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German Pages 52 Year 1959
BERICHTE ÜBER D I E VERHANDLUNGEN DER SÄCHSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU LEIPZIG PhilologischBand,
ERWIN
historische 103
Klasse
• Heft 1
JACOBI
FREIE WAHLEN UND G E H E I M E ABSTIMMUNG IN DER BÜRGERLICHEN DEMOKRATIE
A K A D E M I E -V E R L A G • 19 5 8
B E R L I N
V o r g e t r a g e n i n d e r S i t z u n g v o m 23. J a n u a r 1956 M a n u s k r i p t e i n g e l i e f e r t a m 21. J u n i
1956
D r u c k f e r t i g e r k l ä r t a m 3. D e z e m b e r 1957
Erschienen im Akademie-Verlag G m b H . , Berlin W 8, M o h r e n s t r a ß e 39 Lizenz-Nr. 202 • 100/425/57 S a t z u n d Druck der Buchdruckerei F . Mitzlaff K G . , R u d o l s t a d t / T h ü r . V/14/7 (910> Bestell- u n d V e r l a g s n u m m e r 2026/103/1 P r e i s : DM 2,50 P r i n t e d in G e r m a n y
Freie Wahlen und geheime Abstimmung sind heute in der bürgerlichen Demokratie allgemein anerkannte Grundsätze für die Wahl der Volksvertretung als des höchsten Staatsorgans, das den Willen des souveränen Volkes zum Ausdruck bringen soll. Geheime Abstimmung wird dahin verstanden, daß der Inhalt der vom Stimmberechtigten abgegebenen Stimme gegenüber jedermann geheim bleiben muß, damit nicht von irgendeiner Seite der Stimmberechtigte beeinflußt werden k a n n anders abzustimmen, als seinem wahren Willen entspricht. Gerade dadurch soll die „freie Wahl" des Parlaments gewährleistet und der wirkliche Wille des Volkes erfaßt werden. Freilich ist längst erkannt, daß diesem Ziel andere Erscheinungen der bürgerlichen Demokratie entgegenwirken. I n einem Großstaat mit mehreren politischen Parteien kann der einzelne Wähler praktisch nicht die Person wählen, die er wirklich als Volksvertreter will, sondern er ist auf die Kandidaten angewiesen, die die verschiedenen Parteien präsentieren, er h a t sich also nur zwischen diesen Parteien zu entscheiden, denn bei der Kandidatenaufstellung ist der Einfluß des einzelnen Wählers angesichts der Macht der Parteiapparate gering, trotz aller gesetzgeberischen Experimente, wie sie in dieser Hinsicht namentlich in den USA durch die primary-laws gemacht werden. Dazu kommen Bestimmungen der Wahlgesetze, wie die bekannten Prozentklauseln, die eine Stimmabgabe f ü r die Kandidaten kleinerer oder örtlich nicht massierter Parteien aussichtslos machen. Vielleicht werden sogar bestimmte politische Parteien verboten, so daß der Wähler aus diesem Grunde nicht in der Lage ist, seine Stimme dem zu geben, den er wirklich wählen möchte. Vor allem aber ist die geistige Beeinflussung der Wähler durch die Macht der Propaganda zu bedenken; hier wählt der „legal"
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bearbeitete Wähler zwar scheinbar den Kandidaten, den er wählen will, in Wahrheit aber den, den er wählen soll, so daß es dann zu Erscheinungen wie der „legalen" Machtübernahme Hitlers kommt. Auf alles das k a n n hier nicht eingegangen werden, auch nicht auf die von der Parlamentswahl der bürgerlichen Demokratie völlig verschiedene Wahl der Volksvertreter in der DDR. Unser Thema ist nur die bürgerliche Demokratie und hier nur die formale Frage der freien Wahlen und der geheimen Abstimmung. Es soll dargetan werden, daß in der bürgerlichen Demokratie die Verbindung von „freier W a h l " u n d „geheimem S t i m m r e c h t " nicht immer bestanden h a t , sondern daß in bürgerlichen Demokratien zum Teil jahrhundertelang „freie Parlamentswahlen" mit „öffentlicher Abstimmung" a n e r k a n n t worden sind; die Entwicklung der bürgerlichen Demokratie soll aufgezeigt werden von der freien WTahl mit offener Stimmgebung zur freien Wahl mit geheimer Abstimmung bis zu deren letzter Konsequenz, der Unzulässigkeit eines Verzichts auf das Abstimmungsgeheimnis. Dabei muß es f ü r einen Vortrag genügen, im wesentlichen auf die Rechtsquellen der verschiedenen bürgerlichen Demokratien in den verschiedenen Zeiten zurückzugehen; die historischen u n d politischen Hintergründe können nur ausnahmsweise berührt werden. I I m Mutterland des Parlamentarismus, dem Königreich England, werden von König J o h a n n in der Carta von 1214 (Statutes of t h e realm Bd. 1, Charters of liberties, p. 5) der englischen Kirche „freie W a h l e n " zugesichert: „ u t de cetero in universis et singulis ecclesiis e t nionasteriis cathedralibus et conventualibus tooius regni n o s t r i Anglie liberae sint in perpetuum electiones quoruirummque p r e l a t o r u m maiorum e t m i n o r u m . "
Ein J a h r später wiederholt die Magna Carta desselben Königs vom 15. J u n i 1215 (Statutes of t h e realm, Vol. I , Chartres of liberties, p. 9):
Freie Wahlen und geheime Abstimmung
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„quod libertatem electionum . . . ecclesiae Anglicanae . . . coneessimus et carta nostra confirmavivus . . . "
Mit diesen freien Wahlen wird die englische Kirche vor Eingriffen des Königs in die kanonische Wahl der Geistlichen sichergestellt; es handelt sich hier nm die Freiheit der englischen Kirche entsprechend dem — allerdings in einer jüngeren Handschrift beigefügten — Untertitel der Magna C a r t a : „Concordia inter Regem Johannem et barones pro concessione libertatum ecclesie et regni Angelte." Die neben den Freiheiten der Kirche in der Magna Carta konzedierten Freiheiten des regnum Anglie, d. h. der Großen des Reiches, wirkten sich aus in dem Commune Consilium der Barone, das durch Zuziehung des niederen grundbesitzenden Adels und der S t ä d t e im 13. J a h r h u n d e r t zum P a r l a m e n t erweitert und im 14. J a h r h u n d e r t in das House of Lords u n d das House of Commons mit zwei Vertretern des niederen Adels aus jeder Grafschaft und zwei Bürgern aus jeder S t a d t getrennt wurde. I n den Grafschaften setzte sich 1419 an Stelle der ursprünglichen einfachen Akklamation der Bürger zu den zwei Vertretern des niederen Adels die Wahl dieser Parlamentsmitglieder nach Mehrheitsprinzip durch. Sie vollzog sich folgendermaßen : Die K a n d i d a t e n wurden in öffentlicher Grafschaftsversammlung von Stimmberechtigten vorgeschlagen u n d stellten sich persönlich mit einer Ansprache den Wählern vor; d a n n wurde zunächst formlos durch H a n d a u f h e b e n abgestimmt; ergab sich hierbei keine zweifellose Mehrheit, so erfolgte mündliche Einzelabstimmung vor einem besonderen Schreiber (poll clerc). Dieses öffentliche Bekenntnis zum Inhalt der Abstimmung, damals wegen der vielen des Lesens und Schreibens unkundigen Bürger naheliegend, h a t sich in England durch die J a h r h u n d e r t e erhalten, auch über die englische Revolution des 17. J a h r h u n derts hinaus. Das agreement of the fteofile vom 28. Oktober 16471) Abgedruckt bei Gardiner, History of the great civil war, Bd. III, 1898, S. 392; Georg Jellinek, Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, 4. Aufl. München und Leipzig 1927, S. 78.
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verlangt zwar ausdrücklich (unter I und III), daß die Wahlen der Abgeordneten des Volkes zum Parlament neugestaltet werden sollen, spricht aber nicht von geheimen Wahlen. Mit der Restauration der Stuarts 1660 werden die beiden Häuser des alten Parlaments wiederhergestellt, und es bleibt bei dem alten Parlamentswahlrecht mit offener Stimmabgabe. Als dann 1688 das Parlament, in seinen beiden politischen Parteien der Tories und der Whigs aus Vertretern der Kirche, des Grundbesitzes und des Großbürgertums zusammengesetzt, die Stuarts in der „Glorreichen Revolution" vertreibt und Wilhelm von Oranien auf den englischen Thron beruft, legen die geistlichen und weltlichen Lords und die Commons, versammelt in einer „füll and free Representative of this nation", die Rechte und Freiheiten der Untertanen (,,the rights and liberties of the subjects") in einer „Declaration of Rights", einer Art Wahlkapitulation nieder, die von dem neuen Herrscher angenommen und als „Bill of Rights" mit Gesetz I William and Mary Sess. 2 von 1689 (Statutes of the Realm, Vol. VI, p. 142) verkündet wird. Durch diese Vereinbarung zwischen Parlament und Krone werden in einem besonderen Abschnitt freie Parlamentswahlen grundsätzlich festgelegt: „That election of members of Parlyament ought to be free."
Das Wahlverfahren bleibt aber gleichwohl für die Grafschaftswahlen unverändert das alte seit 1419 entwickelte mit mündlichem, öffentlichem Bekenntnis des einzelnen Stimmberechtigten zum Inhalt seiner Abstimmung. Die „freie Parlamentswahl" in der bill of rights von 1689 richtet ihre Spitze gegen die Krone; der König soll nicht wie in den Zeiten der Tudors und Stuarts die Parlamentswahlen verhindern oder in irgendeiner Weise in sie eingreifen; das zur Macht gelangende Großbürgertum setzt der Staatsleitung Schranken; mit den freien Wahlen werden der Regierung Pflichten auferlegt, nicht subjektive Rechte des Bürgers begründet1). Freie Wahlen 1
) So auch Georg Jellinek, a . a . O .
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sind noch auf fast zwei Jahrhunderte nicht mit geheimem Stimmrecht verbunden. Erst als im Laufe der Zeit der mehr oder weniger sportsmäßig betriebene Wahlkampf zwischen den beiden in ihrer klassenmäßigen Zusammensetzung nicht verschiedenen politischen Parteien sich verschärft, kommt es zu schweren Mißbräuchen der öffentlichen Stimmabgabe: Große Landlords führen ihre Freisassen und Pächter wie Vieh zu den öffentlichen Abstimmungen 1 ); kleine Ladenbesitzer und Handwerker müssen den Kandidaten des benachbarten Großgrundbesitzers wählen, um sich dessen Kundschaft zu erhalten; die Wähler werden bestochen, bearbeitet, bewirtet und trunken zur Wahl geschickt, und der Wahlvorgang selbst verläuft so, daß die Vorstellung der Kandidaten auf der Bühne durch Blechmusik und Trommeln der Gegenpartei unverständlich gemacht wird, daß Backsteine, tote Katzen und faule Eier um die Kandidaten fliegen und die Menge unten sich prügelt 2 ), wie das in den Pickwickiern von Dickens anschaulich geschildert ist. Erst nachdem zu Ausgang des 18. Jahrhunderts durch die industrielle Revolution in England und durch die Bauernenteignung die Arbeiterklasse gewaltig angewachsen ist, wird von ihr und dem gleichfalls vom Wahlrecht ausgeschlossenen Bürgertum der Mittelklasse die Forderung nach Reform des Wahlrechts zum Unterhaus in der Richtung zunächst auf das allgemeine, schon bald aber auch auf das geheime Stimmrecht gestellt. Jeremy Bentham (1748—1832) tritt f ü r das geheime Stimmrecht ein, im Gegensatz zu J o h n Stuart Mill (1806—1873), der das geheime Stimmrecht bekämpft. Die 1836 gegründete Working Mens' Association arbeitet 1837 eine ,,peoples charter" aus, in der allgemeines, gleiches, geheimes Wahlrecht gefordert wird. Entsprechende Anträge, seitdem im Parlament gestellt, bleiben zunächst erfolglos; aber nach dem Durchbruch ') de Franqueville, Gouvernment et parlament Britanniques, S. 417 ff. a ) Mac Carthie, History of our own times, Bd. IV, S. 137.
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des Liberalismus auf dem Kontinent konnte bei der Beratung der Parlamentsreform von 1866 und 1867 nicht mehr zweifelhaft sein, daß die Einführung der geheimen Abstimmung nahe bevorstand 1 ). Mit der geheimen Abstimmung sollte die Unabhängigkeit der Wähler vor Beeinflussungen aller Art gesichert, besonders der wirtschaftlich Schwächere vor Druck durch den wirtschaftlich Stärkeren geschützt und gleichzeitig der Wahlbestechung ein Ende bereitet werden, weil bei geheimem Stimmrecht der Stimmenkäufer nicht mehr kontrollieren kann, ob der Verkäufer seine Stimme wirklich in dem vereinbarten Sinne abgibt; außerdem wollte man durch das geheime Stimmrecht einen ruhigeren und würdigeren Verlauf der Wahlen sichern. I m Jahre 1872 wurde dann die sog. englische Ballotbill unter dem starken Druck der öffentlichen Meinung von beiden Häusern des Parlaments angenommen. Der genaue Titel des Gesetzes lautet: An act to amend the law relating to procedure at parliamentary and municipal elections 2 ).
Das Gesetz schreibt geheime Abstimmung vor und enthält bereits die unter dem Namen des Australian ballot 3 ) bekannten Sicherungen gegen Verletzungen des Wahlgeheimnisses (amtliche Stimmzettel, Isolierraum zur Kennzeichnung des Gewählten, Versiegelung der Wahlurne). Erst damit ist für England die Verbindung von freien Wahlen und geheimem Stimmrecht hergestellt worden, während bis dahin freie Wahlen der Parlamentsmitglieder mit öffentlicher Stimmabgabe verbunden waren. II Die englische Formel von der freien Wahl der Parlamentsmitglieder ist aus der englischen declaration und bill of rights ') Georg Meyer, Das parlamentarische Wahlrecht. Berlin 1901, S. 545. 2 ) 35 und 36 Victoria c. 33. 3 ) Julius Hatschek, Allgemeines Staatsrecht II. Leipzig 1909, S. 63. Wigmore, Australian Ballot System.
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von 1689 in das Recht der Vereinigten Staaten von NordAmerika übernommen worden. Als die dreizehn Kolonien Englands in Nord-Amerika am 15. Mai 1776 vom Kongreß in Philadelphia aufgefordert wurden, sich Staatsverfassungen zu geben, gliederten sie diese fast ausnahmslos in eine declaration oder bill of rights entsprechend der englischen declaration oder bill of rights von 1689 und in einen plan oder frame oder form of government. Die declaration oder bill of rights enthält regelmäßig auch den englischen Artikel über die freien Wahlen zum Parlament. Vorbildlich war in dieser Beziehung die Virginia Bill of Rights vom 12. J u n i 1776: „A declaration of rights made by the representatives of the good people of Virginia, assembled in full and free convention; which rights do pertain to them and their posterity, as t h e basis and foundation of government."
Durch Section 6 dieser Bill of Rights wird in unverkennbarem Anschluß an die englische declaration oder bill of rights von 1689 festgelegt: „ T h i t elections of members to serve as representatives of t h e people in assembly ought to be f r e e . "
Mit diesem Inhalt ist die Virginia Bill of Rights in die späteren bills of rights der Verfassungen Virginiens von 1830 (Art. I), 1850, 1864, 1870 übernommen worden, nur daß seit der Verfassung von 1850 ganz allgemein „freie Wahlen", nicht nur freie Parlamentswahlen, festgelegt werden: „ T h a t all elections ought t o be free 1 )."
Wie Virginia haben viele nordamerikanische Einzelstaaten die Formel von den freien Wahlen der Parlamentsmitglieder oder von den freien Wahlen überhaupt in die declaration oder bill of rights ihrer Verfassungsurkunden aufgenommen 2 ). Dieses Constitution of Virginia 1850, B. S. Poore. The Federal and S t a t e Constitutions . . . of t h e United States, Bd. I I , S. 1919, Bill of rights VI. 2 ) Vgl. z. B. Verfassungen von Nord-Carolina 1776, 1868 und 1876; Pennsylvanien 1776, 1873; Vermont 1777, 1786, 1793; Massachusetts 1780; New Hampshire 1784, 1792; Tennessee 1796, 1834, 1870; Missouri 1820, 1865, 1875; Nebraska 1875.
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Grundrecht der freien Wahlen richtet sich, wie in der englischen declaration of rights, in erster Linie gegen die Staatsregierung. I n der „Unabhängigkeitserklärung der dreizehn Vereinigten Staaten von Amerika" vom 4. Juli 1776 wird ausgeführt, wie in der Vergangenheit der englische König die Wahlen beeinflußt habe: er habe versucht, die Bevölkerung großer Bezirke zum Verzicht auf ihre Vertretung in der gesetzgebenden Körperschaft zu zwingen; er habe die Volksvertretungen wiederholt ohne berechtigten Grund aufgelöst und es dann lange Zeit abgelehnt, Neuwahlen anzuordnen. Solche und ähnliche Beeinflussungen der Wahlen durch die Staatsregierung sollen durch die verfassungsmäßige Gewährleistung „freier Wahlen" ausgeschlossen werden. Vereinzelt wird mit den freien Wahlen auch das Verbot der Korruption verbunden, so in Vermont, Verfassung von 1786, Chapter I (declaration of rights) unter IX:' „That all elections ought to be free and without corruption."
Manche jüngeren Verfassungen erläutern dann den Begriff der freien Wahlen durch Zusätze wie in der Verfassung Pennsylvaniens von 1873, Art. I (declaration of rights) sec. 5, und fast wörtlich übereinstimmend in der Verfassung Missouris von 1875, Art. I I (bill of rights) sec. 9: „Elections shall be free and no power, civil or military, shall at any time interfere to prevent the free exercise of the right of suffrage."
Wird hier ausdrücklich jede Einmischung, sei es der Ziviloder der Militärgewalt, verworfen, die der freien Ausübung des Stimmrechts entgegenstehen könnte, so erklärt die Verfassung Nebraskas von 1875, Art. I (bill of rights) sec. 22, noch allgemeiner: „All elections shall be free; and there shall be no liinderance or impediment to the right of a qualified voter to exercise the elective franchise."
Solche Verfassungssätze über das Grundrecht der freien Wahlen besagen aber noch nichts über die Frage offenes oder geheimes Stimmrecht, selbst wenn das Grundrecht die Wahlen
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vereinzelt als „free and open"
festlegt, wie in den Verfassungen Missouris von 1865 und 1875 1 ), denn gerade in diesen Verfassungen ist in einem besonderen Verfassungsartikel ausdrücklich Stimmzettelwahl vorgeschrieben 2 ). Mit der offenen Wahl ist hier nur die Öffentlichkeit des äußeren Wahlvorgangs, nicht die Offenlegung der vom Abstimmenden abgegebenen Stimme gemeint. Die Regelung des Stimmrechts erfolgt davon gesondert im plan of government oder in besonderen Abschnitten der Verfassungen über das Wahlrecht. Hier wird überwiegend W a h l ,,by ballot", also Stimmzettelwahl, festgelegt, wenngleich es auch nicht a n Verfassungen fehlt, die die „freien W a h l e n " mit offener Stimmabgabe erfolgen lassen. Die Stimmzettelwahl geht bis in die Kolonialzeit zurück, offensichtlich als Reaktion der demokratisch eingestellten Kolonisten gegen die bei den Wahlen auftretende Korruption 3 ). Aufschlußreich in dieser Beziehung ist die Verfassungsgeschichte von Pennsylvanien. Pennsylvanien war eine sog. Eigentümerkolonie; ihr Eigentümer William P e n n legte auf Grund von Vollmachten der englischen Krone unter Zuziehung von Vertretern der Kolonisten die Grundlage f ü r Regierung u n d Verwaltung der Kolonie in Kolonialverfassungen (Charten) von 1682, 1683 und 1701 nieder. I n dem „ F r a m e of government of Pennsylvania" vom 5. Mai 1682 wird unter X X die Wahl der Volksvertretungen durch Stimmzettel vorgeschrieben: Missouri Verfassung I860, Art. I (declaration of rights) sec. j 4 ; Verfassung 1875, A r t . I I (bill of rights) sec. 9. 2 ) Missouri Verfassung 1865, Art. I I (right of suffrage) sec. 1; Verfassung 1875, A r t . V I I I (suffrage and elections) sec. 3. 3 ) Vgl. auch die Erwähnung der Korruption in der Declaration of Rights von Vermont, Verfassung 1786, Chap. I unter I X , oben S. 10.
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„That all elections of members or representatives of t h e people, to serve in provincial Council and General Assembly . . . shall be resolved and determined by ballot 1 )."
Dazu heißt es unter der Überschrift „Laws agreed upon in England etc." Punkt I I I : „That all elections of members or representatives of t h e people and freemen of the province of Pennsylvania, to serve in provincial Council or General Assembly . . . shall be free and v o l u n t a r y : and t h a t the elector, t h a t shall receive any reward or gift, in meat, drink, monies or otherwise, shall forfeit his right t o elect; and such person as shall directly or indirectly give, promise or bestow any such reward as aforesaid, to be elected, shall forfeit his election and be thereby incapable to serve as aforesaid 2 )."
Hier wird hundert J a h r e vor der Erhebung der Kolonie zum Staat für die freien und selbstbestimmten („free and voluntary") Wahlen der Volksvertreter ausdrücklich angeordnet, daß der Wähler, der Gaben in Speise, Trank, Geld oder anderem annimmt, sein Wahlrecht verwirkt, und daß derjenige, der direkt oder indirekt solche Zuwendungen macht, um gewählt zu werden, nicht gültig gewählt und für die Zukunft nicht wählbar ist. Dieser Kampfansage gegen Wahlbestechungen entspricht dann die oben wiedergegebene Festlegung der Stimmzettelwahl. Die Kolonialverfassungen Pennsylvaniens von 1683 und 1696 übernehmen die angeführten Bestimmungen, und entsprechend gewährleistet die erste Staatsverfassung Pennsylvaniens vom 28. September 1776 in der declaration of rights freie Wahlen und regelt im „Plan or Frame or government" die Wahl des Repräsentantenhauses durch Stimmzettel 3 ), was in den späteren Verfassungen wiederholt wird. Als Beispiel für freie Wahlen mit offener Stimmabgabe kann Virginia dienen. Während die Bill of Rights vom 12. Juli 1776 das Grundrecht freier Parlaments wählen gewährleistet, bestimmt die Verfassung vom 29. J u n i 1776 Abs. 5 4 ): ') 2 ) 3 ) J )
Poore, Poore, Poore, Poore,
a. a. O., Bd. I I , S. 1523. Bd. I I , S. 1524. Bd. I I , S. 1541 u n t e r VII, S. 1543, Sect. 9. Bd. I I , S. 1910.
Freie W a h l e n u n d geheime A b s t i m m u n g
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„The right of suffrage in t h e elections of members for b o t h Houses shall remain as exercised a t present . . . "
Das hier f ü r maßgeblich erklärte bisherige Stimmrecht f ü r die Parlamentswahl ist das offene Stimmrecht, außer Zweifel gestellt durch die Verfassung Virginias von 1850 1 ). I n ihr werden durch die Bill of rights V I ganz allgemein freie Wahlen gewährleistet, u n d dazu verfügt Art. I I I der Verfassung unter der Überschrift: „Qualification of voters" ausdrücklich in Sec. 4: „ I n all elections votes shall be given openly or viva voce and not by ballot-, b u t d u m b persons entitled to suffrage m a y v o t e b y b a l l o t . "
E r s t die Verfassung Virginias von 18642) stellt neben die Gewährleistung freier Wahlen in Art. I (bill of rights) das Gebot der Stimmzettelwahl durch Art. I I I (qualification of voters) sec. 4 mit der Übergangsvorschrift, daß bis zur gesetzlichen Regelung der geheimen Wahl weiter wie bisher offene Stimmabgabe gelten soll: „ I n all elections for members of t h e general assembly and o t h e r S t a t e officers votes shall be given by ballot and, not viva voce, for which t h e general assembly shall provide b y law, a t i t s f i r s t session a f t e r t h e adoption of this constitution, b u t u n t i l such provision shall h a v e been made, votes shall be given as h e r e t o f o r e . "
I n der Verfassung Virginias von 18703) heißt es schließlich einfach Bill of rights sec. 8: „ T h a t all elections ought t o be f r e e "
und Art. I l l (elective franchise and qualification for office) sec. 2: „All elections shall be b j ' ballot . . . "
I m Staate New York vollzieht sich der Übergang von der offenen zur Stimmzettelwahl schon in der ersten Staatsverfassung von 1777. Hier ist unter VI 4 ) gegenüber der bisher geltenden offenen Stimmabgabe ein „faires E x p e r i m e n t " mit ') 2 ) 3 ) 4 )
Poore, Poore, Poore, Poore,
Bd. II, Bd. II, Bd. II, Bd. II,
S. 1919 ff. S. 1937 ff. S. 1952 ff. S. 1333 f.
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der Stimmzettelwahl vorgesehen, die von verschiedenen Seiten für besser geeignet erachtet wird, Freiheit und Gleichheit der Bürger zu wahren, als die offene Stimmabgabe: „ A n d whereas a n opinion h a t h long prevailed among divers of t h e good people of this State, t h a t voting a t elections b y ballot would t e n d more t o preserve t h e l i b e r t y and equal freedom of t h e people t h a n voting viva voce: To t h e end, therefore, t h a t a faire e x p e r i m e n t be made, which of these t w o methods of voting t o b e p r e f e r e d — Be it ordained, T h a t as soon as m a y be . . . an a c t or acts be passed b y t h e legislature of this S t a t e for causing all elections t h e r e a f t e r t o be held . . . t o be b y ballot. I t is f u r t h e r ordained, T h a t if, a f t e r a f u l l and fair e x p e r i m e n t shall be made of voting b y b a l l o t . . , t h e same shall be f o u n d less conducive t o t h e s a f e t y or interest of t h e S t a t e , t h a n t h e m e t h o d of v o t i n g v i v a voce, i t shall be lawfull and constitutional for t h e legislature t o abolish the same."
Das Experiment mit der Stimmzettelwahl ist offensichtlich zu deren Gunsten ausgefallen, denn schon die Verfassungen New Yorks von 1821, Art. I I See. 4 und von 1846, Art. I I Sec. 51) erklären wörtlich: „All elections b y t h e citizens shall be b y b a l l o t . "
Mündliche oder schriftliche Wahl nebeneinander stellt die Verfassung von Coahuila und Texas von 1827, Art. 542) den Bürgern für die Wahlen von Wahlmännern (electors) zur Verfügung, wobei für die mündliche Wahl genauere Vorschriften gegeben werden: „ E v e r y citizen shall choose by voice or writing t h e respective electors of t h e district, whose names (the election being h a d according t o t h e former mode) t h e voter shall designate in a loud voice, a n d i t shall be entered in a list and t h e n read b y t h e S e c r e t a r y ; and it is indispensable t h a t it should be w r i t t e n in t h e Register in presence of the voter."
Für die Wahlen der Abgeordneten durch die Wahlmännerversammlungen der einzelnen Distrikte (Electoral Assemblies of the Districts) dagegen ist durch Art. 713) geheime Stimmzettelwahl vorgeschrieben: r
) Poore, B d . I I , S. J343 und S. 1353. ) Poore, B d . I I , S. 1731. 3 ) Poore, B d . I I , S. 1733. 2
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. . the electors present shall proceed to name the deputy or deputies t h a t correspond to the district, and t h e y shall be chosen one b y one by secret ballot, by means of tickets which each elector shall throw into an u r n to be placed upon a table at t h e foot of t h e crucifix, after having taken an oath before the President t o vote for those citizens for deputies to t h e Congress of t h e State, who in his opinion, possess the qualifications of information, judgment, probity, and a known adherence to the independence of t h e nation."
I n der Verfassung von Texas 1845, Art. V I I (General provisions)1) wird dann für Volkswahlen allgemein unmittelbare Wahl by ballot vorgesehen, soweit das Gesetz nichts anderes vorschreibt (sec. 6): „ I n all elections by the people t h e vote shall be by ballot until the legislature shall otherwise d i r e c t . . . "
und dazu gewährleistet sec. 4 Satz 2 die Sicherung des freien Stimmrechts durch Gesetze zur Regelung der Wahlen und zur Verhinderung j eder ungebührlichen Wahlbeeinflussung mittels Gewalt, Bestechung, Aufruhr oder andere unzulässige Praktiken : „The privilege of free suffrage shall be supported b y laws regulating elections and prohibiting, under adequate penalties, all undue influence thereon, from power, bribery, t u m u l t , or other improper practice."
Wörtlich die gleichen Bestimmungen begegnen in den TexasVerfassungen von 1866, Art. V I I See. 4 und 6 2 ), von 1868 Art. X I I See. 2 und 43) und von 1876, Art. X V I See. 2 und 44). Auf diese oder ähnliche Weise setzt sich in den nordamerikanischen Einzelstaaten früher oder später die Wahl ,,by ballot" oder ,,by written votes" (Massachusetts vom 2. März 1780) oder ,,by paper vote" (Rhode Island 1842) durch 5 ). Es ist ») Poore, Bd. I I , S. 1777. 2 ) Poore, Bd. I I , S. 1794 f. 3 ) Poore, Bd. I I , S. 1817. 4 ) Poore, Bd. I I , S. 1851 f. ä ) Wahl by ballot gilt beispielsweise auch nach den Verfassungen von Nord-Carolina 1776, 1868, 1876; Vermont 1777, 1786, 1793; New H a m p shire 1784, 1792; Süd-Carolina 1790, 1865; Tennessee 1796, 1834; Ohio 1802, 1851; Mississippi 1817, 1832, 1868; Missouri 1865, 1875; Wisconsin 1848; Oregon 1857; West-Virginien 1861—1863; Nevada 1864; Nebraska 1875.
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eine Ausnahme, wenn noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts offene Parlamentswahl zugelassen wird wie in WestVirginia, das in der Verfassung von 1872, Art. IV (elections and officers) Sec. 21) neben der grundsätzlich vorgeschriebenen Wahl by ballot dem Wähler auch die offene Stimmabgabe freistellt: ,,In all elections by the people the mode of voting shall be by ballot, but the voter shall be left free to vote by either open, scaled or secret ballot-, as he may elect."
Die Wahlen by ballot (ursprünglich Kugelung), by written votes und by paper vote bedeuten praktisch dasselbe: Wahl durch Stimmzettel 2 ) zu dem Zweck, die Geheimhaltung des Inhalts jeder Einzelabstimmung zu ermöglichen und so eine freie Wahl ohne Rücksicht auf politische, wirtschaftliche, soziale oder andere persönliche Abhängigkeiten des Wählers zu gewährleisten. Das Wahlgeheimnis mag anfänglich ungenügend gesichert gewesen sein, da der Wähler den Stimmzettel selbst schreiben durfte, so daß seine Abstimmung mittels der Handschrift identifizierbar war; und auch wenn das nicht zutraf, blieb die Behandlung des Stimmzettels seitens des Wählers bis zum Einwurf in die Urne durch Dritte kontrollierbar 3 ); es mag auch zutreffen, daß die Stimmzettelwahl zum Teil deswegen eingeführt worden ist, weil sie die rascheste und leichteste Art war, die Stimmen einer Menge einzuholen, verglichen ') Poore, Bd. I I , S. 1993. ) Ernst Freund, Das öffentliche Recht der Vereinigten Staaten von Amerika. Tübingen 1900, S. 80. 3 ) Für das Wahlgeheimnis bedenklich war auch die in einzelnen Verfassungen vorgeschriebene Numerierung der abgegebenen Stimmzettel, vgl. Pennsylvania 1873 Art. V I I I (suffrage and elections) sec. 4 (Poore I I , S. 1583): ,,. . . Every ballot voted shall be numbered in the order, in which it shall be received, and the number recorded by the election officers on the list of voters, opposite the name of the elector who presents the ballot. Any elector m a y write his name upon his ticket, or cause the same to be written thereon, and attested by a citizen of the district. The election officers shall be sworn or affirmed not to disclose how any elector shall have voted unless required to do so as witnesses in a judicial proceeding." Die gleiche Bestimmung 2
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mit einer sonst notwendigen Abstimmung zu Protokoll 1 ). Trotzdem kann angesichts der oben wiedergegebenen Verfassungsbestimmungen von Pennsylvanien 1682, New York 1777, Texas 1827 und 18452) nicht bezweifelt werden, daß mit der Stimmzettelwahl im Gegensatz zur Wahl viva voce die Geheimhaltung des Inhalts der abgegebenen Stimme ermöglicht werden sollte. Später, als im Verlaufe des 19. Jahrhunderts sich die politischen Parteimaschinen entwickelt h a t t e n und mit allen Mitteln um den Wahlsieg kämpften, haben die Einzelstaaten das Wahlgeheimnis besser geschützt, insbesondere durch Einführung der australischen Ballot-Reform 3 ). Die Verschärfung der Kämpfe um die politische Macht bei den Wahlen und die unlauteren Manipulationen der beiden politischen Parteien veranlaßten nach dem Bürgerkrieg schließlich auch die Union zu einem Gesetzgebungsakt in der Erage der Wahl zum Repräsentantenhaus der Union. Nach Art. 1 See. 2 § 1 der Unionsverfassung erfolgte ursprünglich die Wahl der in den Einzelstaaten zu wählenden Abgeordneten jeweils nach dem Wahlrecht des betreffenden Einzelstaates, also je nach dem einzelstaatlichen Wahlrecht in offener oder Stimmzettelwahl. Das wird durch ein Bundesgesetz von 1871 — also ein J a h r vor der englischen Ballotbill von 1872 — geändert. Das Gesetz schreibt für die Unionswahlen zum Repräsentantenhaus Wahl by ballot vor und schließt damit offene Stimmabgabe aus 4 ). Ein späteres Bundesgesetz von 1899 gestattet außerdem für Unionswahlen statt des Stimmzettels auch die Benutzung von Abstimmungsmaschinen 5 ). findet sich in Missouri 1875, Art. V I I I see. 3. Später sind solche Numerierungen wegen Verstoßes gegen die Verfassung vom Bundesgericht f ü r unzulässig erklärt worden, vgl. Roger Foster, Commentaries on the Constitution of the United States, Boston 1905, S. 344 f., mit weiterer Literatur und Rechtsprechung. ') We*en der vorstehend angeführten kritischen Bemerkungen zum Ballot System vgl. James Bryce, The American Commonwealth, S. 97 f. =) s. o. S. 11, 12, 15. 3 ) Bryce, a . a . O . , S. 97 f., 103; Freund, a . a . O . , S. 80. 4 ) Georg Meyer, Das parlamentarische Wahlrecht, S. 400. 5 ) Freund, a.a.O., S.81; A. Esmein-Nezard,Droit constitutione! I I , S. 323 f.
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III In Frankreich vollzieht sich die Verbindung von freien und geheimen Wahlen in der bürgerlichen Revolution von 1789. 1. Allerdings anerkennt der für die französische Revolution so bedeutsame Jean Jacques Rousseau als Äußerungen der volonté générale nur freie Volksabstimmungen („suffrages libres du peuple") mit offener Stimmabgahe. Ausgehend von der Vorstellung kleiner und kleinster Staatswesen wie der Schweizer Kantone, verlangt er in seinem Contrat social von 1762 Versammlungen aller stimmberechtigten Staatsbürger in Person am selben Ort, bei denen alle Bürger einander kennen oder leicht kennenlernen können und jeder eilt, an einer solchen Volksversammlung (Landsgemeinde) teilzunehmen 1 ). Auf dieser Landsgemeinde soll jeder einzelne stimmberechtigte Staatsbürger über die zur Entscheidung stehenden Fragen offen mündlich abstimmen 2 ). Nur so könne in der Abstimmung die volonté générale als das für alle verbindliche Gesetz zum Ausdruck kommen. Das gilt für Sachabstimmungen mit J a oder Nein wie für die Wahl eines Beauftragten, eines Kommissars. Schon ein Zeichen des Verfalls ist es nach Rousseau, wenn die Staatsbürger, statt in Person an den Volksversammlungen teilzunehmen, auf den Ausweg verfallen, die Versammlungen durch Abgeordnete oder Repräsentanten des Volkes (députés ou représentants du peuple) abhalten zu lassen ; solche Vertreter seien nur Beauftragte (commissaires), die selbst nichts endgültig beschließen könnten, sondern deren Beschlüsse der Bestätigung durch das Volk (le peuple en personne) bedürften, so daß es immer wieder auf die Entscheidung der Volksversammlung in öffentlicher Abstimmung ankomme 3 ). Wie Rousseau geheime Abstimmungen bewertet, ergibt sich mit aller wünschenswerten Deutlichkeit aus seinen AusfühContrat social, 4. Buch, 4. Kap., Abs. 5. ) Contrat social, 3. Buch, 15. Kap., Abs. 3. 3 ) Contrat social, 3. Buch, 15. Kap., Abs. 4 und 5. 2
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rungen über die römischen Komitien1). Anfangs habe jeder römische Bürger seine Stimme laut abgegeben und die abgegebenen Stimmen seien von einem Schreiber der Reihe nach aufgeschrieben worden: „Chacun donnoit son suffrage à haute voix, un greffier les écrivoit à mesure."
Dies Verfahren habe gegolten, so lange Ehrenhaftigkeit unter den Bürgern herrschte und jeder sich scheute, öffentlich seine Stimme einem ungerechten Vorschlag oder einem unwürdigen Subjekt zu geben: „tant que l'honnêteté regnoit entre les citoyens et que chacun avoit honte de donner publiquement son suffrage à un avis injuste ou à un sujet indigne".
Das geheime Stimmrecht sei erst eingeführt worden, als das römische Volk verdorben war und. man die Stimmen kaufte; die geheime Abstimmung habe einerseits den Stimmenkauf in gewissen Schranken halten sollen, weil bei geheimer Stimmabgabe der Stimmenkäufer nicht feststellen könne, wie der Stimmenverkäufer wirklich stimme, und andererseits habe man es den Stimmenverkäufern ermöglichen wollen, ihren Verrat an der Sache zu verheimlichen: „il convint qu'elles se donnassent en secret, pour contenir les acheteurs par la défiance et fourir aux fripons le moyen de n'être pas des traîtres".
Deshalb habe man Täfeichen unter die Bürger verteilt, auf die jeder sein Votum schreiben konnte, ohne daß ein anderer erfuhr, wie er abstimmte: „On distribua donc aux citoyens des tablettes par lesquelles chacun pouvoit voter sans qu'on sût quel était son a v i s . "
Die Einführung der geheimen Abstimmung wird also von Rousseau lediglich als Verfallserscheinung gewertet; bei einem gesunden Volk bekennt sich nach ihm der Abstimmende in offener Stimmabgabe zu dem, was ihm als das für die Gesamtheit Richtige erscheint, und nur so könne es zur Bildung der volonté générale als der immer vernünftigen, immer richtigen Entscheidung kommen. ') Contrat social, 4. Buch, 4. K a p . 2*
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2. Die im Gegensatz zu Rousseau erfolgte Einführung des geheimen Stimmrechts bei den Wahlen zur Vertretung des französischen Volkes in der Revolution von 1789 erklärt sich aus der damaligen konkreten geschichtlichen Lage des französischen Volkes und Staates. Einmal war eine Versammlung aller stimmberechtigten Staatsbürger in Person in einem Großstaat wieFrankreich schlechterdings unmöglich. Hier blieb nichts anderes übrig, als die Bildung der demokratischen volonté générale ganz oder zum größten Teil Repräsentanten des Volkes zu überlassen, die von den Stimmberechtigten auf Zeit gewählt waren und von denen jeder das gesamte Volk vertrat, wie das vom Abbé Sieyès in Abwandlung der Rousseauschen Lehre bei den Beratungen der konstituierenden Nationalversammlung (Assemblée Nationale Constituante) entwickelt und durchgesetzt worden ist und seinen Niederschlag in Artikel VI der Déclaration des Droits de l'homme et du citoyen vom 27. August 1789 gefunden h a t : „La loi est l'expession de la volonté générale. Tous les citoyens ont droit de concourir personellement ou par leur représentation à sa formation . . . "
Daß aber die Wahl dieser Repräsentanten geheim erfolgte, war bereits durch die Abgeordnetenwahlen des Dritten Standes zu den „Etats généraux" von 1789 vorbereitet. Während nämlich früher die Vertreter des städtischen Bürgertums so bestellt worden waren, daß von den Bürgern durch Akklamation Delegierte bestimmt wurden und diese entweder öffentlich zu Protokoll oder durch Stimmzettel die Abgeordneten des dritten Standes gewählt hatten 1 ), verfügt eine königliche Ordonnanz vom 24. Januar 1789 in Art. 46, die Urwahlen von Delegierten seien mündlich, die Abgeordnetenwahlen aber durch Stimm zettel, also geheim und nicht mehr öffentlich zu Protokoll durchzuführen, annehmbar deshalb, weil bei der damaligen politischen Situation die der Zahl nach verdoppelten AbgeordGeorg Meyer, Das parlamentarische Wahlrecht, S. 529; Picot, États généraux, Bd. 5, S. 262.
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neten des Bürgerstandes von der Regierung gegen die Vertreter der beiden anderen Stände, der Kirche und des Adels, ausgespielt werden sollten und man deshalb die Möglichkeit eines Druckes der feudalen Mächte auf die Auswahl der Abgeordneten des Bürgerstandes ausschalten wollte. Wenn für die Urwahlen noch mündliche, also nicht geheime Abstimmung vorgesehen war, so wohl nur aus dem Grunde, weil die ländliche Bevölkerung großenteils aus Analphabeten bestand und man deshalb schriftliche Urwahlen für undurchführbar hielt 1 ). Die aus den Abgeordneten des dritten Standes revolutionär hervorgegangene Konstituante fand dann aber Mittel und Wege, um eine geheime Abstimmung durch Stimmzettel auch für Analphabeten zu ermöglichen2) und ordnete so durch das Gesetz vom 22. Dezember 1789 3 ) für die Zukunft Abstimmung durch Stimmzettel sowohl für die Urwahlen wie für die Abgeordnetenwahlen an. Dementsprechend sieht dann die von der Konstituante beschlossene Charte constitutionelle vom 3. September 1791 eine Assemblée Nationale Législative nach Einkammersystem mit frei vom Volke gewählten Repräsentanten („librement élus par le peuple") vor 4 ), deren Wahl sowohl in den Urwahlen wie in den Abgeordnetenwahlen nach dem Gesetz vom 22. Dezember 1789, also geheim erfolgt. Allerdings blieb diese Verbindung von freier Wahl und geheimer Abstimmung zunächst nicht unangefochten. Die nach dem Gesetz vom 22. Dezember 1789 geheim gewählte, im Oktober 1791 zusammengetretene Assemblée législative beschloß im August zwecks Feststellung einer neuen Verfassung die Berufung eines Nationalkonvents, der nach dem Gesetz vom 22. Dezember 1789, also geheim, gewählt werden sollte. Bei der im September 1792 erfolgten Wahl setzten aber die Georg Meyer, a. a. O., S. 529 f. Georg Meyer, a. a. O., S. 530, mit näheren Angaben. 3 ) Sect. 1 Art. 15, 16, 24, 2-5. Georg Meyer, a . a . O . , S. 530. ') Titre I I I Art. III. 2)
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J a k o b i n e r durch, daß in Paris, entgegen den Bestimmungen des Gesetzes von 1789, öffentlich a b g e s t i m m t wurde, weil die J a k o b i n e r sich davon einen größeren Erfolg f ü r ihre P a r t e i versprachen 1 ). Bei der Verfassungsberatung des Nationalkonvents f a n d d a n n eine eingehende D e b a t t e d a r ü b e r s t a t t , ob die k ü n f tige Verfassung öffentliche oder geheime W a h l der Volksvertret u n g vorschreiben solle 2 ). F ü r die offene S t i m m a b g a b e wurde bezeichnenderweise geltend gemacht, d a ß sie mehr den Grundsätzen einer freien Verfassung entspreche, eine deutlich auf Rousseau zurückgehende theoretische B e g r ü n d u n g ; praktisch t r a t e n vor allem wieder die R a d i k a l e n f ü r die offene Abstimmung ein. Gegen die offene W a h l wurde geltend gemacht, d a ß bei ihr Großgrundbesitzer u n d F a b r i k a n t e n ihren E i n f l u ß auf die von ihnen abhängigen Arbeiter geltend m a c h e n würden, um die A b s t i m m u n g nach ihrem Willen zu lenken 3 ). Das E r gebnis der Auseinandersetzung war der F o r m nach ein K o m promiß, der Sache nach ein Sieg der R a d i k a l e n : Die vom Nationalkonvent beschlossene Constitution de la république française vom 24. Juni 1793 l ä ß t ihren nach E i n k a m m e r s y s t e m gebildeten Corps législatif u n m i t t e l b a r durch die stimmberecht i g t e n Bürger in assemblées primaires wählen, wobei der Wähler selbst entscheidet, ob er geheim oder offen wählen will; ausdrücklich wird festgelegt, daß keine Wählerversammlung eine uniforme A b s t i m m u n g vorschreiben d ü r f e : „Les élections se font au scrutin ou à haute voix, au choix de chaque votant." „Une assemblée primaire ne peut en aucun cas prescrire u n mode uniforme de voter 4 )."
W e n n hier dem Stimmberechtigten g e s t a t t e t wird, nach seiner W a h l s t a t t geheim auch offen abzustimmen, so mag das zum Teil darauf zurückzuführen sein, daß die Verfassung A. v. Sybel, Geschichte der französischen Revolution, Bd. I, S. 542 ff. ) Georg Meyer, Das parlamentarische Wahlrecht, S. 531. 3 ) Duvergier de Hauranne, Histoire du gouvernement parlamentaire en France, Bd. I, S. 303. ') Art. 16 und 17 der Verfassung. 2
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von 1793 den Kreis der Stimmberechtigten erheblich erweitert und damit die Zahl der stimmberechtigten Analphabeten wesentlich vermehrt hatte, was die Verfassung selbst andeutet, wenn sie bestimmt: „Les scrutateurs (Stimmzähler) constatent le vote des citoyens, qui, ne sachant pas écrire, préfèrent de voter au scrutin 1 )."
Trotzdem widerspricht die dem Stimmberechtigten eingeräumte Entscheidung zwischen offener und geheimer Stimmabgabe dem mit der geheimen Abstimmung verfolgten Ziel, jede Benachteiligung des Abstimmenden wegen des Inhalts seiner Abstimmung auszuschließen. Wenn der Abstimmende auch nur die Möglichkeit hat, seine Stimme offen abzugeben, werden diejenigen, die im Besitz der nötigen Machtmittel sind, versuchen, den Abstimmenden zu beeinflussen, daß er von der — nicht ausschließbaren — Möglichkeit der offenen Abstimmung Gebrauch macht und seine Stimme offen in ihrem Sinne abgibt. Auch f ü r Analphabeten lassen sich Möglichkeiten geheimer Abstimmung schaffen, wie das oben behandelte französische Gesetz vom 22. Dezember 1789 beweist. Nach dem Sturz der Jakobinerherrschaft ist dann in der Direktorialverfassung
vom 22. August
1795 (Art. 31) a u s s c h l i e ß -
lich die geheime Stimmabgabe für alle Wahlen, auch die nunmehr zweistuf igen Wahlen zum Corps législatif festgelegt worden: „Toutes les élections se font au scrutin secret."
Hier waren die Analphabeten gemäß Art. 8 und 16 der Verfassung nicht mehr stimmberechtigt. Seitdem ist Frankreich bei der geheimen Wahl verblieben. Ausdrücklich verfassungsmäßig festgelegt ist geheime Abstimmung in der Verfassung vom 4. November 1848, Art. 24: „Le suffrage est direct et universel. Le scrutin est secret."
Ebenso erklärt die geltende Verfassung vom 13. Oktober 1946 Art. 3 Abs. 4, daß die zur Assemblée Nationale Deputierten des Volkes gewählt werden, „au suffrage universel, égal, direct et
secret".
') Art. 18 der Verfassung; Georg Meyer, a. a. O., S. 531.
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I n den übrigen Phasen der französischen Verfassungsgeschichte wird das geheime Stimmrecht zwar nicht durch die Verfassungen. wohl aber durch die Wahlgesetze vorgeschrieben; das gilt für die Zeit der Restauration der Bourbonen, für die Julimonarchie, für das zweite Kaiserreich wie für die dritte Republik. Dabei bringen schon die Wahlgesetze vom 19. April 1831 und 15. März 1899 Kautelen zur Wahrung des Abstimmungsgeheimnisses im Sinne des australischen Wahlverfahrens: Vorschriften über Material und Gestaltung der Stimmzettel, amtliche Stimmzettel, Wahlzelle u. a. 1 ). So hat sich in Frankreich das Recht des Volkes auf freie Wahlen zu einem Recht des einzelnen Wählers wie der gesamten Wählerschaft auf geheime Abstimmung entwickelt mit dem Ziel, jede Beeinflussung von außen durch politische, wirtschaftliche, soziale oder sonstige Abhängigkeiten auszuschließen. Dem steht nicht entgegen, daß bei der praktischen Handhabung doch von dritter Seite Einfluß auf den Inhalt der Abstimmung genommen worden ist, so wenn während des zweiten Kaiserreiches die Regierung die Stimmzettel für ihren Kandidaten neben der Wahlurne auflegte, so daß der Wahlvorstand feststellen konnte, ob sich der Wähler eines solchen Stimmzettels bediente oder nicht 2 ). Es war Sache der Gesetzgebung, solchen Zuwiderhandlungen gegen das geheime Stimmrecht durch ein System ineinandergreifender Wahlvorschriften entgegenzutreten. IV Die verfassungsrechtliche Entwicklung in Deutschland ist seit der französischen Revolution von 1789 immer wieder von Frankreich unmittelbar beeinflußt worden, hat aber während des ganzen 19. Jahrhunderts infolge der Machtüb erlegen') Wahlgesetze vom 5. Februar 1817, Art. 13; vom 19. April 1831, Art. 48; vom 15. März 1849, Art. 47; Org. Dekret vom 2. Februar 1852, Art. 3; Konst. Gesetz vom 30. November 1875, Art. 5. Georg Meyer, a. a. 0 . , S. 532. 2 ) Weil, "Fleotions legislative?, S. 197 f. Georg Meyer, a. a. O., S. 532.
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heit der von Feudalismus und Großbürgertum getragenen Monarchie über jede Volksvertretung weder den Begriff freier Wahlen übernommen, noch allgemein das Wahlgeheimnis anerkannt. Erst die Weimarer Verfassung von 1919 gewährleistet in ihrem Grundrechtsartikel 125 Wahlfreiheit und Wahlgeheimnis 1 ). Um diese geheime im Gegensatz zur öffentlichen Abstimmung geht in Deutschland der Kampf während des ganzen 19. Jahrhunderts bis zur Weimarer Verfassung. 1. Die vormärzlichen Verfassungen deutscher Mittel- und Kleinstaaten lassen ihre oft noch ständisch gegliederten „Landtage" zum Teil in öffentlicher Abstimmung wählen und zwar entweder mündlich zu Protokoll oder schriftlich mit vom Abstimmenden unterschriebenen Stimmzetteln. Vereinzelt findet sich auch öffentliche oder geheime Wahl des Landtages, je nach Anordnung der wahlleitenden Beamten, so für die Abgeordneten des Bauernstandes nach dem Sächsischen Wahlgesetz vom 24. September 1831. Das Hannoversche Wahlgesetz vom 6. November 1840 schreibt als Regelform mündliche Stimmabgabe zu Protokoll vor, gestattet aber dem Wähler auch, einen verschlossenen oder zusammengelegten Stimmzettel abzugeben. Bei mittelbarer Wahl der Landtage sind oft die Urwahlen mündlich und öffentlich, die Abgeordnetenwahlen schriftlich und geheim 2 ). 2. Epoche macht dann die deutsche Revolution von 1848 mit ihrer Entscheidung für das geheime Stimmrecht. Die Wahlen der Abgeordneten zur Verfassunggebenden Reichsversammlung in der Paulskirche werden durch die den Einzelstaaten überlassenen Wahlgesetze noch sehr verschiedenartig geregelt: Neben der in Preußen, Württemberg, Hessen und einigen anderen Staaten vorgeschriebenen geheimen Abstimmung findet sich auch öffentliche Abstimmung zu Protokoll wie in Kurhessen oder mittels unterschriebener Stimmzettel >) Hierüber u n t e n S. 37. 2 ) Näheres bei Georg Meyer, Das parlamentarische Wahlrecht, S. 106 ff., 532 f.
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wie in Bayern, oder es wird dem Wähler überlassen, ob er mündlich zu Protokoll oder schriftlich durch Stimmzettel abstimmen will wie in Hannover, oder es ist bei mittelbarer Wahl wie in Baden die WTahl der Wahlmänner öffentlich, die der Abgeordneten geheim 1 ). I n der Nationalversammlung selbst kommt es danji aber zu einer bedeutsamen grundsätzlichen Auseinandersetzung über die Frage der öffentlichen oder geheimen Abstimmung bei der Regelung der Wahlen zum „Volkshaus". Das Volkshaus ist die Vertretung des deutschen Volkes in dem nach Zweikammersystem gebildeten Reichstag der Verfassung des Deutschen Reiches vom 28. März 1849. Der Verfassungsausschuß schlägt direkte Wahl der Abgeordneten zum Volkshaus durch das Volk mit offener Stimmabgabe vor; die Stimmberechtigten sollen sich offen an der wichtigen politischen Entscheidung einer WTahl beteiligen und so an ein öffentliches Leben gewöhnt werden. Den Einwand wegen der Gefährdung der Abstimmungswahrheit durch die verschiedenen Beeinflussungsmöglichkeiten bei offener Stimmabgabe schaltet der Verfassungsausschuß von vornherein dadurch aus, daß er den als nicht selbständig geltenden Personen, wie Dienstboten, Handwerksgehilfen, Fabrikarbeitern, Tagelöhnern, kein Wahlrecht gewährt; den verbleibenden Abstimmungsberechtigten könne man zutrauen, daß sie auch bei offener Stimmabgabe nur nach ihrer wahren Überzeugung abstimmen werden. Das Plenum der Nationalversammlung ging aber — allerdings mit knapper Mehrheit — den entgegengesetzten Weg; es gewährte das Wahlrecht auch den ärmeren, namentlich den arbeitenden und dienenden Schichten der Bevölkerung und schrieb folgerichtig geheime Abstimmung vor, um die wirtschaftlich abhängigen Stimmberechtigten vor Beeinflussungen aller Art, insbesondere seitens ihrer Arbeits- und Dienstherren, zu bewahren 1 ). So heißt es denn in Näheres bei Georg Meyer, a. a. 0 . , S. 534. ) Georg Meyer, a . a . O . , S. 534f.
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dem von der Nationalversammlung beschlossenen Reichsgesetz über die Wahlen der Abgeordneten zum Volkshaus vom 27. März 1849 § 13 Abs. 2: „Das Wahlrecht wird in Person durch Stimmzettel ohne Unterschrift ausgeübt."
Die Reichsverfassung und das Reichswahlgesetz der Paulskirche sind nicht praktisch in Geltung getreten. Aber in manchen deutschen Einzelstaaten hat die liberale Bewegung von 1848/49 an Stelle der öffentlichen Abstimmung die geheime Abstimmung gesetzt, und diese Neuerungen haben sich zum Teil trotz der in den folgenden Jahren einsetzenden Reaktion erhalten, so daß nunmehr die Wahl der Volksvertretungen in den deutschen Einzelstaaten als überwiegend geheim bezeichnet werden kann 1 ). 3. Der für die politische Entwicklung entscheidende größte deutsche Einzelstaat, Preußen, hat jedoch das geheime Stimmrecht nicht übernommen. Zwar mußte die bis dahin absolute preußische Monarchie unter dem Druck der 48 er Revolution den Übergang zum Konstitutionalismus mit einem aus zwei Kammern bestehenden Landtag vollziehen, aber während noch das Wahlgesetz zur Zweiten Kammer vom 8. April 1848 geheime Abstimmung sowohl für die Wahl der Wahlmänner wie der Abgeordneten vorgesehen hatte und auch das Wahlgesetz vom 6. Dezember 1848 es bei der geheimen Wahl zur Zweiten Kammer beließ, brachte die Königliche Verordnung über die Ausführung der Wahl der Abgeordneten der Zweiten Kammer vom 30. Mai 1849, erlassen als Notverordnung auf Grund Art. 105 der oktroierten Verfassung vom 5. Dezember 1848, das berüchtigte Dreiklassenwahlrecht mit öffentlicher Abstimmung „durch Stimmgebung zu Protokoll" sowohl für die Wahl der Wahlmänner wie der Abgeordneten (§§ 21, 30 der Verordnung). Eine ministerielle Denkschrift vom 12. August 18492) beruft sich zur Rechtfertigung darauf, daß das Prinzip !) Georg Meyer, a. a. 0 . , S. 536. ) Stenogr. Berichte der durch Verordnung vom 30. Mai 1849 einberufenen Zweiten Kammer, Bd. I, S. 114 f. 2
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der Öffentlichkeit bei allen anderen Verhandlungen über öffentliche Angelegenheiten durchgeführt sei, eine auch schon in der Plenardebatte der Paulskirche laut gewordene Behauptung, die freilich übersieht, daß die meist in Bezug genommenen Gerichte zwar in der Regel öffentlich verhandeln, aber geheim beschließen; außerdem erklärt die Denkschrift die Gefahr einer unlauteren Beeinflussung der Abstimmung bei öffentlicher Stimmabgabe f ü r gering, „verglichen mit dem Krebsschaden der unter dem Deckmantel des heimlichen, schriftlichen Verfahrens ungestört wuchernden Intriguen". Nachdem aber Adel und Großbürgert u m durch das Dreiklassenwahlrecht erst einmal eine feste Machtposition erreicht hatten, erwies es sich f ü r die Z u k u n f t als unmöglich, auf verfassungsmäßigem Wege eine Änderung des preußischen Wahlrechts herbeizuführen. Die liberale Welle der Sechzigerjahre des 19. Jahrhunderts h a t zwar f ü r manche deutsche Einzelstaaten, die noch ganz oder zum Teil a n der offenen Abstimmung festgehalten h a t t e n , den Übergang zum geheimen Stimmrecht herbeigeführt 1 ). I n Preußen aber blieb das Dreiklassenwahlrecht mit seiner öffentlichen Stimmabgabe zu Protokoll in Geltung bis zur Revolution von 1918. 4. U m so bedeutsamer war es, daß bei der Reichsgründung Bismarcks von 1867/1870 f ü r die Wahl der Abgeordneten zum Reichstag als der Vertretung des deutschen Volkes geheime Abstimmung vorgeschrieben wurde. Schon die Wahl der Abgeordneten f ü r den Reichstag des Norddeutschen Bundes erfolgte „durch Stimmzettel ohne Unt e r s c h r i f t " gemäß Art. V § 13 Abs. 2 des in der Paulskirche beschlossenen Reichsgesetzes über die Wahlen der Abgeordneten zum Volkshause vom 27. März 1849, das vereinbarungsgemäß durch Landesgesetze der Norddeutschen Staaten f ü r die Reichstagswahl des Norddeutschen Bundes eingeführt worden war. J ) Als wichtigste Beispiele: Württemberg Gesetz vom 26. März 1868; Baden Gesetz vom 16. April 1870; Sachsen Gesetz vom 3. Dezember 1868, § § 2 8 und 31, durch das die schon vorher überwiegend geheime Wahl ausnahmslos vorgeschrieben wird.
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Die Regierungsvorlage für Art. 20 der Norddeutschen Bundesverfassung, der das künftige Reichstagswahlrecht regelte, sah freilich nicht unmittelbar geheime Wahlen vor, sondern bestimmte n u r : „Der Reichstag geht aus allgemeinen und direkten Wahlen hervor, welche bis zum E r l a ß eines Reichswahlgesetzes nach Maßgabe des Gesetzes zu erfolgen haben, auf Grund dessen der erste Reichstag des Norddeutschen Bundes gewählt worden ist."
Hiernach sollte das Wahlgesetz der Paulskirche mit seiner geheimen Wahl nur bis zum Erlaß eines neuen Reichswahlgesetzes maßgebend sein, das dann über die Frage, ob geheime oder offene Wahl, frei entscheiden konnte und nach dem Willen Bismarcks offene Wahlen vorschreiben sollte. Diese Absicht Bismarcks wurde aber bei der Beratung des Art. 20 der Regierungsvorlage im Norddeutschen Reichstag durch den Antrag Fries durchkreuzt. Der Antrag ging dahin, in den oben wiedergegebenen Wortlaut des Art. 20 hinter die Worte „direkten Wahlen" einzuschalten: „mit geheimer Abstimmung"; er wurde von allen liberalen Abgeordneten einschließlich der nationalliberalen unterstützt und von der Mehrheit des Norddeutschen Reichstages angenommen, so daß Art. 20 der Norddeutschen Bundesverfassung nunmehr lautete: „Der Reichstag geht aus allgemeinen und direkten Wahlen mit geheimer Abstimmung hervor . . . "
Damit war das künftige Reichswahlgesetz verfassungsmäßig an das geheime Stimmrecht gebunden. Das „Wahlgesetz für den Reichstag des Norddeutschen Bundes" vom 31. Mai 1869 schreibt denn auch geheime Abstimmung vor und schützt das Wahlgeheimnis durch folgende Vorschriften: ,,§ 10
Das Wahlrecht wird in Person durch verdeckte in eine Wahlurne niederzulegende Stimmzettel ohne Unterschrift ausgeübt. Die Stimmzettel müssen von weißem Papier und dürfen, mit keinem äußeren Kennzeichen versehen sein."
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,,§ 11
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Die Stimmzettel sind außerhalb des Wahllokals mit dem Namen des Kandidaten, welchem der Wähler seine Stimme geben will, handschriftlich oder im Wege der Vervielfältigung zu versehen."
Bei der 1870/71 erfolgten Erweiterung des Norddeutschen Bundes zum Deutschen Reich wurde der die Wahlrechtsgrundsätze für den Reichstag des Norddeutschen Bundes regelnde Teil des Art. 20 der Norddeutschen Bundesverfassung wörtlich als Art. 20 Abs. 1 in die Verfassung des Deutschen Reichs vom 16. April 1871 übernommen: „Der Reichstag geht aus allgemeinen und direkten Wahlen mit geheimer Abstimmung hervor";
und das Wahlgesetz für den Reichstag des Norddeutschen Bundes vom 31. Mai 1869 wurde zum Reichsgesotz für die Wahl des Deutschen Reichstags erklärt 1 ). Bei dieser Regelung ist es für das Reich bis zum J a h r e 1918 verblieben. Nur die Bestimmungen zum Schutze des Wahlgeheimnisses wurden ausgebaut und verstärkt durch das Wahlreglement vom 28. Mai 1870 (Bundesgesetzblatt 1870, S. 275), die Bekanntmachung betr. Abänderung des Wahlreglements vom 28. April 1903 (Reichsgesetzblatt S. 202) und die Bekanntmachung über die Änderung des Wahlreglements vom 4. J u n i 1913 (RGBl. S. 314). Die Bekanntmachung vom 28. April 1903 f ü h r t die amtlichen Wahlumschläge (§ 15) und die Wahlzelle (§11 Abs. 4: „Nebenraum und Nebentisch") ein, die Bekanntmachung vom 4. J u n i 1913 bringt zwingende Normen über Größe und Beschaffenheit der Wahlurne. Wichtig ist die Vorschrift in § 15 Abs. 3 der Bekanntmachung vom 28. April 1903: „Stimmzettel, welche die Wähler nicht in dem abgestempelten Umschlag oder welche sie in einem mit einem Kennzeichen versehenen Umschlag abgeben wollen, hat der Wahlvorsteher zurückzuweisen, ebenso die Stimmzettel solcher Wähler, welche sich in den Nebenraum oder an den Nebentisch nicht begeben haben."
Damit ist ein Verzicht des einzelnen Wählers auf das Abstimmungsgeheimnis für unzulässig erklärt. Gesetz betr. die Verfassung des Deutschen Reichs vom 16. April 1871 (Bundesgesetzblatt des Deutschen Bundes 1871, S. 63) § 2.
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5. Ein halbes J a h r h u n d e r t lang h a t nebeneinander f ü r die Wahl der Abgeordneten des deutschen Volkes im Reichstag geheimes Stimmrecht, f ü r die Abgeordnetenwahl zur Preußischen Zweiten K a m m e r offene Stimmabgabe gegolten. Angesichts dessen wird es verständlich, daß sich in Deutschland die Auseinandersetzung über die Berechtigung des einen oder des anderen Systems durch das ganze 19. J a h r h u n d e r t bis in die ersten J a h r z e h n t e des 20. J a h r h u n d e r t s hingezogen hat. I n diesem Kampf der Meinungen nimmt die Stellungnahme Bismarcks zum geheimen Wahlrecht einen besonderen Platz ein. Bismarck erklärt in „Gedanken und Erinnerungen" 1 ) die Einführung des allgemeinen Wahlrechts in die Verfassung des Norddeutschen Bundes als Mittel zum nationalen Zweck u n d f ä h r t unter Hinweis darauf, daß die geheime Abstimmung seinerzeit entgegen der Regierungsvorlage erst durch den Antrag Fries in die Verfassung gekommen sei, f o r t : „Außerdem halte ich noch heut das allgemeine Wahlrecht nicht bloß theoretisch, sondern auch praktisch für ein berechtigtes Prinzip, sobald nur die Heimlichkeit beseitigt wird, die außerdem einen Charakter hat, der mit den besten Eigenschaften des germanischen Blutes in Widerspruch steht."
Mit den hier angezogenen „besten Eigenschaften des germanischen B l u t e s " dürften Mut und Wahrheitsliebe gemeint sein, die auch von anderer Seite 2 ) f ü r die offene im Gegensatz zur geheimen Abstimmung ins Feld geführt werden: Der Stimmberechtigte soll den Mut haben, sich zu seiner Meinung zu bekennen, auch wenn das Bekenntnis ihm Nachteile bringen k a n n ; wer wegen solcher Nachteile nicht nach seiner wahren r ) Otto Fürst von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen, Neue Ausgabe, 2. Bd., 21. Kapitel unter 3, S. 65 ff. Stuttgart und Berlin 1913. 2 ) So unter Berufung auf Bismarck Georg Meyer, Das parlamentarische Wahlrecht, S. 558 f., wo es heißt, die geheime Abstimmung erziehe das Volk zur Charakterlosigkeit, wirke mehr auf die schlechten als auf die guten Eigenschaften des Menschen und könne einen geradezu korrumpierenden Einfluß auf die Wählerschaft ausüben.
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Meinung stimme, sei ein Feigling, und die Stimme eines Feiglings habe keinen Wert. E s wird als lügenhaftes und heuchlerisches Doppelspiel gebrandmarkt, wenn der Stimmberechtigte sich den Anschein gibt, er sei für den einen Kandidaten, und wenn er dann bei der geheimen Wahl den anderen wählt, wobei man freilich nicht beachtet, daß Heuchelei und Lüge auch bei offener Abstimmung auftreten können, wenn der Stimmberechtigte seine Stimme für den Kandidaten abgibt, den er in Wahrheit nicht will. Der entscheidende Grund Bismarcks für die Ablehnung des geheimen Stimmrechts ist aber ein ganz anderer als der nur „außerdem" und nebenher erwähnte angebliche Widerspruch zu den besten Eigenschaften des germanischen Blutes. Bismarck fährt im unmittelbaren Anschluß an den oben wiedergegebenen Satz fort: „ D i e Einflüsse und Abhängigkeiten, die das praktische Leben der Menschen mit sich bringt, sind gottgegebene Realitäten, die man nicht ignorieren kann und soll. Wenn man es ablehnt, sie auf das politische Leben zu übertragen, und im letzteren den Glauben an die geheime Einsicht aller zu Grund legt, so gerät man in einen Widerspruch des Staatsrechts mit den Realitäten des menschlichen Lebens . . . "
Bismarck tritt also für öffentliche Wahl ein, nicht weil er die Beeinflussung der Wähler bei offener Wahl für unerheblich erachtete, wie das die Regierungserklärung zum Dreiklassenwahlrecht tut, sondern weil er die Beeinflussung der Wähler durch die Abhängigkeiten des praktischen Lebens für notwendig hält. Er will, daß alle diese Abhängigkeiten der Stimmberechtigten bei der Abstimmung in vollem Umfang zur Geltung kommen. Dadurch sollen, wie er im folgenden darlegt, diejenigen, „die den Besitz vertreten" und die er mit den „Gebildeten" gleichsetzt, das Übergewicht gegenüber den Nichtbesitzenden, den von ihm sog. „Begehrlichen" erlangen, und das erscheint ihm als das „für die Sicherheit und Bildung des Staates . . . nützlichere" wegen der größeren Besonnenheit der „intelligenteren Classen", mag diese größere Besonnenheit auch den materiellen Untergrund der Erhaltung des Besitzes haben
Freie Wahlen und geheime Abstimmung
33
und das Streben der Begehrlichen nach Erwerb nicht weniger berechtigt sein. Nach dieser nüchternen, dem Standpunkt seiner Klasse entsprechenden Stellungnahme Bismarcks liegt es im Interesse des Staates, daß sich die Abhängigkeiten „materiellen oder ideellen Ursprungs" bei der Abstimmung auswirken, und deshalb soll die Abstimmung offen sein. 6. Alle sonstigen Argumentationen wegen öffentlichen oder geheimen Stimmrechts im Meinungskampf des 19. Jahrhunderts sehen in der Beeinflussung der Abstimmung durch Rücksichten auf politische, wirtschaftliche oder soziale Mächte ein negatives Moment. Nur wird dieses verschieden bewertet. Die einen halten die Gefahr der Beeinflussung für nicht so wesentlich und kommen auf Grund sonstiger Gesichtspunkte zur öffentlichen Abstimmung. Die anderen erklären schon die Möglichkeit einer Beeinflussung des Stimmberechtigten durch die offene Stimmabgabe als ausschlaggebend für die Notwendigkeit geheimer Abstimmung. Literarische Vertreter des öffentlichen Stimmrechts, wie Rotteck 1 ), Dahlmann 2 ), Waitz 3 ), Bluntschli 4 ), Pfizer"), Gneist 6 ), Georg Meyer 7 ), machen geltend: Auch im Falle öffentlicher Stimmabgabe liege der Schwerpunkt bei den breiten Schichten des Volkes; dem Einfluß der Arbeitgeber auf die Arbeitnehmer stehe der weit stärkere Einfluß der Gewerkschaften auf ihre Mitglieder gegenüber; eine Beeinflussung katholischer Stimmberechtigter durch den katholischen Klerus könne auch bei Karl v. .Rotteck, Ideen über Landstände. 1819, S. 96. ) Frielrieh Christoph Dahlmann, Die Politik. Göttingen 1835, S. 146 ff. 3 ) Georg Waitz, Grundzüge der Politik nebst einzelnen Ausführungen. 1862, S. 243 ff. 1 ) Joh. Kaspar Bluntschli, Allgemeines Staatsrecht. 1851, S. 76. 5 ) Paul A. Pfizer, Archiv für öffentliches Recht, Bd. 7 (1892), S. 521 ff. 6 ) Rudolf Gneist, Die nationale Rechtsidee von den Ständen und das preußische Dreiklassenwahlsystem. 1894, S. 166. ') Georg Meyer, Das Parlamentarische Wahlrecht. 1901, S. 556 ff. 2
3
34
KrwiN Jacobi
geheimer Abstimmung nicht ausgeschlossen werden; die Gründe, die in England zur Einführung der geheimen Wahl geführt hätten, nämlich Stimmenkauf und tumultarischer Verlauf der Wahlen, seien in Deutschland nicht gegeben, wie die Praxis des öffentlichen Stimmrechts in Preußen beweise. Zu diesen mehr oder weniger praktischen Erwägungen tritt dann der schon erörterte Hinweis auf die Bürgertugenden des Mutes und der Wahrhaftigkeit und schließlich die Begründung, daß das Stimmrecht kein angeborenes Recht des Menschen zur Teilnahme an der Bildung des Gemeinwillens, sondern eine dem Bürger vom Staat übertragene Funktion sei; ihre Ausübung bedeute die Erfüllung einer Pflicht, müsse also wie bei den Abgeordneten eines Parlamentes und bei den Beamten des Staates kontrollierbar sein 1 ). Das letztere ist der grundlegende Gegensatz zu den Auffassungen der Vertreter des geheimen Stimmrechts, wie Welcker 2 ), v. Mohl 3 ), Schaeffle 4 ), Frensdorff 5 ), Gageur 6 ), Georg Jellinek 7 ). Solche mehr oder weniger demokratisch eingestellten Liberalen sehen in dem Stimmrecht gerade das Recht des einzelnen Staatsbürgers auf Mitbestimmung der politischen Entscheidungen; dieses Recht könne der Stimmberechtigte in aller Regel nur durch die von ihm gewählten Repräsentanten aus!) Georg Meyer, a. a. ()., S. 538. 2 ) Karl Theodor Welcker, Artikel „Abstimmung" im Staatslexikon von Rotteck und Welcker, 1 8 3 4 - 1844. 3 ) Robert v. Mohl, Staatsrecht, Völkerrecht und Politik, Bd. 2. Tübingen 1862, S. 295 ff.; Bd. 3, Tübingen 1869, S. 715; Das deutsche Reichsstaatsrecht, Tübingen 1873, S. 372 ff.; Kritische Bemerkungen über die Wahl zum deutschen Reichstag. Tübingen 1874. 4 ) Schaeffle, .Die geheime Stimmgebung bei Wahlen in die Repräeentativkörperschaften, Z. ges. St.-Wiss., Bd. 21, S. 379 ff., 413 ff.; Bd. 50, S. 318; Bekämpfung der Sozialdemokratie, S. 50. 5 ) Frensdorff, Festgabe für Ihering, S. 200. 6 ) Gageur, Reform des Wahlrechts, S. 31 f. 7 ) Georg Jellinek, Besondere Staatslehre in: Ausgewählte Schriften und Reden, Bd. II, 191], S. 216.
Freie Wahlen und geheime Abstimmung
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üben, nnd deshalb müsse er diese nach seinem eigenen wahren Willen wählen, was „vollständige Sicherung des Geheimnisses der einzelnen Abstimmung" voraussetze. Die letztere Formulierung stammt von Robert von Mohl 1 ), der die Frage des öffentlichen oder geheimen Stimmrechts ausführlich erörtert2). Robert von Mohl, Justizminister des Deutschen Reiches von 1848/49, weist mit Entschiedenheit die Auffassung zurück, daß ein Bürger, der bei öffentlicher Abstimmung seine Stimme nicht entsprechend seiner wirklichen Meinung abgebe, ein Feigling sei und die Meinung eines Feiglings keinen Wert habe. Man müsse vom „wirklichen Leben" ausgehen, von der „durchschnittlichen Menschennatur", wie später Georg Jellinek 3 ) im gleichen Zusammenhang sagt. Die Nachteile der geforderten offenen Erklärung seien möglicherweise für einen Menschen in abhängiger Stellung so bedeutend, daß die Scheu vor dem öffentlichen Bekenntnis nicht von einer verächtlichen Gesinnung zeuge; es könne eine Kollision von Pflichten gegenüber der Familie und gegenüber dem Gemeinwohl vorliegen. Vor allem aber macht Mohl geltend, daß das Verlangen nach offener Abstimmung nicht von den Parteien ausgehe, welche auf die innere Güte ihrer Sache vertrauen, sondern von solchen, welche viele Mittel zum Einfluß zu haben glauben; den Anfeindungen der geheimen Abstimmung liege praktisch „nicht das Verlangen nach tapferer Bürgertugend, sondern im Gegenteil die Hoffnung auf eine Einschüchterung zugrunde". Aus dem Zweck der geheimen Wahl, die Abstimmungsfreiheit zu sichern, zieht Mohl die entscheidende Konsequenz, daß es keinen Verzicht auf das Abstimmungsgeheimnis geben dürfe, bei Strafe der Ungültigkeit jeder veröffentlichten Stimme: ,,. . .es darf vor allem, soll nicht der ganze Zweck vereitelt werden, keinerlei freiwillige Kundgebung der Abstimmung stattfinden, indem ' ) v . Mohl, Staatsrecht, Völkerrecht und Politik, Bd. 2, S. 299.
3*
2)
v . Mohl, a . a . O . , S. 295 f f .
s)
Georg Jellinek, a . a . O . , S. 216.
36
ERWIN
JACOBI
sonst auf diese Weise indirekt die Abstimmung der sich an die Vorschrift Haltenden entdeckt oder wenigstens mit großer Wahrscheinlichkeit vermutet werden kann. Die Ungültigkeitserklärung jeder veröffentlichten Stimme wird eine gerechte Strafe der Gesetzesumgehung und ein wirksames Mittel zur Aufrechterhaltung des Gebotes sein."
Der Meinungskampf klärt sich im Laufe des 19. Jahrhunderts allmählich dahin, daß a n der Wende des Jahrhunderts Georg Jellinek als Anhänger des geheimen Stimmrechts die Prognose stellen k a n n : „Die öffentliche Wahl wird voraussichtlich überall aus der Reihe der gesetzlichen Einrichtungen verschwinden 1 )",
imd Georg Meyer, ein Anhänger des öffentlichen Stimmrechts, erklärt etwa um dieselbe Zeit resigniert: „Darüber darf man sich leider keiner Täuschung hingeben, daß jetzt, nachdem wir uns Jahrzehnte lang an die geheime Abstimmung gewöhnt haben, ein Übergang zur öffentlichen kaum noch möglich ist. Das geheime Stimmrecht erfreut sich, gerade weil es weniger auf die guten als auf die schlechten Eigenschaften des Menschen berechnet ist, einer ungemeinen Popularität. Keine politische Partei kann, wenn sie sich nicht selbst ihr Grab graben will, die Abschaffung desselben zum Gegenstand ihres Programmes machen. Die Beseitigung der geheimen Abstimmung ist auf gesetzmäßigem Wege ebensowenig möglich wie die Aufhebung des allgemeinen Wahlrechtes. Und wenn es gelänge, die geheime Abstimmung durch die öffentliche zu ersetzen, so würde eine derartige Maßregel eine tiefe Verstimmung in weiten Kreisen des Volkes zur Folge haben. Es wäre fraglich, ob die Vorzüge, welche mit der öffentlichen Abstimmung zweifellos verbunden wären, dadurch nicht zu teuer erkauft würden. Es bleibt daher nichts anderes übrig, als sich mit den bestehenden Verhältnissen abzufinden. Auch der Politiker muß unter Umständen imstande sein, Resignation zu üben 2 )."
Freilich verkennt Georg Meyer die wahren Gründe für den Sieg des geheimen Wahlrechts in Deutschland. Seine „Popularität" in Deutschland beruht nicht darauf, daß es „weniger auf die guten als auf die schlechten Eigenschaften des Menschen berechnet ist", sondern darauf, daß es ein Mittel der aufsteigenden Arbeiterklasse beim Kampf um die politische Macht war. *) Georg Jellinek, a. a. 0 . , S. 217. ) Georg Meyer, Das parlamentarische Wahlrecht.
2
Berlin 1901. S. 563.
Freie Wahlen und geheime Abstimmung
37
7. Mit der Revolution vom November 1918 erfüllt sich für Deutschland die Prognose Georg Jellineks, denn der Aufruf des Rates der Volksbeauftragten vom 12. November 1918 verfügt ganz allgemein: „Alle Wahlen zu öffentlichen Körperschaften sind fortan nach dem gleichen, geheimen, direkten, allgemeinen Wahlrecht . . . zu vollziehen."
Die Weimarer Verfassung vom 11. August 1919 schreibt dasselbe Wahlrecht, also auch die geheime Wahl für Reichstags-, Landtags- und Gemeindewahlen unmittelbar vor (Art. 22, 17 Abs. 1 und 2), während für Volksbegehren und Volksentscheid und für die Wahl des Reichspräsidenten die geheime Abstimmung durch das Reichsgesetz über den Volksentscheid vom 17. Juni 1921 §6 Satz 1 und das Reichsgesetz über die Wahl des Reichspräsidenten vom 6. März 1924 § 1 Abs. 2 festgelegt wird. Vor allem aber gewährleistet die Weimarer Verfassung Wahlfreiheit und Wahlgeheimnis in den „Grundrechten und Grundpflichten der Deutschen" durch den bereits erwähnten Art. 125: „Wahlfreiheit und Wahlgeheimnis sind gewährleistet. Das Nähere bestimmen die Wahlgesetze."
Dieses erstmalige Bekenntnis einer deutschen Verfassung zur „Wahlfreiheit" reicht weiter als das gleichzeitig verfassungsmäßig festgelegte Wahlgeheimnis. Die Wahlfreiheit bedeutet „die dem Staatsbürger durch die Reichsverfassung gewährleistete rechtliche Möglichkeit, vollkommen selbständig darüber zu entscheiden, wie und wen er wählen will" 1 ). Jeder Stimmberechtigte soll sein Stimmrecht ohne Zwang und Beeinflussung von außen, sei es durch die staatlichen Wahlorgane, sei es durch andere politische oder soziale oder ökonomische Mächte, sei es durch einzelne, ausüben können. Der Schutz gegen die schwersten Beeinträchtigungen der Wahlfreiheit durch einzelne wird von je unmittelbar vom Straf recht geleistet (StGB § 107 Wahl- und Stimmverhinderung; § 108 Wahlfälschung; §109 Stimmenkauf; §240 Nötigung); den Schutz ') Anschütz, Verfassung des Deutschen Reichs, 14. Aufl. zu Art. 125, S. 578.
38
Ejuven" Jacobi
gegen amtliche Wahlbeeinflussungen übernehmen unmittelbar die Gesetze über Wahlprüfung u n d Wahlprüfungsgerichte. Die Gewährleistung der Wahlfreiheit in der Verfassung legt dem Staat die Verpflichtung zur Sorge f ü r entsprechende Straf- und staatsrechtliche Gesetze auf, u n d mit der Gewährleistung der Wahlfreiheit unvereinbare Rechtssätze sind ungültig 1 ). Das Wahlgeheimnis ist nur ein weiteres u n d zwar technisches Mittel, u m die Wahlfreiheit namentlich gegenüber wirtschaftlichen u n d sozialen Mächten u n d Machthabern zu sichern, ein „Korrelat der Wahlfreiheit" 2 ), das seit 1918 sich auch in Deutschland allgemein durchsetzte. Vom Boden der Weimarer Verfassung aus h a t sich der Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich mit den verfassungsmäßigen Wahlrechtsgrundsätzen beschäftigt 3 ). E r erklärt zum Begriff der Wahlfreiheit im Sinne von Art. 125 W V : „Sie besteht darin, daß jeder Wähler sein Wahlrecht ohne Zwang oder sonstige unzulässige Beeinflussung von außen ausüben kann. Seine freie Wahlbetätigung soll geschützt werden 4 )."
Das Wahlgeheimnis wird vom Staatsgerichtshof folgendermaßen erläutert: „Das Wahlgeheimnis wird nicht bloß verletzt, wenn die Stimmabgabe öffentlich erfolgt 5 )." „Der geheimen Wahl widerstreitet es bereits, wenn nur eine andere Person erfährt, in welcher Weise der Wähler sein Wahlrecht ausübt 6 )." !) Kaisenberg bei Nipperdey, Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, Bd. 2, S. 163. Berlin 1930; Anschütz, Verfassung des Deutschen Reichs, 14. Aufl., zu Art. 125, Anm. 4, S. 278. 2 ) Kaisenberg, a. a. O. 3 ) Hierzu Erwin Jacobi, Die verfassungsmäßigen Wahlrechtsgrundsätze als Gegenstand richterlicher Entscheidung, Festgabe für Richard Schmidt. Leipzig 1932, S. 59 ff. 4 ) StGH. 12/27 vom 17. Dezember 1927, Lammers und Simons, Die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs für das Deutsche Reich, Bd. I, S. 328 ff., unter I I I 4, S. 341. Berlin 1929. 5 ) StGH. a. a. O., unter I I I 3, S. 340, wörtlich übereinstimmend StGH. 8/27 vom 17. Dezember 1927 unter I I I 3, Lammers und Simons I, S. 351. 6 ) StGH. 8/27 vom 17. Dezember 1927 unter I I I 3, Lammers und Simons, a. a. 0 . , S. 351 f.
Freie Wahlen und geheime Abstimmung
39
Der Sicherung des Wahlgeheimnisses dienen die seit dem australischen Wahlverfahren üblichen Kautelen in den Wahlgesetzen und Stimmordnungen. So schreibt das Reichswahlgesetz in der Fassung vom 6. März 1924 amtliche Stimmzettel (§ 25) in amtlich gestempelten Umschlägen (§ 27) vor. Die Verordnung über Reichswahlen und -abstimmungen (Reichsstimmordnung) vom 14. März 1924 regelt die Sammlung der abgegebenen Stimmen in Stimmurnen mit genau vorgeschriebenen Ausmaßen (§42), die Aufstellung von Abstimmungsschutzvorrichtungen (§ 43), die Gestaltung der amtlichen Stimmzettel und Umschläge (§§ 44, 45) und den Vorgang der Stimmabgabe (§§ 112 — 119). Die gleiche Reichsstimmordnung erklärt um der Wahrung des Abstimmungsgeheimnisses willen für ungültig: Stimmzettel, die nicht in einem amtlich abgestempelten Umschlag oder die in einem mit Kennzeichen versehenen Umschlag übergeben werden, oder die als nichtamtlich hergestellte erkennbar sind, ferner Stimmzettel, denen irgendein durch den Umschlag deutlich fühlbarer Gegenstand beigefügt ist oder die mit Vermerken oder Vorbehalten versehen sind (§ 123, Z. 1, 2, 5, 6). Entsprechende Bestimmungen finden sich in den Landes Wahlgesetzen und Landeswahlordnungen 1 ). Auf diese Weise haben sich in der Zeit der Weimarer Verfassung auch in Deutschland beim Aufbau der Staatsgewalt im Sinne der liberalen Demokratie freie Wahlen und geheimes Stimmrecht allseitig durchgesetzt. 8. Dieser ganzen Entwicklung gegenüber bedeutet es ein Wetterleuchten des aufkommenden Faschismus, wenn in der zweiten Hälfte der 20 er Jahre unseres Jahrhunderts Carl Schmitt in verschiedenen Schriften wachsende Angriffe gegen das geheime Stimmrecht richtet. Es sei — so führt er unter Berufung auf Rousseau aus — eine undemokratische VorVgl. z. B. Preußisches Gesetz über die Wahlen zum Preußischen Landtag in der Fassung vom. 28. Oktober 1924 und Wahlordnung für den Preußischen Landtag vom 29. Oktober 1924.
40
ERWIN
JACOBI
Stellung, das Volk könne seinen Willen nur in der Weise äußern, daß jeder einzelne Bürger in tiefstem Geheimnis und völliger Isoliertheit, ohne aus der Sphäre des Privaten und Unverantwortlichen herauszutreten, unter „Schutzvorrichtungen" und „unbeobachtet", wie die deutsche Reichsstimmordnung vorschreibe, seine Stimme abgebe, wenn dann jede einzelne Stimme registriert und eine arithmetische Mehrheit berechnet werde. Das Volk existiere in Wahrheit nur in der Sphäre der Publizität. Die einstimmige Meinung von 100 Millionen Privatleuten sei weder Wille des Volkes noch öffentliche Meinung. Demokratie sei etwas anderes als ein Registriersystem geheimer Abstimmungen 1 ). Zu den Akklamationen, ohne die ein Volk nicht bestehen könne, gehöre die Unmittelbarkeit des versammelten Volkes; gerade diese aber werde durch die Isolierung des einzelnen Stimmberechtigten und das Wahl- und Abstimmungsgeheimnis vernichtet 2 ). Im allgemeinen werde die öffentliche Meinung nur von einer aktiven und politisch interessierten Minderheit des Volkes getragen, während die große Mehrheit des Volkes nicht notwendig politisch interessiert sei; es sei keineswegs demokratisch und überhaupt ein merkwürdiges politisches Prinzip, daß diejenigen, die keinen politischen Willen haben, gegenüber denen, die einen solchen Willen haben, entscheiden sollen. Die Methode geheimer Einzelabstimmung verwandle den stimmberechtigten Bürger in einen isolierten Privatmann und ermögliche es ihm, seine Meinung zu äußern, ohne die Sphäre des Privaten zu verlassen. Eine Zusammenzählung dessen, was Privatleute privatim meinen, ergebe weder eine echte öffentliche Meinung, noch eine echte politische Entscheidung 3 ). Der faschistische Staat — damit ist damals Italien gemeint — habe die ') Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, 2. Aufl., Vorbemerkung S. 19 ff., besonders S. 22. München und Leipzig 1926. 2 ) Volksentscheid und Volksbegehren, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht, Heft 2, S. 33 f. Berlin und Leipzig 1927. 3 ) Verfassungslehre, S. 245, 179, 281. München und Leipzig 1928.
Krcie Wahlen und geheime Abstimmung
4L
„richtige Erkenntnis, daß die heutigen Methoden geheimer Einzelwahl alles Staatliche und Politische durch eine völlige Privatisierung gefährden, das Volk als Einheit ganz aus der Öffentlichkeit verdrängen (der Souverän verschwindet in der Wahlzelle) und die staatliche Willensbildung zu einer Summierung geheimer und privater Einzelwillen, (1. h. in Wahrheit unkontrollierbarer Massenwünsche und Massenressentiments herabwürdigen 1 )."
Die Antwort der bürgerlichen Demokratie auf alle diese Angriffe hat bereits Robert v. Mohl (s. o. S. 35) gegeben: Der Stimmberechtigte ist auch bei geheimer Abstimmung zur Äußerung seines politischen Willens aufgerufen; die Unmittelbarkeit des versammelten Volkes im Sinne Rousseaus kann auch durch öffentliche Abstimmung nicht hergestellt werden, und es ist besser, wenn der Bürger in geheimer Abstimmung seinen wahren Willen bekundet, als wenn er unter dem Druck der Öffentlichkeit sich zu etwas bekennt, was nicht seinem wahren Willen entspricht. 9. Nach dem Zusammenbruch der faschistischen Diktatur ist ganz Deutschland zum System der freien Wahlen und des geheimen Stimmrechts zurückgekehrt. Das entspricht den Zielen, die sich die Besatzungsmächte gesteckt hatten, wenn sie im Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945, Abschnitt I I I (Deutschland) unter A (die politischen Grundsätze) Ziffer 3 vereinbarten: „Die Ziele der Besatzung Deutschlands, von denen sich der Kontrollrat leiten lassen muß, sind: . . . I V . Vorbereitungen zur endgültigen Neugestaltung des deutschen politischen Lebens auf demokratischer Grundlage und zu einer eventuellen friedlichen Mitarbeit Deutschlands am internationalen l e b e n zu treffen."
So haben denn zunächst die neuen Landesverfassungen im Westen wie im Osten Deutschlands sich ausdrücklich zu Wahlfreiheit und Wahlgeheimnis bekannt. Schon die zeitlich erste Landesverfassung Württemberg-Badens vom 23. November 1946 erklärt in Art. 49 Abs. 3: ') Wesen und Werden des faschistischen Staates, Schmollers Jahrbuch, Bd. 53, S. 109, 1929.
42
ERWIN „ A l l e auf Wahlen
tirunil
JACOB:
dieser V e r f a s s u n g d u r c h das V o l k v o r z u n e h m e n d e n
und Abstimmungen
sind a l l g e m e i n , g l e i c h , u n m i t t e l b a r
und
geheim."
Die Verfassung Hessens vom 1. Dezember 1946 enthält in Art. 72 den dem Art. 125 W V entsprechenden Satz: und
,,Abstimmungsfreiheit
werden
Abstimmungsgeheimnis
gewähr-
leistet."
Die Verfassung des Freistaates Bayern vom 2. Dezember 1946 bestimmt in Art. 14 Abs. 1 Satz 1: „ D i e A b g e o r d n e t e n (des L a n d t a g s ) w e r d e n in a l l g e m e i n e r , g l e i c h e r , u n m i t t e l b a r e r u n d geheimer
Wahl
. . . gewählt."
In der Verfassung von Rheinland-Pfalz besagt Art. 76:
vom 18. Mai 1947
„ A l l e Volksabstimmungen (Wahlen, Volksbegehren, auf heim
und
frei."
Die Verfassung für Württemberg-Hohenzollern 1947 legt in Art. 22 Abs. 2 Satz 2 fest: „Abstimmung und
Volksentscheid)
G r u n d dieser V e r f a s s u n g sind a l l g e m e i n , g l e i c h , u n m i t t e l b a r , ge-
vom 20. Mai
u n d W a h l geschehen a l l g e m e i n , g l e i c h ,
unmittelbar
geheim."
D i e Landesverfassung
der Freien
Hansestadt
Bremen
vom
21. Oktober 1947 erklärt in Art. 69 Abs. 2: „ D i e Abstimmung m i t t e l b a r u n d geheim
( b e i m V o l k s e n t s c h e i d ) ist a l l g e m e i n , g l e i c h , un..."
und in Art. 75 Abs. 1: „ D i e B ü r g e r s c h a f t ( L a n d t a g ) b e s t e h t aus 100 M i t g l i e d e r n , die 4
J a h r e in
gewählt
allgemeiner, gleicher,
unmittelbarer
und
geheimer
auf
Wahl
werden."
Nicht anders aber heißt es in den Landesverfassungen der damaligen Sowjetischen Besatzungszone: Verfassung des Landes Thüringen vom 20. Dezember 1946, Art. 3 Abs. 5: „ D i e V o l k s v e r t r e t e r w e r d e n durch a l l t e m e i n e , g l e i c h e , geheime unmittelbare Wahlen
und
. . . gewählt."
Verfassung für die Mark Brandenburg vom 31. Januar 1947, Art. 6:
43
Freie Wahlen und geheime Abstimmung
..Die Staatsgewalt findet im Rahmen der Gesetze ihre Grenzen an den Grundrechten. Diese sind . . . Wahlfreiheit".
Art. 10 Abs. 1: „Der Landtag besteht aus den vom Volke gewählten Abgeordneten. Die Abgeordneten werden durch allgemeine, gleiche, geheime und unmittelbare Wahl . . . gewählt."
Verfassung des Landes Sachsen vom 28. F e b r u a r 1947, Art. 27 Abs. 2: „Die Abgeordneten (des Landtags) werden in allgemeiner, gleicher und geheimer und unmittelbarer Wahl . . . gewählt."
Art. 29 Abs. 1: „Wahlfreiheit
und Wahlgeheimnis
sind gewährleistet."
Dieselben Bestimmungen enthält die Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt vom 10. J a n u a r 1947 in Art. 25 Abs. 2 u n d Art. 27. Von entscheidender Bedeutung werden dann das Grundgesetz f ü r die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 und die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 7. Oktober 1949. Beide gewährleisten freie Wahlen und geheimes Stimmrecht. Das Grundgesetz für die Bundesrepublik bestimmt in Art. 38 Abs. 1 Satz 1: „Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl g e w ä h l t "
und in Art. 28 Abs. 1 Satz 2: „In den Ländern, Kreisen und Gemeinden muß das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist."
Die Verfassimg der Deutschen klärt in Art. 51 Satz 2:
Demokratischen
Republik
er-
„Die Abgeordneten werden in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer Wahl . . . gewählt",
dazu in Art. 54 Satz 2: ,,Wahlfreiheit
und Wahlgeheimnis
in Art. 109 Abs. 2:
werden gewährleistet",
44
ERWIN
JACOBI
„Die Volksvertretung (der Länder) muß in allgemeiner, gleicher, immittelbarer und geheimer Wahl . . . gewählt werden"
und in Art. 140 Abs. 3: „Wahlrecht und Wahlverfahren (für die Vertretungen der Gemeinden und Gemeindeverbände) richten sich nach den für die Wahl zur Volkskammer und zu den Landtagen geltenden Bestimmungen."
Die Verfassungsbestimmungen über freie Wahlen und geheime Abstimmungen sind durch die entsprechenden Wahlgesetze und Wahlordnungen näher durchgeführt worden. Die maßgebenden Gesetze für die Bundesrepublik sind: das vom Parlamentarischen R a t beschlossene Wahlgesetz für die Wahl des ersten Bundestages, der ersten Bundesversammlung und des ersten Bundespräsidenten vom 13. J u n i 19491) und das vom Bundestag beschlossene Wahlgesetz zum zweiten Bundestag und zur Bundesversammlung vom 8. Juli 19532) mit der Bundeswahlordnung vom 15. Juli 19533). F ü r das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik hatte schon die von der Sowjetischen Militäradministration Deutschlands bestätigte Wahlordnung für die Landtags- und Kreistagswahlen in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands vom 11. September 19464) gelegentlich der Regelung der Wahlhandlung durch §§38 bis 47 in §45 Abs. 1 Satz 4 erklärt: „Die Geheimhaltung der Wahl m u ß unbedingt gewährleistet sein."
Das Gesetz über die Wahlen zur Volkskammer, zu den Landtagen und Gemeindevertretungen in der Deutschen Demotra* tischen Republik am 15. Oktober 1950 vom 9. August 19505) >) Bundesgesetzblatt Nr. 2 v o m 15. Juni 1949, S. 2 ] . a
) B G B l . I, S. 470, besonders §§ 36, 40, 41.
') B G B l . I, S. 514, besonders §§ 35, 36, 41. 4 ) Verordnungsblatt der Provinzialverwaltung Mark Brandenburg 1946 Nr. 15, S. 3 2 3 f f . ; v g l . auch Gesetze, Befehle, Verordnungen,Bekanntmachungen veröffentlicht durch die Landesverwaltung Sachsen, 1946, Nr. 22, S. 417 ff.; Bekanntmachung des Präsidenten des Landes Thüringen v o m 16. September 1946, Regierungsblatt für das Land Thüringen, 1946, Nr. 23, S. 125 ff. ') GBl. der D D R ]950, S. 743.
Freie Wahlen und geheime Abstimmung
45
wiederholt in § 1 die Verfassungsbestimmungen über die allgemeine, gleiche, unmittelbare und geheime Wahl zur Volkskammer, zu den Landtagen, Kreistagen und Gemeindevertretungen, und die zu dem Gesetz erlassene Durchführungsbestimmung vom 10. August 1950 bringt in Ziffer 34 das Gebot der Wahlkabinen. Später heißt es in dem Gesetz über die Wahlen zur Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik am 17. Oktober 1954 vom 4. August 1954 1 ) in § 1: „Die Abgeordneten für die Volkskammer werden in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer "Wahl . . . gewählt",
die Wahlhandlung wird dem Prinzip der geheimen Wahl entsprechend in §§ 35 bis 40 geregelt, und die Erste Durchführungsbestimmung vom 9. August 19542) bringt in § 8 wieder die Vorschrift über die Wahlkabinen. Denselben Inhalt hat das Gesetz über die Wahlen zu den Bezirkstagen der Deutschen Demokratischen Republik vom 4. August 1954 3 ). 10. In der Zeit nach 1945 ist die schon früher theoretisch erörterte Frage 4 ) praktisch geworden, ob ein Verzieht des Wahlberechtigten auf das Wahlgeheimnis rechtlich zulässig ist. Carl Schmitt 5 ) erklärt, das heutige Wahl- und Abstimmungsgeheimnis sei „staatsrechtlich betrachtet überhaupt kein echtes Geheimnis", denn es stehe ,,im Ermessen des Wählers, dieses Geheimnis zu enthüllen und zu offenbaren", seine Wahrung sei „nur ein Recht, keine Pflicht des Staatsbürgers", der Einzelne könne zwar nicht auf den administrativ-technischen 1) GBl. der DDR 1954, S. 607 ff. 2) GBl. der DDR 1954, S. 715. 3) GBl. der DDR 1954, S. 672 ff. 4) Vgl. statt anderer Robert v. Mohl, Staatsrecht, Völkerrecht und Politik, Bd. 2, Tübingen 1862, S. 301, mit dem oben S. 35 angeführten Zitat; Martin Drath, Das Wahlprüfungsrecht bei der Reichstagswahl, Berlin 1927, S. 69, 70, 72, 73; Carl Schmitt, Verfassungslehre, München und Leipzig 1928, S. 246. 5) Verfassungslehre, S. 246.
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Apparat, der das Wahlgeheimnis schützt, verzichten, „aber nur, weil die Durchführung der gesetzlichen Bestimmungen über das Wahlgeheimnis Sache der Behörden und nicht Sache des Einzelnen ist". Hier ist verkannt, was beim geheimen Stimmrecht der bürgerlichen Demokratie geheim sein soll, nämlich wie der Stimmberechtigte tatsächlich abgestimmt hat. Das soll er allein und keine andere Person wissen, und das ist — auch staatsrechtlich betrachtet — ein echtes Geheimnis. Gewiß kann der Wähler vor wie nach der WTahl jedem mitteilen, wie er stimmen werde oder gestimmt habe, aber wie er tatsächlich abgestimmt hat, bleibt gleichwohl geheim, weder der Wähler noch ein Dritter kann nachweisen, ob die Mitteilung vom Inhalt seiner Abstimmung der Wahrheit entspricht oder nicht. Nur dieses Geheimnis, aber dieses unbedingt, ist zu sichern, wenn die Wahl oder Abstimmung im Sinne der bürgerlichen Demokratie „frei", d. h. unbeeinflußt von außen sein soll. Die Sicherung erfolgt durch den administrativ-technischen Apparat mit amtlichen Wahlzetteln, Wahlzelle, Wahlurne usw., und demgemäß kann der Wähler, wie auch Carl Schmitt anerkennt, auf diesen administrativ-technischen Apparat nicht verzichten: Er muß bei der Abstimmung die amtlichen Stimmzettel, die Wahlzelle und die Wahlurne benutzen, widrigenfalls er zur Abstimmung nicht zugelassen werden darf oder die abgegebene Stimme ungültig ist. Auf diesem Standpunkt steht schon Robert v. Mohl in seiner oben S. 35 wiedergegebenen Äußerung. Otto Mayer behandelt die Verpflichtung des Wählers zur Benutzung der WTahlzelle und erklärt ihre Erfüllung durch die der Polizei des Wahllokals dienenden Leute als ausreichend gesichert, meint aber, daß ihre Nichterfüllung, „sollte ein Wähler einmal durchschlüpfen", Rechtsnachteile nicht zur Folge habe 1 ); die allgemeine Unzu') Otto Mayer, Das Staatsrecht des Königreichs Sachsen, Tübingen 1909, S. 135, Anm. 20, behandelt das Sächsische Wahlgesetz für die Zweite Kammer der Ständeversimmlung vom 5. Mai 1909, das in § 23 dem Wähler vorschreibt,
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lässigkeit des Verzichts auf den administrativ-technischen Apparat wird von Martin Drath und unter Berufung auf ihn auch von Carl Schmitt vertreten 1 ). In der Gesetzgebung ist die Unzulässigkeit des Verzichts auf die technische Sicherung des Abstimmungsgeheimnisses besonders zum Ausdruck gebracht durch Vorschriften, wonach die Stimmzettel von Wählern, die den Sicherungen des Abstimmungsgeheimnisses zuwiderhandeln, von dem Wahlvorsteher zurückzuweisen und ungültig sind. Hier ist vor allem auf das Wahlreglement zur Reichstagswahl vom 28. Mai 1870 2 ) hinzuweisen; es zählt in § 19 die Fälle ungültiger Stimmzettel auf, darunter solche, die den Abstimmenden erkennbar machen; dazu bestimmt § 15 Abs. 3 in der nach Einführung der Stimmzellen geänderten Fassung vom 28. April 1903 3 ): „Stimmzettel, welche die Wähler nicht in dem abgestempelten Umschlag oder welche sie in einem mit einem Kennzeichen versehenen Umschlag abgeben wollen, hat der Wahlvorsteher zurückzuweisen, ebenso die Stimmzettel solcher Wähler, welche sich in den Nebenraum oder an den Nebentisch nicht begeben haben."
Inhaltlich gleiche oder ähnliche Vorschriften enthält die Reichswahlordnung vom 21. Dezember 1920 4 ) in § 54 Abs. 5 iind § 59 sowie die Reichsstimmordnung vom 14. März 1924°) in § 117 Abs. 2, 8, 9 und $ 123. Auch die Bundeswahlordnung vom 15. J u l i 1953 ( B G B l . I , S. 514) legt in § 42 Abs. 2 fest: „Stimmzettel, die außerhalb der Wahlzelle gekennzeichnet worden sind oder die nicht in einem amtlichen Wahlumschlag abgegeben Werrich in den „Nebenraum" oder an den „Nebentisch" zu begeben und hier seinen Stimmzettel unbeobachtet in den amtlichen Umschlag zu stecken. Kr begründet seine Auffassung, daß eine Zuwiderhandlung gegen diese Verpflichtung keine Rechtsnachteile zur Folge habe, mit dem Fehlen einer entsprechenden Vorschrift. >) Vgl. die Belegstellen S. 46 Anm. 1. 2)
RGBl. RGBl. ') RGBl. ') RGBl. 3)
S. 275. S. 202. S. 217J. I, S. 173.
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Erwin -Jacom den oder denen ein deutlieh fühlbarer Gegenstand beigefügt ist, hat der Wahlvorsteher zurückzuweisen, ebenso Umschläge, die mit einem das Wahlgeheimnis offensichtlich gefährdenden Kennzeichen versehen sind."
Alles, was in den angeführten oder ähnlichen gesetzlichen Bestimmungen angeordnet ist, gilt in einer bürgerlichen Demokratie mit verfassungsmäßiger Gewährleistung Ton Wahlfreiheit und Abstimmungsgeheimnis auch ohne ausdrückliche Anerkennung durch Spezialvorschriften, denn es handelt sich um zwingende Folgerungen aus den verfassungsmäßig festgelegten Grundsätzen. Anfänglich, als die freien Wahlen ihre Spitze im wesentlichen nur gegen die Regierung richten, sind sie, wie oben dargelegt, mit offener Stimmabgabe verträglich. Als aber im Zuge der Entwicklung den Stimmberechtigten Freiheit von jeder Beeinflussung, sie komme, woher sie wolle, gewährleistet wird, damit der Stimmberechtigte nach seinem wahren Willen abstimmen könne, ist ausnahmslose Durchführung des Abstimmungsgeheimnisses eine unausweichliche Notwendigkeit. Auf Wahrung des Abstimmungsgeheimnisses h a t nicht nur der einzelne Abstimmende für seine Stimmabgabe ein Recht, das dann vielleicht verzichtbar wäre, sondern alle Stimmberechtigten können die Wahrung des Abstimmungsgeheimnisses für alle Abstimmungen verlangen, sonst würde sich doch der Inhalt der Abstimmung von außen beeinflussen lassen, indem ein Druck in der Richtung auf offene Abstimmung ausgeübt und damit gleichzeitig ein Schluß auf die Abstimmung derer ermöglicht würde, die auf die geheime Abstimmung nicht verzichten. Wenn einmal die Entscheidung für freie Wahlen und geheime Abstimmung im Sinne der bürgerlichen Demokratie gefallen ist, kann der Verzicht einzelner Stimmberechtigter auf das Abstimmungsgeheimnis nicht mehr als rechtlich zulässig anerkannt werden. Das wird durch den von der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik am 9. Jamiar 1952 angenommenen
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Gesetzentwurf für die Durchführung gesamtdeutscher Wahlen 1 ) bestätigt. Er erklärt in § 9 Abs. 1: „Die Mitglieder der Deutschen N a t i o n a l v e r s a m m l u n g werden in freier, allgemeiner, gleicher, u n m i t t e l b a r e r und geheimer W a h l . . . gewählt."
und in § 31: „Das Wahlgeheimnis
wird gewährleistet."
Damit entscheidet sich der Entwurf für freie Wahlen und geheime Abstimmung im Sinne der bürgerlichen Demokratie und zieht daraus mit erfreulicher Deutlichkeit die Konsequenzen: § 32. „ G e w ä h l t wird mit Stimmzetteln in a m t l i c h g e s t e m p e l t e n Umschlägen . . . " § 34. „Die Kennzeichnungen des Stimmzettels durch den W ä h l e r erfolgen in einem der Beobachtung d u r c h a n d e r e Personen entzogenen Teil des Wahllokals. Vor den Augen des W a h l a u s schusses legt der W ä h l e r seinen Stimmzettel in einem Umschlag in die W a h l u r n e . " § 35. „ E i n Verzicht auf diese Vorschriften ist unzulässig. J e d e r Verstoß macht den gesamten W a h l a k t des Stimmbezirks u n g ü l t i g . "
Entsprechend bestimmt der vom Deutschen Bundestag am 6. Februar 1952 angenommene Entwurf eines Gesetzes über die Grundsätze für die Freie Wahl einer Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung 2 ) in Artikel I: ,,(1)
(2)
(1) (2)
In den vier B e s a t z u n g z o n e n Deutschlands u n d in Berlin finden am . . . freie, geheime, allgemeine, gleiche u n d u n m i t t e l b a r e Wahlen zu einer Verfassunggebenden N a t i o n a l v e r s a m m l u n g . . . statt. Die Wahl wird nach den Vorschriften einer W a h l o r d n u n g durchg e f ü h r t , die folgende Bestimmung zu e n t h a l t e n h a t : . . . § 6 Das Wahlgeheimnis wird gewährleistet. Die Wahlzettel und ihre Umschläge sind f ü r alle Wahlberechtigten gleich und dürfen mit keinen Merkmalen versehen sein,
') Abgedruckt bei K a r l B i t t e l , Vom P o t s d a m e r Abkommen zur Viermächte-Konferenz, Berlin 1953, S. 110 ff. *) Die B e m ü h u n g e n der Bundesrepublik um Wiederherstellung der Einheit Deutschlands durch gesamtdeutsche Wahlen, herausgegeben vom Bundesministerium f ü r gesamtdeutsche Fragen, 4. Aufl., 1953, S. 71 ff. 4
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(3) (4)
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die die Person des Wählers erkennen lassen. Die Kennzeichnung des Wahlzettels durch den Wähler erfolgt in einer Zelle des Wahllokals. Vor den Au^en des Wahl Vorstandes legt d e r Wähler seinen Wahlzettel in einem Umschlag in die Wahlurne. ... Ein Verzicht auf die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 ist unzulässig. Die internationalen Kontrollorgane können bei einem Verstoß gegen diese Vorschriften den gesamten Wahlakt des Stimmbezirks für ungültig erklären und die Wiederholung der Wahl anordnen."
Beide E n t w ü r f e ziehen aus den W a h l g r u n d s ä t z e n der bürgerlichen Demokratie die Konsequenz, daß jeder Verzicht auf das Abstimmungsgeheimnis rechtswidrig ist. Die einzige — nicht wesentliche — Verschiedenheit besteht darin, daß nach dem Entwurf der Bundesrepublik bei Verstoß gegen die das Wahlgeheimnis sichernden Bestimmungen eine Wiederholung der Wahl im ganzen Stimmbezirk nicht obligatorisch ist wie nach dem Entwurf der Deutschen Demokratischen Republik, sondern vom Ermessen des internationalen Kontrollorgans abhängig sein soll1). Gesetz sind die Entwürfe vi ich t geworden. Die Einigung auf freie Wahlen und geheime Abstimmung im Sinne der bürgerlichen Demokratie ist für die gesamtdeutschen Wahlen gescheitert.
') Hierzu Abendroth, Die öffentliche Verwaltung 1952, S. 40; Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs OS I 31/53 vom 24. April 1953 unter 2, Der Städtetag 1954, S. 119.
BERICHTE ÜBER DIE VERHANDLUNGEN DER SÄCHSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU LEIPZIG PHILOLOGISCH-HISTORISCHE KLASSE Band 97 H e f t 1 Prof. Dr. T H E O D O R F R I N G S , Antike u n d C h r i s t e n t u m a n d e r Wiege der d e u t s c h e n S p r a c h e . 36 Selten — 8° — 1949 (vergriffen) H e f t 2 Prof. Dr. F R I E D R I C H W E L L E R , Z u m m o n g o l i s c h e n T a n j u r 36 Selten — 8° — 1949 (vergriffen) H e f t 3 Prof. Dr. W A L T E R B A E T K E , Die Götterlehre der S n o r r a - E d d a Nachdruck — 68 Selten — 8° — 1952 — DM 6,30 H e f t 4 Prof. Dr. CARL BROCKELMANN, A b c s s i n i s c h e S t u d i e n 60 Seiten — 8° — 1950 (vergriffen) H e f t 5 Prof. Dr. W I L H E L M SCHUBART, Griechische literarische P a p y r i 108 Seiten — 8° — 1950 (vergriffen) H e f t 6 Prof. Dr. F R A N Z D O R N S E I F F , V e r s c h m ä h t e s zu Vergil, Horaz u n d Properz Nachdruck — 108 Seiten — 8° — 1951 (vergriffen) H e f t 7 Prof. Dr. W E R N E R K R A U S S , Altspanische D r u c k e i m B e s i t z der auQerspanischcn Bibliotheken 112 Seiten — 8° — 1951 (vergriffen) H e f t 8 Prof. Dr. MARTIN LINTZEL, Liebe76und T o d—bei8° Heinrich von Kleist Selten — 1950 (vergriffen) Band 98 H e f t 1 Prof. Dr. F R I E D R I C H ZUCKER, F r e u n d s c h a l t s b e w ü h r u n g in der neuen attischen Komödie. Ein Kapitel hellenistischer Ethik und Humanität 38 Selten — 8° — 1950 (vergriffen) H e f t 2 Prof. Dr. F R I E D R I C H B E H N , Vorgeschichtliche F e l s b i l d e r In K a r d i e n und W e s t - S i b i r i e n 16 Seiten — 4 Tafeln — 8° — 1950 (vergriffen) H e f t 3 Dr. JACOB JATZWAUK, S o r b i s c h e B i b l i o g r a p h i e , 2. Auflage X X und 500 Seiten — 8» — 1952 (vergriffen) H e f t 4 Prof. Dr. OTTO E I S S F E L D T , E l i m u g a r i t i s c h e n P a n t h e o n 84 Selten — 1 Tafel als Frontispicium — 8° — 1951 (vergriffen) H e f t 5 Prof. Dr. PAUL T H I E M E , Studien z u r i n d o g e r m a n i s c h e n W o r t kunde und B e l i g i o o s g e s c h i c h t e Nachdruck — 78 Seiten — 8° — 1952 — DM 9,50 H e f t 6 Prof. Dr. W A L T E R B A E T K E , Christliches L e h n g u t in d e r S a g a religion. D a s S v o l d r - P r o b l e m Nachdruck — 135 Seiten — 8° — 1952 — DM 5,50 Band 99 Heft 1 Heft 2 Heft 3
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