes.348 Entsprechend wurden häufig auch Kopfausschnitte

344 Vielleicht musste Heyne in dieser Zeit seine Aktivitäten für die Gipsabguss-Sammlung auch aus privaten Gründen einschränken; Heeren berichtet: „Allein eben dieses Jahr 1775 ward für ihn ein Trauerjahr. Er bezog diese neue Wohnung noch mit seiner Gattin; sie sollte aber das Jahr nicht mehr darin endigen.“ (Heeren 1813, 167). 345 Zu Heynes Bemühen um Originalabgüsse s. Boehringer 1979, 102 f.; Boehringer 1981, 280 f. 346 SUB, Cod. Ms. C. G. Heyne 125 (Brandes, Briefe an Heyne Bd. 3 1774/75), Nr. 31 (Hannover, den 18. Apr. 1774); auch SUB, Bibl. Arch. A 33 c 23 (13), Briefauszüge Reuß, Brandes in Hannover an Heyne (18. April 1774). 347 Vgl. Boehringer 1981, 279; Rau 2003b, 61 (mit Verweis auf das Erscheinen der Physiognomischen Fragmente Johann Caspar Lavaters 1775–1778). – Damit einher ging auch eine Reduktion des Bildausschnittes und eine stärkere Fokussierung auf das Gesicht in der Porträtmalerei. Zudem nahmen Porträtbüsten im Werk der meisten Bildhauer des 18. Jhs. einen breiten Raum ein. 348 Vgl. dagegen Winckelmann, für den die Gattung Porträt nicht im Zentrum des Interesses stand, s. Heskia 2007, 75.

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berühmter, im Original durchaus vollständig erhaltener Statuen, quasi im Sinne eines Pars pro Toto, als Büsten verwendet (z. B. des Laokoon oder des Apoll vom Belvedere).349 Ähnlich verfuhr man im Übrigen auch mit stark fragmentierten Statuen; statt diese zu ergänzen, wurden sie häufig zu Büsten oder Köpfen umgearbeitet.350 Einen Sonderfall stellt die „Venus Jenkins“ dar: Ihr antiker, aber ursprünglich nicht zugehöriger Kopf fand mit der Schulterpartie der ganzen (teilweise modern ergänzten) Statue als neue Büste Verbreitung.351 Allerdings lässt sich in Göttingen im Rahmen der Möglichkeiten durchaus eine Affinität zu ganzen Figuren feststellen (galt die Statue doch auch Winckelmann als das Ideal der Kunst): So wurde die Büste des Laokoon in der Bibliothek sehr bald durch die ganze Statue des Vaters, später durch die gesamte Gruppe ersetzt.352 Der ganz zu Beginn erworbene Kopf der Venus Medici ist schon bald nicht mehr in der Sammlung nachweisbar, seit 1772 jedoch die ganze Statue. Ähnliches gilt für die 1771 hinzugekommene Büste des Apoll vom Belvedere: 1775 wurde der ganze Apoll erworben und in der Bibliothek aufgestellt, die Büste ist dort im Verzeichnis von 1788 bereits nicht mehr erwähnt, hat sich aber – anders als die Statue des Apoll – bis heute in der Göttinger Sammlung erhalten. Über mehrere Jahre kamen keine weiteren Antikenabgüsse hinzu. 1776 schenkte die englische Königin Sophie Charlotte, geb. Prinzessin von Mecklenburg-Strelitz, jedoch eine Marmor-Büste König Georgs III., aufwendig dargestellt mit Hermelinmantel und Kette des Hosenbandordens.353 Auch weil es sich um das erste neuzeitliche rundplastische Porträt im Besitz der Göttinger Universität handelte, war es nicht ganz einfach, einen angemessenen Platz zu finden. Da sich an der prominentesten Stelle am Kopfende des großen Bibliothekssaales (Historischer Saal im oberen Stockwerk) bereits das gemalte Bildnis des Universitätsgründers Münchhausen befand, und man andererseits der Ansicht war, „daß gegen dem Münchhausenschen Bilde über ihr rechter Platz nicht sey, sondern daß der erste und vornehmste Platz auf der Bibliothek da sey wo jezo die Venus oder der Kämpfer stehet in der Mitte

349 Vgl. die Göttinger Laokoon-Büste, s. Boehringer 1979, 112 Nr. 60, sowie die Büste des Laokoon im Katalog der Rostschen Kunsthandlung, s. Rost 1794, 49 Nr. 14. Zur Büste des Apoll in Göttingen s. Boehringer 1979, 112 Nr. 59; bei Rost: Rost 1794, 48 Nr. 7 („Apollo Pythius“). – Vgl. HofstetterDolega 1998, 89: „Die verkürzte Darstellung in Büstenform entspricht den Forderungen Lessings an die bildende Kunst, eine beabsichtigte moralische Wirkung beim Betrachter hervorzurufen, im Falle des Laokoon Mitleid, Betroffenheit, eigenes Weiterdenken über das Schicksal. Das Kunstwerk muss ästhetisch befriedigen, den Betrachter fesseln und dazu Freiraum bieten zu eigener gedanklicher Auseinandersetzung. Diesem Zweck wurde die Darstellung in Büstenform noch mehr gerecht, da sie, lediglich Denkanstoß, eine gewisse Distanz hervorrief.“ 350 Vgl. G. B. Casanova: „In Rom kann man häufig sehen, dass fragmentierte Statuen zu Büsten oder Köpfen verkleinert werden.“ (Michaelis 1882, 83, hier zitiert nach Rügler – Kunze 1998, 99 f.). 351 Vgl. Jones 1990, 14; vgl. Boschung – v. Hesberg 2007, 33. 352 Vgl. Inventar 1788 (Boehringer 1981, 286 f.); Boehringer 1979, 110 Nr. 39. 353 Pütter 1788, 218; Döring 1994, 12 f.; Arndt 1994, 59 Nr. 63. – Auch die drei jüngsten Söhne Georgs III. studierten in Göttingen (1786–1791), s. Pütter 1838, 60; Unger 1861, 94.

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2 Der Aufbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob Heyne

des nördlichen historischen Saals“,354 wurde die Büste schließlich dann dort aufgestellt (auf einem Postament, vor einem Fenster in der Mitte der nach Norden ausgerichteten Langseite). In diesem Saal befanden sich aller Wahrscheinlichkeit nach zu dieser Zeit bereits einige Gipsabgüsse der Herrenhäuser Büsten (zwölf sind im Historischen Saal belegt durch das Verzeichnis von 1788).355 Die Schenkungen aus der Sammlung Wallmoden und die Praxis des Ergänzens Erst 1781 wurde die Sammlung wieder um einige Abgüsse von Antiken reicher: Graf Johann Ludwig von Wallmoden (1736–1811) aus Hannover schenkte der Göttinger Sammlung Gipsabgüsse von vier kleineren Statuen und vier Büsten in seiner Sammlung.356 Wallmoden war der Sohn des hannoverschen Kurfürsten und englischen Königs Georg II. und der Gräfin von Wallmoden-Yarmouth. Er hatte 1765/66 selbst mit dem Aufbau einer Antikensammlung begonnen – der ersten privaten Antikensammlung auf deutschem Boden. Sie umfasste neben fast 50 antiken Skulpturen auch ungefähr 30 neuzeitliche Marmorkopien und -nachbildungen.357 Wallmoden sorgte dafür, dass die Sammlung auch der Öffentlichkeit zugänglich war; zusätzlich bot eine Sammlung von Gipsabgüssen, bestehend aus Büsten, Torsen und einzelnen Gliedmaßen (darunter auch mehrere Laokoon-Teilstücke), Zeichenschülern Gelegenheit zum Üben.358 Seit dem Heyne-Jubiläum im Jahr 1979 (anlässlich seines 250. Geburtstages) befinden sich die erhaltenen Stücke der Sammlung Wallmoden als Dauerleihgaben S. K. H. Prinz August von Hannover im Archäologischen Institut der Universität Göttingen.359 Die vier als Abgüsse geschenkten Figuren waren: der Knabe mit der Traube (Inventar 1788: „ein junger Bacchus“),360 die bekannte sog. Knöchelspielerin (Abb. 53; „liegende Nymphe“)361 – beide bis heute sowohl in der Abguss-Sammlung Göttin-

354 SUB, Bibl. Arch. A 33 c 23a (14b): Brief Schernhagens vom 15. 8. 1776 aus Hannover. 355 SUB, Bibl. Arch. A 33 c 25 (43). 356 Arch. Inst. Heyne A 14: Liste Wallmoden, handschriftlich von Heyne („geschenkte Abgüsse den 29. April 1781“); Boehringer 1981, 281 f. 357 Boehringer 1997, 59. Die neuzeitlichen Kopien überstanden den Zweiten Weltkrieg größtenteils nicht, da man darauf verzichtet hatte sie auszulagern (diese aber noch beschrieben in Anonymos 1781). 358 Boehringer 1997, 60; Döhl 2003, 26. – Außerdem verfügte auch die Sammlung Wallmoden über eine sog. „Kaisergalerie“, s. Döhl 2003, 23 f. Anm. 15. Diese scheint jedoch nur zum Teil mit der Herrenhäuser Bildnisgalerie übereingestimmt zu haben. 359 Fittschen 1979a, 6. 360 Slg. Wallmoden 1979, 46–48 Nr. 13 (H. Döhl); zum Gipsabguss s. Boehringer 1979, 112 Nr. 51. 361 Slg. Wallmoden 1979, 43–46 Nr. 12 (H. Döhl); zum Gipsabguss s. Boehringer 1979, 112 Nr. 52; Cavaceppi 1768, Taf. 60. Über die Entdeckung der Knöchelspielerin zus. mit einem Gegenstück (im British Museum) hatte Winckelmann Heyne per Brief aus Rom persönlich unterrichtet, s. Briefe Winckelmanns an Heyne vom 1. oder 5. 12. 1765 und vom 28. 12. 1765 (Rehm – Diepolder 1956, 140 f.

2.2 Erwerbungsgeschichte

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Abb. 53: Sog. Knöchelspielerin („liegende Nymphe“), Gipsabguss, Archäologisches Institut Göttingen, A 481.

gen als auch in der Sammlung Wallmoden erhalten – und neuzeitliche Verkleinerungen der sog. Kauernden Aphrodite („kleine Venus“)362 und der sog. Flora vom Kapitol 363 (beide Abgüsse verloren, bereits 1859 nicht mehr nachweisbar). Für die Abgüsse der beiden Verkleinerungen gibt das Inventar von 1788 eine Aufstellung im „Bibliothekariats-Zimmer“ der Göttinger Universitätsbibliothek an, offensichtlich nicht zusammen mit weiteren Gipsabgüssen.364 Von den vier geschenkten Büsten haben sich nur zwei als Abgüsse erhalten, zwei sind verloren. Die beiden nicht erhaltenen Stücke sind die Gipsbüsten des „Mars“ (Replik des sog. Ares Borghese)365 und des „Scipio Africanus“ 366. Letzterer

143; GGA 1766, 9. Stück/20. Januar 1766, S. 65–67). – Zur Knöchelspielerin in Göttingen und weiteren Adaptionen s. Schade 2000, 91–110. 362 Wohl nach Kauernder Florenz, Uffizien, Inv.-Nr. 188, s. Boehringer 1981, 287; Boehringer 1979, 112 Nr. 57. 363 Boehringer 1979, 112 Nr. 58. 364 Boehringer 1981, 287. 365 Boehringer 1979, 106 f. Nr. 21; Cavaceppi 1768, Taf. 53; vgl. Slg. Wallmoden 1979, 19 Abb. 7. 366 Boehringer 1979, 113 f. Nr. 64.

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2 Der Aufbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob Heyne

ist in Form einer neuzeitlichen Bronzemaske, aufmontiert auf einen Kopf mit Büste aus schwarzem Stein, noch in der Wallmodenschen Sammlung vorhanden.367 Der Gipsabguss des „Scipio Africanus“, der sich heute in der Göttinger Abguss-Sammlung befindet, stammt jedoch von der barocken Büste in Hannover-Herrenhausen.368 Beide neuzeitlichen Exemplare (Wallmoden und Herrenhausen) gehen offenbar auf denselben Basaltkopf in Rom, Palazzo Rospigliosi zurück.369 Erhalten sind dagegen die Gipsbüsten des „Trajan vulgo Cicero“ 370 und des „Julius Caesar“.371 Die Vorlage des „Julius Caesar“, der „Julius Caesar“ der Sammlung Wallmoden (eigentlich das spätrepublikanische Bildnis eines kahlköpfigen Mannes), ist heute verschollen, aber in Form des Gipsabgusses überliefert. Eine Zeichnung im Codex Kielmannsegg,372 der offensichtlich Zeichnungen und Texte zu der von Raspe geplanten bebilderten Publikation der Wallmodenschen Sammlung enthält, belegt die Übereinstimmung der Bildnisse.373 Demselben Typus entspricht auch die Fürstenberg-Büste „Julius Caesar“, die demnach nach dem Vorbild des Marmor-Bildnisses der Sammlung Wallmoden gefertigt sein dürfte – der Göttinger Abguss scheidet jedenfalls als Vorlage aus, denn das Porzellan-Porträt ging bereits 1771 in Serie.374 Auch die andere der beiden erhaltenen Büsten („Trajan vulgo Cicero“) stellt einen unbekannten Mann dar, zwar trajanischer Zeit, jedoch nicht Trajan selbst, wie Raspe im Katalog zur Wallmodenschen Sammlung behauptet und auch auf dem ergänzten Büstenfuß der Marmorbüste zu lesen ist.375 Der Fuß des Gipsabgusses trägt hingegen den Schriftzug „Cicero“, und unter diesem Namen ist die Büste auch im Göttinger Verzeichnis von 1788 aufgeführt.376 Zu dieser Benennung mag die auf-

367 Slg. Wallmoden 1979, 66 Nr. 25. 368 Boehringer 1979, 110 Nr. 40. 369 Boehringer 1979, 114 Nr. 64. 370 Boehringer 1979, 112 Nr. 56. 371 Boehringer 1979, 107 Nr. 23; Raspe 1767, 228 Nr. 24. 372 Slg. Wallmoden 1979, 19 Abb. 6. 373 Diese Publikation hatte Raspe bereits in seiner ersten Nachricht von der Kunstsammlung angekündigt (Raspe 1767, 237 f.): „(…) und ob sie [die Nachrichten, Anm. E. S.] gleich anfangs zu einer vollständigern Beschreibung dieser ganzen vortrefflichen Sammlung, die wir hiermit unsern Lesern ankündigen, und wozu die in Rom gemachten Zeichnungen schon fertig sind, bestimmt waren; so wollen wir sie doch lieber itzt gleich abdrucken lassen, als den Kenner bis auf jene vollständigere Beschreibung vertrösten.“ Nicht alle der bereits gezeichneten Stücken gelangten dann auch tatsächlich in die Wallmodensche Sammlung, vgl. Müller 1979, 12 f. 374 Zur Porzellan-Büste vgl. Schroeder – Damaschke 1996, 138 Nr. 159 mit Abb.; Wolff Metternich – Meinz 2004, 234. 375 Raspe 1767, 232 Nr. 31; Slg. Wallmoden 1979, 73 f. Nr. 31 (K. Fittschen); zum Gipsabguss s. Boehringer 1979, 112 Nr. 56. 376 Für den „Philologischen Saal“ sind in diesem und dem späteren Verzeichnis tatsächlich zwei Büsten unter der Bezeichnung „Cicero“ belegt, vgl. auch Boehringer 1979, 112 Nr. 54. 56. Der andere „Cicero“ gehört zu den ersten Erwerbungen Heynes; es handelt sich um einen Abguss eines Herrenhäuser Kopfes.

2.2 Erwerbungsgeschichte

261

fällige Warze auf der rechten Wange beigetragen haben – gleichzeitig ein Ausschlusskriterium für eine Deutung als Kaiserporträt.377 Das Porträt ist noch heute Teil der Sammlung Wallmoden. Viele Stücke der Wallmodenschen Sammlung sind von dem Bildhauer Bartolomeo Cavaceppi (1716–1799) ergänzt oder kopiert worden. Im von Raspe verfassten Katalog der Sammlung Wallmoden aus dem Jahr 1767 sind zu allen Stücken etwaige Ergänzungen aufgeführt und auch die jeweiligen Ergänzer namentlich genannt.378 Die sorgfältige Angabe der Ergänzungen diente, wie im Katalog der Sammlung von 1781 (wahrscheinlich durch Raspe) erläutert wurde, dazu, „die Augen der angehenden Kenner, durch die anzustellende Vergleichung des besten, guten, und mittelmäßigen, an die Unterscheidung zu gewöhnen, die bey ihnen der erste Schritt zur verbesserten Kenntniß seyn würde.“ 379 D. h. hier sollte nicht zur Unterscheidung von ursprünglichem Bestand und modernen Ergänzungen angeleitet werden, sondern dazu, Qualitätsunterschiede zwischen verschiedenen Ergänzungen wahrzunehmen. Die Praxis des Ergänzens als solche wurde nicht in Frage gestellt.380 Von Nutzen und Notwendigkeit moderner Ergänzungen war auch der typische zeitgenössische Sammler der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts überzeugt: Für ihn stand die ästhetisch zufriedenstellende Wiederherstellung der Vollständigkeit des antiken Kunstwerkes im Vordergrund, galt diese doch als Voraussetzung für die „Empfindung des Schönen“.381 Durch Ergänzungen, auch von Attributen, sollte das Werk außerdem wieder ikonographisch eindeutig gekennzeichnet und damit inhaltlich benennbar sein.382 Welchen Stellenwert die Originaltreue bei der Beurteilung der Qualität der Ergänzungen hatte, geht aus Raspes Text nicht hervor; seine Erläuterungen zur Perseus-Andromeda-Gruppe383 – einst als das bedeutendste Werk der Sammlung Wall-

377 Slg. Wallmoden 1979, 73 f. Nr. 31 (K. Fittschen); Boehringer 1997, 63. 378 Raspe 1767, 239–243. So auch im Katalog der Sammlung von 1781 (Anonymos 1781). 379 Anonymos 1781, S. IV. 380 Vgl. auch Anonymos 1781, S. III: „Ergänzungen sind also unumgänglich, und benehmen dem Werke selbst seinen Werth nicht.“ – Gleichwohl wird „Unerfahrne(n) und Anfänger(n) in der Kunst“ zugestanden, sich darüber zu „wundern, daß man bey den antiken Statuen die ergänzten Stücke sämtlich angeführt (…)“; diese würden außerdem „vielleicht ergänzte Statüen, und geflickte und übermahlte Gemählde, in eben die Classe setzen.“ (Anonymos 1781, S. II). 381 Vgl. Müller 1979, 16 f.; Schweikhart 1979, 124 f.; Raspe 1767, 239. – Vgl. dazu auch die antiken Marmorskulpturen der Sammlung des Fürsten Leopold Friedrich Franz von Anhalt-Dessau (1740– 1817) in Wörlitz, die im Sinne einer dekorativen Aufstellung alle in Rom ergänzt worden waren, s. Lullies 1981, 203. 382 Vgl. Boehringer 1997, 61; Pfeifer 1999, 200. – Dies steht im Prinzip im Gegensatz zur künstlerischen Antikenrezeption, deren Aufmerksamkeit vor allem der Form, und darin der Intention des Bildhauers, weniger den inhaltlich-ikonographischen Aspekten galt (analog dem oft unvollständigen Erhaltungszustand der Antiken), vgl. Nebendahl 1990, 127. 383 Slg. Wallmoden 1979, 25 f. Nr. 1 (H. Döhl). Ein Abguss der Gruppe gelangte erst 1862 nach Göttingen, s. Fittschen 1990, 118 (A 487).

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2 Der Aufbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob Heyne

moden angesehen – belegen aber, dass es ihm durchaus maßgeblich erschien, dass der Ergänzer sich am Erhaltenen orientierte: Die Ergänzungen sind von Barthol. Cavaceppi, und machen diesem vortrefflichem Künstler ungemein viel Ehre. Er hat den Styl und den Ton des Ganzen so gut zu treffen gewußt, daß man eben seine Ergänzungen zur Widerlegung der eigensinnigen Alterthumskenner gebrauchen kann, die nicht zugeben wollen, daß ein neuerer Künstler die Vortrefflichkeit der Alten erreichen könne. Diese zeigt sich zur Erniedrigung neuerer Künstler in einer in den geringsten Theilen des Ganzen beybehaltenen Uebereinstimmung des Ausdrucks und der Handlung; und sich in diese, nach Maasgabe der wirklich alten Theile der Figuren, hineinzudenken, wie Cavaceppi so glücklich gethan hat, ist eben desfalls der größte Beweis seiner Kunst.384

Dabei war es offensichtlich weniger wichtig, dass die ergänzten Teile tatsächlich in formaler Hinsicht den ursprünglichen Zustand wiederherstellten (von eigentlichen „Rekonstruktionen“ kann daher kaum die Rede sein). Neben dem ästhetischen Aspekt sollte der Figur durch die Vervollständigung vor allem wieder ein „Sinn“ gegeben werden, der ebenfalls nicht mit dem ursprünglichen übereinstimmen musste.385 Bei der eigentlichen Ergänzung konnte man sich kaum an der Ikonographie antiker Darstellungen orientieren, denn die antike bildliche Tradition war noch nahezu unbekannt, daher ergänzte man vielmehr auf Grundlage der literarischen Überlieferung zu der Gestalt oder Person, die man dargestellt vermutete.386 Dies führte dazu, dass auf diese Weise auch mythologische Episoden zu großplastischer Darstellung kamen, die in dieser Form gar kein Teil der antiken Bilderwelt gewesen waren.387 Seit Winckelmann wurden Ergänzungen dann auch danach beurteilt, ob sie in stilistischer Hinsicht dem antiken Befund entsprachen, um eine homogene Gesamtwirkung zu gewährleisten.388 Zur Ergänzung wurden neben neuen Zusätzen häufig auch nicht zugehörige antike Fragmente angefügt. Umgekehrt pflegte man als störend empfundene Bestandteile wie verbindende Stege oder Stützen zu entfernen.

384 Raspe 1767, 239. Zu den von Raspe so bezeichneten „eigensinnigen Alterthumskennern“ könnte man im Prinzip auch Winckelmann rechnen: „Es war die Statue ohne Kopf, was ihren Wert erheblich minderte, um so mehr als es vermessen gewesen wäre, wenn unter einem von unseren Bildhauern einer gewesen wäre, der sich kompetent gefühlt hätte, ein derartig perfektes Werk zu ergänzen.“ (Winckelmann über die Statue einer Aphrodite (Variante des Typus Kapitol) in: J. J. Winckelmann, Unbekannte Schriften, 42, hier zitiert nach Kunze 1998, 106). Allerdings fanden gerade Cavaceppis Arbeiten als einzige unter den Werken der restaurierenden Künstler durchaus Gnade vor den Augen Winckelmanns, vgl. Kunze 1998, 108 f. 385 Geominy 2000, 96. 386 Vgl. Döhner – Rüdiger 2004, 54. 56; Geominy 2000, 96. 387 So geschehen z. B. im Falle der Aphrodite von Arles, die durch Ergänzung einer Hand, die einen Apfel in die Höhe hält, auf das Paris-Urteil Bezug nahm, s. Geominy 2000, 97. 388 Kunze 1998, 105. – Zum Thema Antikenergänzung allgemein s. Gesche 1981 bzw. Kocks 1981; interessant zur Geschichte und Praxis der Antikenergänzung außerdem Geominy 2000.

2.2 Erwerbungsgeschichte

263

Entgegen der gängigen Praxis war Heyne davon überzeugt, dass gerade Ergänzungen und Veränderungen an den Werken irreführend seien und in Bezug auf die „Idee des Werkes selbst“ – also das ursprüngliche Thema – zu Fehlinterpretationen der gesamten Figur führten.389 Er kritisiert den seiner Ansicht nach zu unbekümmerten Umgang mancher Antiquare mit ergänzten Werken: So wie ihm [dem Antiquar, Anm. E. S.] gemeiniglich eine Münze, ein geschnittener Stein, ein erhobnes Werk für ein altes Werk gilt, weil es einmal dafür gehalten wird: so nimmt er die Statue, so wie sie da stehet, für des alten Künstlers Arbeit an: die ganze Gruppe, der Farnesische Stier, ein Ungeheuer der Ergänzung, ist bis auf den Strick ein schönes altes Werk: und nun wird gedeutet, erklärt, geschwatzt; und alles fällt über den Haufen, so bald man forscht, wie fern das Stück alt und ächt ist.“ 390

Auch in seiner Vorlesung äußerte Heyne Bedenken gegenüber der Praxis der Antikenergänzung und der „dadurch entstandenen fast allgemeinen Verfälschung“.391 In der Tat erscheint das Unterfangen, Antiken, deren Attribute und ikonographischer Kontext fehlten, mit Hilfe vermeintlich „passender“ Textstellen verlässlich zu ergänzen, nicht unproblematisch. Denn bereits der Auswahl dieser Textstellen ging ja – und damit schließlich den Ergänzungen selbst – eine inhaltliche Deutung ohne eigentliche Grundlage voraus. D. h. eine unter Umständen subjektive oder gar willkürliche Interpretation eines aufgrund fehlender Anhaltspunkte per se bedeutungsoffenen Kunstwerkes konnte über dessen künftige ikonographische Identität entscheiden, wobei schlicht in Kauf genommen wurde, dass diese von der ursprünglichen abwich.392 Weitere Erwerbungen und Schenkungen Im Jahr 1780, noch vor den Schenkungen Wallmodens für die Göttinger Sammlung, hatte sich Heyne um einen Abguss des Torso im Belvedere bemüht, wenn auch

389 Vgl. Heyne 1778a, 17. Vgl. auch Heyne 1779b, 180, der betont, der ergänzende Künstler solle in jedem Fall die von ihm vorgenommenen Ergänzungen anzeigen; dazu Bräuning-Oktavio 1971, 36 f. 390 Heyne 1779b, 174. Einen detaillierteren Vergleich der hier zitierten Schrift Heynes mit einer Abhandlung Winckelmanns zum Thema Antikenergänzung bietet Kunze 2003. 391 Heyne 1772, 17. Zu Heynes kritischer Haltung gegenüber Antikenergänzungen s. a. Graepler 2013a, 125. Dabei war Heyne nicht der einzige, dem die Problematik der Veränderung und Umdeutung durch Ergänzungen bewusst war, vgl. Schweikhart 1979, 124 f. mit Anm. 54: „Hundert Fehler sind entstanden, weil man das Neue für Alt hielt und die hinangeflickte Aktion für wesentlich der Hauptfigur ansah.“ (Lobschrift Herders auf Winckelmann, zitiert nach Schulz 1963, 44; auch zitiert bei Schweikhart 1979, 126 Anm. 54). – Zu „verfälschenden Restaurierungen“ vgl. auch Wolf 2002, 290 Anm. 1066 mit weiterführender Literatur. 392 Welche Konsequenzen sich daraus ergeben können, erläutert Heyne am Beispiel der zahlreichen Venusstatuen: „Man hat im Alterthum so viele andre weibliche Statuen von Göttinnen, Heldinnen und Sterblichen verfertiget: sollten diese alle sich verloren, und nur die Statuen der Venus sich in solcher Menge erhalten haben? Wenn sich aber eben so wohl jene zahlreichen Heldinnen, oder ihre Copeyen, hie und da in verstümmelten Stücken, erhalten haben, woran könnte man sie jezt

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2 Der Aufbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob Heyne

vergebens.393 Graf L. von Savioli, der bei diesen Bemühungen nach Kräften hilfreich zur Seite gestanden hatte, konnte Heyne aber bald auf eine Statuenversteigerung in Bologna aufmerksam machen, bei der u. a. für Abgüsse des Borghesischen Fechters und eines „Silenus in Villa Medici“ – eine bronzene Renaissance-Replik des Silens mit dem Dionysosknaben – geboten werden konnte. Im Falle des Silens war Heyne erfolgreich;394 bis der Abguss jedoch 1783 in Göttingen eintraf, sollten fast zwei Jahre vergehen, und auch die Kosten des überaus aufwendigen Transportes zu See, Fluss und Fuhrwerk waren nicht unerheblich: Sie übertrafen den Betrag, um den der Abguss ersteigert worden war, noch um mehr als das Doppelte.395 1782 bestellte Heyne beim Leipziger Kunsthändler Rost, der einen Subskriptionsverkauf von Gipsabgüssen ausgeschrieben hatte, drei Statuen: die „Agrippina“ (eigentlich eine Muse, sog. Ariadne) und die große „Vestale“ (sog. Große Herkulanerin) in Dresden, dazu wiederum eine Venus Medici – letztere wohl als Ersatz für den wenig qualitätvollen Ferrari-Abguss.396 Offensichtlich hatte er die Hoffnung, bei Rost bessere Abgüsse zu bekommen, schließlich warb dieser damit, „der größte Theil folgender Statüen (sei) über die vortrefflichen Originale in der Churfürstlichen Antiquitätensammlung zu Dresden, auf die ihm gnädigst verstattete Erlaubniß, geformt“.397 Den erforderlichen Antrag konnte Heyne jedoch erst 1785 stellen; außer der bis dahin noch bestehenden räumlichen Enge in den Räumen der Bibliothek lag der Grund wohl vor allem in einem finanziellen Engpass, da auch der teure Transport des Silens zunächst noch nicht abgeschlossen war. Schließlich konnte Heyne

erkennen? Man begnügt sich also, eine Venus durch die Ergänzung daraus zu machen.“ (Heyne 1778b, 138). 393 Arch. Inst. Heyne B; Boehringer 1981, 282; Wieseler 1859, 3 legt den Versuch erst in das Jahr 1788, ihm folgt noch Boehringer 1979, 103. – Gescheitert ist das Unterfangen jedoch nicht daran, wie Boehringer 1981, 282 annimmt, dass Mannheim keine Form des Torso vom Belvedere besessen hätte, sondern offenbar handelte es sich vielmehr um die Konsequenz eines kurfürstlichen Erlasses, nach dem „die vorräthigen formen der Antiken durchaus zu keinem anderen gebrauch, als für die kurfürst. sammlungen zu bestimmen seyen (…)“ (Brief Carl Theodors an die Kurfürstliche Zeichnungsakademie vom 10. November 1779, BayHStA, Fürstensachen 832 1/3 fol. 18, hier zitiert nach Hofmann 1982, 336), vgl. Hofmann 1982, 336. 394 Florenz, Uffizien (bronzener Nachguss um 1570 nach der Borghesestatue im Mus. du Louvre, Inv.-Nr. MA 922); Boehringer 1979, 106 Nr. 18; Haskell – Penny 1982, 307 f. Nr. 77 Abb. 162. 395 Boehringer 1981, 282. Zu dem ganzen Vorgang s. Briefe an Heyne, Arch. Inst. Heyne B; vgl. Wieseler 1859, 21 Anm. 9; SUB, Bibl. Arch. A 33 c 25 (44). 396 Dresden, Skulpturensammlung, Inv.-Nr. H 241 bzw. H 326; Boehringer 1981, 282 f.; Arch. Inst. Heyne C; vgl. o. Anm. 328. 397 Boehringer 1981, 282 f.; Katalog der Rostschen Kunsthandlung von 1782 (von Heyne zur Unterstützung seines Antrages an das Hohe Curatorium gesandt, s. SUB, Bibl. Arch. A 33 c 23b); vgl. Katalog Rost 1794, 5 sowie Heynes Rezension dieses Kataloges in GGA 1795, 17. Stück/29. Januar 1795, S. 164: Die Rostische Kunsthandlung hatte die „Erlaubniß, die Statuen und Büsten des ersten Ranges aus der churfürstlichen Antiken-Sammlung zu Dresden abzuformen“. – Zur Dresdner Antikensammlung des Kurfürsten Friedrich August I. von Sachsen, genannt „August der Starke“ (1670– 1733), s. Raumschüssel 1981, 169–186.

2.2 Erwerbungsgeschichte

265

den Preis auf 110 Taler für die beiden erstgenannten Dresdner Stücke herunterhandeln; auf die mediceische Venus verzichtete er ganz.398 Möglicherweise hatte er inzwischen bereits erfahren, dass diese nach einer Form von Ferraris gegossen war – im Katalog der Leipziger Kunsthandlung von 1786 schreibt Rost wenig später, er habe vor einigen Jahren von den Gebrüdern Ferrari deren beste Formen übernommen.399 Jedenfalls beantragte Heyne schließlich nur Mittel für Abgüsse der „Agrippina“ und der „Vestale“: In dem neuen Saal der Bibliothek ist die Nische für Ihro Maj. unsers Königes Bildniß als Büste, so gemacht worden, daß am andern Ende des Saales gegen über eine andre Nische angebracht ist. Der enge Raum der Wand zwischen den beyden Bogenportalen in den alten theologischen Saal ließ sich sonst weder mit Bücherrepositorien wohl bekleiden, noch konnte er ganz leer und unbekleidet stehen bleiben. In diese Nische gehört nun eine Gypsstatue. Da in Leipzig ein Kunsthändler Rost die Erlaubniß erhalten hat, die beßten Antiken aus der Churfürstl. Antikensammlung in Dresden abzuformen, und mir von ihm ein Verzeichniß zugeschickt worden, worinn er sich gegen mich zu billigern Preisen verstehen will; welches ich zugleich hier beylege. Nun sind in demselben zwey vortreffliche Stücke: p. 15 die erste große herkulanische Matrone, oder, wie sie gemeiniglich heißt, Vestale, und p. 16 die Agrippina die er jede zu rt 75 lassen will. Das Ideal erforderte eigentlich beyde Stücke: indem ausser jener Nische noch in der Mitte ein Platz ist, welcher auch mit einer Gypsfigur versehen seyn sollte. Wenn sich indessen die Ausgabe als dann zu hoch belaufen sollte: so will ich mittlerweile nur auf eine dieser Figuren unterthänigst antragen. Göttingen, den 29. Aug. 1785 Chr. G. Heyne.400

Heynes Antrag war erfolgreich – 1785 gelangten die Abgüsse der „Agrippina“ und der „Vestale“ nach Göttingen (Abb. 54).401 Inzwischen hatte sich auch die räumliche

398 SUB, Bibl. Arch. A 33 c 25 (44): „Von Rost in Leipzig die Agrippina u. Vestale überlassen für 110 rth. (Jun. 1785), Fracht 27 rth., Aufstellen 17 rth., [zusammen, Anm. E. S.] 154 rth.“; vgl. Arch. Inst. Heyne C (Firma Rost, Korrespondenz). 399 Boehringer 1981, 283 mit Anm. 41; Rost 1786, 5: „Die Gebrüder Ferrari, welche in Italien richtige und scharfe Formen über einige vorzügliche Originale, unter der Aufsicht entscheidender Kenner gemacht hatten, kamen vor einigen Jahren damit nach Leipzig und veranlassten mich, einen käuflichen Accord über den bessten Theil ihrer Formen zu treffen, ich übernahm solche unter der Aufsicht einiger Kenner und legte damit den Grund zu einen (sic) wichtigen Unternehmen dieser Art.“ Im Katalog von 1779 hatte Rost noch angegeben, die mediceische Venus sei „über das wahre antique Original zu Florenz geformt“ (Rost 1779, 21). 400 SUB, Bibl. Arch. A 33 c 23b: Unterthänigstes Pro Memoria, 29. August 1785. – Von der Venus Medici ist keine Rede (mehr), vgl. Arch. Inst. Heyne C (Firma Rost, Korrespondenz). Interessanterweise argumentiert Heyne mit der Notwendigkeit der „Bekleidung“ leerer Wandflächen; außerdem appelliert er an die Ehrerbietung gegenüber dem König (vielleicht sogar an dessen Eitelkeit): Die Königsbüste werde durch die Aufstellung weiterer Abgüsse in ihrer Wirkung gesteigert. Wieder ist die „Zierde“ das Hauptargument, während die Abgüsse in ihrer Funktion als Lehr- oder Anschauungsmaterial keine Erwähnung finden. 401 Boehringer 1979, 104 Nr. 2; Boehringer 1979, 106 Nr. 17.

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2 Der Aufbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob Heyne

Abb. 54: Sog. Große Herkulanerin, Gipsabguss, Archäologisches Institut Göttingen, A 355.

2.2 Erwerbungsgeschichte

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Situation durch den Umbau bzw. die Erweiterung des Bibliotheksgebäudes zwischen 1785 und 1788 wieder entspannt.402 Davor wäre die Unterbringung weiterer ganzer Statuen sicher schwierig gewesen. Im Zuge der baulichen Erweiterung des Bibliotheksbaues, durch die ein zweiter großer Bibliothekssaal im Untergeschoss eingerichtet werden konnte, war die Königsbüste dorthin versetzt worden (und verblieb dort bis 1837).403 Sie stand nun am Kopfende des Saales in einer Nische zwischen den Fenstern, flankiert von zwei Globen. In unmittelbarer Nähe übereck wurde in einem Bogendurchgang die ganze Statue der Dresdner „Agrippina“ aufgestellt.404 Nicht weit entfernt befanden sich drei weitere Gipsbüsten zeitgenössischer Persönlichkeiten: Mengs, Winckelmann und ein Bildnis der jugendlichen Dorothea Schlözer (als erste weibliche Kandidatin in Deutschland 1787 an der Göttinger Universität zum Dr. phil. promoviert).405 Daneben aufgestellt erscheint im Verzeichnis von 1788 erstmals auch eine Büste des Eros von Centocelle (unter der Bezeichnung „ein Genius“).406 Dabei handelt es sich um einen Gipsabguss der von Friedrich Wilhelm Doell nach der Antike geschaffenen Büste. Die antike Statue des Eros bzw. dessen Torso mit Kopf hat sich in Form einer römischen Marmorkopie im Museo Pio Clementino im Vatikan erhal1ten.407 Die „Vestale“ wurde in der von Heyne angesprochenen Wandnische aufgestellt, die der Nische mit der Königsbüste gegenüberlag. Links und rechts davon befanden sich Bogendurchgänge zum ehemaligen theologischen Auditorium; zu beiden Seiten der Statue standen wiederum zwei Globen.408 Obwohl dieser untere große Bibliothekssaal die Bezeichnung „Physicalischer Saal“ trug, befand sich dort neben

402 Döhl 2003, 28 mit Anm. 32. 403 Döring 1994, 12; Arndt 1994, 59 Nr. 63. 404 Pütter 1788, 217 f. 405 SUB, Bibl. Arch. A 33 c 25; Döring 1994, 12 f.; Arndt 1994, 110 Nr. 193. – Die Schlözer-Büste wurde 1784 von Alexander Trippel aus Rom geschenkt; die Bildnisse von Mengs und Winckelmann erwarb Heyne 1785 von Friedrich Wilhelm Doell, Gotha. 406 Boehringer 1979, 104 Nr. 5; Antlitz des Schönen 2003, 264 Nr. 78 (P. Rau – G. Oswald) (hier wird der Gipsabguss der Göttinger Sammlung allerdings irrtümlich der Sammlung Wallmoden zugeordnet – vermutlich aufgrund des leicht irritierenden Umstandes, dass der Katalog der Skulpturen der Slg. Wallmoden auch ein Verzeichnis der Göttinger Gipsabgüsse enthält, und die erhaltenen Stücke der Slg. Wallmoden sich außerdem heute ebenfalls im Archäologischen Institut in Göttingen befinden). – Laut Liste Reuß (SUB, Bibl. Arch. B 14 b) angeblich 1783 erworben. 407 Rom, Mus. Vaticani, Mus. Pio Clementino, Inv.-Nr. 769: Antoninische Kopie nach einem Original um 370/60 v. Chr. Das Modell der Nacharbeit fertigte Doell 1775 an, s. Rau 2003a, 293 Nr. 132. – Auch der Gipsabguss stammt offenbar von Doell, von dessen Hand sich auch ein Exemplar aus Goethes Besitz in Weimar, Goethe-Nationalmuseum erhalten hat, vgl. Antlitz des Schönen 2003, 264 Nr. 78 (P. Rau – G. Oswald). Auch im Katalog der Rostschen Kunsthandlung, mit dem gleichen Büstenausschnitt, s. Katalog Rost 1794, 52 Nr. 54 („Ein Genius B(üste) LIV“), sowie im Verzeichnis der „Toreutica-Waare der Klauerschen Kunst-Fabrik“, s. Klauer 1792, Taf. VI Nr. 31 („Genius, von Döll“). 408 Pütter 1788, 218.

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2 Der Aufbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob Heyne

den Büchern zur Mathematik, Physik und „Naturgeschichte“ auch „das ganze Alterthum der Kunst“.409 In einem von Reuß nach 1793 verfassten Verzeichnis erscheinen neben den Antikenabgüssen noch mehr zeitgenössische rundplastische Porträts: Für den „Physicalischen Saal“ werden eine „Marmor-Büste von Kästner“ und ein „Haller“Bildnis genannt.410 Im Verzeichnis unmittelbar daneben geschrieben sind die im „Philosophischen Saal“ aufgestellten Porträts: „Leibnitz“ (sic – so auch am Büstenabschnitt vorn), „Vice Canzler Hugo“, „Struwe“ (gemeint ist David Georg Strube) und noch einmal „Kastner“ (sic), letzterer ein Gipsabguss der genannten Marmorbüste.411 Möglicherweise handelte es sich bei dem „Philosophischen Saal“ um eine Abteilung des sehr großen „Physicalischen Saales“.412 Das Verzeichnis nennt für den „Philosophischen Saal“ nur die vier neuzeitlichen Porträts, jedoch keine Abgüsse von Antiken. Die meisten der zeitgenössischen Porträts kamen als Schenkungen an die Göttinger Universität; käuflich erworben wurden hingegen die Bildnisse Mengs’, Winckelmanns und Hallers.413 In der Göttinger Sammlung erhalten hat sich eine Büste des sog. Capitolinischen Galliers (auch Sterbender Gallier bzw. Sterbender Gladiator genannt; vgl. Abb. 55).414 Die Herkunft dieses Stückes ist unklar; es erscheint erstmals im Inventar von 1788. Ebenfalls erstmals 1788 erwähnt wird der Kopf des Hermes, sog. Antinous vom Kapitol.415 Dieser Abguss ist allerdings nicht erhalten, sondern wurde 1828 durch einen besseren ersetzt.416 Einen entsprechenden Kopf vertrieb auch die Fürstenberger Por409 Pütter 1788, 217; SUB, Bibl. Arch. A 33 c 25. 410 SUB, Bibl. Arch. A 33 c 25 (44): Verzeichnis Reuß nach 1793. Laut Döhl 2003, 36 Anm. 47 „kann diese Liste nicht vor 1803 angefertigt sein, da zwei Büsten von Kästner aufgeführt sind“; dabei könnte es sich aber um nachträglich der Liste hinzugefügte Ergänzungen handeln. – Kästner-Büste von F. W. Doell, 1803 geschenkt von Friedrich August, Herzog zu Braunschweig-Oels, im selben Jahr kam „Ebendieselbe in Gyps“ hinzu, s. SUB, Bibl. Arch. B 14 b. – Abraham Gotthelf Kästner war Prof. für Mathematik und Physik. 411 Zu den zeitgenössischen Porträts in der Sammlung s. Döring 1994, 12–14, sowie entsprechende Passagen im dortigen Katalogteil (danach die Bildnisse Hugos und Strubes angeblich bereits 1788 im „Philosophischen Saal“ – dem widerspricht jedoch das Verzeichnis von 1788, s. SUB, Bibl. Arch. A 33 c 25 (43)). – Bis auf die Marmor-Büste Kästners sämtliche Bildnisse aus Gips. 412 Ein „Philosophischer Saal“ wird hier erstmals in einem Verzeichnis genannt. Für 1788 belegt Pütter 1788, 220 noch einen gemeinsamen „Medizinischen und Philosophischen Saal“ im Obergeschoss (ehem. „Theologischer Saal“), vgl. oben Anm. 27. 413 Vgl. Döring 1994, 13. – Albrecht von Haller war Prof. für Anatomie und Mitbegründer der Königlichen Societät der Wissenschaften zu Göttingen (heutige Akademie der Wissenschaften); das Bildnis wurde vermutlich 1801 vom Weimarer Hofbildhauer Gottlieb Martin Klauer (1741–1801) für die Universität erworben, s. Arndt 1994, 67 f. 414 Rom, Mus. Capitolini, Inv.-Nr. 747; Boehringer 1979, 106 Nr. 20. Bei Rost 1794, 52 Nr. 58 unter der Bezeichnung „Mirmillo oder der sterbende Fechter“. Vgl. auch die entsprechende Fürstenberger Porzellan-Büste, s. Wolff Metternich 1981, 41 Nr. 47; 57 Abb. 33 („Gladiator moriens“ 1785, wohl Modelleur Schubert); Wolff Metternich – Meinz 2004, 246 Nr. 47. 415 Rom, Mus. Capitolini, Inv.-Nr. 741; Boehringer 1979, 110 f. Nr. 43; Wieseler 1859, 3. 416 Wieseler 1859, 3; Boehringer 1979, 110 f. Nr. 43.

2.2 Erwerbungsgeschichte

Abb. 55: Büste des sog. Capitolinischen Galliers („Gladiator moriens“), Porzellanmanufaktur Fürstenberg, Braunschweig, Herzog Anton Ulrich-Museum, 1785.

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2 Der Aufbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob Heyne

zellanmanufaktur.417 Außerdem wurde er in der Rostschen Kunsthandlung angeboten.418 Dass er dort den Namen „Adonis“ trug, muss nicht verwundern. Dies diente sicher der Unterscheidung vom ebenfalls erhältlichen „Antinous vom Belvedere.“ 419 Als verloren und bisher nicht identifizierbar gilt der Abguss einer „Madonna“, die ebenfalls zum ersten Mal 1788 in einem Verzeichnis erwähnt wird.420 Boehringer hat vorgeschlagen, es könnte sich vielleicht um einen Abguss der auch in der Rostschen Kunsthandlung angebotenen Büste mit der Angabe „Bernini, in der Franziscaner Kirche zu Paris“ handeln.421 Auch zur Serie der Fürstenberger Porzellane gehört eine „Madonna“-Büste (vom Typus dem Rostschen Exemplar entsprechend). Als Vorlage der Fürstenberger „Madonna“ gilt eine Kleinbronze „Maria“ in Braunschweig.422 Der verlorene Göttinger Abguss könnte dieser Bronzebüste jedoch allenfalls vom Typus her entsprochen haben, denn aufgrund des geringen Maßstabs der Kleinbronze scheidet diese als Modell des Abgusses offensichtlich aus.423 Im Jahr 1792 erfolgte dann eine weitere Schenkung für die Göttinger Sammlung. Der inzwischen, nach seiner Flucht 1775 wegen der Veruntreuung von Münzen,424 in London lebende R. E. Raspe übersandte einen Abguss der Büste der sog. Clytia der Sammlung Townley (Büste einer Frau im Sonnenblumenkelch) (Abb. 56).425

417 Schroeder – Damaschke 1996, 131 f. Nr. 147 mit Abb. Dort ist irrtümlich als Vorlage der Porzellanbüste der sog. Antinous vom Belvedere in Rom, Mus. Vaticani, Mus. Pio Clementino, Inv.-Nr. 907 genannt, offensichtlich bedingt durch die Tatsache, dass sich im Herzoglichen Kunst- und Naturalienkabinett in Braunschweig, aus dem die Fürstenberger Modelleure einige ihrer Vorlagen bezogen, ein Gipsabguss des Kopfes des Belvederer Antinous befunden haben soll (laut dortigem Inventar „von der Statue, die im Vatikan steht“), vgl. Schroeder – Damaschke 1996, 131 mit Anm. 47. – Rost bot sowohl eine Büste des Kapitolinischen wie des Belvederer Antinous an, s. Rost 1794, 50 Nr. 25. 26. Allerdings wurde dort nur der Kopf der Statue im Vatikan auch als „Antinous“ bezeichnet, während das Exemplar vom Kapitol als „Adonis“ genannt ist. Unter dieser oder einer anderen Bezeichnung könnte sich der Abguss des sog. Antinous vom Kapitol auch im Herzoglichen Kunst- und Naturalienkabinett befunden und als Vorlage für den Fürstenberger Kopf gedient haben. 418 Rost 1794, 50 Nr. 26 („Adonis, im Museo Capitolino“). Vgl. auch den „Antinous“ nach dem gleichen Vorbild im Verkaufskatalog der von Klauer vertriebenen „Toreutica-Waare“ 1792, Taf. VIII Nr. 60, s. Schroeder – Damaschke 1996, 132 mit Abb. 419 Rost 1794, 50 Nr. 25 („Antinous, der Liebling des Kaisers Hadrian, von der Originalstatue im Museo Clementino“). 420 Boehringer 1979, 107 Nr. 25. 421 Rost 1794, 53 Nr. 66. – Dabei handelt es sich offenbar um einen der zahlreichen Irrtümer bezüglich der Aufbewahrungsorte, auf die Rost bereits im Vorwort seines Kataloges vorbereitet, s. Rost 1794, 19. 422 Schroeder – Damaschke 1996, 134 Nr. 151 (Bildnisbüste Madonna). – Bronze nach François Duquesnoy (1597–1643), um 1630/40, Guss Florenz um 1700 (Braunschweig, HAUM, Inv.-Nr. Bro 47), s. Berger – Krahn 1994, 147 Nr. 106. 423 Höhe der Bronze 13,1 cm; selbst o. g. Fürstenberger Büste war mit einer Höhe von 15,9 cm etwas größer angelegt. 424 Hallo 1934, 118 f. 425 Arch. Inst. Heyne D; Boehringer 1979, 114 Nr. 66; Vorbild London, British Mus., Inv.-Nr. 1874, ehem. Slg. Townley. – Die Büste in der Sammlung Townley hat J. Zoffany an zentraler Stelle in

2.2 Erwerbungsgeschichte

Abb. 56: Sog. Clytia der Sammlung Townley (Büste einer Frau im Sonnenblumenkelch), Gipsabguss, Archäologisches Institut Göttingen, A 1279.

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2 Der Aufbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob Heyne

Townley selbst benannte sie in „Isis“ um; unter dieser Bezeichnung erscheint die Büste dann auch im Göttinger Verzeichnis von 1798 (erworben worden war sie aber noch als „Clytia“).426 Heute wird sie als (im Hinblick auf das Gewand umgearbeitete) Darstellung der Antonia minor diskutiert.427 Das Erwerbungsdatum dreier weiterer Gipsbüsten ist nicht ganz exakt zu belegen: Ein inzwischen verlorener „Lachender Faun“ wird erstmals im undatierten (vermutlich bald nach 1793 entstandenen) Verzeichnis genannt.428 Vor 1798 müssen die Büsten eines neuzeitlichen „Römischen Redners“ 429 und einer „Sappho“ erworben worden sein.430 Sie erscheinen erstmals im Verzeichnis der „Gypsabgüsse auf der Bibliothek“ aus eben diesem Jahr (auch der „Lachende Faun“ fehlt darin nicht, ist also ebenfalls vor 1798 zur Sammlung gekommen). Der Abguss der „Sappho“ ist nicht mehr vorhanden, daher lässt sich nicht mehr genau sagen, welchen Typus er repräsentierte.431 Möglicherweise entsprach er der „Sappho“ im Katalog der Rostschen Kunsthandlung,432 oder aber der „Sappho“ in

einem Porträt Charles Townleys (1737–1805) in seiner Bibliothek verewigt: Johann Zoffany, Charles Townley mit Freunden in seiner Sammlung, 1781–83 (Towneley Hall Art Gallery and Museums, Burnley Borough Council), s. Lerche 2006, 444. 448 Taf. IX. Für Townley selbst war sie das wichtigste Stück seiner Sammlung, s. Jones 1990, 32 Nr. 3. – Auch Goethe besaß einen Abguss der „Klytia mit dem Blätterkranz“, s. Klauss 1992, 28 f. mit Abb. Ein Gipsabguss befindet sich außerdem in Madrid (Brucciani, 1879), s. Almagro Gorbea 2000, 356 Nr. 345 Taf. 102. 426 Nicholls 2006, 246 Anm. 761; Boehringer 1979, 114 Nr. 66. 427 Jones 1990, 32 Nr. 3; Lerche 2006, 478 Anm. 582. 428 Boehringer 1979, 114 Nr. 65, vielleicht Katalog Rost 1786, 42 („Ein Satyr, lachend, 24 Zoll, im Pallast Farnese“) = Katalog Rost 1794, 54 Nr. 73. – Laut Boehringer 1981, 288 Vorbild „wohl Fauno colla macchia“, München, Glyptothek, Inv.-Nr. 222. Dieser ebenfalls als Abguss bei Rost 1794, 54 Nr. 74 („Ein Faun oder Satyr, im Museo Clementino, 23 Zoll“). 429 Boehringer 1979, 111 f. Nr. 50 (A 1356) = Katalog Rost 1794, 51 Nr. 45 („Demostenes“). 430 Boehringer 1979, 114 Nr. 67, vielleicht Katalog Rost 1794, 53 Nr. 61 („Sappho“); Boehringer 1981, 283. Laut der offenbar nicht sehr zuverlässigen „Liste der Zugänge an Kunstgegenständen 1767– 1828“ (SUB, Bibl. Arch. B 14 b) wurde die Büste der „Sappho“ angeblich bereits 1774 von Ferraris erworben; sie erscheint jedoch weder im Verzeichnis von 1788 noch im undatierten (nach 1793), noch wird sie unter den Erwerbungen von 1774 (Arch. Inst. Heyne A 9–11) genannt. 431 Boehringer 1979, 114 Nr. 67. 432 Vgl. Rost 1794, 53 Nr. 61 („Sappho, in der Villa Medicis“). Vorbild ein Kopf vom Typus der sog. Sappho in Paris, Mus. du Louvre, Inv.-Nr. MA 274, der in mehreren Repliken überliefert ist, vgl. Lippold 1956, 456. – Vgl. auch die Gipsabgüsse der von Doell nach der Antike geschaffenen „Sappho“-Büste desselben Typus aus dem Besitz Goethes bzw. Wielands, s. Antlitz des Schönen 2003, 264 f. Nr. 79 (P. Rau); Manger – Reemtsma 2005, 102 Abb. 1. Ganz irrtümlich jedoch die Angabe Raus a. O., das von Doell kopierte Original sei der „heute von der Forschung als Porträt der Annia Galeria Faustina der Älteren gedeutete“ Kopf in Rom, Mus. Capitolini, Inv.-Nr. 449, den Doell außerdem kopiert hat, der aber nicht identisch ist mit seiner „Sappho“, vgl. Manger – Reemtsma 2005, 103 Abb. 2. Der Kopf in Rom wurde bzw. wird außerdem von Doell wie heute als Annia Galeria Faustina d. J. bezeichnet, s. dazu einen Brief Johann Friedrich Reiffensteins an Herzog Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg (reg. 1772–1804), in dem er diesem berichtet, Doell arbeite an „einem Buste des Bachus und der Ariadne, der jüngeren Faustina und zwey Bustes von Winckelmann“ (30. November 1781, ThürStAG, E XIII A7, hier zitiert nach Rau 2003a, 201).

2.2 Erwerbungsgeschichte

273

Fürstenberger Porzellan (Abb. 57).433 Für Parallelen zwischen der Göttinger AbgussSammlung und den Fürstenberger Porträt-Büsten lassen sich ja in der Tat mehrere Beispiele nennen. Und selbst eine direkte Abhängigkeit der (nach 1774 gefertigten) Fürstenberger „Sappho“ vom Göttinger Abguss wäre zeitlich nicht ganz auszuschließen: Der Reußschen „Liste der Zugänge an Kunstgegenständen 1767–1828“ zufolge soll der Gipsabguss bereits 1774 nach Göttingen gekommen sein.434 Erhalten hat sich von den drei genannten Büsten nur der „Römische Redner“ (auf dem Sockel steht in Ölfarbe „Orator Rom.“, im Nacken ist im Abguss eingeritzt „Demosthenes“), heute in der Göttinger Sammlung als „Phantasieporträt“ des 17. Jhs. geführt (Abb. 58).435 Neben weiteren Gipsexemplaren existiert der Typus auch in Fürstenbergischen Biskuitausgüssen („Demosthenes“).436 Auch in Herren-

433 Wolff Metternich – Meinz 2004, 253 Abb. 199 („Sappho“, Museum der Porzellanmanufaktur Fürstenberg, nach 1774); Walz 2008, 66 Abb. 40. Laut Wolff Metternich soll die Fürstenberg-Büste nach einer Bronzebüste aus den Ausgrabungen um Neapel modelliert worden sein, s. Wolff Metternich – Meinz 2004, 253; Wolff Metternich 1981, 56. Offenbar ist damit die „Sappho“ Neapel, Mus. Nazionale, Inv.-Nr. 4896 aus der Villa dei Papiri von Herculaneum gemeint; dieser Zusammenhang ist jedoch wohl kaum zutreffend. Stattdessen hat als Vorbild für die Fürstenberger „Sappho“ offensichtlich vielmehr die entsprechende – durch eine Inschrift auf dem Sockel ebenfalls als „Sappho“ bezeichnete – Braunschweiger Marmorbüste gedient, vgl. Walz 2008, 64 Abb. 34 (Braunschweig, HAUM, Inv.-Nr. AS 4). Dies wäre auch insofern ohnehin naheliegend, als Carl I., zugleich Begründer der Fürstenberger Porzellanmanufaktur, die Modelleure selbst aufgefordert hatte, das Herzogliche Kunst- und Naturalienkabinett als Vorlagenlieferanten zu nutzen, vgl. Walz 1996, 2114. 434 SUB, Bibl. Arch. B 14 b. – Dies spräche wiederum dafür, dass diese Liste möglicherweise doch etwas verlässlicher ist, als gemeinhin angenommen wird. Im Übrigen ist dies die einzige echte Inventarliste mit den Zugängen zur Sammlung, während die anderen Verzeichnisse jeweils nur die in der Bibliothek aufgestellten Abgüsse enthalten. 435 Ein entsprechender Gipsabguss hat sich offenbar auch in Goethes Besitz befunden, vgl. Schuette 1910, 50 Nr. 2 (Umrisszeichnung S. 49 Nr. 2), „Sogenannter Cato. Moderne Arbeit unbekannter Herkunft.“ – H. Koch berichtet außerdem von weiteren Abgüssen nach demselben Urbild in Jena (früher im Lesesaal der Universitätsbibliothek), in Schloss Tiefurt bei Weimar und in einem der Dornburger Schlösser, s. Koch 1958, 145. 155; vgl. Boehringer 1979, 111 f. Dies verwundert nicht, sind die genannten Orte nicht nur alle von Goethe frequentiert worden, sondern zugleich hatte dieser die Oberaufsicht über die Sammlungen und Bibliotheken in Weimar und Jena (1815 wurde diese Aufgabe dann formuliert als „Oberaufsicht über die unmittelbaren Anstalten für Wissenschaft und Kunst in Weimar und Jena“), s. Trunz 1990, 78. – Mit dem Abguss in Schloss Tiefurt bei Weimar dürfte die bei Schroeder – Damaschke 1996, 137 Abb. publizierte Gipsbüste von Gottlieb Martin Klauer gemeint sein; dies bestätigt auch Koch 1958, 145. 155. 436 Boehringer 1979, 111 f. Nr. 50; Boehringer 1981, 283; Schroeder – Damaschke 1996, 137 f. Nr. 158 mit Abb.; Wolff Metternich – Meinz 2004, 254 f. Abb. 200. 201. – Vgl. außerdem Gottlieb Martin Klauer: Demosthenes, Gipsbüste, um 1780 (Museen der Klassik Stiftung Weimar, Plastiksammlung), s. Schroeder – Damaschke 1996, 137 Abb. Der Frage, ob Klauer gar der Schöpfer des modernen Typus sein könnte, ist Koch 1958, 155 f. nachgegangen, da „eine ganze Reihe von Klauerschen Büsten für Fürstenberg übernommen“ worden seien. Dagegen spreche chronologisch, dass die entsprechende Fürstenberg-Büste bereits seit 1779 verkauft worden sei, Klauer aber erst im Sommer 1779 zum Antikenstudium nach Mannheim entsendet worden sei. Erst zehn Jahre später erscheine ein „Demosthenes“ in einem Gesamtverzeichnis Klauerscher Gipse, s. Koch 1958, 156 mit Anm. 67.

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2 Der Aufbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob Heyne

Abb. 57: „Sappho“, Porzellanmanufaktur Fürstenberg, Braunschweig, Herzog Anton Ulrich-Museum, nach 1774.

2.2 Erwerbungsgeschichte

Abb. 58: „Phantasieporträt“ des 17. Jhs. („Röm. Redner/Demosthenes“), Gipsabguss, Archäologisches Institut Göttingen, A 1356.

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2 Der Aufbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob Heyne

hausen hat sich ehedem eine „Demosthenes“-Büste befunden, die dort heute nicht mehr vorhanden ist, und von der Heyne (offenbar zumindest zunächst) keinen Abguss erworben hat, so dass nicht sicher entschieden werden kann, ob der verlorene Bronzekopf nicht vielleicht vom Typus her dem heute in Göttingen vorhandenen Abguss entsprach.437 Das Urbild des „Römischen Redners“ hat sich offenbar nicht erhalten; früheren Angaben zufolge sollte es sich dabei um ein Porträt in Madrid handeln bzw. gehandelt haben.438 Laut Boehringer soll P. Arndt um 1900 ein Porträt in Madrid (Museo Arqueológico Nacional, n. 2941, dort unter der Bezeichnung „Seneca“) als Urbild identifiziert haben.439 Die Überprüfung dieser Angabe anhand des damals vorliegenden Kataloges des Madrider Archäologischen Nationalmuseums hat diesen Zusammenhang jedoch als offensichtlich unzutreffend erwiesen.440 Der dort auch in Abbildung publizierte Bronzekopf zeigt zwar ebenfalls ein in der Angabe der Falten überzeichnetes Porträt mit starker Kopfwendung („Busto modelado por el natural, que se cree representa al famoso filósofo español Séneca, en los últimos momentos de su agonía“). Der Typus kann jedoch keinesfalls als übereinstimmend bezeichnet werden. Ebenfalls unzutreffend ist die frühere Katalogangabe, der Madrider Kopf stamme „de las primeras excavaciones practicadas en Pompeya y Herculano“. Beide Bildnisse sind moderne Schöpfungen des 17. Jhs.441 Ebenfalls berichtet Winckelmann in seiner Geschichte der Kunst des Altertums von einem in Spanien gefundenen (vermeintlichen) Demosthenes-Bildnis: Bey Gelegenheit erinnere ich, daß der ehemals in Spanien zu Taragona gefundene Kopf mit dem Namen Demosthenes, welchen Fulvius Ursinus und Bellori, nebst andern, für das Bild des berühmten Redners aus dieser Zeit halten, eine andere Person vorstellen müsse. Denn zwey schöne Brustbilder in Erzt, aber kleiner, als die Natur, und das kleinste mit dem untergesetzten Namen Demosthenes, welches nebst den Bildern anderer berühmter Männer im Hercu-

437 Fittschen 2006, 284 f. hat stattdessen als Vorbild für den Herrenhäuser „Demosthenes“ den „Lysimachos Farnese“ vorgeschlagen, da dies das einzige „antike Bildnis (sei), von dem im 17. Jh. Kopien mit dem Namen „Demosthenes“ angefertigt worden sind.“ – Das Porträt des „Lysimachos“ wurde bei Rost allerdings als „Cato, im Museo Capitolino“ angeboten, s. Boehringer 1979, 111 Nr. 49; Rost 1794, 51 Nr. 40 = Rost 1779, 18 = Rost 1786, 43. – Vgl. dagegen außerdem Fittschen 2000, 52 Anm. 23, der dort noch annimmt, die verschollene Herrenhäuser Bronze habe dem Gipsabguss des „Römischen Redners“ entsprochen. 438 Vgl. dagegen H. Koch, der die Erfindung des Urbildes auf einen Modelleur der Fürstenberger Manufaktur zurückführen möchte, s. Koch 1958, 155–157; vgl. Boehringer 1979, 112. Als Vorbild dieser Bildnisschöpfung nimmt Koch die hellenistische Feldherrnbüste (sog. Aratos) im Nationalmuseum in Neapel an (Neapel, Mus. Nazionale, Inv.-Nr. 6141 („Lysimachos“, ehem. Farnese)), s. Koch 1958, 147 f. 439 Boehringer 1979, 111. 440 Rada y Delgado 1883, 222 Nr. 2941 mit Abb. 441 Das Madrider Porträt befindet sich noch heute im Museo Arqueológico Nacional, Inv.-Nr. 1976/ 51/22.

2.2 Erwerbungsgeschichte

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lano gefunden ist, haben einen Bart, und jener Kopf, welcher diesem gar nicht ähnlich ist, hat das Kinn glatt; jene Köpfe sind also das wahre Bild des Redners.442

Zwar hat auch das von Winckelmann genannte, in Tarragona gefundene Bildnis, eine imago clipeata, nicht als Vorlage für den vorliegenden modernen Typus des „Römischen Redners/Demosthenes“ in Göttingen bzw. Fürstenberg gedient;443 zumindest begründete aber der Fund der beiden eindeutig zu benennenden Bronzeköpfe in Herculaneum einen „neuen“, bärtigen Porträttypus als Bildnis des Demosthenes und schied damit jeden bartlosen Typus, also auch den hier vorliegenden, grundsätzlich aus. Dennoch war dessen Benennung als „Demosthenes“ offenbar verbreitet und hielt sich trotz Winckelmanns wiederholter Hinweise auf das bärtige, „wahre Bild“ des Demosthenes hartnäckig.444 So wurde auch das entsprechende Fürstenberger Porträt unter dem Namen „Demosthenes“ angeboten, ebenso hatte Rost ein Porträt dieses Typus unter dieser Bezeichnung im Angebot.445 Als gänzlich irrtümlich ist im Übrigen die Annahme Wolff Metternichs zu bezeichnen, die als Vorbild des Fürstenberger „Demosthenes“ (und damit auch des Göttinger Kopfes) einen „aus den Ausgrabungsstätten um Neapel“ stammenden Demosthenes nennt.446 Ihr folgt offenbar K. A. Möller, die ebenfalls angibt, der vorliegende Bildnistypus „basiere auf einer antiken Skulptur, die bei Ausgrabungen um Neapel gefunden wurde“.447 In diesem Zusammenhang wurde noch auf eine weitere Textstelle zu den in Herculaneum gefundenen Demosthenes-Porträts hingewiesen, eine Passage aus Winckelmanns Sendschreiben von den Herculanischen Entdeckungen.448 Bei den darin genannten Bildnissen des griechischen Redners handelte es sich jedoch um Porträts des „neuen“, bärtigen Typus, der als Urbild des bartlosen Fürstenberger „Demosthenes“ gerade nicht in Frage kommt. Zwar erwähnt Winckelmann im gleichen Kontext auch einen bartlosen (vermeintlichen) DemosthenesTypus, o. g. imago clipeata, die jedoch ebenfalls nicht als Vorbild des FürstenbergPorträts in Betracht kommt, zumal Winckelmann das Bildnis ausdrücklich als „Kopf

442 Winckelmann 1764, 352. 443 Vgl. Koch 1958, 150 f. mit Abb. 17b. – Winckelmann hatte bereits davor in seinem Sendschreiben von den Herculanischen Entdeckungen berichtet: „Sonderlich sind zwey Brustbilder des Demosthenes, das kleinere mit dessen Namen, zu merken (…); es kann also der in Spanien gefundene erhoben gearbeitete Kopf eines jungen Menschen ohne Bart mit eben dem Namen nicht den berühmten Atheniensischen Redner vorstellen (…)“ (Winckelmann 1762, 37); da Winckelmann ‚erhoben‘ synonym mit ‚erhaben‘ verwendete, ist unter dem ‚erhoben gearbeiteten Kopf‘ eine imago clipeata zu verstehen, vgl. Bruer – Kunze 1997a, 197, Kommentar 91, 22. 444 Vgl. Winckelmann 1762, 37; Winckelmann 1764, 352. 445 Vgl. Katalog Rost 1779, 18 = Rost 1786, 43 = Rost 1794, 51 Nr. 45 („Demosthenes, im Museo Capitolino“). 446 Wolff Metternich 1981, 56. 37 Abb. 15; Wolff Metternich – Meinz 2004, 253 mit Abb. 200. 201. 447 Berswordt-Wallrabe 2002, 123 Nr. 145 mit Abb. (K. A. Möller). 448 Berswordt-Wallrabe 2002, 123 Nr. 145 (K. A. Möller); Schroeder – Damaschke 1996, 137 f. Nr. 158; Winckelmann 1762, 37 (vgl. hier Anm. 443).

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eines jungen Menschen ohne Bart“ charakterisiert; zudem stammt dieses Bildnis ohnehin aus Tarragona, nicht aus „Ausgrabungen um Neapel“.449 Somit liefert auch diese Textstelle keine weiteren Erkenntnisse zum Vorbild des vorliegenden Göttinger/Fürstenberger Kopfes, außer dass für ihn – folgte man Winckelmann – bereits aufgrund der Herculanischen Funde eigentlich ausgeschlossen werden konnte, dass er auf einen echten Demosthenes-Typus zurückging. Die Herstellung der Porzellan-Büsten des „Demosthenes“ in Fürstenberg setzt 1779 ein.450 Nimmt man an, dass in diesem Fall der Gipsabguss in Göttingen als Vorlage gedient haben könnte451 (bislang scheint zumindest auch keines der anderen bekannten Gips-Exemplare nachweislich vor diesem Zeitpunkt entstanden zu sein, und ebenso kann das angebliche „Urbild“ im fernen Spanien nun als Vorlage ausgeschlossen werden), wäre denkbar, dass der Abguss schon viel eher als bisher vermutet in die Göttinger Sammlung gelangt sein könnte und dort möglicherweise längere Zeit unter der Bezeichnung „Demosthenes“ lief.452 Die Deklarierung als „Römischer Redner“, da ja nur mit Farbe angebracht, könnte erst im Nachhinein vorgenommen worden sein. Weitere Beispiele für entsprechend vorgenommene Umbenennungen gibt es ja durchaus in der Göttinger Sammlung. Die Büste wäre demnach nicht 1798 erstmals in einem Verzeichnis erwähnt worden, sondern erstmals unter dieser Bezeichnung. Im Jahr 1800 kam als Geschenk von J. Hawkins in London der Gipsabguss eines kleinen Bronzereliefs mit Aphrodite und Anchises aus Paramythia (Epirus) nach Göttingen.453 Es handelt sich vermutlich um den Deckel eines Klappspiegels. 1802 erwarb Heyne zuletzt Abgüsse für die Göttinger Sammlung. Dies war zum einen die Büste einer „Minerva in Villa Albani“ (möglicherweise zu identifizieren mit dem Göttinger Kopf der Athena von Velletri) und zum anderen eine weitere Replik des Florentiner Krupeziontretenden Satyrn (Abb. 59).454 Beide Abgüsse stammen von dem Gothaer Hofbildhauer Friedrich Wilhelm Doell.455 Der besondere Wert des Repliken-Abgusses des Satyrn liegt darin, dass das entsprechende Original seit

449 Vgl. auch Winckelmann 1764, 352. 450 Wolff Metternich – Meinz 2004, 235. Produziert wurde das von Carl Gottlieb Schubert modellierte Porzellan-Porträt in fünf verschiedenen Größen. Beispiele u. a. in der Sammlung der Herzogin Anna Amalia in Weimar und in Braunschweig, HAUM, vgl. Schroeder – Damaschke 1996, 137 f.; Berswordt-Wallrabe 2002, 123 Nr. 145 mit Abb. (K. A. Möller). 451 So zumindest die Annahme von P. Damaschke, s. Damaschke 1996, 110; vgl. o. S. 218 mit Anm. 183. 452 Laut Verzeichnis Reuß (SUB, Bibl. Arch. B 14 b) wurde ein „Demosthenes“ bereits 1775 von Ferraris erworben. Vgl. Verzeichnis 1788 (SUB, Bibl. Arch. A 33 c 25 (43)) Nr. 49. 453 London, British Mus., Inv.-Nr. 287; Boehringer 1979, 114 Nr. 70; GGA 1800, 181. Stück/13. November 1800, S. 1801–1804. 454 Boehringer 1981, 284; Boehringer 1979, 114 Nr. 68; Boehringer 1979, 114 Nr. 69. 455 Boehringer 1981, 284; SUB, Bibl. Arch. B 14 b.

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Abb. 59: Replik des Florentiner Krupeziontretenden Satyrn (Original seit dem 18. Jh. verschollen), Gipsabguss, Archäologisches Institut Göttingen, A 1045.

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dem 18. Jahrhundert verschollen ist, bald nachdem es durch Katharina II. nach Russland gekommen war.456 Möglicherweise hatte Heyne bereits beim Erwerb der zweiten Replik des Krupeziontretenden Satyrn im Blick, welch wichtige Vergleichsmöglichkeiten sich dadurch ergeben könnten.457 In der gedruckten Nachschrift seiner Vorlesung heißt es nämlich: „Um Vergleichungen unter den Werken der Alten anstellen zu können, wird es erforderlich, mehrere Statüen von einer Art bei einander zu haben.“ 458 Dies unterstreicht den kunst-wissenschaftlichen Anspruch, dem die Verwendung der Gipsabgüsse nun auch folgen sollte. Da der Erwerb des Gothaer Satyrn aber der erste Fall war, in dem Heyne eine zweite Replik nach demselben Original in die Sammlung brachte, könnte sich ihm der Nutzen der Möglichkeit des Replikenvergleichs auch erst bei dieser Gelegenheit erschlossen haben. Im Hinblick auf diese unmittelbare Vergleichsmöglichkeit, und den sich dadurch ergebenden Erkenntnisgewinn, sind Gipsabgüsse ja in der Tat selbst den Originalen überlegen.

2.2.3 Zum System der Erwerbungen und der Aufstellung Die Erwerbungen Die Erwerbungen, die Heyne für die Sammlung tätigte, richteten sich in erster Linie nach günstigen Gelegenheiten und danach, was überhaupt erreichbar war.459 Hinzu kam ein nicht unbeträchtlicher Anteil an Schenkungen. Während es sich bei den in der Sammlung sehr zahlreichen Büsten v. a. um Gelegenheitskäufe handelte, unternahm Heyne besondere Anstrengungen, wenn es um den Erwerb ganzer Statuen ging. Dabei kam es ihm offenbar vor allem darauf an, einige der nach dem Kanon der Zeit bedeutendsten Stücke, eine Sammlung der sogenannten „besten Antiken“ zusammenzutragen.460 Beeinflusst hat ihn dabei sicher auch Win-

456 Boehringer 1981, 284; Boehringer 1979, 114 Nr. 69; Rau 2003a, 356 Nr. 328; Arch. Inst. Heyne E 1–6 (Briefe Doells an Heyne). Den Fund des Originals in Rom meldete der Antiquar Johann Friedrich Reiffenstein 1784 (dieser war sowohl Kunstagent Herzog Ernsts II. von Sachsen-Gotha-Altenburg als auch Katharinas II.). Vgl. die beiden weiteren Abgüsse nach demselben Original im Schlossmuseum Gotha (1784/85) bzw. im Goethe-Nationalmuseum, Weimar (nach 1791), s. Rau 2003a, 202 f.; 276 f. Nr. 91; 299 Nr. 147; vgl. Horn 1967, 396–400 (dort noch irrtümlich angegeben, der nach Gotha gelieferte Abguss sei im Zweiten Weltkrieg zerstört worden). 457 Vgl. Graepler 2013a, 128 f. 458 Heyne 1822, 62; vgl. Boehringer 1981, 284. 459 Vgl. Fittschen 1990, 10. 460 Vgl. Fittschen 1990, 10. – Eine Zusammenstellung im Sinne einer Auswahl der einhundert schönsten damals bekannten Antiken bot zuerst das Stichwerk von François Perrier, Segmenta nobilium signorum et statuarum (…) (Rom 1638, Neudruck 1653) = Perrier 1653, das Heyne auch in seiner Vorlesung heranzog, vgl. Heyne 1822, 69. Zur Konstituierung des Kanons vorbildlicher Werke über die großen Sammlungen und seiner Tradierung durch Kunstakademien und Musterstichsammlungen s. Dongowski 2000, 229 Anm. 30; vgl. Haskell – Penny 1982, S. XIII–XV. 117 f.

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ckelmann:461 So bezeichnete Winckelmann die Niobe und den Laokoon als „zwei der schönsten Werke des Alterthums“.462 Dabei ist der Laokoon eigentlich in einer – nach Winckelmanns eigener Beurteilung – Phase des „Niedergangs“ entstanden, von ihm selbst aber um Jahrhunderte falsch datiert worden, und hätte sonst wohl kaum Eingang in den von ihm postulierten Kanon der großen Kunstwerke gefunden.463 Ruhm als Kunstwerk war dem Laokoon jedoch schon lange vor seiner Wiederentdeckung im Jahre 1506 zuteilgeworden.464 So galt er bereits Plinius als opus omnibus et picturae et statuariae artis praeferendum.465 Auch die Schilderung seines Todeskampfes durch Vergil weist deutliche Ähnlichkeit mit der Darstellung in Marmor auf.466 Der Datierung der Skulpturengruppe durch Winckelmann mochte Heyne allerdings nicht recht folgen, wobei sich seine Kritik vor allem an der seiner Ansicht nach unzuverlässigen stilanalytischen Methode, basierend auf ästhetischen Kriterien, entzündete: Das Urtheil über den Styl eines Zeitalters trügt an und für sich so leicht; noch mehr, da wir aus den schönen Zeiten mit Zuverläßigkeit so wenige Stücke haben, eine Vergleichung anzustellen; Einbildungskraft und Begeisterung nimmt zu oft Antheil daran; endlich giebt es in jedem Zeitalter Genies, die sich nach dem Muster und zur Vollkommenheit der besten Zeitalter bilden; und wiederum giebt es andere, die unter ihrem Zeitalter stehen bleiben. Herrn Hofrath Lessing war es daher leicht, die Voraussetzung Winkelmanns mit dem besten Erfolg zu entkräften.467

Von der Herangehensweise lag Heyne Lessings philologisch ausgerichteter Ansatz näher. So basierte Lessings Datierung auf der Analyse des Plinius-Textes, speziell unter dem Gesichtspunkt, welcher Zeit die übrigen dort genannten Künstler angehörten, woraus sich für ihn eine wahrscheinliche Entstehung der Skulpturengruppe in der frühen Kaiserzeit ergab.468 Lessings Bemühungen um eine zeitliche Einord-

461 Wobei dieser Einfluss direkt wie indirekt erfolgt sein wird, indem die von Winckelmann bekannt gemachten Kunstwerke sicher auch eher erhältlich waren. 462 Winckelmann 1764, 170. 463 Nach Winckelmann müsse „der Meister des Laocoons aus der schönsten Zeit der Kunst seyn“, s. Winckelmann, 1764, 220. Zur Datierung der Laokoongruppe durch Winckelmann in das Zeitalter Alexanders des Großen und des Lysipp sowie ihre Zuordnung zum „schönen Stil“ s. Preiss 1995, 92; Winckelmann 1764, 227. 233. 464 Eine frühere Entdeckung der Marmorgruppe ist bereits für das Jahr 1488 dokumentiert, offensichtlich hatte das Kunstwerk aber da noch nicht geborgen werden können, s. Hofstetter-Dolega 1998, 67 f. 465 Plin. nat. 36,37. 466 Verg. Aen. 2, 201–231. Dabei ist unklar ob, und wenn ja, in welcher Richtung das eine vom anderen abhängig ist, vgl. Preiss 1995, 91. 467 Heyne 1779a, 32; vgl. Preiss 1995, 95 f. 468 Preiss 1995, 94; vgl. Heyne 1779a, 32 f.

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nung des Kunstwerkes zielten auf nichts anderes als die Klärung des Abhängigkeitsverhältnisses zwischen diesem und der Darstellung bei Vergil,469 während Winckelmann sich von der zeitlichen Bestimmung des Werkes den Gewinn eines Bausteines zu seiner Geschichte der Kunst versprach. Allerdings machte Lessings Ansatz das Betrachten des Kunstwerkes im Prinzip überflüssig, was sich mit Heynes Prämisse der gründlichen Denkmälerkenntnis nicht wirklich vertrug; andererseits war aber auch diesem der Gedanke des Kunstwerkes als Illustration antiker Texte nicht gänzlich fremd (s. u.). Den Kulminationspunkt in der Winckelmannschen Wertschätzung nahm die Statue des Apoll vom Belvedere ein: „Die Statue des Apollo ist das höchste Ideal der Kunst unter allen Werken des Alterthums, welche der Zerstörung derselben entgangen sind.“ 470 Auch in der Nachschrift der Heyne-Vorlesung beginnt das Kapitel über die männlichen „Jugendlichen Götterideale“ mit dem Apoll vom Belvedere. Im Kapitel über die „Jugendlichen Göttinnen“ wird zuerst die Venus Medici genannt, die auch bei Winckelmann unter den „Weiblichen Gottheiten“ die erste Stelle einnimmt.471 Zu den von Winckelmann bekannt gemachten Antiken, deren Abguss nach Göttingen gelangte, gehörte ferner auch die sog. Große Herkulanerin in Dresden – ein Exempel der „Vorzüglichkeit des Contours“, der für Winckelmann die „Idee des Kunstwerks“ bezeichnete.472 Es fällt auf, dass für die zu Heynes Erwerbungen zählenden Kunstwerke häufiger mehrere verschiedene, oft auch irrtümliche Bezeichnungen kursierten, d. h. ein bestimmter Typus konnte unter ganz unterschiedlichen Bezeichnungen angeboten werden. Bevorzugt fanden dabei Namen bedeutender Persönlichkeiten oder berühmter, häufig rezipierter Kunstwerke Verwendung.473 Gelegentlich kam es auch zu Verwechslungen bedeutender Kunstwerke untereinander. Besondere Unsicher-

469 Preiss 1995, 94. 470 Winckelmann 1764, 392. 471 Heyne 1822, 96. 309; Winckelmann 1764, 164; vgl. Döhl 2003, 46. – Auch in der von Heinrich Heine in seiner Harzreise (1826) geschilderten Traumsequenz, deren Schauplatz die Göttinger Universitätsbibliothek bildet, erscheinen diese beiden Verkörperungen des männlichen bzw. weiblichen Schönheits- bzw. Götterideals nebeneinander: „(…) und fort, aus diesem drängenden Tollhauslärm rettete ich mich in den historischen Saal, nach jener Gnadenstelle, wo die heiligen Bilder des belvederischen Apolls und der mediceischen Venus neben einander stehen, und ich stürzte zu den Füßen der Schönheitsgöttinn, in ihrem Anblick vergaß ich all das wüste Treiben, dem ich entronnen, meine Augen tranken entzückt das Ebenmaß und die ewige Lieblichkeit ihres hochgebenedeiten Leibes, griechische Ruhe zog durch meine Seele, und über mein Haupt, wie himmlischen Segen, goß seine süßesten Lyraklänge Phöbus Apollo.“ (zitiert nach Heine 1973, 89). Dies entsprach allerdings bis etwa 1840 wohl zu keinem Zeitpunkt der tatsächlichen dortigen Aufstellung, vgl. Döhl 2003, 42; 45 mit Anm. 67; 47. 472 Vgl. Pfotenhauer 2006, 11. 473 Zur generellen Vielfalt der verwendeten Namen für dieselben Skulpturen vgl. Haskell – Penny 1982, S. XV.

2.2 Erwerbungsgeschichte

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heit bestand offensichtlich bezüglich der korrekten Namen von Abgüssen einzelner Köpfe.474 So wurde Heyne der Kopf des „Unterliegenden“ der Ringergruppe in Florenz offenbar als einer der Niobiden angeboten (und in Göttingen offenbar später für einen Laokoonsohn angesehen), während der Abguss eines Niobidenkopfes möglicherweise als Laokoonsohn erworben wurde.475 Der nach Göttingen gelieferte Kopf des „Schleifers“ der Apollo-Marsyas-Gruppe, der möglicherweise auch noch unter der Bezeichnung „Rotatore“ lief, war eigentlich ein Feldherrnporträt, welches wiederum als „Aratos“ angesprochen wurde. Eine Büste des Apoll vom Belvedere wurde Heyne als „Apollo Pythius“ verkauft. Der Kopf der Proserpina von Bernini war als „Cleopatra“ in die Sammlung gekommen; wie die Verzeichnisse belegen, schwankte man in Göttingen dann aber zwischen einer Benennung als „Daphne oder Proserpina v. Bernini“. Die Liste der Beispiele ließe sich noch erheblich fortführen. Nun lässt sich ein einzelner Kopf ohne den ursprünglichen Kontext schwer einordnen, zumal ohne Kenntnis des Originals. Heyne blieb in der Tat nur der Vergleich mit Kupferstichen; wie wenig hilfreich dieser Vergleich sein konnte, zeigt der Fall der Laokoongruppe. So wirft der jüngere Laokoonsohn im Original im Kampf den Kopf in den Nacken, wodurch sich im Stich, sofern überhaupt nicht nur der Vater dargestellt war, keine brauchbare Vergleichsansicht ergab, wie Heyne überhaupt beklagt, vom Laokoon gebe es „noch keine einzige richtige Vorstellung in Kupfer, geschweige eine solche, die das hohe Ideal des Werks erreichte.“ 476 Die meisten Stiche, die die ganze Gruppe zeigten, gaben diese außerdem seitenverkehrt wieder, mit der Folge, dass darauf nun der ältere Sohn links erschien und auch den Kopf nach links wandte, was wiederum zu Verwechslungen führen konnte.477 Im Hinblick auf die Büsten, die für die Sammlung der Gipsabgüsse erworben wurden, lässt sich noch eine weitere Beobachtung machen: Offenbar ging es bei einigen Stücken weniger um ein bestimmtes, einzigartiges Kunstwerk, auch nicht um einen bestimmten Typus, sondern vielmehr darum, über beispielsweise „einen Demosthenes“, „eine Faustina“ oder „eine Sappho“ zu verfügen. Dies gilt nicht allein für die Göttinger Sammlung, sondern wie im Fall der Herrenhäuser Büstengalerie auch schon für die Bezugsquellen der Abgüsse. Fittschen hat aus dem in der Tat verwunderlichen Umstand, dass sich in der Reihe der Büsten in Herrenhausen nachweislich nur ein einziges weibliches Bildnis befunden hat (die Büste der „Faustina minor“), abgeleitet, dass ursprünglich eine Kaisergalerie samt Ehegattinnen bis mindestens Marc Aurel existierte, oder zumindest geplant gewesen sei.478

474 So wurde beispielsweise ein Porträt vom Typus des „Vitellius Grimani“ bei Rost als „Otho“ (dort bezeichnet als „Otto, Imperator, 24 Zoll“) angeboten, s. Rost 1794, 51 Nr. 37. 475 Dazu s. o. S. 236–244. 476 Heyne 1779a, 1. 477 Heyne kannte aber auch den Stich von François Perrier (Perrier 1653, Taf. 1), der, fast als einziger, die Laokoongruppe seitenrichtig wiedergab, vgl. Nebendahl 1990, 87. 478 Vgl. Fittschen 2006, 301.

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Nun handelt es sich bei dem durch den Göttinger Abguss vertretenen Kopf der „Faustina“ nicht tatsächlich um ein Bildnis der Kaisergattin, sondern um das Porträt einer unbekannten Frau frühhadrianischer Zeit (Abb. 37).479 Das Vorbild in der Sammlung Leconfield (Petworth House, West Sussex) trug dort augenscheinlich überhaupt keinen bestimmten Namen, und die Bezeichnung als „Faustina“ scheint dort unbekannt gewesen zu sein.480 Unabhängig davon, ob der Abguss in Göttingen im Typus der verlorenen „Faustina“-Büste in Herrenhausen entspricht, bleibt festzuhalten, dass man hier wie dort offenbar Wert darauf legte, ihr Bildnis zu besitzen.481 In Herrenhausen soll zur Benennung des Porträts, das dort in den Verzeichnissen als „Faustina minor“ erscheint, der Vergleich mit Münzbildnissen geführt haben.482 Das heißt, das zusammen mit den anderen Stücken aus Frankreich erworbene Porträt war bis dato offenbar namenlos gewesen. Für die Beliebtheit der „Faustina“ an sich gibt es jedoch noch weitere Beispiele. Christoph Martin Wieland, seit 1772 Prinzenerzieher am Weimarer Hof, besaß einige Gipsabgüsse, darunter auch ihr Bildnis.483 Dabei handelte es sich um eine von Doell nach dem 1. Bildnis-Typus der Faustina minor im Museo Capitolino geschaffene Büste, diese entsprach also im Gegensatz zum Göttinger (und möglicherweise auch Herrenhäuser) Kopf einem der „echten“ Porträttypen der Faustina.484 Im Hinblick auf den Abguss in Göttingen scheint dann auch bald eine gewisse Unsicherheit bezüglich der korrekten Bezeichnung des Kopfes geherrscht zu haben: Bereits im Verzeichnis aus dem Jahre 1788 wurde das Bildnis offenbar als „Agrippina“ geführt, 1798 als „Faustina/Agrippina“. Die Beliebtheit der „Faustina“ als Bildnismotiv mag

479 Vgl. Fittschen 2006, 301. Zu dem Göttinger Abguss der „Faustina“ ausführlich s. o. 480 Fittschen 2006, 302. 481 Vgl. dazu beispielsweise auch die Sandsteinbüste der „Faustina“ von Konrad Linck (1730– 1793) im Schwetzinger Schlossgarten, eigentlich eine Nachbildung einer hadrianischen Porträtbüste einer Vestalin in Florenz, Uffizien, Inv. 1914 Nr. 150, s. Martin 1933, 376 mit Abb. 365; vgl. Jucker 1961, 93–102 Taf. 28. 29; 104 Nr. 4. – Allerdings erscheint dasselbe Bildnis in Göttingen bereits im Verzeichnis von 1788 unter der Bezeichnung „Agrippina“, 1798 dann aber wieder als „Faustina/ Agrippina“. Die zwischenzeitliche Benennung als Agrippina mag mit dem Umstand zusammenhängen, dass ein in der nahegelegenen Sammlung Wallmoden befindliches Bildnis mit einer Frisur in der Art Faustinas d. Ä. ebenfalls als „Agrippina“ angesprochen wurde – dies vermutlich in Folge eines Namenstausches mit einer Frauenbüste claudischer Zeit in dieser Sammlung, die angeblich zusammen mit dem Bildnis des Antoninus Pius gefunden worden war, und wohl aufgrund dessen als die ältere Faustina gedeutet wurde, vgl. Slg. Wallmoden 1979, 69 Nr. 28 bzw. 75 f. Nr. 33 (K. Fittschen); Raspe 1767, 233 Nr. 36; 242 Nr. 36. 482 Vgl. Baring 1748, 81: „Von dieser [der „Faustina“, Anm. E. S.] hat der iüngere Herr Tarter zu Herrenhausen ehedem eine Münze vorgezeiget, so diesem Bildniß ganz ähnlich war.“ 483 Manger – Reemtsma 2005, 102 f. Vgl. Manger – Reemtsma 2005, 103 Abb. 2: Friedrich Wilhelm Doell (1750–1816): Annia Galeria Faustina d. J., Bildnisbüste Gips (Neuanfertigung, Original: Schloss Tiefurt). Vgl. auch die geschwärzte (Gips-?)Kopie in der Eingangshalle von Schloss Tiefurt bei Weimar, s. Rau 2003a, 275 Nr. 86. 484 Rom, Mus. Capitolini, Inv.-Nr. 449. Auch Cavaceppi fertigte mehrere Kopien dieser FaustinaBüste an, s. Wilton – Bignamini 1996, 211 f. Nr. 159.

2.2 Erwerbungsgeschichte

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damit zusammenhängen, dass die jüngere Faustina als „schönste unter allen Augusten des alten Roms“ (Wieland) galt;485 gleichzeitig mag dieser Umstand zu den Zweifeln an der Richtigkeit der Benennung des Göttinger Abgusses als „Faustina“ beigetragen haben, der dieser Idealvorstellung ja nicht entsprach. Die „Klauersche Kunst-Fabrik“ in Weimar vertrieb ebenfalls einen „Faustina“-Kopf nach einer explizit als „antik“ bezeichneten Vorlage, die sich anhand des im Verkaufskatalog abgebildeten Stiches allerdings nicht bestimmen lässt; das am Hinterkopf in eine Kopfbinde eingeschlagene Haar legt eher die Vermutung nahe, bei dem Vorbild könnte es sich um ein „Sappho“-Bildnis gehandelt haben.486 In den Sammlungen und Katalogen der Kunsthandlungen erscheinen „Faustina“-Bildnisse des Öfteren ohne den Zusatz, ob es sich nun um die ältere oder die jüngere Faustina handeln soll. Da aber der Herrenhäuser Kopf explizit als „Faustina minor“ verzeichnet ist und auch Wieland ihr Bildnis besaß, kann man vielleicht annehmen, dass meist an die jüngere Faustina gedacht war. Allerdings hat Raspe einen Kopf in der Sammlung Wallmoden (wenn auch irrtümlich, da in claudische Zeit zu setzen) mit dem Namen „Faustina Major“ versehen.487 In der Sammlung Wielands befand sich außerdem, wie auch in Göttingen, ein Bildnis der „Sappho“.488 Der Wielandsche Kopf war ein Abguss einer von Doell nach der Antike gefertigten Marmorbüste.489 Möglicherweise entsprach der verlore-

485 Wieland 1796, 378. 486 Klauer 1792, Taf. VI Nr. 35. 487 Vgl. Raspe 1767, 233 Nr. 36. 488 Manger – Reemtsma 2005, 102 f. Diese soll, wie die Büste der Faustina, ein Geschenk des Prinzen August von Sachsen-Gotha gewesen sein. Vgl. Manger – Reemtsma 2005, 102 Abb. 1: Friedrich Wilhelm Doell (1750–1816): Sappho, Bildnisbüste Gips, 1787. – Ein ebensolcher Gipsabguss der „Sappho“ von Doell auch im Goethe-Nationalmuseum in Weimar, s. Antlitz des Schönen 2003, 264 f. Nr. 79 (P. Rau). Laut Schuette 1910, 45 Nr. 1 (Umrisszeichnung S. 43 Nr. 1) angeblich „Überarbeitung eines in dem Königlichen Museum für Abgüsse klassischer Bildwerke zu München befindlichen antiken Kopfes.“ Damit dürfte der für dort verzeichnete „Weibliche Kopf mit Binden geschmückt, aus Knidos. London.“ gemeint sein (Verz. München 1880, 21 Nr. 189), vgl. den entsprechenden Abguss Göttingen A 302 (Vorbild London, British Mus., Inv.-Nr. 1315). Als Vorbild für die Doellsche „Sappho“ dürfte aber ein Kopf vom Typus der sog. Sappho in Paris, Mus. du Louvre, Inv.Nr. MA 274 gedient haben, vgl. auch den bei Rost angebotenen Abguss, s. Rost 1794, 53 Nr. 61. – Vgl. außerdem J. W. v. Goethe, Italienische Reise, 14. April 1788: „(…) So erhielt ich einen ziemlich guten Laokoons-Kopf, Niobe’s Töchter, ein Köpfchen, später für eine Sappho angesprochen, und noch sonst einiges.“ 489 Vgl. Antlitz des Schönen 2003, 264 f. Nr. 79 (P. Rau). Die Doellsche Marmorbüste hat sich nicht erhalten. Aufgrund der erhaltenen Abgüsse ist als Vorbild ein Kopf vom Typus der sog. Sappho in Paris, Mus. du Louvre, Inv.-Nr. MA 274 anzunehmen, der in mehreren Repliken überliefert ist, vgl. Lippold 1956, 456. Als Vorbild der „Sappho“ scheidet die von Rau in diesem Zusammenhang genannte Büste der Faustina minor in Rom, Mus. Capitolini, Inv.-Nr. 449 jedenfalls aus, vgl. Antlitz des Schönen 2003, 264 f. (dort außerdem irrtümlich als Porträt Faustinas d. Ä. bezeichnet). Diese hat Doell vielmehr als Vorlage für seine Faustina-Büste gedient, vgl. Manger – Reemtsma 2005, 103 Abb. 2. So auch bei Rau, die wiederum – diesmal zutreffend – o. g. Büste der Faustina minor als Vorbild nennt, s. Rau 2003a, 202.

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ne Göttinger Abguss diesem Typus. Sappho galt bzw. gilt als bedeutendste Lyrikerin der Antike (Platon bezeichnete sie gar als zehnte Muse); allerdings war zur Zeit Wielands nur eines ihrer Gedichte sowie ein Gedichtfragment bekannt.490 In Wörlitz, wo auch Wieland sich mit Vorliebe aufhielt,491 war die Dichterin in Form einer Herme auf der Grotte der Amalieninsel vertreten, die dort als Gegenstück zur Insel der Totenerinnerung das Heitere und die Lebensfreude versinnbildlichte.492 Bemerkenswert ist, dass sich unter den offenbar zeitweilig nur fünf von Doell vertriebenen Büsten „in Lebensgröße“ sowohl die „Sappho“ als auch die „Kaiserin Faustina“ befanden.493 Die gleiche „Sappho“ war auch in der Rostschen Kunsthandlung erhältlich.494 Die in Fürstenberger Porzellan modellierte „Sappho“-Büste zeigt hingegen einen anderen Typus; eine „Faustina“ wurde den Verzeichnissen der Manufaktur zufolge augenscheinlich nicht angeboten.495 Die Aufstellung Zur Zeit Heynes waren die Gipsabgüsse in der Göttinger Universitätsbibliothek und damit an zentraler Stelle der Universität untergebracht, wo sie für alle Fachdisziplinen präsent waren und so zur „Erweckung und Belebung des Kunstsinnes“ aller Bibliotheksbenutzer beitragen konnten.496 Die Aufstellung orientierte sich noch nicht an stilistisch-chronologischen Kriterien – ein zuverlässiges entwicklungs-

490 Manger – Reemtsma 2005, 102. 491 Weiss 1995, 177 (S. Schroeder). Wie überhaupt enge Beziehungen zwischen dem Dessauer und dem Weimarer Hof bestanden. 492 Reimann 2004, 42. In Verbindung mit der Herme des Anakreon erscheint sie dort als „antike Patin der deutschen Anakreontik“. Die Einweihung der nach der Erbprinzessin Christiane Amalie (1774–1846) benannte Amaliengrotte war 1793 erfolgt, die beiden Hermen wurden 1795 aufgestellt, s. Hirsch 1996, 59. Vgl. Hosäus 1902, 11. 493 Vgl. Anzeige im Gothaischen Hofkalender 1792, 91: „Verzeichniß derjenigen Gipsabgüße, die beym Hrn. Professor Döll in Gotha um beygesetzte Preise zu haben sind. Lebensgröße Büsten. Die Büste des Mahlers Mengs. Winkelmanns. Der Poetin Sappho. Eines Genius aus dem Vatican [Eros von Centocelle, Anm. E. S.]. Der Kayserin Faustina.“; noch zu Doell a. O. 54–57; vgl. Rau 2003a, 208. – Allerdings scheint sich die Anfertigung der Marmorkopie der „Sappho“ durch Doell in Rom noch mehr oder minder zufällig ergeben zu haben. So berichtet Reiffenstein in einem Brief an Herzog Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg, Doell habe in Rom Gelegenheit, sich unter Anleitung eines Bildhauers an den „schönsten Mustern des Alterthums zu üben“ und werde „morgen seine Arbeiten mit einem Probestück im Modellieren anfangen, wozu wir ihm einen leichten aber schönen Kopf von der Sapho vorgeschlagen haben.“ (Brief vom 3. März 1773 aus Rom, ThürStAG, E XIII A7, hier zitiert nach Antlitz des Schönen 2003, 265 (P. Rau)). Den gleichen Kopf hat Doell im darauffolgenden Jahr dann auch in Marmor gefertigt, s. Brief Reiffensteins vom 3. Oktober 1774, ThürStAG, E XIII A7; Antlitz des Schönen 2003, 265 (P. Rau). 494 Vgl. Rost 1794, 53 Nr. 61 („Sappho, in der Villa Medicis“). Offenbar Abguss eines Kopfes vom Typus der sog. Sappho in Paris, Mus. du Louvre, Inv.-Nr. MA 274. Ein Bildnis dieses Typus hat auch als Vorbild für den von Doell geschaffenen Marmorkopf gedient. 495 Vgl. Wolff Metternich – Meinz 2004, 253 Abb. 199 (Sappho). 496 Vgl. Unger 1861, 180; Pütter 1820, 450.

2.2 Erwerbungsgeschichte

287

geschichtliches Gerüst existierte noch nicht. Stattdessen richtete sich die Ordnung, soweit möglich, nach der Aufstellungssystematik der Bücher; so waren beispielsweise die Büsten der römischen Kaiser im sog. Historischen Saal, die antiken Dichter und Philosophen im „Philologischen Saal“ untergebracht, der Fechter Borghese, möglicherweise als anatomisches Exempel, im „Medizinischen Saal“. Die Verteilung der Abgüsse auf die verschiedenen Säle der Bibliothek gibt zuerst das Inventar von 1788 wieder.497 Die Sammlung hatte inzwischen erheblich an Umfang zugenommen: 58 Stücke sind für eine Aufstellung in der Bibliothek verzeichnet. Einige der nachweislich vor diesem Zeitpunkt erworbenen Gipsabgüsse fehlen jedoch, d. h. sie waren nicht oder zumindest nicht mehr in der Bibliothek aufgestellt. Dies betrifft z. B. die Büsten des Apoll vom Belvedere und des Laokoon sowie den Kopf des sog. Laokoonsohnes.498 Nachdem Heyne bereits wenige Jahre nach diesen Büsten die ganzen Statuen des Laokoon (des Vaters) wie des Apoll hatte erwerben können (im Jahr 1774 bzw. 1775), ersetzten die Statuen die Büsten dann offensichtlich in der Bibliothek. Während Heynes Erwerbungen noch keinem durchgängigen System folgten bzw. folgen konnten, war er bei der Aufstellung der Gipsabgüsse in der Bibliothek offenbar bemüht, diese möglichst „passend“, d. h. der thematischen Anordnung der Bücher folgend, zu positionieren. Bei der Aufstellung der Abgüsse musste er aber auf die räumlichen Gegebenheiten Rücksicht nehmen, die einer konzentrierten Aufstellung mit geschlossenem musealen Charakter entgegenstanden. Die Exponate konnten schließlich ihren Platz nur dort finden, wo es eine voll eingerichtete Bibliothek zuließ, und auch der Anspruch, die Abgüsse sollten jedenfalls den Räumen zur Zierde gereichen, bedingte eine Verteilung der Stücke über die gesamten Räumlichkeiten. Das Aufstellungssystem war zwar offenbar grundsätzlich an der thematischen Anordnung der Bestände in der Bibliothek ausgerichtet; wie konsequent dies berücksichtigt wurde, und in welchem Umfang inhaltliche Bezüge bestanden, ist bisher jedoch unterschiedlich bewertet worden.499 Jedenfalls ist deutlich, dass die Ordnung zumindest keinerlei chronologischen oder stilistischen Kriterien folgte.500 Im Gegensatz dazu wurden die naturwissenschaftlichen Exponate des „Academischen Museums“ (das bis 1793 oder 1795 ebenfalls unter dem Dach der Göttinger Universi-

497 SUB, Bibl. Arch. A 33 c 25 (43); Boehringer 1981, 285–287; Döhl 2003, 32 f. Zum System der Aufstellung und Vorschlägen zu dessen inhaltlichen Bezügen s. Döhl 2003, 33–35. 498 Nicht genannt werden auch die ganz zu Beginn erworbenen Verkleinerungen und zwei der drei „lebensgroßen“ Köpfe (Flora, Venus Medicea). 499 Fittschen 1990, 10; Döhl 2003, 33–35 geht so weit, den Standort fast eines jeden einzelnen Abgusses zu begründen. 500 Vgl. dagegen Fittschen 1990, 10. 14 in der Annahme, es sei bereits Heynes angestrebtes Ziel gewesen, mit Hilfe der Abguss-Sammlung die Phasen der Entwicklung der antiken Kunst im Sinne Winckelmanns exemplarisch vor Augen zu führen.

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2 Der Aufbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob Heyne

tätsbibliothek untergebracht war)501 wissenschaftlich-didaktisch, nach Gattungen geordnet, präsentiert. Den Gegensatz zwischen einer systematisch geordneten Lehrsammlung und Exponaten, die „zur Zierde“ aufgestellt wurden, betont auch der Architekt Georg Heinrich Hollenberg in seinem Reisebericht (1782). Über die naturwissenschaftliche Sammlung des Akademischen Museums in Göttingen schreibt er: Das Museum macht beym äusserlichen Anblick wenig Schein, hat aber, seiner systematischen Einrichtung wegen, desto mehr Vorzüge, und wird dadurch lehrreicher, als wenn alles so unregelmäßig, zur Zierde des Zimmers, und zur Schau ausgekramt wäre.502

Zu dieser systematischen Ordnung gehörte auch ein detailliertes Verzeichnis der Bestände,503 das man in dieser Form für die Sammlung der Gipsabgüsse wiederum vergeblich sucht. Die wenigen Verzeichnisse der Gipsabgüsse nennen diese lediglich unter Angabe ihres Standortes in den Räumen der Bibliothek. Aufgrund des Fehlens weiterer Informationen lassen sich die Stücke in einigen Fällen nicht einmal zweifelsfrei identifizieren. Unklar ist auch, inwieweit die Benutzer der Bibliothek Einsicht in diese Verzeichnisse nehmen konnten. Offenbar handelte es sich eher um interne Bestandslisten. Es fehlen auch Belege, dass am Standort der Gipsabgüsse selbst in irgendeiner Form Informationen zu den einzelnen Stücken angebracht gewesen wären. Augenfällig ist auch das für das 18. Jahrhundert typische beziehungslose Nebeneinander der einzelnen Büsten bzw. Statuen. Dies macht sich besonders im Falle der eigentlich als Gruppenkompositionen angelegten Niobiden und des Laokoon bemerkbar. Nicht nur, dass die Niobiden aufgrund der Fokussierung auf Physiognomie und Mimik auf Büstenformat reduziert waren; gleichzeitig wurde das ursprüngliche Ensemble in unabhängig voneinander zu rezipierende Einzel-Kunstwerke aufgelöst. In der Bibliothek standen die Büsten der Kinder der Niobe noch nebeneinander aufgereiht, die Büste der Niobe selbst aber am anderen Ende des Saales. Der ursprünglich ebenfalls als Büste nach Göttingen gelangte Laokoon wurde zwar bereits kurz darauf durch die ganze Figur ersetzt – doch auch er wurde als singuläres Werk präsentiert. Weder der bereits zusammen mit der Büste des Vaters erworbene (vermeintliche) Kopf eines seiner Söhne noch der offenbar ebenfalls vorhandene Kopf des zweiten Sohnes waren überhaupt in der Bibliothek aufgestellt.504 501 Urban 2001, 95. Das „Academische Museum“ befand sich seit seiner Gründung 1773 zunächst in einem umgewidmeten Hörsaal des Universitätshauptgebäudes, in dem auch die Universitätsbibliothek untergebracht war. Danach zog das Museum in die ehemaligen Professorenhäuser am Papendiek, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft des Hauptgebäudes befanden, s. Plesker 2006, 261–263 mit Abb. 3 und 4. 502 Hollenberg 1782, 19, hier zitiert nach Plesker 2006, 269. 503 Vgl. Urban 2001, 91 f. 504 Das Verzeichnis von 1798 nennt die Köpfe beider Söhne, und auch für 1825 ist ein zweiter Kopf noch bezeugt, s. Boehringer 1979, 112 f. Nr. 61. 62. Zwar ist der Erwerb des Kopfes des zweiten Sohnes des Laokoon nicht an sich belegt, und dieser galt außerdem bislang als heute nicht mehr in

2.2 Erwerbungsgeschichte

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Das Herausreißen der einzelnen Figuren aus ihrem Kontext konnte auch Auswirkungen auf ihre Deutung durch die Rezipienten haben. So galt beispielsweise der einzeln für sich leidende Laokoon Heine später in seinem „Bibliothekstraum“ als Prometheus: (…) und diese stimmten nun ein, auf ihre Weise, in das allgemeine Schwatzen und Schrillen und Schreyen, das, wie Meeresbrandung, immer verwirrter und lauter, die hohe Göttinn [Themis; gemeint ist eigentlich die ‚Herkulanerin’, Anm. E. S.]505 umrauschte, bis diese die Geduld verlor, und in einem Tone des entsetzlichsten Riesenschmerzes plötzlich aufschrie: ‚Schweigt! schweigt! ich höre die Stimme des theuren Prometheus, die höhnende Kraft und die stumme Gewalt schmieden den Schuldlosen an den Marterfelsen, und all Euer Geschwätz und Gezänke kann nicht seine Wunden kühlen und seine Fesseln zerbrechen!’ (…).506

D. h. durch das Herauslösen aus dem mehrfigurigen Kontext ergab sich eine Erweiterung des interpretatorischen Spielraumes. Dem eigenhändig erstellten Verzeichnis Heynes von 1798 zufolge ist die wesentlichste Veränderung der Aufstellung in der Bibliothek gegenüber der früheren das jetzige Fehlen nahezu aller ganzen Statuen (mit Ausnahme der Vestalin/Großen Herkulanerin).507 Diese könnten zu der Zeit eine vorübergehende Unterbringung in einer „dorischen Porticus hinter der Kirche“ gefunden haben, die demnach als eine Art Statuenhof gedient hätte.508 Noch zu Heynes Lebzeiten wurde dann die an das Kollegiengebäude angrenzende Paulinerkirche der Bibliothek auch funktionell angeschlossen (zwischen 1808 und 1812).509 Eine eingezogene Zwischendecke unterteilte die spätgotische Hallenkirche in zwei übereinanderliegende Geschosse. Im oberen Geschoss befand sich die historische Bibliothek, in der auch gleich mehrere Gipsabgüsse aufgestellt wurden. Mehrere Kupferstiche geben den Blick in diesen Bibliothekssaal nach 1812 mit den dort befindlichen Abgüssen wieder. Ein Stich aus dem Jahr 1812 zeigt dort die sog. Große Herkulanerin und den Apoll vom Belvedere,510 ein weiterer zusätzlich zu diesen den Laokoon.511 In der Folgezeit gab es immer wieder Veränderungen in der Aufstellung: Ein Stich bildet außer der Herkulanerin und dem Apoll eine ganze Reihe von Büsten ab (der Laokoon fehlt hingegen).512 der Sammlung vorhanden. Es ist jedoch zu vermuten, dass es sich bei dem vermeintlichen älteren Laokoonsohn um den nach wie vor in Göttingen existenten Kopf des „zweitältesten Niobiden“ handelte (dazu s. o. S. 236–244). 505 Vgl. Döhl 2003, 43. 506 Zitiert nach Heine 1973, 88 f. – Vgl. Döhl 2003, 45 mit Anm. 66. 507 SUB, Bibl. Arch. A 33 c 25 (45). 508 Döhl 2003, 35 mit Anm. 45. 509 Fittschen 1990, 11. 510 Döhl 2003, 38 Abb. 3: Kupferstich von Christian Andreas Besemann (1760–1818). 511 Fittschen 1990, Taf. 1a; Döhl 2003, 38 Abb. 4: Kupferstich anonym (Döhl: „wohl Ch. A. Besemann“) 1812. 512 Boehringer 1981, 291 Abb. 10: Die ehemalige Paulinerkirche als Historischer Bibliothekssaal nach 1812, (kolorierter) Stich von O. Eberlein (?), Städtisches Museum Göttingen; Döhl 2003, 39 Abb. 5: Kupferstich anonym (Eberlein?) nach 1823.

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2 Der Aufbau der Göttinger Gipsabguss-Sammlung unter Christian Gottlob Heyne

Abb. 60: Universitätsbibliothek Göttingen: Blick in den Historischen Saal in der Paulinerkirche (um 1830).

Eine andere Darstellung (um 1830) enthält neben der Galerie von Büsten wieder die Herkulanerin, den Apoll, den Laokoon sowie zusätzlich den Borghesischen Fechter (Abb. 60).513 Ungefähr zu dieser Zeit sollte die Göttinger Universitätsbibliothek mit den darin aufgestellten Gipsabgüssen auch literarischen Niederschlag finden. Heinrich Heine hatte in Göttingen Jura studiert und wurde dort 1825 promoviert. Christian Gottlob Heyne lebte zu dieser Zeit bereits seit gut zehn Jahren nicht mehr, dessen Vorlesung hat Heine also nicht mehr erleben können. In seiner Harzreise (1826) beschreibt Heine nicht nur Göttingen und seine Universität, sondern auch die Sammlung der Gipsabgüsse, wobei er Göttingen an sich offensichtlich nicht uneingeschränkt positiv gegenüber stand: „Die Stadt selbst ist schön, und gefällt einem am besten, wenn man sie mit dem Rücken ansieht.“ Im sog. Bibliothekstraum innerhalb der Harzreise werden die Räumlichkeiten der Göttinger Bibliothek zum Schauplatz einer phantastisch anmutenden Traumsequenz: Heine als Protagonist durchstöbert darin zunächst alte Dissertationen, plötzlich tritt eine ganze Versammlung schon verstorbener Professoren und Rechtsgelehrter auf, die alle wild durcheinander diskutieren, schließ-

513 Arndt 1994, 15 Textabb. a): Der Historische Saal der Universitätsbibliothek um 1830; Aquarell, Historisches Museum Hannover, Inv.-Nr. 015291.

2.2 Erwerbungsgeschichte

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lich fliegen Bücher aus den Regalen, der Saal droht einzustürzen. Auch die Gipsabgüsse verwandeln sich in höchst lebendige Gestalten: Die Große Herkulanerin erscheint sprechend als Themis/Justitia mit Schwert und Waage, und auch der Apoll vom Belvedere und die Mediceische Venus haben darin einen Auftritt, wobei Apoll die Leier spielt: (…) und fort, aus diesem drängenden Tollhauslärm rettete ich mich in den historischen Saal, nach jener Gnadenstelle, wo die heiligen Bilder des belvederischen Apolls und der mediceischen Venus neben einander stehen, und ich stürzte zu den Füßen der Schönheitsgöttinn, in ihrem Anblick vergaß ich all das wüste Treiben, dem ich entronnen, meine Augen tranken entzückt das Ebenmaß und die ewige Lieblichkeit ihres hochgebenedeiten Leibes, griechische Ruhe zog durch meine Seele, und über mein Haupt, wie himmlischen Segen, goß seine süßesten Lyraklänge Phöbus Apollo.514

514 Zitiert nach Heine 1973, 89. Allerdings entsprach die darin geschilderte Aufstellung des Apoll vom Belvedere und der Venus Medici nebeneinander bis etwa 1840 wohl zu keinem Zeitpunkt der tatsächlichen dortigen Aufstellung, vgl. Döhl 2003, 42; 45 mit Anm. 67; 47.

3 Heynes Vorlesungen – Einbeziehung der Gipsabguss-Sammlung 3.1 Inhalte und Zielsetzung Im Sommersemester 1767 hielt Christian Gottlob Heyne seine Archäologievorlesung, die er als Privatissimum durchführte, zum ersten Mal.515 Er wiederholte sie danach zunächst jährlich,516 später ungefähr alle zwei Jahre, zum letzten Mal hielt er sie im Jahr 1806.517 Die Vorlesung fand im großen Bibliothekssaal statt, der sich im Erdgeschoss der Bibliothek befand: Vorne an den Fenstern herum hat die Archäologie ihren Platz, und zwischen derselben in der Mitte stehet die Büste des jetzigen Königs von weißem Marmor. Hier ist es, wo Heyne alle zwey Jahre ein Mahl im Sommer früh von acht bis neun Uhr, seine archäologischen Vorlesungen hält, und dabei die Ueberbleibsel des Alterthums, theils in Kupfern, theils in Gemmen u. dergl. vorzeigt. Dieses Collegium aber ist nicht für jedermann; es werden nicht mehr als ohngefähr zwölf zugelassen, und von diesen bezahlt ein jeder drey Louis d’or.518

Der Inhalt Heynes Akademischer Vorlesungen über die Kunst des Alterthums ist uns vor allem in Form von Hörermitschriften (bzw. Nachschriften) überliefert.519 Eine 1822 erschienene gedruckte Fassung der Vorlesung von einem unbekannten Herausgeber ist offensichtlich mit Hilfe mehrerer dieser Nachschriften erstellt worden.520 Diese Druckfassung enthält jedoch nicht den originalen Wortlaut Heynes bei seinen Vorlesungen (s. Vorwort ebd.),521 vor allem aber ist sie nicht frei von Fehlern, Irr515 Heeren 1813, 243. 249 Anm.; vgl. Bruer 1994, 31; Döhl 2007, 30. 516 Heyne 1778b, S. IX: „Ich habe bisher jeden Sommer Veranlassung gehabt, einer ausgesuchten Anzahl Zuhörer eine Einleitung in das Studium des Alterthums vorzutragen.“ 517 GGA 1806, 47. Stück/22. März 1806, S. 471; Döhl 2007, 32. – Fittschen 1979a, 5 nennt irrtümlich das Jahr 1804. 518 Brief eines Schweizer Studenten, 1791, s. Ebel 1975, 39 (nach diesem zitiert bei Schwedt 1983, 156 f.). – Döhl 2007, 31 bringt in seiner schematischen Darstellung der Bibliotheksräume die archäologische Literatur und den vermutlichen Standort Heynes bei seinen Vorlesungen (irrtümlich?) im großen „Historischen Saal“ im Obergeschoss unter; anders jedoch bei Pütter 1788, 217, vgl. oben S. 267 f. mit Anm. 409. 519 Fittschen 1979b, 22 f.; Graepler 2013a, 123 mit Anm. 44. – Acht Nachschriften sind aufgelistet bei Boehringer 1981, 274 f. Anm. 7. Zwischenzeitlich sollen mehr als zehn bekannt gewesen sein, s. Döhl 2007, 32. Heute werden bereits sechzehn Manuskripte gezählt, die mit Heynes Vorlesung in Verbindung zu bringen sind, s. Graepler 2014, 82 f. 520 Chr. G. Heyne, Akademische Vorlesungen über die Archäologie der Kunst des Alterthums insbesondere der Griechen und Römer. Ein Leitfaden für Leser der alten Klassiker, Freunde der Antike, Künstler und diejenigen, welche Antikensammlungen mit Nutzen betrachten wollen (Braunschweig 1822), anonymer Herausgeber = Heyne 1822 (zur Berücksichtigung verschiedener Nachschriften s. dort S. VI). 521 Heyne 1822, S. VI: „(…) wenn auch der Vortrag des Lehrers nur selten mit dessen eigenen Worten niedergeschrieben und wiedergegeben seyn sollte.“ https://doi.org/10.1515/9783110616200-012

3.1 Inhalte und Zielsetzung

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tümern und anderen Äußerungen, die kaum von Heyne stammen können.522 Sie taugt somit nur bedingt als Heyne-Dokument.523 Durch die Berücksichtigung von Nachschriften aus verschiedenen Jahren gibt die Druckfassung außerdem auch inhaltlich nicht den Kenntnisstand Heynes zu einem bestimmten Zeitpunkt wieder.524 Anders die Mitschriften selbst, die die Entwicklung der Heyne-Vorlesung über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten nachvollziehbar machen.525 Im Rahmen eines mehrjährigen DFG-geförderten Forschungsprojektes des Archäologischen Institutes der Universität Göttingen in Zusammenarbeit mit der SUB Göttingen konnte in jüngerer Vergangenheit eine beträchtliche Anzahl von Vorlesungsmanuskripten zusammengetragen, digitalisiert und transkribiert werden.526 Heyne selbst hat lediglich eine Art Leitfaden zur Vorlesung mit dem Titel Einleitung in das Studium der Antike, oder Grundriß einer Anführung zur Kenntniß der alten Kunstwerke. Zum Gebrauche bey seinen Vorlesungen entworfen von Chr. Gottl. Heyne (1772) publiziert.527 Im Gegensatz zur genannten, posthum erschienenen Druckversion der Heyne-Vorlesungen aber ist diese Einleitung ein authentisches Dokument der Inhalte und Zielsetzungen Heynes bei seinen Vorlesungen. Sie gibt einen Einblick in Heynes Vorstellungen in einer frühen Phase seiner archäologischen Lehrtätigkeit, zu einem Zeitpunkt, zu dem der Aufbau der Sammlung der Gipsabgüsse noch nicht sehr fortgeschritten war. Zwar handelt es sich dabei nicht um eine durchgängige Abhandlung, enthalten sind aber wesentliche Thesen und Definitionen zum „Studium des schönen Alterthums“ (S. 8) und die Inhalte seiner Vorlesung. Der Abgleich mit den inzwischen näher untersuchten erhaltenen Hörermitschriften zeigt allerdings, dass die Gewichtung der einzelnen Teile in der tatsächlich gehaltenen Vorlesung davon abwich und auch die Gliederung nicht unverändert blieb.528 Noch im Jahr des Erscheinens seiner Einleitung verteidigt Heyne diese in einem Brief an Christian Ludwig von Hagedorn vom 3. Oktober 1772 gegen die Kritik Gio-

522 So wird darin beispielsweise die Zahl der Herrenhäuser Büsten mit zwölf angegeben – Heyne selbst hatte allein 18 Exemplare (und damit nicht einmal alle dort vorhandenen) als Abgüsse erworben: „Zwölf schöne Bronzen werden zu Herrenhausen bei Hannover verwahrt. Es sind die größesten Merkwürdigkeiten Hannovers“ (Heyne 1822, 424), vgl. Fittschen 2006, 25. 90. 523 Vgl. Döhl 2007, 32 f. 524 Vgl. Boehringer 1981, 274 f. 525 Vgl. Döhl 1988, 136. 526 s. dazu ausführlich Graepler 2014, 80–87. Dabei handelt es sich sowohl um Vorlesungsmitschriften wie auch um Abschriften nach solchen. Hinzu kommen im Hinblick auf die praktische Durchführung der Vorlesung sehr aufschlussreiche Zeitzeugenberichte, wie der des Schriftstellers Wilhelm Friedrich August Mackensen (1791), s. Graepler 2014, 87–92. 527 SUB, Cod. Ms. Heyne 61: Chr. G. Heyne, Einleitung in das Studium der Antike, oder Grundriß einer Anführung zur Kenntniß der alten Kunstwerke. Zum Gebrauche bey seinen Vorlesungen entworfen (Göttingen 1772) = Heyne 1772; Bräuning-Oktavio 1971, 11 f.; vgl. dazu auch Graepler 2014, 81. 93. 528 Graepler 2014, 94. Dagegen wird die Bedeutung, die Heyne einer gründlichen Definition des „Studiums der Antike“ in seiner Einleitung beimaß, durch die Mitschriften auch für die Vorlesung selbst bestätigt, s. Graepler 2014, 94 f.

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3 Heynes Vorlesungen – Einbeziehung der Gipsabguss-Sammlung

vanni Battista Casanovas und gibt zugleich über die Zielsetzung seiner Vorlesung Auskunft.529 Hagedorn war erster Generaldirektor der 1764 gegründeten Dresdner Kunstakademie, außerdem Sammler und Kunstgelehrter. Casanova galt als einer der besten Zeichner in Rom und hatte auch die Zeichnungen zu Winckelmanns Monumenti antichi inediti angefertigt. Von 1764 an war Casanova zunächst Professor, von 1776 bis 1795 Direktor der Kunstakademie in Dresden.530 Wie Heyne nun in seinem Brief an Hagedorn erläutert, enthalte die gedruckte Einleitung zunächst lediglich „die bloßen Puncte, das Skelet – das Fachwerk, die Repositorien von den Sachen, die gesagt werden sollen, und in welcher Ordnung sie gesagt werden sollen“, daher auch der explizite Untertitel „zum Gebrauch bey seinen Vorlesungen“. Das Eigentliche sei aber „der Vortrag im Collegio selbst“.531 Ohnehin gebe es einen generellen Unterschied zwischen Vorlesung und Gedrucktem: Der Lehrvortrag müsse sich nach dem Kenntnisstand der Zuhörer richten und wo nötig zusätzliche Erläuterungen beibringen, während eine Publikation nichts wiederholen solle, „was in andern Schriften schon gesagt ist, und worüber ich keine neue Erläuterung zu geben weiß“. Daher sei es wohl recht abwegig, eine Vorlesung insgesamt abzudrucken.532 Prof. Casanova müsse wohl bekannt sein, da er ja die Altertümer studiert habe, „daß bisher dieß ganze Studium ein Chaos von Materialien ohne Ordnung, Licht und Uebersicht des Ganzen“ gewesen sei, und „eben daher das Studium so wenig Zweckmäßiges hatte“.533 „Die Schriftsteller und Antiquaren überhaupt waren sehr gelehrte Geschöpfe, die aber kein System, keinen Plan, und eben so wenig Philosophie im Kopfe hatten“ – Winckelmann komme daher das Verdienst zu, die verschiedenen antiquari-

529 Abgedruckt bei T. Baden (Hrsg.), Briefe über die Kunst von und an Christian Ludwig von Hagedorn (Leipzig 1797) = Baden 1797, 203–210; wieder abgeduckt bei Bräuning-Oktavio 1971, 39–45 (mit kleineren Abweichungen); vgl. dazu auch Döhl 1988, 134 f.; Graepler 2014, 93. 530 Kanz 2005, 35–37. Auch zur erstmals 1765 von Casanova an der Dresdner Akademie gehaltenen Vorlesung über die Theorie der Malerei war 1767 eine thematische Gliederung veröffentlicht worden: Nachricht von den Vorlesungen des Hrn. Prof. Casanova, Neue Bibliothek der schönen Wissenschaften und freyen Künste 5. 1, 1767, 162–165, vgl. Kanz 2005, 39 mit Anm. 28. Casanovas Vorlesung behandelte demnach Aspekte wie Proportion, Komposition und Darstellung von Bewegung, aber auch antiquarische Themen, die „zur Bereicherung der Subjekte dienen, und die Erfindung befördern helfen“ sollten. Später verfasste Casanova auch ein Manuskript der Vorlesungen, dessen Drucklegung jedoch aufgrund des Umfangs von mehreren tausend Seiten scheiterte; s. dazu aber die Textedition Kanz 2007. – Im Gegensatz zu Heynes Vorlesungen durfte bei Casanova offensichtlich auch die interessierte Öffentlichkeit teilnehmen, vgl. Kanz 2005, 39. 531 Baden 1797, 204; Bräuning-Oktavio 1971, 40. Heynes Einleitung in das Studium der Antike war auch Thema im Briefwechsel zwischen Heyne und Johann Gottfried Herder, dem dieser bereits vorab den Text und schließlich auch ein gedrucktes Exemplar geschickt hatte, s. Graepler 2014, 93 f. Zu beidem hatte sich Herder ausgesprochen lobend geäußert. 532 Baden 1797, 204; Bräuning-Oktavio 1971, 39 f. Vgl. dazu auch Graepler 2014, 104 f. 533 Baden 1797, 204 f.; Bräuning-Oktavio 1971, 40.

3.1 Inhalte und Zielsetzung

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schen Einzeldisziplinen unter dem Dach eines „regelmäßigen und übersehbaren Gebäudes“ der Altertumswissenschaft vereinigt zu haben; als Nächstes sei nun „dem Studio des Alterthums eine wissenschaftliche Gestalt zu geben, so daß es, wie andre Wissenschaften, nach einer bequemen Methode vorgetragen werden kann“, d. h. die antike Kunst sollte, ganz im Geiste der Aufklärung, als Wissenschaft lehr- und vermittelbar werden.534 Dabei komme „alles auf die gute Ordnung der Theile, auf die Auswahl des Wichtigen und Wesentlichen, und auf das Uebersehbare des Ganzen an“. Zur „Übersicht des Ganzen“ aber sei es notwendig, das einzelne Kunstwerk nicht isoliert, sondern eingebunden in eine Gesamtsystematik der erhaltenen Denkmäler zu erläutern.535 Sein Ziel sei es, weder „Artisten“ noch Kunst-Kritiker (die seiner Meinung nach die Kenntnisse des „Artisten“ wie des Kenners in sich vereinigen müssten) zu „ziehen“, sondern „Kenner und Liebhaber der Alterthümer, und zwar gelehrte Kenner“ heranzubilden: Solche junge Liebhaber, insonderheit Personen von Geburt und von Vermögen, dahin vorzubereiten, daß sie einst die alten Kunstwerke auf der Stelle selbst, in Italien und außer Italien, (denn es giebt außer Italien an vielen Orten so viele vortreffliche Sachen zu sehen, nur daß sie nicht, wie in Rom und Florenz, auf einen Haufen zusammengebracht sind,) mit Einsicht, Verständniß, und mit einigem Urtheile und Geschmack betrachten können.536

Diese Vorbereitung sei notwendig, weil sie sonst in Rom „den Antiquaren in die Hände fallen, die am wenigsten geschickt sind, über die Alterthümer Licht zu geben.“ 537 Heyne selbst ist jedoch nie in Italien gewesen. Er räumt daher ein: Das, was ich vortragen kann, gründet sich allerdings bloß auf Treue und Glauben der Nachrichten, der Schriftsteller, der Kupferwerke, der Gypsgüsse, der Abdrücke u.s.w. Daß im Einzelnen Unrichtigkeiten unterlaufen, wer zweifelt daran! Aber deswegen ist nicht das Ganze überhaupt Unrichtigkeit und Irrthum.538

Sein Vortrag könne „nicht anders als erzählend, historisch sein“, und „Geschichte der Kunst, so weit sie aus Nachrichten und Büchern, insonderheit aus den Klassi-

534 Baden 1797, 205; Bräuning-Oktavio 1971, 40. Damit war zugleich ein erzieherischer Anspruch verbunden, s. Kunze 2005, 9. – Zu Heynes diesbezüglichen Bemühungen s. a. Graepler 2013a, 123. Allerdings hatte bereits Winckelmann selbst in der Vorrede zu seiner Geschichte der Kunst des Alterthums erklärt: „Die Geschichte der Kunst des Alterthums, welche ich zu schreiben unternommen habe, ist keine bloße Erzählung der Zeitfolge und der Veränderungen in derselben, sondern ich nehme das Wort Geschichte in der weiteren Bedeutung, welche dasselbe in der Griechischen Sprache hat, und meine Absicht ist, einen Versuch eines Lehrgebäudes zu liefern.“ (Winckelmann 1764, S. IX). 535 Baden 1797, 205 f.; Bräuning-Oktavio 1971, 41. 536 Baden 1797, 206; Bräuning-Oktavio 1971, 41; dazu auch Heeren 1813, 247. Vgl. Graepler 2014, 90. 537 Baden 1797, 206; Bräuning-Oktavio 1971, 42. 538 Baden 1797, 207; Bräuning-Oktavio 1971, 42.

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3 Heynes Vorlesungen – Einbeziehung der Gipsabguss-Sammlung

kern, geschöpft werden muß,“ könne er „in Göttingen so gut, und vielleicht besser vortragen, als in Rom.“ Von den Kunstwerken gebe er „Notizen, Nachrichten, Beschreibungen und Vorstellungen“ [Reproduktionen, Kupferstiche, Anm. BräuningOktavio] so gut er könne.539 Außerdem hätte „wer selbst auf dem Campidoglio in Rom ein Collegium über die Antike läse, doch immer nur einen Theil von den Antiken vor sich.“ 540 Fähigkeiten und Kenntnisse des auf diese Weise durch seine Vorlesung ausgebildeten „gelehrten Kenners“ beschreibt Heyne wie folgt: Einem jungen Mann, der nun nach Italien kömmt, kann keines der großen Werke fremd seyn; er hat nicht nur einen allgemeinen Begriff davon, er weiß, was es vorstellen soll, sondern er weiß auch, wenn und wo, und in welcher Gestalt es gefunden worden, wie es ergänzt ist, was Kenner und Künstler davon urtheilen, was daran, und warum es bewundert wird, u. s. w. Eben so kann ihm in Palästen und in den Villen, in den Museis und anderwärts kein neues und fremdes Stück vorkommen, daß er nicht sogleich sich doch irgend einigen Begriff davon zu machen im Stande seyn sollte.541

Was Heyne vermitteln konnte, war von seinem eigenen Kenntnisstand, und dieser wiederum auch von dem ihm zur Verfügung stehenden Anschauungsmaterial abhängig. Dies waren im Jahre 1772 – dem Jahr des Erscheinens seiner Einleitung in das Studium der Antike wie dem Jahr der Abfassung seines Briefes an Hagedorn – Gipsabgüsse erst in sehr eingeschränktem Maße. Vermittelt werden konnte mit den Heyne zugänglichen Mitteln Denkmälerkenntnis, Ikonographie, Fundumstände, Ergänzungen sowie Urteil und Bewertung durch „Kenner und Künstler“; davon ausgehend sollte dann auch die selbständige Beurteilung noch unbekannter Werke möglich sein. Mit eigenen Urteilen hielt Heyne sich aber zurück: Daß ich nie selbst urtheile, verstehet sich; ich führe nur anderer Urtheile an, und erwäge sie nach Graden der Wahrscheinlichkeit. (…) Aber sobald sich die Sache auf alte Gelehrsamkeit gründet, dann nehme ich mir die Freiheit, mit eignen Augen zu sehen.542

Stilistische-chronologische Fragestellungen blieben dagegen notgedrungen außen vor. Auf Winckelmanns Vorgaben mochte Heyne sich nicht stützen, da sie ihm nicht fundiert und verlässlich genug erschienen, wie er an anderer Stelle ausführt:

539 Baden 1797, 207; Bräuning-Oktavio 1971, 42. 540 Baden 1797, 208; Bräuning-Oktavio 1971, 43. Vgl. dazu auch Heyne 1778b, S. X: „Uebrigens schränke ich mich auf dasjenige ein, was ich leisten kann ohne Italien gesehen zu haben, und wage kein Urtheil über alte Kunstwerke, als so weit sich der Gedanke und die Ausführung aus Zeichnung, Kupfern und Nachrichten beurtheilen läßt. Mit diesen Erkenntnißquellen muß in Ansehung eines großen Theils der Antiken selbst derjenige sich genügen lassen, welcher in Rom lebt und schreibt: denn über dasjenige, was in Florenz, Neapel und an anderen Orten Italiens, in Frankreich, England, Dresden, Berlin und anderwärts vorhanden ist, muß er sich, so gut, als ich, aus Büchern belehren, und in Rom selbst hat er nicht immer alles vor Augen (…).“ 541 Baden 1797, 207 f.; Bräuning-Oktavio 1971, 42 f. 542 Baden 1797, 208; Bräuning-Oktavio 1971, 43.

3.1 Inhalte und Zielsetzung

297

Winkelmann suchte Epochen fest zu setzen, ehe noch die Perioden in ein erträgliches Licht gesetzt waren. Er wollte einzelne Stücke, Facta und Umstände verbinden, die noch zu wenig bestimmt, in ihren Verhältnissen unbekannt und ungeprüft lagen. Insonderheit hatte er sich die Zeitrechnung des Alterthums noch zu wenig geläufig gemacht. Seine Epochen der Kunst sind daher gemeiniglich etwas sehr willkührliches, oft laufen sie auch ineinander, anderwärts verfehlen sie den eigentlichen Punkt; die Facta, worauf er sie gründet, halten keine kritische Prüfung aus, und die einzelnen Data mit den Belägen dazu, sind oft unzuverlässig. Alles dieses sind nicht Winkelmanns Fehler, sondern Folgen der Verfassung, in welcher er sich befand. Es ist dieß das Schicksal aller Schriftsteller, welche ein Ganzes schaffen wollen, wo noch nicht das Einzelne vollständig bearbeitet ist.543

Heynes Bemühungen um Erhellung der Chronologie basierten hingegen auf der literarischen Überlieferung zu Denkmälern und Künstlern.544 Ihm war durchaus bewusst, dass er vor Ort in Göttingen keine vollständige Antikenkenntnis vermitteln konnte, auch wenn man seiner Ansicht nach „außer Rom und Italien doch immer noch zu einiger Kenntniß des Alterthums gelangen“ könne:545 Im academischen Vortrag wird also bloß der Grund gelegt, und das Gesparr zu einem Gebäude aufgeführt, das ausfüllen und vollenden kann, wer da will und kann. Wer nach Rom reiset, kann es vielleicht eher und besser thun.546

Den Nutzen des Reisens als Mittel zum Erkenntnisgewinn durch unmittelbare Anschauung – eine Empfehlung der Aufklärung – stellte Heyne also keineswegs in Abrede.547 Die Beschäftigung mit der Materie, die er im Rahmen seiner Vorlesungen anregte, sollte vielmehr der Vorbereitung und Ergänzung dienen, so dass die Betrachtung der Kunstwerke vor Ort ersprießlicher ausfallen würde.548 Ausgehend von dem Gedanken, dass die antike Kunst ihre Größe durch das Zusammentreffen ganz bestimmter, auch natürlicher, Rahmenbedingungen erreicht habe, wollte man sich

543 Chr. G. Heyne, Berichtigung und Ergänzung der Winckelmannischen Geschichte der Kunst des Alterthums, Deutsche Schriften von der Königl. Societät der Wissenschaften zu Göttingen herausgegeben 1, 1771, 207 = Heyne 1771. 544 Vgl. Fittschen 1980, 35. 545 Baden 1797, 208; Bräuning-Oktavio 1971, 43. 546 Baden 1797, 208; Bräuning-Oktavio 1971, 43. Vgl. dazu auch Heyne 1778b, S. IX: „Ich besitze weder Kräfte, noch Kenntnisse, noch Muße genug, um ein Ganzes, wovon mir zuweilen ein dunkeles Bild vor dem Auge schwebt, auszuarbeiten; ich muß mich also begnügen, einzelne Gedanken und Anmerkungen mitzutheilen.“ 547 Es erstaunt nicht, dass Winckelmann ebenfalls eine empirische Herangehensweise vertritt: „Die Beschreibung des Schönen in der Kunst kann nicht alle Zeit nützlich werden, wenn die beschriebene Sache nicht bekannt ist.“ Und seine Abhandlung „Über die Fähigkeit der Empfindung des Schönen“ endet mit den Worten: „Gehe hin und sieh!“ (zitiert nach Koch 1955/56, 351). 548 Zur Bedeutung von Heynes Vorlesung als Vorbereitung einer adligen Klientel auf ihre Grand Tour s. a. Graepler 2013a, 123; Graepler 2014, 89. Allerdings scheint letztlich nur ein geringerer Teil der Hörer diese dann tatsächlich unternommen zu haben, vgl. Graepler 2014, 92.

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3 Heynes Vorlesungen – Einbeziehung der Gipsabguss-Sammlung

im Rahmen von Bildungsreisen an historischer Stätte in mildem Klima inspirieren lassen und eingehenderen Studien widmen.549

Geschmack und Kennerschaft Wie Heyne schreibt, war es das Ziel seiner Vorlesung, „junge Liebhaber (…) von Geburt und von Vermögen dahin vorzubereiten, daß sie einst die alten Kunstwerke (…) mit Einsicht, Verständniß, und mit einigem Urtheile und Geschmack betrachten können.“ 550 Das heißt, seine Ausführungen richteten sich ausdrücklich an eine exklusive Zielgruppe. Dies bestätigt auch der Bericht eines damaligen Göttinger Studenten: Dieses Collegium aber ist nicht für jedermann; es werden nicht mehr als ohngefähr zwölf zugelassen, und von diesen bezahlt ein jeder drey Louisd’or.551

In dieser Hinsicht war Heyne eher ein Verfechter des Neuhumanismus denn der Aufklärung.552 Sein Ziel war zwar auch die Erziehung und Anleitung zu Selbständigkeit, sicherem Urteilsvermögen, Geschmack und Stilsicherheit;553 allerdings hatte er dabei nur die sog. höheren Stände im Auge (auch wenn Heyne als Sohn eines Leinewebers selbst nicht eben zu den „Personen von Geburt und von Vermögen“ gehört hatte).554 Dies bestätigt auch eine Bemerkung Ernst Brandes’, der zwischen 1775 und 1778 bei Heyne in Göttingen studiert hat: Was zur Erweckung des Kunstsinnes, eines Sinnes, der besonders für den künftigen Genuß der höhern Stände so äußerst wichtig ist, geschehen konnte, ist durch den Ankauf von Gypsabgüssen von den schönsten Ueberresten des Alterthums und durch eine zweckmäßige Vermehrung der auf der Bibliothek befindlichen Kupfersammlung in den letzten Zeiten geschehen.555

549 Oehler-Klein 1994, 194. 550 Baden 1797, 206; Bräuning-Oktavio 1971, 41. Vgl. Graepler 2014, 90. 551 Brief eines Schweizer Studenten, 1791, s. Ebel 1975, 39 (nach diesem zitiert bei Döhl 2003, 31). Vgl. dazu auch den anschaulichen Zeitzeugenbericht W. F. A. Mackensens, s. Graepler 2014, 88 f. mit Anm. 76. 552 So nennt Heyne die „vermeynte Aufklärung die Pest unsers Zeitalters“, s. GGA 1788, 122. Stück/ 2. August 1788, S. 1223; vgl. Heidenreich 2006, 416. 553 Vgl. Helm 2005a, 17; vgl. Heyne 1772, 17: „Praktische Regeln bey Betrachtung und Beurtheilung, Zeichnung und Beschreibung alter Kunstwerke. Vorsicht bey dem Gebrauche der Kopeyen, Gypsgüsse und Kupferstiche. Anwendung von diesem allen auf die Richtung des Geschmacks.“ 554 Vgl. Heeren 1813, 247. Außerdem bekannte Heyne, in Göttingen werde „nun einmal unsre Frequenz sich vorzüglich auf Wohlhabende und auf den Adel einschränken müssen, so wie wir den großen Haufen der Armen gern Jena und andern überlassen.“ (Brief Chr. G. Heynes an die Regierung in Hannover vom 25. 11. 1795, Universitätsarchiv Göttingen, Kur. 6945 (alte Signatur: 4 V d 11/1), hier zitiert nach Menze 1983, 9). 555 Brandes 1802, 201. – Heyne war in zweiter Ehe mit einer Schwester Ernst Brandes’ (1758–1810) verheiratet.

3.1 Inhalte und Zielsetzung

299

Welchen Stellenwert die Bildung des Geschmacks im Rahmen der universitären Ausbildung nach Heynes Auffassung hatte, hat er selbst an anderer Stelle noch einmal ausführlich dargelegt: Wenn unstreitig die wissenschaftliche Bildung den Hauptgegenstand auf unsern Universitäten, ihrer Bestimmung nach, ausmachen muß: so ist es doch nicht gleichgültig für sie, ob nicht auch für die Bildung des Geschmacks, die Angewöhnung des Auges und des Sinnes für das Gute und Schöne, irgend eine nützliche Anlage vorhanden sey. Unser Zeitalter verlangt neben dem Brot-Studium auch einige Cultur. Außerdem werden Universitäten von Personen von Stande und Vermögen besucht, denen es um Kenntniß der schönen Künste und Wissenschaften zu thun ist. Über unsere Universität hat ein guter Genius gewaltet, daß sich nach und nach verschiedene vortheilhafte Umstände ereignet haben, die sie mit einem Apparat für die Kunde der schönen Künste bereicherten, welcher selbst denen zur Anleitung dienen kann, die sich entweder der schönen Litteratur und Kunst vorzüglich widmen, oder sich für die künftige Ansicht großer Kunstsammlungen alter und neuer Werke und für die Reise nach Italien vorbereiten wollen.556

Zu dem hierfür erforderlichen Anschauungsmaterial rechnete er neben dem „Schatz an Kunstbüchern und Kupferwerken der Bibliothek“ auch die Gipsabgüsse: „Einige Gypsabgüsse können auch einige Begriffe von Antiken geben.“ 557 Winckelmann hatte den „guten Geschmack“ als „die Fähigkeit, das Schöne in der Kunst zu empfinden“ definiert.558 Diese Fähigkeit schien ihm quasi „naturgegeben“ und damit mehr oder minder unabänderlich: „Die Fähigkeit der Empfindung des Schönen hat der Himmel allen vernünftigen Geschöpfen, aber in sehr verschiedenem Grade gegeben.“ 559 Während der gute Geschmack der Griechen bedingt sei durch eine einmalige historische Konstellation, in der, neben den erforderlichen geistigen Möglichkeiten zur Wahrnehmung des Schönen, die Natur ideale Vorbilder geschaffen habe, aus der die griechischen Künstler die Norm des Schönen ableiten konnten, musste der moderne Mensch, in Ermangelung idealer Vorbilder in der Natur, seinen Geschmack durch Betrachtung antiker Kunstwerke schulen.560 Heyne dagegen war davon überzeugt, Geschmack als eine Art Urteilsvermögen sei überhaupt und grundsätzlich erlernbar, Voraussetzung sei aber die Vermittlung objektiver Kriterien und Kenntnisse.561 Heynes diesbezügliche Bemühungen im Rahmen seiner Vorlesungen beschreibt Pütter:

556 GGA 1796, 40. Stück/10. März 1796, S. 401 f. 557 GGA 1796, 40. Stück/10. März 1796, S. 402. 558 Winckelmann 1763, 4. Vgl. I. Kant: „Geschmack ist das Beurtheilungsvermögen eines Gegenstandes oder einer Vorstellungsart durch ein Wohlgefallen, oder Mißfallen, ohne alles Interesse. Der Gegenstand eines solchen Wohlgefallens heißt schön.“ (Kant 1790, 211, § 5). 559 Winckelmann 1763, 5. Vgl. dazu auch Raspe 1767, 201: „Der gute Geschmack bleibt immer ein besonders Geschenk des Himmels. Die Erziehung kann ihn bilden, nicht erschaffen.“ 560 Vgl. Oehler-Klein 1994, 203 mit Anm. 40 und 41; 204; 207. 561 Vgl. dazu Kant 1790, 203, § 1: „Das Geschmacksurtheil ist also kein Erkenntnißurtheil, mithin nicht logisch, sondern ästhetisch, worunter man dasjenige versteht, dessen Bestimmungsgrund

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3 Heynes Vorlesungen – Einbeziehung der Gipsabguss-Sammlung

(…) dabey bringt er die Nachrichten, die Deutungen und die Urtheile von jedem Werke bey; beurtheilet und berichtiget dies alles, und gewöhnet also die Zuhörer unvermerkt, bey wachsender Kenntniß das Schöne zu sehen, zu fühlen, und sich Grund davon anzugeben.562

Objektivität bei der Beurteilung hatte für Heyne stets höchste Priorität. Die unverzichtbare Grundlage zur Entwicklung eines selbständigen Urteilsvermögens, das schließlich den „Kenner“ auszeichnete, war für Heyne die Denkmälerkenntnis: (…) aber er behielt doch immer den Hauptzweck vor Augen, seine jungen Zuhörer mit dem, was ihnen nach ihrer Lage Bedürfniß seyn konnte, besonders mit den wichtigern Kunstwerken, bekannt zu machen. Aber wenn er sie gleich als Kunstwerke ansehen lehrte, so erläuterte er sie doch gar nicht bloß ästhetisch; sondern zugleich auch wissenschaftlich und gelehrt. Auch beym Apoll und Laocoon hörte man keine Exclamationen. Viel weniger ging er dabey in metaphysische Erörterungen des Schönen hinein!563

Heynes Anliegen war die sachlich-nüchterne Wissensvermittlung ohne überschwänglichen Enthusiasmus und ohne Pathos. Eben dies kritisierte er an Winckelmann: „Nur mischte sich seine Begeisterung oft ins Spiel, wo kalte Betrachtung, Erwägung und Prüfung erfordert ward.“ 564 Damit steht Heynes betont rationale Auffassung im Gegensatz zu der von Winckelmann mit geprägten neuen Form der Kunstbetrachtung der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts: der ästhetischen Rezeption als Prozess subjektiver Wahrnehmung.565 Das von Heyne postulierte, durchaus auch ästhetisch ausgerichtete Urteil sollte aber auf objektiver Erkenntnis anstelle persönlicher Empfindung beruhen. So sehr Heyne sich in einigen Grundsatzfragen von den Idealen der Aufklärung distanzierte, gerade was die Zielgruppe aufklärerischer Bemühungen anbelangte, so sehr teilte er andererseits deren Inhalte und Ambitionen.566 Ausdrücklich sollte das Studium der „Alterthümer“ „mit Geschmack, und zur Schärfung und Aufklärung des Verstandes getrieben werden.“ 567 „Geschmack“ gehörte zu den Schlüsselbegriffen der Aufklärung; seine Schulung und Verfeinerung galt als ein Element der Erziehung des Menschen zum „Guten“ und zu sinnvollem, eigenverantwortlichem Handeln.

nicht anders als subjectiv sein kann. Alle Beziehung der Vorstellungen, selbst die der Empfindungen, aber kann objectiv sein (…).“ 562 Pütter 1788, 349 f. 563 Heeren 1813, 248. 564 Heyne 1778b, S. VII. 565 Vgl. Tutsch 2000, 163. 566 Vgl. dazu die Würdigung der Person Heynes durch Alexander von Humboldt (1769–1859): „Heyne ist der Mann, dem unser Jahrhundert gewiß am meisten verdankt, religiöse Aufklärung durch eigene Lehre und Bildung junger Volkslehrer, Liberalität im Denken, Anfang einer gelehrten Archaeologie und erste Verbindung des Aesthetischen mit dem Philologischen.“ (Brief A. v. Humboldts an W. G. Wegener vom 17. 8. 1789, hier zitiert nach Ebel 1975, 36). 567 Heyne 1772, 7.

3.2 Zum Aufbau der Vorlesung

301

Im Hinblick auf die Kunstsammlungen des Adels dagegen erschöpfte sich der pädagogische Anspruch nicht darin, durch Förderung von Geschmack und Bildung aus dem Einzelnen ein nützliches Mitglied der Gesellschaft zu formen. Vielmehr diente den Fürsten das Bildungsangebot, das sie durch Zugänglichmachen ihrer Kunstsammlungen eröffneten, zugleich als wichtige Legitimationsgrundlage. Der Adel erwarb sich durch die Vermittlung kultureller Werte mit ihren positiven Auswirkungen auf die Gesellschaft ein Verdienst, das letztlich seinen „Anspruch auf soziale Unentbehrlichkeit“ begründen konnte.568 Vor allem aber waren die Sammlungen des Adels wie kein zweites Medium geeignet, dessen eigenen guten Geschmack und Kennerschaft, und nicht zuletzt auch dessen Würde und Reichtum sichtbar zu machen.569

3.2 Zum Aufbau der Vorlesung Der von Heyne verfassten Einleitung in das Studium der Antike wie auch den erhaltenen Vorlesungsmitschriften zufolge war die Heyne-Vorlesung in drei Hauptteile gegliedert: Der erste Teil bestand aus einer allgemeinen Einführung („Von den alten Kunstwerken überhaupt, und von den verschiednen Arten der Kenntniß derselben“), der zweite Teil widmete sich der „Geschichte der Kunst überhaupt“ und den „Kunstwerken der Aegyptier, der Perser und der Etruscer insonderheit“. Der dritte Teil vermittelte die „Kenntniß der Kunstwerke, die sich von den Griechen und Römern erhalten haben“.570 Diese Aufteilung orientiert sich erkennbar an Winckelmanns Geschichte der Kunst des Altertums (1764).571 Die Struktur des dritten Teiles war jedoch – wie auch die Aufstellung der Gipsabgüsse in der Bibliothek – nicht wie bei Winckelmann an chronologischen oder der Stilentwicklung folgenden Kriterien ausgerichtet.572 Heyne versuchte stattdessen, die bis dahin bekannten Denkmäler systematisch zu erschließen und zu kategorisieren, indem er sie in ein naturwissenschaftlich anmutendes Ordnungsschema

568 Vgl. Rüffer 2005, 274 (zum Beispiel des Fürsten Leopold Friedrich Franz von Anhalt-Dessau in Wörlitz). – Vgl. in diesem Zusammenhang auch das Selbstverständnis des Landgrafen Friedrich II. von Hessen-Kassel, der sich in der Rolle des aufgeklärten Landesvaters gefiel, der für Bildung und Erziehung seiner Bürger Sorge trug und durch Gründung der Société des Antiquités im Jahre 1777 auch die Erforschung von Kunst und Kultur am Kasseler Hof fördern wollte, s. Oehler-Klein 1994, 194 f. 569 Vgl. Walther 1998, 368 f. 570 Heyne 1772, 3; vgl. Döhl 1988, 136. 571 Heyne besaß nachweislich ein Exemplar dieser Schrift, erworben aus dem Nachlass eines Künstlers in Potsdam (Brief Oesers an Hagedorn vom 2. 11. 1764), s. Döhl 2003, 23 mit Anm. 12. 572 Dies spricht m. E. gegen die Annahme Fittschens 1990, 10. 14, Heyne habe bereits als Ziel vor Augen gehabt, mit Hilfe der Abguss-Sammlung die Phasen der Entwicklung der antiken Kunst aufzuzeigen.

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3 Heynes Vorlesungen – Einbeziehung der Gipsabguss-Sammlung

nach Klassen und Arten einfügte.573 Zunächst wurde in Statuen und „Büsten, Hermen und Köpfe“ unterschieden. Die weitere Ordnung erfolgte nach ikonographischen Gesichtspunkten, wie männlich/weiblich, Götter/Helden/historische Figuren, jugendlich/alt/kindlich. Dies hing sicher auch mit der Art des Anschauungsmaterials zusammen, das Heyne zur Verfügung stand. Denn die ersten fünf Jahre seiner Vorlesungs- und Sammlungstätigkeit befand sich noch kein einziger Gipsabguss einer ganzen Figur in der Sammlung, und selbst bis zum Ende seiner Erwerbungstätigkeit waren nicht viel mehr als zehn solcher Exemplare zusammengekommen – zu wenig, um daraus auch nur Grundzüge einer stilistischen Entwicklung abzulesen. Zwar waren Heyne auch die Skulpturen der Sammlung Wallmoden bekannt, aber auch dies dürfte dazu nicht wesentlich mehr beigetragen haben. Da Heynes Denkmälerkenntnis also in erster Linie auf Abbildungen in Kupferstichwerken beruhte, konnte auch seine Vorlesung sich nur daran ausrichten, was sich anhand dieser Bildpublikationen einigermaßen zuverlässig ablesen ließ. Und das waren vor allem inhaltlich-ikonographische und motivische Gesichtspunkte. Für eine eigene Beurteilung von Stil und Chronologie fehlte Heyne die Anschauung und Kenntnis der Masse der erhaltenen Originaldenkmäler, also die Übersicht, über die Winckelmann verfügte (für den im Übrigen Fragen der ikonographischen Zuordnung kaum von Interesse waren).574 Heynes Betrachtungsweise musste daher in diesen Bereichen notgedrungen recht oberflächlich bleiben. Dies bemühte er sich bei der „Erklärung der alten Werke“ durch eine kritische Herangehensweise nach philologischem, respektive textkritischem Muster auszugleichen.575 Damit stand er, im Gegensatz zu Winckelmann, noch in der Tradition der Antiquare, die das antike Kunstwerk quasi als „Sonderform des antiken Textes“ auffassten, das somit vor allem historischphilologisch zu betrachten sei.576 In seiner Lobschrift auf Winckelmann äußert Heyne sich dazu wie folgt: Dagegen ist eine Art antiquarische Kritick, die noch zu wenig angewendet worden und doch sehr richtig und nothwendig ist. Wenn man mit alten Schriftstellern zu thun und eine Schrift oder schwere Stelle zu erklären hat: so ist die erste Rücksicht, die man nimmt, darauf gerichtet, ob die Schrift ächt, ob die Stelle unverdorben ist. Nicht anders sollte man bey einem alten Kunstwerke verfahren; vor allen andern Forschungen muß die Frage voraus gehn: ist das Stück wirklich alt, oder, wie viel ist daran alt? – wie viel neu angesezt und ergänzt?577

573 Vgl. Döhl 1988, 127 f. 133 f. 136. 574 Vgl. Heskia 2007, 75. 575 Vgl. Bruer 1994, 34; Vöhler 2002, 47; Graepler 2013a, 125. 576 Vgl. Dongowski 2000, 219. 577 Heyne 1778a, 17. Vgl. J. G. Herder in seiner Kasseler Lobschrift auf Winckelmann: „In den Wißenschaften fing die Kritik damit an, daß man in den Alten Ächt und Unächt zu unterscheiden und die wahre Lesart wiederherzustellen suchte; die Künste haben aus vielerlei Ursachen diesen Vortheil noch nicht gehabt und selbst Cavaceppi hat in seiner Raccolta der von ihm ergänzten Statuen, nicht bemerken wollen, was Neu oder Alt ist.“ (Schulz 1963, 44; auch zitiert bei Schweikhart 1979, 124).

3.2 Zum Aufbau der Vorlesung

303

Heynes Anspruch war also die wissenschaftlich objektive und rational nachprüfbare Beurteilung der Kunstwerke auf der Grundlage des Originalbestandes. In seiner Vorlesung legte er daher bei der „Anleitung zur Deutung der Bildsäulen“ außer auf die Vermittlung der „Erfordernisse und Hülfsmittel dazu“ auch auf die „Verwahrung wider das Willkürliche und Verworrene in den gemeinen Behauptungen“ Wert.578 Dem Thema Ergänzungen stand er dementsprechend kritisch gegenüber: Seiner Ansicht nach „verdarben“ sie das Werk, indem sie die „Idee des Werks“ verfälschten.579 Die Gewinnung verlässlicher Aussagen auf Grundlage des Originalbestandes aber war dadurch beeinträchtigt, dass die Abbildungswerke, auf die sich Heyne insbesondere bei seinen Ausführungen stützte, nicht erkennen ließen, wie viel vom ursprünglichen Bestand der einzelnen Werke erhalten, und welche Teile ergänzt waren.580 Die fehlende Überprüfungsmöglichkeit vor Ort machte sich hier besonders nachteilig bemerkbar.581 Allerdings versuchte Heyne, dies durch einen kopienkritischen Vergleich verschiedener Kupferstiche auszugleichen und dadurch Anhaltspunkte vor allem in ikonographischer Hinsicht zu gewinnen.582

Kunst und Wissenschaft Kunst und Wissenschaft waren in Göttingen auf vielfache Weise verwoben: Zum einen waren in den Räumen der Bibliothek als dem Ort der wissenschaftlichen Beschäftigung Kunstwerke aufgestellt. Dabei handelte es sich außer den Gipsabgüssen von Antiken auch um Porträts verdienter Zeitgenossen, entweder in Form von Büsten oder auch als Gemälde. Zum anderen war die Aufstellung der Gipsabgüsse in der Bibliothek an der dortigen Anordnung der wissenschaftlichen Literatur ausgerichtet. Das Ensemble aus Kunstwerken und Büchern wiederum bildete Rahmen und Hintergrund für Heynes archäologische Vorlesungen. Zudem vertrat und vermittelte Heyne in seinen Vorlesungen eine wissenschaftliche Herangehensweise an die Betrachtung und Beurteilung von Kunst nach dem Vorbild bereits etablierter wissenschaftlicher Disziplinen. Zur Erklärung der Kunstwerke bediente er sich auch des umfangreich zur Verfügung stehenden bibliothekarischen Materials, v. a. in Form von Abbildungswerken und Quellentexten, wie seine Herangehensweise überhaupt historisch-philologisch geprägt war. Als Grundlage

578 Heyne 1772, 17. 579 Heyne 1778a, 17; vgl. Heyne 1772, 17. 580 Vgl. Heyne 1822, 68. – Ganz abgesehen von den Abweichungen, die sich durch die Wiedergabe von Kunstwerken in Zeichnungen und Kupferstichen ergaben. 581 Eine ähnliche Erfahrung im Hinblick auf die Unzulänglichkeit der Abbildungen hatte zuvor auch Winckelmann gemacht: „Es ist daher schwer, ja fast unmöglich, etwas gründliches von der alten Kunst, und von nicht bekannten Alterthümern, außer Rom zu schreiben: es sind auch ein paar Jahre hiesiges Aufenthalts dazu nicht hinlänglich, wie ich an mir selbst nach einer mühsamen Vorbereitung erfahren.“ (Winckelmann 1764, S. XX). 582 Vgl. Graepler 2013a, 125.

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3 Heynes Vorlesungen – Einbeziehung der Gipsabguss-Sammlung

sollte eine umfassende Denkmälerkenntnis dienen; sein dazu aufgestelltes Gliederungsschema der erhaltenen Denkmäler orientierte sich an den Naturwissenschaften bzw. der Naturkunde: Wie der Naturkündiger die einzelnen Körper, der Litterator die Schriften in jeder Art der Litteratur, der er sich widmet, kennen und in Classen gebracht übersehen muß: so muß ein Alterthumskenner eine so viel möglich vollständige Kenntniß aller Ueberbleibsel des Alterthums nach den verschiedenen Stuffen ihres Werthes besitzen, zugleich mit der Fertigkeit die Gegenstände zu erklären, die Kunst, das Zeitalter, die Aechtheit, den Werth jedes Stückes zu bestimmen. Was für eine weitläufige Gelehrsamkeit setzt dieses voraus!583

Die durch vielfältige Bezüge verbundenen Komponenten zur Erfüllung dieses universalen Bildungs- und, wie noch zu zeigen sein wird, auch Erziehungsanspruchs – neben der wissenschaftlichen Literatur und den schönen Künsten auch die naturwissenschaftlichen Exponate des „Academischen Museums“ – waren hier gleichsam unter einem Dach, dem der Göttinger Universitätsbibliothek, vereinigt.

3.3 Einbeziehung und Funktion der Gipsabguss-Sammlung Die Abgüsse als Anschauungsmaterial Zu Beginn seiner Vorlesungstätigkeit ab 1767 hat sich Heyne offenbar in erster Linie auf die ihm zur Verfügung stehenden Abbildungswerke gestützt. Erst die etwas späteren Quellen ab einer Zeit, zu der der Bestand an Gipsabgüssen wesentlich angewachsen war, belegen dann zumindest eine allgemeine Verwendung der Gipsabgüsse als Anschauungsmaterial bei Heynes Vorlesungen.584 Zu Heynes Vorlesung schreibt Justizrat Pütter 1788 in seiner Gelehrtengeschichte: Endlich hält Hofr. Heyne noch ein Collegium, das zufälliger Weise den Namen der Archäologie führt, in der That aber eine Anleitung für das Studium der Antike ist; insonderheit zur Vorbereitung derjenigen, welche auf Reisen zu gehen gedenken. Nach gegebenen allgemeinen Begriffen von Kunst, schönen Kunstwerken, Studium und Kenntniß des Alterthums, werden die vorzüglichen alten Kunstwerke in Abgüssen, Abdrücken oder in Kupfern vorgelegt.585

Dies deckt sich im Wesentlichen mit dem, was Heyne selbst über seine Vorlesung und deren Zielsetzung, sowie zur grundsätzlichen Verwendung der Gipsabgüsse als Anschauungsobjekte neben den Kupferstichen sagt. In der gedruckten Nachschrift der Vorlesungen Heynes heißt es in dem Kapitel „Hülfsmittel der Archäologie“:

583 Heyne 1778a, 4. 584 Zur Frage der Einbeziehung der Abgüsse in Heynes Lehrveranstaltung vgl. Graepler 2014, 98. Weiteren Aufschluss diesbezüglich wird möglicherweise die weitere Erschließung der Hörermitschriften erlauben, s. Graepler 2014, 98. 585 Pütter 1788, 349.

3.3 Einbeziehung und Funktion der Gipsabguss-Sammlung

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Außer den alten Kunstwerken selbst, gehören die Gypsabgüsse davon, so wie die Abbildungen der Kunstwerke, in Kupfern und Handzeichnungen, hieher. Unter den Hülfsmitteln verdienen begreiflich die Sammlungen der Abgüsse die erste Stelle. Durch die Kupferwerke und Zeichnungen aber sind die Kunstwerke am bekanntesten geworden.586

Für seine Vorlesungen machte Heyne nachweislich regen Gebrauch von den großen Bildpublikationen des 17. und 18. Jhs., von denen er eine reiche Sammlung für die Göttinger Bibliothek anlegte.587 Auch Heyne-Biograph und -Schwiegersohn Heeren äußert sich zu dem von Heyne bei seiner Vorlesung herangezogenen Anschauungsmaterial. Er nennt ebenfalls die Abgüsse gemeinsam mit den Kupferstichwerken: Heyne hielt diese Vorlesung gewöhnlich im Sommer auf der öffentlichen Bibliothek. Er sah sich hier theils von Abgüssen der Antiken, theils von allen den Prachtwerken umgeben, welche Abbildungen der alten Kunstwerke darbieten. (…) aber er behielt doch immer den Hauptzweck vor Augen, seine jungen Zuhörer mit dem, was ihnen nach ihrer Lage Bedürfniß seyn konnte, besonders mit den wichtigern Kunstwerken, bekannt zu machen. Aber wenn er sie gleich als Kunstwerke ansehen lehrte, so erläuterte er sie doch gar nicht bloß ästhetisch; sondern zugleich auch wissenschaftlich und gelehrt. Auch beym Apoll und Laocoon hörte man keine Exclamationen. Viel weniger ging er dabey in metaphysische Erörterungen des Schönen hinein!588

Ob und inwieweit Heyne die Gipsabgüsse zur Veranschaulichung seiner Ausführungen allerdings tatsächlich herangezogen hat, ist im Einzelnen nicht sicher zu belegen – „beym Apoll und Laocoon“, wie bei Heeren zu lesen, möchte man aber unwillkürlich an die Abguss-Exemplare in der Göttinger Universitätsbibliothek denken. Boehringer dagegen interpretiert die Vorlesungsnachschriften dahingehend, dass Heyne auf die in der Bibliothek aufgestellten Gipsabgüsse in seinen Akademischen Vorlesungen über die Kunst des Altertums kaum je direkt Bezug genommen hätte.589 In der Tat finden beispielsweise die zahlreichen Porträts der

586 Heyne 1822, 23. 587 Graepler 2013a, 123. 125; Graepler 2014, 87; Fittschen 1979b, 23; Fittschen 1980, 39. Zur Praxis der Präsentation der jeweils angesprochenen Stichwerke im Rahmen der Vorlesungen s. Graepler 2013a, 123 mit Anm. 49; Graepler 2014, 87–89. 98. Innerhalb des DFG-Forschungsprojektes an der Universität Göttingen zur digitalen Erschließung der erhaltenen Vorlesungsmanuskripte (s. o.) wurden diese auch mit der darin zitierten altertumskundlichen Literatur verknüpft, s. Graepler 2014, 81. – Zu Heynes weiteren Verdiensten um die Göttinger Bibliothek s. Heeren 1813, 103. 290–293; Rohlfing 2014. 588 Heeren 1813, 248; vgl. auch Heyne 1822, S. IV (Vorwort des anonymen Herausgebers): „Nicht in jedem Jahre pflegte der selige Heyne seine archäologischen Vorlesungen zu halten. Er trug sie vor einem mäßigen Kreise von Zuhörern in der Universitäts-Bibliothek, zwischen den Schätzen des Faches, vor.“ – Leider erfahren wir aus den Vorlesungsankündigungen in den Göttingischen Gelehrten Anzeigen (GGA) nicht, wo Heyne seine anderen Vorlesungen hielt. 589 Boehringer 1979, 103. Vgl. dagegen Thiersch 1926, 13: „Dabei waren aber alle gepackt von der Lebendigkeit, mit der er die Auswahl von Abgüssen nach antiken Statuen erläuterte, welche er da und dort in der Bibliothek in geschmackvoller Weise hatte aufstellen lassen.“ Er bezieht sich dabei

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Sammlung in den Vorlesungsnachschriften keinerlei nähere Erwähnung. Dies könnte aber möglicherweise damit zusammenhängen, dass ihre Funktion ohnehin eine andere war als die der übrigen Abgüsse (dazu s. u.).590 Die nicht sehr zahlreichen ganzen Statuen, von denen Heyne Abgüsse erwerben konnte, kommen hingegen in der Vorlesung fast alle zur Sprache.591 Stets wird dabei auf gedruckte Abbildungen verwiesen – in einigen Fällen aber wird, sogar in der Druckfassung der Vorlesung, darüber hinaus ausdrücklich erwähnt, dass sich auch Abgüsse davon in Göttingen befänden („Agrippina“, Silen mit dem Bacchuskind und Fechter Borghese).592 Die erwähnte „Agrippina“ war im unteren Bibliothekssaal, in unmittelbarer Nähe zu dem Ort aufgestellt, an dem Heyne seine Vorlesung hielt; der Silen stand zwar ebenfalls im Erdgeschoss, jedoch außer Sichtweite in einem anderen, nämlich dem „Theologischen Saal“.593 Der Borghesische Fechter hingegen war im „Medizinischen Saal“ im Obergeschoss des Bibliotheksgebäudes zu sehen.594 Wollte Heyne also einige seiner Ausführungen direkt vor den Gipsabgüssen vortragen, musste er wohl in den meisten Fällen den Standort wechseln. Im Übrigen handelte es sich bei den in der Vorlesung besprochenen Statuen im Wesentlichen um Werke, die zum Kanon berühmter antiker Skulpturen gehörten. Ihre Erwähnung in der Vorlesung war also eigentlich ohnehin naheliegend, wollte Heyne seine Zuhörer mit den wichtigsten Werken der Antike bekanntmachen. Ebenso naheliegend war es, dass man sich bemüht hatte, davon Abgüsse nach Göttingen zu holen. Die Erwähnung dieser als bedeutsam eingestuften Stücke innerhalb der Vorlesung mit dem expliziten Hinweis, dass sich davon auch Abgüsse in Göttingen befänden, ist

auf Heeren 1813, 242 und besonders 247 ff.; dort ist allerdings zur Verwendung der Abgüsse bei der Vorlesung nichts enthalten, was über obiges Zitat von Heeren hinausginge (Heeren 1813, 248, s. o.). 590 Und auch die Bronzen in Herrenhausen werden nur ganz allgemein erwähnt: „Zwölf schöne Bronzen werden zu Herrenhausen bei Hannover verwahrt. Es sind die größesten Merkwürdigkeiten Hannovers“ (Heyne 1822, 424) – dies im Kapitel IX. „Büsten oder Brustbilder“ (als deren ursprüngliche Funktion in der Antike die „Ausschmückung“ u. a. von Bibliotheken bezeichnet wird, vgl. Heyne 1822, 420 f.), während einige der einzelnen Porträtdarstellungen, von denen sich auch Beispiele in Herrenhausen befanden, unter IV. „Männliche Aehnlichkeits-Statüen und Bildnisse“ behandelt sind – allerdings werden die Herrenhäuser Stücke dort nicht explizit genannt. 591 Die ganzen Statuen: Venus Medici, Krupeziontretender Satyr, Laokoon (Vater), Borghesischer Fechter, Apoll vom Belvedere, Silen mit dem Bacchuskind, „Agrippina“/sitzende Muse, Vestalin/ Große Herkulanerin (diese wurde in der Vorlesung offenbar nicht behandelt); dazu geschenkt aus der Sammlung Wallmoden: Knabe mit Traube und sog. Knöchelspielerin. 592 Vgl. Döhl 2003, 24–28. – So heißt es über den Silen: „In den meisten Schulen für Zeichner sind Abgüsse dieser Statüe anzutreffen. Auch zu Göttingen in der Bibliothek ist eine Abformung davon aufgestellt.“ (Heyne 1822, 142) – allerdings handelt es sich in Göttingen um den Abguss einer Renaissancereplik; zur „Agrippina“/Ariadne Dresden: „Ein Gypsabguß davon ist in der Bibliothek zu Göttingen zu finden.“ (Heyne 1822, 392); zum Fechter Borghese: „Ein Abguß von ihr [der „Bildsäule“, Anm. E. S.] findet sich auf der Bibliothek zu Göttingen aufgestellt.“ (Heyne 1822, 167). Auch in diesen Fällen wird außerdem auf Abbildungen verwiesen. 593 SUB, Bibl. Arch. A 33 c 25 (43); Pütter 1788, 218. 594 SUB, Bibl. Arch. A 33 c 25 (43); Pütter 1788, 220.

3.3 Einbeziehung und Funktion der Gipsabguss-Sammlung

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also weniger ein Beleg dafür, dass Heyne unmittelbar vor und anhand dieser Abgüsse doziert hätte, als vielmehr ein Zeichen des Stolzes, dass es gelungen war, Abgüsse dieser bedeutenden Stücke für Göttingen zu erwerben. Boehringer nimmt an, Heyne habe in seiner Vorlesung statt auf die Abgüsse in der Göttinger Bibliothek vor allem auf gedruckte Abbildungen verwiesen, um allgemeine Nachprüfbarkeit des Gesagten zu gewährleisten, denn „die Nachschriften [seiner Vorlesung, Anm. E. S.] waren ja dazu bestimmt, in aller Welt gelesen zu werden“.595 Heyne selbst hatte jedoch tatsächlich nie die Absicht, seine Vorlesung als Ganzes zu publizieren (s. o.). Seine Einleitung war explizit zum „Gebrauch bei seinen Vorlesungen“ gedacht, und auch der anonyme Herausgeber der später erschienenen Schrift zu Heynes Vorlesungen betont, hätte er „die geringste Hoffnung gehegt, daß diese Vorlesungen jemals aus Heyne’s eigenhändigen Papieren erscheinen mögten oder könnten, so würde er sich nicht entschlossen haben, dabei behülflich zu seyn“.596 Von daher hätte Heyne in seiner Vorlesung also ohne Weiteres auch Bezug auf die Abgüsse in der Bibliothek nehmen können. Im Übrigen erwähnte Heyne in seiner Vorlesung häufiger antike (oder für antik gehaltene) Stücke der Sammlung Wallmoden in Hannover-Herrenhausen wie auch neuzeitliche Kopien nach antiken Werken ebendort.597 Weltweite Nachprüfbarkeit wäre damit auch nicht gegeben. Zwar hat Raspe bereits 1767 ein Verzeichnis der Wallmodenschen Sammlung publiziert, dies jedoch ohne Abbildungen. Insofern ist es nachvollziehbar, dass Heyne sich (laut der gedruckten Fassung der Vorlesung) bei seinen Ausführungen nicht auf die bilderlose Publikation Raspes bezogen hat, sondern immer direkt auf die Sammlung Wallmoden selbst. Einige Stücke der Sammlung Wallmoden kamen 1781 in Form von Abgüssen als Geschenke des Grafen von Wallmoden in die Göttinger Sammlung. Diese sind jedoch verschieden von den in der Vorlesung behandelten Stücken dieser Sammlung.598 Fittschen hingegen vermutet, Heyne habe „die Abgüsse in seiner Vorlesung in ihrer Gesamtheit kaum heranziehen können“, weil sie in der Bibliothek auf viele verschiedene Räume verteilt waren, und allein die „Abbildungswerke am Ort der

595 Boehringer 1979, 103. 596 Heyne 1822, S. IV. – Der Verweis in einigen Fällen allein auf publizierte Abbildungen muss nicht auf Heyne, sondern könnte vielleicht auf den anonymen Herausgeber der Druckfassung oder die Verfasser der Nachschriften zurückgehen, denen Nachprüfbarkeit auch jenseits der Göttinger Bibliothek sicher ein Anliegen war. Ob die Gipsabgüsse nur in der gedruckten Fassung bzw. den Nachschriften fehlen, müsste ein Abgleich mit direkten (Original-)Mitschriften zeigen. 597 Fittschen 1979b, 22 f. unter Berufung auf die gedruckte Fassung der Vorlesung (Heyne 1822) sowie auf Handschriften in Darmstadt und Rom. 598 Von den Exemplaren, von denen ein Gipsabguss nach Göttingen gelangte, wurde einzig die Knöchelspielerin (Slg. Wallmoden 1979, 43–46 Nr. 12 (H. Döhl)) auch in der Vorlesung erwähnt (angesprochen wurde das Original in der Slg. Wallmoden, vom Abguss in Göttingen ist keine Rede, s. Heyne 1822, 334); die übrigen aus der Slg. Wallmoden abgegossenen Stücke finden weder im Original Erwähnung, noch werden die jeweiligen Abgüsse angesprochen. – Zu den von Heyne in seiner Vorlesung besprochenen Kunstwerken der Slg. Wallmoden s. Fittschen 1979b, 22.

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3 Heynes Vorlesungen – Einbeziehung der Gipsabguss-Sammlung

Vorlesung sofort greifbar waren“.599 In der Tat wird dies Heynes Vorgehen im Allgemeinen bestimmt haben.600 Aufgrund der Tatsache, dass die Teilnehmerzahl an seiner Veranstaltung begrenzt war und die Bibliothek nicht allzu weitläufig, wäre es aber wohl möglich gewesen, einige der Ausführungen auch direkt vor den Abgüssen vorzutragen (und letztlich ist es nicht ausgeschlossen, dass Heyne dies tat). Zumindest waren die von Heyne in der Vorlesung besprochenen Stücke in der Sammlung Wallmoden nicht eher erreichbar als die Abgüsse in der Bibliothek. Aufgrund ihrer Verteilung über die Räumlichkeiten der Bibliothek darf man aber wohl davon ausgehen, dass Heyne sich meist mit einem bloßen Verweis auf den jeweiligen Abguss begnügt hat. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die Gipsabgüsse selbst ja keine eigenständigen Kunstwerke waren, sondern gleichsam stellvertretend für die Originale standen, denen sie in Maßstab und Form bis ins Detail entsprachen.601 Man muss sich daher fragen, ob – so Heyne seine Ausführungen beispielsweise zum Apoll vom Belvedere vor dessen Gipsabguss in der Göttinger Bibliothek vorgetragen hat – die Mitschriften der Vorlesungen dies überhaupt durch explizite Nennung des Abgusses widerspiegeln müssen, oder ob Heyne in seiner Vorlesung anstelle des Abgusses nicht wahrscheinlicher einfach das Original selbst genannt haben wird, dessen Repräsentant der Abguss ja eigentlich nur war. Abgesehen davon eröffnen die in der Vorlesung gegebenen Hinweise auf Abbildungen in Stichwerken in der Tat die Möglichkeit der späteren erneuten visuellen Vergegenwärtigung der einzelnen Kunstwerke – eher als Hinweise auf deren Abgüsse in Göttingen.602 Daher erscheint es durchaus bemerkenswert, dass einige der ohnehin nicht sehr zahlreichen Gipsstatuen sogar noch in der Druckfassung der Heyne-Vorlesung ausdrücklich erwähnt werden. Dies dürfte aber weniger ein Hinweis auf ihre tatsächliche Verwendung bei der Vorlesung sein als vielmehr der Hervorhebung der Qualität und Bedeutung der Göttinger Abguss-Sammlung gedient haben.

Die „dekorative“ Funktion der Abgüsse und der Einfluss der schönen Künste Unabhängig davon, in welchem Umfang Heyne in seinen Vorlesungen nun tatsächlich von den Gipsabgüssen als Anschauungsmaterial Gebrauch gemacht hat, fällt bei Durchsicht des Quellenmaterials vor allem die häufige Erwähnung einer weiteren, offenbar recht wesentlichen Funktion der Abgüsse auf: ihrer „dekorativen“ Funktion in der Bibliothek. Heyne selbst schreibt zu den Abgüssen der Herrenhäu-

599 Fittschen 2007a, 97. 600 Dies schon aus praktischen Gründen, wie auch heute Vorlesungen kaum je in der GipsabgussSammlung selbst gehalten werden. 601 Vgl. Goethe, der „gute Gypsabgüsse“ als „die eigentlichsten Facsimiles“ antiker Kunstwerke bezeichnet, s. J. W. v. Goethe, Italienische Reise, April 1788 = WA I, 32, S. 322. 602 Zu den durch Hörermitschriften dokumentierten Abbildungshinweisen in Heynes Vorlesungen s. Graepler 2013a, 123. 125 mit Abb. 39.

3.3 Einbeziehung und Funktion der Gipsabguss-Sammlung

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ser Büsten, sie seien „zur Zierde des Bibliothekssaales“ angefertigt worden. Bemerkenswert ist, dass er diesen Aspekt bei Beantragung weiterer Finanzmittel für die Sammlung in den Vordergrund stellt, wohingegen dort von den Gipsabgüssen in ihrer Funktion als Lehrmittel überhaupt keine Rede ist.603 Zum geplanten Erwerb des Abgusses des Apoll vom Belvedere äußert dann auch Georg Brandes gegenüber Heyne, „die Bibliothek (könne) gewis mit keinem beßren Stücke ausgezieret werden.“ 604 Wenn von den Gipsabgüssen als „Zierde“ der Bibliothek die Rede ist, bedeutet dies jedoch nicht, dass ihre Funktion „dekorativ“ im Sinne von „funktionslos“ war: In demselben künstlerischen Geiste schuf Heyne die Sammlung von Gypsabgüssen und benutzte sie, um der Bibliothek eine geschmackvolle Zierde zu verleihen, die zugleich geeignet war, den Kunstsinn zu wecken und zu verbreiten, indem jedem Besucher einige der vorzüglichsten Kunstwerke vorgeführt wurden.605

Demnach dienten die Gipsabgüsse auch nach Heynes eigener Absicht nicht in erster Linie als spezifisch kunst-wissenschaftliches Anschauungsmaterial, sondern konnten und sollten, begünstigt durch ihre ständige und allgemeine Sichtbarkeit, ihre Wirkung, den „Kunstsinn zu wecken“ auf „jeden Besucher“ der Bibliothek entfalten. Ähnlich äußert sich auch Pütter: Die ganze Bibliothek ist schön erleuchtet (…). Die Arcaden sind überall mit Gypsbüsten nach guten Antiken ausgezieret, wodurch zugleich bewirkt wird, daß Studierende, welche sonst keine Gelegenheit dazu hatten, einige Begriffe von den schönen Kunstwerken erhalten.606

Dem lag die Vorstellung zugrunde, die Betrachtung antiker Kunstwerke habe ästhetisch wie sittlich bildenden Einfluss, der wiederum einer möglichst breiten (gebilde-

603 Promemoria, 25. Juli 1771 (Universitätsarchiv Göttingen, Kur. 6422), dazu Arch. Inst. Heyne A 4–7. 604 Boehringer 1981, 280; SUB, Cod. Ms. C. G. Heyne 125 (Brandes, Briefe an Heyne Bd. 3 1774/75), Nr. 174 (Hannover, den 22. Sept. 1775); auch SUB, Bibl. Arch. A 33 c 23 (13), Briefauszüge Reuß, Brandes in Hannover an Heyne (22. September 1775). 605 Unger 1861, 180. Dieses Zitat wurde bis jetzt irrtümlich Heeren zugeschrieben, zuerst von Boehringer 1979, 103, auf den sich alle weiteren Autoren berufen; noch korrekt, wenn auch im Hinblick auf den Urheber leicht missverständlich zitiert von Thiersch 1926, 45 Anm. 41. Inhaltlich wird es wohl trotzdem das Wesentliche treffen. – Vgl. außerdem Pütter 1820, 450: „Sowohl zur Erweckung und Belebung des Kunstsinnes, als auch zur äußeren Ausschmückung der weiten Säle werden (…) fortwährend neue Gipsabgüsse von antiken Statuen angeschafft“, sowie davor noch E. Brandes: „Was zur Erweckung des Kunstsinnes, eines Sinnes, der besonders für den künftigen Genuß der höhern Stände so äußerst wichtig ist, geschehen konnte, ist durch den Ankauf von Gypsabgüssen von den schönsten Ueberresten des Alterthums und durch eine zweckmäßige Vermehrung der auf der Bibliothek befindlichen Kupfersammlung in den letzten Zeiten geschehen.“ (Brandes 1802, 201). 606 Pütter 1788, 221.

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ten) Öffentlichkeit zugutekommen sollte.607 D. h. die angestrebte Wirkung entfaltete sich nicht allein auf den exklusiven Kreis der Hörer der Heyne-Vorlesung, sondern quasi „en passant“ auf jeden Besucher der Bibliothek. Angeraten wurde aber ohne Frage auch zu eingehenderer Beschäftigung mit der antiken Kunst, deren Sinn und Zweck Heyne wie folgt definierte: So wie wir die Kenntniß und das Studium der Schriften der Alten zur Aufklärung und Ausbildung unserer Gemüther gebrauchen: eben so soll zur Richtung, Bildung und Bearbeitung unserer Seelenkräfte in der sinnlichen Erkenntniß und dem so genannten untern Erkenntnißvermögen, folglich zur Bildung unsers Geschmacks und Gefühls des Schönen und Guten, und selbst zu vielen davon abhängigen sittlichen Zwecken, die Kenntniß dessen, was die bildenden Künste geleistet haben, dienen.608

Heynes Auffassung zur Funktion der bildenden Künste entsprach ganz dem Gedanken der Aufklärung, wonach durch Kunst eine Besserung der Gesellschaft bewirkt werden konnte.609 Diese Sichtweise sorgte für Forderungen nach mehr Möglichkeit zur Kunstanschauung gerade an den Universitäten, wie ein 1794 in der „Berlinischen Monatsschrift“ veröffentlichter Beitrag eines anonymen Autors über den Mangel an Gemälden und andern Kunstwerken auf den Deutschen Universitäten illustriert: Der Einfluß der schönen Künste auf die moralische Bildung der Menschen wird itzt mehr anerkannt als sonst; und die in neuern Zeiten getroffenen Anstalten, richtigen Geschmack an den Werken der Kunst zu verbreiten, haben zum Theil in dieser Bemerkung ihren Grund. Wo also ein großes Seminarium von Jünglingen, die eines solchen Eindrucks fähig sind, vorhanden ist; da sollte es an einer guten Sammlung von Kunstwerken, wahren Antiken oder Abdrücken derselben, Statuen, Gemmen, Gemälden, Kupferstichen u. s. w. nicht fehlen.610

Nach Auffassung desselben Autors sollte zugleich aber auch eine entsprechende Vorlesung angeboten werden, die von einem kompetenten Sachverständigen zu hal-

607 Vgl. Danguillier 2000, 35 f.; Wagner 2003, 165 f. – Dieser Bildungs- und Erziehungsanspruch war allgegenwärtig, und findet sich z. B. auch in der skulpturalen Ausgestaltung des Landschaftsgartens der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Werken nach der Antike, vgl. Wierik 2004, 181. 192 f. 608 GGA 1778, 99. Stück/17. August 1778, S. 794. 609 Vgl. J. W. v. Goethe, Italienische Reise, April 1788: „(…) man verlangt solche Gebilde neben sich aufzustellen, und gute Gypsabgüsse, als die eigentlichsten Facsimiles, geben hiezu die beste Gelegenheit. Wenn man des Morgens die Augen aufschlägt, fühlt man sich von dem Vortrefflichsten gerührt; alles unser Denken und Sinnen ist von solchen Gestalten begleitet, und es wird dadurch unmöglich, in Barbarei zurückzufallen.“ (WA I, 32, S. 322). – J. W. v. Goethe, Italienische Reise, 14. April 1788: „(…) So erhielt ich einen ziemlich guten Laokoons-Kopf, Niobe’s Töchter, ein Köpfchen, später für eine Sappho angesprochen, und noch sonst einiges. Diese edlen Gestalten waren eine Art von heimlichem Gegengift, wenn das Schwache, Falsche, Manierirte über mich zu gewinnen drohte.“ (WA I, 32, S. 324, hier zitiert nach Oswald 2007, 283). 610 Anonymos, Mangel an Gemälden und andern Kunstwerken auf den Deutschen Universitäten, Berlinische Monatsschrift 1794.2, 186 f. = Anonymos 1794.

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ten sei, der allerdings kein Sprachgelehrter sein sollte (ob man dies als Seitenhieb gegen Philologen wie Heyne verstehen darf?): Es sollte auch, nicht ein Litterator, sondern ein Kunstverständiger dem die Sammlung anvertraut wäre, wenigstens wöchentlich einmal Vorlesungen darüber halten, seinen Zuhörern richtige Begriffe von Schönheit durch Vorzeigung und Analysirung der Kunstprodukte beibringen, und auf die Weise einen Beitrag zur ausgebildetern Erziehung der studirenden Jugend liefern.611

Idealplastik und Porträts: „Kunstwerk“ und „Denkmal“ Betrachtet man die in der Göttinger Bibliothek aufgestellten Abgüsse in ihrer Gesamtheit, stellt man fest, dass Idealplastik in Form ganzer Statuen und auch in Form von Statuenköpfen (resp. Kopfausschnitten) gemeinsam mit „echten“ Porträts historischer Persönlichkeiten (sog. Ähnlichkeitsbildnissen) aufgestellt war.612 Offenbar wurde die Funktion und Wirkungsweise der Idealplastik und der Porträts auf den Betrachter aber doch als prinzipiell verschieden aufgefasst. Man könnte vielleicht im Wesentlichen unterscheiden zwischen „Kunstwerk“ und „Denkmal“: Während das idealplastische „Kunstwerk“ dazu diente, eine Vorstellung von „dem Schönen“ zu gewinnen, und dadurch den ästhetischen Geschmack zu verfeinern (und – wie bereits erwähnt – zur Kenntnis der „besten Antiken“ beitrug), sollte das „Denkmal“ als Würdigung einer historischen Persönlichkeit charakterliche Vorbildhaftigkeit repräsentieren.613 Gemein war beiden Arten von Bildwerken die Verkörperung eines Ideals, und auch die Zielsetzung blieb vom Grundsatz durchaus dieselbe: Von beidem – der Vermittlung der „Idee des Schönen“, wie der Vorführung des in ethischer und moralischer Hinsicht vorbildhaften Charakters – versprach man sich erzieherischen Einfluss (wenn auch auf verschiedene Weise). So konnte das „echte“ Porträt in seiner Eigenschaft als Denkmal und Verkörperung als vorbildlich angesehener Normen „Denkanstoß und Anregung, Mittel der Geschichtsbetrachtung, der Besinnung und der Selbstreflexion“ sein und so zu sittlicher Vervollkommnung beitragen.614 In Ver-

611 Anonymos 1794, 187. 612 Unter den Porträts in der Göttinger Sammlung im Übrigen auch solche von zeitgenössischen Persönlichkeiten. 613 In den „Kunstwerken“ waren überwiegend Persönlichkeiten und Figuren der antiken (griechischen) Mythologie dargestellt. 614 Maaz 2001, 26. – Die Funktion von Bildnissen bedeutender Persönlichkeiten, gerade in Bibliotheken, hatte 1712 bereits Heinrich Leonhard Schurzfleisch, Direktor der Bibliothek in Weimar, hervorgehoben: „Auch hinsichtlich der Darstellungen und Bildnisse der Helden und großen Männer, die der Schmuck der Bibliotheken sind, muß er [der Ort dieser Bibliothek, Anm. E. S.] nicht zurückstehen. Sondern er besitzt diese, von herausragenden Künstlern gezeichnet und gemalt, in großer Zahl, so daß sie den Raum des ganzen mittleren Zimmers ausfüllen, durch ihren Glanz schimmern und leuchten und in allen, die sie betrachten, höchste Bewunderung erregen.“ (H. L. Schurzfleisch,

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bindung mit der ästhetisierenden Wirkung des „Kunstwerks“ (auch wenn dessen Rezeption zumindest nach Auffassung Heynes kein rein emotional-subjektiver Vorgang sein sollte, sondern wiederum intellektuell gesteuert und auf vermittelbaren Kenntnissen beruhend) entsprach dies dem idealen Anspruch des Einklangs von Ratio auf der einen, und sinnlich-ästhetischer Wahrnehmung als (auch) emotionalem Moment auf der anderen Seite.615 Doch damit nicht genug: Auch die in statuarischer Form vor Augen geführten Körper waren insofern vorbildhaft, als diese als Ergebnis der vorbildlichen Sitten und Lebensweise der Griechen aufgefasst wurden. So sah Winckelmann bereits bei den alten Griechen die Eigenschaften verwirklicht, die die Aufklärung propagierte, ausgerichtet auf das Ziel eines eigenverantwortlichen Lebens nach den Regeln der Vernunft. Auf der Grundlage von Freiheit, natürlichen Gegebenheiten und einer idealen Staatsform hätten sich die Griechen der Antike körperlich, geistig und sittlich zur Vollkommenheit entwickeln können – Voraussetzungen, die wiederum zu Höchstleistungen auf dem Gebiet der Wissenschaft wie der Kunst und Kultur führten. Deren Bild war in Gestalt der Idealplastik präsent und sollte immer an diese Leitidee erinnern.616 Nach Heynes Auffassung dienten Porträts im Idealfall, d. h. unter der Voraussetzung, dass es sich dabei um „charakteristische“ Bildnisse handelte, vor allem der Ergänzung und Untermauerung der historisch-biographischen Überlieferung zu der jeweiligen Person,617 in seiner Vorstellung etwa in Form einer (…) Sammlung von Bildnissen großer Männer, deren großer Character aus dem Portrait hervor leuchtete; Köpfe mit einer erkennbaren Physiognomie, die uns dasjenige ins Andenken zurück rief und durch den Anblick bestätigte, was wir von ihnen wissen, z. B. Seelengröße eines Epaminondas.618

Heyne ging also offenbar davon aus, dass sich Physiognomie und Charakter soweit entsprachen, dass durch eine „getreue“ Darstellung im Porträt zwangsläufig auch

Notitia bibliothecae principalis Vinariensis (Frankfurt 1712) 36 (Übers. von W. Metzger), hier zitiert nach Knoche 2007, 232 f.) 615 Ein Gedanke, den Winckelmann bereits im Hinblick auf die Wahrnehmung von Schönheit allein, die darzustellen „der höchste Entzweck der Kunst“ sei (vgl. Winckelmann 1764, 142), formuliert hatte, vgl. Winckelmann 1764, 147: „Die Schönheit wird durch den Sinn empfunden, aber durch den Verstand erkannt und begriffen.“ 616 Vgl. Rügler 2005, 26; Helm 2005b, 19. 617 Vgl. Heidenreich 2006, 324 f. 618 GGA 1812, 1. Stück/2. Januar 1812, S. 2. – Vgl. auch Sulzer 1793, 719: „Nichts ist also gewisser, als dieses, daß wir aus der Gestalt der Menschen, vorzüglich aus ihrer Gesichtsbildung etwas von dem erkennen, was in ihrer Seele vorgeht; wir sehen die Seele in dem Körper. Aus diesem Grunde können wir sagen, der Körper sey das Bild der Seele, oder die Seele selbst, sichtbar gemacht.“ (auch zitiert bei Schrader 1995, 96).

3.3 Einbeziehung und Funktion der Gipsabguss-Sammlung

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bestimmte Eigenschaften sichtbar gemacht wurden.619 Unabdingbare Voraussetzung für die Erfassung der Vorbildhaftigkeit historischer Persönlichkeiten blieb seiner Meinung nach aber immer die schriftliche Überlieferung: Wirklich große Charactere kommen im Alterthum nicht häufig vor; sollen sie uns Muster werden: so müssen wir wissen, wie sie sich bildeten, was sie wirkten (…); wir müßten Charactere vor uns sehen, wie sie ein Plutarch, ein Tacitus, zeichnete.620

Porträts könnten dies lediglich ergänzen: Diese, auch in treuen Portraits, ausgespürt, ausstudirt, dargestellt zu sehen, welcher Genuß müßte dieses seyn!621

Heyne bedauert, dass sich jedoch nur wenige „Portraits großer Männer des Alterthums“ erhalten hätten, und darunter wiederum nur wenige „den Character des Mannes zeichnen und zu erkennen geben“, also einen „physiognomischen Werth“ hätten.622 619 Wobei ein „charakteristisches“ oder „getreues“ Bildnis nicht einfach gleichbedeutend war mit einem „natur-getreuen“ Abbild: Die „Ähnlichkeit“ eines Bildnisses zu seinem Vorbild bezog sich nicht allein auf die eigentlichen physiognomischen Merkmale des Dargestellten, sondern umfasste zugleich dessen charakterliche und persönliche Individualität – nach der physiognomischen Theorie, wie sie Lavater vertrat, sollten sich äußere wie innere Eigenschaften allerdings ohnehin entsprechen. Diese Annahme führte offenbar sogar so weit, umgekehrt Idealbildnisse auf der Basis bestimmter zu verkörpernder Eigenschaften erschaffen zu wollen; vgl. dazu Friedrich Nicolai: „Sie [die Physiognomik, Anm. E. S.] soll, durch genaue Beobachtungen des Körpers, die Kennzeichen des innern Charakters entdecken, aber sie kann sie nicht a priori erfinden.“ Man könne zwar einen Kopf „a posteriori richtig erklären“, nicht aber einen idealen Kopf „a priori entwerfen“ (Nicolai 1774/75, 335 f.). 620 GGA 1812, 1. Stück/2. Januar 1812, S. 2. 621 GGA 1812, 1. Stück/2. Januar 1812, S. 2. – Vgl. Sulzer 1793, 720: „Hiezu kommt noch die fast in allen Menschen vorhandene Neigung, Personen deren Charakter und Thaten uns aus Erzählungen wol bekannt sind, aus ihrer Gesichtsbildung und Gestalt kennen zu lernen. Es macht uns ein großes Vergnügen, so oft es sich trifft, daß wir Menschen, deren Ruhm uns schon lange beschäfftiget hat, zu sehen bekommen. Was würde man nicht darum geben, einen Alexander, Sokrates, Cicero, Cato, Cäsar und dergleichen Männer, so wie sie gelebt haben, zu sehen?“ – Bei Wieland konnte dem Bildnis sogar der Vorrang vor der literarischen Überlieferung eingeräumt werden, sollten beide zueinander in Widerspruch stehen. So schrieb er in seiner Ehrenrettung dreyer berühmter Frauen des Alterthums (1790) zu der mit einem schlechten Ruf behafteten Faustina der Jüngeren, deren Büste er auch besaß (von F. W. Doell, nach 1. Typus, Mus. Capitolini, Inv.-Nr. 449; vgl. Manger – Reemtsma 2005, 102 f. Abb. 2): „Auch dir, schönste unter allen Augusten des alten Roms, haben die Lästerzungen deiner eigenen Zeit und die undenkenden Zusammenstoppler der unsrigen übel mitgespielt! Aber gewiß hat keiner von diesen Unglücklichen weder dich selbst noch deine Büste gesehen! Wer könnte bey diesen sanften gutartigen Zügen, bey dieser beynahe kindlichen Unwissenheit, daß etwas Süßes schädlich, etwas Angenehmes unrecht seyn könne, die aus deinem ganzen reitzvollen Gesichte spricht, Arges von dir denken?“ (Wieland 1796, 378 f.). 622 GGA 1812, 1. Stück/2. Januar 1812, S. 2. – Den Aspekt der „Ähnlichkeit“ thematisiert Heyne auch im Hinblick auf die zeitgenössischen Porträts der Sammlung: An der Marmorbüste Georgs III.

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3 Heynes Vorlesungen – Einbeziehung der Gipsabguss-Sammlung

Die Funktion der Porträtbüsten erschöpfte sich jedoch noch nicht in der beschriebenen repräsentativen Vorbildhaftigkeit. Vielmehr sollten die Porträts – ebenso wie die mit ihnen aufgestellten Werke der Idealplastik – darüber hinaus auch der „Zierde“ der Räume der Göttinger Bibliothek dienen.623 Denn aufgrund der Annahme der Übereinstimmung von moralischer und körperlicher Schönheit konnten auch die Porträts in gewissem Sinne als „schön“ gelten. Entsprechend formulierte Johann Heinrich Rahn (1749–1812), offensichtlich in Anlehnung an J. C. Lavaters Postulat „Von der Harmonie der moralischen und körperlichen Schönheit“ in dessen Physiognomischen Fragmenten (1775): (…) eben so sehr bewundere ich hier die offenbare sichtbare Harmonie und Zusammenstimmung der moralischen und körperlichen Schönheit – bewundere das höchste unbegreifliche Wunder der Natur, die einen Klumpen todter Materie so zu bilden gewußt hat, dass er Leben, Thätigkeit, Gedanken, Empfindungen – und so gar seinen sittlichen Character sehen läßt.624

Dass dieser Aspekt der (inneren und äußeren) Schönheit offenbar auch im Hinblick auf Werke wie die Büsten von Herrenhausen von Bedeutung war, darauf weist der Nachdruck der Heyne-Vorlesung. Darin heißt es zum Thema Büsten (unter denen auch die Herrenhäuser Serie explizit genannt wird): „Sie sind theils als Ideale, theils nach dem gemeinen Leben bearbeitet, und oft so schön, daß man sich nichts besseres zu denken vermag.“ 625

bemängelt er, „daß der Styl des Meisters nicht der rechte sey. Treffende Züge der Aehnlichkeit sind überhaupt bey unsern neuern Bildhauern selten“ (SUB, Bibl. Arch. B 14 b; Äußerung Heynes wiedergegeben durch Georg Brandes in einem Schreiben vom 24. 6. 1776, hier zitiert nach Döring 1994, 12) – dies dürfte aber mehr ein Vorwand als der eigentliche Grund für das Missfallen des Bildnisses gewesen sein, vgl. Döring 1994. – Die geforderte „Ähnlichkeit“ galt zwar als gleichbedeutend mit einer scheinbar absoluten „physiognomisch richtigen“ Darstellung im lavaterschen Sinne, war aber im Hinblick auf die Erfassung des Wesens und der Persönlichkeit des Porträtierten tatsächlich in höchstem Maße abhängig von subjektiver Wahrnehmung und Deutung, des Künstlers wie des Betrachters. Zur Begriffsbestimmung und Problematik der Porträtähnlichkeit vgl. Schrader 1995, 93–100. 623 Vgl. Promemoria, 25. Juli 1771 (Universitätsarchiv Göttingen, Kur. 6422). Darin äußert Heyne über die Gipsabgüsse der Herrenhäuser Büsten, sie seien „mit ziemlichem Aufwande zur Zierde des Bibliothekssaales verfertiget worden.“ 624 Rahn 1782, 278 (auch zitiert bei Kunz 1970, 12); vgl. Lavater 1775, 27. 105. Beide zitieren Sulzer 1793, 718 s. v. Portrait: „Er [der Mensch, Anm. E. S.] ist das höchste und unbegreiflichste Wunder der Natur, die einen Klumpen todter Materie so zu bilden gewußt hat, daß er Leben, Thätigkeit, Gedanken, Empfindungen und einen sittlichen Charakter sehen läßt.“ 625 Heyne 1822, 421. 424. – In der Vorlesungs-Nachschrift wird zwischen „Büsten“ und sog. „Ähnlichkeitsbildnissen“ unterschieden. Interessanterweise werden die Herrenhäuser Bildnisse darin zwar einerseits als Serie zu den „Büsten“ gerechnet, andererseits sind aber die einzelnen Porträtdarstellungen – wenn auch ohne expliziten Bezug auf Herrenhäuser Stücke – unter den „Ähnlichkeitsbildnissen“ zu finden; anders als im Abschnitt zu den Büsten ist hier jedoch im Hinblick auf die „Ähnlichkeitsbildnisse“ von der Koinzidenz körperlicher und moralischer Schönheit offensichtlich nicht die Rede (vgl. o. Anm. 590).

3.3 Einbeziehung und Funktion der Gipsabguss-Sammlung

315

Für Heyne war jedoch die Herausbildung eines ästhetischen Empfindens nicht nur durch Betrachtung von Werken der bildenden Kunst zu erreichen – auch und gerade die antike Dichtung schien ihm entsprechenden Einfluss auszuüben (wie ja generell in der zweiten Hälfte des 18. Jhs. Philosophie, Philologie, Literatur und alle Bereiche der Kunst und Ästhetik noch im Gesamtkonzept der „schönen Wissenschaften und bildenden Künste“ zusammengefasst waren).626 Auch hier versuchte Heyne mithilfe einer „detaillierten Darlegung der Gründe der Schönheit“ seinen Schülern zu objektivem Beurteilungsvermögen zu verhelfen.627 Der Dichtung gestand er eine sehr weitreichende moralisch-erzieherische Wirkung zu: Die Wirkung hievon dachte sich der Herausgeber [Heyne selbst, Anm. E. S.] bey weitem nicht als eingeschränkt auf den Virgil; sondern als Stimmung der Seele, als Erweckung des Gefühls für das Wahre, Schöne, Edle und Große, als derjenigen Kraft der Seele, die uns über alles Niedrige und Frivole erhebt, und zu den Gedanken, Entschließungen und Bestrebungen, zu entschlossenem Handeln und Dulten, fähig macht. Menschennatur und Erfahrung aller Zeiten lehrt, daß Dichter die besten Lehrmeister für die Tugend sind.628

Bereits aus Heynes Antrittsrede in Göttingen, in der er seine Beweggründe erläuterte, die ihm angebotene Stelle anzutreten, war sein Anspruch hervorgegangen, „bei einer kommenden Generation und einem neuen Geschlecht zu versuchen, jugendliche Seelen mit einem feineren Gefühl für und einer feurigeren Liebe zu Rechtschaffenheit, Ehre und Tugend zu entflammen, den Geist aber auf die richtige Art und den richtigen Weg zu den Studien der Künste, Wissenschaften und Fachdisziplinen zu führen.“ 629 Allerdings musste Heyne im Laufe der Zeit resignierend feststellen, dass sich seine Hoffnungen auf eine auf diese Weise sittlich-moralisch gestärkte junge Generation wohl nicht erfüllt hatten.630 Festzuhalten bleibt, dass Heyne die Archäologie, wie überhaupt die Beschäftigung mit der Antike, im Zuge der Zielsetzung auf ästhetische und moralische Erziehung als Wissenschaft begriff, die ihren Fokus stark auf die „schönen Kunstwerke“ richtete, und damit eine Spezialisierung auf die antike Kunst, speziell die antike Plastik vornahm. Diese Spezialisierung steht im Prinzip im Gegensatz zur Auffassung der Archäologie als einer „breit angelegten historisch-anthropologischen Wissenschaft von der materiellen Kultur der Antike“, wie sie mehr dem heutigen Selbstverständnis des Faches entspricht.631 Andererseits war die Abgrenzung gegenüber

626 Vgl. Wolff Metternich 1981, 20; vgl. oben S. 310. 627 Heidenreich 2006, 144. 628 GGA 1789, 54. Stück/4. April 1789, S. 542 (Anzeige Heynes zur zweiten Auflage seines Vergil). 629 Chr. G. Heyne, Oratio aditialis de veris bonarum artium litterarumque incrementis ex libertate publica, 23. 7. 1763, Einzeldruck, 7 f., hier in Übersetzung zitiert nach Heidenreich 2006, 107. 630 Vgl. Heidenreich 2006, 146: „Es konnte jemand bei ihm studiert und seinen Vergil durchgearbeitet haben und trotzdem undankbar, nachtragend, kleinlich, falsch und gehässig sein. Die junge Generation war nicht moralischer geworden, nur moralisierend (…).“ 631 Vgl. Graepler 2007, 12 f. Dabei hatte Heyne selbst kritisiert, bei der Beschäftigung mit der Antike hätten sich die Antiquare zu sehr auf einzelne Denkmälergattungen konzentriert: „In der vorigen

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3 Heynes Vorlesungen – Einbeziehung der Gipsabguss-Sammlung

den Wissenschaften, die heute eher als Nachbardisziplinen begriffen werden, speziell der Philologie, weniger strikt. Gleichzeitig richtete sich das archäologisch-kunstwissenschaftliche Lehrangebot Heynes an Studierende aller Fachrichtungen;632 die Archäologie begann sich zwar als Lehrfach zu etablieren, war aber noch kein eigenes Studienfach. Sie war vielmehr Bestandteil eines umfassenden interdisziplinären, quasi enzyklopädisch ausgerichteten Bildungskanons.

3.4 Reproduktionen und „Original“-Debatte Die „ästhetische Erziehung“, die Heyne mit seiner Vorlesung zu fördern gedachte, gehörte auch zu den Hauptthemen, die die Vertreter der Weimarer Klassik propagierten (wie beispielsweise Wieland). Diese missbilligten zwar einerseits die serielle Produktion von Kunstobjekten, da sie ihnen die künstlerische Qualität und Originalität absprachen,633 andererseits dienten die Reproduktionen aber wiederum gerade der Verbreitung der kulturellen Werte der deutschen Klassik.634 Die Gipsabgüsse standen dabei als Exempel der quasi unbegrenzten Reproduzierbarkeit antiker Skulptur im Zentrum dieses Spannungsfeldes.635 Zwar hatte auch Heyne schon gewarnt: „Vorsicht bey dem Gebrauche der Kopeyen, Gypsgüsse und Kupferstiche“, und widmete sich in seiner Vorlesung auch „den Kopeyen, und dem hierunter herrschenden Betrug“.636 Problematisch war für ihn dabei aber offenbar nicht der Gegensatz von „Imitation“ und „Originalität“. Vielmehr schien für ihn die „Authentizität“ eines durch einen Gipsabguss vertrete-

Zeit schränkte man die ganze antiquarische Kenntniß bald auf die Topographie von Rom, bald auf Steinschriften, dann auf Münzen, auf das alte Geräthe, auf mythologische und historische Gegenstände, welche auf den alten Denkmälern vorkommen, dann auf die geschnittenen Steine und wieder auf die Statuen ein; endlich hat Winkelmann, und andern Theils der Graf Caylus, den Gesichtskreis erweitert; und erst nun können wir einen Standpunkt nehmen, von welchem sich das Ganze übersehen läßt.“ (Heyne 1778b, S. V). 632 Vgl. Graepler 2014, 75 Anm. 4; 85 f. 633 Zum „Kult des unikaten Originals“ s. Becker 2004, 166; zur Frage der Originalität im Hinblick auf Gipsabgüsse von Antiken s. Boehringer 2001, 72. 634 Vgl. MacLeod 2004, 262 f. – Eine Sonderposition in der Original-Debatte vertrat Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff (1736–1800), der Fürst Franz von Anhalt-Dessau (1740–1817) unter anderem auf dessen Grand Tour begleitet und auch die künstlerische Ausgestaltung der Schlossanlage Dessau-Wörlitz übernommen hatte. In Wörlitz nahm man am fehlenden „Originalcharakter“ von Kopien, Reproduktionen und Nachbildungen keinen Anstoß, sondern schätzte im Gegenteil ihr Distributionspotential, auch zur „allgemeinen Geschmacksbildung“, und die Möglichkeit der „Auswahl und Kombination zu gelehrten Bildverbänden“, s. Holm 2005, 165 mit Anm. 4; vgl. Hosäus 1883, 392. 635 Ähnlich beliebig reproduzierbar sind beispielsweise auch Gemmenabdrücke, von denen Heyne bereits ab 1763 ebenfalls eine sehr reiche Sammlung für Göttingen erwerben konnte, darunter die sog. Lippertsche Daktyliothek, vgl. Wieseler 1859, 4; Horn 1967, 396; Boehringer 1979, 114 f. 636 Heyne 1772, 17.

3.4 Reproduktionen und „Original“-Debatte

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nen Kunstwerkes bereits durch die formal unveränderte, getreue Wiedergabe des antiken Werkes gewährleistet.637 Ohnehin erfolgte die Vermittlung der Kenntnis antiker Originalwerke zu dieser Zeit kaum je unmittelbar, sondern im Wesentlichen über drei Arten von Reproduktionen: Gipsabgüsse, Stiche bzw. Zeichnungen sowie Beschreibungen von Gelehrten. Noch bei der Abfassung seiner Gedancken über die Nachahmung der Griechischen Wercke in der Mahlerey und Bildhauer-Kunst (1755) waren selbst Winckelmann antike Originale nicht aus eigener Anschauung, sondern nur über einige wenige Gipsabgüsse bekannt.638 Reproduktionen dienten vor allem dem Ziel der „Verbreitung der Kenntniß des Altertums“: In einem Briefentwurf an den Kanzler von Dalberg in Erfurt empfiehlt Raspe die Arbeit der Brüder Ferrari, „die auf meinen und anderer Liebhaber Rath endlich wagten, die Meister-Stücke der alten Skulptur durch Gips-Abgüsse über die Originale bekannter zu machen“.639 Reproduktionen der „besten Antiken“, und seien sie aus Gips (der im Übrigen als Material im 18. Jahrhundert an ästhetischer Akzeptanz stark gewann), wurde der Vorzug gegeben vor zweit- oder drittklassigen antiken Originalwerken.640 Dabei fanden selbst frei geformte Nachbildungen, die nur noch wenig Ähnlichkeit hatten mit dem Original, das sie vorstellten, noch Verbreitung.641 Während akademische Sammlungen originalgroße Abgüsse aus Gips vorzogen, dienten großformatige Abgüsse in Bronze oder Blei ausschließlich repräsentativen Zwecken, wobei die Sammlungen der Gipsabgüsse ein deutlich größeres

637 Vgl. dagegen Winckelmann: „Die Copie im Kleinen, ist nur der Schatten, nicht die Wahrheit, und es ist vom Homerus auf dessen beste Uebersetzungen kein größerer Unterschied, als von der Alten und des Raphaels Werken auf deren Abbildungen: diese sind todte Bilder, und jene reden. Es kann also die wahre und völlige Kenntniß des Schönen in der Kunst nicht anders, als durch Betrachtung der Urbilder selbst, und vornehmlich in Rom erlanget werden; und eine Reise nach Italien ist denjenigen zu wünschen, die mit Fähigkeit zur Kenntniß des Schönen von der Natur begabt sind, und hinlänglichen Unterricht in derselben erlanget haben.“ (Winckelmann 1763, 17 f.). Auch Winckelmann ging es dabei noch nicht um „Originalität“ in Bezug auf die Autorschaft des Künstlers, sondern auf das Kunsterlebnis, das allein das „Urbild“ biete, vgl. Holm 2005, 169. 638 MacLeod 2004, 266 f. Ebenso entstand auch Lessings Laokoon-Abhandlung ohne unmittelbare Anschauung des Originals, s. MacLeod 2004, 207. 639 Briefentwurf vom 2. 6. 1774, s. Hallo 1926, 279 Anm. 2. – Raspe bezeichnet sich hier noch recht bescheiden als „Liebhaber“, obwohl seine antiquarischen Fähigkeiten längst Anerkennung gefunden hatten; so hatte Winckelmann bereits seine Beschreibung der Sammlung Wallmoden (1767) = Raspe 1767 als „wohlgesetzt, richtig und überhaupt schön“ gelobt, s. Rehm – Diepolder 1956, 339 Nr. 920 (Brief Winckelmanns an Raspe vom 18. 12. 1767). 640 Döhner – Rüdiger 2004, 54. Zur ästhetischen Hochschätzung von Abgüssen aus Gips als „reine Form“ und zur Farbe „Weiß“ vgl. Lochman 1995, 190; Kockel 2000, 44. Durch ihre weiße Farbe und die matte Oberfläche des Biskuitporzellans wirken auch die Porträtbüsten der Fürstenberger Porzellanmanufaktur wie verkleinerte Gipsabgüsse, vgl. Kockel 2000, 43 f. 641 Döhner – Rüdiger 2004, 56 f. Speziell Verkleinerungen konnten technisch gar nicht anders als frei geformt angefertigt werden, vgl. Heyne 1822, 63: „Die kleinen Abgüsse irgend einer berühmten Statüe sind immer in Formen gegossen, welche über verjüngte Nachbildungen neuerer Künstler zu Stande gebracht sind.“

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3 Heynes Vorlesungen – Einbeziehung der Gipsabguss-Sammlung

Repertoire antiker Kunstwerke zeigten.642 Das Besondere an Reproduktionen wie Gipsabgüssen war, dass sie es ermöglichten, Antike – wenn auch mittelbar – im hier und jetzt erfahrbar zu machen. Sammlungen von Abgüssen konnten dabei quasi zu Überwindern nicht nur der zeitlichen, sondern gerade auch der räumlichen Distanz werden, indem sie an einem Ort versammelten, was sonst auf viele verschiedene Standorte verstreut war. Gleichzeitig kamen sie der Forderung nach Empirie entgegen, indem sie eine Möglichkeit der ästhetischen Rezeption boten, die die Texte über die Kunst, ebenso wie die Kupferstiche, schuldig bleiben mussten.

3.5 Heynes Vorlesungen – Einflüsse und Wirkung Über den langen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten, in dem Heyne seine Vorlesungen hielt, und in dem er Generationen von Hörern erreichte, beeinflusste er nachhaltig seine Zeitgenossen und deren Antikenverständnis. So schreibt Goethe in seiner Italienischen Reise: „Im Palaste Giustiniani steht eine Minerva, die meine ganze Verehrung hat“, und bedauert, dass Winckelmann ihr keine rechte Beachtung schenke.643 In dieser Minerva erkennt Goethe ein typisches Werk des hohen Stils, wie Winckelmann ihn in seiner Geschichte der Kunst des Altertums charakterisiert, wobei Winckelmann als Hauptwerk des hohen Stils allerdings die Pallas in der Villa Albani nennt. Dagegen ist in der Überlieferung der Vorlesungen Heynes zu lesen: Minerva. Die höchste weibliche Schönheit mit kriegerischem Blick, Hoheit und Majestät, die durch das Wilde von der Junonischen sich unterscheidet. Sie hat ein langes Gewand. An dem Helm und Harnisch sind oft schöne Basreliefs. Mit Helm und Harnisch heißt sie bei den Antiquaren besonders die Pallas. Das Hauptstück ist in der Gallerie Giustiniani … Mit ihr streitet eine Neugefundene in der Villa Albani. Winckelmann, Geschichte der Kunst 226 …644

In Goethes Bibliothek befanden sich allein zwei Exemplare von Heynes gedruckter Einleitung in das Studium der Antike, oder Grundriß einer Anführung zur Kenntniß der alten Kunstwerke mit angehängten handschriftlichen Nachschriften seiner archäologischen Vorlesungen.645 Goethe selbst hat, entgegen seinem Wunsch, nicht in Göt-

642 Kockel 2000, 43 f. Zur Bedeutung auch der Verkleinerungen aus Bronze oder Biskuitporzellan als Stellvertreter antiker Skulptur im Wohn- und Studienbereich wie etwa als Tischaufsätze s. Kockel 2000, 44 f. 643 J. W. v. Goethe, Italienische Reise, 13. Januar 1787 = WA I, 30, S. 250 (Brief Goethes an den Weimarer Freundeskreis), vgl. Bräuning-Oktavio 1971, 105. 644 Hs 1711 von Johann Heinrich Merck, Hessische Landes- und Hochschulbibliothek Darmstadt, S. 152 ff. (Abschrift einer Nachschrift der Vorlesungen aus dem Sommer-Semester 1772); Ruppert 1958, 128 f. Nr. 2056 (Exemplar der gedruckten Einleitung Heynes, angehängt eine handschriftliche Nachschrift der Vorlesungen aus 1772), s. Bräuning-Oktavio 1971, 11–33. 107. 645 Ruppert 1958, Nr. 2056. 2057 (Exemplare der gedruckten Einleitung Heynes, angehängt handschriftliche Nachschriften (Abschriften) der Vorlesungen aus 1772 bzw. 1773), s. Bräuning-Oktavio 1971, 103; Döhl 2007, 32. – Außerdem haben Goethe und Merck eine Rezension zu Heynes Einleitung

3.5 Heynes Vorlesungen – Einflüsse und Wirkung

319

tingen studiert und daher auch Heynes Vorlesungen nicht selbst gehört.646 Dennoch sollten sie Eingang in sein literarisches Werk finden. So rühmt sich in Goethes Leiden des jungen Werther ein Student, ein „Manuscript von Heynen über das Studium der Antike“ zu besitzen.647 Die Lektüre weiterer Texte Heynes hat offenbar auch zu nachstehender Kritik Goethes an Winckelmann beigetragen: „Wie viel that Winckelmann nicht, und wie viel ließ er uns zu wünschen übrig. Mit den Materialien, die er sich zueignete, hatte er so geschwind gebaut, um unter Dach zu kommen. Lebte er noch, und er könnte noch frisch und gesund sein, so wäre er der erste, der uns eine Umarbeitung seines Werkes gäbe.“ 648 Vergleichbares hatte Heyne davor auch schon in seiner Berichtigung und Ergänzung der Winckelmannischen Geschichte der Kunst des Alterthums geäußert: Winkelmann suchte Epochen fest zu setzen, ehe noch die Perioden in ein erträgliches Licht gesetzt waren. Er wollte einzelne Stücke, Facta und Umstände verbinden, die noch zu wenig bestimmt, in ihren Verhältnissen unbekannt und ungeprüft lagen. Insonderheit hatte er sich die Zeitrechnung des Alterthums noch zu wenig geläufig gemacht. Seine Epochen der Kunst sind daher gemeiniglich etwas sehr willkührliches, oft laufen sie auch ineinander, anderwärts verfehlen sie den eigentlichen Punkt; die Facta, worauf er sie gründet, halten keine kritische Prüfung aus, und die einzelnen Data mit den Belägen dazu, sind oft unzuverlässig. Alles dieses sind nicht Winkelmanns Fehler, sondern Folgen der Verfassung, in welcher er sich befand. Es ist dieß das Schicksal aller Schriftsteller, welche ein Ganzes schaffen wollen, wo noch nicht das Einzelne vollständig bearbeitet ist.649

Und an anderer Stelle kritisierte Heyne Winckelmanns zu enthusiastische Herangehensweise: Nur mischte sich seine Begeisterung oft ins Spiel, wo kalte Betrachtung, Erwägung und Prüfung erfordert ward.650

Heyne verstand sich zwar einerseits als Winckelmann-Kritiker, andererseits wusste er aber auch dessen Verdienste zu würdigen und baute auf dessen Forschungen verfasst (Frankfurter gelehrte Anzeigen vom 6. Oktober 1772), in der es heißt, ihnen seien „nachgeschriebene Hefte auch zu Gesicht kommen“, s. Bräuning-Oktavio 1971, 13 f. 103. 646 Vgl. J. W. v. Goethe, Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit, Zweiter Teil, Buch VI: „Auf Männern wie Heyne, Michaelis und so manchem andern ruhte mein ganzes Vertrauen; mein sehnlichster Wunsch war, zu ihren Füßen zu sitzen und auf ihre Lehren zu merken. Aber mein Vater blieb unbeweglich.“ = WA I, 27, S. 42 f. 647 J. W. v. Goethe, Die Leiden des jungen Werther, 17. Mai 1771 = WA I, 19, S. 13; vgl. dazu auch Graepler 2014, 92 f. 648 J. W. v. Goethe, Italienische Reise, 13. Januar 1787 = WA I, 30, S. 252 f.; Bräuning-Oktavio 1971, 107. 649 Chr. G. Heyne, Berichtigung und Ergänzung der Winckelmannischen Geschichte der Kunst des Alterthums, Deutsche Schriften von der Königl. Societät der Wissenschaften zu Göttingen herausgegeben 1, 1771, 207 = Heyne 1771. 650 Heyne 1778b, S. VII.

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3 Heynes Vorlesungen – Einbeziehung der Gipsabguss-Sammlung

auf.651 So sei es Winckelmann gelungen, die verschiedenen antiquarischen Einzeldisziplinen unter dem Dach eines „regelmäßigen und übersehbaren Gebäudes“ der Altertumswissenschaft vereinigt zu haben. Nun aber sei „dem Studio des Alterthums eine wissenschaftliche Gestalt zu geben, so daß es, wie andre Wissenschaften, nach einer bequemen Methode vorgetragen werden“ könne.652 Dabei trennte Heyne die Beschäftigung mit den „Alterthümern“ strikt von der Geschichte. Beides waren für ihn zwei verschiedene Fächer mit verschiedenen Inhalten. So war die Geschichte als Fach gleichbedeutend mit bloßer Ereignisgeschichte, der sich der Historiker widmete. Die „Alterthümer“ dagegen waren das Betätigungsfeld der Antiquare. Ihr Interesse galt Verfassungen, Einrichtungen und Gebräuchen (von Friedrich August Wolf später (1807) als das „Gewordene“ bezeichnet, im Gegensatz zur Ereignisgeschichte – der Geschichte der „Begebenheiten und Ereignisse in ihrer Aufeinanderfolge“ –, die Wolf als das „Werdende“ bezeichnet hat).653 Zu den Zuständen, Einrichtungen und Gebräuchen, mit denen sich der Antiquar beschäftigte, gehörten auch die geographischen Gegebenheiten und die Sozialgeschichte.654 Zu den „Alterthümern“ als dem „Gewordenen“ rechnete Heyne aber auch die gesamte materielle Hinterlassenschaft der Antike („das Ueberbliebne, Ruinen der Gebäude und das Erhaltene der Kunstwerke“),655 wobei beide Bereiche der „Alterthümer“ eng miteinander verwoben waren und sich in Heynes Texten oft nur aus dem Zusammenhang ergibt, welche Art von „Alterthümern“ gemeint war.656 Dagegen verteidigte er stets die strikte Trennung der „Alterthümer“ von der Ereignisgeschichte, deren wechselseitigen Nutzen und Erkenntnisgewinn er für begrenzt hielt.657 In der Einleitung seiner Sammlung antiquarischer Aufsätze – in der er unter „Alterthümern“ ausdrücklich Kunstwerke fasst – kritisiert Heyne seinen Lehrer Christ, der „die alten Kunstwerke mehr als Denkmäler“ behandelt habe, die „das Andenken

651 Gegen den in der Rezeptionsliteratur verbreiteten Vorwurf, Heyne sei auf Winckelmann neidisch und eifersüchtig gewesen und habe ihm „kleinlich am Zeuge flicken wollen“, s. Döhl 1988, 125. 127. Heyne habe vielmehr „Kritik nur dort geäußert, wo gleichzeitig der Hinweis erfolgt, in welche Richtung die zukünftige Forschung zu gehen habe“, s. Döhl 1988, 127. Tatsächlich war es aber offenbar auch ein Mangel an sprachlicher Eleganz, der verhinderte, dass Heyne fachlich eine Bedeutung wie etwa Herder oder Winckelmann erlangen konnte, vgl. Döhl 1988, 126 f. 652 Baden 1797, 205; Bräuning-Oktavio 1971, 40. Zu Heynes Bemühungen um ein entsprechendes didaktisches Konzept s. a. Graepler 2013a, 123. 653 Wolf 1986, 55; Heidenreich 2006, 294. 654 Vgl. Heidenreich 2006, 298. 655 GGA 1786, 56. Stück/8. April 1786, S. 557. 656 Heidenreich 2006, 310. Heyne selbst rang offenbar immer wieder um eine Ordnung und Zuweisung verschiedener Bereiche zum Studium des „Alterthums“ oder auch um eine Abgrenzung davon. Dies führt bei der Übersicht der von Heyne verfassten Texte oftmals zum Eindruck von Widersprüchlichkeiten, die es erschweren, Heyne auf einen greifbaren Standpunkt festzulegen. 657 Vgl. Heidenreich 2006, 295. Im Gegensatz zur Wechselwirkung von „Alterthümern“ und Literatur: „Allein es wäre traurig, wenn das Studium der griechischen und lateinischen Litteratur bey der Kenntniß und durch das Studium der Kunst selbst nichts gewinnen sollte.“ (Heyne 1778b, S. VI).

3.5 Heynes Vorlesungen – Einflüsse und Wirkung

321

vergangener Begebenheiten auf die Nachwelt zu bringen gedient“ hätten.658 Dagegen billigte Heyne, im Gefolge Winckelmanns, den antiken Kunstwerken auch einen eigenständigen Wert zu, der unabhängig war von ihrem Erkenntniswert für antike Sitten und Gebräuche oder die Ereignisgeschichte.659 In seiner Einleitung in das Studium der Antike schreibt Heyne dazu: Eben diese Werke der Alten lassen sich auf eine weit edlere Art betrachten, in sofern sie Werke der Kunst und zwar der schönen Kunst, sind, und in sofern Ausdruck und Vorstellung sinnlicher Vollkommenheit die Absicht des Meisters gewesen ist. In diesem Gesichtspunkt wird es das Studium des schönen Alterthums, der Antike, der schönen Kunstwerke. Dieß Studium schränkt sich auf die bildenden Künste, und auf die Werke der Bildnerey und der Malerey ein.660

An anderer Stelle war bereits die Rede davon, dass die antike Kunst zur HeyneZeit oftmals als Illustration antiker Texte interpretiert wurde. Die Auffassung vom eigenständigen Kunstwert hatte auch eine Trennung dieser Bereiche zur Folge, die die Nachwelt Heyne als Verdienst anrechnen sollte: Unserm Heyne war es vorbehalten, in dieses dunkle Chaos Licht und Ordnung zu bringen. Er war es, der jene beiden heterogenen Wissenschaften [Archäologie der Litteratur und Archäologie der Kunst, Anm. E. S.] zuerst gehörig voneinander schied, das Wesen der Archäologie der Kunst ins hellste Licht setzte, und eine Eintheilung dieser neuen Wissenschaften entwarf, welche in ihrem Wesen gegründet war. In jeder dieser Hinsichten wird sein kleines Werk: Einleitung in das Studium der Antike, oder Grundriß einer Anführung der alten Kunstwerke (…) beständig sein Verdienst behalten.661

Auch beide Humboldt-Brüder haben Heynes archäologische Vorlesungen in Göttingen besucht. So schreibt Alexander von Humboldt 1789 in einem Brief an einen Studienfreund: Ich höre Archäologie bei Heyne in dem großen Bibliothekssaale, mit Abgüssen von Antiken und Kupferwerken umringt, bei Spittler Geschichte der neuesten Welthändel, bei Lichtenberg ein Privatissimum über Licht, Feuer und Electrizität, bei Beckmann Oekonomie und bei Heyne

658 Heyne 1778b, S. VI. Jedoch zur Bedeutung des Leipziger Professors Johann Friedrich Christ (1701–1756) als Wegbereiter für die spätere Entstehung der Kunstarchäologie und der entsprechenden Würdigung auch durch Heyne s. Graepler 2014, 102 f. mit Anm. 130. 659 Vgl. Heidenreich 2006, 311. So schreibt Heyne 1778b, S. V f., erst die „Winkelmannischen Schriften“ hätten das Studium [der Antike, Anm. E. S.] emporgebracht, „und auch sie dienten, um es auf den rechten Gesichtspunkt, auf die Kunst, zu leiten“. 660 Heyne 1772, 8. 661 Gruber 1801, 22 Anm. Der Wortlaut Heynes ist auch hier unverkennbar. So hatte er in seinem Schreiben an Hagedorn, mit dem er seine Einleitung in das Studium der Antike gegen die Kritik Casanovas verteidigte, beklagt, „daß bisher dieß ganze Studium ein Chaos von Materialien ohne Ordnung, Licht und Uebersicht des Ganzen war“, s. Baden 1797, 204 f.; Bräuning-Oktavio 1971, 40. – Zum Nachvollzug des von Winckelmann vorgenommenen Paradigmenwechsels durch Heynes Vorlesung s. a. Graepler 2014, 104.

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3 Heynes Vorlesungen – Einbeziehung der Gipsabguss-Sammlung

die Iliade, wo an 50 Zuhörer sind. (…) Heyne ist unstreitig der helleste Kopf und in gewissen Fächern der gelehrteste in Göttingen.662

In Humboldts Schriften ist Heynes, und über diesen auch Winckelmanns Einfluss vor allem in seiner Beurteilung der griechischen Kunst als der Kunst mit der höchsten Vollkommenheit zu fassen, die physische und sittliche Ursachen habe.663 Nicht nur sollte Humboldt in der Folge die antike Kunst, und insbesondere die „gemeißelten Meisterwerke des Praxiteles und des Lysippos“ rühmen, sondern besondere Bedeutung erlangte bei seiner Arbeit die Methode des vergleichenden Sehens, bei der ihm die griechische Kunst als Gradmesser der ästhetischen Qualität der Kunst anderer Völker, die er auf seinen Reisen kennenlernte, diente.664 In seinem Text zu einem „Aztekischen Idol aus Basaltpophyr“, das er selbst als „monströs“ bezeichnet,665 äußert er sich verwundert über den „Kontrast zwischen gesellschaftlicher Vervollkommnung und dem Kindheitszustand in den Künsten“.666 Ihn überraschte, „bei einem Volk, dessen politisches Leben seit Jahrhunderten von einem gewissen Zivilisationsgrad kündete, (…) die nachahmenden Künste in einem solchen Zustand der Barbarei zu finden.“ 667 Der Topos vom „Kindheitszustand der Kunst“ stammte von Winckelmann, ist Humboldt aber offenbar nur indirekt bekannt geworden, denn Humboldt selbst erwähnt oder zitiert Winckelmann nie, und auch in den Verzeichnissen der Bibliothek Humboldts in Berlin ist keine der Schriften Winckelmanns genannt.668 Ob vielleicht die kritischen Bemerkungen Heynes über Winckelmann in den Göttinger Vorlesungen Humboldt von der Anschaffung der Schriften Winckelmanns abgehalten haben? Während „die Einbildungskraft der Griechen in die düstersten Gegenstände Sanftheit und Liebreiz zu bringen vermocht hat“, zeige sich, so Humboldt, „bei einem Volk indes, welches das Joch eines blutigen Kultus trägt, überall und unter den erschreckendsten Em-

662 Jahn – Lange 1973, 55 (hier zitiert nach Kügelgen 2009, 106). Auch Wilhelm von Humboldt hörte ab 1788 Vorlesungen bei Heyne. So schreibt Alexander von Humboldt in einem Brief über seinen Bruder, Heyne habe über diesen gesagt, „er habe lange keinen so trefflichen Philologen aus seiner Schule entlassen“, s. Kügelgen 2009, 107 mit Anm. 6. 663 Heyne 1772, 10; vgl. Winckelmann 1764, 127 f. 664 Kügelgen 2009, 108 f. 118. Als Ausweis der besonderen Qualität der Werke des Lysipp hatte Winckelmann betont, dieser habe „den Ruhm, die Natur mehr als seine Vorgänger nachgeahmt zu haben“, s. Winckelmann 1776, 694; vgl. Winckelmann 1764, 228. 665 Humboldt 2004, 262. 666 Kügelgen 2009, 114; Humboldt 2004, 260. – So bewiesen „die Überreste von mexikanischer Malerei und Bildhauerei“ fast ausnahmslos „eine völlige Unkenntnis der Proportionen des menschlichen Körpers, viel Roheit und Fehlerhaftigkeit in der Zeichnung, dabei jedoch ein sorgsames Bemühen um Wahrhaftigkeit im einzelnen des Beiwerks“, s. Humboldt 2004, 260. 667 Kügelgen 2009, 114; Humboldt 2004, 260. 668 Kügelgen 2009, 113 mit Anm. 26. 27; vgl. Winckelmann 1764, 4. – So geht überhaupt das Modell einer Ordnung der antiken Kunst im Sinne einer Entwicklung vergleichbar der des Menschen auf Winckelmann zurück.

3.5 Heynes Vorlesungen – Einflüsse und Wirkung

323

blemen der Tod; er ist in jeden Stein graviert, man findet ihn auf jeder Seite seiner Bücher; die religiösen Monumente haben keinen anderen Zweck, als Furcht und Schrecken hervorzurufen.“ 669 Dieser wahrgenommene Kontrast brachte Humboldt schließlich zu dem Vorschlag, man solle in der umfangreichen Gipsabguss-Sammlung der Akademie der Schönen Künste von Mexiko-Stadt, die auch Abgüsse des Apoll vom Belvedere und des Laokoon enthielt, die Reste der mexikanischen Skulpturen und Kolossalstatuen aufstellen, denn „es wäre gewiss merkwürdig, (…) diese Werke eines halbbarbarischen Volkes, das die mexicanischen Anden bewohnte, neben den schönen Formen zu sehen, welche unter Griechenlands und Italiens Himmel gebohren wurden.“ 670 Der Einfluss Heynes erstreckte sich zudem bis in naturwissenschaftliche Fachdisziplinen: Samuel Thomas Soemmerring (1755–1830), später einer der bedeutendsten deutschen Anatomen, studierte von 1774–1778 in Göttingen. Mit Heyne war er freundschaftlich verbunden.671 Ob er auch dessen Vorlesung besuchte, ist unklar;672 es liegt jedoch nahe, hinter Soemmerrings Rede „Über die Schönheit der antiken Kinderköpfe“, die er 1779 als Einführungsvortrag vor der Société des Antiquités in Kassel hielt, und in der er Anatomie und Kunstgeschichte miteinander verband, auch den Einfluss Heynes zu vermuten.673 Der erste und einzige Sammelband der 1777 von Landgraf Friedrich II. von Hessen-Kassel gegründeten Société des Antiquités erschien 1780 und enthielt auch die preisgekrönte Lobschrift Heynes auf Winckelmann.674 Konkreter fassbar ist jedoch die Auseinandersetzung Soemmerrings mit den Ideen Winckelmanns. Dessen Auffassung nach hatte in der Antike die Natur ideale Vorbilder des Schönen hervorgebracht, aus denen die griechischen Künstler die Norm des Schönen ableiten konnten.675 Mit seiner These von der einmaligen historischen Konstellation klimatischer, gesellschaftlicher, politischer und geistiger Gegebenheiten, die die Grundlage der griechischen Kunstschöpfung gebildet hätten,

669 Humboldt 2004, 262. 670 Kügelgen 2009, 116; A. v. Humboldt, Versuch über den politischen Zustand des Königreichs NeuSpanien, Bd. 1 (Tübingen 1809) = Humboldt 1809, 167 f. – Vgl. Humboldt 1809, a. O.: „Die Regierung hat hier ein geräumiges Gebäude angewiesen, worin sich eine weit schönere und vollständigere Sammlung von Gyps-Abgüssen befindet, als man sie irgendwo in Deutschland antrifft.“ 671 Ebenso mit dem Naturforscher Georg Forster, einem Schwiegersohn Heynes. Soemmerring war als Rezensent medizinischer Literatur für die Göttingischen Gelehrten Anzeigen tätig und außerdem Mitglied der Göttinger Akademie der Wissenschaften. 672 Aufschluss darüber ließe sich möglicherweise noch auf Grundlage der Untersuchungen des von 2010–2012 angelegten DFG-Projektes des Archäologischen Instituts und der SUB Göttingen zur Rekonstruktion der Heyne-Vorlesung anhand studentischer Vorlesungsmitschriften gewinnen (s. o.). 673 Seit 1779 war Soemmerring Professor der Anatomie am Kasseler Collegium Carolinum und seit demselben Jahr auch Mitglied der Société des Antiquités, s. Oehler-Klein 1994, 192. 674 Oehler-Klein 1994, 199. 675 Vgl. Oehler-Klein 1994, 203.

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3 Heynes Vorlesungen – Einbeziehung der Gipsabguss-Sammlung

schlug Winckelmann eine Brücke zwischen Natur, Kunst und Gesellschaft, wodurch die antike Skulptur von einem Gegenstand der Bewunderung zu einem Forschungsobjekt wurde, dessen Entstehung vor einem anthropologischen und kulturhistorischen Hintergrund angesiedelt wurde.676 Da die idealtypischen Formen aber nur in der Antike aus der Natur hätten abgeleitet werden können, während die vollkommene Natur für den nachantiken Menschen verloren sei, musste nach Winckelmann zur gegenwärtigen Konstruktion des Ideals auf antike Vorbilder zurückgegriffen werden.677 Dagegen versuchte Soemmerring, aus einer Vielzahl aktueller anatomischer Objekte eine Norm der Vollkommenheit zu ermitteln, um danach Abweichungen bestimmen zu können.678 Doch auch er studierte zur Ermittlung des Ideals Antiken wie die mediceische Venus, die er dann mit ausgewählten natürlichen Skeletten verglich.679 In der ihm zur Verfügung stehenden anatomischen Sammlung fand er das Skelett einer jungen Frau, das dem von ihm gewonnenen Idealbild so nahekam, dass es diesem angepasst werden konnte.680 Im Sinne eines kalos kagathos ging er davon aus, dass diese Frau zu Lebzeiten nicht nur körperliche Schönheit, sondern auch besondere geistige Qualitäten besessen haben müsse.681 Bemerkenswert ist dabei die von Soemmerring und anderen Anatomen und Anthropologen vertretene Auffassung, nach der zur Entstehung eines solch schönen Körpers die Herkunft bzw. die dort herrschenden geographischen Gegebenheiten wesentlich seien. So stamme das von Soemmerring als nahezu ideal festgestellte Skelett aus Mainz, einem „glücklichen Winkel der Erde“.682 Im Hinblick auf seine Untersuchungen zu den antiken Kinderköpfen, dem Thema seines Vortrages vor der Société des Antiquités in Kassel, stieß er jedoch mit seiner Herangehensweise, der Konstruktion des Ideals auf Grundlage anatomischer Studien an natürlichen Objekten und mithilfe von Antikenvergleichen, an seine Grenzen, da er feststellen musste, dass es keine natürlichen Kinderköpfe mit dem von Winckelmann so genannten „Griechischen Profil“, „der vornehmsten Eigenschaft einer hohen Schönheit“, gab, was schließlich die Frage aufwarf, ob es solche idealen Köpfe überhaupt in der Antike wirklich gegeben haben könne.683 Da Soem-

676 Oehler-Klein 1994, 200 f.; 203 f. 677 Oehler-Klein 1994, 206 f. 678 Oehler-Klein 1994, 207. 679 Vgl. Oehler-Klein 1994, 208. 680 Oehler-Klein 1994, 208. 681 Vgl. Oehler-Klein 1994, 208 mit Hinweis auf Soemmerrings Schrift Tabula sceleti feminini iuncta descriptione, Frankfurt a. M. 1797, leider ohne konkrete Stellenangabe. 682 Vgl. Oehler-Klein 1994, 208, Zitat Soemmerrings leider ohne konkrete Quellenangabe. Als in dieser Hinsicht besonders fruchtbare Gegenden galten den Zeitgenossen auch Georgien, Persien, Griechenland und angrenzende Gebiete, vgl. Oehler-Klein 1994, 209 mit Anm. 55. 683 Vgl. Oehler-Klein 1994, 209; zum sog. griechischen Profil, der fast geraden Linie von Stirn und Nase, s. Winckelmann, Geschichte der Kunst des Alterthums = Winckelmann 1764, 177 f., der dort einmal mehr darauf hinweist, die Natur bilde ein solches Profil „weniger unter einem rauhen als sanften Himmel“.

3.5 Heynes Vorlesungen – Einflüsse und Wirkung

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merring davon überzeugt war, dass die „Griechischen Künstler (…) dieses Ideal aus dem [sic] Gesichtern, die sie täglich vor sich sahen, abstrahirt“ hätten, erklärte er die Tatsache, dass „man nie Kinder mit gradlinichten Nasen bemerckt“ damit, dass „die Kinder, die sich nehmlich mit der folge der Jahre diesem Ideale in ihrer Bildung näherten schon die Anlage dazu müßen gehabt haben.“ 684 Anders dagegen die Auffassung Pieter Campers, mit dem Soemmerring persönlich bekannt war, und auf dessen Studien zum Gesichtswinkel und zur anatomischen Zeichenmethode er auch in seiner Kasseler Rede explizit Bezug nahm.685 Camper hatte geäußert, dass „es gewiss ist, dass ein solcher Kopf nie gefunden wird“. Auch glaube er nicht, „dass die alten Griechen jemals solche Köpfe gehabt haben (…).“ 686 Die Frage, inwieweit die idealen Formen der griechischen Kunst tatsächlich Entsprechungen in der Natur gehabt hatten, oder diese idealisiert hatten, sollte in der Folgezeit noch lange ein kontrovers diskutiertes Thema unter Physiognomen, Ethnologen, Anthropologen und Anatomen bleiben.687 Dennoch ließ es sich Soemmerring nicht nehmen, seine anatomischen Präparate in Zeichnungen und Kupferstichen mit einem „griechischen Profil“ zu versehen.688 Das Bemühen, zur Konstruktion des Ideals eine Proportionslehre nach mathematischen Regeln zu erstellen, die aus Vorbildern abzuleiten seien – so wie auch Winckelmann zum Ausgleich der fehlenden unmittelbaren Anschauung das Studium der griechischen Kunst gefordert hatte689 – blickte zu dieser Zeit bereits auf eine lange Tradition zurück, angefangen mit dem Kanon des Polyklet. Schönheit

684 Soemmerring 1779 = S. Th. Soemmerring, Über die Schönheit der antiken Kinderköpfe, Murhardsche Bibliothek Kassel, 2° Ms. Hass. 241 [XIX, 2. Bl. 227–233], hier Bl. 227,a, s. Faksimileabdruck und Transkription bei Oehler-Klein 1994, 228 f. 685 Oehler-Klein 1994, 209 f.; Soemmerring 1779, Bl. 227,a; Bl. 233, s. a. Faksimile bei Oehler-Klein 1994, 228 f.; 238 f. – Durch Anwendung des Camperschen Gesichtswinkels versuchte Soemmerring, das griechische Schönheitsideal nicht nur bei den antiken Kinderköpfen nachzuweisen, sondern daraus auch ein Ideal im Hinblick auf aktuelle, natürliche Kinderköpfe zu konstruieren, vgl. OehlerKlein 1994, 212 mit Anm. 65. 686 Camper 1792 = Peter Camper, Über den natürlichen Unterschied der Gesichtszüge in Menschen verschiedener Gegenden und verschiedenen Alters; über das Schöne antiker Bildsäulen und geschnittener Steine (…), hrsg. von seinem Sohne Adrian Gilles Camper, übersetzt von S. Th. Soemmerring (Berlin 1792) S. 63; hier zitiert nach Oehler-Klein 1994, 214. 687 Vgl. dazu Oehler-Klein 1994, 214 Anm. 69. 71. – Darunter Johann Caspar Lavater, James Cowles Prichard, Johann Friedrich Blumenbach und M. I. Weber. 688 Vgl. beispielsweise den Kupferstich „Profil des Gesichtsorgans von der linken Seite angesehen“ nach einer Zeichnung von Christian Koeck, mit dem Soemmerring in enger Zusammenarbeit seine Forschungsarbeiten über die Sinnesorgane publizierte: S. Th. Soemmerring, Abbildungen des menschlichen Auges (Frankfurt a. M. 1801), s. Siemon 2005, Abb. S. 15. Auch andere anatomische Studien Soemmerrings nehmen erkennbar Bezug auf Antiken, vgl. z. B. den Stich der „schönen Mainzerin“ (1797) oder die Studie zu den „Wirkungen der Schnürbrüste“ (1793), die an die Venus von Medici angelehnt sind, s. Siemon 2005, Abb. S. 16. 689 Oehler-Klein 1994, 216.

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allerdings ließ sich nach Winckelmann auch dadurch nicht bis ins Letzte entschlüsseln: (…) Denn die Schönheit ist eins von den großen Geheimnissen der Natur, deren Wirkung wir sehen, und alle empfinden, von deren Wesen aber ein allgemeiner deutlicher Begriff unter die unerfundenen Wahrheiten gehöret. Wäre dieser Begriff Geometrisch deutlich, so würde das Urtheil der Menschen über das Schöne nicht verschieden seyn, und es würde die Ueberzeugung von der wahren Schönheit leicht werden (…).690

Wie Winckelmann bemerkt, musste die Konstruktion des „wahrhaftig Schönen“ durch „vollkommene Uebereinstimmung der Theile“ in den Werken des hohen Stils dazu führen, dass diese „einander ähnlich und gleichförmig werden“.691 Dies hätten „die Meister des schönen Stils“ jedoch überwunden, indem sie die „von der Natur abstracten Ideen und nach einem Lehrgebäude gebildeten Formen“ wieder „näher zur Natur zu führen suchten“ und dadurch „eine größere Mannigfaltigkeit erhielten“.692 Den Anstoß zu Soemmerrings anatomischen Untersuchungen der Kinderköpfe auf „griechische Profile“ bzw. etwaige dazu vorhandene Anlagen hatte im Übrigen, wie er selbst in seiner Kasseler Rede ausführt, ein „in einer privat Gesellschafft zu Göttingen vorgelegter Gedancke über die Schönheit der Kinder Köpfe der Alten, vorzüglich der Griechischen Künstler“ geliefert, den Camper, „einer der grösten kenner des Schönen“ dort vorgestellt hatte. Er habe es daher für „eine nicht fruchtlose Bemühung“ gehalten, die Profile der Kinder darauf „in der Natur selbst zu untersuchen“.693 Es ist wohl nicht abwegig anzunehmen, auch Heyne dürfte an dieser privaten Gesellschaft, die in Göttingen stattfand und zu deren Kreis er gehörte, teilgenommen haben. Zudem belegt das Beispiel Soemmerring, wie eng verknüpft zur Heyne-Zeit die verschiedenen Fachdisziplinen waren, und welch reges Interesse gerade den Altertumswissenschaften fächerübergreifend, und darunter auch vonseiten der Naturwissenschaften, zuteilwurde. Dabei richtete sich das Interesse offenbar weniger auf das anatomische Wissen der Antike, das beispielsweise am Laokoon hätte studiert werden können bzw. daraus ersichtlich war (von der Laokoongruppe war in Göttingen außer den Köpfen auch die ganze Figur des Vaters als Abguss vorhanden). So hätte etwa Soemmerring die in der Göttinger Bibliothek vorhandenen Abgüsse in dieser Hinsicht als anatomische Studienobjekte betrachten können.694 Ihn interessierte die antike Kunst jedoch vielmehr als Abbild des antiken

690 Winckelmann 1764, 142. 691 Winckelmann 1764, 229. 692 Winckelmann 1764, 230. 693 Soemmerring 1779, Bl. 227,a; Faksimile bei Oehler-Klein 1994, 228 f. 694 Inwieweit Soemmerring von dieser Möglichkeit Gebrauch machte, ist unklar. Belegt ist aber zumindest sein Interesse für Gipsabgüsse von Statuen der griechischen Antike, die er bei einem Aufenthalt in Leipzig im Jahre 1774, vor seinem Studienbeginn in Göttingen, in Augenschein nahm, s. Siemon 2001, 30.

3.5 Heynes Vorlesungen – Einflüsse und Wirkung

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Menschen im Gegensatz zum modernen Menschen, die daran zu studierende Anatomie also mehr in einem vergleichend-ethnologischen Sinne, wobei aber immer auch die Frage diskutiert wurde, ob der Mensch der Antike wirklich so aussah bzw. ausgesehen haben konnte, wie ihn die antike Kunst überliefert, oder ob es sich um idealisierte Darstellungen handelte.695

695 Ein weiterer Interessenschwerpunkt dieser Zeit lag auf der in der antiken Kunst dargestellten Physiognomie und den darin ins Bild gesetzten Affekten, also den Gemütsregungen. Dies erklärt das besondere Interesse des 18. Jhs. an Köpfen bzw. Büsten (der Laokoon war diesbezüglich ein beliebtes und vieldiskutiertes Anschauungsobjekt), denen gegenüber die Beachtung des in den antiken Bildwerken dargestellten Körpers eher zurücktrat, s. dazu auch oben Kapitel „Zur Praxis der Herstellung von Gipsabgüssen und der besonderen Rolle der Köpfe und Büsten“. Dagegen lag Soemmerrings Augenmerk bei den Köpfen weniger auf der Mimik als auf der abgebildeten Physiognomie, und ihn als Anatomen interessierte natürlich auch der dargestellte Körper.

Schlussbetrachtung Die Abguss-Sammlung des Kurfürsten Johann Wilhelm von der Pfalz und die Sammlung von Antiken-Abgüssen unter Christian Gottlob Heyne an der Universität Göttingen nehmen beide auf ihre Weise eine Sonderstellung unter den Antikensammlungen in Deutschland ein. Nicht nur waren beide durch ihre Vorreiterrolle als erste fürstliche bzw. erste universitäre Sammlung dieser Art innovativ, sondern auch durch ihre Größe, Qualität und ihre vielschichtige Erwerbungsgeschichte bemerkenswert. Gleichzeitig ergibt sich aus dem Vergleich der beiden Sammlungen, ihrer so völlig unterschiedlichen Sammlungsgeschichte, den verschiedenen Rahmenbedingungen ihrer Entstehung, ihrer gänzlich anderen Funktion und Art der Aufstellung nicht nur das kontrastierende Bild zweier Sammlungen, die sich naturgemäß unterscheiden mussten: einer Kunst-Sammlung, die in ihrer Repräsentativität auch einen fürstlichen Macht- und Geltungsanspruch transportierte, einerseits und einer vornehmlich auf Studienzwecke ausgerichteten Lehrsammlung andererseits. Vielmehr zeigt sich jenseits dieser Unterschiede auch eine im Verlaufe der sechzig Jahre, die zwischen dem jeweiligen Beginn beider Sammlungen im 18. Jh. liegen, veränderte Auffassung im Umgang mit den Denkmälern, die sich in der Auswahl der Stücke wie ihrer Unterbringung niederschlug. So lag der Schwerpunkt der Göttinger Sammlung nicht nur aus räumlichen Gründen eher auf Büsten bzw. Köpfen als auf großplastischen Statuen, auch wenn Heyne zum Teil nicht unerhebliche Anstrengungen unternahm, um auch solche zu erwerben. Bei den Bildnisbüsten ging es um Physiognomie, nicht um körperliche Präsenz in Gestalt der bedeutendsten Werke des Altertums, wie dies noch für Johann Wilhelm im Vordergrund gestanden hatte. Die Bildnisse überwanden vielmehr durch ihre Präsenz die zeitliche Distanz, indem sie das äußere Erscheinungsbild vorbildlicher Männer transportierten, das wiederum gleich gesetzt wurde mit ihrer charakterlichen Beispielhaftigkeit. Insofern waren die Porträts vor allem Bild-Zeugnisse und weniger technisch bewundernswerte oder repräsentative Kunst-Werke. Man versprach sich durch ihre Betrachtung auch Wirkung auf Wesen und Charakter, in der Göttinger Universitätsbibliothek waren die Lehrenden und Lernenden von ihnen umgeben. Auch von großplastischen Statuen wurden zum Teil nur die Köpfe, die mit den dargestellten Affekten das Wesentliche des Gesamtwerkes quasi als Pars pro Toto abbildeten, in Büstenform aufgestellt. Die daneben auch in Form ganzer Statuen präsente Idealplastik diente dazu, eine Vorstellung von „dem Schönen“ zu gewinnen, und dadurch den ästhetischen Geschmack zu verfeinern. Neben der Ausschmückung der Bibliotheksräume sollten die Gipsabgüsse in Göttingen einen bildenden und erzieherischen Zweck erfüllen. Dagegen standen für den Düsseldorfer Kurfürsten der Kunstwert und der repräsentative Charakter der Werke im Vordergrund, die Auswahl der Stücke folgte dem Kanon der berühmtesten und anerkanntesten Kunstwerke des Altertums, deren Abgüsse in dem an das Schloss angegliederten Galeriebau zu einer Gesamtschau verhttps://doi.org/10.1515/9783110616200-013

Schlussbetrachtung

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sammelt waren. Das für die Düsseldorfer Sammlung verwendete Material war geeignet, den Anschein von antiken Marmorwerken zu erwecken. Gleichwohl galten auch erkennbare Kopien als adäquate Stellvertreter der antiken Originale. Wie auch an anderen Fürstenhöfen üblich, sammelte Johann Wilhelm neben den Antiken-Abgüssen Kunst auch in anderer Form, vor allem Gemälde, aber auch sonstige Preziosen in Gold, Silber und Elfenbein, dazu Münzen und Gemmen. Er maß sich mit anderen Herrschern, der Vergleich mit Ludwig XIV. schmeichelte ihm. Auch in Göttingen standen die Abgüsse in einem umfassenderen Kontext aus weiteren Sammlungen, die dort zu Lehrzwecken dienten. Neben der Bibliothek, und darin enthalten einem äußerst umfangreichen Bestand an Stichwerken, die Heyne im Rahmen seiner Vorlesungen einsetzte, bestanden diese aus einer großen Daktyliothek, d. h. einer Sammlung von Gemmenabdrücken, und einer Münzsammlung. Hinzu kamen noch einige archäologische Originalobjekte wie römische Grabungsfunde oder eine ägyptische Mumie. Im weiteren Sinne gehörte auch die naturwissenschaftliche Sammlung des „Academischen Museums“ dazu, das sich bis zum Ende des 18. Jahrhunderts ebenfalls unter dem Dach der Göttinger Universitätsbibliothek befand. Bemerkenswert ist die Göttinger Sammlung, neben der Tatsache, dass es sich um die erste universitäre Gipsabguss-Sammlung handelte, auch aufgrund ihrer langfristigen Wirkung und Bedeutung. Begünstigt wurde dies auch durch die enge Verbindung mit Heynes Vorlesungstätigkeit: Mit seinen über mehrere Jahrzehnte gehaltenen archäologischen Vorlesungen, in denen er neben Kupferstichen auch von den Gipsabgüssen als Anschauungsmaterial Gebrauch machte, erreichte Heyne Generationen von Hörern verschiedenster Fachrichtungen und prägte deren Antikenverständnis nachhaltig. Der Einfluss Heynes ist dabei bis in naturwissenschaftliche Fachdisziplinen fassbar. Durch handschriftliche Nachschriften und auch eine gedruckte Kompilation seiner Vorlesungen erfuhren die Lehrinhalte noch weitergehende Verbreitung. Die Geschichte der Göttinger Sammlung ist also zugleich ein Stück Wissenschaftsgeschichte, indem sie auch die Anfänge der Klassischen Archäologie als Lehrfach beleuchtet. Die Archäologie war zur Zeit Heynes noch kein eigenes Studienfach, sondern richtete sich an Studierende aller Fachrichtungen, und ihre Inhalte waren ein Teil eines umfassenden, quasi enzyklopädisch ausgerichteten Bildungskanons. Vorbildhaft wurde die Göttinger Sammlung jedoch auch als Institution, wenngleich die nächste Gründung einer universitären Abguss-Sammlung erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts erfolgen sollte, in Form des „Akademischen Kunstmuseums“ an der Universität Bonn unter dem Philologen Friedrich Gottlieb Welcker. Anders als in Göttingen wurden die Abgüsse in Bonn dann jedoch als Lehrsammlung von geschlossenem musealen Charakter präsentiert, nicht mehr als Sammlung verstreut aufgestellter Exponate. Göttingen und auch Bonn wurden schließlich Vorbild für die im Laufe des 19. Jahrhunderts in rascher Abfolge erfolgenden Neugründungen

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Schlussbetrachtung

von Abguss-Sammlungen. Die weiteren Sammlungsgründungen des 19. Jahrhunderts wiesen einige wesentliche Merkmale auf, die bereits für Göttingen kennzeichnend gewesen waren: Zunächst dienten archäologische Lehrsammlungen oder „Archäologische Apparate“, wie man sie nannte, als Teil der philologischen Institute und Seminare der Illustration der antiken Texte und der Veranschaulichung der Mythen. Parallel gab es auch schon archäologische Lehrveranstaltungen, die von Philologen gehalten wurden. Auch im 19. Jh. entstanden die Abguss-Sammlungen an den Universitäten vielfach noch bevor Klassische Archäologie dort jeweils als eigenständiges Fach eingerichtet wurde. Wie andere universitäre Sammlungen, z. B. auch die Archive, wurden die Gipsabgüsse an zentraler Stelle der Universitäten untergebracht: in den Universitätsbibliotheken oder zentralen Hörsaalgebäuden, wo sie für alle Fachdisziplinen präsent waren. Besonders mit der Einrichtung eigener Lehrstühle für Klassische Archäologie in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts war ein deutlicher Ausbau der Sammlungen verbunden. Am Ende des Jahrhunderts verfügten schließlich alle archäologischen Institute über eine Gipsabguss-Sammlung. Heute befinden sich die GipsabgussSammlungen zumeist in eigenen Räumlichkeiten im Zusammenhang mit den archäologischen Instituten. Damit sind sie aus dem Blickfeld der meisten anderen Fachdisziplinen weitgehend verschwunden. Sie haben inzwischen mehr den Charakter einer fachspezifischen Lehrsammlung, die der interessierten Öffentlichkeit zugänglich ist. Unterschiede bestehen auch im Selbstverständnis des Faches als solchem. So war zur Zeit Heynes die Archäologie auf die antike Kunst, speziell die antike Plastik spezialisiert, im Gegensatz zur heutigen Auffassung des Faches als einer breit angelegten historisch-anthropologischen Wissenschaft von der materiellen Kultur der Antike insgesamt. Zudem war im 18. Jahrhundert auch der Originalitätsbegriff ein anderer. Die Form an sich war wichtig und im Zuge dessen die Vollständigkeit eines Werkes, weniger wichtig war dagegen der Materialwert oder dass es sich um ein antikes Originalwerk handelte. Gerade im Hinblick auf die Materialien, aus denen die Kopien bestehen konnten, war die Spannweite groß. Sie reichte von Bronze über Terrakotta, Porzellan und Gips bis hin zu Pappmaché. Während die Göttinger Abguss-Sammlung letztlich immer archäologische Lehrsammlung blieb und als solche mit der Universität räumlich wie institutionell verbunden, war die Sammlung der ursprünglich von Johann Wilhelm für Düsseldorf zusammengetragenen Antikenabgüsse einem örtlichen wie funktionalen Wandel unterworfen. Hatte die Sammlung in Düsseldorf neben der persönlichen Erbauung des Kurfürsten vornehmlich repräsentativen Zwecken gedient, sollte sie in der Mitte des 18. Jahrhunderts in Gestalt des berühmten Mannheimer Antikensaales als Vorbildersammlung der künstlerischen Ausbildung zugutekommen. Gleichzeitig lieferte die Sammlung dort Inspiration auch für literarische Auseinandersetzung. Bereits während des Sammlungsaufbaus in Düsseldorf hatte der Gedanke mitgeschwungen, aus den mitgelieferten Formen weitere Abgüsse anzufertigen, die dann als re-

Schlussbetrachtung

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präsentative Tauschobjekte der fürstlichen Beziehungspflege förderlich gewesen wären; allerdings sollte es dazu zu Lebzeiten Johann Wilhelms nicht mehr kommen. Von Mannheim aus sollten Abformungen und Wiederholungen der von Johann Wilhelm erworbenen Stücke jedoch weitere Verbreitung finden, so für Anna Amalia, Herzogin von Sachsen-Weimar, deren Hofbildhauer Klauer auch Wiederholungen in anderen Materialien herstellte, oder auch für Markgraf Karl Friedrich von Baden. Nachdem Johann Wilhelms Nachfolger beide zunächst augenscheinlich kein allzu großes Interesse an den Düsseldorfer Abgüssen gehabt hatten, wurde Carl Theodor nach ihrem Transport nach Mannheim ihr Wert als Vorlagenschatz doch bewusst, und er ließ auch für seinen eigenen Bedarf wie die Ausschmückung des Schwetzinger Badehauses Abgüsse nach Stücken des Antikensaales anfertigen. Gleichzeitig hatte er ein Auge darauf, dass es nicht zu unkontrollierter Verbreitung von Abformungen nach Mannheimer Stücken kam. In gewissem Sinne eigenen Zwecken dienten auch die Sendungen von Abgüssen an die Kurfürstliche Akademie der schönen Künste in Düsseldorf, die Carl Theodor durch Verschaffelt anfertigen ließ. Die eigentliche Blütezeit der Sammlung endete mit ihrem Transport nach München unter Carl Theodors Nachfolger Max Joseph zu Beginn des 19. Jahrhunderts, wo die Antikenabgüsse wiederum den Schülern der Münchner Akademie der Bildenden Künste zur Verfügung stehen sollten. Im 20. Jh. fielen die Abgüsse in München dann schließlich der Zerstörungswut der 68er zum Opfer. Die Geschichte der Düsseldorfer Sammlung ist somit ein anschauliches Beispiel nicht nur für Kontinuität und Wandel der Wertschätzung von Abguss-Sammlungen, sondern auch für die Bandbreite ihrer höfisch-politischen und künstlerischen Einsatzmöglichkeiten. Gemeinsam mit der Göttinger Sammlung ergibt sich ein umfassendes Bild der inhaltlichen Bedeutung und der vielfältigen funktionalen Verwendung von Abguss-Sammlungen nach Antiken im 18. Jahrhundert.

Anhang Anhang zu Teil I (Düsseldorf ): Verzeichnisse von Antikenabgüssen I. Verzeichnis der in den Briefen 1 zwischen dem Kurfürsten Johann Wilhelm und dem Conte Fede genannten Erwerbungen an Abgüssen bzw. Abguss-Formen 2 – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Hercules Farnese (Q 385) Flora Farnese (Q 393) Fechter Borghese (Q 427) Kentaur Borghese (Q 436) Laokoon (Q 412) Venus Medici (Q 444) Formen der „berühmtesten Statuen Roms in Verkleinerungen“ (ridotte in piccolo) (Q 511) Sterbender Gallier (Gladiator Moriente) aus der Slg. Ludovisi (Q 623) Apoll vom Belvedere (Q 633) Löwe aus der Villa Medici (Q 634) Zwölf antike Caesarenbüsten (Q 635) Formen der „berühmtesten Statuen auf dem Kapitol“ (Q 641) Die beiden Caesaren vom Kapitol (Caesar und Oktavian) (Q 661) Germanicus und Fechter (Gladiatore) aus der Königl. Académie de France in Rom (Q 680) Marmorstatue der Trunkenen Alten (Q 688) Formen der „kostbarsten Statuen der Slg. Odescalchi“ (Q 693) Vase der Villa Medici (Q 697) Kapitell der Rotonda (Pantheon) (Q 711) Jupiter Tonans aus den Diokletiansthermen (Q 711)

II. Francesco Arnaldi: Verzeichnis der in seinem Besitz vorhandenen Formen 3 Nota di tutte le forme delle figure Antiche di Roma che sono di me Francesco Arnaldi: Nota delle forme che ó io Fran.co Arnaldi – Il Leonconte co i due figli di Belvedere – L’Antono (sic) di Belvedere (Levin: l’Antino) – L’Appollo (sic) di Belvedere – Il Saturno di Borghese co’ il putto in Braccio

1 Ohne Berücksichtigung der mitgesandten Verzeichnisse, zu diesen s. u. – In Klammern dahinter jeweils eine ausgewählte Belegstelle. 2 Die vom Kurfürsten gewünschte Abformung des Marc Aurel vom Kapitol und der Trajanssäule war zwar immer wieder Thema der Briefe, da es dazu aber nie kam, finden diese keine Aufnahme in die vorliegende Aufstellung. Diese berücksichtigt nur tatsächlich erworbene Stücke. 3 Nach Q 452, Fede an Johann Wilhelm (3. August 1709), Anlage; wesentlich abweichende Lesungen bei Levin 1911, 165 (3. September 1709) sind angegeben. Dies gilt entsprechend für die im Folgenden wiedergegebenen Verzeichnisse von Mannelli. Eindeutige Lesefehler sind stillschweigend korrigiert. https://doi.org/10.1515/9783110616200-014

334 – – – – – – – – – –

Anhang

L’Armafrodito di Borghese (Levin: l’Amafrodita) La Venere de’ Medici Il Mercurio de’ Medici Il Ganimede de’ Medici L’Appollino de’ Medici Il Marzio de’ Medici La Testa del Cavallo di Campidoglio co le quattro gambe del cavallo I modelletti in piccolo delle piu [celebre?] figure antiche di Roma che sono numero venti Otto forme de’ putti del Langardi4 e del fiamengho5 Dodici teste antiche delle più stimate della scola de’ Greci

Nota delle forme che si potranno avere da altri Il Castore e polucce della Reggina6 (Levin: Polluce) Il Satiro che porta la Capra su le spalla della Regina Tutto il Vaso di Borghese La Venere di Lodovisi

– – – –

III. Gennaro Mannelli: Verzeichnis der Statuen, von denen er die Formen anzufertigen beabsichtigte 7 Nota delle figure più celebre di Roma – Il Gladiatore Moriente nel Orto Ludovisi – Il Torzo di Belvedere nel Orti Vaticani opera di Apolonio sculdore Atenese – Giulio Cesare in Campidoglio – Octaviano in Campidoglio (Levin: Ottaviano) – Statua di Comodo Imperatore ditto l’Erccole Romano – La Pallade nel Palazzo Giustiniani – Statua di Apollo co’ Pitone ucciso negli orti Vaticani – Il Fauno delle Regina di Svezia oggi di Don Livio Odescalchi (Levin: favono) – Domiziano Imperatore nel Palazzo Giustiniani – Venere uscita dal Bagnio in atto di asciugarsi nel orti Giustiniani – L’Ermafrodito in cui si rapresenta in copro composte di due sessi a Villa Borghese (Levin: un corppo composto) – Castore e Polluce nelli orti Ludovisi, oggi di Don Livio Odescalchi

IV. Gennaro Mannelli: Verzeichnis der bislang fertiggestellten Stücke 8 Le Statue Formate sono l’infrascritte cioè – Cesare Augusto in Campidoglio – Ottaviano Augusto detto il perpetuo in Campidoglio

4 5 6 7 8

Algardi. Giambologna oder Duquesnoy. Königin Christina von Schweden. Nach Q 623, Fede an Johann Wilhelm (19. November 1712), Anlage; vgl. Levin 1911, 170 f. Nach Q 678, Fede an Johann Wilhelm (10. März 1714), Anlage; vgl. Levin 1911, 173 f. (14. März 1714).

Anhang zu Teil I (Düsseldorf): Verzeichnisse von Antikenabgüssen

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

335

Il Torzo del Belveder (Levin: di Belvedere) Il Gruppo di Due Statue al naturale, cioè Il Dio Pan, e Olimpio nella Villa Medici Il Gruppo di due figure, cioè Pan, e Sicond (Silen? Anm. Tipton) nuovamente uscito (Levin: Pan e Sicone) La Venere Clypiga di Farnese (Levin: Callypiga) La Statua che si cava la spina dal piede in Campidoglio L’Amafrodita di Borghese (Levin: L’Ermafrodita) L’Urania in Campidoglio, Statua in cui ha fatto tutto il suo studio il Bernini Il Bacco al Naturale di Giustiniani Il Leone della Villa Medici Il Busto, e Testa di Lucio Severo Il Busto, e Testa di Myrino Imp.re (Levin: Magrino Imp.re) Il Busto, e Testa di Adriano Il Busto, e Testa di Caracalla, quale si e dupplicata avere la forma piu fresca (Levin: per avere la forma piu fresca) Li due originali Capifochi (Feuerböcke, Anm. Levin) del Langardi (Algardi, Anm. Tipton) con la Cascata delli Giganti Il Gruppo in piccolo modellato dal Bernini del Ratto delle Sabine Il Gruppo in piccolo del med.mo del Ratto di Proserpina Il S. Bartolomeo in piccolo di Monsù Legrò (Pierre Legros, Anm. Tipton) Nota de Filosofi, cioè Teste per Accademia e Busti, che sono nella Galleria di Farnese Bruto adottato da Giulio Cesare Marc’ Aurelio Imperatore Dante Imp.e di Constantinopoli Tiberio Filosofo Bergamo Filosofo Marc’ Aurelio giovane Omero Poeta Euripide Poeta Tragico Platone Filosofo Solone Filosofo Salustio Istorico Diogene Filosofo Cecrope (?) Filosofo Commodo Imp.re Bruto giovane Mitridate Re di Ponto

V. Gennaro Mannelli: Abgüsse von Mannelli nach Statuen der Gallerie Odescalchi 9 – – –

Il Tolomeo Il fauno che porta la capretta La Venere che sta in atto di sciugarsi (sich abzutrocknen, Anm. Levin)

9 Nach Levin 1911, 178. Verzeichnis dem entsprechenden Schreiben Fedes nicht mehr beiliegend, vgl. Q 725, Fede an Johann Wilhelm (20. Oktober 1714).

336 – – – –

Anhang

La Dea Clizia L’altra Venere greca L’Alesandro Il Castore e Polluccie

VI. Reisebericht Uffenbach (1711): Abgüsse im Düsseldorfer Galeriegebäude 10 – – – – – –

Hercules Farnese Flora Farnese Kentaur Borghese Satyr mit der Fußklapper (tanzender Satyr) Ringergruppe Florenz Mercurius

Anhang zu Teil II (Göttingen): Katalog der Erwerbungen (chronologisch), Konkordanz 1767 15 Verkleinerungen antiker Skulpturen 3 Köpfe in Lebensgröße (Venus, Flora, Mercurius) Roene, Hannover Büsten von Herrenhausen: 1. Augustus verl. (1859 noch nachweisbar) Kopf des Augustus Boehringer 1979, 108 Nr. 27; Fittschen 2006, 149. Herrenhausen, Orangerie des Schlosses. Vorbild: Augustus München, Glyptothek, Inv.-Nr. 317, bis 1797 Verona, Sammlung Bevilacqua. Vgl. Göttingen AK 4 (Abguss des antiken Originals). Vgl. Porträtbüste Fürstenberger Porzellan: Wolff Metternich – Meinz 2004, 235 („Octavius Augustus“ 1774, Modelleur Rombrich, noch kein Exemplar in Abb. publiziert). 2. Tiberius verl. (1859 noch nachweisbar) Kopf des Tiberius Boehringer 1979, 108 Nr. 28; Fittschen 2006, 155. Herrenhausen, Orangerie des Schlosses.

10 Nach Uffenbach 1754, 725 f.

Anmerkung: Zu Maßangaben, Abbildungen und weiterführender Literatur s. jeweils Boehringer 1979 bzw. Fittschen 2006.

Anhang zu Teil II (Göttingen): Katalog der Erwerbungen (chronologisch)

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Vorbild: noch nicht identifiziert; Tiberius Kopenhagen, NCG 624, Inv.-Nr. 1750 nahestehend. Vgl. Porträtbüste Fürstenberger Porzellan: Fittschen 2006, 157 Taf. 36, 4 („Tiberius“, Privatbesitz; 1774, Modelleur Rombrich). 3. Claudius verl. (1859 noch nachweisbar) Kopf des Claudius Boehringer 1979, 108 Nr. 31; Fittschen 2006, 175. Herrenhausen, Orangerie des Schlosses. Vorbild: Claudius Florenz, Uffizien, Inv. 1914 Nr. 97. Vgl. Porträtbüste Fürstenberger Porzellan: Wolff Metternich – Meinz 2004, 235 („Titus Claudius“ 1774, Modelleur Rombrich, noch kein Exemplar in Abb. publiziert). 4. Caligula verl. (1859 noch nachweisbar) Kopf des Caligula Boehringer 1979, 108 Nr. 29; Fittschen 2006, 162. Herrenhausen, Orangerie des Schlosses. Vorbild: Florenz, Uffizien, Inv. 1914 Nr. 113 („Caligula Ludovisi“), bis 1669 in Sammlung Ludovisi. Vgl. Porträtbüste Fürstenberger Porzellan: Fittschen 2006, 166 Taf. 42, 2 („Caligula“, Fürstenberg, Manufaktur; 1771, Modelleur Desoches); vgl. Wolff Metternich – Meinz 2004, 235 („Caius Caligula“ 1774, Modelleur Rombrich). 5. Nero verl. (1859 noch nachweisbar) Kopf des Nero Boehringer 1979, 108 Nr. 32; Fittschen 2006, 177. Herrenhausen, Orangerie des Schlosses. Vorbild: „Nero Giustiniani“ Rom, Mus. Capitolini, Inv.-Nr. 427 (fragmentiertes Bildnis des jungen Domitian, zu einem Nero-Bildnis ergänzt), zunächst in Sammlung Giustiniani, danach bis 1733 in der ersten Sammlung des Kardinals Albani. Vgl. Porträtbüste Fürstenberger Porzellan: Wolff Metternich – Meinz 2004, 235 („Nero Claudius“ 1774, Modelleur Rombrich); Ducret 1965, 243 Abb. 364. Das Porzellanbildnis kann nicht auf den „Nero Giustiniani“ zurückgehen, aber auch kein anderes antikes Vorbild benennbar; vermutlich nach einer Zeichnung frei modelliert, s. Fittschen 2006, 181. Vgl. Göttingen A 1417 (Fragment eines Bildnisses des Domitian, 1. Typus); dabei handelt es sich um einen Abguss des Gesichtsfragmentes aus dem Kapitolinischen Museum ohne die Ergänzungen, die daraus ein Nero-Bildnis machten (s. o.); möglicherweise war das Domitianporträt seinerseits selbst ursprünglich erst aus einem Nero-Bildnis in ein Domitian-Bildnis umgearbeitet worden, vgl. Fittschen 2006, 178 Anm. 3; Bergmann – Zanker 1981, 352 Nr. 13 Abb. 26 a. b. 6. Galba A 1348 Kopf des Galba Boehringer 1979, 108 Nr. 33; Fittschen 2006, 182 Taf. 52, 1–4. Herrenhausen, Orangerie des Schlosses (dort irrtümlich auf Büste des „Vespasianus“). Vorbild: antikes oder nachantikes Vorbild bislang nicht nachgewiesen. Vgl. Porträtbüste Fürstenberger Porzellan: Wolff Metternich – Meinz 2004, 235 („Sergius Galba“ 1774, Modelleur Rombrich, noch kein Exemplar in Abb. publiziert).

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Anhang

7. Vitellius A 1349 Kopf des Vitellius Boehringer 1979, 108 Nr. 34; Fittschen 2006, 186 Taf. 55, 2. Herrenhausen, Orangerie des Schlosses. Vorbild: „Vitellius Grimani“ („Pseudo-Vitellius“) Venedig, Mus. Archeologico, Inv.-Nr. 20, aus der Schenkung des Domenico Grimani von 1523. Vgl. Porträtbüste Fürstenberger Porzellan: Wolff Metternich – Meinz 2004, 235 („Aulus Vitelius“ 1774, Modelleur Rombrich, noch kein Exemplar in Abb. publiziert). Der Fürstenberger „Vitellius“ hat Fittschen 2006, 225 zufolge „falls richtig identifiziert, mit dem ‚Vitellius Grimani‘ nichts zu tun; ein bestimmtes antikes Vorbild ist nicht erkennbar.“ 8. Vespasianus A 1350 Kopf des Vespasianus Boehringer 1979, 108 f. Nr. 35; Fittschen 2006, 235 Taf. 68, 2. Herrenhausen, Orangerie des Schlosses (dort irrtümlich auf Büste des „Galba“). Vorbild: nicht identifiziert. Vgl. Porträtbüste Fürstenberger Porzellan: Wolff Metternich – Meinz 2004, 235 („Flavius Vespasianus“ 1774, Modelleur Luplau, noch kein Exemplar in Abb. publiziert). 9. Titus A 1351 Kopf des Titus Boehringer 1979, 109 Nr. 36; Fittschen 2006, 238 Taf. 68, 1. Herrenhausen, Orangerie des Schlosses. Vorbild: vielleicht Titus, Howard Castle (oder eine verschollene antike Replik dieses Bildnisses), s. Fittschen 2006, 238 Taf. 70, 1. 2. Vgl. Porträtbüste Fürstenberger Porzellan: Wolff Metternich – Meinz 2004, 235 („Titus Vespasianus“ 1774, Modelleur Luplau); Ducret 1965, 243 Abb. 363. Gegen Abhängigkeit vom Herrenhäuser Titus sprechen die hohe Stirn und der vom Kranz verdeckte Stirnhaarrand, s. Fittschen 2006, 241. 10. Constantinus A 687 Büste eines Mannes Boehringer 1979, 107 Nr. 26 Abb. 26; Fittschen 2006, 266–269 Taf. 81, 1–4. Laut Fittschen ehem. Herrenhausen, Orangerie des Schlosses, seit 1803 verschollen. Auf dem Büstenfuß des Abgusses gemalt und geritzt „Constantinus“, geritzt „Giacomo Ferrari“. Vorbild: noch nicht identifiziert, Replik vom Typus des sog. Diphilos. 11. Scipio A 1354 Kopf des „Scipio Africanus“ Boehringer 1979, 110 Nr. 40; Fittschen 2006, 100 f. Taf. 14, 3–4. Herrenhausen, Orangerie des Schlosses. Barocker Bronzenachguss des Basaltkopfes in Rom, Palazzo Rospigliosi. Vgl. Boehringer 1979, 113 f. Nr. 64 (verlorener Abguss nach Kopf des „Scipio Africanus“ der Slg. Wallmoden).

Anhang zu Teil II (Göttingen): Katalog der Erwerbungen (chronologisch)

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Vorbild: Sog. Scipio Africanus aus dunkelgrünem „Basalt“ (Diabas) in Rom, Palazzo RospigliosiPallavicini. Vgl. Porträtbüste Fürstenberger Porzellan: Fittschen 2006, 123 Taf. 13,4 („Scipio“, Braunschweig, HAUM; 1791, Modelleur Schubert). 12. Sulla A 1353 Kopf des sog. Sulla Boehringer 1979, 109 f. Nr. 38; Fittschen 2006, 140 f. Taf. 28, 1–4. Ehem. Herrenhausen, Orangerie des Schlosses, seit 1803 verschollen. Vorbild: Kopenhagen, Ny Carlsberg Glyptotek, Inv.-Nr. 1575, Kat.-Nr. 589 (Poulsen 1951) bzw. Kat.-Nr. 125 (Johansen 1994), ehem. Rom, Palazzo Barberini. 13. Marius A 1352 Kopf des sog. Marius Boehringer 1979, 109 Nr. 37; Fittschen 2006, 136 f. Taf. 26, 1–4. Ehem. Herrenhausen, Orangerie des Schlosses, seit 1803 verschollen. Vorbild: Sog. Marius München, Glyptothek, Inv.-Nr. 319, aus Slg. Barberini. 14. Cicero A 655 Büste eines Unbekannten, sog. Cicero Boehringer 1979, 112 Nr. 54; Fittschen 2006, 270 f. Taf. 82, 1–2; 84, 3; 85, 4. Laut Fittschen ehem. Herrenhausen, Orangerie des Schlosses, seit 1803 verschollen. Auf dem Büstenfuß vorne gemalt und geritzt „Cicero“, rückseitig Signatur „Giacomo Ferrari“. Vorbild: „Cicero Ludovisi“ Florenz, Uffizien, Inv. 1914 Nr. 393. Vgl. Porträtbüste Fürstenberger Porzellan: Fittschen 2006, 274 Taf. 84, 4 („Cicero“, Münster, Westfälisches Landesmuseum); Braunschweig, HAUM, Inv.-Nr. Für 7037 (s. Abb. 39); 1771, Modelleur Desoches. 15. Drusus A 1347 Kopf des „Drusus“ Boehringer 1979, 108 Nr. 30 Abb. 27; Fittschen 2006, 158 Taf. 39, 1–4. Ehem. Herrenhausen, Orangerie des Schlosses, seit 1803 verschollen. Vorbild: noch nicht identifiziert, vermutlich ein zu einem Domitiansporträt umgearbeitetes Nero-Bildnis, vgl. Fittschen 2006, 158; Bergmann – Zanker 1981, 358 f. Abb. 30 a. b; 31 a. b. Vgl. Porträtbüste Fürstenberger Porzellan: Fittschen 2006, 160 Taf. 38, 3 („Drusus“, Braunschweig, HAUM, Inv.-Nr. Für 7040 (s. Abb. 40); 1771). 16. Ptolemaeus verl. Kopf des „Ptolemaeus Cleopatrae“ Boehringer 1979, 110 Nr. 41; Fittschen 2006, 144. Herrenhausen, Orangerie des Schlosses. Vorbild: Bildnis des mauretanischen Königs Juba II. in Kopenhagen, Ny Carlsberg Glyptotek, Inv.-Nr. 1591, Kat.-Nr. 452 (1951) bzw. Kat.-Nr. 9 (1994). Vgl. Göttingen A 1425 (Abguss des antiken Originals). Vgl. Porträtbüste Fürstenberger Porzellan: Fittschen 2006, 148 Taf. 32, 4 („Ptolemäus“, Braunschweig, HAUM); Schroeder – Damaschke 1996, 136 Nr. 154 mit Abb. (1771); vgl. auch das

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Anhang

entsprechende Exemplar in geschwärztem Ton: Schroeder – Damaschke 1996, 111 mit Abb. (Braunschweig, HAUM, um 1800). 17. Epicurus verl. (1859 noch nachweisbar) / Fittschen: A 1445 Kopf des „Epicurus“ Boehringer 1979, 112 Nr. 53; Fittschen 2006, 294 f. Taf. 90, 1–2; 92, 3–4. Ehem. Herrenhausen, Orangerie des Schlosses, seit 1803 verschollen. Vgl. Porträtbüste Fürstenberger Porzellan: Wolff Metternich – Meinz 2004, 236 („Epicur“, 1785–1800); 246 Nr. 55, ohne Daten (noch kein Exemplar in Abb. publiziert). 18. Faustina A 685 Büste einer römischen Matrone (frühhadrianisches Privatporträt) Boehringer 1979, 105 Nr. 12; Fittschen 2006, 301–303 Taf. 94, 1–3. Petworth House (West Sussex, England), Sammlung Leconfield, s. Raeder 2000, 183 Nr. 66. Laut Fittschen ehem. Herrenhausen, Orangerie des Schlosses, seit 1803 verschollen. Auf dem Büstenfuß des Abgusses in Ölfarbe „Agrippina“, auf Schildchen geritzt „Agrippiˆa“.

1771 „Der Laocoon mit seinem Sohne, der Rotatore und der Apollo Pythius“ (Universitätsarchiv Göttingen, Kur. 6422): A 458 a Kopf des Laokoon Boehringer 1979, 112 Nr. 60. Rom, Mus. Vaticani, Cortile del Belvedere, Inv.-Nr. 1064 (Statue des Laokoon). Vgl. auch das entsprechende Exemplar in Fürstenberger Porzellan: Schroeder – Damaschke 1996, 130 f. Nr. 146 mit Abb. (Weimar, Kunstsammlungen; 1772, Modelleur Desoches); Wolff Metternich – Meinz 2004, 240 Abb. 191 (Braunschweig, HAUM). A 1345 Kopf eines Niobiden, sog. zweitältester Sohn (erworben als „Laocoonsohn“) Boehringer 1979, 105 Nr. 13 (= Boehringer 1979, 113 Nr. 62). Typus Florenz, Mus. Archeologico, Inv.-Nr. 13864 (Geominy 1984, 611 Abb. 89; Gasparri 1999, 162 Nr. 16; 165 Abb.; bei Boehringer noch irrtümlich als Typus Florenz, Uffizien, Inv.-Nr. 304 bezeichnet). Vgl. auch das entsprechende Exemplar in Fürstenberger Porzellan: Wolff Metternich 1981, 59 f. Abb. 37 („Luctator“ bzw. „römischer Fechter“ (gemeint ist der „Fechter Borghese“) Braunschweig, HAUM; 1771, Modelleur Desoches). Der Kopftypus des vermeintlichen „Fechters“ wurde wenig später noch einmal in der Fürstenberger Produktion aufgegriffen: Die Figur eines „Bildhauers“ (1779, aus einer Serie von vier Handwerkern aus glasiertem Porzellan) ist bei der Arbeit an eben diesem Kopf dargestellt, vgl. Damaschke 1996, 108 Abb. Vgl. auch das entsprechende Exemplar in geschwärztem Ton: Schroeder – Damaschke 1996, 111 mit Abb. (Braunschweig, HAUM, um 1800). Vgl. dazu Göttingen A 1357 (Kopf des Unterliegenden der Ringergruppe Florenz).

Anhang zu Teil II (Göttingen): Katalog der Erwerbungen (chronologisch)

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verl. Feldherrn-Kopf (sog. Aratos bzw. Lysimachos) (erworben als bzw. anstelle des „Rotatore“) Boehringer 1979, 111 Nr. 49. Möglicherweise nach barockem Bronzenachguss des „Lysimachos Farnese“ in Braunschweig (Braunschweig, HAUM, Inv.-Nr. Bro 260; Berger – Krahn 1994, 122 Kat. 78 mit Abb.; Fittschen 2006, 291 Taf. 89, 4); vgl. Neapel, Mus. Nazionale, Inv.-Nr. 6141 („Lysimachos“, ehem. Farnese; bei Bernoulli 1901, 153 genannt als „der früher Arat genannte schöne Feldherrnkopf“ in Neapel; Himmelmann 1989, 224 f. Nr. 14). Vgl. Porträtbüste Fürstenberger Porzellan: Braunschweig, HAUM, Inv.-Nr. Für 7060 (s. Abb. 44); vgl. Wolff Metternich 1981, 31 Abb. 5 (dort (irrtümlich?) als „Schleifer“ bezeichnet; Fürstenberg, Werksmuseum; 1772) Vgl. dazu auch die ähnliche Porzellan-Büste „Römischer Spion“ bei Berswordt-Wallrabe 2002, 118 f. Nr. 142 mit Abb. (Schwerin, Staatliches Museum; 1772, Modelleur Desoches, offenbar eine Variante desselben Typus) sowie das entsprechende Exemplar in geschwärztem Ton: Schroeder – Damaschke 1996, 111 mit Abb. (Braunschweig, HAUM, um 1800). A 348 a Büste des Apoll vom Belvedere (erworben als „Apollo Pythius“) Boehringer 1979, 112 Nr. 59. Rom, Mus. Vaticani, Cortile del Belvedere, Inv.-Nr. 1015.

1772 A 470 Statue des Krupeziontretenden Satyrn der Gruppe „Aufforderung zum Tanz“ (Satyr mit der Fußklapper) Boehringer 1979, 111 Nr. 45. Florenz, Uffizien, Inv.-Nr. 220. Vgl. Göttingen A 1045 (s. u.). verl. Statue der Venus Medici Boehringer 1979, 111 Nr. 46. Florenz, Uffizien, Inv.-Nr. 224. Vgl. Göttingen A 468. Vgl. auch die entsprechende Büste in Fürstenberger Porzellan: Wolff Metternich – Meinz 2004, 252 Abb. 198 (Fürstenberg, Werksmuseum; 1771, Modelleur Desoches); diese wurde offensichtlich nach Vorlage der Braunschweigischen Bronzebüste (Venus Medici, 1640) gefertigt (Braunschweig, HAUM, Inv.-Nr. Bro 64), vgl. Schroeder – Damaschke 1996, 109 Abb. oben. A 1098 Pseudo-Seneca („Bildnis eines greisen Dichters“) in Florenz Boehringer 1979, 112 Nr. 55. Florenz, Uffizien, Inv. 1914 Nr. 58. Bei dem heute vorhandenen Abguss handelt es sich nach dem Inventarbuch um eine Abformung des „alten, verdorbenen“ Exemplares von 1772, s. Fittschen 1990, 211 (A 1098). Vgl. auch das entsprechende Exemplar in Fürstenberger Porzellan: Wolff Metternich 1981, 57 Abb. 34 (Fürstenberg, Werksmuseum; 1771, Modelleur Desoches).

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Anhang

verl. Kopf der Proserpina aus der Gruppe „Raub der Proserpina“ von Bernini (erworben als „Cleopatra“) Boehringer 1979, 105 Nr. 11. Rom, Galleria Borghese, Inv.-Nr. 268, s. Faldi 1954, 29–31 Nr. 33. Vgl. auch die entsprechende Büste in Fürstenberger Porzellan: Wolff Metternich 1981, 59 Abb. 35 (Braunschweig, HAUM; 1771, Modelleur Desoches); Schroeder – Damaschke 1996, 133 f. Nr. 150 mit Abb. (1782, Modelleur Desoches).

1774 verl. Ganze Figur des Laokoon (Vater) Boehringer 1979, 110 Nr. 39. Rom, Mus. Vaticani, Cortile del Belvedere, Inv.-Nr. 1064. Von Ferraris. verl. Ganze Figur des sog. Borghesischen Fechters Boehringer 1979, 106 Nr. 19. Paris, Mus. du Louvre, Inv.-Nr. MA 527. Von Ferraris. Vgl. Göttingen A 446. zwölf Köpfe bzw. Büsten: verl. Büste der Florentiner Niobe Boehringer 1979, 104 Nr. 3. Vorbild: Florenz, Uffizien, Inv.-Nr. 294 (Gasparri 1999, 162 f. Nr. 14 mit Abb.). Ein Abguss des „Kopfes der Mutter“ soll sich auch in der Abguss-Sammlung des Herzoglichen Kunst- und Naturalienkabinetts zu Braunschweig befunden haben, s. Schroeder – Damaschke 1996, 132 f. mit Anm. 50. Vgl. auch die entsprechende Büste in Fürstenberger Porzellan: Wolff Metternich 1981, 52 Abb. 24 (Braunschweig, HAUM; 1774, Modelleur Desoches); Schroeder – Damaschke 1996, 132 Nr. 148 mit Abb. (Weimar, Kunstsammlungen; 1777, Modelleur Schubert). A 291 Büste der sog. ältesten Niobide, Florenz Boehringer 1979, 106 Nr. 14. Florenz, Uffizien, Inv.-Nr. 293. Vgl. auch die entsprechende Büste in Fürstenberger Porzellan: Wolff Metternich 1981, 53 Abb. 26 (Braunschweig, HAUM; 1774, Modelleur Desoches). Vgl. Abguss einer Niobide Leipzig, Antikenmuseum der Universität, Abgusssammlung, Inv.Nr. G 209, s. G. Ebers – J. Overbeck, Führer durch das archäologische Museum der Universität Leipzig (Leipzig 1881) 47 Kat. Nr. 225; dessen Herkunft gilt als unbekannt, nach Zurichtung und Büstenfuß könnte er aber der Werkstatt der Gebrüder Ferrari zuzuschreiben sein (zumindest die in Leipzig offenbar bis heute vorhandene Form).

Anhang zu Teil II (Göttingen): Katalog der Erwerbungen (chronologisch)

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A 1346 Kopf der „fliehenden Niobide“ Boehringer 1979, 106 Nr. 15. Florenz, Uffizien, Inv.-Nr. 300 (Gasparri 1999, 162 Nr. 15; 164; 167 Abb.). Vgl. auch die entsprechende Büste in Fürstenberger Porzellan: Wolff Metternich 1981, 53 Abb. 25 (Braunschweig, HAUM; 1774, Modelleur Desoches); Schroeder – Damaschke 1996, 133 Nr. 149 mit Abb. (1774 (?), Modelleur Desoches oder Schubert?). verl. Büste der jüngsten, zur Mutter geflohenen Niobide Boehringer 1979, 106 Nr. 16. Vorbild: Florenz, Uffizien, Inv.-Nr. 294 (Gasparri 1999, 162 f. Nr. 14 mit Abb.). Vgl. auch die möglicherweise entsprechende Büste in Fürstenberger Porzellan: Wolff Metternich – Meinz 2004, 235 („Niobe la Fille C“? 1774, Modelleur Desoches, noch kein Exemplar in Abb. publiziert). A 1357 Kopf des Unterliegenden der Ringergruppe Florenz (im Verzeichnis 1788 als „Sohn der Niobe“; Verzeichnis bald nach 1793 „Sohn der Niobe. der schrägstehende.“; zwischen ca. 1793 und 1798 in „Laokoonsohn“ umbenannt) Boehringer 1979, 112 Nr. 61. Florenz, Uffizien, Inv.-Nr. 216. Der einzige männliche Niobide in Göttingen wurde bislang mit dem Abguss Inv.-Nr. A 1345 identifiziert (Typus Florenz, Mus. Archeologico, Inv.-Nr. 13864; Geominy 1984, 611 Abb. 89; bei Boehringer noch irrtümlich als Typus Florenz, Uffizien, Inv.-Nr. 304 bezeichnet), vgl. Boehringer 1979, 105 Nr. 13. Es gibt jedoch Anhaltspunkte, dass stattdessen der hier vorliegende Abguss Inv.-Nr. A 1357 ursprünglich als Niobide nach Göttingen kam (dazu ausführlich s. o. Kap. „Zu den Abgüssen der ‚Laokoonsöhne‘“). A 577 Dionysos ehem. im Kapitolinischen Museum (erscheint im Verzeichnis von 1788 als „Ariadne“) Boehringer 1979, 104 Nr. 4. Rom, Mus. Gregoriano Profano, Inv.-Nr. 734 (sog. Typus Basel). Vgl. auch das entsprechende Exemplar in Fürstenberger Porzellan: Wolff Metternich 1981, 38 Abb. 17 („Ariadne“, Braunschweig, HAUM); Wolff Metternich – Meinz 2004, 246 Nr. 54. verl. „Paullina“ (nicht mehr identifizierbar) Boehringer 1979, 105 Nr. 9. Dabei könnte es sich um ein zeitgenössisches Bildnis handeln, von denen sich im „physicalischen Saal“ neben den Antikenabgüssen noch weitere befunden haben, s. SUB, Bibl. Arch. A 33 c 25 (43 u. 44). In Frage käme, aufgrund der zahlreichen Parallelen zwischen Göttingen und den Fürstenberger Porzellan-Büsten, möglicherweise aber auch eine Büste, die in Fürstenberg unter dem Namen „Griechisches Mädgen“ gehandelt wurde, vgl. Wolff Metternich 1981, 38 Abb. 16 (Fürstenberg, Werksmuseum; 1788, Modelleur Schubert); Wolff Metternich – Meinz 2004, 246 Nr. 49. Demselben Typus entsprach vermutlich auch die schon etwas früher hergestellte Porzellanbüste „Puella Graeca“ der Fürstenberger Manufaktur, vgl. Wolff Metternich 1981, 39 Nr. 5 (1771, Modelleur Desoches); Wolff Metternich – Meinz 2004, 245 Nr. 5; Schroeder – Damaschke 1996, 135 Nr. 152 mit Abb. (1782, Modelleur Desoches).

344

Anhang

verl. „Venus des Herrn Jenkins“ (auch „Venus Barberini“) Boehringer 1979, 105 Nr. 10. bis 2003 in Newby Hall, Norfolk. A 1355 Hermes mit beflügeltem Petasos (antik?) Boehringer 1979, 110 Nr. 42. A 622 Homer („Homer Farnese“, Büste neuzeitlich) Boehringer 1979, 111 Nr. 47. Braunschweig, HAUM (Bronze eines unbekannten Barockkünstlers nach einem antiken Marmorbildwerk). Vorbild: „Homer Farnese“ Neapel, Mus. Nazionale, Inv.-Nr. 6023. Vgl. auch das entsprechende Exemplar in Fürstenberger Porzellan: Berswordt-Wallrabe 2002, 120 f. Nr. 143 (Schwerin, Staatliches Museum); Wolff Metternich – Meinz 2004 (Bd. II), Taf. 398 Abb. 276 (Hannover, Kestner-Museum). verl. „Socrates“ Boehringer 1979, 111 Nr. 48. A 609 „Diogenes“ Boehringer 1979, 113 Nr. 63. Auf dem Büstenfuß des Abgusses in Ölfarbe „Philosophus“.

1775 verl. Ganze Statue des Apoll vom Belvedere Boehringer 1979, 111 Nr. 44. Rom, Mus. Vaticani, Cortile del Belvedere, Inv.-Nr. 1015.

1781 Wallmoden-Abgüsse: A 576 Ganze Figur des Knaben mit der Traube (Inventar 1788: „ein junger Bacchus“) Boehringer 1979, 112 Nr. 51. Slg. Wallmoden 1979, 46–48 Nr. 13 (H. Döhl). A 481 Ganze Figur der sog. Knöchelspielerin („liegende Nymphe“) Boehringer 1979, 112 Nr. 52. Slg. Wallmoden 1979, 43–46 Nr. 12 (H. Döhl).

Anhang zu Teil II (Göttingen): Katalog der Erwerbungen (chronologisch)

345

verl. Sog. Kauernde Aphrodite („kleine Venus“) (neuzeitliche Verkleinerung) Boehringer 1979, 112 Nr. 57. Wohl nach Kauernder Florenz, Uffizien, Inv.-Nr. 188, s. Boehringer 1981, 287. verl. Sog. Flora vom Kapitol (neuzeitliche Verkleinerung) Boehringer 1979, 112 Nr. 58. Flora, Slg. Wallmoden nach der sog. Flora vom Kapitol, Rom, Mus. Capitolini, Inv.-Nr. 743. verl. Büste des „Mars“ (Replik des sog. Ares Borghese) Boehringer 1979, 106 f. Nr. 21. Wahrscheinlich ehem. Slg. Wallmoden, vgl. Slg. Wallmoden 1979, 19 Abb. 7; Cavaceppi 1768, Taf. 53. verl. Büste des „Scipio Africanus“ Boehringer 1979, 113 f. Nr. 64. „Scipio Africanus“, Slg. Wallmoden, neuzeitliche Bronzemaske, aufmontiert auf einen Kopf mit Büste aus schwarzem Stein, s. Slg. Wallmoden 1979, 66 Nr. 25. Nach Basaltkopf Rom, Palazzo Rospigliosi. Vgl. Göttingen A 1354 (Abguss der barocken Büste des „Scipio Africanus“ in Hannover-Herrenhausen), s. Boehringer 1979, 110 Nr. 40. A 666 Büste des „Trajan vulgo Cicero“ (Büste eines Unbekannten trajanischer Zeit) Boehringer 1979, 112 Nr. 56. „Trajan“, Slg. Wallmoden, s. Slg. Wallmoden 1979, 73 Nr. 31. Auf dem Büstenfuß des Abgusses in Ölfarbe „Cicero“. A 658 Büste des „Julius Caesar“ (Büste eines Unbekannten spätrepublikanischer Zeit) Boehringer 1979, 107 Nr. 23 Abb. 25. „Julius Caesar“, ehem. Slg. Wallmoden, s. Raspe 1767, 228 Nr. 24. Vgl. Porträtbüste Fürstenberger Porzellan: Schroeder – Damaschke 1996, 138 Nr. 159 mit Abb. (1771, Modelleur Desoches); Ducret 1965, 239 Abb. 356 (links) (bekränzte Variante, 1774, Modelleur Rombrich); vgl. auch das Exemplar in geschwärztem Ton: Schroeder – Damaschke 1996, 111 mit Abb. (Braunschweig, HAUM, um 1800).

1783 A 356 Ganze Figur eines Silens mit dem Dionysosknaben Boehringer 1979, 106 Nr. 18. Florenz, Uffizien. Bronzener Nachguss um 1570 nach der Borghesestatue im Louvre (Inv.-Nr. MA 922). Aus Bologna.

346

Anhang

1785 A 451 Ganze Figur der „Agrippina“ (eigentlich eine Muse, sog. Ariadne) Boehringer 1979, 104 Nr. 2. Dresden, Skulpturensammlung, Inv.-Nr. H 241. A 355 Ganze Figur der „Vestale“ (sog. Große Herkulanerin) Boehringer 1979, 106 Nr. 17. Dresden, Skulpturensammlung, Inv.-Nr. H 326.

vor 1788 A 337 a Büste des Eros von Centocelle (unter der Bezeichnung „ein Genius“) Boehringer 1979, 104 Nr. 5; Antlitz des Schönen 2003, 264 Nr. 78 (P. Rau – G. Oswald). Dabei handelt es sich um einen Gipsabguss der von Friedrich Wilhelm Doell nach der Antike geschaffenen Büste der Erosstatue, die sich in Form einer römischen Marmorkopie im Mus. Pio Clementino im Vatikan erhalten hat (als Torso mit Kopf). Rom, Mus. Vaticani, Mus. Pio Clementino, Inv.-Nr. 769: Antoninische Kopie nach einem Original um 370/60 v. Chr. Das Modell der Nacharbeit fertigte Doell 1775 an, s. Rau 2003a, 293 Nr. 132. – Auch der Gipsabguss stammt offenbar von Doell, von dessen Hand sich auch ein Exemplar aus Goethes Besitz in Weimar, Goethe-Nationalmuseum erhalten hat, vgl. Antlitz des Schönen 2003, 264 Nr. 78 (P. Rau – G. Oswald). Auch im Katalog der Rostschen Kunsthandlung, mit dem gleichen Büstenausschnitt: Katalog Rost 1794, 52 Nr. 54: „Ein Genius B[üste] LIV“, sowie im Verzeichnis der „Toreutica-Waare der Klauerschen Kunst-Fabrik“: Klauer 1792, Taf. VI Nr. 31 („Genius, von Döll“). Abguss laut Liste Reuß (SUB, Bibl. Arch. B 14 b) angeblich 1783 erworben. A 444 a Büste des sog. Capitolinischen Galliers (auch Sterbender Gallier bzw. Sterbender Gladiator) Boehringer 1979, 106 Nr. 20. Rom, Mus. Capitolini, Inv.-Nr. 747. Bei Rost 1794, 52 Nr. 58 unter der Bezeichnung „Mirmillo oder der sterbende Fechter“. Vgl. auch die entsprechende Fürstenberger Porzellan-Büste: Wolff Metternich 1981, 57 Abb. 33 („Gladiator moriens“, Braunschweig, HAUM, Inv.-Nr. Für 7042; 1785, wohl Modelleur Schubert) (s. a. Abb. 55); Wolff Metternich – Meinz 2004, 246 Nr. 47. Abguss erstmals im Verzeichnis von 1788 genannt. verl. Kopf des Hermes, sog. Antinous vom Kapitol Boehringer 1979, 110 f. Nr. 43. Rom, Mus. Capitolini, Inv.-Nr. 741. Abguss erstmals im Verzeichnis von 1788 genannt. 1828 durch Abguss A 479 a ersetzt (Wieseler 1859, 3). Vgl. auch die entsprechende Fürstenberger Porzellan-Büste: Schroeder – Damaschke 1996, 131 f. Nr. 147 mit Abb. (Weimar, Kunstsammlungen; 1784, verm. Modelleur Schubert).

Anhang zu Teil II (Göttingen): Katalog der Erwerbungen (chronologisch)

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verl. „Madonna“, bisher nicht identifizierbar Boehringer 1979, 107 Nr. 25. Abguss erstmals im Verzeichnis von 1788 genannt. Vgl. auch die möglicherweise entsprechende Büste in Fürstenberger Porzellan: Schroeder – Damaschke 1996, 134 f. Nr. 151 mit Abb. (1771 oder 1782, Modelleur Desoches).

1792 A 1279 Büste der sog. Clytia der Sammlung Townley (Büste einer Frau im Sonnenblumenkelch) Boehringer 1979, 114 Nr. 66. London, British Mus., Inv.-Nr. 1874, ehem. Slg. Townley. Abguss als „Clytia“ erworben, im Verzeichnis von 1798 als „Isis“. Darstellung der Antonia minor (im Hinblick auf das Gewand umgearbeitet)?

vor 1798 verl. Büste eines „Lachenden Fauns“ Boehringer 1979, 114 Nr. 65. Laut Boehringer 1981, 288 Vorbild „wohl Fauno colla macchia“, München, Glyptothek, Inv.Nr. 222. Abguss erstmals im undatierten (vermutlich bald nach 1793 entstandenen) Verzeichnis genannt. A 1356 „Römischer Redner“ (neuzeitlich, heute als „Phantasieporträt des 17. Jhs.“) Boehringer 1979, 111 f. Nr. 50. Auf dem Sockel in Ölfarbe „Orator Rom.“, im Nacken ist im Abguss eingeritzt „Demosthenes“. Vorbild offenbar nicht erhalten. Als Vorlage könnte aber der Kupferstich von Jan de Bisschop, Portrait des Kaisers Galba (mit Lorbeerkranz), Paradigmata, 1671, Taf. 54, gedient haben, vgl. auch Gaehtgens 1987, 255 f. Abb. 37, 2 a. Laut der Bildunterschrift des Stiches „Galba. ex marmore antiq.“, demnach antikes Vorbild. Vgl. auch das entsprechende Exemplar in Fürstenberger Porzellan: Schroeder – Damaschke 1996, 137 f. Nr. 158 mit Abb.; Wolff Metternich – Meinz 2004, 254 Abb. 200. 201 (Braunschweig, HAUM; 1779, Modelleur Schubert) sowie Gottlieb Martin Klauer: Demosthenes, Gipsbüste, um 1780 (Museen der Klassik Stiftung Weimar, Plastiksammlung): Schroeder – Damaschke 1996, 137 Abb. Abguss erstmals im Verzeichnis von 1798 genannt. verl. „Sappho“ Boehringer 1979, 114 Nr. 67. Entsprach möglicherweise der „Sappho“ im Katalog der Rostschen Kunsthandlung (Rost 1794, 53 Nr. 61, nach sog. Sappho in Paris, Mus. du Louvre, Inv.-Nr. MA 274) oder der „Sappho“ in Fürstenberger Porzellan: Braunschweig, HAUM, Inv.-Nr. Für 7056 (s. Abb. 57); Wolff Metter-

348

Anhang

nich – Meinz 2004, 253 Abb. 199 (Fürstenberg, Werksmuseum, nach 1774); 246 Nr. 51 (1791, Modelleur Schubert), nach Marmorbüste „Sappho“ in Braunschweig, HAUM, Inv.-Nr. AS 4, s. Walz 2008, 64 Abb. 34. Abguss erstmals im Verzeichnis von 1798 genannt.

1800 A 819 Gipsabguss eines kleinen Bronzereliefs mit Aphrodite und Anchises (vermutlich Deckel eines Klappspiegels) Boehringer 1979, 114 Nr. 70. London, British Mus., Inv.-Nr. 287, gefunden bei Paramythia (Epirus); Geschenk von J. Hawkins an Heyne, s. GGA 1800, 181. Stück/13. November 1800, S. 1801–1804.

1802 verl. / A 232? Büste der „Minerva aus der Villa Albani“ (möglicherweise zu identifizieren mit dem Göttinger Kopf vom Typus der Athena von Velletri) Boehringer 1979, 114 Nr. 68. Vorbild: noch nicht identifiziert (am nächsten stehen die Repliken München, Los Angeles); Abweichungen könnten auch auf „nachgearbeitete“ Form zurückgehen. Vgl. Rost 1794, 48 Nr. 1 („Minerva, nach der berühmten Antike zu Rom modellirt“). A 1045 Weitere Replik des Florentiner Krupeziontretenden Satyrn (aus der Gruppe „Aufforderung zum Tanz“). Boehringer 1979, 114 Nr. 69. Vorbild: Aufbewahrungsort unbekannt; seit dem 18. Jh. verschollen, bald nachdem durch Katharina II. nach Russland gelangt. Vgl. Göttingen A 470 (s. o.).

Tab. 1: Abgüsse von Statuen und Büsten. Konkordanz der von Heyne erworbenen Abgüsse: Göttingen – Boehringer 1979 Abguss Göttingen

Boehringer

Erwerbungsdatum

A 451 verl. A 577 A 337 a verl. verl. verl. A 685 A 1345

104 104 104 104 105 105 105 105 105

1785 Rost 1774 Ferrari 1774 Ferrari vor 1788 (1783?) Doell 1774 Ferrari 1774 Ferrari 1772 Ferrari 1767 aus Hannover/Herrenhausen? 1771 Ferrari (als Laokoonsohn; eigentl. Niobide) neu!

Nr. 2 Nr. 3 Nr. 4 Nr. 5 Nr. 9 Nr. 10 Nr. 11 Nr. 12 Nr. 13

Anhang zu Teil II (Göttingen): Katalog der Erwerbungen (chronologisch)

Tab. 1 (fortgesetzt) Abguss Göttingen

Boehringer

Erwerbungsdatum

A 291 A 1346 verl. A 355 A 356 verl. A 444 a verl. A 658 verl. A 687 verl. verl. verl. A 1347 verl. verl. A 1348 A 1349 A 1350 A 1351 A 1352 A 1353 verl. A 1354 verl. A 1355 verl. verl. A 470 verl. A 622 verl. verl. A 1356 A 576 A 481 verl. / A 1445? A 655 verl. (nach diesem abgegossen: A 1098) A 666 verl. verl. A 348 a A 458 a A 1357

106 Nr. 14 106 Nr. 15 106 Nr. 16 106 Nr. 17 106 Nr. 18 106 Nr. 19 106 Nr. 20 106 f. Nr. 21 107 Nr. 23 107 Nr. 25 107 Nr. 26 108 Nr. 27 108 Nr. 28 108 Nr. 29 108 Nr. 30 108 Nr. 31 108 Nr. 32 108 Nr. 33 108 Nr. 34 108 f. Nr. 35 109 Nr. 36 109 Nr. 37 109 f. Nr. 38 110 Nr. 39 110 Nr. 40 110 Nr. 41 110 Nr. 42 110 f. Nr. 43 111 Nr. 44 111 Nr. 45 111 Nr. 46 111 Nr. 47 111 Nr. 48 111 Nr. 49 111 f. Nr. 50 112 Nr. 51 112 Nr. 52 112 Nr. 53 112 Nr. 54 112 Nr. 55

1774 Ferrari 1774 Ferrari 1774 Ferrari 1785 Rost 1783 aus Bologna 1774 Ferrari vor 1788 1781 Wallmoden 1781 Wallmoden vor 1788 1767 Herrenhausen?/Ferrari 1767 Herrenhausen 1767 Herrenhausen 1767 Herrenhausen 1767 Herrenhausen 1767 Herrenhausen 1767 Herrenhausen 1767 Herrenhausen 1767 Herrenhausen 1767 Herrenhausen 1767 Herrenhausen 1767 Herrenhausen 1767 Herrenhausen 1774 Ferrari 1767 Herrenhausen 1767 Herrenhausen 1774 Ferrari vor 1788 1775 Ferrari 1772 Ferrari 1772 Ferrari 1774 Ferrari 1774 Ferrari 1771 Ferrari vor 1798 1781 Wallmoden 1781 Wallmoden 1767 Herrenhausen 1767 Herrenhausen?/Ferrari 1772 Ferrari

112 Nr. 56 112 Nr. 57 112 Nr. 58 112 Nr. 59 112 Nr. 60 112 f. Nr. 61

1781 Wallmoden 1781 Wallmoden 1781 Wallmoden 1771 Ferrari 1771 Ferrari 1774 Ferrari (als Niobide, in Laokoonsohn

349

350

Anhang

Tab. 1 (fortgesetzt) Abguss Göttingen

Boehringer

verl. = A 1345

113 Nr. 62 = 105 Nr. 13

A 609 verl. verl. A 1279 verl. verl. / A 232? A 1045 A 819

113 Nr. 63 113 f. Nr. 64 114 Nr. 65 114 Nr. 66 114 Nr. 67 114 Nr. 68 114 Nr. 69 114 Nr. 70

Erwerbungsdatum umbenannt; eigentlich Unterliegender der Ringergruppe Florenz) neu! 1771 Ferrari (als Laokoonsohn, angebl. verl.; eigentlich Niobide) neu! 1774 Ferrari 1781 Wallmoden vor 1798/bald nach 1793? 1792 Raspe/Slg. Townley vor 1798 1802 Doell (Gotha) 1802 Doell (Gotha) 1800 J. Hawkins (London)

Tab. 2: Serien von Abdrücken und Abgüssen von geschnittenen Steinen. A 885 A 891 A 894 A 1358 verl.

114 f. Nr. 71 115 Nr. 72 115 Nr. 73 115 Nr. 74 115 Nr. 75

Abkürzungs- und Literaturverzeichnis Außer den Abkürzungen und Sigeln entsprechend den Richtlinien des Deutschen Archäologischen Instituts werden noch die folgenden verwendet: Arch. Inst. BayHStA BStGS GHA GLA HAUM NLA SUB, Bibl. Arch. ThHStAW ThürStAG WA

Archivalien: Capponi 1733–1746 Inv. 1716

Inv. 1731

Inv. Krahe 1779

Q xxx

Archäologisches Institut Göttingen, Archiv Bayerisches Hauptstaatsarchiv München Bayerische Staatsgemäldesammlungen München Geheimes Hausarchiv München Generallandesarchiv Karlsruhe Herzog Anton Ulrich-Museum Braunschweig Niedersächsisches Landesarchiv Hannover Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Bibliotheksarchiv Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar Thüringisches Staatsarchiv Gotha Goethes Werke, hrsg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen (Weimar 1887–1919; Nachdr. München 1987) (Weimarer Ausgabe).

Rom, Archivio Storico Capitolino, Archivio Cardelli, Bd. 47 (Signatur: Miscellanea II serie, vol. 111) Inventar der Gipsabgüsse in der Sammlung Johann Wilhelms vom 14. Juli 1716 (heute verschollen), abgedruckt bei Klapheck 1919, 136 f. Anlage IV; Hofmann 1982, 362 f. Sog. Übernahmeinventar, erstellt anlässlich des geplanten Transports der Abgüsse aus dem Besitz Johann Wilhelms von Düsseldorf nach Mannheim. Karlsruhe, Badisches Generallandesarchiv, Pfalz-Generalia, 77/3895 Handschriftliches Inventar der Sammlung Krahe, Düsseldorf, 286 Bl. Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, LAV NRW R Berg, Landstände Akten 683 (ehem. Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, Inv.-Nr. Bergische Landstände, VII, 10) Tipton 2006, 201–325 (Quellen zur Geschichte der Düsseldorfer Sammlungen 1680–1716)

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Abbildungsnachweise Abbildung 1 Abbildung 2a Abbildung 2b Abbildung 3 Abbildung 4 Abbildung 5 Abbildung 6 Abbildung 7 Abbildung 8 Abbildung 9a Abbildung 9b Abbildung 10 Abbildung 11 Abbildung 12 Abbildung 13 Abbildung 14 Abbildung 15 Abbildung 16a–b Abbildung 17 Abbildung 18 Abbildung 19 Abbildung 20 Abbildung 21 Abbildung 22 Abbildung 23 Abbildung 24 Abbildung 25 Abbildung 26a Abbildung 26b Abbildung 27 Abbildung 28 Abbildung 29 Abbildung 30a–c Abbildung 31a Abbildung 31b Abbildung 32a–c Abbildung 33

Florenz, Galleria degli Uffizi. Mit Genehmigung des Ministero per i beni e le attività culturali. Reproduktion und Vervielfältigung untersagt. Bayerische Staatsgemäldesammlungen – Alte Pinakothek München Florenz, Museo degli Argenti. Mit Genehmigung des Ministero per i beni e le attività culturali. Reproduktion und Vervielfältigung untersagt. Düsseldorf, Kunstpalast (Foto: Horst Kolberg, Neuss) Bayerische Staatsgemäldesammlungen – Alte Pinakothek München Neapel, Museo Archeologico Nazionale. Mit Genehmigung des Ministero per i beni e le attività culturali Neapel, Museo Archeologico Nazionale. Mit Genehmigung des Ministero per i beni e le attività culturali (Foto: Giorgio Albano) akg-images (Foto: Erich Lessing) akg-images (Foto: Erich Lessing) UB Heidelberg, Nicolas de Pigage, La Galerie Electorale de Dusseldorff (Basel 1778) Seite C. UB Heidelberg, Nicolas de Pigage, La Galerie Electorale de Dusseldorff (Basel 1778) Seite B. Windsor, Eton College Library. Reproduced by permission of the Provost and Fellows of Eton College Klassik Stiftung Weimar Klassik Stiftung Weimar D-DAI-ROM-69.2125 Bildarchiv der Antikensammlung – Kunsthalle zu Kiel Florenz, Soprintendenza per i Beni Archeologici della Toscana New York, Metropolitan Museum of Art Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek München (Foto: Renate Kühling) Marie-Lan Nguyen / Wikimedia Commons (Public Domain) UB Heidelberg, D. de Rossi – P. A. Maffei, Raccolta di Statue antiche e moderne (Rom 1704) Taf. 103 D-DAI-ROM-65.2134 akg-images (Foto: Eric Vandeville) D-DAI-ROM-77.379 Archiv der Kunstakademie Düsseldorf (Foto: Babette Bangemann) Eutiner Landesbibliothek Bildarchiv Foto Marburg / CbDD (Foto: Christian Stein, Thomas Scheidt) Bildarchiv Foto Marburg / CbDD (Foto: Christian Stein, Thomas Scheidt) (Detail) Universität Göttingen, Arch. Inst. (Foto: Stephan Eckardt) Kunstsammlungen der Veste Coburg Köln, Forschungsarchiv für Antike Plastik (https://arachne.dainst.org/entity/ 6580564) (Foto: G. Fittschen-Badura) Universität Göttingen, Arch. Inst. (Foto: Christa Loose, Stephan Eckardt) Universität Göttingen, Arch. Inst. (Foto: Stephan Eckardt) Universität Göttingen, Arch. Inst. (Foto: Stephan Eckardt) Universität Göttingen, Arch. Inst. (Foto: Christa Loose, Stephan Eckardt) Universität Göttingen, Arch. Inst. (Foto: Stephan Eckardt) Universität Göttingen, Arch. Inst. (Foto: Stephan Eckardt)

https://doi.org/10.1515/9783110616200-016

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Abbildungsnachweise

Abbildung 34 Abbildung 35 Abbildung 36 Abbildung 37a–c Abbildung 38a–c

Universität Göttingen, Arch. Inst. (Foto: Stephan Eckardt) Universität Göttingen, Arch. Inst. (Foto: Stephan Eckardt) Universität Göttingen, Arch. Inst. (Foto: Stephan Eckardt) Universität Göttingen, Arch. Inst. (Foto: Stephan Eckardt) Köln, Forschungsarchiv für Antike Plastik (https://arachne.dainst.org/entity/ 137228; https://arachne.dainst.org/entity/137233; https://arachne.dainst.org/ entity/137231) Abbildung 39 Braunschweig, Herzog Anton Ulrich-Museum Abbildung 40 Braunschweig, Herzog Anton Ulrich-Museum Abbildung 41 Kunstsammlungen der Veste Coburg Abbildung 42 Universität Göttingen, Arch. Inst. (Foto: Stephan Eckardt) Abbildung 43 Neapel, Museo Archeologico Nazionale. Mit Genehmigung des Ministero per i beni e le attività culturali Abbildung 44 Braunschweig, Herzog Anton Ulrich-Museum Abbildung 45 Universität Göttingen, Arch. Inst. (Foto: Stephan Eckardt) Abbildung 46a D-DAI-ROM-62.59 Abbildung 46b D-DAI-ROM-62.63 Abbildung 47 SUB Göttingen, Katalog Kunsthandlung Rost, Leipzig (1794) B. LX (Detail) Abbildung 48a–b Klassik Stiftung Weimar, Bestand Museen Abbildung 49 Universität Göttingen, Arch. Inst. (Foto: Stephan Eckardt) Abbildung 50 Florenz, Galleria degli Uffizi. Mit Genehmigung des Ministero per i beni e le attività culturali. Reproduktion und Vervielfältigung untersagt. Abbildung 51 SUB Göttingen, Katalog Kunsthandlung Rost, Leipzig (1794) St. II Abbildung 52 Köln, Forschungsarchiv für Antike Plastik (https://arachne.dainst.org/entity/ 5331055) Abbildung 53 Universität Göttingen, Arch. Inst. (Foto: Stephan Eckardt) Abbildung 54 Universität Göttingen, Arch. Inst. (Foto: Stephan Eckardt) Abbildung 55 Braunschweig, Herzog Anton Ulrich-Museum Abbildung 56 Universität Göttingen, Arch. Inst. (Foto: Stephan Eckardt) Abbildung 57 Braunschweig, Herzog Anton Ulrich-Museum Abbildung 58 Universität Göttingen, Arch. Inst. (Foto: Stephan Eckardt) Abbildung 59 Universität Göttingen, Arch. Inst. (Foto: Stephan Eckardt) Abbildung 60 Historisches Museum Hannover

Personenregister Achenbach, Andreas 43 Albacini, Carlo 210 Albani, Francesco 75, 99 Alexander der Große, König von Makedonien 112, 150, 281 Anna Amalia, Herzogin von Sachsen-Weimar 55, 56, 89–91, 94–98, 190, 211, 278, 331 Anne Stuart, Königin von England 102, 103, 110 Arnaldi, Francesco 27, 29, 39, 40, 47, 48, 112, 145, 147, 148, 150, 157 August, Herzog von Sachsen-Gotha-Altenburg 285 Azzolini, Decio, Kardinal 100 Azzolini, Pompeo 101 Batoni, Pompeo 56, 64, 70–74, 80, 86, 88, 89, 91 Bernini, Gian Lorenzo 149, 246, 270, 283 Bertuch, Friedrich Justin 96, 223 Besemann, Christian Andreas 289 Blainville, J. de 43 Blumenbach, Johann Friedrich 325 Bottari, Giovanni Gaetano 121, 140 Botticelli, Sandro 99 Brand, Thomas 70, 72, 77, 79, 80, 82 Brandes, Ernst 298, 309 Brandes, Georg Friedrich 247, 251, 252, 256, 309, 314 Brickenaer (Bricquenaer), Hendrick de 40, 49 Brun, Friederike 83 Brunn, Heinrich 130 Camper, Pieter 325, 326 Campiglia, Giovanni Domenico 123 Capponi, Alessandro Gregorio 122, 131 Carl August, Herzog von Sachsen-Weimar 95, 96, 190, 216 Carl I., Herzog zu Braunschweig 217, 219, 231, 245, 273 Carl Philipp, Kurfürst von der Pfalz 27, 152 Carl Theodor, Kurfürst von der Pfalz und Bayern 10, 28, 53, 56, 89, 90, 94, 128, 129, 139, 152, 153, 158, 264, 331 Carracci, Annibale 124 Casanova, Giovanni Battista 257, 294, 321 Cavaceppi, Bartolomeo 205, 209, 210, 248, 261, 262, 284, 302 https://doi.org/10.1515/9783110616200-017

Cavalleriis, Joannes Baptista de 237 Centini, Conte Giobatta (= Giovanni Battista) 79 Christ, Johann Friedrich 320, 321 Christ, Wilhelm 129–131 Christiane Amalie, Erbprinzessin von AnhaltDessau 286 Christina, Königin von Schweden 100, 102, 110, 150, 151 Clemens XI., Papst 25, 31, 53, 68, 102 Clemens XIV., Papst 76 Delvaux, Laurent 70, 75 Deurer, Peter Ferdinand 71 Dielhelm, Johann Hermann 43 Doell, Friedrich Wilhelm 90, 267, 272, 278, 284–286, 313 Douven, Jan Frans van 14, 18 Dronrijp, Barend 177 Duquesnoy, François 270 Dyck, Anthonis van 9, 43 Erdmannsdorff, Friedrich Wilhelm von 316 Ernst August, Kurfürst von Hannover 179, 182 Ernst II., Herzog von Sachsen-Gotha-Altenburg 272, 280, 286 Fede, Conte Antonio Maria de 9, 16, 24, 26, 54, 61, 65, 68, 143 Fede, Conte Giuseppe de 60, 63, 65–68, 79 Fernandi, Francesco, gen. Imperiali 71 Ferrari, Fratelli 189, 190, 193, 234, 239, 246– 248, 251–254, 265, 317 Ficoroni, Francesco 78 Findorff, Johann Dietrich 221 Foggini, Giovanni Battista 147, 248 Formentini, Baron Ludovico Giuseppe 16 Forster, Georg 323 Franz Ludwig, Pfalzgraf, Bischof von Breslau und Worms 69 Friederike, Herzogin zu Mecklenburg-Strelitz 95 Friedrich August I. (der Starke), Kurfürst von Sachsen 103, 110, 111, 264 Friedrich August, Herzog zu Braunschweig-Oels 268 Friedrich II., Landgraf von Hessen-Kassel 188, 189, 220, 221, 301, 323

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Personenregister

Friedrich, Herzog zu Mecklenburg-Schwerin 220, 221, 223, 225, 251 Furtwängler, Adolf 132 Galli, Conte Luigi 102–104 Galluzzi, Riguccio 25 Georg II., König von Großbritannien und Kurfürst von Hannover 188, 258 Georg III., König von Großbritannien 257, 313 Georg Ludwig (Georg I.), König von Großbritannien und Kurfürst von Hannover 182, 219 Goethe, Johann Wolfgang von 10, 51, 54, 94– 96, 98, 126, 153, 190, 216, 218, 254, 267, 272, 273, 308, 310, 318, 319 Gonzaga di Guastalla, Eleonora 25 Grupello, Gabriel de 23 Guntrum, Carl 27 Hagedorn, Christian Ludwig von 293, 294, 296, 301, 321 Haller, Albrecht von 268 Hamilton, Gavin 76, 79, 210 Hammerstein, Hans Detlev von 224 Hawkins, John 278 Heeren, Arnold Hermann Ludwig 169, 256, 305, 306, 309 Hefner, Joseph von 130 Heine, Heinrich 167, 282, 289, 290 Herchenbach, Wilhelm 27 Herder, Johann Gottfried 216, 263, 294, 302, 320 Heyne, Christian Gottlob 1, 169, 171–178, 188– 191, 193, 197, 200, 203, 204, 210, 211, 218–220, 225, 226, 232–234, 237, 252, 253, 255, 256, 258, 263–265, 267, 276, 280–283, 286, 287, 289, 290, 292–310, 312, 315, 316, 318–323, 326, 328 Hirsching, Friedrich K. G. 160, 161, 163 Holck, Ina von 84 Hollenberg, Georg Heinrich 288 Humboldt, Alexander von 300, 321–323 Humboldt, Wilhelm von 321, 322 Innozenz XI., Papst 101, 107 Innozenz XII., Papst 24, 25 Jenkins, Thomas 61, 67, 70, 72, 76, 77, 79, 80, 82–84, 210

Johann Wilhelm, Kurfürst von der Pfalz 1, 9, 13, 18, 23, 24, 26, 30, 36, 37, 39, 41, 44, 46, 49–53, 69, 100–102, 104, 105, 108–116, 118, 123, 124, 126–128, 132, 142, 144, 145, 149, 151, 152, 154, 160, 161, 328 Joseph I., Kaiser (HRR) 14 Kant, Immanuel 299 Karl Friedrich, Markgraf von Baden 97, 331 Karl VI., Kaiser (HRR) 14 Karsch, Gerhard Joseph 23, 158 Karsten, Franz Christian Lorenz 224 Kästner, Abraham Gotthelf 268 Katharina II. (die Große), Kaiserin des Russischen Reiches 18, 247, 280 Klauer, Martin Gottlieb 55, 56, 60, 63, 64, 70, 71, 74, 75, 84–86, 88–91, 95–97, 216, 267, 268, 270, 273, 285, 331, 346, 355 Klenze, Leo von 126, 129, 130 Koeck, Christian 325 Körner, Christian Gottfried 90 Kotzebue, August von 128, 154 Krahe, Lambert 158, 160–164 La Roche, Sophie von 154 Langer, Johann Peter 161 Lavater, Johann Caspar 216, 256, 313, 314, 325 LeGros, Pierre 60, 61, 63–69, 72, 73, 75, 77, 91, 92, 100 Leibniz, Gottfried Wilhelm 251, 268 Leopold Friedrich Franz, Fürst von AnhaltDessau 189, 261, 301, 316 Leopold I., Kaiser (HRR) 13, 14 Lessing, Gotthold Ephraim 218, 257, 281, 282, 317 Leydensdorff, Franz Anton von 72, 145, 233 Linck, Konrad 233, 284 Louise Friederike, Herzogin zu MecklenburgSchwerin 251 Ludwig I., König von Bayern 130 Ludwig XIV., König von Frankreich 17, 40, 45, 46, 52, 53, 118, 123, 144, 183, 209, 219, 329 Luise, Herzogin zu Mecklenburg-Strelitz 95 Luti, Benedetto 115 Lysipp 281, 322 Mackensen, Wilhelm Friedrich August 293, 298 Maffei, Paolo Alessandro 118, 121, 123, 126, 127, 140–142

Personenregister

Magnan, Dominique 66, 80, 86 Mannelli, Gennaro 27, 29, 39, 47, 48, 54, 63, 68, 69, 101, 111–116, 126, 144, 148–151, 154, 157 Maria Anna Josepha, Erzherzogin von Österreich 14 Maximilian Joseph (Max Joseph), König von Bayern 129, 153, 331 Medici, Anna Maria Luisa de’ 14, 16, 18 Medici, Cosimo III. de’, Großherzog von Toskana 16, 24–26, 36, 44, 50, 110, 144, 147 Medici, Francesco Maria de’ 25 Medici, Leopoldo de’, Kardinal 25 Mengs, Anton Raphael 209, 255, 267, 268 Merck, Johann Heinrich 90, 95, 96, 318 Meyer, Friedrich Johann Lorenz 83 Müller, Johann Jacob 181, 182 Müller, Karl Otfried 176 Müller, Philipp Heinrich 17 Münchhausen, Gerlach Adolph von 257 Northall, John 63, 67, 75, 78 Nugent, Thomas 221, 223–225 Odescalchi, Baldassare, Herzog von Sirmio 101, 109, 111–113, 150 Odescalchi, Don Livio, Herzog von Bracciano 101–105, 107–112 Oeser, Adam Friedrich 253, 301 Ottoboni, Pietro, Kardinal 118, 121–124, 126, 127, 131, 132, 140, 142, 143, 150 Parr, Nathaniel 182 Pauelsen, Erik 159 Perrier, François 236, 280, 283 Pfaff, Christoph Heinrich 84 Philipp V., König von Spanien 112 Philipp Wilhelm, Kurfürst von der Pfalz 13 Philippe II., Duc d’Orléans 112 Pierucci, Abbate Pietro 16, 24 Pigage, Nicolas de 14, 43 Pius VI., Papst 76 Polyklet 325 Poussin, Nicolas 125 Praxiteles 248, 322 Prichard, James Cowles 325 Ptolemaios IV., König von Ägypten 133 Pütter, Johann Stephan 176, 299, 304, 309

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Raffael 71, 106, 111 Rahn, Johann Heinrich 314 Rapparini, Giorgio Maria 17, 23 Raspe, Rudolf Erich 188, 189, 197, 217, 220, 221, 223, 225, 246, 253, 260–262, 270, 285, 307, 317 Reiffenstein, Johann Friedrich 272, 280, 286 Rembrandt, Harmenszoon van Rijn 9, 43 Reuß, Jeremias David 174–176, 268, 273 Reventlow, Friedrich Karl Graf von 72, 80, 83, 84, 88 Reventlow, Julia 83, 84 Righetti, Francesco 72–74 Rossi, Domenico de 118, 121, 123, 127, 139 Rubens, Peter Paul 9, 43, 111 Sarto, Andrea del 237 Sasse, Joost van 181, 182 Savioli, Ludwig Graf von 264 Schadow, Johann Gottfried 95 Schiller, Friedrich 10, 54, 90, 98, 100, 153 Schlegel, August Wilhelm 237 Schlieffen, Martin Ernst von 188 Schlözer, Dorothea 267 Schurzfleisch, Heinrich Leonhard 311 Smetius, Johann d. J. 16 Soemmerring, Samuel Thomas 323–327 Sophie Charlotte, Königin von Großbritannien, geb. Prinzessin von Mecklenburg-Strelitz 257 Sophie, Prinzessin von der Pfalz, Kurfürstin von Hannover 179 Steffani, Agostino, (Titular-)Bischof von Spiga 36, 38, 39, 46, 105, 108, 124 Steinbuchel, Johann Wilhelm 28 Stengel, Stephan von 152 Stolberg, Luise 83, 84 Strube, David Georg 268 Sulzer, Johann Georg 312–314 Terriesi, Francesco 144 Tischbein, Johann Heinrich d. Ä. 163 Tischbein, Johann Heinrich Wilhelm 170 Topham, Richard 56, 70 Townley, Charles 61, 67, 72, 76, 77, 79, 210, 272 Trippel, Alexander 267 Uffenbach, Zacharias Conrad v. 29–31, 43, 45, 48, 145, 183

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Personenregister

Veen, Niccolò 144 Verschaffelt, Maximilian von 94 Verschaffelt, Peter Anton von 10, 28, 53, 89, 94–98, 152, 161–163, 233, 331 Visconti, Ennio Quirino 255 Wallmoden, Johann Ludwig Graf von 188, 197, 258, 263, 307 Wallmoden-Yarmouth, Amalie Sophie Gräfin von 258 Weber, Moritz Ignaz 325 Wegener, Wilhelm Gabriel 300 Welcker, Friedrich Gottlieb 171, 329 Werff, Adriaen van der 20, 43 Wieland, Christoph Martin 216, 253, 272, 284, 285, 313, 316

Winckelmann, Johann Joachim 126, 169, 188, 189, 219, 248, 251, 254, 256–258, 262, 267, 268, 276, 277, 281, 282, 287, 294– 296, 299–303, 312, 317–323, 325, 326 Wiser, Heinrich Franz Xaver Baron von 40, 51, 148, 149 Wolf, Friedrich August 320 Wolfgang Wilhelm, Herzog von Pfalz-Neuburg 14, 51 Wyndham, Charles, 2nd Earl of Egremont 203, 208 Zeller, Carl 162, 163 Ziesenis, Johann Friedrich 220 Ziesenis, Johann Georg 220 Zoffany, Johann 246, 272

Sachregister Abgussformen 10, 26, 28, 29, 31, 36, 38–40, 44, 47, 49, 51–53, 96, 97, 101, 112–115, 143–145, 147, 148, 150–152, 154, 157, 204, 205, 208, 210, 221, 223, 225, 247, 254, 255, 264, 265, 317, 330 Ablassbrief 124 Absolutismus 2, 13, 17, 18 Agrippina 190, 237, 264, 265, 267, 284, 306 Alkibiades 140, 142 Alkohol 116, 137–140 Amme 134–136, 143 Amor und Psyche 55, 60, 61, 63, 64, 66, 67, 72–75, 78, 80, 82, 84–86, 91, 92, 94, 161 Amsterdam 40, 45, 49, 144, 145, 147, 148, 177 Anakreon 286 Antiquar 74, 220, 231, 263, 280, 294, 295, 302, 315–318, 320 Antonia minor 272 Antoninus Pius 190, 284 Aphrodite von Arles 262 Apoll vom Belvedere 31, 39, 47, 83, 161, 163, 227, 228, 252–254, 257, 282, 283, 287, 289, 291, 306, 308, 309, 323 Apollino 163 Apollo-Marsyas-Gruppe 283 Apuleius, Metamorphosen 60, 93, 142 artes liberales 21 Astyanax 126 Aufklärung 295, 297, 298, 300, 301, 310, 312 Aulus Gellius, Noctes Atticae 141 Benrath, Schloss 10, 28, 43, 154, 158 Bensberg, Schloss 43 Bergische Landstände 160, 161 Bonn, Akademisches Kunstmuseum 171, 329 Carrarischer Marmor 46 Castor und Pollux s. auch Ildefonso-Gruppe 94–96, 112, 150, 161, 163 Civitavecchia 40 Clytia 175, 270 Codex Kielmannsegg 215, 220, 252, 260 Demosthenes 214, 217, 218, 220, 232, 233, 237, 273, 276–278, 283 Dionysos 133–135, 143, 248, 264 Doccia, Porzellanmanufaktur 248 https://doi.org/10.1515/9783110616200-018

Dornauszieher 149, 163 Dresden, Antikensammlung 61, 264, 265 Dresden, Kunstakademie 189, 248, 253, 294 Drogen 139 Düsseldorf, Galeriegebäude 2, 9, 28, 31, 41, 43–45, 117, 127, 145, 150, 152, 154, 160 Efeu 133 Emkendorf, Schloss 72, 80, 82–84 Endymion 74, 91 Endymion-Sarkophag, New York 60, 92, 94 Epigramme, hellenistische 134, 136 Ergänzungen 55, 63, 64, 66, 72, 73, 76, 77, 80, 82, 83, 85, 88, 90, 100, 125, 140–142, 205, 207–209, 244, 255, 261–263, 296, 303 Eros von Centocelle 267 Erztruchsess 14 Fackel 94, 142 Faun Barberini 129 Faun, Lachender 272 Fauno Rosso 76 Faustina 177, 190, 191, 200, 206, 210, 211, 220, 237, 283, 284, 286 Faustina maior (d. Ä.) 190, 272, 284, 285 Faustina minor (d. J.) 200, 203, 272, 283–285, 313 Fechter Borghese 31, 38, 39, 52, 245, 247, 253, 264, 287, 290, 306 Fede-Gruppe 55, 56, 60, 77, 82, 91, 99 Figurengefäße 134, 135, 137 Flamme 140–142 Flora Farnese 31, 36–39, 44, 145 Frieden von Rastatt 16 Fürstenberg, Porzellanmanufaktur 2, 193, 197, 211, 214, 215, 217, 218, 228, 244, 268, 270, 273, 317 Gallier, Capitolinischer 163, 268 Gemäldesammlung 9, 14, 23, 41, 43, 51, 101– 103, 106, 108, 110, 111, 158, 160, 162, 310, 329 Gemmen 16, 111, 292, 310, 316, 329 Goldene Bulle 14 Gotha, Porzellanmanufaktur 217, 232 Gotha, Schlossmuseum 280

388

Sachregister

Göttingen, Akademisches Museum 174, 175, 287, 288, 304, 329 Göttingen, Paulinerkirche 173, 289 Göttingen, Universitätsbibliothek 1, 169, 171, 175–177, 226, 244, 259, 282, 286, 288, 290, 292, 304, 305, 307–311, 314, 321, 326, 328, 329 Grand Tour 1, 13, 24, 69, 74, 79, 100, 297, 316 Grisaille 54, 70, 71, 86, 89, 91, 95, 233, 234 Große Herkulanerin 264, 282, 289, 291, 306 Hannover-Herrenhausen, Galeriegebäude 179, 181, 185, 223, 260, 306 Hector 126 Heidecksburg, Schloss, Rudolstadt 55, 90, 95, 96 Heidelberg 13, 72 Hekuba 126 Herakles Lansdowne 80 Herculaneum 123, 247, 273, 277 Hercules Farnese 31, 36–39, 44, 46, 49, 52, 145 Hercules Musagetes 23 Hermaphrodit Borghese 70, 149, 161 Hetäre 134–137, 143 Hippolytos 92 Homer 164, 208, 251 Idolino 163 Ildefonso-Gruppe s. auch Castor und Pollux 89, 97 imago clipeata 277 Jupiter tonans 150 Kaisergalerie 149, 150, 178, 179, 183, 185, 188, 191, 197, 200, 214–216, 219, 221, 223, 224, 232, 258, 283 Kapitol 16, 25, 52, 53, 259, 268, 333 Kassel, Museum Fridericianum 175 Kassel, Société des Antiquités 301, 323, 324 kaunische Liebe 98 Kaunos und Byblis 54, 55, 61, 65, 66, 70, 71, 75, 78, 84, 86, 89, 92, 94, 98, 99 Kentaur Borghese 31, 36–39, 145 Knöchelspielerin 70, 258, 306, 307 Komödie, attische 133, 134, 136, 138, 143 Koroplastik, griechische 135, 136 Kupferstich 43, 66, 80, 86, 118, 121, 123, 127, 128, 140, 158, 160, 169, 181, 217, 223,

236, 237, 245, 255, 280, 283, 289, 292, 295, 296, 298, 299, 302–305, 308–310, 316, 321, 325, 329 Kurhut 14 Kurwürde 14, 16

Lagynophorienfest (Alexandria) 133 Lagynos 133, 135, 141 Laokoon 31, 38, 39, 47, 52, 97, 227, 228, 234, 237, 244, 245, 247, 248, 253, 257, 281, 283, 285, 287–289, 306, 310, 317, 323, 326 Laokoonsöhne 236, 239, 240, 244–246 Lauchhammer, Eisenkunstgussfabrik 96, 244 Leipzig, Akademie 189, 248, 253 Livorno 40, 41, 48, 69, 113, 115, 143, 147, 148, 151 Lorbeerkranz 21, 185, 188, 193, 214, 217 Ludwigslust, Schloss 221–225 Ludwigsluster „Carton-Fabrique“ 221, 223, 225 Lysimachos Farnese 214, 228, 232, 234, 251, 276

Mannheim, Antiquarium (Schloss) 128 Mannheimer Antikensaal 2, 10, 28–30, 54, 89, 95, 98, 126, 128, 150, 153, 161, 164, 216, 233, 234, 248, 330 Mannheimer Zeichnungsakademie 28, 54, 95, 128, 153, 234, 264 Marc Aurel 53, 113, 283, 333 Marius Barberini 197 Mars 18, 157, 259 Marsyas Medici 30, 154, 157 Mäzenatentum 20 Medaille 16–18, 23, 101–103, 106, 108, 110 Memento mori 132 Mexiko-Stadt, Akademie der Schönen Künste 323 Minerva 18, 23, 278, 318 München, Akademie der Bildenden Künste 54, 106, 153, 331 München, Alte Pinakothek 9, 43 München, Antiquarium der Residenz 129–131 München, Glyptothek 118, 121, 125, 126, 129, 130, 132, 139, 214, 272 Münzen 16–18, 183, 185, 200, 203, 263, 270, 284, 316, 329 Mütze, phrygische 164 Mysterien, eleusinische 140, 142

Sachregister

Newby Hall (Norfolk) 248 Niobiden 29, 226, 237, 239, 242, 244–246, 248, 251, 255, 283, 288 Oetterner Marmor (Thüringer Kalkstein) 56, 95, 96 Ovid, Metamorphosen 55, 63, 66, 98, 99, 242 Palais Seligmann, Leimen 70, 71, 88, 89, 95 Papiermaché 221–225 Pentheus 142 Petworth House (West Sussex) 190, 200, 203, 284 Pfälzer Löwe 18, 21 Pfälzischer Erbfolgekrieg 13, 18 Plinius d. Ä., Naturalis historia 116, 133, 138, 142, 281 Plutarch 142, 313 Pompeji 123 Potsdam, Schloss Sanssouci 185, 214 Priesterin 126, 133, 135, 139, 141, 142 Prometheus 289 Proserpina, Raub der 149, 246, 247, 283 Pseudo-Seneca 246, 247 Reichsacht 14, 16 Reichskrone 14 Reichsvikariat 14, 17 Reliquie 124 Ringergruppe Florenz 145, 147, 163, 236, 239, 242, 244, 245, 283 Roene, Fa. (Hannover) 177, 190, 191, 200 Rom, Académie de France 124 Rom, Museo Capitolino 60, 63, 82, 118, 121, 122, 131, 138, 140, 141, 143, 228, 246, 248, 270, 276, 277, 284 Rom, Palazzo Firenze 26, 148 Römischer Redner s. Demosthenes Rost, Fa. (Kunsthandlung Leipzig) 97, 227, 228, 237, 239, 244, 251, 252, 257, 264, 265, 267, 270, 272, 276, 277, 283, 286 Salerno 47, 115 Salmacis und Hermaphroditus 63, 75, 78, 92, 99 Sammlung – Albani 61, 318 – Barberini 129, 197, 248 – Borghese 16, 24, 246 – Farnese 16, 24, 228

389

– Farsetti 254, 255 – Giustiniani 16, 24, 318 – Grimani 185 – Leconfield s. Petworth House – Ludovisi 16, 24 – Medici 16, 24, 144, 145, 147, 237, 244, 264, 272, 286 – Mengs, Dresden 209, 210, 239, 251, 255 – Odescalchi 16, 24, 26, 27, 49, 100, 102, 109, 111–113, 116, 150 – Ottoboni 26, 121, 127, 143 – Topham Collection, Eton College 56, 71, 74 – Townley 270 – Vanderbilt, New York 135, 141 – Verospi 121–123, 131, 143 – Wallmoden 172, 177, 185, 188, 190, 191, 197, 215, 220, 252, 258–261, 284, 285, 302, 307, 317 Sappho 272, 273, 283, 285, 286, 310 Satyr mit dem Böckchen („Faun von Ildefonso“) 97, 112, 150, 163 Satyr, tanzender 45, 145, 147, 160, 246, 253, 278, 280, 306 Scagliola 28, 45–47, 51, 52, 114, 144, 148, 151, 157 Schleifer 145, 161, 163, 226, 228, 231–233, 283 Schwetzingen, Badehaus 162, 163, 331 Schwetzingen, Schlossgarten 233, 234, 284 Scipio Africanus 259 Silen mit dem Dionysosknaben 264, 306 Silensfiguren 134, 135, 137 Smyrna (Kleinasien) 116, 133 Spanischer Erbfolgekrieg 16, 18, 25 Statuarii 27, 38, 39, 41, 44, 46–48, 144, 148 Sueton, De vita Caesarum 183, 185, 219 Sulla Barberini 197 Tacitus 313 Tartane 41, 143 Teilabgüsse 38, 44, 45, 158 Testament 63, 65–67, 72, 76, 77, 101, 110, 111 Themis 289, 291 Tiefurt, Schloss b. Weimar 55, 56, 84, 90, 91, 95, 96, 218, 273, 284 Toreutica (Kunstbackstein) 55, 56, 84, 85, 90, 95, 267, 270 Torso vom Belvedere 30, 149, 154, 157, 263, 264 Trajanssäule 53, 113, 333

390

Sachregister

Troja 126 Trunkene Alte, München, Glyptothek 26–28, 30, 116, 123, 128, 129, 131, 140, 142, 143, 150, 151 Trunkene Alte, Rom, Mus. Capitolini 121, 122, 125, 131, 143 Vatikan, Museo Pio Clementino 76, 79, 80, 154, 267 Venus Barberini („Venus des Herrn Jenkins“) 248, 251, 257 Venus, Geburt der 99 Venus Kallipygos 149 Venus, kauernde 70, 259 Venus Medici 99, 145, 147, 148, 160, 161, 246, 251, 253, 257, 264, 265, 282, 291, 306, 324 Vergil, Aeneis 281, 282

Versailles 13 Vestalin 141, 264, 265, 267, 284, 289, 306 Villa Hadriana 60, 61, 65, 67, 75, 77–79, 123 Vitellius 183, 185, 283 Vorlesung 1, 169, 255, 263, 280, 282, 290, 292, 293, 296, 298, 301–308, 310, 314, 316, 318, 319, 321–323, 329

Weihgeschenk 133, 143 Weimar, Herzogin Anna Amalia Bibliothek 55, 90, 95 Weimar, Klauersche Kunst-Fabrik 231, 245, 267, 285 Weimar, Zeichenschule 90 Wittelsbach 1, 10, 13, 54, 129 Woburn Abbey (Bedfordshire) 70, 72, 75 Wörlitz, Schloss 175, 189, 261, 286, 301, 316