Frauenvollzug in Deutschland: Eine empirische Untersuchung vor dem Hintergrund der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze [1 ed.] 9783428535231, 9783428135233

Die vorliegende Studie hat die Handhabung des Strafvollzuges an Frauen in Deutschland zum Gegenstand. Im Mittelpunkt ste

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German Pages 927 Year 2011

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Frauenvollzug in Deutschland: Eine empirische Untersuchung vor dem Hintergrund der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze [1 ed.]
 9783428535231, 9783428135233

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Frauenvollzug in Deutschland Eine empirische Untersuchung vor dem Hintergrund der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze

Von Rita Haverkamp

Duncker & Humblot · Berlin

RITA HAVERKAMP

Frauenvollzug in Deutschland

STRAFRECHT UND KRIMINOLOGIE Untersuchungen und Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Freiburg im Breisgau begründet von Hans-Heinrich Jescheck (†) · Günther Kaiser (†) herausgegeben von Hans-Jörg Albrecht · Albin Eser · Ulrich Sieber

Band 18

Frauenvollzug in Deutschland Eine empirische Untersuchung vor dem Hintergrund der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze Von

Rita Haverkamp

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München hat diese Arbeit im Jahre 2010 als Habilitationsschrift angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2011 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: werksatz · Büro für Typografie und Buchgestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-6860 ISBN 978-3-428-13523-3 (Print) ISBN 978-3-428-53523-1 (E-Book) ISBN 978-3-428-83523-2 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 * ∞

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Für Florian und Jan Filip

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2010 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München als Habilitation angenommen. Sie berücksichtigt die einschlägige Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur bis zum Jahr 2008, teilweise bis 2010. Der Entstehungsprozess prägte einen unerwartet langen Lebensabschnitt: vom Beginn der Forschung im Dezember 2002 bis zur Drucklegung des Werkes vergingen fast neun Jahre. Mein aufrichtiger und herzlicher Dank gebührt meinem hoch verehrten Habilitationsvater, Prof. Dr. em. Heinz Schöch, für seine umsichtige und tatkräftige Unterstützung in all den Jahren. Sein unermüdliches Engagement und sein Vertrauen halfen mir insbesondere die Abschlussphase zu bewältigen. Frau Prof. Dr. Petra Wittig danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens. Dank schulde ich auch meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. em. Josef Kürzinger vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg, der mich zu Anfang mit seinem Rat und einem Gutachten unterstützte. Desgleichen gilt für Frau Dr. Dr. mult. h.c. Karin Cornils, die mich auch in der Endphase mit ihren wertvollen Ratschlägen begleitete. Den Direktoren des Max-Planck-Instituts, Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Jörg Albrecht und Herrn Prof. Dr. Dr. mult. h.c. Ulrich Sieber, bin ich für die Aufnahme meiner Arbeit in die Gelbe Reihe außerordentlich dankbar. Ohne die finanzielle Förderung durch mehrere Post-Doktorandinnen- und Habilitations-Stipendien des Hochschul- und Wissenschaftsprogramms (HWP) an der Ludwig-Maximilians-Universität München hätte ich die Arbeit nicht verwirklichen können. Mein Dank gilt u. a. der damaligen Frauenbeauftragten, Frau Prof. Dr. em. Ulla Mitzdorf, und der jetzigen Frauenbeauftragten, Frau Dr. Margot Weber. Überdies danke ich der Gustav-Radbruch-Stiftung für die finanzielle Unterstützung bei der Durchführung meiner Untersuchung. Ein empirisches Forschungsprojekt bedarf der Unterstützung durch zahlreiche Menschen und Institutionen, denen ich zu Dank verpflichtet bin. Zunächst bedanke ich mich bei den verantwortlichen Länderministerien und den beteiligten Justizvollzugsanstalten für ihre Mitwirkung an der Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland. In der Anfangsphase bin ich für die Unterstützung durch das Zentralamt für Strafvollzug und Bewährungshilfe sowie den früheren Leiter der Frauenanstalt Hinseberg in Schweden dankbar. Die Bestands-

8

Vorwort

aufnahme über den Frauenvollzug in Schweden gab wichtige Impulse für die Ausgestaltung der Arbeit. Besondere Erwähnung verdient die freundliche Aufnahme und die Bereitschaft zu Interviews während meines Forschungsbesuchs in der Frauenanstalt Färingsö nahe Stockholm. Erste Erfahrungen im Justizalltag sammelte ich in der JVA Frankfurt a. M. III Preungesheim auf Einladung des damaligen Leiters: Ihm und den Befragten bin ich zu herzlichem Dank verpflichtet. Großen Dank schulde ich vor allem den Interviewpartnerinnen und -partnern in den beiden Justizvollzugsanstalten Aichach und Willich II. Die Durchführung der Untersuchung wäre ohne die Unterstützung der früheren Leiterin der JVA Willich II und des früheren Leiters der JVA Aichach nicht möglich gewesen. Dafür möchte ich mich bei ihnen herzlich bedanken. Zudem verdanke ich der Pfarrerin der JVA Aichach wertvolle Inneneinsichten und Denkanstöße. Weiterhin stand mir Frau Sabine Riemer insbesondere bei der Organisation und Durchführung der Studie in der JVA Willich II zur Seite. Ihr Einsatz war eine wertwolle Hilfe für die Verwirklichung des Projekts. Bei der empirischen Auswertung unterstützte mich Peter Sutterer, Dozent an der Polizeifachschule in Fürstenfeldbruck. Die multivariaten Analysen überprüfte Herr Ludwig Stimpfle, Aktuar bei der Bayernversicherung, auf ihre Richtigkeit. Einen wichtigen Anteil am Gelingen haben auch meine früheren Kolleginnen und Kollegen am Lehrstuhl von Herrn Prof. Dr. em. Heinz Schöch. Für anregende Diskussionen, ihre Hilfsbereitschaft, ihre Ermunterung und die kritische Durchsicht großer Teile der Arbeit bin ich herzlich Frau Dr. Katrin Höffler, Frau Gundula Pabst, Herrn PD Dr. Johannes Kaspar und Herrn Tobias Pretsch verbunden. Frau Monika Askia sorgte mit Rat und Tat dafür, dass ich das nötige Durchhaltevermögen aufbrachte. Herrn Dr. Robert Englmann, Herrn PD Dr. Bert Götting und Herrn Daniel Park danke ich ebenfalls für die fachlich und menschlich wichtige Zeit am Lehrstuhl. In der letzten Phase der Habilitation trugen meine Kolleginnen und Kollegen am Max-Planck-Institut in Freiburg dazu bei, die Arbeit zu einem erfolgreichen Ende zu bringen. Für ihren Ansporn zum Durchhalten bedanke ich mich herzlich bei Frau Dr. Susanne Forster, Frau Dr. Carina Tetal, Frau Dr. Gunda Wössner und Herrn Harald Arnold. Besondere Dankbarkeit schulde ich meinem Ehemann Thorsten Franke-Haverkamp für sein durchgängiges Engagement und meinen beiden Jungen für ihre Geduld und Nachsicht. München, im Sommer 2011

Rita Haverkamp

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37

A.

Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37

B.

Ziel der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39

C.

Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40

Teil 1 Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze – ihre Bezüge und Auswirkungen

42

A.

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

B.

Der Schutz von Menschenrechten durch die Institutionen des Europarats . .

43

C.

Entstehungsgeschichte der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze . . . . . . . .

44

I.

Entwicklung der UN-Mindestgrundsätze zur Behandlung von Strafgefangenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44

II.

Die Entwicklung der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze . . . . . . . .

46

D.

Verhältnis zu den UN-Mindestgrundsätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48

E.

Zwecke und Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

I.

Präambel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

II.

Grundprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

III.

Leitung von Strafvollzugseinrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Aufnahme, Zuteilung, Einordnung, Auskunft, Aufbewahrung der Habe der Gefangenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unterbringung, Hygiene, Kleidung, Bettwäsche, Verpflegung . . . 3. Medizinische Versorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Disziplinarstrafen, Zwangsmittel, Beschwerden und Verlegung . 5. Verkehr mit der Außenwelt, religiöse und moralische Betreuung, Benachrichtigung in wichtigen Angelegenheiten . . . . . . . . . . . . .

51

IV.

Personal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

V.

Behandlungsziele und Vollzugsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Behandlungsziele und -formen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57 57

51 52 53 54 55

10

Inhaltsverzeichnis 2. 3. 4. 5.

Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiterbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sport, Bewegung und Erholung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entlassungsvorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58 59 59 59

Besondere Gruppierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

Die Revision von 2006 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

I.

Grundprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

II.

Haftbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

VI. F.

G.

H.

I.

A.

B.

III.

Empfehlungen für weibliche Gefangene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

IV.

Gesundheitsfürsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

V.

Gute Ordnung und Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

VI.

Leitung und Personal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

66

VII. Strafgefangene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67

VIII. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

Die Implementation der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze . . . . . . . . . .

70

I.

Die Rechtsnatur der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze . . . . . . . .

70

II.

Der Einfluss der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze . . . . . . . . . . .

71

Das Verhältnis zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) . . . .

73

I.

Die Bindungswirkung der EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

II.

Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Aufgaben des Gerichtshofes und Bindungswirkung von Urteilen 2. Die Rechtsprechung zur Behandlung von Strafgefangenen . . . . . a) Spruchpraxis zu Art. 3 EMRK in Bezug auf Haftbedingungen b) Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75 75 76 78 82

Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) . . . . . . . . . . . . . .

83

Teil 2 Kriminalität von Frauen

89

Erscheinungsbild von Frauenkriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

89

I.

Hellfeldkriminalität und Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

89

II.

Dunkelfeldkriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

102

Erklärungsansätze für die Kriminalität von Frauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

103

I.

Moderne biologische Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

103

II.

Persönlichkeitstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

105

III.

Soziologische und sozialpsychologische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . .

107

Inhaltsverzeichnis 1. 2. 3. 4. C.

11

„Ritterlichkeitsthese“ und / oder „Böse-Frau“-These . . . . . . . . . . 107 Feministische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Emanzipationstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Sozialisationstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

114

Teil 3 Statistische und kriminologische Erkenntnisse sowie der rechtliche Rahmen in Bezug auf weibliche Gefangene im Strafvollzug

116

A.

Weibliche Strafgefangene im Strafvollzug von 1965 bis 2010 . . . . . . . . . . .

116

B.

Besonderheiten von weiblichen Gefangenen im Strafvollzug . . . . . . . . . . . .

124

I.

Organisatorische Hemmnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

125

II.

Legal- und sozialbiografische Merkmale weiblicher Gefangenen . . . .

126

C.

Schädliche Prisonierungseffekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

128

D.

Behandlungsansätze für den Frauenstrafvollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

137

E.

Frauenspezifische Regelungen des Strafvollzugsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . .

142

I.

Gesundheitsfürsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

143

II.

Schwangerschaft und Entbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

145

III.

Mutter-Kind-Einrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

149

IV.

Durchsuchung von Gefangenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

153

V.

Grundsatz der Geschlechtertrennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

154

VI. F.

Belegungsobergrenze für Frauenanstalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

157

VII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

158

Das Bayerische Strafvollzugsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

159

I.

Die Vollzugsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

160

II.

Die Öffnung zur Außenwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

162

III.

Unterbringung im Haftraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

166

IV.

Beschäftigung und Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

167

V.

Gesundheitsfürsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

167

VI.

Freizeitgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

170

VII. Psycho-soziale Unterstützung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

170

VIII. Weibliche Gefangene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

172

IX.

Sicherheit und Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

173

X.

Beschwerde und Gefangenenmitverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

176

12

Inhaltsverzeichnis XI.

G.

A.

Aufbau der Justizvollzugsanstalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

176

XII. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

178

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

179

Teil 4 Methoden der Untersuchung

181

Stand der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

181

I.

Untersuchungen zu den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen . . . .

181

II.

Internationale und europäische Untersuchungen zum Frauenvollzug . 185 1. Studie zur Integration von Frauen und zum Gefängnis (Women Integration and Prison) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 2. Drogenkonsumentinnen im europäischen Strafvollzug (Female drug users in European Prisons) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188

III.

Studien zum Frauenvollzug in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Lebensentwicklung und Delinquenz von Insassinnen . . . . . . . . . . 2. Bestandsaufnahme im Frauenvollzug von Schleswig-Holstein und Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Eingeschlechtlichkeit im Strafvollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Bestandsaufnahme im Frauenvollzug in den alten und neuen Bundesländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Resozialisierung von weiblichen Gefangenen in der JVA Aichach 6. Resozialisierungsauftrag und Binnenorganisation in der JVA Frankfurt a. M. III . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von weiblichen Inhaftierten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Basisdokumentation im Frauenvollzug Niedersachsen . . . . . . . . .

192 194 195 197 198 199 200 200 203

B.

Fazit und Forschungsdefizite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

205

C.

Aufgabenstellung und Ziele der eigenen Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . .

207

I.

Verwirklichung des Regelwerks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

208

II.

Frauenvollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

209

III.

Resozialisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

211

Untersuchungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

213

I.

Implementationsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

213

II.

Erhebungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 1. Schriftliche Befragung zur Ist-Situation im Frauenstrafvollzug . . 214 2. Analyse von Gefangenenpersonalakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 3. Interviews mit Insassinnen und Vollzugsbediensteten . . . . . . . . . 216

D.

E.

F.

A.

B.

Inhaltsverzeichnis

13

Die Durchführung der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

220

I.

Erhebungszeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

220

II.

Die Interviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Auswahl der Interviewten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) In der JVA Willich II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) In der JVA Aichach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Interviewverlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) In Bezug auf die inhaftierten Frauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) In Bezug auf den allgemeinen Vollzugsdienst . . . . . . . . . . . . c) In Bezug auf die Fachdienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

221 222 222 223 224 224 226 227

III.

Gefangenenpersonalaktenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 1. In der JVA Willich II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 2. In der JVA Aichach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229

IV.

Schwierigkeiten bei der Auswahl und Durchführung . . . . . . . . . . . . .

V.

Beschreibung der Erhebungsanstalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 1. JVA Willich II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 2. JVA Aichach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233

230

Auswertung und Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

234

I.

Qualitative Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

234

II.

Statistische Auswertung und Analyseverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 1. Lineare Regressionsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 2. Binäre logistische Regressionsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237

Teil 5 Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland

239

Die Insassinnenpopulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

239

I.

Belegung am 31. März 2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

239

II.

Haftformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

241

III.

Vollzugsdauer der Freiheitsstrafen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

242

IV.

Nationale bzw. ethnische Zugehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

244

V.

Mütter mit ihren Kindern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

251

VI.

Geburten von Insassinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

253

VII. Hausfrauenfreigang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

255

Vollzugseinrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

257

I.

Vollzugsgemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

257

II.

Anstaltsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

259

14

Inhaltsverzeichnis III.

Gebäudetypen der befragten Justizvollzugsanstalten . . . . . . . . . . . . . .

260

Belegung im Frauenvollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

263

I.

Belegung und Haftkapazitäten in den Bundesländern . . . . . . . . . . . . .

263

II.

Geschlossener und offener Vollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

265

III.

Belegungsfähigkeit der Justizvollzugsanstalten . . . . . . . . . . . . . . . . . .

267

IV.

Überbelegung in rechtlicher Hinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

270

Unterbringung im Haftraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

272

I.

Einzel- und Gemeinschaftsunterbringung in den Bundesländern . . . .

272

II.

Einzel- und Gemeinschaftsunterbringung in den befragten Justizvollzugsanstalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275

III.

Belegung und Haftraumgröße bei gemeinsamer Unterbringung in den befragten Justizvollzugsanstalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278

IV.

Notgemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

282

Gesundheitsfürsorge in Justizvollzugsanstalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

284

I.

Allgemeinmedizinische Versorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

284

II.

Fachärztliche Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

287

III.

Physische und psychische Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

288

IV.

Stoffgebundene Abhängigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

292

F.

Verkehr mit der Außenwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

299

G.

Beschäftigungs- und Ausbildungssituation der Insassinnen . . . . . . . . . . . . .

301

C.

D.

E.

H.

I.

I.

Ausbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

301

II.

Fortbildungsprogramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

304

III.

Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

306

IV.

Schulbildung / Studium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

310

V.

Koedukation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

312

VI.

Freies Beschäftigungsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

313

VII. Arbeitsentgelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

315

VIII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

318

Soziale Unterstützung der Insassinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

321

I.

Religionsausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

321

II.

Soziale Betreuung in den Justizvollzugsanstalten . . . . . . . . . . . . . . . .

324

III.

Karitative bzw. kirchliche Verbände und Vereine, Ehrenamtliche, externe Fachdienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330

IV.

Frauenspezifische Angebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

332

V.

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

334

Die Personalsituation im Frauenvollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

336

Inhaltsverzeichnis

J.

K.

I.

Personalbestand im gehobenen und allgemeinen Vollzugsdienst, Werkdienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336

II.

Personalfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

342

Weiterentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

344

I.

Bauliche Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

344

II.

Perspektiven hinsichtlich Arbeit und Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

345

III.

Soziale Unterstützung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

346

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

347

I.

Überbelegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

347

II.

Insassinnenstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

349

III.

Ausbildung, Bildung und Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

350

IV.

Soziale Unterstützung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

351

V.

Personalsituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

353

Teil 6 Die Entlassenenjahrgänge der JVA Willich II und der JVA Aichach A.

15

355

Beschreibung der Stichprobe für die Auswertung der Gefangenenpersonalakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 I.

Alter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

356

II.

Nationalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

358

III.

Familiäre Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

361

IV.

Wohnsituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

364

V.

Schul- und Berufsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

366

VI.

Beschäftigungs- und Einkommenssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

373

VII. Krankheiten, Abhängigkeiten und andere Auffälligkeiten . . . . . . . . . .

377

VIII. Inhaftierungsgrund und Delinquenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Inhaftierung nach Deliktsgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Art der Freiheitsentziehung und Strafmaß bei Einweisungsstrafen 3. Dauer des Aufenthalts in einer Justizvollzugsanstalt . . . . . . . . . . 4. Urteilsauswertung hinsichtlich der Tatbegehung . . . . . . . . . . . . . . a) Schwerste Deliktsgruppe und Art der Strafe . . . . . . . . . . . . . b) Höhe der materiellen Schäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Geschädigte und Opfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Merkmale von besonders schweren Taten . . . . . . . . . . . . . . . e) Tatbegehung mit berauschenden Stoffen, Beschaffungskriminalität, Schuldfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

380 380 382 385 390 390 391 396 397 399

16

Inhaltsverzeichnis 5.

B.

Vorstrafenbelastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anzahl der Vorstrafen und Deliktsgruppen . . . . . . . . . . . . . . b) Beginn und Dauer der registrierten Kriminalität . . . . . . . . . .

402 402 408

Vollzugsverlauf und Vollzugsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

411

I.

Art der Unterbringung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

411

II.

Vollzugsplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

414

III.

Arbeitszuweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

419

IV.

Schul- und Ausbildungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

424

V.

Urlaub aus der Haft und Vollzugslockerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Urlaub aus der Haft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Freigang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Binäre logistische Regressionsanalyse zu Urlaub aus der Haft und Ausgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

428 428 434 440

VI.

C.

D.

441

Kommunikation mit der Außenwelt in der Anstalt . . . . . . . . . . . . . . .

446

VII. Sicherheit und Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sicherungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Disziplinarverstöße und -maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Disziplinarverstöße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Disziplinarmaßnahmen und andere Folgen . . . . . . . . . . . . . . . c) Lineare Regressionsanalyse zur Anzahl von Disziplinarmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Führung während des Vollzugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Disziplinarpraxis bezogen auf die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

452 452 454 454 464

Entlassungsvorbereitung und Entlassungssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

479

I.

Art der Entlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

480

II.

Binäre logistische Regression zur bedingten Entlassung . . . . . . . . . . .

489

III.

Entlassungshilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

492

IV.

Ausgangssituation nach der Entlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

496

V.

Entlassungsvorbereitung bezogen auf die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

471 474 479

504

Inhaltsverzeichnis

17

Teil 7 Auswertung der Interviews mit den Insassinnen

508

A.

Beschreibung der Interviewsituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

508

B.

Soziodemographischer und legalbiographischer Hintergrund der entlassenen Frauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509

C.

I.

Staatsangehörigkeit und Alter der Interviewten . . . . . . . . . . . . . . . . . .

509

II.

Wohnort und Wohnsituation vor Inhaftierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

509

III.

Familiäre Situation zum Zeitpunkt des Interviews . . . . . . . . . . . . . . . .

512

IV.

Schul- und Berufsausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

514

V.

Die Beschäftigungssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

516

VI.

Die wirtschaftliche Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

519

VII. Freizeitaktivitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

522

VIII. Erleben der Kindheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

523

IX.

Inhaftierungsgrund und Delinquenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

527

X.

Abhängigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

531

Vollzugsverlauf und Haftbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

533

I.

Untersuchungshaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

533

II.

Die 1. 2. 3.

Zugangsphase in die Erhebungsanstalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die körperliche Durchsuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Zugangsgespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Befinden während der Aufnahme und im Zeitpunkt des Interviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Erster Eindruck von der Erhebungsanstalt . . . . . . . . . . . . . . . . . .

536 536 538

III.

Die 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

545 545 548 549 554 556 559 565 566

IV.

Ausgestaltung des Vollzugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 568 1. Bildungs- und Arbeitssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 568 a) Schulische und berufsbildende Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . 568 b) Arbeit in der Justizvollzugsanstalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 572 2. Freizeitgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 574

Haftbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterbringung im Haftraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftraumkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rauschmittelkonsum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anstaltskleidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mittel für die Körperpflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verpflegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sauberkeit in der Anstalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einkauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

541 543

18

Inhaltsverzeichnis

3. 4.

5. D.

E.

a) Die ausgeübten Freizeitaktivitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Langeweile in der Anstalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vorschläge zu weiteren Freizeitaktivitäten . . . . . . . . . . . . . . . d) Gefangenenmitverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Disziplinarmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Öffnung zur Außenwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vollzugslockerungen und Hafturlaub . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Besuche innerhalb der Anstalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Schriftverkehr und Ferngespräche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Einfluss auf die Erziehung der Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . Selbständigkeit im Anstaltsalltag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

574 576 577 580 584 586 587 590 596 600 603

Seelische und körperliche Befindlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

608

I.

Zurechtkommen mit der Lebenssituation im Strafvollzug . . . . . . . . . .

608

II.

Gemütslagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

610

III.

Gesundheitliche Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

613

IV.

Positive und negative Seiten des Lebens im Strafvollzug . . . . . . . . . .

614

Atmosphäre im Vollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

617

I.

Verhältnis der Insassinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 618 1. Verhältnis untereinander . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 618 2. Persönliches Verhältnis zu den Insassinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . 620 3. Eingeschlechtlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 622 4. Einschüchterung und Bedrohung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 626

II.

Verhältnis zum allgemeinen Vollzugsdienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

III.

Verhältnis zu den Fachdiensten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 638 1. Medizinische Versorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 640 2. Soziale Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 644 3. Psychologische Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 648

630

F.

Entlassungsvorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

G.

Zukunftsperspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

654

I.

Pläne, Wünsche, Träume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

654

II.

Einzelfalldarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

656

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

662

H.

650

Inhaltsverzeichnis

19

Teil 8 Auswertung der Interviews mit dem Vollzugsstab

666

A.

Beschreibung der Interviewten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

666

B.

Basisdaten zur beruflichen Biografie und zum Berufsverständnis . . . . . . . .

666

C.

D.

I.

Die Anstaltsleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

667

II.

Die 1. 2. 3. 4. 5. 6.

668 668 670 672 673 674 678

III.

Der allgemeine Vollzugsdienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 679 1. Alter, Beschäftigungsdauer und Grund für Aufnahme des Berufs 679 2. Berufsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 680

IV.

Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

686

Arbeitsbedingungen und Arbeitszufriedenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

687

Fachdienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der medizinische Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der pädagogische Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der psychologische Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Seelsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der soziale Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die externe Suchtberatung in der JVA Aichach . . . . . . . . . . . . . .

I.

Die Anstaltsleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

687

II.

Die 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Fachdienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der medizinische Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der pädagogische Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der psychologische Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Seelsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der soziale Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die externe Suchtberatung in der JVA Aichach . . . . . . . . . . . . . .

692 692 694 696 699 701 704

III.

Der 1. 2. 3.

allgemeine Vollzugsdienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 707 Arbeitsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 707 Arbeitszufriedenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 709 Zusammenarbeit mit dem Vollzugsstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 714

IV.

Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

717

Die Besonderheiten des Frauenvollzuges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

720

I.

Die Anstaltsleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

720

II.

Die 1. 2. 3. 4.

723 723 724 724 725

Fachdienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der medizinische Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der pädagogische Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der psychologische Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Seelsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20

Inhaltsverzeichnis 5. 6.

E.

F.

G.

Der soziale Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die externe Suchtberatung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

726 728

III.

Der allgemeine Vollzugsdienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

729

IV.

Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

731

Zu den Haft- und Lebensbedingungen der Insassinnen . . . . . . . . . . . . . . . . .

733

I.

Die Anstaltsleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

733

II.

Die 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Fachdienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der medizinische Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der pädagogische Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der psychologische Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Seelsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der soziale Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die externe Suchtberatung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

738 738 740 742 745 747 751

III.

Der 1. 2. 3. 4.

allgemeine Vollzugsdienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterbringung und Essensqualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aus-, Fortbildung und Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Selbständigkeit der Insassinnen im Anstaltsalltag . . . . . . . . . . . . Eingeschlechtlichkeit im Strafvollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

753 753 755 759 760

IV.

Die 1. 2. 3.

Europäischen Strafvollzugsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterbringung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arbeit, Aus- und Schulbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Charakteristika von Insassinnen und Selbständigkeit im Anstaltsvollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Vollzugslockerungen, Hafturlaub und offener Vollzug . . . . . . . . .

761 761 762 764 765 767

Das Verhältnis zu den Insassinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

768

I.

Die Anstaltsleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

769

II.

Die 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Fachdienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der medizinische Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der psychologische Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Seelsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der pädagogische Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der soziale Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die externe Suchtberatung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

772 772 773 775 776 777 777

III.

Der allgemeine Vollzugsdienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zur Qualität des zwischenmenschlichen Kontaktes . . . . . . . . . . . 2. Insassinnengruppierungen mit besonderen Problemlagen . . . . . .

778 778 782

IV.

Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

785

Psychische Belastung des Vollzugsstabs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

786

Inhaltsverzeichnis

H.

I.

J.

Fachdienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der medizinische Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der pädagogische Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der psychologische Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Seelsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der soziale Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die externe Suchtberatung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21

I.

Die 1. 2. 3. 4. 5. 6.

787 787 788 788 789 789 790

II.

Der allgemeine Vollzugsdienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 790 1. Zur psychischen Belastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 790 2. Nachwirkungen der Arbeit ins Privatleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . 793

III.

Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

797

Erfolgserlebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

798

I.

Die Anstaltsleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

798

II.

Die 1. 2. 3. 4. 5.

Fachdienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der medizinische Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der pädagogische Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der psychologische Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Seelsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der soziale Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

798 798 799 799 800 801

III.

Der allgemeine Vollzugsdienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

802

IV.

Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

803

Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

804

I.

Die Anstaltsleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

804

II.

Die 1. 2. 3. 4. 5. 6.

806 806 807 809 810 810 811

Fachdienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der medizinische Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der pädagogische Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der psychologische Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Seelsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der soziale Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die externe Suchtberatung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

III.

Der allgemeine Vollzugsdienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

812

IV.

Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

815

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

817

22

Inhaltsverzeichnis

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

820

A.

Ergebnisse und Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

820

I.

Die Umsetzung der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze . . . . . . . . . 1. Die Haftbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Überbelegung und Unterbringung im Haftraum . . . . . . . . . . . b) Durchführung der Untersuchungshaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zugangsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Vollzugsplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Bekleidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Persönliche Körperpflege und anstaltsinterne Sauberkeit . . . . g) Ernährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Einkauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i) Freizeitgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesundheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Arbeit und Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Soziale Unterstützung und Entlassungsvorbereitung . . . . . . . . . . 5. Sicherheit und Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Körperliche Durchsuchung und Haftraumkontrolle . . . . . . . . b) Besondere Sicherungsmaßnahmen und Disziplinarverfahren 6. Öffnung zur Außenwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Besuche und andere Kommunikationsmöglichkeiten . . . . . . . b) Vollzugslockerungen und Hafturlaub . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der offene Vollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Frauenspezifische Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Berufsverständnis des Personals und Personalausstattung . . . . . .

820 821 821 822 823 823 824 824 825 825 826 827 828 829 831 831 832 833 833 835 835 836 837

II.

Besonderheiten des Frauenvollzugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Haftbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Subkultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kommunikationsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung . . . . . . . . . . . . . . 5. Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Passivität und Unselbständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Betäubungsmittelabhängige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Eingeschlechtlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Frauenspezifischer Vollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

839 840 840 841 842 843 843 844 845 846

III.

Resozialisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Resozialisierung im engeren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Selbständigkeit und Eigeninitiative in der Anstalt . . . . . . . . . b) Mitsprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

848 848 848 849

Inhaltsverzeichnis c) Soziale und medizinische Unterstützung . . . . . . . . . . . . . . . . d) Behandlungsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Privilegierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Positive Aspekte des Anstaltslebens für die Insassinnen . . . . g) Zufriedenheit des Personals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Resozialisierung im weiteren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

850 851 851 852 853 854

Besonderheiten im Anstaltsvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

855

2. IV. B.

C.

23

Über die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze hinausreichende Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 856 I.

Strategien zur Bewältigung der Überbelegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

II.

Frauenspezifische Resozialisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 857 1. Behandlungsvollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 857 2. Legalbewährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 858

856

Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

860

Fragebogen an die Länderjustizministerien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

862

Auswertungsbogen für die Gefangenenpersonalakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

870

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

886

Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

914

Tabellenverzeichnis Tab. 1: Weibliche Tatverdächtige in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

90

Tab. 2: Altersstruktur im Jahr 2006 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

Tab. 3: Straftaten(gruppen) mit einem relativ hohen weiblichen Anteil 2006 . . .

93

Tab. 4: Straftaten(gruppen) mit einem niedrigen weiblichen Anteil 2006 . . . . . .

95

Tab. 5: Abgeurteilte und weibliche Verurteilte 1975 – 2006 . . . . . . . . . . . . . . . . .

97

Tab. 6: Straftaten(gruppen) nach Abgeurteilten und Verurteilten 2006 mit Hauptstrafe nach allgemeinem Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

Tab. 7: Verurteilte nach Art der Entscheidung 2006 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Tab. 8: Weibliche Strafgefangene nach Art des Vollzugs jeweils am 31. März . . 117 Tab. 9: Weibliche Strafgefangene nach Altersgruppe jeweils am 31. März . . . . . 119 Tab. 10: Weibliche Strafgefangene nach Dauer der Freiheitsstrafe jeweils am 31. März . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 Tab. 11: Entlassene nach Entlassungsart von 1985 bis 2002 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 Tab. 12: (Weibliche) Entlassene nach Entlassungsart von 2002 –2006 . . . . . . . . . . 123 Tab. 13: Erhebungsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Tab. 14: Belegung in den einzelnen Bundesländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 Tab. 15: Haftformen am 31.03.03 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 Tab. 16: Dauer der Freiheitsstrafen am 31.03.2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Tab. 17: Deutsche und nichtdeutsche, weibliche Inhaftierte am 31.03.03 in den Bundesländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 Tab. 18: Deutsche und nichtdeutsche Inhaftierte am 31.03.2003 in Justizvollzugsanstalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 Tab. 19: Fremdsprachen (Grundkenntnisse) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 Tab. 20: Haftplätze für Mütter mit Kindern und Belegung am 31.03.2003 . . . . . . 252 Tab. 21: Geburten im Zeitraum vom 31.03.02 – 31.03.03 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 Tab. 22: Geburten im Zeitraum vom 31.03.02 – 31.03.03 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 Tab. 23: Hausfrauenfreigang in den Bundesländern und Freigängerinnen am 31.03. 03 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 Tab. 24: Vollzugsgemeinschaften 2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 Tab. 25: Gebäudetypen der befragten Justizvollzugsanstalten . . . . . . . . . . . . . . . . 261 Tab. 26: Belegung und Haftkapazitäten nach Bundesländern am 31.03.2003 . . . . 264 Tab. 27: Belegung im geschlossenen und offenen Vollzug nebst Haftplätzen am 31.03.2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266

Tabellenverzeichnis

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Tab. 28: Belegungsfähigkeit und Belegung am 31.3.2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 Tab. 29: Art der Unterbringung in den Bundesländern am 31.3.2003 . . . . . . . . . . 273 Tab. 30: Art der Unterbringung am 31.3.2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 Tab. 31: Belegung 2- / 3-Personen-Hafträume am 31.03.2003 . . . . . . . . . . . . . . . . 279 Tab. 32: Belegung 4-Personen-Hafträume am 31.03.2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 Tab. 33: Notgemeinschaften in Justizvollzugsanstalten am 31.3.2003 . . . . . . . . . . 283 Tab. 34: Sprechstunden für medizinische Versorgung durch einen Allgemeinarzt . 285 Tab. 35: Personalschlüssel Arzt / Pflegepersonal zu Patientinnen . . . . . . . . . . . . . . 287 Tab. 36: Fachärztliche Vorsorgeuntersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 Tab. 37: Häufige Infektionskrankheiten inhaftierter Frauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 Tab. 38: Häufige psycho-somatische und psychische Leiden inhaftierter Frauen . . 291 Tab. 39: Verbreitung stoffgebundener Abhängigkeiten 2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 Tab. 40: Infektionsprophylaxe in den Justizvollzugsanstalten . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 Tab. 41: Maßnahmen zur Rehabilitation in den Justizvollzugsanstalten . . . . . . . . . 296 Tab. 42: Internes und externes Fachpersonal in den Justizvollzugsanstalten . . . . . 298 Tab. 43: Besuchszeiten für Familie, Angehörige und Freund(inn)e(n) . . . . . . . . . . 300 Tab. 44: Ausbildungsplätze und Belegung im geschlossenen Vollzug am 31.03. 2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 Tab. 45: Bundesland bzw. JVA mit Computerlehrgängen am 31. März 2003 . . . . . 304 Tab. 46: Arbeit und Belegung in Eigen- und Unternehmerbetrieben am 31.03. 2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 Tab. 47: Hilfstätigkeiten und Arbeitstherapie am 31.03.2003 . . . . . . . . . . . . . . . . 309 Tab. 48: Erwerb von Schulabschlüssen am 31.01.03 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 Tab. 49: Koedukation in den Justizvollzugsanstalten am 31.01.03 . . . . . . . . . . . . 312 Tab. 50: Insassinnen in freien Beschäftigungsverhältnissen am 31.03.2003 . . . . . 314 Tab. 51: Monatliches Entgelt von weiblichen Gefangenen in den Bundesländern . 316 Tab. 52: Aus-, Weiter- und Schulbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 Tab. 53: Theolog(inn)en, Art der Beschäftigung und Personalschlüssel . . . . . . . . . 322 Tab. 54: Sozialarbeiter / innen, Art der Beschäftigung und Personalschlüssel . . . . 325 Tab. 55: Psychiater / innen, Psycholog(inn)en, Art der Beschäftigung und Personalschlüssel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 Tab. 56: Pädagog(inn)en, Art der Beschäftigung und Personalschlüssel . . . . . . . . 328 Tab. 57: Lehrer / innen, Art der Beschäftigung und Personalschlüssel . . . . . . . . . . 329 Tab. 58: Anzahl der ehrenamtlichen Mitarbeiter / innen bis 31.03.2003 . . . . . . . . 331 Tab. 59: Gehobener Vollzugsdienst, Art der Beschäftigung und Personalschlüssel

337

Tab. 60: Allgemeiner Vollzugsdienst, Art der Beschäftigung und Personalschlüssel

339

Tab. 61: Werkdienst, Art der Beschäftigung und Personalschlüssel . . . . . . . . . . . . 341 Tab. 62: Weibliche Gefangene zu Beginn und Ende der Strafzeit nach Altersgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357

26

Tabellenverzeichnis

Tab. 63: Schulabschluss nach Altersgruppen beim Haftantritt . . . . . . . . . . . . . . . . 367 Tab. 64: Berufsausbildung nach Altersgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 Tab. 65: Schwerste Deliktsgruppe als Einweisungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 Tab. 66: Art der Freiheitsentziehung als Einweisungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 Tab. 67: Mittelwert und Median der Einweisungsstrafen in Jahren . . . . . . . . . . . . 384 Tab. 68: Anzahl der Einweisungsstrafen von bis zu zwei Jahren . . . . . . . . . . . . . . 385 Tab. 69: Haftdauer in Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 Tab. 70: Formale und tatsächliche Haftdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 Tab. 71: Mittelwertsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 Tab. 72: Schwerste Deliktsgruppe des ausgewerteten Urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 Tab. 73: Art der vollstreckten Strafe des ausgewerteten Urteils . . . . . . . . . . . . . . . 391 Tab. 74: Höhe der materiellen Schäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 Tab. 75: Höhe der materiellen Schäden bei Diebstahl und Betrug nach PKS 2004, 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 Tab. 76: Tatbegehung unter Einfluss von Rauschmitteln und stoffgebundene Abhängigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 Tab. 77: Beschaffungskriminalität bezogen auf stoffgebundene Abhängigkeiten . . 400 Tab. 78: Schuldfähigkeit und Rauschmitteleinfluss bei Tatbegehung / stoffgebundene Abhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 Tab. 79: Schwerste Deliktsgruppe im Bundeszentralregister . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 Tab. 80: Vorstrafenbelastung nach 1. schwersten Einweisungsgrund . . . . . . . . . . . 404 Tab. 81: Vorstrafenbelastung nach formaler Haftdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 Tab. 82: BZR-Einträge von abhängigen und nicht abhängigen Frauen . . . . . . . . . . 406 Tab. 83: Vorstrafenbelastung im Vergleich Strafvollzugsstatistik 2005 und Stichprobe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 Tab. 84: Erstes schwerstes Einweisungsdelikt und Dauer der kriminellen Karriere

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Tab. 85: Formale Haftdauer und Dauer der kriminellen Karriere . . . . . . . . . . . . . . 410 Tab. 86: Unterbringung im geschlossenen und / oder offenen Vollzug . . . . . . . . . . 412 Tab. 87: Bedenken gegen Einzelunterbringung beim Zugang . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 Tab. 88: Behandlungsuntersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 Tab. 89: Vollzugsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 Tab. 90: Fortschreibung des Vollzugsplans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 Tab. 91: Umfang der Arbeitsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 Tab. 92: Arbeitszuweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 Tab. 93: Korrelationen zwischen tatsächlicher Haftdauer und Dauer vorübergehender Arbeitslosigkeit bezogen auf die Erhebungsanstalten . . . . . . . . . . . . . 422 Tab. 94: Gründe von Arbeitslosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 Tab. 95: Teilnahme an schulischer Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425

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Tab. 96: Teilnahme an beruflicher Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 Tab. 97: Zulassung zum Urlaub aus der Haft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 Tab. 98: Zulassung zum Urlaub nach geschlossenem und offenem Vollzug . . . . . 432 Tab. 99: Zulassung zum Hafturlaub nach Betäubungsmittelabhängigkeit und nach Anstalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 Tab. 100: Gewährung von Ausgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 Tab. 101: Gewährung von Ausgang nach geschlossenem und offenem Vollzug . . . 438 Tab. 102: Gewährung von Ausgang nach Betäubungsmittelabhängigkeit und nach Anstalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 Tab. 103: Zulassung zum Freigang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440 Tab. 104: Variablen im logistischen Regressionsmodell bezogen auf Urlaub . . . . . 442 Tab. 105: Chance auf Urlaubsgewährung an einem hypothetischen Fall . . . . . . . . 444 Tab. 106: Variablen im logistischen Regressionsmodell bezogen auf Ausgang . . . 444 Tab. 107: Chance auf Ausgangsgewährung an einem hypothetischen Fall . . . . . . . 445 Tab. 108: Private Besuche nach offenem und geschlossenem Vollzug . . . . . . . . . . 448 Tab. 109: Private Besuche nach tatsächlicher Haftdauer in der JVA Aichach und der JVA Willich II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 Tab. 110: Besondere Sicherungsmaßnahmen in der JVA Willich II . . . . . . . . . . . . 453 Tab. 111: Meldung(en) wegen eines bzw. mehrerer Pflichtverstöße . . . . . . . . . . . . 455 Tab. 112: Meldung(en) wegen eines bzw. mehrerer Pflichtverstöße nach Vollzugsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 Tab. 113: Meldung(en) wegen eines oder mehrerer Pflichtverstöße nach Altersgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 Tab. 114: Haftdauer in der Erhebungsanstalt und Meldung(en) wegen Pflichtverstoß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 Tab. 115: Anzahl der Pflichtverstöße nach Deliktsgruppen des 1. schweren Einweisungsgrundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 Tab. 116: Anzahl der Pflichtverstöße von Betäubungsmittelabhängigen . . . . . . . . 462 Tab. 117: Mittelwertvergleich der Disziplinarverstöße nach der besonderen Schwereeinschätzung der Tat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 Tab. 118: Anzahl der Maßnahmen bezogen auf den 1. schwersten Einweisungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468 Tab. 119: Anzahl der Maßnahmen nach Betäubungsmittelabhängigkeit . . . . . . . . 469 Tab. 120: Mittelwertvergleich der Reaktionen nach der besonderen Schwereeinschätzung der Tat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 Tab. 121: Zusammenfassende Statistiken zur Güte der Anpassung und zur Signifikanz der Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471 Tab. 122: Ergebnisparameter für das Kriterium „Anzahl von Disziplinarmaßnahmen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 Tab. 123: Führung während des Vollzugs nach Anstalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475

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Tab. 124: Führung während des Vollzugs nach Meldung(en) wegen Pflichtverstoßes 476 Tab. 125: Führung nach Haftdauer in der Erhebungsanstalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 Tab. 126: Führung während des Vollzugs nach Betäubungsmittelabhängigkeit . . . 478 Tab. 127: Art der Entlassung nach formaler Haftdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484 Tab. 128: Schwerste Deliktsgruppe nach Art der Entlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 Tab. 129: Art der Entlassung nach Betäubungsmittelabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . 486 Tab. 130: Art der Entlassung nach Dauer der kriminellen Karriere . . . . . . . . . . . . 487 Tab. 131: Art der Entlassung nach der besonderen Tatschwere . . . . . . . . . . . . . . . 489 Tab. 132: Variablen im logistischen Regressionsmodell bezogen auf die bedingte Entlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 Tab. 133: Chance auf eine bedingte Entlassung an einem hypothetischen Fall . . . 491 Tab. 134: Unterstützung bei der Wohnungssuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493 Tab. 135: Unterstützung bei der Arbeitssuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494 Tab. 136: Vermittlung an Strafentlassenenhilfe o.ä. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 Tab. 137: Schulden bei der Entlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497 Tab. 138: Vergleich der Angaben zur Schuldensituation der Entlassenen in den beiden Anstalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497 Tab. 139: Höhe der Schulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 498 Tab. 140: Hinweise auf Schuldenregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 Tab. 141: Entlassungsanschrift nach formaler Haftdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502 Tab. 142: Entlassungsanschrift nach Betäubungsmittelabhängigkeit . . . . . . . . . . . 503 Tab. 143: Alter nach Gruppen zurzeit des Interviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509 Tab. 144: Wohnregion vor der Inhaftierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510 Tab. 145: Wohnsituation und Einschätzung des Wohnstandards . . . . . . . . . . . . . . 512 Tab. 146: Familienstand und Mutterschaft zurzeit des Interviews . . . . . . . . . . . . . 513 Tab. 147: Zuletzt besuchte Schule und Schulabschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514 Tab. 148: Berufsausbildung oder Studium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515 Tab. 149: Tätigkeit im erlernten bzw. angelernten Beruf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516 Tab. 150: Art der Tätigkeit vor der Haft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517 Tab. 151: Einschätzung der wirtschaftlichen Situation vor der Haft und zurzeit des Interviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519 Tab. 152: Einschätzung der Schuldenhöhe und der gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 520 Tab. 153: Frühere und derzeitige Schuldenregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521 Tab. 154: Lebensmittelpunkt in der Kindheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524 Tab. 155: Beurteilung der Kindheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524 Tab. 156: Negative Lebensumstände in der Kindheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 526 Tab. 157: Deliktsgruppen nach schwerstem Einweisungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . 527

Tabellenverzeichnis Tab. 158: Länge der Freiheitsstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29 528

Tab. 159: Gesamthaftdauer bis zum Interview . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

528

Tab. 160: Gerechte Verurteilung und Angemessenheit der Strafe . . . . . . . . . . . . .

529

Tab. 161: Vorstrafen und vormalige Inhaftierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

531

Tab. 162: Art der stoffgebundenen Abhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

532

Tab. 163: Vergleichbarkeit von U-Haft und Strafhaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

533

Tab. 164: Einschätzung körperliche Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

537

Tab. 165: Wer führte das Zugangsgespräch? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

539

Tab. 166: Informationen beim Zugang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

539

Tab. 167: Informationsqualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

540

Tab. 168: Körperliche Konstitution der Interviewten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

542

Tab. 169: Eindruck von der Erhebungsanstalt beim Zugang . . . . . . . . . . . . . . . . .

544

Tab. 170: Art der Unterbringung nach Erhebungsanstalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

545

Tab. 171: Zahl der Mitbewohnerinnen und Verhältnis zueinander . . . . . . . . . . . .

546

Tab. 172: Versorgung mit Betäubungsmitteln nach Erhebungsanstalt . . . . . . . . .

550

Tab. 173: Drogenkonsumentin in Erhebungsanstalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

551

Tab. 174: Versorgung mit Alkohol nach Erhebungsanstalt . . . . . . . . . . . . . . . . . .

552

Tab. 175: Alkoholkonsumentin in Erhebungsanstalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

553

Tab. 176: Tragen von Anstaltskleidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

555

Tab. 177: Kosmetikartikel wie vor der Inhaftierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

556

Tab. 178: Gründe für eingeschränkten oder gar keinen Gebrauch . . . . . . . . . . . .

557

Tab. 179: Zufriedenheit mit den Mahlzeiten nach Erhebungsanstalt . . . . . . . . . .

559

Tab. 180: Beurteilung des Essens anhand von Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . .

561

Tab. 181: Vergleich zur gewohnten Essensqualität nach Erhebungsanstalt . . . . . .

562

Tab. 182: Selber Kochen in den Erhebungsanstalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

563

Tab. 183: Zufriedenheit mit der Sauberkeit in den Erhebungsanstalten . . . . . . . .

565

Tab. 184: Zufriedenheit mit dem Einkauf in den Erhebungsanstalten . . . . . . . . .

567

Tab. 185: Teilnahme an Bildungsmaßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

569

Tab. 186: Art der ersten Bildungsmaßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

571

Tab. 187: Beschäftigung in der JVA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

573

Tab. 188: Langeweile in der JVA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

577

Tab. 189: Beteiligung an Gefangenenmitverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

581

Tab. 190: Disziplinarmaßnahmen nach Erhebungsanstalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

584

Tab. 191: Gewährung von Vollzugslockerungen und / oder Hafturlaub . . . . . . . .

587

Tab. 192: Gewährung von Vollzugslockerungen und / oder Hafturlaub im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

588

Tab. 193: Besuche in den Erhebungsanstalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

590

30

Tabellenverzeichnis

Tab. 194: Verbesserungsvorschläge für Besuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

594

Tab. 195: Selbst Briefe schreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

597

Tab. 196: Briefe bekommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

598

Tab. 197: Einflussnahme auf Kindererziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

601

Tab. 198: Wunsch nach mehr Selbständigkeit im Vollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

603

Tab. 199: Zurechtkommen mit Anstaltsleben nach Erhebungsanstalt . . . . . . . . . .

609

Tab. 200: Gefühlszustände der Interviewten während ihrer Inhaftierung . . . . . . .

611

Tab. 201: Gesundheitliche Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

613

Tab. 202: Verhältnis zwischen den Insassinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

619

Tab. 203: Persönliches Verhältnis zu den Insassinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

621

Tab. 204: Schließen von guter Freundschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

621

Tab. 205: Kennen von Insassinnen vor der Inhaftierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

622

Tab. 206: Wunsch nach Kontakt zu Männern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

623

Tab. 207: Einschüchterung bzw. Bedrohung von Mitinsassinnen . . . . . . . . . . . . .

626

Tab. 208: Eigene Betroffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

628

Tab. 209: Verhältnis zwischen Insassinnen und allgemeinem Vollzugsdienst . . . .

631

Tab. 210: Persönliches Verhältnis zum allgemeinen Vollzugsdienst . . . . . . . . . . .

632

Tab. 211: Vertrauensperson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

634

Tab. 212: Angst vor Vollzugsbediensteten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

636

Tab. 213: Kontakt zu Fachdiensten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

638

Tab. 214: Arztbesuch wegen Gesundheitsbeschwerden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

641

Tab. 215: Zufriedenheit mit der medizinischen Versorgung . . . . . . . . . . . . . . . . .

641

Tab. 216: Zufriedenheit mit der Sozialarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

645

Tab. 217: Zufriedenheit mit dem psychologischen Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

649

Tab. 218: Entlassungsvorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

650

Tab. 219: Angst vor der Entlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

652

Tab. 220: Grund für die Ergreifung des Berufs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

680

Tab. 221: Wichtige Eigenschaften für den persönlichen Umgang mit den Insassinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 681 Tab. 222: Verteilung der Aufgaben während der Dienstzeiten (n=12) . . . . . . . . . .

709

Tab. 223: Negativfaktoren für die Arbeitszufriedenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

711

Tab. 224: Positivfaktoren für die Arbeitszufriedenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

714

Tab. 225: Beurteilung des Essens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

754

Tab. 226: Wichtige Eigenschaften der Insassinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

780

Tab. 227: Faktoren für ein gutes Verhältnis zu den Insassinnen . . . . . . . . . . . . . .

781

Tab. 228: Insassinnengruppen als besondere Herausforderung . . . . . . . . . . . . . . .

783

Tab. 229: Belastung durch Konfrontation mit Problemen der Insassinnen . . . . . .

791

Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Weibliche Gefangene nach Nationalitätsgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 Abb. 2: Aufenthaltsstatus bzw. -anlass der Nichtdeutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 Abb. 3: Familienstand der weiblichen Gefangenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 Abb. 4: Anzahl der Kinder der weiblichen Gefangenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 Abb. 5: Lebensmittelpunkt der Kinder bezogen auf die Mütter . . . . . . . . . . . . . . 364 Abb. 6: Wohnsituation zum Tatzeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 Abb. 7: Höchster allgemeinbildender Schulabschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 Abb. 8: Berufliche Ausbildung der Insassinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 Abb. 9: Berufsgruppe nach letzter ausgeübter Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 Abb. 10: Alter zum Zeitpunkt der Inhaftierung in Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 Abb. 11: Altersverteilung Frauen in Deutschland 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 Abb. 12: Beschäftigung zur Zeit der Tatausführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 Abb. 13: Arbeitsverhalten vor der Inhaftierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 Abb. 14: Höhe des letzten Nettoeinkommens pro Monat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 Abb. 15: Herkunft des Hauptanteils des Einkommens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 Abb. 16: Krankheiten und Auffälligkeiten der Insassinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 Abb. 17: Arten des Rauschmittelkonsums bei stoffgebundener Abhängigkeit . . . . 380 Abb. 18: Mittelwerte von U-Haft in Tagen bezogen auf Verlegungen . . . . . . . . . . 387 Abb. 19: Länge der Untersuchungshaft in Tagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 Abb. 20: Anzahl der Geschädigten je Verurteilter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 Abb. 21: Merkmale für eine besondere Schwere der Straftat . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 Abb. 22: Dauer der registrierten kriminellen Karriere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 Abb. 23: Dauer vorübergehender Arbeitslosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 Abb. 24: Dauer von Arbeitslosigkeit in Monaten während der tatsächlichen Haft in der Erhebungsanstalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 Abb. 25: Zulassung zum Hafturlaub nach Deliktsgruppen (1. Einweisungsgrund) und nach Anstalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 Abb. 26: Zulassung zum Urlaub nach der formalen Haftdauer in beiden Anstalten

431

Abb. 27: Gewährung von Ausgang nach Deliktsgruppen (1. Einweisungsgrund) und nach Anstalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436 Abb. 28: Gewährung von Ausgang nach der formalen Haftdauer in den Anstalten

437

Abb. 29: Private Besuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447

32

Abbildungsverzeichnis

Abb. 30: Förmliche und ehrenamtliche Besuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 Abb. 31: Mittelwert der Pflichtverstöße nach der tatsächlichen Haftdauer in der jeweiligen Anstalt (n=325) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 Abb. 32: Schuldhafte Pflichtverstöße nach Justizvollzugsanstalt . . . . . . . . . . . . . . 459 Abb. 33: Reaktion(en) auf einen bzw. mehrere Disziplinarverstöße nach Justizvollzugsanstalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 Abb. 34: Art der Entlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481 Abb. 35: Höhe der Strafreste in Monaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 482 Abb. 36: Mittelwerte der Strafreste in Monaten nach Entlassungsart . . . . . . . . . . . 483 Abb. 37: Entlassungsgeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 Abb. 38: Entlassungsanschrift der Insassinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 500 Abb. 39: Herkunft des Einkommens vor Inhaftierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 518 Abb. 40: Freizeitaktivitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522 Abb. 41: Freizeitaktivitäten während des Vollzugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575 Abb. 42: Tatsächliche Besucher / innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 591 Abb. 43: Gewünschte Besucher / innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 592 Abb. 44: Kontakt zu Fachdiensten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 639 Abb. 45: Besonderheiten des Frauenvollzugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 730 Abb. 46: Ergänzung des Aus- und Fortbildungsangebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 756 Abb. 47: Argumente gegen eine Ergänzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 757 Abb. 48: Gründe für wenig bzw. keine Kontakte zu Kolleg(inn)en . . . . . . . . . . . . 794 Abb. 49: Verbesserungen der persönlichen Arbeitssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . 813 Abb. 50: Verbesserung der Resozialisierungsperspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 814

Abkürzungsverzeichnis a. A. Abb. Abs. a.F. AG Aids AK-StVollzG Anm. Art. AT Aufl. AVD BAG-S BayStVollzG Bd. BewHi BGBl. BGH BGHSt BR-Drs. BT-Drs. BT-Plenarprotokoll BVerfG BVerfGE bzgl. bzw. d. h. DRiZ DVJJ-Journal Eds. Einl. EMRK EMRG

anderer Ansicht Abbildung Absatz alte Fassung Amtsgericht Alternativkommentar zum Strafvollzugsgesetz Anmerkung Artikel Allgemeiner Teil Auflage Allgemeiner Vollzugsdienst Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe Bayerisches Strafvollzugsgesetz Band Zeitschrift für Bewährungshilfe Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Bundesratsdrucksache Bundestagsdrucksache Bundestagsplenarprotokoll Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bezüglich beziehungsweise das heißt Deutsche Richterzeitung Journal der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfe Editors Einleitung Europäische Menschenrechtskonvention Europäischer Menschengerichtshof

34 etc. EU f., ff. Fn. FS GA gem. GG ggf. GS HIV Hrsg. J. JGG Jhg. JR JuS JVA JVA-Leiter JZ i.V. m. KA KAGS Kap. KKW KrimB KrimJ LG LK LT LT-Drs. M. MschrKrim m.w. N. NJW NK NKG-Tagung Nr. NStZ OLG RdBJ

Abkürzungsverzeichnis et cetera Europäische Union folgende, fortfolgende Fußnote Festschrift oder Forum Strafvollzug Goltdammer’s Archiv für Strafrecht gemäß Grundgesetz gegebenenfalls Gedächtnisschrift Humanes Immundefizienz-Virus Herausgeber Jahr / Jahre Jugendgerichtsgesetz Jahrgang Juristische Rundschau Juristische Schulung Justizvollzugsanstalt Justizvollzugsanstaltsleiter Juristische Zeitschrift in Verbindung mit Krankenabteilung Katholische Arbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe Kapitel Kleines Kriminologisches Wörterbuch Kriminologisches Bulletin Kriminologisches Journal Landgericht Leipziger Kommentar Landtag Landtagsdrucksache Monat / Monate Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform mit weiteren Nachweisen Neue Juristische Wochenschrift Neue Kriminalpolitik Tagung der Neuen Kriminologischen Gesellschaft Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht Oberlandesgericht Recht der Bildung und der Jugend

Abkürzungsverzeichnis Rn. S. s. SK SKF Sog. StGB StPO StV StVollzG Tab. u. a. U-Haft v. vgl. Vol. WsFPP ZaRa z. B. ZfStrVo ZJJ ZRP ZStW

Randnummer Seite siehe Systematischer Kommentar Sozialdienst Katholischer Frauen Sogenannt(e) Strafgesetzbuch Strafprozessordnung Strafverteidiger Strafvollzugsgesetz Tabelle unter anderem / und andere Untersuchungshaft vom vgl. Volume Forensische Psychiatrie und Psychotherapie Zusammen am Richtungswechsel arbeiten zum Beispiel Zeitschrift für Strafvollzug und Straffäligenhilfe Zeitschrift Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

35

Einleitung A. Ausgangspunkt Der Frauenstrafvollzug war lange Zeit in der Kriminologie ein vernachlässigtes Randphänomen auf nationaler und internationaler Ebene. Obwohl in jüngerer Zeit auf diesem Gebiet ein wachsendes Forschungsinteresse verzeichnet werden kann, ist insgesamt zu konstatieren, dass traditionell die männliche Delinquenz im Mittelpunkt des Forschungsinteresses steht. Diese auffallende Einseitigkeit beruht auf der ungleichen Kriminalitätsbelastung beider Geschlechter. Während Frauen in Deutschland 52 % der Bevölkerung ausmachen, liegt ihr Anteil an der Gesamtzahl der Straftatverdächtigen bei knapp einem Viertel. Dieser Anteil verringert sich im weiteren Verlauf des justiziellen Verfahrens bis hin zum Strafvollzug kontinuierlich. Im Strafvollzug liegt der Frauenanteil bei nur 5 %. Im neuen Jahrtausend richtet sich das wissenschaftliche Interesse verstärkt auf die Lebenssituation und die Haftbedingungen im Frauenvollzug. Nichtsdestotrotz gibt es nach wie vor wenige empirische Untersuchungen auf diesem Gebiet: Dies gilt vor allem für Forschung zur Implementation von internationalen und europäischen Regelwerken in der Vollzugspraxis. 1 Obgleich Regelwerken wie den hier untersuchten Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen nur Empfehlungscharakter zukommt, ist ihre Wirkung für Gesetzgebungsprozesse in den Mitgliedsländern des Europarates nicht zu unterschätzen. 2 Hierzulande hat das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil zum Jugendstrafvollzug vom 31. Mai 2006 3 zur Berücksichtigung von völkerrechtlichen Vorgaben und internationalen Standards nachdrücklich aufgefordert: 4 „Auf eine den grundrechtlichen Anforderungen nicht genügende Berücksichtigung vorhandener Erkenntnisse oder 1 Vgl. Zolondek (2007) zum Frauenvollzug im europäischen Vergleich mit Bezug zu den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen (näher Teil 5 A. I.); Kiessl (2001) zum Jugendvollzug in Südafrika anhand der Regelwerke zum Jugendstrafrecht der Vereinten Nationen. 2 Beispielsweise finden sich Einflüsse in einem Leitfaden für die Praxis des Frauenvollzugs in Schweden, in dem auf das Regelwerk Bezug genommen wird, vgl. „Principles for the Treatment of Women Sentenced to Imprisonment“, Schweden 2000; der Trennungsgrundsatz von Erwachsenen und Jugendlichen im stationären Vollzug wurde wegen der Konvention über die Rechte des Kindes, die jedoch einen rechtsverbindlicheren Charakter hat, ins schwedische Strafvollzugsgesetz aufgenommen, Haverkamp, in: Jugendstrafrecht in Europa 2002, S. 354. 3 2 BvR 1673/04 – 2 BvR 2402/04.

38

Einleitung

auf eine den grundrechtlichen Anforderungen nicht entsprechende Gewichtung der Belange der Inhaftierten kann es hindeuten, wenn völkerrechtliche Vorgaben oder internationale Standards mit Menschenrechtsbezug, wie sie in den im Rahmen der Vereinten Nationen oder von Organen des Europarates beschlossenen einschlägigen Richtlinien und Empfehlungen enthalten sind.“ Bedeutung dürften die komplett überarbeiteten Europäischen Strafvollzugsgrundsätze von 2006 nicht nur im Bereich der Gesetzgebung zum Jugendstrafvollzug entfalten, sondern auf dem Gebiet des gesamten Strafvollzugs. Denn die Föderalismusreform 5 führte zur Übertragung der entsprechenden Gesetzgebungskompetenz vom Bund auf die Bundesländer, so dass nach der Verabschiedung der Jugendstrafvollzugsgesetze in Zukunft eigene Landesgesetze zum Erwachsenenstrafvollzug zu erwarten sind und zum Teil 6 schon existieren. Auf den ersten Blick lassen sich schon grundsätzliche Divergenzen zwischen den Empfehlungen von 2006 und den bereits erlassenen Landesstrafvollzugsgesetzen in Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Hessen und Niedersachsen ausmachen. Während sich das alleinige Vollzugsziel auch im jüngsten Regelwerk auf die Resozialisierung 7 bezieht, kommt der Schutz der Allgemeinheit in den Landesgesetzen als gleichrangiges Vollzugsziel bzw. als gleichrangige Vollzugsaufgabe hinzu. Die ohnehin zu beobachtende Fokussierung auf Sicherheitsbelange bekommt hierdurch weiteren Auftrieb und könnte die restriktiven Tendenzen bei der Öffnung zur Außenwelt weiter verstärken. Diese Entwicklung würde nicht nur den Männervollzug, sondern auch den Frauenvollzug betreffen. Bereits seit Jahrzehnten wurde dort immer wieder das überzogene Sicherheitsdenken beklagt, weil bekanntermaßen inhaftierte Frauen im Vergleich zu inhaftierten Männern wesentlich seltener aus dem Vollzug entweichen oder bei Vollzugslockerungen flüchten. 8 Die Aufwertung des Schutzes der Allgemeinheit deutet an, dass im Frauenvollzug noch stärker äußere und innere Sicherheitsvorkehrungen zu Lasten der Aufrechterhaltung von extramuralen sozialen und familiären Bindungen, insbesondere der Mutter-Kind-Beziehung, befördert werden könnten. Dennoch bleibt zunächst abzuwarten, ob den Bundesländern eine 4

Hierzu auch Sonnen, RdJB 2007, S. 138 und Pollähne, StV 2007, S. 553, nach denen der Grad der Verbindlichkeit von internationalen Menschenrechtsstandards erheblich erhöht wird. 5 Zur heftigen Kritik an der Kompetenzverlagerung im Strafvollzug, vgl. u. a. Cornel, NK 2005, S. 42 f.; Müller-Dietz, ZfStrVo 2005, S. 38 ff. 6 Zum BayStVollzG vgl. Teil 4 F. 7 Grundsatz 102.1: „... ist der Vollzug für Strafgefangene so auszugestalten, dass sie fähig werden, in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen.“ 8 Bereits der preußische „Generalplan zur Einführung einer besseren Kriminalgerichtsverfassung und zur Verbesserung der Gefängnis- und Strafanstalten“ vom 16. September 1804 sah für weibliche Gefangene herabgesetzte Sicherheitsvorkehrungen gegen das Entfliehen vor; nach Obermöller (2000), S. 19.

B. Ziel der Untersuchung

39

wegweisende Funktion für die Vollzugszielbestimmung der Strafvollzugsgesetze in den anderen Bundesländern zukommt. 9

B. Ziel der Untersuchung Mit dem empirischen Forschungsprojekt wird die Handhabung des Strafvollzuges an Frauen in Deutschland analysiert und bewertet. Bezugsgrundlage sind die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze in der älteren Fassung von 1987 und in der Überarbeitung von 2006. Mit dem Implementationsansatz wird ein Ausschnitt der Vollzugspraxis erkundet. Im Zentrum steht vornehmlich die Lebenswelt von weiblichen Erwachsenen, die im geschlossenen Vollzug eine Freiheitsstrafe verbüßen. Das Erkenntnisinteresse richtet sich darauf, ob und wie die europäischen Mindestgrundsätze für den Strafvollzug umgesetzt bzw. verwirklicht werden. In diesem Rahmen wird nicht nur untersucht, ob die Vollzugsziele und insbesondere frauenspezifische Bestimmungen des deutschen Strafvollzugsgesetzes mit den Empfehlungen des Regelwerks übereinstimmen. Vielmehr kommt es auf ihre tatsächliche Anwendung und Durchführung in der Praxis des Frauenvollzugs an. Dabei interessiert insbesondere die Umsetzung des Behandlungsvollzuges, der ein Leitprinzip der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze darstellt. 10 Zuerst wird daher eine allgemeine Bestandsaufnahme als notwendig erachtet, um den äußeren Vollzugsrahmen einzugrenzen. Im Anschluss geht es um das Innenleben am Beispiel zweier Justizvollzugsanstalten. Mit Hilfe der Dokumentenanalyse und der Befragung von Insassinnen und des Vollzugsstabs wird ein Einblick zu den Haftbedingungen, dem Vollzugsalltag und dem Anstaltsklima aus unterschiedlichen Perspektiven vermittelt. Vor dem Hintergrund der europäischen Mindestgrundsätze lässt sich hieraus ein vielschichtiges, wenngleich nicht repräsentatives Bild von der Zusammensetzung der Insassinnenpopulation, den Problemen und Möglichkeiten der Resozialisierung sowie der Anstaltsorganisation gewinnen. Mit der Arbeit werden mithin drei Hauptziele verfolgt. Zunächst interessiert, wie die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze im Frauenvollzug zur Anwendung kommen. Dann gilt es, die Besonderheiten des Frauenvollzugs darzulegen. Schließlich wird bezweckt, Chancen zur Resozialisierung mit Blick auf weibliche Spezifika aufzuzeigen. Dabei stellen sich folgende forschungsleitende Fragen: Was ist unter dem Begriff Frauenvollzug zu verstehen? Gibt es einen 9

Auf den befürchteten fortschreitenden „Wettbewerb der Schäbigkeit“ wird an dieser Stelle nicht näher eingegangen; vgl. ausführlich Dünkel / Schüler-Springorum, ZfStrVo 2006, 145 ff. 10 Nr. 3 der Grundprinzipien:1987, Nr. 102.1:2007.

40

Einleitung

Bedarf an weiteren frauenspezifischen Ergänzungen der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze? Welche Möglichkeiten und Hindernisse zur Resozialisierung bestehen derzeit im Behandlungsvollzug? Die deskriptive Darstellung und Interpretation der Befunde mündet in eine Stellungnahme darüber, ob und ggf. welche Ergänzungen der neuen Strafvollzugsgrundsätze sich für die Belange weiblicher Gefangener anbieten. Mit den gefundenen Ergebnissen und dem Regelwerk als Orientierungsmaßstab stellt sich schließlich die Frage nach Ansatzmöglichkeiten, um den Frauenvollzug in den Bundesländern weiterzuentwickeln.

C. Gang der Darstellung Im Mittelpunkt der Arbeit steht die Auswertung der empirischen Studie in den beiden Erhebungsanstalten, d. h. der JVA Aichach in Bayern und der JVA Willich II in Nordrhein-Westfalen. Da die Arbeit die Handhabung der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze im Frauenvollzug exemplarisch untersucht, werden im ersten Kapitel die Entstehungsgeschichte des Regelwerks, deren Bedeutung und Inhalte behandelt. In diesem Zusammenhang interessiert auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Behandlung von Strafgefangenen und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf dem Gebiet des Strafvollzugs. Das zweite Kapitel wendet sich dem Phänomen der Frauenkriminalität zu. Zunächst werden Daten aus den Kriminal- und Strafverfolgungsstatistiken analysiert. Anschließend wird ein Überblick zu den vielfältigen Erklärungsansätzen für die Kriminalität von Frauen gegeben. Im dritten Kapitel geht es um den Strafvollzug aus verschiedenen Perspektiven. Die Strafvollzugsstatistik gibt Aufschluss über die weibliche Gefangenenpopulation über drei Jahrzehnte hinweg. Die Darstellung erörtert die Art des Vollzugs, Altersgruppen, Dauer der Freiheitsstrafen und die Art der Entlassung. In diesem Kontext erfolgt auch ein Vergleich zur männlichen Gefangenenpopulation. Danach werden die in der bisherigen Forschung bekannten Besonderheiten des Frauenvollzuges angeführt. Hieran schließt sich eine Auseinandersetzung zu den Prisonierungseffekten unter Berücksichtigung weiblicher Spezifika an. Den schädlichen Folgen des Strafvollzugs versucht der Behandlungsvollzug zu begegnen. Seit den 1960er Jahren entstanden spezifische Behandlungsansätze im Frauenvollzug, die im Folgenden bis in die Gegenwart dargestellt werden. Im Anschluss werden die frauenspezifischen Regelungen des Strafvollzugsgesetzes von 1976 untersucht. Infolge der Föderalismusreform traten zum 1. Januar 2008 die ersten Landesstrafvollzugsgesetze in Bayern, Hamburg und Niedersachsen in

C. Gang der Darstellung

41

Kraft. Auch wenn bei Durchführung der Studie das bundeseinheitliche Strafvollzugsgesetz noch uneingeschränkte Geltung besaß, ist die zukünftige Entwicklung des Strafvollzuges als Ländersache von Interesse. Aus diesem Grund werden die rechtlichen Grundlagen des bayerischen Strafvollzugsgesetzes analysiert und im Lichte der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze betrachtet. Methodik und Durchführung der Studie werden im vierten Kapitel erläutert. Nachdem der Forschungsstand nebst Forschungsdefiziten erläutert wurde, folgt eine Darstellung von Zielsetzung, Konzeption, Erhebungszeitraum samt Ablauf sowie der Auswertung der erhobenen Daten aus dem qualitativen und quantitativen Forschungsdesign. Parallel dazu werden die beiden Erhebungsanstalten kurz beschrieben. Das fünfte Kapitel widmet sich der Bestandsaufnahme zum Frauenvollzug in Deutschland aus dem Jahr 2003, an der sich alle Landesjustizverwaltungen und alle angeschriebenen 18 Justizvollzugsanstalten beteiligten. Neben einzelnen Basisdaten zur weiblichen Gefangenenpopulation (z. B. Haftformen, Nationalität) werden vor allem die Belegungsdichte, die Gesundheitsfürsorge, die Beschäftigungs- und Bildungssituation und die Personalsituation beleuchtet. Den Schwerpunkt der Arbeit bilden die folgenden drei Kapitel, in denen die Ergebnisse der Datenerhebungen in der JVA Aichach und der JVA Willich II deskriptiv dargestellt und vor dem Hintergrund der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze analysiert werden. In Kapitel 6 werden die Befunde aus der Gefangenenaktenanalyse präsentiert. Im Zentrum stehen hier die Chancen der Entlassenen auf Teilhabe am Behandlungsvollzug. Neben soziodemografischen Basisdaten geht es um die Inanspruchnahme von beruflichen und schulischen Qualifikationen, die Gewährung von Vollzugslockerungen und Hafturlaub, den Verkehr mit der Außenwelt, die Disziplinarstrafenpraxis und die Entlassung. Im siebten Kapitel konzentriert sich die Darstellung auf die Resultate der Insassinnenbefragung. Es wurden Einschätzungen zur Lebenssituation vor der Inhaftierung und zum Erleben der Haft unter Einbeziehung der Haftbedingungen untersucht. Das achte Kapitel ist mit den unterschiedlichen Sichtweisen der Anstaltsleitung, der Angehörigen der Fachdienste sowie der Bediensteten des allgemeinen Vollzugsdienstes befasst. Im Mittelpunkt stehen sowohl die eigenen Arbeitsbedingungen als auch Bewertungen zu den Haftbedingungen und zum Behandlungsvollzug. Abschließend erfolgt im neunten Kapitel eine Zusammenschau der verschiedenen Bausteine der empirischen Studie, um Übereinstimmungen mit den gesetzlichen Vorgaben und den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen, aber auch Abweichungen hiervon festzustellen. Daraus lassen sich wiederum Anregungen zur Verbesserung des Frauenvollzugs und der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze ableiten.

Teil 1

Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze – ihre Bezüge und Auswirkungen A. Einleitung Die Behandlung von Strafgefangenen und die Ausgestaltung des Strafvollzuges betreffen einen besonders sensiblen Bereich zur Wahrung von Menschenwürde und Humanität unter staatlicher Obhut. Neben den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen und den UN-Mindeststandards für die Behandlung von Strafgefangenen enthalten eine Reihe von internationalen Abkommen, Vereinbarungen und Deklarationen wichtige Prinzipien und Menschenrechtsgarantien für Inhaftierte. In diesem Zusammenhang ist die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) nebst ihren Zusatzprotokollen aus dem Jahre 1950 von überragender Bedeutung und gehört seit 1952 in Deutschland als einfaches Gesetz zum innerstaatlichen Recht. Die Menschenrechtskonvention sieht nach Ausschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs eine Individualbeschwerde (Art. 34 EMRK) zur Durchsetzung der Menschenrechte (Art. 2 bis Art. 16 EMRK) vor. Kernvorschrift für den Umgang mit Inhaftierten ist das Folterverbot des Art. 3 EMRK. Der Internationale Pakt der Vereinten Nationen über bürgerliche und politische Rechte (IPbürgR) ergänzt seit seinem Inkrafttreten im Jahr 1976 den Katalog der EMRK um weitere Standards und Verfahrensrechte. 1987 kam das Europäische Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe mit detaillierten Verfahrensleitlinien hinzu, um die Einhaltung des Abkommens zu kontrollieren. Im Abschlussabkommen des Wiener KSZE 1-Folgetreffens von 1989 verpflichteten sich die ratifizierenden Staaten zur Gewährleistung eines menschlichen Umgangs mit Gefangenen unter Beachtung des Verhaltenskodexes der Vereinten Nationen für Vollzugsbeamte. Folter und andere Arten grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterliegen danach einem Verbot. Zur Prävention, aber auch zur Sanktionierung solcher Verhaltensweisen bedarf es effektiver Vorkehrungen auf gesetzlichem, administrativem, gerichtlichem und sonstigem Wege. 2 1

Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Es gibt noch die Europäische Konvention zur Auslieferung von verurteilten Personen sowie eine Reihe weiterer bilateraler Abkommen zur Auslieferung. 2

B. Der Schutz von Menschenrechten durch die Institutionen des Europarats

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B. Der Schutz von Menschenrechten durch die Institutionen des Europarats Der 1949 gegründete Europarat mit gegenwärtig 47 Mitgliedsstaaten ist die zentrale und älteste supranationale Institution zur Verwirklichung von Menschenrechtsgarantien in Europa. 3 Sein Sitz ist in Straßburg. Jedes Beitrittsland muss die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) ratifizieren. Die EMRK stellt somit unmittelbar geltendes Recht in allen Mitgliedsstaaten dar. Vornehmste Aufgabe des Europarats ist die Gewährleistung der Menschenrechte, der pluralistischen Demokratie und des Rechtsstaats. 4 Die verschiedenen Organe des Europarats wachen über 188 Konventionen und europäische Verträge mit Gesetzeskraft zu unterschiedlichen Themenkomplexen wie Menschenrechte, Verhütung von Folter, Bekämpfung organisierter Kriminalität, Datenschutz oder kulturelle Angelegenheiten. 5 Der Europarat besteht aus dem Ministerkomitee mit Sitz in Straßburg, dem 47 Außenminister der Mitgliedsländer bzw. deren Ständige Vertreter angehören. Das Ministerkomitee ist das Entscheidungsgremium des Europarates. Die parlamentarische Versammlung setzt sich aus 315 von den nationalen Parlamenten ernannten Mitgliedern 6 zusammen. Sie hat eine beratende Funktion und wählt den Europäischen Menschenrechtskommissar. 7 Das Generalsekretariat steht unter der Führung des auf fünf Jahre gewählten Generalsekretärs, der die Aktivitäten des Europarates leitet und koordiniert. Seit Mitte Oktober 1999 ist das neu geschaffene Amt eines Europäischen Menschenrechtskommissars besetzt. Sein Aufgabenfeld reicht von der Förderung von Menschenrechtsbewusstsein und -er3 Näher unter http://www.coe.int/aboutCoe/index.asp?page=nosObjectifs&l=de zuletzt abgerufen am 28. 02. 2011. 4 Auf einer Gipfelkonferenz im Oktober 1993 wurde das politische Mandat des Europarats um den Begriff der „demokratischen Sicherheit“ als Ergänzung zur militärischen Sicherheit erweitert. Der Europarat gilt nunmehr als „Hüter der demokratischen Sicherheit“ unter Beachtung der Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Weitere Zielsetzungen liegen darin, das Bewusstsein um die kulturelle Identität zu fördern, Lösungswege für die gesellschaftlichen Probleme zu finden und die demokratische Stabilität sicherzustellen. Bis auf die Verteidigung erstreckt sich das Tätigkeitsgebiet des Europarats auf alle Gesichtspunkte der europäischen Gesellschaft. 5 Es gibt Empfehlungen für die Regierungen über grundlegende Prinzipien in den Gebieten Recht, Gesundheit, Medien, Erziehung, Kultur und Sport. Für die Demokratisierung in Mittel- und Osteuropa führt der Europarat verschiedene technische Hilfsprogramme in den Bereichen Verwaltung, Justiz und Strafvollzug durch. Diesbezüglich kooperieren in finanzieller Hinsicht der Europarat und die Europäische Kommission in Brüssel miteinander. 6 Es kommen 315 Stellvertreter aus den 46 Mitgliedsländern hinzu; einen Beobachterstatus haben Kanada, der Vatikan, Japan, die Vereinigten Staaten und Mexiko inne. 7 Der Kongress der Gemeinden und Regionen Europas ist ein weiteres beratendes Organ und vertritt die Regional- und Kommunalbehörden.

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Teil 1: Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze

ziehung über die Offenlegung von Schwächen in Gesetzgebung und Praxis bis hin zum allgemeinen Engagement für die Einhaltung der Menschenrechte. Der 1989 eingerichtete Ausschuss zur Verhütung von Folter (CPT) befasst sich mit der Behandlung von Menschen im Freiheitsentzug und Verbesserungsmöglichkeiten für ihren Schutz auf der Grundlage der Europäischen Konvention zur Verhütung von Folter und unmenschlicher Behandlung oder Strafe. 8 Die sog. AntiFolter-Kommission besteht aus unabhängigen Experten und stattet Vollzugsanstalten der Vertragsstaaten in regelmäßigen Abständen Besuche ab. 9 In diesem Rahmen gibt die Anti-Folter-Kommission ggf. Empfehlungen zum Schutz vor weiteren menschenunwürdigen Vorkommnissen in den beobachteten Fällen ab. Im Laufe seiner Inspektionsbesuche in Gefängnissen der Mitgliedsstaaten des Europarats entwickelte der Ausschuss im Bereich der Haft eigene Standards, um Folter oder unmenschlicher bzw. erniedrigender Behandlung von Gefangenen entgegenzuwirken („Corpus of Standards“ oder „CPT-Standards“). 10

C. Entstehungsgeschichte der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze gingen aus den Mindestgrundsätzen der Vereinten Nationen zur Behandlung von Strafgefangenen hervor. Zunächst steht daher die Entwicklung der Mindestgrundsätze im Blickpunkt. 11 I. Entwicklung der UN-Mindestgrundsätze zur Behandlung von Strafgefangenen Die historischen Wurzeln der Mindestgrundsätze liegen in den internationalen Strafreformbewegungen, die Ende des 19. Jahrhunderts an Einfluss ge8

Die zahlreichen Aufgaben des Europarats nimmt eine Vielzahl weiterer Komitees und Organe wahr. 9 In Deutschland im Frauenvollzug: 1996 JVA Bützow und 2005 JVA Halle I unter www.cpt.coe.int abrufbar. In Österreich wurde der Menschenrechtsbeirat 1999 nach einem tragischen Unglücksfall eingerichtet; allerdings wurden entsprechend der Empfehlung des Antifolterkomitees vom Menschenrechtsbeirat 2000 sechs unabhängige nationale Haftprüfungs-Kommissionen geschaffen; Nowak, in: FS für Trechsel 2002, S. 57 ff. 10 Eine kurze Einführung gibt Lettau, ZfStrVo 2002, S. 196 ff.; Morgan / Evans (2003) bieten einen guten Überblick zur Tätigkeit und zu den Standards des Ausschusses zur Verhütung von Folter; Zolondek (2007), S. 90 ff. zum Frauenvollzug. 11 Zum historischen Hintergrund European Prison Rules 1987, S. 72 ff.; Gonsa, Menschenrechte im Strafvollzug 1998, S. 44 ff. und ders., Penelogical Information Bulletin 1994 – 1995, S. 24 ff.

C. Entstehungsgeschichte der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze

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wannen und internationale Versammlungen zu pönologischen Fragestellungen abhielten. 12 Wegweisend für die heutige Gestalt der Mindestgrundsätze war die Arbeit der Internationalen Strafvollzugskommission 13 von 1929 bis 1933, die methodisch innovativ regulierende Bedingungen durch einen Kode von Mindestgrundsätzen für die Behandlung von Strafgefangenen zu erfassen suchte. Auf internationaler Ebene stellte ihre Tätigkeit den ersten bedeutenden Schritt zur Schaffung von Mindestgrundsätzen dar. Diese Mindestgrundsätze empfahl die Versammlung des damaligen Völkerbundes den Regierungen in ihrer 15. Ordentlichen Sitzung im September 1934. Am 28. September 1935 verabschiedete die Versammlung des Völkerbunds auf ihrer 16. Ordentlichen Sitzung eine Resolution mit der Intention, die darin enthaltenen Mindestgrundsätze in allen Strafsystemen unabhängig von den legalen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen des jeweiligen Staates anzuwenden. Dieses Grundgefüge und der methodische Ansatz blieben bis in die Gegenwart erhalten, wenngleich die Formulierungen der Mindestgrundsätze aufgrund moderner Bedürfnisse und Debatten weiterentwickelt wurden. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es weltpolitisch zu einer Neuorientierung und sozialen Erneuerung. In diesem Kontext lag der Schwerpunkt der Vereinten Nationen auf Problemen der sozialen Ordnung und der Menschenrechte. Ein 1949 von den Vereinten Nationen berufenes Gremium von internationalen Strafrechtswissenschaftlern empfahl eine Überarbeitung der Mindestgrundsätze für die Behandlung von Strafgefangenen. Auf dem ersten UN-Kongress zur Verbrechensverhütung und Behandlung von Straftätern in Genf 14 wurde am 30. August 1955 die Resolution über die Mindestgrundsätze zur Behandlung von Strafgefangenen verabschiedet. Das Regelwerk wurde vom Wirtschafts- und Sozialrat 15 der Vereinten Nationen im Jahr 1957 gebilligt und empfohlen. Die Soziale Kommission des Rates verbreitete die Grundsätze und traf Vorkehrungen für eine Berichterstattung über Fortschritte an den Generalsekretär der Vereinten Nationen im Dreijahresrhythmus. In diesem Rahmen wurden die UN-Mindestgrundsätze auf den neuesten Stand gebracht und der Wortlaut aus der Zeit des Völkerbunds weiterentwickelt. Im Vergleich zur ursprünglichen Version des Völkerbunds erscheint der philosophische Anspruch der UN-Mindestgrundsätze von 1955 schwächer, da der 12 London (1872), Stockholm (1878), Rom (1885), St. Petersburg (1890), Paris (1895), Brüssel (1900), Budapest (1905) und Washington (1910). 13 International Penal and Penitentiary Commission (IPPC). 14 UN-Congress on the Prevention of Crime and the Treatment of Offenders. 15 Social Commission of the Economic and Social Council (ECOSOC): ECOSOC überwacht und koordiniert alle UNO-Aufgaben in den Bereichen Kultur, Wirtschaft, Gesundheit, Erziehung, soziale und humanitäre Angelegenheiten, vgl. Kiessl (2001), S. 8 f.

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Teil 1: Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze

Akzent auf den generellen „consensus“ 16 zeitgenössischen Denkens verlagert wurde. Seither sind die Mindestgrundsätze immer wieder Gegenstand von UN-Kongressen, auf denen zu ihrer Anwendung ermutigt und zu ihrer Ausdehnung in andere Bereiche von Haft aufgerufen wird. Auf dem sechsten UN-Kongress in Caracas, Venezuela, im Jahr 1980, konzentrierte sich die Aufmerksamkeit auf den Status und die Umsetzung der Mindestgrundsätze in den Mitgliedsstaaten. Zwar wurden Wert und Bedeutung der Mindestgrundsätze häufig hervorgehoben, doch kamen Zweifel an ihrer effektiven Implementation auf. Darüber hinaus wurden Wünsche nach einer modernen Revision des Regelwerkes vorgebracht, die aber auf geringen Widerhall stießen. Nur wenige Länder schenken den Mindestgrundsätzen hinreichende Beachtung. 17 In vielen Staaten steht ihrer Verwirklichung die Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Regierungen und mächtiger Lobbyisten entgegen. Obgleich die Befragungen der Vereinten Nationen zur Beachtung der Mindestgrundsätze Fortschritte bezüglich der Umsetzung von humanitären und rechtsstaatlichen Anliegen andeuten, muss berücksichtigt werden, dass die Beteiligung der Länder deutlich zurückgegangen ist (1975:62; 1990:45) und regierungsamtliche Informationen beschönigt werden. Gerade Defizite bei der menschenwürdigen Unterbringung in etwa der Hälfte der Länder weisen außerdem auf die desolate Wirtschaftslage in Entwicklungsstaaten hin. II. Die Entwicklung der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze Im Anschluss an die UN-Resolution über die Mindestgrundsätze zur Behandlung von Strafgefangenen verabschiedete das Ministerkomitee im Juni 1956 die Resolution (56) 13, um die Kooperation zwischen dem Europarat und den Vereinten Nationen durch eine formale Autorität und die Bereitstellung von Ressourcen zu fördern. 18 Im Anschluss daran wurde 1957 der Europäische Ausschuss für Strafrechtslenkung 19 geschaffen, der seither die Tätigkeiten des Europarates auf dem Gebiet des Strafvollzugs koordiniert. 1968 erhielt der Ausschuss die Einladung, den Wortlaut der UN-Mindeststandards über die Behandlung von Strafgefangenen zur Förderung ihrer wirksamen Anwendung in Europa an 16 Die Beschlussfassung aller UN-Organe (Generalversammlung, Gremien, Organisationen) und UN-Konferenzen basiert auf dem Consensus-Verfahren, nach dem über ein allseitiges Einverständnis für einen Schlusstext auf kleinstem gemeinsamen Nenner verhandelt wird, näher Kiessl (2001), S. 14. 17 Kaiser / Schöch, Strafvollzug, S. 107, § 5 Rn. 23. 18 European Prison Rules 1987, S. 73 ff. 19 European Committee on Crime Problems (CDPC).

C. Entstehungsgeschichte der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze

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die Bedürfnisse der zeitgenössischen Kriminalpolitik anzupassen. In der Folge verabschiedete der Europarat im Januar 1973 die Resolution (73) 5, d. h. die europäische Version der Mindestgrundsätze zur Behandlung von Strafgefangenen. Die Resolution enthielt die Empfehlung an die Mitgliedsstaaten, sich in Gesetzgebung und Praxis von den Strafvollzugsgrundsätzen leiten zu lassen und im Fünf-Jahres-Turnus Bericht an den Generalsekretär des Europarates über Implementationsfortschritte zu erstatten. Alle zwei Jahre sollte zudem eine Konferenz der Direktoren der Strafvollzugsverwaltungen der Mitgliedsstaaten stattfinden. Nach der Intention des Europarates trugen die Teilnehmer an diesen Treffen die Hauptverantwortung, um die Implementation und die Anwendung der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze zu erleichtern. 1978 wurde die erste Überprüfung im Fünf-Jahres-Turnus vorgenommen. Ein ausgewählter Expertenausschuss wurde zur Berichterstattung über die Implementation in den europäischen Strafvollzugssystemen eingesetzt. 1980 erschien der Bericht des Expertenkomitees. Aufgrund des Vorschlages des Expertenberichts wurde der Unterausschuss für strafvollzugliche Zusammenarbeit 20 eingerichtet. 1983 führte der Unterausschuss für strafvollzugliche Zusammenarbeit den zweiten Fünf-Jahres-Überblick durch. In diesem Rahmen stellte der Unterausschuss Nachforschungen bei den Strafvollzugsverwaltungen in einer Reihe von Mitgliedstaaten an, um den Fortgang der Implementation zu beobachten und Fortschritte auf bestimmten Gebieten festzustellen. Auf internationaler Ebene ist diese Tätigkeit als erster Schritt zur Erforschung der Anwendung der Mindestgrundsätze zu bewerten. In der Recommendation No. 914 (1981) über die soziale Situation von Strafgefangenen stimmte die parlamentarische Versammlung einer Revision der Mindestgrundsätze auf Vorschlag des Ausschusses für Strafrechtslenkung zu. Bei einem Treffen in Straßburg im Mai 1984 übertrug der Ausschuss für Strafrechtsfragen dem Unterausschuss für strafvollzugliche Zusammenarbeit die Vorbereitung einer überarbeiteten Fassung der Europäischen Mindestgrundsätze mit einem begleitenden, erklärenden Memorandum. 21 Als Grundlage für die Revision dienten die Berichterstattung aus den Jahren 1978 und 1980 sowie die Stellungnahmen von Mitgliedsstaaten zu den Vorschlägen. Wichtigste Zielsetzung war, die überarbeiteten Mindestgrundsätze mit dem sozialen Hintergrund in Europa, der Entwicklung von zeitgenössischen Strafphilosophien und der wandelnden Strafvollzugspraxis in Einklang zu bringen. Am 12. Februar 1987 20 Committee for Cooperation in Prison Affairs (PC-R-CP) mit der Aufgabe, Politik und Interessen des Europarates zu den Mindestgrundsätzen zu vertreten und als Ansprechpartner zur Informationsweitergabe, als Ratgeber bei auftretenden Problemen, als Veranstalter der Konferenzen der Strafvollzugsdirektoren sowie als Herausgeber von Berichten und Informationen zu Vollzugsangelegenheiten zu dienen; vgl. zu den Ausschüssen und ihrer Tätigkeit Best, ZfStrVo 1997, S. 259 f. 21 European Prison Rules 1987, S. 84 ff.

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Teil 1: Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze

verabschiedete das Ministerkomitee die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze in der Recommendation No. (87) 3 mit erläuterndem Memorandum. Anfang des neuen Jahrtausends regte der Ausschuss für Strafrechtslenkung eine grundsätzliche Überarbeitung der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze an. 22 Als Gründe wurden angeführt: die erforderliche Harmonisierung mit jüngeren Empfehlungen auf dem Gebiet des Strafvollzuges, die wegweisende Arbeit des Komitees zur Verhütung von Folter („CPT-Standards“), die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte 23, das politische Interesse an Haftbedingungen - sowohl der parlamentarischen Versammlung des Europarates als auch des Parlamentes der EU – sowie die Erweiterung des Europarates um neue Mitgliedsstaaten aus Osteuropa. 24 Inhaltlich und sprachlich sollten detailliertere Standards mit einfachen und klaren Formulierungen das neue Regelwerk kennzeichnen. Das Ministerkomitee verabschiedete am 11. Januar 2006 die Empfehlung „Rec (2006) 2 on the European Prison Rules“, die die Version von 1987 ablöste.

D. Verhältnis zu den UN-Mindestgrundsätzen Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze stellen nicht nur eine europäische Fassung der UN-Mindeststandards zur Behandlung von Strafgefangenen dar, sondern eine eigenständige Weiterentwicklung. 25 Die UN-Mindeststandards umfassen 95 Grundsätze, die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze von 1987 100 und die von 2006 108 Grundsätze. 26 In den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen von 1987 und 2006 wurden sowohl neue Standards aufgenommen als auch UN-Mindestgrundsätze ausgenommen. 27 Aber auch die übernommenen UN-Mindeststandards wurden oft umfassend redigiert, wenn auch teilweise nur technisch verändert. In den UN-Mindeststandards und den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen von 1987 wird zu Beginn hervorgehoben, dass die Grundsätze kein bestimmtes 22

Bishop, Penelogical Information Bulletin, December 2003, S. 3 ff.; van Zyl Smit (2006), S. 9; der Ausschuss leitete die Angelegenheit an den Ausschuss zur Kooperation in Strafvollzugsangelegenheiten (PC-R-CP) weiter, der wiederum drei Experten (Andrew Coyle, Gerard de Jonge, Dirk van Zyl Smit) mit der Erstellung des Entwurfs betraute. 23 Entscheidung Kalashnikov gegen Russland v. 15. 7. 2002 (Reg.-Nr. 47095/99). 24 Dünkel / Morgenstern / Zolondek, NK 2006, S. 86; Koepsel, BewHi 2004, S. 340 ff. 25 Müller-Dietz (1994), S. 6. 26 Vgl. European Prison Rules 1987 und 2006. 27 Die Gegenüberstellung der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze und der UN-Mindeststandards in European Prison Rules 1987, S. 91 – 94 ist aufgrund von Änderungen veraltet und stimmt nur noch in Teilen mit den geltenden UN-Standards überein.

D. Verhältnis zu den UN-Mindestgrundsätzen

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Konzept für den stationären Strafvollzug repräsentieren. 28 Vielmehr sollen sie den Mitgliedstaaten Leitlinien und Impulse für eine menschenwürdige, rechtsund sozialstaatliche Vollzugsgestaltung geben. Inhaltlich korrespondieren die UN-Standards und die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze von 1987 weitgehend miteinander. 29 Unterschiede zeigen sich hauptsächlich im Aufbau 30, der Formulierung 31 und neu aufgenommenen Einzelregeln 32. Für weibliche Gefangene gibt es jedoch eine bedeutsame Abweichung in Bezug auf das Vollzugspersonal. Während Grundsatz 53 der UN-Mindeststandards im Frauenstrafvollzug ausschließlich die Beschäftigung von weiblichen Vollzugsbediensteten empfiehlt, befürwortet Grundsatz 62 der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze neben Frauen im Vollzugsdienst für Insassinnen auch die Tätigkeit von männlichen Vollzugsbeamten. Laut dem Memorandum zu den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen soll dieser Grundsatz zur Anstellung von Personal beiderlei Geschlechts in den Justizvollzugsanstalten ermutigen. Die Tätigkeit von Vollzugskräften beiderlei Geschlechts ist danach Ausdruck eines modernen Führungsstils und wird für die Behandlung der Insassinnen als Vorteil angesehen. 33 Diese Empfehlung beruht auf der Erkenntnis, dass die Eingeschlechtlichkeit in den Justizvollzugsanstalten die Ausnahmesituation des Freiheitsentzuges verstärkt. Im Gegensatz zum Gefängnis kennzeichnet die Außenwelt die selbstverständliche und alltägliche Begegnung mit dem anderen Geschlecht. Durch ihre Gegenwart könnten männliche Beamte im Frauenvollzug zu einer Normalisierung des Anstaltslebens und einer entspannteren Atmosphäre beitragen. Die Divergenz zwischen den beiden Grundsätzen eröffnet zunächst für die europäischen Mitgliedsländer die Möglichkeit, in den Justizvollzugsanstalten Vollzugskräfte auf Grundlage der jeweils genehmen Regel anzustellen. Aufgrund der Anerkennung der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze hat aber dieses Regelwerk für die Mitgliedstaaten des Europarats Vorrang gegenüber den UN-Mindeststandards. Maßstab für die Beschäftigung von Vollzugskräften ist damit Grundsatz 62 der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze, so dass auch im Frauenvollzug männliche Bedienstete beschäftigt werden sollten.

28

Neubacher, ZfStrVo 2001, S. 212; Calliess / Müller-Dietz (2005), Einleitung Rn. 48. Z. B. bei der Unterbringung, persönlicher Hygiene, Kleidung und Bettzeug, Verpflegung. 30 Beispielsweise bzgl. Bücherei: Grundsatz 40 der UN-Standards als eigene Überschrift und Grundsatz 82 der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze unter der Überschrift Weiterbildung. 31 Z. B. Behandlungsziele in Grundsätzen 58, 59, 66 der UN-Standards und in Grundsatz 3 der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze. 32 Hierunter fällt z. B. der neue Grundsatz 6 der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze zur Landessprache. 33 European Prison Rules 1987, S. 56. 29

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Teil 1: Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze

E. Zwecke und Aufbau Die Präambel der Strafvollzugsgrundsätze von 1987 behandelt die Zielsetzungen des Regelwerks. 34 Fünf Abschnitte enthalten insgesamt 100 Grundsätze: Grundprinzipien (Nr. 1 –6), Leitung von Strafvollzugseinrichtungen (Nr. 7 – 50), Personal (Nr. 51 – 64), Behandlungsziele und Vollzugsformen (Nr. 64 – 89) samt ergänzende Grundsätze für besondere Gefangenengruppierungen (Nr. 90 – 100). Das Memorandum erläutert die einzelnen Grundsätze. I. Präambel In den Strafvollzugsgrundsätzen kommt immer wieder das Bekenntnis zur Wahrung der Menschenwürde, zur Verpflichtung zu einer humanen und fördernden Behandlung, zur Bedeutung des Berufsbildes des Personals und zu einer effektiven, modernen Verwaltung zum Ausdruck. Das Regelwerk soll Mindestgrundsätze für all jene Bereiche des Strafvollzugs schaffen, in denen es um menschenwürdige Haftbedingungen und die Behandlung von Gefangenen in modernen und fortschrittlichen Systemen geht. 35 Auf Grundlage der Prinzipien „Zweckmäßigkeit“ und „Gerechtigkeit“ wird beabsichtigt, für Strafvollzugsverwaltungen Anreize zur Entwicklung von Leitlinien, Führungsstilen und bestmöglichen Praktiken zu geben. 36 Die Grundsätze sollen das Berufsverständnis des Vollzugspersonals positiv beeinflussen. 37 Schließlich sollen realisierbare Grundlagen geschaffen werden, um den Implementationsprozess voranzutreiben und die Messung weiterer Fortschritte zu beurteilen. 38 II. Grundprinzipien Die sechs grundlegenden Prinzipien enthalten Humanität, Achtung der Menschenwürde, soziale Ausrichtung nebst Leitung als zentrale Richtwerte und stellen damit das Fundament des philosophischen Anspruchs und den moralischen Kode des Regelwerks dar. 39 Leitlinie für die Durchführung des Strafvollzugs ist es, im Rahmen der materiellen und sittlichen Bedingungen die Achtung 34 Doleisch, ZfStroVo 1989, S. 35 ff. vergleicht einzelne Standards zwischen den Europäischen Mindestgrundsätzen für die Behandlung der Gefangenen von 1973 und dem Grundsatzwerk von 1987. 35 Präambel a. 36 Präambel b. 37 Präambel c. 38 Präambel d. 39 European Prison Rules 1987, S. 31.

E. Zwecke und Aufbau

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der Menschenwürde zu gewährleisten. 40 Daraus folgt ein Diskriminierungsverbot hinsichtlich Rasse, Hautfarbe, nationaler oder sozialer Herkunft, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung sowie wirtschaftlichem oder sonstigem Status. 41 Die Aufgabe während des Strafvollzuges geht über die Erhaltung der Gesundheit und Selbstachtung der inhaftierten Menschen hinaus. Bemühungen um Resozialisierung stehen im Vordergrund. 42 Um nach der Entlassung eine Rückkehr in die Gesellschaft zu ermöglichen, sollen sowohl hierfür erforderliche Fähigkeiten und Einstellungen als auch die Selbstverantwortlichkeit des Einzelnen gefördert werden. Die Strafvollzugsgrundsätze sollen dem Vollzugspersonal in seiner Muttersprache und den einheimischen und ausländischen Insassen / innen – so weit möglich – in ihrer Muttersprache zugänglich sein. 43 Zum Schutz der Individualrechte der Gefangenen sind nach nationalem Recht verankerte, von der Strafvollzugsverwaltung unabhängige Kontrollinstanzen notwendig, die vor allem die Rechtmäßigkeit des Vollzugs von freiheitsentziehenden Maßnahmen überprüfen. 44 Dabei sollen von einer kompetenten Behörde ernannte Kontrollbeauftragte regelmäßig Inspektionen von Vollzugsanstalten und -einrichtungen zur Feststellung vornehmen, ob und in welchem Ausmaß die Praxis den geltenden Gesetzen und Regelungen, den Zielsetzungen und den Anforderungen der Mindestgrundsätze entspricht. 45 III. Leitung von Strafvollzugseinrichtungen 1. Aufnahme, Zuteilung, Einordnung, Auskunft, Aufbewahrung der Habe der Gefangenen Nur eine gültige Einweisungsverfügung rechtfertigt die Aufnahme einer Person in eine Anstalt, wobei relevante Details der Verfügung und der Aufnahme unverzüglich niederzulegen sind. 46 Das Aufnahmeverfahren umfasst die vollständige und sichere Erfassung von Angaben zur Person, Einweisungsgründen, einweisender Behörde, Tag und Stunde der Aufnahme und der voraussichtlichen Entlassung. Nach dem Zugang ist für jeden Gefangenen mit einer Freiheitsstrafe von hinreichender Dauer baldigst ein Bericht über die persönlichen Verhältnisse und ein Vollzugsplan aufzustellen, die dem Leiter zur Kenntnis oder Genehmigung vorgelegt werden. 47 Unter Berücksichtigung der Vertraulichkeit sind Be40 41 42 43 44 45 46

Grundsatz Grundsatz Grundsatz Grundsatz Grundsatz Grundsatz Grundsatz

1. 2. 3. 6.1. und 6.2. 5. 4. 7.

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Teil 1: Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze

richte und personenbezogene Angaben gesondert aufzubewahren, nur befugte Personen dürfen Zugang zu den Akten haben. 48 Gegenstände, Wertsachen und Geld im Besitz der Gefangenen, die sie gemäß der Anstaltsordnung nicht behalten dürfen, werden verwahrt und in ein Verzeichnis aufgenommen. Bei ihrer Entlassung erhalten sie ihre Habe zurück. 49 Die Aufteilung von Gefangenen in verschiedene Anstalten oder Vollzugsformen richtet sich nach dem Stand des Gerichtsverfahrens und der rechtlichen Stellung (Untersuchungshäftling oder Strafgefangener, Erst- oder Wiederholungstäter, kurze oder lange Freiheitsstrafe), den besonderen Erfordernissen ihrer Behandlung, ihren medizinischen Bedürfnissen, ihrem Alter und ihrem Geschlecht. 50 Hieraus ergibt sich der anschließende Grundsatz der Trennung von männlichen und weiblichen Gefangenen. Danach ist im Regelfall eine getrennte Unterbringung vorgesehen, doch kann eine gemeinsame Teilnahme an Behandlungsprogrammen erfolgen. 51 Die Zuweisung bzw. Einordnung von Gefangenen dient dem Zweck, vollzugserfahrene oder schwierige bzw. gefährliche Gefangene von Vollzugsneulingen 52 zu trennen sowie die Betroffenen in einer ihren individuellen Bedürfnissen entsprechenden Anstalt 53 unterzubringen. Bei der Aufnahme ist den Gefangenen eine Niederschrift über die für sie gültigen Vollzugsvorschriften, die Disziplinarordnung, Beschwerdemöglichkeiten sowie ihre Rechte und Pflichten in der Anstalt auszuhändigen. 54 Analphabeten oder der Landessprache nicht mächtigen Personen ist eine mündliche Erläuterung zu erteilen. 2. Unterbringung, Hygiene, Kleidung, Bettwäsche, Verpflegung Die Befriedigung der Grundbedürfnisse „Sauberkeit, Ernährung, Kleidung und Unterbringung“ ist elementar für das seelische und körperliche Wohlbefinden der Betroffenen im stationären Strafvollzug. Die adäquate Unterkunft in einer gepflegten Umgebung soll in Bezug auf die Behandlungsziele eine positive 47

Grundsatz 10.1; diese Unterlagen enthalten zudem die Berichte des Arztes und des für den Betroffenen zuständigen Personals, Grundsatz 10.2. 48 Grundsatz 10.3. 49 Grundsatz 48. 50 Grundsatz 11.1. 51 Grundsatz 11.2. 52 Grundsatz 12.a. Trennung von Gefangenen, für die es vermutlich aufgrund ihrer Vorstrafen oder ihrer Persönlichkeit sinnvoll ist oder die einen schlechten Einfluss auf andere Insassen ausüben könnten; näher European Prison Rules 1987, S. 38 f. 53 Grundsatz 12.b. 54 Grundsatz 41.

E. Zwecke und Aufbau

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Atmosphäre unter Vollzugsbediensteten und Gefangenen erzeugen. 55 Dem ärztlichen Dienst oder einer zuständigen Behörde obliegt die regelmäßige Prüfung und Beratung der Leitung über die angemessenen Qualitäts- und Hygienestandards bzgl. der Unterbringung, Ernährung, Wasser, Bekleidung und Bettwäsche. 56 Die Grundsätze beinhalten detaillierte Regelungen zur Unterbringung hinsichtlich der Belüftung, den Lichtverhältnissen, der Sauberkeit, dem Raumklima sowie den Bade- und Duscheinrichtungen. 57 Der Zugang zu sanitären Anlagen muss den Gefangenen zur Verrichtung ihrer natürlichen Bedürfnisse gewährleistet sein. In der Regel nächtigen Gefangene in einer Einzelzelle, außer die gemeinschaftliche Unterbringung wird für sinnvoll erachtet. 58 Auf eine gepflegte Erscheinung und einen reinlichen Haftraum wird Wert gelegt, um einerseits die Würde und Selbstachtung zu wahren und andererseits die Behandlung zu fördern. 59 Als resozialisierende Maßnahme i. S.v. Normalität und Förderung des Selbstbewusstseins mag für inhaftierte Frauen das Tragen eigener Bekleidung in der Anstalt von Bedeutung sein. 60 Friseurdienstleistungen sollen soweit möglich zur Verfügung stehen, und ebenso sollen Gefangene Gelegenheit bekommen, Körperpflegeartikel ihrer Wahl zu besorgen. Im gleichförmigen Gefängnisalltag spielt die Verköstigung eine große Rolle. 61 Aus diesem Grund leisten wohlschmeckende Speisen einen Beitrag zu einer gewissen Zufriedenheit mit dem Dasein hinter Gittern. Neben der Zubereitung des Essens entsprechend der Ernährungslehre sollen die Mahlzeiten zu den üblichen Essenszeiten ausgeteilt werden. 62 Nach Möglichkeit sollen bei der Ernährung religiöse und kulturelle Gebote Berücksichtigung finden. 3. Medizinische Versorgung In den Strafvollzugsanstalten ist eine den Standards qualitativ entsprechende Gesundheitsfürsorge und ärztliche Behandlung zu gewährleisten. 63 Obligatorisch ist die Untersuchung von Neuzugängen auf körperliche und geistige Krankheiten. 64 Zugleich wird die Eignung für die Aufnahme einer Beschäftigung festge55 56 57 58 59 60 61 62 63 64

European Prison Rules Grundsatz 31.1. Grundsätze 14 – 19. Grundsatz 14.1. European Prison Rules European Prison Rules European Prison Rules Grundsatz 25. European Prison Rules Grundsatz 29.

1987, S. 39.

1987, S. 41. 1987, S. 41. 1987, S. 42 f. 1987, S. 43.

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Teil 1: Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze

stellt. Während des Vollzuges steht den Gefangenen eine medizinische Versorgung für alle ärztlichen, chirurgischen und psychiatrischen Behandlungsformen zu, die notwendig sind und ihre Resozialisierung nach der Entlassung fördern. 65 Der Situation von Gebärenden und Müttern mit Kleinkindern im Gefängnis gilt besondere Aufmerksamkeit. 66 Die Niederkunft soll – wenn möglich – in einem Krankenhaus außerhalb der Anstalt erfolgen. Findet eine Entbindung mangels auswärtiger Einrichtung doch in einer Vollzugsanstalt statt, so bedarf es dort des notwendigen Personals und adäquater Vorrichtungen für die Geburt und die Pflege des Neugeborenen. Zum Wohl des Kindes darf die Vollzugsanstalt als Geburtsort nicht in eine Geburtsurkunde aufgenommen werden. Leitgedanke für den Verbleib von Kindern bei ihren inhaftierten Müttern ist sowohl das Wohlergehen des Kindes als auch das der Mutter. 67 In diesem Bereich bedarf es besonders ausgewählter Vollzugsbediensteter mit einer auf diese Aufgabe zugeschnittenen Fortbildung. Unabhängig von unterschiedlichen Sichtweisen über die geeignete Altersgrenze von Kindern im Gefängnis besteht für die Leitung die Verpflichtung, für die Mütter die Voraussetzungen zur Pflege ihres Kindes und zur Entwicklung ihrer Beziehung zu schaffen. Im Vordergrund steht die Sorge um die Gesundheit, das Wachstum und die soziale, emotionale und intellektuelle Entwicklung des Kindes sowie die Unterstützung der Mutter. 4. Disziplinarstrafen, Zwangsmittel, Beschwerden und Verlegung Zu den sensibelsten Bereichen im Strafvollzug gehören die Aufrechterhaltung der Disziplin und – im Falle von Verfehlungen – die Verhängung von Disziplinarmaßnahmen. 68 Disziplinarstrafen dienen dem Zweck, die Sicherheit und Ordnung in Strafanstalten zu erhalten. Dabei ist sowohl die Menschenwürde des Gefangenen zu wahren als auch ein faires Verfahren einzuhalten. Die Strafvollzugsgrundsätze geben einen Rahmen für den Umgang mit Verstößen anhand von gesetzlichen Bestimmungen oder Verwaltungsvorschriften vor. 69 Einer Regelung bedürfen das als Disziplinarverstoß bezeichnete Verhalten, die zulässigen Disziplinarmaßnahmen nach Art und Dauer sowie das zuständige Disziplinarorgan samt Beschwerdeinstanz und -verfahren. Ein Disziplinarverfahren darf nicht ohne gesetzliche Grundlage und vorherige Unterrichtung des Betroffenen über die Verfehlung sowie seine etwaigen Verteidigungsmög65 66 67 68 69

Grundsatz 32. Grundsatz 28.1. Schwangere, Grundsatz 28.2. Kinder. European Prison Rules 1987, S. 45 f. European Prison Rules 1987, S. 47. Grundsätze 35 – 37.

E. Zwecke und Aufbau

55

lichkeiten durchgeführt werden. Zur Verteidigung können der Landessprache nicht mächtige Insassen einen Dolmetscher hinzuziehen. Hinsichtlich der mehrfachen Belangung wegen derselben Handlung besteht ein Doppelbestrafungsverbot. Einem uneingeschränkten Verbot unterliegen alle grausamen, unmenschlichen und erniedrigenden Strafen, körperliche Bestrafungen, Dunkelarrest und Kollektivstrafen. Im Unterschied hierzu dürfen Zwangsmittel wie Handfesseln, Zwangsjacken und andere Zwangsbehelfe bei Gefangenen in Ausnahmesituationen angewendet werden, um körperlichen Verletzungen wie Selbstmord, auch Flucht oder unzumutbaren Sachbeschädigungen vorzubeugen. 70 Solche Sicherungsmaßnahmen sind aufgrund einer gesetzlichen Grundlage nur während eines Transports, auf ärztliche Anweisung und Aufsicht oder auf Anordnung der Anstaltsleitung zulässig. 71 Bei einer Verlegung in eine oder aus einer Anstalt ist eine Stigmatisierung der Betroffenen in der Öffentlichkeit durch entsprechende Maßnahmen zu vermeiden. 72 Während des Transports dürfen die Gefangenen keinen unnötigen körperlichen Qualen durch schlechte Lüftung oder grelle Beleuchtung ausgesetzt werden. Ein jederzeitiges Beschwerde- oder Antragsrecht steht allen Gefangenen ohne Beisein der Leitung oder Vollzugsbediensteten zu. 73 Die diesbezüglichen Schreiben dürfen in einem verschlossenen Umschlag an die zentrale Vollzugsverwaltung, an Gerichte oder eine andere zuständige Behörde gesendet werden. Für die Adressaten besteht eine umgehende Bearbeitungs- und Beantwortungspflicht ohne unangemessene Verzögerung. Rechtsmittel gegen förmliche Entscheidungen werden in dem dafür bestimmten Verfahren eingelegt. 5. Verkehr mit der Außenwelt, religiöse und moralische Betreuung, Benachrichtigung in wichtigen Angelegenheiten Der Verkehr mit der Außenwelt soll für Gefangene Alltagsroutine darstellen und ein zentrales Merkmal im Informations- und Kommunikationssystem des Strafvollzugs sein. 74 Kontakte zur Familie und das Bedürfnis nach Informationen über das Leben außerhalb der Mauern bilden grundlegende Bestandteile der Zielsetzungen hinsichtlich Resozialisierung und Minimierung von Institutionalisierungswirkungen. Unter Berücksichtigung des Behandlungsgrundsatzes sowie 70 71 72 73 74

European Prison Rules 1987, S. 49. Grundsätze 39 – 40. Grundsatz 50. Grundsatz 42. European Prison Rules 1987, S. 50.

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Teil 1: Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze

von Sicherheit und Ordnung sollen familiäre und andere Kontakte und Besuche in Haft erlaubt sein. 75 Nach Prüfung oder Genehmigung der Verwaltung dürfen Gefangene verschiedene Medien nutzen, um sich über das Zeitgeschehen zu informieren. Dem Bedürfnis nach Religionsausübung bzw. nach Führung eines geistlichen oder sittlichen Lebens können die Gefangenen im Rahmen der tatsächlichen Durchführbarkeit nachkommen. 76 Hierzu gehören der Besuch von Gottesdiensten oder Treffen mit Religionsvertretern in der Anstalt sowie der Besitz entsprechender Lektüre. Die nächsten Angehörigen oder eine vom Gefangenen früher angegebene Person werden im Falle von Tod, ernster Erkrankung oder Verletzung eines Gefangenen sowie bei einer Verlegung in eine Anstalt zur Behandlung von Geisteskrankheiten oder Anomalien vom Anstaltsleiter verständigt. 77 Im Gegenzug ist der Gefangene bei seine Angehörigen betreffenden Ereignissen ebenfalls zu benachrichtigen und ggb. ist bewachter oder unbewachter Ausgang zu gewähren. Über die Inhaftierung oder die Verlegung in eine andere Anstalt dürfen die Gefangenen ihre Familie informieren. IV. Personal Dieser Abschnitt behandelt eigens das Berufsbild des Vollzugspersonals und betont damit die besondere Bedeutung einer Tätigkeit im Strafvollzug. Das ideale Berufsverständnis basiert auf einer gelebten ethischen Grundüberzeugung und einer hohen Berufskompetenz. Neben beruflichen Fähigkeiten und persönlicher Eignung hebt das Anforderungsprofil Rechtschaffenheit und Menschlichkeit als unerlässliche Einstellungsmerkmale hervor. 78 Während der Ausbildung sollen Kenntnisse über Inhalte und Anwendung der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze und der Europäischen Menschenrechtskonvention vermittelt werden. 79 In angemessenen Zeitabschnitten ist den Vollzugsbediensteten der Besuch von Fortbildungskursen zu ermöglichen, um ihre bisherigen Kenntnisse zu vertiefen und ihr berufliches Fachwissen auszubauen. 80 Die Einstellung und dauerhafte Anstellung von qualifiziertem Personal erfordert günstige Beschäftigungsbedingungen durch Verleihung des Beamtenstatus und eine angemessene Bezahlung. 81 Ihre 75 76 77 78 79 80 81

Grundsätze 43 – 45. Grundsätze 46 – 47. Grundsatz 49. Grundsatz 54. Grundsatz 55.4. Grundsatz 55.2. Grundsatz 54.2.

E. Zwecke und Aufbau

57

Tätigkeit verlangt Integrität und Pflichtbewusstsein, um den Gefangenen positive Impulse zu vermitteln und Achtung einzuflößen. 82 Zum in der Regel festangestellten Mitarbeiterstamm gehören Fachleute wie Psychiater, Psychologen, Sozialarbeiter, Lehrer, Werkmeister und Sportlehrer. 83 Es kommen bei Bedarf und sinnvoller Beschäftigungsmöglichkeit Teilzeitkräfte und Ehrenamtliche hinzu. Die Kooperation der verschiedenen Dienste zur Behandlung der Gefangenen bedarf der Einführung von Organisations- und Führungsstrukturen durch die Verwaltung, durch die der Informationsaustausch zwischen den unterschiedlichen Personalgruppierungen vereinfacht werden soll. 84 Die Anstaltsleitung muss ihre jederzeitige Erreichbarkeit und Verfügbarkeit gewährleisten und hat die Aufgabe, durch einen positiven Führungsstil die Mitarbeiter zur gewissenhaften Erledigung ihrer Arbeit zu motivieren und in ihnen das Streben nach mehr Menschlichkeit und Verbesserungen des Vollzugs zu wecken. 85 V. Behandlungsziele und Vollzugsgestaltung 1. Behandlungsziele und -formen Zunächst wird der Bestrafungszweck der Gefängnisstrafe, der Freiheitsentzug an sich, hervorgehoben. 86 Aus diesem Grund rechtfertigen die Haftbedingungen und Vollzugsformen keine zusätzlichen Leiden für die Gefangenen. Ausnahmen ergeben sich aus der Aufrechterhaltung der Disziplin oder bei gerechtfertigter Absonderung. Im Anschluss werden die grundlegenden Behandlungsziele dargelegt. 87 Die Vollzugsgestaltung hat im Einklang mit der Menschenwürde zu stehen und den allgemein anerkannten Gesellschaftsnormen zu entsprechen. Die schädlichen Wirkungen des Vollzugs sollen abgemildert werden. Es soll eine Angleichung der Lebensverhältnisse im Vollzug an das Leben in Freiheit erfolgen (Angleichungsgrundsatz). Kontakte zur Außenwelt sollen erhalten bleiben und gefördert werden. Den Gefangenen sollen Resozialisierungschancen durch Entwicklung ihrer Fähigkeiten und Kenntnisse geboten werden. Um diese Ziele zu erreichen, sollen die Gefangenen im Rahmen einer individuellen Behandlung alle bessernden, erzieherischen, sittlichen, seelsorgerischen und sonstigen Maßnahmen nutzen können. 88 Im stationären Vollzug 82 83 84 85 86 87

Grundsatz 56. Grundsatz 57. Grundsatz 59. Grundsätze 52, 58.3., 58.4. Grundsatz 64. European Prison Rules 1987, S. 58, Grundsatz 65.

58

Teil 1: Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze

soll deshalb ein umfassendes Förderungsangebot offen stehen. Neben Arbeitsmöglichkeiten, Berufsberatung und -ausbildung, sonstiger Bildung und Sport bedarf es Begleitmaßnahmen für die Psyche durch seelsorgerische Begleitung, Entwicklung von gesellschaftlichen Anpassungsmechanismen, Lebensberatung, Gruppenarbeit und Freizeitbeschäftigung. Dabei ist darauf Wert zu legen, Vorkehrungen zu treffen, die auf den Erhalt des Verkehrs zur Außenwelt zielen, um die Rückkehr in die Gesellschaft nach der Entlassung zu erleichtern. In diesem Zusammenhang sind Verfahrensweisen zur Aufstellung und Überprüfung individueller Behandlungs- und Ausbildungsprogramme für Gefangene erforderlich, in denen ausführliche Beratungen des zuständigen Personals mit den betroffenen Gefangenen stattfinden sollen. Erfolgsvoraussetzung ist ein offenes Klima im Strafvollzug unter Personal und Gefangenen. Unter Berücksichtigung von Sicherheit und Kontrolle ist die Unterbringung der Gefangenen in der für sie geeigneten Anstalt in diesem Zusammenhang von großer Bedeutung. Es ist eine Unterbringung in einer offenen Strafanstalt in der Nähe von Angehörigen anzustreben (Näheprinzip). 89 2. Arbeit Nach der ärztlichen Untersuchung können Strafgefangene zur Arbeit verpflichtet werden. 90 Ausbildungsberufe stehen den Gefangenen offen, für die eine Ausbildung nützlich wäre. Sinnvolle Beschäftigungsmöglichkeiten sollen für die Dauer eines gewöhnlichen Arbeitstages mit leistungsgerechter Entlohnung bereitstehen. 91 Tätigkeiten innerhalb der Strafanstalten sollen der herkömmlichen Arbeitswelt vergleichbare Arbeitsbedingungen aufweisen. 92 Auf diese Weise kann die Beschäftigung den Gefangenen helfen, nach der Entlassung eine ähnliche Tätigkeit aufzunehmen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. 93 Angemessene Bezahlung bedeutet für die Gefangenen unter anderem, einen Beitrag zur Unterstützung des Familienunterhalts leisten zu können oder einen Teilbetrag als Rücklage für die Zeit nach der Entlassung zu sparen. 94

88 89 90 91 92 93 94

Grundsatz 66. Grundsätze 67 – 69. Grundsatz 71 2. Grundsätze 71.3, 75, 76.1. Grundsatz 72.1. Grundsatz 71.4. Grundsatz 76.2 und 76.3.

E. Zwecke und Aufbau

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3. Weiterbildung Um die Rehabilitationsperspektive zu verbessern, ist ein umfassendes Bildungsangebot zu schaffen, das dem Gefangenen den gleichen Status wie bei regulärer Arbeit verleiht und das mit der gleichen Grundvergütung innerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit entlohnt wird sowie Bestandteil eines genehmigten Bildungsprogramms ist. 95 Besondere Kurse sollen für Analphabeten zur Verfügung stehen. Bildungsmaßnahmen sind so durchzuführen, dass Gefangene ihre Fortbildung nach ihrer Entlassung problemlos fortsetzen können. Deshalb soll ihnen auch die Möglichkeit gegeben werden, Bildungseinrichtungen außerhalb der Anstalt zu besuchen. 96 Der Zugang zu einer anstaltseigenen Bibliothek ist jedem Gefangenen zu ermöglichen. 4. Sport, Bewegung und Erholung Für die Gesundheit und das Wohlbefinden sind körperliche Bewegung und Freizeitaktivitäten von Bedeutung. 97 Körperliche Ertüchtigung trage zu einer entspannteren Atmosphäre in den Anstalten bei, da Sport dem Spannungs- und Stressabbau dient. Gefangene im offenen Vollzug oder mit einer inhäusigen Arbeit haben ein Recht auf eine Stunde Bewegung im Freien. Ein Sport- und Erholungsprogramm mit Räumlichkeiten und Ausstattung sollen zur Verfügung stehen. 5. Entlassungsvorbereitung Die Entlassungsvorbereitung mit speziellen Maßnahmen und Kursen soll essenzieller Bestandteil der Bemühungen zur Wiedereingliederung sein. 98 Insassen von längeren Freiheitsstrafen sollen anhand eines Stufenvollzugs in derselben Anstalt (Progression), einer anderen Anstalt oder mittels einer bedingten Entlassung unter Aufsicht und sozialer Betreuung schrittweise in die Gesellschaft integriert werden. 99 Eine enge Kooperation mit sozialen Diensten und Vollzugshelfern zur Entlassungsvorbereitung und Nachbetreuung ist als Hilfestellung für die Gefangenen, beispielsweise Wohnungs- und Arbeitssuche, anzustreben. 100 Die entlassenen Gefangenen sollen Papiere, Ausweise, Bekleidung und ausrei95

Grundsatz 77 und 78. Grundsatz 81. 97 European Prison Rules 1987, S. 65. 98 Grundsatz 87. 99 Grundsatz 88. 100 Grundsatz 89. 96

60

Teil 1: Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze

chende Mittel für den Lebensunterhalt und den Transport zum Zielort nach ihrer Entlassung erhalten. VI. Besondere Gruppierungen Unter dem Vorbehalt ihrer praktischen Anwendbarkeit gelten die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze auch für besondere Gefangenengruppierungen. Das Regelwerk enthält ergänzende Bestimmungen für Untersuchungshäftlinge, Zivilgefangene und geistig verwirrte Gefangene. Unter Beachtung der Unschuldsvermutung haben Untersuchungsgefangene ein Recht auf unverzügliche Benachrichtigung ihrer Familien nach Verhaftung, auf anwaltliche Vertretung und ungestörte Unterredungen. 101 Im Unterschied zu Untersuchungshäftlingen dürfen Zivilgefangene zur Arbeit verpflichtet werden. 102 Geisteskranke oder geistig abnorme Gefangene sind in Einrichtungen für Geisteskranke unterzubringen. 103

F. Die Revision von 2006 In der revidierten Fassung der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze wurden grundlegende Änderungen und Neuerungen hinsichtlich Inhalt und Aufbau vorgenommen. 104 Das Regelwerk besteht jetzt aus neun Teilen mit 108 Grundsätzen: 105 Grundprinzipien, Geltungsbereich, Anwendbarkeit (Nr. 1 – 13), Haftbedingungen (Nr. 14 –38), Gesundheitsfürsorge (Nr. 39 – 48), Sicherheit und Ordnung (Nr. 49 – 70), Leitung und Personal (Nr. 71 – 91), Inspektionen und Aufsicht (Nr. 92 – 93), Untersuchungsgefangene (Nr. 94 – 101), Strafgefangene (Nr. 102 – 107) und Fortschreibung der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze (Nr. 108). 106

101

Grundsätze 91 – 98. Grundsatz 99. 103 Grundsatz 100. 104 Zu den Hintergründen der an der Überarbeitung beteiligte Coyle, in: European Prison Rules 2006, S. 101 ff. 105 Im Unterschied zu den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen von 1987 wurde von einer Präambel somit abgesehen. 106 Auf die Teile zu Inspektion und Aufsicht, Untersuchungshäftlinge und Fortschreibung des Grundsatzwerks wird nicht gesondert eingegangen; siehe das Interview mit Gerand de Jonge von Sanchez, Der Lichtblick 5/2006, S. 22. 102

F. Die Revision von 2006

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I. Grundprinzipien Im ersten Teil wurden neue Grundprinzipien eingefügt bzw. die wenigen übernommenen Grundprinzipien neu strukturiert und formuliert. 107 Erstmalig wurde im Grundsatz Nr. 4 die Entstehung von menschenrechtswidrigen Haftbedingungen infolge von Einsparungen untersagt. Aktualität gewinnt dieser Grundsatz für die Entwicklung in Deutschland, da 2006 die Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug auf die Bundesländer übertragen wurde. Insbesondere die Wissenschaft befürchtet aufgrund von leeren Länderkassen auf diesem Gebiet die Entwicklung eines „Schäbigkeitswettbewerbs“ unter den Bundesländern. 108 Der erwähnte Grundsatz könnte mit Kostenargumenten begründeten Reformen entgegensteuern, die den Lebensstandard für die Gefangenen auf ein menschenrechtswidriges Niveau absenken. Auch der in Grundsatz Nr. 5 neu aufgenommene Angleichungsgrundsatz betont, dass eine Angleichung nur im Verhältnis zu den sozialstaatlichen („positiven“) Errungenschaften des Lebens in Freiheit erfolgen darf, um menschenrechtswidrige Haftbedingungen zu vermeiden, beispielsweise durch eine unzulängliche Gesundheitsversorgung. Darüber hinaus wird in den Grundprinzipien (Nr. 7) die Bedeutung der Zusammenarbeit mit extramuralen, sozialen Diensten und erstmals des Engagements von Ehrenamtlichen hervorgehoben („Prinzip der durchgängigen sozialen Hilfe“). II. Haftbedingungen Im zweiten Teil fällt die Detailfülle bei der Ausgestaltung der Haftbedingungen auf. Obgleich hier vielfach Übereinstimmungen mit den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen von 1987 festgestellt werden können, sind eine Reihe von Neuerungen und Präzisierungen vorgenommen worden. Im Rahmen der Unterbringung wird nunmehr ausdrücklich das Prinzip der möglichst heimatnahen Unterbringung angeführt (Nr. 17.1). Eine heimatnahe Unterbringung kann vor allem bei Frauen wegen der kleinen Population oft nicht gewährleistet werden. Eine Inhaftierung am Wohnort bedeutet vielfach eine Unterbringung in zahlenmäßig kleinen Abteilungen und aus Kostengründen ohne frauenspezifische Angebote. Eine zentrale Unterbringung in größeren Frauenanstalten mit Lernund Therapieeinrichtungen kann daher für interessierte Insassinnen von Vorteil sein. Ein besonders sensibles Thema betrifft die Haftraumunterbringung. Wie schon in den alten Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen wird auch in der Revision die Einzelunterbringung während der Ruhezeit (Nr. 18.5) empfohlen. Ge107

Beispielsweise weist Grundsatz 1 von 2006 allgemein auf die Beachtung der Menschenrechte hin, während in Grundsatz 1 von 1987 die Wahrung der Menschenwürde angemahnt wird. 108 Vgl. Teil 1.

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Teil 1: Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze

rade in den osteuropäischen Staaten ist jedoch die Gemeinschaftsunterbringung in Schlafsälen üblich. Es kommt die Überbelegung hinzu, die ebenso in vielen westeuropäischen Ländern ein Problem darstellt. Insofern ist der Grundsatz Nr. 18.4 als wichtige Neuerung anzusehen, der die Mitgliedsländer auffordert, Strategien im Umgang mit Überbelegung zu entwickeln, um eine menschenwürdige Unterbringung bei Nacht und den Schutz der Intimsphäre möglichst zu garantieren (Nr. 18.1). Insbesondere gilt es, gesetzliche Bestimmungen mit entsprechenden Minimalstandards zu erlassen (Nr. 18.3). Im Kommentar werden dauerhafte Ausnahmen vom Grundsatz der Einzelunterbringung zur Bewältigung von Überbelegung als inakzeptabel bezeichnet. Dabei wird darauf hingewiesen, dass Altbauten aufgrund baulicher Gegebenheiten ein tatsächliches Hindernis für die Verwirklichung der Einzelunterbringung darstellen können. 109 Zumindest sollte bei Neubauten die Einzelunterbringung erwogen werden. 110 Immerhin werden Angaben zur Haftraumgröße angestellt: So werden 4 qm pro Gefangenen in einer Gemeinschaftsunterkunft und 6 qm in einer Einzelzelle als gerade noch ausreichend angesehen; als wünschenswert gelten aber 9 bis 10 qm bei Einzelunterbringung. 111 Ein Anspruch auf Rechtsberatung für Gefangene wurde neu eingefügt (Nr. 23.1 – 6). Den Zugang zu einer Rechtsberatung soll die Anstaltsverwaltung durch Informationen über (unentgeltliche) Ansprechpartner sowie bei Bedürftigkeit durch die Bereitstellung von Schreibmaterial und die Übernahme von Portokosten erleichtern. 112 Kontakte zur Außenwelt sollen durch verschiedene Kommunikationsmittel (Briefe, Telefonate, Besuche während der Haft) gefördert werden. Ausführliche Regelungen zu Besuchsmöglichkeiten wurden eingeführt: der neue Grundsatz Nr. 24.4 möchte Langzeitbesuche zur Aufrechterhaltung und Pflege familiärer Kontakte mit den Kindern und dem / r Partner / in ermöglichen. 113 Eine neue Rubrik bezieht sich auf die Vollzugsgestaltung („prison regime“) mit dem Akzent auf Behandlungsaspekten (Nr. 25). Es werden ein ausgewogenes Programm an Aktivitäten, möglichst offene Hafträume tagsüber, die Berücksichtigung sozialstaatlicher Belange und besondere Aufmerksamkeit für 109 Vgl. hierzu die sog. Übergangsregelung in § 201 Nr. 3 StVollzG, die seit 30 Jahren Anwendung findet (näher unter in Teil 6 B. III.). 110 European Prison Rules 2006, S. 47 f.; es handelt sich hierbei um eine recht unverbindliche Formulierung („should be taken into account“), vgl. auch Dünkel / Morgenstern / Zolondek, NK 2006, 87. 111 European Prison Rules 2006, S. 46 f.; im Kommentar wird darauf hingewiesen, dass es weiterer Inspektionen und Analysen des Antifolterkomitees bedarf, um in Erfahrung zu bringen, welche Größe ein Haftraum für Gefangene haben sollte. Dabei soll vor allem die verbrachte Stundenzahl im geschlossenen Haftraum berücksichtigt werden. 112 European Prison Rules 2006, S. 51. 113 European Prison Rules 2006, S. 53 f.: Der Kommentar bezieht sich nicht ausdrücklich auf die Eltern-Kind-Beziehung in einer kindgerechten Umgebung („normales“ Apartment im Anstaltsgebäude), sondern führt Intimbesuche an.

F. Die Revision von 2006

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körperlich und / oder seelisch traumatisierte Gefangene eingefordert. Arbeit als Sanktion ist nun ausdrücklich für unzulässig erklärt worden (Nr. 26.1). Die Arbeitspflicht soll durch ausreichend nützliche Arbeiten erfüllt werden (Nr. 26. 2). Damit bleibt die neue Regelung hinter dem alten Grundsatz zurück, die sinnvolle Arbeit forderte (Nr. 71.3, 1987). Die Neufassung ist wohl auf die strukturellen Defizite im Arbeitsbereich zurückzuführen. Insofern dient die Arbeit lediglich dazu, die Haftzeit nicht völlig ungenutzt verstreichen zu lassen und einen kleinen Verdienst zu bekommen. Im Frauenvollzug ist die unverschuldete Arbeitslosigkeit noch verbreiteter als im Männervollzug. 114 Hinsichtlich der Bildung gibt es einige Neuregelungen. Insbesondere sollen Gefangene mit Lese-, Rechtschreiboder Rechenproblemen und junge Gefangene gefördert werden (Nr. 28.2, 28.3). III. Empfehlungen für weibliche Gefangene Ein Novum ist die Einführung einer eigenen Rubrik für inhaftierte Frauen im zweiten Teil (Nr. 34.1 –34.3). Bei der Entscheidungsfindung sind körperliche, berufliche, soziale und psychologische Bedürfnisse von Frauen in allen Stadien der Inhaftierung besonders zu berücksichtigen. Die Unterstützung durch soziale Dienste ist vor allem Frauen mit traumatischen Erfahrungen wie physischer, mentaler oder sexueller Ausbeutung zu gewähren. 115 In anderen Rubriken wird vereinzelt zusätzlich auf die besondere Situation von weiblichen Gefangenen eingegangen. Im Abschnitt „Hygiene“ wird nun auf die spezifischen sanitären Bedürfnisse von Frauen hingewiesen (Nr. 19.7). Für Frauen ist auch die Bekleidung ein wichtiges Thema. Die neuen Grundsätze gehen davon aus, dass Gefangene grundsätzlich ihre eigene Kleidung tragen dürfen (Nr. 20.1). 116 Die Zuweisung von Arbeit darf keine Diskriminierung von Frauen beinhalten (Nr. 26.4). Laut Kommentar soll ihnen jegliche Arbeit offen stehen, eine Beschränkung auf Tätigkeiten in typischen Frauendomänen sei unzulässig. 117 Diese Empfehlung ist wohl schwer zu verwirklichen, weil in der Praxis des Frauenvollzuges einfache frauentypische Tätigkeiten überwiegen. 118 Der Einkauf von Waren stellt für weibliche Gefangene eine wichtige Abwechslung im monotonen Anstaltsleben und ein bedeutendes Element der Annäherung an die Lebensverhältnisse außerhalb der Mauern dar. Die Möglichkeit 114

Vgl. Obermöller (2000), S. 85; Dünkel (1992), S. 89. Grundsatz 34.3 von 2006 entspricht in etwa Grundsatz 28.1 von 1987. 116 Anstaltskleidung soll Gefangenen ohne adäquate Bekleidung zur Verfügung gestellt werden. 117 European Prison Rules 2006, S. 56. 118 Arbeit in der Wäscherei, in der Anstaltsküche oder Hausarbeit (sog. „Hausmädchen“). 115

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Teil 1: Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze

des Einkaufs wird von einem neuen Grundsatz (Nr. 31.5) vorausgesetzt. Dieser Grundsatz enthält eine relativ vage Preisbindung für die angebotenen Produkte, nach der die Preise nicht außergewöhnlich höher sein sollen als in gewöhnlichen Geschäften. Angesichts der knappen Geldmittel von Gefangenen ist eine verbindlichere und klarere Vorgabe mit einer niedrigen Teuerungsrate zu empfehlen, beispielsweise eine minimale Erhöhung wegen der Zusatzkosten für die Anfahrt und Arbeitszeit zu tolerieren. Eine zusätzliche Empfehlung zur Einrichtung einer Ladenlokalität würde helfen, eine relativ „normale“ Einkaufssituation herzustellen. Eine weitere Änderung betrifft die nunmehr geschlechtsneutrale Formulierung zur Unterbringung von Kleinkindern mit einem inhaftierten Elternteil (Nr. 36.1. – 36.3.). Diese Regelung berücksichtigt den gesellschaftlichen Wandel hin zu einer aktiven Wahrnehmung der Vaterrolle. 119 Hierbei dürfte es sich um einen in der Praxis kaum einlösbaren Grundsatz handeln: Einerseits wird die Einrichtung von Vater-Kind-Abteilungen aus Kostengründen abgelehnt und andererseits ergeben sich aus Studien Anhaltspunkte für eine Übernahme traditioneller Rollenbilder sowohl unter weiblichen als auch männlichen Gefangenen. 120 Die Arbeit mit Insassinnen erfordert nach einem neuen Grundsatz (Nr. 81.3) eine spezifische Fortbildung, um weiblichen Bedürfnissen gerecht zu werden. IV. Gesundheitsfürsorge Im dritten Teil wurden die früheren Regelungen zur Gesundheitsfürsorge größtenteils übernommen bzw. modifiziert und durch weitere ausführliche Grundsätze ergänzt (Nr. 39 –48). Besonderes Augenmerk wird auf die Gewährleistung der Gesundheit der Gefangenen durch eine jederzeitige, qualifizierte medizinische Versorgung gelegt, d. h. auch in Notfällen ist eine unverzügliche Verarztung zu garantieren (Nr. 39, 41.2). Die Gefangenen dürfen keine Benachteiligung in Gesundheitsbelangen aufgrund ihres Gefangenenstatus erfahren (Nr. 40.3). Eine detaillierte neue Regelung enthält Vorgaben zur Untersuchung und Versorgung von Patienten (Nr. 42.3). Zwar werden stoffgebundene Abhängigkeiten angesprochen, doch angesichts der Suchtproblematik im Männer- und insbesondere im Frauenvollzug wären diesbezüglich ausführlichere Empfehlungen wünschenswert (z. B. zu Prophylaxemaßnahmen, Therapieangeboten im Vollzug). 121 119

European Prison Rules 2006, S. 61 f. Cummerow, BewHi 2006, S. 163 m.w. N. (hierzu auch Teil 4 E. III.). 121 Nr. 42.3.g. betont, dass Gefangene mit HIV nicht deswegen isoliert werden dürfen. Ein Zusatz bzgl. Gefangener mit Hepatitis B bzw. C wäre ebenfalls sinnvoll, weil diese Infektionskrankheit unter Drogenabhängigen im Vollzug wesentlich verbreiteter ist als eine HIV-Infektion. 120

F. Die Revision von 2006

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V. Gute Ordnung und Sicherheit Im Vergleich zu dem Regelwerk von 1987 fällt der Detailreichtum im vierten Teil auf. Völlig neu sind die Ausführungen zu Sicherheitsbelangen, Durchsuchungen und Kontrollen (Nr. 49 –54). Als Besonderheit ist die Forderung zu bewerten, Gefangene in diesen Angelegenheiten zu Diskussionen untereinander zu ermutigen und durch Kommunikation mit dem Vollzugspersonal aktiv einzubeziehen (Nr. 50). Sicherheitsstandards sollen auf ein Minimum reduziert werden, um gefährliche Gefangene leichter zu erkennen (Nr. 51.1), die beispielsweise einer Unterbringung in einem Hochsicherheitstrakt bedürfen (hierzu noch Nr. 53). Die Berücksichtigung dieses Grundsatzes könnte im Frauenvollzug zu niedrigeren Sicherheitsmaßnahmen führen, denn oft wird die sog. Übersicherung in Frauenanstalten und -abteilungen beklagt. 122 Darüber hinaus wird dem Prinzip der „dynamischen“ Sicherheit ebensoviel Bedeutung zugemessen wie der Sicherung mit technischen und physischen Vorrichtungen. Unter „dynamischer“ Sicherheit ist die Interaktion zwischen Gefangenen und Vollzugspersonal mit einem Gespür für Konfliktsituationen und einer aktiven Vollzugsgestaltung zu verstehen. 123 Die Umsetzung dieses Prinzips erscheint im Frauenvollzug viel versprechend, weil dort die Kommunikation zwischen Bediensteten und Insassinnen wohl eine deutlich größere Rolle als im Männervollzug spielt. 124 Die persönliche Sicherheit von Gefangenen, Personal und Besuchern ist zu garantieren (Nr. 52.2). Ebenfalls soll der sichere Ablauf von täglichen Aktivitäten (Nr. 52.3) und die jederzeitige Ansprechbarkeit von Vollzugsbediensteten (Nr. 52.4) sichergestellt werden. Die Durchführung von Durchsuchungen und Kontrollen soll aufgrund von detaillierten Dienstanweisungen vorgenommen werden (Nr. 54.1). Die körperliche Durchsuchung muss die Menschenwürde des Betroffenen wahren (Nr. 54.4) und darf nur durch Bedienstete gleichen Geschlechts (Nr. 54.5) erfolgen. Eingriffe in das Körperinnere sind untersagt, außer ein Mediziner nimmt die Untersuchung vor (Nr. 54.7). Zu Disziplinarverstößen und Disziplinarmaßnahmen gibt es mehrere neue Grundsätze. Zu Beginn wird die ultima-ratio-Funktion von Disziplinarmaßnahmen betont (Nr. 56.1). Zunächst sollen Schlichtungsversuche durch Wiederherstellung (Restoration) und durch Mediation unternommen werden, um Streitigkeiten mit und zwischen den Gefangenen beizulegen (Nr. 56.2). Der Begriff der Disziplinarverstöße erfährt eine Einschränkung: Lediglich ein Fehlverhalten, das geeignet ist, die gute Ordnung und Sicherheit zu gefährden, darf mit einer Disziplinarmaßnahme geahndet werden (Nr. 57.1). Vergleichbar mit den alten 122

Vgl. Obermöller (2000), S. 93 f. m.w. N. European Prison Rules 2006, S. 72. 124 Franze (2001), S. 190; Schwinn (2004), S. 236 ff. sieht als Nachteil ein Mehr an sozialen Kontrollen und den möglicherweise Abwehr erzeugenden therapeutischen Zugriff durch Bedienstete. 123

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Teil 1: Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze

Strafvollzugsgrundsätzen wird ein abschließender Katalog sowohl für Disziplinarverstöße (Nr. 57) als auch für Disziplinarmaßnahmen (Nr. 60) gefordert. 125 Der Kontakt zur Familie darf aufgrund von Disziplinarverstößen im familiären Zusammenhang (z. B. Beleidigung von Vollzugsbediensteten während eines Besuchs) eingeschränkt, aber nicht vollständig unterbunden werden (Nr. 60.4). 126 Schließlich soll Rechtsschutz vor einer höherrangigen und unabhängigen Behörde gewährt werden (Nr. 61). Die Eingrenzungen im Umgang mit Disziplinarverstößen hinsichtlich Begriff, Funktion und Anwendung sind positiv zu bewerten, da auf diese Weise eine zurückhaltende Handhabung etabliert und eine gute Atmosphäre zwischen Vollzugspersonal und Gefangenen erzeugt werden könnte. Insbesondere könnte die Schlichtung von Auseinandersetzungen zur Entwicklung einer positiven Streitkultur beitragen und als Lernfeld im Rahmen von Resozialisierungsbemühungen verstanden werden. In Bezug auf die Anwendung von Zwang wurden einige Neuerungen eingefügt. Wie im Regelwerk von 1987 geht es auch hier um einen restriktiven Einsatz, d. h. Zwang darf nur in Ausnahmefällen als ultima ratio angewendet werden, es muss jeweils das mildeste Mittel gewählt werden und die Zwangsanwendung darf nur von möglichst kurzer Dauer sein (Nr. 64). Neu ist die Forderung nach umfassend niedergelegten Verfahrensweisen zur Anwendung von Zwang im Hinblick auf die verschiedenen Zwangsmittel, die Situationen unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Zwangsgrade, den zur Zwangsanwendung Berechtigten, die Anordnungskompetenz sowie die Pflicht zur Berichterstattung (Nr. 65). Die Rubrik Anträge und Beschwerden wurde beträchtlich ausgeweitet. Die Bedeutung der Mediation wird erneut hervorgehoben (Nr. 70.2). Das Einreichen von Anträgen und Beschwerden darf nicht zu einer Sanktionierung des Betroffenen führen (Nr. 70.4). Sogar Angehörige des Gefangenen sind jetzt berechtigt, schriftliche Beschwerden einzureichen, wenn sie Grund zur Annahme haben, dass die Rechte des Gefangenen verletzt worden sind (Nr. 70.5). Wiederum wurde der Rechtsschutz verstärkt, indem Gefangenen das Recht auf eine Rechtsberatung und einen Rechtsbeistand zugesprochen wird (Nr. 70.7). VI. Leitung und Personal Eine Reihe von neuen Grundsätzen wurde beim Vollzugspersonal geschaffen. Zu Beginn wird klargestellt, dass die Verantwortlichkeit für den Justizvollzug bei Behörden liegen soll, die unabhängig von militärischen, inneren und aufklärenden Institutionen sind (Nr. 71). 127 Die eindeutige Zielrichtung des Strafvollzugs 125 Es wurde noch aufgenommen, dass die Verhältnismäßigkeit zwischen der Schwere der Disziplinarmaßnahme und dem Disziplinarverstoß gewahrt werden soll (Nr. 60.2). 126 European Prison Rules 2006, S. 79.

F. Die Revision von 2006

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ist in den Anstalten umzusetzen, wofür die Anstaltsleitung Sorge trägt (Nr. 72.2). Es wird hervorgehoben, dass sich die Aufgabe der Vollzugsbediensteten nicht in bloßer Aufsicht und Sicherung erschöpft, sondern der Behandlungsauftrag hinzutritt (Nr. 72.3). Besondere Aufmerksamkeit soll dem Verhältnis zwischen Bediensteten des allgemeinen Vollzugsdienstes und den Gefangenen zu teil werden (Nr. 74). Als unmittelbare und jederzeit präsente Ansprechpartner prägen die Bediensteten des allgemeinen Vollzugsdienstes den Alltag der Gefangenen und damit die Atmosphäre im Gefängnis. Auf eine gründliche Ausbildung und kontinuierliche Fortbildungen wird unter Beachtung der menschenrechtlichen Regelwerke des Europarats viel Wert gelegt (Nr. 81.1 und 2), aber auch auf die Berücksichtigung der Bedürfnisse von spezifischen Randgruppen im Gefängnis, wie beispielsweise von ausländischen Staatsangehörigen und Jugendlichen (Nr. 81.3.). Neu aufgenommen wurde ein Grundsatz (Nr. 82) zur Einstellung von Personal nach gleichen Maßstäben, ohne dass eine Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Rasse, Farbe, Sprache, Religion, nationaler oder sozialer Herkunft, Geburt oder Status erfolgt. Ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis ist unter dem Vollzugspersonal anzustreben (Nr. 85), um den Umgang mit dem anderen Geschlecht in der eingeschlechtlichen Institution Gefängnis zu ermöglichen. 128 Ein hoher Stellenwert wird der Kommunikation sowohl zwischen den Anstalten als auch innerhalb der Anstalt mit intra- und extramuralen Kräften eingeräumt (Nr. 83. b, Nr. 87.1). Interaktion soll zu gegenseitigem Lernen, einem fruchtbaren Erfahrungsaustausch und einer Zusammenarbeit zum Wohle der Gefangenen anregen. 129 Die auf Kommunikation und Vernetzung angelegten Neuerungen könnten gerade im zahlenmäßig kleinen Frauenvollzug zu einem Zusammenschluss der wenigen Anstalten auf regionaler, nationaler und supranationaler Ebene ermutigen, um Behandlungs- und Förderungskonzepte auszutauschen und fortzuentwickeln. Innerhalb der Binnenstruktur einer jeden Anstalt könnte eine verstärkte Zusammenarbeit mit sozialen Diensten in der Außenwelt zu einer besseren Perspektive nach der Entlassung beitragen. VII. Strafgefangene Der Teil über Strafgefangene wurde ebenfalls eingefügt (Nr. 102 – 107) und enthält eine Reihe von Neuerungen. Wie schon im Regelwerk von 1987 wird 127 European Prison Rules 2006, S. 86; dieser Grundsatz steuert Bestrebungen nach einer Zusammenlegung von Innen- und Justizministerium entgegen; 1999 scheiterte eine solche geplante Zusammenlegung in Nordrhein-Westfalen am Verfassungsgerichtshof des Landes; NW-VerfGH, Urt. v. 09. 02. 1999 – VerfGH 11/98 (Verstoß gegen Vorbehalt des Gesetzes im Lichte des Rechtsstaats- und des Demokratieprinzips aus Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG, Art. 1 Abs. 1 Satz 1, Art. 2 LV NW). 128 European Prison Rules 2006, S. 90. 129 European Prison Rules 2006, S. 89.

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Teil 1: Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze

zu Beginn als Ziel des Freiheitsentzugs die Resozialisierung des Gefangenen angeführt (Nr. 102.1). Während im alten Regelwerk der Begriff der Resozialisierung in den Grundprinzipien ausführlich bestimmt wurde, beschränkt sich die aktuelle Fassung auf eine verantwortliche und straffreie Lebensführung in der Zukunft. Laut Kommentar steht die Entwicklung von Selbstverantwortlichkeit bei der Vollzugsgestaltung im Vordergrund. 130 Eine leichte Änderung erfuhr der frühere Grundsatz (Nr. 64:1987) zum Wesen der Freiheitsstrafe, das allein durch den Freiheitsentzug an sich gekennzeichnet ist und daher nicht durch weiteres Leiden verstärkt werden darf (Nr. 102.2). Die individuelle Vollzugsgestaltung soll unverzüglich mit der Aufnahme bzw. mit der Statuserlangung als Strafgefangener einsetzen (Nr. 103.1). Auf diese Weise soll eine bestmögliche Förderung des Strafgefangenen gewährleistet werden. 131 Der Gefangene soll nun ermutigt werden, sich an der Erstellung seines Vollzugsplans zu Arbeit, Bildung, weiteren Aktivitäten und zur Entlassungsvorbereitung zu beteiligen (Nr. 103.3, Nr. 103.4). Im Frauenvollzug könnte die frühzeitige Planung des Vollzuges besonders fruchtbar sein, um vor allem Insassinnen mit kürzeren Haftstrafen von bis zu einem Jahr eine Fortbildung, beispielsweise in der elektronischen Datenverarbeitung, zu ermöglichen. Für die Behandlung von Strafgefangenen wird an die Einbeziehung von Fachdiensten erinnert (Nr. 103.5). In dem neuen Grundsatz 103.6 wird eine systematische Handhabung von Vollzugslockerungen als integraler Bestandteil der Vollzugsgestaltung angesehen. Der Kommentar verweist für detailliertere Ausführungen auf die Empfehlung Nr. R (82) 16 zu Vollzugslockerungen. Im Unterschied zum Regelwerk von 1987 wird die Unterbringung im offenen Vollzug nicht mehr ausdrücklich angeführt, sondern nur noch in den Grundsätzen Nr. 107.3 für Langzeitgefangene und Nr. 103.6 als Vollzugsform angedeutet. Im Hinblick auf restriktive Tendenzen bei der Gewährung von Vollzugslockerungen und bei der Unterbringung im offenen Vollzug wäre eine eigene ausführliche Regelung wünschenswert gewesen. Wie schon an anderen Stellen wird erneut auf die Wiedergutmachung als möglichem Vollzugsbestandteil für Strafgefangene aufmerksam gemacht (Nr. 103.7). Eigene Rubriken sind der Arbeit für Strafgefangene (Nr. 105) und ihrer Bildung (Nr. 106) gewidmet und ergänzen die allgemeinen Grundsätze in Teil II. Um das Vollzugsziel zu erreichen, soll ein systematisches Arbeits- und Bildungsprogramm für Strafgefangene aufgestellt werden. Neuerdings sollen Strafgefangene einen Teil ihres Arbeitsentgelts oder ihrer Ersparnisse entweder aus eigenem Antrieb oder auf gerichtliche Anordnung für Wiedergutmachungszwecke verwenden können (Nr. 105.5). Für Strafgefangene soll Aus- und Fortbildung eine zentrale Rolle spielen. 132 Deshalb sollen Strafgefangene zur Teilnahme an 130 131

European Prison Rules 2006, S. 96. European Prison Rules 2006, S. 96.

F. Die Revision von 2006

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entsprechenden Programmen ermutigt werden, um ihre Resozialisierungschancen nach der Entlassung zu erhöhen (Nr. 106.1 und 2). Überdies soll die Durchführung entsprechender Programme mit der Vollzugsdauer abgestimmt werden. Auch hier könnte die Forderung nach einem systematischen Arbeits- und Bildungsprogramm im Frauenvollzug besonders berücksichtigt werden, um ein breiteres Arbeits- und Bildungsspektrum anzubieten und um so die Zukunftsperspektiven der inhaftierten Frauen zu erhöhen. Im letzten Abschnitt (Nr. 107) wird auf die Entlassung von Strafgefangenen eingegangen. Im Vergleich zu den vorangegangenen Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen enthält dieser Abschnitt keine wesentlichen Neuerungen, sondern lediglich Modifikationen. VIII. Resümee Die Revision der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze ist insgesamt sehr gelungen und überzeugt in ihrer Struktur, ihrer klaren, leicht verständlichen Sprache und durch ihren Detailreichtum in wichtigen Bereichen wie zum Beispiel Haftbedingungen, Gesundheitsfürsorge sowie Ordnung und Sicherheit. 133 Besonders zu erwähnen ist die Einführung von differenzierten Grundsätzen zu Rechtsberatung, Rechtsbeistand und Rechtsschutz. Desgleichen trifft auf umfassende Regelungen zu Disziplinarmaßnahmen, Freizeitaktivitäten und Kontakten zur Außenwelt zu. Dagegen gibt es nur eine rudimentäre Regelung bezüglich der Öffnung zur Außenwelt mittels Vollzugslockerungen, Hafturlaub und der Unterbringung im offenen Vollzug. Im Rahmen der Gesundheitsfürsorge wäre ein spezieller Abschnitt im Umgang mit stoffgebundenen Abhängigkeiten sinnvoll. Zwar findet sich eine kurze Legaldefinition des Begriffs „Resozialisierung“ im Regelwerk, doch fehlt zumindest im Kommentar eine nähere Auseinandersetzung mit den Inhalten des Begriffs. Die aktuelle Version bietet dennoch eine ausgezeichnete Ausgangsbasis für ihre Fortschreibung im 21. Jahrhundert. Die Berücksichtigung der Standards des Komitees zur Verhütung von Folter und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verleihen dem als „soft law“ einzuordnenden Regelwerk in Zukunft womöglich mehr Durchsetzungskraft in den Mitgliedstaaten des Europarats. Dies bleibt insbesondere für Deutschland zu hoffen, da die Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug auf die Bundesländer übertragen wurde und eigene Landesstrafvollzugsgesetze bereits erlassen wurden bzw. werden. Gerade mit Blick auf die Vollzugsziele sollten die einzelnen Bundesländer wichtige Empfehlungen beherzigen. Im Gesetzgebungsprozess könnte der befürchteten Entwicklung zum reinen Verwahrvollzug entgegensteuert werden, denn das Grundprinzip in Nr. 4 erklärt menschenrechtliche Defizite bei den Haftbedingungen aufgrund von Ein132 133

European Prison Rules 2006, S. 98. Siehe hierzu Dünkel / Morgenstern / Zolondek, NK 2006, S. 88.

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Teil 1: Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze

sparungen für unzulässig. Darüber hinaus ist die Resozialisierung als alleiniges Vollzugsziel anzusehen, so dass die gegenwärtige Debatte um die Sicherheit als gleichwertiges oder gar vorrangiges Vollzugsziel bzw. -aufgabe gegenstandslos wäre. 134 Da sich noch dazu das Übel der Freiheitsstrafe im Freiheitsentzug an sich erschöpft, haben darüber hinausgehende Strafzwecke wie die Schwere der Schuld bei der Vollzugsgestaltung außen vor zu bleiben. 135 Dementsprechend hätte die in der OLG-Rechtsprechung recht verbreitete Berücksichtigung der Schuldschwere bei vollzuglichen Gestaltungsentscheidungen (Unterbringung im offenen Vollzug, Gewährung von Vollzugslockerungen und Hafturlaub) zu unterbleiben. 136 Zu begrüßen sind des Weiteren die neuen Rubriken zu besonderen Gefangenengruppierungen im Vollzug (Frauen, Ausländer, ethnische oder sprachliche Minderheiten). Auch hier sollten die verschiedenen Landesgesetzgeber die entsprechenden Empfehlungen einbeziehen oder die bereits in Kraft getretenen Landesstrafvollzugsgesetze nachbessern. Die ausführlichen Grundsätze zu Sicherheit und Ordnung enthalten unter dem Stichwort der „dynamischen“ Sicherheit eine neue wichtige Vorgabe, die vor allem die Kooperation zwischen den Vollzugsbediensteten und die Interaktion mit den Gefangenen verbessern soll. Die der Kommunikation und Vernetzung zugemessene Bedeutung könnte sich ebenfalls bei den anstehenden Reformen niederschlagen, um den Umgang zwischen Vollzugsstab und Gefangenen sowie die Zusammenarbeit mit den sozialen Diensten außerhalb der Mauern zu verbessern und dadurch das Vollzugsziel der Resozialisierung zu verwirklichen. Der Gedanke der Wiedergutmachung und Schlichtung zieht sich durch das gesamte Regelwerk und ist nicht nur als positives Element zur Beilegung von Streitigkeiten unter Gefangenen und mit Bediensteten, sondern auch für einen Ausgleich mit dem Opfer zu begrüßen.

G. Die Implementation der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze I. Die Rechtsnatur der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze Den Resolutionen der Vereinten Nationen und des Europarats kommt als Empfehlungen kein rechtsverbindlicher Charakter zu. Dies gilt ebenso für die UN-Minima zur Behandlung von Strafgefangenen wie für die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze. 137 Sie stellen somit keine Rechtsnormen dar, jedoch 134

Vgl. auch Dünkel / Morgenstern / Zolondek, NK 2006, S. 88. So schon Dünkel / Morgenstern / Zolondek, NK 2006, S. 88. 136 In der Strafvollzugswissenschaft wird die OLG-Rechtsprechung zu Recht kritisiert, weil die Beachtung der Schuldschwere im Gegensatz zum eindeutig erklärten Willen des Gesetzgebers stehe; ausführlich hierzu Laubenthal (2007), S. 94 ff. Rn. 191 ff. m.w. N. 135

G. Die Implementation der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze

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repräsentieren sie nach allgemeiner Auffassung einen „international anerkannten Kode von Standards“. 138 Aufgrund ihrer fehlenden Bindungswirkung gehören die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze zum sog. „soft law“. Unter diesen höchst umstrittenen Sammelbegriff aus dem Völkerrecht fallen alle internationalen Vereinbarungen verschiedenster Art ohne bindende Wirkung. 139 „Soft law“ enthält Verhaltensregeln zur völkerrechtlichen Fortentwicklung von Recht und Praxis und gibt den Mitgliedstaaten eine Arbeitsvorlage zur Umsetzung in ihrem politischen System an die Hand. Durch ihre systemimmanente Offenheit und flexible Handhabung erreichen Empfehlungen wie die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze Länder unterschiedlicher Couleur hinsichtlich sozialer, politischer und wirtschaftlicher Lage und können derart sonst nicht vorgenommene Verbesserungen im Bereich der Haftbedingungen herbeiführen. 140 Die stets hervorgehobene Schwäche von „soft law“ liegt in der fehlenden Durchsetzbarkeit begründet, die auf dem Souveränitätsinteresse der Mitgliedsländer gründet. Das bedeutet für die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze: Kein Teilnehmerland kann auf ihre Einhaltung verpflichtet werden und dem einzelnen Strafgefangenen erwachsen keine subjektiven öffentlichen Rechte im Rahmen eines formalen Beschwerdeverfahrens. 141 II. Der Einfluss der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze In Europa geben die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze Impulse für die Verbesserung allgemeiner Standards und die Verbreitung einer humanen Kriminalpolitik mit Behandlungsmaßnahmen. 142 Sie bieten den Mitgliedstaaten sittliche Maßstäbe und ein organisatorisches Grundgerüst für ein menschenwürdiges Leben im stationären Strafvollzug. Ihre Relevanz liegt vor allem in ihrem Einfluss auf die Realisierung von Behandlungsansätzen und auf die Entwicklung von Richtlinien in der Strafvollzugsverwaltung hinsichtlich Führung, Rollenverständnis und Ausbildung des Strafvollzugspersonals, Konzeption von modernen Gefängnisbauten und Ausstattung der Einrichtungen. 143 137

European Prison Rules 1987, S. 77. U.a. European Prison Rules 1987, S. 77; Müller-Dietz (1994), S. 5. 139 Kiessl (2001), S. 12 m.w. N.; zur Unverbindlichkeit Schüler-Springorum, in: Vom Recht der Macht zur Macht des Rechts 2006, S. 299 ff. 140 European Prison Rules 1987, S. 78 f. 141 Callies / Müller-Dietz (2005), Einleitung Rn. 46; Neubacher, ZfStrVo 2001, S. 212. 142 European Prison Rules 1987, S. 79 f.; Coyle (2002), S. 66; Müller-Dietz, in: FS für Schwind 2006, S. 627. 143 Im Sinne von „Best Practise“ Kerner / Czerner, in: Empfehlungen des Europarates zum Freiheitsentzug 2004, S. 7 f. 138

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Teil 1: Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze

Die Bedeutung der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze für die nationale Rechtsordnung ist ein bislang wenig erforschtes Problemfeld. 144 Im deutschen Strafvollzugsrecht kommt ihre Anwendung als Ergänzung oder bei der Auslegung des Strafvollzugsgesetzes bzw. der Landesstrafvollzugsgesetze in Betracht und setzt dadurch dem Ermessen der Vollzugsbehörden Grenzen. 145 Insofern lässt sich von einer „indirekten und mittelbaren Wirkung“ 146 der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze auf das nationale Recht sprechen, da ihre Leitlinien bei der gerichtlichen bzw. quasi-gerichtlichen Überprüfung von behördlichen Entscheidungen dienlich sind. Auf diese Weise können sie auch einen Beitrag zur Auslegung und Präzisierung von Völkervertragsrecht leisten. 147 Während die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze in politischen und wissenschaftlichen Kreisen eine hohe Wertschätzung genießen, sind sie in der Vollzugspraxis bislang entweder unbekannt oder gelten wegen ihrer Tendenz zur Verallgemeinerung als wenig praxistauglich. 148 Demgegenüber hat die Tätigkeit des Antifolterkomitees (CPT) durch seine Besuche in Justizvollzugsanstalten deutlich mehr Einfluss auf die Arbeit im Vollzug. 149 Denn die aus den Besuchen entwickelten Standards des Komitees zur Verhütung von Folter sind detailreicher und nuancierter als die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze von 1987. In Deutschland wird vor allem kritisiert, dass die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze in Inhalt und Anforderungen hinter dem deutschen Strafvollzugsgesetz zurückblieben, da das Regelwerk nicht dessen Regelungsgenauigkeit und systematische Durchdringung erreiche. 150 Empfindliche Regelungslücken würden gerade im Umgang mit Ausländern, Frauen und Jugendlichen vorliegen. 151 Gegenwärtig bleibt abzuwarten, welche Bedeutung die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze von 2006 auf die Vollzugspraxis in den Mitgliedstaaten des Europarates haben werden. Die Aktualisierung unter Berücksichtigung der Standards des Komitees zur Verhütung von Folter sowie der Rechtsprechung des 144

Neubacher, ZfStrVo 2001, S. 212 f. Callies / Müller-Dietz (2005), Einleitung Rn. 46. 146 Neubacher, ZfStrVo 2001, S. 213; Feest, ZfStrVo 2006, S. 261 spricht von „moralischem Druck“. 147 Neubacher, ZfStrVo 2001, S. 213; Relevanz wird dem Grundsatzwerk beim Umbau der Strafvollzugssysteme in Mittel- und Osteuropa zugesprochen, Best, in: FS für Böhm, S. 58 f. 148 Bishop, Penelogical Information Bulletin December 2003, S. 3 f.; Morgan / Evans (2001), 160 f.; Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze sind ein Produkt von Delegiertenverhandlungen, das nach seiner Verabschiedung keine Rolle mehr in der Anwendung und Entwicklung spielt (vgl. 1.7.1.); dem Defizit möchte das Handbuch für Vollzugspersonal von Coyle (2002) abhelfen, indem es Leitlinien für die Praxis bereithält. 149 Murdoch (2006), S. 36 f.; vgl. auch Bank (1996), S. 220 ff. zur Arbeit des Antifolterkomitees und zu den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen. 150 Kaiser / Schöch, Strafvollzug, S. 108, § 5 Rn. 24. 151 In der aktuellen Fassung von 2006 gibt es nun für diese Gruppen eigene Abschnitte. 145

H. Das Verhältnis zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)

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Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte macht Hoffnung auf eine breitere Anerkennung in den Vollzugsverwaltungen. Mit Blick auf die Situation in Deutschland ist die Übertragung der Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug auf die Bundesländer anzuführen. 152 Bei der Verabschiedung der verschiedenen Landesstrafvollzugsgesetze ist zu wünschen, dass die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze im Gesetzgebungsprozess einbezogen und zu einer Vereinheitlichung bzw. einer Annäherung führen werden, zumal internationale Menschenrechtsstandards mit der Entscheidung des BVerfG zum Jugendstrafvollzug 153 eine Aufwertung erfahren haben. 154 Ihr Gewicht könnten die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze bei der Implementierung und der Qualitätssicherung entfalten. 155

H. Das Verhältnis zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) I. Die Bindungswirkung der EMRK Im Unterschied zu den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen gehört die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) zum sog. „hard law“ und entfaltet für die Vertragsstaaten bindende Wirkung. In dem Mitgliedstaat Deutschland stellt die EMRK somit unmittelbar geltendes Recht dar. Die Beschwerde in Art. 34 EMRK eröffnet dem Individuum die Möglichkeit, seine Menschenrechte aus Art. 2 bis 16 EMRK vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) durchzusetzen. Eine auf den Vollzug bezogene Gesamtregelung der rechtlichen Stellung und Behandlung von Gefangenen kann der EMRK nicht entnommen werden, 156 doch behandelt sie bedeutsame Einzelaspekte zum Verfahren und zur Ausgestaltung von Freiheitsentzug. Ihr Gehalt und ihr Einflussbereich beruhen auf der Rechtsprechung des EGMR und deren Fortentwicklung. Für die Handhabung des Strafvollzugs und den Umgang mit Gefangenen sind folgende Grundrechte der EMRK relevant: das Recht auf Leben (Art. 2), das Verbot der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung (Art. 3), das Verbot der Zwangs- und Pflichtarbeit (Art. 4 Abs. 2 – aber Gestattung von Zwangsar152 Diese Übertragung stößt in der Strafvollzugswissenschaft auf einhellige Ablehnung und ist angesichts der Harmonisierungsbestrebungen im Europarat und in der EU kaum nachvollziehbar; zum Föderalismus im Strafvollzug vgl. Schüler-Springorum, in: FS für Böttcher 2007, S. 403 ff. (auch Teil 1 A.). 153 BVerfG 2 BvR 1673, 2402/04 v. 31. 5. 2006. 154 Gödl / Leupold / Dittmann, in: Freiheitsentzug, S. IX. 155 So Pollähne, StV 2007, S. 553, 557. 156 Müller-Dietz (1994), S. 6.

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Teil 1: Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze

beit im Rahmen richterlich angeordneten Freiheitsentzuges nach Art. 4 Abs. 3 a), das Recht auf Freiheit und Sicherheit (Art. 5 Abs. 1 Nr. a), das Recht auf ein rechtsstaatliches Verfahren (Art. 6), das Recht auf Achtung des Privatlebens (Art. 8 Abs. 2), die Garantie der Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit (Art. 9 Abs. 2), das Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 10 Abs. 2), die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (Art. 11 Abs. 2), das Recht auf freie Wahl des Ehegatten (Art. 12), das Beschwerderecht (Art. 13) und der Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 14). In diesem Kontext mag ein Verstoß gegen das Verbot unmenschlicher Behandlung in Art. 3 EMRK zugleich eine Verletzung der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze darstellen. 157 Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze reichen allerdings in ihren Anforderungen an die Vollzugsgestaltung teilweise über die Maßstäbe der EMRK hinaus, weil ihr Gesamtkonzept Standards für alle Bereiche des Strafvollzugs und für die Behandlung von Inhaftierten bereithält. 158 Im Vergleich zur EMRK beinhalten die Strafvollzugsgrundsätze eine eingehende(re) Regelung des Freiheitsentzuges und entsprechen weitgehend den Grundsatzregelungen des deutschen Strafvollzugsgesetzes (§§ 2 –4). In der Vergangenheit wurde im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung eine relativ hohe Anzahl von Beschwerden durch Gefangene an die Europäische Menschenrechtskommission und gegenwärtig unmittelbar an den EGMR gerichtet. Grund hierfür ist die besondere Verletzlichkeit gegenüber verbotenen Handlungen in von der Öffentlichkeit abgeschirmten Justizvollzugsanstalten. Zu den Haftbedingungen im Lichte der EMRK erschien 1981 eine Stellungnahme des Direktorats für Menschenrechte. Danach steht dem EGMR und der Menschenrechtskommission mangels spezifischer Normierung in der EMRK keine Gerichtsbarkeit zur Untersuchung der Haftbedingungen zu. Eine Überprüfung hängt von der Reichweite des verletzten Menschenrechts ab, wobei die EMRK keine besondere Regelung zur Behandlung von Strafgefangenen enthält. Mittlerweile hat sich eine Spruchpraxis (case-law) zu Haftbedingungen entwickelt, in der die Strafvollzugsgrundsätze als „Kode für die Behandlung von Strafgefangenen“ anerkannt sind. Das Ermessen der Vollzugsbehörden wird damit vor allem durch das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (Art. 3 EMRK) eingeschränkt, das eine engere Grenzziehung bzgl. der Haftbedingungen enthält als der Wirkungsbereich der Strafvollzugsgrundsätze.

157 158

Kaiser (1992), S. 362; Müller-Dietz (1994), S. 5. Müller-Dietz (1994), S. 6.

H. Das Verhältnis zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)

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II. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) 1. Aufgaben des Gerichtshofes und Bindungswirkung von Urteilen Der EGMR in Straßburg überprüft die Einhaltung von Menschenrechten durch Beschwerden von Mitgliedsstaaten gegen andere Vertragsstaaten oder – wie schon erwähnt – von Einzelpersonen, wenn der Rechtsweg vor den nationalen Gerichten erschöpft ist. Beschwerdeberechtigt sind auch Staatsangehörige anderer Länder, die sich zum Zeitpunkt des zur Beschwerde führenden Ereignisses in der Gerichtsbarkeit des Vertragsstaates aufgehalten haben. 159 Die Beschwerden umfassen eine breite Palette von Menschenrechtsverletzungen wie schwere Misshandlung oder Folter durch Polizei oder Sicherheitskräfte, der Status unverheirateter Mütter und nicht ehelicher Kinder, die Dauer und Gerechtigkeit von Strafverfahren, das Presserecht zur Kritik an Politikern. Vor allem zu Beginn der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts verzeichnete der EGMR einen sprunghaften Anstieg von Beschwerden. Nach dem Zerfall des ehemaligen Ostblockbündnisses trat eine Reihe von osteuropäischen Ländern dem Europarat bei. Diese Entwicklung bewirkte eine Reform des EGMR. Seit dem 1. November 1998 ist der neue EGMR ein ständiges Gremium mit obligatorischer und öffentlicher Gerichtsbarkeit. In diesem Rahmen fiel die Beschwerdeprüfungskompetenz der Europäischen Kommission für Menschenrechte fort, um das Verfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen. Die Beschwerdeführer wenden sich somit seit der Reform direkt an den EGMR. Als Problem erweist sich die nach wie vor wachsende Anzahl von Beschwerden zum EGMR, die überaus lange Prüfungsverfahren nach sich zieht. 160 Diese Überlastung birgt für den EGMR die Gefahr, die Beschwerden selbst nicht mehr in angemessener Zeit entsprechend den Vorgaben der EMRK bewältigen zu können. Während der EGMR die Entscheidungskompetenz über alle Menschenrechtsverletzungen innehat, obliegt dem Ministerkomitee die Vollstreckung der Urteile. In der Regel akzeptieren die Vertragsstaaten die EGMR-Urteile und erfüllen die aus ihnen folgenden Vorgaben in Gesetzgebung und Praxis. 161 In jüngerer Zeit 159 Zur Einlegung einer Individualbeschwerde siehe Wittinger, NJW 2001, S. 1238 ff.; zum Schutz der Gefangenenrechte vgl. Laubenthal, in: FS 600 Jahre Würzburger Juristenfakultät 2002, S. 169 ff. 160 Roth (2002), S. 8. 161 Z. B. änderte Österreich seine Gesetzgebung über die Krankenhausbehandlung von Gefangenen, Griechenland über die Untersuchungshaft und die Niederlande über die Inhaftierung geisteskranker Patienten; siehe unter www.coe.int/T/D/Kommunikation _und_politische_Forschung/Presse_undOnline ... v. 29.01.03; zur Bindungswirkung in Deutschland vgl. BVerfG v. 14. 10. 2004 2 BvR 1481/04.

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Teil 1: Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze

ist eine bedenkliche Tendenz zur sich häufenden Missachtung der Urteile ersichtlich, die die Bindungswirkung der EMRK schleichend aushöhlen könnte. 162 Im Fall von schweren und anhaltenden Verstößen kann das Ministerkomitee einen Mitgliedstaat vom Europarat suspendieren oder gar ausschließen. Ein abgestuftes Sanktionssystem zur Ahndung von Verzögerungen bei der Urteilsumsetzung durch Bußgelder gibt es bislang nicht. Einen entsprechenden Vorschlag der parlamentarischen Versammlung griff das Ministerkomitee nicht auf, 163 doch wurde 2006 ein besonderes Exekutivbegleitprogramm initiiert, um den festgestellten Menschenrechtsverletzungen abzuhelfen. 2008 wurde eine neue Empfehlung für eine rasche Ausführung der Gerichtsurteile erlassen. In einem ersten Jahresbericht sind die Umsetzungsbemühungen für das Jahr 2007 niedergelegt. 164 2. Die Rechtsprechung zur Behandlung von Strafgefangenen Vor dem EGMR wurden im Jahr 2005 insgesamt 41.510 Individualbeschwerden eingelegt. 165 In diesem Zeitraum wurden 27.612 Beschwerden entweder für unzulässig erklärt oder gemäß Art. 37 EMRK aus dem Register gestrichen; 1.105 Urteile verkündete der EGMR. Die meisten Beschwerden werden ohne weitere Untersuchung als unzulässig abgewiesen. Verständlicherweise erheben Gefangene aufgrund ihrer besonderen Verletzlichkeit in Haft häufiger Individualbeschwerden vor dem EGMR. Die Osterweiterung des Europarates in den 90er Jahren hat noch dazu Beschwerden zum Strafvollzug befördert. In der Folge hat der EGMR den menschenrechtlichen Status von Gefangenen konkretisiert und wegweisende Urteile insbesondere zu den Haftbedingungen getroffen. Aus den Entscheidungen lassen sich drei Schwerpunkte herauskristallisieren: die allgemeine Vollzugsgestaltung („regime“), der private Kontakt von Gefangenen und der Zugang zum Gericht. 166 Bedeutung kommt hier vor allem dem Verbot 162 Nachweise bei Roth (2002), S. 8, Fn. 18 vor allem Italien und die Türkei; vgl. zur Sicherungsverwahrung in Deutschland den Beschluss des BVerfG gegen eine sofortige Freilassung eines Sicherungsverwahrten unter http://www.bundesverfassungsgericht.de/ entscheidungen/rk20100630_2bvr057110.html abgerufen am 28. 02. 2011; s. zur Entwicklung nach dem Urteil des EGMR Kinzig, NStZ 2010, S. 233 ff. NJW und zur Neuregelung ders., NJW 2011, S. 177 ff. 163 Nachweis bei Roth (2002), S. 8, Fn. 19 Parliamentary Assembly of the Council of Europe, Execution of the judgements of the European Court of Human Rights, Ecommendation 1477 (2000); Reply from the Committee of Ministers, Dok. 9311, Straßburg 14. 01. 2002. 164 Council of Europe 2008, S. 9 ff. und Appendix I Protection of rights in detention S. 48 ff. 165 Bundesministerium der Justiz Mai 2006, S. 1; 2.164 Individualbeschwerden richteten sich gegen die Bundesrepublik Deutschland. 166 Jung (1992), 91 f.

H. Das Verhältnis zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)

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der Folter und der unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung (Art. 3 EMRK), der Garantie der persönlichen Freiheit und Sicherheit (Art. 5 EMRK), dem Recht auf ein rechtsstaatliches Verfahren (Art. 6 EMRK), dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens sowie dem Beschwerderecht (Art. 13 EMRK) zu. 167 Ein Beispiel für eine Verletzung der beiden zuletzt genannten Menschenrechte bildet das Kammerurteil „Wainwright gegen Großbritannien“ vom 26. September 2006. 168 Die beiden Beschwerdeführer besuchten einen Gefangenen, der im Verdacht des Drogenkonsums stand. Aufgrund dessen erfolgte eine körperliche Durchsuchung der Mutter und des Halbbruders, bei der die Privatsphäre der beiden Beschwerdeführer (Art. 8 EMRK) missachtet wurde, weil die wegen der Unschuldsvermutung zu beachtenden Schutzvorkehrungen und Vorsichtsmaßnahmen nicht eingehalten wurden. Da ihnen adäquater Rechtsschutz gegen die körperliche Durchsuchung verwehrt wurde, lag zugleich ein Verstoß gegen ihr Beschwerderecht aus Art. 13 EMRK vor. In England und Wales bewirkte ein Urteil des EGMR eine grundlegende Änderung im Disziplinarverfahren. Im Fall „Ezeh und Connors gegen Großbritannien“ verhängte der Anstaltsleiter aufgrund einer während des Vollzugs verübten Straftat jeweils zusätzliche Hafttage als Disziplinarmaßnahme. 169 Der EMGR sah darin einen Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6 EMRK), weil die Vergehen aufgrund ihrer Natur sowie der Art und Schwere der Strafen als strafrechtliche Anklagen zu qualifizieren waren. Seit diesem Urteil entscheidet in vergleichbaren Fällen ein Richter über den einen Straftatbestand erfüllenden Disziplinarverstoß. In dem Kammerurteil „Musumeci gegen Italien“ hielt der EMGR die Rüge des Beschwerdeführers für begründet, da ihm kein wirksamer Rechtsschutz gegen die Anordnung von besonderen Sicherheitsvorkehrungen (Kontaktverbot zu Häftlingen, Überwachung des Briefverkehrs, Einschränkung der familiären Besuche) zur Verfügung stand. 170 Für die Überwachung des Briefverkehrs fehlte eine gesetzliche Grundlage, da die angewendete Bestimmung des italienischen Strafvollzugsgesetzes nicht im Einklang mit Art. 8 EMRK steht. In Bezug auf die Vollzugsgestaltung („regime“) ist mittlerweile eine reiche Kasuistik zu Art. 3 EMRK über Haftbedingungen und Gesundheitsvorsorge im Allgemeinen und zum Umgang mit Behinderten und psychisch Kranken im Besonderen entstanden. Art. 3 EMRK enthält das Folterverbot und das Verbot der unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung. 171 Diese weiten 167

Kaiser / Schöch, Strafvollzug, § 3 Rn. 45, S. 40. Nr. 12350/04. 169 Urteil der Großen Kammer v. 9. 10. 2003; abgerufen unter www.menschenrechte .ac.at/docs/03_5/03_5_05. 170 Urteil der Kammer IV v. 9. 10. 2003; abgerufen unter www.menschenrechte.ac.at/ docs/05_1/05_1_04. 168

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und unbestimmten Begriffe bedürfen einer strengen Auslegung und Konkretisierung durch den EGMR. 172 Dabei sind „unmenschlich“ und „erniedrigend“ als dynamische Begrifflichkeiten zu verstehen, die dem jeweiligen Standard der europäischen öffentlichen Ordnung entsprechend auszulegen sind. 173 Eine erniedrigende Strafe oder Behandlung liegt vor, wenn sie im Opfer Gefühle der Angst, der Ohnmacht und der Minderwertigkeit hervorruft, die herabwürdigen und demütigen und dadurch den körperlichen oder moralischen Widerstand überwinden können. 174 Wird dem Opfer absichtlich heftiger körperlicher oder seelischer Schmerz zugefügt, so handelt es sich um eine inhumane Behandlung oder Strafe. 175 Nach Art. 15 Abs. 2 EMRK kann das Folterverbot auch im Notstand nicht außer Kraft gesetzt werden. Art. 3 EMRK wohnt eine absolute Menschenrechtsgarantie inne, die keinerlei Einschränkungen unterliegt. Im Folgenden wird anhand von Fallbeispielen die neuere Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK ausführlicher dargestellt. 176 a) Spruchpraxis zu Art. 3 EMRK in Bezug auf Haftbedingungen Nur wenige Individualbeschwerden von Gefangenen erachtet der EGMR für begründet und stellt somit eine Verletzung von Art. 3 EMRK fest. Die Erfolgsaussichten von Individualbeschwerden werden durch das Schwereerfordernis verringert. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR muss die Behandlung oder Strafe einen gewissen Grad an Schwere („minimum level of severity“) erreichen, um als erniedrigend oder unmenschlich zu gelten. 177 Die Einschätzung der Schwere ist relativ und hängt von den jeweiligen Gesamtumständen des Einzelfalls ab, beispielsweise der Dauer der Behandlung, den körperlichen und mentalen Auswirkungen sowie in bestimmten Fällen vom Alter, Geschlecht und Gesundheitszustand des Opfers. Das Schwereerfordernis basiert auf dem Gedanken, dass die Verurteilung und der Vollzug einer Freiheitsstrafe für den Betroffenen ohnehin erniedrigend sind und durch die Zufügung von Leid charakterisiert werden. 178 171

Zur Differenzierung der Begriffe im Lichte der Rspr. des EGMR (Irland gegen Großbritannien vom 8. 1. 1987), vgl. Murdoch (2006), S. 117; danach wird Folter als qualifizierte Form der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe aufgefasst; zur Spruchpraxis zu den Haftbedingungen bis in die 1980er Jahre siehe Morawa, in: Menschenrechte im Strafvollzug 1998, S. 213 ff. 172 Murdoch (2006), S. 115. 173 Gräfenstein, ZStrVo 2003, S. 10; Murdoch (2006), S. 137. 174 Gräfenstein, ZStrVo 2003, S. 10; Murdoch (2006), S. 119 m.w. N. 175 Gräfenstein, ZStrVo 2003, S. 10; Murdoch (2006), S. 118.m.w. N. 176 Vgl. zu Haft auch Meyer-Ladewig (2006), Art. 3 EMRK Rn. 10 ff. 177 Irland . / . Großbritannien, Urteil v. 18. 01. 1987, Serie A, Bd. 25, S. 65 ff. = EuGRZ 1979, S. 149 ff.

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Im Aufsehen erregenden Fall „Kalashnikov gegen Russland“ 179 wurde zum ersten Mal eine Verletzung von Art. 3 EMRK aufgrund von Überbelegung anerkannt. 180 Der Beschwerdeführer war fast fünf Jahre als Untersuchungshäftling in einem Haftraum mit Stockbetten für acht Personen und einer Größe von höchstens 20,8 qm 181 untergebracht. Der EGMR ließ diesbezüglich die Frage dahingestellt, ob schon die vorgesehene Unterbringung mit den Standards des Antifolterkomitees, nach denen jedem Gefangenen 7 qm Raumfläche zustehen, unvereinbar wäre. Denn die Zelle war permanent mit 18 bis 24 Häftlingen (nach Beschwerdeführer), aber zumindest mit durchschnittlich 14 Häftlingen (laut Regierung) belegt. Eine gravierende Überbelegung nahm der EGMR in beiden Fällen an (0,9 bzw. 1,9 qm pro Häftling) und konstatierte bereits deswegen einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK. Infolgedessen waren auch die Haftbedingungen unerträglich: Der Schlaf wurde durch die abwechselnde Bettenbenutzung, das stets brennende Licht und die allgemeine Geräuschkulisse empfindlich beeinträchtigt. In der stark verrauchten Zelle fehlte eine adäquate Lüftung. Eine Zellendesinfizierung wegen der allgegenwärtigen Kakerlaken und Ameisen fand nicht statt. Mangelnde Hygiene machte den Beschwerdeführer für eine Reihe von Haut- und Pilzerkrankungen (u. a. Krätze) empfänglich. Die vorübergehende Unterbringung mit an Syphilis oder Tuberkulose Erkrankten warf noch dazu weitere schwerwiegende Gesundheitsbedenken auf. Die schmutzigen sanitären Anlagen wurden nicht durch eine Trennwand vom Lebensbereich getrennt und dementsprechend wurde die Intimsphäre nicht gewahrt. Vor allem in der gravierenden Überbelegung, der unhygienischen Umgebung, den schädlichen Folgen für die Gesundheit und das Wohlbefinden des Beschwerdeführers und in der langen Dauer dieser Haftbedingungen sieht der EGMR eine erniedrigende Behandlung. Obgleich den Vollzugsbehörden vorsätzliches Handeln nicht nachgewiesen werden konnte, schloss der fehlende Vorsatz eine Verletzung von Art. 3 EMRK nicht aus. 182 Diese wegweisende Entscheidung hatte zur Folge, dass der EGMR eine Reihe von Individualbeschwerden wegen einer Verletzung von Art. 3 EMRK infolge der unzumutbaren Haftbedingungen für begründet hielt. 183 In den jüngeren 178

Gräfenstein, ZfStrVo 2003, S. 11. Urteil v. 15. 07. 2002, Beschwerde-Nr. 47095/99; hierzu im Interview Ress, ZRP 2000, S. 368 f. 180 Das Urteil beeinflusste die Fassung der Grundsätze 18 und 19 der zuvor erörterten Europäischen Strafvollzugsgrundsätze von 2006. 181 So die Regierung; der Beschwerdeführer gab die Haftraumgröße mit 17 qm an. 182 Wie im Fall Peers . / . Griechenland v. 19. 04. 2001, Beschwerde-Nr. 28524/95. 183 Mayzit . / . Russland v. 20. 01. 2005, Beschwerde-Nr. 63378/00; Nevmerzhitsky . / . Ukraine v. 05. 04. 2005, Beschwerde-Nr. 54825/00; Novoselov . / . Russland v. 02. 06. 2005, Beschwerde-Nr. 66460/01; Labzov . / . Russland v. 16. 06. 2005, Beschwerde-Nr. 62208/00; Khudoyorov . / . Russland v. 08. 11. 2005, Beschwerde-Nr. 6847/ 02; Mamedovia . / . Russland v. 01. 06. 2006, Beschwerde-Nr. 7064/05; Popov . / . Russland v. 13. 07. 2006, Beschwerde-Nr. 26853/04. 179

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Urteilen betont der EGMR, dass die erniedrigende Behandlung auf die viel zu kleine Haftraumfläche pro Häftling zurückzuführen ist und diese durch Überbelegung weiter verringert wird. Hinsichtlich der Überbelegung stellt der EGMR ungewöhnlich deutlich klar, dass die hierfür angeführten Ursachen auf die Entscheidung keinen Einfluss haben. Denn die Regierung trage die Verantwortung für die Organisation des Strafvollzugssystems, in dem die Menschenwürde der Häftlinge ungeachtet von finanziellen und logistischen Schwierigkeiten zu achten ist. 184 In diesem Zusammenhang ist der Fall „Mamedovia gegen Russland“ 185 von Interesse, weil hier von einer Frau die Individualbeschwerde wegen der Haftbedingungen erhoben wurde. In dem Urteil sind Auszüge aus dem Zehnten Tätigkeitsbericht des Antifolterausschusses über die Leitlinien zur Inhaftierung von Frauen 186 abgedruckt. Aufgrund der kleinen Insassinnenpopulation sei für eine sichere und angemessene Unterbringung von weiblichen Häftlingen besondere Sorge zu tragen. Dabei seien die spezifischen hygienischen und gesundheitlichen Bedürfnisse von inhaftierten Frauen in angemessener Weise zu berücksichtigen. Hierzu würden der Zugang zu funktionierenden sanitären Anlagen und Wascheinrichtungen, die Versorgung mit Hygieneartikeln (Binden, Tampons) und zuverlässige Entsorgungsvorrichtungen für Menstruationsabfälle gehören. Allein das Fehlen dieser Notwendigkeiten könnte als erniedrigende Behandlung zu verstehen sein. Leider geht der EGMR in seinen Urteilsgründen nicht näher auf die Besonderheiten des Frauenvollzugs ein, sondern beschränkt sich auf eine für beide Geschlechter gleichermaßen zutreffende Aussage. Die Beschwerdeführerin war in einem Haftraum untergebracht, in dem derart viele Insassinnen lebten, schliefen und die Toilette benutzten, dass diese Haftumstände den Schweregrad einer erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK erreichten. Ein anderes viel beachtetes Urteil betrifft den Fall „Van der Ven gegen die Niederlande“ 187, in dem ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK wegen der wöchentlich vorgenommenen körperlichen Durchsuchung („strip-search“) festgestellt wurde. Der Beschwerdeführer war aufgrund von Fluchtgefahr und wegen seiner Gefährlichkeit dreieinhalb Jahre in einem Hochsicherheitsgefängnis untergebracht. Neben körperlichen Durchsuchungen nach Besuchen ohne Trennscheibe sowie nach Klinik-, Zahnarzt- und Friseurbesuchen wurden ein Mal wöchentlich körperliche Durchsuchungen mit einer Analinspektion während der Haftraumdurchsuchungen vorgenommen, obwohl Sicherheitsgründe und das Verhalten 184

Mamedovia . / . Russland v. 01. 06. 2006, Beschwerde-Nr. 7064/05. Urteil v. 01. 06. 2006, Beschwerde-Nr. 7064/05. 186 Ausschuss zur Verhütung von Folter, Zehnter Tätigkeitsbericht 1999, CPT / Inf (2000) 13. 187 Urteil v. 04. 02. 2003, Beschwerde-Nr. 50901/99; vgl. auch Lorsé und andere . / . Niederlande v. 04. 02. 2003, Beschwerde-Nr. 52750/99. 185

H. Das Verhältnis zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)

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des Beschwerdeführers derlei physische Maßnahmen nicht anzeigten. Während der körperlichen Durchsuchung musste der nackte Beschwerdeführer beschämende Positionen in Gegenwart von Vollzugsbediensteten einnehmen. Nach dem EGMR war die routinemäßige wöchentliche Durchführung von körperlichen Durchsuchungen wegen der hohen Sicherheitsstandards in dem Hochsicherheitsgefängnis überflüssig. Die mehrjährigen, regelmäßigen körperlichen Durchsuchungen berührten nach Auffassung des EGMR die Menschenwürde des Beschwerdeführers und erzeugten beschämende und herabsetzende Gefühle der Angst und Unterlegenheit, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung darstellen. Aufgrund dieses Urteils wurde das Anstaltsreglement für das Hochsicherheitsgefängnis am 1. März 2003 geändert, so dass die wöchentliche Haftraumdurchsuchung nicht mehr routinemäßig mit körperlichen Durchsuchungen vorgenommen werden darf. 188 Darüber hinaus zog das Urteil eine Reihe begründeter Individualbeschwerden von Gefangenen dieses Hochsicherheitsgefängnisses nach sich. 189 Zur medizinischen Versorgung im Lichte von Art. 3 EMRK ergingen weitere Urteile. In dem Fall „McGlinchey und andere gegen Großbritannien“ 190 rügten die Angehörigen einer verstorbenen Insassin deren unzureichende Behandlung im stationären Vollzug 191. Bei ihrer Aufnahme war die asthmakranke und langjährige Heroinabhängige in einem schlechten Gesundheitszustand, hatte ein Körpergewicht von ca. 50 kg 192 und wies Ernährungsmängel auf. Zwar wurden ihre Entzugserscheinungen behandelt, doch traten weitgehend unkontrollierte Brechsymptome auf. Da die Betroffene kein Essen und keine Flüssigkeit bei sich behalten konnte, verlor sie innerhalb einer Woche etwa 10 kg Körpergewicht und litt unter Dehydration. Am Wochenende unterblieb trotz besorgniserregender Gewichtsabnahme eine ärztliche Visite. Erst nach einem Kollaps mit blutigem Erbrechen wurde die Patientin in ein Krankenhaus eingeliefert. Dort erlitt sie einen Herzstillstand, der aufgrund des Sauerstoffmangels einen Hirnschaden und ein mehrfaches Organversagen mit tödlichem Ausgang herbeiführte. 193 Dem EGMR zufolge verursachte die inadäquate Behandlung in der vollzuglichen 188

Vgl. Salah . / . Niederlande v. 06. 07. 2006, Beschwerde-Nr. 8196/02. Salah . / . Niederlande v. 06. 07. 2006, Beschwerde-Nr. 8196/02; Baybasin . / . Niederlande v. 06. 07. 2006, Beschwerde-Nr. 13600/02; Sylla . / . Niederlande v. 06. 07. 2006, Beschwerde-Nr. 14683/03. 190 Urteil v. 29. 04. 2003, Beschwerde-Nr. 50390/99. 191 Das Urteil war von Einfluss für die Fassung des neuen Grundsatzes 42 (Pflichten von medizinischen Praktikern) der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze 2006. 192 Die zur Messung des Körpergewichts benutzten Waagen waren ungenau und nicht kompatibel: Die beim Zugang eingesetzte Waage wich um etwa zwei bis drei Pfund von der in der Krankenabteilung verwendeten Waage ab. Aufgrund dieser Abweichung legte der behandelnde Arzt mehr Wert auf die von ihm gewonnenen klinischen Eindrücke als auf den Gewichtsverlust der Patientin. 193 Der Tod trat knapp drei Wochen später ein. 189

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Teil 1: Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze

Krankenabteilung bei der Patientin unnötiges Leiden und Verzweiflung verbunden mit schwerwiegenden Gesundheitsrisiken. Demnach sorgte die Anstalt nicht für die notwendige medizinische Versorgung der Inhaftierten, wie beispielsweise die Zuziehung eines Facharztes oder die Überweisung in ein Krankenhaus. Diese ungenügende Behandlung sah der EGMR als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK an. 194 b) Schlussbetrachtung Obwohl die dargestellten Urteile eine hohe Erfolgsquote von Individualbeschwerden zu Haftbedingungen suggerieren, muss selbstverständlich bedacht werden, dass es sich hier um eine positive Auswahl handelt, die nicht über die allgemein geringen Erfolgsaussichten von Rügen über die konkreten Lebensbedingungen im Vollzugsalltag hinwegtäuschen darf. 195 Im letzten Jahrhundert fiel die Zurückhaltung des EGMR auf, sich auf die Bewertung von Haftbedingungen einzulassen. 196 Deshalb wurde dem EGMR vorgeworfen, auf diese Art die bestehende Vollzugspraxis in den Mitgliedstaaten zu legitimieren sowie der umfassenden Schutzwirkung von Art. 3 EMRK nicht gerecht zu werden. 197 Eine bemerkenswerte Wende in der Spruchpraxis lässt sich aber zu Beginn des neuen Jahrhunderts beobachten. Wurde mit der Osterweiterung noch eine Aufweichung der Menschenrechtsstandards befürchtet, so hat der EGMR mit seinem Urteil „Kalashnikov gegen Russland“ und mit diversen Nachfolgeurteilen gezeigt, dass er die Messlatte für die osteuropäischen Mitgliedstaaten ebenso hoch hängt wie für die westlichen Mitgliedstaaten. Aber nicht nur in den neuen 194

Es gibt noch einige Urteile zu den Haftbedingungen, die hier aus Platzgründen nicht dargestellt werden können: z. B. Unterbringung einer Behinderten (Price . / . Großbritannien, Urteil v. 10. 07. 2001, Beschwerde-Nr. 33394/96), Unterbringung von psychisch Kranken (Keenan . / . Großbritannien, Urteil v. 03. 04. 2001, Beschwerde-Nr. 27299/95), Unterbringung eines Schwerkranken (Mouisel . / . Frankreich, Urteil v. 14. 11. 2002, Beschwerde-Nr. 67263/01), Ankettung ans Krankenbett (Hénaf . / . Frankreich, Urteil v. 27. 11. 2003), Entzug des Wahlrechts (Hirst . / . Großbritannien, Urteil v. 06. 10. 2005: Verletzung von Art. 3 1. Zusatzprotokoll EMRK). 195 Als Beispiele für unbegründete Individualbeschwerden wegen Verletzung von Art. 3 EMRK können genannt werden: Rohde . / . Dänemark (Einzelhaft), Urteil v. 21. 07. 2005, Beschwerde-Nr. 69.332/01; Gelfmann . / . Frankreich (Unterbringung eines Aidskranken), Urteil v. 14. 12. 2004, Beschwerde-Nr. 25875/03. 196 Anders ist der Befund bzgl. der Wahrung von Verfahrensgarantien. Hier pochte der EGMR auf die Einhaltung der Menschenrechte (z. B. Zugang zu Rechtsbeistand, faire Disziplinarverfahren); vgl. Livingstone, Punishment&Society 2000, S. 321; van Zyl Smit (2006), S. 5. 197 Jung (1992), S. 93; ders., in: FS für Trechsel 2002, S. 864 f.; Livingstone, Punishment&Society 2000, S. 321; van Zyl Smit (2006), S. 5.

I. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG)

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Mitgliedstaaten häufen sich erfolgreiche Individualbeschwerden von Gefangenen, sondern auch in den alten Mitgliedstaaten („Van der Ven gegen die Niederlande“). Die erfolgreichen Individualbeschwerden zu Haftbedingungen verdeutlichen, dass der EGMR die Sensibilität und Verletzlichkeit des Gefangenen im Lichte von Art. 3 EMRK ernst nimmt, die Grundlagen für eine menschenwürdige Inhaftierung konkretisiert und dabei eine klarere Grenzziehung als in der Vergangenheit vornimmt. Die jüngste Entwicklung macht Hoffnung, dass Individualbeschwerden zu Haftbedingungen verstärkt von der Schutzwirkung des Art. 3 EMRK erfasst werden. Auf diese Weise könnte die Rechtsprechung des EGMR einen essentiellen Beitrag für humane Verbesserungen im Strafvollzug der Mitgliedsländer leisten.

I. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) Im europäischen Vergleich nimmt der differenzierte Schutz der Grundrechte vor dem BVerfG eine einzigartige Stellung ein. 198 Jährlich werden über 250 Eingaben zum Vollzug von Straf- und Untersuchungshaft ins Verfahrensregister des BVerfG aufgenommen. 199 Bei den Beschwerdeführern bzw. Antragstellern handelt es sich meist um Strafgefangene. 200 Das BVerfG gewährleistet durch den verfassungsgerichtlichen Individualschutz die Achtung von Menschenrechtsstandards und trifft immer wieder wichtige Entscheidungen im Bereich des Strafvollzugs. 201 Diese Funktion wird in anderen Mitgliedstaaten des Europarates vom EGMR wahrgenommen. Aufgrund der herausragenden Rolle des BVerfG sollen im Folgenden einzelne Entscheidungen des BVerfG zum Strafvollzug aus jüngerer Zeit vorgestellt werden. 202 198 Dünkel / Morgenstern / Zolondek, NK 2006, S. 86 f.; Jung, JuS 2000, S. 422 spricht zu Recht von einer „gewissen Introvertiertheit der deutschen Grund- und Menschenrechtsdiskussion“. 199 Nach Lübbe-Wolff / Geisler, NStZ 2004, S. 478 (2002:252, 2003:267); Lübbe-Wolff / Lindemann, NStZ 2007, S. 450 ff. (2006:400), den Anstieg des Beschwerdeaufkommens führen die Autoren auf restriktive Veränderungen in der Vollzugspraxis zurück. 200 Lübbe-Wolff / Geisler, NStZ 2004, S. 478. 201 Zu nennen ist z. B. die wegweisende Entscheidung des BVerfG v. 14. 03. 1972 (BVerfGE 33, 1 ff.), das entscheidenden Einfluss auf den Gesetzgebungsprozess für das 1976 erlassene StVollzG hatte. Das BVerfG verwarf die Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis als ausreichende Rechtsgrundlage und stellte klar, dass die Grundrechte von Strafgefangenen nur durch oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden dürfen (Vorbehalt des Gesetzes); an diese Entscheidung knüpft die jüngste Entscheidung des BVerfG v. 31. 05. 2006 (2 BvR 1673/04 – 2 BvR 2402/04) zur Verfassungswidrigkeit des Jugendstrafvollzuges an.

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Die Resozialisierung als wesentliches Vollzugsziel in § 2 S. 1 StVollzG wird vom Persönlichkeitsrecht gem. Art. 2 Abs. 1 GG erfasst. Eine Verletzung des allgemeinen Resozialisierungsgebots bzw. des Resozialisierungsanspruchs des Strafgefangenen wird mit Verfassungsbeschwerden hinsichtlich verschiedener Bereiche des Strafvollzugs vorgebracht. Eine bedeutende Entscheidung aus dem Jahr 1998 203 betraf das Arbeitsentgelt für Strafgefangene. Das BVerfG hielt die damaligen Vorschriften zur Arbeitsentlohnung aufgrund seiner Unvereinbarkeit mit dem Resozialisierungsgebot aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 und Art. 20 GG für verfassungswidrig. Die Neuregelung führte nicht nur zu einer Erhöhung der monetären Bezüge, sondern auch zur Schaffung von nicht geldwerten Gegenleistungen wie Haftzeitverkürzung oder sonstigen Hafterleichterungen. Eine hierzu erhobene Verfassungsbeschwerde nahm das BVerfG im März 2003 mangels Vorliegen der Voraussetzungen nach § 93a Abs. 2 BVerfG nicht zur Entscheidung an, jedoch fällte die Kammer eine negative Sachentscheidung mit der ausdrücklichen Ablehnung der Verfassungsbeschwerde als „nicht begründet“. 204 Das BVerfG betont, dass die mittelbar angegriffenen §§ 43 und 200 StVollzG als noch verfassungsgemäß anzusehen sind. Zur Begründung wird angeführt, dass die Vorteile der Gefangenenarbeit den Strafgefangenen im gebotenen Mindestmaß davon überzeugen könnten, einen Sinn in der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zur Schaffung einer Lebensgrundlage zu sehen. Der Gesetzgeber wird aber zu einer ständigen Überprüfung der Bezugsgröße des Arbeitsentgelts und des Umfangs der nicht monetären Zuwendung aufgefordert. In diesem Rahmen stehe dem Gesetzgeber ein weiter verfassungsrechtlicher Gestaltungsspielraum zu, der auch fiskalische Abwägungsaspekte wie die niedrigere Produktivität von Gefangenenarbeit, die hohe Arbeitslosigkeit und die Staatsverschuldung einschließe. Die Berücksichtigung von finanziellen Erwägungen stößt jedoch auf Kritik: Die Verwirklichung des Resozialisierungsgebots dürfe nicht nur von der Haushaltsund Wirtschaftslage abhängig gemacht werden. 205 Aus dem Jahr 2006 gibt es zwei Entscheidungen zum Resozialisierungsanspruch von Strafgefangenen aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG. In dem Beschluss vom 19. 04. 2006 ging es um die vom Beschwerdeführer begehrte Verlegung in eine heimatnahe Vollzugsanstalt. 206 Die Justizvollzugsanstalt hatte die Ablehnung des Antrags damit begründet, dass eine Verlegung nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 StVollzG nur ausnahmsweise in Betracht komme, wenn sie zur Behandlung oder aus Resozialisierungsgründen unerlässlich sei. Dieser Position widersprach 202

Übersicht zu früheren Entscheidungen bei Kaiser / Schöch (2002), § 5 Rn. 41 ff. BVerfGE 98, S. 169 ff. 204 BVerfG 2 BvR 2175/01 vom 24. März 2003, Rn. 31 ff.; abgerufen unter http://www .bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rk20020324_2bvr217501.html. 205 Lohmann, NStZ 2003, S. 112; dieser Gefahr möchte ebenso Grundsatz 4 der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze von 2006 entgegensteuern. 206 BVerfG ZfStrVo 2006, S. 237 ff. mit Anm. von Rotthaus. 203

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das BVerfG und betonte, dass eine Verlegung schon zur Förderung der Behandlung des Gefangenen oder seiner Eingliederung nach der Entlassung zulässig sei. Der in § 8 Abs. 1 Nr. 1 StVollzG eingeräumte Ermessensspielraum entbindet die Vollzugsbehörde gerade im konkreten Fall nicht von einer Ermessensausübung entgegen einer verschärfenden Leitlinie. Vielmehr bestehe die Verpflichtung, die grundrechtlichen Belange des Betroffenen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls angemessen zu würdigen. Diese Abwägung unterblieb im vorliegenden Fall, so dass das BVerfG eine Verletzung des Grundrechts auf Resozialisierung beanstandete. Der zweite Beschluss erging am 25. 10. 2006 zu Anforderungen an die Vollzugsplanung eines Strafgefangenen. 207 Der Beschwerdeführer rügte den Vollzugsplan, weil dieser den gesetzlichen Mindestanforderungen nicht genüge und damit gegen seinen Resozialisierungsanspruch verstoße. 208 Das BVerfG schloss sich dieser Auffassung an. Da im Vollzugsplan folgenreiche Grundentscheidungen für den Vollzugs- und Behandlungsablauf getroffen würden und der Vollzugsplan einen Orientierungsrahmen sowohl für Strafgefangene als auch Vollzugsbedienstete bilde, stelle der Vollzugsplan ein wesentliches Element des Behandlungsvollzuges dar. Laut dem BVerfG ließ sich dem beanstandeten Vollzugsplan weder eine Beurteilung des bisherigen Behandlungsverlaufs noch eine Auseinandersetzung mit den künftig zu ergreifenden Maßnahmen entnehmen. Dem Beschwerdeführer habe somit eine verständliche Leitlinie zur Erarbeitung einer Wiedereingliederungsperspektive gefehlt, und die Justizvollzugsanstalt sei ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Fortschreibung eines Vollzugsplans nicht nachgekommen. Einen schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht von Gefangenen (Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) bilden körperliche Durchsuchungen mit Entkleidung, die nur unter den Voraussetzungen des § 84 StVollzG statthaft sind. Mit der Grundrechtsrelevanz dieser Bestimmung befasste sich das BVerfG im September 2003. 209 Der Beschwerdeführer wendete sich erfolgreich gegen eine generelle Entkleidungsanordnung auf der Grundlage von § 84 Abs. 2 S. 1 StVollzG vor jedem Besuchskontakt. Das BVerfG stellte klar, dass § 84 Abs. 2 S. 1 StVollzG allein eine einzelfallbezogene Anordnung im Wege von stichprobenartigen Kontrollen erlaube. Eine schematische Durchsuchungspraxis lasse das StVollzG aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nur in den drei Fallgruppen der allgemeinen Befugnisnorm des § 84 Abs. 3 StVollzG zu. In den letzten Jahren häuften sich gerichtliche Entscheidungen zur Doppelbelegung eines Einzelhaftraums und anderer Mehrfachbelegung, in denen die 207 BVerfG 2 BvR 2132/05; vgl. zur Einsichtnahme des Strafgefangenen in den Vollzugsplan BVerfG NStZ 2003, S. 620 f. 208 Noch dazu sein Grundrecht aus Art. 19 GG (Rechtsschutzgarantie). 209 BVerfG NStZ 2004, S. 227.

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Teil 1: Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze

Bildung von solchen Notgemeinschaften unter bestimmten Bedingungen als verfassungswidrig angesehen wird. 210 Aufgrund der chronischen Überbelegung in Justizvollzugsanstalten zu Anfang der Dekade überraschte es nicht, dass sich im Jahr 2002 auch das BVerfG in zwei Entscheidungen mit dieser Problematik beschäftigte. 211 Allerdings führten diese Verfassungsbeschwerden nur wegen der Verletzung des Rechtsschutzinteresses in Art. 19 Abs. 4 GG zum Erfolg. Danach haben die beiden Beschwerdeführer nach Erledigung der Doppelbelegung in einer Einzelzelle – entgegen der Auffassung der OLGe – ein Rehabilitationsinteresse für eine Fortsetzungsfeststellungsklage. Dieses Feststellungsinteresse begründet die Kammer mit dem möglichen Vorliegen von schwerwiegenden Grundrechtsverletzungen wegen der besonders gravierenden Art und Weise der zeitweiligen Unterbringung im geschlossenen Strafvollzug. Im ersten Verfahren teilte sich der Beschwerdeführer mit einem Mitgefangenen fast drei Monate einen Einzelhaftraum von etwa 8 m² Fläche ohne abgetrennten Sanitärbereich. Im zweiten Verfahren verbrachte der Beschwerdeführer mit einem weiteren Gefangenen vier Tage in einer 7,6 m² großen Einzelzelle mit offener Toilette. Aufgrund dieser Unterbringung zieht das BVerfG in beiden Fällen eine Verletzung der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG und eine damit verbundene Diskriminierung in Erwägung. In diesem Zusammenhang beanstandet das Gericht, dass das vom LG festgestellte Fehlen einer diskriminierenden Wirkung der Unterbringung näherer Erläuterung bedurft hätte. Die beiden Beschlüsse legen die Schlussfolgerung nahe, eine Notgemeinschaft ohne abgegrenzten Sanitärbereich als menschenunwürdige Unterbringung anzusehen. Die Zurückhaltung des BVerfG, vorliegend eine Grundrechtsverletzung bindend festzustellen, ist auf Kritik gestoßen. 212 Dem ist jedoch nicht zuzustimmen, weil höchstrichterlich zum einen die langdauernde, aber auch kurzzeitige Unterbringung in Notgemeinschaften als jedenfalls möglicher Verstoß gegen die Menschenwürdegarantie anerkannt wurde. Zum anderen ging von den Entscheidungen des BVerfG eine Signalwirkung für die Gerichte aus, die sich in neueren Urteilen in einer Sensibilisierung für die verfassungsrechtliche Problematik äußerte und zur 210 Nach der Rechtsprechung liegen Verstöße gegen Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 3 EMRK dann vor, wenn die Toilette entweder nicht abgetrennt oder nicht gesondert entlüftet ist und gleichzeitig die Mindestmaße von 7 m² Bodenfläche sowie von 16 m³ Rauminhalt pro Gefangenen unterschritten werden; vgl. OLG Frankfurt a. M. NJW 2003, 843 ff.; LG Hannover StV 2003, 568 f. mit Anm. Lesting; LG Gießen NStZ 2003, S. 624; OLG Celle NJW-RR 2004, S. 380; vgl. hierzu den Überblick von Kretschmer, NStZ 2005, S. 251 ff. 211 BVerfG ZfStrVo 2002, S. 176 = StV 2002, S. 435 = NJW 2002, S. 2699; BVerfG ZfStrVo 2002, S. 178 = StV 2002, S. 661 = NJW 2002, S. 2700. 212 Theile, StV 2002, S. 671 führt diese Vorsicht darauf zurück, dass das BVerfG eine ausufernde Interpretation der Menschenwürdegarantie bzgl. der Mehrfachbelegung vermeiden möchte und Zugeständnisse an die Realität im Strafvollzug macht, die von einer Einzelunterbringung eines jeden Gefangenen weit entfernt ist.

I. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG)

87

vermehrten Feststellung von Verstößen gegen die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) führte. 213 Obwohl die Chancen für eine erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gering sind 214, leistet das BVerfG mit seinen Entscheidungen einen wichtigen Beitrag zur verfassungsgemäßen Fortentwicklung des Strafvollzugsrechts und der Vollzugsrealität. 215 Diesen Einfluss verdeutlichen die oben besprochenen Beschlüsse zur Gefangenenentlohnung sowie zum Rechtsschutz gegen Überbelegung und erledigte Maßnahmen. Interessanterweise kommt ein überproportionaler Anteil von Verfassungsbeschwerden von Gefangenen aus bestimmten einzelnen Justizvollzugsanstalten. 216 Die hohe Beschwerdebilanz dieser Anstalten wird einerseits auf den Vollzugsstil und zum anderen auf zu Beschwerden neigende Gefangene in eigenen und fremden Angelegenheiten zurückgeführt. 217 Aufgrund dieser Konzentration von Beschwerden wird vermutet, dass sich hinter dem juristischen Verfahren ein grundsätzlicher Konflikt in der Kommunikation mit der Anstalt verbirgt. 218 Informelle Erledigungsweisen werden zu Recht als angemesseneres Mittel zur Beilegung von persönlichen Konflikten angesehen. Die Einführung von mediatorischen Elementen in das StVollzG wäre daher grundsätzlich zu begrüßen. 219 Nichtsdestotrotz kann von einer Überstrapazierung des BVerfG mit Individualbeschwerden von Gefangenen nicht die Rede sein. Schon von einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach §§ 109 ff. StVollzG macht nur eine Minderheit der Gefangenen Gebrauch, noch dazu sind die Erfolgsaussichten dieses Rechtsbehelfs gering. 220 Dennoch gehört es wohl kaum zu den 213 Vgl. nur die Entscheidungen des LG Hannover StV 2003, S. 568, des OLG Frankfurt a. M. NStZ-RR 2004, S. 29 f. und des BGHZ 161, S. 33 zu einer Amtshaftungsklage auf Schmerzensgeld wegen einer zweitägigen Unterbringung, denen ein Verstoß gegen das Gebot der menschenwürdigen Unterbringung zugrunde gelegt wird. Mit diesem Fall befasste sich das BVerfG in einem Nichtannahmebeschlusses, ZfStrVo 2006, S. 183 ff. mit Anm. Gazeas: Das Gericht lehnte eine Verletzung von Art. 1 Abs. 1 GG wegen eines Entschädigungsanspruchs in Geld ab, weil der festgestellte Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 nicht zu einer Zuerkennung von Schadensersatz nach § 839 BGB i.V. m. Art. 34 GG zwinge. Bei Amtshaftungsklagen wegen Menschenwürdeverstößen im Strafvollzug handelte es sich in der vergangenen Dekade um ein aktuelles Thema. 214 1 – 10 % der Verfassungsbeschwerden von Gefangenen führen zum Erfolg, vgl. Dünkel, GA 1996, S. 527; Koeppel (1999), S. 33; Kretschmer, ZfStrVo 2005, S. 218, 224. 215 Kaiser / Schöch, Strafvollzug, § 9 Rn. 2. 216 Nach Lübbe-Wolff / Geisler, NStZ 2004, S. 478 f. 217 Es kann nicht von einem „Nord-Süd-Gefälle“ gesprochen werden, wonach der Vollzugsstil angeblich nach Süden hin an Strenge zunimmt, so Lübbe-Wolff / Geisler, NStZ 2004, S. 479. 218 Lübbe-Wolff / Geisler, NStZ 2004, S. 486. 219 Zumal die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze von 2006 hierzu auch Grundsätze enthalten; konkrete Vorschläge zu Ergänzungen und Alternativen zum Rechtsschutz bei Lübbe-Wolff / Geisler, NStZ 2004, 478 f.; Kretschmer, ZfStrVo 2005, S. 219 ff. 220 Diepenbruck (1981), S. 206, 209, 210; Kaiser / Schöch, Strafvollzug, § 9 Rn. 13.

88

Teil 1: Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze

Aufgaben des BVerfG, sich mit relativ unbedeutenden Fällen aus dem Vollzugsalltag zu befassen, obschon divergierende Ansichten mancher Instanzgerichte und des BVerfG über den grundrechtlichen Status von Gefangenen eine Klarstellung erforderlich machen. 221 Zudem ist das streitige Gerichtsverfahren für Gefangene oft kompliziert und über mehrere Instanzen hinweg langwierig. Die Strafvollstreckungskammer trifft vielfach aufgrund von Beurteilungs- und Ermessenspielräumen Neubescheidungsbeschlüsse, die dann nicht selten zu einer negativen Entscheidung mit besserer Begründung führen. 222 Die Ausgestaltung der richterlichen Prüfungskompetenz schränkt demgemäß die Effektivität des individuellen Rechtsschutzes ein. Aber bereits der Zugang zum Rechtsschutz bereitet mitunter Schwierigkeiten. Gründe hierfür sind der anstaltsinterne Anpassungsdruck, eine fehlende Rechtsberatung und sprachliche Probleme in Wort und Schrift. 223 Innerhalb der Anstalten erscheint somit eine Streitschlichtung zwischen dem Gefangenem und der Anstalt janusköpfig: Zwar fördert eine einvernehmliche Lösung die Zufriedenheit des Betroffenen und das Klima in der Anstalt, doch könnten sich auf informeller Ebene unbemerkt verfassungswidrige Zustände einschleichen bzw. zementieren. Eine effektive Kontrolle und zügige Abhilfe in Konfliktfällen ließe sich aber durch ein unabhängiges und neutrales Kontrollorgan verwirklichen. Ein sog. Strafvollzugsbeauftragter (Ombudsmann) wäre als Schlichtungsinstanz für einen menschenwürdigen Strafvollzug wünschenswert. 224 Abschließend bleibt festzuhalten, dass die Rechtsprechung des EGMR und des BVerfG einen elementaren Beitrag zur Etablierung und Wahrung eines menschenwürdigen Strafvollzuges leistet. Auf diesem Weg tragen die EMRK und die Grundrechte dazu bei, dass die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze zumindest indirekt eine gewisse Geltung entfalten. Es ist jedoch zu betonen, dass sich die dargestellte Rechtsprechung auf extreme Missstände bei den Haftbedingungen bezieht. In den Entscheidungen wird die Einhaltung von Mindeststandards eingefordert, die vom gewünschten Idealzustand des Regelwerks weit entfernt ist.

221 So auch Koeppel (1999), S. 34; Rotthaus, ZfStrVo 1996, S. 3; zum Beispiel beim Tragen privater Kleidung eines Spenders durch einen unverschuldet arbeits- und mittellosen Gefangenen, BVerfG StV 1996, S. 681. 222 Feest / Selling / Lesting (1997), S. 123, 133 ff.; Jung (2001), S. 86 ff.; Kretschmer, ZfStrVo 2005, S. 223. 223 Feest / Selling / Lesting (1997), S. 63 ff.; Jung (2001), S. 83 f.; Kretschmer, ZfStrVo 2005, S. 222 f. 224 So schon Kretschmer, ZfStrVo 2005, S. 223.

Teil 2

Kriminalität von Frauen Hinweise auf Entstehungshintergründe von Geschlechterunterschieden können sich aus der Kriminalitätsentwicklung, der Kriminalitätsbelastung, der Strafverfolgung und der Sanktionierung ergeben. Neben Erkenntnissen zum Hell- und Dunkelfeld geht es auch um theoretische Erklärungsansätze für die Kriminalität von Frauen.

A. Erscheinungsbild von Frauenkriminalität I. Hellfeldkriminalität und Strafverfolgung Die Kriminalitätsbelastung im Hellfeld spiegeln die offiziellen Kriminal- und Rechtspflegestatistiken wider. 1 Ungeachtet ihrer begrenzten Aussagekraft 2 gibt die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) wichtige Anhaltspunkte über das tatsächliche Kriminalitätsaufkommen. Tabelle 1 enthält die registrierten Tatverdächtigen ohne strafunmündige Kinder in Fünfjahresschritten. 3 Ein kontinuierlicher Anstieg der Tatverdächtigenzahlen kennzeichnet die Entwicklung der letzten drei Jahrzehnte in Deutschland. Eine rückläufige Tendenz deutet sich im Jahr 2006 an. Dieser Befund trifft auf Frauen und Männer gleichermaßen zu. Bis Mitte der 1980er Jahre lag hier der Prozentsatz tatverdächtiger Frauen unter bzw. nahe 20 %. Seither machen Frauen fast ein Viertel aller Tatverdächtigen aus. Diese Veränderung geht aber auf die Einführung der sog. „echten“ Tatverdächtigenzählung in der PKS zurück, nach der seit 1983 jede / r Tatverdächtige / n nur noch ein Mal pro Kalenderjahr registriert wird. Dennoch deutet die Abschaffung der Mehrfachzählung einen Unterschied in der quantitativen Kriminalitätsbegehung zwischen den Geschlechtern an. 4 Die Erhö1

Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS), Strafverfolgungsstatistik, Strafvollzugsstatistik. Zu den Verzerrungsfaktoren vgl. Heinz, BewHi 2002, S. 132 ff. und Lindner (2006), S. 5 ff.: Dunkelfeld, Filterprozess, Vergleichsprobleme über Jahre hinweg und bzgl. verschiedener Statistiken des In- und Auslands. 3 PKS 1975, 1980, 1985, 1990, 1995 Tab. 1.3.1. mit eigener Berechnung; 2000, 2005, 2006 Tab. 2.3.1. 4 So auch Lindner (2006), S. 110 f. 2

90

Teil 2: Kriminalität von Frauen Tabelle 1 Weibliche Tatverdächtige in Deutschland

Jahr

Tatverdächtige weiblich

Anteil in %

Tatverdächtige insgesamt

ohne Kinder

Tatverdächtige weiblich

Anteil in %

Tatverdächtige insgesamt

einschließlich Kinder

1975

184.486

17,7

1.043.840

195.278

17,6

1.112.996

1980

256.969

19,3

1.334.330

238.620

19,7

1.211.053

1985

293.071

23,8

1.232.188

307.383

23,8

1.290.999

1990

322.902

23,5

1.375.423

337.644

23,5

1.437.923

1995

438.299

21,9

2.001.485

467.309

22,1

2.118.104

2000

486.635

22,7

2.140.538

528.972

23,1

2.286.372

2005

518.769

23,5

2.210.012

548.724

23,7

2.313.136

2006

521.289

23,9

2.182.640

550.049

24,1

2.283.127

hung des prozentualen Anteils an weiblichen Tatverdächtigen könnte für eine höhere Straftatenbelastung von Männern in Deutschland sprechen. Der auffällige Anstieg der Tatverdächtigen im Jahr 1995 beruht auf der Einbeziehung der neuen Bundesländer in die PKS. 5 Insgesamt ist das weibliche Geschlecht im Verhältnis zu ihrem Anteil an der deutschen Bevölkerung von rund 52 % nach wie vor bei der registrierten Kriminalität deutlich unterrepräsentiert. Aus dem geschlechtsspezifischen Vergleich der Tatverdächtigen zeigt sich fast durchweg ein etwas höherer Anteil an weiblichen Tatverdächtigen einschließlich Kindern. Daher bietet sich eine geschlechtsspezifische Differenzierung nach verschiedenen Altersgruppen von 2006 an (Tab. 2): Die Kriminalitätsbelastung ist in den Jahren zwischen 14 und 30 Jahren am höchsten, so dass die Alterskurve für beide Geschlechter hier am stärksten ausgeprägt ist. Im vierten Lebensjahrzehnt ist ein allmählicher Rückgang zu verzeichnen. Ab dem vollendeten 50. Lebensjahr machen ältere Menschen einen geringen Anteil der Tatverdächtigen aus. Im Geschlechtervergleich stellen weibliche Tatverdächtige über alle Altersgruppen hinweg eine Minderheit dar, doch ist die größte Annäherung mit (über) 29 % bei Kindern und Seniorinnen zu beobachten. Den Belastungsgipfel erreichen weibliche Tatverdächtige bereits im Jugendalter, die männlichen Tatverdächtigen erst im Heranwachsendenalter. Diese Erkenntnisse entsprechen den bekannten Befunden. 6 5 Seit dem 1. 1. 1991 sollten auch die neuen Bundesländer in der PKS erfasst werden, was aber erst 1993 vollumfänglich gelang. 6 Vgl. nur Heinz, BewHi 2002, S. 136 f.

A. Erscheinungsbild von Frauenkriminalität

91

Tabelle 2 Altersstruktur im Jahr 2006 Altersgruppen

Tatverdächtige insgesamt

Verteilung in %

weibliche Tatverdächtige

Kinder

103.124

4,5

29.955

29,0

Jugendliche

284.450

12,3

75.959

26,7

Heranwachsende

247.450

10,7

50.361

20,4

Erwachsene (21 < 25)

284.881

12,3

59.267

20,8

Erwachsene (25 < 30)

262.888

11,4

55.165

21,0

Erwachsene (30 < 40)

443.061

19,2

100.049

22,6

Erwachsene (40 < 50)

355.864

15,4

86.729

24,4

Erwachsene (50 < 60)

186.243

8,1

47.972

25,8

Erwachsene (≥ 60)

145.175

6,3

43.267

29,8

2.283.127

100,0

550.049

23,7

Anzahl

insgesamt

in %

In diesem Kontext ist die Deliktsstruktur im Geschlechtervergleich von Interesse. Tabelle 3 enthält ausgewählte Straftaten(gruppen) des Jahres 2006. Da der Anteil an weiblichen Tatverdächtigen im Durchschnitt 23,9 % ausmacht, wurden in der Tabelle nur Straftaten mit höheren Anteilen berücksichtigt. 7 Die Prozentberechnung bezieht sich auf den weiblichen Anteil aller Tatverdächtigen der jeweiligen Straftaten(gruppen). 8 Zahlenmäßig ist der Ladendiebstahl das bedeutsamste Vergehen von weiblichen Tatverdächtigen. Es schließen sich mit großem Abstand weibliche Tatverdächtige wegen Beleidigung an. An dritter Stelle stehen weibliche Tatverdächtige wegen Waren(kredit)betrugs und anschließend direkt wegen Erschleichen von Leistungen, beispielsweise das Schwarzfahren. Es zeigt sich, dass die genannten vier Vergehen mit 47,1 % fast die Hälfte der Gesamtkriminalität weiblicher Tatverdächtiger erfassen. 9 Der vergleichbare Anteil beträgt bei männlichen Tatverdächtigen lediglich 29,9 % und weist auf ein vielfältigeres Kriminalitäts7

PKS 2006, Tab. 01, Tab. 20; Abschnitt 3 S. 129 ff. zu einzelnen Straftaten(gruppen). Angesichts der Fülle von Strafbestimmungen ist die Aufzählung freilich nicht vollständig. 9 Da es sich um eine Einfachregistrierung handelt, kommen noch weitere Delikte der Tatverdächtigen in Betracht; Heinz, BewHi 2002, S. 139 stellt fest, dass 2000 52,1 % der weiblichen Tatverdächtigen (auch) wegen einfachen Diebstahls, Erschleichens von Leistungen oder Beleidigung aufgenommen wurden; 2006 ist dieser Anteil auf 45,7 % zurückgegangen; es lässt sich somit eine leichte Verlagerung beobachten; die Vergleichsdaten 8

92

Teil 2: Kriminalität von Frauen

spektrum als bei den Frauen hin. 10 Der Schwerpunkt der Straftaten weiblicher Tatverdächtiger liegt demgemäß eindeutig auf den Eigentums- und Vermögensdelikten. Dies verdeutlichen auch die Anteile weiblicher Tatverdächtiger innerhalb der beiden Straftatengruppen: So beträgt der Anteil von Frauen und Mädchen beim Diebstahl ohne erschwerende Umstände 33,4 % an insgesamt 511.860 Tatverdächtigen und bei den diversen Betrugsdelikten 30,2 % an insgesamt 458.726 Tatverdächtigen. Aus den drei der vier wichtigsten Einzeldelikten ergibt sich in qualitativer Hinsicht eine Tendenz zu minder schwerer Kriminalität. 11 Im Rahmen des Diebstahls ohne erschwerende Umstände ist die weibliche Alterskurve an den beiden Enden besonders stark ausgeprägt: So ist der einfache Diebstahl das dominierende Delikt in den jeweiligen Altersklassen aller tatverdächtigen Kinder mit 68 %, Jugendlichen mit 48,7 % und Älteren mit 51,2 % ab 60 Jahren. 12 Die männlichen Tatverdächtigen unterschreiten die ermittelten Anteile in den Alterskategorien zum einfachen Diebstahl erheblich: Kinder 47,4 %, Jugendliche 30,7 % und Männer ab 60 Jahren 32,7 %. Beim männlichen Geschlecht lässt sich schon in jungen Jahren, aber auch im Alter eine größere Deliktsstreuung feststellen. 13 Im Vergleich zum Bevölkerungsanteil finden sich mit der Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht (§ 171 StGB) sowie dem Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft zwei Delikte, in denen das weibliche Geschlecht auffällig überrepräsentiert ist. Da es sich beim zuletzt genannten Delikt um eine kürzlich eingeführte Strafbestimmung (11. 2. 2005) handelt, ist dieser Befund einer Interpretation noch nicht zugänglich. Die überproportionale Beteiligung weiblicher Tatverdächtiger könnte zufällig sein, so dass die Entwicklung der nächsten Jahre abgewartet werden muss. Demgegenüber ist die Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht eine frauentypische Straftat, in denen der weibliche Bevölkerungsanteil überrepräsentiert ist. Aus der Tabelle ergeben sich darüber hinaus weitaus höhere Anteile von Frauen bei Delikten mit Kinds- und Fürsorgebezug, namentlich die Entziehung Minderjähriger und die Kindesmisshandlung. Diese Straftaten beziehen sich auf die Erziehungsaufgabe und entsprechen dem klassischen Modell der Frauenrolle als Mutter und Pflefür 2000 für die obigen vier Einzeldelikte ergeben einen Anteil von 49,3 % weiblicher Tatverdächtiger, der somit 2006 geringfügig zurückgegangen ist. 10 Der von Heinz, BewHi 2002, S. 139 angestellte Vergleich ergibt 2000 einen Anteil von 33,4 %. Auf der Basis der von ihm einbezogenen Delikte beläuft sich der Anteil auf 32,1 % im Jahr 2006 und ist damit geringfügig niedriger; vgl. auch BAG-S 1998, S. 9. 11 Vgl. Heinz, BewHi 2002, S. 138 konstatiert, dass die Deliktsschwere kaum feststellbar ist und sich der PKS nur Anhaltspunkte zu einzelnen Vergehen wie der Beleidigung, dem Ladendiebstahl und dem Erschleichen von Leistungen entnehmen lassen. 12 PKS 2006, Tab. 20; innerhalb des einfachen Diebstahls ragt wiederum der Ladendiebstahl heraus; Kawamura-Reindl, in: Handbuch der Resozialisierung, S. 375 Rn. 2, Schramke (1996), S. 36. 13 BAG-S 1998, S. 9.

A. Erscheinungsbild von Frauenkriminalität

93

Tabelle 3 Straftaten(gruppen) mit einem relativ hohen weiblichen Anteil 2006 Tatverdächtige

Straftaten(gruppen)

Verletzung der Fürsorge-, Erziehungspflicht

insgesamt

weiblich

Anzahl

Anzahl Anteil in %

1.601

1.151

71,9

101

65

64,4

Misshandlung von Kindern

3.228

1.401

43,4

Menschenraub, Entziehung Minderjähriger, Kinderhandel, §§ 234, 235, 236 StGB

1.645

713

43,3

18.283

7.882

43,1

347.258 137.569

39,6

Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft, § 233 StGB

sonstiger Sozialleistungsbetrug Ladendiebstahl Abbruch der Schwangerschaft Beleidigung Vortäuschen einer Straftat

95

34

35,8

164.574

43.333

35,7

14.169

4.771

33,7

Betrug zum Nachteil von Sozialversicherungen und Sozialversicherungsträgern

9.115

3.039

33,3

Betrug mittels Debitkarten ohne PIN

5.795

1.863

32,1

36.219

11.281

31,1

134.565

41.207

30,6

1.679

510

30,4

17.574

5.175

29,5

Leistungskreditbetrug Waren- und Warenkreditbetrug Geld- und Wertzeichenfälschung Fahrlässige Körperverletzung Ausbeutung von Prostituierten

109

31

28,4

130.978

36.820

28,1

Betrug mittels Debitkarten mit PIN

7.131

1.995

28,0

Taschendiebstahl

4.958

1.384

27,9

54

15

27,8

15.633

4.283

27,4

Erschleichen von Leistungen, § 265a StGB

Förderung des Menschenhandels, § 233a StGB Leistungsbetrug Fahrlässige Tötung nicht i.V. m. Verkehrsdelikten

1.092

297

27,2

Untreue, § 266 StGB

8.302

2.207

26,6

Geldkreditbetrug

5.287

1.374

26,0

Unterschlagung

61.819

15.605

25,2

Kreditkartenbetrug

2.034

511

25,1

Fahrlässige Brandstiftung und Herbeiführen einer Brandgefahr

8.328

2.081

25,0

94

Teil 2: Kriminalität von Frauen

gende. Bei diesen beiden Delikten waren mehr als zwei von fünf Tatverdächtigen weiblichen Geschlechts. Somit liegt der Anteil der weiblichen Tatverdächtigen unter dem der weiblichen Bevölkerung. Im Ergebnis lässt sich konstatieren, dass weiterhin kaum von frauenspezifischen Straftaten gesprochen werden kann. 14 In Tabelle 4 tauchen weibliche Tatverdächtige wegen vorsätzlicher Beeinträchtigung der Rechtsgüter „Leben und körperliche Unversehrtheit“ nicht auf. Eine Rolle spielen lediglich die fahrlässige Körperverletzung und die fahrlässige Tötung. In diesem Rahmen stellt sich die Frage, welche Bedeutung der Gewaltkriminalität 15 zukommt. Deshalb gibt die folgende Tabelle einen Überblick zu den Straftaten(gruppen), in denen Frauen und Mädchen überdurchschnittlich unterrepräsentiert sind. Es wurden Straftaten(gruppen) mit einem Anteil unter 15% einbezogen. 16 Gewaltkriminalität wird typischerweise Männern vorgeworfen; Frauen und Mädchen stellen in diesem Bereich eine Minderheit dar. Verständlicherweise gilt dies insbesondere für die Vergewaltigung und sexuelle Nötigung, bei denen das weibliche Geschlecht nur in Ausnahmefällen tatverdächtig ist. Raub und räuberische Erpressung werden in der Regel von männlichen Tatverdächtigen begangen. Dabei handelt es sich um Jugendkriminalität. Dieser Befund trifft gleichermaßen auf weibliche Jugendliche und Heranwachsende zu, denen 56,3 % der Raubtaten weiblicher Tatverdächtiger angelastet werden. Bei der gefährlichen und schweren Körperverletzung, die zahlenmäßig an zweiter Stelle steht, fällt ebenfalls die hohe Tatverdächtigenquote der weiblichen Jugendlichen und Heranwachsenden auf: So beläuft sich deren Anteil auf 44,9 % bezogen auf die weiblichen Tatverdächtigen der Delikte. 17 Betrachtet man hieraus die gefährliche oder schwere Körperverletzung auf Straßen isoliert, so steigt die Tatverdächtigenquote der unter 21-Jährigen sogar auf 63,7 % an. 18 Ihren Höhepunkt erreicht die Altersgruppe der 14- bis unter 16-Jährigen sowohl bei den Raubdelikten als auch bei der Körperverletzung. Nach dem vollendeten 21. Lebensjahr ist in beiden Straftatengruppen ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen. 19 Im Vergleich zu den männlichen Altersgenossen weicht die diesbezügliche Strafta14 Dieser Umstand ist auf die Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs gem. § 218 StGB und die Aufhebung der Kindstötung in § 217 a.F. StGB zurückzuführen, Heinz, BewHi 2002, S. 138. 15 Entsprechend der PKS Mord, Totschlag, Vergewaltigung und sexuelle Nötigung, Raub mit räuberischer Erpressung und räuberischem Angriff auf Kraftfahrer, Körperverletzung mit Todesfolge, gefährliche und schwere Körperverletzung, erpresserischer Menschenraub, Geiselnahme. 16 Es handelt sich um eine exemplarische Darstellung. 17 PKS 2006, Tab. 20 Schlüsselzahl 2220. 18 PKS 2006, Tab. 20 Schlüsselzahl 2221. 19 Im Gegensatz dazu gehören bei den Straftaten gegen das Leben hauptsächlich erwachsene Frauen zu den Tatverdächtigen.

A. Erscheinungsbild von Frauenkriminalität

95

Tabelle 4 Straftaten(gruppen) mit einem niedrigen weiblichen Anteil 2006 Straftaten(gruppen)

Tatverdächtige insgesamt

weiblich

Anzahl Anzahl Anteil in % Fälschung technischer Aufzeichnungen

2.230

52

2,3

Wilderei

3.118

102

3,3

Verletzung der Unterhaltspflicht

15.59

592

3,9

37.128

2.022

5,5

davon: Vergewaltigung und sexuelle Nötigung, §§ 177 Abs. 2, 3 + 4 178 StGB

6.979

85

1,2

Hehlerei von Kfz

1.523

82

5,4

35.850

3.344

9,3

115.650 10.981

9,5

20

Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

Raub, räuberische Erpressung, räuberischer Angriff auf Kraftfahrer Diebstahl unter erschwerenden Umständen Erpresserischer Menschenraub, § 239a StGB

185

19

10,3

11.911

1.362

11,4

Rauschgiftdelikte nach BtmG

209.625 24.064

11,5

Sachbeschädigung

180.478 20.834

11,5

Straftaten gegen die Umwelt

Vorsätzliche Brandstiftung und Herbeiführen einer Brandgefahr Körperverletzung mit Todesfolge Freiheitsberaubung, Nötigung, Bedrohung, §§ 239, 240, 241 StGB Mord, Totschlag, Tötung auf Verlangen Geiselnahme, § 239b StGB Beteiligungs- und Kapitalanlagebetrug Gefährliche und schwere Körperverletzung Wucher Sonstige Hehlerei

4.700

583

12,4

183

23

12,6

142.788 18.243

12,8

2.831

376

13,3

82

11

13,4

1.415

191

13,5

168.107 23.131

13,8

167

23

13,8

18.461

2.704

14,6

tenbelastung bezogen auf alle unter 21-jährigen Tatverdächtigen des jeweiligen Geschlechts voneinander ab: Während die unter 21-jährigen Frauen Anteile von 1,2 % bei den Raubtaten und 3,4 % bei der Körperverletzung auf der Straße aufweisen, betragen die entsprechenden Anteile bei unter 21-jährigen Männern

96

Teil 2: Kriminalität von Frauen

3,8 % und 7,0 %. Im Gewaltbereich werden somit weniger junge Frauen als junge Männer als Tatverdächtige erfasst. Im Gegensatz zum einfachen Diebstahl hat der Diebstahl unter erschwerenden Umständen eine untergeordnete Bedeutung bei weiblichen Tatverdächtigen. Eines Diebstahls unter erschwerenden Umständen sind häufig unter 21-Jährige verdächtig. Ihr Anteil an allen weiblichen Tatverdächtigen der Deliktsgruppe beträgt 43,5 %. Schwerpunktmäßig werden weibliche Jugendliche und Heranwachsende wegen eines schweren Diebstahls registriert. Desgleichen trifft auch auf die männliche Altersgruppe zu, der einschließlich Kindern fast die Hälfte (48,5 %) der schweren Diebstähle angelastet wird. Im Geschlechtervergleich aller unter 21-jährigen Tatverdächtigen lässt sich wiederum eine höhere Belastung bei den jungen Männern (10,9 %) gegenüber den jungen Frauen (3,1 %) beobachten. Zahlenmäßig ins Gewicht fallen die Betäubungsmittelkriminalität, die Sachbeschädigung und die Nötigungsdelikte, wenngleich weibliche Tatverdächtige im Vergleich zu männlichen Tatverdächtigen außerordentlich unterrepräsentiert sind. Die Sachbeschädigung ist eine typische Jugendverfehlung. Dementsprechend entfallen 45,0 % der Tatverdachte gegenüber Frauen auf unter 21-Jährige; dies gilt umso mehr bei jungen Männern unter 21 Jahren, gegen die in 53,8 % der Sachbeschädigungsfälle Tatverdacht besteht. Während sich der Anteil der Sachbeschädigung bei unter 21-jährigen Frauen lediglich auf 6 % beläuft, liegt der Anteil bei Männern unter 21 Jahren bei 18,5 %. Bei den Nötigungsdelikten liegt der Schwerpunkt bei weiblichen und männlichen Tatverdächtigen im mittleren Lebensalter. Die Rauschgiftkriminalität ist quantitativ bei Heranwachsenden beiderlei Geschlechts von Bedeutung, erreicht ihren Höhepunkt bei weiblichen und männlichen Tatverdächtigen im Erwachsenenalter von 21 bis unter 25 Jahren und flaut danach langsam ab. Ab dem vollendeten 40. Lebensjahr geht die Betäubungsmittelkriminalität merklich zurück. Einzig bei den allgemeinen Verstößen gegen das BtmG mit Cannabis und Zubereitungen stellen die unter 21-jährigen Frauen mit einem Anteil von 48,3 % die wichtigste Tatverdächtigengruppe. 21 Der Umgang mit „weichen“ Drogen kann als Ausdruck jugendlichen Experimentierverhaltens bewertet werden. Insgesamt unterstreichen die Angaben aus der PKS, dass das weibliche Geschlecht lediglich ein knappes Viertel aller Tatverdächtigen stellt und damit im Verhältnis zum Bevölkerungsanteil außerordentlich unterrepräsentiert ist. Die registrierte Kriminalität weiblicher Tatverdächtiger kennzeichnen Eigentums- und Vermögensdelikte, die mit dem Ladendiebstahl und dem Erschleichen von Leis20 Die auffällige Unterrepräsentanz von Frauen verwundert nicht, da es sich typischerweise um ein von ihren Kindern getrennt lebenden Vätern begangenes Delikt handelt und die klassische Rollenverteilung widerspiegelt. 21 Bei den gleichaltrigen Männern beträgt der Anteil 41,8 % an allen männlichen Tatverdächtigen der Straftat.

A. Erscheinungsbild von Frauenkriminalität

97

tungen überwiegend im unteren Bereich angesiedelt werden können. Delikte mit Kindsbezug verzeichnen zwar höhere Anteile an weiblichen Tatverdächtigen, doch sind Frauen als Tatverdächtige lediglich bei der Verletzung der Fürsorgeund Erziehungspflicht gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil überrepräsentiert. Demgegenüber bilden Frauen und Mädchen bei Gewaltkriminalität, Betäubungsmittelkriminalität nach dem BtmG und schwerem Diebstahl lediglich eine kleine Minderheit unter allen Tatverdächtigen. Hieraus ergeben sich deutliche Anhaltspunkte für eine geringere Deliktsschwere bei der Kriminalität von Frauen und Mädchen. Diesen Schluss erhärten auch die Strafverfolgungsstatistiken. Zunächst geht es um die Entwicklung der Abgeurteilten und Verurteilten von 1975 bis 2006. 22 Die Straftaten im Straßenverkehr sind darin enthalten. Tabelle 5 Abgeurteilte und weibliche Verurteilte 1975 –2006 Jahr

Abgeurteilte

Verurteilte insgesamt

Frauen Anzahl

in Prozent

1975

779.219

643.285

84.337

13,1

1980

928.906

732.481

111.088

15,2

1985

924.912

719.924

118.257

16,4

1990

878.305

692.363

113.807

16,4

1995

937.385

759.989

114.975

15,1

2000

908.261

732.733

124.414

17,0

2005

964.754

780.659

140.890

18,1

2006

932.352

751.387

135.892

18,1

Über einen Zeitraum von 30 Jahren lässt sich insgesamt eine Erhöhung der Abgeurteilten- und Verurteiltenzahlen beobachten. Der größte Sprung liegt zwischen 1975 und 1980, seither ist die Zahl der Abgeurteilten und Verurteilten weitgehend konstant geblieben. Dementsprechend stiegen auch die weiblichen Verurteiltenzahlen, doch in einem etwas stärkeren Ausmaß als die männlichen Verurteiltenzahlen: So wuchs der Anteil der weiblichen Verurteilten allmählich um 5 Prozentpunkte. Es handelt sich um einen moderaten Anstieg im Laufe der drei Jahrzehnte und hebt das nach wie vor bestehende ungleiche Verhältnis 22 Statistisches Bundesamt, Version 2.24.0/31. 08. 2007; abgerufen am 15. 11. 2007 www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Content/Statistik; die Angaben beziehen sich nur auf das frühere Bundesgebiet und seit 1995 einschließlich Gesamt-Berlin, da es keine flächendeckenden Angaben für die neuen Bundesländer gibt.

98

Teil 2: Kriminalität von Frauen

der verurteilten Frauen gegenüber verurteilten Männern hervor. Der Rückgang des Anteils an weiblichen Verurteilten verdeutlicht den Filterprozess im gesamten Strafverfahren und bildet ein weiteres Indiz für die mindere Deliktsschwere. Von Interesse ist im Vergleich zur PKS, welche Straftaten(gruppen) bei den Aburteilungen und Verurteilungen relevant sind. Tabelle 6 enthält für 2005 eine Übersicht zu ausgewählten Straftaten(gruppen) mit der Gesamtzahl der Abgeurteilten und Verurteilten samt dem deliktsspezifischen weiblichen Anteil. 23 Den höchsten Frauenanteil weisen Delikte mit insgesamt geringen Fallzahlen auf. Dabei verwundert das weibliche Übergewicht bei diesen Straftaten nicht. Bei der Personenstandsfälschung erfolgt das Unterschieben eines Kindes vermutlich meist durch die Mutter. 24 Die Ausübung der verbotenen Prostitution stellt ein typisch weibliches Delikt dar. 25 In diesem Zusammenhang erstaunt die vergleichsweise hohe weibliche Verurteilungsquote bei der Ausbeutung von Prostituierten nicht, denn im überwiegend weiblichen Prostituiertenmilieu finden sich auch Bordellbetreiberinnen, die die dort arbeitenden Prostituierten in persönliche oder wirtschaftliche Abhängigkeiten bringen. 26 Auf die Vernachlässigung der mütterlichen Sorge beziehen sich die Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht und eine noch massivere Verletzung die Misshandlung von Kindern, die unter den Oberbegriff Schutzbefohlene fallen. Bei den genannten Straftaten handelt es sich um Delikte, bei denen Frauen ohnehin gegen ihre traditionell zugewiesene weibliche Rolle verstoßen und sich schon allein deswegen im gesellschaftlichen Abseits befinden. Zu diesem Straftatenbereich gehören auch noch der Menschenhandel, die Entziehung Minderjähriger und der Kinderhandel. Zahlenmäßig bedeutsamer sind die Aussagedelikte und die falsche Verdächtigung mit einem Frauenanteil von fast und über einem Drittel. Dies gilt ebenso für das Vortäuschen einer Straftat mit einem weiblichen Verurteiltenanteil von 27,8 %. Diese Straftaten haben mit dem Schutz der Rechtspflege ein gemeinsames Rechtsgut. 27 Die weiblichen Verurteiltenquoten dieser Delikte liegen weit über dem durchschnittlichen Wert von 18,1 % an insgesamt verurteilten Frauen. Insofern handelt es sich um relevante Deliktsgebiete für Frauenkriminalität.

23

Statistisches Bundesamt 2006, Fachserie 10, R 3, Tab. 2.1. Das Delikt ist eine Ausnahmeerscheinung und weist über die Jahre einstellige Fallzahlen auf. 25 Die Legitimation des Blankettstraftatbestandes als kriminelles Unrecht ist überaus fraglich, vor allem mit dem Inkrafttreten des ProstG am 1. 1. 2002; MK-Hörnle (2005), § 184d Rn. 2 m.w. N. 26 Desgleichen Zuhälterinnen, die ein Drittel der Verurteilten ausmachen. 27 § 164 StGB daneben den Schutz des Unschuldigen gegen irrtumsbedingte behördliche Eingriffe in seine Individualrechtsgüter, str.vgl. Fischer (2011), § 164 Rn. 2. 24

A. Erscheinungsbild von Frauenkriminalität

99

Tabelle 6 Straftaten(gruppen) nach Abgeurteilten und Verurteilten 2006 mit Hauptstrafe nach allgemeinem Strafrecht Straftaten(gruppen)

Abgeurteilte 2006

Verurteilte 2006

insweiblicher ins- weiblicher gesamt Anteil in % gesamt Anteil in % Personenstandsfälschung, § 169 StGB

4

50,0

1

100,0

162

90,7

145

92,4

Verletzung der Fürsorge-, Erziehungspflicht

74

67,6

52

71,2

Ausbeutung von Prostituierten

11

36,4

4

50,0

3.246

34,6

2.195

36,0

Misshandlung von Schutzbefohlenen

224

35,9

147

34,7

Menschenraub, Entziehung Minderjähriger, Kinderhandel, §§ 234, 235, 236 StGB

123

37,4

66

31,8

29,9 84.947

30,8

30,2

Ausübung verbotener Prostitution, § 184d StGB

Falsche Verdächtigung

Diebstahl, § 242 StGB Aussagedelikte Betrug, § 263 Abs. 1 StGB Vortäuschen einer Straftat, § 145d StGB Untreue, § 266 StGB Erschleichen von Leistungen Unterschlagung Fahrlässige Tötung nicht i.V. m. Verkehrsdelikten Urkundenfälschungsdelikte Fahrlässige Körperverletzung nicht i.V. m. Verkehrsdelikten Zuhälterei, § 181a StGB

97.941 6.759

4.743

30,8

29,6 83.921

30,4

1.841

27,3

1.437

27,8

2.607

25,4

105.587

1.925

25,3

23,4 39.686

23,6

8.719

22,0

6.480

21,2

531

18,1

42.701

283

21,2

20,7 18.116

20,7

6.747

21,6

3.963

20,3

21.184

98

22,4

74

20,3

Betrug, § 263 Abs. 2 StGB

3.739

19,7

3.406

19,5

Begünstigung, Strafvereitelung, Hehlerei, Geldwäsche

4.876

17,7

3.767

17,3

357

18,5

Fahrlässige Brandstiftung Beleidigung Mord, Mordversuch, Totschlag, Tötung auf Verlangen

21.297

16,1 11,6

11,9

482

10,2

Rauschgiftdelikte nach BtmG

47.161

10,3 43.063

10,1

Gefährliche und schwere Körperverletzung

24.271

8,6 14.133

7,7

Diebstahl unter erschwerenden Umständen

17.571

Raub, Erpressung, räuberischer Angriff auf Kraftfahrer Sachbeschädigung

639

254

12,4 16.767

8,0 14.592

7,5

5.697

7,9

4.262

7,0

11.443

7,1

8.951

6,4

100

Teil 2: Kriminalität von Frauen

Die quantitativ wichtigsten Delikte sind freilich der einfache Diebstahl und der einfache Betrug. Danach schließt sich mit weitem Abstand das Erschleichen von Leistungen an. Diese Straftaten weisen eine niedrige bis mittlere Schwere auf, da der schwere Diebstahl und die außergewöhnlich hohe Schadensverursachung beim Betrug gesondert erfasst worden sind. Die weiblichen Verurteiltenanteile mit 30,8 %, 30,4 % und 23,6 % liegen deutlich über der weiblichen Durchschnittsquote von 18,1 % an allen Verurteilten. 28 Die hohe Fallzahl verbunden mit einem höheren weiblichen Anteil deutet wiederum auf eine geringere Deliktsschwere der weiblichen Verurteilten gegenüber den männlichen Verurteilten hin. Diesen Befund unterstützen die Frauenanteile bei schwerwiegenderer Kriminalität. Wegen schweren Diebstahls werden nur wenige Frauen verurteilt. Auch bei der Gewaltkriminalität bewegen sich die weiblichen Verurteiltenanteile mit 7,0 % bis zu 10,2 % im unteren Bereich. Desgleichen trifft auf die Betäubungsmittelkriminalität 29 mit 10,1 % weiblichen Verurteilten zu. Eine Ausnahme bildet jedoch der schwere Betrug, der einen weiblichen Verurteiltenanteil von 19,5 % aufweist und damit leicht über der Durchschnittsquote liegt. Die Daten zu Abgeurteilten und Verurteilten von 2006 zeigen im Vergleich zur PKS den Filterprozess auf den verschiedenen Ebenen Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht, dass Frauen immer schwächer repräsentiert sind: Während sie zu Beginn der Ermittlungen fast ein Viertel aller Tatverdächtigen ausmachen, verringert sich ihr Anteil im gesamten Verlauf des Strafverfahrens kontinuierlich, was die Verurteiltenquote von 18,1 % aus dem Jahr 2006 veranschaulicht und zugleich auf eine niedrigere Schwere der Straftaten hinweist. Weiteren Aufschluss könnte hierzu die Entscheidungspraxis geben, denn aus der Art der Entscheidung ergeben sich vermutlich Anhaltspunkte für die Deliktsschwere. Für das Jahr 2006 enthält Tabelle 7 eine Aufstellung der Verurteilten mit der Entscheidung nach Erwachsenen- und Jugendstrafrecht. 30 Der Frauenanteil an Geldstrafen liegt mit 20,5 % leicht über dem Durchschnittswert von 18,0 %; umgekehrt unterschreitet der Frauenanteil mit 11,4 % bei den Freiheitsstrafen diesen deutlich. Während sich die weibliche Quote bei der Strafaussetzung zur Bewährung erhöht, verringert sich diese bei einer unbedingten Freiheitsstrafe. Bei den Verurteilungen nach Erwachsenenstrafrecht zeigt sich somit eine Tendenz zu einer milderen Bestrafung von Frauen: Je strenger die 28 Im Gegensatz zur PKS spielt die Beleidigung bei den weiblichen Verurteilten nur noch eine untergeordnete Rolle, was auf informelle und formelle Erledigungsstrategien zurückgeführt werden könnte. 29 Bei der Betäubungskriminalität wird allerdings nicht zwischen einfachen und schweren Straftaten differenziert. 30 Statistisches Bundesamt 2006, Fachserie 10, R 3, Tab. 2.3; bei den Rechtsfolgen nach JGG blieben die Kombinationsmöglichkeiten des JGG außen vor, maßgebend war die schwerste JGG-Rechtsfolge.

A. Erscheinungsbild von Frauenkriminalität

101

Tabelle 7 Verurteilte nach Art der Entscheidung 2006 Art der Entscheidung

Verurteilte insgesamt

Freiheitsstrafe davon Freiheitsstrafe mit Bewährung davon Freiheitsstrafe ohne Bewährung

weiblich

Anzahl

Anzahl

Anteil in %

124.663

14.195

11,4

87.058

11.470

13,2

37.605

2.728

7,3

520.791

106.920

20,5

Jugendstrafe nach schwerster Sanktion

16.886

1.245

7,4

davon Jugendstrafe mit Bewährung

10.968

957

8,7

5.918

297

5,0

mit Zuchtmitteln

82.785

12.258

14,8

mit Erziehungsmaßregeln

25.661

3.931

15,3

Geldstrafe

davon Jugendstrafe ohne Bewährung

insgesamt

770.786

31

138.549

32

18,0

Strafe ausfällt, desto niedriger ist der weibliche Anteil. Diese Beobachtung trifft auch auf die Verurteilungen nach Jugendstrafrecht zu: Der Anteil junger Frauen und Mädchen ist bei der alleinigen Verhängung von Erziehungsmaßregeln als schwerster Sanktion höher als bei den anderen Rechtsfolgen des JGG; bei den Zuchtmitteln als schwerste Sanktion sinkt ihr Anteil und noch mehr bei der Jugendstrafe. 33 Die Jugendstrafe wird bei weiblichen Verurteilten etwas öfter zur Bewährung als bei den männlichen Verurteilten ausgesetzt. Der Trend zu einem niedrigeren Sanktionsniveau ließe sich – wie schon mehrfach festgestellt – unter anderem mit der geringeren Deliktsschwere begründen. Wenngleich die Angaben in den Kriminal- und Rechtspflegestatistiken zur Deliktsschwere nur mit Einschränkungen gemessen werden können, ergibt sich aus der Analyse der weiblichen Deliktsstruktur eine Konzentration auf wenige und minder schwere Straftaten. 34 Dagegen kennzeichnet das männliche Geschlecht eine Kriminalität mit vielfältigen und aggressiven Erscheinungsformen, welche aufgrund der Schwere der Straftaten härtere Sanktionen nach sich ziehen. 35 31

Der Strafarrest mit 31 Verurteilten wurde nicht einbezogen. Keine Frau wurde zu Strafarrest verurteilt. 33 Auf das komplexe Stufenverhältnis zwischen Zuchtmitteln und Erziehungsmaßregeln mit ambulanten und stationären Rechtsfolgen differierend nach der Eingriffsintensität wird an dieser Stelle nicht eingegangen. 34 Heinz, BewHi 2002, S. 138. 32

102

Teil 2: Kriminalität von Frauen

II. Dunkelfeldkriminalität Die Ungleichverteilung zwischen den Geschlechtern zeigen auch Befunde aus Dunkelfelduntersuchungen, in denen regelmäßig die selbst berichtete Delinquenz von weiblichen und männlichen Jugendlichen erfasst wird. 36 Nach den Ergebnissen der Dunkelfeldstudien sind die geschlechtsbezogenen Unterschiede weniger stark als in der PKS ausgeprägt. 37 Eine Geschlechterangleichung lässt sich vor allem bei der Bagatellkriminalität feststellen, namentlich der Beförderungserschleichung und dem Ladendiebstahl. Bei den eben genannten Vergehen ähneln sich jedoch die Relationen von weiblichen und männlichen Jugendlichen im Hell- und Dunkelfeld: Das Geschlechterverhältnis der registrierten Tatverdächtigen wegen Ladendiebstahls betrug 2005 1,1 männliche Jugendliche auf 1 weibliche Jugendliche und der wegen Beförderungserschleichung 1,5 männliche Jugendliche auf 1 weibliche Jugendliche. 38 Die Geschlechterdisparitäten vergrößern sich zwar mit zunehmender Schwere und Häufigkeit der Delikte im Hellund Dunkelfeld, doch fällt bei der selbstberichteten Delinquenz der Abstand bei den Jugendlichen geringer aus: Bei den Betäubungsmitteldelikten waren die männlichen Täterraten im Dunkelfeld nur um etwa das 1,5-Fache gegenüber den Mädchen erhöht, während im Hellfeld 5,5 männliche Tatverdächtige auf 1 weibliche Tatverdächtige kamen. Bei den Körperverletzungsdelikten betrugen die männlichen Täterraten im Dunkelfeld ungefähr das 3,5-Fache und im Hellfeld ungefähr das 2,4-Fache. Dennoch ist zu betonen, dass Gewalttaten eine Domäne von Jungen darstellen. Zusammenfassend bleibt die Kriminalität von weiblichen Jugendlichen im Vergleich zu männlichen Jugendlichen etwas häufiger im Dunkelfeld. Diese geschlechtsspezifische Abweichung bei weiblichen Jugendlichen lässt sich bei der registrierten Kriminalität auf verschiedene Faktoren zurückführen. Nach den Ergebnissen einer Studie weisen weibliche Jugendliche mehr soziale Kompetenzen als ihre Altersgenossen auf, indem sie sich eher auf eine informelle Beilegung des strafrechtlichen Konflikts einlassen. 39 Auch dürften 35 Cummerow, BewHi 2006, S. 157; Frommel, in: Handbuch der Kriminalprävention, S. 1 ff. 36 Bei diesen Dunkelfeldstudien (Schülerbefragungen) steht die Entwicklung der selbstberichteten Delinquenz von Jugendlichen im Vordergrund, so dass die Frage nach der Übertragbarkeit der Ergebnisse auf erwachsene Männer und Frauen unbeantwortet bleibt, Lindner (2006), S. 19 Fn. 64, Mischau (1997), S. 87; eine ältere Studie von Gipser (1975) beschäftigt sich mit Mädchenkriminalität und erhob selbstberichtete Delinquenz von auffälligen und unauffälligen Mädchen, S. 61 ff. 37 Dünkel / Gebauer / Geng (2007), S. 33 f.; Heinz, BewHi 2002, S. 139 f.; Lösel / Bliesener (2003), S. 52 – 54; Baier / Pfeiffer (2007), S. 33 ff. differenzieren nach Ethnien: Das Verhältnis von Mädchen und Jungen ist nach Kontrolle von familiären Bedingungen, Persönlichkeitseigenschaften etc. beispielsweise bei Gewalttätigkeiten von jugoslawischen und polnischen Jugendlichen ausgeglichen. 38 Im Folgenden stammen die Angaben aus dem Zweiten Periodischen Sicherheitsbericht 2006, S. 367.

B. Erklärungsansätze für die Kriminalität von Frauen

103

die geringere Schwere der Straftaten das Anzeigeverhalten und den Verfolgungsdruck mindern. 40 Es ist zu betonen, dass mit zunehmendem Alter der Abstand zwischen den Geschlechtern wächst. 41 Insgesamt lässt sich eine unzureichende Erforschung des geschlechtsspezifischen Dunkelfelds konstatieren. 42

B. Erklärungsansätze für die Kriminalität von Frauen Frauenkriminalität gilt inzwischen als selbständiges soziales Erscheinungsbild mit eigenen Erklärungsmustern. 43 Die unübersichtliche und spekulative Fachdiskussion um Frauenkriminalität konzentriert sich auf die Frage nach den Ursachen für die niedrige Straffälligkeit von Frauen und ist noch nicht zu einer Klärung des Phänomens gelangt. 44 Die vielfältigen konkurrierenden Theorien lassen sich in biologische, psychologische, sozialisations- und rollentheoretische, klassenanalytische, feministisch-materialistische und konstruktivistische Ansätze unterteilen. 45 I. Moderne biologische Theorien Seit den 1970er Jahren setzt sich die „moderne Kriminalbiologie“ mit den Zusammenhängen zwischen bestimmten biologischen Auffälligkeiten und kriminellen Verhalten auseinander. Im Unterschied zu ihren Protagonisten 46 im 19. Jahrhundert beschäftigt sich die jüngere Richtung nicht nur mit der gesamten Bandbreite möglicher biologischer Einflüsse auf menschliches Verhal39

Brettfeld / Wetzels, Praxis der Rechtspsychologie, S. 226 ff. Heinz, BewHi 2002, S. 140. 41 Dabei handelt es sich um Erkenntnisse aus der Hellfeldkriminalität, da sich die Dunkelfeldforschung auf Jugendliche konzentriert. 42 Ebenso Heinz, BewHi 2002, S. 151. 43 Obermöller (2000), S. 16. 44 Maelicke (1995), S. 23 f. 45 Auf traditionelle Kriminalitätstheorien wie die Anomie-, Lern- und Kontrolltheorien wird an dieser Stelle nicht gesondert eingegangen. 46 Lombroso / Ferrero (1894), S. 76 ff. sahen in Prostituierten das weibliche Pendant zur Kriminalität der Männer („Prostitutionstheorie“); in jüngerer Zeit vertrat die Reformatorin des Frauenvollzugs Helga Einsele, in: Handwörterbuch der Kriminologie, S. 631 einen ähnlichen Ansatz; nach der ebenfalls auf Lombroso (1902), S. 164 zurückgehenden „Schwächetheorie“ hielten die körperliche Schwäche und niedrige Intelligenz Frauen von der Begehung von Straftaten ab; mittlerweile gelten diese Theorien zu Recht als überholt; ausführliche Kritik in Theurer (1996), S. 19 ff. m.w. N. 40

104

Teil 2: Kriminalität von Frauen

ten, sondern bezieht die Umweltbedingungen und ihre Wechselwirkung mit den biologischen Ausgangsbedingungen ein. Biologische Auffälligkeiten gelten nur noch als Risikofaktoren, welche die Wahrscheinlichkeit zur Straftatenbegehung im Zusammenspiel mit bestimmten Einflussgrößen erhöhen. Das Wissen um die vielgestaltigen Zusammenhänge führte zu einer differenzierteren Sicht über die Genetik und Vererbung von Kriminalität. Von der früheren Überschätzung einzelner Erbanlagen ist man aufgrund der Ergebnisse von Untersuchungen abgerückt. 47 Heutzutage wird eine mittelbare Einflussnahme von verschiedenen Genen vermutet, die eine Prädisposition begründen. Die empirische Erforschung von Erbeinflüssen auf Kriminalität erfolgt mit Hilfe von Zwillings- und Adoptionsstudien. 48 Vergleiche zur Kriminalitätsbelastung erbrachten, dass monozygote Zwillinge eine höhere Konkordanzrate an strafrechtlichen Verurteilungen als dizygote Zwillinge aufweisen. 49 Im Geschlechterverhältnis wurde in einer Studie festgestellt, dass die Vererbung bei der Kriminalitätsbelastung von weiblichen Zwillingen eine Rolle spielt. 50 Auch wenn der genetischen Ausstattung eine gewisse Bedeutung nicht abgesprochen werden kann, bleibt das Ausmaß des Einflusses von Umweltfaktoren nach wie vor ungeklärt. Im Unterschied zu zweieiigen Zwillingen verführt vermutlich die äußerliche Ähnlichkeit von eineiigen Zwillingen das Umfeld dazu, gleichartige Verhaltensweisen und damit kongruente Entwicklungsprozesse zu fördern. 51 Derart verbleibt Lern- und Sozialisationsfaktoren ein beträchtlicher Spielraum und relativiert die Ergebnisse der Zwillingsforschung. In der Adoptionsforschung lassen sich hingegen Erbanlagen und Umwelteinflüsse besser voneinander trennen und Wechselwirkungen untersuchen. 52 Aus zwei Adoptionsstudien wurde die 47

In den 60er Jahren wurde bei mehreren Mördern eine Häufung der XYY-Konstitution festgestellt, die Chromosomenaberration diente jedoch vorschnell als monokausaler Beleg für besondere Aggressivität; diese Annahme wurde in gründlichen Untersuchungen verworfen, hierzu Hohlfeld (2002), S. 99 ff.; umgekehrt wurde dem weiblichen Chromosomenpaar XX kriminalitätsverhütende Wirkung zugeschrieben und als Erklärung der niedrigen Frauenkriminalität herangezogen („Stabilitätstheorie“), Cremer (1974), S. 220, 223; dem ist eben entgegenzuhalten, dass die kriminalitätsfördernde Wirkung des Y-Chromosoms bislang nicht nachgewiesen werden konnte. 48 Früher auch Familienstudien, bei denen genetische und familiäre Faktoren nicht voneinander getrennt werden konnten, so dass Erbanlagen zur Kriminalitätsgenese sich nicht herausfiltern ließen; siehe Hohlfeld (2002), S. 86 f. 49 Kaiser / Schöch (2010), Fall 1 S. 6, Rn. 21. 50 Nach Hohlfeld (2002), S. 89. 51 Kaiser / Schöch (2010), Fall 1 S. 6, Rn. 21. 52 Eine schwedische Studie von 1982 mit 862 Adoptivkindern wies folgende Kriminalitätsraten auf: 2,9 % wenn weder ein biologischer noch ein sozialer Elternteil straffällig geworden war, 6,7 % bei Straffälligkeit eines sozialen Elternteils, 12,1 % bei Straffälligkeit eines biologischen Elternteils und 40 % bei Straffälligkeit beider Elternteile; dieser Befund legt eine Wechselbeziehung zwischen Anlage- und Umweltfaktoren nahe; nach Hohlfeld (2002), S. 95.

B. Erklärungsansätze für die Kriminalität von Frauen

105

Schlussfolgerung gezogen, dass sich die genetische Prädisposition bei Frauenkriminalität in höherem Ausmaß als bei Männern auswirkt. 53 Zur Begründung wird die größere informelle Sozialkontrolle von Frauen angeführt, die eine höhere Hemmschwelle gegenüber kriminellen Handlungen hervorruft. Deren Überwindung erfordere eine stärkere genetische Veranlagung zur Delinquenz als bei Männern. Hierbei wird die genetische Veranlagung mit einem sozialisationstheoretischen Erklärungsversuch verknüpft (soziobiologische Kriminalitätstheorie). 54 Eine andere Erklärung besagt, dass weibliche Straffällige in höherem Ausmaß als männliche Straffällige ihre Kinder zur Adoption freigeben und ihre Kriminalitätsanlage vererben. Demgegenüber finden andere Adoptionsstudien keine geschlechtsspezifischen Unterschiede und entkräften die Befunde zur Vererbung von Frauenkriminalität. Zusammenfassend lässt sich eine sehr schwache Beziehung zwischen genetischer Prädisposition und Kriminalität konstatieren. Im Zusammenspiel von Erbund Umwelteinflüssen fallen die Kriminalitätsquoten am höchsten aus, so dass genetische Thesen für sich genommen kaum Erklärungswert zugemessen werden kann. Als weiterführend könnten sich Mehrfaktorenansätze im Sinne eines Wechselwirkungsprozesses zwischen sozialen und biologischen Faktoren erweisen. 55 Da der Einfluss von genetischen Anlagen noch weitgehend ungeklärt ist, ist vor einer Überbewertung von biologischen Erkenntnissen zu warnen und eine zurückhaltende Bewertung anzumahnen. 56 II. Persönlichkeitstheorien Aus psychologischer und psychiatrischer Perspektive basiert kriminelles Verhalten auf psychischen Eigenarten des Individuums, die es zu identifizieren gilt, um bestimmte kriminogene Merkmale der Täterpersönlichkeit herauszufiltern. 57 Psychoanalytische Ansätze führen weibliche Kriminalität auf einen gestörten Identifikationsprozess in der Kindheit zurück. 58 Entscheidend ist danach die defekte Mutter-Tochter-Beziehung einschließlich anderer Einflussgrößen (Vater53

Nach Hohlfeld (2002), S. 95 ff. Zum rollentheoretischen Ansatz vgl. Teil 3 B. III. 4. 55 Kaiser / Schöch (2010), Fall 1 S. 6, Rn. 21; Sagel-Grande, ZStW 1988, S. 1000 ff.; Schmölzer, Der Bürger im Staat 2003/1, nachgedruckt unter Querelles-Net.Forum S. 8, abgerufen am 3. 11. 2006 unter www.querelles-net.de/forum/forum11-2.shtml?print. 56 Devianz wird auch auf hormonelle Wirkungen zurückgeführt: In den 1970er Jahren stellten mehrere Studien eine Verbindung zwischen dem prämenstruellen Syndrom (PMS) und kriminellen Handlungen her. Da methodische Unzulänglichkeiten aufgedeckt wurden und der Hormonstoffwechsel von sozialen und psychologischen Faktoren stark beeinflusst wird, hat PMS nach heutigen Erkenntnisstand keine Bedeutung für die Kriminogenese; näher Hohlfeld (2002), S. 117 ff. 57 Kaiser / Schöch (2010), Fall 1 S. 6, Rn. 22. 54

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Teil 2: Kriminalität von Frauen

losigkeit, prekäre Lebenssituation). Identifikations- und Rollenfindungsprobleme beschädigten das Selbstbild und normkonforme Wertvorstellungen. Allgemeine Schwäche der Tiefenpsychologie ist ihre mangelnde empirische Überprüfbarkeit. Darüber hinaus bietet sie keine Erklärung für die Ursachen von Kriminalität, sondern liefert rückblickende, ergebnisbezogene Interpretationsmodelle. Eine entwicklungspsychologische These beschäftigt sich mit geschlechtsspezifischen Moralkonzepten: Während die weibliche Moral auf Fürsorge und Verantwortungsübernahme unter Ablehnung von Gewalt gründe, kennzeichne die männliche Moral eine nüchterne, auf Rechten und Pflichten beruhende Moral der Gerechtigkeit, die unter dem Postulat der Gleichheit stehe. 59 Der weibliche Altruismus begünstige ein konformes Verhalten, denn Anpassung bedeute Rücksichtnahme und das Eingehen auf fremde Bedürfnisse. 60 Vor diesem Hintergrund lasse sich die niedrigere Gewaltbereitschaft von Frauen und deren relativ hohe Repräsentanz bei einfachen Eigentums- und Vermögensdelikten ohne direkten Opferbezug erklären. Als problematisch erweist sich jedoch sowohl die rigide Trennung der Moral nach Geschlechtern als auch der Zusammenhang zwischen Moralentwicklung und Delinquenz. Soziologische Erkenntnisse geben Anhaltspunkte für eine Abhängigkeit der Moralentwicklung vom Bildungsniveau. 61 Überdies lasse sich die universale Gültigkeit einer geschlechtsneutralen Moral konstatieren. 62 Die Differenzierung zwischen den Geschlechtern berühre daher nicht die allgemeingültige Moral, sondern betreffe Geschlechterunterschiede hinsichtlich der Interpretation in moralischen Konfliktlagen. Diese geschlechtsspezifische Differenzierung fuße wiederum auf der unterschiedlichen Sozialisation. 63 Im Weiteren haben empirische Untersuchungen zu geschlechtsspezifischen Moralunterschieden sowie zur Moralentwicklung und Devianz nur eingeschränkte 58

Kawamura-Reindl, in: Handbuch der Resozialisierung, S. 377 Rn. 6; nach Loos (1981), S. 143 f. zeichnet das weibliche Geschlecht eine höhere psychische Stabilität als das männliche Geschlecht aus; hieraus resultiere ein stärkeres Über-Ich (weitgehend unbewusstes „Gewissen“), diese psychische Stabilität erschüttere nur eine Vielzahl negativer Umstände, die jedoch nur in seltenen Fällen aufträte und folglich den geringen Anteil von Frauen an der Gesamtkriminalität erkläre; damit wendet sich Loos gegen die These von Siegmund Freud, die Frauen bloß eine beschränkte Gewissenbildung (Über-Ich) im Vergleich zu Männern zugesteht, Garz (2006), S. 116. 59 Gilligan, in: Weibliche Moral, S. 79 ff. grenzt sich mit der weiblichen Fürsorgemoral und der männlichen Gerechtigkeitsmoral von Lawrence Kohlbergs Moraltheorie ab, Garz (2006), S. 116.; Kawamura-Reindl, in: Handbuch der Resozialisierung, S. 377 Rn. 7, Franke (2000), S. 62 f. 60 Franke (2000), S. 63. 61 Herrmann, in: Gute Gesellschaft?, S. 810 das unterschiedliche Bildungsniveau zwischen Inhaftierten und einer Kontrollgruppe kennzeichnet oft vergleichende Studien zur Moralentwicklung und Delinquenz. 62 Nunner-Winkler, in: Weibliche Moral II, S. 147 f. 63 Oser / Althof (1992), S. 293 ff.

B. Erklärungsansätze für die Kriminalität von Frauen

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Aussagekraft wegen widersprüchlicher Ergebnisse und methodischer Unzulänglichkeiten. 64 III. Soziologische und sozialpsychologische Ansätze Zu Beginn der 1970er Jahre beschäftigten sich Untersuchungen intensiv mit der gesellschaftlichen Rolle der Frau und dem Zusammenhang von Frauenkriminalität und gemeinsamen gesellschaftlichen Bedingungen. 65 Die Ansätze versuchen weibliche Delinquenz entweder mit Hilfe von traditionellen Kriminalitätstheorien oder mit Hilfe von frauenspezifischen Kriminalitätstheorien zu erklären. 1. „Ritterlichkeitsthese“ und / oder „Böse-Frau“-These Die „Kavalierstheorie“ geht von der Gleichverteilung der Kriminalitätsbelastung von Männern und Frauen aus. 66 Etikettierungseffekte begründeten die niedrige Kriminalitätsbelastung von Frauen im Hellfeld und benachteiligten Männer in doppelter Hinsicht 67: Einerseits konzentriere sich die Strafverfolgung auf männliche Tatverdächtige und andererseits ließe sich vor Gericht eine mildere Sanktionierung von Frauen beobachten. Die Privilegierung von Frauen basiere auf der „ritterlichen“ Haltung sowohl von männlich dominierten Strafverfolgungsorganen und Gerichten als auch männlichen Opfern. Der (leichte) prozentuale Anstieg weiblicher Kriminalität wird auf den Emanzipationsprozess zurückgeführt. 68 Die Gleichstellung der Frau beseitige nicht nur Nachteile, sondern auch Vorteile für Frauen. 69 Demgemäß komme es lediglich zu einer vermehrten Sanktionierung von Straftäterinnen. 64

Döbert, in: Weibliche Moral II, S. 132 f.; Herrmann, in: Gute Gesellschaft?, S. 810. Kawamura-Reindl, in: Handbuch der Resozialisierung, S. 378 Rn. 9. 66 Pollak (1961), S. 8 ff. spricht vom „maskierten Charakter“ der weiblichen Kriminalität, weil es der Frau wegen ihrer Fähigkeit zur Täuschung gelinge, viele Straftaten zu verheimlichen und zu verschleiern; näher Lindner (2006), S. 28; Theurer (1996), S. 42 f.; ein Vertreter der Gleichverteilungsthese ist Leder (1997), S. 72, 85. 67 So Geißler / Marißen, KZfSS 1988, S. 523 f.; an der Studie von Geißler / Marißen kritisieren Ludwig-Mayerhofer / Rzepka, KZfSS 1991, S. 559 ff. die methodische Herangehensweise; Ergebnisse aus multifaktoriellen Analysen erwiesen sich als zuverlässiger und würden denen der vorgenannten Studien widersprechen. 68 Geißler / Marißen, KZfSS 1988, S. 524. 69 Im Zuge der Emanzipation bekleiden immer mehr Frauen Schlüsselpositionen in der Strafverfolgung und an den Gerichten; da Frauen ihren Geschlechtsgenossinnen vermutlich keinen „Bonus“ gewähren, würde auch auf diese Weise die „bevorzugte Stellung“ von weiblichen Straffälligen abgeschwächt. 65

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Teil 2: Kriminalität von Frauen

Während die Gleichverteilungsthese schon durch die wenngleich dürftigen Ergebnisse der Dunkelfeldforschung entkräftet wird 70, gilt dies nicht ohne weiteres für die weibliche Besserstellung im Laufe des Strafverfahrens, da in den offiziellen Statistiken männliche Tatverdächtige und Verurteilte aller Altersgruppen dominieren. Die scheinbar eindeutige Befundlage zu Gunsten von straffälligen Frauen darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich mit Rücksicht auf die Art und Schwere des Delikts sowie die Vorstrafenbelastung die Geschlechterunterschiede nivellieren. Die mildere Bestrafung von Frauen beruht in der Regel auf einer niedrigeren Deliktsschwere, einer geringeren Tathäufigkeit und einer positiveren Prognose. 71 Das Vorliegen von günstigeren Strafzumessungsund Prognosekriterien darf folglich nicht als Begünstigung missverstanden werden. 72 Dennoch stellt eine Studie zu Mädchenkriminalität eine nachsichtigere Behandlung in frauenuntypischen Bereichen wie Körperverletzungsdelikten und schweren Diebstahlsdelikten fest. 73 Obgleich die Erkenntnislage hierzu noch nicht hinreichend geklärt ist, kann die Privilegierung von (jungen) Frauen allenfalls einen kleinen Ausschnitt der Geschlechterdisparitäten bei der Kriminalitätsbelastung und Strafverfolgung erklären. 74 Umgekehrt gibt es die These von der härteren Bestrafung von Frauen für gleiche Straftaten, weil deren Kriminalität weibliche Geschlechtsrollenstereotype erschüttere. 75 In dieser Allgemeinheit wurde die „Böse-Frau“-These nur vereinzelt vertreten und gilt heutzutage als überholt. Bedeutung hat diese These wohl noch bei von Frauen verübten Gewalttaten (modifizierte These der strengeren Sanktionierung). 76 Die ausgeübte Aggressivität teilweise verbunden mit ausgelebter Sexualität würde dem traditionellen Weiblichkeitsbild von der „friedfertigen“ Frau widersprechen und als Unweiblichkeit sanktioniert. 77 Spiegelbildlich 70

So lehnen Geißler / Marißen, KZfSS 1988, S. 510 die Gleichverteilungsthese ab; Albrecht, BewHi1987, S. 353. 71 Obwohl Geißler / Marißen, KZfSS 1988, S. 524 selbst diese Beispiele anführen, halten sie an der geschlechtsspezifischen Kontrollpraxis zu Lasten von Männern fest. 72 In ihrer Replik Oberlies, KZfSS 1990, S. 131 f, 137 f.; Kaiser, ZStW 1986, S. 667; Keupp, MschrKrim 1982, S. 223; Steffen, in: Wenn Frauen aus der Rolle fallen, S. 215; Stein-Hilbers, KrimJ 1978, S. 290. 73 Bruhns / Wittmann, RdJB 1999, S. 361 f.; Ludwig-Mayerhofer / Rzepka, KZfSS 1991, S. 549 ff. anstelle einer Anklageerhebung eine informelle Erledigung. 74 Cummerow, BewHi 2006, S. 158 f.; Heinz, BewHi 2002, S. 151. 75 Nachweise bei Kreuzer, GS für Kaufmann 1986, S. 305 ff. und Schneider, GS für Kaufmann 1986, S. 282. 76 Körner (1992), S. 188 f. sieht aus der Analyse der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu den vorsätzlichen Tötungsdelikten seine Ausgangsthese von der härteren Bestrafung der sich rollendiskonform verhaltenden Täterin bestätigt; Möller, in: Frauen legen Hand an, S. 20. 77 Als Beispiel der Fall „Monika Weimar“ Lamott, NK 1/1995, S. 31 f. konstatiert eine „Ritterlichkeit des Gesetzes“ gegenüber Straftäterinnen bis Ende des 19. Jahrhunderts, die

B. Erklärungsansätze für die Kriminalität von Frauen

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erfahre der seine Partnerin tötende Mann Milde, wenn sich das Opfer weiblichen Rollenerwartungen widersetzt habe. 78 Gerade im Bereich der seltenen Tötungsdelikte erscheint eine Benachteiligung des weiblichen Geschlechts wegen seiner Bewertungsspielräume plausibel. 79 Manche Stimmen verquicken die Ritterlichkeits- und Böse-Frau-These. 80 Letztere Annahme knüpft an die eben erwähnte strengere Sanktionierung bei Gewaltdelikten an. 81 Demgegenüber werde Frauen eine bevorzugte Behandlung zu teil, solange sie die weiblichen Rollenerwartungen erfüllen würden. Voraussetzungen für Nachsicht seien Einsicht in das Fehlverhalten und das Vorliegen einer leichten Verfehlung. 82 Zu dieser Vermutung liegen jedoch keine gesicherten empirischen Erkenntnisse vor. 2. Feministische Ansätze Feministisch-marxistische Erklärungsversuche entwickelten eine gesellschaftskritische Perspektive zu den Ursachen von Frauenkriminalität. 83 Ausgangspunkt dieser materialistischen Ansätze ist die Annahme, dass das weibliche Geschlecht einer doppelten Unterdrückung in kapitalistischen und patriarchalischen Verhältnissen (als „Lohnabhängige“ und als „Frau“) ausgesetzt sei. 84 Die doppelte Unterdrückung führe dazu, dass Frauen zu passiven Problemlösungsmustern wie Krankheit, Prostitution und Alkoholmissbrauch neigten, aber nicht zur Delinquenz als aktive Problemlösungsstrategie. 85 Die internalisierte weibliche Passivität 86 erkläre die geringe Kriminalitätsbelastung von Frauen im Vergleich zu mit den ersten Emanzipationsbestrebungen einer „strafenden Aufmerksamkeit“ wich und die ihres Erachtens Ausdruck männlicher Machtverlustängste und Kränkung war. 78 Körner (1992), S. 188. 79 Oberlies (1995), S. 196 mahnt eine Reform der Tötungsdelikte an, weil die Fassung der Tatbestände an männlichen Handlungsmustern orientiert sei und daher weibliche Handlungsmuster benachteilige; Körner 1992, S. 188 f., 193 ff. kritisiert die richterlichen Bewertungsspielräume, insbesondere beim Mordmerkmal der Heimtücke. 80 Nachweise bei Schneider, in: GS für Kaufmann 1986, S. 282; Schneider, in: Internationales Handbuch der Kriminologie, S. 458. 81 Stein-Hilbers, KrimJ 1978, S. 288, 290. 82 Diese Hypothese legt eine Studie von Hornthal (1975) nahe, die anhand fiktiver Fälle das faktische Ermessen bei Verwarnungs- und Bußgeldern bei leichten Ordnungswidrigkeiten überprüfte; entnommen aus Stein-Hilbers, KrimJ 1978, S. 285 f. 83 Die individuellen Persönlichkeitsmerkmale und ihre Bedeutung für die Kriminalitätsentstehung werden vernachlässigt; Kawamura-Reindl, in: Handbuch der Resozialisierung, S. 381 Rn. 13. 84 Brökling (1980), S. 75, 84 ff.; Gipser, in: Wenn Frauen aus der Rolle fallen, S. 175. 85 Diese Aufspaltung erscheint nicht stringent, wenn beispielsweise die Ausübung der verbotenen Prostitution gem. § 184d StGB berücksichtigt wird. 86 Passivität als gesellschaftliches Produkt und nicht als weiblicher Charakterzug.

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Teil 2: Kriminalität von Frauen

Männern. Als Unterdrückungsinstrument fungiere die Ehe, die die Existenz der Frau in materieller und sozialer Hinsicht sichere, die Frau vom öffentlichen Raum abschirme und der formalen sozialen Kontrolle weitgehend entziehe. Vor dem Hintergrund des monetären Ausschlusses der Ehefrau erscheine der weibliche Schwerpunkt bei der Begehung von Eigentums- und Vermögensdelikten plausibel. 87 Eigentums- und Vermögenskriminalität hänge mit dem gesellschaftlichen Rollenleitbild der Frau 88 zusammen, das auf den Konsum von Schönheitsattributen und Statussymbolen ausgerichtet sei. 89 Mit dem wachsenden Bewusstsein um die unterworfene Position steige der Konsumbedarf von Frauen, werde durch vermehrte Ladendiebstähle kompensiert und erkläre die Zunahme der weiblichen Kriminalität. Diesen Ansatz empfinden manche Feministinnen als zu kurzsichtig und zu sehr auf den Geschlechterunterschied fixiert. 90 Kriminalität als Antwort auf Unterdrückungsmechanismen würde zwar das weibliche Dilemma im kapitalistischpatriarchalischen Machtgefüge erfassen, aber eine Erklärung für Frauenkriminalität schuldig bleiben. Anknüpfungspunkt dürfe nicht das weibliche Verhalten in Konfliktlagen, sondern müsse der Prozess der Kriminalisierung (labeling approach) sein. 91 Die Definitionsmacht des Strafrechts begründe zwar die rechtliche Unterscheidung in strafbare und straflose Handlungen, doch stehe dahinter eine geschlechtsspezifische Selektivität. Das Strafrecht diene hauptsächlich der Kontrolle des männlichen Geschlechts. Dagegen würden straffällige Frauen tendenziell als krank etikettiert und eher der Psychiatrie überlassen. 92 Die geschlechtsspezifische Kriminalisierung bewahre auf diese Weise sowohl die Ungleichverteilung im Kapitalismus als auch das Patriarchat. Gegen den Etikettierungsansatz wird allgemein der Vorwurf erhoben, keine Ursachenforschung zu betreiben, sondern sich auf die Analyse der Definitions- und Selektionsmechanismen der Kriminalisierung zu beschränken. 93 Die vermutete männlich zentrierte Anwendung und Genese des Strafrechts ist empirisch noch dazu nur schwer kontrollierbar. 87

Brökling (1980), S. 90. Einschließlich Hausfrau und berufstätiger Frau. 89 Gipser, in: Wenn Frauen aus der Rolle fallen, S. 175 f. kombiniert den beschriebenen Ansatz mit der Rollentheorie und zieht verschiedene Modelle zur Erklärung von Frauenkriminalität heran. 90 Smaus, KrimJ 1990, S. 273. 91 Eine empirische Studie fertigte Funken (1986), S. 234 ff. an, die die Sicht der etikettierten inhaftierten Frauen und ihre Rollenorientierungen erforschte; ein früher Ansatz zum Labeling approach aus weiblicher Perspektive entwickelte Heidensohn (1985), S. 163 ff. schon Ende der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts. 92 Kips, KrimJ 1991, S. 130, 133; nach Smaus, KrimJ 1990, S. 278 entmündigt die psychiatrische Diagnose die Frau, die Psychiatrie festige dadurch die Männerherrschaft. 93 Kaiser / Schöch (2010), Fall 1 S. 18 Rn. 84 f. 88

B. Erklärungsansätze für die Kriminalität von Frauen

111

Ausgehend von einer doppelten Unterdrückung basieren die beiden dargestellten Richtungen auf der Bedeutung des Geschlechtskonstrukts für die Kriminalität oder für den Kriminalisierungsprozess. In diesem Rahmen kombinieren die materialistischen Ausprägungen unterschiedliche Aspekte traditioneller und frauenspezifischer Ansätze. 94 Kritik wird an der Begrenztheit der Analyse geübt, die sich in den strukturellen Auswirkungen des Patriarchats und des geschlechtsspezifischen Kapitalismus samt ihrer wechselseitigen Bedingtheit erschöpfe, aber als feststehende Bezugsgrößen in die Analyse einflössen, ohne die kulturelle Konstruktion der Geschlechterdifferenz hinreichend zu berücksichtigen. 95 Darüber hinaus blieben die kennzeichnenden Begrifflichkeiten der doppelten Unterdrückung, nämlich das hierarchische Geschlechterverhältnis oder die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, erklärungsbedürftige Kategorien. Überdies beruhe die geschlechtsspezifische Etikettierung auf der Verwendung von weiblichen und männlichen Rollenstereotypen. 96 Diese Ansätze beschränkten sich auf bestimmte Faktoren zur Erklärung von gegebenen geschlechtsspezifischen Unterschieden und vernachlässigten infolgedessen die zugrunde liegende soziale Konstruktion der Geschlechterdifferenz und der soziostrukturellen Organisation des Geschlechterverhältnisse mitsamt den Konsequenzen für die Zuschreibung und Herstellung des sozialen Geschlechts („doing gender“). 97 3. Emanzipationstheorie Die emanzipatorische Strömung erwartet von der Emanzipation der Frau eine kriminalitätsfördernde Wirkung. Im Zuge der fortschreitenden Emanzipation gleiche sich die weibliche Kriminalitätsbelastung derjenigen der Männer an (Konvergenzthese). 98 Ausgangspunkt ist die traditionelle Sozialisation als Hausfrau und Mutter, die dem weiblichen Geschlecht weniger Gelegenheit zur Begehung von Straftaten biete (Theorie der Tatgelegenheiten). Die zunehmende Integration und Teilhabe der Frau am beruflichen und gesellschaftlichen Leben 94 Sozialisations-, Anomie-, Lerntheorien und / oder Labeling Approach; z. B. Gipser, in: Wenn Frauen aus der Rolle fallen, S. 175 f. 95 Mischau, Beiheft KrimJ 1999, S. 151. 96 Mischau, Beiheft KrimJ 1999, S. 151 f. möchte die Gender-Perspektive in einer feministischen Kriminalitätstheorie fruchtbar machen (vgl. S. 152 ff.). 97 Schmölzer, MschrKrim 1995, S. 224 f. und in: Kriminalität, Prävention und Kontrolle 1999, S. 318 ff. kritisiert zutreffend die ideologische Ausrichtung feministischer Ansätze, die eine wissenschaftskritische Diskussion und Bewertung erschweren; ebenso Kerschke-Risch (1993), S. 11, 30 f. 98 Dabei finden sich unterschiedliche Prognosen zur weiblichen Kriminalitätsentwicklung: Nach Adler (1975), S. 22 f. (Maskulinisierungsthese) werde sich die weibliche Kriminalität auf dem gleichen Niveau der Männer einpendeln, so dass der Geschlechterunterschied wegfalle; eine andere Ausprägung beschränkte sich auf eine Angleichung der Eigentumskriminalität; instruktiv der Überblick bei Theurer (1996), S. 67 ff.

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Teil 2: Kriminalität von Frauen

eröffneten sowohl legale als auch illegale Handlungsspielräume in der Öffentlichkeit und erweiterten somit das weibliche Kriminalitätsspektrum. Gegen diesen Ansatz wird vorgebracht, dass straffällige Frauen häufig dem Prekariat angehörten, die von den Errungenschaften der Emanzipation nicht profitierten und das überkommene Rollenbild verinnerlicht hätten. 99 Dieses Argument trifft zwar auf die Insassinnenpopulation im Strafvollzug zu, doch dürfte es sich beim Ladendiebstahl um ein ubiquitäres Phänomen handeln. Darüber hinaus wird an der Emanzipationsthese kritisiert, dass die unterschiedliche Kriminalitätsbelastung im Vergleich von weiblichen und männlichen Berufstätigen nach wie vor bestehe. 100 Hiergegen lässt sich wiederum einwenden, dass die weibliche Berufstätigkeit bislang nicht zur vollen sozialen Emanzipation geführt habe, da die berufliche Teilhabe lediglich die traditionelle Frauenrolle erweitere und für die Frau eine zeitraubende Doppelbelastung in Beruf und im Haushalt mit sich bringe. 101 Zweifellos hat die Frauenbewegung ihre Spuren hinterlassen und dem weiblichen Geschlecht neue Gestaltungs- und Freiräume im privaten und im öffentlichen Sektor eröffnet, die sich aber weder in der Höhe noch in der Struktur der weiblichen Kriminalitätsbelastung widerspiegeln. 102 Diese Mutmaßungen machen deutlich, dass der empirische Nachweis der Emanzipationsthese bislang noch aussteht und fragwürdig erscheint. 103 4. Sozialisationstheorie Überlieferte Rollenzuweisungen stellen die Rollentheorien zur Erklärung von Frauenkriminalität in den Vordergrund. 104 Danach durchlaufe das weibliche Geschlecht einen geschlechtsspezifischen Sozialisationsprozess, in dem weibliche 99

Lindner (2006), S. 35; Theurer (1996), S. 69. Albrecht, BewHi 1987, S. 356. 101 Schneider als Verfechter der Rollentheorie, in: GS für Kaufmann 1986, S. 276 f., für den eine geschlechtsneutrale Kriminalitätsbelastung nur über eine Angleichung des weiblichen und männlichen Rollenverständnisses zu erzielen ist; damit verkennt er die Grundlagen der Emanzipation, der es um die rechtliche und tatsächliche Gleichstellung der Frau im Verhältnis zum Mann geht, aber nicht um eine Aufhebung bzw. Einebnung der Geschlechtergrenzen; ders., in: Internationales Handbuch der Kriminologie 2007, 447 relativiert diese Aussage und betont, dass sich Emanzipation und geschlechtsrollenspezifisches Anderssein nicht widersprechen. 102 Simmedinger, in: Handbuch der Resozialisierung 1995, S. 199. 103 Zu Recht moniert Albrecht, BewHi 1987, S. 341, dass auch eine Umkehrung der Emanzipationsthese plausibel sei; so sei eine Angleichung der männlichen Kriminalitätsbelastung an diejenige der Frauen nachvollziehbar; Pickl, in: Weibliche und männliche Kriminalität 1982, S. 23, 30 erkennt keinen Zusammenhang, weil Emanzipation und Kriminalität aus individuellen, sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen resultieren. 104 Kaiser, ZStW 1986, S. 671 ff.; Schneider, in: GS für Kaufmann, S. 273; Schneider, in: Internationales Handbuch der Kriminologie, 441 f., 446 f. 100

B. Erklärungsansätze für die Kriminalität von Frauen

113

Werte wie Häuslichkeit, Folgsamkeit, Rücksichtnahme und Passivität vermittelt würden, um auf die häusliche und mütterliche Rolle vorzubereiten. Im Erwachsenendasein stünden Frauen dann nur engere soziale Handlungsspielräume zur Verfügung, die mit einer intensiveren sozialen Kontrolle einhergingen. Die weibliche Sozialisation halte folglich von der Begehung von Straftaten ab und entfalte damit kriminalitätshemmende Wirkung. Die Entstehung von Frauenkriminalität begünstigten erstens das Misslingen der weiblichen Erziehung und zweitens eine Angleichung der Geschlechterrollen. Bei der zuletzt genannten Fallgruppe erreiche die weibliche Kriminalitätsbelastung das männliche Niveau als deren Endpunkt. 105 Indikator für eine solche Entwicklung sei der allmähliche Anstieg der Frauenkriminalität. Insgesamt sprechen die Befunde aus empirischen Untersuchungen gegen die Rollentheorie. Zwar lassen sich Sozialisationsstörungen durch erzieherisches Versagen oft auf zerrüttete Familienverhältnisse („broken home“) zurückführen, doch bestätigen die Sozialisationsdefizite nicht die Rollentheorie, weil Jungen und Mädchen gleichermaßen negativen Einflüssen in Familien ausgesetzt sind. 106 Vielmehr enthalten Studien Anhaltspunkte dafür, dass Mädchen im Vergleich zu Jungen aus schwierigen Familienverhältnissen deutlich weniger wegen krimineller Verhaltensweisen auffallen. 107 Das konformere Verhalten von Mädchen entkräftet die Rollentheorie hinsichtlich der fehlgeschlagenen Erziehung. Außerdem finden sich in weiteren empirischen Studien 108 Hinweise darauf, dass weibliche Straffällige eine traditionellere Rollenorientierung aufweisen als bislang unbescholtene Frauen. Hieraus ergeben sich Zweifel an einer Kriminalitätsannäherung zwischen den Geschlechtern.

105 Keupp, MschrKrim 1982, S. 227 f.; Theurer (1996), S. 84; Hengesch, MschrKrim 1990, S. 334 analysierte 1134 forensische Gutachten und kam zu dem Ergebnis, dass Frauen männliche Züge annehmen müssten, um Kapitaldelikte begehen zu können; das Ergebnis relativiert sich angesichts einer kleinen Zahl von 15 Frauen mit Kapitaldelikten; diesem Befund widersprechen andere Studien, vgl. hierzu Theurer (1996), S. 85 f.; die empirischen Studien zur Rollentheorie untersuchen lediglich einzelne Komponenten. 106 Albrecht, BewHi 1987, S. 356 bringt zu Recht vor, dass die Rollentheorie nur dann nachvollziehbar erscheint, wenn die geschlechtsspezifische Rollenvermittlung stets gelingt, aber die Sozialisation im Übrigen fehlschlägt. 107 Nach Theurer (1996), S. 88 ff. 108 Funken (1989), S. 115 f.; wegen methodischer Schwächen ist die Aussagekraft begrenzt, vgl. Theurer (1996), S. 91; allerdings ergeben sich auch keine Anhaltspunkte entsprechend der materialistischen Ansätze für ein Bewusstsein um die doppelte Unterdrückung und einer hieraus resultierenden Delinquenz.

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Teil 2: Kriminalität von Frauen

C. Zusammenfassung Während Frauen in Deutschland 52 % der Bevölkerung ausmachen, liegt ihr Anteil an der Gesamtzahl der Straftatverdächtigen bei nur knapp einem Viertel. Dieser Anteil verringert sich im weiteren Verlauf des justiziellen Verfahrens bis hin zum Strafvollzug kontinuierlich. Die Verurteiltenstatistik weist lediglich 17 % Frauen aus. Im Strafvollzug liegt der Frauenanteil sogar bei etwa 5 %. 109 Dieser Rückgang ist vor dem Hintergrund erklärlich, dass weibliche Kriminalität gegenüber männlicher Straffälligkeit qualitativ eine mindere Deliktsschwere kennzeichnet. Straftaten von Frauen gehören typischerweise der Eigentums- und Vermögenskriminalität an, wobei der einfache Diebstahl das bei weitem wichtigste Delikt darstellt. Nur in seltenen Fällen begehen Frauen Gewalttaten. Dementsprechend weist die Verurteilungspraxis auf ein niedrigeres Sanktionsniveau bei weiblichen Verurteilten als bei Männern hin. Folgerichtig verbüßen im Strafvollzug inhaftierte Frauen im Vergleich zu männlichen Gefangenen wesentlich mehr kurze Freiheits- und Ersatzfreiheitsstrafen. 110 Die weibliche Bevölkerungsmehrheit spiegelt sich mithin nicht im registrierten Kriminalitätsaufkommen, in der Verfolgungspraxis und Sanktionierung wider. Vielmehr sind Frauen in diesem Bereich deutlich unterrepräsentiert. Die insgesamt geringere Kriminalitätsbelastung von Frauen im Hellfeld lässt sich nicht nur in Deutschland, sondern überall auf der Welt beobachten. 111 Diese Ungleichverteilung begründete die Entwicklung von verschiedenen Erklärungsmodellen und die Durchführung von empirischen Untersuchungen. Frauenkriminalität ist als selbständiges soziales Phänomen anerkannt, auch wenn deren vollständige Klärung noch aussteht. Obgleich die zahlreichen Ansätze in ihren Prämissen divergieren, lassen sich Gemeinsamkeiten feststellen. Mit unterschiedlicher Begründung werden tradierte weibliche Geschlechtsrollenstereotype 112 verbunden mit dem Ausschluss vom öffentlichen Leben als entscheidende Erklärungsfaktoren für die niedrige Kriminalitätsbelastung von Frauen identifiziert. Dennoch überzeugen diese Erklärungsmodelle nicht, weil sich der gesellschaftliche Wandel durch die Emanzipation in der weiblichen Hellfeldkriminalität nicht im erwarteten quantitativen und qualitativen Ausmaß niederschlägt. Noch dazu halten die Grundannahmen der verschiedenen Theorien oft einer empirischen Überprüfung nicht stand oder sind in ihrer Komplexität kaum zu belegen. Vielfach

109 Statistisches Bundesamt 2006, 61.250 männliche und 3.262 weibliche Strafgefangene am Stichtag 31. März 2006; www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/ Internet/DE/Content/Statistik ... 110 Dünkel (1992), S. 127 Tab. 2; S. 168 f. Schaubild 5+6. 111 Heinz, BewHi 2002, S. 135; Lindner (2006), S. 267 ff. 112 Es gibt jedoch kein einheitliches Begriffsverständnis vom weiblichen Rollenbild.

C. Zusammenfassung

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erschwert auch eine ideologische Färbung den wissenschaftlichen Diskurs und die Theoriebildung. 113 Die Ursachenforschung erscheint im Zusammenhang mit der Resozialisierung der Insassinnen im Strafvollzug vordergründig irrelevant. Es macht jedoch Sinn nach Erklärungsmustern für die geringe Straffälligkeit von Frauen zu suchen, weil die gewonnenen Erkenntnisse dazu beitragen könnten, konkrete Resozialisierungsmaßnahmen für die delinquente weibliche Minderheit zu entwickeln. 114 In diesem Kontext können die Versatzstücke der bisherigen Erklärungsversuche zur Frauenkriminalität als unvollkommenes Mosaik angesehen werden, aus denen allenfalls Anhaltspunkte für die Vollzugsgestaltung und praktische Hilfsangebote gewonnen werden können. 115

113

So auch Theurer (1996), S. 103 f. Obermöller (2000), S. 16; Einsele / Krüger, in: Deutsche Forschungen zur Kriminalitätsentwicklung und -kontrolle, S. 2042, die ausgehend von der weiblichen Rolle Konsequenzen für den Strafvollzug anmahnen, weil die Zielsetzung in einer Verhaltensänderung der weiblichen Gefangenen liege. 115 Kawamura-Reindl, in: Handbuch der Resozialisierung, S. 381 bewertet die materialistischen Ansätze als plausibel, attestiert ihnen aber Praxisferne. 114

Teil 3

Statistische und kriminologische Erkenntnisse sowie der rechtliche Rahmen in Bezug auf weibliche Gefangene im Strafvollzug A. Weibliche Strafgefangene im Strafvollzug von 1965 bis 2010 Während im fünften Kapitel in einer Bestandsaufnahme der Frauenvollzug aus dem Jahr 2003 vorgestellt wird, geht es im Folgenden um die Entwicklung der weiblichen Gefangenenzahlen in den vergangenen 45 Jahren. Tabelle 8 vermittelt einen Überblick zu den Belegungszahlen im Allgemeinen und im Besonderen zur weiblichen Strafgefangenenpopulation differenziert nach der Art des Vollzugs. 1 In den letzten vier Jahrzehnten blieb der Anteil an Insassinnen an der gesamten Gefangenenpopulation zwischen 2,6 % und 5,4 % recht stabil. 2 Bis Mitte der 1970er Jahre gingen die (weiblichen) Gefangenenzahlen beträchtlich zurück und erreichten über die vier Dekaden hinweg ihren Tiefststand. Danach wuchs die (weibliche) Gefangenenpopulation wieder und lag 1985 knapp unter dem Niveau von 1965. Nachdem erneut ein Rückgang der (weiblichen) Belegungszahlen zu verzeichnen war, lässt sich seit Mitte der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts ein starker Anstieg beobachten. Von 1995 bis 2006 kann ein Anstieg weiblicher Strafgefangener um 91,2 % festgestellt werden. 3 Im neuen Jahrtausend gelangten die Strafgefangenenzahlen im Strafvollzug auf ein vorher nicht gekanntes Ausmaß, wobei die (weibliche) Strafgefangenenpopulation seither stetig, aber langsamer zunimmt und 2007 der bisherige Höchststand erreicht wurde. 4 Im geschlechterspezifischen Vergleich lässt sich über die Jahrzehnte hin1 Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, R 4.1, 2006, Tab. 1.1.; ab 1995 Gesamtdeutschland; eine gesonderte Darstellung der Ersatzfreiheitsstrafen erfolgt nicht, weil die Problematik im Rahmen der Untersuchung nicht berücksichtigt wurde; vgl. hierzu Zolondek (2007), S. 113 f. 2 Weltweit sind weibliche Gefangene eine Minderheit im Strafvollzug, vgl. Walmsley (2006), S. 1 ff. mit Stichtagsdaten von Juni 1999 bis April 2006; danach bewegt sich der weibliche Anteil an der Gefangenenpopulation im Allgemeinen zwischen 2 % und 9 %. 3 In der gleichen Zeitspanne bei männlichen Strafgefangenen um 36,7 %.

A. Weibliche Strafgefangene im Strafvollzug von 1965 bis 2010

117

Tabelle 8 Weibliche Strafgefangene nach Art des Vollzugs jeweils am 31. März Jahr

insgesamt

weiblich Anzahl Prozent

Freiheitsstrafe Jugendstrafe Sicherungsverwahrung

1965

49.573

2.550

5,1 %

2.183

139

228

1970

35.927

1.134

3,2 %

1.026

86

22

1975

34.608

911

2,6 %

750

157

4

1980

42.235

1.456

3,5 %

1.196

259

1

1985

48.402

1.612

3,3 %

1.455

156

1

1990

39.178

1.576

4,0 %

1.465

110

1

1995

46.516

1.706

3,7 %

1.577

129

0

1999

59.707

2.467

4,1 %

2.270

197

0

2000

60.798

2.386

3,9 %

2.182

204

0

2001

60.678

2.541

4,2 %

2.309

232

0

2002

60.742

2.745

4,5 %

2.468

277

0

2003

62.594

2.775

4,4 %

2.509

266

0

2004

63.677

3.111

4,9 %

2.807

304

0

2005

63.533

3.006

4,7 %

2.742

264

0

2006

64.512

3.262

5,1 %

2.972

290

0

2007

64.700

3.377

5,2 %

3.072

304

1

2008

62.348

3.300

5,3 %

3.035

264

1

2009

61.878

3.312

5,4 %

3.072

237

3

2010

60.693

3.125

5,1 %

2.917

205

3

weg sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen eine Ab- bzw. Zunahme verfolgen, doch fällt der Anstieg bei den Insassinnen gegenüber den Insassen schwächer aus. Bei der Sicherungsverwahrung fällt die Bedeutungslosigkeit der schärfsten stationären Maßregel im Frauenvollzug von Mitte der 1990er Jahre bis 2006 auf. Mittlerweile befinden sich drei Frauen in der Sicherungsverwahrung. Zum Ausgang der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts lässt sich im Männer- und Frauenvollzug ein Rückgang der Gefangenenzahlen konstatieren. Im justiziellen Verfahren repräsentiert der Strafvollzug nicht die allgemeine Kriminalitätslage, sondern bildet als Endpunkt des Filterprozesses einen selek4

Hierzu auch Zolondek, FS 2008, S. 36.

118

Teil 3: Statistische und kriminologische Erkenntnisse

tiven Ausschnitt. Dagegen steht die Hellfeldkriminalität am Anfang des Trichters, so dass sich ein Wandel in den Kriminalitätsraten nicht direkt auf die Gefangenenpopulation auswirkt. 5 Mithin können Gefangenenraten nicht auf einen Erklärungsfaktor reduziert werden. Vielmehr handelt es sich um ein vielschichtiges Zusammenspiel von externen, internen und intermediären Faktoren. 6 Einen gewichtigen internen Aspekt stellte die Strafrechtsreform von 1969 dar: Die Ersetzung der kurzen Freiheitsstrafe durch die Geldstrafe entlastete merklich die Justizvollzugsanstalten. 7 Zwar kam es wieder zu einem Anstieg in den 1980er Jahren, doch ist der spürbare Rückgang zum Ausgang der 1980er Jahre auf einen weiteren internen Faktor zurückzuführen: So wurde die Strafaussetzung zur Bewährung auf Freiheitsstrafen zwischen einem und zwei Jahren ausgeweitet. Mitte der 1990er Jahre wirkte sich zunächst die Einbeziehung der neuen Bundesländer und damit einhergehend die Öffnung der Grenzen zum Osten Europas als externe Gesichtspunkte negativ auf die Belegung im Strafvollzug aus. Auf interner Ebene kommen die Strafrechtsreformgesetze von 1998 8 hinzu. 9 In diesem Rahmen wurden die Strafrahmen insbesondere für Gewaltdelikte deutlich angehoben und zogen einen tief greifenden Wandel in der Sanktionspraxis nach sich. Diese Veränderung zeigt sich beispielhaft bei der gefährlichen Körperverletzung, für die 1995 etwa 60 % der Verurteilten mit einer Geldstrafe belegt wurden und 2004 ungefähr 75 % der Verurteilten mit einer Freiheitsstrafe. Die Reformtätigkeit von 1998 führte in der Folge zu einem sprunghaften Anstieg der Belegung im Strafvollzug am Stichtag, doch ist im neuen Jahrtausend eine moderate, wenngleich kontinuierliche Zunahme zu beobachten. In diesem Zusammenhang verwundert die weitgehende Konstanz im letzten Jahrzehnt bei den Gefangenenraten von etwa 95 Gefangenen pro 100.000 der Bevölkerung im früheren Bundesgebiet. 10 Demzufolge blieb der Anstieg der Gefangenenraten trotz der Reformen von 1998 hinter den Erwartungen zurück. 11 Die relativ stabilen Gefangenenraten erklären sich aus der Deliktsstruktur der Strafgefangenen im Längsschnittvergleich: Während sich der Anteil der Strafgefangenen mit Kör5

Dünkel, in: Perspektiven und Strategien zur Modernisierung des Strafvollzugs, S. 28. Dünkel, in: Perspektiven und Strategien zur Modernisierung des Strafvollzugs, S. 29 extern = „sozialer Umbruch, gesellschaftliche Reformen, demokratische Veränderungen, wirtschaftliche Rahmenbedingungen“; intern = „Strafverfolgungssystem, Kriminalpolitik“; intermediär = „zwischen den Systemen mit moderierendem Effekt wie öffentliche Meinung, allgemeine Politik, Massenmedien“. 7 Dünkel / Geng, FS 2007, S. 15 f. 8 Das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. 1. 1998 kam unter dem massenmedialen und dadurch bewirkten öffentlichen Druck (intermediärer Faktor) aufgrund von Aufsehen erregenden Sexualfällen zustande; auch noch zu berücksichtigen ist das 6. StRG vom 1. 4. 1998. 9 Dünkel / Geng, FS 2007, S. 15. 10 Dünkel / Geng, FS 2007, S. 15 Abb. 2. 11 Dünkel / Geng, FS 2007, S. 16. 6

A. Weibliche Strafgefangene im Strafvollzug von 1965 bis 2010

119

perverletzungsdelikten vergrößerte, nahm der Anteil der Strafgefangenen mit Eigentumsdelikten ab. 12 Die folgende Tabelle gibt Aufschluss über die Altersstruktur weiblicher Strafgefangener von 1965 bis 2006. 13 Tabelle 9 Weibliche Strafgefangene nach Altersgruppe jeweils am 31. März Jahr

Insassinnen insgesamt

Alter der Insassinnen < 25 J. Zahl

25 < 40 J. %

Zahl

%

≥ 40 J. Zahl

%

1965

2.550

421

16,5

1.323

51,9

806

31,6

1970

1.134

169

14,9

550

48,5

415

36,6

1975

911

237

26,0

403

44,2

271

29,8

1980

1.456

438

30,1

664

45,6

354

24,3

1985

1.612

315

19,5

823

51,1

474

29,4

1990

1.576

256

16,2

864

54,9

456

28,9

1995

1.706

282

16,5

914

53,6

510

29,9

1999

2.467

387

15,7

1.335

54,1

745

30,2

2000

2.386

383

16,1

1.249

52,3

754

31,6

2001

2.541

412

16,2

1.315

51,8

814

32,0

2002

2.745

492

17,9

1.352

49,3

901

32,8

2003

2.775

503

18,1

1.364

49,2

908

32,7

2004

3.111

572

18,4

1.500

48,2

1.039

33,4

2005

3.006

504

16,8

1.464

48,7

1.038

34,5

2006

3.262

555

17,0

1.519

46,6

1.188

36,4

Erwartungsgemäß stellen die Insassinnen zwischen 25 und 39 Jahren durchweg die zahlenmäßig stärkste Gruppe. Dabei bewegt sich ihr Anteil zwischen 44,2 % 1975 und 54,9 % 1990. Mit Abstand kommt die Altersklasse der 40-Jährigen und älter, deren Anteile von 24,3 % im Jahr 1980 bis zu 36,6 % im Jahr 1970 bzw. 36,4 % im Jahr 2006 reichen. In dieser Altersgruppe fallen die steigenden Anteile im neuen Jahrtausend auf. Entsprechend der gesetzgeberischen Inten12

Dünkel / Geng, FS 2007, S. 16 Abb. 4. Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, R 4.1, 2006, Tab. 1.1.; ab 1995 Gesamtdeutschland. 13

120

Teil 3: Statistische und kriminologische Erkenntnisse

tion sind Jugendliche, Heranwachsende und Jungerwachsene im Strafvollzug am schwächsten vertreten. Die anteilsmäßige Spannbreite liegt hier zwischen 14,9 % 1970 und 30,1 % 1980; im Jahr 2006 betrug ihr Anteil 17 %. Diese Prozentzahlen zeigen, dass nach wie vor unbedingte Jugendstrafen und Freiheitsstrafen gegenüber unter 24-jährigen Frauen zurückhaltend verhängt werden. Die nachstehende Übersicht bezieht sich auf die Dauer der Freiheitsstrafen differenziert in fünf Kategorien von 1965 bis 2006. 14 Tabelle 10 Weibliche Strafgefangene nach Dauer der Freiheitsstrafe jeweils am 31. März Jahr

Freiheitsstrafen

Dauer der Freiheitsstrafe ≤ 9 M.

> 9 M. – 2 J. > 2 J. – 5 J. > 5 J. – 15 J. lebenslang

1965

2.183 1.187 (54,4 %) 547 (25,1 %) 252 (11,5 %)

1970

1.026

1975

750

1980

74 (3,4 %) 123 (5,6 %)

521 (50,8 %) 199 (19,4 %) 159 (15,4 %)

56 (5,5 %)

91 (8,9 %)

394 (52,5 %) 178 (23,7 %)

80 (10,7 %)

51 (6,8 %)

47 (6,3 %)

1.196

528 (44,1 %) 369 (30,8 %) 192 (16,1 %)

69 (5,8 %)

38 (3,2 %)

1985

1.455

653 (44,9 %) 412 (28,3 %) 245 (16,8 %)

103 (7,1 %)

42 (2,9 %)

1990

1.465

666 (45,5 %) 408 (27,9 %) 229 (15,6 %)

106 (7,2 %)

56 (3,8 %)

1995

1.577

669 (42,4 %) 425 (27,0 %) 306 (19,4 %)

120 (7,6 %)

57 (3,6 %)

1999

2.270 1.063 (46,8 %) 531 (23,4 %) 471 (20,7 %)

138 (6,1 %)

67 (3,0 %)

2000

2.182 1.033 (47,3 %) 476 (21,9 %) 462 (21,2 %)

149 (6,8 %)

62 (2,8 %)

2001

2.309 1.090 (47,2 %) 501 (21,7 %) 472 (20,5 %)

174 (7,5 %)

72 (3,1 %)

2002

2.468 1.193 (48,4 %) 566 (22,9 %) 478 (19,4 %)

154 (6,2 %)

77 (3,1 %)

2003

2.509 1.187 (47,3 %) 567 (22,6 %) 503 (20,1 %)

171 (6,8 %)

81 (3,2 %)

2004

2.807 1.311 (46,8 %) 697 (24,8 %) 525 (18,7 %)

186 (6,6 %)

88 (3,1 %)

2005

2.742 1.256 (45,8 %) 664 (24,2 %) 530 (19,3 %)

197 (7,2 %)

95 (3,5 %)

2006

2.972 1.474 (49,6 %) 670 (22,5 %) 543 (18,3 %)

185 (6,2 %) 100 (3,4 %)

Die Vollstreckung kurzer Freiheitsstrafen bis zu neun Monaten dominiert im Frauenstrafvollzug bei den Stichtagserhebungen. Zwar war bis 1975 noch über die Hälfte aller Freiheitsstrafen im unteren Bereich angesiedelt, doch bewegte sich der jeweilige Anteil in den nachfolgenden Jahren deutlich über 40 % und näherte sich 2006 mit 49,6 % den früheren Werten an. Daran schließen sich Freiheitsstrafen über neun Monaten bis zu zwei Jahren an, deren Anteile zwi14 Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, R 4.1, 2006, Tab. 1.1.; ab 1995 Gesamtdeutschland.

A. Weibliche Strafgefangene im Strafvollzug von 1965 bis 2010

121

schen einem Fünftel bis einem Viertel liegen. 15 Es folgen Freiheitsstrafen über zwei bis zu fünf Jahren mit Anteilen von 10,7 % 1975 bis zu 20,7 % 1999 und im Mittel von etwa einem Fünftel. Der Vollzug über fünf Jahre bis lebenslänglich hat einen Anteil um 10 % über die vier Jahrzehnte hinweg. Trotz der Schwankungen bezüglich der Zahl der Freiheitsstrafen bleiben die Anteile in den fünf Kategorien relativ stabil. 16 Nach dem Rückgang der Freiheitsstrafen in den 1970er Jahren lässt sich Anfang der 1980er Jahre ein starker Anstieg feststellen und eine Konsolidierung auf diesem Niveau bis Mitte der 1990er Jahre. 1999 markiert einen Wendepunkt, wo die weibliche Gefangenenpopulation die Gesamtzahl von 1965 erstmals wieder überschreitet. Im 21. Jahrhundert setzt sich diese Zunahme fort und erreichte am Stichtag 2006 den bisherigen Höchststand in den fünf Kategorien hinsichtlich der Dauer der Freiheitsstrafe. Im Männervollzug lässt sich eine ähnliche Entwicklung auf zahlenmäßig wesentlich höherem Niveau verfolgen (2006:61.250 männliche Strafgefangene). Im Geschlechtervergleich weisen die männlichen Strafgefangenen längere Freiheitsstrafen als die weiblichen Strafgefangenen auf: So entfällt im Durchschnitt lediglich ein gutes Drittel auf Freiheitsstrafen bis zu neun Monaten, aber jeweils ein Viertel auf Freiheitsstrafen über neun Monate bis zu zwei Jahren und über zwei bis zu fünf Jahren sowie ein gutes Zehntel auf Freiheitsstrafen bis zu 15 Jahren. 17 Demgemäß bestätigen diese Befunde die Ergebnisse aus der Dunkel- und Hellfeldforschung zur Frauenkriminalität im vorigen Kapitel, nach denen Frauen eine geringere Deliktsschwere aufweisen und infolgedessen mehr Einstellungen und Verurteilungen zu ambulanten Sanktionen erfolgen. Dementsprechend werden weibliche Verurteilte mit einer unbedingten Freiheitsstrafe bzw. einem Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung im Vergleich zu männlichen Strafgefangenen kürzer eingesperrt. Unabhängig von der Geschlechterdifferenz verdeutlicht der Anstieg der Freiheitsstrafen bis 2007 bei den Insassinnen, dass eine relativ gleichmäßige Zunahme bei allen Kategorien in den letzten Jahren erfolgte. Im neuen Jahrtausend belastet den Frauenstrafvollzug insbesondere die merkliche Erhöhung von Freiheitsstrafen über fünf Jahren. Neben der räumlichen Kapazitätsbindung stellen Langstrafige eine Herausforderung für die Vollzugsgestaltung im Behandlungssinne dar. Aufgrund der langen Verweildauer ist für diese Gruppe ein sinnvoll strukturierter Vollzug nicht nur während des Vollzugs wichtig, sondern auch im 15

Mit Ausnahme eines Ausreißers 1980 mit einem Anteil von 30,9 %. Unterschiede lassen sich bei der lebenslänglichen Freiheitsstrafe und der zeitigen Freiheitsstrafe über 5 bis zu 15 Jahren ausmachen: 1965 und 1970 überwog die Zahl der lebenslänglichen Freiheitsstrafen die der zeitigen Freiheitsstrafe; danach kehrte sich das Verhältnis allmählich um. 17 Lediglich bei den lebenslangen Freiheitsstrafen sind die niedrigen Prozentsätze mit jeweils 3,4 % 2006 gleich. 16

122

Teil 3: Statistische und kriminologische Erkenntnisse

Hinblick auf die Zeit nach der Entlassung, um eine Perspektive in Freiheit zu entwickeln. Im Weiteren wird ein Blick auf die Entlassungspraxis von 1985 bis in die Gegenwart geworfen. Aus der nachstehenden Tabelle gehen einerseits die Entlassenenzahlen bis 2002 hervor und andererseits die Art der Entlassung, d. h. vollständige Strafverbüßung oder bedingte Entlassung. Mangels Angaben wird keine Unterscheidung nach Geschlecht vorgenommen. 18 Tabelle 11 Entlassene nach Entlassungsart von 1985 bis 2002 Jahr

Entlassene in die Freiheit

davon Ende der Strafe

davon Strafrestaussetzung Anzahl

Prozent

1985

65.406

44.777

20.629

31,5

1990

53.392

35.310

18.082

33,9

1995

68.196

48.278

19.918

29,2

1999

76.994

53.955

23.039

29,9

2000

72.822

49.882

22.940

31,5

2001

73.080

50.622

22.458

30,7

2002

74.244

51.539

22.705

30,6

Der Höchststand an vorzeitigen Entlassungen wurde 1990 mit gut einem Drittel aller Entlassungen erreicht. Seit Anfang des neuen Jahrtausends pendelt der Anteil der Aussetzung des Strafrestes um 31 %. Obgleich sich die Entlassenenzahlen verändern und angesichts der stark gewachsenen Gefangenenpopulation in jüngerer Zeit zugenommen haben, bleibt der Prozentsatz über einen Zeitraum von 17 Jahren relativ stabil. 19 Im Unterschied zur vorherigen Übersicht enthält Tabelle 12 lediglich einen Ausschnitt an Entlassungsdaten zu den Stichtagen 31. März, 31. August und 30. November für die Jahre 2003 bis 2006. 20 Zusätzlich wird jedoch nach der Gesamtzahl der Entlassenen und dem weiblichen Geschlecht differenziert. 18 Statistisches Bundesamt 2002, Fachserie 10, R 4.2, Tab. 1.3; die Aussetzung erfolgte nach § 35 BtmG, § 57 I StGB, § 57 II Nr. 1 StGB, § 57 II Nr. 2 StGB, § 57a StGB, §§ 88, 89 JGG, aus Sicherungsverwahrung oder im Wege der Gnade; ab 1995 beziehen sich die Daten auf Gesamtdeutschland. 19 So auch Cornel, MschrKrim 2002, S. 430 und NK-Dünkel (2005), § 57 StGB Rn. 104. 20 Seit 2003 veröffentlicht das Statistische Bundesamt nur noch zu drei Stichtagen im Jahr Daten aus der früheren Fachserie 10, R 4.2 im Internet unter www.ec.destatis.de.

A. Weibliche Strafgefangene im Strafvollzug von 1965 bis 2010

123

Tabelle 12 (Weibliche) Entlassene nach Entlassungsart von 2002 –2006 Jahr

Entlassene in die Freiheit insgesamt

weiblich

davon Ende der Strafe insgesamt

weiblich

davon Strafrestaussetzung insgesamt Anzahl

%

weiblich Anzahl

%

2003

20.917

1.473

14.430

1.018

6.487

31,0

455

30,9

2004

21.383

1.657

14.185

1.135

7.198

33,7

522

31,5

2005

21.234

1.663

13.658

1.078

7.576

35,7

585

35,2

2006

21.337

1.793

13.669

1.208

7.668

35,9

585

32,6

Im Vergleich zur vorherigen Übersicht nimmt der Anteil der bedingten Entlassung zu und hat in jüngster Zeit einen Anteil von über einem Drittel. Als Erklärung hierfür bietet sich die stichtagsbezogene Erhebung an, die lediglich einen Teilbereich erfasst und deshalb zu Verzerrungen führen könnte. Hiervon ist insbesondere der Monat November mit einer traditionell hohen Zahl an Weihnachtsbegnadigungen betroffen, der sich dementsprechend günstig auf die Aussetzungsrate auswirken könnte. 21 Dennoch kann eine positive Entwicklung hinsichtlich der Aussetzungspraxis nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Bezogen auf die Geschlechter lässt sich eine leicht geringere Aussetzungsquote bei entlassenen Frauen gegenüber entlassenen Männern feststellen. 22 Obwohl es sich um einen minimalen Unterschied handelt, erstaunt dieser Befund, weil weiblichen Gefangenen allgemein eine geringere Gefährlichkeit attestiert wird. 23 Nicht zu unterschätzen ist jedoch vermutlich der stetig steigende Anteil an Drogen gebrauchenden Insassinnen, die abgesehen von der Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtmG 24, nicht zur typischen Klientel der Aussetzung des Strafrestes gehören. 25 Mehr Bedeutung dürfte dem im Frauenvollzug höheren Anteil an bis zu einjährigen Freiheitsstrafen zukommen. Denn empiri21

So gab es 2004 im November 1.862 Begnadigungen, aber im August nur 114 Begnadigungen; auch wenn der Monat Dezember und in gewissen Rahmen schon der Monat Oktober für Weihnachtsbegnadigungen bekannt sind, könnte bezogen auf das Gesamtjahr eine leichte Verzerrung auftreten. 22 Dies verdeutlichen auch die männlichen Entlassenenzahlen und ihr Anteil an Strafrestaussetzungen: 2003 19.444; 31,0 % (6.032); 2004 19.726; 33,8 % (6.676); 2005 19.441; 36,0 % (6.991); 2006 19.544; 36,2 % (7.083). 23 Vgl. nur Obermöller (2000), S. 93 f. m.w. N. 24 Nach den stichtagsbezogenen Erhebungen handelt es sich um 30 bis 35 Frauen je Stichtag, die sich aufgrund von § 35 BtmG in eine Therapie begeben. 25 Obermöller (2000), S. 94; in Studien werden drogenabhängige Insassinnen wegen ihrer Besonderheiten oft nicht einbezogen, so auch Fischer-Jehle (1991), S. 45.

124

Teil 3: Statistische und kriminologische Erkenntnisse

schen Untersuchungen zufolge erhöht sich die Wahrscheinlichkeit einer Strafrestaussetzung bei Freiheitsstrafen über einem Jahr und lässt sich auf folgende Formel bringen: Je länger die Freiheitsstrafe ist, desto größer ist die Chance auf eine bedingte Entlassung. 26 Die Entwicklung der (weiblichen) Gefangenenpopulation darf jedoch nicht isoliert betrachtet werden, sondern muss in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext gestellt werden. 27 Da die Gefangenenpopulation gerade kein Abbild von Kriminalität darstellt, könnte sich hier die Abhängigkeit vom Punitivitätsniveau, aber auch von allgemeinen Merkmalen des politischen und gesellschaftlichen Systems zeigen. 28 Eine eigene Dynamik kennzeichnet folglich die Kriminalitätsentwicklung und die Entwicklung der justiziellen Strafpraxis. Vor dem Hintergrund von sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen müssten daher das Punitivitätsniveau und die Gefangenenraten als Ergebnis kriminalpolitischer Richtungsentscheidungen angesehen werden. 29

B. Besonderheiten von weiblichen Gefangenen im Strafvollzug Aufgrund des verschwindend geringen Anteils von Frauen (ca. 5 %) an der gesamten Gefangenenpopulation konzentrieren sich Ausrichtung und Gestaltung des Strafvollzugs auf die Bedürfnisse von männlichen Strafgefangenen. Die Fachliteratur kritisiert die hieraus resultierenden Benachteiligungen für weibliche Gefangene. 30 Aufgrund der regionalen und strukturellen Unterschiede lässt sich jedoch eine systematische Darstellung der Vollzugsrealität von Insassinnen kaum verwirklichen und somit kein einheitliches Bild über die Situation im Frauenvollzug erlangen. Da die Bundesländer den Strafvollzug mit dem Einsatz finanzieller und personeller Ressourcen eigenständig koordinieren, sind empirischen Studien zufolge Unterschiede bei der Unterbringung im offenen Vollzug, der Gewährung von Vollzugslockerungen und der Anwendung von Disziplinarmaßnahmen aufgrund der kriminalpolitischen Verschiedenheiten der Bundesländer festzustellen. 31 Diese Abweichungen scheinen sich auf lokaler Ebene im Vergleich der Justizvollzugsanstalten fortzusetzen, wo der Vollzugsstil der 26

Dünkel (1992), S. 287, 418; NK-Dünkel (2005), § 57 StGB Rn. 104. Ausführlich hierzu Dünkel, in: Perspektiven und Strategien zur Modernisierung des Strafvollzugs, S. 37 ff.; Schott / Suhling / Görgen / Löbmann / Pfeiffer (2004), S. 467 ff. 28 von Hofer, KrimJ 8. Beiheft 2004, S. 200 ff. 29 Aebi / Kuhn, European Sourcebook of Crime and Criminal Justice, S. 66; Dünkel, in: Perspektiven und Strategien zur Modernisierung des Strafvollzugs, S. 39; Dünkel / Geng, FS 2007, S. 14. 30 Cummerow, BewHi 2006, S. 158. 27

B. Besonderheiten von weiblichen Gefangenen im Strafvollzug

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Anstaltsleitung das Klima in der jeweiligen Justizvollzugsanstalt maßgeblich beeinflusst. I. Organisatorische Hemmnisse Die geringe Anzahl von weiblichen Inhaftierten sowie ihre kurzen Haftaufenthalte verursachen nach allgemeiner Auffassung strukturelle Probleme. 32 Wegen der kleinen Zahl inhaftierter Frauen finden häufiger die Trennungsgebote von Untersuchungs- und Strafhaft (§ 119 StPO, 18.8.a Europäische Strafvollzugsgrundsätze 2006) 33, Erwachsenen- und Jugendstrafvollzug (§ 92 Abs. 1 JGG a. F., 18.8.c Europäische Strafvollzugsgrundsätze 2006) sowie von Frauen in selbständigen Einrichtungen für weibliche Gefangene (§ 140 Abs. 2 S. 1 StVollzG, getrennt von Männern 18.8.b Europäische Strafvollzugsgrundsätze 2006) keine Berücksichtigung. Kurze Strafzeiten bedeuten eine hohe Fluktuation und einen großen Verwaltungsaufwand für das Aufnahme- und Entlassungsprozedere zulasten von Maßnahmen zur Resozialisierung. Die Unterbringung von Kurz- und Langstrafigen, Erst- und Rückfalltäterinnen samt Untersuchungshäftlingen birgt Komplikationen hinsichtlich der unterschiedlichen Bedürfnisse der Inhaftiertengruppen und der verschiedenen Zuständigkeiten für den allgemeinen Vollzugsdienst. Vielfach werden die Frauen in die wenigen zentralen Frauenanstalten oder in große Frauenparte eingewiesen. Dabei handelt es sich oft um eine heimatferne Unterbringung und bringt für die Aufrechterhaltung von sozialen Außenkontakten zusätzliche Erschwernisse mit sich: Angehörige oder andere Bezugspersonen sind mit langen und kostenaufwendigen Fahrzeiten konfrontiert; 34 umgekehrt kann die Entfernung im Fall von Vollzugslockerungen Besuchen in der gewohnten Umgebung entgegenstehen oder diese erheblich verkürzen. Die Entlassungsvorbereitung gestaltet sich mit Blick auf den Arbeitsmarkt fern vom Wohnort ungleich komplizierter als bei einer heimatnahen Unterbringung. In Frauenanstalten bringt die Allzuständigkeit für weibliche Inhaftierte hinsichtlich der Sicherungsaufgabe eine Fokussierung auf Risikogruppen mit sich, was für gewisse Teile der Insassinnen eine Übersicherung nach sich ziehen kann. 35 Dieser Befund trifft in noch größerem Maße auf die Unterbringung von 31 Dünkel / Geng, FS 2007, S. 14 ff.; zu Disziplinarmaßnahmen Ostendorf, ZfStrVo 1991, S. 84. Im Zuge der Föderalismusreform haben die Bundesländer nun auch die Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug inne (vgl. Teil 1 A.). 32 Cummerow, BewHi 2006, S. 159; Obermöller (2000), S. 90 f. m.w. N. 33 Eine zunehmende Missachtung der Trennungsgebote ist wegen der Überlegung ebenfalls bei Männern in Haft zu verzeichnen. Ein Beispiel ist die JVA Landsberg a. L., der die Verfasserin im Januar 2003 einen Studienbesuch abgestattet hat. 34 Cummerow, BewHi 2006, S. 159.

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Teil 3: Statistische und kriminologische Erkenntnisse

weiblichen Gefangenen in Abteilungen von Männerjustizvollzugsanstalten zu, weil sich dort Organisation, Personal, Ausstattung und Kontrollmechanismen zuvörderst an den männlichen Gefangenen orientieren. Innerhalb der Abteilungen werden weiblichen Inhaftierten im Allgemeinen mehr Freiheiten als männlichen Inhaftierten zugestanden: Das Tragen eigener Kleidung wird zumindest in der Freizeit grundsätzlich gestattet und die Ausstattung des Haftraums mit eigenen Gegenständen wird in Abwägung mit dem Sicherungsaspekt in der Regel großzügiger gehandhabt. Weitere Schwierigkeiten erwachsen offenbar aus Unzulänglichkeiten bei der Gestaltung der Haftzeit, d. h. der Vollzugsplanung, bei schulischen und beruflichen Qualifizierungsangeboten, Beschäftigungs- und Freizeitmöglichkeiten und wie schon angesprochen bei der Entlassungsvorbereitung. Im Bildungs- und Arbeitsbereich wird Kritik an der Quantität und Qualität der Maßnahmen geübt. Danach erstreckt sich die Angebotspalette einseitig auf typische Frauenberufe wie beispielsweise Friseurin, Hauswirtschafterin, Köchin und Schneiderin 36, ohne angemessen die Interessen und Eignung der Insassinnen oder aktuelle Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt einzubeziehen. 37 Defizite werden ebenfalls bei der Entlassungsvorbereitung hinsichtlich des Entlassungsgeldes, der Schuldenregulierung und der Zusammenarbeit mit Einrichtungen der Strafentlassenenhilfe konstatiert. 38 Bei Justizvollzugsanstalten mit großstädtischem Einzugsgebiet kann jedoch vermutet werden, dass dort eine bessere Kooperation mit Trägern der Entlassenenhilfe als in Einrichtungen mit ländlichem Umfeld gepflegt wird. II. Legal- und sozialbiografische Merkmale weiblicher Gefangenen Nach den in Kap. 2 dargestellten Erkenntnissen zur weiblichen Kriminalität zeichnet straffällige Frauen im Vergleich zu männlichen Straftätern eine geringere Gefährlichkeit aufgrund minder schwerer Straftaten aus. Die geringere Gefährlichkeit lässt sich auch im Frauenvollzug beobachten: So sind weniger 35

Kawamura-Reindl, in: Handbuch der Resozialisierung, S. 387; Laubenthal (2007), S. 368 Rn. 690. 36 Vgl. die Broschüre des Justizministeriums NRW, Berufsbildungsangebot in Justizvollzugsanstalten des Landes NRW (01. 10. 2002 – 31. 05. 2004), welche eine Reihe von typischen Frauenberufen enthält; unter www.justiz.nrw.de. 37 Vgl. Fichtner, ZfStrVo 1990, S. 82 ff. zu Aus- und Fortbildungswünschen; Franze (2001), S. 380 für die JVA Aichach; Kuempfel / Schlagenhauf, in: Frauen im Gefängnis, S. 45 ff.; Schneider, in: GS für Kaufmann 1986, S. 284; Schwinn (2004), S. 83 ff., 357, 404 zur Situation in der JVA Frankfurt a. M. III. 38 Kawamura-Reindl, in: Handbuch der Resozialisierung, S. 389, Obermöller (2000), S. 92.

B. Besonderheiten von weiblichen Gefangenen im Strafvollzug

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Frauen mit Gewaltdelikten als im Männervollzug inhaftiert. Zudem handelt es sich bei den von Frauen verübten Gewaltdelikten oft um sog. Konflikttaten im sozialen Nahraum mit niedriger Wiederholungsgefahr. Während des Strafvollzugs kennzeichnet weibliche Gefangene ein vollzugskonformeres Verhalten: Entweichungen aus dem Strafvollzug, Übergriffe auf Vollzugsbeamte und gravierende Straftaten bei Vollzugslockerungen kommen bei ihnen wesentlich seltener als bei inhaftierten Männern vor. 39 In diesem Rahmen nehmen Drogen konsumierende Insassinnen eine Sonderstellung ein. 40 Im Vergleich zum Männervollzug befinden sich im Frauenvollzug bedeutend mehr Betäubungsmittelabhängige, die etwa die Hälfte der Insassinnen stellen, aber nur etwa ein Drittel der Insassen. 41 Der Umgang mit drogenabhängigen, weiblichen Inhaftierten wird jedoch kaum thematisiert. Meist bleibt es bei einem Hinweis auf die Problematik 42, empirische Untersuchungen verzichten häufiger auf eine Einbeziehung von weiblichen Inhaftierten mit entsprechendem Hintergrund. 43 In den Justizvollzugsanstalten sorgen süchtige Gefangene für erhebliche Belastungen, weil die Beschaffungskriminalität im stationären Strafvollzug teilweise fortgesetzt wird. 44 Aufgrund dessen verschlechtert sich die Vollzugsatmosphäre. Misstrauen, Zwistigkeiten und Aggressionen werden unter den Insassinnen gefördert. Die Betäubungsmittelabhängigkeit bedingt im geschlossenen Vollzug die Wahrung eines hohen Sicherheitsstandards und eine restriktive Tendenz bei der Gewährung von Vollzugslockerungen und Hafturlaub. 45 Die Familie hat für inhaftierte Frauen Studien zufolge einen höheren Stellenwert als für männliche Gefangene. Nach verschiedenen Untersuchungen ist über die Hälfte weiblicher Gefangener Mutter von mindestens einem Kind, die vielfach alleinerziehend sind. 46 Der Bewusstseinswandel in den letzten Jahrzehnten zu Familienstrukturen scheint jedoch an weiblichen und männlichen Gefangenen 39

Dünkel (1992), S. 76, 90 ff., 312, 323 ff.; Obermöller (2000), S. 76 f., 89 f., 93 f. m.w. N. 40 Zu betäubungsmittelabhängigen Insassinnen Zurhold (1998), S. 93 ff. 41 Cummerow, BewHi 2006, S. 161; Dünkel (1992), S. 86 15,1 % in Schleswig-Holstein und 37,9 % in Berlin; Kawamura-Reindl, in: Handbuch der Resozialisierung, S. 382 mit Schätzungen von 40 % bis zu 64,2 % an betäubungsmittelabhängigen Insassinnen; Koch / Suhling, MschrKrim 2005, S. 105 49,5 % in Niedersachsen; Wirth, BewHi 2002, S. 104 ff. 42 Noch schlechter ist der Befund bei ausländischen Insassinnen. Ihre spezifische Situation wird ausgeblendet, in der Regel wird lediglich ihr Anteil im Verhältnis zu den Deutschen festgestellt und eine Unterteilung nach Nationalitäten vorgenommen. Eine Ausnahme stellt das Interview mit einer inhaftierten Türkin in Gür (1991) dar. 43 So z. B. Fischer-Jehle (1991), S. 45. 44 Obermöller (2000), S. 94; Zurhold (1998), S. 95 f. 45 Jedoch können Drogenabhängige aufgrund der Zurückstellung der Strafvollstreckung gem. § 35 BtmG in eine Therapie entlassen werden; hierzu auch Cummerow, BewHi 2006, S. 182.

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Teil 3: Statistische und kriminologische Erkenntnisse

im Vergleich zur Gesamtgesellschaft eher vorbeigegangen zu sein. 47 Es herrschen eher traditionelle Rollenbilder vor, so dass insbesondere inhaftierte Mütter unter der Trennung und der Zerstörung ihrer Familienrollen leiden; ihr persönlicher Lebensentwurf ist gescheitert und die Mütter werfen sich ihr Versagen vor. 48 In der Paarbeziehung erweist sich das Verhältnis zum anderen Geschlecht aufgrund von materiellen und emotionalen Abhängigkeiten, aber auch Gewalterfahrungen als problematisch. 49 Die eigene Kindheit ist nicht selten von sexuellem Missbrauch und / oder körperlicher Misshandlung gekennzeichnet. Obwohl auch männliche Inhaftierte oft eine unzulängliche Schul- und Berufsausbildung haben, ergibt sich aus Untersuchungen bei Frauen eine noch schlechtere Situation in Bezug auf eine abgeschlossene Berufsausbildung. 50 Dieses Manko zieht eine noch niedrigere Beschäftigungsquote unter den Insassinnen, einen höheren Anteil von Sozialhilfeempfängerinnen und eine ungünstigere wirtschaftliche Lebenslage nach sich. 51

C. Schädliche Prisonierungseffekte Mit der Aufnahme in eine Justizvollzugsanstalt befinden sich die Gefangenen nach Goffmans berühmter Terminologie in einer „totalen Institution“ 52. Hervorstechende Kennzeichen einer totalen Institution sind die komplette Lebensführung an ein und demselben Ort abhängig von derselben Autorität, die Gesellschaft mit Schicksalsgenossen in allen Lebensbezügen mit gleicher Behandlung und Tätigkeit, eine fixe Tagesablaufsstruktur mit einer Vielzahl von 46

Dünkel (1992), S. 83; Fischer-Jehle (1991), S. 71 f.; Dünkel / Kesterman / Zolondek, in: Internationale Studie zum Frauenstrafvollzug, Tab. 3.1. S. 7; Koch / Suhling, MschrKrim 2005, S. 103. 47 Birtsch, in: Mütter und Kinder im Gefängnis, S. 91 ff.; Cummerow, BewHi 2006, S. 163. 48 AK-Quensel / Dürkop (1990), Vor § 76 Rn. 7; Steinemann, in: Frauen als Täter, Opfer und Bestrafte, S. 25 ff. 49 Kestermann, in: Internationale Studie zum Frauenstrafvollzug, S. 25. 50 Dünkel (1992), S. 195 f. Schaubild 31+32 80 % ohne Berufsabschluss in Schleswig-Holstein; S. 373 Schaubild 25 63 % ohne Berufsabschluss in Berlin; Kawamura-Reindl, in: Handbuch der Resozialisierung, S. 382; Koch / Suhling, MschrKrim 2005, S. 104 Tab. 11 56 % ohne Berufsabschluss und 7,5 % Anlernberuf. 51 Dünkel (1992), S. 200 Schaubild 36 42 % Sozialhilfeempfängerinnen zum Tatzeitpunkt in Schleswig-Holstein und S. 319 48 % in Berlin; Koch / Suhling, MschrKrim 2005, S. 104 Tab. 10 49,3 % Arbeitslose. 52 Goffman (1972), S. 132 definiert eine totale Institution „als Wohn- und Arbeitsstätte einer Vielzahl ähnlich gestellter Individuen, die für längere Zeit von der übrigen Gesellschaft abgeschnitten sind und miteinander ein abgeschlossenes, formal reglementiertes Leben führen. Ein anschauliches Beispiel dafür sind Gefängnisse, ...“.

C. Schädliche Prisonierungseffekte

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genau bestimmten Regeln, deren Einhaltung hierarchisch gegliedertes Personal überwacht, und schließlich die Vereinigung der unterschiedlichen Zwangstätigkeiten in einem rationalen Plan, um angeblich die offiziellen Ziele der Institution zu verfolgen. 53 Die Kontrolle und Überwachung reicht in sämtliche Lebensbereiche der Gefangenen. Mit der Einsperrung verlieren die Gefangenen ihre Identität und ihre Zugehörigkeit zur Gesellschaft. 54 Die Entpersönlichung zwinge die Gefangenen zur Entwicklung von resozialisierungsfeindlichen Anpassungs- und Überlebensstrategien. Den Haftantritt charakterisiert ein demütigendes Aufnahmeritual, das den Statuswandel zu einem stigmatisierten Kriminellen manifestiere. Als Prozeduren der Entpersönlichung gelten die Entkleidung und körperliche Durchsuchung gem. § 84 StVollzG, die Abgabe der Habe und Aushändigung von für die Haft zulässigen Gegenständen gem. §§ 19, 70 StVollzG, Reinigungs- und Desinfektionsmaßnahmen, Ausstattung mit uniformer Anstaltskleidung gem. § 20 StVollzG sowie die erkennungsdienstlichen Maßnahmen gem. § 86 StVollzG. 55 Diese Degradierung könnte in der Folge beim Gefangenen eine Entwürdigung seines Ichs nach sich ziehen oder die schon zuvor empfundene eigene Wertlosigkeit 56 bestätigen. Dem widerspricht eine ältere Studie zu inhaftierten Frauen in Mutter-Kind-Einrichtungen, nach der die Insassinnen ihr Selbstbild als Mutter und / oder als lebenstüchtige Frau bewahrten; es gelang ihnen, sich dem Prozess der Identitätsauflösung zu entziehen. 57 Dieses Ergebnis erstaunt jedoch nicht, da die gemeinsame Unterbringung mit dem eigenen Kind im gelockerten Vollzug die Wahrnehmung der Mutterrolle ermöglicht und damit eine zentrale identitätsstiftende Funktion aufrechterhält. Haftdeprivationen stellen ein Charakteristikum des Eingeschlossenseins dar und erstrecken sich auf sämtliche Lebensbereiche einschließlich der Privatsphäre. Hierzu gehören u. a. der Abbruch heterosexueller Kontakte, die Trennung von Angehörigen, die sensorielle, intellektuelle und kognitive Verarmung in einem geschlossenen Milieu, aber auch Überreizung mangels Ausweichmöglichkeiten im Zusammenleben. 58 Die andauernde Präsenz von Mitgefangenen ist unausweichlich und sorgt verständlicherweise für Spannungen untereinander. Die konfliktbeladene Stimmung kann für die Gefangenen einen Verlust an sozialer Sicherheit bewirken. 59 Während im Männervollzug Streitigkeiten nicht selten mit körperli53

Goffman (1981), S. 17. Goffman (1981), S. 31 „Wegnahme der Identitäts-Ausrüstung“; siehe auch Harbordt (1967), S. 10 ff. 55 Die Zugangsphase beschreibt Wagner (1984), S. 111 f. 56 Dies könnte in besonderem Maße auf weibliche Gefangene zutreffen, da ihnen im Rahmen der emanzipatorischen Ansätze zur Resozialisierung Beziehungsabhängigkeit und mangelnde Ich-Stärke bescheinigt werden (siehe Teil 4 D.). 57 Birtsch, in: Mütter und Kinder im Gefängnis, S. 95 f. 58 Laubenthal (2007), Rn. 214. 54

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Teil 3: Statistische und kriminologische Erkenntnisse

cher Gewalt und Aggression ausgetragen werden, dominieren im Frauenvollzug wohl verbale Auseinandersetzungen und subtile Ausgrenzungsstrategien. 60 Kontrolle und Überreglementierung erfassen das gesamte Dasein, so dass es zu einem Autonomieverlust kommt. Die allgegenwärtige Bevormundung entlässt die Gefangenen aus Selbstfürsorge und Selbstverantwortung in eigenen Angelegenheiten und mündet in erlernte Hilflosigkeit. 61 Die dauernde Institutionalisierung impliziert Probleme hinsichtlich der Gestaltung und Einteilung von Zeit. In der Anstalt wird die Rolle des gehorsamen Gefangenen eingefordert, um einen reibungslosen Vollzugsablauf zu gewährleisten. Zusätzlich belastet Gefangene mit langen Freiheitsstrafen der Zeitfaktor und der Mangel an Zukunftsperspektive infolge der absehbaren Unveränderlichkeit der Situation („barrier effect“). 62 Die Institutionalisierung mobilisiert verschiedenartige Abwehrtechniken 63 bei den Gefangenen, um sich im Rahmen der primären Adaptation in die Institution einzufügen, die durch die anstaltsinternen Organisationsmodalitäten mit Hilfe eines Privilegiensystems und verschiedener Demütigungsprozesse (z. B. Disziplinarmaßnahmen) erreicht wird. 64 Die primäre Anpassung ermöglicht den Inhaftierten, entsprechend der eigenen Bedürfnislage verschiedene Strategien parallel oder zeitlich gestaffelt einzusetzen: der „kompromisslose Standpunkt“ (Verweigerung der Zusammenarbeit mit dem Vollzugsstab), „Rückzug aus der Situation“ (Teilnahmslosigkeit, Desinteresse), „Kolonialisierung“ (Aufbau einer stabilen, relativ zufriedenen Existenz), „Konversion“ (Rollenübernahme als perfekter Gefangener) und die wohl häufigste opportunistische Kombination der genannten Mechanismen plus sekundärer Anpassung („Ruhig-Blut-Bewahren“). 65 Die sekundäre Adaptation läuft parallel zur primären Adaptation ab und hilft den Gefangenen ihre Identität aufrechtzuerhalten. 66 Die sekundären Anpassungsme59

Die äußere Gesellschaft fühlt sich dagegen durch die technische Aufrüstung und Abschottung in und außerhalb der Anstalt vor den Gefangenen gesichert; hinter Gittern gelingt es jedoch nicht, die Gefangenen untereinander und vor Übergriffen des Vollzugspersonals zu schützen; vgl. Laubenthal (2007), Rn. 211 und den spektakulären Mord von drei Inhaftierten an einem Zellengenossen in einer sog. Notgemeinschaft im Jugendvollzug in Siegburg. 60 Boehlen (2000), S. 154 ff. zur Schweizer Frauenstrafanstalt Hindelbank und auch Enderlin Cavigelli (1992), S. 96, die eine hypothetische Konflikteskalation beschreibt; zur JVA Aichach Franze (2001), S. 197 ff. 61 Laubenthal (2007), Rn. 209. 62 Sapsford, BritJCrim 1978, S. 141. 63 Kognitive Anpassung an den Konflikt (Rationalisierung), Isolierung durch Abtrennung partieller Bewusstseinsinhalte, Projektion der Verantwortung auf andere Personen, Verdrängung, Reaktionsbildung, Identifikation oder Rückzugsmechanismen, vgl. Laubenthal (2007), Rn. 216. 64 Goffman (1981), S. 65 ff. 65 Zu den primären Anpassungsstrategien nach Goffman in der größten Frauenanstalt Schwarzau in den beiden Anstalten Wien Josefstadt und Wien Favoriten in Österreich Knoll (2007), S. 80 ff.

C. Schädliche Prisonierungseffekte

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chanismen stehen jedoch im Widerspruch zu den Zielen der Anstalt, weil sich die Inhaftierten verbotener Mittel bedienen und unerlaubte Zwecke verfolgen. Auf diese Weise werden zwar die Organisationserwartungen unterlaufen, es wird aber eine klare Grenzziehung zwischen dem Betroffenen und den Repräsentanten der Anstalt ermöglicht, die ihrerseits das Anstaltsgefüge stabilisiert. Diese strikte Schrankenbildung trifft auf den Frauenvollzug wohl nicht in dieser Schärfe zu. Obwohl Abgrenzungstendenzen zu den Bediensteten des allgemeinen Vollzugsdienstes seitens der Insassinnen festgestellt werden können, scheint es dort eine lebendigere und freundlichere Kommunikationskultur und mitunter auch das Eingehen von Vertrauensverhältnissen zu geben. 67 Um mit der Entsagungssituation im Strafvollzug zurechtzukommen, gilt die Subkultur als adäquate Abwehrtechnik, d. h. die Einstellungen in der Gruppe der Gefangenen verdichten sich zu einem System von Verhaltensmustern und Regeln teilweise abweichend von den Normen der Außenwelt. 68 Ausgehend vom soziologischen Begriffsverständnis handelt es sich bei einer Kultur um ein gewachsenes System von Normen, Werten, Einstellungen und Verhaltensweisen, das von einer sozialen Gemeinschaft anerkannt wird. In diesem Kontext stellt die Subkultur einen Ausschnitt des Gesamtsystems dar und gilt als abweichendes Partialsystem mit negativer Konnotation. Eigenständige subkulturelle Gegenordnungen im Vollzug kennzeichnen somit eine eigene Organisation, besondere Gebräuche und einen Verhaltenskodex mit zwei Grundnormen, die auf Loyalität unter den Gefangenen und dem Verbot der Kooperation mit der Anstaltsleitung gründen. Anzeichen von subkulturellen Einflüssen sind der Gefängnisjargon, illegale Tausch- und Kaufgeschäfte und Tätowierungen. Obgleich eine Subkultur im Vollzug schwer nachweisbar ist, 69 deuten Erkenntnisse darauf hin, dass sich im Frauenvollzug im Unterschied zum Männervollzug eine abgemilderte Subkultur und ein erheblich herabgesetztes Gewaltpotenzial finden. 70 Hierfür sprechen auch – wie schon erwähnt – die mangelnde Solidarität der Insassinnen untereinander und das relativ gute Auskommen mit dem Vollzugspersonal. 71 In 66 Goffman (1981), S. 59 ff. „manchmal wird die sekundäre Anpassung nachgerade zu einem Bollwerk des Selbst, zu einer Art Beschwörungsformel, in der die Seele wohnt.“. 67 So für die JVA Aichach Franze (2001), S. 187 ff. und für die JVA Frankfurt a. M. III Schwinn (2004), S. 66 ff.; Unterschiede in den vier Anstalten stellte Zolondek (2007), S. 224 f. fest; das Verhältnis zwischen Gefangenen und Vollzugsbediensteten wurde in der Mecklenburger JVA Bützow überwiegend negativ beurteilt. 68 Kaiser / Schöch, Strafvollzug, S. 324 § 13 Rn. 14; die Gefängnisgesellschaft als Subkultur stammt aus Nordamerika mit Sykes (1971), Clemmer (1958) und Garabedian, in: The Sociology of Punishment and Correction 1970, S. 484 ff. 69 Walter (1999), S. 258 Rn. 261 ff.; Weis, in: Strafvollzug in der Praxis, S. 239 ff. 70 Hermann / Berger, MschrKrim 1997, S. 371; Obermöller (2000), S. 94; Schwind / Böhm-Steinhilper, Vor § 76 Rn. 8. 71 Zur Schweizer Frauenanstalt Hindelbank Enderlin Cavigelli (1992), S. 148 und Fn. 60; zu drei Frauenanstalten in Österreich Knoll (2007), S. 77 f., 109 f.

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Teil 3: Statistische und kriminologische Erkenntnisse

gewissem Ausmaß lassen sich hierarchische Strukturen aber auch im Frauenvollzug beobachten. 72 Mehr noch kann Subkultur mit der Gruppe der Betäubungsmittelabhängigen in Verbindung gebracht werden, die im Strafvollzug durch das Treffen auf Bekannte und Gleichgesinnte ihrem Milieu gewissermaßen verhaftet bleiben, illegale Versorgungswege unterhalten, zur Finanzierung untereinander Straftaten begehen und wechselseitige Abhängigkeiten schaffen. 73 Hieran zeigt sich, dass frühere kulturelle Bezüge in die Gefängniswelt mitgenommen werden und vermutlich auch Gefängniserfahrung negativ herein spielt. 74 Auch bei Anerkennung einer Gefangenensubkultur erhebt sich die streitige Frage nach ihren Entstehungsbedingungen. Die Deprivationstheorie knüpft an die Erkenntnisse über Strafanstalten als totale Institution an, so dass sich die Entwicklung der Subkultur als Reaktion auf die Haftdeprivationen darstellt. Die Subkultur biete eine Überlebensstrategie, um sowohl mit der kustodialen Situation umgehen zu können als auch um die Selbstachtung und individuelle Würde wiederherzustellen. 75 Ausschlagend für die Subkulturbildung sind folglich vollzugsinterne Faktoren. Demgegenüber basiert die kulturelle Übertragungstheorie darauf, dass die Gefangenen bereits vor dem Anstaltsaufenthalt deviante Verhaltensweisen und Regeln verinnerlicht haben, welche sie in den Strafvollzug übertragen; stoßen sie dort auf Gleichgesinnte, so entwickelt sich eine entsprechende soziale Kultur. 76 Entscheidend sind somit vollzugsexterne Faktoren, während intramuralen Einflüssen allenfalls untergeordnete Bedeutung zugemessen wird. Eine Synthese aus beiden Theorien stellt das Integrationsmodell dar, welches gleichermaßen vorinstitutionelle Erfahrungen und Haftdeprivationen für die normative Anpassung der Gefangenen als wichtig erachtet; zudem kommen die Erwartungen des Einzelnen an die Zeit nach der Entlassung hinzu. 77 Empirische Untersuchungen erbrachten widersprüchliche Ergebnisse: Eine Studie 78 bestätigte das Integrationsmodell und eine andere Studie 79 kam zu unterschiedlichen Befunden hinsichtlich inhaftierter Männer und Frauen: Danach scheinen bei weiblichen Gefangenen vor- und außerinstitutionelle Erfahrungen schwerer als bei männlichen Gefangenen zu wiegen. Zur Deprivationstheorie und kul72

Anschaulich Knoll (2007), S. 73 ff. Schwinn (2004), S. 79 über eine Drogenabhängige, die sich auf eine andere Station verlegen ließ, um dem Drogenmilieu in der Anstalt zu entkommen und an der Behandlung teilzuhaben; Zurhold (1998). 74 Walter (1999), S. 258 Rn. 261. 75 Durch „Zurückweisung der Zurückweisenden“, McCorkle / Korn (1970), S. 410; Clemmer (1958), Giallombardo (1966); Morris / Morris (1968), S. 176 ff.; Hohmeier (1973), S. 67. 76 Hürlimann (1993), S. 19 ff.; Lambropoulou (1987), S. 67 ff. 77 Hermann / Berger, MschrKrim 1997, S. 383; Schwartz, Journal of Research in Crime and Delinquency 1971, S. 532 ff.; Thomas / Foster, Social Problems 1972, S. 229 ff. 78 Thomas, Journal of Criminal Law and Criminology 1977, S. 135 ff. 79 Zingraff, Criminal Justice and Behavior 1980, S. 275 ff. 73

C. Schädliche Prisonierungseffekte

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turellen Übertragungstheorie wurde 1991 in der baden-württembergischen Justizvollzugsanstalt für Frauen Schwäbisch-Gmünd eine explorative Studie durchgeführt. 80 Die Ziele bildeten die Erstellung von Hypothesen über Verlauf und Veränderung der sozialen Verantwortungsbereitschaft und die Frage nach der Entstehung von Gefängnissubkulturen. Dabei wurden intra- und extramurale Einflüsse hinsichtlich der sozialen Verantwortungsbereitschaft ausgemacht. Bei den vollzugsexternen Faktoren spielten das Alter, der Berufsabschluss, der Familienstand und die Kinderzahl eine Rolle. 81 Als vollzugsinternes Kriterium kristallisierte sich die Anzahl der Gefängnisaufenthalte heraus. Demzufolge sinkt die soziale Verantwortungsbereitschaft mit wiederholten Inhaftierungen kontinuierlich. In der Studie wurde jedoch festgestellt. dass die negative Wirkung des Strafvollzugs unabhängig von der Dauer der Freiheitsstrafe besteht. Hieraus zogen die Forscher die vorsichtige Schlussfolgerung, dass sich die soziale Verantwortungsbereitschaft vermutlich erst nach der Entlassung verringert. Diese Erkenntnis entkräftet zumindest für den Frauenvollzug sowohl die Deprivationstheorie als auch die kulturelle Übertragungstheorie, weil beide Modelle die Zeit nach der Entlassung ausblenden. Als Ergebnis der Studie entwickeln sich subkulturelle Werte nicht vor oder im Gefängnis, vielmehr sind sie hauptsächlich strukturell bedingt und als Spätfolge von Gefängnisaufenthalten zu verstehen. 82 Obwohl sich der Strafvollzug negativ auf die Normakzeptanz auswirke, führe erst die problembeladene Entlassungsphase zu einem grundlegenden Wertewandel. Die Studie spricht somit einerseits für die Integrationstheorie, andererseits geht sie noch über deren Erklärungsgehalt unter Berücksichtigung der Zeit nach der Entlassung hinaus. Der Vorgang der primären und sekundären Adaptation an die Gefängnissubkultur wird als Prisonierung bezeichnet. Die Übernahme subkultureller Normen und Werte während der Haft steht in unmittelbaren Zusammenhang mit der Frage nach den Entstehungsbedingungen von Gefangenensubkultur. Erklärungspotenzial für den Prisonierungsgrad bietet zum einen die aus den 1940er Jahren stammende Studie von Clemmer, nach der ein linearer Zusammenhang zwischen der Dauer des Anstaltsaufenthaltes und dem Prisonierungsgrad besteht und demzufolge alle Entlassenen den Strafvollzug mehr oder weniger prisoniert verlassen. 83 Zum anderen vollzieht sich ein zyklischer Prisonierungsprozess nach einer Querschnittsuntersuchung von Wheeler in Form einer U-Kurve: Zu Beginn und zum Ende der Haft stimmen die Inhaftierten mit den konventionellen gesellschaftlichen Wertvorstellungen in hohem Maße überein, während in 80

Hermann / Berger, MschrKrim 1997, S. 370. „Die soziale Verantwortungsbereitschaft ist bei älteren, verheirateten Inhaftierten mit Kindern und relativ elaborierter beruflicher Ausbildung ausgeprägter als bei anderen.“, Hermann / Berger, MschrKrim 1997, S. 382. 82 Hermann / Berger, MschrKrim 1997, S. 384. 83 Clemmer (1958), S. 304. 81

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Teil 3: Statistische und kriminologische Erkenntnisse

der Mitte der Strafverbüßung die höchste Nonkonformität unter den Gefangenen konstatiert wird. 84 Begründet wird die subkulturelle Orientierung in der Mittelphase mit der stärksten gesellschaftlichen Abschottung und mit deren Funktion als Überlebensstrategie im Strafvollzug. 85 Eine gesellschaftlich konforme Rückbesinnung erfolge gegen Ende der Haftzeit, weil sich die Betroffenen geistig auf ihre Entlassung vorbereiteten und sich auf einen Wechsel der Bezugspersonen einstellten. 86 Der U-förmige Kurvenverlauf wurde in Replikationsstudien überwiegend nicht bestätigt. 87 Folgerungen zur Deprivationstheorie und zur kulturellen Übertragungstheorie können allerdings aus empirischen Untersuchungen zum Prisonierungsverlauf wegen der inkonsistenten und widersprüchlichen Befunde nicht abgeleitet werden. 88 Bezogen auf den Frauenvollzug weist die vorgestellte Studie in der Frauenanstalt Schwäbisch-Gmünd ebenfalls die Annahme über die U-förmige Abfolge der Normakzeptanz zurück. 89 Vielmehr steht der Kurvenverlauf in Abhängigkeit von der Haftlänge. In der Anfangsphase der Haft ist die Normakzeptanz auf einem niedrigen Niveau angesiedelt, steigt nach der Eingewöhnung kontinuierlich an und erreicht ihren Endpunkt bei etwa dreieinhalb Jahren. 90 Danach ist ein sichtlicher Rückgang der Normakzeptanz zu verzeichnen und kann bei langen Freiheitsstrafen sogar den Stand zu Beginn unterschreiten. Die Entwicklung der Normakzeptanz stellt sich insgesamt bei Insassinnen mit einer Haftzeit unter vier Jahren wesentlich günstiger dar. Als eine plausible Begründung für die wachsende Normakzeptanz nach der Akklimatisierung werden geschlechtsspezifische Unterschiede angeführt. Da die Insassinnen nicht selten in für sie verhängnisvolle Beziehungsabhängigkeiten verstrickt sind, findet mit dem Haftantritt ein Herrschaftswechsel von der patriarchalischen Willkür des Ehemannes bzw. Partners zur berechenbaren Bürokratie der totalen Institution statt. 91 Die Lebenssituation der Betroffenen verbessert sich möglicherweise im Strafvollzug und eröffnet ihnen unter Umständen neue Perspektiven zur Entfaltung. 92 Die nähere Analyse zeigt darüber hinaus 84

Wheeler, American Sociological Review 1961, S. 702, 706 f. Hoppensack (1969), S. 156. 86 Wheeler, American Sociological Review 1961, S. 706 f.; Ortmann, in: Kriminologische Forschung in den 90er Jahren 1993, S. 266; Trotha (1983), S. 76. 87 Pro: Garabedian, in: The Sociology of Punishment and Correction, S. 484 ff. und Wellford, The Journal of Criminal Law, Criminology and Police Science 1967, S. 197 ff.; contra: Bondeson (1989), Ortmann (1987); hierzu mit weiteren Nachweisen Ortmann, in: Kriminologische Forschung in den 90er Jahren, S. 277 ff. 88 Hermann / Berger, MschrKrim 1997, S. 372; auch Dölling / Hermann, in: FS für Böhm, S. 368 ff. 89 Hermann / Berger, MschrKrim 1997, S. 382 f. 90 Hermann / Berger, MschrKrim 1997, S. 379, 385 möchten deswegen einen neuen Ansatz entwickeln und ziehen ergänzend die Theorie des individuellen Wertewandels heran, S. 383 f. 91 Hermann / Berger, MschrKrim 1997, S. 383 Fn. 32. 85

C. Schädliche Prisonierungseffekte

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eine entscheidende Schwäche der empirischen Studien zum Prisonierungsgrad auf: Da ausschließlich auf die verbüßte Haftzeit rekurriert wird, bleiben andere individuelle Umstände in der Person des Gefangenen unberücksichtigt. 93 Zu den weiteren Einflussfaktoren für den Prisonierungsverlauf gehören die eigene Persönlichkeit, die Erwartungen an die Zeit nach der Entlassung, der Entfremdungsgrad von der Außenwelt, die Haltung zum Gefängnis, die Anstaltsstruktur, die Beziehungen zu Mitgefangenen sowie dem übernommenen sozialen Verhaltenstypus 94. Abgesehen von einer Einbindung in die Gefangenensubkultur dürfen die psychischen Auswirkungen einer Inhaftierung nicht unterschätzt werden. Die Entmündigung des Selbst in allen relevanten Lebensbereichen führt letztlich zum Verlust der Selbstverantwortung und der Fähigkeit zur Bewältigung von Lebensproblemen einschließlich sozialen Umgangsformen. 95 Der Strafvollzug bedroht das eingeschlossene Individuum permanent in seinem Dasein und erzeugt unter Umständen vorübergehende oder dauerhafte psychopathologische Einstellungs- und Persönlichkeitsveränderungen. 96 Dennoch variieren die durch die psychotraumatische Haftsituation geweckten Reaktionen entsprechend der individuellen Persönlichkeit, Konstitution und Disposition. Neben der subkulturellen Orientierung können die Haftdeprivationen und Stressoren eine resignative und apathische Grundhaltung, Motivationsverlust, soziale Isolation, neurotische Symptome und Explosivreaktionen hervorrufen. 97 Die intrapsychische Entladung 92 Bekanntestes Beispiel hierfür könnten Frauen sein, die ihren tyrannischen Ehemann umgebracht haben, vgl. zur rechtlichen Problematik mit Rechtsprechungsbesprechung Haverkamp, GA 2006, S. 586 ff. und folgendem Eingangszitat einer betroffenen Interviewten: „Mit der Haft begann meine Freiheit.“. 93 Kaiser / Schöch, Strafvollzug, § 13 S. 327 Rn. 19; Laubenthal (2007), S. 112 Rn. 224. 94 Eine Verhaltenstypologie (prosozial, pseudosozial, asozial, antisozial) wurde im nordamerikanischen Raum entwickelt, es stellt sich wie auch bei der Bildung von Gefangenensubkulturen die Frage nach der Übertragbarkeit auf die deutsche Strafvollzugswirklichkeit noch dazu auf den Frauenvollzug; Laubenthal (2007), S. 112 Rn. 225 f.; Hürlimann (1993) zur Einteilung in Gewalt-, Aufgaben- und Sozial-Führer in der Jugendstrafanstalt Rockenberg, aber auch diese Erkenntnisse können nicht unbenommen auf den Frauenvollzug angewendet werden. 95 Nach Goffman (1972), S. 24 „Wenn daher der Aufenthalt des Insassen lang andauert, kann das eintreten, was ‚Diskulturation‘ genannt wurde – d. h. ein Verlern-Prozess, der den Betroffenen zeitweilig unfähig macht, mit bestimmten Gegebenheiten der Außenwelt fertig zu werden, wenn und falls er hinausgelangt.“ 96 Laubenthal (2007), S. 114 f. Rn. 228; die Haft führt beispielsweise zu Angstbzw. Zwangssymptomen, Phobien, Psychoneurosen und psychosomatischen Befindlichkeitsstörungen, Schleuss (1994), S. 433 ff. 97 Psychogene Zweckreaktionen kommen hinzu, zu denen das sog. Ganser-Syndrom gehört. Dabei flüchtet der Gefangene in eine „Geisteskrankheit“, um den Stressfaktoren der Haft zu entkommen; das Unterbewusste simuliert eine Psychose und drückt sich symptomatisch in einem systematisch verkehrten Handeln und Denken aus; Laubenthal (2007), S. 115 Rn. 231.

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Teil 3: Statistische und kriminologische Erkenntnisse

vermag sich entweder gegen die äußere Umgebung in Form des Haftkollers mit Schreikrämpfen, Zerstörung der Zelleneinrichtung, tätlichen Angriffen auf das Vollzugspersonal und Mitgefangene oder gegen das Selbst durch autoaggressiven Aggressionsabbau mittels Selbstverletzungen und suizidalen Handlungen richten. 98 Inwieweit Entlassene in der wieder gewonnenen Freiheit unter psychischen Langzeitfolgen der Haft zu leiden haben, ist bislang nicht hinreichend geklärt, hängt aber sicherlich von der jeweiligen Persönlichkeit und Prädisposition ab. Bekanntlich führt der Langstrafenvollzug nicht zwangsläufig zu einer irreversiblen Persönlichkeitsschädigung oder vollständigem Persönlichkeitsverfall; manche Langstrafige überstehen ihre mitunter jahrzehntelange Inhaftierung ohne erhebliche Anzeichen für eine psychische Auffälligkeit. Es ist zu betonen, dass Haftdauer und psychische Störung nicht in einem monokausalen Zusammenhang stehen, sondern die Auswirkungen der schwerwiegenden psychosozialen Entsagungssituation in Haft multifaktoriell bedingt sind. 99 Gefängnissubkultur und psychische Beeinträchtigungen des Einzelnen sind dem Vollzugsziel der Resozialisierung abträglich und lassen diese zur Illusion verkommen. 100 Die negativen Prisonierungseffekte in psychologischer und soziologischer Hinsicht hatte deshalb der Gesetzgeber mit dem Gegensteuerungsgrundsatz in § 3 Abs. 2 StVollzG im Auge, wonach im Strafvollzug den schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges entgegenzuwirken ist. Wenn sowohl der negative subkulturelle Sozialisationsprozess als auch die besondere psychische Belastung als Reaktion auf die Haftdeprivationen verstanden werden, lohnen sich Bemühungen i. S. d. Behandlungsvollzugs, um diese Entwicklungen durch die Umsetzung der Vollzugsgrundsätze, namentlich dem Angleichungsgrundsatz gem. § 3 Abs. 1 StVollzG, zumindest zurückzudrängen. 101 Ein Schlüsselbegriff stellt die Übernahme bzw. Aufrechterhaltung von sozialer Verantwortung in der totalen Institution dar, um die schleichende Infantilisierung gepaart mit Passivität abzumildern bzw. zu vermeiden. 102 Vor allem die Studie von Hermann / Berger in der Frauenanstalt Schwäbisch-Gmünd führt eindrücklich vor, dass die Normakzeptanz im Frauenvollzug gerade in der Anfangsphase und bei 98

Laubenthal (2007), S. 114 Rn. 229; du Mênil (1994), S. 39; Scheu (1983), S. 95 ff. Laubenthal (2007), S. 114 f. Rn. 229, 232 Persönlichkeitsstruktur, Biografie vor der Haft, Alter, Veranlagung, Spannungstoleranz, Anpassungsstrategie, Bewältigungstechniken, Gefängniserfahrung, Gefängnisstruktur, Kontakte zur Außenwelt, Behandlungsangebot. 100 Als Subkultur fördernde Faktoren im Strafvollzug gelten Überbelegung, Informationsmängel bei Neuzugängen, die auf die Aufklärung von hafterfahrenen Gefangenen angewiesen sind, Gefangene mit einem hohen Status oder privilegiertem Posten (Hausarbeiter / in, Gangsprecher / in), nach Müller-Marsell, in: Justizvollzugspsychologie in Schlüsselbegriffen, S. 291. 101 Franze (2001), S. 196 f.; Kaiser / Schöch, Strafvollzug, § 13 S. 327 Rn. 19; du Mênil (1994), S. 41. 102 Enderlin Cavigelli (1992), S. 135; Herrmann / Berger, MschrKrim 1997, S. 385. 99

D. Behandlungsansätze für den Frauenstrafvollzug

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über vierjährigen Haftzeiten auch in der Endphase erschüttert ist. Schon früh erscheint es viel versprechend den Insassinnen Entscheidungsfreiheit und Handlungsspielräume in eigenen Angelegenheiten zu belassen und zuzugestehen, aber darüber hinaus persönliche Entwicklungsmöglichkeiten durch ein Behandlungsprogramm zu eröffnen. Der Schwäbisch-Gmünder Studie zufolge erweist sich insbesondere die Zeit nach der Entlassung aus der Haft als neuralgische Phase für die Verfestigung von subkulturellen Orientierungen. Besondere Relevanz hat daher die durchgängige Betreuung mit der Entlassungsvorbereitung und eine Intensivierung der Nachsorge in Freiheit. Da die Ergebnisse der Studie in der Frauenanstalt Schwäbisch-Gmünd nicht mit denen von bekannten Untersuchungen über den Prisonierungsverlauf übereinstimmen, drängt sich die Vermutung nach geschlechtsspezifischen Unterschieden bei der Verarbeitung von Haftdeprivationen auf. In diesem Rahmen stellt sich die Frage nach frauenspezifischen Behandlungsansätzen im Strafvollzug, auf die im folgenden Abschnitt eingegangen wird. 103

D. Behandlungsansätze für den Frauenstrafvollzug In den 1960er Jahren waren Reformbestrebungen für einen frauenspezifischen Resozialisierungsvollzug stark mit dem Engagement einzelner Fachpersonen verbunden. 104 Wegweisende Reformimpulse gingen von Helga Einsele aus, der Anstaltsleiterin der Frauenanstalt Frankfurt am Main III von 1947 bis 1975. 105 Erst Ende der 1970er Jahre fanden ihre Neuerungen wie offene Vollzugsformen, Öffnung der Anstalt, Mitsprachemöglichkeiten der Gefangenen und MutterKind-Einrichtungen Eingang in die allgemeine Vollzugspraxis. Heutzutage sind Mutter-Kind-Einrichtungen selbstverständlicher Bestandteil von eigenständigen Frauenanstalten in den alten Bundesländern. 106 Anfang der 1980er Jahre fand 103 Möller (1996), S. 273 ff. untersuchte die Interaktionsmuster zwischen inhaftierten Tötungsdelinquenten beiderlei Geschlechts und dem Gefängnis und stieß auf drei verschiedene Muster mittels einer tiefenhermeneutischen Auswertung von lebensbiografischen Interviews: 1. die „förderliche Allianz“, die die persönliche Entwicklung des Inhaftierten begünstigt; 2. „Mesalliancen“, indem sich der Inhaftierte auf das Gefängnis psychisch einlässt, aber intrapsychische Abwehrstrukturen verstärkt, die innerhalb der Gefängnisstruktur kaum aufzulösen sind; 3. der „schizoide Modus“, wo der Inhaftierte vom Strafvollzug nicht erreicht wird und eine Behandlung aussichtslos erscheint; im Ergebnis werden keine geschlechtsspezifischen Unterschiede herausgearbeitet. 104 Zu den historischen Wurzeln eines besonderen Strafvollzuges für Frauen vgl. von Gélieu (1994) für das Gefängnis Barnimstraße in Berlin; Horn (1973), S. 6 ff.; Obermöller (2000), S. 19 ff.; Stöckle-Niklas (1989), S. 5 ff. 105 Einsele, in: Frauen im Strafvollzug, S. 27 ff.; aus ihrer Autobiografie Einsele (1994), S. 203 ff.

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Teil 3: Statistische und kriminologische Erkenntnisse

eine lebhafte Debatte statt, die vor allem Mitarbeiterinnen aus dem Vollzug angestoßen hatten und die Entwicklung neuerer Ansätze zur Reformierung des Frauenvollzugs vorantrieb. 107 Dabei lassen sich drei Richtungen mit dem Behandlungsansatz der Strafvollzugsreform und mit den emanzipations- und lebenslagenorientierten Ansätzen unterscheiden. Der Behandlungsansatz der 1960er Jahre basiert auf der Überzeugung einer besonders hohen Behandlungs- und Betreuungsbedürftigkeit von inhaftierten Frauen aufgrund einer Vielzahl von vermuteten Persönlichkeitsstörungen. 108 Hierauf fußt die Sollvorschrift in § 143 Abs. 3 StVollzG zur Höchstbelegungszahl von 200 Haftplätzen in Frauenanstalten 109 und die überholte Forderung, die Sozialtherapie zum Regelstrafvollzug für Frauen zu institutionalisieren. 110 In jüngster Zeit setzt sich in vielen Lebensbereichen im Zuge der europäischen Gleichstellungspolitik das Konzept von Gender Mainstreaming durch und findet als vierter Ansatz in der Praxis des Strafvollzugs bei inhaftierten Frauen Berücksichtigung. 111 Das zentrale Anliegen emanzipatorischer Ansätze besteht darin, ein emanzipiertes Rollenbild durch Entwicklung von Unabhängigkeit, Selbstbewusstsein, Emanzipation usw. zu fördern. Ausgangspunkt dieser Ansätze ist die Überwindung von Unselbständigkeit und Abhängigkeit im Strafvollzug, um Selbstbewusstsein und Lebenstüchtigkeit zu entwickeln. 112 Hieran anknüpfend werden die Lebenssituation und Lebensmuster von weiblichen Gefangenen vermehrt einbezogen. 113 Danach führen eine schwierige Kindheit und die Übernahme von traditionellen Rollenbildern dazu, das versorgende und dienende Selbstkonzept als Mutter und Ehefrau zu internalisieren, was die Ausbildung einer individuellen und autonom handelnden Persönlichkeit sowie eine selbstbestimmte Lebensführung verhindere. Hieraus resultiert die Forderung nach frauenspezifischen Angeboten und Aktivitäten auf dem ganzen Gebiet der Straffälligenhilfe, um immateriellen und materiellen Abhängigkeiten in Beziehungen zu Männern entgegenzusteuern. 114 Im Strafvollzug ließe sich diese frauenspezifische Orientierung verwirklichen durch ein breites Spektrum von modularen Schul- und Aus106 JVA Schwäbisch-Gmünd, JVA Aichach, JVA Vechta; in Nordrhein-Westfalen ist die Mutter-Kind-Einrichtung dem Justizvollzugskrankenhaus Fröndenberg angegliedert. 107 Vgl. Überblick bei Obermöller (2000), S. 20 – 22. 108 Einsele, in: Tagungsberichte der Strafvollzugskommission, S. 58. 109 Arloth / Lückemann (2004), § 143 Rn. 4. 110 Böhm (1986), S. 85; es gibt kaum sozialtherapeutische Angebote für weibliche Gefangene: 2002 wurden im Bundesgebiet 38 sozialtherapeutische Haftplätze für Frauen vorgehalten, nach Kawamura-Reindl, in: Handbuch der Resozialisierung, S. 392. 111 Verpflichtung aller EU-Staaten im Amsterdamer Vertrag von 1996 zur Umsetzung von Gender Mainstreaming, Cummerow, BewHi 2006, S. 154, vgl. nun auch Diversity. 112 Einsele, in: Frauen im Strafvollzug, S. 10 f. 113 Maelicke (1995), S. 107 arbeitete lange Zeit in der JVA Frankfurt a. M. III als Sozialarbeiterin wie auch als Leiterin der Mutter-Kind-Abteilung und entwickelte Einseles Gedanken weiter.

D. Behandlungsansätze für den Frauenstrafvollzug

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bildungsmöglichkeiten, enthierarchisierten Organisationsstrukturen (z. B. Teamarbeit), die Einbindung von extramuralen Vertragsärzten in die Gesundheitsvorsorge sowie durch herabgesetzte Sicherungsanforderungen einhergehend mit einem Ausbau des offenen Vollzugs. 115 Diese Erwägungen werden von der Arbeitsgruppe Frauenstrafvollzug ergänzt: Geringe „Ich-Stärke“ 116 verbunden mit Abhängigkeiten im Sozial- und Suchtbereich charakterisiere die Mehrheit der weiblichen Inhaftierten aufgrund von Traumatisierungen in der Kindheit und damit einher gehendem Vertrauensverlust, was schließlich die Entwicklung von Selbstbewusstsein, die soziale Durchsetzungsfähigkeit und adäquates Leistungsverhalten hemme. 117 Ausgehend von diesen frauenspezifischen Besonderheiten möchte dieser Ansatz Selbstvertrauen und Selbstwertgefühle wecken, das Ego durch Senkung von Abhängigkeiten (Partner, stoffgebundene Abhängigkeit, soziales Milieu, gesellschaftliche Position) stärken, Selbstorganisation und -versorgung festigen sowie Eigenständigkeit und positive soziale Bindungen fördern. Im Unterschied zu den emanzipatorischen Ansätzen möchten die lebenslagenorientierten Ansätze kein bestimmtes Rollenbild vermitteln, sondern richten sich auf eine Verbesserung der Lebenssituation, um soziale und wirtschaftliche Benachteiligungen aufzufangen. Diese Ansätze stoßen sich an dem Klischee der besonders gestörten straffälligen Frauen im Vergleich zu straffälligen Männern, da statistische Analysen in die umgekehrte Richtung wiesen. 118 Überdies bringe die geschlechtsspezifische Sozialisation eine höhere soziale Kompetenz von Frauen gegenüber Männern mit sich, die sich in ausgeprägteren kommunikativen Fähigkeiten hinsichtlich subjektiver Befindlichkeiten, sozialer Sensibilität und einer stärkeren Beziehungsorientierung zeige. 119 Es wäre daher verfehlt die stärkere Ansprechbarkeit von weiblichen Gefangenen als Therapiebereitschaft oder als größere Therapiebedürftigkeit gegenüber männlichen Gefangenen zu interpretieren. 120 Im Vordergrund frauenspezifischer Resozialisierungsbemühungen stehen aber nicht die individuellen Schwächen der Insassinnen, sondern die 114 Kawamura-Reindl, in: Handbuch der Resozialisierung, S. 393; Maelicke (1995), S. 111 f. 115 Maelicke (1995), S. 112 f. 116 Der Begriff der „Ich-Stärke“ geht auf Raymond B. Cattell zurück, dessen faktorenanalytische Persönlichkeitstheorie 16 zeitlich und situativ stabile Persönlichkeitsfaktoren erfasst, um die vollständige Beschreibung einer jeden Persönlichkeit mit ihren unterschiedlichen Facetten zu ermöglichen. Demnach weist eine niedrige Ausprägung in der Skala Ich-Stärke auf emotionale Labilität, Unfähigkeit, Frustrationen zu ertragen, gefühlsmäßige Impulsivität, Ausweichen vor Problemen, Vermeidung notwendiger Entscheidungen und neurotische Müdigkeit hin; näher Pervin / Cervone / John (2005). 117 Arbeitsgruppe Frauenstrafvollzug 1990, S. 4; Lichthard / Rabenschlag-Fixan, NK 1990, S. 9 ff. 118 AK-Bammann / Quensel (2000), Vor § 76 Rn. 6; Quensel, KrimPäd 1982/14,15, S. 13 ff.; Simmedinger, in: Handbuch der Resozialisierung 1995, S. 206. 119 Quensel, KrimPäd 1982/14,15, S. 15; Vogt, KrimPäd 1982/14, 15, S. 11.

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Teil 3: Statistische und kriminologische Erkenntnisse

strukturellen Benachteiligungen im Vergleich zum Strafvollzug von Männern. 121 Diese Benachteiligungen sollen mit Hilfe von kompensatorischen Regelungen 122 in den Bereichen Arbeit, Bildung, Gesundheitsfürsorge, Öffnung des Vollzugs sowie Alternativen zur Freiheitsstrafe beseitigt werden. Die Einhaltung des geschlechtlichen Trennungsgebots wird schon wegen des ungleichen Zahlenverhältnisses zwischen weiblichen und männlichen Gefangenen, aber auch wegen der möglichen Fixierung auf das andere Geschlecht unter Manifestierung überkommener Rollenstereotype für notwendig erachtet. 123 In diesem Zusammenhang wird jedoch die Koedukation insbesondere im Ausbildungsbereich befürwortet, um Insassinnen ein vielfältigeres Berufsspektrum zu ermöglichen. Dabei sei die Sensibilität der Werkbediensteten gefragt, um das Auftreten etwaiger männlicher Unterdrückungsmechanismen gegenüber den Frauen zu vermeiden. 124 Der Emanzipationsgedanke ist nebensächlich, vielmehr geht es mit dem Aufbau von Selbstbewusstsein und Unabhängigkeit um die Festigung des Selbsthilfepotenzials. 125 Auf individueller Ebene erfordere deshalb eine frauenspezifische Resozialisierung die Auseinandersetzung mit der jeweiligen Lebenssituation der Betroffenen und die Akzeptanz von unterschiedlichen, von der eigenen Sichtweise abweichenden Lebenskonzepten. 126 Denn die Verbesserung der Lebenslagen hänge von den eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen ab und lasse sich mit verschiedenen Lebensentwürfen und Bewältigungsstrategien vereinbaren. 127 Die Strategie des Gender Mainstreaming bezweckt durch eine zielgerichtete Frauenförderung den Abbau von geschlechtsspezifischen Diskriminierungen und Defiziten und zugleich die Förderung von Chancengleichheit von Frauen und Männern als gesamtgesellschaftlicher Prozess. 128 Die moderne Gleichstellungspolitik darf aber nicht mit einer Angleichung an männliche Verhältnisse verwech120

Geiger / Steinert (1993), S. 240 mit einem lebenslagenorientierten Ansatz zur frauenspezifischen Sozialarbeit im Strafvollzug. 121 AK-Bammann / Quensel (2000), Vor § 76 Rn. 6. 122 Unter dem Begriff „kompensatorisches Recht“ werden Regelungen verstanden, die Benachteiligungen, ausgleichen sollen, beispielsweise in weiblichen Lebensläufen, nach Obermöller (2000), S. 26 Fn. 50. 123 AK-Bammann / Quensel (2000), Vor § 76 Rn. 4. 124 AK-Bammann / Quensel (2000), Vor § 76 Rn. 5, nach denen die Koedukation wegen der zahlenmäßigen männlichen Dominanz und den angeblich defizitären weiblichen Selbstbehauptungsstrategien gegenüber männlichen Gefangenen zurückgeht und AK-Huchting / Quensel (2000), § 140 Rn. 7. 125 Nach Quensel, KrimPäd 1982/14, 15, S. 13 dient der Emanzipationsgedanke in erster Linie den Fachdiensten als Orientierungshilfe für die Behandlung der weiblichen Gefangenen. 126 Simmedinger, in: Handbuch der Resozialisierung 1995, S. 209. 127 Zur Evaluation von Sozialarbeit der ambulanten Straffälligenhilfe für Frauen in Schleswig-Holstein siehe Vollstedt (1998), S. 113, nach der über der Hälfte der straffälligen Frauen das Geschlecht der beratenden Person egal war.

D. Behandlungsansätze für den Frauenstrafvollzug

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selt werden, sondern ein solches Vorgehen überprüft alle Handlungsweisen nach den Grundsätzen der Gleichheit und Differenz. 129 Bezogen auf den Strafvollzug bedeutet eine Herangehensweise nach dem Gender Mainstreaming 130, dass geschlechtsspezifische Gesichtspunkte wie die berufliche Orientierung oder die besonderen Lebenslagen von Insassinnen einbezogen werden, um unter Beachtung des Geschlechterverhältnisses individuelle Wege für ein Leben in Straffreiheit zu entwickeln. 131 In Nordrhein-Westfalen wurde vom 16. August 2002 bis zum 30. Juni 2005 ein mit EU-Mitteln gefördertes Sonderprogramm zur arbeitsmarktorientierten Entlassungsvorbereitung aufgelegt. 132 Unter dem Blickwinkel des Gender Mainstreaming wurde festgestellt, dass im Vergleich zu männlichen Inhaftierten deutlich weniger Insassinnen trotz durchschnittlich besserer Qualifizierung während der Haft einen berufsqualifizierenden Abschluss erwar128 Cummerow, BewHi 2006, S. 155; nach der Definition des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend impliziert Gender Mainstreaming, „bei allen gesellschaftlichen Vorhaben die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern von vornherein und regelmäßig zu berücksichtigen, da es keine geschlechtsneutrale Wirklichkeit gibt.“; dabei handelt es sich um einen „Auftrag an die Spitze einer Verwaltung, einer Organisation, eines Unternehmens und an alle Beschäftigten, die unterschiedlichen Interessen und Lebenssituationen von Frauen und Männern in der Struktur, in der Gestaltung von Prozessen und Arbeitsabläufen, in den Ergebnissen und Produkten, in der Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit, in der Steuerung (Controlling) von vornherein zu berücksichtigen, um das Ziel der Gleichstellung von Frauen und Männern effektiv verwirklichen zu können“; vgl. www.gender-mainstreaming.net/bmfsfj/generator/gm/definition.html abgerufen am 23. 1. 2008; das Konzept des Gender Mainstreaming wurde im Entwurf des Bundesjustizministeriums zum Jugendstrafvollzug v. 28. 4. 2004 in § 5 Abs. 2 S. 2 GJVollzG aufgenommen, hierzu Schwirzer (2008), S. 89 ff. und ist beispielsweise in § 3 Abs. 4 JStVollzG Schleswig-Holstein fixiert. 129 Andernfalls käme man zu der unerwünschten und absurden Schlussfolgerung, dass die weibliche Straffälligkeit in Angleichung an die männliche Straffälligkeit beträchtlich steigen müsse; auch Cummerow, BewHi 2006, S. 154 f. (vgl. zur weiblichen Kriminalität Teil 2). 130 BAG-S Informationsdienst Straffälligenhilfe, Gender im Knast? MABiS.NeT – Gender Training in der JVA Willich II am 15. Mai 2002, S. 23; beachte auch Kawamura-Reindl / Halbhuber-Gassner / Wichmann (2007). 131 BAG-S Informationsdienst Straffälligenhilfe, S. 23 f.; auf die Anwendung im Jugendstrafvollzug konzeptionell eingehend Jansen, in: Jugendstrafvollzug in Deutschland, S. 238 ff. 132 MABiS = Marktorientierte Ausbildungs- und Beschäftigungsintegration im Strafvollzug; nach Abschluss des EU-Projektes wird die Nachsorge von sechs Nachsorgestellen fortgeführt; von April 1998 bis September 2000 war ein Projekt mit gleichnamigen Kürzel (Modellprojekt: Ausbildungs- und Beschäftigungsintegration für Strafentlassene) vorausgegangen, hierzu Schmitz, BewHi 2001, S. 311 ff. und Wirth, BewHi 2003, S. 307 ff.; am 1. Juli 2005 nahm eine weitere Entwicklungspartnerschaft ZUBILIS = Zukunft der Bildung im Strafvollzug des Landes Nordrhein-Westfalen ihre Arbeit auf und beendete diese planmäßig am 31. Dezember 2007: Ziel war es, die Anpassungsfähigkeit des Bildungsangebotes im Strafvollzug zu steigern, um die Beschäftigungsfähigkeit (ehemaliger) Gefangener verbessern zu können; dabei wurde den besonderen Belangen weiblicher Gefangener Beachtung geschenkt.

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Teil 3: Statistische und kriminologische Erkenntnisse

ben. 133 Aus diesem Grund werden die spezifischen Bedürfnisse von weiblichen Gefangenen berücksichtigt sowie eine geschlechtersensible Beratungs- und Vermittlungsarbeit angestrebt. 134 Die emanzipatorischen Ansätze entwickeln ambitionierte, wenn nicht gar überfrachtete Zielsetzungen für die Resozialisierung von straffälligen Frauen. Die utopisch anmutenden Vorstellungen gehen möglicherweise vielfach an den Wünschen und Bedürfnissen von straffälligen Frauen vorbei, weil sie die traditionelle Rollenzuweisung nicht aufgeben möchten. Demgegenüber sind die lebenslagenorientierten Ansätze auf das Machbare ausgerichtet. Einerseits sollen strukturelle Benachteiligungen im Frauenstrafvollzug beseitigt werden und andererseits sollen sich die Hilfen im konkreten Einzelfall am individuellen Schicksal im Rahmen der geäußerten Bedürfnisse und Änderungswünsche orientieren. 135 Dennoch scheint die geschlechtsspezifische Benachteiligung in doppelter Hinsicht, nämlich aufgrund ihres Frauseins und ihrer Randposition im Strafvollzug, etwas vernachlässigt zu werden. Viel versprechend ist der in Nordrhein-Westfalen erprobte Gender Mainstreaming Ansatz, weil dieser die Lebenslagenorientierung und die Frauenförderung, sensibilisiert für frauenspezifische Benachteiligung und Schwächen, miteinander verquickt. 136

E. Frauenspezifische Regelungen des Strafvollzugsgesetzes Nachdem die statistischen, sozialbiografischen und theoretischen Grundlagen erörtert worden sind, werden nun die frauenspezifischen Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes vorgestellt und ihre Übereinstimmung mit den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen untersucht.

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Cummerow, BewHi 2006, S. 164 f. Hier setzt insbesondere der Gender Mainstreaming Ansatz an: Einbeziehung des sozialen Umfelds, Paargespräche, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Kinderbetreuung etc.; näher zu geschlechtsspezifischen Hemmnissen und Maßnahmen zur Vermeidung von Beschäftigungsabbrüchen Scheffler, MABiS.NeT Report Juni 2004, S. 4 und zur Umsetzung im Allgemeinen Holst, MABiS.NeT Report Juni 2004, S. 2 f. 135 „Die Frau wird dort abgeholt, wo sie steht.“ 136 Die frauenspezifischen Behandlungsansätze eint, dass die (siehe Teil 4 C.) ideale weibliche Gefangene den angeführten Zielsetzungen widerspricht; Scheffler,.BewHi 2009, S. 49 f. geht auf die Entschließung des Europäischen Parlaments vom März 2008 ein, die fordert, die Besonderheiten von weiblichen Gefangenen zu berücksichtigen. 134

E. Frauenspezifische Regelungen des Strafvollzugsgesetzes

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I. Gesundheitsfürsorge Nach dem Äquivalenzprinzip 137 gewährt § 57 StVollzG Leistungen zur Früherkennung und Verhütung von Krankheiten. Die Vorschrift basiert auf dem am 1. Januar 1989 in Kraft getretenen Gesetz zur Strukturreform im Gesundheitswesen 138 und ist an die Regelungen des SGB V für gesetzlich Krankenversicherte angelehnt. 139 Abs. 2 entspricht § 25 Abs. 2 SGB V und gibt inhaftierten Frauen ab dem 20. Lebensjahr einen Anspruch auf Krebsvorsorgeuntersuchungen. 140 Abs. 4 nimmt Bezug auf Mutter-Kind-Einrichtungen im Frauenvollzug (§ 80 StVollzG) und korrespondiert mit § 26 Abs. 1 S. 1 SGB V hinsichtlich der medizinischen Untersuchungen von Kindern. Abs. 6 statuiert ein Recht auf ärztliche Behandlung und Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln, wenn diese nach Nr. 2 notwendig sind, einer Gefährdung der gesundheitlichen Entwicklung eines Kindes entgegenzuwirken; die medizinische Versorgung von Kindern steht mithin § 23 Abs. 1 SGB V gleich. Verständlicherweise verzichtete der Gesetzgeber auf eine § 23 Abs. 2, 4, § 24 SGB V entsprechende Regelung über die Gewährung von Mutter-Kind-Kuren in Einrichtungen des Müttergenesungswerks. 141 Sämtliche Leistungen werden nur auf Antrag der Gefangenen erbracht. 142 Problematisch erscheint diese Regelung bzgl. der bei ihren inhaftierten Müttern untergebrachten Kinder. Da die Mütter antragsberechtigt 143 sind, ist nicht auszuschließen, dass die Vorsorgeuntersuchungen für Kinder in manchen Fällen versäumt werden könnten oder der Krankheitszustand des Kindes unterschätzt wird. Sicherlich werden in der Vollzugspraxis die Mütter von den Erzieherinnen an die Wahrnehmung des gesundheitlichen Auftrags für ihre Kinder erinnert. Dennoch wäre für das Kindeswohl eine gesetzliche Klarstellung wünschenswert, die die medizinische Versorgung zur Vorsorge und bei Krankheit von Kindern in Mutter-Kind-Abteilungen ohne Antragstellung gewährleisten würde. Da die 1992 eingefügten §§ 24 a, b SGB V zur Empfängnisverhütung, zum Schwangerschaftsabbruch und zur Sterilisation keine Entsprechung im Strafvoll137 Gem. §§ 56 ff. StVollzG haben Gefangene einen Anspruch auf die staatliche Gewährung von Gesundheitsfürsorge samt ärztlicher und zahnärztlicher Leistungen, welche an diejenigen der gesetzlichen Krankenversicherung angeglichen sind, sofern vollzugliche Besonderheiten keine andere Regelung erfordern; Arloth / Lückemann (2004), § 56 Rn. 1; auf diese Weise wird dem Angleichungsgrundsatz in § 3 Abs. 1 StVollzG entsprochen. 138 BGBl. 1988 I, S. 2477. 139 Arloth / Lückemann (2004), § 57 Rn. 1; Kirschke (2003), S. 103; Schirmer (2008), S. 114 ff. 140 Inhaftierten Männern frühestens vom Beginn des 45. Lebensjahres an. 141 Arloth / Lückemann (2004), § 57 Rn. 7. 142 Arloth / Lückemann (2004), § 57 Rn. 1. 143 Sofern die Mutter nicht das Sorgerecht innehat, dürfte ihr dennoch die Antragsberechtigung für das Kind durch die faktische Obhutnahme zustehen; ohne Zustimmung des Erziehungsberechtigten würde das Kind nicht in der Anstalt bei seiner Mutter leben.

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zugsgesetz gefunden haben, stehen weiblichen Gefangenen diesbezüglich keine Ansprüche aus persönlichen Gründen zu. 144 Insbesondere bezogen auf die Empfängnisverhütung erscheint der Ausschluss von Insassinnen wenig durchdacht, zumal Vollzugslockerungen, Hafturlaub und Langzeitbesuche Intimkontakte ermöglichen. Aufgrund der ohnehin seelisch belastenden Haftsituation kann eine ungewollte Schwangerschaft die psychische Gemütslage verschlechtern und sich kontraproduktiv auf die Resozialisierung auswirken. 145 Deshalb wäre die Einführung einer Regelung zu begrüßen, nach der auf Wunsch der Insassin empfängnisverhütende Mittel verschrieben und bei schwierigen finanziellen Verhältnissen sogar die Kosten getragen werden. 146 Mit Rücksicht auf den Behandlungsvollzug erscheint die damit verbundene Besserstellung von weiblichen Gefangenen in Ausnahmefällen gegenüber gesetzlich Versicherten sachgerecht. Im Gegensatz zum Strafvollzugsgesetz kennen die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze von 1987 und 2006 hierzu keine spezifischen Grundsätze für weibliche Inhaftierte. Dagegen enthalten die Standards des Antifolterkomitees (CPT) ausführlichere Maßgaben für die Gesundheitsvorsorge von Frauen. 147 Hinsichtlich Vorsorgeuntersuchungen wegen Brust- und Gebärmutterhalskrebs entspricht das Strafvollzugsgesetz der Empfehlung 32. Aus medizinischen Gründen soll wie auch nach dem Strafvollzugsgesetz die Anti-Baby-Pille verschrieben werden können (Nr. 33). Beim Schwangerschaftsabbruch weicht das StVollzG von den Standards in Nr. 32 ab, nach denen weiblichen Gefangenen als Ausfluss des Angleichungsgrundsatzes die sog. „Pille danach“ und / oder andere Arten der Abtreibung zur Verfügung stehen sollen. Es ist bedauerlich, dass die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze keine ausführlicheren Empfehlungen zur Gesundheitsfürsorge von weiblichen Inhaftierten geben. Neben einer Übernahme der CPT-Standards wäre eine Stellungnahme zur Verschreibung von empfängnisverhütenden Maßnahmen ohne medizinische Indikation 148 und deren Kostentragung erfreulich.

144 Arloth / Lückemann (2004), § 57 Rn. 1; etwas anderes gilt bei medizinischer Indikation i. S.v. § 58 StVollzG, vgl. Kirschke (2003), S. 159, 162, 165; Schirmer (2008), S. 124. 145 Kirschke (2003), S. 160 f.; aufgrund dessen lässt sich auch die Übernahme einer Vorschrift entsprechend § 24b SGB V in das Strafvollzugsgesetz befürworten, Kirschke (2003), S. 163 wendet § 8 Abs. 1 StVollzG für eine Verlegung zum Zwecke persönlich motivierter Schwangerschaftsabbrüche in ein Vollzugskrankenhaus an. 146 Kirschke (2003), S. 160 f. befürwortet allerdings eine generelle Kostenübernahme für empfängnisverhütende Mittel; Schirmer (2008), S. 125 für eine Regelung bzgl. Empfängnisverhütung und Sterilisation. 147 Europäisches Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (CPT) 2004, S. 75 – 79. 148 Beispielsweise bei Langzeitbesuchen, beim Ausgang und beim Urlaub aus der Haft.

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II. Schwangerschaft und Entbindung In den §§ 76 bis § 79 zuzüglich §§ 41 Abs. 1, 45 Abs. 3 enthält das StVollzG besondere Regelungen für Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit. Die Vorschriften verwirklichen den in Art. 6 Abs. 4 GG postulierten Anspruch der Mutter auf Schutz und Fürsorge der Gemeinschaft. Parallel dazu wird das Grundrecht des während der Haft geborenen Kindes auf Leben und körperliche Unversehrtheit gem. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gewährleistet. 149 § 76 Abs. 1 S. 1 StVollzG statuiert ein allgemeines Gebot zur Rücksichtnahme, das als übergeordnetes Behandlungsprinzip über die Beachtung von Arbeitsschutzbestimmungen oder die Gesundheitsfürsorge hinaus Zurückhaltung beispielsweise bei Disziplinarmaßnahmen und der Anwendung unmittelbaren Zwangs gebietet. 150 Nach Satz 2 des Abs. 1 sind die Vorschriften des Gesetzes zum Schutz der erwerbstätigen Mutter über die Gestaltung des Arbeitsplatzes entsprechend anzuwenden. 151 Das bedeutet gem. § 2 MuSchG, die notwendigen Vorkehrungen und Maßnahmen zum Schutz von Leben und Gesundheit der werdenden oder stillenden Mutter am Arbeitsplatz und bei der Regelung der Beschäftigung zu treffen. Bei einer stehenden bzw. mit Gehen verbundenen Arbeit sind Sitzgelegenheiten zum kurzen Ausruhen einzurichten (§ 2 Abs. 2 MuSchG) und bei einer sitzend ausgeübten Tätigkeit bedarf es kurzer Arbeitsunterbrechungen (§ 2 Abs. 3 MuSchG). Umstritten ist, ob und inwieweit die weiteren Bestimmungen des Mutterschutzgesetzes über § 76 Abs. 1 S. 2 StVollzG analog gelten. Die vollumfängliche Anwendung befürwortet eine Ansicht mit der Gesetzesintention und dem Angleichungsgrundsatz. 152 Nach einer einschränkenden Meinung werden die zeitlich befristeten Beschäftigungsverbote in §§ 3 und 6 MuSchG wegen § 41 Abs. 1 S. 3 StVollzG nicht erfasst. 153 Da der Gesetzestext explizit lediglich die „Vorschriften ... über die Gestaltung des Arbeitsplatzes“ anführt, lässt sich eine noch restriktivere Auslegung mit der bloßen Anwendung des § 2 MuSchG bezüglich der übereinstimmenden Normüberschrift und dem Rückgriff auf § 41 Abs. 1 S. 3 StVollzG begründen. 154 Nach der letzten und der vermittelnden Auffassung suspendiert § 41 Abs. 1 S. 3 StVollzG lediglich die Arbeitspflicht, gestattet aber auf Wunsch der Insassin den freiwilligen Arbeitsein149 Laubenthal (2007), S. 364 f. Rn. 682; Schwind / Böhm / Jehle-Steinhilper (2005), § 76 Rn. 1. 150 Arloth / Lückemann (2004), § 76 Rn. 2; Kamann (2002), S. 562 Rn. 595; Zolondek (2007), S. 62. 151 Für Insassinnen in einem freien Beschäftigungsverhältnis gilt das Mutterschutzgesetz direkt; Kirschke (2003), S. 154; Laubenthal (2007), S. 364 Rn. 683. 152 Calliess / Müller-Dietz (2005), § 76 Rn. 2; Kirschke (2003), S. 155 f.; Schwind / Böhm / Jehle-Steinhilper (2005), § 76 Rn. 2. 153 AK-Bammann / Quensel (2005), § 76 Rn. 2; Arloth / Lückemann (2004), § 76 Rn. 2. 154 So wohl Laubenthal (2007), S. 364 Rn. 682.

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satz im Rahmen der §§ 3, 6 StVollzG. 155 Demgegenüber verwehrt insbesondere das absolute Beschäftigungsverbot nach der Geburt in § 6 MuSchuG über § 76 Abs. 1 S. 2 StVollzG den frisch gebackenen Müttern die Ausübung einer Tätigkeit. 156 Die Beschäftigungsverbote können zu unerwünschter Untätigkeit mit Verdienstausfall und eingeschränkten Sozialkontakten zwingen, was vor allem Inhaftierte trifft, die ihr Neugeborenes nicht bei sich behalten (z. B. Adoptionsfreigabe, Unterbringung bei Verwandten oder in einer Pflegefamilie). 157 Insofern laufen die Beschäftigungsverbote zum Teil ins Leere, so dass im Hinblick auf die Besonderheiten des Strafvollzugs eine analoge Anwendung über § 41 Abs. 1 S. 3 StVollzG überzeugt. Dagegen kann die Frage nach der Reichweite von § 76 Abs. 1 S. 2 StVollzG bzgl. §§ 4, 7, 8 StVollzG dahingestellt bleiben, weil die Beschäftigungsverbote für werdende Mütter bei bestimmten Arbeiten 158 (§ 4) und die Beschäftigungseinschränkungen für werdende und stillende Mütter bei Mehr-, Nacht- und Sonntagsarbeit (§ 8) nicht disponibel sind, währenddessen Gelegenheiten zum Stillen ohnehin auf Verlangen der Mutter zu gewähren sind (§ 7). 159 Allerdings entbehrt der Streit der Praxisrelevanz, weil dem Strafvollzug Nacht- und Sonntagsarbeit fremd ist und Überstunden in der Regel nicht geleistet werden. 160 Da stillende Mütter sowieso in einer Mutter-Kind-Einrichtung leben, kümmern sie sich entweder ausschließlich um ihren Nachwuchs oder gehen einer Beschäftigung unter selbstverständlicher Einhaltung der Mutterschutzbestimmungen nach. 161

155 Nach § 3 Abs. 1 MuSchuG besteht ein Beschäftigungsverbot bei Gefahr für Leben oder Gesundheit des Kindes oder der werdenden Mutter sowie ein generelles Verbot nach Abs. 2 ab der sechsten Woche vor dem errechneten Geburtstermin, außer die Mutter erklärt sich zur Verrichtung der Arbeit bereit. 156 Acht Wochen bei einem Säugling, zwölf Wochen bei Frühchen und Mehrlingen. 157 AK-Bammann / Quensel (2006), § 76 Rn. 2; Kirschke (2003), S. 156 und Schwind / Böhm / Jehle-Steinhilper (2005), § 76 Rn. 4 f. sprechen sich deshalb für eine Modifizierung im Rahmen des § 76 Abs. 1 S. 2 StVollzG aus. 158 Wie Heben von Lasten, Arbeit mit gesundheitsschädlichen Stoffen, Akkordarbeit. 159 Einzig die Mitteilungspflicht und die Zeugnispflicht in § 5 MuSchuG werden nicht von § 41 Abs. 1 S. 3 StVollzG erfasst und sprechen für die vermittelnde Meinung hinsichtlich eines umfassenden Schutzes der erwerbstätigen Mutter; angesichts der besonderen Verhältnisse im Vollzug erscheint diese Bestimmung jedoch verzichtbar. 160 So auch Zolondek (2007), S. 63. 161 § 45 Abs. 3 StVollzG sieht zwar eine Ausfallentschädigung entsprechend der Mutterschutzfristen vor und nach der Entbindung vor, ist jedoch mangels Erlass eines Bundesgesetzes nach § 198 Abs. 3 StVollzG nicht in Kraft getreten; entsprechend dem Angleichungsgrundsatz wird vereinzelt, Schwind / Böhm / Jehle-Steinhilper (2005), § 76 Rn. 7, auf Antrag Erziehungsurlaub analog § 15 Bundeserziehungsgesetz für Mütter in Mutter-Kind-Einrichtungen befürwortet; in der Praxis erscheint eine Anwendung wegen der besonderen Betreuung in einer Mutter-Kind-Einrichtung überflüssig, auch bekommen die dort untergebrachten Mütter in der Regel Erziehungsgeld, vgl. Zolondek (2007), S. 66.

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§ 76 Abs. 2 StVollzG entspricht wortwörtlich § 196 Abs. 1 S. 1 RVO und gibt der werdenden Mutter während der Schwangerschaft, bei und nach der Geburt einen Anspruch auf ärztliche Betreuung und auf Hebammenhilfe in der Anstalt. Danach gehören zur ärztlichen Betreuung während der Schwangerschaft die Untersuchungen zur Feststellung der Schwangerschaft und Vorsorgeuntersuchungen mit den laborärztlichen Untersuchungen. Der zum 1. Juli 1997 eingeführte § 196 Abs. 1 S. 2 RVO erweitert die Beratung der Schwangeren zu Mundgesundheit und Karies. Obgleich die Regelung nicht im StVollzG übernommen wurde, ist eine entsprechende Anwendung i. S. d. Angleichungsprinzips angezeigt. 162 Dies gilt ebenfalls für Schwangerschaftsgymnastik, soziale Hilfen, psychologische Beratung und Therapie über die medizinische Versorgung. 163 Dementsprechend gewährt § 77 StVollzG den Insassinnen die gleichen Ansprüche auf Arznei-, Verband- und Heilmittel bei Schwangerschaftsbeschwerden und im Zusammenhang mit der Entbindung wie gesetzlich Krankenversicherten nach § 195 Abs. 1 Nr. 2 RVO. § 78 StVollzG erklärt die allgemeinen Bestimmungen über die Gesundheitsfürsorge in den §§ 60, 61, 62a und 65 StVollzG für anwendbar. Allerdings ist nach einhelliger Auffassung die Regelung in § 60 StVollzG, nach der eine Behandlung im Falle von Komplikationen während des Ausgangs oder Urlaubs grundsätzlich nur in der örtlich zuständigen oder in der nächstgelegenen Anstalt erfolgen darf, zu modifizieren. 164 Gefangene mit unerwarteten Schwangerschaftskomplikationen dürfen sich demzufolge auf Kosten der Anstalt unverzüglich in ärztliche Hilfe bzw. in das für die Geburt vorgesehene Krankenhaus begeben. Die Niederkunft hat gem. § 76 Abs. 3 StVollzG grundsätzlich in einem öffentlichen Krankenhaus zu erfolgen. Auf diese Weise wird sowohl einer möglichen Stigmatisierung des Kindes wegen einer Geburt im Strafvollzug vorgebeugt als auch der Gebärenden und dem Kind die bestmögliche Geburtshilfe nach modernen medizinischen Standards zugebilligt. 165 Nur aus besonderen Gründen, vornehmlich zur Wahrung der Sicherheit, darf eine Geburt in einer Anstalt mit Entbindungsabteilung vorgenommen werden. 166 Auf Entbindungen im Vollzug sollte jedoch heutzutage schon aus Kostengründen verzichtet werden. 167 Falls ein Kind in einer Justizvollzugsanstalt zur Welt kommt, dürfen zum Schutz des 162

Arloth / Lückemann (2004), § 76 Rn. 3. Schwind / Böhm / Jehle-Steinhilper (2005), § 76 Rn. 9 f. 164 AK-Bammann / Quensel (2006), § 78 Rn. 1; Arloth / Lückemann (2004), § 78; Calliess / Müller-Dietz (2005), § 78; Schwind / Böhm / Jehle-Steinhilper (2005), § 78 Rn. 2. 165 AK-Bammann / Quensel (2006), § 76 Rn. 6; Schwind / Böhm / Jehle-Steinhilper (2005), § 76 Rn. 12. 166 Hierunter fällt nicht der Wunsch der Mutter, ihr Kind in der Anstalt auf die Welt zu bringen; einzig das JVK Fröndenberg unterhält in Deutschland eine Entbindungsabteilung für Inhaftierte; Zolondek (2007), S. 63. 167 Der Kostenaufwand für die Vorhaltung einer Entbindungsstation kann nicht gegen eine gelegentliche personalintensive Bewachung in einem öffentlichen Krankenhaus 163

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Kindes vor Stigmatisierung gem. § 79 StVollzG weder dessen Geburt noch der Gefangenenstatus der Mutter aus der Geburtsurkunde hervorgehen. 168 Steht die Anordnung einer Disziplinarmaßnahme gegen eine Schwangere oder stillende Mutter an, so muss gem. § 106 Abs. 2 S. 2 StVollzG eine Anhörung des Anstaltsarztes unabhängig von der Art und Schwere des vorgeworfenen Disziplinarverstoßes erfolgen. Durch die Anhörung erhält die Anstaltsleitung detaillierte Kenntnisse über den Gesundheitszustand der werdenden oder stillenden Mutter, um die Verhängung von ärztlich nicht vollstreckbaren Disziplinarmaßnahmen zu verhindern. 169 Uneinigkeit herrscht über den Charakter der Bestimmung. Während eine Ansicht § 106 Abs. 2 S. 2 StVollzG als bloße Ordnungsvorschrift ansieht, die die Rechtmäßigkeit der angeordneten Disziplinarmaßnahme unberührt lasse, 170 geht nach anderer Ansicht ihr Regelungsgehalt zu Recht schon wegen des in Art. 2 GG garantierten Gesundheitsschutzes der Gefangenen einschließlich des (ungeborenen) Kindes darüber hinaus und räumt der Anstaltsleitung keinerlei Ermessensspielraum hinsichtlich der Anhörung ein. 171 Eine Verletzung der zwingenden ärztlichen Anhörungspflicht zieht deshalb die Rechtswidrigkeit der angeordneten Disziplinarmaßnahme nach sich. In diesem Zusammenhang wird effektiver Rechtsschutz auf unterschiedliche Weise gewährt. Zunächst kann ein Antrag nach §§ 109 Abs. 1 S. 1, 115 Abs. 2 S. 1 StVollzG auf Aufhebung der Disziplinarmaßnahme gestellt werden. Da nach § 104 Abs. 1 StVollzG in der Regel Disziplinarmaßnahmen sofort vollstreckt werden, kommt wegen der unmittelbar bevorstehenden Vollstreckung vorläufiger Rechtschutz nach § 114 Abs. 2 S. 1 StVollzG in Betracht. Nach Vollstreckung kann schließlich ein Feststellungsantrag nach § 115 Abs. 3 StVollzG eingelegt werden. Die Regelungen im StVollzG zu Schwangerschaft und Entbindung werden den älteren und neuen Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen vollumfänglich gerecht und gehen in ihrem Regelungsgehalt beim Mutterschutz bzgl. Arbeit, Gesundheitsfürsorge und der Anordnung von Disziplinarmaßnahmen darüber hinaus. 172 Zwar enthält das StVollzG keine Regelung entsprechend der neuen aufgewogen werden, schon weil eine Bewachung nur in wenigen Fällen bei bestehender Fluchtgefahr in Betracht kommt (VV zu § 76 i.V. m. VV zu § 65 StVollzG); vgl. Arloth / Lückemann (2004), § 76 Rn. 4; Zolondek (2007), S. 63. 168 Da nur das JVK Fröndenberg über eine Entbindungsabteilung verfügt, hat die Vorschrift kaum Bedeutung in der Praxis. 169 Schwind / Böhm / Jehle-Steinhilper (2005), § 106 Rn. 6. 170 OLG Karlsruhe NStZ-RR 2002, S. 29 f.; Arloth / Lückemann (2004), § 106 Rn. 3; Schwind / Böhm / Jehle-Steinhilper (2005), § 106 Rn. 6. 171 OLG Hamburg ZfStrVo 2004, S. 305 f.; AK-Walter (2006), § 106 Rn. 7; Calliess / Müller-Dietz (2005), § 106 Rn. 5; Zolondek (2007), S. 67. 172 Im Unterschied zum alten Regelwerk (Nr. 28.1) übernahm das neue Regelwerk in Grundsatz 34.3 nicht die Empfehlung, dass der Umstand einer anstaltsinternen Entbindung nicht in der Geburtsurkunde des Neugeborenen aufgenommen werden darf.

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Empfehlung in Nr. 19.7 zu Hygienebedürfnissen von werdenden und stillenden Müttern, jedoch erscheint eine derartige Bestimmung angesichts der Praxis in deutschen Justizvollzugsanstalten überflüssig. III. Mutter-Kind-Einrichtungen Für die gemeinsame Unterbringung einer inhaftierten Mutter mit ihrem Kleinkind bildet § 80 StVollzG die rechtliche Grundlage; § 142 StVollzG enthält den organisatorischen Rahmen. Die Regelung konkretisiert den Gegensteuerungsgrundsatz in § 3 Abs. 2 StVollzG, möchte durch die mütterliche Trennung hervorgerufene Erziehungsschäden vom Kind abwenden und die Mutter-Kind-Bindung festigen bzw. erhalten. 173 Neben dem Wohl des Kindes erhoffte sich der Gesetzgeber eine Stärkung der sozialen Verantwortung der Mutter. 174 Den Vollzugsverwaltungen der Bundesländer obliegt die Rechtspflicht zur Schaffung von dem Kindeswohl dienenden Einrichtungen, die ausschließlich für weibliche Gefangene in den Justizvollzugsanstalten vorgesehen sind. 175 Die Mutter-Kind-Einrichtungen gehören zu den Institutionen der Jugendhilfe i. S. d. § 45 SGB VIII. Dementsprechend finden bei der Ausgestaltung der gemeinsamen Unterbringung die kinder- und jugendhilferechtlichen Vorschriften Berücksichtigung. 176 Die Unterbringung eines Kindes bei seiner inhaftierten Mutter setzt nach § 80 Abs. 1 StVollzG zuerst ein noch nicht schulpflichtiges Kind voraus; entsprechend der Gesetze der Bundesländer liegt die Altersobergrenze grundsätzlich bei sechs Jahren. Das Aufnahmealter ist in der Praxis größtenteils auf das vollDamit bleibt der neue Grundsatz sowohl hinter dem alten Regelwerk als auch hinter § 79 StVollzG bzgl. der Geburtsanzeige an den Standesbeamten zurück. 173 Kaiser / Schöch, Strafvollzug, § 10 S. 293 Rn. 77; Laubenthal (2007), S. 364 Rn. 683. 174 BT-Drs. 7/918, 76. 175 Eine gemeinsamen Unterbringung von Vätern mit ihren Kindern erscheint aussichtslos, weil Justizvollzugsanstalten faktisch keine Einrichtungen für eine gedeihliche Entwicklung des Kindes beherbergen und das an erster Stelle stehende Wohl des Kindes beträchtlich gefährdet wäre; OLG Hamm NStZ 1983, S. 575; unter Berücksichtigung des Gleichheitssatzes des Art. 3 GG und des Schutzes der Familie in Art. 6 GG (anders BVerfG, BlStVK 4/1992, S. 12) stößt die Bevorzugung der inhaftierten Mutter auf Bedenken und lässt an eine analoge Anwendung des § 80 StVollzG denken; AK-Bammann / Quensel (2006), § 80, Rn. 9; Calliess / Müller-Dietz (2005), § 80 Rn. 1; Laubenthal (2007), S. 366 Rn. 687; Schwirzer (2008), S. 282 f. schlägt einen Modellversuch und eine Ausweitung des Hausfrauenfreigangs vor; Zolondek (2007), S. 73 befürwortet eine koedukative Unterbringung mit Kind im offenen Vollzug; in der JVA Nürnberg bietet seit März 2005 eine Beratungsstelle eine Vater-Kind-Gruppe an, hierzu Kawamura-Reindl / Brendle / Joos, ZfStrVo 2006, S. 33 ff. 176 BVerwG NJW 2003, S. 2399; Bohnert, ZfJ 2005, S. 396; Maelicke, NK 2004, S. 119.

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endete dritte Lebensjahr beschränkt. 177 Dies gilt ausnahmslos für geschlossene Mutter-Kind-Einrichtungen, weil dem Kind mit zunehmendem Alter die Prisonierung bewusst wird und dies die Gefahr einer Schädigung in sich birgt. 178 Im offenen Vollzug ist eine Unterbringung bis zum sechsten Lebensjahr nur in wenigen Anstalten möglich. 179 Des Weiteren ist die Zustimmung des Inhabers des Aufenthaltsbestimmungsrechts einzuholen, d. h. regelmäßig die des leiblichen Vaters gem. §§ 1626, 1631 BGB. 180 Zusätzlich ist eine gutachterliche Anhörung des Jugendamts erforderlich. Dabei begutachtet das Jugendamt die Beziehung zwischen Mutter und Kind sowie die personellen, räumlichen und organisatorischen Gegebenheiten für eine sozialpädagogische Betreuung des Kindes in der Anstalt. 181 Den Ausschlag für eine gemeinsame Unterbringung im Vollzug gibt das Wohl des Kindes, das in jedem Einzelfall eine sorgfältige Abwägung zwischen den schädlichen Folgen einer Trennung des Kindes von seiner Mutter und den Auswirkungen einer Unterbringung im Vollzug verlangt. 182 Liegen die Anforderungen des § 80 StVollzG für eine gemeinsame Unterbringung vor, so ist die Vollzugsbehörde zur Aufnahme nicht verpflichtet, sondern lediglich berechtigt. 183 § 80 Abs. 2 StVollzG bürdet die Kosten für die Unterbringung des Kindes grundsätzlich dem Unterhaltspflichtigen auf. Um eine Unterbringung bei der Mutter nicht wegen der Kostenfrage zu versagen, besteht zugunsten des Kindes eine Vorleistungspflicht des Jugendamtes aus § 27 i.V. m. § 39 SGB VIII. 184 Die gemeinsame Unterbringung von Müttern mit ihren Kindern im Strafvollzug stößt seit Jahrzehnten auf Kritik. 185 Einen Haupteinwand bilden die negativen 177

Arloth / Lückemann (2004), § 80 Rn. 2. Birtsch / Riemann / Rosenkranz, in: Mütter und Kinder im Gefängnis, S. 198; Schwind / Böhm / Jehle-Steinhilper (2005), § 80 Rn. 11. 179 JVA Frankfurt a. M. III, JVA Vechta, JVK Fröndenberg; Schwind / Böhm / Jehle-Steinhilper (2005), § 80 Rn. 11. 180 Ist das elterliche Sorgerecht wegen Gefährdung des Kindeswohls (§ 1666 BGB) entzogen worden, so muss der Vormund bzw. Pfleger zustimmen. 181 Und damit den Anforderungen des SGB VIII entspricht; Laubenthal (2007), S. 365 Rn. 684. 182 Abwägungsfaktoren sind der gesundheitliche Zustand des Kindes, die Erziehungsfähigkeit der Mutter und ihre gesundheitliche Konstitution, die Intensität der Bindung an die Mutter, die Frage nach einer erziehungsgeeigneten festen Bezugsperson im Umfeld, die Unterbringung in einer Pflegefamilie oder in einem Heim, Arloth / Lückemann (2004), § 80 Rn. 1 f.; Laubenthal (2007), S. 365 Rn. 684. 183 Calliess / Müller-Dietz (2005), § 80 Rn. 1. 184 BVerwG NJW 2003, S. 2399 ff. 185 Vor dem Inkrafttreten des StVollzG im Jahr 1976 gab es für Mutter-Kind-Einrichtungen keine gesetzliche Regelung: Dennoch konnten in der JVA Aichach seit 1938 Mütter nach der Entbindung in der Anstalt ihre Neugeborenen drei Monate lang versorgen, wobei zeitweilig dieser Zeitraum überschritten wurde, ausführlich Franze 2001, S. 232; Vorbildfunktion entfaltete jedoch die 1956 von Helga Einsele geschaffene Möglichkeit im Krankenhaus der JVA Frankfurt a. M. III, Säuglinge bei ihrer Mutter bis zum Ende der 178

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Auswirkungen der Prisonierung für die mitinhaftierten Kinder. 186 Im geschlossenen Vollzug verwehrt der begrenzte Lebens- und Erfahrungsraum, Kindern ihren Forschungsdrang und Erlebnishunger zu stillen und sich an die Alltäglichkeiten des Lebens außerhalb der Mauern zu gewöhnen; diese Beschränkungen gepaart mit der eingeschränkten Bewegungsfreiheit könnten emotionale Verunsicherung und die Entwicklung von Verhaltensstörungen begünstigen. 187 Die Anstalt kennzeichnet eine relativ hohe Fluktuation, so dass sich die Kinder an ein wechselndes Umfeld und Freundschaften gewöhnen müssen. Im Weiteren fehlt den Kindern weitgehend der Bezug zum männlichen Geschlecht, weil in einer Mutter-KindEinrichtung ausschließlich oder ganz überwiegend weibliche Vollzugsbedienstete ihren Dienst versehen. Da sich die Gegenargumente vornehmlich auf ältere Kleinkinder beziehen, verwundert es nicht, dass die Praxis von der Aufnahme über Dreijähriger im geschlossenen Vollzug ganz absieht. 188 Obwohl im offenen Vollzug die Öffnung zur Außenwelt gewährleistet ist, ist die Zurückhaltung bei der Unterbringung von Kindern im Kindergartenalter angesichts der verbleibenden schädlichen Prisonierungseffekte verständlich. Mittlerweile sind MutterKind-Einrichtungen nach jahrzehntelanger Erfahrung etabliert. Im Zuge dessen wandelte sich die Ablehnung hinsichtlich der Unterbringung von Säuglingen und Kleinstkindern zu großer Zustimmung und Akzeptanz. 189 Die positiven Erfahrungen mit der gemeinsamen Unterbringung verringern oder heben die sozialisations- und entwicklungshemmenden Faktoren durch den Vollzugsaufenthalt sogar auf 190 und entkräften heutzutage weitgehend die Befürchtung, dass die Kinder als Medium für die Resozialisierung der Mütter missbraucht werden könnten. 191 Zweifellos handelt es sich bei Mutter-Kind-Einrichtungen um eine suboptimale Lösung, weil die Mitbetroffenheit des Kindes vom Freiheitsentzug problematisch Stillzeit maximal ein Jahr zu belassen; im Laufe der Jahre etablierte die Anstaltsleiterin die erste Mutter-Kind-Einrichtung für Kleinkinder, Einsele, in: Mütter und Kinder im Gefängnis, S. 20 ff. 186 Siehe zur Prisonierung (näher Teil 4 C.); obgleich Mutter-Kind-Einrichtungen in einem kleinen Rahmen und in Form des gelockerten oder offenen Vollzuges durchgeführt werden, lassen sich negative mittelbare Auswirkungen auf die Kinder aufgrund der Einsperrung in einer totalen Institution nicht von der Hand weisen, die aus der Haftdeprivation der Betroffenen, der horizontalen Hierarchie hinsichtlich der mütterlichen Zwangsgemeinschaft und der vertikalen Hierarchie im Verhältnis zum Vollzugspersonal herrühren; Krüger (1982), S. 124 f.; Rosenkranz, in: Mütter und Kinder im Gefängnis, S. 126; ders., ZfStrVo 1985, S. 81. 187 Franze (2001), S. 235 f.; Schwind / Böhm / Jehle-Steinhilper (2005), § 80 Rn. 11. 188 Kawamura-Reindl, in: Handbuch der Resozialisierung, S. 390 Rn. 37. 189 Calliess / Müller-Dietz (2005), § 80 Rn. 1; Laubenthal (2007), S. 366 Rn. 685; Schwind / Böhm / Jehle-Steinhilper (2005), § 80 Rn. 11. 190 Laubenthal (2007), S. 366 Rn. 685. 191 „Zum „Vehikel“ der „Resozialisierung der Mutter auf Kosten des Kindes“, so AK-Bammann / Quensel (2006), Vor § 76 Rn. 10; Birtsch, in: Mütter und Kinder im Gefängnis, S. 11 ff.; Simmedinger, in: Handbuch der Resozialisierung 1995, S. 207.

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ist und die gemeinsame Unterbringung daher lediglich eine bessere Alternative zur noch schwierigeren Trennung von der Mutter darstellt. 192 Aus diesem Grund werden sowohl eine Ausweitung des sog. Hausfrauenfreigangs 193 als auch Haftvermeidungsstrategien oder die Gewährung eines Strafvollstreckungsaufschubs 194 vorgeschlagen. In Betracht kommt ein Strafvollstreckungsaufschub gem. § 456 Abs. 1 StPO auf Antrag der Verurteilten, sofern durch die sofortige Vollstreckung der Betroffenen oder ihrer Familie erhebliche außerhalb des Strafzwecks liegende Nachteile erwachsen. Die Nebenwirkungen müssen somit über das gewöhnliche Strafübel hinausgehen und im Falle einer späteren Strafvollstreckung abwendbar sein. 195 In der Praxis wird die Strafvollstreckung in drei Fallkonstellationen aufgeschoben: 196 Erstens ist eine MutterKind-Einrichtung voll ausgelastet, so dass auf einen frei werdenden Platz für Mutter und Kind gewartet wird. Zweitens bleibt das Kind, das die Altersgrenze für eine gemeinsame Unterbringung überschritten hat, solange in der Obhut der allein erziehenden Mutter, bis eine adäquate Fremdunterbringung sichergestellt ist. Drittens kann eine Schwangere bis zur Geburt von der Haft verschont werden; auf diese Weise fallen für die Vollzugsbehörde keine Kosten für die Entbindung und den Krankenhausaufenthalt an. Der Strafvollstreckungsaufschub ist gem. § 456 Abs. 2 StPO auf vier Monate beschränkt, wobei eine Überschreitung im Gnadenwege nicht ausgeschlossen ist. 197 Im Strafvollzugsgesetz und in den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen von 1987 (Nr. 28.2) wird davon ausgegangenen, dass das Kind mit seiner Mutter gemeinsam untergebracht wird. 198 Demgegenüber bezieht das neue Regelwerk beide Elternteile in der Rubrik „Kleinkinder“ (Nr. 36.1) ein und ermöglicht so die gemeinsame Unterbringung mit dem leiblichen Vater. Folglich steht die 192 Kawamura-Reindl, in: Handbuch der Resozialisierung, S. 390 Rn. 37; Zolondek (2007), S. 69. 193 Laubenthal (2007), S. 366 Rn. 686; dagegen hält Kawamura-Reindl, in: Handbuch der Resozialisierung, S. 391 Rn. 41 diese Möglichkeit wegen der psychischen Belastung und der Festlegung auf tradierte Rollenzuweisungen für problematisch und plädiert für eine vorzeitige Haftentlassung, beispielsweise im Gnadenwege. 194 Zolondek (2007), S. 69 empfiehlt eine Regelung zum Vollstreckungsaufschub für Schwangere und frisch gebackene Mütter entsprechend § 5 Abs. 2 österreichisches StVollzG. 195 Meyer-Goßner (2007), § 456 Rn. 3. 196 Näher Zolondek (2007), S. 70. 197 Löwe / Rosenberg-Wendisch (2001), § 456 Rn. 12. 198 Ebenso die Empfehlung 1469 (2000) der Parlamentarischen Versammlung des Europarates mit dem Titel „Mütter und Kleinkinder im Gefängnis“, die für eine Vermeidung von Freiheitsstrafen bei Schwangeren und Müttern mit Kleinkindern und für die Entwicklung von intermediären Alternativen eintritt. Dabei geht es auch um die gemeinsame Unterbringung von Mutter und Kind in einer kinderfreundlichen Umgebung im Gefängnis; vgl. hierzu Zolondek (2007), S. 89 f.

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einseitige Konzentration auf die Mutter nicht im Einklang mit der neuen Empfehlung. Das Wohl des Kindes ist – wie im StVollzG – das maßgebliche Kriterium für eine gemeinsame Unterbringung in einer mit Fachpersonal ausgestatteten Kinderkrippe (Nr. 36.1 –3). IV. Durchsuchung von Gefangenen § 84 StVollzG differenziert bei Gefangenen zwischen einer Durchsuchung ohne und mit Entkleidung. 199 Bei der einfachen Durchsuchung nach Abs. 2 wird nach Gegenständen und Spuren in der Kleidung und auf der Körperoberfläche mittels Abtastens der Kleidung oder des Gefangenen 200 gesucht. Wegen des Eingriffs in die Privatsphäre darf diese Sicherungsmaßnahme nur von weiblichen Vollzugsbediensteten durchgeführt werden, jedoch ist die Anwesenheit von männlichem Vollzugspersonal erlaubt. 201 Nach h. M. umfasst die einfache Durchsuchung das Absuchen eines Gefangenen nach Metallgegenständen mittels elektronischer Geräte. 202 Die Gegenansicht nimmt sowohl Detektorrahmen als auch Handdetektorsonden hiervon aus, weil der Gefangene nicht über die sowieso bestehende Überwachung im Strafvollzug hinaus beeinträchtigt werden dürfe und somit die geschützte Privatsphäre des Gefangenen nicht tangiert werde. 203 In Bezug auf den Einsatz elektronischer Geräte ist jedoch ein differenzierender Standpunkt vorzuziehen. Das bloße Durchschreiten eines Detektorrahmens stellt keine Belastung mangels Berührung dar und fällt somit nicht unter den Begriff der einfachen Durchsuchung. Dagegen ist der Einsatz von Handdetektorsonden durch Abstreichen der Kleidung mit Körperkontakt verbunden, was als Eingriff in die Privatsphäre des Gefangenen zu bewerten ist und deshalb begriffsnotwendig zur einfachen Durchsuchung gehört. 204 Die qualifizierte Durchsuchung in Abs. 2 ist ausschließlich in Gegenwart von weiblichen Bediensteten zulässig. Die Kontrolle erstreckt sich auf alle natürlich einsehbaren Körperhöhlen und -öffnungen. Medizinische Hilfsmittel dürfen nicht für einen Eingriff zur Suche nach verschluckten oder sonstigen im Körper 199

Laubenthal (2007), S. 375 Rn. 704. Durchsuchung der Kopfbehaarung mit Abtasten der Kopfhaut, Einblicke in Mundhöhle und Ohren, vgl. Arloth / Lückemann (2004), § 84 Rn. 4. 201 Arloth / Lückemann (2004), § 84 Rn. 1 seit dem 1. Dezember 1998 durch Neufassung mittels Art. 1 Nr. 6b des 4. StVollzGÄndG. 202 Calliess / Müller-Dietz (2005), § 84 Rn. 1; Schwind / Böhm / Jehle-Ullenbruch (2005), § 84 Rn. 2; AK-Brühl (2006), § 84 Rn. 2. 203 Arloth / Lückemann (2004), § 84 Rn. 2, so nun auch in Art. 91 Abs. 1 BayStVollzG entsprechend der früheren BayVV zu § 84 StVollzG geregelt (näher Teil 4 F.). 204 Der Hinweis in Arloth / Lückemann (2004), § 84 Rn. 2 auf die Gepflogenheiten im Flugverkehr u. ä. verfängt nicht, weil Frauen von weiblichem Aufsichtspersonal abgesucht werden. 200

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befindlichen Gegenständen eingesetzt werden. Währenddessen ist das Schamgefühl durch eine in Wort und Tat behutsame und zurückhaltende Vorgehensweise zu schonen. 205 Deshalb muss eine qualifizierte Durchsuchung gem. Abs. 2 S. 3 in einem geschlossenen Raum erfolgen und nach S. 4 in Abwesenheit von anderen Gefangenen. Allerdings reicht schon ein geschlossener Sichtschutz im selben Raum aus, sofern den Mitgefangenen der Blick auf die Entkleidungsdurchsuchung verwehrt wird. 206 In den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen wird in Nr. 54.5 klargestellt, dass eine Personendurchsuchung nur von Angehörigen des gleichen Geschlechts vorgenommen werden darf. In der Kommentierung wird auf das Durchsuchungsprocedere eingegangen, wonach entsprechend dem hiesigen Verständnis keine interne Körperdurchsuchung zulässig ist. Zu ergänzen wäre jedoch eine Richtlinie entsprechend der Kommentierung, dass eine vollständige Entkleidung zu vermeiden ist. 207 V. Grundsatz der Geschlechtertrennung Nach § 140 Abs. 2 S. 1 StVollzG sind Frauen getrennt von Männern in selbständigen Frauenanstalten unterzubringen, um eine auf ihre spezifischen Bedürfnisse zugeschnittene Behandlung sicherzustellen. 208 Nur aus besonderen Gründen darf entsprechend Abs. 2 S. 2 eine getrennte Unterbringung in Abteilungen von Männeranstalten erfolgen. Dieses gesetzliche Regel-Ausnahmeverhältnis wird in der Praxis seit Jahrzehnten umgekehrt. 209 Dieser Umstand ist sicherlich auf die geringe Zahl an weiblichen Gefangenen zurückzuführen und ermöglicht eine heimatnahe Unterbringung zur Wahrung der familiären Bande. Die Familie genießt wegen Art. 6 GG herausragenden Schutz und fällt unter den wenngleich konturenlosen Begriff der „besonderen Gründe“. 210 Obschon in kleineren Frauenabteilungen von Männeranstalten der Kontakt zu den Kindern gepflegt werden kann, schlägt die oftmals beklagte „Anhängselsituation“ negativ zu Buche. 211 Die vielfach kritisierte Orientierung am Leitbild eines männlichen Gefangenen münde in eine Übersicherung und eine Vernachlässigung von eigenständigen Behand205

AK-Brühl (2006), § 84 Rn. 4. OLG Celle StV 2006, S. 154. 207 European Prison Rules 2006, S. 76. 208 Tagungsberichte der Strafvollzugskommission, in: Kommissionsentwurf Anhang 1971, S. 56 ff. 209 Vgl. hierzu Teil 6 B. II. 210 AK-Huchting / Lehmann (2006), § 140 Rn. 4; Zolondek (2007), S. 60 stellt die Gesetzeskonformität der Praxis in Frage. 211 Bernhardt, KrimPäd 1982, 27; Maelicke (1995), S. 28; BAG-S 1998, S. 37 f.; Kaiser / Schöch, Strafvollzug, S. 291 § 10 Rn. 74; Laubenthal (2007), S. 363 Rn. 681. 206

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lungsmöglichkeiten für weibliche Gefangene. Demgegenüber berge die Zentralisierung andere Probleme in organisatorischer Hinsicht mit der Zuständigkeit für alle Haftformen 212, den dennoch begrenzten Arbeits- und Behandlungsmöglichkeiten sowie der ungünstigeren Entlassungsvorbereitung in der Ferne. 213 Um ein differenziertes Behandlungsspektrum zu gewinnen, 214 enthält § 150 StVollzG eine Ermächtigungsgrundlage für die Bildung von Vollzugsgemeinschaften, von der mehrere Bundesländer Gebrauch gemacht haben. 215 Vom Grundsatz der Geschlechtertrennung darf nach § 140 Abs. 3 StVollzG abgewichen werden, um die Teilnahme an Behandlungsmaßnahmen in einer anderen Anstalt oder in einer anderen Abteilung zu ermöglichen. Auf diese Weise möchte der Gesetzgeber dem Behandlungsdefizit in kleinen Anstalten oder Abteilungen begegnen. 216 Nach dem weiten Behandlungsbegriff des StVollzG erstreckt sich die Koedukation auf alle Behandlungsbereiche von therapeutischen Maßnahmen über Bildungsangebote bis hin zur Freizeit, jedoch erfolgt die Unterbringung stets in getrennten Hafträumen. 217 Ein gemischtgeschlechtlicher Vollzug ist demnach für Ehepaare ausgeschlossen. 218 Die Eingeschlechtlichkeit im Strafvollzug steht allerdings im Widerspruch zur Lebensrealität der extramuralen Gesellschaft. 219 Aus diesem Grund wird vereinzelt angenommen, dass die Geschlechtertrennung dem Angleichungs- und Gegensteuerungsgrundsatz zuwiderlaufe. 220 Ganz überwiegend nehmen Literatur und Strafvollzugspraxis diese 212 Gem. § 135 StVollzG kann die Sicherungsverwahrung in einer für den Vollzug der Freiheitsstrafe bestimmten Frauenanstalt durchgeführt werden, wenn diese Anstalt für die Sicherungsverwahrung eingerichtet ist; es handelt sich um eine Ausnahmeregelung zu § 140 Abs. 1 StVollzG, die seit 1991 kaum praktische Bedeutung hat (näher hierzu Teil 4 B. I.). 213 BAG-S 1998, S. 51 ff. 214 Nach Arloth / Lückemann (2004), § 150 reichen wirtschaftliche Gründe aus, während AK-Huchting / Lehmann (2006), § 150 Rn. 2 f. dies ablehnen und Vollzugsgemeinschaften wegen der Trennung von der Familie nur für ein wesentlich besseres Behandlungsangebot für zweckmäßig erachten. 215 Hierzu Teil 6 B. I. 216 Zolondek (2007), S. 57. 217 In der Praxis wird die Koedukation in geringem Umfang praktiziert; mit Ausnahme der Unterbringung über Nacht wurden in Hamburg im offenen Übergangsvollzug gute Erfahrungen mit der Koedukation in der Sozialtherapeutischen Anstalt Hamburg-Altengamme und dem Moritz-Liepmann-Haus gesammelt, vgl. Drenkhahn (2007), S. 162 ff.; Obermöller (2000), S. 234; Siekmann, ZfStrVo 1985, S. 11 ff.; mittlerweile wurden beide Anstalten geschlossen (vgl. zur Koeduaktion Teil 6 G. V.). 218 BVerfG 42, 100 f.; anders AK-Huchting / Lehmann (2006), § 140 Rn. 9, die eine gemeinsame Unterbringung aus Behandlungsgründen auf Abs. 3 stützen und von einer Haftanstalt für Familien in Spanien berichten; befürwortend auch du Mênil (1994), S. 130 f. 219 Vollzugsbedienstete des jeweils anderen Geschlechts können aufgrund des vorgegebenen Autoritätsverhältnisses nur in begrenztem Rahmen für Abhilfe sorgen, aber zu einer gewissen Normalisierung beitragen.

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Gegensätzlichkeit hin und lehnen nachdrücklich eine gemeinsame Unterbringung ab. 221 Ebenso wird der Koedukation im Arbeits-, Bildungs- und Freizeitbereich Skepsis 222 oder sogar Ablehnung 223 entgegengebracht. Der positive Aspekt einer differenzierten Behandlungspalette würde durch die traditionell männerzentrierte Vollzugsgestaltung aufgehoben, so dass den spezifischen Bedürfnissen weiblicher Gefangener im Männervollzug, wie die Erfahrungen mit kleineren Frauenparten in Männeranstalten zeigten, nicht Rechnung getragen würde. 224 Darüber hinaus ginge weiblichen Gefangenen ein essentieller Schutzraum verloren, in dem sie Selbstwertgefühl, Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit entwickeln könnten. 225 Die Gemischtgeschlechtlichkeit berge die latente Gefahr, ermutigende individuelle Behandlungsfortschritte zunichte zu machen, weil Frauen in eingespielte Rollenmuster verfallen würden und sich in neue Abhängigkeitsbeziehungen zu Männern verstricken würden. Außerfrage steht eine gemeinsame Unterbringung von Frauen und Männern in Anbetracht der gegenwärtigen Personalausstattung im Strafvollzug. Dennoch sprechen Erfahrungen im In- und Ausland für einen gemischtgeschlechtlichen Strafvollzug, um der Entfremdung zum anderen Geschlecht entgegenzuwirken. 226 Allerdings sind die vorgetragenen Bedenken hiergegen Ernst zu nehmen und zu beherzigen. In diesem Rahmen erscheinen zum einen Modellversuche mit Ehepaaren in gemeinsamen Hafträumen und zum anderen in getrennten Hafträumen zur Entlassungsvorbereitung in Kleingruppen mit einer entsprechend hohen Personaldecke in einem offenen Übergangsheim denkbar. 227 Den Frauen böte sich ein betreutes Lernfeld im gemischtgeschlechtlichen Umgang, das ein selbstbewusstes Auftreten gegenüber Männern fördern und Ich-Stärke festigen könnte. Da auch im offenen Vollzug die Unausweichlichkeit das Zusammenleben kennzeichnet und hohes Konfliktpotenzial in sich birgt, wäre eine sorgfältige Auswahl 220 Köhne, BewHi 2002, S. 222 ff. für eine vorsichtige Ausweitung des Koedukation mit intensiver Begleitforschung; versuchsweise spricht sich Zolondek (2007), S. 59 für eine gemeinsame Unterbringung im Rahmen der Entlassungsvorbereitung in Kleingruppen mit intensiver Betreuung und geeigneten Gefangenen aus; ähnlich Stöckle-Niklas (1989), S. 265; AK-Huchting / Lehmann (2006), § 140 Rn. 6, 9. 221 U.a. AK-Bammann / Quensel (2006), Vor § 76 Rn. 4; Geiger / Steinert (1993), S. 243; Maelicke (1995), S. 112; Schwind / Böhm / Jehle-Steinhilper (2005), Vor § 76 Rn. 7. 222 AK-Bammann / Quensel (2006), Vor § 76 Rn. 5; Einsele, in: Einsele / Rothe, S. 19; Franze (2001), S. 264 f. 223 Geiger / Steinert (1993), S. 243; Lichthard / Rabenschlag-Fixan, NK 1991, S. 10; Maelicke (1995), S. 112; Obermöller (2000), S. 135. 224 Einsele / Bernhardt, in: Strafvollzug in der Praxis, S. 60; Obermöller (2000), S. 134. 225 Lichthard / Rabenschlag-Fixan, NK 1991, S. 10; Obermöller (2000), 133. 226 Vgl. AK-Huchting / Lehmann (2006), § 140 Rn. 6, 10; Zolondek (2007), S. 58 f. (vgl. hierzu die Aussagen der Insassinnen in Teil 7 und die des Vollzugsstabs in Teil 8). 227 So Zolondek (2007), S. 59; der hohe finanzielle Aufwand vereitelt leider eine Umsetzung.

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der Mitglieder für ein möglichst gedeihliches Auskommen unabdingbar. Für eine gemeinsame Unterbringung der beiden Geschlechter in getrennten Hafträumen käme demzufolge nur eine Minderheit im Strafvollzug in Betracht. 228 Viel versprechender erscheint es jedoch, die Koedukation in den Bereichen Beschäftigung, Ausbildung, Schulbildung und Freizeitaktivitäten voranzutreiben, um das Behandlungsangebot für Frauen auszudehnen. 229 Das Trennungsprinzip ist auch in den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen aufgenommen worden: Während das alte Regelwerk in Grundsatz 11.2 die Koedukation nur bei Behandlungsprogrammen empfiehlt, hält das neue Regelwerk zwar in Nr. 18.8 am Trennungsprinzip fest, doch kann auf der Basis der Empfehlung 18.9 sogar eine gemeinsame Unterbringung über Nacht erfolgen, sofern die Gefangenen zustimmen und die Vollzugsbehörde davon überzeugt ist, dass die Aufhebung des Trennungsgebots im Interesse der Gefangenen liegt. 230 In diesem Rahmen wird im Kommentar betont, dass die gemeinsame Unterbringung nicht als Lösungsstrategie für anderweitige Probleme, wie Überbelegung, zweckentfremdet werden darf. 231 VI. Belegungsobergrenze für Frauenanstalten Im Unterschied zum Männerstrafvollzug 232 soll gem. § 143 Abs. 3 StVollzG in Frauenanstalten die vorgesehene Belegung 200 Haftplätze im geschlossenen und offenen Vollzug nicht übersteigen. Diese Soll-Vorschrift beruht auf der Erkenntnis, dass eine individuelle Behandlung gewährleistet und somit der Resozialisierungsstrafvollzug verwirklicht wird. 233 Eine höhere Belegung erfordere mehr Fachpersonal für die Behandlung, welche durch die schiere Größe der Fachdienste hinsichtlich einer adäquaten Zusammenarbeit in Frage gestellt würde. 234 Als frauenspezifisches Argument wird die im Frauenvollzug typische Problem228 Hinzukommt die kleine Zahl inhaftierter Frauen; die Zielgruppe reduziert sich weiter aufgrund von kurzen Haftzeiten bis zu einem Jahr und anderen Hindernissen wie fehlendes Behandlungsinteresse. 229 Ebenso du Mênil (1994), S. 128 f. (vgl. hierzu die Aussagen des Vollzugsstabs in Teil 9 I. II. 2.). 230 Die Erweiterung geht auf die positiven Beobachtungen des Antifolterkomitees (CPT) zurück, vgl. hierzu Zolondek (2007), S. 87, 92. 231 European Prison Rules 2006, S. 48. 232 In sozialtherapeutischen Anstalten ebenso eine Beschränkung auf 200 Haftplätze. 233 Calliess / Müller-Dietz (2005), § 143 Rn. 1. 234 BT-Drs. 7/918, S. 93; diese Begründung trifft an und für sich auch auf den Männervollzug zu, so AK-Huchting / Lehmann (2006), § 143 Rn. 5; da Anstalten dieser Größe mit kompletter Infrastruktur wirtschaftlich nicht rentabel sind, scheitert diese Idealvorstellung in der Praxis an finanziellen Erwägungen, vgl. Arloth / Lückemann (2004), § 143 Rn. 4.

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häufung von behandlungsschwierigen oder persönlichkeitsgestörten Insassinnen angeführt. 235 Zu Recht gilt diese Auffassung aus den 1970er Jahren heutzutage als überholt. 236 Trotzdem erscheint die Größenvorgabe in Abs. 3 unter dem Aspekt einer heimatnahen Unterbringung sinnvoll, um die Öffnung zur Außenwelt zu fördern und die Rückkehr in die lokale Gemeinschaft zu erleichtern. 237 Anhaltspunkte zur optimalen Belegung in Anstalten für Frauen oder Frauenparten enthalten die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze nicht. Den dahinter stehenden frauenspezifischen Behandlungserfordernissen tragen die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze von 2006 nunmehr Rechnung. Grundsatz 34.1 möchte deren physischen, psychologischen, sozialen und bildungsmäßigen Hilfebedarf berücksichtigt wissen. Dies gilt nach Grundsatz 34.2 i.V. m. Grundsatz 25.4 insbesondere für körperlich, seelisch bzw. sexuell missbrauchte Insassinnen. Im Unterschied hierzu wurde im StVollzG der geschlechtsspezifische Behandlungsbedarf von Frauen nicht explizit niedergelegt. VII. Zusammenfassung Das StVollzG korrespondiert in weiten Teilen mit den Empfehlungen der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze von 1987 und 2006. Im Bereich des Mutterschutzes am Arbeitsplatz, der Anordnung von Disziplinarmaßnahmen gegen werdende und stillende Mütter sowie der Gesundheitsfürsorge geht der Regelungsgehalt sogar über die Anforderungen der beiden Regelwerke hinaus. Demgegenüber bleibt das StVollzG hinter dem neuen Regelwerk bzgl. des Diskriminierungsverbotes bei der Art der zugewiesenen Arbeit zurück. Dies gilt gleichermaßen für den Vollzugsstab: Danach soll ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis herrschen (Nr. 85). Ebenfalls fehlt im StVollzG eine Bestimmung entsprechend Grundsatz 81.3, der eine besondere Ausbildung im Umgang mit weiblichen Inhaftierten anmahnt. Im Unterschied zum neuen Regelwerk wird nicht deutlich auf die Berücksichtigung frauenspezifischer Belange bei der Vollzugsgestaltung hingewiesen. Als Manko ist die Regelungslücke zu Empfängnisverhütung, Abtreibung und Sterilisation ohne medizinische Indikation sowohl im StVollzG als auch in den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen anzusehen. Nachbesserungen des StVollzG erübrigen sich aber infolge der Föderalismusreform.

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BT-Drs. 7/918, S. 93. Arloth / Lückemann (2004), § 143 Rn. 574 (vgl. zu den Behandlungsansätzen in Teil 4 D.). 237 Als Beispiel ist die JVA Aichach im Flächenstaat Bayern mit über 430 Haftplätzen zu nennen; dort müssen eine Reihe von Angehörigen und Bekannten für Besuche große Entfernungen zurücklegen; dies gilt für die Inhaftierten bei Vollzugslockerungen und Hafturlaub gleichermaßen. 236

F. Das Bayerische Strafvollzugsgesetz

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F. Das Bayerische Strafvollzugsgesetz Die Föderalismusreform führte zur Übertragung der Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug vom Bund auf die Länder durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006, welches am 1. Januar 2007 in Kraft trat. 238 Das Strafvollzugsgesetz vom 16. März 1976 hat allerdings nach wie vor Bedeutung, weil es nach Art. 125a Abs. 1 GG seine Gültigkeit behält, sofern kein entsprechendes Landesgesetz erlassen wurde. Ihre neue Zuständigkeit mussten die Bundesländer auf dem Gebiet des Jugendstrafvollzugs nutzen 239, um gemäß der Entscheidung des BVerfG vom 31. Mai 2006 eine ausreichende gesetzliche Grundlage zu schaffen und um die am 31. Dezember 2007 ausgelaufene Frist zum Inkrafttreten eines Landesgesetzes einzuhalten. 240 Drei Bundesländer schufen bereits zum 1. Januar 2008 eigene Landesgesetze für den Strafvollzug, die seitdem das bundesweite StVollzG ersetzen. 241 In Bayern und Hamburg gelten die Landesstrafvollzugsgesetze für den Vollzug der Jugend- und Freiheitsstrafe sowie die Sicherungsverwahrung. 242 Darüber hinaus regelt in Niedersachsen das Justizvollzugsgesetz den Vollzug der Untersuchungshaft. Angesichts der unzureichenden Regelungen zum Vollzug der Untersuchungshaft werden sich die anderen Länder um den Erlass von Landesgesetzen in diesem Bereich kümmern. Da sich nach allgemeiner Auffassung das bundesweite StVollzG seit 1977 im Erwachsenenstrafvollzug weitgehend bewährt hat, haben die meisten Länder bisher keine Gesetzesinitiative auf den Weg gebracht und auch die vier Bundesländer mit eigenen Strafvollzugsgesetzen orientierten sich hieran. Die Landesstrafvollzugsgesetze enthalten jedoch länderspezifische rechtspolitische Akzente, die sich vor allem auf die Vollzugsziele und -aufgaben, die Unterbringung von Gefangenen und die sozialtherapeutische Behandlung beziehen. 243 Weil die empirische Studie in der bayerischen JVA Aichach durchgeführt wurde, wird im Folgenden das bayerische Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe, der Jugendstrafe und der Sicherungsverwahrung (BayStVollzG) mit Blick auf das 1977 in Kraft getretene StVollzG und die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze von 2006 analysiert. 244 238

BGBl. I S. 2034. Zu den Gesetzesentwürfen über den Vollzug der Jugendstrafe vgl. die Beiträge in der FS 2/2007 von Wulf, S. 58 ff. (Baden-Württemberg); Winkelmann / Brune, S. 61 f. (länderübergreifende Arbeitsgruppe); und in FS 4/2007 Schäfer, S. 171 (Sachsen); Syrnik, S. 172 ff. (Nordrhein-Westfalen). 240 BVerfG NJW 2006, 2093 ff. (vgl. Teil 1 I.). 241 Arloth, GA 2008, S. 130 – 134 zu deutlichen Abweichungen vom bundesweiten StVollzG in den Landesgesetzen von Bayern, Hamburg und Niedersachsen und mittlerweile auch Hessen, vgl. Einleitung A. 242 Zu den Gesetzesentwürfen vgl. Schneider, FS 2007 S. 57 f. (Bayern); Kamp, FS 2007 S. 174 ff. (Hamburg); Oppenborn / Schäfersküpper, S. 63 f. (Niedersachsen). 243 Korndörfer, FS 2007, 8. 239

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Teil 3: Statistische und kriminologische Erkenntnisse

I. Die Vollzugsaufgaben Schon zu Beginn weicht das BayStVollzG in Art. 2 grundlegend von § 2 StVollzG ab: Während die bundesweite Bestimmung zwischen dem alleinigen Vollzugsziel der Resozialisierung und der Vollzugsaufgabe des Schutzes der Allgemeinheit differenziert, kennt die bayerische Norm nur gleichwertige Vollzugsaufgaben; noch dazu wird der Schutz der Allgemeinheit vor dem Behandlungsauftrag angeführt. Demgemäß hat die Resozialisierung ihre Vorrangstellung eingebüßt. Die Gleichwertigkeit der Vollzugsaufgaben bedeutet somit eine Rückkehr zur Ziel- bzw. Aufgabenpluralität. 245 Bei vollzugsimmanenten Zielkonflikten könnte künftig der Schutz der Allgemeinheit dem Behandlungsauftrag vorgehen und so den Resozialisierungsspielraum einengen, weil im Einzelfall vertretbare Risiken mangels Prioritätensetzung nicht mehr eingegangen werden. 246 Obgleich in der Gesetzesbegründung 247 die Gleichrangigkeit der beiden Vollzugsaufgaben betont wird, ist aufgrund der Abfolge im Gesetz die Befürchtung nicht abwegig, dass der Sicherungsauftrag in der Vollzugspraxis überbewertet werden könnte. 248 Etwaige Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit bzgl. des Resozialisierungsgebots (Art. 1 i.V. m. Art. 2 Abs. 1 GG) dringen jedoch nicht durch, da die Entscheidung hierüber zur gesetzgeberischen Einschätzungsprärogative gehört. 249 Dennoch lässt sich nicht verkennen, dass die Zielpluralität zu einer Aufwertung der Sicherungsaufgabe führt und dadurch den Rollenkonflikt für Bedienstete des allgemeinen Vollzugsdienstes zu Lasten der Behandlung entschärfen könnte. 250 Demgegenüber ergibt sich aus den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen von 2006, dass das Vollzugsziel ausschließlich in der sozialen 244

In Nordrhein-Westfalen gilt das bundesweite StVollzG weiterhin. Vgl. zur Entstehungsgeschichte des Strafvollzugsgesetzes und zu den Vollzugszielen Kaiser / Schöch, Strafvollzug, S. 113 ff. § 6 Rn. 1 ff. 246 Hierzu auch Calliess / Müller-Dietz (2005), § 2 Rn. 4. 247 Gesetzesbegründung zu Art. 2 BayStVollzG, S. 17. 248 Deswegen gehen Dünkel / Pörksen, NK 2007, S. 56 vom Vorrang der Sicherungsaufgabe aus. 249 Das BVerfG NJW 2006, 2095 äußert sich in seiner grundlegenden Entscheidung zum Jugendstrafvollzug folgendermaßen: „Zugleich folgt die Notwendigkeit, den Strafvollzug am Ziel der Resozialisierung auszurichten, auch aus der staatlichen Schutzpflicht für die Sicherheit aller Bürger. Zwischen dem Integrationsziel des Vollzugs und dem Anliegen, die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten zu schützen, besteht insoweit kein Gegensatz.“; mit dieser Passage bringt das BVerfG zum Ausdruck, dass sich Sicherheit und Resozialisierung nicht ausschließen. Das BVerfG enthält sich jedoch einer Äußerung über den Schutz der Allgemeinheit durch eine sichere Unterbringung im Jugendstrafvollzug, was gleichermaßen für den Erwachsenenstrafvollzug gilt; siehe auch Arloth, FS 2007, S. 56. 250 Ähnlich Ziethener Kreis, NK 2007, S. 68, die ein Konkurrenzverhältnis zwischen dem Schutz der Allgemeinheit und der Resozialisierung ablehnen; dagegen bezeichnet Rehn, NK 2006, S. 122 die bayerische Lösung als ein „taugliches Beispiel“, um das „Verhältnis wechselseitiger Bedingtheit“ zwischen den beiden Vollzugsaufgaben klarzustellen. 245

F. Das Bayerische Strafvollzugsgesetz

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Integration i. S. d. Resozialisierung besteht (Nr. 6 für Inhaftierte im Allgemeinen, 102.1 für Strafgefangene im Besonderen). 251 Hinsichtlich der Wiedereingliederung als einzigem Vollzugsziel schenkte der bayerische Gesetzgeber den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen als Auslegungsrichtlinie keine Beachtung. Positiv hervorzuheben ist, dass Art. 3 BayStVollzG den Begriff der Behandlung konkretisiert. Danach erstreckt sich die Behandlung auf alle geeigneten Maßnahmen für eine künftige deliktsfreie Lebensführung. 252 Hierzu gehören nach der nicht abschließenden Aufzählung in Satz 3 die schulische und berufliche Bildung, die Arbeit, psychologische und sozialpädagogische Maßnahmen, die seelsorgerische Betreuung und die Freizeitgestaltung. Bei der Behandlung sind Art und Umfang der Maßnahmen an den für die Tat ursächlichen Defiziten der Gefangenen auszurichten, d. h. die individuellen Behandlungsbedürfnisse sind zu beachten, auch wenn hieraus kein Anspruch auf eine bestimmte Behandlungsmaßnahme erwächst. 253 Der Behandlungsprozess des Einzelnen ist im Vollzugsplan zu dokumentieren. Auf den Vollzugsplan bezieht sich Art. 9 BayStVollzG, der anders als § 7 StVollzG, in Abs. 1 zwischen vollzuglichen, pädagogischen und sozialpädagogischen Maßnahmen 254 differenziert und in Abs. 2 eine jährliche Überprüfung des Vollzugsplans festlegt. 255 Auf diese Weise soll die Fortschreibung des Vollzugsplans gewährleistet werden. Trotzdem erscheint die Jahresfrist als zu lange Zeitspanne, die dem Wesen und der Aufgabe des Vollzugsplans als Orientierungsrahmen und zur Ausgestaltung der Behandlungsmaßnahmen nicht gerecht wird. 256 Eine halbjährliche Überprüfung wäre angezeigt und in der sechsmonatigen Anfangsphase des Vollzugs sogar eine monatliche Überprüfung, weil in diesem Zeitraum die Weichenstellungen vorgenommen werden, in denen die Wirksamkeit und Eignung der Behandlungsmaßnahmen festgestellt werden können. Fraglich ist, ob die bayerische Regelung den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen von 2006 genügt. Zwar ist dies für die Empfehlung 103 zu den inhaltlichen Mindestanforderungen an Vollzugspläne zu bejahen, doch erscheint dies für Grundsatz 104.2 bezogen auf ein hinreichend geregeltes Aufstellungsverfahren und die lange Überprüfungsdauer zweifelhaft. 257 251

Dünkel / Morgenstern / Zolondek, NK 2006, S. 88; Sonnen, RdJB 2007, S. 139. Art. 3 S. 2 BayStVollzG stellt klar, dass die Behandlung der Verhütung weiterer Straftaten und dem Opferschutz dient. 253 Gesetzesbegründung, S. 20. 254 Durch Verwaltungsvorschriften auszufüllen. 255 Im Rahmen der Behandlungsuntersuchung geht Art. 8 Abs. 2 S. 2 BayStVollzG über § 6 Abs. 2 S. 2 StVollzG hinaus und veranlasst die Prüfung für eine Verlegung in eine sozialtherapeutische Einrichtung (Art. 11 Abs. 1, 2 BayStVollzG) oder andere therapeutische Maßnahmen auch bei nicht wegen Sexualstraftaten verurteilten Gefangenen. 256 Calliess / Müller-Dietz (2005), § 7 Rn. 8. 257 Art. 5, 6 BayStVollzG entsprechen §§ 3, 4 StVollzG; im Aufnahmeverfahren ist gem. Art. 7 BayStVollzG das Persönlichkeitsrecht der Gefangenen zu wahren, anders als 252

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Teil 3: Statistische und kriminologische Erkenntnisse

Überdies billigt das Regelwerk den Gefangenen mehr Mitsprache bei der Erstellung der individuellen Vollzugspläne zu. Art. 4 BayStVollzG erläutert die Vollzugsaufgabe des Schutzes der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten: Einerseits ist in diesem Rahmen für eine sichere Unterbringung und sorgfältige Beaufsichtigung der Gefangenen zu sorgen, andererseits für eine gründliche Prüfung vollzugsöffnender Maßnahmen und geeigneter Behandlungsmaßnahmen. II. Die Öffnung zur Außenwelt Die Akzentuierung des Schutzes der Allgemeinheit setzt sich in den Detailvorschriften insbesondere zur Öffnung des Vollzugs fort. Im bundesweiten StVollzG ist der offene Vollzug gem. § 10 Abs. 1 die Regelvollzugsform, obwohl in der Vollzugspraxis der Schwerpunkt auf dem geschlossenen Vollzug liegt und der offene Vollzug vielfach ein Schattendasein fristet. 258 Das bayerische StVollzG orientiert sich demgemäß an dieser restriktiven Linie und erklärt den geschlossenen Vollzug in Art. 12 Abs. 1 zur Regelvollzugsform. Die Gesetzesbegründung hebt auf den Schutz der Allgemeinheit ab, nach der eine geschlossene Unterbringung zu Beginn des Vollzugs erforderlich sei, um im Einzelfall eine Beurteilungsbasis bzgl. der Eignung für den offenen Vollzug zu erhalten. 259 Gem. Art. 12 Abs. 2 BayStVollzG sollen Strafgefangene mit ihrer Zustimmung bei Eignung und fehlender Missbrauchsgefahr in den offenen Vollzug verlegt werden. Interessanterweise bieten die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze von 2006 mangels Empfehlung hierzu keine Orientierungshilfe. Weder die Progression noch der sofortige Strafantritt im offenen Vollzug werden erörtert, so dass sich in diesem Bereich eine gravierende Empfehlungslücke auftut. 260 Dies zeigt vor allem die bayerische Gesetzesfassung, die diese Vollzugsform in der Regel bei Strafantritt

§ 5 StVollzG darf jedoch bei sprachlichen Verständigungsschwierigkeiten ein Mitgefangener hinzugezogen werden; es ist nicht zu verkennen, dass die Hinzuziehung von nichtdeutschen Mitgefangenen die Gefahr mit sich bringt, dass der Übersetzende die erhaltenden Informationen über den Betroffenen anschließend zur Festigung seiner Machtposition im subkulturellen Gefüge ausnutzen könnte; vgl. Laubenthal (2007), Rn. 322; die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze von 2006 empfehlen die Hinzuziehung von kompetenten Dolmetschern in Nr. 38.3; dieser Grundsatz sollte beherzigt werden. 258 Vgl. hierzu Dünkel / Geng, FS 2007, S. 16 f.: In Berlin befanden sich 29 % der Gefangenen im offenen Vollzug und in Bayern 7 – 8 %. 259 Gesetzesbegründung zu Art. 12 BayStVollzG, S. 32. 260 Dünkel / Morgenstern / Zolondek, NK 2006, S. 87 f.; die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze von 1987 empfehlen zumindest eine Unterbringung im offenen Vollzug, allerdings lassen sie einen gänzlichen Verzicht zu, sofern dieses Manko durch andere Öffnungsmöglichkeiten zur Außenwelt aufgefangen werden kann (67.3).

F. Das Bayerische Strafvollzugsgesetz

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ausschließt; überdies werden in der Vollzugspraxis nur geringe Kapazitäten für den offenen Vollzug vorgehalten. 261 Die Gewährung von Vollzugslockerungen regelt Art. 13 BayStVollzG und entspricht § 11 StVollzG. Desgleichen trifft weitgehend auf den Urlaub aus der Haft nach Art. 14 BayStVollzG zu, jedoch kommt dieser bei Lebenslänglichen nicht mehr nach zehn (§ 13 Abs. 3 StVollzG), sondern erst nach zwölf Jahren in Betracht. 262 Der Widerruf und die Aufhebung von Lockerungen und Urlaub erfolgen auf der Grundlage von Art. 16 BayStVollzG, der mit § 14 StVollzG übereinstimmt. 263 Dem Schutz der Allgemeinheit dienen die Verschärfungen für vollzugsöffnende Maßnahmen bei Gewalt- und Sexualstraftätern in Art. 15 BayStVollzG. Für die Zulassung zu Vollzugslockerungen oder Urlaub und die Verlegung in den offenen Vollzug ist eine besonders gründliche Prüfung unter Berücksichtigung der Urteilsfeststellungen und der Gutachten im Ermittlungsund Strafverfahren vonnöten. 264 Die Betonung der Sicherungsaufgabe steht im Einklang mit dem vagen Grundsatz 103.6 der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze von 2006, der systematische Verfahrensweisen für Vollzugslockerungen und Hafturlaub einfordert und auf die Empfehlung R (82) 16 des Europarates zum Gefangenenurlaub verweist. Die unpräzise Nr. 4 dieser Empfehlung möchte vollzugsöffnende Maßnahmen nicht nur im offenen Vollzug gewähren, sondern auch auf den geschlossenen Vollzug abhängig vom Schutz der Allgemeinheit ausdehnen. Für bundesdeutsche Verhältnisse ist diese Forderung angesichts der gesetzlichen Regelungen im StVollzG wie auch im BayStVollzG obsolet. Unter Berücksichtigung des Sicherungsaspektes erscheint die Verschärfung im BayStVollzG gemäß der Empfehlung folgerichtig und stützt diesbezüglich eine restriktive Handhabung von vollzugsöffnenden Maßnahmen im geschlossenen Vollzug. Im Zuge der Reformierung der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze ist ebenso eine Präzisierung und Modernisierung der Empfehlung R (82) 16 zum Gefangenenurlaub zu wünschen. Die Besuchsregelungen (§§ 23 –27 StVollzG) wurden in den Art. 26 bis Art. 30 BayStVollzG übernommen: So bleibt es bei der Regelbesuchszeit von mindestens einer Stunde für Erwachsene im Monat (Art. 27 Abs. 1 S. 2 BayStVollzG). Ergänzungen wurden mit Blick auf Sicherheits- und Ordnungsaspekte vorge261

Vgl. Dünkel / Geng, FS 2007, S. 16 ff. Des Weiteren wurde Art. 14 Abs. 3 BayStVollzG um den Passus „wenn sie ... hierfür [den offenen Vollzug] geeignet sind“ ergänzt, um die weiterhin im geschlossenen Vollzug befindlichen Lebenslänglichen zu erfassen. 263 § 15 StVollzG zur Entlassungsvorbereitung wurde in Art. 17 BayStVollzG übernommen; die Freigängerregelung in Abs. 4 des § 15 StVollzG wurde in Art. 13 Abs. 5 aufgenommen. 264 Für Sexual- und Gewalttäter wurden die Verlegungsmöglichkeiten in eine sozialtherapeutische Einrichtung gem. Art. 11 BayStVollzG gegenüber § 9 StVollzG weiterentwickelt. 262

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Teil 3: Statistische und kriminologische Erkenntnisse

nommen. 265 Insbesondere wurde die Regelung zur Überwachung von Besuchen in Justizvollzugsanstalten gem. Art. 30 BayStVollzG präzisiert. In der Gesetzesbegründung wird klargestellt, dass die optische Überwachung im geschlossenen Vollzug entsprechend Abs. 1 S. 1 der Regelfall ist und auch mit technischen Mitteln erfolgen darf, wenn Besucher und Besuchte darauf hingewiesen werden. Dagegen betont Abs. 2, dass die akustische Überwachung nur ausnahmsweise zulässig ist und die Verwendung technischer Mittel verboten ist. Es ist erfreulich, dass der Einsatz der Trennscheibe bei Privatbesuchen in Abs. 3 auf eine gesetzliche Grundlage gestellt worden ist; entsprechend der bisherigen Praxis soll ihre Anwendung auf Einzelfälle beschränkt bleiben, sofern die Übergabe von unerlaubten Gegenständen (z. B. Betäubungsmittel) zu befürchten ist. 266 Die Bestimmungen zum Briefverkehr in §§ 28 bis 31 StVollzG wurden in Art. 31 bis Art. 34 BayStVollzG übernommen. Entsprechend der Praxis müssen die Gefangenen die Kosten für den Schriftverkehr gem. Abs. 3 des Art. 31 BayStVollzG aufbringen; ausgenommen sind bedürftige Gefangene, bei denen die Kosten in angemessenem Umfang übernommen werden können. 267 Im Vergleich zu § 32 StVollzG wurde die Erlaubnis für Telefonate empfindlich beschnitten: Während die bundesweite Regelung als Kann-Vorschrift ausgestaltet ist und einen weiten Ermessensspielraum eröffnet, verweist Art. 35 BayStVollzG auf dringende Fälle. Damit wird der Einrichtung von Kartentelefonen oder Telefonkabinen für einen zuverlässigen Benutzerkreis eine Absage erteilt. 268 Ebenso wie beim Briefverkehr tragen die Gefangenen gem. Abs. 2, außer bei Bedürftigkeit, die Telefonkosten. 269 Die wenigen Neuerungen zeichnet überwiegend eine restriktive Linie aus. Im Großen und Ganzen entsprechen die bayerischen Bestimmungen jedoch den Anforderungen der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze. Bei der strengen Limitierung von Telefonaten und der Außerachtlassung von Langzeitbesuchen tun 265

Art. 27 Abs. 3 BayStVollzG wird bei der Durchsuchung von Besuchern um den Ordnungsaspekt sowie das Absuchen mit technischen Mitteln oder sonstigen Hilfsmitteln auf verbotene Gegenstände ergänzt; sinnvoll ist in Art. 29 BayStVollzG die Erweiterung des Anwendungsbereichs der Besuchssonderregelung von Verteidigern, Rechtsanwälten und Notaren auf Angehörige der Gerichtshilfe, der Bewährungshilfe und der Führungsaufsichtsstellen. 266 Nach wie vor ist umstritten, ob die Verwendung von Trennscheiben bei Privatbesuchen auf § 27 Abs. 1 StVollzG gestützt werden kann; vgl. zum Meinungsstreit Laubenthal (2007), S. 280 f. Rn. 515 ff. 267 Damit wurde die VV zu § 28 StVollzG Gesetz; in Art. 34 Abs. 1 Nr. 6 BayStVollzG wurde der Zusatz eingefügt, dass der Schriftwechsel zwischen einem deutschen Gefangenen und einem deutschen oder in Deutschland lebenden Dritten in der Regel nicht in einer fremden Sprache erfolgen darf: Diese Regelung könnte Bedeutung für Deutsche mit Migrationshintergrund haben, die sich unter Umständen zur Kommunikation mit hier ansässigen Verwandten einer anderen Sprache bedienen müssen, was nach der Gesetzesbegründung, S. 44 zu berücksichtigen wäre, um unbillige Härten zu vermeiden. 268 Abs. 3 der Bestimmung lässt technische Geräte zur Störung von Frequenzen zu, um die unerlaubte Benutzung eines Handys auszuschließen. 269 Damit wurde die VV zu § 32 StVollzG zum Gesetz erhoben.

F. Das Bayerische Strafvollzugsgesetz

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sich aber Missklänge zu Nr. 24.1 und Nr. 24.4 auf. Nach Nr. 24.1 sind Telefonate so oft wie möglich zu gewähren, schon weil ihre Überwachung laut Kommentar leicht zu bewerkstelligen ist. 270 Die familiäre Kontaktpflege im Gefängnis möchte Nr. 24.4 so weit möglich an die allgemeinen Lebensverhältnisse angleichen. Aus diesem Grund erwähnt der Kommentar explizit Langzeitbesuche, um für eine gewisse Privatsphäre im geschlossenen Milieu zu sorgen. 271 Mit dem Sondereinkauf in Art. 25 BayStVollzG wurde eine völlig neue Regelung geschaffen, die mit der Abschaffung des Empfangs von Paketen mit Nahrungs- und Genussmitteln in Art. 33 Abs. 3 S. 1 BayStVollzG zusammenhängt. 272 Statt der jährlich dreimaligen Paketaushändigung gem. § 33 Abs. 1 StVollzG dürfen die Gefangenen drei Mal einen Sondereinkauf mit dem von Dritten eingezahlten Sondergeld nach Art. 53 BayStVollzG zu Weihnachten, zu Ostern und zu einem anderen Zeitpunkt bestreiten. Diese grundlegende Änderung dient der Entlastung der Justizvollzugsanstalten, die nunmehr auf personell und organisatorisch aufwändige Kontrollen verzichten können. Auch wenn dadurch der Kontrollaufwand erheblich verringert wird, schränkt die Abschaffung des Paketempfangs mit Nahrungs- und Genussmitteln den Angleichungsgrundsatz und den Verkehr mit der Außenwelt beträchtlich ein. 273 Die Gesetzesbegründung, die darin heutzutage keine merklichen Erleichterungen der Lebensführung und keine Festigung der Außenkontakte zu erkennen vermag, 274 überzeugt nicht, denn die Paketzusendung mit Nahrungs- und Genussmitteln stärkt den emotionalen Bezug zu den Angehörigen. Im Gegensatz dazu stellt das Sondergeld eine anonyme Zuwendung dar, die die Gefangenen auf das beschränkte Sortiment des Anstaltsladens verweist. Gerade an wichtigen Feiertagen wie Weihnachten und Ostern verlieren die Gefangenen die Zuwendung durch persönliche Geschenke mit Nahrungs- und Genussmitteln ihrer Familie. 275 In den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen von 2006 finden sich zwar Empfehlungen zur Kommunikation mit der Außenwelt per Telefon, Briefen und modernen Mitteln, aber das Regelwerk schweigt zum Empfang von Paketen.

270

European Prison Rules 2006, S. 53; der leichten Kontrollierbarkeit widerspricht der bayerische Gesetzgeber und präferiert deshalb eine restriktive Handhabung. 271 European Prison Rules 2006, S. 53 f. 272 Die Art. 21 bis 24 BayStVollzG stimmen weitgehend mit den §§ 19 bis 22 StVollzG überein; im Unterschied zur Pflicht zum Tragen von Anstaltskleidung in Art. 22 Abs. 1 BayStVollzG postuliert der Grundsatz 20.1 der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze von 2006 grundsätzlich das Tragen eigener Kleidung. 273 Calliess / Müller-Dietz (2005), § 33 Rn. 3. 274 Gesetzesbegründung, S. 45. 275 Davon unabhängig kann die Anstaltsleitung die Entgegennahme von Paketen mit anderen Gegenständen erlauben.

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Teil 3: Statistische und kriminologische Erkenntnisse

III. Unterbringung im Haftraum Die Unterbringung während der Ruhezeit hat eine entscheidende Änderung erfahren. Obgleich am Grundsatz der Einzelunterbringung in Art. 20 BayStVollzG weiterhin festgehalten wird, wird der Charakter durch die Ausgestaltung als SollVorschrift aufgeweicht. Diese Änderung wird mit dem im StVollzG bestehenden Wertungswiderspruch begründet, wonach eine gemeinsame Unterbringung unter erleichterten Voraussetzungen in vor 1977 errichteten Anstalten zulässig ist (vgl. § 201 Nr. 3 S. 1 StVollzG). 276 Im Gegensatz zu § 18 StVollzG ist nun eine gemeinsame Unterbringung ohne Zustimmung des Gefangenen aufgrund der räumlichen Verhältnisse der Anstalt zulässig (Art. 20 Abs. 2 Alt. 3 BayStVollzG). Damit wird eine zeitnahe Vollstreckung verhängter Freiheitsstrafen im Falle einer hohen Belegung der Justizvollzugsanstalten angestrebt. 277 Ein Gemeinschaftshaftraum darf sogar mit acht Gefangenen belegt werden (Art. 20 Abs. 3 BayStVollzG). Damit rückt der bayerische Gesetzgeber von der fortschrittlichen Regelung in § 18 StVollzG für nach 1977 errichtete Anstalten ab und etabliert dauerhaft die Übergangsbestimmung des § 201 Nr. 3 StVollzG in Art. 20 BayStVollzG. Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze von 2006 enthalten in Nr. 18.1 bis 7 ausführliche Grundsätze zur Unterbringung während der Ruhezeit. Danach wird den Gefangenen grundsätzlich ein Anspruch auf Einzelunterbringung zugestanden (Nr. 18.5), von dem abgewichen werden darf, wenn eine gemeinschaftliche Unterbringung vorzuziehen ist (Nr. 18.6). Im Kommentar wird Verständnis für Probleme hinsichtlich der Einhaltung des Prinzips der Einzelunterbringung aufgebracht, doch wird vor allem bei Neubauten dessen Beachtung angemahnt. 278 Bei einer gemeinsamen Unterbringung ist möglichst die Zustimmung der Betroffenen einzuholen, andernfalls ist zumindest auf Gemeinsamkeiten für ein gedeihliches Auskommen zu achten. Hieraus ergibt sich, dass der bayerische Gesetzgeber die Auslegungsvorgaben zur Einzelunterbringung in den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen nicht hinreichend berücksichtigt hat und sich bei der Konzeption von Art. 20 BayStVollzG wohl eher von einer pragmatischen, noch dazu kostengünstigen Lösung der Überbelegungsproblematik leiten ließ.

276 Gesetzesbegründung, S. 37; zurecht wird § 201 StVollzG in AK-Feest / Köhne (2006), § 201 Rn. 1 als „legislatorisches Kuriosum“ bezeichnet, das § 18 StVollzG in Altanstalten seit 30 Jahren suspendiert und die unerwünschte Mehrfachbelegung nach wie vor rechtfertigt; hierzu auch BGH NJW 2006, S. 306 ff. und Köhne, BewHi 2007, S. 270 ff. 277 Gesetzesbegründung, S. 37. 278 European Prison Rules 2006, S. 47.

F. Das Bayerische Strafvollzugsgesetz

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IV. Beschäftigung und Bildung Im Bereich Arbeit, Ausbildung und Weiterbildung übernehmen die bayerischen Bestimmungen in den Art. 39 bis Art. 49 BayStVollzG weitgehend die Vorschriften in §§ 37 bis 50 StVollzG, wobei eine Umstrukturierung vorgenommen wurde, nach der die Gelder der Gefangenen in einem eigenen Abschnitt behandelt werden. Art. 39 BayStVollzG behält die Unterteilung in Arbeit, arbeitstherapeutische Beschäftigung und Bildung nach § 37 StVollzG bei und integriert darin verschiedene Vorschriften des StVollzG (§§ 41 Abs. 2, 148 Abs. 1, 149 Abs. 2 S. 2, Abs. 3, 4). Entsprechend § 41 StVollzG statuiert Art. 43 BayStVollzG ebenfalls eine Arbeitspflicht. Im Unterschied zur bundesweiten Regelung dürfen Gefangene in Bayern nun auch ohne ihre Zustimmung zur Verrichtung von Hilfstätigkeiten (Hausarbeiten wie Reinigung, Essensausgabe usw.) über drei Monate hinaus verpflichtet werden. Auf diese Weise wird die Mitsprache des Gefangenen bei der Beschäftigung abgeschwächt. Dennoch mag die Einschränkung als Konzession an die schwierige Arbeitssituation in den Justizvollzugsanstalten verstanden werden, denn angesichts der Arbeitslosigkeit hinter den Mauern stehen häufig keine qualifizierteren Arbeiten zur Verfügung. Dem entsprechen auch die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze von 2006, nach denen es in Nr. 26.2 um die Vorhaltung von ausreichend nützlichen Arbeiten geht. Völlig neu ist die Schaffung einer Rechtsgrundlage für die Ablösung von einer Beschäftigung oder vom Unterricht in Art. 44 BayStVollzG. Eine solche Ablösung kommt wegen Beeinträchtigung der Sicherheit oder Ordnung, aber auch aus Behandlungsgründen oder wegen unzureichender Arbeitsleistung in Betracht. Obgleich eine Ablösungsnorm zu begrüßen ist, bleibt ihr generalklauselartiger Aussagegehalt vage und viel zu weit. Sinnvoll wäre ein präziser und abschließender Katalog von Ablösungsgründen auf Tatbestandsseite, um eine klare und eindeutige Eingriffsnorm zu haben. 279 V. Gesundheitsfürsorge Der Abschnitt zur Gesundheitsfürsorge im BayStVollzG wurde aktualisiert und an die geltenden Regelungen des SGB V angelehnt (Äquivalenzprinzip). 280 Der Erhalt der körperlichen und geistigen Gesundheit ist selbstverständliche Aufgabe der Vollzugsbehörden. Dem Zeitgeist entsprechend wurde Art. 58 BaySt279 Art. 40 – 42, 45 – 49 BayStVollzG entsprechen §§ 38 –40, 42 –44, 48, 50 StVollzG; der anschließende Abschnitt über die Gelder der Gefangenen nach Art. 50 –54 BayStVollzG übernimmt bis auf die neu eingeführte und schon erörterte Bestimmung zum Sondergeld weitgehend die Regelungen in §§ 46, 47, 51, 52 StVollzG; Abschnitt 7 zur Religionsausübung (Art. 55 – 57) BayStVollzG korrespondiert mit dem Abschnitt im StVollzG (§§ 53 – 55). 280 Gesetzesbegründung, S. 61.

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Teil 3: Statistische und kriminologische Erkenntnisse

VollzG 281 in Abs. 3 um den Nichtraucherschutz ergänzt, der im Rahmen der baulichen und organisatorischen Maßnahmen zu verwirklichen ist. Dabei geht es aber nicht um die Durchsetzung eines generellen Rauchverbots in den Justizvollzugsanstalten; in den Hafträumen darf in der Regel geraucht werden. 282 Hinsichtlich Gesundheitsuntersuchungen und medizinischen Vorsorgeleistungen sind in Art. 59 BayStVollzG zwei Änderungen zu begrüßen: Zum einen wurden ärztliche Versorgungseinschränkungen mangels personeller und räumlicher Kapazitäten gem. § 57 Abs. 3 Nr.4 StVollzG nicht aufgenommen, weil der heutige medizinische Standard die Heranziehung eines praktizierenden Arztes oder eine Verlegung in ein Krankenhaus gebietet. 283 Zum anderen wurde der Anspruch der Gefangenen auf ärztliche Behandlung und Versorgung mit heilenden Mitteln auf die Krankheitsverhütung und die Vermeidung einer Krankheitsverschlimmerung erstreckt (Art. 59 Abs. 5 Nr. 3 BayStVollzG). 284 Die Versorgung mit Hilfsmitteln entspricht in Abs. 1 von Art. 61 BayStVollzG weitgehend § 59 StVollzG, doch beinhaltet der jüngst eingeführte Abs. 2 eine empfindliche Einbuße für Gefangene mit Sehschwäche. Danach besteht nur in zwingenden medizinischen Ausnahmefällen ein Anspruch auf eine Sehhilfe, d. h. bei einer schweren Sehbehinderung auf beiden Augen i. S. d. § 33 Abs. 1 S. 5 SGB V. Bei leichteren Sehbeeinträchtigungen können Gefangene auf eigene Kosten oder ausnahmsweise bei Bedürftigkeit auf Anstaltskosten eine Sehhilfe bekommen. Ähnlich werden die Kostenbeteiligung bei Art und Umfang der Leistungen im neuen Abs. 2 von Art. 63 BayStVollzG geregelt: Nach Satz 1 können Gefangene in angemessenem Umfang die Kosten der Krankenbehandlung tragen. Die vollen Kosten werden in der Regel für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel erhoben (Kopfschmerztabletten, Erkältungsarzneien). Ebenso werden die Kosten für eine ärztliche Behandlung wie Operationen und prothetische Maßnahmen zur sozialen Eingliederung gem. Art. 65 S. 2 BayStVollzG grundsätzlich den Gefangenen auferlegt, wobei nach Satz 3 in begründeten Fällen eine Kostenübernahme möglich ist. Hinsichtlich der Kostenerhebung stellt die Gesetzesbegründung auf die Angleichung der Lebensverhältnisse in den vergangenen Jahren ab; in diesem Sinne müssten sich die Veränderungen zur Kostenbeteiligung bei den gesetzlich Krankenversicherten auch im Strafvollzug auswirken. 285 Auf diese Weise möchte der bayerische Gesetzgeber sowohl die Eigenverantwortung der Gefangenen fördern als auch das Funktionieren der Gesundheitsvorsorge sicherstellen. Die Kos281

Abs. 1, 2 stimmen mit § 56 StVollzG überein. Gesetzesbegründung, S. 62; bei der Mehrfachbelegung muss auf die Bedürfnisse von Nichtraucher(inne)n Rücksicht genommen werden. 283 Gesetzesbegründung, S. 62. 284 Wegen der Angleichung an § 23 Abs. 1 SGB V; § 57 Abs. 5 zur Prophylaxe von Zahnerkrankungen für Jugendliche und Heranwachsende wurde in Art. 151 BayStVollzG für den Jugendstrafvollzug aufgenommen. 285 Gesetzesbegründung, S. 65. 282

F. Das Bayerische Strafvollzugsgesetz

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tenübernahme für nicht verschreibungspflichtige Medikamente steht allerdings im Ermessen der Justizvollzugsanstalten. Es drängt sich der Verdacht auf, dass zukünftig an der Gesundheitsversorgung der Gefangenen gespart werden könnte. Unter dem Deckmantel der Selbstverantwortung 286 scheinen die Kosten auf die Gefangenen abgewälzt zu werden. Obgleich Bedürftige Sehhilfen und auch nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel kostenfrei erhalten können, steht zu befürchten, dass vor allem ungeübte und zurückhaltende Gefangene die Erstattungsmöglichkeiten nicht ausschöpfen oder sich ihr Gesundheitszustand verschlechtert. Schlimmstenfalls könnte die Inanspruchnahme von Behandlungsmaßnahmen sogar vereitelt werden. 287 Auch wenn Gesundheitsreformen bei der gesetzlichen Krankenversorgung im Strafvollzug ihren Niederschlag finden müssen, ist im Hinblick auf die Kostenbeteiligung von Gefangenen Zurückhaltung zu üben und zur Verwirklichung des Behandlungsauftrags eher auf eine Kostenerhebung zu verzichten. 288 Bezogen auf die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze von 2006 halten die gesetzlichen Vorgaben zur Gesundheitsfürsorge im BayStVollzG den Empfehlungen stand. Als problematisch erweist sich jedoch die Kostenbeteiligung der Gefangenen. Der Kommentar betont den Grundsatz der Kostenfreiheit der Gesundheitsvorsorge im Strafvollzug und verweist auf eine entsprechende Richtlinie der UN. 289 Hinsichtlich der Kostenbeteiligung weicht das bayerische StVollzG somit von den internationalen Richtlinien zum Nachteil der Gefangenen ab. 290

286

Es stellt sich die Frage, wie Eigenverantwortung ausgeübt werden kann, wenn noch nicht mal die Verfügungsgewalt über das Geldkonto besteht. 287 So könnte Gefangenen mit einer Sehschwäche die Aufnahme einer Bildungsmaßnahme mangels bezahlbarer Brille versperrt sein. Es bedarf sowohl einer hohen Motivation und Eigeninitiative als auch der Hilfestellung durch den sozialen Dienst, um die verschiedenen Hürden für die Teilhabe am Chancenvollzug zu bewältigen. 288 Längere Freiheitsstrafen führen dazu, dass künftig mehr Gefangene im Strafvollzug altern werden, was steigende Kosten für die Erhaltung der Gesundheit aufgrund von Alterskrankheiten nach sich zieht; vgl. zum Problemkreis alte Menschen im Strafvollzug Görgen / Greve, BewHi 2005, S. 116 ff. 289 European Prison Rules 2006, S. 64: UN Body of Principles for the Protection of All Persons under Any Form of Detention or Imprisonment, in dem es in Principle 24 heißt: „A proper medical examination shall be offered to a detained or imprisoned person as promptly as possible after his admission to the place of detention or imprisonment, and thereafter medical care and treatment shall be provided whenever necessary. This care and treatment shall be provided free of charge.“ 290 Art. 62, 64, 66 – 68 BayStVollzG entsprechen § 60, 62 a, 64 –66 StVollzG.

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Teil 3: Statistische und kriminologische Erkenntnisse

VI. Freizeitgestaltung Die Eingangsvorschrift zur Freizeitgestaltung in Art. 69 BayStVollzG fügt im Vergleich zu § 67 StVollzG den Aspekt der „sinnvollen“ Freizeitgestaltung hinzu und akzentuiert den in diesem Bereich besonders wichtigen Behandlungsauftrag i. S.v. Art. 3 BayStVollzG. 291 Beim Empfang von Hörfunk und Fernsehen geht Art. 71 BayStVollzG vom Besitz entsprechender Geräte in den Hafträumen aus, womit eine Anpassung an die gewandelten tatsächlichen Verhältnisse erfolgte; demzufolge ist Gemeinschaftsfernsehen nicht mehr zwingend vorgesehen. 292 Der Besitz von Gegenständen für die Freizeitbeschäftigung in Art. 72 BayStVollzG korrespondiert größtenteils mit § 70 StVollzG und exemplifiziert die Ausschlussgründe in Abs. 2 Nr. 2. Danach ist in der Regel eine Gefährdung der Sicherheit bei elektronischen Unterhaltungsmedien sowohl wegen der Versteck-, Speicherund Manipulationsmöglichkeiten als auch wegen der missbräuchlichen Verwendung für subkulturelle Zwecke (Handel, Erpressung, Wetten) anzunehmen. Eine besondere Begründung ist deshalb für die Zulassung elektronischer Medien (z. B. CD-Player mit Sprachkurs) erforderlich. 293 VII. Psycho-soziale Unterstützung Der Abschnitt soziale und psychologische Hilfe in den Art. 74 bis 81 BayStVollzG entwickelt die entsprechenden Regelungen des StVollzG in §§ 71 bis 75 fort. Die soziale Hilfe orientiert sich weiterhin am Prinzip der durchgehenden Betreuung, die möglichst früh einsetzen und bis in die Zeit nach der Entlassung fortwirken und in Zusammenarbeit mit internen und externen Diensten und Trägern erfolgen soll. 294 Als Rückschritt für die Gefangenen ist jedoch die Grundsatznorm des Art. 74 BayStVollzG zu bezeichnen: Während § 71 S. 1 StVollzG den Gefangenen einen Rechtsanspruch auf die Gewährung von sozialer Hilfe einräumt, verpflichtet die bayerische Bestimmung die Anstalt nur noch dazu, ein Behandlungsprogramm entsprechend der Anstaltsgröße und deren Zuständigkeit anzubieten. 295

291

Art. 70 BayStVollzG entspricht § 68 StVollzG. Gesetzesbegründung, S. 68. 293 Gesetzesbegründung, S. 70; damit wird auch dem Besitz eines Telespielgeräts (Playstation) grundsätzlich eine Absage erteilt; vgl. zu dieser umstrittenen Frage in der Rspr. Lindhorst, StV 2006, S. 274 ff.; Art. 73 BayStVollzG enthält eine Rechtsgrundlage zur Kostenbeteiligung der Gefangenen an den Stromkosten. 294 Gesetzesbegründung, S. 70 f. 295 Art. 75 BayStVollzG übernimmt § 71 S. 2 StVollzG mit dem Grundsatz der Hilfe zur Selbsthilfe. 292

F. Das Bayerische Strafvollzugsgesetz

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Positiv ist zu vermerken, dass erstmals Kriterien einer psychologischen Behandlung in Art. 76 BayStVollzG dargestellt werden. 296 Nach Abs. 1 erfordern psychologische Behandlungsmaßnahmen eine diagnostische Abklärung und eine Einschätzung des Rückfallrisikos, was bei der Behandlungsuntersuchung i. S. d. Art. 8 BayStVollzG oder im Laufe des Vollzugs bei der Fortschreibung des Vollzugsplans mittels einer gründlichen Eingangs- und Verlaufsdiagnostik sowie Prognostik zu prüfen ist. 297 Neben standardisierten Prognoseverfahren und testpsychologischen Verfahren soll die Diagnostik weitere Datenquellen heranziehen. 298 Hierzu gehören die Ermittlungsakten, ggf. die Vorinhaftierungsakten sowie die Aussage des Gefangenen zur Tat und zu den näheren Tatumständen. Abs. 2 verlangt, dass sich die psychotherapeutischen Behandlungsmethoden an den nach dem Psychotherapeutengesetz anerkannten Verfahren und die sonstigen psychologischen Behandlungsmaßnahmen an den wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Behandlung von Straftätern orientieren. Im Rahmen der Hilfe während des Vollzugs erweitert Art. 78 Abs. 2 BayStVollzG den § 73 StVollzG um die Opferperspektive und den Täter-Opfer-Ausgleich. Danach soll die Einsicht der Gefangenen in die Verantwortung für ihre Tat, insbesondere für die beim Opfer verschuldeten Tatfolgen, geweckt werden und in geeigneten Fällen die Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs angestrebt werden. Die Berücksichtigung des Täter-Opfer-Ausgleichs ist zu begrüßen und entspricht modernem Strafvollzugsverständnis, das auch in der Empfehlung 103.7 der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze von 2006 („restorative justice“) zum Ausdruck kommt. 299 Bzgl. der Entlassungsbeihilfe entspricht Art. 80 BayStVollzG der Regelung des § 75 Abs. 1, 2 S. 2 StVollzG. § 75 Abs. 3 StVollzG gilt wegen der Verweisung in Art. 208 BayStVollzG weiterhin. Erfreulich ist, dass die Kürzungsmöglichkeit nach § 75 Abs. 2 S. 1 StVollzG wegen zu kurzer Haftdauer, schlechter Arbeitsleistung oder verschwenderischem Umgang außen vor geblieben ist, da sonst ein Widerspruch zum Sozialstaatsprinzip bestehen würde. 300 Schließlich ist die neue Bestimmung des Art. 81 BayStVollzG zu begrüßen. 301 Danach kann die Anstalt auf Antrag des Gefangenen nach dessen Entlassung vorübergehend Hilfestellung gewähren, soweit diese nicht anderweitig durchgeführt werden kann und der Erfolg der Behandlung des Betroffenen gefährdet ist. Obgleich diese 296

Gem. Art. 74 BayStVollzG können die Gefangenen keinen Anspruch auf psychologische Behandlung geltend machen. 297 Gesetzesbegründung, S. 71. 298 Gesetzesbegründung, S. 72. 299 Art. 77 BayStVollzG übernimmt § 72 StVollzG hinsichtlich der Hilfe bei der Aufnahme und Art. 79 BayStVollzG ebenso § 74 StVollzG. 300 Gesetzesbegründung, S. 74. 301 Noch weiter geht die Nachsorge für Entlassene aus einer sozialtherapeutischen Einrichtung nach Art. 119 BayStVollzG.

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Regelung nur für Einzelfälle vorgesehen ist, wird auf diese Weise eine durchgehende Betreuung verwirklicht. Dadurch kann dem Entlassenen im Falle von Orientierungslosigkeit oder von Überforderung mit den Anforderungen in Freiheit geholfen werden, indem der Übergang zu anderen Betreuungsmöglichkeiten gefördert wird. Insgesamt erfüllen die Regelungen zur sozialen und psychologischen Hilfe die Anforderungen der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze von 2006 (Nr. 103.5, 107.1, 107.4, 107.5). VIII. Weibliche Gefangene Die Besonderheiten für den Frauenstrafvollzug (§§ 76 bis 80 StVollzG) wurden weitgehend in den Art. 82 bis 86 BayStVollzG übernommen und sind auf Vorschriften zu Schwangeren und Müttern mit nicht schulpflichtigen Kindern im Strafvollzug beschränkt. Art. 86 Abs. 2 S. 1 BayStVollzG statuiert, dass für die Kosten der Unterbringung eines Kindes bei seiner inhaftierten Mutter einschließlich der Gesundheitsfürsorge die unterhaltspflichtige Person aufkommt. Die Bestimmung hat jedoch nur deklaratorische Bedeutung, weil das Jugendamt des Wohnortes nach § 27 i.V. m. § 39 SGB VIII vorleistungspflichtig ist und die Mitgliedschaft des Kindes in einer gesetzlichen oder privaten Krankenkasse auf Kosten Unterhaltspflichtiger oder Dritter gewährleistet sein muss. Abs. 3 des Art. 86 enthält eine Neuregelung für kranke Kinder in der Mutter-KindEinrichtung, die in der Anstalt gesundheitlich nicht adäquat versorgt werden können. Danach sind derartig kranke Kinder mit ihrer Mutter, wenn ihre Anwesenheit medizinisch angezeigt ist und vollzugliche Gründe nicht entgegenstehen, in ein Krankenhaus außerhalb der Anstalt zu verlegen. Art. 168 BayStVollzG übernimmt § 142 StVollzG, nach der in Anstalten für Frauen Mutter-Kind-Einrichtungen vorgehalten werden sollen. Dagegen blieb die Soll-Vorschrift in § 143 Abs. 3 mit der Belegungsobergrenze von 200 weiblichen Gefangenen in Frauenanstalten erwartungsgemäß außen vor. Die Betreibung einer derart kleinen Justizvollzugsanstalt wird als unwirtschaftlich betrachtet. 302 Die Praxis weicht von dieser Regelung ohnehin ab: So stellt die JVA Aichach über 400 Haftplätze für Frauen zur Verfügung. Wenngleich Regelungen für Schwangere und Mütter mit Kleinkindern in Justizvollzugsanstalten zu befürworten sind, ist es bedauerlich, dass sich die Besonderheiten im Frauenvollzug ausschließlich auf die Mutterrolle konzentrieren. Auf der einen Seite beziehen sich die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze von 2006 für die Unterbringung von Kleinkindern auf beide Elternteile (Nr. 36). Auf der anderen Seite möchten die Grundsätze im Abschnitt über inhaftierte Frauen deren spezifische Behandlungsbedürfnisse berücksichtigt wissen, um etwaigen Benachteiligungen aufgrund ihres Geschlechts entgegenzusteuern. 302

Arloth / Lückemann (2004), § 143 Rn. 4.

F. Das Bayerische Strafvollzugsgesetz

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IX. Sicherheit und Ordnung Auf dem Gebiet der Sicherheit und Ordnung wurden die Bestimmungen des StVollzG größtenteils übernommen. 303 Art. 90 BayStVollzG berücksichtigt über § 83 StVollzG hinausgehend die Abgabe von Gegenständen an Mitgefangene, d. h. disziplinarrechtlich liegt nun auch bei dem gebenden Gefangenen eine schuldhafte Pflichtverletzung vor. 304 In Art. 91 Abs. 1 S. 2 BayStVollzG wurde ein zweiter Halbsatz eingefügt, nach dem das Absuchen mit technischen oder sonstigen Hilfsmitteln (Handdetektorsonde, passiv verweisender Rauschgiftspürhund) als milderes Mittel zulässig ist und auch von Personen anderen Geschlechts durchgeführt werden darf. Dem ist insofern zuzustimmen, wenn gewährleistet ist, dass das Absuchen ohne Körperkontakt erfolgt. 305 Leider wurden keine detaillierten Verfahrensweisen zur Durchführung von Haftraumdurchsuchungen und körperlichen Durchsuchungen entwickelt. In dieser Hinsicht bleibt der allgemein gehaltene Art. 91 BayStVollzG hinter den Anforderungen in den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen von 2006 (Nr. 54) deutlich zurück. Grundlegende Erweiterungen wurden bei den erkennungsdienstlichen Maßnahmen in Art. 93 BayStVollzG im Vergleich zu den §§ 86, 86a StVollzG vorgenommen. Neben der Sicherung des Vollzugs, also um die Fahndung und Wiederaufgreifung flüchtiger Gefangener zu erleichtern, sind die in Abs. 1 abschließend angeführten erkennungsdienstlichen Maßnahmen nun auch zur Aufrechterhaltung der anstaltsinternen Sicherheit und Ordnung, insbesondere der Identitätsfeststellung, erlaubt. Erstmals können biometrische Daten erfasst und elektronisch gespeichert werden. Begründet wird dies mit der Unübersichtlichkeit und hohen Fluktuation in großen Justizvollzugsanstalten, um derart Fehlentlassungen zu vermeiden. 306 Abs. 2 entspricht hinsichtlich der Speicherung oder sonstigen Aufbewahrung zwar weitgehend Abs. 2 des § 86 Abs. 2 StVollzG, doch dürfen die gem. Abs. 1 gewonnenen Erkenntnisse oder Daten über die Gefangenenpersonalakte hinaus in anderen personenbezogenen Dateien gespeichert werden. Nicht übernommen wurde Abs. 3 des § 86 StVollzG zur Vernichtung erkennungsdienstlicher Unterlagen, da die Regelung wegen der Herausnahme der Lichtbilder und der festgestellten körperlichen Merkmale als überflüssig erachtet wird und sich sowohl die Vernichtung als auch die Löschung nach Art. 202 BayStVollzG richtet. 307 Aus datenschutzrechtlicher Sicht stoßen die Weiterun303 Art. 87, 88, 89, 92, 95, 98, 99, 100 BayStVollzG entsprechen §§ 81, 82, 93, 199 Abs. 1 Nr. 4, 85, 87, 90, 91, 92 StVollzG. 304 Gesetzesbegründung, S. 77 f.; die Eigengeldregelung des § 83 Abs. 2 StVollzG wurde in Art. 52 BayStVollzG aufgenommen. 305 Bei den Zugangskontrollen in den Flughäfen werden die Passagiere in Deutschland nur von Personen des eigenen Geschlechts abgesucht, zumal das Procedere oft mit einem Abstreichen der Kleidung verbunden ist. 306 Gesetzesbegründung, S. 79.

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gen hinsichtlich der Erfassung und Speicherung biometrischer Merkmale auf Bedenken. Überdies wurde den Gefangenen das Recht auf Vernichtung der erkennungsdienstlichen Unterlagen genommen. Allerdings finden sich zu datenschutzrechtlichen Aspekten in den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen von 2006 keine Empfehlungen. Neu ist Art. 94 BayStVollzG über Maßnahmen zur Feststellung des Suchtmittelkonsums von Gefangenen. Abs. 1 stellt die Anordnung entsprechender Maßnahmen im Allgemeinen und im Einzelfall in das Ermessen der Anstaltsleitung. Hauptsächlich geht es um die Feststellung des Konsums von illegalen Drogen i. S. d BtmG (Urinproben). 308 Hiervon unberührt bleibt die Anordnung medizinischer Drogentests gem. Art. 58 Abs. 2 BayStVollzG. Im Fall von aufgedecktem Suchtmittelmissbrauch können die Kosten der Maßnahme nach Abs. 2 dem Gefangenen auferlegt werden. 309 Bei den besonderen Sicherungsmaßnahmen wird die Beobachtung bei Nacht gem. § 88 Abs. 2 Nr. 2 StVollzG in Art. 96 Abs. 2 Nr. 2 modifiziert. So wurde die Beschränkung auf die Nachtzeit aufgehoben, weil auch tagsüber konkrete Gefahren (Suizidgefahr) insbesondere bei beschäftigungslosen Gefangenen bestehen. In diesen Fällen ist noch dazu der Einsatz von technischen Mitteln wie die Kameraüberwachung zulässig. Die visuelle Kontrolle nimmt dem Betroffenen jegliche Rückzugsmöglichkeit im Haftraum. Obgleich es sich um eine Schutzmaßnahme handelt, erhebt sich die Frage, ob dem Betroffenen nicht ein Rest an Intimität belassen werden sollte. 310 Vorzugswürdiger erscheint die Gemeinschaftsunterbringung mit zuverlässigen Gefangenen oder die Einzelunterbringung jeweils verbunden mit Kontrollen von Vollzugsbediensteten in regelmäßigen Abständen. Die bayerischen Regelungen zu den besonderen Sicherungsmaßnahmen stehen im Einklang mit den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen von 2006. In Nr. 51 bildet die technische Sicherheit einen wichtigen Aspekt, doch wird ein möglichst schonender Einsatz zugunsten von dynamischer bzw. sozialer Sicherheit empfohlen. Da die besonderen Sicherungsmaßnahmen ausschließlich für bestimmte Risikogruppen in Betracht kommen, lässt sich dem BayStVollzG ein zurückhaltender und begrenzter Anwendungsbereich entnehmen. 311 307

Gesetzesbegründung, S. 79 f. Gesetzesbegründung, S. 80. 309 Die Kostenauferlegung hat Sanktionscharakter und erscheint vor diesem Hintergrund höchst problematisch. 310 Die Kameraüberwachung dürfte in Hafträumen ohne abgetrennten Nassbereich wegen des Schutzguts der Privatsphäre gem. Art. 2 Abs. 1 GG und wegen der Menschenwürde gem. Art. 1 GG unzulässig sein. 311 Art. 97 BayStVollzG entspricht fast vollständig § 89 StVollzG, wobei Abs. 2 S. 2 nicht übernommen wurde; nach der Gesetzesbegründung gelten die Teilnahme am Gottesdienst oder an der Freistunde weiterhin nicht als Unterbrechung der Absonderung; Gesetzesbegründung, S. 81. 308

F. Das Bayerische Strafvollzugsgesetz

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Während aus Gründen der Rechtsklarheit die bundeseinheitlichen Regelungen der §§ 94 bis 101 StVollzG in den Art. 101 bis 108 BayStVollzG inhaltlich unverändert aufgenommen wurden 312, wurde der abschließende Katalog der Disziplinarmaßnahmen in Art. 110 BayStVollzG erweitert: Abs. 1 Nr. 2 ermöglicht den Entzug des Sondereinkaufs, um den Sanktionsgehalt der Disziplinarmaßnahme zu erhalten. 313 Der Sondereinkauf ersetzt jedoch die Pakete mit Nahrungs- und Genussmitteln, die zwar auf illegale Substanzen und Gegenstände kontrolliert und ggf. einbehalten wurden, deren Empfang aber disziplinarisch nicht entzogen werden konnte. Insofern erfahren die Gefangenen mit der Einbeziehung des Sondereinkaufs in den Disziplinarmaßnahmenkatalog eine kaum einzusehende Schlechterstellung. Dagegen ist die Änderung in Abs. 1 Nr. 3 sinnvoll: So wurde auf die Übernahme des bis zu zweiwöchigen Entzugs des Lesestoffs verzichtet. Positiv zu bewerten ist die Abschaffung des Spiegelungsprinzips des § 103 Abs. 4 S. 1 StVollzG für die Disziplinarmaßnahmen in Abs. 1 Nr. 3 – 8, da der pädagogische Nutzen für den Behandlungsvollzug zweifelhaft ist, wenn Gefangenen durch den Entzug von Befugnissen, die ihnen Schwierigkeiten bereiten, ein elementares Lernfeld vorenthalten wird. 314 Die Durchführung des Disziplinarverfahrens erfuhr in Art. 113 BayStVollzG eine zu begrüßende Klarstellung. Gemäß dem neuen Satz 2 werden die Gefangenen vor der Anhörung darüber unterrichtet, welche Verfehlung ihnen zur Last gelegt wird und dass es ihnen freisteht, sich zur Sache zu äußern. Während die Konsultationspflicht der an der Behandlung beteiligten Bediensteten in schweren Fällen entsprechend Abs. 2 S. 1 beibehalten wurde, ist die Anhörung des Anstaltsarztes vor der Anordnung einer Disziplinarmaßnahme bei seinen Patienten, Schwangeren oder stillenden Müttern weggefallen. Die Gesetzesbegründung versteht die ärztliche Anhörung als bloße Ordnungsvorschrift, die nur bei schwerwiegenden Erkrankungen und nach Art. 114 BayStVollzG vor Vollziehung des Arrests geboten ist. Dem widerspricht das Schrifttum 315 unter Berufung auf eine Entscheidung des OLG Frankfurt, so dass sich an dieser Stelle eine restriktivere Tendenz im BayStVollzG feststellen lässt. Die Regelungen zu den Disziplinarmaßnahmen und zum -verfahren werden den Anforderungen der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze von 2006 (Nr. 56 – 62) weitgehend gerecht. Hinsichtlich der Verkehrsbeschränkung mit extramuralen Personen in Abs. 1 Nr. 7 ist allerdings zu beachten, dass Familienkontakte zwar limitiert, aber nicht gänzlich unterbunden werden dürfen (Nr. 60.4). 316 Während im Grundsatz 59.c ausdrücklich die Hinzuziehung eines 312

Gesetzesbegründung, S. 82. Art. 111, 114 BayStVollzG stimmen mit §§ 104, 107 StVollzG überein, Art. 112 BayStVollzG weitgehend mit § 105 StVollzG, der noch Überstellungen erfasst. 314 Gesetzesbegründung, S. 85, in der Literatur AK-Walter (2006), § 103 Rn. 19 ff.; Schwind / Böhm / Jehle-Böhm (2005), § 103 Rn. 4. 315 Calliess / Müller-Dietz (2005), § 106 Rn. 5; AK-Walter (2006), § 106 Rn. 7. 316 European Prison Rules 2006, S. 79. 313

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rechtlichen Beistands angesprochen wird, findet sich im BayStVollzG erstaunlicherweise keine entsprechende Regelung. Selbstverständlich können Gefangene jedoch einen Rechtsanwalt in Disziplinarangelegenheiten beauftragen (entsprechend § 138 StPO); eine diesbezügliche Klarstellung wäre wünschenswert. 317 X. Beschwerde und Gefangenenmitverantwortung Beschwerde und Gefangenenmitverantwortung werden im BayStVollzG in einem eigenen Abschnitt zusammengefasst. Der gerichtliche Rechtsschutz wird weiterhin mittels Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 109 ff. StVollzG aufgrund der Verweisung in Art. 208 BayStVollzG gewährt. Das Beschwerderecht in Art. 115 BayStVollzG entspricht § 108 StVollzG. Die Gefangenenmitverantwortung in Art. 116 BayStVollzG wurde fortentwickelt. So wird im neuen Abs. 1 S. 2 eine weitgehende Übernahme der Mitverantwortung für die alltäglichen Abläufe angestrebt. Der neue Abs. 2 betont, dass die Anstalten die Einrichtung von Mitwirkungsgremien fördern und begleiten sollen. In diesem Rahmen soll die Wahl von Gefangenenvertretern ermöglicht werden, die ihre gemeinsamen Interessen der Anstaltsleitung und dem Beirat darlegen können. XI. Aufbau der Justizvollzugsanstalten Der Abschnitt zu Arten und Einrichtung der Justizvollzugsanstalten in Art. 165 bis 172 BayStVollzG entspricht in weiten Teilen den §§ 139 bis 146 des StVollzG. 318 Art. 170 übernimmt Abs. 1 des § 144 StVollzG zur Größe und Ausgestaltung der Räume und ergänzt damit Art. 19 bis 21 BayStVollzG zur Unterbringung der Gefangenen. Die Frage nach Größe und Luftrauminhalt von Einzelund Gemeinschaftszellen bleibt offen. Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze von 2006 fordern den nationalen Gesetzgeber zur gesetzlichen Niederlegung von Mindeststandards für eine menschenwürdige Unterbringung in Hafträumen bzgl. Fläche, Belüftung, Beleuchtung, Heizung und Ventilation mit Rücksicht auf die Intimsphäre auf, die nicht durch die Überbelegung von Justizvollzugsanstalten unterlaufen werden dürfen (Nr. 18.1 –4). Diese Mindeststandards werden entsprechend der BayVV zu § 144 StVollzG in einer Verwaltungsvorschrift festgelegt. Dieses Vorgehen dürfte den Anforderungen des Regelwerks genügen.

317

Auch AK-Walter (2006), § 106 Rn. 8. Nicht erörtert werden die Vorschriften für sozialtherapeutische Einrichtungen, für den Vollzug der Sicherungsverwahrung und der Jugendstrafe, weil sie für die vorliegende Studie im Frauenvollzug keine bzw. wenig Relevanz haben. 318

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Für die innere Struktur der Justizvollzugsanstalten gilt gem. Art. 175 BayStVollzG weiterhin das allgemeine Gebot der Zusammenarbeit zwischen in und außerhalb des Vollzugs tätigen Personen und Gruppen. Im neuen Satz 2 des Abs. 1 wird erneut die Sicherungsaufgabe hervorgehoben, die durch die erforderlichen organisatorischen Maßnahmen und geeignete Behandlungsmaßnahmen zu gewährleisten ist. Auch wenn der Hinweis als bloße Klarstellung begriffen werden kann, mag diese Akzentuierung in der Praxis die Sicherungsaufgabe noch mehr in den Vordergrund schieben und im Zweifel zur Zurückstellung des Behandlungsauftrags führen. Der neue Abs. 4 unterstreicht die Bedeutung der Entlassungsvorbereitung in Kooperation mit extramuralen Einrichtungen (Aufsichtsstelle der Führungsaufsicht, Anlaufstellen für Entlassene), um Gefangenen den Übergang vom streng strukturierten Anstaltsalltag in ein eigenverantwortliches Leben in Freiheit zu erleichtern. 319 Es ist zu begrüßen, dass die Entlassungsvorbereitung im Rahmen der Zusammenarbeit in und außerhalb der Anstalt nochmals aufgegriffen wird und den Grundsatz der durchgehenden Betreuung stärkt. Damit werden die Empfehlungen Nr. 107.4 und 107.5 der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze von 2006 gesetzlich verankert. Während die Regelungen der §§ 155, 156 StVollzG zu den Vollzugsbediensteten und zur Anstaltsleitung in den Art. 176, 177 BayStVollzG übernommen wurden, wurden die Regelungen zu den Fachdiensten 320 ergänzt oder neu eingeführt. Zur Seelsorge gibt es im neuen Abs. 4 des Art. 178 BayStVollzG eine Aufgabenbeschreibung. Neben der religiösen Betreuung sind die Seelsorger ebenso wie die Vertreter der anderen Fachdienste (Art. 180 –182 Abs. 2 S. 2 BaystVollzG) in den Behandlungsprozess eingebunden und wirken bei der Behandlungsuntersuchung, beim Vollzugsplan, bei der Freizeitgestaltung und der sozialen Hilfe der Gefangenen mit; darüber hinaus sind sie an der Aus- und Fortbildung der Vollzugsbediensteten beteiligt. Gänzlich neue Vorschriften (Art. 180 bis 182 BayStVollzG) wurden für den pädagogischen, sozialen und psychologischen Dienst erlassen. Im jeweiligen Abs. 1 wird die hauptamtliche Anstellung statuiert, die aus besonderen Gründen nebenamtlichen oder vertraglich verpflichteten Lehrkräften bzw. Psychologen übertragen werden kann. Der jeweilige Abs. 2 enthält eine Aufgabenbeschreibung entsprechend der BayVV zu § 155 StVollzG Nr. 2 und 3. Nach Art. 180 Abs. 2 S. 1 BayStVollzG obliegt den Lehrkräften die Unterrichtserteilung, die Ausbildungsorganisation für die Gefangenen, die Sorge für sonstige Maßnahmen der Aus- und Weiterbildung der Gefangenen sowie 319 Gesetzesbegründung, S. 149 in der insbesondere eine sorgfältige Entlassungsvorbereitung für gefährliche Gefangene angemahnt wird; da weibliche Gefangene insgesamt als weniger gefährlich als männliche Gefangenen eingestuft werden, könnte diese Auslegungsrichtlinie zu einer Vernachlässigung der Entlassungsvorbereitung im Frauenvollzug führen. 320 Bis auf den medizinischen Dienst in Art. 179 BayStVollzG, der § 158 StVollzG entspricht.

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die berufsbezogene Beratung und Betreuung der Gefangenen. Zu den Aufgaben des psychologischen Dienstes gehört nach Art. 182 Abs. 2 S. 1 BayStVollzG die Diagnostik und Prognostik, Krisenintervention und psychologische Beratung, Psychotherapie sowie Dokumentation und Evaluation. Im Unterschied zu den anderen Fachdiensten wird der Kompetenzbereich des Sozialdienstes mit dem ausfüllungsbedürftigen Begriff „soziale Hilfe“ in Art. 181 Abs. 1 S. 1 BayStVollzG nur vage umschrieben; eine konkretere Beschreibung ihres Aufgabengebiets wäre hilfreich. 321 Erfreulich ist, dass der Aufgabenrahmen der Fachdienste und ihre notwendige Mitwirkung im Behandlungsprozess gesetzlich fixiert worden sind. In diesem Rahmen gehen die Regelungen im BayStVollzG über die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze von 2006 hinaus. 322 XII. Resümee Im BayStVollzG lassen sich sowohl Fortschritte als auch Rückschritte beim Vollzug von Freiheitsstrafen konstatieren. Als erfreuliche Innovation ist die offene Bestimmung des Begriffes „Behandlung“ und die gesetzliche Darlegung der Verantwortlichkeiten der Fachdienste zu bewerten, die in diesem Bereich inhaltlich über die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze von 2006 hinausreichen. Mit der Gleichrangigkeit von Behandlungs- und Sicherungsauftrag weicht das BayStVollzG in seiner Grundorientierung vom StVollzG mit dem alleinigen Vollzugsziel der Resozialisierung ab und steht damit zugleich im Widerspruch zu den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen von 2006 (Nr. 102.1). Darüber hinaus wird der Sicherungsauftrag in verschiedenen Abschnitten des BayStVollzG akzentuiert und konkretisiert. Dies gilt vor allem für die Öffnung des Vollzugs mit der Verlegung in den offenen Vollzug, den Vollzugslockerungen und dem Hafturlaub. Die im Vergleich zu anderen Bundesländern ohnehin restriktive Position in Bayern könnte sich zukünftig verstärken, da aufgrund der Abwägung zwischen gleichwertigen Vollzugsaufgaben resozialisierungsfreundliche Entscheidungen zugunsten des Sicherungsinteresses weiter zurückgedrängt werden können. 323 Hinsichtlich der Öffnung des Vollzuges lassen sich jedoch De321 Das bayerische Staatsministerium der Justiz gibt den sozialen Diensten in den Justizvollzugsanstalten bestimmte Methoden für professionelle sozialpädagogische Arbeit an die Hand, nach denen sie bei ihrer Arbeit im Strafvollzug verfahren sollen; vgl. Riemer (2006), S. 92; www.justizvollzug-bayern.de/JV/Berufe/Berufsfelder/Sozialpaedagogen v. 4. 4. 2006. 322 Art. 183, 184 BayStVollzG stimmen mit §§ 159, 161 StVollzG überein; im Unterschied zur Auslegung eines Abdrucks der Hausordnung im Haftraum ist jedem Gefangenen ein Exemplar auszuhändigen; in der Praxis werden die ausgelegten Haftordnungen häufig beschädigt oder entfernt; Gesetzesbegründung, S. 153; auf die folgenden Bestimmungen zu Anstaltsbeiräten, kriminologischer Forschung, dem Vollzug des Strafarrestes, den Akten, dem Datenschutz und der Arbeitslosenversicherung wird mangels Bedeutung für die durchgeführte Studie nicht nachgegangen.

G. Zusammenfassung

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fizite in den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen von 2006 feststellen. Gerade in diesem Bereich wäre eine größere Empfehlungsdichte wünschenswert. Bedauerlich ist, dass intramurale Außenkontakte nicht ausgeweitet, sondern in Teilen beschränkt wurden, d. h. die Regelbesuchszeit für Erwachsene aus dem StVollzG beibehalten wird, Langzeitbesuche unberücksichtigt bleiben, die Telefonnutzung streng begrenzt ist und der Paketempfang mit Nahrungs- und Genussmitteln vollständig wegfällt. Darin kommt erneut eine sicherungsfreundliche Tendenz zum Ausdruck. Leider wurden in diesem Zusammenhang die Empfehlungen (Nr. 24) der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze von 2006 zu Telefonaten und Langzeitbesuchen nicht berücksichtigt. Negativ schlägt auch zu Buche, dass den Gefangenen weniger Rechte zustehen, aber mehr Pflichten aufgebürdet werden. Auf der einen Seite wurde die Kostenbeteiligung, beispielsweise bei der Gesundheitsvorsorge und auch bei Disziplinarverfahren, zu Lasten der Gefangenen ausgeweitet. Die mögliche Kostenbeteiligung widerspricht jedoch dem internationalen Grundsatz der Kostenfreiheit der Gesundheitsvorsorge im Strafvollzug. Auf der anderen Seite wurden die Ansprüche der Gefangenen entweder aufgeweicht oder beseitigt, was beispielsweise die Einzelunterbringung, aber auch die Gewährung von sozialer Hilfe betrifft. Die stärkere Inpflichtnahme der Gefangenen wird in Teilen mit der Förderung der Selbstverantwortlichkeit begründet. Dies erscheint jedoch paradox, wenn sich die Eigenständigkeit überwiegend in einer Kostenbeteiligung erschöpft, jedoch keine Ansprüche i. S. d. Behandlungsauftrags eingefordert werden können. Vielmehr könnten sich insbesondere bei der Gesundheitsversorgung das Gefühl der Ohnmacht und der Fremdbestimmung vertiefen. Auf diese Weise besteht die Gefahr, dass die Passivität in größerem Maße um sich greift und der Behandlungsvollzug einer noch kleineren Gruppe von hochmotivierten Gefangenen offen steht. Die Kostenbeteiligung könnte die Resozialisierungschancen im Endeffekt weiter beschneiden. 324

G. Zusammenfassung Die 1990er Jahre bis zum Jahr 2007 kennzeichneten einerseits eine stete Zunahme der Gefangenenpopulation und andererseits eine veränderte Zusammensetzung der Gefangenen. Dieser Wandel betraf nicht nur inhaftierte Männer, sondern auch inhaftierte Frauen: So verdoppelte sich fast die Anzahl der weib323 Während Vollzugslockerungen wegen des einzigen Vollzugsziels der Resozialisierung in Zweifelsfällen gewährt werden konnten, spricht die Gleichrangigkeit für eine Versagung. 324 So im Ergebnis auch Köhne / Feest, ZStrVo 2006, S. 76, die sich gegen die Stromkostenbeteiligung und die Ausweitung auf andere Kostenbereiche aussprechen.

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lichen Strafgefangenen von 1995 (1.706) bis 2007 (3.377). Als eine Ursache für dieses Wachstum gilt die verschärfte Sanktionspraxis auf dem Gebiet der Betäubungsmitteldelikte mit der Folge, dass mehr und längere Freiheitsstrafen verhängt werden. 325 Auf die repressivere Kriminalpolitik und im Gefolge die Strafrechtsreformgesetze von 1998 kann jedoch der starke Anstieg der weiblichen Strafgefangenenpopulation vermutlich nicht zurückgeführt werden. Die Gründe für die rasante Steigerung im Frauenvollzug liegen bislang weitgehend im Dunkel. 326 Die Besonderheiten von weiblichen Gefangenen hinsichtlich der Legal- und Sozialbiografie (geringere Gefährlichkeit, Drogenabhängigkeit, Mutterrolle), die eine Resozialisierung hemmenden Prisonierungseffekte (weniger Subkultur und Aggressivität, Entlassung als neuralgische Phase) und die frauenspezifischen Behandlungsansätze im Vollzug (gender mainstreaming) unterstreichen auf den ersten Blick die Notwendigkeit eines eigenständigen Frauenvollzuges. Angesichts der kleinen weiblichen Gefangenenpopulation und der daraus resultierenden Organisationsschwierigkeiten (Einhaltung der Trennungsprinzipien) stellt sich die Frage, ob sowohl in Männeranstalten mit Frauenabteilungen als auch in Frauenanstalten den Problemen und Bedürfnissen von Insassinnen gegenwärtig adäquat Rechnung getragen wird und in welchem Umfang ihnen Hilfestellungen zur Resozialisierung gegeben werden. Weitere Problemkreise beziehen sich auf die tatsächliche Situation (medizinische Versorgung, Beziehung zu Mitinsassinnen und zum Vollzugspersonal, Unterbringung usw.) der Insassinnen im Strafalltag, Möglichkeiten zur Weiterentwicklung ihrer Persönlichkeit und Perspektiven für eine erfolgreiche Legalbewährung. In rechtlicher Hinsicht verfügt das StVollzG hauptsächlich über frauenspezifische Vorschriften zu werdenden und stillenden Müttern. Einzelne Regelungen zu Vorsorgeuntersuchungen und zur Personendurchsuchung richten sich an alle Insassinnen. Das neue BayStVollzG übernimmt diese Bestimmungen, verzichtet aber auf die aus Behandlungsgründen eingeführte Belegungsobergrenze. In diesem Zusammenhang wird das BayStVollzG den Anforderungen der neuen Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht. Zum einen kennt das BayStVollzG keine frauenspezifische Vorschrift, die auf die Berücksichtigung von bildungsmäßigen, physischen und psychischen Bedürfnissen von Insassinnen und in Bezug auf die Zuweisung von Arbeit auf Gleichbehandlung dringt. Zum anderen wird auf Personalebene im Frauenvollzug eine ausgewogene Geschlechterverteilung im allgemeinen Vollzugsdienst ignoriert. Schließlich steht die Gleichrangigkeit von Behandlung und Sicherheit nicht im Einklang mit der alleinigen Zielsetzung der Resozialisierung in den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen. 325 326

Kaiser / Schöch, Strafvollzug, § 5 Rn. 31; Zolondek, FS 2008, S. 36. Zolondek, FS 2008, S. 36.

Teil 4

Methoden der Untersuchung A. Stand der Forschung Auf internationaler, supranationaler und nationaler Ebene besteht ein klares Defizit an empirischen Erkenntnissen über den Frauenstrafvollzug im Lichte der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze. Jedoch führt die Strafvollzugsforschung ohnehin ein Schattendasein in der Kriminologie. 1 Während in den 1960er und 1970er Jahren aufgrund der Behandlungseuphorie auf diesem Gebiet ein hohes Interesse zu verzeichnen war, konzentrierte sich die kriminologische Forschung im Laufe der 1980er Jahre auf die Untersuchung von Alternativen zur Freiheitsstrafe (z. B. gemeinnützige Arbeit). Diese Entwicklung lässt sich vermutlich auf die enttäuschenden Befunde der Behandlungsforschung („nothing works“) zurückführen. Seit den 1990er Jahren kann jedoch von einer vorsichtigen Wiederbelebung des Behandlungsgedankens („something works“) gesprochen werden. 2 Zur Effizienz von Behandlungsprogrammen im deutschen Frauenvollzug liegen allerdings nach wie vor keine systematischen Ergebnisse vor. 3 I. Untersuchungen zu den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen Untersuchungen zu inhaftierten Frauen unter Berücksichtigung der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze gibt es bislang vereinzelt bzw. in Ansätzen. Die Erforschung zur Anwendung und Durchführung von „soft-law“ steckt mithin noch in ihren Anfängen. In jüngerer Zeit lässt sich ein wachsendes Forschungsinteresse am Durchsetzungsprozess von Regelwerken der Vereinten Nationen und des Europarats in den Mitgliedstaaten beobachten. 4 1994 wurden die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze erstmals in einer Studie in Bezug auf ihre 1

Dünkel (1996), S. 4 ff., S. 29. Dünkel / Snacken, ZfStrVo 2001, S. 198 m.w. N. 3 Vgl. den Überblick bei Zolondek (2007), S. 24 ff. unter Einbeziehung nordamerikanischer Studien und den Band von Sheehan / McIvor / Trotter (2007). 4 Vgl. für Deutschland Kiessl (2001); Morgenstern (2002); Neubacher, ZfStrVo 2001, S. 212 – 216. 2

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Teil 4: Methoden der Untersuchung

Umsetzung in Zentral- und Osteuropa untersucht. 5 Mittels eines qualitativen Ansatzes („key person approach“) wurden jeweils der verantwortliche Minister, die Vollzugsleitung und Nichtregierungsorganisationen befragt. Zusätzlich fanden Besuche in sieben Ländern statt. 6 Dabei wurden inhumane Vollzugsbedingungen (Versorgungsengpässe aufgrund von Überbelegung, überalterte Vollzugsanstalten, unhaltbare hygienische Verhältnisse) bei der Implementation menschenrechtlicher Standards konstatiert. 2003 bestehen ausweislich der fortgeführten Studie trotz Verbesserungen nach wie vor beträchtliche Defizite. 7 In Deutschland führte Zolondek von November 2003 bis November 2005 eine vergleichende Studie zum Frauenstrafvollzug in acht europäischen Ländern 8 durch. Mit Hilfe einer multi-modalen Vorgehensweise wurden eine umfassende Bestandsaufnahme mit unmittelbar vergleichbaren Daten aus den beteiligten Ländern und eine höchstmögliche Perspektivenvielfalt angestrebt. 9 Das langfristige Ziel des Projektes bestand darin, Impulse für länderübergreifende Verbesserungen in den Frauenhaftanstalten zu geben und dadurch die durchgängige Behandlung und Wiedereingliederung weiblicher Strafgefangener zu fördern. 10 Der Vergleich berücksichtigte sowohl länderspezifische Eigenheiten als auch Gemeinsamkeiten des Strafvollzugs der Länder. In diesem Rahmen interessierten neben den strukturellen Rahmenbedingungen des Lebensumfelds und der Lebenssituation auch die Einschätzungen weiblicher Inhaftierter zu Lebensbedingungen und -qualität. Aus dem Vergleich sollten „best practices“ für mögliche Reformen im Sinne einer bedarfsgerechten Vollzugsgestaltung ermittelt werden. Schließlich sollte ein Trainingsmanual für den Umgang mit weiblichen Gefangenen und ein Anforderungsprofil für das Vollzugspersonal erstellt werden. Die Erhebungsinstrumente wurden maßgeblich von den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen geprägt und spiegeln verschiedene Empfehlungen wider. 11 In Deutschland nahmen insgesamt 80 Frauen des geschlossenen Vollzugs aus vier Justizvollzugsanstalten an der nicht repräsentativen Befragung teil. 12 5

Walmsley (1996). Besuche in Bulgarien, Moldawien, Polen, Rumänien, Russland, Tschechien, Ungarn; des Weiteren nahmen an der Befragung Albanien, Estland, Kroatien, Lettland, Litauen, Slowakei, Slowenien, die Ukraine und Weißrussland teil. 7 Walmsley (2003); ders. (2005). 8 Die EU-Länder Dänemark, Deutschland, Griechenland, Litauen, Polen, Slowenien, Spanien und Nichtmitglied Kroatien; ursprünglich war auch die Teilnahme von Russland vorgesehen; Zolondek (2007), S. 115. 9 Basisfragebogen zur Anstalt; schriftliche, standardisierte Befragung von Insassinnen; schriftliche, teilstandardisierte Befragung von Bediensteten; Beobachtung in den Justizvollzugsanstalten, Zolondek (2007), S. 116; zum Männererwachsenenvollzug wurde ebenfalls in den Ostseeanrainerstaaten eine Untersuchung von 2003 –2006 durchgeführt („Mare-Balticum-Prison-Survey“); Dünkel, in: FS für Jung, S. 102. 10 Zolondek (2007), S. 117 f. 11 Zolondek (2007), S. 120. 6

A. Stand der Forschung

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Im Ländervergleich bescheinigt die Studie dem Frauenvollzug in Dänemark die besten Haftbedingungen. 13 Im Unterschied zu den anderen Staaten wurde dort der Grundsatz der Einzelunterbringung 14 durchgängig verwirklicht, noch dazu gab es niedrigere äußere Sicherheitsstandards. Den Vollzugsalltag zeichnete dort das Prinzip der Selbstversorgung in eigenen Angelegenheiten (Einkäufe, Kochen, Waschen) aus. 15 In Deutschland kommt die Studie insgesamt zu einem positiven Ergebnis, doch stellten sich als gravierende Defizite die Überbelegung und die Arbeitslosigkeit heraus. Im Ländervergleich war die hohe Belastung mit Inhaftierten bemerkenswert, die Betäubungsmittelprobleme und psychische Auffälligkeiten aufwiesen. In Spanien überzeugte das vielfältige Ausbildungs- und Bildungsangebot. In Kroatien ließen sich zwar objektiv keine schlechteren Haftbedingungen ermitteln, zumal ausreichend Arbeit vorhanden war, doch fielen die subjektiven Befindlichkeiten negativ ins Gewicht, die insbesondere durch Umgebungsstressoren wie Lärm oder schlechte Luft hervorgerufen wurden. Dagegen waren in Litauen vor allem die Unterbringung in großen Schlafsälen und die insgesamt geringen Besuchsmöglichkeiten zu beanstanden; andererseits wurden Langzeitbesuche ermöglicht und ein umfangreiches und differenziertes (Aus-)Bildungsprogramm angeboten. Vielfältige Probleme belasteten den Frauenvollzug in Polen: In vielen Bereichen wie Freizeit, Bildung, Arbeit und deren Vergütung ließen die Haftbedingungen zu wünschen übrig. Im Ländervergleich wurden allerdings die Insassinnen als einzige in die staatliche Rentenversicherung einbezogen. In Slowenien war die vergleichsweise weitestgehende Öffnung zur Außenwelt hinsichtlich Freigang, Ausgang und Urlaub zu begrüßen. In Griechenland war der Frauenvollzug mit erheblichen Problemen konfrontiert und schnitt bei den materiellen Haftbedingungen im Ländervergleich am schlechtesten ab: So fehlte es schon an elementaren Körperpflege- und Hygieneartikeln. Als weiteres beträchtliches Defizit kamen die grundsätzlich mit Trennscheibe durchgeführten Besuche hinzu. 16 Darüber hinaus lag das dortige Strafniveau noch über dem von Litauen, das für lange Freiheitsstrafen bekannt ist. Positiv hervorzuheben war jedoch die beträchtliche Reduzierung der Haftzeiten durch sog. Good-Time-Regelungen. Aus dem Ländervergleich ergaben sich folgende günstige Schlüsselfaktoren („good practices“): weitreichende Besuchsmöglichkeiten (Langzeitbesuche), die Öffnung des Vollzugs zur Außenwelt, vielfältige Behandlungs- und Beratungsangebote für Abhängige und weibliche Inhaftierte 12 12 Frauen der JVA Bützow, 23 der JVA Vechta, 19 der JVA Hildesheim und 26 der JVA Berlin. 13 Hierzu Zolondek (2007), S. 265 ff. 14 Die gemeinsame Unterbringung von Frauen und Männern stellt eine Besonderheit dar. 15 Im Gegensatz zu den anderen Ländern trugen die Inhaftierten in der Regel Anstaltskleidung, ebenso in Kroatien. 16 Ausnahmen nur für minderjährige Kinder der inhaftierten Mütter.

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Teil 4: Methoden der Untersuchung

mit psychischen Problemen, der Grundsatz der Selbstversorgung und die Verbesserung des sozialen Klimas. Aus der Analyse des Forschungsstandes leitet die Autorin die Forderung nach einer Intensivierung der empirischen Frauenvollzugsforschung auf nationaler und internationaler Ebene ab. 17 Neben den Haft- und Lebensbedingungen regt sie vor allem Studien zur Wirksamkeit der Behandlungsprogramme in Deutschland an. Die rechtlichen Regelungen im früheren Strafvollzugsgesetz bzw. der jetzigen Strafvollzugsgesetze der Bundesländer bedürfen nach Ansicht der Verfasserin keiner Ergänzungen für die spezifische Bedürfnislage von Frauen. 18 Die empirischen Befunde zum Frauenstrafvollzug legen weiter den Ausbau des offenen Vollzugs bzw. die Nutzung der vorhandenen offenen Kapazitäten nahe und auf gerichtlicher Ebene die Strafaussetzung zur Bewährung, im Vollzug die Zurückstellung der Strafvollstreckung § 35 BtmG sowie die Zurückdrängung der Ersatzfreiheitsstrafe. Aus der Analyse der Haft- und Lebensbedingungen im europäischen Ländervergleich werden diverse Empfehlungen zur allmählichen Verbesserung der Situation im Frauenvollzug vorgebracht. Zunächst ist eine menschenwürdige Unterbringung in trockenen, gut beheizten und belüfteten Einzelhafträumen unter Wahrung einer gewissen Privatsphäre und der Versorgung mit Körperpflege- und Hygieneartikeln sicherzustellen. 19 Das Prinzip der Selbstversorgung sollte auf den gesamten Vollzug in den europäischen Ländern übertragen werden, um der vollzugsimmanenten Unselbständigkeit in eigenen Angelegenheiten zu begegnen. Neben der Ausweitung des Behandlungsangebots für psychische Auffälligkeiten bedürfe es Schulungen für Vollzugsbedienstete, um mit den besonderen Schwierigkeiten der weiblichen Inhaftierten umgehen zu können. Während fehlende Privatsphäre, Ausgrenzung durch Mitgefangene und Ablehnung durch Bedienstete Depressionssymptome und das Selbstverletzungsrisiko begünstigen würden, wirke ein positives soziales Klima durch Unterstützung, Öffnung des Vollzuges und häufige Besuche protektiv. Die Schaffung und der Erhalt einer günstigen Anstaltsatmosphäre müsste daher ein zentrales Anliegen sein. Der vielfach bestehenden Arbeitslosigkeit sei langfristig durch Bemühungen zur Einrichtung von neuen Arbeitsplätzen und zum Ausbau des Freigangs, insbesondere in kleinen Abteilungen, abzuhelfen. Das Arbeitsund Ausbildungsangebot sollte sowohl traditionelle Frauensparten als auch moderne und männerorientierte Berufsbilder einschließen. Schließlich plädiert die Autorin für eine Ausweitung der Besuchsmöglichkeiten und unterstützt vor allem den unbeschwerten Kontakt zu Kindern durch längere Besuchszeiten und unüberwachten Besuch. Besuche mit Trennscheibe sollten auf Ausnahmefälle 17

Zu den Empfehlungen Zolondek (2007), S. 267 ff. Eine besondere Vorschrift zum Strafvollstreckungsaufschub für Schwangere oder stillende Mütter erscheint wegen der Regelung in § 456 Abs. 1 StPO überflüssig. 19 Den Empfehlungen der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze entspricht nicht die Vollzugspraxis einiger europäischer Länder, insbesondere Griechenland. 18

A. Stand der Forschung

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beschränkt werden. Um Insassinnen ohne Außenkontakte eine gesellschaftliche Bindung zu vermitteln, sollten die Anstalten Anstrengungen zur Einbeziehung ehrenamtlicher Vollzugshelfer entfalten. II. Internationale und europäische Untersuchungen zum Frauenvollzug Zum Frauenstrafvollzug entstanden in den 1990er Jahren zwei Untersuchungen mit einem Ländervergleich über Insassinnen aus internationalem bzw. europäischem Blickwinkel. Von 1993 bis 1997 beschäftigte sich eine kanadische Forscherinnengruppe mit weiblichen Gefangenen aus 16 geschlossenen und acht offenen Strafanstalten bzw. Übergangshäusern in acht Ländern Nordamerikas (Kanada, USA) und Nordeuropas (Dänemark, Deutschland 20, Finnland, Großbritannien, Norwegen, Schottland). 21 Dabei wurde der Frage nachgegangen, ob die früher festgestellten Defizite im Behandlungsvollzug und die Anlegung zu hoher Sicherheitsstandards in Frauenhaftanstalten nach wie vor Bestand hatten. Die zugrunde gelegten Negativhypothesen wurden weitgehend bestätigt: Kontinentübergreifende Gemeinsamkeiten stellte die Forschungsgruppe hinsichtlich einer Tendenz zur Erhöhung der Sicherheit, zu einer Übersicherung der Strafanstalten, zu völlig unzulänglichen Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten in traditionellen Frauenberufen, zu einer defizitären psychologischen Versorgung sowie zu unzureichenden Kontakten zu Kindern und Ehemann bzw. Lebenspartner fest. Es zeigten sich zwei grundlegende Unterschiede zwischen Anstalten in Nordamerika und Nordeuropa: Selbst zubereitete Mahlzeiten und Mutter-Kind-Einrichtungen fanden sich danach nur im europäischen Strafvollzug. Neben dieser Studie wurde in Europa im Zeitraum von 1996 bis 1999 eine Bestandsaufnahme über den Frauenstrafvollzug in 16 Ländern durchgeführt. 22 Es handelt sich um Beobachtungsberichte über die Haftbedingungen im europäischen Frauenvollzug ohne vergleichende Analyse. 1. Studie zur Integration von Frauen und zum Gefängnis (Women Integration and Prison) Unter Koordination einer katalanischen Organisation 23 lief von November 2002 bis Frühjahr 2005 eine vergleichende Studie zur intramuralen Lebenswirk20

JVA Vechta, JVA Bützow, JVA Bremen. Bertrand (1998); Bertrand, in: Contrasting Criminal Justice 2000, S. 117 ff.; vgl. die Darstellung in Maelicke (1995), S. 93 – 105. 22 Albrecht / Guyard (Hrsg.) (2000), mit Berichten über die Beneluxstaaten, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Italien, Polen, Rumänien, Russland, Spanien, Türkei. 21

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Teil 4: Methoden der Untersuchung

lichkeit von weiblichen Gefangenen und ihren Lebensperspektiven nach der Entlassung in sechs EU-Staaten. 24 In diesem Zusammenhang stand die Effektivität des Behandlungsvollzuges auf dem Prüfstand. Dabei ging es darum, subjektive, soziale und institutionelle Schlüsselfaktoren zu identifizieren, um Interaktionen und Wirkungen im Prozess der sozialen und beruflichen Integration festzustellen. 25 Parallel dazu erarbeiteten die sechs Kooperationspartner politische Empfehlungen bezogen auf das jeweilige Land. Mit Hilfe von nicht repräsentativen Befragungen wurde die Lebenssituation von jeweils 20 Frauen in den verschiedenen Staaten in drei unterschiedlichen Phasen erfasst: In Haft interessierten sowohl Vollzugsalltag als auch die Sozial- und Legalbiografie; nach der Entlassung wurden die Lebenswege soweit möglich verfolgt und die Frauen insgesamt zwei Mal, nach ein bis vier Monaten und nach etwa neun Monaten, aufgesucht. 26 Zusätzlich erfolgte die Befragung von jeweils 25 Experten aus Justiz, Strafvollzug und Straffälligenhilfevereinen. Länderübergreifend wurden bereits vor der Inhaftierung bestehende, soziale Ausgrenzungsfaktoren unter Einbeziehung geschlechtsspezifischer Erfahrungen ausgemacht. 27 Multiple Formen sozialer Ausgrenzung kennzeichnete die Lebenslage einer Vielzahl der interviewten Frauen vor der Haft: Hierzu gehören Arbeitslosigkeit, prekäre wirtschaftliche Verhältnisse, Bildungsdefizite, häusliche Gewalt, ein delinquenzförderndes Milieu und Betäubungsmittelabhängigkeit. In diesem Zusammenhang waren Ausländerinnen und weibliche Roma in höherem und stärkerem Maße von sozialer Randständigkeit betroffen. 28 Im Vergleich zu sozial integrierten Verurteilten wird bei Frauen mit multiplen sozialen Ausgrenzungsfaktoren ein repressiveres Sanktionsniveau vermutet. 29 Diese primäre Ausgrenzung verfestige sich durch die sekundäre Ausgrenzung im Strafvollzug, d. h. insbesondere die Lockerung der Familienbande und die damit verbundene Entfremdung von der Außenwelt. 30 Die Vollzugsgestaltung wies über die Ländergrenzen hinweg vielfältige Mängel auf: Beispielsweise orientierten sich die Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten am traditionellen Frauenbild und entsprachen nicht dem modernen Stand; nur eine Minderheit erreichte psychologische Betreuung bzw. Behandlung. 31 Eine Entlassungsvorbereitung fand in der Regel mangels Etablierung, Koordination und Individualisierung nicht statt. 32 Die 23 SURT Asociación de Mujeres para la Reinserción Laboral (Women’s Organization of Labour Insertion) Barcelona. 24 Deutschland, England und Wales, Frankreich, Italien, Spanien, Ungarn. 25 Cruells / Igareda (2004), S. 2; Tóth (2005), S. 4. 26 Tóth (2005), S. 54 Tiefeninterviews wurden mit zwei Frauen eines jeden Landes geführt. 27 Tóth (2005), S. 7 f., 55. 28 Tóth (2005), S. 9 f., 55. 29 Tóth (2005), S. 17 f. 30 Tóth (2005), S. 55.

A. Stand der Forschung

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befragten Experten begründeten dies mit dem häufig ungewissen Entlassungszeitpunkt und mit zu kurzen Freiheitsstrafen. Im Entlassungsbereich wirkten sich nach Auffassung des Forscherteams Budgetkürzungen und Personalmangel besonders negativ aus. Nach der Entlassung ließen sich Unterschiede zwischen Entlassenen, die im offenen Vollzug untergebracht waren oder im geschlossenen Vollzug Vollzugslockerungen bekamen, und Entlassenen ohne Öffnung zur Außenwelt ausmachen: So fiel der ersten Gruppe der Übergang in die Freiheit leichter, wenn sie während der Inhaftierung Kontakte zur Straffälligenhilfeorganisationen aufbauen konnten. Denn zahlreiche Frauen plagte Orientierungs- und Planlosigkeit, sie fühlten sich überfordert mit den gleichzeitig zu bewältigenden Lebensanforderungen hinsichtlich Unterkunft, Einkommen, dem Wiederaufbau familiärer Beziehungen und der Aussichtslosigkeit der Arbeitssuche. 33 Einmal mehr kristallisierte sich heraus, dass die Zeit nach der Entlassung eine neuralgische Phase ist und die durchgängige Betreuung von der Haft bis in die Freiheit eine entscheidende Weichenstelle für die gesellschaftliche Reintegration bilden könnte. 34 Aus den länderübergreifend vergleichbaren Lebenslagen bringen die verschiedenen Länderteams ähnliche politische Empfehlungen vor. Angesichts von Überbelegung und der schädlichen Folgen des Freiheitsenzugs wird zunächst angemahnt, Alternativen zur unbedingten Freiheitsstrafe entweder anzuwenden oder zu schaffen. 35 Im Strafvollzug komme es bei der Vollzugsgestaltung darauf an, geschlechtsspezifische Unterschiede bei den identifizierten Schlüsselfaktoren weiblicher Inhaftierter (zerrüttete Familienverhältnisse, sexueller Missbrauch, häusliche Gewalt, soziale und stoffgebundene Abhängigkeiten, niedriges Bildungsniveau) zu berücksichtigen. 36 Der deutsche Länderbericht fordert insbesondere 31 Tóth (2005), S. 26 f., 32 ff.; im Ländervergleich war die Ausbildungssituation in den einbezogenen deutschen Frauenanstalten günstiger, so dass sich die Insassinnen Computerkenntnisse aneignen und vertiefen konnten; BAG-F / Universität Lüneburg 2005, S. 55 f.; zu Recht bemerkt Zolondek (2007), S. 14, dass in Männeranstalten mit kleinen Frauenabteilungen wohl von einer wesentlich schlechteren Situation im Ausbildungs- und Arbeitsbereich ausgegangen werden kann. 32 Tóth (2005), S. 40 ff. anders in England und in Deutschland; vgl. den Band von Carlen / Worrall (2004) zu Frauen im Gefängnis, der u. a. die Geschichte, eine Bestandsaufnahme, Alternativen, Erklärungsansätze beleuchtet. 33 Tóth (2005), S. 44 ff. 34 Tóth (2005), S. 56; siehe auch Hermann / Berger, MschrKrim 1997, S. 387, die subkulturelle Orientierungen nach der Entlassung bemerkten. 35 Deutschland: BAG-F / Universität Lüneburg (2005), S. 1; England und Wales: Carlen (Keele Team) (2005), S. 5; Frankreich: Association FAIRE (2005), S. 5; Italien: Antigone-Team (2005), S. 1; Ungarn: The Central Universitiy Team (2005), S. 1. 36 Deutschland: BAG-F / Universität Lüneburg (2005), S. 1 f.; Frankreich: Association FAIRE (2005), S. 5 f.; Italien: Antigone-Team (2005), S. 6 ff.; Spanien: Cruells / Igareda (2005), S. 5 ff.; Ungarn: The Central University Team (2005), S. 3 ff.; eine besondere Situation ist in England und Wales zu konstatieren, Carlen (2005), S. 1 ff.: Obwohl es

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Teil 4: Methoden der Untersuchung

die offene Unterbringung als Regelvollzugsform, die Stärkung der Selbstverantwortlichkeit, die Durchsetzung von Langzeitbesuchen und den Ausbau des Hausfrauenfreigangs; des Weiteren erscheint die Forderung, Anamnesestandards für Kurzzeitaufenthalte zu entwickeln, überaus sinnvoll, da im Frauenvollzug die Verbüßung von Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr noch verbreiteter als im Männervollzug ist. Durchweg werden Verbesserungen bei der durchgängigen Betreuung angeregt, um wegen der besonderen Ausnahmesituation die Legalbewährungsperspektive von entlassenen Frauen zu stärken. 37 Teilweise wird vorgeschlagen, die Öffentlichkeit über Medienkampagnen für die Belange straffälliger und inhaftierter Frauen zu sensibilisieren oder spezielle Abteilungen in den nationalen Vollzugsverwaltungen einzurichten. 38 Während in größeren Ländern mit zentralen Vollzugsverwaltungen die Bildung eigenständiger Abteilungen für Frauen plausibel erscheint, lässt sich diese Idee auf kleine Staaten mit wenigen weiblichen Inhaftierten kaum übertragen, weil es dort nur darum gehen kann, den besonderen Bedürfnissen von Frauen Rechnung zu tragen. 39 2. Drogenkonsumentinnen im europäischen Strafvollzug (Female drug users in European Prisons) Erstmals wurde 2002 eine Studie von sechs europäischen Instituten zu Drogenkonsumentinnen im europäischen Justizvollzug mit einem multizentrischen Forschungsansatz 40 durchgeführt. 41 Zum einen wurde das Ziel verfolgt, die Prävalenz von Betäubungsmittelabhängigen im Strafvollzug und die Erreichbarkeit einer Drogenberatung in Europa festzustellen. 42 Zum anderen ging es um die Forschungen zu Frauenkriminalität und -vollzug, ausführliche und innovative Strategien bzw. Programme zur Resozialisierung gebe, hapere es bislang an der Implementation in der Praxis, was auf finanzielle Engpässe, Überbelegung und das mangelnde Verständnis in Politik und Öffentlichkeit zurückzuführen sei. 37 Deutschland: BAG-F / Universität Lüneburg (2005), S. 2 f.; England und Wales: Carlen (2005), S. 8; Italien: Antigone-Team (2005), S. 10 f.; Spanien: Cruells / Igareda (2005), S. 12 f.; Ungarn: The Central University Team (2005), S. 6 f. 38 England und Wales: Carlen (2005), S. 3 f.; Spanien: Cruells / Igareda (2005), S. 5 f. 39 Die föderale Struktur spricht in Deutschland dagegen, noch dazu aufgrund der Kompetenzaufteilung bei der Vollstreckung (Staatsanwaltschaft) und dem Vollzug (Justizvollzugsanstalten); demgegenüber ist in Schweden das Zentralamt für Vollzug und Vollstreckung (Kriminalvådrsstyrelsen) für beide Aufgaben im gesamten Land gleichermaßen zuständig, so dass hier eine eigene Abteilung Sinn macht; insgesamt ablehnend Zolondek (2007), S. 16. 40 Aktenanalyse, Befragung (n=37) der Vollzugsverwaltungen in 25 EU-Mitgliedsstaaten, strukturierte Befragung von 185 drogenkonsumierenden Insassinnen. 41 ZIS Universität Hamburg, Bisdro Universität Bremen, European Centre for Social Welfare Policy and Research Wien, General Directorate for Substance Abuse and AIDS in Barcelona, Glasgow Caledonian University Department of Psychology, Institute of Psychiatry and Neurology Warschau; http://www.uke.uni-hamburg.de.

A. Stand der Forschung

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Inanspruchnahme solcher Angebote durch die Betroffenen, um Praktiken („best practice“) zur Rückfallvermeidung und Reintegration zu eruieren. Die Befragung der Vollzugsverwaltungen in den damaligen EU-Mitgliedstaaten erbrachte, dass der Anteil der Drogenkonsumentinnen im Strafvollzug stetig wächst und in den meisten Ländern 2002 50 – 70 % der weiblichen Gefangenenpopulation ausmachte. 43 Zwei Hauptprobleme in Bezug auf die Gesundheit (Infektionskrankheiten, psychische Auffälligkeiten) und Rehabilitation kennzeichneten inhaftierte Betäubungsmittelkonsumentinnen. In fast allen Ländern wurden Prophylaxemaßnahmen wie Informationen über Gesundheitsrisiken, Gesundheitserziehung und Hepatitisimpfungen angeboten. In 14 Ländern fanden sich abstinenzorientierte Abteilungen, Selbsthilfegruppen und Peer-Unterstützung für weibliche Gefangene mit Drogenproblemen. 44 Mit Blick auf die Erreichbarkeit von Drogenberatungen zeigte sich, dass psychosoziale Betreuung, individuelle Beratung und Drogenberatung in nahezu allen EU-Mitgliedsstaaten angeboten wurden. 45 Eine medikamentös unterstützte Entgiftung wurde in 22 Ländern bzw. Regionen durchgeführt, wohingegen in 13 Ländern bzw. Regionen eine Entgiftung ohne medikamentöse Behandlung üblich war. 46 Abstinenzorientierte Kurzzeitinterventionen existierten in 19 Ländern bzw. Regionen in allen oder fast allen Anstalten; eine Substitutionsbehandlung fand in 17 Ländern bzw. Regionen in unterschiedlichem Ausmaß statt. Bezug nehmend auf die nationale Prävalenz von inhaftierten Drogenkonsumentinnen und auf die mit Drogen verbundenen Probleme wurde bewertet, ob die Strukturen zu Drogen- und Behandlungsprogrammen für eine Problembewältigung ausreichen. Aufgrund des breiten und differenzierten Prophylaxespektrums galten Schottland, Katalonien, Finnland und Tschechien als vorbildlich. Hinsichtlich der verschiedenen Behandlungsangebote schnitten nochmals Schottland und Katalonien sowie Belgien, Malta und Italien am besten ab. 47 Um den Übergang in die Freiheit zu erleichtern, gab es in 22 Ländern bzw. Regionen spezialisierte kommunale Träger. Vor der Entlassung boten 17 EU-Mitgliedstaaten ein systematisches durchgängiges Trainingsprogramm an. Maßnahmen zur Rückfallprävention wurden lediglich in 42

Zurhold (2004), S. 3. Zurhold (2004), S. 5 ff. ein weiteres Problem bei der Datenauswertung betrifft den Begriff „Drogenkonsument“: Da es keine einheitliche Definition gibt, wenden die Länder unterschiedliche Kriterien an, was die Vergleichbarkeit erschwert. 44 Zugleich gab es Länder, die diesen Standard nicht erreichten: Beispielsweise wurden in Belgien, Lettland, Litauen, Nordirland, Polen und der Slowakei keine Hepatitisimpfungen angeboten. 45 Mit Ausnahme von Irland, Estland, Lettland und Zypern. 46 Keine Entgiftung mit oder ohne Medikamente erfolgte in Estland, Litauen, Nordirland und Ungarn. 47 Wegen der mangelhaften Datenbasis konnten die Prophylaxe- und Behandlungsprogramme einiger Länder nicht bewertet werden (bzgl. Prophylaxe Belgien, Luxemburg, Nordirland, Polen und bzgl. Behandlung Frankreich, Polen, Portugal, Ungarn). 43

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Teil 4: Methoden der Untersuchung

13 Ländern bzw. Regionen initiiert. „Best practise“ hinsichtlich der Förderung der Rehabilitation und der Rückfallvorsorge wurde Belgien, Dänemark, Katalonien und Schottland attestiert; eine gute Bewertung erhielten Italien, Polen und Tschechien. 48 In der Zukunft beabsichtigten die Vollzugsverwaltungen in den EU-Mitgliedsländern, weitere Initiativen für inhaftierte Drogenkonsumentinnen umzusetzen. Neben der Prophylaxe und Behandlungsangeboten wurde ein großer Bedarf nach Peer-Unterstützung, Gesundheitstraining und Selbsthilfegruppen vorgebracht. Einige Länder befürworteten die Einrichtung von drogenfreien Abteilungen, während manche Länder Spritzenvergabeprogramme im Strafvollzug einführen wollten. Elf Länder bestätigten Pläne, nach denen sie in naher Zukunft die Implementation zusätzlicher Drogenprogramme intendierten. 49 Die nicht repräsentative Befragung von inhaftierten Betäubungsmittelkonsumentinnen umfasste insgesamt 185 Teilnehmerinnen aus den fünf Ländern der Projektpartner. 50 Die sozialbiografischen Daten ergaben, dass der Altersmittelwert der Befragten des jeweiligen Landes von 27,3 Jahren (Warschau-Polen) bis zu 32,4 Jahren (Hamburg) reichte. Ihre Entlassung erwarteten die Frauen durchschnittlich in 5,6 Monaten (Hamburg) bis in 21 Monaten (Warschau-Polen). Die Freiheitsstrafen hatten Mittelwerte von 13 Monaten (Hamburg) bis drei Jahren (Barcelona) und darüber (Warschau-Polen). In Freiheit finanzierten die Befragten ihren Lebensunterhalt mit Lohnentgelt, Sozialhilfe, Prostitution, Drogenverkauf und / oder Diebstählen. Einen Monat vor der Haft prägten insbesondere illegale Aktivitäten (Drogenbesitz, -verkauf, Ladendiebstahl) den Lebensalltag der Frauen. 92,4 % gaben mindestens eine Vorverurteilung mit der Geldstrafe als häufigster Verurteilung an; jedoch waren auch Freiheitsstrafen sehr verbreitet. 51 Dementsprechend waren 72,4 % aller Befragten schon vorher ein Mal inhaftiert gewesen, davon die Mehrheit mit mindestens vier Haftaufenthalten. 52 Je jünger die Befragten inhaftiert wurden, desto höher war die Gesamtdauer der früheren Haftzeiten. 53 Einen Monat vor der Inhaftierung hatten die Befragten oft täglich multiple Betäubungsmittel variierend nach Präferenzen in den verschiedenen Ländern genommen. 54 54 % aller Befragten gaben 48

Negativ beurteilt wurden die Vollzugsverwaltungen von Griechenland, Lettland, Malta und Portugal. 49 Therapeutische Gemeinschaften in Belgien, Finnland und Zypern; Spritzenaustauschprogramme in Katalonien und Slowenien; Entlassungstraining in Luxemburg; ein Übergangshostel in England und Wales; spezifische Drogenpräventionsprogramme in Lettland und Schweden. 50 Zurhold (2004), S. 9 ff.; Gefängnisse in Barcelona, Glasgow, Hamburg, Warschau und in anderen Teilen Polens, Wien. 51 Mit Ausnahme der Befragten in Barcelona. 52 Hierzu gehört auch die Verbüßung wegen Ersatzfreiheitsstrafen; die meisten Gefängnisaufenthalte wiesen die Frauen in Hamburg und Wien auf. 53 Dieser Befund stimmt mit den Ergebnissen von empirischen Studien zu Straftätern überein, deren kriminelle Karriere in jungen Jahren beginnt („early starters“).

A. Stand der Forschung

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intravenösen Drogengebrauch an. Im Gefängnis setzten in den ersten Wochen 49,7 % der Frauen den Konsum von illegalen Betäubungsmitteln fort, der mit fortschreitender Inhaftierungsdauer auf 37,8 % sank. Der intramurale Konsum ging in zweifacher Hinsicht zurück: Im Gegensatz zum täglichen polytoxikomanen Gebrauch in Freiheit beschränkte sich der Konsum im Strafvollzug auf ein bis zwei Substanzen in unregelmäßigen oder regelmäßigen Abständen. 55 Meldepflichtige Infektionskrankheiten waren in höchst unterschiedlichem Ausmaß verbreitet: Während in Wien 78 % der Befragten mit Hepatitis C und in Barcelona über 60 % mit HIV infiziert waren, wurde bei beiden Krankheiten die niedrigste Infektionsrate von 11 % bei Hepatitis C und 3 % bei HIV in Glasgow verzeichnet. 56 Im Laufe des Strafvollzugs verbesserte sich die gesundheitliche Konstitution bei über der Hälfte der Befragten. 57 Demgegenüber klagten die Befragten über zahlreiche psychosoziale Belastungen. Die Trennung von Kindern und Partner stand an erster Stelle. Danach folgten Gefühle von Einsamkeit und depressive Symptome, aber auch Langeweile wurde beklagt. In Glasgow und in Barcelona litten über 40 % unter Beschränkungen im Strafvollzug. Angst vor der Entlassung äußerten die Hälfte der polnischen Befragten und 44 % der schottischen Befragten. Im Jahr vor ihrer Inhaftierung hatten 85,4 % Kontakt zu lokalen Drogenberatungsstellen aufgenommen. 58 Während des Gefängnisaufenthalts hatten 91,4 % der Befragten die intramurale Drogenberatung konsultiert. Überdies nutzten die meisten Drogenkonsumentinnen das unterschiedliche Behandlungsspektrum, das Gesundheitsfürsorge, Beratungsangebote, Substitutionsbehandlung, psychiatrische Therapie und Gesundheitstraining umfasste. Mit den Behandlungsmöglichkeiten und der Unterstützung war die große Mehrheit sehr zufrieden. Insbesondere betonten die meisten Befragten aus Barcelona, Wien und Polen, dass ihnen die professionelle Betreuung half, den Betäubungsmittelkonsum zu reduzieren oder zu beenden. 59 Einen Behandlungsplan gab es nur für eine Minderheit; dies galt ebenso für eine Übergangsplanung als Bestandteil der Entlassungsvorbereitung. Im Interviewzeitpunkt nahm gut die Hälfte der Befragten Entlassungshilfen in Anspruch. 60 Eine beträchtliche Anzahl der Befragten 54 Barcelona: 1. Kokain, 2. nicht verschreibungspflichtige Medikamente; Glasgow: Heroin, nicht verschreibungspflichtige Medikamente, Cannabis; Hamburg: 1. Crack, 2. Heroin und nicht verschreibungspflichtige Medikamente; Polen: 1. Heroin und Kompot (aus in Polen angebautem Blaumohn hergestellt), 2. Amphetamine; Wien: 1. Substitutionsmittel, 2. Heroin und Kokain. 55 Vor allem Rauchen von Cannabis, die orale Einnahme von nicht verschreibungspflichtigen Pharmazeutika (Buprenorphin, Morphin, Benzodiazepine), Heroin und in Hamburg Crack; der intravenöse Drogengebrauch stellte dabei eine Ausnahme dar. 56 Hepatitis C: 70 % Barcelona; 65 % Hamburg; 35 % Warschau-Polen; HIV: 30 % Warschau-Polen; 6,3 % Wien; 5,4 % Hamburg. 57 Außer in Hamburg. 58 Während die Erfahrungen in Barcelona, Hamburg und Wien überwiegend positiv waren, äußerten sich die Befragten aus Polen und Glasgow eher negativ. 59 Außer die Frauen aus Hamburg.

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äußerte den Bedarf nach professioneller Unterstützung, um mit den vielfältigen Problemlagen nach der Entlassung zurechtkommen zu können. Neben der Drogenproblematik stellten sich existenzielle Fragen nach der finanziellen und beruflichen Perspektive und der Legalbewährung. Zusätzlich spielten physische und / oder mentale Beschwerden eine große Rolle in Wien und Warschau-Polen. III. Studien zum Frauenvollzug in Deutschland Als eine der ersten erfasste die frühere Anstaltsleiterin der JVA Frankfurt a. M. III Helga Einsele die Straffälligkeit von weiblichen Gefangenen. 61 Mittels einer Aktenanalyse des Entlassenenjahrgangs 1963 bildete die Autorin „kriminologische Gruppen“ und kam zu dem Ergebnis, dass Resozialisierungsbemühungen im Strafvollzug einen wichtigen Grundstein für eine erfolgreiche Legalbewährung darstellten. 62 1978 veröffentlichen Dürkop und Hardtmann Erfahrungsberichte aus dem Frauenstrafvollzug in einem Band. 63 Darin kamen zuerst inhaftierte Frauen mit eigenen Beiträgen zu Wort. Einen weiteren Schwerpunkt bildete die Gruppenarbeit aus Sicht der sozialen Dienste und von ehrenamtlichen Kräften. Die Entwicklung der Mutter-Kind-Abteilung der JVA FrankfurtPreungesheim wurde von der Initiatorin Helga Einsele vorgestellt. Des Weiteren wurde die Situation des Frauenstrafvollzugs in Deutschland von Praktikerinnen beleuchtetet. Die Publikation sollte dem Informationsdefizit über den Frauenvollzug begegnen und das wissenschaftliche Interesse an der Erforschung von dessen Besonderheiten wecken. 64 Die Vollzugspraxis sollte für Verbesserungen der Haftsituation im Frauenvollzug sensibilisiert werden. Ein ähnliches Anliegen verfolgten Einsele und Rothe mit ihrem Buch „Frauen im Strafvollzug“, das einen Überblick zur Thematik vermittelte und Reformversuche am Beispiel der Frauenhaftanstalt Frankfurt-Preungesheim schilderte. 65 Darin warben die Autorinnen für einen anderen Umgang mit straffälligen Frauen und um Verständnis 60 Der relativ geringe Anteil wurde als Indiz dafür bewertet, dass viele Drogenkonsumentinnen ohne systematische Vorbereitung in die Freiheit entlassen werden; diese Vermutung ist nahe liegend, doch ist zu bedenken, dass die Befragten aus zwei Ländern noch eine lange Resthaftdauer von durchschnittlich einem Jahr (Wien) oder sogar 21 Monaten (Warschau-Polen) hatten. 61 Studien aus dem deutschsprachigen Raum werden hier nicht berücksichtigt. Allerdings gibt es einige empirische Studien aus Österreich und der Schweiz: beispielsweise Boehlen (2000); Enderlin Cavigelli (1992); Knoll (2007), aber auch die subjektive Faktensammlung von Rowhani-Ennemoser (1982). 62 Einsele, MschrKirm 1968, S. 43 f., 78 f. 63 Dürkop / Hardtmann (1978), S. 216 ff. eine Bibliographie zum Frauenstrafvollzug wurde hintangestellt; die Zusammenstellung machte das Forschungsdefizit zum damaligen Zeitpunkt deutlich, denn die meisten Publikationen stammten aus dem englischsprachigen Raum. 64 Dürkop / Hardtmann (1978), S. 9.

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für ihren problematischen Lebensweg. 66 In den 1970er Jahren war ein großes Anliegen der Vollzugspraxis, den vernachlässigten Frauenstrafvollzug in den Blickpunkt von Öffentlichkeit und Wissenschaft zu rücken. 67 In den 1980er Jahren wurden vermehrt empirische Untersuchungen im Frauenstrafvollzug zu verschiedenen Aspekten durchgeführt. 68 Mit der Situation von inhaftierten Müttern und ihren Kindern im Gefängnis beschäftigt sich der 1988 erschienene Sammelband von Birtsch und Rosenkranz. Im Ergebnis wird ein Mangel an Außenkontakten insbesondere für ältere Kleinkinder in Mutter-KindEinrichtungen des geschlossenen Vollzugs festgestellt. 69 Aus diesem Grund sei für die Altersgruppe ab spätestens drei Jahren eine Unterbringung in Abteilungen des offenen Vollzugs zu bevorzugen. Insgesamt plädieren die Autoren für die Entwicklung von Alternativen zur Haft. Den Schwangerschafts- und Geburtsverlauf von Inhaftierten untersuchte Weingart von 1973 bis 1982 anhand der Unterlagen von 43 Fällen in Berlin. 70 Im Unterschied zur Vergleichsgruppe wiesen die inhaftierten Schwangeren mehr Risikofaktoren (Rauchen, Drogenabhängigkeit) auf; sie gehörten eher der unteren Schicht bzw. unteren Mittelschicht an; auch war die Zahl der unbekannten Väter größer. Während der Schwangerschaft traten gehäuft Komplikationen auf 71 und bei den Neugeborenen gehäuft gesundheitliche Beschwerden. Als Ursachen hierfür führte die Verfasserin die verbreitete Unerwünschtheit der Schwangerschaft, die schwierige Lebenssituation und die für Schwangerschaft und Mutterschaft abträglichen Bedingungen in der Justizvollzugsanstalt an. Daraus wurde die Schlussfolgerung gezogen, dass aus medizinischer Sicht die Inhaftierung von Schwangeren problematisch wäre. Schließlich plädiert die Verfasserin für eine erweiterte Anwendung des Vollstreckungsaufschubs gem. § 455 Abs. 3 StPO auf der Basis von medizinisch-psychosomatischen Gutachten. Vogel untersuchte die Einstellungen von 91 weiblichen Strafgefangenen zu Gesellschaft, Staat und Politik und leitete daraus pädagogische Konsequenzen ab. Demzufolge wären gesellschaftspolitische Lernprozesse 65 Einsele / Rothe (1982), S. 88 ff. unter Einbeziehung von drei Biografien weiblicher Inhaftierter. 66 Einsele, in: Frauen im Strafvollzug, S. 81. 67 Nach wie vor kommen aus der Vollzugspraxis Erfahrungsberichte aus dem Frauenvollzug, die Einsichten über den Vollzugsalltag und die Vollzugsgestaltung vermitteln; vgl. z. B. auf europäischer Ebene Klopp (2003). 68 Neben der wissenschaftlichen Forschung gibt es literarisch oder journalistisch orientierte Publikationen zu Lebensläufen inhaftierter Frauen sowie zu Lyrik und Prosa von Insassinnen; vgl. Balke (1994); Berthold / Zglinicki (1994), Friesendorf (1987), Krüger (1982), Panier (2004), Rinser (1987). 69 Birtsch / Riemann / Rosenkranz, in: Mütter und Kinder im Gefängnis, S. 187 ff. 70 Weingart (1983), S. 174 ff. Schwangerenberatungskartei, Krankenakten der JVA und Entbindungsakten der Universitätsfrauenklinik. 71 Die inhaftierten Schwangeren suchten dennoch in geringerem Maße Schwangerschaftsberatungen auf.

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in Justizvollzugsanstalten vonnöten, um dem Auftrag der Resozialisierung gerecht zu werden. 72 Im Folgenden werden grundlegende Untersuchungen aus den 1980er Jahren wie auch jüngere Studien gesondert vorgestellt. 73 1. Lebensentwicklung und Delinquenz von Insassinnen Mittels eines erfahrungswissenschaftlichen Zugangs untersuchte Fischer-Jehle Lebensentwicklungen und Delinquenz von weiblichen Strafgefangenen, um charakteristische Problemmuster in verschiedenen sozialen Bereichen zu identifizieren. 74 Dazu wurden sämtliche Neuzugänge der Justizvollzugsanstalt für Frauen Schwäbisch-Gmünd von März 1982 bis März 1983 erfasst, deren in Personalbögen aufgenommene Zugangsdaten zur Sozial- und Legalbiografie ausgewertet wurden. Bei zu Freiheits- und Jugendstrafe Verurteilten wurden zusätzlich die Gefangenenpersonalakten mit Straf- und Erziehungsregisterauszügen herangezogen. 75 Bei wegen Freiheits- oder Jugendstrafe Inhaftierten deuteten sich unterschiedliche kriminelle Karriereverläufe abhängig vom Alter bei der ersten strafrechtlichen Sanktionierung an. Danach spreche schon eine erste Verurteilung im Jugendalter für eine frühere Registrierung, mehr Strafeinträge und für eine höhere Rückfallgeschwindigkeit. 76 Demgegenüber lasse sich bei einer Erstverurteilung im fortgeschrittenen Alter eine Verlangsamung der Sanktionenfolge und eine Verringerung der Vorstrafenzahl beobachten. 77 Hieran schließt sich der Schwerpunkt der Arbeit mit einer Einzelfallanalyse von Leitfadeninterviews zu der Frage an, ob und inwiefern sich die beiden Gruppen in ihrer sozialen Entwicklung unterscheiden. 78 Ähnlich der Einteilung aus der Gefangenenpersonalaktenanalyse konnten zwei Gruppen mit relativ homogenen Entwicklungen im Sozialbereich identifiziert werden: 79 Auf der einen Seite steht die Gruppe von Frauen mit dem Deliktsschwerpunkt auf dem Diebstahl und der ersten Ver72

Vogel (1990), S. 356 ff. Junker (2011) untersuchte in ihrer Dissertation die Mutter-Kind-Einrichtungen in Deutschland, wobei die Haftbedingungen empirisch erhoben wurden; zusätzlich wurden der rechtliche Rahmen und sozialpädagogische Erkenntnisse einbezogen. 74 Fischer-Jehle (1991), S. 42; auch Fischer-Jehle, in: FG für Göppinger, S. 113 ff. 75 Die Gesamtheit von 416 Neuzugängen bildete die G-Gruppe und insgesamt 254 Verurteilten mit Freiheits- und Jugendstrafe die F-Gruppe; vgl. Fischer-Jehle (1991), S. 44 f. 76 Fischer-Jehle (1991), S. 116 ff. 77 Diese Befunde decken sich mit den Ergebnissen der entwicklungstheoretischen Studien, vgl. hierzu den Überblick von Münster, in: Göppinger 2008, S. 201 ff. Rn. 51 ff. 78 Fischer-Jehle (1991), S. 44 f., 128 insgesamt 77 Befragte, von denen 75 Interviews ausgewertet wurden; in die Intensivbefragungen wurden Betäubungsmittelabhängige nicht einbezogen, S. 45. 79 Fischer-Jehle (1991), S. 128 ff. aufgrund heterogener Entwicklungen konnten 34 Befragte keiner der beiden Gruppen zugeordnet werden. 73

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urteilung vor Vollendung des 25. Lebensjahres. 80 Die Probandinnen kamen aus schwierigen sozialen Verhältnissen, berichteten überwiegend von einer unglücklichen Kindheit und waren schon oft in ihrer Jugend sozial auffällig gewesen. Damit einhergingen ein schlechteres Schul- und Ausbildungsniveau sowie eine frühe Ablösung von den Eltern verbunden mit einer früh eingegangenen und rasch gescheiterten Ehe. Auf der anderen Seite gibt es eine Gruppe von Frauen, die hauptsächlich wegen Betrugs verurteilt worden war und erst nach Vollendung des 25. Lebensjahrs zum ersten Mal verurteilt wurde. 81 Ihre Delinquenz stellte sich als Reaktion auf Schicksalsschläge und Krisen im reiferen Alter dar. Die Zugehörigkeit zur Unterschicht war beiden Gruppen gemeinsam, doch lebte die Gruppe der Spätauffälligen mehrheitlich in geordneten Verhältnissen. 82 Obgleich die Studie nicht repräsentativ sein dürfte, gibt die umfangreiche und differenzierte Einzelfallanalyse Aufschluss über die vielfältigen sozialen Problemlagen im Frauenvollzug. 83 Als praktische Folgerung ihrer Ergebnisse befürwortete die Autorin eine differenzierte Vollzugsplanung mit einer ausführlichen Sozialanamnese im Einzelfall auch bei einer Verweildauer unter einem Jahr, um individuell abgestimmte Maßnahmen mit Blick auf die Entlassungsvorbereitung einzuleiten. 84 2. Bestandsaufnahme im Frauenvollzug von Schleswig-Holstein und Berlin Mittels einer Gefangenenpersonalaktenanalyse führte Dünkel eine deskriptive Bestandsaufnahme sowohl zur Legal- und Sozialbiografie als auch erstmals zum Vollzugsverlauf im Frauen- und Männervollzug in Schleswig-Holstein sowie in Berlin im Frauenvollzug durch. 85 Die Einbeziehung des Männervollzugs in Schleswig-Holstein ermöglichte einen Vergleich zu charakteristischen Unterschieden zum dortigen Frauenvollzug und im Rahmen des Frauenvollzugs 80

Insgesamt 22 sog. D-Probandinnen. Insgesamt 19 sog. B-Probandinnen. 82 Fischer-Jehle (1991), S. 243 ff. mit einer Gegenüberstellung der beiden Gruppen in den sozialen Bereichen. 83 So auch Obermöller (2000), S. 69 und Zolondek (2007), S. 9; an der Repräsentativität zweifelt Dorsch-Jäger, NK 1992, S. 46. 84 Fischer-Jehle (1991), S. 290; da eine umfassende und nachhaltige Behandlung bei einem Aufenthalt unterhalb einem Jahr zu Recht als unmöglich angesehen wird, verzichten die Justizvollzugsanstalten vielfach auf eine Behandlungsuntersuchung und einen Vollzugsplan; dennoch sollten entsprechend Fischer-Jehles Vorschlag Anstrengungen zur Vorbereitung der Entlassung unternommen werden und der Schwerpunkt auf Bemühungen um eine effektive Nachsorge liegen; Zolondek (2007), S. 9 regt ein größeres Angebot an Gruppengesprächen oder -therapien im Vollzug an. 85 Dünkel (1992), S. 67, 305; die eigene Untersuchung lehnte sich an den Erhebungsbogen an (vgl. Teil 7). 81

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zwischen ländlicher Gegend und Stadtgebiet. 86 Aus dem gesammelten Datenmaterial sollten zusätzlich Einschätzungen über Alternativen zur Freiheitsstrafe und zur Fortentwicklung der Vollzugsgestaltung getroffen werden. In den beiden Bundesländern erfolgte eine verlaufsbezogene Auswertung der Entlassungsjahrgänge 1989 mit einer Gesamterhebung im Frauenvollzug. 87 Als frappierendes Ergebnis erwies sich die hohe Inhaftiertenrate wegen Ersatzfreiheitsstrafen, nämlich 43,6 % in Schleswig-Holstein und 55,7 % in Berlin, 88 was auf diesem Gebiet für Haftvermeidungsstrategien spricht, um eine merkliche Entlastung des an und für sich unerwünschten Ersatzfreiheitsstrafenvollzugs zu erreichen. Die Anwendbarkeit von Alternativen zur Freiheitsstrafe wurde anhand von drei Indikatoren für eine besondere „Gefährlichkeit“ oder für einen besonderen Erfolgs- bzw. Handlungsunwert untersucht, die sich durch eine schwere bzw. tödliche Verletzung des Opfers, den Waffengebrauch und / oder einen entstandenen Schaden von mehr als 5.000 DM (ca. 2.500 Euro) auszeichneten. 89 Die alternative Verknüpfung dieser Gefährlichkeitskriterien traf in Schleswig-Holstein auf 12,7 % der eine Freiheitsstrafe verbüßenden Frauen und in Berlin auf 16,1 % der Frauen zu. 90 Hieraus wurde der vorsichtige Schluss gezogen, dass es im Bereich der Freiheitsstrafe brach liegende Potenziale für intermediäre Alternativen geben könnte. 91 Darüber hinaus zeigte sich, dass 56,4 % der entlassenen Frauen in Schleswig-Holstein mit durchschnittlich 5,4 Registereinträgen und 44,0 % in Berlin mit durchschnittlich 5,6 Einträgen vorbestraft waren. 92 Die erste Vorstrafe wurde bei den Frauen in Schleswig-Holstein im Alter von durchschnittlich 30,4 Jahren und in Berlin im Alter von durchschnittlich 25,5 Jahren registriert. 93 Die Dauer der kriminellen Karriere belief sich im Frauenvollzug auf einen Mittelwert von 8,7 Jahren in Schleswig-Holstein und in Berlin auf einen Mittelwert von 8,6 Jahren. 94 Bei der Vollzugsgestaltung zeigten sich insbesondere Defizite bei Frauen mit über einjährigen Freiheitsstrafen im Behandlungsbereich: In Schleswig-Holstein 86

Obermöller (2000), S. 73; Zolondek (2007), S. 6. Dünkel (1992), S. 68, 307 in Schleswig-Holstein Gefangenenpersonalakten von 126 Frauen und in Berlin von 314 Frauen. 88 Dünkel (1992), S. 69, 307 im Männervollzug war der Anteil mit insgesamt 39,2 % niedriger. 89 Dünkel (1992), S. 76. 90 Dünkel (1992), S. 76, 177, 359 17,4 % der entlassenen Männer in Schleswig-Holstein. 91 Dünkel (1992), S. 76. 92 Dünkel (1992), S. 78, 314 im Männervollzug 64,8 % durchschnittlich 7,8 Vorstrafen; wegen fehlender BZR-Auszüge in den Akten wäre die Vorstrafenbelastung gewiss unterschätzt worden; bei den eine Freiheitsstrafe verbüßenden Frauen betrug der Anteil der Vorbestraften in Berlin 74,1 %. 93 Dünkel (1992), S. 135, 362. 94 Dünkel (1992), S. 80, 135, 362 die Dauer der kriminellen Karriere wurde aus der Zeitspanne zwischen dem ersten Registereintrag und der letzten Aufnahme im Strafvollzug errechnet; im Männervollzug lag der Mittelwert bei 11,5 Jahren. 87

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wurde auf die Erstellung von Vollzugsplänen bei 57,1 % Frauen verzichtet; an schulischen Maßnahmen nahm nur eine Minderheit von 8,4 % teil und an beruflichen Bildungsmaßnahmen niemand. In Berlin unterblieb ein Vollzugsplan für Frauen mit einer über einjährigen Freiheitsstrafe in 32,3 % der Fälle; eine schulische Maßnahme belegten 14,0 % und eine berufliche Aus- und Weiterbildung 7,0 %. 95 Auch wenn die Behandlungsmöglichkeiten im Frauenvollzug in Berlin günstiger als in Schleswig-Holstein ausfielen, konnte lediglich eine Minorität ihre Teilhabechancen im schulischen und beruflichen Bildungsbereich verbessern. Dieser Befund verwundert umso mehr, als die sozialbiografischen Daten der entlassenen Frauen sozial schwierige Lebenslagen auswiesen, deren Bewältigung kompensatorische Behandlungsmaßnahmen erforderten. 96 In Bezug auf die Lockerungs- und Urlaubspraxis ergab sich im Frauenvollzug eine großzügigere Handhabung in Schleswig-Holstein als in Berlin: Während in Schleswig-Holstein 23,8 % bzw. 23,0 % des weiblichen Entlassungsjahrgangs Ausgang bzw. Urlaub erhielten, betrug der Anteil in Berlin beim Ausgang nur 15,6 % und beim Hafturlaub 13,1 %. 97 Die restriktivere Gewährung in Berlin beruht vermutlich auf dem höheren Anteil an Betäubungsmittelabhängigen: Dort galten 37,9 % der Frauen zum Zeitpunkt der Inhaftierung als drogenabhängig, aber nur 15,1 % der Frauen in Schleswig-Holstein. 98 Bei den Disziplinar- und Sicherungsmaßnahmen zeigten die Daten aus dem Berliner Frauenvollzug, dass hiervon tendenziell Betäubungsmittelabhängige betroffen waren. 99 Demzufolge ließ sich bei Betäubungsmittelabhängigen in der Tendenz ein restriktiver Vollzugsstil konstatieren. Im Vergleich zu den anderen Insassinnen handelte es sich um eine besonders unterprivilegierte Gruppe. 100 3. Eingeschlechtlichkeit im Strafvollzug In ihrer qualitativen Studie von 1989 fragte Stöckle-Niklas nach den Auswirkungen der Eingeschlechtlichkeit auf das Vollzugsziel der Resozialisierung und auf das Befinden der Gefangenen. 101 Zu diesem Zweck wurden schriftli95

Dünkel (1992), S. 321 f., 380, 383 in Schleswig-Holstein bei Frauen mit einer Freiheitsstrafe: 17,6 % Vollzugsplan, 2,8 % schulische Maßnahme und keine Frau berufliche Maßnahme; in Berlin bei Frauen mit einer Freiheitsstrafe: 40,1 % Vollzugsplan, 8 % schulische Maßnahme und 3,6 % berufliche Maßnahme. 96 Dünkel (1992), S. 85, 319 Sozialhilfe bezogen 42,0 % in Schleswig-Holstein und 59,9 % in Berlin; keinen Schulabschluss hatten 44,4 % in Schleswig-Holstein und 29,9 % in Berlin; keine Ausbildung hatten 60,3 % in Schleswig-Holstein und 46,5 % in Berlin. 97 Dünkel (1992), S. 236, 265, 398, 405. 98 Dünkel (1992), S. 86, 320 im Männervollzug war der Anteil mit 7,1 % noch niedriger, was aber die großzügigere Lockerungs- und Urlaubspraxis im Vergleich zum Frauenvollzug in Schleswig-Holstein erklären würde. 99 Dünkel (1992), S. 325, 344. 100 Dünkel (1992), S. 339 f.

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che Befragungen und teilstandardisierte Interviews im Männer- und Frauenvollzug durchgeführt. 102 Die Autorin konstatierte im Ergebnis geschlechtsspezifische Unterschiede: Während Männer mangels heterosexuellen Umgangs zu Negativreaktionen durch Verunsicherung, Aggressivität, Verrohung und Vereinsamung neigen würden, würde die Geschlechtertrennung bei Frauen einen positiven Beitrag in Bezug auf die Entwicklung von Selbstbewusstsein und die Herausnahme aus Abhängigkeitsstrukturen leisten. 103 Aus diesem Grund wird eine gemischtgeschlechtliche Unterbringung abgelehnt. Um der nachteiligen Isolation vom anderen Geschlecht partiell zu begegnen, werden die Koeduaktion bei der Arbeit und in der Freizeit sowie Langzeitbesuche zur Partnerschaftspflege empfohlen. 104 4. Bestandsaufnahme im Frauenvollzug in den alten und neuen Bundesländern Erstmals führte Maelicke 1993 eine Bestandsaufnahme zum Frauenstrafvollzug in Gesamtdeutschland durch, die 1997 von der Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe (BAG-S) e.V. und 2001 von König-Bender wiederholt wurde. 105 Dabei wurden quantitative Strukturdaten u. a. zur Belegung, Unterbringung, Haftformen und Vollzugsgemeinschaften und ergänzend zu Fortentwicklungen im Frauenvollzug erhoben. In ihrem Fazit kritisierte Maelicke die unzureichende Ausschöpfung der Chancen für eine spezifische Planung und Entwicklung des Frauenvollzuges, weil die Reaktionsmechanismen des Männerstrafvollzuges weitgehend schematisch auf den Frauenvollzug übertragen würden. Aus diesem Befund zog Maelicke die Schlussfolgerung, dass eine unterschiedliche Behandlung nach Geschlecht, der Ausbau der vorrangigen ambulanten Alternativen und die Selbständigkeit und Trennung des Frauen- vom Männervollzug wichtig wäre. 106 101

Stöckle-Niklas (1989), S. 2. Schriftliche Befragung von 28 weiblichen Gefangenen und mündliche Befragung von 21 weiblichen Gefangenen in der JVA Zweibrücken, Stöckle-Niklas (1989), S. 121, 123. 103 Stöckle-Niklas (1989), S. 111 bzgl. Männer und S. 156 f. bzgl. Frauen. 104 Stöckle-Niklas (1989), S. 265 ff. 105 BAG-S (1998) und König-Bender (2002) nach Kawamura-Reindl, in: Handbuch der Resozialisierung, S. 405; vgl. auch Kawamura-Reindl, in Täterinnen, S. 213 ff; in Anlehnung an Maelicke erfasste die Verfasserin die Ist-Situation in allen Bundesländern, die inhaltlich über die von Maelicke erhobenen Strukturdaten deutlich hinausgeht und deren Ergebnisse in Teil 6 niedergelegt sind. 106 Ähnlich BAG-S 1998, S. 69 ff. insbesondere für einen Ausbau der durchgängigen sozialen Hilfe und der Frauenstraffälligenhilfe; sozialtherapeutische Plätze werden nur in wenigen Anstalten vorgehalten: 2001 (König-Bender (2002), S. 12) 38 Haftplätze in der JVA Berlin, JVA Lübeck, JVA Hamburg-Altengamme (seit 2005 geschlossen), seit 2006 102

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5. Resozialisierung von weiblichen Gefangenen in der JVA Aichach In ihrer quantitativ und qualitativ angelegten Studie befasste sich Franze mit den Lebensumständen von weiblichen Inhaftierten. Dabei bildeten die Resozialisierungschancen im Frauenvollzug den Schwerpunkt, um einen Vorschlag zur Organisationsstruktur und zur Verbesserung des Behandlungsvollzugs zu entwickeln. 107 Die empirischen Erhebungen fanden in der JVA Aichach in den Jahren 1995 und 1996 statt. Im Ergebnis werden die Möglichkeiten der Resozialisierung für unzureichend gehalten. In diesem Rahmen werden Defizite auf allen Ebenen ausgemacht, die von der Unterbringung in Zellentrakten mit bis zu 40 weiblichen Gefangenen über veraltete und tradierte Arbeits- und Ausbildungsangebote bis hin zur restriktiven Handhabung von Vollzugslockerungen reichen. 108 Die Autorin bemängelte die aus der Vollversorgung resultierende Unselbständigkeit und plädierte für eine Verantwortungsübernahme in originären Bereichen wie Verpflegung und Wäschepflege. 109 Schließlich komme dem Vollzugsstab eine tragende Rolle im vollzuglichen Behandlungsprozess zu, jedoch erschwere die mangelnde Kooperation zwischen allgemeinem Vollzugsdienst und den Fachdiensten die erforderliche intramural vernetzte Behandlungstätigkeit für die Insassinnen und mindere zusätzlich die Resozialisierungsmöglichkeiten. 110 Aus diesen Mängellagen dürfe aber nicht der Schluss gezogen werden, dass der Strafvollzug an weiblichen Gefangenen ein eigenes Gesetz erfordere; vielmehr gehe es um eine frauenspezifische Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe und Ermessensspielräume der Regelungen im StVollzG. 111

37 Haftplätze in der JVA Berlin, JVA Alfeld und der JVA Dresden; vgl. Zolondek (2007), S. 111. 107 Franze (2001), S. 27 ff.; in die Gefangenenpersonalaktenanalyse gingen 291 Fälle ein; im Unterschied zur eigenen Untersuchung wurde der aktuelle Bestand untersucht, während in der eigenen Studie nur Gefangenenpersonalakten von Entlassenen berücksichtigt wurden; Leitfadeninterviews wurden mit dem Anstaltsleiter und den beiden Abteilungsleitern geführt; standardisierte Interviews wurden mit 20 Bediensteten des allgemeinen Vollzugsdienstes, 3 Angehörigen des Werkdienstes und 61 Insassinnen geführt und halbstandardisierte Interviews mit 12 Personen der Fachdienste; Franze 2001, S. 34 ff. 108 Franze (2001), S. 379 ff. 109 Franze (2001), S. 381. 110 Franze (2001), S. 382. 111 Franze (2001), S. 378 f.; so auch Obermöller (2000), S. 28 ff. mit dem Ansatz einer problemorientierten Rechtsanwendung und mit Beispielen S. 98 ff.

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6. Resozialisierungsauftrag und Binnenorganisation in der JVA Frankfurt a. M. III Einen qualitativen Ansatz verfolgte Schwinn bei der Frage nach der Umsetzung des Behandlungsauftrags und der eines auf die Schwächen und Bedürfnisse orientierten Behandlungsvollzugs in den Organisationsstrukturen und -prozessen am Beispiel der Frauenhaftanstalt JVA Frankfurt am Main III. 112 Gegenstand der Fallstudie war das Organisationsstatut und dessen Eignung für die Realisierung des Behandlungsauftrags. 113 Die explorative Studie erfolgte in der Zeitspanne von Mai 1998 bis April 1999 mit einer siebenmonatigen Beobachtungsphase und 25 Leitfadeninterviews. 114 Die Autorin konstatierte, dass die Praxis der Zielsetzung des Organisationsstatus im Behandlungssinne insbesondere im geschlossenen Vollzug nicht gerecht würde, d. h. die Stärkung von Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein samt der Reduzierung von sozialen und stoffgebundenen Abhängigkeiten. 115 Aber auch im offenen Vollzug vereitelte nach Beobachtung der Autorin der von Bürokratie und Routine gekennzeichnete Vollzugsalltag eigenständige Handlungsweisen und damit die Entwicklung von Ich-Stärke und Selbstständigkeit. 116 Um dem Organisationsstatut und den angelegten Anstaltsstrukturen mehr Durchsetzungskraft für einen frauenspezifischen Behandlungsvollzug zu verleihen, müsste die Zusammenarbeit zwischen dem allgemeinen Vollzugsdienst und den Fachdiensten auf der Basis einer gemeinsamen Zielrichtung für die Behandlungsarbeit erheblich verbessert werden. 117 7. Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von weiblichen Inhaftierten Mit der ersten bundesdeutschen Repräsentativuntersuchung zu Gewalt gegen Frauen wurden im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend quantitative Daten zu deren Ausmaß, Erscheinungsformen, Entstehungszusammenhängen und Folgen vom Interdisziplinären Zentrum für Frauen- und Geschlechterforschung der Universität Bielefeld erhoben. 118 Die Erkenntnisse sollten den empirischen Ausgangspunkt für gezielte Maßnahmen und Strategien darstellen, um Gewalt im Geschlechterverhältnis abzubauen und die 112

Schwinn (2004), S. 19. Schwinn (2004), S. 30, 34 ff. 114 Schwinn (2004), S. 36, 43 f. mit neun Interviewpartner(inne)n des allgemeinen Vollzugsdienstes und zehn der Fachdienste sowie mit sechs Insassinnen. 115 Schwinn (2004), S. 54, 401 f. 116 Schwinn (2004), S. 56. 117 Schwinn (2004), S. 401 ff. 118 BMFSFJ (2004), S. 9 in Kooperation mit infas, Institut für Sozialforschung. 113

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Hilfe- und Unterstützungssituation für betroffene Frauen zu verbessern. Die Gesamtuntersuchung zur Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland fand im Zeitraum von März 2002 bis September 2004 statt. Neben einer repräsentativen Hauptuntersuchung wurden kleinere Zusatzbefragungen ohne Anspruch auf Repräsentativität zu Gewalterfahrungen u. a. mit inhaftierten Frauen durchgeführt. 119 Trotz der kleinen Befragtenmenge von 88 Insassinnen im Alter über 16 Jahren erlaubt die Studie vorsichtige Vergleiche mit Gewaltprävalenzen und dem Gesundheitszustand der Hauptuntersuchung. 120 In diesem Kontext ist jedoch die Vermutung nicht unbegründet, dass vor allem Inhaftierte aufgrund eigener Betroffenheit zur Teilnahme an der Befragung neigten. 121 Deswegen lässt sich schon eine Verzerrung innerhalb der weiblichen Gefangenenpopulation nicht ausschließen, was die Vergleichbarkeit mit der Durchschnittsbevölkerung zusätzlich erschwert. Dennoch vermitteln die Vergleichsdaten einen Eindruck über soziale Benachteiligungen und Defizite. Als eindrückliches Beispiel lassen sich die Bezugspersonen in der Kindheit anführen: Während lediglich 46 % der Inhaftierten ihre Kindheit mit beiden leiblichen Elternteilen verbrachten, wuchsen 81 % der Hauptuntersuchung bei Mutter und Vater auf. 122 25 % der Inhaftierten hatte die Schule ohne Abschluss verlassen, aber nur 2 % der Hauptstudie fehlte ein Schulabschluss. 123 39 % der Inhaftierten waren ohne Berufsabschluss geblieben und 20 % waren in ihrem bisherigen Leben noch nie erwerbstätig gewesen. 124 Eine dauerhafte Bleibe wies zwar das Gros vor der Haft auf, jedoch wohnten 18 % nicht durchgängig in einem privaten Haushalt, sondern waren mitunter von Obdachlosigkeit oder von einer vorübergehenden Unterbringung in einem Wohnheim oder einer anderen Unterkunft betroffen. 125 119 BMFSFJ (2004), S. 13 die Hauptuntersuchung erfasste 10.264 Frauen im Alter von 16 bis 85 Jahren; S. 11 als schwer zugängliche Frauenpopulationen wurden in den Teiluntersuchungen türkische und osteuropäische Migrantinnen, Asylbewerberinnen und Prostituierte befragt. 120 Schröttle / Müller, in: Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland, S. 10 das Erhebungsinstrument deckte sich mit dem Fragebogen der Hauptstudie, wurde aber in Bezug auf die besondere Lebenssituation im Strafvollzug modifiziert; an der Teilstudie nahmen 88 Inhaftierte in Strafhaft teil. 121 Schröttle / Müller, in: Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland, S. 12 so wurde das Forschungsprojekt in den Justizvollzugsanstalten Inhaftierten mündlich vorgestellt oder über schwarze Bretter und den sozialen Diensten bekannt gemacht. 122 Schröttle / Müller, in: Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland, S. 16 n=87. 123 Schröttle / Müller, in: Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland, S. 17 6 % hatten noch keinen Schulabschluss erreicht. 124 Schröttle / Müller, in: Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland, S. 18 f. 15 % hatten noch keinen Berufsabschluss (n=80); 15 % waren noch in Ausbildung (n=74).

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Teil 4: Methoden der Untersuchung

Der Schwerpunkt der Teilstudie lag auf der vor und während der Haft erfahrenen seelischen, körperlichen und sexuellen Gewalt oder sexuellen Belästigungen. 126 Danach hatten die Befragten in hohem Maße vor der Inhaftierung Gewalt erfahren: So waren 92 % Formen sexueller Belästigung, 91 % physischer Gewalt, 89 % psychischer Gewalt und 57 % sexueller Gewalt ausgesetzt gewesen. 127 Körperliche Gewalt war durch Verletzung mit einer Waffe (23 %), Bedrohung mit einer Waffe (49 %), Würgen (34 %) und Verprügeln (59 %) ausgeübt worden; Verletzungen hatten 89 % erlitten. 72,3 % der Opfer sexueller Gewalt hatten eine Vergewaltigung erlebt. In Gegenüberstellung mit der Hauptstudie erreicht die körperliche und sexuelle Gewalt in Quantität und Qualität mitsamt den Verletzungsfolgen ein erheblich höheres Niveau als die weibliche Durchschnittsbevölkerung in Deutschland. Das Erleben von massiver Gewalt scheint das Leben der Inhaftierten von der Kindheit bis in die Erwachsenenwelt zu begleiten und zu kennzeichnen. Am häufigsten war der (frühere) Partner (73 %) der Gewalttäter in körperlicher und sexueller Hinsicht gewesen. 128 Ein über die Hauptstudie hinausgehendes Interesse galt der Lebenssituation im Vollzug. Während der Haft fühlten sich 36 % der Inhaftierten (sehr) sicher, 43 % äußerten ein mittleres Sicherheitsgefühl und 21 % empfanden wenig oder überhaupt keine Sicherheit. 129 Zwar war die Angst vor körperlichen oder sexuellen Übergriffen niedrig, 130 doch verfügten 36 % der Frauen über körperliche Gewalterfahrungen und fast 5 % über sexuelle Gewalterfahrungen. 131 Dabei handelte es sich ganz überwiegend um leichtere Übergriffe (Drohungen, Schubsen, „Arm umdrehen“, Beißen, Kratzen). 132 Die Gewalttätigkeiten gingen bei 82 % 125 Schröttle / Müller, in: Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland, S. 20. 126 Schröttle / Müller, in: Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland, S. 10. 127 Schröttle / Müller, in: Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland, S. 27 ff. 128 In der Untersuchung „Trauma, Beziehung und Tat“ über Zusammenhänge zwischen tödlichen Beziehungstaten von Frauen, früher Traumatisierung und spezifischen Bindungsrepräsentationen stellte das Forschungsteam ebenfalls fest, dass Gewalt meist die Kindheit prägte und alle Frauen schwer traumatisiert waren; Lamott / Pfäfflin, MschrKrim 2001, S. 18 ff. und mit Einzelfallschilderungen Lamott, R&P 2000, S. 56 ff. 129 Schröttle / Müller, in: Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland, S. 34 f. anhand einer Skalierung von 1 (sehr sicher) bis 6 (überhaupt nicht sicher). 130 Schröttle / Müller, in: Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland, S. 35 3,4 % hatten häufig Angst vor Mitgefangenen und 4,5 % vor anderen Personen der Anstalt. 131 Schröttle / Müller, in: Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland, S. 36 f. 132 In drei Fällen kam es zu schwereren Ausschreitungen (Verprügeln, Faustschläge, Verletzung mit einer Waffe).

A. Stand der Forschung

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von Mitgefangenen aus und sogar bei 22 % von Aufsichtsbediensteten (6 Personen). Als größeres Problem erwies sich das Ausmaß erlebter seelischer Gewalt in Haft: So hatten 58 % der Inhaftierten diesbezüglich Erfahrungen gesammelt, von denen 16 % von häufigen psychischen Übergriffen sprachen. 133 Wiederum waren die meisten verbalen Aggressionen Mitinhaftierten (75 %) zuzuschreiben. In diesem Zusammenhang waren die Opfer von Beleidigungen, Verleumdungen, Schikanen und Ausgrenzung betroffen; Psychoterror, Demütigungen, Drohungen und Erpressungen kamen auch Bedeutung zu. 134 Ihren aktuellen Gesundheitszustand schätzten 55 % der Inhaftierten als gut bzw. mittel ein und 45 % als eher bis sehr schlecht. 135 Über gesundheitliche Beschwerden in den letzten zwölf Monaten klagten alle Frauen, von denen 76 % mehr als zehn (psychosomatische) Beschwerden angaben, darunter vor allem Kopf-, Bauch- und Rückenschmerzen, Magen-Darm-Probleme, Durchblutungsstörungen und Schwindelgefühle. In der Hauptstudie gaben lediglich 32 % der Befragten bei einer höheren Altersstruktur mehr als zehn gesundheitliche Leiden an. Mit psychischen Problemen und Belastungen hatten mit Ausnahme einer Frau alle Inhaftierten zu kämpfen. 136 49 % gaben mehr als zehn Beschwerden in den letzten zwölf Monaten an. Demgegenüber handelte es sich in der Hauptstudie nur um eine kleine Gruppe von 11 % mit einer vergleichbar hohen psychischen Belastung. Die Inhaftierten wiesen sowohl Stress- und Überlastungssymptome (41 – 53 %) als auch Antriebslosigkeit, Müdigkeit Konzentrations- und Selbstwertprobleme (jeweils 31 –48 %) auf. 19 % litten unter Angstanfällen bzw. Panikattacken und 14 % unter Depressionen; 14 % waren lebensmüde und 11 % hegten Selbstverletzungsabsichten. Im Ergebnis wurden deutlich schwerere gesundheitliche Schädigungen und seelische Belastungen bei den Inhaftierten im Vergleich zu den Befragten der Hauptstudie festgestellt. 8. Basisdokumentation im Frauenvollzug Niedersachsen Im niedersächsischen Frauenvollzug fand von Anfang 2004 bis Ende 2005 eine Basisdokumentation zur Klientel und dessen Entwicklung nach Strafantritt statt. 137 Die systematische, verlaufsbezogene Datensammlung erfasste legalbio133 Schröttle / Müller, in: Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland, S. 40 n=51. 134 Schröttle / Müller, in: Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland, S. 41 n=37; es ließe sich von Mobbing reden, sofern es sich um systematische psychische Gewalthandlungen handelt; dies könnte auf 16 % der häufig von seelischen Tätlichkeiten betroffenen Opfer zutreffen. 135 Schröttle / Müller, in: Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland, S. 42 f. 136 Schröttle / Müller, in: Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland, S. 46 f.

204

Teil 4: Methoden der Untersuchung

grafische, soziale und psychische Merkmale aller weiblichen Inhaftierten im genannten Zeitraum, um Erkenntnisse über die Lebensbedingungen von weiblichen Gefangenen zu gewinnen. Aus der Beobachtung der Vollzugsrealität im Quer- und Längsschnitt könnte die individuelle Vollzugsplanung bzw. die Planung von Behandlungsmaßnahmen verbessert werden. Schließlich ermöglichen die gesammelten Daten später vertiefte Untersuchungen zur Legalbewährung, die dazu beitragen können, Rückfallfaktoren zu identifizieren und den Interventionsbedarf zu eruieren. Ende August lagen Datensätze von insgesamt 788 weiblichen Inhaftierten vor. 138 Eine Freiheitsstrafe verbüßten 46,1 % der Frauen und eine Ersatzfreiheitsstrafe 18,0 %. In Untersuchungs- oder Abschiebungshaft befanden sich jeweils 17,2 % der Inhaftierten. Da die von Abschiebung bedrohte Gruppe für grundsätzliche Überlegungen zur Vollzugsgestaltung und für Behandlungsmaßnahmen nicht relevant ist, wurden die 134 Abschiebehäftlinge nicht mehr in der Datenauswertung berücksichtigt. 139 Im Folgenden sind insbesondere Informationen von Interesse, die über die Daten der Strafvollzugsstatistiken hinausgehen. 140 Leibliche Kinder hatten 60,1 % der Inhaftierten, von denen gut die Hälfte zum Zeitpunkt der Inhaftierung mit ihrem Nachwuchs in einem eigenen Haushalt lebte. 141 Während der Inhaftierung waren 57,6 % der Kinder von nicht allein Erziehenden und 59,7 % der Kinder von allein Erziehenden bei Familienangehörigen untergebracht. In Bezug auf den Beschäftigungsstatus stand einem kleinen Anteil von 14,6 % mit einer festen Arbeitsstelle ein großer Anteil von 49,3 % ohne Arbeit gegenüber. 142 Keinen Schulabschluss hatten 24,6 % der Insassinnen und 56,0 % keinen Berufsabschluss. 143 Als zentrales Problem im Frauenvollzug erweisen sich (nicht) stoffgebundene Abhängigkeiten: 49,5 % wurden von den die Erhebungsbögen ausfüllenden Bediensteten als süchtig eingeschätzt, erwartungsgemäß fiel diese Einschätzung 137

Koch / Suhling, Mschrkrim 2005, S. 93 ff., die Basisdokumentation wurde vom kriminologischen Dienst des Landes erstellt und diente als Testlauf, um diese auf den gesamten Vollzug in Niedersachsen auszudehnen; die Wahl fiel auf den Frauenvollzug wegen dessen überschaubarer Größe und des bestehenden Wissensbedarfs (S. 97). 138 Koch / Suhling, MschrKrim 2005, S. 98; zur Methodik S. 97 f.: Bedienstete füllten drei Erhebungsbögen anhand der Gefangenenpersonalakten und der Angaben der Inhaftierten aus; der K(urzhaft)-Bogen bezog sich auf Inhaftierte mit einer Haftdauer unter drei Monaten, der A(ufnahme)- und E(ntlassungs)-Bogen waren für die anderen Inhaftierten vorgesehen, wobei der A-Bogen (n=508) die ersten Wochen in Haft betraf und der E-Bogen (n=280) bei Entlassung vervollständigt wurde. 139 Koch / Suhling, MschrKrim 2005, S. 99. 140 Die Daten zu den Hauptdelikten der aktuellen Inhaftierung entsprechen denen der Stichtagserhebungen des Statistischen Bundesamts, vgl. Koch / Suhling, MschrKrim 2005, S. 100; Zolondek 2007, S. 18. 141 Koch / Suhling, MschrKrim 2005, S. 103, n=631. 142 Koch / Suhling, MschrKrim 2005, S. 104, n=481. 143 Koch / Suhling, MschrKrim 2005, S. 104, n=464.

B. Fazit und Forschungsdefizite

205

im geschlossenen Vollzug mit 59,1 % noch höher aus. 144 Insgesamt dominierte die Betäubungsmittelabhängigkeit. Mit der Basisdokumentation gelang es somit multiple Problemlagen von straffälligen Frauen empirisch zu erfassen. 145 Schon deshalb erscheint die Einführung einer Basisdokumentation in allen Bundesländern sinnvoll, um nicht nur eine systematischen Datensammlung zur Vollzugsund Legalbiografie anzulegen, sondern um Veränderungen in der Gefangenenpopulation beizeiten festzustellen und um intra- und extramurale Strategien zur Rückfallprävention zu entwickeln. 146

B. Fazit und Forschungsdefizite Auf europäischer Ebene lässt sich ein wachsendes Forschungsinteresse für den Frauenstrafvollzug konstatieren. Im neuen Jahrtausend wurden drei unterschiedliche länderübergreifende Forschungsprojekte verwirklicht. Die Studie von Zolondek besteht in einer Darstellung der Ist-Situation von weiblichen Gefangenen. Der vergleichende Länderquerschnitt erfolgte auf der Basis der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze. Die gewonnenen Erkenntnisse enthalten Ergänzungsvorschläge für das überarbeitete Regelwerk von 2006. Der Wirksamkeit des Behandlungsvollzuges und der Legalbewährung im ersten Jahr widmete sich ein Forschungsverbund unter Leitung einer katalanischen Organisation (SURT). Ein Zusammenschluss von europäischen Instituten untersuchte erstmals die Rückfallprävention und die Reintegration von Drogen konsumierenden Insassinnen. Richtet man das Augenmerk auf die Situation in Deutschland, so handelte es sich bis zum neuen Jahrtausend vorwiegend um ältere, regional beschränkte und / oder auf kleine Fallzahlen bezogene Einzeluntersuchungen. In jüngster Zeit findet auch hierzulande der Frauenvollzug vermehrt Beachtung. 147 So wurde mit 144 Koch / Suhling, MschrKrim 2005, S. 105 insgesamt 353 Abhängige mit Mehrfachnennungen; eine Verlegung in den offenen Vollzug ist auch von der Frage des anzunehmenden Suchtmittelmissbrauchs abhängig. 145 Nach Koch / Suhling, MschrKrim 2005, S. 106 ff. sind vor der Einführung der Basisdokumentation auf den Gesamtvollzug in Niedersachsen noch organisatorische Durchführungsmodalitäten zu klären (z. B. Schulung der ausfüllenden Bediensteten, Frage nach der Erfassung von Abschiebehäftlingen, mögliche Einführung einer Mindestinhaftierungsdauer). 146 Zolondek (2007), S. 19, nach der sich die Frage nach einer durchgängigen oder intervallmäßigen Erfassung stellt: Während die durchgängige Dokumentation die Durchführung von Rückfalluntersuchungen erleichtern würde, könnte sich eine Datensammlung in Abständen von fünf bis sieben Jahren auf Veränderungen der Inhaftiertenpopulation richten; denn die fortgeführte Dokumentation bekräftigt die Vermutung, dass die Daten keinen neuen Erkenntniswert haben, sondern die Befunde bestätigen und stabilisieren. 147 Der Schwerpunkt bei Obermöller (2000) lag auf der Analyse gesetzlicher Regelungen des Strafvollzugsgesetzes nach Funktion und praktischer Bedeutung. Ihm ging es

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Teil 4: Methoden der Untersuchung

der Basisdokumentation des Frauenvollzuges in Niedersachsen begonnen und die Studie zur Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit abgeschlossen. Des Weiteren erschienen im neuen Jahrtausend die auf einzelne Frauenanstalten bezogenen Studien von Franze (JVA Aichach) und Schwinn (JVA Frankfurt a. M. III). Die empirische Erforschung des Frauenstrafvollzugs lässt sich in zwei Forschungsstränge unterteilen. 148 Auf der einen Seite gilt das Forschungsinteresse den weiblichen Inhaftierten an sich und bezieht sich vor allem auf die Sammlung und Auswertung von sozialbiografischen Daten. 149 Auf der anderen Seite erfolgt eine Auseinandersetzung mit den Lebens- und Haftbedingungen im Frauenstrafvollzug und deren Auswirkungen. 150 In diesem Rahmen fällt auf, dass weniger spezifische Themen in Bezug auf weibliche Inhaftierte angegangen werden 151, sondern der Frauenvollzug meist in seiner Gesamtheit untersucht wird. 152 Ältere und jüngere empirische Studien belegen mittlerweile relativ gut die defizitäre und prekäre Lebenssituation von weiblichen Gefangenen: Charakteristisch ist ein niedriges Bildungsniveau, stoffgebundene und soziale Abhängigkeiten, Viktimisierungserfahrungen seit der Kindheit (Gewalt, sexueller Missbrauch) und das Erleben von sozialer Ausgrenzung. 153 Demgegenüber gibt es über den Alltag im Strafvollzug und den Haftbedingungen nur in Ansätzen Wissen. Hierzu gehören die älteren Bestandsaufnahmen von Maelicke (1993) und der BAG-S (1998). 154 Exemplarische detaillierte Analysen zur Lebenssituation in Haft bzw. zur Binnenorganisation in einer ausgewählten Anstalt lieferten die Arbeiten von Franze (2001) und Schwinn (2004). Zolondek (2007) bereicherte das Wissen mit ihrer Studie in vier deutschen Justizvollzugsanstalten einschließlich eines europäischen Vergleichs.

darum, mit Hilfe einer problemorientierten Rechtsanwendung den Besonderheiten des Frauenvollzugs Rechnung zu tragen. 148 So Zolondek (2007), S. 5. 149 Europäische Studie Women, Integration and Prison (2005) [Teil 5 A. II. 1.]; Fischer-Jehle (1991) [Teil 5 A. III. 1.]; Dünkel (1992) [Teil 5 III. 2.]; Studie des BMFSFJ Schröttle / Müller (2004) [Teil 5 A III. 7.]; Basisdokumentation im Frauenvollzug Niedersachsen (2005) [Teil 5 A. III. 8.]. 150 Zolondek (2007) [Teil 5 A. I. 1.]; europäische Studie Female drug users in European prisons (2004) [Teil 5 A. II. 2.]; unter Stöckle-Niklas (1989) [Teil 5 A. III. 3.]; Bestandsaufnahme des Frauenvollzugs Maelicke (1993), BAG-S (1998), König-Bender (2002) [Teil 5 A. III. 4.]; Franze (2001) [Teil 5 A. III. 5.], Schwinn (2004) [Teil 5 A. III. 6.]. 151 Beispielsweise Weingart (1983) zu inhaftierten Schwangeren (Teil 5 A. III.); Birtsch / Rosenkranz (1988) zu Mutter-Kind-Einrichtungen (Teil 5 A. III.); Studie Female drug users in European prisons (2004) [Teil 5 A. II. 2.]. 152 Zolondek (2007), S. 4. 153 Auch Zolondek (2007), S. 27. 154 Die Bestandsaufnahme von König-Bender (2002) wurde nicht veröffentlicht.

C. Aufgabenstellung und Ziele der eigenen Untersuchung

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Insbesondere weist die Untersuchung von Zolondek Übereinstimmungen mit dem eigenen Forschungsansatz auf. Ebenso wie die eigene Studie erfolgte die Konzeption des Forschungsprojektes und die Analyse der Ergebnisse vor dem Hintergrund der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze. Parallel dazu ging es in beiden Untersuchungen um eine Bestandsaufnahme und eine Bedarfsanalyse im Frauenvollzug. Die beiden Forschungsprojekte ergänzen sich sinnvoll, schon weil die Forscherinnen in Deutschland unterschiedliche Justizvollzugsanstalten für ihre jeweilige Untersuchung auswählten. 155 Darüber hinaus steht bei Zolondek der europäische Vergleich im Vordergrund, während es in der eigenen Studie um eine eingehende Auseinandersetzung mit der Vollzugspraxis und der Vollzugsgestaltung aus Sicht der Insassinnen, des allgemeinen Vollzugsdienstes, der Fachdienste und der Anstaltsleitung in den beiden Justizvollzugsanstalten geht. Insofern trägt die eigene Studie dazu bei, weitere wichtige Erkenntnisse zur Lebenssituation und zu den Haftbedingungen im Frauenvollzug zu gewinnen. Darüber hinaus wird erstmals der Versuch unternommen, die Bedeutung („Ob“ und „Wie“) der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze für Reformprozesse in der Gesetzgebung sowie für die Vollzugsgestaltung in der Praxis zu untersuchen.

C. Aufgabenstellung und Ziele der eigenen Untersuchung Das empirische Forschungsprojekt richtet sich auf eine Analyse der Handhabung des Frauenstrafvollzuges am Beispiel von zwei Justizvollzugsanstalten für Frauen in Deutschland. Bewertungsmaßstab sind die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze und die Frage nach deren (un)bewusster Realisierung in der Praxis. Aufgrund des multimodalen Methodenzugangs 156 und der explorativen Anlage der Studie wurden lediglich Arbeitshypothesen gebildet. Ursprünglich zielte das Forschungsprojekt auf einen Vergleich mit dem Frauenvollzug in Schweden. Zwar wurden die ersten Untersuchungsschritte „Bestandsaufnahme zum Frauenvollzug“ und ein Besuch in der schwedischen Frauenanstalt Färingsö nahe Stockholm durchgeführt, doch konnte die Hauptuntersuchung nicht in der größten Frauenanstalt Schwedens (KVA Hinseberg) stattfinden. 157 Dementsprechend wurden die Zielsetzungen des Forschungsvorhabens modifiziert und auf die Situation in Deutschland beschränkt.

155

Zolondek (2007): JVA Bützow, JVA für Frauen Berlin, JVA Hildesheim (Abteilung der JVA Vechta), JVA für Frauen Vechta; die eigene Studie: JVA Aichach und JVA Willich II. 156 Quantitative und qualitative Befragungen.

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Teil 4: Methoden der Untersuchung

I. Verwirklichung des Regelwerks Ein Ziel ist es zu ermitteln, wie die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze in der Praxis des Frauenvollzuges umgesetzt werden. Die erste Arbeitshypothese besagt, dass der Frauenvollzug in Deutschland den Anforderungen des Regelwerks weitgehend entspricht und teilweise darüber hinausgeht. Im Vergleich mit den Mitgliedstaaten des Europarats gilt Deutschland als hoch entwickeltes Gemeinwesen mit einer starken Sensibilität für die Geltung der Menschenrechte im Strafvollzug. 158 Das im Untersuchungszeitraum noch geltende Strafvollzugsgesetz verfügt über ausgeprägte Rechtsschutzgarantien, und sieht in der Resozialisierung der Gefangenen die einzige Zielvorgabe. Entgegen der Zielvorgabe der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze haben die neuen Strafvollzugsgesetze der Bundesländer Bayern, Hamburg, Hessen und Niedersachsen den Schutz der Allgemeinheit zum gleichrangigen Vollzugsziel bzw. -aufgabe aufgewertet. 159 Auf der wachsenden Gefangenenpopulation der 1990er Jahre basiert die zweite Arbeitshypothese. Im Frauenvollzug stellt die Überbelegung ein Hindernis für den Behandlungsvollzug dar. 160 Überbelegung beeinträchtigt die Vollzugsabläufe auf verschiedenen Ebenen. 161 Im Personalbereich verschlechtert sich der Personalschlüssel, der zu einer Überlastung der Vollzugsbediensteten führt. Diese Überbelastung erzeugt vermutlich Arbeitsunzufriedenheit, die sich wiederum negativ auf die Anstaltsatmosphäre auswirken könnte. Für die Insassinnen bedeutet die Gründung von Notgemeinschaften eine Verschlechterung ihrer Unterbringungsbedingungen. 162 Überbelegung stellt somit eine Bedrohung für einen menschenwürdigen Vollzug und die Verwirklichung des Behandlungsvollzuges im Sinne der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze dar.

157 Infolge eines Wechsels der Anstaltsleitung: Die neue Anstaltsleiterin antwortete auf schriftliche Anfragen nicht, in Telefonaten vertröstete sie auf einen späteren Zeitpunkt und wies auf datenschutzrechtliche Probleme hin; zuvor war das Forschungsprojekt persönlich mit einer zuständigen Mitarbeiterin mit dem Zentralamt für Strafvollzug und Bewährungshilfe und dem damaligen Anstaltsleiter der KVA Hinseberg besprochen worden. 158 Nach Zolondek (2007), S. 265 schnitt der Frauenstrafvollzug in Deutschland im europäischen Vergleich gut ab, wenngleich die Haftbedingungen der untersuchten deutschen Anstalten nicht mit dem „Spitzenreiter“ Dänemark konkurrieren konnten. 159 Nach wie vor haben die prozessualen Rechtsschutzbehelfe nach Inkrafttreten der Ländergesetze zum Strafvollzug Bestand. 160 Zu den allgemeinen Gründen der Überbelegung Haverkamp / Mayer, MschrKrim 2003, S. 216. 161 Zu den Auswirkungen durch Überbelegung näher Schott, ZfStrVo 2003, S. 195 f. 162 Überbelegung begünstigt auch die Entstehung und Verfestigung von Subkultur.

C. Aufgabenstellung und Ziele der eigenen Untersuchung

209

Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze widmen einen eigenen Abschnitt dem Personal, das seinen Beitrag zur Erfüllung des Vollzugsziels leisten soll. Die dritte Arbeitshypothese lautet folglich, dass die Zufriedenheit des Vollzugspersonals mit seiner Arbeit von Einfluss auf das Anstaltsklima und die Haftbedingungen der Insassinnen ist. Eine Reihe von Faktoren tragen zur Arbeitszufriedenheit des Vollzugspersonals bei. Hierzu gehören die Interaktion innerhalb des gesamten Vollzugsstabes (Anstaltsleitung, Zusammenarbeit des allgemeinen Vollzugsdienstes mit den Fachdiensten, Kommunikation mit Kolleg(inn)en), die Anstaltsorganisation, z. B. Teamarbeit und eigene Handlungsspielräume) sowie der Umgang mit den Insassinnen. Erfolgserlebnisse sind wahrscheinlich auch von Bedeutung für die Arbeitszufriedenheit. II. Frauenvollzug Die Arbeit hat des Weiteren zum Ziel, die Besonderheiten des Frauenvollzuges aufzuzeigen. Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze von 1987 163 enthielten einzelne Bestimmungen zu Frauen aufgrund des Geschlechterunterschieds; eine eigene Rubrik zu weiblichen Inhaftierten wurde im neuen Regelwerk von 2006 164 eingeführt. Im Schrifttum wird kritisiert, dass der weibliche Behandlungsvollzug von männlich orientierten oder die traditionelle Frauenrolle betonenden Angeboten geprägt wird. 165 Diese Ausrichtung berücksichtige kaum die Sozialisation von inhaftierten Frauen, die von wirtschaftlichen und psychischen Abhängigkeiten, schlechter Ausbildung und geringem Selbstbewusstsein gekennzeichnet wäre. Eine sinnvolle Vollzugsgestaltung zur Entwicklung von Unabhängigkeit und Selbstvertrauen ließe sich nur unter Berücksichtigung der Ausgangs- und Lebenslagen verwirklichen. Bislang bleiben dennoch Konturen und Inhalt des gängigen Begriffs „Frauenvollzug“ unklar. 166 Es ist daher erforderlich, zumindest Charakteristika eines frauenspezifischen Vollzugs herauszuarbeiten. Hieraus leitet sich die erste Arbeitshypothese ab. Beim Behandlungsvollzug besteht Reformbedarf sowohl für Frauen als auch für Männer. Forderungen nach einer Ausweitung von Behandlungsmaßnahmen (z. B. Ausbildung), einer

163

11.2. Geschlechtertrennung, 28.1. Geburt in einem gewöhnlichen Krankenhaus, 28.2. Kinderkrippe bei Mutter-Kind-Einrichtung für arbeitende Mütter. 164 Mit den Grundsätzen 34.1. – 3. 165 Kawamura-Reindl, in: Handbuch der Resozialisierung, S. 396, Rn. 52. 166 Der Fragebogen an die Justizministerien und Justizvollzugsanstalten enthält eine Frage zu frauenspezifischen Angeboten, die uneinheitlich und widersprüchlich beantwortet wurde. So verneinte die JVA Schwäbisch-Gmünd diese Frage, jedoch führte das Justizministerium Baden-Württemberg frauenspezifische Maßnahmen in dieser Anstalt an.

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Teil 4: Methoden der Untersuchung

Umstrukturierung des Vollzugs (z. B. Wohngruppenvollzug) und nach Kontaktförderung mit Angehörigen sind für beide Geschlechter von Bedeutung. 167 Aus diesem Grund ist zunächst eine Klarstellung vonnöten, in welchen Bereichen für weibliche und männliche Gefangene Neuerungen wünschenswert wären. Erst im Anschluss daran kann auf Spezifika des Frauenvollzugs eingegangen werden. Um die Besonderheiten des Frauenvollzuges geht es bei der zweiten Arbeitshypothese. Während der Strafverbüßung in einer Justizvollzugsanstalt haben inhaftierte Frauen andere Bedürfnisse als Männer. Bei der gesamten Ausgestaltung des Vollzuges kommen geschlechtsspezifische Unterschiede zum Tragen. Sichtbarer Ausdruck sind Gartenanlagen, teils geringere Sicherheitsvorkehrungen, Zimmerpflanzen und die farbliche Gestaltung der Räume im Frauenvollzug. 168 Auch scheinen die Kommunikationsstrukturen im Frauenvollzug anders zu sein. Zudem ist es notwendig, die frauenspezifischen Besonderheiten von Behandlungsmaßnahmen und anderen Aktivitäten festzustellen. Ein Beispiel ist das Thema „Übergewicht“, das in der Literatur bislang nicht zur Sprache kommt, aber im Vollzug häufig ein Problem für Insassinnen darstellt. „Fitness für Übergewichtige“ könnte beispielsweise ein Sportangebot für diese Gruppe bilden. Ein weiterer, zentraler Bereich sind Arbeit, Ausbildung und Fortbildung. Zum einen geht es um Ausbildungen in zukunftsträchtigen Berufen und zum anderen um Wünsche und Fähigkeiten der Insassinnen. 169 Die dritte Arbeitshypothese stellt Fragen nach einer Berührung von Frauenund Männervollzug. Die Koedukation erweitert für weibliche Gefangene das Ausbildungs- und Bildungsangebot und ermöglicht ihnen den Zugang zu männerspezifischen Berufen. Mit Skepsis wird im Schrifttum der Koedukation begegnet, weil die Durchsetzung tradierter Rollenverhältnisse verbunden mit einer dominierenden Position der Männer befürchtet wird. 170 In diesem Sinne wird die eingeschlechtliche Institution des Gefängnisses als „Schutzraum“ für Frauen vor schädlichen sozialen Abhängigkeiten angesehen. Allerdings gehört der Umgang mit dem anderen Geschlecht in Freiheit zur Normalität. Die Konfrontation mit Männern im Rahmen der Koedukation könnte somit als Übungs- und Lernfeld

167

Maelicke (1993), S. 111 f. schlägt u. a. Verbesserungen bei der durchgehenden sozialen Hilfe und für Drogenabhängige vor. Diese Empfehlungen lassen sich ebenso auf den Männervollzug übertragen. Es handelt sich damit nicht um frauenspezifische Vorschläge. 168 Diese Unterschiede fallen insbesondere bei den gegenüberliegenden und äußerlich ähnlichen Anstalten Willich I für Männer und Willich II für Frauen auf. So hat die JVA Willich I für Männer mehr Sicherheitsvorkehrungen und keine Grünanlage. Aber ebenso stellt sich hier die Frage, ob eine freundlichere Gestaltung im Männervollzug eine positive Wirkung auf das Anstaltsklima haben könnte. 169 Hierzu Fichtner, ZfStrVo 1990, S. 82. 170 Maelicke (1993), S. 113; vgl. dagegen Pendon, ZfStrVo 1988, S. 362.

C. Aufgabenstellung und Ziele der eigenen Untersuchung

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für Frauen begriffen werden, um nach ihrer Entlassung langfristig Veränderungen ihrer Lebenssituation zu bewirken. III. Resozialisierung Im Anschluss an die Bestimmung der Grundlagen für einen frauengerechten Vollzug wird schließlich bezweckt, die Chancen zur Resozialisierung im Frauenvollzug darzulegen und Anregungen für Neuerungen zu entwickeln. Beim Vollzugsziel der Resozialisierung handelt es sich um einen schwer fassbaren Schlüsselbegriff, unter dem allgemein die Wiedereingliederung von Menschen in die soziale Gemeinschaft verstanden wird. 171 Den Grundprinzipien der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze von 1987 (3.) lässt sich eine gewisse Verdeutlichung des Begriffes entnehmen. Danach sollen die Gefangenen befähigt werden, „sich nach der Entlassung wieder in die Gesellschaft einzugliedern, ein gesetzestreues Leben zu führen und ihren Lebensunterhalt zu bestreiten“. 172 Der Resozialisierungsbegriff des alten Regelwerks besteht demnach aus den drei Komponenten soziale Wiedereingliederung, legale Lebensführung und selbständiger Lebensunterhalt. Es handelt sich um ambitionierte Zielsetzungen, die erst nach der Entlassung verwirklicht werden können. Der Behandlungsvollzug 173 steht damit in einer notwendigen Wechselbeziehung zur künftigen Entwicklung der Gefangenen. Während des Vollzuges könnte jedoch die der Resozialisierung innewohnende Zukunftsperspektive die Behandlungsarbeit erschweren, weil Behandlungsmaßnahmen erst im Falle einer geglückten Legalbewährung als Erfolg wahrgenommen werden. 171 Du Mênil (1994), S. 29 m.w. N.; der Begriff der Resozialisierung setzt aber eine Sozialisation voraus, die bei einem zunehmenden Teil von Strafgefangenen wohl gar nicht stattgefunden hat; zum Begriff in rechtlicher, psychologischer und gesellschaftlicher Hinsicht Pecher, in: Justizvollzugspsychologie in Schlüsselbegriffen, S. 215 ff. 172 § 2 S. 1 StVollzG „Im Vollzug der Freiheitsstrafe soll der Gefangene fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen“ in Verbindung mit § 3 Abs. 2, 3 StVollzG; dem entspricht der Wortlaut der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze von 2006 in der Empfehlung 103.1 „... ist der Vollzug für Strafgefangene so zu gestalten, dass sie fähig werden, in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen“. 173 Unter Behandlung im Sinne der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze von 1987 werden alle Maßnahmen verstanden, die „der Erlangung und Erhaltung der physischen und psychischen Gesundheit der Gefangenen dienen und dazu beitragen können, die Gefangenen auf ihre Entlassung so vorzubereiten, dass eine Chance auf Wiedereingliederung in die Gesellschaft besteht. Behandlung umfasst daher eine Reihe von Maßnahmen wie Arbeit, Berufsausbildung, Schulbildung und Allgemeinbildung, Freizeitgestaltung, Sport, künstlerische Betätigung, Lesen, Rundfunk und Fernsehempfang, Brief- und Besuchskontakte, soziales Training, Seelsorge, alle Formen der Einzel- und Gesprächsbetreuung, psychologische Betreuung, medizinische und psychiatrische Behandlung.“ Aus Gonsa, in: Menschenrechte im Strafvollzug, S. 50.

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Teil 4: Methoden der Untersuchung

Hieraus leitet sich die erste Arbeitshypothese ab. Die zukunftsweisende Ausrichtung des Resozialisierungsauftrags behindert die Vermittlung von unmittelbaren Erfolgserlebnissen sowohl bei den Insassinnen als auch bei den Bediensteten. Die Wechselbeziehung zwischen Bewährung in Freiheit und Behandlungsmaßnahmen stellt aufgrund der hohen Rückfallquote Sinn und Zweck der Tätigkeit im Vollzug in Frage. 174 In der Vollzugspraxis werden die Bediensteten häufig mit den erneut straffällig gewordenen Frauen konfrontiert, während die Frauen ihr Versagen mit ihrer Rückkehr deutlich spüren. 175 Die Behandlungsarbeit hinterlässt vermutlich kaum einen bleibenden positiven Eindruck auf beiden Seiten. Mutlosigkeit und Zweifel an der Effektivität von Behandlungsmaßnahmen könnten diese Erfahrungen von Insassinnen und Bediensteten nach sich ziehen. Aufgrund dessen bedarf es entsprechend der zweiten Arbeitshypothese eines differenzierten Verständnisses vom Begriff der Resozialisierung. Die Vollzugsphase selbst könnte als Resozialisierung bzw. Behandlung im engeren Sinne bezeichnet werden. Die Resozialisierung im engeren Sinne würde alle Behandlungsaktivitäten zur Erlangung und Erhaltung der körperlichen und geistigen Gesundheit umfassen. 176 Demgegenüber würde sich die Resozialisierung im weiteren Sinne auch auf die Legalbewährung erstrecken. Diese Abgrenzung ließe eine andere Bewertung des Behandlungsvollzuges zu. Das Behandlungsziel im Vollzug könnte unabhängig von der Zukunftsperspektive beurteilt werden. Diese Sichtweise hätte auch Konsequenzen für den Behandlungsvollzug (Chancenvollzug). Gemäß der dritten Arbeitshypothese kann eine sorgfältige Vollzugsplanung erreichbare Behandlungsziele mit entsprechenden Behandlungsmaßnahmen formulieren und ihre Erfüllung überprüfen. Dieses Vorgehen würde Insassinnen und Bediensteten gleichermaßen die Möglichkeit geben, die Behandlungsbemühungen zu verfolgen und ihr Gelingen bzw. Misslingen entsprechend zu würdigen.

174 Der in den 1970er Jahren aufkommende Behandlungspessimismus („nothing works“) tritt hier hervor; Kaiser / Schöch, Strafvollzug, S. 13 § 2 Rn. 15; die Debatte im deutschen Schrifttum wurde von Skandinavien (Nils Christie) angestoßen und beeinflusst. 175 Mangels Sichtbarkeit und Kontakt können die Positivbeispiele von den Vollzugsbediensteten vermutlich nicht wahrgenommen werden. 176 Insofern weist auch der Verwahrvollzug unter dem Gesichtspunkt der Gesundheit Behandlungselemente auf; vgl. insofern die Begriffsbestimmung zur Behandlung im Vollzug in Art. 3 S. 3, 4 BayStVollzG.

D. Untersuchungsmethoden

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D. Untersuchungsmethoden I. Implementationsforschung Da die Gemeinschaftsvorgaben für den Strafvollzug in Verbindung mit der nationalen Rechtsordnung als Anknüpfungspunkte dienen, gehört das Forschungsvorhaben der Implementationsforschung an. Unter Implementation wird der Prozess des sozialen Wandels rechtsförmiger Programme verstanden, wobei das Forschungsinteresse der Durchführung und Anwendung von Gesetzen und anderen Programmen gilt. 177 Programmformulierung und Durchführung stehen zueinander in einer Wechselbeziehung, von deren Erkundung Hinweise für die zweckmäßige Weiterentwicklung und Nachbesserung von Programmen gewonnen werden können. Dem Implementationsansatz liegt die Erkenntnis zugrunde, dass die Realisierung politischer Programme weniger vom Initiator als vom administrativen Durchführungsträger und vom Adressatenkreis abhängt. Implementation bedeutet einen komplexen Prozess, in dem Rechtsnormen oder politische Programme verschiedene Umsetzungsphasen auf unterschiedlichen Handlungsebenen wie Gesetzgebung, Verwaltung und Zielgruppen durchlaufen. Eine wichtige Eigenheit der angestrebten Studie besteht darin, dass die supranationale Staatengemeinschaft hier als zentrale Instanz auftritt und das Mitgliedsland Deutschland als Durchführungsakteur der europäischen Strafvollzugsgrundsätze erscheint. Auf konkreter Vollzugsebene kommen die ausführenden Verwaltungsakteure (z. B. Vollzugsbedienstete) und als Adressaten die inhaftierten Frauen hinzu. Vor allem die beiden zuletzt genannten Implementationsgruppierungen können durch fehlende Befolgung oder eine Zielverschiebung infolge einer Uminterpretierung der Programmziele zu Vollzugsdefiziten führen. II. Erhebungsmethoden Zur Erfassung des Untersuchungsgegenstandes, d. h. die Implementation der europäischen Strafvollzugsgrundsätze im Frauenvollzug, bot sich eine Kombination verschiedener Erhebungsmethoden an, um unterschiedliche Perspektiven zu beleuchten und den Erkenntnisgewinn zu erhöhen. 178 Die empirische Sozialforschung bedient sich der Inhaltsanalyse, der Beobachtung sowie der quantitativen und qualitativen Befragung. 179 In dem Forschungsprojekt wurden alle drei Techniken angewendet. Elemente der Beobachtung wurden bei Besuchen der ausgewählten Justizvollzugsanstalten verwendet. Ein Schwerpunkt lag auf 177 178 179

U. a. Mayntz, in: Implementation politischer Programme, S. 236. Kürzinger (1996), S. 56 ff. Rn. 55, 60. Schnell / Hill / Esser (2005), S. 319.

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Teil 4: Methoden der Untersuchung

der mündlichen Befragung mit Interviewleitfäden oder mit teilstandardisierten Fragebögen. Inhaltsanalytisch kam die Analyse von Gefangenenpersonalakten zur Anwendung. 1. Schriftliche Befragung zur Ist-Situation im Frauenstrafvollzug In den empirischen Sozialwissenschaften ist die Befragung eine klassische Methode zur Ermittlung von Tatsachen, Wissen oder Bewertungen. 180 Auf diese Weise vermag die Kriminologie „direkte Informationen“ einzuholen. 181 Für eine Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzuges bot sich daher die schriftliche Befragung als geeignetes Erhebungsinstrument mit folgenden Durchführungsträgern an: • Schriftlicher Fragebogen an alle Landesjustizverwaltungen zwecks einer aktuellen Bestandsaufnahme auch im Hinblick auf beabsichtigte Reformen • Schriftlicher Fragebogen an die Leiter / innen von Frauenjustizvollzugsanstalten und Leiter / innen von Anstalten mit Frauenabteilungen zur Situation, Bedarf, Vollzugsgestaltung und Perspektiven. Mit den schriftlichen, standardisierten Befragungen konnten Fakten und Bewertungen zum Frauenstrafvollzug in den verschiedenen Bundesländern eingeholt werden. Von Bedeutung ist hier, dass auf diese Weise gleichartige Informationen zur Handhabung der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze im Frauenvollzug erhoben wurden, um eine bessere Vergleichbarkeit der erhobenen Daten zu allgemeinem Basiswissen über die Vollzugssituation innerhalb Deutschlands herzustellen. Die an die Landesjustizverwaltungen gerichteten Fragebögen weichen teilweise in ihrer Struktur von den Fragebögen an die Justizvollzugsanstalten ab. Während mit dem für die Behörden bestimmten Erhebungsinstrument allgemeine Informationen zur Situation von Insassinnen im Bundesland eingeholt wurden, ging es im Fragebogen an die Justizvollzugsanstalten auch um Einzelheiten zur Vollzugsorganisation. Als Vorbild diente der Erhebungsbogen von Maelicke 182, doch wurden mit zusätzlichen Fragestellungen und Themenkomplexen mehr und ausführlichere Auskünfte eingeholt. In dem Fragebogen an die Behörden wurden neben Fragen zu den Insassinnen hinsichtlich Haftdauer, Haftform und Ethnie folgende Themen behandelt: Belegung, Unterbringung (Angabe der Justizvollzugsanstalten mit Frauenvollzug, 180 181 182

Kürzinger (1996), S. 56 ff. Kiessl (2001), S. 187. Maelicke (1993) und BAG-S (1998).

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Mutter-Kind-Einrichtung, Hausfrauenvollzug), Beschäftigungs- und Bildungssituation, soziale und religiöse Unterstützung, Personalsituation und Weiterentwicklungspläne. Diese Themengebiete enthält ebenso das Erhebungsinstrument an die Justizvollzugsanstalten, wobei hier die Fragestellungen teilweise ins Detail gehen (z. B. Art der gemeinsamen Unterbringung, Größe des Haftraums, Besonderheiten in der Mutter-Kind-Einrichtung). Darüber hinaus gibt es zusätzliche Komplexe zu der befragten Justizvollzugsanstalt (z. B. Gebäudealter und -typus), zur Gesundheitsfürsorge und zum Verkehr mit der Außenwelt. Inhaltlich reflektieren die Fragebögen verschiedene Anforderungen der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze. 2. Analyse von Gefangenenpersonalakten In der Implementations- und Strafvollzugsforschung stellt die Aktenanalyse eine gängige Erhebungsmethode dar. Doch muss die Deskription und Interpretation der gewonnenen Daten vor dem Hintergrund der nachfolgend angesprochenen Probleme erfolgen. 183 Im Unterschied zur Befragung, die unmittelbare Informationen der Befragten erfasst, besteht die Aktenanalyse aus einer Datensammlung von mittelbaren Erkenntnissen anhand von Dokumenten. Die von den Akten vermittelte „Realität“ wird aber von den für die Aktenführung verantwortlichen Instanzen mit den zugrunde liegenden Vorschriften zur Aktenführung bestimmt. 184 Die Akte bildet somit nicht wirklichkeitsgetreu die Geschehnisse ab. Allein aus der Aktenlage ist daher die tatsächliche Rekonstruktion eines Sachverhalts nicht möglich. Vielmehr bedarf es ergänzender Auskünfte über die Vollständigkeit der Dokumentation oder über das Schema der Auswahlmechanismen bei der Registrierung. Fehlen diese zusätzlichen Informationen, so müssen die gewonnenen Daten entsprechend interpretiert werden. Hieraus ergibt sich die Frage nach der „Wahrheit der Akten“. Die Registrierung mag sich nach der Gesetzmäßigkeit der Entscheidungen richten. Aufgrund dessen entsteht womöglich ein beschönigtes Bild von Entscheidungsverfahren, indem rechtlich unzulässige oder andere bedeutsame Gesichtspunkte der Entscheidungsfindung außer acht bleiben. Umgekehrt könnte jedoch gerade der Legitimationsanspruch bei Entscheidungen mit Außenwirkung wie im Fall von Vollzugslockerungen die Gewähr für eine möglichst umfassende Dokumentation bieten. Unter Berücksichtigung der genannten Aspekte ist eine Analyse der Gefangenenpersonalakten von entlassenen Frauen zum Haftverlauf sinnvoll: Nachdem 183 Vgl. im Folgenden zur Aussagekraft Dölling, in: Methodologische Probleme in der kriminologischen Forschungspraxis, S. 269 ff.; Geissler (1991), S. 106 f.; Kiessl (2001), S. 185 f. 184 Bei soziobiographischen Angaben auch durch die Insassinnen, s. Franze (2001), S. 46.

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Teil 4: Methoden der Untersuchung

die schriftliche Befragung den äußeren Rahmen des Frauenstrafvollzugs umreißt, erschließen sich aus den Daten der Gefangenenpersonalakten die Sozialund Haftbiographien von ehemaligen Insassinnen. 185 Neben dem Lebenslauf interessieren Einzelheiten über durchgeführte Vollzugsmaßnahmen (Lockerungen, Schul- oder Berufsbildung, Entlassungsvorbereitung). In diesem Zusammenhang steht die Anwendung weiterer Standards der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze im Blickpunkt. Hierzu gehören u. a. Kenntnisse über die Stellung von allgemeinen Anträgen und Anträgen auf Vollzugslockerungen, Entscheidungen über diese Anträge, Verlegungen innerhalb der JVA, Überstellungen in eine andere JVA, Disziplinarverstöße und Disziplinarverfahren sowie Beschwerden der Insassinnen. Der Erhebungsbogen wurde an das Instrument von Dünkel 186 angelehnt und in Teilen gekürzt (Replikationsstudie). 3. Interviews mit Insassinnen und Vollzugsbediensteten Aus der Aktenanalyse ergibt sich der registrierte Vollzugsverlauf. Der Vollzugsalltag aus Sicht der Insassinnen und der Vollzugsbediensteten – das Hafterleben und die Haftbedingungen – lässt sich hieraus jedoch nicht erschließen. Dies gilt ebenfalls für die Akzeptanz der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze 187 durch die beiden Gruppierungen und deren Bedeutung für die Vollzugspraxis. Ein ergänzendes qualitatives Forschungsdesign ist wegen der Unerforschtheit des Untersuchungsgegenstands (Handhabung der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze im Frauenvollzug) eine adäquate Methode, um im unmittelbaren Kontakt mit den Akteuren ein Verständnis von deren subjektiver Wirklichkeit zu erhalten. Gegenstand der Forschung sind somit menschliche Subjekte in ihrem sozialen Kontext und in ihrer Interaktion mit ihrer Umgebung. 188 Die qualitative Inhaltsanalyse bezweckt die Entwicklung von Klassifizierungen, aus der sich Typologien von Handlungsmustern und -strukturen bei den straffälligen Frauen und bei den Vollzugsbediensteten sowie theoretisch-abstrakt formulierte Hypothesen für den Behandlungsvollzug und die Handhabung der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze herausbilden sollen. 189 Die mündliche Befragung von Insassinnen und Vollzugsbediensteten wurde daher wie folgt durchgeführt:

185 Dünkel (1996), S. 67, 305; die Akten von Entlassenen sind wesentlich ergiebiger als die Akten von noch Inhaftierten, da in ersteren Informationen zum gesamten Vollzugsverlauf enthalten sind, vgl. Fischer-Jehle (1991), S. 47. 186 Dünkel (1992), S. 430 – 455. 187 Die Unkenntnis über das Regelwerk schadete nicht, da es um die Inhalte ging, die überwiegend auch im Strafvollzugsgesetz enthalten sind. 188 Vgl. Bergmann (2003), S. 70. 189 Lamnek (1988), S. 224 ff.

D. Untersuchungsmethoden

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• Teilstandardisierte Interviews mit inhaftierten Frauen über ihre Lebenslage vor und während der Inhaftierung sowie ihre Zukunftsaussichten nach der Entlassung • Teilstandardisierte Interviews mit Beschäftigten des allgemeinen Vollzugsdienstes • Leitfadeninterviews mit Beschäftigten der Fachdienste und mit den Anstaltsleitungen Die Befragung stellt die wichtigste Erhebungstechnik dar, um subjektive Einschätzungen und Befindlichkeiten festzustellen sowie Sachverhalte zu interpretieren. Die Auswertung der erhobenen Befunde muss allerdings im Bewusstsein einer möglichen stark „subjektiven Färbung“ geschehen. Die Befragung von Gefangenen zu Haftbedingungen stieß lange Zeit auf Ablehnung, weil die Strafvollzugsforschung mutmaßte, dass die eigene Betroffenheit der Gefangenen eine nachteilige Bewertung und ein „gemeinsames Wehklagen“ hervorrufen würde. 190 In jüngerer Zeit lässt sich eine Trendwende ausmachen. Neuere Forschungsarbeiten berücksichtigen die Perspektive von Gefangenen bei Untersuchungen zu Haftbedingungen im Strafvollzug. 191 Zwar mögen die Einstellungen und Meinungen der Insassinnen differieren, doch spiegeln diese scheinbaren Widersprüche das bunte Spektrum der verschiedenen Typen von Frauen wider. In diesem Rahmen dient die Verpflegung als ein Beispiel: Aufgrund von religiösen Überzeugungen, Ernährungslehren, Allergien oder schlichtweg unterschiedlichen Geschmäckern können die Einschätzungen zur Qualität des Essens voneinander abweichen. Dieser Befund entzieht sich einer generalisierenden Interpretation, lässt aber Rückschlüsse hinsichtlich einer Typisierung und damit eine differenzierte Betrachtungsweise zu. Dem Implementationsansatz zufolge reicht es zudem nicht aus, allein die objektiven Gegebenheiten mit den Vorgaben der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze zu vergleichen. Maßgebend ist danach auch die Sicht der Adressaten und Akteure, d. h. der betroffenen Insassinnen und der Vollzugsbediensteten. Ursprünglich waren Leitfadeninterviews mit allen Befragtengruppen geplant gewesen. Dieses Vorhaben wurde jedoch nach der Durchführung eines „Pretests“ 192 in der JVA Frankfurt a. M. III im November 2003 aufgegeben. Die Auswertung der themenzentrierten Leitfadeninterviews erbrachte, dass der Informationsgehalt sowohl bei den Insassinnen als auch bei den Bediensteten des 190

Kiessl (2001), S. 188. Schaffner (1986), Geissler (1991); Kiessl (2001); Ortmann (2002); Zolondek (2007). 192 An und für sich hätte auf einen Pretest wegen des qualitativen Ansatzes verzichtet werden können; vgl. Schwinn (2004), S. 46 m.w. N.; der Pretest war für die Forscherin jedoch wichtig, um einen Zugang zu den Beforschten in der bis dahin fremden Institution Gefängnis zu bekommen. 191

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Teil 4: Methoden der Untersuchung

allgemeinen Vollzugsdienstes inhaltlich stark voneinander abwich. 193 Daraufhin wurden zwei teilstandardisierte Fragebögen mit offenen und geschlossenen Antwortkategorien für die Insassinnen und die Bediensteten des allgemeinen Vollzugsdienstes entwickelt, um ein Mehr an Informationen zu gewinnen. Zugleich erhöhen vorgegebene Fragen und gebundene Antworten die Objektivität in Durchführung, Auswertung und Interpretation. 194 Jeder Themenkomplex enthielt eine bzw. mehrere offene Fragestellungen, um die subjektive Sichtweise der Betroffenen zu erfassen und das Informationsspektrum um andere wichtige Aspekte zu erweitern. Die Inhalte der bereits vorliegenden Interviewleitfäden wurden in die teilstandardisierte Befragung aufgenommen und präzisiert. In der qualitativen Sozialforschung wird dieser Vorgehensweise vorgeworfen, dass die Vorformulierung der Fragen dem Postulat der Kommunikation des Einzelfallzugangs widerspreche und sich der Interviewer nicht auf die jeweils in der Befragungssituation verwendeten Sprachkodes einlassen könne. 195 Dieses Argument lässt sich jedoch durch die Erfahrungen mit dem „Pretest“ entkräften, weil die Sprachungewandtheit sichtlich hemmte und demzufolge Fragestellungen mit geschlossenen Antwortkategorien zu weiteren Gedanken anregen können. Außerdem schien die Tonbandaufzeichnung trotz zugesicherter Vertraulichkeit manche befragte Inhaftierte einzuschüchtern. Ein teilstandardisiertes Interview ermöglicht derart die Klärung von Verständnisproblemen und ein Mehr an Erkenntnisgewinn hinsichtlich Biographie, Lebenslage und Perspektiven der straffälligen Frau. Bei der Auswertung erleichtert der teilstandardisierte Zugang die Vergleichbarkeit der Befunde. Ähnliches gilt für die Beschäftigten im allgemeinen Vollzugsdienst, deren unmittelbare Erfahrungen im Umgang mit den Betroffenen einfließen. Zudem lassen Interviews eine gewisse Spontaneität zu. So können beispielsweise die Antworten bei Nachfragen, nähere Einzelheiten über die Hintergründe bei positiven bzw. negativen Einstellungen aufzeigen. In den Fragebögen für die Insassinnen wurde auf das Befinden vor und während des Aufenthaltes im stationären Strafvollzug eingegangen. Zu Beginn wurden sozio-biographische Basisdaten erfragt. 196 Im Anschluss daran wurden Eindrücke von der JVA, Umstellungsprobleme, die Bewältigung des Vollzugsalltags und Verlegungen erörtert. Weitere Fragestellungen widmeten sich den 193 Diese Unterschiede beruhten auf den verschiedenen Persönlichkeiten der Interviewten: Einige Gesprächspartnerinnen waren verschlossen, sprachlich ungelenk und wenig mitteilsam, insbesondere die zurückhaltenderen und wortkargen Personen benötigten gewisse Ankerpunkte, um mehr Informationen über den Strafvollzug preiszugeben; demgegenüber fielen die Befragten der Fachdienste durch ihre Wortgewandtheit und Erzählfreude auf; aufgrund der datenschutzrechtlichen Vorgaben in Hessen wurden die Tonbandaufzeichnungen nach der Auswertung gelöscht und nicht in die Datenanalyse einbezogen. 194 Diekmann (2005), S. 374. 195 Lamnek (1988), S. 22 ff. zu den Prinzipien der qualitativen Sozialforschung u. a. Offenheit und Forschung als Kommunikation.

D. Untersuchungsmethoden

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Bedürfnissen der Insassinnen und ihrer Befriedigung. Die Anforderungen der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze fanden Berücksichtigung, beispielsweise bei der Unterbringung, der persönlichen Hygiene, der Kleidung, der Verköstigung, der medizinischen Versorgung sowie der religiösen und sozialen Betreuung. Zu bestimmten Themenkomplexen (Kindheit, Befinden, Essensqualität) wurden den Befragten geschlossene Antwortkategorien mit einem offenem Feld zum selbst Ausfüllen vorgelegt. 197 Ein wichtiges Thema war das Verhältnis zu den Mitinsassinnen und den Vollzugsbediensteten, da die Befindlichkeiten der Insassinnen und die Atmosphäre in der JVA mutmaßlich durch Interaktionsstrukturen geprägt werden. Ein anderer Schwerpunkt lag auf den individuellen Teilhabemöglichkeiten an Schulunterricht, Berufsausbildung oder Arbeit, um eine Lebensperspektive nach der Entlassung zu entwickeln. Ein weiteres Thema bildeten die Entlassungsvorbereitung und etwaige Zukunftsaussichten in Freiheit. Zuletzt wurden die Teilnehmerinnen um eine Einschätzung des Fragebogens gebeten. Die Antworten sollten Aufschluss über Motivation und Interesse an dem Interview geben. Hierbei ist zu bedenken, dass sozial erwünschtes Antwortverhalten in Gegenwart der Interviewerin nicht ausgeschlossen werden kann und die Befragten wahrscheinlich zu einer positiven Einschätzung neigten. Die Interviews mit dem Vollzugspersonal und den Anstaltsleitungen sind sog. Experteninterviews. Der Vollzugsstab ist selbst Teil des Handlungsfeldes, das den Forschungsgegenstand, die Implementation der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze im Frauenstrafvollzug, ausmachte. 198 Entsprechend der thematischen Interviewstruktur mit den Insassinnen wurden Bedienstete des allgemeinen Vollzugsdiensts zu ihrer Wahrnehmung des Vollzugsalltags interviewt. Der Fragebogen beginnt mit allgemeinen Angaben zur Tätigkeit in der Justiz. Darüber hinaus ist sowohl ihr Berufsverständnis als auch ihre Haltung zu den inhaftierten Frauen von Bedeutung. Ebenso spielt ihre Arbeitszufriedenheit eine wichtige Rolle. In diesem Rahmen wurden den Befragten zu bestimmten Fragestellungen Antwortkarten mit geschlossenen und offenen Variablen zum Ausfüllen vorgelegt. Überdies interessierten Nachwirkungen der Arbeit ins Private, Erfolgserlebnisse, Verbesserungsvorschläge im eigenen Arbeitsfeld und für den Behandlungsvollzug. Zusätzlich wurde gefragt, ob den Befragten die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze bekannt sind. Abschließend gaben die Befragten ihre Einschätzung zum Fragebogen ab. Dabei ist erneut ein Antwortverhalten im Sinne sozialer Erwünschtheit zu berücksichtigen. 196 Auf tiefschürfende Fragen zur Biografie wurde verzichtet. Es wurden eine Frage zum Verlauf der Kindheit und eine Anschlussfrage zu den Gründen für eine unglückliche Kindheit gestellt. 197 Diese Vorgehensweise lockerte das Interview auf, führte zur Konzentrationsanspannung seitens der Interviewten und ermöglichte – falls gewünscht – der Interviewten einen vorübergehenden Rückzug aus der Gesprächssituation. 198 Meuser / Nagel (2002), S. 73.

220

Teil 4: Methoden der Untersuchung

Die Interviews mit den Vertreter(inne)n der Fachdienste wurden mit themenzentrierten Interviewleitfäden geführt. Die Themen umfassen die dienstliche Biografie, eine berufsspezifische Aufgabenbeschreibung und Zielsetzungen, berufsspezifische Behandlungsansätze, Arbeitsbedingungen, Besonderheiten im Umgang mit weiblichen Inhaftierten, Selbstbilder und Charakteristika weiblicher Inhaftierter, Veränderungen in der weiblichen Vollzugspopulation über die Jahre, das Verhältnis zu den Insassinnen, die Zusammenarbeit mit den Fachdiensten und dem allgemeinen Vollzugsdienst, eigene Erfolgserlebnisse in der Arbeit sowie Verbesserungen des Behandlungsvollzugs. Die Mutter-Kind-Einrichtungen wurden in den Befragungen nicht berücksichtigt, was auch daran lag, dass es in der JVA Willich II im Unterschied zur JVA Aichach keine derartige Abteilung gab. Die Problematik des Mutterseins in einer geschlossenen Institution wurde in den Interviews mit den inhaftierten Müttern aufgeworfen und erörtert.

E. Die Durchführung der Untersuchung I. Erhebungszeitraum Die gesamte Untersuchung fand im Zeitraum von April 2003 bis Dezember 2005 statt und setzte sich aus vier verschiedenen Untersuchungsschritten zusammen, deren zeitliche Abfolge Tabelle 13 verdeutlicht: 199 Der gesamte Erhebungszeitraum betrug etwa zweieinhalb Jahre. Im April 2003 begann diese Phase mit einer schriftlichen Befragung aller Landesjustizverwaltungen und von 18 Justizvollzugsanstalten mit weiblichen Gefangenen in Deutschland. Der Rücklauf der Fragebögen war im ersten Halbjahr des Jahres 2004 abgeschlossen. Die im Dezember 2004 fertig gestellten Landesberichte wurden in Deutschland an alle Landesjustizverwaltungen und einige Justizvollzugsanstalten gesendet. 200

199

In Schweden wurden in Absprache mit dem Zentralamt für Strafvollzug und Bewährungshilfe zwei Erhebungsschritte verwirklicht: Von Mai bis September 2003 erfolgten die schriftliche Befragung der Frauenstrafanstalten und im April 2004 ein „Pretest“ in der zweitgrößten Frauenanstalt Färingsö mit fast 50 Insassinnen nahe Stockholm. In diesem Rahmen wurden Interviews mit zwei Insassinnen, zwei Vollzugsbediensteten und einer Krankenschwester sowie ein Gespräch mit dem Anstaltsleiter gemeinsam mit seiner Stellvertreterin geführt. Außerdem wurden fünf Gefangenenpersonalakten eingesehen. Die Ergebnisse wurden in dieser Studie jedoch nicht aufgenommen, weil die Hauptuntersuchung in der Frauenanstalt Hinseberg in Schweden nicht durchgeführt werden konnte. 200 In dem Schreiben wurde zu Rückmeldungen für Nachbesserungen aufgerufen. Die eingegangenen Ergänzungen mehrerer Behörden wurden anschließend von der Verfasserin

E. Die Durchführung der Untersuchung

221

Tabelle 13 Erhebungsphase 2003 bis 1.6.

2004

bis 31.12.

bis 1.6.

bis 31.12.

2005 bis 1.6.

bis 31.12.

Schriftliche Befragung der Landesjustizverwaltungen und Justizvollzugsanstalten in Deutschland Pretest in der JVA Frankfurt a. M. III Erhebung in der JVA Willich II (mündliche Befragung, Gefangenenpersonalaktenuntersuchung) Erhebung JVA Aichach (mündliche Befragung, Gefangenenpersonalaktenuntersuchung)

Ende Februar 2004 stellte sich die Verfasserin mit einer Mitarbeiterin in der JVA Willich II vor. Während des Besuchs wurde die Anstalt besichtigt und es wurden die Modalitäten für die Durchführung der Befragung im August 2004 besprochen. Anfang August begann die Untersuchung, die Mitte Januar 2005 abgeschlossen war. Die JVA Aichach wurde im Mai 2004 zum ersten Mal besucht. In diesem Rahmen wurden einzelne Stationen mit Hafträumen, die Mutter-Kind-Einrichtung, Werkstätten und das Außengelände besichtigt. Zudem wurde ein Interview mit dem Anstaltsleiter aufgezeichnet. Die Durchführung der Erhebung wurde im Juli 2004 fortgesetzt und endete im Dezember 2005. II. Die Interviews Beim „Pretest“ 201 in der JVA Frankfurt a. M. III wurden im November 2003 zehn Insassinnen, fünf Bedienstete des allgemeinen Vollzugsdienstes und jeweils eine Sozialarbeiterin, eine Psychologin und der Anstaltsleiter mündlich berücksichtigt. Die Bestandsaufnahme über den Frauenvollzug in Schweden wurde an das Zentralamt für Strafvollzug und Bewährungshilfe in Norrköping verschickt.

222

Teil 4: Methoden der Untersuchung

befragt. 202 Bei der Auswahl der interviewten Insassinnen waren informelle Kontakte von Bedeutung. 203 Auf diese Weise konnten Insassinnen mit eher kurzen Freiheitsstrafen, wenig Interesse am Chancenvollzug samt langjährigen Drogenund Kriminalitätskarrieren für ein Interview gewonnen werden. 204 Als großer Nachteil für eine offene und entspannte Interviewatmosphäre erwies sich dabei die Durchführung zweier Interviews in unabgeschirmten Räumlichkeiten: So fand ein Interview in einem öfter betretenen Bedienstetenbüro ohne durchgängige Trennwände zur Decke und ein Interview in einem bloßen Gang statt, so dass der jeweils interviewten Frau die Privatheit und Intimität fehlte, um ein aufrichtiges Gespräch in einer geschützten Umgebung zu führen. Bei der Durchführung der Untersuchung in den Justizvollzugsanstalten Willich II und Aichach wurde deshalb besonderer Wert auf eine ungestörte Interviewsituation in einem abgeschirmten Raum gelegt. 1. Auswahl der Interviewten a) In der JVA Willich II Anfang August 2004 stellten die Verfasserin und eine Sozialpädagogik-Diplomandin 205 das Projekt in vier verschiedenen Behandlungsmaßnahmen vor. 206 Die Resonanz der Frauen war außerordentlich positiv: Sie hörten mit großem Interesse zu und stellten viele Fragen. Teilweise entwickelten sich lebhafte Diskussionen über den Strafvollzug. Im Laufe der nächsten Tage wurden 17 Interviews mit Insassinnen 207 des geschlossenen Vollzugs geführt. Die Interviews dauerten zwischen ein bis drei Stunden pro Frau. Die Diplomandin übernahm fünf Interviews mit den Insassinnen und zwei Interviews mit den Sozialarbeiterinnen 208. Bei den befragten Inhaftierten handelte es sich somit um eine Positivauswahl von 201

Dem „Pretest“ ging ein Besuch der Anstalt im Frühjahr des Jahres voraus, bei dem die Verfasserin die stellvertretende Anstaltsleiterin und die Anstalt kennenlernte. Ein „Pretest“ war wegen des qualitativen Ansatzes nicht erforderlich. 202 Aufgrund der datenschutzrechtlichen Vorgaben in Hessen durften die erhobenen Daten nicht in der Hauptuntersuchung verwertet werden. Die Tonbänder wurden im Winter 2003/2004 gelöscht. 203 Die erste Interviewpartnerin vermittelte mehrere Bekannte. 204 Leider konnten die Inhalte der Interviews nicht in die Arbeit einfließen. 205 Sabine Riemer mit der 2006 abgeschlossenen Diplomarbeit „Möglichkeiten und Grenzen der Sozialarbeit im Strafvollzug“. 206 Liftkurs, Bürokommunikationskurs, Schneiderinnenausbildung, abstinenzorientierte Drogenabteilung (ZaRa= Zusammen am Richtungswechsel arbeiten). 207 Ursprünglich hatten 20 Frauen zugesagt, doch zogen drei Frauen ihre Teilnahme zurück. Zwei Frauen waren in einer Gruppe, die kurz vorher negative Erfahrungen mit einer Studie gemacht hatte und daher eine eher skeptische Haltung einnahm. Eine weitere Frau entschuldigte sich persönlich für ihren Rückzieher: Sie fühlte sich von den Lebensumständen in Haft überfordert und außerstande ein Interview durchzustehen.

E. Die Durchführung der Untersuchung

223

Insassinnen, die allesamt Behandlungschancen wahrnahmen. Darüber hinaus erklärten sich elf Vollzugsbedienstete in der JVA Willich II zu einem Interview bereit, nachdem sie von der für das Forschungsteam verantwortlichen Vollzugsbediensteten angesprochen worden waren. Darunter befanden sich auch zwei Vollzugsbeamtinnen des offenen Vollzugs. Mit Vertreter(inne)n der Fachdienste fanden vier Interviews anhand von strukturierten Interviewleitfäden statt: zwei Lehrer(inne)n, ein Psychologe und ein Anstaltsarzt. Die mündlichen Befragungen des Vollzugspersonals wurden überwiegend in einem Rechtsanwaltszimmer und in wenigen Fällen im Dienstbüro geführt. Abschließend wurde im Januar 2005 die Anstaltsleiterin in ihrem Büro befragt. Insgesamt fanden in der JVA Willich II 35 Interviews statt. Zusätzlich kam es zu einer Reihe von informellen Gesprächen mit Inhaftierten im Besuchertrakt und mit anderen Vollzugsbediensteten beim Mittagessen in der Kantine oder beim Durchschließen während der zweiwöchigen Interviewphase. 209 b) In der JVA Aichach Im Mai 2004 wurde zuerst der Anstaltsleiter in seinem Büro interviewt. Der Anstaltsleiter stellte in der Folge den Bediensteten des allgemeinen Vollzugsdienstes das Forschungsprojekt vor. Nach einer Bedenkfrist zeigten drei Interessierte ihre Bereitschaft zur Teilnahme und wurden im Juli 2004 befragt. Von Februar bis April 2005 erfolgte ein Mal wöchentlich die Befragung der inhaftierten Frauen. Die damalige Besetzung der Kabarettgruppe erklärte sich geschlossen zur Mitwirkung bereit. Darüber hinaus sprachen Vollzugsbedienstete einzelne Frauen auf den Stationen an, so dass insgesamt 20 Frauen interviewt wurden. Wie auch schon in der JVA Willich II beteiligten sich fast ausschließlich Insassinnen, die Behandlungsmaßnahmen in Anspruch nahmen. Im Juli 2005 nahmen die Verfasserin und die Diplomandin an einer Vollzugskonferenz teil. Im Anschluss daran wurde das Projekt den beteiligten Fachdiensten vorgestellt und es wurde eine Diskussion darüber ermöglicht. Alle Anwesenden erklärten sich zu Interviews bereit, die in den jeweiligen Räumlichkeiten der verschiedenen Fachdienste ab Juli erfolgten und Ende August 2005 abgeschlossen waren. Es handelte sich um zwei Personen des psychologischen Dienstes, vier Lehrerinnen, eine Pfarrerin, eine Ärztin und eine Krankenpflegedienstleiterin. Zusätzlich konnte der Kontakt zur externen Drogenberatung in der Anstalt vermittelt werden, so dass deren Leiterin und die Jugendberaterin in die Be208 Die Interviews mit den sozialen Diensten in der JVA Willich II und der JVA Aichach wurden sowohl mit einem Fragebogen geführt als auch mit einem Tonband aufgezeichnet, vgl. Riemer (2006), S. 17 f. 209 Eine Inhaftierte reinigte den Rechtsanwaltsraum und stellte für die Forscherin häufig eine frische Blume auf den Tisch; die Forscherin wurde oft von Insassinnen und Vollzugsbediensteten darauf aufmerksam gemacht, sorgsam auf die eigenen Sachen aufzupassen.

224

Teil 4: Methoden der Untersuchung

fragung einbezogen wurden. Die Diplomandin schloss die Interviewphase mit der Befragung des sozialen Dienstes mit fünf Mitarbeiterinnen ab. Außerdem befragte sie eine weitere Insassin, deren Angaben in der Auswertung ergänzend berücksichtigt werden konnten. 210 Insgesamt wurden in der JVA Aichach 39 Personen befragt. Ebenso wie in der JVA Willich II ergaben sich während der Aufenthalte informelle Gespräche, jedoch aufgrund der strikten Trennung von den Gefangenentrakten ausschließlich mit dem Vollzugspersonal. 2. Der Interviewverlauf a) In Bezug auf die inhaftierten Frauen 211 Vor Durchführung der Befragung lasen die Frauen ein schriftliches Anschreiben, in dem Aufgaben und Ziele der Untersuchung dargelegt waren. Die Frauen wurden ausdrücklich zum Hinterfragen von unverständlichen Passagen und zum Nachfragen für weitere Informationen angeregt. Die Wahrung ihrer Anonymität beschäftigte alle Frauen, die deswegen eine persönliche Zusicherung durch die Forscherin erbaten. Schließlich unterzeichneten sie eine datenschutzrechtliche Einwilligungserklärung. Aufgrund der Erfahrungen im Pretest wurde von Tonbandaufnahmen abgesehen. Während des Interviews legten die Frauen Wert darauf, dass die Forscherin außer den Fragestellungen mit Antwortkarten den Fragebogen ausfüllte. Auf diese Weise rückte das Erzählprinzip in den Vordergrund. Die Forscherin nutzte die Hilfsmittel des Paraphrasierens, Nachfragens und subtilen Interpretierens bei Äußerungen. Bei den Interviews herrschte in 86,1 % (n=36) der Fälle eine (sehr) freundliche Atmosphäre. 212 Es machte den Eindruck, dass die Frauen die Abwechslung im Anstaltsalltag und das ihnen entgegengebrachte Interesse schätzten. In diesem Zusammenhang wurden die Frauen nicht auf die Rolle als Auskunftspersonen des Untersuchungsgegenstands reduziert, sondern in erster Linie als Menschen mit Sehnsüchten, Wünschen und Problemen wahrgenommen. 213 55,6 % (n=36) der Befragten zeigten (große) Offenheit bei der Schilderung ihrer gegenwärtigen und früheren Lebenssituation. 214 Manche Frauen wurden von ihren Gefühlen überwältigt und brauchten Trost 215; andere suchten 210

Da nur Teile des Fragebogens eingesetzt wurden, fehlen die Daten zu manchen Fragestellungen und Themenkomplexen. 211 Vgl. hierzu Teil 8 A. 212 Bei zwei Frauen fehlte eine derartige Einschätzung; bei vier Frauen herrschte eine neutrale Stimmung, bei einer Frau verlief das Gespräch teilweise freundlich und teilweise abweisend. 213 So auch Knoll (2007), S. 15; entsprechend Lamnek (1988), S. 14 f.: „Sowohl Forscher als auch die Untersuchten sind im Forschungsprozess soziale Subjekte, die in gegenseitiger Orientierung und Anpassung handeln.“

E. Die Durchführung der Untersuchung

225

an neuralgischen Punkten intensiven Blickkontakt oder benötigten sogar Körperkontakt. 216 Hinsichtlich ihrer Angaben erschienen 66,6 % (n=36) der Frauen als (sehr) aufrichtig, 25 % als gemischt und drei Frauen als eher unaufrichtig. Die „Unehrlichkeit“ mag auf verschiedene Gründe zurückzuführen sein: So kommt ein solches Antwortverhalten im Sinne von sozialer Erwünschtheit und einer positiven Selbstdarstellung in Betracht. 217 Hinzu kommt der Einsatz von Neutralisationstechniken und anderer Verdrängungsmechanismen. Nur vereinzelt nutzten Frauen das Interview als Forum, um sich pauschal über die Haftbedingungen in der Anstalt zu beschweren. Während in der JVA Willich II mit Ausnahme eines Gesprächs in einem Klassenraum alle Frauen in Rechtsanwaltszimmern befragt wurden, fanden in der JVA Aichach die Interviews entweder in einem Rechtsanwaltszimmer oder im Konferenzraum der Anstalt statt. Von Interviews in den Hafträumen wurde abgesehen, um nicht über die persönlichen Fragen hinaus noch tiefer in die Privatsphäre einzudringen. Zudem wurde intendiert, den Frauen eine Rückzugsmöglichkeit aus einer womöglich unangenehmen oder überfordernden Interviewsituation zu geben. Es dürfte leichter fallen, selbst einen neutralen Raum zu verlassen, als die Forscherin zu bitten, den Haftraum zu verlassen. Keine der Interviewpartnerinnen brach die Befragung ab, obwohl ein Interview im Schnitt gut eine Stunde Zeit beanspruchte. In der JVA Aichach mussten zwei Interviews wegen des Einschlusses unterbrochen werden und wurden eine Woche später fortgesetzt. In der JVA Willich II wurde ein Gespräch in englischer Sprache geführt. Als Dank wurde allen Frauen eine Süßigkeit überreicht. Die Einschätzungen über das Interview fielen durchweg sehr positiv aus: Alle Befragten (n=37) fanden die Themen und Fragestellungen interessant bis hoch interessant. 218 Bezüglich der Anforderungen sahen 56,8 % (n=37) die Befragung als gar nicht anstrengend an, während die Situation für sechs Frauen insgesamt mittel bis sehr anstrengend war. 219 Zum einen lässt dieser Befund erkennen, dass es sich um motivierte und an Behandlung interessierte Befragte handelte.

214 25 % machten einen neutralen Eindruck, 13,9 % öffneten sich teilweise und waren teilweise verschlossen, eine Frau war vorsichtig und eine Frau wirkte unzugänglich. 215 Das Anbieten eines Taschentuchs ist eine simple, menschliche Geste, die von den betroffenen Frauen dankbar aufgenommen wurde und die half, eine bedrückende Situation zu entspannen. 216 In diesem Rahmen war es wichtig, sich auf den Erzählrhythmus und die unterschiedlichen Bedürfnisse der jeweiligen Frau einzulassen. 217 Enderlin Cavigelli (1992), S. 59. 218 Auf einer Skala von 1 (gar nicht) bis 10 (sehr interessant): 1 Frau = 7, 2 Frauen = 8, 13 Frauen = 9, 21 Frauen = 10. 219 Auf einer Skala von 1 (gar nicht) bis 10 (sehr anstrengend): 21 Frauen = 1, 6 Frauen = 2, 3 Frauen = 3, 1 Frau = 4, 3 Frauen = 5, 1 Frau = 6, 1 Frau = 8, 1 Frau = 9.

226

Teil 4: Methoden der Untersuchung

Zum anderen darf der Gesichtspunkt der sozialen Erwünschtheit nicht verkannt werden. Nach Abschluss des Interviews wurde das Gespräch vielfach in informelle Bahnen gelenkt, um dem Mitteilungsbedürfnis der Befragten nachzukommen. In diesem Rahmen waren die Interviewunterlagen bereits in der Aktentasche verstaut worden und die Befragten gaben die Themenwahl vor. Der Austausch wurde beendet, sobald eine Frau signalisierte, dass ihr Kommunikationsbedarf erschöpft war. Auf diese Weise behielt die Forscherin im Interview ihre zurückgenommene, aber empathische Position bei, konnte jedoch im anschließenden Gespräch die teils eingeforderte Subjektivität einbringen. b) In Bezug auf den allgemeinen Vollzugsdienst 220 In der JVA Willich II fanden die mündlichen Befragungen der Vollzugsbediensteten des geschlossenen Vollzugs in einem Rechtsanwaltszimmer statt und die der Vollzugsbediensteten des offenen Vollzugs im dortigen Dienstbüro. In der JVA Aichach wurden die Interviews im Konferenzraum der Anstalt durchgeführt. Tonbandaufzeichnungen wurden nicht vorgenommen. In fünf Fällen gab es Unterbrechungen mit einer Dauer von einer Minute bis höchstens einer Viertelstunde, die den Gesprächsverlauf aber nicht beeinträchtigten. Kein Interview wurde abgebrochen. Die Interviewten nahmen sich Zeit für die Befragung und ließen sich auf die Fragen ein. Die Bediensteten schienen überrascht zu sein, dass ihrer Arbeit wissenschaftliches Interesse entgegengebracht und nach ihrer persönlichen Einstellung zu den Lebens- und Haftbedingungen im Strafvollzug gefragt wurde. 221 Dementsprechend erfolgten die Gespräche in einer (sehr) freundlichen Atmosphäre. 222 Die Befragten erzählten gerne von ihrer Arbeit und erschienen (sehr) offen. 223 Diesem Eindruck entsprechen die Einschätzungen zum Interessantheitsgrad des Interviews: Alle Befragten äußerten sich positiv; 224 auch hatte die Befragung die meisten Befragten nicht angestrengt. 225 Natürlich ist wiederum der Aspekt der sozialen Erwünschtheit zu berücksichtigen; es liegt nahe, dass 220

Vgl. auch Teil 9 A. Dies verwundert nicht, weil es nur wenige Forschungsberichte gibt, die sich mit der Arbeitssituation des allgemeinen Vollzugsdienstes auseinandersetzen, vgl. Dolde, ZfStrVo 1990, S. 350 ff.; dies., in: Strafvollzug in den 90er Jahren 1995, S. 45 ff.; dies., ZfStrVo 2001, S. 15 ff.; Lehmann / Greve (2006). 222 5 = sehr freundlich, 4 = freundlich, 1 = neutral (n=10). 223 1 = sehr offen, 8 = offen, 1 = neutral (n=10). 224 Auf einer Skala von 1 (gar nicht) bis 10 (sehr interessant): 1 Person = 7, 4 Personen = 8, 3 Personen = 9, 6 Personen = 10. 225 Auf einer Skala von 1 (gar nicht) bis 10 (sehr anstrengend): 6 Personen = 1, 5 Personen = 2, 1 Person = 4, 2 Personen = 6. 221

E. Die Durchführung der Untersuchung

227

motiviert erscheinende Bedienstete eher zu einer günstigen Beurteilung als desinteressierte bzw. desillusionierte Bedienstete neigen könnten. Die persönliche Beobachtung vermittelt jedoch ein detailliertes Bild: So betonten mehrere Personen, dass sie das Gespräch zur Reflektion über die eigene Arbeit angeregt hätte. Eine Interviewpartnerin erklärte, dass das Interview wider Erwarten eine gute Erfahrung gewesen war. Bei Verabschiedung erhielten die Interviewten eine Süßigkeit zum Dank. c) In Bezug auf die Fachdienste 226 In der JVA Willich II erfolgten mit Ausnahme des sozialen Dienstes die Interviews mit den Angehörigen der Fachdienste ebenfalls im Rechtsanwaltszimmer und wurden wegen der Leitfadenstruktur nach vorheriger Zustimmung auf Tonband aufgezeichnet. Auf diese Weise wurde eine Selektion der Information vermieden; zudem wurden verbale und paralinguistische Elemente der Kommunikation (Sprechdauer, Länge der Sprecheinheit, Länge plus Zahl der Pausen, Stimme) dargetan. 227 Die Interviews dauerten von 30 Minuten bis über eine Stunde. Alle Interviewten waren aufgeschlossen und zeigten sich interessiert an dem Forschungsvorhaben. In der JVA Aichach fanden die Interviews mit den Fachdiensten in deren Büros statt. Der Befragung mit der Pfarrerin, der Ärztin und der Pflegedienstleiterin ging jeweils eine Besichtigung der Kirche, der ambulanten Untersuchungsräume oder der stationären Abteilung voraus. Die Befragungen erfolgten allesamt in einer einladenden Atmosphäre. 228 Die Interviewten waren freundlich und nahmen sich für die Beantwortung der Fragen Zeit. Die mündlichen Befragungen dauerten zwischen einer Stunde und drei Stunden. An den Ergebnissen der Arbeit waren die meisten Befragten interessiert. Zum Dank erhielten die Interviewpartner / innen eine kleine Aufmerksamkeit. Die sozialen Dienste wurden von der Forschungsmitarbeiterin in beiden Erhebungsanstalten interviewt. 229 In der JVA Willich II befragte sie eine Sozialarbeiterin in einem Klassenraum und die andere Sozialarbeiterin in ihrem Büro, wobei die Gespräche einen Zeitraum von jeweils zwei Stunden beanspruchten. Die Interviews in der JVA Aichach konnten teilweise nicht ohne Störungen und Unterbrechungen durchgeführt werden: Zwei Sozialpädagoginnen wollten gemeinsam befragt werden; währenddessen musste eine der beiden Frauen jedoch mehrfach den Raum verlassen, um entweder Telefonate von Insassinnen zu beaufsichtigen oder um bei einem Besuch einer Inhaftierten anwesend zu 226

Vgl. auch Teil 9 A. Friedrichs (1990), S. 229; Schwinn (2004), S. 44. 228 Meist wurde der Forscherin eine Tasse Kaffee, eine Tasse Tee oder ein anderes Getränk angeboten. 229 Vgl. hierzu Riemer (2006), S. 18 f. 227

228

Teil 4: Methoden der Untersuchung

sein. In ihrer Abwesenheit wurde das Gespräch weiter geführt, so dass sich die Betroffene nach ihrer Rückkehr nur noch in geringem Umfang in das Gespräch einbringen konnte. Das Interview mit einer weiteren Sozialpädagogin konnte aufgrund eines Termins nicht zu Ende geführt werden. Der Gesprächsablauf gestaltete sich folgendermaßen: Der teilstandardisierte Fragebogen wurde entweder von den Mitarbeiterinnen selbst oder von der Diplomandin ausgefüllt. Da der gesamte Vorgang auf Tonband aufgezeichnet wurde, lag der Schwerpunkt auf der unmittelbaren Interaktion und der Gesprächsentwicklung, so dass der Fragebogen fragmentarisch bearbeitet wurde. III. Gefangenenpersonalaktenanalyse Bei der durchgeführten Gefangenenpersonalaktenanalyse handelt es sich um eine Mischung aus Zufallsstichprobe und einer ergänzenden Korrektur nach Informationsgehalt. Die gezogene Stichprobe ist somit nicht vollständig repräsentativ für die Entlassenenjahrgänge. Dieses Vorgehen lässt sich damit begründen, dass bei einer derart kleinen Stichprobe der Informationsgehalt der Akten berücksichtigt werden muss. 1. In der JVA Willich II In der JVA Willich II gibt es für den untersuchten Entlassungsjahrgang 2003 zwei Grundgesamtheiten, d. h. eine für den geschlossenen Vollzug und eine für den offenen Vollzug. Die Grundgesamtheit im geschlossenen Vollzug belief sich auf 181 Gefangene, von denen 20 Frauen eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßten, 12 Frauen aus der Abschiebehaft entlassen wurden und 51 Frauen abgeschoben wurden. Da diese 83 Frauen nicht einbezogen wurden, wurde aus den verbliebenen 98 Akten eine Stichprobe mit 68 Gefangenen des geschlossenen Vollzugs gebildet. 230 Aus dem offenen Vollzug fanden 62 Gefangenenpersonalakten Berücksichtigung, wobei die Grundgesamtheit 206 Austritte ausmachte, die sich infolge von 40 Verlegungen, 42 Ersatzfreiheitsstrafen und 8 Lockerungs- und Hafturlaubsverstößen 231 auf 116 Entlassungen reduzierte. Die höhere Anzahl der Austritte verwundert nicht, weil die Verweildauer im Vergleich zum geschlossenen Vollzug wesentlich niedriger ist und demgemäß im offenen Vollzug eine höhere Fluktuation zu verzeichnen ist. Die Gesamtstichprobe belief sich somit auf 130 Gefangenenpersonalakten. 230 Exemplarisch wurde eine Frau mit einer Ersatzfreiheitsstrafe aufgenommen; der Informationsgehalt ist jedoch gering. 231 Es handelte sich hierbei um unzulässige Austritte und um eine außergewöhnlich hohe Anzahl von schwerwiegenden Verstößen im Jahr 2003: zwei Entweichungen, eine Nichtrückkehr vom Ausgang und in fünf Fällen Nichtrückkehr vom Hafturlaub.

E. Die Durchführung der Untersuchung

229

Während im offenen Vollzug etwa jede zweite Akte (1,9) Berücksichtigung fand, fiel die Quote mit 1,4 Akten im geschlossenen Vollzug höher aus. Obgleich im Verhältnis der beiden Unterbringungsformen eine leichte Verzerrung wahrzunehmen ist, lässt sich die Bevorzugung des geschlossenen Vollzugs mit der Handhabung von Vollzugslockerungen und Hafturlaub begründen, die selbstverständlicher Bestandteil des offenen Vollzug sind, aber nicht ohne Weiteres im geschlossenen Vollzug gewährt werden. Die Auswahl nahm die Verfasserin in den beiden Aktenarchiven des geschlossenen und offenen Vollzuges selbst vor. 232 Dabei stand jeweils ein Ausdruck mit den monatlichen Fallzahlen zu den Austrittsarten für den offenen und geschlossenen Vollzug zur Verfügung. In diesem Rahmen wurde jede Akte gesichtet, der Entlassungsgrund in eine Liste handschriftlich eingetragen und deren etwaige Einbeziehung vermerkt. Dabei wurde darauf geachtet, Akten mit kurzen, mittleren und langen Haftzeiten und seltene Entlassungsgründe wie „Weihnachtsamnestien“ aufzunehmen. Im geschlossenen Vollzug wurde die Verfasserin in die Verwaltungsgeschäftsstelle zur Auswertung der Gefangenenpersonalakten eingeladen. Auf diese Weise konnten Zugangsgespräche beobachtet werden sowie Unterhaltungen mit den beiden Verwaltungsangestellten und anderen Bediensteten geführt werden. 2. In der JVA Aichach In der JVA Aichach bestand die Grundgesamtheit aus 733 weiblichen Gefangenen des Entlassungsjahrgangs 2004. Für die Stichprobenziehung kamen jedoch nur 467 entlassene Gefangene in Betracht, weil 266 Frauen aus Abschiebehaft, Untersuchungshaft, Jugendstrafe oder Ersatzfreiheitsstrafe entlassen wurden. Die repräsentative Stichprobe umfasst insgesamt 200 Gefangene, so dass fast jede zweite Gefangenenpersonalakte (2,3) berücksichtigt wurde. Die Auswahl der Akten erfolgte mit Hilfe einer vollständigen Auflistung des Entlassenenjahrgangs, die Angaben zum Eintritts- und Austrittsdatum, zur Austrittsart und zur Haftdauer enthielt. Daraufhin wurden die Grundgesamtheiten aus den verschiedenen Entlassungsgründen ermittelt und die Stichprobe gebildet, wobei ein Fall der Gnade 233 und Entlassungen nach § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB wegen ihres Ausnahmecharakters vollständig erfasst wurden. Die Verfasserin besuchte die Anstalt etwa über zwei Monate hinweg im wöchentlichen Turnus und schickte vorab jeweils ein Telefax mit den erbetenen Aktenzeichen zur Einsichtnahme. Die Gefangenenakten lagen in der Vollzugsgeschäftsstelle bereit und wurden in einem angrenzenden, offenen Bürozimmer ausgewertet. Manchmal konnten in der 232

Bei der Gefangenenaktenanalyse erschwerte die Unordnung im Aktenarchiv des geschlossenen Vollzugs das Auffinden der Akten des Entlassungsjahrgangs. 233 Im Unterschied zu Nordrhein-Westfalen gibt es in Bayern keine Entlassungen aufgrund von Weihnachtsamnestien.

230

Teil 4: Methoden der Untersuchung

Vollzugsgeschäftsstelle Zugangsgespräche verfolgt werden, auch fanden Begegnungen mit anderen Bediensteten statt. 234 IV. Schwierigkeiten bei der Auswahl und Durchführung Die obige Beschreibung des Auswahlprocedere macht deutlich, dass die Repräsentativität sowohl hinsichtlich der befragten Insassinnen als auch der befragten Bediensteten des allgemeinen Vollzugsdienstes innerhalb der beiden Erhebungsanstalten nicht gegeben ist. So waren fast alle interviewten Insassinnen an Behandlung interessiert und wirkten aktiv daran mit. 235 Die meisten Vollzugsbediensteten brachten Motivation und Engagement für den Behandlungsvollzug zum Ausdruck. Aus beiden Gruppierungen kamen mithin keine desinteressierten oder kritischen Stimmen zum Behandlungsvollzug zu Wort. Für qualitative Befragungen stellt jedoch die Repräsentativität kein Gütekriterium dar, weil es im Gegensatz zur quantitativen Methode um Existenzaussagen und um das Erkennen von Typisierungen und Typologien geht. 236 Dabei können Verzerrungen nicht ausgeschlossen werden, weil einzelne Deutungsmuster unberücksichtigt bleiben. 237 Überdies ist zu bedenken, dass die konkreten Behandlungsperspektiven im Strafvollzug untersucht wurden und in diesem Kontext die Befragung der involvierten und engagierten Akteure vonnöten war. 238 In der JVA Willich II stieß zwar die Vorstellung des Forschungsprojektes auf Interesse und Neugierde, jedoch war die Bereitschaft zur Teilnahme an der Befragung verhalten. Während der Diskussion äußerten mehrere Frauen berechtigte Zweifel am unmittelbaren Nutzen der Befragung für ihre eigene Situation, weil nach ihren Erfahrungen mit vorherigen Studien ohnehin keine Reformen im Strafvollzug folgen würden. Überdies hielt mehrere Frauen ein Negativerlebnis bei einem kurz vorher realisierten Forschungsprojekt von einer 234 Es handelte sich überwiegend um oberflächliche Kontakte, welche die Neugier über die unbekannte Person ausmachte; dagegen zeichnete einige Gespräche in der JVA Willich II eine gewisse Intensität und Tiefe aus. 235 Aus diesem Grund bildet die Gefangenenpersonalaktenanalyse eine gute Ergänzung, da sie alle Entlassenen eines Jahrgangs umfasst. 236 Lamnek (1988), S. 173 ff.; insofern erübrigt sich hier auch ein Stichprobeverfahren, so Friedrichs (1990), S. 324. 237 Schwinn (2004), S. 45 f. 238 Die Beschreibung macht deutlich, dass es kaum möglich war, selbst Interviewpartner / innen unter den Insassinnen und dem Personal zu rekrutieren. Aus dem Werkdienst der beiden Erhebungsanstalten wurde keine Person befragt: Ein Werkstattleiter der JVA Aichach beschwerte sich im Februar 2008 zu Recht, nicht in die Studie einbezogen worden zu sein; leider war die Studie zu diesem Zeitpunkt zu weit fortgeschritten, als dass ein Interview noch in Frage kam.

E. Die Durchführung der Untersuchung

231

Teilnahme ab. 239 Außerdem hatten in beiden Anstalten bereits manche Frauen an verschiedenen Befragungen teilgenommen. Durch ihre Erfahrung hatten sie gewisse Routinen erworben, die ihre Einlassung während des Interviews in Teilen beeinflusste. 240 In der JVA Aichach hatten die Mitarbeiterinnen des sozialen Dienstes den Fragebogen ohne Begleitschreiben bereits nach Genehmigung des Forschungsvorhabens erhalten. Infolgedessen hatten sie keine Kenntnisse über die Ziele der Befragung und begegneten dem Forscherteam bei der ersten Begegnung 241 verständlicherweise mit Vorbehalten. Die teilweise spürbare Skepsis gegenüber der Studie konnte in den anschließenden Einzelgesprächen behoben werden. 242 In beiden Erhebungsanstalten wurden die Anstaltsroutinen durch die Forschertätigkeit beeinträchtigt, was einen zusätzlichen Arbeitsaufwand für das Vollzugspersonal bedeutete und zu Arbeitsausfällen in den Anstaltsbetrieben führte. In der JVA Willich II sorgte die Interviewtätigkeit im Einzelbesuchsraum manchmal für Engpässe und bedeutete für die Besuchsbediensteten eine organisatorische Belastung. Im Besuchstrakt selbst verfügte die Forscherin über eine gewisse Bewegungsfreiheit und Selbständigkeit. 243 In beiden Anstalten war die Forscherin auf den allgemeinen Vollzugsdienst angewiesen, der die inhaftierten Frauen zum Untersuchungsraum brachte und wieder abholte. Bei der Erhebung fiel der ungünstigere Personalschlüssel im allgemeinen Vollzugsdienst der JVA Aichach im Vergleich zur JVA Willich II auf: So waren die Wartezeiten wegen der niedrigen Stationsbesetzung durchweg länger; auch war die Durchführung der Interviews und der Gefangenenaktenanalyse nur in der Kernzeit zwischen 8:00 und 16:30 Uhr möglich. 244 Bei den Interviews im Besuchsraum war der Bewegungsradius der Forscherin derart eingeschränkt, dass selbst ein Toilettenbesuch ohne Begleitung ausgeschlossen war. Im persönlichen Umgang zeichnete die Voll239 Die Frauen hatten sich überrumpelt und gewissermaßen missbraucht gefühlt, weil intime Details aus ihrem Sexualleben erfragt wurden; in persönlichen Gesprächen wurden die Betroffenen ermutigt, eine autonome Entscheidung zu treffen und sich nicht in eine Befragung hineindrängen zu lassen; zwei Frauen entschieden sich nach reiflicher Überlegung gegen eine Teilnahme. 240 Vereinzelt wurden sogleich die eigenen Antworten beim Ankreuzen der Befindlichkeitsskalen interpretiert oder neuralgische Lebensereignisse dargelegt, um Erklärungen für die eigene deviante Entwicklung zu geben. 241 Im Anschluss an eine Vollzugskonferenz. 242 Vgl. Riemer (2006), S. 14, 18, die die Interviews mit dem sozialen Dienst führte. 243 So durfte die Forscherin die Gefangenenakten im Archiv selbständig durchsehen und die an Interviews interessierten Frauen mit Hilfe der Namensliste um ihr Kommen bitten. In der JVA Aichach bat die Forscherin vor ihren Besuchen um die Bereitstellung von bestimmten Gefangenenakten und kannte bei den Interviews ihr Gegenüber vorher namentlich nicht. 244 Die Forscherin konnte sich in der JVA Willich II von 8:00 Uhr bis zum Einschluss um 21:00 Uhr aufhalten.

232

Teil 4: Methoden der Untersuchung

zugsbediensteten in beiden Anstalten Geduld, Verständnis und Hilfsbereitschaft aus. V. Beschreibung der Erhebungsanstalten 1. JVA Willich II Seit dem 1. November 1985 ist die JVA Willich II die einzige Justizvollzugsanstalt für Frauen in Nordrhein-Westfalen. Der neoromanische preußische Gefängniskomplex mit einem panoptischen, T-förmigen Grundriss 245 wurde 1902 fertig gestellt und steht heutzutage unter Denkmalschutz. 246 Genau gegenüber befindet sich mit der JVA Willich I eine Männeranstalt. Beide Gebäude wurden zeitgleich gebaut und sehen nahezu identisch aus. Das auffälligste Unterscheidungsmerkmal stellten im Erhebungszeitraum die äußeren Sicherungsvorkehrungen dar: So war das Männerhaus von einer höheren Mauer umgeben. 247 Laut dem Vollstreckungsplan für Nordrhein-Westfalen 248 nimmt das offene Haus Verurteilte auf freiem Fuß mit einer Ersatzfreiheitsstrafe oder einer Freiheitsstrafe bis unter drei Monaten und über drei Monate aus dem OLG-Bezirk Düsseldorf auf. Im geschlossenen Haus erfolgt eine Aufnahme bei bereits Inhaftierten mit einer Freiheitsstrafe ab drei Monaten aus den LG-Bezirken Krefeld und Mönchengladbach, bei Verurteilten mit einer Freiheitsstrafe über 18 Monaten aus dem OLG-Bezirk Düsseldorf sowie bei Verurteilten mit einer Freiheitsstrafe über 3 Jahren auch aus dem OLG-Bezirk Köln. Für den Vollzug der Sicherungsverwahrung ist allein die JVA Willich II zuständig. 249 Auf dem Anstaltsgelände wurde 1977 ein Gebäude für den offenen Vollzug mit 22 Haftplätzen errichtet. 1985 wurde in der Nähe des Hauptgebäudes ein dreistöckiger Neubau für den offenen Vollzug mit 56 Haftplätzen eröffnet. 250 Im 245 Jeremy Bentham erfand das sog „Panopticon“: Im sternenförmigen Bau stellt der Spinnenkopf die Überwachungszentrale dar, von dem alle in den Spinnenbeinen mit Eisengittern versehenden Zellen überblickt werden können. Obgleich Benthams Initiative 1811 scheiterte, diente sein architektonisches Grundmodell weltweit als Vorbild für ähnliche Gefängnisbauten. 246 Rede von Staatssekretär Dieter Schubmann-Wagner anlässlich der Eröffnung der Festwoche zum 100-jährigen Bestehen der Justizvollzugsanstalten Willich I und Willich II vom 9. Mai 2003 unter www.justiz.nrw.de; vgl. auch Zehn Jahre selbständige Frauenanstalt JVA Willich II, ZfStrVo 1997/1, S. 25 ff. 247 Die JVA Willich II liegt am nördlichen Ausgang des Ortsteils Anrath der Stadt Willich zwischen Krefeld und Mönchengladbach. 248 AV d. JM v. 16. September 2003 – 4431 – IV B. 28 -; Stand 1. 7. 2007. 249 Zurzeit der Erhebung war dort seit Jahren keine Frau mehr in Sicherungsverwahrung gewesen. 250 Strafvollzug in NRW unter www.justiz.nrw.de.

E. Die Durchführung der Untersuchung

233

geschlossenen Vollzug wurden 1996 eine Holzwerkstatt und ein Freizeitraum eingerichtet. Anfang 2003 wurden die Duschen saniert. Eine abstinenzorientierte Abteilung wurde im September 2003 eingerichtet. Zu diesem Zweck wurden die Haft- und Gemeinschaftsräume renoviert sowie eine Lichtrufanlage eingebaut. Als die Studie 2004 erfolgte, waren die Planungen für einen weiteren Neubau der Anstalt mit 190 geschlossenen Haftplätzen schon weit gediehen. 2009 wurde das neue Frauenhaus in Betrieb genommen. 251 Eine gemeinsame Mauer wird die drei Gebäude 252 umschließen; der Zutritt wird über eine gemeinsame Pforte gewährt. Die Sicherung im Frauenvollzug wird somit dem höheren Niveau im Männervollzug angepasst. 2. JVA Aichach Die JVA Aichach liegt am Rande des Ballungsraums München und ist eine Frauenvollzugsanstalt mit einem Männerpart in Bayern. 253 In der JVA Aichach sind mehr als drei Viertel der Haftkapazitäten für erwachsene und jugendliche Insassinnen vorgesehen. Im Vergleich zur bundesweiten Vollzugslandschaft stellt sich die Situation bei Anstalten mit Frauen- und Männervollzug zahlenmäßig ausnahmsweise umgekehrt dar: Der Männervollzug bildet hier ein „Anhängsel“ des Frauenvollzugs. Anfang des 20. Jahrhunderts (1904 –1908) wurde die Anstalt ebenfalls in panoptischer Bauweise mit vier Zellenflügeln (Bau I) und einem Seitenbau (Bau II) im südöstlichen Teil der Stadt Aichach errichtet. Im Januar 1909 wurden dort erstmals weibliche Gefangene aufgenommen. Ursprünglich war die Anstalt ausschließlich für katholische Frauen vorgesehen. Mit dem Anbau eines eigenen Betsaales wurden bereits Mitte 1909 auch Protestantinnen inhaftiert. Seit 1968 erfolgt der weibliche Jugendvollzug ausschließlich in der JVA Aichach. Bis 1975 war die Anstalt allein für weibliche Gefangene vorgesehen. Seither gibt es im Bau II eine Männerabteilung. Im Unterschied zur JVA Willich II hat die JVA Aichach eine weiter gefächerte Zuständigkeit, welche zusätzlich die Untersuchungshaft an allen erwachsenen und jugendlichen Frauen aus dem LG-Bezirk Augsburg und auch den Vollzug der Jugendstrafe an weiblichen Verurteilten aus ganz Bayern umfasst. 254 251 Pressemitteilung unter www.justiz.nrw.de/Presse/PresseJM/archiv/2006_02_Arch iv/p_2006_10_16/index.php abgerufen am 7. 3. 2008. 252 Alt- und Neubau der JVA Willich II und das Gebäude der JVA Willich I; die Eigenständigkeit des Frauenvollzuges soll jedoch erhalten bleiben. 253 Zur Geschichte vgl. www.justizvollzug-bayern.de/JV/Anstalten/JVA_Aichach/ki/ jva_aic, abgerufen am 6. März 2008; auch Franze (2001), S. 91 ff. 254 Vollstreckungsplan für den Freistaat Bayern 4431 – VII a – 7643/2007 in der Fassung vom 1. Januar 2008.

234

Teil 4: Methoden der Untersuchung

Der gesamte Erst- und Regelvollzug von Freiheitsstrafen und Ersatzfreiheitsstrafen für weibliche Verurteilte des LG-Bezirks Augsburg erfolgt in der Anstalt. Bei Freiheitsstrafen über drei Monaten bis zu zwei Jahren ist neben der JVA Aichach die JVA Würzburg für den OLG-Bezirk Bamberg und den LG-Bezirk Nürnberg / Fürth zuständig. Weibliche Verurteilte mit Freiheitsstrafen über zwei Jahren kommen allesamt in die JVA Aichach. Darüber hinaus kann dort auch die Sicherungsverwahrung vollzogen werden. 255 Die JVA Aichach verfügt über den höchsten Sicherheitsstandard im Frauenvollzug in Bayern. Eine umfangreiche Sanierung des Haftraumgebäudes erfolgte von 1982 bis 1994. Die Freigängerinnenabteilung für Erwachsene wurde 1991 mit einer Wohngruppe für sechs Frauen eröffnet. 1999 war der Neubau der geschlossenen Mutter-Kind-Abteilung abgeschlossen. Die Krankenabteilung wurde im Jahr 2000 saniert. 2003 wurde eine von fünf Werkhallen neu errichtet. 2007 wurde das neu errichtete Freigängerinnenheim mit einer offenen Mutter-Kind-Abteilung eingeweiht. Ende Januar 2008 ging der bisherige Anstaltsleiter nach 28 Jahren in den Ruhestand.

F. Auswertung und Analyse I. Qualitative Methodik Die Tonbandprotokolle der Interviews mit den Fachdiensten und den Anstaltsleitungen wurden wortwörtlich transkribiert, um eine Verfälschung der Daten durch die Forscherin zu vermeiden. 256 Den Anstaltsleitungen sowie allen befragten Fachdiensten der JVA Aichach wurden die transkribierten Texte zugeschickt bzw. vorgelegt. 257 Die wortwörtliche Niederschrift beeinträchtigte die Lesbarkeit und irritierte die Interviewten oft. Anschließende Gespräche konnten als zusätzliche Absicherung im Sinne einer kommunikativen Validierung verstanden werden. 258 Im Forschungsbericht tauchen allerdings Passagen aus den verschiedenen Interviews in einer lesefreundlichen Bearbeitung auf. Vor allem wurden Wiederholungen und parasprachliche Äußerungen herausgenommen. Dabei wurde versucht, die Originalsprache und den Erzählrhythmus der unterschiedlichen Befragten zu erhalten. Mit Hilfe der teilstandardisierten Befragung der inhaftierten Frauen und der Bediensteten des allgemeinen Vollzugsdienstes gelang es, eine Fülle von gleich255 Wie auch schon in Nordrhein-Westfalen gibt es in der Praxis die Sicherungsverwahrung an Frauen nicht. 256 Zur Technik vgl. Möller (1996), S. 106; Beispiel bei Mayring (1997), S. 119 ff. 257 Kein Interview wurde zurückgezogen. 258 Flick, in: Handbuch Qualitative Sozialforschung, S. 168; Schwinn (2004), S. 44.

F. Auswertung und Analyse

235

artigen Informationen zu erfassen. Aus diesem Grund erfolgte in Teilen eine computerunterstützte Auswertung der vergleichbaren Daten, die angesichts des qualitativen Zugangs – wie es die kleine Befragtenmenge und die gewillkürte Stichprobenziehung zeigen – selbstverständlich keine Repräsentativität beanspruchen kann und darf. 259 Die Ergebnisdarstellung mit Hilfe von Tabellen und Abbildungen verbesserten die Übersichtlichkeit. 260 Die Analyse der Interviews und Fragebögen geschah auf der Grundlage eines Auswertungsleitfadens bzw. einer Eingabemaske, die aus der Kategorienbildung hervorgegangen waren. Im Anschluss erfolgte die entsprechende Zuordnung des Datenmaterials als subsumtorische Routinetätigkeit (Kodierung). Bei der Interpretation ging es um die Reduktion der dahinter stehenden Inhalts- und Bedeutungsvielfalt, um gleiche und ähnliche Aussagen zusammenzufassen und ein Deutungsmuster festzustellen. 261 Aufgrund dessen sollten in der Folge typisierende Aussagen getroffen werden, um wiederum zu theoretischen Konzepten der sozialen Wirklichkeit zu gelangen, d. h. aus der systematischen Kombination unterschiedlicher Perspektiven auf den Behandlungsvollzug wurde ein verallgemeinernder Vergleich zur Handhabung der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze sowie zur Weiterentwicklung des Regelwerks und des Frauenvollzugs angestrebt. 262 II. Statistische Auswertung und Analyseverfahren Die Datenverarbeitung und Datenauswertung der Gefangenenpersonalakten wurde mit dem SPSS-Programmpaket (15.0) durchgeführt. Vorwiegend handelt es sich um eine deskriptive Analyse der Haftbedingungen im Frauenvollzug nach Aktenlage. In diesem Rahmen kamen bivariate statistische Verfahren zum Einsatz. Aussagen zur Signifikanz von Ergebnissen wurden mit dem Chi²-Test (Nominalskalenniveau) 263 und zur Stärke des Zusammenhangs mit den Korrelationskoeffizienten Cramer’s V 264 und Phi 265 (Nominalskalenniveau) vorgenommen. Als multivariate Verfahren wurden die lineare Regressionsanalyse und die binär259

Bei der Fragebogenanalyse von den Insassinnen wurden teilweise Signifikanztests und bivariate Korrelationen eingesetzt, um Unterschiede zwischen den beiden Anstalten zu ermitteln; vor dem Hintergrund des qualitativen Designs und des Auswahlverfahrens ist freilich eine verallgemeinerungsfähige Interpretation nicht möglich. 260 Die qualitative Methodik wird mithin durch „quantitative Anleihen“ unterstützt. 261 Vgl. Flick, in: Handbuch Qualitative Sozialforschung, S. 164 ff. 262 Siehe auch Flick, in: Handbuch Qualitative Sozialforschung, S. 168 f. 263 Signifikanzniveau entsprechend der geläufigen Verfahrensweise p 2 –5 J. > 5 J. insgesamt

Baden-Württemberg

74

47

140*

261**

Bayern (JVA Aichach) 11

99

80

248*

427**

Berlin

70

23

23

36

17

169***

Brandenburg

20

10

4

4

1

39****

Bremen

5

3

3

1

2

14****

Hamburg

44

29

Hessen

44

37

41

100

35

257**

Mecklenburg-Vorpommern

13

5

2

2

3

25****

Niedersachsen

55

56

46

47

219

152

61

26

Saarland

1

1

Sachsen

17

26

36

35

29

143**

3







8

11

12

6

9

7

8

42

737

501

896

247

125

2506

Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz

Sachsen-Anhalt Schleswig-Holstein insgesamt

36*

109****

17 221*****

282* 26

653**** 15

5

133** 2

* Die Zahl bezieht sich auf alle Freiheitsstrafen über ein Jahr bis lebenslänglich. ** Bezogen auf Kapazitäten im geschlossenen Vollzug, vgl. Tab. 16. *** Angaben enthalten Freiheitsstrafen, Ersatzfreiheitsstrafen und Jugendstrafen. **** Angaben enthalten Freiheitsstrafen und Ersatzfreiheitsstrafen. ***** 210 Freiheitsstrafe, Ersatzfreiheitsstrafe, Jugendstrafe zuzüglich 11 vorübergehend Abwesende

Die kurzen Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr machen gut die Hälfte aller Freiheitsstrafen (bis 6 Monate: 30,4 %; über 6 bis zu 12 Monaten: 20,4 %) 11

Stichtag 14. 05. 2003; die JVA Aichach nimmt über die Hälfte der inhaftierten Frauen in Bayern auf: Am 22.03.05 befanden sich in Bayern insgesamt 823 Frauen in Haft, davon 483 in der JVA Aichach.

244

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland

aus. 12 Hieraus ergibt sich eine hohe Belastung des Frauenvollzugs mit kurzen Freiheitsstrafen. Der Kurzstrafenvollzug 13 bis zu einem Jahr gilt als Verwahrvollzug, weil dort in der Regel keine Behandlungsuntersuchung stattfindet und kein Vollzugsplan aufgestellt wird. Die Insassinnen warten lediglich auf ihre Entlassung, interessieren sich kaum für das Anstaltsleben und setzen sich nicht mit ihrer bisherigen und künftigen Lebensgestaltung auseinander. 14 Damit gibt es für mindestens die Hälfte der weiblichen Gefangenen keine Resozialisierungsbemühungen. IV. Nationale bzw. ethnische Zugehörigkeit In den 1990er Jahren stieg der Anteil nichtdeutscher Gefangener in den Justizvollzugsanstalten stark an. 15 Lag ihr Anteil in den 1980er Jahren noch bei 10 %, so stellen ausländische Insassen in den letzten Jahren ein gutes Fünftel der Strafgefangenenpopulation. Tabelle 17 zeigt die deutsche und nichtdeutsche Zugehörigkeit der weiblichen Inhaftierten in den Bundesländern. Insgesamt hat ein Viertel der weiblichen Inhaftierten nicht die deutsche Staatsangehörigkeit. Zwischen den Bundesländern lassen sich große Abweichungen feststellen: Der Anteil von nichtdeutschen Frauen variiert zwischen 8 % und 43 %. Über 40 % liegt der Anteil weiblicher Nichtdeutscher in Brandenburg und im Saarland. Mit Abstand folgen Baden-Württemberg, die Großstadt Berlin und Hessen. In diesen Bundesländern stellen nichtdeutsche Gefangene (fast) ein Drittel der Inhaftiertenpopulation. In Nordrhein-Westfalen hat ein Viertel der weiblichen Inhaftierten eine andere ethnische Zugehörigkeit. Mit Ausnahme von Brandenburg bewegt sich in den neuen Bundesländern der Anteil nichtdeutscher Frauen auf einem niedrigen Niveau zwischen gut 11 % und 17 %. In Niedersachsen und in Schleswig-Holstein bilden Frauen anderer Herkunft eine Minderheit. Von den inhaftierten Frauen anderer Nationalität dominieren weibliche Gefangene aus den ehemaligen Ländern des sog. Ostblocks 16. Ihr Anteil beträgt 45,8 % an allen nichtdeutschen Inhaftierten. 17 Aus dieser heterogenen Gruppe wiederum kommt fast die Hälfte der Frauen (46,9 %) aus den Balkanländern. Eine Minder12 Trotz der ungenauen Datengrundlage deckt sich dieser Befund in etwa mit den Ergebnissen von Maelicke aus dem Jahr 1993 (unter 6 Mon.: 29,4 %; über 6 –12 Mon. 24,9 %); Maelicke (1995), S. 42 Tab. 6. 13 Im Kurzstrafenvollzug befinden sich Gefangene mit bis zu 1-jährigen Freiheitsstrafen, aber auch Gefangene mit höheren Strafzeiten aufgrund der Anrechnung von U-Haft, des Widerrufs einer Straf(rest)aussetzung usw. 14 Dolde / Jehle, ZfStrVo 1986, S. 196 ff.; Dünkel / Kunkat, NK 1997/2, S. 30. 15 Kaiser / Schöch, Strafvollzug, S. 263, § 10 Rn. 16. 16 Osteuropa, ehemalige Sowjetunion, Balkan.

A. Die Insassinnenpopulation

245

Tabelle 17 Deutsche und nichtdeutsche, weibliche Inhaftierte am 31.03.03 in den Bundesländern Bundesland Baden-Württemberg

insgesamt

deutsche Herkunft

andere Herkunft

Anteil der Ausländerinnen

472

316

156

33,1 %

Bayern

k. A.

k. A.

k. A.

k. A.

Berlin

234

163

71

30,3 %

Brandenburg

47

27

20

42,6 %

Bremen

20

17

3

15,0 %

k. A.

k. A.

k. A.

k. A.

323

218

105

32,5 %

Hamburg Hessen Mecklenburg-Vorpommern

44

39

5

11,4 %

221*

198

23

10,4 %

Nordrhein-Westfalen

969

747

222

22,9 %

Rheinland-Pfalz

206

171

35

17,0 %

Saarland

14

8

6

42,9 %

Sachsen

Niedersachsen

215

178

37

17,2 %

Sachsen-Anhalt

44

38

6

13,6 %

Schleswig-Holstein

50

46

4

8,0 %

2859

2166

693

24,2 %

insgesamt

* 210 Freiheitsstrafe, Ersatzfreiheitsstrafe, Jugendstrafe zuzüglich 11 vorübergehend Abwesende

heit (8,5 %) unter den nichtdeutschen Inhaftierten bilden die türkischstämmigen Frauen. In den Bundesländern Baden-Württemberg, Berlin, Hessen, NordrheinWestfalen und Rheinland-Pfalz waren am Stichtag insgesamt 57 Türkinnen in Haft. In den Justizvollzugsanstalten der neuen Bundesländer sind wohl nur in Ausnahmefällen türkische Frauen in Haft wegen der dort kaum ansässigen türkischen Wohnbevölkerung. In Hessen stammen 20 weibliche Gefangene aus Mittel- bzw. Südamerika. Die im Vergleich zu den anderen Bundesländern ungewöhnlich hohe Anzahl hängt mutmaßlich mit deren Einsatz als Drogenkurierinnen und der Ankunft auf dem dortigen internationalen Großflughafen Frankfurt a. M. zusammen. 17

307 Frauen von 670 nichtdeutschen Inhaftierten in den genannten Bundesländern. In Baden-Württemberg gibt es keine genaue Angabe zu den Frauen aus Osteuropa, so dass ihr Anteil vermutlich sogar noch höher ist.

246

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland

Die erheblichen Unterschiede in Bezug auf das Verhältnis von deutschen und nichtdeutschen Frauen lassen in den Bundesländern auf eine unterschiedliche Vollzugsplanung und Vollzugsgestaltung schließen, weil weibliche Gefangene verschiedener Nationalitäten andere Bedürfnisse haben. 18 Aus der nachstehenden Tabelle ergeben sich die Zahl und der Anteil nichtdeutscher Inhaftierter in den befragten Justizvollzugsanstalten. Tabelle 18 Deutsche und nichtdeutsche Inhaftierte am 31. 03. 2003 in Justizvollzugsanstalten Justizvollzugsanstalt

deutsche Herkunft

andere Herkunft

insgesamt

Anteil der Ausländerinnen

Schwäbisch-Gmünd

183

116

299

38,8 %

Aichach

376

98

474

20,7 %

Berlin

163

71

234

30,3 %

Luckau

27

20

47

42,6 %

Bremen V

4

0

4

0%

Bremen VI

13

3

16

18,8 %

Hahnöfersand

70

17

87

19,5 %

k.A.

k.A.

k.A.

k.A.

Frankfurt a. M. III Bützow

39

5

44

11,4 %

179 19

22

201

10,9 %

Willich II

188

42

230

18,3 %

Zweibrücken

119

25

144

17,4 %

Chemnitz

149

24

173

13,9 %

Dresden

29

13

42

31,0 %

Halle I

38

6

44

13,6 %

Lübeck-Lauerhof

46

4

50

8,0 %

1623

466

2089

22,3 %

Vechta

insgesamt

18 Als problematisch gelten insbesondere deutsche, männliche Gefangene mit „Migrationshintergrund“: eingebürgerte Ausländer, Spätaussiedler (Russlanddeutsche), vgl. Kaiser / Schöch, Strafvollzug, § 10, Rn. 18, S. 264. 19 Angabe stimmt nicht mit der Gesamtzahl der inhaftierten Frauen (189 gegenüber 201) am Stichtag überein.

A. Die Insassinnenpopulation

247

In den befragten Justizvollzugsanstalten machten nichtdeutsche Inhaftierte am Stichtag im Durchschnitt ein gutes Fünftel der gesamten weiblichen Gefangenenpopulation aus. Entsprechend den Bundesländern finden sich beträchtliche Unterschiede zwischen den Justizvollzugsanstalten hinsichtlich der Quote von weiblichen Gefangenen anderer ethnischer Zugehörigkeit. In einigen Justizvollzugsanstalten wie Bremen V, Bützow, Vechta, Chemnitz, Halle I und LübeckLauerhof stellen nichtdeutsche Inhaftierte eine Minderheit dar. Demgegenüber gibt es in den Justizvollzugsanstalten Luckau, Schwäbisch-Gmünd, Dresden und Berlin recht große Ausländerinnenpopulationen. Neben Unterschieden bezüglich des Anteils von nichtdeutschen Inhaftierten gibt es sowohl Gemeinsamkeiten als auch Abweichungen hinsichtlich der ethnischen Zusammensetzung der weiblichen Gefangenen in den verschiedenen Justizvollzugsanstalten. Während in den Justizvollzugsanstalten der neuen Bundesländer erwartungsgemäß keine türkischen Frauen untergebracht sind, stellen sie in manchen Justizvollzugsanstalten der alten Bundesländer unter den Ausländerinnen eine der stärksten nationalen Gruppierungen dar. Hierzu gehören die beiden Frauenanstalten Schwäbisch-Gmünd und Vechta mit 18,1 % bzw. 18,2 % sowie die Teilanstalt Hahnöfersand mit 17,6 %. 20 Gut ein Zehntel der Ausländerinnen sind türkischen Ursprungs in den Justizvollzugsanstalten Aichach (11,2 %), Berlin (11,3 %) und Zweibrücken (12 %). 21 Im Unterschied zu den alten Bundesländern gibt es in den neuen Bundesländern und Berlin einen bemerkenswerten Anteil von inhaftierten Asiatinnen insbesondere aus Vietnam, der wahrscheinlich auf die vietnamesische Wohnbevölkerung in der früheren DDR zurückgeht. So stammt ein Viertel der Inhaftierten in der JVA Luckau aus Asien, ebenso gut ein Fünftel in der JVA Chemnitz. 22 In der JVA Berlin haben die Vietnamesinnen einen Anteil von 16,9 % 23, in Halle kommen von sechs Nichtdeutschen zwei Frauen aus Vietnam. Neben den Unterschieden zwischen den westlichen und östlichen Bundesländern hinsichtlich der türkischen und vietnamesischen Insassinnen zeigen sich auch Übereinstimmungen. Mit Ausnahme der beiden Teilanstalten in Bremen ist in allen Justizvollzugsanstalten eine Reihe von Frauen aus Osteuropa inhaftiert. Aus den Balkanländern (Albanien, Bulgarien, ehemaliges Jugoslawien, Rumänien 24) kommen 29,3 % der nichtdeutschen Inhaftierten in der JVA Schwäbisch-Gmünd, 38,8 % in der JVA Aichach und 38 % in der JVA Berlin. 25 Aus 20 JVA Schwäbisch-Gmünd 116 Nichtdeutsche:21 Türkinnen, JVA Vechta 22 Nichtdeutsche: 4 Türkinnen; JVA Hahnöfersand 17 Nichtdeutsche: 3 Türkinnen. 21 JVA Aichach 98 Nichtdeutsche: 11 Türkinnen, JVA Berlin 71 Nichtdeutsche: 8 Türkinnen, JVA Zweibrücken 25 Nichtdeutsche: 3 Türkinnen. 22 JVA Luckau 20 Nichtdeutsche: 5 Asiatinnen, JVA Chemnitz 24 Nichtdeutsche: 5 Asiatinnen, JVA Dresden 13 Nichtdeutsche: 2 Asiatinnen (15,4%). 23 JVA Berlin 71 Nichtdeutsche: 12 Vietnamesinnen. 24 Ohne Griechenland und europäische Türkei.

248

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland

dem slawischen Raum (Russland, Ukraine, Weißrussland, Polen, Tschechien, Slowakei 26) stammen 12,1 % der ausländischen Frauen in der JVA SchwäbischGmünd, 21,4 % in der JVA Aichach und 19 % in der JVA Willich II. 27 In den ostdeutschen Anstalten Luckau und Bützow sind Dreiviertel und vier Fünftel der nichtdeutschen Insassinnen slawischen Ursprungs und damit im Vergleich deutlich überrepräsentiert. In Sachsen haben die slawischen Frauen einen Anteil von 61,5 % in der JVA Dresden. Die Nähe zu den osteuropäischen Ländern bietet eine Erklärung für diese hohe Quote. Diese Annahme wird durch einen Blick auf die einzelnen Nationalitäten unterstützt, denn als Anrainer stellten Frauen aus Polen die stärkste Gruppe. So befanden sich in der JVA Luckau elf Polinnen in Haft. Aber auch in den anderen Justizvollzugsanstalten waren Frauen aus Polen noch in nennenswerten Umfang vertreten (JVA Schwäbisch-Gmünd: 7, JVA Aichach: 5, JVA Berlin: 8, JVA Hahnöfersand: 3, JVA Vechta: 4, JVA Zweibrücken: 3, JVA Bützow: 2, JVA Chemnitz: 3, JVA Dresden: 5). Die ethnische Zugehörigkeit zu den Slawen darf aber nicht über die Vielfalt der zahlreichen Nationen mit unterschiedlichen religiösen Orientierungen hinwegtäuschen. Der Zerfall der Sowjetunion und von Jugoslawien führte zur Bildung eigenständiger Staaten, deren Bevölkerungen bis in die Gegenwart mehr oder minder ausgeprägte Feindseligkeiten hegen. Es stellt sich die Frage, ob und wie im Frauenstrafvollzug auf die spezifischen Bedürfnisse von Frauen aus Osteuropa eingegangen wird. 28 Zum Beispiel könnte in Anstalten wie der JVA Luckau eine unerwünschte Zweiteilung der Insassinnenpopulation in Deutsche und Polinnen mit Folgeproblemen wie Rückzugstendenzen und Selbstisolierung auftreten. 29 Darüber hinaus weisen nichtdeutsche Insassinnen vermutlich größere (Aus-)Bildungsdefizite auf, die zu Benachteiligungen hinsichtlich der Arbeitszuweisung im Vollzug und von Teilhabechancen an Vollzugslockerungen führen könnten. Zur Verbesserung der Situation von ausländischen Gefangenen wird unter anderem eine Zusammenlegung von Gruppen auf einzelnen Fluren, die Zusammenarbeit mit ausländischen Betreuer(inne)n und Sozialarbeiter(inne)n vorgeschlagen. Der Umgang mit nichtdeutschen Insassinnen stellt besondere Anforderungen an das Anstaltspersonal. Um etwaige Sprachprobleme und Bildungsmängel 25

JVA Schwäbisch-Gmünd 34 Frauen, JVA Aichach 38 Frauen, JVA Berlin 27 Frauen. Ohne Südslawen (unter Balkan): Bulgaren, Kroaten, Serben, Slowenen. 27 JVA Schwäbisch-Gmünd 14 Frauen, JVA Aichach 21 Frauen, JVA Willich II 8 Russinnen. 28 Diese Frage stellt sich auch für die deutschen Spätaussiedlerinnen (Russlanddeutsche). 29 Der Fragebogen enthält hierzu keine Anhaltspunkte; vgl. zur Problematik Kaiser / Schöch, Strafvollzug, § 10, Rn. 18 ff., S. 264 ff.; Tzschaschel (2002), S. 107 ff. stellte Benachteiligungen in der Vollzugsgestaltung bei männlichen ausländischen Gefangenen in Nordrhein-Westfalen fest. 26

A. Die Insassinnenpopulation

249

auszugleichen, gibt es spezielle Programme für Ausländerinnen. 30 Da die zu erwartende Abschiebung nach der Haft Ausländerinnen von Vollzugslockerungen und die Verlegung in den offenen Vollzug ausschließt, bedeutet der Strafvollzug für diese Frauen oft ein Verwahrvollzug. 31 Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Gefangenengruppierungen aufgrund von Unterschieden in Kultur und Sozialisation stellen für die Vollzugsbediensteten eine Herausforderung dar. Nicht selten behindern Probleme bei der sprachlichen Verständigung die Kommunikation zwischen den nichtdeutschen Gefangenen und dem Vollzugspersonal. Um die sprachliche Interaktion zu verbessern, sind Fremdsprachenkenntnisse für die Vollzugsbediensteten von Vorteil. Tabelle 19 gibt Aufschluss über Grundkenntnisse des Vollzugspersonals in Fremdsprachen. Auch wenn es sich nicht um verlässliche Angaben (Schätzwerte) handelt, lassen sich daraus zumindest Anhaltspunkte über Fremdsprachenkenntnisse von Vollzugsbediensteten gewinnen. Erwartungsgemäß können sich viele Vollzugsbedienstete in der wichtigsten Schulsprache Englisch verständigen. 32 Wesentlich weniger Vollzugsbedienstete verfügen über Grundkenntnisse in Französisch. Die an Schulen kaum gelehrten Sprachen wie Italienisch, Türkisch und Spanisch sprechen vereinzelt Personen aus dem Vollzugsstab. Bei den aus Osteuropa stammenden Frauen liegt die Vermutung nahe, dass nur wenige von ihnen in der englischen Sprache kommunizieren können. Allerdings verstehen Teile der Frauen aus den früheren „Ostblockstaaten“ Russisch. In den Anstalten der neuen Bundesländer gibt es einige Vollzugsbedienstete mit Kenntnissen in Russisch. In der JVA Berlin für Frauen sprechen etwa 45 Bedienstete die russische Sprache und 2 Bedienstete die polnische Sprache. In mehreren Einrichtungen haben einzelne Beschäftigte eine andere bzw. eine zweite Muttersprache. In der JVA Schwäbisch-Gmünd gibt es je eine Vollzugsbedienstete mit der Muttersprache Russisch, Kroatisch, Serbokroatisch und Französisch sowie drei mit Rumänisch. In diesem Rahmen könnten diese Personen eine Mittlerfunktion sowohl zwischen den Gefangenengruppen als auch zum Vollzugspersonal einnehmen. 30

Zum Beistand für muslimische Gefangene, vgl. Altintas, BewHi 2008, S. 30 ff. Bammann, in: Justizvollzugspsychologie in Schlüsselbegriffen, S. 19 ff. zu rechtlichen und tatsächlichen Problemen von Nichtdeutschen im Strafvollzug; Laubenthal (2007), S. 171 ff. Rn. 342; für Berlin ist diese Aussage nicht zutreffend: Nach den Ausführungsvorschriften zu §§ 10 – 13 StVollzG und §§ 35, 36, 39 StVollzG sind ausländische Inhaftierte von Lockerungen, Hafturlaub und der Unterbringung im offenen Vollzug bei Flucht- oder Missbrauchsgefahr ausgeschlossen. Im offenen Vollzug befinden sich in Berlin ca. 35 % Nichtdeutsche (davon 10 % Abschiebebeschlüsse). Maßgebend ist die individuelle Eignung der Inhaftierten. 32 Keine Angaben JVA Aichach, JVA Luckau, JVA Vechta, JVA Dresden; JVA Schwäbisch-Gmünd gibt Informationen zu Vollzugsbediensteten mit einer anderen bzw. weiteren Muttersprache. 31

250

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland Tabelle 19 Fremdsprachen (Grundkenntnisse)

Justizvollenglisch französisch italienisch spanisch türkisch andere keine zugsanstalt bzw. Bundesland Berlin Bremen V Bremen VI Hahnöfersand Frankfurt a. M. III Bützow Nordrhein-Westfalen Willich II Zweibrücken Chemnitz Halle I Lübeck-Lauerhof

ca. 90

3

0

2

0 ca. 62

3 alle

1

7

2

84

5

4

3

0

5

20

61

4

225

27

3

10

6

23

174

40

5

0

4

0

4

57

5

2

0

0

0

1

78

10

5

0

0

0

30

41

30 %

2%

0,5 %

0

0

1%

1

1

ca. 10

Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze enthalten Empfehlungen zu ausländischen Gefangenen. Während das ältere Regelwerk deren spezifische Belange im Abschnitt zum Verkehr mit der Außenwelt (Nr. 44 – 45) und mittelbar bei der religiösen Betreuung (Nr. 46 –47) berücksichtigt, widmet die Überarbeitung 33 ausländischen Staatsangehörigen einen eigenen Abschnitt (Nr. 37) und ethnischen oder sprachlichen Minoritäten einen weiteren Abschnitt (Nr. 38). Auch wenn keine gezielten Auskünfte zur Belehrungspflicht über die Inanspruchnahme diplomatischer oder konsularischer Vertretung des Heimatstaates eingeholt wurden, ergibt sich aus den Angaben einiger Justizvollzugsanstalten, dass Angehörige verschiedener Konsulate und Botschaften ihre Staatsangehörigen betreuen. Aussagen zu Regelmäßigkeit, Verbreitung und Umfang der Betreuung können nicht getroffen werden. Viele Justizvollzugsanstalten bemühen sich, die religiösen Bedürfnisse anderer Glaubensrichtungen zu befriedigen und gewähren Andersgläubigen Zugang. Verständigungsschwierigkeiten können in mehreren Justizvollzuganstalten in kleinem Ausmaß durch mehrsprachige Vollzugsbedienstete aufgefangen werden. Auch enthält das Bildungsprogramm verschiedener Justizvollzugsanstalten Deutschkurse, doch gibt es keine vollständigen und da33

Zur Religionsfreiheit äußert sich Grundsatz Nr. 29.

A. Die Insassinnenpopulation

251

mit verlässlichen Angaben zu Quantität und Inanspruchnahme in den Justizvollzugsanstalten. Informationen zur Heranziehung von Dolmetscher / innen und zur Bereitstellung mehrsprachigen Informationsmaterials wurden nicht erhoben. 34 Oberflächlich betrachtet, werden die Justizvollzugsanstalten den Anforderungen des älteren und jüngeren Regelwerks zur Behandlung von nichtdeutschen Insassinnen gerecht. 35 V. Mütter mit ihren Kindern Mit der Schaffung von Mutter-Kind-Einrichtungen in einigen Bundesländern können Mütter mit ihren Kindern in einer offenen oder geschlossenen Abteilung einer Justizvollzugsanstalt zusammenleben. Soweit es dem Kindeswohl entspricht, lässt § 80 StVollzG unter bestimmten Voraussetzungen die gemeinsame Unterbringung von Müttern mit ihren nicht schulpflichtigen Kindern zu. In der Phase der Primärsozialisation soll auf diese Weise Schädigungen des Kindes aufgrund der Trennung zur Bezugsperson entgegengewirkt werden. 36 Gleichzeitig könnte die gemeinsame Unterbringung den Müttern eine weitere Chance für ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft eröffnen. Die Soll-Vorschrift des § 142 StVollzG empfiehlt vor allem in Anstalten für Frauen die Einrichtung von besonderen Mutter-Kind-Abteilungen. Die Frauenanstalten (JVA Schwäbisch-Gmünd, JVA Aichach, JVA Berlin, JVA Frankfurt a. M. III, JVA Vechta) haben mit einer Ausnahme (JVA Willich II) eine Mutter-KindEinrichtung. Diese Ausnahme geht auf eine andere Handhabung in NordrheinWestfalen zurück. Dort befindet sich die Mutter-Kind-Einrichtung im Justizvollzugskrankenhaus (JVK Fröndenberg). Darüber hinaus verfügen noch zwei weitere Vollzugsanstalten über eine Mutter-Kind-Abteilung (JVA Chemnitz, JVA Lübeck-Lauerhof). Damit gibt es im Bundesgebiet insgesamt acht spezielle Mutter-Kind-Einrichtungen. Die folgende Tabelle stellt die verfügbaren Haftplätze in den Mutter-Kind-Einrichtungen und ihre Belegung am Stichtag dar. Die Auslastung liegt bei den Müttern insgesamt bei 61,6 %. Dabei treten beträchtliche Unterschiede zwischen den Anstalten auf: Während in der JVA Aichach, der JVA Vechta und der JVA Chemnitz alle Plätze für Mütter belegt sind, sind vor allem in den Anstalten Schwäbisch-Gmünd, Frankfurt a. M. III und Lübeck-Lauerhof über die Hälfte der verfügbaren Kapazitäten frei. Den 34

Desgleichen zur Belehrungspflicht über die Inanspruchnahme rechtlichen Beistands. Zu den Rechten von muslimischen Gefangenen näher Fröhmcke (2005), der beispielsweise (S. 94 ff., 243) ausführt, dass eine gemeinsame Unterbringung, die die Religionsausübung stört, verhindert bzw. aufgehoben werden kann. 36 Kaiser / Schöch, Strafvollzug, § 10 Rn. 77, S. 293 (ausführlicher zu Vor- und Nachteilen von Mutter-Kind-Einrichtungen Teil 4 E. III.). 35

252

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland Tabelle 20 Haftplätze für Mütter mit Kindern und Belegung am 31. 03. 2003 Justizvollzugsanstalt

Platzkapazität für Mütter

Belegung

Kinder

Mütter

Kinder

Schwäbisch-Gmünd

11

12

2

2

Aichach

10

10

10

10

7

7

3

3

Frankfurt a. M. III

23

23

11

12

Vechta

12

20

12

14

JVK Fröndenberg

16

30

10

12

Chemnitz

5

10

5

Lübeck-Lauerhof

3 86

Berlin

insgesamt

37

2

3

0

0

114

53

55

Mutter-Kind-Einrichtungen in der JVA Berlin, der JVA Lübeck-Lauerhof und der JVA Chemnitz fehlte im Erhebungszeitpunkt die Heimanerkennung (keine Betriebserlaubnis durch das Landesjugendamt). Unterschiede werden auch bei der Festlegung der Höchstaltersgrenze für die Kinder in den Mutter-Kind-Einrichtungen deutlich: Entweder können Kleinkinder bis zum vollendeten 3. Lebensjahr mit ihren Müttern gemeinsam untergebracht werden (JVA Schwäbisch-Gmünd, JVA Aichach, JVA Berlin, JVA Chemnitz, JVA Lübeck-Lauerhof) oder entsprechend der gesetzlichen Regelung des § 80 StVollzG auch Kinder bis ins Vorschulalter (JVA Frankfurt a. M. III, JVA Vechta, JVK Fröndenberg). Die Aufnahme bis zur Einschulung der Kinder ist aus kindlichen Entwicklungsgründen nur im offenen Vollzug möglich. Die JVA Berlin, die JVA Frankfurt a. M. III und die JVA Vechta haben sowohl eine geschlossene als auch eine offene Mutter-Kind-Einrichtung geschaffen. In der Regel setzt die Unterbringung des Kindes bei der Mutter voraus, dass der Entlassungstermin der Mutter mit den genannten Altersgrenzen übereinstimmt. In der JVK Fröndenberg liegt die Mindestverbüßungsdauer bei vier Monaten im Falle einer Freiheits- bzw. Jugendstrafe. Schwer drogenabhängige bzw. suchtgefährdete Insassinnen sind von einer Aufnahme in der Mutter-Kind-Einrichtung der JVA Schwäbisch-Gmünd ausgeschlossen. 37

Es ist nicht ersichtlich, warum in der Mutter-Kind-Einrichtung der JVA Chemnitz drei oder vier Mütter ohne Kinder untergebracht waren. Eventuell handelte es sich um Schwangere.

A. Die Insassinnenpopulation

253

Um den Müttern die Teilnahme an Arbeits- und Trainingsmaßnahmen zu ermöglichen, verfügen die meisten Justizvollzugsanstalten mit einer Mutter-KindEinrichtung über eine interne Kinderbetreuung (JVA Schwäbisch-Gmünd, JVA Aichach, JVA Frankfurt a. M. III, JVA Vechta, JVK Fröndenberg). Eine externe Tagesstätte können in der JVA Chemnitz Kinder ab dem 4. Lebensmonat besuchen. In der JVA Frankfurt a. M. III gehen Kindergartenkinder in den örtlichen Kindergarten. Die räumliche Ausstattung der Mutter-Kind-Einrichtungen trägt kindlichen Bedürfnissen Rechnung. 38 So gibt es u. a. Kinderspielplätze (JVA SchwäbischGmünd, JVA Aichach, JVA Frankfurt a. M. III) auch mit Garten (JVK Fröndenberg), besondere Kinderspielräume sowie Säuglings- und Kleinkinderruheräume (JVA Aichach, JVA Frankfurt a. M. III). Die Anstalten stellen den Müttern mit ihren Kindern größere Einzelhafträume teilweise mit Zusatzzimmer zur Verfügung. Im JVK Fröndenberg hat die Mutter-Kind-Abteilung Einzelhafträume mit einer Größe von 29,4 qm und Einzelhafträumen mit Zusatzzimmer mit einer Größe von insgesamt 38,3 qm. Erziehung und Pflege der Kinder obliegen den Müttern. Bei dieser Aufgabe unterstützen die Justizvollzugsanstalten die Frauen, wobei Unterschiede in der pädagogischen Konzeption und der personellen Ausstattung bestehen 39. In den Mutter-Kind-Einrichtungen (JVA Aichach, JVA Frankfurt a. M. III) wird den Müttern eine Anleitung zur Kinderpflege und -versorgung angeboten. In den beiden, räumlich abgegrenzten Mutter-Kind-Einrichtungen der JVA Frankfurt a. M. III sind Erzieherinnen und eine Hauswirtschaftsmeisterin tätig. Die JVK Fröndenberg hat „Kinderfernsehzeiten“ und feste Ruhezeiten eingerichtet, während derer sich die Mütter mit ihren Kindern in ihren Zimmern aufhalten. Außerdem gibt es ein soziales Trainingsprogramm für Mütter. Die rechtlichen Vorgaben des Strafvollzugsgesetzes, die mit den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen von 1987 und 2006 übereinstimmen, werden in der Vollzugspraxis hinsichtlich der Bereitstellung von Mutter-Kind-Einrichtungen erfüllt. 40 VI. Geburten von Insassinnen Das Strafvollzugsgesetz enthält in den §§ 76 bis 79 spezielle Bestimmungen für schwangere Insassinnen und die Geburt. Auf Schwangere und Mütter ist Rücksicht zu nehmen (§ 76 Abs. 1 S. 1 StVollzG). Dabei gelten die Mutter38

Orientierung an den Richtlinien für Jugendhilfeeinrichtungen (JVA Vechta). Beispielsweise gibt es im Unterschied zur JVA Frankfurt a. M. III in der JVA Lübeck-Lauerhof kein Fachpersonal. 40 Näher Teil 4 E. III. 39

254

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland

schutzregelungen entsprechend für arbeitende Inhaftierte. Ansprüche auf ärztliche Betreuung, (Vorsorge-)Untersuchungen, Arznei-, Verband- und Heilmittel während und nach der Schwangerschaft gewährleisten §§ 76 Abs. 2, 77 StVollzG. Die folgende Tabelle dokumentiert die Geburten von inhaftierten Schwangeren innerhalb eines Jahres. Tabelle 21 Geburten im Zeitraum vom 31.03.02 –31.03.03 Bundesländer

Mütter

Baden-Württemberg

Neugeborene 6

6

19

19

Berlin

3

3

Brandenburg

0

0

Bremen

0

0

Hamburg

1

1

Hessen

4

4

Mecklenburg-Vorpommern

1

1

Niedersachsen

8

8

Bayern (1.1. – 31.12.02)

Nordrhein-Westfalen

keine Statistik

keine Statistik

Rheinland-Pfalz

4

4

Sachsen

2

2

Sachsen-Anhalt

2

2

Schleswig-Holstein

0

0

50

50

insgesamt

Da keine Angaben aus dem Bundesland Nordrhein-Westfalen vorliegen, zeigt die nachstehende Tabelle die Geburten von Schwangeren in den befragten Justizvollzugsanstalten des Bundeslands. Tabelle 22 Geburten im Zeitraum vom 31.03.02 –31.03.03 Justizvollzugsanstalt

Mütter

Neugeborene

JVK Fröndenberg

8

9

Willich II

3

3

insgesamt

11

12

A. Die Insassinnenpopulation

255

Insgesamt brachten 61 inhaftierte Frauen innerhalb eines Jahres 62 Babys zur Welt. 41. Die meisten Schwangeren mit Niederkunft während der Inhaftierung gab es im Bundesland Bayern. 42 In den Frauenanstalten (z. B. JVA Schwäbisch-Gmünd, JVA Aichach, JVA Vechta) und Anstalten mit einem Schwerpunkt im Frauenvollzug und Mutter-Kind-Betreuung (z. B. JVK Fröndenberg) stellen schwangere Frauen keine Ausnahmeerscheinung dar, sondern gehören zum Anstaltsalltag. Die Entbindungen fanden nicht in den Justizvollzugsanstalten oder im Justizvollzugskrankenhaus statt. Bis auf eine Ausnahme (JVA Bützow) bekamen die Gebärenden ihre Babys in einem normalen Krankenhaus außerhalb der Justizvollzugsanstalt bzw. des Justizvollzugskrankenhauses. Diese Praxis stimmt mit der Bestimmung in § 76 Abs. 3 S. 1 StVollzG überein. Nur aus besonderen Gründen darf eine Geburt in einer Justizvollzugsanstalt mit Entbindungsabteilung erfolgen (§ 76 Abs. 3 S. 2 StVollzG). In die standesamtliche Geburtsanzeige dürfen keine Angaben über die Anstalt als Geburtsstätte des Kindes, das Verhältnis des Anzeigenden zur Anstalt und der Inhaftierung der Mutter eingehen (§ 79 StVollzG). Diese beiden Vorschriften dienen dem Schutz des Kindes, das durch die Gefangenschaft der Mutter nicht belastet werden soll. Die Bestimmungen des StVollzG gehen teilweise über den Regelungsgehalt der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze von 1987 und 2006 hinaus, so dass dem Regelwerk in der Praxis vollumfänglich Genüge getan wird. VII. Hausfrauenfreigang Eine Besonderheit des Frauenvollzugs ist der Freigang für Hausfrauen im offenen Vollzug. Der sog. Hausfrauenfreigang bezweckt, eine Fremdunterbringung der Kinder in Heimen oder Pflegefamilien zu verhindern, und wird als Lockerung des Vollzuges im Rahmen des Freigangs gem. § 11 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 StVollzG gewährt. Tagsüber gehen die Frauen zu Hause ihren Aufgaben als Mutter und Hausfrau nach. Die Nacht verbringen sie in einer Justizvollzugsanstalt. Aus der folgenden Tabelle geht hervor, in welchen Bundesländern der Hausfrauenfreigang praktiziert wird und wie viele Freigängerinnen es in dieser Form des Freigangs am Stichtag gab.

41 Die Gesamtzahl dürfte wegen der fehlenden Angaben der Bundesländer noch höher liegen. 42 Laut Vollstreckungsplan für das Land Bayern vom 1. 1. 01 nimmt ausschließlich die JVA Aichach hochschwangere Frauen auf: 9. Abschnitt 26 (1) „Die Untersuchungshaft an Schwangeren wird nach Ablauf des 6. Monats der Schwangerschaft in der JVA Aichach vollzogen. (2) Schwangere Verurteilte sind in die JVA Aichach einzuweisen, es sei denn, dass die Strafzeit noch vor Ablauf des 6. Monats der Schwangerschaft endet.“

256

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland Tabelle 23 Hausfrauenfreigang in den Bundesländern und Freigängerinnen am 31.03.03 Bundesländer

Hausfrauenfreigang

Freigängerinnen

Baden-Württemberg

JVA Bühl, JVA Ravensburg, JVA Schwäbisch-Gmünd

1

Bayern

Nein*

Berlin

JVA für Frauen Bereich Neukölln und Reinickendorf

Brandenburg

Nein

Bremen

Bremen V

0

Hamburg

JVA Hahnöfersand, Sozialtherapeutische Anstalt Altengamme, Moritz-Liepmann-Haus

0

Hessen

JVA Frankfurt a. M. III

1

6

Mecklenburg-Vorpommern Nein Niedersachsen

JVA Vechta

Nordrhein-Westfalen

in allen Justizvollzugsanstalten

Rheinland-Pfalz

JVA Zweibrücken

Saarland

Nein

Sachsen

JVA Chemnitz

Sachsen-Anhalt

Nein

Schleswig-Holstein

JVA Lübeck-Lauerhof

insgesamt

1 5** 1 0 0 21

* Angabe gilt nur für die JVA Aichach ** bezogen auf die JVA Willich II; keine Statistik hierzu in NRW

Die Bundesländer haben eine sehr unterschiedliche Handhabung des Hausfrauenfreiganges. Im Ost-West-Vergleich fällt auf, dass es in den östlichen Bundesländern den Hausfrauenfreigang bis auf Sachsen nicht gibt. In Bundesländern mit Hausfrauenfreigang scheinen diese Freigängerinnen nur in Einzelfällen vorzukommen. Auf eine etablierte Praxis deutet die vergleichsweise hohe Zahl von 6 Hausfrauen im offenen Vollzug in Berlin hin, wie auch in der JVA Willich II mit 5 Frauen. 43 43 Ein Nachteil der stichtagsbezogenen Erhebung ist hier, dass keine Aussage über das tatsächliche Aufkommen über ein Jahr hinweg getroffen werden kann.

B. Vollzugseinrichtungen

257

Erklärungsansätze für die geringe Inanspruchnahme in vielen Bundesländern könnten einerseits die wenigen Haftplätze im offenen Vollzug 44 und andererseits die Voraussetzungen für den Hausfrauenfreigang 45 sein. In ländlich gelegenen Justizvollzugsanstalten (Schwäbisch-Gmünd, Vechta) stellt vermutlich die zu große räumliche Entfernung zwischen Heimatort und Anstalt ein Aufnahmehindernis dar. Des Weiteren könnte der Hausfrauenfreigang an der schlechten Finanzlage der Betroffenen scheitern, weil die Frauen nicht in der finanziellen Lage sind, die Fahrtkosten zur Anstalt zu bezahlen. Dem Hausfrauenfreigang wird in den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen und in der dazu gehörigen Kommentierung keine Aufmerksamkeit geschenkt. Aus dem Regelwerk von 2006 ergeben sich jedoch aus dem Abschnitt zu Frauen indirekt Anhaltspunkte, wonach entsprechend Empfehlung Nr. 34.1 den besonderen Bedürfnissen von weiblichen Inhaftierten Rechnung zu tragen ist. Dementsprechend ließe sich der Hausfrauenfreigang zur Wahrung des Kindeswohls, aber auch der identitätsstiftenden Mutterrolle hierauf stützen. 46

B. Vollzugseinrichtungen I. Vollzugsgemeinschaften § 150 StVollzG gibt den Bundesländern die Möglichkeit, länderübergreifende Vollzugsgemeinschaften zu bilden. Um organisatorisch kleine Anstalten zu vermeiden, können weibliche Gefangene mehrerer Bundesländer in einer zentralen Einrichtung zusammengefasst werden. 47 Tabelle 24 zeigt die bestehenden Vollzugsgemeinschaften zum Frauenvollzug im Jahr 2003. Seit 1998 besteht eine Vollzugsgemeinschaft zwischen Brandenburg und Berlin. 48 Die Verwaltungsvereinbarung bezieht sich auf die Übernahme von Insassinnen wegen einer sozialtherapeutischen Behandlung und Jugendliche, die in Brandenburg nicht angebotene Lehrausbildungsplätze im Jugendvollzug in Berlin belegen können. 49 Mit Niedersachsen unterhalten die Länder Bremen, Ham44

Siehe zu den Kapazitäten im offenen Vollzug (näher Teil 6 C. II.). Näher BAG-S (1998), S. 44. 46 Nachdem mit zwei Verantwortlichen für den Frauenvollzug im Zentralamt für Strafvollzug und Bewährungshilfe in Schweden der Fragebogen inhaltlich besprochen wurde, wurde der Fragenkomplex zum Hausfrauenfreigang herausgenommen; da in Schweden die Berufstätigkeit von Frauen das Basismodell darstellt, gilt eine solche Privilegierung als nicht zeitgemäß. 47 Laubenthal (2007), S. 363, Rn. 681. 48 Staatskanzlei I Zum Stand und zu den Perspektiven der Zusammenarbeit der Länder Brandenburg und Berlin – Anlage 1, www.brandenburg.de v. 17. 01. 2003. 45

258

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland Tabelle 24 Vollzugsgemeinschaften 2003 Vollzugsgemeinschaft

Art und Umfang

Brandenburg

Berlin

jugendliche Untersuchungs- und Strafgefangene, akut Drogenabhängige i. S. d. BtmG, geeignete Insassinnen in Wohnortnähe zu Berlin für den offenen Vollzug, Unterbringung gem. § 80 StVollzG, Insassinnen für Aufnahme in sozialtherapeutische Behandlung

Berlin

Brandenburg

Erwachsene, nicht drogenabhängige Straftäterinnen mit Freiheitsstrafen von 6 Monaten bis 2 Jahren, sofern der Lebensmittelpunkt vor Inhaftierung nicht in Berlin war und sie nicht für einen der in Berlin vorgehaltenen Sonderbereiche vorgesehen sind (Rückverlegung nach Berlin bei Eignung für offenen Vollzug möglich).

Bremen

Niedersachsen

Freiheitsstrafe über 8 Jahre, Jugendstrafe, Jugendarrest, Mütter mit Kindern in Mutter-KindEinrichtung

Hamburg

Niedersachsen

Jugendstrafe

Schleswig-Holstein Niedersachsen

Jugendstrafe

Saarland

Rheinland-Pfalz 30 Haftplätze für U-Haft, Freiheitsstrafe, Jugendstrafe

Thüringen

Sachsen

alle Haftformen

burg und Schleswig-Holstein eine Vollzugsgemeinschaft. Aus Bremen kommen in die JVA Vechta weibliche Verurteilte mit Freiheitsstrafe über acht Jahren, mit Jugendstrafe oder Jugendarrest sowie Mütter mit Kleinkindern in die dortige Mutter-Kind-Einrichtung. Junge Frauen mit Jugendstrafe aus Hamburg und Schleswig-Holstein werden ebenfalls in der JVA Vechta untergebracht. Rheinland-Pfalz stellt dreißig Haftplätze für den Vollzug von Untersuchungshaft, Freiheitsstrafe und Jugendstrafe an Frauen aus dem Saarland in der Frauenabteilung der JVA Zweibrücken zur Verfügung. Sofern die bereit gestellten Haftkapazitäten in Rheinland-Pfalz erschöpft sind, stehen im Saarland Behelfshaftplätze zur Verfügung. Aufgrund dieser Auffangfunktion gibt es im Saarland keine Qualifizierungsangebote während der Arbeit und in der Freizeit. Als einziges Bundesland hat Thüringen keine Haftkapazitäten für weibliche Verurteilte. Alle Frauen werden in der JVA Reichenhain Chemnitz in Sachsen untergebracht. 49

Schreiben Brandenburg v. 11. 04. 2003.

B. Vollzugseinrichtungen

259

II. Anstaltsarten Zentrales Zuweisungsmerkmal in eine Justizvollzugsanstalt ist das Geschlecht. Das Strafvollzugsgesetz enthält in § 140 II 1 den Grundsatz der Geschlechtertrennung. Danach sind Frauen getrennt von Männern in besonderen Frauenanstalten unterzubringen. Abweichungen von diesem Grundsatz sehen jedoch zwei gesetzliche Ausnahmen vor. Aus besonderen Gründen lässt § 140 II 2 StVollzG getrennte Abteilungen für Frauen in Anstalten für Männer zu. Gem. § 140 III StVollzG darf von der getrennten Unterbringung abgewichen werden, um der Insassin die Teilnahme an Behandlungsmaßnahmen in einer anderen Anstalt oder in einer anderen Abteilung zu ermöglichen. Nach dem Grad der räumlichen und organisatorischen Trennung lässt sich folgende stufenförmige Einteilung der Anstaltstypen für die Zuweisung von weiblichen Verurteilten vornehmen: 1. eigenständige Frauenvollzugsanstalt, 2. Frauenvollzugsanstalt mit Männervollzug, 3. Außen- / Teilstelle in eigenem Gebäude, 4. Gebäude räumlich getrennt vom männlichen Jugendvollzug, 5. Gebäude räumlich getrennt vom Männervollzug, 6. Frauenabteilung in einer JVA für Männer und 7. gemeinsame Unterbringung von weiblichen und männlichen Gefangenen. Am 31. März 2003 gab es entsprechend der Angaben der Landesjustizverwaltungen und der Justizvollzugsanstalten sechs Justizvollzugsanstalten ausschließlich für Frauen. 50 Darüber hinaus existierte eine Frauenvollzugsanstalt mit einem kleinen Männerpart in Bayern. 51 In einigen Bundesländern befanden sich mehrere Zweig- bzw. Außenstellen. 52 Vereinzelt wurden weibliche Inhaftierte in Gebäuden räumlich getrennt vom männlichen Jugendvollzug untergebracht. 53 In 50

Baden-Württemberg (JVA Schwäbisch-Gmünd), Berlin (JVA für Frauen), Brandenburg (JVA Luckau, die von der neugebauten JVA Luckau-Duben für beide Geschlechter abgelöst wurde), Hessen (JVA Frankfurt a. M. III), Niedersachsen (JVA Vechta), Nordrhein-Westfalen (JVA Willich II, hierzu Teil 5 E. V. 1.); Angaben der Landesjustizverwaltung in Niedersachsen zu den Anstalten mit Frauenvollzug erfolgten nicht; hinsichtlich Bayern wurden Informationen aus dem Internet unter http://www.justizvollzug-bayern.de bezogen. 51 Vgl. Anstaltsbeschreibung zur bayerischen JVA Aichach in (Teil 5 E. V. 2.). 52 Baden-Württemberg: Außenstelle Bühl der JVA Offenburg, Außenstelle Leonberg der JVA Stuttgart für Untersuchungshaft; Hamburg: Teilanstalt für Frauen der JVA Hahnöfersand; Hessen: JVA Kassel III, Zweiganstalt Kaufungen; Niedersachsen: sozialtherapeutische Abteilung Alfeld; Nordrhein-Westfalen: JVA Bielefeld-Brackwede I, Außenstelle Senne I; JVA Düsseldorf, Hafthaus Neuss; JVA Duisburg-Hamborn, Zweiganstalt Dinslaken; JVA Köln, Außenstelle; JVA Gelsenkirchen, offenes Haus. 53 Die Frauenabteilung der JVA München / Neudeck grenzt an eine Jugendarrestanstalt; Bremen in der Teilanstalt VI und im Saarland in der Jugendanstalt Ottweiler: Aufgrund der Vollzugsgemeinschaft mit Rheinland-Pfalz sind die saarländischen Frauen in der Jugendanstalt Ottweiler nur behelfsmäßig und vorübergehend untergebracht; sobald in der JVA Zweibrücken einer der dreißig vorgehaltenen Haftplätze frei wird, erfolgt eine Überstellung dorthin; allerdings waren in dem für Frauen vorgesehenen Gebäude der

260

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland

sieben Justizvollzugsanstalten lebten weibliche Gefangene in einem separaten Hafthaus auf dem Gelände einer Justizvollzugsanstalt für Männer. 54 In vielen Bundesländern sind auch Frauenabteilungen in einer Justizvollzugsanstalt für Männer in einem eigenen Trakt gelegen. 55 Die gemeinsame Unterbringung von weiblichen und männlichen Gefangenen wurde tagsüber in vier Anstalten für den offenen Vollzug praktiziert. 56 III. Gebäudetypen der befragten Justizvollzugsanstalten Gebäudealter und Bauweise sind vor dem Hintergrund des Strafvollzugsgesetzes zu sehen. Die Kenntnis um die baulichen Gegebenheiten ist für bestehende Anstalten vor Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes im Jahre 1976 wegen der Übergangsregelung in § 201 StVollzG von Bedeutung. Diese Bestimmung lässt Abweichungen in Bezug auf die Unterbringung im geschlossenen Vollzug (§ 10 StVollzG), die gemeinschaftliche Unterbringung während der Freizeit (§ 17 StVollzG) und während der Ruhezeit (§ 18 StVollzG), die Größe und Gestaltung der Anstalten (§ 143 Abs. 1, 2) sowie deren Belegungsfähigkeit (§ 145 StVollzG) zu. Darüber hinaus beeinflussen die räumlichen Verhältnisse mit Rücksicht auf die Haftraumgröße und andere Unterbringungsmodalitäten den Alltag und das Vollzugsklima in einer Anstalt. 57

Jugendanstalt Ottweiler im März 2003 wegen Überbelegung im Männervollzug bis zu 28 geschlossene Haftplätze für männliche Erwachsene eingerichtet. 54 Bayern: JVA Traunstein, JVA Nürnberg; Sachsen: JVA Reichenhain Chemnitz, JVA Dresden; Sachsen-Anhalt: JVA Halle I Abteilung Frauen; Schleswig-Holstein: JVA Lübeck-Lauerhof; Rheinland-Pfalz: JVA Koblenz, JVA Zweibrücken. 55 Baden-Württemberg: JVA Ravensburg, JVA Heidelberg, JVA Stuttgart, JVA Waldshut, JVA Lörrach; Mecklenburg-Vorpommern: JVA Bützow; Rheinland-Pfalz: JVA Rohrbach), Nordrhein-Westfalen (JVA Bielefeld-Brackwede I, JVA Gelsenkirchen, JVA Köln; Bayern: JVA Aschaffenburg, JVA Bamberg, JVA St. Georgen-Bayreuth (Krankenhaus), JVA Garmisch-Partenkirchen (mittlerweile geschlossen), JVA Memmingen, JVA Regensburg, JVA Würzburg; Niedersachsen: Untersuchungshaft JVA Hannover, Abschiebehaft Abteilung Langenhagen, Aufnahmezellen Abteilung Lüneburg, Freigängerhaus Hannover, Freigängerinnen Abteilung Nordenham). 56 Bremen: Teilanstalt V; Hamburg: Moritz-Liepmann-Haus, sozialtherapeutische Anstalt Altengamme (beide mittlerweile geschlossen); Hessen: Abteilung für offenen Vollzug Baunatal der JVA Kassel III. 57 Die Informationen wurden den Fragebögen, dem Internet und Informationsbroschüren entnommen (vgl. JVA Aichach und JVA Willich II in Teil 5 E. V.); 1996 kam das Anti-Folter-Komitee des Europarats in die JVA Bützow und veranlasste die Schließung von drei Hafträumen für die Unterbringung von Häftlingen; Zolondek (2007), S. 129.

B. Vollzugseinrichtungen

261

Tabelle 25 Gebäudetypen der befragten Justizvollzugsanstalten JVA

aus dem Jahr

Schwäbisch-Gmünd (Baden-Würt.) Berlin

Gebäude ehemaliges Kloster mit Zusatzbauten

2 von 1900; 2 in 1970er Jahren

Baumaßnahmen 1990er Jahre bis heute: Neubauten 1990er Jahre: Renovierung aller Einrichtungen + Neubau

Luckau (Brandenburg)

1293 Ehemaliges Kloster

Ende 1990er Jahre: Modernisierung + 2002 offener Vollzug

Teilanstalt V (Bremen)

1979 2-stöckiger Flachbau

Teilanstalt VI (Bremen)

1968 1-stöckiges Gebäude

Hahnöfersand (Hamburg)

1997 2-stöckiger Flachbau 2002 Anbau

Frankfurt a. M. III (Hessen)

1888 Panoptischer Bau mit Neubauten

Seit 1990er Jahren Umbau

Bützow (MecklenburgVorpommern)

1835 Panoptischer Bau mit Einzelhaus

2002 –03 Modernisierung u. a. Hafträume

Vechta (Niedersachsen)

1640 Ehemaliges Kloster

JVK Fröndenberg (NRW)

1976 Flachdachgebäude

2002 –03 Fassadensanierung und Innenanstrich

Zweibrücken

1845 – 49 Separater Neubau für Frauen (1984 – 86)

Zellenrenovierung

Reichenhain Chemnitz (Sachsen)

1984 – 85 Plattenbau

2000 –01 Komplettsanierung

Dresden (Sachsen)

2000 Neubau

Halle I (Sachsen-Anhalt)

1999 Modulbauweise

Lübeck-Lauerhof (Schleswig-Holstein)

1980 2-stöckiger Flachbau Laufender Aus- und Umbau

Die meisten Anstalten setzen sich aus Gebäuden verschiedener Epochen zusammen und dienen bereits seit Jahrzehnten als Justizvollzugsanstalt. Aus diesem Grund findet die Übergangsbestimmung des § 201 StVollzG mit ihren Ausnahmeregelungen vielfach noch Anwendung. 58 Die Übergangsregelung erstreckt sich

262

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland

ebenfalls auf Neubauten innerhalb einer vor 1977 errichteten Anstalt. 59 Hiervon sind beispielsweise die Anstalten Frankfurt a. M. III und Zweibrücken betroffen. Zur Begründung wird der Wortlaut von § 201 S. 1 StVollzG angeführt. Danach bezieht sich der Begriff „Anstalt“ ausschließlich auf eine Justizvollzugsanstalt als Ganzes. Streitig ist jedoch, ob § 201 StVollzG einen komplett sanierten Altbau erfasst. 60 Als befürwortendes Argument werden Widersprüche vorgebracht, die eine Mehrfachbelegung ohne Zustimmung der Gefangenen lediglich im nicht umgebauten Altbau zuließe. Dabei wird verkannt, dass sich der abgeschlossene Umbau gerade nicht auf Teilbauten, sondern auf den gesamten Anstaltskomplex bezieht. Überdies ist einzuwenden, dass eine solche Sichtweise eine Umgehung des gesetzgeberischen Willens begünstigt, nach dem im Laufe der Zeit die baulichen Gegebenheiten auf das Niveau des Strafvollzugsgesetzes angehoben werden sollten. Der erfolgte Umbau eines alten Haftgebäudes lässt sich somit mit einem Anstaltsneubau vergleichen, so dass der sanierte Altteil dem erforderlichen Standard des Strafvollzugsgesetzes genügen muss. Folglich ist die Anwendung der Übergangsbestimmung nach einer grundlegenden Sanierung eines Anstaltskomplexes innerhalb einer vor 1977 erbauten Anstalt ausgeschlossen. Hiervon wäre beispielsweise die JVA Aichach betroffen. Der Kommentar zu den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen von 1986 macht auf die zu alte Gebäudesubstanz als Problem für eine menschenwürdige Unterbringung aufmerksam und möchte zu Renovierungen und zur Erstellung von neuen Gebäuden ermutigen. 61 In fast allen Anstalten ist seit den 1990er Jahren eine rege und anhaltende Um- und Ausbautätigkeit sowie Renovierungs- und Sanierungsarbeiten festzustellen (z. B. JVA Schwäbisch-Gmünd, JVA Aichach, JVA für Frauen Berlin). Diese Anstrengungen entsprechen somit dem Vorschlag des Kommentars. In diesem Rahmen müsste der Geltungsbereich des § 201 StVollzG bei komplett sanierten Anstalten allmählich zurückgedrängt werden. Die tabellarisch angeführten Baumaßnahmen bringen vermutlich einerseits eine Verbesserung der Haftbedingungen sowie der Arbeits- und Ausbildungsbedin58

Nach § 202 Abs. 2 StVollzG findet § 201 StVollzG auch in den neuen Bundesländern Anwendung; unter Errichtung im Sinne des § 201 StVollzG wird der Beginn der Bauarbeiten verstanden; Calliess / Müller-Dietz (2005), § 201 Rn. 3; auf den ersten Spatenstich abstellend Arloth / Lückemann (2004), § 201 Rn. 1; das Gebäude muss vor 1977 oder unmittelbar seit der Fertigstellung als Justizvollzugsanstalt genutzt geworden sein, vgl. KG NStZ-RR 1998, S. 191. 59 KG NStZ-RR 1998, S. 191; AK-StVollzG-Kellermann / Köhne (2006), § 18 Rn. 4; Arloth / Lückemann (2004), § 201 Rn. 1; Calliess / Müller-Dietz (2005), § 201 Rn. 3. 60 Gegen die Geltung des § 201 StVollzG Calliess. / Müller-Dietz (2005), § 201 Nr. 3 und Nitsch (2006), S. 91, für Geltung Arloth / Lückemann (2004), § 201 Rn. 1. 61 European Prison Rules (1987), S. 39; im Kommentar der Überarbeitung wird intensiv auf die Überbelegung und die daraus resultierende Haftraumsituation eingegangen European Prison Rules (2006), S. 46 ff.

C. Belegung im Frauenvollzug

263

gungen zum Ausdruck. Zum anderen könnte aber die Erweiterung der Haftkapazitäten auf die steigende Insassinnenpopulation und einen möglichen Belegungsdruck hinweisen.

C. Belegung im Frauenvollzug I. Belegung und Haftkapazitäten in den Bundesländern Am 31. März waren insgesamt 3.844 weibliche Inhaftierte in den Justizvollzugsanstalten der Bundesländer untergebracht. 62 In den sechs Frauenanstalten befanden sich 1.738 Insassinnen (46,5 %). 63 Tabelle 26 lässt sich die Verteilung der inhaftierten Frauen und die verfügbaren Haftplätze je Bundesland am Stichtag (31. März 2003) entnehmen. Die Anzahl der weiblichen Inhaftierten und der verfügbaren Haftplätze 64 umfasst alle Formen von Freiheitsentzug von der Untersuchungshaft über die Strafhaft bis zur Abschiebehaft. Eine drängende Überbelegungsproblematik zeigt sich in den Bundesländern Bayern, Hamburg, Niedersachsen (JVA Vechta), Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen. 65 In den Justizvollzugsanstalten dieser Länder übersteigt die Zahl der Insassinnen die Zahl der verfügbaren Haftplätze. An dieser Stelle ist auf den Begriff der Überbelegung einzugehen. Bei der Überbelegung handelt es sich um ein vielschichtiges und umstrittenes Phänomen, bei dem schon allein über die anzulegenden Maßstäbe Unklarheit besteht. 66 Als objektive Kriterien kommen die Gesamtzahl der Gefangenen, die pro Person zur Verfügung stehende Quadratmeterzahl sowie die Gefangenenzahl im Verhältnis zur geplanten Kapazität in Betracht. Auf subjektiver Ebene finden die eigene Wahrnehmung und das Empfinden der Betroffenen Berücksichtigung. Der kapazitive Überfüllungsbegriff bildet für die Feststellung dieses Zustands eine leicht überprüfbare und nachvollziehbare Herangehensweise. Danach ist Überfüllung gegeben, wenn die Zahl der Gefangenen außer Relation zur vorhandenen Personal- oder Sachmittelkapazität und insbesondere zur Zahl der verfügbaren 62

Nur JVA Vechta für Niedersachsen. Inhaftierte in JVA Schwäbisch-Gmünd 299, JVA Aichach 474, JVA für Frauen Berlin 265, JVA Frankfurt a. M. III 281; JVA Vechta 189, JVA Willich II 230. 64 Mit Ausnahme von Baden-Württemberg und Hamburg. 65 Da es sich im Saarland nur um Auffanghaftplätze handelt (s. Teil 6 B. I.), zeigt schon die Belegung dieser Plätze die Überbelegung an. 66 Zum Begriff der Überfüllung näher Kaiser (1998); Kreuzer, in: FS für Blau, S. 465 f.; Oberheim (1985), S. 12 ff.; Schmidt (1986), S. 3 ff. 63

264

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland Tabelle 26 Belegung und Haftkapazitäten nach Bundesländern am 31. 03. 2003 Bundesland

Baden-Württemberg

Weibliche Inhaftierte insgesamt

Verfügbare Haftplätze

Belegung in Prozent

302*

345**

87,5 %

Bayern

748

726

103,0 %

Berlin

234

261

89,7 %

Brandenburg

47

78

60,0 %

Bremen

20

37

54,0 %

Hamburg

112

108**

103,7 %

Hessen

323

328

98,5 %

44

55

80,0 %

Niedersachsen (JVA Vechta)

189

183

103,3 %

Nordrhein-Westfalen

969

896

108,1 %

Rheinland-Pfalz

206

202

102,0 %

Saarland

14

16

87,5 %

Sachsen

215

210

102,0 %

Sachsen-Anhalt

44

50

88,0 %

Schleswig-Holstein

50

52

96,0 %

3.740 (3.517)

3.531

99,7 %***

Mecklenburg-Vorpommern

insgesamt

* Belegung ohne Untersuchungs- und Abschiebehaft ** verfügbare Haftplätze im Strafvollzug ohne Untersuchungs- und Abschiebehaft *** Berechnung ohne Abschiebe- und U-Haftbelegung Baden-Württemberg, Hamburg

Haftplätze steht. Aufgrund von Trennungsvorschriften, Belegungsschwankungen und der Unterbringung in verschiedenen Vollzugsarten liegt nach überwiegender Auffassung Überbelegung nicht erst bei einer Kapazitätsauslastung von über 100 % vor, sondern ist bereits bei 80 %-iger spätestens bei 90 %-iger Auslastung erreicht. 67 In den folgenden Ausführungen wird Überbelegung bei einer Belegung ab 90 % der verfügbaren Haftplätze angenommen. Demzufolge ist auch in Hessen und in Schleswig-Holstein von Überbelegung bei einer Belegungsquote von 96 % zu sprechen. 67

Kaiser (1998), S. 1 f.; Dünkel (1992), S. 21 sieht die Vollbelegung mit 85 % erreicht.

C. Belegung im Frauenvollzug

265

Die Überbelegung im Frauenvollzug macht insbesondere den bevölkerungsreichsten Bundesländern (Bayern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen) zu schaffen. Im Ost-West-Vergleich fällt mit Ausnahme von Sachsen die eher entspannte Belegungssituation in den neuen Bundesländern (insbesondere Brandenburg) auf. Die geringste Auslastung weist indessen der kleinste Stadtstaat Bremen auf. II. Geschlossener und offener Vollzug Der offene Vollzug ist gem. § 10 Abs. 1 StVollzG allgemein als Regelvollzugsform anerkannt. 68 Auf die vor dem 1. 1. 1977 errichteten Justizvollzugsanstalten findet die unbefristete Übergangsbestimmung in § 201 Nr. 1 StVollzG Anwendung, nach der Gefangene ausschließlich im geschlossenen Vollzug aufgrund von räumlichen, personellen und organisatorischen Erfordernissen untergebracht werden dürfen. Tabelle 27 stellt die Auslastung im offenen und geschlossenen Vollzug mit den Haftkapazitäten dar. Für den offenen Vollzug stehen in vielen Bundesländern relativ wenige Kapazitäten zur Verfügung. Entgegen § 10 StVollzG stellt der offene Vollzug somit häufig eine Ausnahmeerscheinung dar. Dabei fällt ein Nord-Süd-Gefälle innerhalb der alten Bundesländer auf. 69 Während in Bayern und Baden-Württemberg der Anteil der verfügbaren Haftplätze im offenen Vollzug deutlich unter 5 % liegt, macht der offene Vollzug in den Bundesländern Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein etwa ein Viertel der verfügbaren Haftkapazitäten und in Berlin fast ein Drittel aus. In den neuen Bundesländern lässt sich eine recht desolate Situation im offenen Vollzug ausmachen. Während Brandenburg und Sachsen zumindest über Haftplätze im offenen Vollzug verfügen, gab es in Mecklenburg-Vorpommern und in Sachsen-Anhalt zum damaligen Zeitpunkt keine Kapazitäten. Mit Ausnahme von Sachsen ließ sich im offenen Vollzug keine Überbelegung beobachten. Vielmehr ist ein Überhang an Haftplätzen festzustellen. Dies gilt insbesondere für die Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz. Im Gegensatz zum offenen Vollzug haben diese Bundesländer im geschlossenen Vollzug eine Überbelegung von über 100 % zu verzeichnen. Das Problem der Überbelegung stellt sich mithin nicht im offenen Vollzug, sondern betrifft nahezu ausschließlich den geschlossenen Vollzug. 68

U.a. Calliess / Müller-Dietz (2005), § 10 Rn. 1. Zolondek (2007), S. 104 ff., die im Vergleich mit der Unterbringung von männlichen Strafgefangenen feststellt, dass in einigen Bundesländern Frauen nicht mehr unterrepräsentiert sind; im Gesamtvergleich aller Bundesländer war der Anteil der Frauen im offenen Vollzug mit 16,7 % geringfügig höher als der der Männer mit 14,9 %; allerdings befanden sich in den südlichen Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg nur einzelne Frauen im offenen Vollzug. 69

266

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland Tabelle 27 Belegung im geschlossenen und offenen Vollzug nebst Haftplätzen am 31. 03. 2003 Bundesland

Weibliche Kapazitäten Inhaftierte ge- geschlossener schl. Vollzug Vollzug

Weibliche Inhaftierte offener Vollzug

Kapazitäten offener Vollzug

Baden-Württemberg

295

333

7 (2,3 %)

12 (3,5 %)

Bayern (JVA Aichach)

468

427

6 (1,5 %)

12 (2,7 %)

Berlin

152

179

82 (35,0 %)

77 (30,1 %)

42

72

5 (10,6 %)

6 (7,7 %)

Brandenburg Bremen

16

31

4 (20,0 %)

6 (16,2 %)

45 70

49

54 (54,5 %)

59 (54,6 %)

259 71

251

62 (19,3 %)

77 (23,5 %)

MecklenburgVorpommern

44

55

0

0

Niedersachsen (JVA Vechta)

149

136

40 (21,2 %)

47 (25,7 %)

Hamburg Hessen

Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz Saarland* Sachsen Sachsen-Anhalt Schleswig-Holstein insgesamt

735

672

234 (24,1 %)

224 (25,0 %)

187 72

180

15 (7,4 %)

22 (10,9 %)

14

16

0

0

73

176

37 (17,3 %)

34 (16,2 %)

44

50

0

0

74

40

11 (22,9 %)

12 (23,1 %)

2.664

2667

557 (17,3 %)

588 (18,1 %)

177 37

* Nur Auffangfunktion vgl. Kap. 6 B. I.

Die Zahlen für den geschlossenen Vollzug geben jedoch wegen der Berücksichtigung der Untersuchungs- und Abschiebehaftgefangenen und -kapazitäten ein verzerrtes Bild wieder. Ihre Einbeziehung beruht wohl darauf, dass in vie70

Weitere 3 sonstige Haftformen. Weitere 2 sonstige Haftformen. 72 Insgesamt 202 Inhaftierte: Die Angabe stimmt nicht mit der Gesamtzahl von 206 Frauen überein. 73 1 Inhaftierte in der JVA Dresden in einer sonstigen Haftform. 74 2 Inhaftierte in der JVA Lübeck-Lauerhof in einer sonstigen Haftform. 71

C. Belegung im Frauenvollzug

267

len Justizvollzugsanstalten mit Frauenvollzug alle Formen von Freiheitsentzug durchgeführt werden und damit eine Zuordnung der geschlossenen Haftplätze, gerade bei Überlastung, erschwert wird. In diesem Zusammenhang ist neben Baden-Württemberg Hamburg hervorzuheben. Im Unterschied zu den anderen Bundesländern gehen in die Berechnung beider Länder Untersuchungs- und Abschiebehäftlinge nicht ein. Diese Differenzierung ist insbesondere in Hamburg möglich, weil dort dem Trennungsgrundsatz von Untersuchungshäftlingen und Strafgefangenen weitgehend Rechnung getragen wird. 75 In Hamburg gibt es für den Vollzug von Freiheitsstrafe einschließlich Ersatzfreiheitsstrafe mehr gelockerte 76 Haftplätze (54 %). Entgegen der Sollvorschrift in § 10 StVollzG bildet der offene Vollzug für weibliche Gefangene keineswegs die Regelvollzugsform. In den meisten Bundesländern dominiert der geschlossene Vollzug. Auf die vor 1977 errichteten Justizvollzugsanstalten, d. h. auf die Mehrzahl der befragten Justizvollzugsanstalten, findet allerdings § 201 Nr. 1 StVollzG Anwendung. Die rege Neubau- und Umbautätigkeit der vergangenen Jahre 77 führte nicht zu einem nennenswerten Ausbau der Kapazitäten im offenen Vollzug. Der Schwerpunkt bei Haftplatzerweiterungen liegt im geschlossenen Vollzug. Dies gilt insbesondere für die südlichen und östlichen Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern, MecklenburgVorpommern und Sachsen-Anhalt 78. Dort wird der offene Vollzug entgegen § 10 StVollzG vernachlässigt. Die vorhandenen Kapazitäten kommen nur für einen Bruchteil der weiblichen Gefangenen in Betracht. In den südlichen Bundesländern dürfte das „Schattendasein“ des offenen Vollzugs auf kriminalpolitische Orientierungen und Entscheidungen zurückzuführen sein. 79 III. Belegungsfähigkeit der Justizvollzugsanstalten Tabelle 28 dokumentiert die Belegungsfähigkeit und die Population am Stichtag. Der Vergleich der einzelnen Justizvollzugsanstalten mit Frauenvollzug zeigt, dass insbesondere Justizvollzugsanstalten für Frauen (JVA Aichach, JVA Frankfurt a. M. III, JVA Vechta, JVA Willich II) sowie Justizvollzugsanstalten mit großen Frauenparten (JVA Zweibrücken 80, JVA Chemnitz) gravierende Überbelegungsprobleme mit einer Auslastung über 100 % haben. Mit Ausnahme der 75 Werden die Untersuchungs- und Abschiebehaftplätze hinzuaddiert, so überwiegt auch hier die geschlossene Unterbringung. Der Anteil im offenen Vollzug liegt mit 36,6 % dennoch höher als in den anderen Bundesländern. 76 In dem Antwortschreiben wird der Begriff „gelockerter Vollzug“ verwendet. 77 Vgl. Teil 6 B. III. 78 Seit dem 1.06.04 gibt es 12 offene Haftplätze in der JVA Halle I (vgl. Teil 6 J. I.). 79 Dünkel (1992), S. 21; Zolondek (2007), S. 105 f.

268

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland Tabelle 28 Belegungsfähigkeit und Belegung am 31. 3. 2003 Justizvollzugsanstalten

Haftplätze

Belegung

Belegung in %

JVA Schwäbisch-Gmünd (Baden-Würt.)

347

299

86,2

JVA Aichach (Bayern)

439

474

108,1

JVA Berlin für Frauen

261

234

89,7

78

47

60,3

JVA Luckau (Brandenburg) JVA Bremen Teilanstalt V

6

4

66,7

JVA Bremen Teilanstalt VI

31

16

51,6

JVA Hahnöfersand (Hamburg)

95

87

91,6

272

281

103,3

55

44

80,0

JVA Vechta für Frauen (Niedersachsen)

183

189

103,3

JVK Fröndenberg (Nordrhein-Westfalen)

44

27

61,4

JVA Willich II (Nordrhein-Westfalen)

199

230

115,6

JVA Zweibrücken (Rheinland-Pfalz)

126

144

114,3

16

14

87,5

JVA Chemnitz (Sachsen)

160

173

108,1

JVA Dresden (Sachsen)

50

42

84,0

JVA Halle I (Sachsen-Anhalt)

50

44

88,0

JVA Lübeck-Lauerhof (Schleswig-Holstein)

52

50

96,2

JVA Frankfurt a. M. III (Hessen) JVA Bützow (Mecklenburg-Vorpommern)

JVA Ottweiler (Saarland) *

* Nur Auffangfunktion, vgl. Kap. 6 B. I.

JVA Schwäbisch-Gmünd sind alle Justizvollzugsanstalten mit einer Kapazität für über 100 Frauen mit einer starken Überlastung konfrontiert. 81 Unter einer zu hohen Auslastung leiden aber auch Justizvollzugsanstalten mit kleineren Frauenparten, die eine Belegungsrate über 90 % aufweisen (JVA Hahnöfersand, JVA Lübeck-Lauerhof). Ein sehr niedriges Belegungsniveau unter 70 % erreichen die beiden Bremer Teilanstalten, die JVA Luckau und das JVK Fröndenberg 82. 80 Da die JVA Ottweiler nur eine Auffangeinrichtung darstellt, bietet deren starke Belegung einen zusätzlichen Anhaltspunkt für die Überbelegung der JVA Zweibrücken. 81 Aber auch für die JVA Schwäbisch-Gmünd stellt die Überbelegung ein Problem dar (telefonische Anfrage). Hieran wird ein Nachteil von punktuellen Stichtagserhebungen deutlich, die im Unterschied zur verlaufsbezogenen Untersuchung nur einen kleinen Ausschnitt erfasst.

C. Belegung im Frauenvollzug

269

Des Weiteren fällt die Größe der Anstalten für Frauen auf. Die mit Abstand größte Frauenanstalt mit deutlich kleinerem Männerpart ist die JVA Aichach in Bayern mit fast 450 Haftplätzen. Danach folgen die JVA Schwäbisch-Gmünd in Baden-Württemberg mit knapp 350 Haftplätzen und die JVA Frankfurt a. M. III in Hessen mit unter 300 Haftplätzen. An die 200 Haftplätze haben die JVA Willich II in Nordrhein-Westfalen und die JVA Vechta für Frauen in Niedersachsen. In diesem Rahmen ist die Sollvorschrift des § 143 Abs. 3 StVollzG anzuführen, die mangels Erwähnung in § 201 Nr. 4 StVollzG auch auf vor 1977 errichtete Justizvollzugsanstalten Anwendung findet. 83 Gemäß § 143 Abs. 3 StVollzG soll die vorgesehene Belegung in Justizvollzugsanstalten für Frauen 200 Plätze nicht übersteigen. Dieser Richtwert kann zwar unterschritten, soll aber nicht überschritten werden. 84 Die gesetzlich vorgesehene Größenordnung überschreiten drei Anstalten für Frauen (JVA Aichach, JVA Schwäbisch-Gmünd, JVA Frankfurt a. M. III). Bei der geplanten Schaffung zusätzlicher Haftkapazitäten in der JVA SchwäbischGmünd und der JVA Vechta bleibt die Obergrenze in der Praxis unbeachtet. Argument für den Richtwert ist die angeblich besondere Problembelastung im Frauenvollzug. 85 Die Vorstellung einer problematischen Insassinnenpopulation verkennt aber, dass neben der geringeren Deliktsschwere und Vorstrafenbelastung Disziplinarfälle oder der Missbrauch von Lockerungen bei Frauen seltener als bei männlichen Gefangenen vorkommen. 86 Es stellt sich daher die Frage, ob die Obergrenze von 200 Haftplätzen in der Gegenwart einen überholten, praxisuntauglichen Maßstab bildet. 87 Nach der obigen Begründung erscheint eine Größenvorgabe für Frauenanstalten nicht plausibel. Es ließen sich aber andere Überlegungen zur Beibehaltung dieser Maßgabe anführen. Um eine individuelle Behandlung zu gewährleisten, gelten 200 Haftplätze als optimaler Richtwert und 400 Haftplätze als Obergrenze 88. Die niedrige Insassinnenpopulation und eine Unterbringung in Wohnortnähe sprechen für Frauenanstalten mit Haftplätzen unterhalb des optimalen Richtwertes, doch könnten kleine Frauenanstalten zu Lasten von wenig differenzierten Behandlungsangeboten gehen. Zur Gewährleistung einer Palette unterschiedlicher

82 Das Vollzugskrankenhaus ist aber aufgrund seiner Zielsetzung und Zielgruppe mit den Justizvollzugsanstalten an und für sich nicht vergleichbar. 83 § 201 Nr. 4 StVollzG beschränkt Abweichungen auf § 143 Abs. 1 und 2, lässt aber Abs. 3 unberührt. 84 Calliess / Müller-Dietz (2002), § 143 Rn. 7. 85 Zur Belegungsobergrenze vgl. Teil 4 E. VI. 86 AK-Bammann / Quensel (2000), Vor § 76 Rn. 6. 87 So auch Arloth / Lückemann (2004), § 143 Rn. 4. 88 AK- Huchting / Lehmann (2006), § 143 Rn. 5.

270

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland

Behandlungsmaßnahmen wären deshalb im geschlossenen Frauenvollzug ein Richtwert von 200 Haftplätzen und eine absolute Obergrenze von 400 Haftplätzen sinnvoll. Demgegenüber ist im offenen Vollzug einer dezentrale Struktur mit kleinen Einheiten von Nöten, um den Insassinnen in Heimatortnähe die berufliche und familiäre Wiedereingliederung zu erleichtern. Aus diesem Grund wäre die Schaffung von mehr offenen Einrichtungen mit bis zu 50 Haftplätzen wünschenswert. IV. Überbelegung in rechtlicher Hinsicht In den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen spielt die Überbelegung sowohl in der älteren als auch in der jüngsten Fassung in der jeweiligen Kommentierung eine wichtige Rolle. In der älteren Kommentierung wird auf die daraus resultierenden Probleme für die nächtliche Unterbringung im Haftraum und die Grundversorgung verwiesen; es kommt die Beeinträchtigung des Behandlungsvollzugs sowohl für die Gefangenen als auch für den Vollzugsstab hinzu. 89 In den vergangenen Jahren verschärfte die europaweit ansteigende Gefangenenpopulation die Überbelegung im Strafvollzug und führte zu einer alarmierenden Verschlechterung der Haftbedingungen, so dass auch aufgrund der Entwicklung auf dem Gebiet der Europäischen Menschenrechte in der jüngsten Kommentierung ein dringender Bedarf zur Stärkung der Unterbringungsbedingungen erkannt wurde. 90 Dementsprechend finden sich in den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen von 1987 und 2006 Mindestanforderungen für die Belegung und Beschaffenheit der Hafträume 91, aber keine konkrete Empfehlung zur Überbelegung. Dagegen ist im Strafvollzugsgesetz ein Verbot der Überbelegung in § 146 statuiert. Die Regelung soll einerseits die Einhaltung der Belegungsfähigkeit im Sinne von § 145 StVollzG 92 und anderseits die Erfüllung des Behandlungsvollzugs 93 gewährleisten. Zwar richten sich die §§ 145, 146 StVollzG ausschließlich an die Vollzugsbehörden, aus denen Gefangene keine Rechte ableiten können, doch steht ihnen der Rechtsschutz nach §§ 109 ff. StVollzG wegen eines Verstoßes gegen Grundrechte offen. 94 Abs. 1 des § 146 StVollzG ermöglicht den

89

European Prison Rules (1987), S. 39. European Prison Rules (2006), S. 46 [vgl. auch zur Rspr. des EMGR Teil 2 H. II. 2. a)]. 91 Hierzu Teil 6 D. 92 Die Bestimmung regelt die Festsetzung der Belegungsfähigkeit, um Überbelegung zu vermeiden; Arloth / Lückemann (2004), § 145 Rn. 1. 93 Calliess / Müller-Dietz (2005), § 146 Rn. 1; Schwind / Böhm / Jehle-Schwind / Hasenpusch (2005), § 146 Rn. 1. 90

C. Belegung im Frauenvollzug

271

Vollzugsbehörden, die Aufnahme von Verurteilten über die Belegungsfähigkeit hinaus abzulehnen. 95 Die Belegungsfähigkeit für vor 1977 errichtete Anstalten kann aber nach § 201 Nr. 5 StVollzG festgesetzt werden und ermöglicht Abweichungen bei der gemeinschaftlichen Unterbringung in Arbeit und Freizeit (Nr. 2) und der Einzelunterbringung (Nr. 3). Infolgedessen läuft die Schutzfunktion des § 146 StVollzG zum Gutteil ins Leere. 96 Weitere Ausnahmen lässt Abs. 2 bei vorübergehender Überbelegung unter Zustimmung der Aufsichtsbehörde zu. Umstritten ist die Auslegung des Begriffs „vorübergehend“. Einigkeit herrscht lediglich darüber, dass chronische Überbelegung ausscheidet. 97 Während sich nach der Rechtsprechung 98 der unbestimmte Rechtsbegriff auf die Anstalt als solche bezieht, stellt die Literatur auf den einzelnen Gefangenen ab. Obgleich für die Rechtsprechung der Verwaltungscharakter der Norm spricht, überzeugt letztlich die Auffassung der Literatur: Da eine Wechselwirkung zwischen den §§ 18 Abs. 2 S. 2, 146 Abs. 2 StVollzG besteht, kommt es nach dem Sinn dieser Normen auf die Überlegung im konkreten Einzelfall an. Zusätzlich stellt sich die Frage nach der Zeitdauer einer vorübergehenden Überbelegung. Unter Berufung auf den Angleichungsgrundsatz in Bezug auf Übernachtungsgäste hält die engste Ansicht einen Zeitraum von höchstens sieben Tagen für angemessen. 99 Dabei erscheint die Vergleichbarkeit fragwürdig, denn in Notsituationen (Obdachlosigkeit, Überbrückungszeit) ist eine längere Beherbergung nicht abwegig. Eine andere Ansicht erachtet eine mehrmonatige Überbelegung für statthaft, sofern die Standards für eine menschenwürdige Unterbringung gewahrt sind und eine hinreichende Begründung (außergewöhnliche Notlage) abgegeben wird. 100 In der heterogenen Praxis der Bundesländer wird entweder auf eine Befristung verzichtet oder die Spannbreite bewegt sich zwischen zwei und zwölf Monaten. 101 Das Merkmal „vorübergehend“ dürfte eine Drei-Monats-Grenze am besten ausfüllen. In diesem Rahmen erscheint eine maximale Befristung bis zu sechs Monaten gerade noch zumutbar. 102 Angesichts der allgemeinen Überbelegungsproblematik 94 Arloth / Lückemann (2004), § 146 Rn. 3; Theile, StV 2002, 673; andere Ansicht AK-Huchting / Lehmann (2006), § 140 Rn. 12. 95 Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe kann gem. § 455a StPO bei zum Strafantritt anstehenden Verurteilten aufgeschoben oder bei Gefangenen unterbrochen werden. 96 Oberheim (1985), S. 55. 97 LG Hamburg ZfStrVo 2001, S. 50; LG Kassel ZfStrVo 2001, S. 119; LG Halle StV 2005, S. 342 f.; Schwind / Böhm / Jehle-Schwind / Hasenpusch (2005), § 146 Rn. 8. 98 OLG Celle NStZ 1999, 216. 99 AK-Huchting / Lehmann (2006), § 146 Rn. 7. 100 Schwind / Böhm / Jehle-Schwind / Hasenpusch (2005), § 146 Rn. 8. 101 Schwind / Böhm / Jehle-Schwind / Hasenpusch (2005), § 146 Rn. 8. 102 So auch Böhm (2003), Rn. 210; Oberheim (1985), 56; OLG Celle, ZfStrVo 1999, S. 58; anders Nitsch (2006), S. 136 f., die eine allgemeine zeitliche Begrenzung von sechs bis zu neun Monaten befürwortet.

272

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland

in Europa wäre eine Ergänzung der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze um ein differenziertes Überbelegungsverbot sinnvoll. 103

D. Unterbringung im Haftraum I. Einzel- und Gemeinschaftsunterbringung in den Bundesländern Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze von 1987 und 2006 haben den Grundsatz der Einzelunterbringung (Nr. 14.1 1987, Nr. 18.5 2006) verankert. Das Strafvollzugsgesetz sieht ebenfalls grundsätzlich die Einzelunterbringung während der Ruhezeit (§ 18 Abs. 1 S. 1) vor. Die gemeinsame Unterbringung ist entweder bei Hilfsbedürftigkeit des Gefangenen oder bei Gefahr für Gesundheit oder Leben zulässig (§ 18 Abs. 1 S. 2). Im offenen Vollzug dürfen zur Ruhezeit Insassinnen mit ihrer Zustimmung in Gemeinschaftshaft leben (§ 18 Abs. 2 S. 1). Abgesehen von den Ausnahmen in § 18 Abs. 1 ist im geschlossenen Vollzug die gemeinsame Unterbringung nur vorübergehend und aus zwingenden Gründen gestattet. Im offenen Vollzug dürfen Gefangene mit ihrer Zustimmung gemeinsam untergebracht werden, wenn keine schädliche Beeinflussung zu erwarten ist (§ 18 Abs. 2 S. 1). Eine wichtige Ausnahme von der Einzelunterbringung während der Ruhezeit enthält § 201 Nr. 3 S. 2 für die vor 1977 errichteten Anstalten. Die Bestimmung ermöglicht die gemeinsame Unterbringung von bis zu acht Gefangenen im offenen und geschlossenen Vollzug, solange die räumlichen Verhältnisse der Anstalt dies erfordern. 104 Die Unterbringung der Insassinnen in Einzel- und Gemeinschaftshafträumen in den Bundesländern und Justizvollzugsanstalten lässt sich Tabelle 29 entnehmen. Ergänzend wird der prozentuale Anteil der Einzelunterbringung an allen belegten Haftplätzen dargestellt. Während in den nördlichen Bundesländern Bremen, Hamburg und SchleswigHolstein fast bzw. alle weiblichen Gefangenen einzeln untergebracht sind, befindet sich in Baden-Württemberg lediglich ein knappes Viertel der Insassinnen

103 Kaiser (2007), S. 281 f. hält Good Time-Systeme für ein Mittel, die Überbelegung zu senken und verspricht sich hiervon wegen des Motivationseffekts einen positiven Einfluss auf das Anstaltsklima. 104 Hinsichtlich der Untersuchungshaft enthält § 119 Abs. 1 StPO den Grundsatz der Einzelhaft. Ausnahmen enthält § 119 Abs. 2 StPO, wonach eine gemeinsame Unterbringung entweder auf ausdrückliches schriftliches Verlangen des Häftlings oder bei Gebotenheit wegen seines körperlichen oder seelischen Zustands zulässig ist. Die gemeinsame Unterbringung gegen den Willen des Häftlings ist sonst nur auf Anordnung des Haftrichters gem. § 119 Abs. 6 StPO zulässig. Bei Abschiebehaft hat nach § 8 Abs. 2 FrHEntzG i.V. m. §§ 171, 18 Abs. 1 StVollzG grundsätzlich die Einzelunterbringung Vorrang.

D. Unterbringung im Haftraum

273

Tabelle 29 Art der Unterbringung in den Bundesländern am 31. 3. 2003 Bundesland und Justizvollzugsanstalt

Einzelunterbringung

Baden-Württemberg

gemeinsame Unterbringung

Anteil Einzelunterbringung

111

358

23,7 %

79

214

27,1 %

JVA Aichach Bayern

213

199

51,7 %

JVA Berlin für Frauen

207

27

79,3 %

JVA Luckau Brandenburg

3

44

6,4 %

Bremen Teilanstalt V, VI

22

0

100,0 %

91*

7

92,8 %

davon JVA Schwäbisch-Gmünd

Hamburg davon JVA Hahnöfersand

87

0

100,0 %

201**

141**

58,8 %

170

111

74,2 %

34

10

77,3 %

161**

151**

51,6 %

58

131

30,7 %

Nordrhein-Westfalen

474

495

48,9 %

davon JVA Willich II

140

90***

60,9 %

Rheinland-Pfalz

99

107

48,1 %

davon JVA Zweibrücken

52

92

36,1 %

5

9

35,7 %

JVA Chemnitz (Sachsen)

28

145

16,2 %

JVA Dresden (Sachsen)

21

21

50,0 %

JVA Halle I Sachsen-Anhalt

25

19

56,9 %

46

4

92,0 %

1.478

1.588

48,2 %

Hessen davon JVA Frankfurt a. M. III JVA Bützow Meck.-Vorpom. Niedersachsen davon JVA Vechta

JVA Ottweiler Saarland****

JVA Lübeck-Lauerhof Schles.-Hol. insgesamt

* nur Freiheitsstrafe ** zur Verfügung stehende Haftplätze *** davon 18 im offenen Vollzug **** nur Auffangfunktion vgl. 2.1.

274

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland

in einem Einzelhaftraum. 105 Etwa ein Drittel der inhaftierten Frauen ist in Einzelunterbringung in der Frauenanstalt Vechta und in der JVA Zweibrücken. In Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz hat etwa die Hälfte der Insassinnen einen Einzelhaftraum. Über 60 % der Insassinnen befinden sich in einem Einzelhaftraum in den Frauenanstalten Berlin und Willich II sowie in Brandenburg. Hieraus lässt sich erneut ein Nord-Süd-Gefälle ermitteln. Die nördlichen Stadtstaaten und das nördlichste Bundesland setzen die Vorgabe des § 18 Abs. 1 S. 1 StVollzG größtenteils um. Dabei ist zu beachten, dass in diesen Bundesländern jüngere Anstalten angesiedelt sind, die den Anforderungen des Strafvollzugsgesetzes entsprechen müssen. In den neuen Bundesländern zeigen sich beträchtliche Unterschiede bei der Unterbringung. Während Brandenburg im Vergleich zu allen Bundesländern die geringsten Kapazitäten für die Einzelunterbringung aufweist 106, wird in Mecklenburg-Vorpommern und in Sachsen-Anhalt überwiegend die Einzelunterbringung praktiziert. Dagegen verfügt in Sachsen insgesamt lediglich knapp ein Viertel über einen Einzelhaftraum. Noch dazu wird im Neubau der JVA Dresden entgegen der gesetzlichen Vorgabe die Einzelunterbringung nur zur Hälfte umgesetzt. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die Einzelunterbringung nur in den nördlichen Justizvollzugsanstalten die Regelunterbringung darstellt. Überwiegend stimmt die Praxis nicht mit der gesetzlichen Vorgabe in § 18 Abs. 1 StVollzG überein. Die gemeinsame Unterbringung lässt jedoch die schon mehrfach erwähnte Übergangsvorschrift in § 201 Nr. 3 StVollzG für vor 1977 errichtete Anstalten zu. Streit besteht jedoch darüber, ob der Begriff der „räumlichen Verhältnisse“ die Anstalt als Ganzes oder jedes Haftgebäude auf dem Anstaltsgelände gesondert erfasst. Ersterer Auffassung folgt der BGH und verweist auf den Wortsinn der Vorschrift und dessen systematische Stellung. 107 Dem widerspricht das überwiegende Schrifttum und bezieht sich zur Begründung auf den Willen des Gesetzgebers. 108 Da die Suspendierung des § 18 StVollzG nur eine vorläufige Regelung darstellt, müsse die Einzelunterbringung in nach 1977 vorgenommenen Neu- und Umbauten verwirklicht werden. Diese Argumentation überzeugt und erfährt weitere Unterstützung durch die Gesetzgebungsmaterialien, in denen ausdrücklich von „neuen Vollzugsbauten“ bzw. „Neubauten“ die Rede ist. 109 Auch kann der Sinn der Übergangsbestimmung nur darin bestehen, 105 Die Angaben der Bundesländer Baden-Württemberg, Bremen, Hessen und Niedersachsen stimmen nicht mit den Angaben zur Belegung in Tab. 1 überein. 106 In Brandenburg stand die Schließung der JVA Luckau bevor (s. Teil 6 J. I. zur Weiterentwicklung). 107 BGH NStZ 2006, S. 58. 108 AK-Kellermann / Köhne (2006), § 18 Rn. 4; Calliess / Müller-Dietz (2005), § 18 Rn. 4, § 201 Rn. 3; Köhne, BewHi 2007, S. 272 f.; Schwind / Böhm / Jehle-Böhm (2005), § 201 Rn. 2. 109 BT-Drs. 7/918, 56 und 107; Köhne, BewHi 2007, S. 272.

D. Unterbringung im Haftraum

275

die vollständige Einführung der Einzelunterbringung in Etappen über Modernisierungen zu erreichen. Obwohl die befragten Justizvollzugsanstalten häufig in alten Gebäuden angesiedelt sind, wurden in den letzten Jahren zahlreiche Neubauten auf dem Gelände mehrerer Einrichtungen 110 und Sanierungen von Altbauten 111 vorgenommen. Gerade bei modernisierten Anstalten verwundert der hohe Anteil an Gemeinschaftsunterkünften. Nach der hier vertretenen Auffassung dürfte aufgrund der Neu- und Umbauten die Berufung auf die Übergangsbestimmung häufig ausgeschlossen sein, so dass die betroffenen Insassinnen Einzelhaftplätze beanspruchen könnten. 112 II. Einzel- und Gemeinschaftsunterbringung in den befragten Justizvollzugsanstalten Neben der Art der Unterbringung geht es im Folgenden auch um die Raumgröße in den befragten Anstalten. Tabelle 30 enthält Angaben zur Größe von Einzelhafträumen in den befragten Justizvollzugsanstalten. 113 Die Größe der Einzelhafträume in den befragten Anstalten reicht von 7,6 bis zu 11,5 qm. Die kleinsten Hafträume sind in den panoptischen Anstalten Aichach und Willich II. Dagegen verfügen der Neubau der Frauenanstalt Frankfurt a. M. III und die beiden sächsischen Anstalten über die größten Einzelhafträume. Die meisten Einrichtungen haben Einzelhafträume mit einer Größe zwischen 9 und 10 qm. Die moderneren bzw. jüngst umgebauten Gebäude sind in der Regel mit größeren Hafträumen ausgestattet (Teilanstalt Bremen V, JVA Hahnöfersand, JVA Frankfurt a. M. III, JVA Chemnitz, JVA Dresden, JVA Halle I). 114 Zur erforderlichen Raumgröße von Einzel- und Gemeinschaftshafträumen gibt es weder eine Bestimmung in den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen noch im Strafvollzugsgesetz. 115 Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze von 2006 verlangen indessen die Festlegung einer Mindestgröße für die Hafträume im nationalen Recht (Nr. 18.3) und appellieren an die diversen Landesgesetzgeber 110 Vgl. Teil 6 B. III.: JVA Schwäbisch-Gmünd, JVA Berlin, JVA Frankfurt a. M. III, JVA Zweibrücken bzgl. Frauenhaus. 111 JVA Aichach, JVA Berlin, JVA Luckau, JVA Willich II, JVA Chemnitz. 112 Da das bayerische StVollzG den Grundsatz der Einzelunterbringung in Art. 20 zu einer Soll-Vorschrift herabgestuft hat, gibt es dort das Recht auf Einzelunterbringung seit dem 1. Januar 2008 nicht mehr. 113 Keine Angaben zur Auffanganstalt Ottweiler im Saarland. 114 Mit Ausnahme der sanierten JVA Aichach. 115 So aber Alternativentwurf in § 10 Abs. 3: Mindestgröße von 10 qm² für die Einzelzelle.

276

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland Tabelle 30 Art der Unterbringung am 31. 3. 2003 Justizvollzugsanstalt

Anzahl qm

Schwäbisch-Gmünd (Baden-Württemberg)

9*

Aichach (Bayern)

7,61 –9,24

Berlin für Frauen

11,36

Luckau (Brandenburg)

10

Bremen Teilanstalt V

10

Bremen Teilanstalt VI

8

Hahnöfersand (Hamburg) Frankfurt a. M. III (Hessen)

10,2 9 (alt) / 11,5 (neu)

Bützow (Mecklenburg-Vorpommern) Vechta (Niedersachsen)

8,39 ca. 10

Willich II (Nordrhein-Westfalen)

7,7 / 9,43***

Zweibrücken (Rheinland-Pfalz)

8,5 / 9,5****

Chemnitz (Sachsen) Dresden (Sachsen) Halle I (Sachsen-Anhalt) Lübeck-Lauerhof (Schleswig-Holstein)

11,27 11 10,3 8,64 / 8,71

* im Langstrafenbereich ** nur Freiheitsstrafe *** 7,7qm im geschlossenen Vollzug, 9,43 qm im offenen Vollzug **** 8,5 qm im offenen Vollzug, 9,5 qm im geschlossenen Vollzug

zum Erlass von entsprechenden Bestimmungen. 116 Im Strafvollzugsgesetz bezieht sich zwar § 144 Abs. 1 auf die Größe und Ausgestaltung der Räume, die einen hinreichendem Luftinhalt und ausreichende Heizung, Lüftung, Boden- und Fensterfläche für eine gesunde Lebensführung aufweisen müssen, doch fehlt es an einer Konkretisierung dieser Bestimmung. Von der hierfür vorgesehenen Verordnungsermächtigung in § 144 Abs. 2 StVollzG hat das Bundesministerium der Justiz keinen Gebrauch gemacht. Aus diesem Grund hat die wenngleich uneinheitliche Rechtsprechung Maßstäbe zur Auslegung des § 144 Abs. 1 StVollzG auf der Basis menschenrechtlicher Mindeststandards entwickelt. 117 116 Dem ist der bayerische Landesgesetzgeber nicht nachgekommen; vgl. auch Zolondek (2007), S. 189.

D. Unterbringung im Haftraum

277

Der Alternativentwurf des Strafvollzugsgesetzes sah in § 10 Abs. 3 eine Mindestwohnfläche von 10 qm ohne Sanitäreinrichtungen vor. Auf diese Größenordnung beruft sich eine Ansicht und bezieht sich zur Begründung auf die absolute Minimumregelung im Gesetz zur Beseitigung von Wohnungsmissständen, um den Angleichungsgrundsatz (§ 3 Abs. 1 StVollzG) im Strafvollzug zu konkretisieren. 118 Die Praxis behilft sich mit den Empfehlungen für den Bau von Justizvollzugsanstalten, welche einen unverbindlichen Orientierungsmaßstab bieten. 119 In der ursprünglichen Fassung wurde eine Mindestbodenfläche von 9 qm für Einzelhafträume und von 6 qm je Gefangenen für die gemeinsame Unterbringung empfohlen. 120 Die jüngste Version enthält jedoch keine detaillierten Angaben zu den Grundflächen. Wichtige Richtlinien zur Haftraumgestaltung finden sich in den Verwaltungsvorschriften der einzelnen Bundesländer. Für Einzelhafträume sehen die bayerischen Verwaltungsvorschriften (BayVVStVollzG) eine Bodenfläche von mindestens 8 qm ohne WC-Kabine vor und für die gemeinschaftliche Unterbringung dreier Gefangener von mindestens 20 qm ohne WC-Kabine. 121 Für den Altbestand dürfte eine Bodenfläche von 6 qm mit einem Rauminhalt von 16 – 20 cbm pro Gefangenen gerade noch akzeptabel sein. 122 Als Planungsmaßstab sollten aber 10 qm für jeden Gefangenen einschließlich sanitärer Anlage veranschlagt werden. 123 Aus den Angaben zur Bodenfläche ergibt sich, dass die Einzelhaftraumgrößen in den verschiedenen Justizvollzugsanstalten diesen Mindestanforderungen gerecht werden: Während Altbauten mit Einzelhafträumen mit einer Bodenfläche ab 7,6 qm ausgestattet sind, weisen Einzelhafträume in modernen Gebäuden eine Bodenfläche von mindestens 10 qm auf.

117

Kaiser / Schöch, Strafvollzug, § 7 Rn. 86; zur Rspr. bis in die 1980er Jahre Schmidt (1986), S. 111 ff. 118 Arndt (1981), S. 141; Schmidt (1986), S. 89. 119 Vom 3. Oktober 1978 in der Fassung von September 2000; vgl. in Bayern für den Neubau der Frauenteilanstalt Neudeck www.stmi.bayern.de/imperia/md/content/ stmi/bauen/themen/ppp/jva_erf_bericht.pdf– und in Nordrhein-Westfalen vgl. www.justiz.nrw.de/BS/Justizvollzug/bauliche_Gestaltung_6/index.php. 120 OLG Frankfurt NJW 2003, S. 2845; BGH StV 2006, S. 149; Ostendorf / Nolte, StV 2006, S. 710. 121 BayVV zu § 144 StVollzG, abgedruckt in Arloth / Lückemann (2004), Anhang 5; aufgrund der eigenständigen Regelung des Strafvollzuges dürften neue Verwaltungsvorschriften ähnlichen Inhalts erlassen werden. 122 Kaiser / Schöch, Strafvollzug, § 7 Rn. 73 S. 165 m.w. N., BVerfG, ZfStrVo 1994, S. 378; auf den Rauminhalt wird hier nicht näher eingegangen, da dieser nicht Gegenstand der Befragung war; ausführlich dazu Nitsch 2006, S. 124 ff. 123 So Kaiser / Schöch, Strafvollzug, § 7 Rn. 73 S. 165; AK-Huchting / Lehmann (2006), § 144 Rn. 3; anders Nitsch (2006), S. 124 mit 9 qm mit Sanitäranlage.

278

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland

III. Belegung und Haftraumgröße bei gemeinsamer Unterbringung in den befragten Justizvollzugsanstalten Mit Hilfe der unbefristeten Übergangsbestimmung in § 201 Nr. 3 StVollzG wird der gesetzlich niedergelegte Grundsatz der Einzelbelegung seit über dreißig Jahren weitgehend unterlaufen. Diese Praxis widerspricht den Zielsetzungen des Strafvollzugsgesetzes, erfordert aber mangels Befristung keine zügige Abhilfe. 124 Aufgrund dessen wird § 201 StVollzG als „legislatorisches Kuriosum“ bezeichnet. 125 Im Folgenden wird ein Überblick zur Belegung von Gemeinschaftsunterkünften mit Bodenflächengröße gegeben. 126 Tabelle 31 bezieht sich auf Zwei- und Dreifrauenhafträume. In zwölf Einrichtungen leben jeweils zwei Frauen zusammen in einem Haftraum. 127 Die Größe der Zwei-Bett-Hafträume bewegt sich zwischen gut 11 und 24 qm. Die JVA Chemnitz weist die niedrigste Quadratmeterzahl auf, wobei die Größe des Zweierhaftraums mit der Größe des Einzelhaftraums genau übereinstimmt. Die Belegung mit je zwei Frauen deutet auf die Bildung von Notgemeinschaften hin. 128 In der JVA Aichach teilen sich jeweils zwei Insassinnen einen Haftraum mit einer Bodenfläche unter 12 qm. In den beiden Einrichtungen stehen jeder Frau etwa 5 bis 6 qm Bodenfläche zu. Bemerkenswert ist, dass es sich bei den Anstalten mit der geringsten Haftraumfläche um sanierte bzw. neue Bauten handelt. Die größten Zweierhafträume befinden sich in den beiden östlichen Anstalten Luckau und Dresden. Bei den anderen Anstalten reicht die Bodenfläche der Hafträume von 13 qm bis zu 17 qm. Über einen rollstuhlgerechten Haftraum für zwei Personen verfügt die JVA Dresden. Sechs Anstalten haben Dreierhafträume mit einer Größe von über 15 qm bis über 24 qm. Die kleinsten Hafträume für drei Personen sind in den beiden Frauenanstalten Berlin und Willich II. Dagegen befinden sich erneut die größten Dreierhafträume in den Anstalten Luckau und Dresden. Die Einrichtungen weisen große Unterschiede hinsichtlich der Größe der Gemeinschaftsunterkünfte auf. Nur in zwei Anstalten (JVA Luckau, JVA Dresden) haben die Doppelhafträume eine Grundfläche von mindestens 10 qm je Frau. Im 124 Im Schrifttum wird der Übergangscharakter der Vorschrift hervorgehoben, der mit zunehmender Geltungsdauer des StVollzG immer weniger Begrenzungen des Grundsatzes zur Einzelunterbringung rechtfertige, vgl. Theile, StV 2002, S. 674; AK-Feest / Köhne (2006), § 201 Rn. 1. 125 AK-Feest / Köhne (2006), § 144 Rn. 1; nach Ullenbruch, NStZ 1999, S. 431 hat § 201 Nr. 3 StVollzG versagt. 126 Die Zahlen für die JVA Dresden (21 statt 29) und die JVA Halle I (19 statt 28) stimmen nicht mit den Angaben zur Einzel- und Gemeinschaftsunterbringung überein. 127 Im JVK Fröndenberg haben auf der medizinischen Station Zweibettzimmer mit einer Größe von 19,7 qm. 128 Näher Teil 6 D. IV.

D. Unterbringung im Haftraum

279

Tabelle 31 Belegung 2- / 3-Personen-Hafträume am 31. 03. 2003 Justizvollzugsanstalt

Aichach (Bayern) Berlin für Frauen

2 in 2-BettHaftraum 79*

qm

3 in 3-BettHaftraum

11,5 – 11,8

27 kleinste 16,01

Luckau (Brandenburg)

17*

24

Bremen Teilanstalt VI

nicht belegt

16

Frankfurt a. M. III (Hessen)

38

15 (neu)

Bützow (Meck-Vorpommern)

10

13 / 16,9

Vechta (Niedersachsen)

28

ca. 15

Willich II (NRW) 10

14,2 / 16**

Chemnitz (Sachsen)

28

11,27

Dresden (Sachsen)

24

22

23*

k.A.

4

14,25

Lübeck-Lauerhof (SchleswigHolstein)

27

über 24

3

18 (alt)

6 15,4 / 15,21

Zweibrücken (RheinlandPfalz)

Halle I (Sachsen-Anhalt)

qm

21

19,2

3

22

* Zahl ist nicht durch 2 teilbar ** 14,2 qm im geschlossenen Vollzug, 16 qm im offenen Vollzug

Durchschnitt stehen zwei Insassinnen jeweils knapp 7 qm bis etwa 8 qm zur Verfügung. In zwei Anstalten (JVA Aichach, JVA Chemnitz) reicht die Bodenfläche je Frau von 5,6 bis 5,9 qm. Im Verhältnis zu den Einzel- und Zweierunterkünften fällt die Grundfläche pro Frau in Dreierhafträumen deutlich kleiner aus. Die größte Bodenfläche je Frau weisen erneut die Anstalten Luckau mit mehr als 8 qm und die JVA Dresden mit 7,3 qm auf. In der Mitte bewegen sich die Anstalten Frankfurt a. M. III und Zweibrücken mit bzw. über 6 qm Grundfläche pro Frau. Die geringste Grundfläche je Frau zwischen 5,1 und 5,4 qm haben die beiden Anstalten Willich II und Berlin und liegen damit unter dem Richtwert von 6 qm Bodenfläche je Frau. 129 Aus der folgenden Tabelle ergeben sich die Raumgröße und die Belegung von Hafträumen für vier Frauen. 129

s. o. Teil 6 D. II.

280

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland Tabelle 32 Belegung 4-Personen-Hafträume am 31. 03. 2003

Justizvollzugsanstalt Schwäbisch-Gmünd (Ba-Wü)

2 in 4-BettHaftraum

3 in 4-BettHaftraum

4 in 4-BettHaftraum

qm 4-BettHaftraum

k.A.

k.A.

k.A.

22,3

Aichach (Bayern)

0

0

32

18,5 –18,7

Willich II (Nordrhein-Westfalen)

0

0

8*

25

Zweibrücken (Rheinland-Pfalz)

4

15

0

28,7

Chemnitz (Sachsen)

0

3

64

29,49

nicht belegt

nicht belegt

nicht belegt

22

2

3

0

20,6

Dresden (Sachsen) Halle I (SachsenAnhalt) * Abschiebehaft

In sechs Bundesländern gibt es sieben Anstalten mit Gemeinschaftsunterkünften für vier Frauen. Die Hafträume verfügen über eine Bodenfläche zwischen 18,5 bis zu 29,5 qm. In der JVA Aichach befinden sich die mit Abstand kleinsten Viererhafträume, die pro Frau eine Grundfläche von etwa 4,6 qm aufweisen. Demgegenüber sind in der JVA Chemnitz die größten Viererhafträume mit einer Bodenfläche von 7,4 qm je Frau. Große Viererhafträume gibt es auch in der JVA Zweibrücken, wobei diese Hafträume als Dreierzellen mit separatem Nassbereich genutzt werden und damit eine komfortable Unterbringung mit 9,6 qm pro Frau ermöglichen. 130 In der JVA Willich II stehen Viererhafträume mit einer Grundfläche von 6,3 qm je Frau zur Verfügung. In den Anstalten SchwäbischGmünd, Dresden und Halle I ist die Bodenfläche pro Frau niedriger und liegt zwischen 5,2 und 5,6 qm. Bei der JVA Dresden fällt auf, dass die Hafträume für zwei bis vier Frauen die gleiche Größe haben. Vermutlich können alle Hafträume bis zu vier Frauen aufnehmen und werden nach Bedarf belegt. 131 Es fällt auf, dass in der Anstalt Chemnitz 37 % der Insassinnen zu viert in einem Haftraum leben. Im Vergleich dazu ist der Anteil zu viert untergebrachter Insassinnen in der JVA Aichach mit 7,8 % gering. Die Unterbringung in einem Viererhaftraum stellt dort eine Ausnahmeerscheinung dar. In den beiden Anstalten Zweibrücken und Halle I sind die Viererhafträume ausschließlich mit zwei 130

Im offenen Vollzug gibt es externe Toiletten. Die medizinische Station des JVK Fröndenberg hat Vierbettzimmer mit einer Größe von 43,1 qm. 131

D. Unterbringung im Haftraum

281

bis drei Frauen belegt. Als einzige befragte Einrichtung hat die JVA Aichach sogar einen Haftraum für sechs Insassinnen mit einer Größe von 30,3 qm, jede Frau hat eine Bodenfläche von etwa 5 qm. Insgesamt ist es bemerkenswert, dass in den nördlichen Bundesländern (Berlin, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, SchleswigHolstein) keine Hafträume ab drei Personen vorhanden sind. Hier zeigt sich wiederum ein Nord-Süd-Gefälle. In Bayern gibt es in der JVA Aichach sogar noch einen Haftraum für sechs Frauen. Bedrückend ist der hohe Anteil von Insassinnen in Viererhafträumen in der Anstalt Chemnitz. Auf Bedenken stößt die teilweise erhebliche Unterschreitung der Maßgabe von 6 qm Bodenfläche pro Frau bei Gemeinschaftsunterkünften. Ob allerdings die Menschenwürdegarantie (Art. 1 Abs. 1 GG) verletzt ist sowie eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung (Art. 3 EMRK) vorliegt, entzieht sich hier einer Beurteilung. Entsprechende Verstöße sind nach der Rechtsprechung dann gegeben, wenn entweder die Toilette nicht abgetrennt oder nicht gesondert entlüftet ist und gleichzeitig die Mindestmaße bezüglich der Bodenfläche von 7 qm pro Gefangenen samt des Rauminhalts von 16 cbm unterschritten werden. 132 Die Rechtsprechung bezieht sich bislang auf Extremfälle, in denen die Bodenfläche erheblich unter der Maßgabe von 6 qm liegt. Beispiele hierfür sind die Unterbringung von drei Gefangenen in einem etwa 12 qm großen Haftraum ohne räumlich abgetrennte Toilette 133 sowie von fünf Gefangenen in einem 16 qm großen Haftraum ohne räumlich abgetrennte Nasszelle 134. 135 Angaben zum Standort der WC-Anlage und zum Luftinhalt wurden in den befragten Justizvollzugsanstalten nicht erhoben. Im Vergleich zu den Beispielen aus der Rechtsprechung ist durchweg eine größere Bodenfläche von mindestens gut 5 qm pro Frau in den Gemeinschaftsunterkünften festzustellen. Eine Ausnahme bildet der Viererhaftraum in der JVA Aichach mit einer Bodenfläche von 4,6 qm je Frau. In der Rechtsprechung kommt der Haftraumgröße allerdings nur untergeordnete Bedeutung zu, so dass die Mehrfachbelegung mit getrenntem Sanitärbereich oder mit Sichtschutz einschließlich gesonderter Entlüftung noch toleriert würde. 136 Auch wenn von einer 132

OLG Frankfurt, NJW 2003, S. 844; BVerfG, ZfStrVo 1994, S. 378. LG Gießen, NStZ 2003, S. 624. 134 LG Hannover, StV 2003, S. 568 erkannte zwar einen Schmerzensgeldanspruch des Betroffenen wegen dieser Unterbringung an, doch nicht der BGH trotz menschenrechtswidriger Unterbringung ZfStrVo 2005, S. 59 f. und ebenso das BVerfG StV 2006, S. 708 f. mit ablehnender Anm. Ostendorf / Nolte, StV 2006, S. 709 ff. 135 Böhm, in: FS für Schwind 2006, S. 543 weist zu Recht darauf hin, dass auch die Einzelunterbringung ohne abgetrennte Toilette nicht den allgemeinen Lebensverhältnissen entspricht und nicht als „wohnlich“ bezeichnet werden kann; auf eine „wohnliche“ Unterbringung haben Gefangene aber keinen Anspruch, weil eine solche noch den Anforderungen an eine menschenwürdige Unterbringung genügt. 136 Keinen Verstoß gegen die Menschenwürde sieht das OLG Karlsruhe, ZfStrVo 2005, S. 299 in einer dauerhaften Doppelbelegung auf insgesamt 9 qm bei abgetrennter 133

282

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland

separaten Nasszelle bei Gemeinschaftsunterkünften ausgegangen wird, ist die Unterbringung von drei bis sogar sechs Frauen in einem Haftraum mit 5 qm je Frau wegen der räumlich beengten Verhältnisse und des damit verbundenen Konfliktpotenzials äußerst problematisch. 137 IV. Notgemeinschaften Bei Überbelegung ist die Bildung von Notgemeinschaften, d. h. die Doppelbelegung eines Einzelhaftraums, verbreitet. Im Vollzug behelfen sich die Anstalten oft mit einer schriftlichen Erklärung des Gefangenen, in der das Einverständnis für die gemeinsame Unterbringung in einer Einzelzelle erteilt wird. 138 In jüngerer Zeit häuften sich Entscheidungen zur Doppelbelegung von Einzelzellen auch höchstrichterlicher Rechtsprechung. 139 Tabelle 33 enthält Angaben der befragten Justizvollzugsanstalten zu Notgemeinschaften am Stichtag. In fünf Einrichtungen, davon vier Frauenanstalten, erfolgte die Doppelbelegung von Einzelhafträumen. In der JVA Chemnitz wird der Viererhaftraum mit mehr Personen als zugelassen belegt. In der JVA Vechta teilten sich am Stichtag über die Hälfte der Insassinnen (54 %) zirka 10 qm große Einzelzellen. Mit großem Abstand folgt die JVA Frankfurt a. M. III, in der fast ein Drittel der Einzelhafträume doppelt belegt war. Dort haben die Einzelhafträume im neuen Hafthaus eine Größe von 11,5 qm. Es folgt die JVA Willich II mit einer Doppelbelegung in Einzelhafträumen von 30,4 %. Dabei haben die Einzelhaftund abschließbarer Nasszelle; ebenso das OLG Celle, ZfStrVo 2003, S. 567 bei 9,8 qm in einem obiter dictum; beachte die Übersicht bei Matzke, NStZ 2006, S. 18 f.; vgl. auch Ostendorf / Nolte, StV 2006, S. 710. 137 Nach der hier vertretenen Auffassung ist § 201 Nr. 3 StVollzG auf sanierte Altbauten nicht anwendbar, so dass in einigen Anstalten Gemeinschaftsunterkünfte erheblich eingeschränkt werden müssten. Auf die befriedende Funktion der gemeinsamen Unterbringung macht Rotthaus, in: FS für Jung 2007, S. 817 insbesondere bei beschäftigungslosen Gefangenen aufmerksam, nichtsdestotrotz hält er diese Unterbringung für einen Missstand und appelliert an den Strafvollzug, sich aktiv an der Meinungsbildung zu kriminalpolitischen Fragen zu beteiligen, S. 827 f. 138 Wetzler, ZfStrVo 1987, S. 34; AK-Huchting / Lehmann (2006), § 144 Rn. 5 halten diese Praxis für unzulässig, denn der Gefangene würde keine freie Entscheidung treffen und dürfe im Vollzug nicht über seine Menschenwürde verfügen. 139 U. a. zwei Beschlüsse des BVerfG, ZfStrVo 2002, S. 176 f. und 178; beachte BGH, NStZ 2007, S. 172, nach dem allein die gemeinsame Unterbringung entgegen § 18 Abs. 1 S. 1 StVollzG keine Verletzung der Menschenwürde ohne Hinzutreten erschwerender, den Gefangenen benachteiligender Umstände darstellt; OLG Celle, ZfStrVo 1999, S. 57 f.; aber auch schon 1967 erging ein Beschluss des OLG Hamm, nach dem ein Verstoß gegen die Menschenwürde bei einer Dreierbelegung eines Einzelhaftraums von 11,54 qm mit einer Toilette ohne Schamwand angenommen wurde; in den 1980er Jahren z. B. OLG Frankfurt NStZ 1985, S. 572.

D. Unterbringung im Haftraum

283

Tabelle 33 Notgemeinschaften in den befragten Justizvollzugsanstalten am 31. 3. 2003 Justizvollzugsanstalt

2 in 1-EinzelHaftraum

Aichach (Bayern)

82

Frankfurt a. M. III (Hessen)

70

Vechta (Niedersachsen)

103*

Willich II (NRW)

70**

Zweibrücken (RheinlandPfalz) Chemnitz (Sachsen)

5 in 4-BettHaftraum

6 in 4-BettHaftraum

42 15

35***

* Zahl ist nicht durch 2 teilbar ** davon 18 im offenen Vollzug *** Zahl ist nicht durch 6 teilbar

räume im geschlossenen Vollzug lediglich eine Grundfläche von 7,7 qm und im offenen Vollzug von 9,4 qm. 140 In der JVA Zweibrücken lebten 29,2 % der Frauen zu zweit in einem Einzelhaftraum mit einer Bodenfläche von 9,5 qm. Es schließt sich die JVA Chemnitz an, in der 28,9 % der Insassinnen entweder zu fünft oder zu viert in einer 29,5 qm großen Viererzelle untergebracht war. In der JVA Aichach befand sich knapp ein Fünftel der Frauen zu zweit in einem Einzelhaftraum mit einer Größe von 9,2 qm. Die Bildung von Notgemeinschaften stellt das Problem der Überbelegung in den sechs Anstalten deutlich heraus. Besorgniserregend ist der hohe Anteil der Doppelbelegung von Einzelzellen, der von knapp einem Fünftel bis über die Hälfte reicht. Aus menschenrechtlicher Perspektive stimmt diese Unterbringung angesichts der geringen Bodenfläche pro Frau bedenklich. In der JVA Willich II beträgt die Bodenfläche nur 3,85 qm pro Frau im geschlossenen Vollzug. In den Anstalten Aichach und Zweibrücken liegt die Grundfläche pro Frau bei 4,6 bzw. 4,75 qm. Etwa 5 qm stehen jeder Insassin in einem doppelt belegten Einzelhaftraum in der JVA Vechta zur Verfügung und 5,75 qm in der JVA Frankfurt a. M. III. In der JVA Chemnitz beläuft sich die Flächengröße pro Frau in einer Viererzelle bei einer Belegung mit fünf Insassinnen auf 5,9 qm und mit sechs Insassinnen auf 4,9 qm. In den Anstalten wird die Bodenfläche von 6 qm pro Frau nicht erreicht bzw. knapp verfehlt. Unklar ist jedoch, ob die Räume mit einer separaten Toilette ausgestattet sind und wie lange diese Unterbringung je Frau andauert. Entsprechend den Kriterien der Rechtsprechung können daher 140 In der JVA Willich erfolgte wohl eine Unterbringung von vier Frauen in einer Dreierzelle, wobei eine nicht übereinstimmende Zahl von 6 Frauen angegeben wurde.

284

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland

Verstöße gegen die Achtung der Menschenwürde (Art. 1 GG) und das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (Art. 3 EMRK) nicht eindeutig festgestellt werden. 141 Dies gilt noch mehr für die Rechtsprechung des EGMR, der den Regelwert des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter und unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe von 4 qm je Gefangenen zugrunde legt. 142 Es wäre aber zu begrüßen, wenn Notgemeinschaften in Hafträumen, die das Mindestmaß von 6 qm pro Frau nicht einhalten, als menschenunwürdige Unterbringung anerkannt würden.

E. Gesundheitsfürsorge in Justizvollzugsanstalten I. Allgemeinmedizinische Versorgung Zur Gesundheitsfürsorge enthält das Strafvollzugsgesetz einen Abschnitt mit detaillierten Regelungen in den §§ 56 –66. 143 Ziel ist die Angleichung der medizinischen Leistungen im Strafvollzug an die Leistungen der gesetzlichen Krankenkasse (Äquivalenzprinzip). Insbesondere die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze von 2006 (Nr. 39 –48) zeichnet eine über das StVollzG hinausgehende Detailfülle gerade in Bezug auf die ärztlichen Pflichten aus. Tabelle 34 gibt einen Überblick zur Sprechstundenregelung und zur ärztlichen Versorgung in den befragten Justizvollzugsanstalten. Die allgemeinen Sprechzeiten variieren in den verschiedenen Justizvollzugsanstalten beträchtlich. Dies gilt sowohl für die Sprechstundenfrequenz als auch für die Dauer der Sprechzeiten. In fast allen Frauenanstalten ist eine Sprechstundenregelung von Montag bis Freitag getroffen oder eine ganztägige Sprechstunde an verschiedenen bzw. allen Werktagen eingerichtet. Meist findet die ärztliche Sprechstunde während der Arbeitszeiten statt. 144 Darüber hinaus sind 141

Vgl. Leitsatz 5 des OLG Frankfurt, NJW 2003, S. 2844: „Die Unterbringung in einem mehrfach belegten Hafträumen verstößt jedenfalls dann gegen Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 3 EMRK, wenn entweder die Toilette nicht abgetrennt oder nicht gesondert gelüftet ist sowie gleichzeitig die Mindestmaße hinsichtlich des erforderlichen Luftraums von 16 cbm oder hinsichtlich der erforderlichen Bodenfläche von 7 qm jeweils pro Gefangener nicht eingehalten werden.“ Der Beschluss des LG Gießen, NStZ 2003, S. 624 lässt die Schlussfolgerung zu, dass eine Verletzung der Menschenwürde schon allein bei einer gemeinsamen Unterbringung von drei Gefangenen in einem etwa 12 qm großen Haftraum vorliegt. 142 Meyer-Ladewig (2006), Art. 3 Rn. 12a; ein Verstoß wurde bei 7 qm für zwei Gefangene bei mangelnder Lüftung und Beleuchtung angenommen (vgl. auch Teil 2 I.). 143 Zur Kostenbeteiligung in § 63 S. 2 StVollzG Schultheiß (2006), S. 151 ff. 144 Ständige Erreichbarkeit ist natürlich im JVK Fröndenberg gewährleistet.

E. Gesundheitsfürsorge in Justizvollzugsanstalten

285

Tabelle 34 Sprechstunden für medizinische Versorgung durch einen Allgemeinarzt JVA

Häufigkeit Arztsprechstunde

Uhrzeiten

außerhalb Sprechzeiten

Anstaltsarzt / ärztin

Schwäbisch-Gmünd 3x pro Woche

8:00 –12:30, 14:30 –18:00

bei Bedarf täglich

1 Ärztin Vollzeit, ¼-Teilzeit

Aichach

1x pro Woche

9:00-Ende

bei Bedarf öfter

2 Ärztinnen, 1 Arzt, 1 Vollzeit, 2 Teilzeit

Berlin

täglich

6:30 –14:30

k. A.

1 Ärztin Vollzeit

Luckau

2x pro Woche

keine festen Zeiten

k. A.

kein eigener Arzt

Bremen V

1x pro Woche

k.A.

bei Bedarf extern kein eigener Arzt

Bremen VI

2x pro Woche

11:00 –13:00

k. A.

1 Ärztin, 1 Arzt, 1 Vollzeit, 1 Teilzeit

Hahnöfersand

2x pro Woche

13:00 –15:00

k. A

kein eigener Arzt

Frankfurt a. M. III

5x pro Woche

9:00 –11:30

k. A.

1 Ärztin Vollzeit

Bützow

5x pro Woche

8:30 –16:00

bei Bedarf rund um die Uhr

kein eigener Arzt

Vechta

5x pro Woche

8:00 –12:30

JVK Fröndenberg

medizinische Station: täglich

Willich II

2x pro Woche

Zweibrücken

1 Arzt Vollzeit Mutter-KindEinrichtung: bei Bedarf

4 Ärzt(inn)e(n)

Die. 8:00 –11:30, Do. 12:30 –14:00

k. A.

1 Arzt Teilzeit

2x pro Woche

9:00 –12:00

bei Notfällen jederzeit Mo-Fr 7:00 – 12:00, 13:00 – 15:45

1 Arzt, Vollzeit

Chemnitz

5x pro Woche

10:00 –12:00

k. A.

1 Arzt Vollzeit

Dresden

1x pro Woche

8:00 –16:00

k. A.

1 Arzt für Frauen und Männer

Halle I

1x pro Woche

13:00 –15:00

k. A.

1 Arzt Vollzeit

Lübeck-Lauerhof

1x pro Woche

k.A.

in dringenden Fällen täglich

1 Arzt für Frauen und Männer, Vollzeit

in den Frauenanstalten eigene Anstaltsärzte auf Voll- und Teilzeitbasis für die weiblichen Gefangenen zuständig. In den anderen Anstalten mit kleineren und größeren Frauenparten trägt der Anstaltsarzt bzw. -ärztin für die medizinische Versorgung beider Geschlechter die Verantwortung, wobei die Männer in der Regel die Mehrheit der Gefangenenpopulation stellen. 145 In sehr kleinen Anstal-

286

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland

ten werden entweder Ärzte aus anderen Anstalten oder Konsiliarärzte für die Behandlung der Insassinnen herangezogen. Außerhalb der Sprechzeiten ist eine medizinische Betreuung für Notfälle gewährleistet. 146 Bei der Gesundheitsfürsorge werden die Ärzt(inn)en durch Krankenpflegepersonal mit eigenen Sprechzeiten unterstützt. In kleinen Frauenabteilungen können die Insassinnen teilweise eine tägliche Ambulanz beim Sanitätsdienst besuchen. In den meisten Anstalten versorgen Krankenschwestern erkrankte Insassinnen. Es gibt Anstalten ohne Krankenpflegepersonal 147, Anstalten mit bis zu fünf Krankenschwestern 148 und Anstalten mit einer Krankenabteilung mit bis zu 18 Krankenschwestern 149. Je nach Größe und Organisation der Anstalt lassen sich somit große Unterschiede bei der gesundheitlichen Betreuung durch das Krankenpflegepersonal feststellen. Der Personalschlüssel zwischen Arzt / Krankenpflegepersonal und Patientinnen ergibt sich aus Tabelle 35 in den befragten Justizvollzugsanstalten. Im Durchschnitt kümmert sich ein / e Anstaltsarzt / ärztin um etwa 200 bis 300 weibliche Gefangene. In der Krankenpflege liegt das Patientinnenaufkommen unter 100 pro Krankenpfleger / in. Während die JVA Hahnöfersand die höchsten Patientinnenzahlen für die dortige Krankenschwester aufweist, sind die Fallzahlen für das Pflegepersonal in der JVA Berlin und in der JVA Frankfurt a. M. III mit je 29 bzw. 27 Patientinnen am niedrigsten. Demgegenüber versorgt der Anstaltsarzt in der JVA Lübeck-Lauerhof mit Abstand die meisten Patient(inn)en, zudem gibt es kein Krankenpflegepersonal für Frauen.

145

Anders die JVA Aichach als Frauenanstalt mit einem Männerpart und die JVA Willich II mit der anliegenden Männeranstalt Willich I. 146 Dieses Item war nicht im Fragebogen aufgenommen. Viele Anstalten machten hierzu jedoch Angaben. 147 Teilanstalt Bremen VI, JVA Bützow, JVA Lübeck-Lauerhof. 148 JVA Schwäbisch-Gmünd: 5 Krankenschwestern (2 Vollzeit, 3 Teilzeit), aber 7 Planstellen; JVA Luckau: 2 Krankenschwestern (Vollzeit); JVA Hahnöfersand: 1 Krankenschwester (Vollzeit), JVA Vechta: 3 Krankenschwestern, 1 Krankenpfleger (Vollzeit); JVA Willich II: 4 Krankenschwestern (Vollzeit); JVA Zweibrücken: 2 Personen für Krankenpflege (Vollzeit); JVA Chemnitz: 2 Krankenschwestern (Vollzeit); JVA Halle I: 1 Krankenschwester (Vollzeit). 149 JVA Aichach: 18 Krankenschwestern (15 Vollzeit, 1 Teilzeit, 2 befristet); JVA Berlin: 15 Krankenschwestern (Vollzeit); JVA Frankfurt a. M. III: 11 Krankenschwestern (9 Vollzeit, 2 Teilzeit); JVA Dresden: 9 Krankenschwestern, 1 Krankenpfleger für Frauen und Männer; da die JVA Berlin vier Standorte hat, ergeben sich Unterschiede bei der Versorgung: So arbeitet das Pflegepersonal am Hauptstandort in drei Schichten, an einem Standort mit 2 versetzten Tagesdiensten bis 18:00 Uhr, an einem Standort stundenweise mehrmals pro Woche und am kleinsten Standort nach Bedarf (Versorgung in der Regel über Hauptstandort).

E. Gesundheitsfürsorge in Justizvollzugsanstalten

287

Tabelle 35 Personalschlüssel Arzt / Pflegepersonal zu Patientinnen JVA

Arzt-PatientinnenVerhältnis

Pflegepersonal-PatientinnenVerhältnis

Schwäbisch-Gmünd

1:278

1:87 (50*)

Aichach

1:281**

1:33**

Berlin

1:234

1:29

Luckau



1:24

Hahnöfersand



1:95

Frankfurt a. M. III

1:297

1:27

Vechta

1:230

1:58

Willich II

1:200

1:50

Zweibrücken

1:144

1:77

Chemnitz

1:173**

1:87**

Halle I

1:50

1:50

Lübeck-Lauerhof

1:554**



* wenn die 7 Planstellen besetzt sind ** weibliche und männliche Gefangene

II. Fachärztliche Untersuchungen Das Strafvollzugsgesetz sieht für Gefangene fachärztliche Untersuchungen zur Vorsorge und Früherkennung vor (§ 57 StVollzG). Weitere Regelungen für die zahnmedizinische und augenärztliche Versorgung finden sich in den §§ 58 Nr. 2, 59, 61, 62 StVollzG. Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze enthalten hierzu ebenfalls Empfehlungen (Nr. 26, 32:1987; Nr. 40.5, 41.5:2006). Tabelle 36 enthält Angaben zu fachärztlichen Untersuchungen in den befragten Justizvollzugsanstalten. In fast allen Justizvollzugsanstalten können die weiblichen Gefangenen mindestens ein Mal im Jahr Vorsorgeuntersuchungen für die zahnärztliche und die gynäkologische Behandlung in Anspruch nehmen. Zusätzlich gibt es in einigen Anstalten dermatologische Untersuchungen 150 und / oder augenärztliche Untersuchungen 151. 152 Ein Arzt für Suchtkranke ist in der JVA Hahnöfersand tätig. 150 151

JVA Berlin, JVA Frankfurt a. M. III, JVA Willich II, JVA Zweibrücken. JVA Aichach, JVA Zweibrücken.

288

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland Tabelle 36 Fachärztliche Vorsorgeuntersuchungen JVA

Zahnarzt

Gynäkologe

k. A.

ja

Aichach

ja

ja

Berlin

ja

ja

Luckau

ja

ja

Schwäbisch-Gmünd

Bremen V

k. A.

ja

Bremen VI

keine

keine

ja

1x pro Woche

2x pro Woche

1x pro Woche

Bützow

ja

ja

Vechta

ja

ja

JVK Fröndenberg

ja

ja

1x pro Woche

alle 14 Tage

Zweibrücken

ja

ja

Chemnitz

ja

ja

Dresden

ja

ja

Halle I

1x im Monat

ja

ja

ja

Hahnöfersand Frankfurt a. M. III

Willich II

Lübeck-Lauerhof

Darüber hinaus bieten die Justizvollzugsanstalten nach Bedarf fachärztliche Untersuchungen an. 153 III. Physische und psychische Erkrankungen Mit der Zugangsuntersuchung erhalten die Anstaltsärzte Kenntnisse über den Gesundheitszustand, die Vollzugstauglichkeit und die Arbeitsfähigkeit der Neu152 Während die Items zahn- und frauenärztliche Untersuchungen im Fragebogen erfasst sind, handelt es sich bei den weiteren Untersuchungen um ergänzende Angaben der Anstalten ohne Anspruch auf Vollständigkeit; allgemeinmedizinisch-internistische Untersuchung mit Laborcheck-up, Röntgen von Thorax plus EKG für Frauen ab fünfzig Jahren gibt es in der JVA Frankfurt a. M. III; eine HNO-Behandlung ermöglicht die JVA Willich II; ein Diabetis Dispensaire findet in der JVA Halle I statt. 153 JVA Berlin mit insgesamt 1.428 Facharztvorstellungen.

E. Gesundheitsfürsorge in Justizvollzugsanstalten

289

zugänge. Bei der Aufnahme ist es von Bedeutung festzustellen, ob übertragbare Krankheiten oder Parasiten (z. B. Kopfläuse) vorliegen und ggf. entsprechende Maßnahmen gegen eine Verbreitung in der Anstalt zu treffen. 154 Während des Vollzugs bedarf es der Behandlung auftretender Beschwerden aufgrund von bereits bestehenden Infektionen, Neuansteckungen, chronischen Erkrankungen (z. B. Leberschäden), Abhängigkeiten und psychischen bzw. psycho-somatischen Leiden. Aus dem Männerstrafvollzug ist eine gewisse Häufung von Infektionskrankheiten wie Grippe, Tripper, Syphilis, Hepatitis und Aids bekannt. 155 Ebenso scheinen dort öfter als außerhalb der Mauern psychische, überwiegend depressive Leiden bemerkt zu werden. Im Frauenstrafvollzug gibt es Anhaltspunkte, dass mehr Hauterkrankungen, Magenbeschwerden und psycho-somatische Beeinträchtigungen auftreten. 156 Im Folgenden wird untersucht, welche somatischen und seelischen Erkrankungen im Anstaltsalltag häufiger vorkommen. 157 Zunächst wird auf einzelne Infektionskrankheiten eingegangen (Tab. 37). Leberentzündungen in Form der Hepatitis B und C sind in den befragten Justizvollzugsanstalten sehr verbreitet. 158 Die saisonbedingte Grippe kommt in über der Hälfte der Anstalten vor. 159 Zusätzlich werden Atemwegserkrankungen wie grippale Infekte, Angina (JVA Frankfurt a. M. III) und Bronchitis (JVA Hahnöfersand) genannt. HIV-Infektionen treten in fast der Hälfte der Anstalten auf, betreffen allerdings nur Einzelfälle. 160 Im Umgang mit HIV treffen die meisten Justizvollzugsanstalten präventive Maßnahmen. In allen Anstalten wird ärztliche Aufklärung über die Immunschwächekrankheit angeboten. 161 In einer Reihe von Anstalten wird eine freiwillige Blutuntersuchung bei Aufnahme angeboten. 162 Merkblätter über HIV sind in vielen Anstalten erhältlich. 163 Darüber 154

Die JVA Frankfurt a. M. III hat aufgrund der Nähe zum internationalen Großflughafen häufiger Inhaftierte mit gefährlichen Infektionskrankheiten aus anderen Ländern. Bei einem Verdacht ist die Quarantäne der Betroffenen erforderlich. 155 Vgl. Obermöller (2000), S. 121 m.w. N. 156 Obermöller (2000), S. 121 m.w. N. 157 Der Begriff „häufig“ lässt allerdings keine Anhaltspunkte über den tatsächlichen Verbreitungsgrad unter den Insassinnen zu, da gerade Krankheiten wie Aids im Leben außerhalb der Mauern unsichtbar bleiben und selten auftreten. Zwar handelt es sich nicht um eine zuverlässige Datengrundlage, doch lassen sich Anhaltspunkte über geläufige Krankheiten im Frauenvollzug gewinnen. 158 So auch Zolondek (2007), S. 205. 159 Als einzige der genannten Infektionskrankheiten ist die Grippe nach dem Bundesseuchengesetz nur im Todesfall meldepflichtig. Komplikationen treten aber insbesondere bei abwehrgeschwächten Menschen auf (vgl. Brockhaus, Lexikon der Gesundheit, A-K 2000, S. 483). Da Teile der Insassinnen aufgrund ihrer Drogenabhängigkeit in ihrer Abwehr geschwächt sein dürften, könnte es zu erschwerten Krankheitsverläufen kommen. Der Fragebogen vermittelt dazu jedoch keine Informationen. 160 JVA Hahnöfersand 6 – 8 %; JVA Vechta + JVA Willich II jeweils 3 HIV-Trägerinnen. 161 Eine verpflichtende Beratung über Aids und Hepatitis erfolgt in der JVA Schwäbisch-Gmünd durch die Krankenschwester.

290

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland Tabelle 37 Häufige Infektionskrankheiten inhaftierter Frauen JVA

Schwäbisch-Gmünd

Grippe

Hepatitis B

Hepatitis C

+

+

+

Aichach

HIV

+

Berlin

+

+

+

+

+

+

+

+

+

Hahnöfersand

+

+

+

Frankfurt a. M. III

+

+

+

Vechta

+

+

+

JVK Fröndenberg

+

+

+

+

Luckau

+

Bremen V Bremen VI

Bützow

Willich II

Syphilis / Tripper

+

+

+

+

Zweibrücken

+

+

Chemnitz

+

+

+

Dresden

+

Halle I

+

+

+

Lübeck-Lauerhof

+

+

+

+

hinaus gibt es eine besondere Gesundheitsvorsorge für HIV-Trägerinnen wie Kontrolluntersuchungen 164, Betreuung durch externes Fachpersonal 165 oder auch eine Kostzulage 166. Mit Ausnahme der JVA Frankfurt a. M. III scheinen die Geschlechtskrankheiten Syphilis und Tripper ohne Bedeutung zu sein. Laut der JVA Schwäbisch-Gmünd und der JVA Frankfurt a. M. III gibt es auch vermehrt 162

JVA Schwäbisch-Gmünd, JVA Aichach, JVA Berlin, JVA Hahnöfersand, JVA Frankfurt a. M. III, JVA Bützow, JVA Vechta, JVK Fröndenberg, JVA Willich II, JVA Zweibrücken, JVA Halle I, JVA Lübeck-Lauerhof. 163 JVA Schwäbisch-Gmünd, JVA Aichach, Teilanstalt Bremen VI, JVA Frankfurt a. M. III, JVA Vechta, JVA Willich II, JVA Zweibrücken, JVA Chemnitz, JVA Dresden, JVA Halle I. 164 JVA Schwäbisch-Gmünd, JVA Berlin, JVA Willich II durch Überweisung zur JVK Fröndenberg in die HIV-Ambulanz. 165 JVA Hahnöfersand, JVA Aichach. 166 JVA Willich II.

E. Gesundheitsfürsorge in Justizvollzugsanstalten

291

Vaginalinfekte und andere gynäkologische Infektionen. Darüber hinaus treten Hauterkrankungen (JVA Schwäbisch-Gmünd) auf. Vor allem bei der Aufnahme haben Frauen teilweise Kopfläuse oder sogar Krätze (JVA Berlin). Im neuen Jahrtausend gab es in seltenen Fällen Tuberkulose in den großen Anstalten. 167 In einigen Anstalten 168 trat Tuberkulose noch nicht auf, wobei in den neuen Bundesländern bislang kein Tuberkulose-Fall vorkam. Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze betonen, dass für eine psychiatrische Behandlung von bedürftigen Gefangenen zu sorgen ist (Nr. 26.1, 32:1987; Nr. 40.5, 47.2:2006). Der nachstehenden Tabelle sind vollzugstypische psychische und psycho-somatische Beschwerden zu entnehmen. Tabelle 38 Häufige psycho-somatische und psychische Leiden inhaftierter Frauen JVA

Magersucht / Selbstverletzungen Depressionen Kopfschmerzen Bulimie

Schwäbisch-Gmünd

+

+

+

+

Aichach

+

+

+

+

Berlin

+

+

+

+

Luckau

+

Bremen V Bremen VI

+

Hahnöfersand Frankfurt a. M. III

+

+

+

+

+

+

+

+

+

+

+

+

+

+

Bützow Vechta

+

+

+

+

JVK Fröndenberg

+

+

+

+

Willich II

+

+

+

+

Zweibrücken

+

+

+

Chemnitz

+

+

Dresden

+

+

+

+

Halle I

+

+

167 JVA Schwäbisch-Gmünd, JVA Aichach, JVA Berlin, JVA Hahnöfersand, JVA Frankfurt a. M. III, JVK Fröndenberg, JVA Willich II, JVA Zweibrücken (im Männerbereich). 168 JVA Luckau, Teilanstalt Bremen V, Teilanstalt Bremen VI, JVA Bützow, JVA Vechta, JVA Chemnitz, JVA Dresden, JVA Halle I, JVA Lübeck-Lauerhof.

292

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland

Kopfschmerzen 169 und depressive Stimmungslagen sind in allen Justizvollzugsanstalten 170 gängige Beschwerden von inhaftierten Frauen. In den meisten Anstalten werden auch Magersucht / Bulimie sowie autoaggressive Aktivitäten verstärkt wahrgenommen. Im Ost-Westvergleich fällt auf, dass abgesehen von der JVA Halle I die beiden letzt genannten Leiden in den ostdeutschen Anstalten nicht gehäuft festgestellt werden. Vor allem in den Frauenanstalten und den Anstalten mit größeren Frauenparten wird eine Bandbreite von unterschiedlichen psychischen und psycho-somatischen Erkrankungen bemerkt. Gerade im seelischen Bereich wird das gesamte Spektrum an Verhaltensstörungen 171, Hyperaktivität 172, psychotische Erkrankungen 173, Persönlichkeitsstörungen 174, Neurosen 175, Angst 176 und Borderline-Symptomatik 177 genannt. 178 Auch wird eine Reihe von psychosomatischen Krankheiten 179 angeführt: Wirbelsäulensyndrom 180, Muskelverspannungen 181, Magenbeschwerden 182 und Schlafstörungen 183. IV. Stoffgebundene Abhängigkeiten Insassinnen mit stoffbezogenen Abhängigkeiten stellen im Frauenvollzug eine bedeutende Gruppierung dar, die im Vergleich zum Männervollzug einen höheren Anteil an der Gefangenenpopulation ausmacht. 184 Aus der folgenden Tabelle ergeben sich die Anzahl und der Anteil von Substanzen abhängigen Frauen, 169 Die JVA Halle I nennt folgende Rangfolge: 1. Kopfschmerzen, 2. Depressionen, 3. Selbstverletzungen, 4. Magersucht / Bulimie. 170 Eine Häufung von depressiven Beschwerden gibt es in der JVA Luckau nicht. 171 JVA Schwäbisch-Gmünd. 172 JVA Hahnöfersand. 173 JVA Schwäbisch-Gmünd, Teilanstalt Bremen VI, JVA Frankfurt a. M. III, JVA Vechta, JVA Willich II. 174 JVA Schwäbisch-Gmünd, JVA Frankfurt a. M. III, JVA Zweibrücken. 175 JVA Willich II. 176 JVA Chemnitz. 177 Teilanstalt Bremen VI, JVA Hahnöfersand. 178 von Schönfeld, WsFPP 2008, S. 37, 45 stellte in einer empirischen Studie von 2002/2003 in der JVA Bielefeld-Brackwede fest, dass über 80 % der weiblichen und männlichen Gefangenen im geschlossenen Vollzug psychische Störungen und / oder Persönlichkeitsstörungen aufwiesen; zur allgemeinen Problematik vgl. Schöch, WsFPP 2008, S. 5 ff. 179 Allgemein JVA Chemnitz. 180 JVA Aichach. 181 JVA Aichach. 182 JVA Frankfurt a. M. III. 183 JVA Chemnitz. 184 Obermöller (2000) m.w. N., S. 94, Zurhold (1998), S. 93.

E. Gesundheitsfürsorge in Justizvollzugsanstalten

293

wobei die Dunkelziffer vor allem bei Tablettenabhängigkeit hoch ist und die Anstalten teilweise unterschiedliche Stichtage wählten. 185 Tabelle 39 Verbreitung stoffgebundener Abhängigkeiten 2003 Justizvollzugsanstalt Alkohol Schwäbisch-Gmünd Aichach Berlin

Drogen

Tabletten Polytoxikoman

insgesamt

k.A.

k.A.

k.A.

k.A.

ca. 60 %

35

7

3

75

120 (25 %)

4 % (28) 16 % (134) 1,2 % (10)

20,2% (172)

ca. 41 %

Luckau

5

1

1



7 (15 %)

Bremen V



2



1

3 (75 %)

Bremen VI

3

6

1

2

12 (67 %)

Hahnöfersand

2

5



42

49 (56 %)

Frankfurt a. M. III

8

15

15

120

158 (49 %)

Bützow

5

5

1



11 (25 %)

Vechta

6



5

110 121 (60,5 %)

JVK Fröndenberg



3

1

2 15 med. Stat.

11

49

4

24

88 (44 %)

7

31

5

15

58 (40 %)

Chemnitz

12

16

9

10

47 (27 %)

Dresden

10

13

5

8

36 (86 %)

Halle I

2

1





3 (8 %)

186

Willich II Zweibrücken

Große regionale Unterschiede lassen sich hinsichtlich der Verbreitung stoffgebundener Abhängigkeiten in den Justizvollzugsanstalten feststellen. Während in manchen Justizvollzugsanstalten (JVA Halle I) nur wenige abhängige Frauen inhaftiert sind, dominiert diese Gruppe in anderen Anstalten (Teilanstalten Bremen, JVA Dresden). Mit Ausnahme der JVA Dresden zeigt sich, dass in den neuen Bundesländern bis zu einem Viertel der Gesamtbelegung Probleme mit 185 Gesamtzahl 320 Insassinnen: JVA Frankfurt a. M. III; 200: JVA Vechta; 200: JVA Willich II am 30. 10. 2003; 38: JVA Halle I; Die JVA Lübeck-Lauerhof sah von einer Beantwortung ab, weil ihres Erachtens der Begriff „häufig“ zu unbestimmt war. Dies ist ein berechtigter Kritikpunkt, jedoch geht es hier nicht um eine genaue Erfassung, sondern darum ein Stimmungsbild zu gewinnen. 186 Arztgeschäftsstelle 2003: Stoffabhängigkeiten bei 850 Zugängen, wobei nur Patientinnen gezählt werden, die wegen Entzugserscheinungen behandelt werden; zu Tablettenabhängigen und Polytoxikomanen gibt es keine offizielle Zählstatistik.

294

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland

stoffgebundenen Abhängigkeiten haben. In den alten Bundesländern weist die JVA Aichach mit einem Viertel an abhängigen Insassinnen den mit Abstand niedrigsten Anteil an der Gefangenenpopulation in den befragten Justizvollzugsanstalten aus. In den anderen Einrichtungen der alten Bundesländer reicht der Anteil abhängiger Insassinnen von 40 % bis 75 %. Dabei zeigt sich, dass Einrichtungen in Großstädten mit einer großen Drogenszene mindestens zur Hälfte mit abhängigen Frauen belegt sind (Bremen, Hamburg, Frankfurt a. M. III). Des Weiteren weist die hohe Belastung mit stoffgebundenen Abhängigkeiten in den ländlich gelegenen Frauenanstalten Schwäbisch-Gmünd und Vechta auf eine starke Zentralisierung in den Flächenstaaten Baden-Württemberg und Niedersachsen hin. Trotz ihrer abgelegenen Lage kommt es auch dort zu einer Häufung abhängiger Frauen aufgrund des das ganze Bundesland umfassenden Einzugsgebiets. Die Abhängigkeit von illegalen Betäubungsmitteln ist erwartungsgemäß die mit Abstand verbreiteste Abhängigkeit in den Justizvollzugsanstalten. Dabei fällt auf, dass viele Frauen nicht nur eine bestimmte Droge nehmen, sondern unterschiedliche Substanzen konsumieren. Beschaffungskriminalität und die Strafbarkeit des Besitzes illegaler Betäubungsmittel machen die Dominanz der Drogenabhängigkeit verständlich. Eine deutlich untergeordnete Rolle spielt die Alkoholabhängigkeit. Es ist bemerkenswert, dass in Anstalten mit einem recht geringen Anteil von Drogenabhängigen verhältnismäßig viele Frauen alkoholabhängig sind. In den ostdeutschen Anstalten stellen die alkoholabhängigen Insassinnen einen beträchtlichen Anteil an der Gesamtheit der stoffgebundenen Abhängigkeiten (Luckau 71 %, Halle I 67 %, Bützow 45 %, Dresden 28 %, Chemnitz 25,5 %). Über ein Viertel (29 %) aller Abhängigkeiten macht in der JVA Aichach Alkoholabhängigkeit aus. Insgesamt fallen nur in Einzelfällen tablettenabhängige Frauen auf. 187 Der unterschiedliche Verbreitungsgrad von Betäubungsmittelabhängigkeit in den Anstalten lässt Unterschiede in den Vollzugsstilen entsprechend der jeweiligen landespolitischen Vorgaben vermuten. Dabei stellt sich die Frage, ob und ggf. welche Maßnahmen zur Infektionsprophylaxe im Vollzug, aber auch für die Zeit nach der Entlassung getroffen werden. Da auch in den Anstalten Drogen zumindest eingeschränkt verfügbar sind 188, geht es auch um den Umgang mit intravenösem Drogengebrauch und dem gemeinsamen Spritzengebrauch („needlesharing“) im Vollzug. Die folgende Tabelle stellt Bemühungen der Justizvollzugsanstalten zur Infektionsprophylaxe dar. 187 Dabei könnte es sich um verdeckte Abhängigkeiten handeln; einen höheren Anteil von tablettenabhängigen Frauen gibt es in der JVA Berlin (ca. 10 %), der JVA Frankfurt a. M. III (9,5 % an allen Abhängigkeiten) und der JVA Chemnitz (19 % an allen Abhängigkeiten). 188 Zurhold (1998), S. 95 m.w. N.

E. Gesundheitsfürsorge in Justizvollzugsanstalten

295

Tabelle 40 Infektionsprophylaxe in den Justizvollzugsanstalten Justizvollzugsanstalt

keine

Impfung Hepatitis B

Spritzenvergabeprogramm

+

+

k.A.

k.A.

Schwäbisch-Gmünd Aichach

+

Berlin Luckau

k.A.

Bremen V

+

Bremen VI

+

Hahnöfersand

+

Frankfurt a. M. III

+

Bützow Vechta

+

JVK Fröndenberg

+ +

Willich II

+

Zweibrücken

+

Chemnitz Dresden

+

Halle I

+

Lübeck-Lauerhof

+

Mit Ausnahme der JVA Aichach betreiben eher Anstalten mit kleinen Frauenparten keine Infektionsprophylaxe. Unter Drogenkonsumentinnen sind Hepatitisinfektionen übliche Erkrankungen, die durch unsaubere Spritz- und Drogenkonsumpraktiken weiter verbreitet werden. Impfungen gegen Hepatitis B wirken einer Übertragung im und außerhalb des Vollzuges entgegen. In fast allen Frauenanstalten und ein paar Anstalten mit größeren Frauenparten wird eine Impfung angeboten. Bemerkenswert ist, dass sowohl in den südlichen Bundesländern Baden-Württemberg und Bayern als auch in den neuen Bundesländern kein Impfschutz gegen Hepatitis B erfolgt. Um dem gemeinsamen Gebrauch von Spritzen im Vollzug und dem damit verbundenen Übertragungsrisiko für HIV und Hepatitis entgegenzuwirken, gab es zum Befragungszeitpunkt in drei Einrichtungen ein Spritzenaustauschprogramm, die mittlerweile allesamt eingestellt wurden. 189 Weitere Vorbeugemaßnahmen zielen in vielen Anstalten auf Aufklärung und / oder Beratung durch Gespräche und / oder Merkblätter. 190 Verbote zur

296

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland

Tätowierung und Piercing dienen ebenfalls dazu, die Übertragung gefährlicher Infektionskrankheiten wie Hepatitis C zu verhindern. Printmedien und besondere Veranstaltungen zu Safer Sex / Safer Use werden vereinzelt angeboten. Neben der Infektionsprophylaxe werden in den Justizvollzugsanstalten Maßnahmen zur Rehabilitation von drogenabhängigen Frauen eingeleitet, die die nachstehende Tabelle aufführt. Tabelle 41 Maßnahmen zur Rehabilitation in den Justizvollzugsanstalten Justizvollzugsanstalt

Entwöhnungstherapie

Substitutionsbehandlung

Schwäbisch-Gmünd

+

+

Aichach

+

+

Berlin

Psychotherapie

+

+

Luckau Bremen V

+

Bremen VI

+

Hahnöfersand

+

+

Frankfurt a. M. III

+

+

Bützow

+

Vechta

+

JVK Fröndenberg

+

Willich II

+

Zweibrücken Chemnitz

+ +

+ +

+

+ +

+

Dresden

+

Halle I

+

Lübeck-Lauerhof

+

+

189 Arloth / Lückemann (2004), § 56 StVollzG Rn. 4 m.w. N.; über Sinn und Nutzen der Abgabe von sterilen Einwegspritzen im Vollzug wird heftig gestritten; hierzu der Sammelband von Jacob / Keppler / Stöver (1997), S. 129 ff. und Kreuzer, in: FS für Böhm, S. 380 ff.; ablehnend zum Spritzentausch und die Gründe für die Einstellung des Projektes in Hamburg Thiel, in: Freiheit und Unfreiheit, S. 174 ff. 190 JVA Schwäbisch-Gmünd (verpflichtend zu HIV / Hepatitis); JVA Hahnöfersand; JVA Frankfurt a. M. III, JVA Bützow; JVA Willich II; JVA Zweibrücken; JVA Chemnitz (durch Arzt); JVA Luckau: Therapien im Vollzugskrankenhaus.

E. Gesundheitsfürsorge in Justizvollzugsanstalten

297

Entwöhnungstherapien werden in einigen Frauenanstalten und in wenigen Anstalten mit größeren Frauenparten durchgeführt, wobei mehrere Einrichtungen diese Therapie nicht selbst vornehmen, sondern hierzu Beratung (JVA Willich II), Vermittlung (JVK Fröndenberg) und Vorbereitung (JVA Schwäbisch-Gmünd, JVA Hahnöfersand) anbieten. Substitutionsbehandlungen nach bestimmten Vorgaben 191 gibt es in fast allen Justizvollzugsanstalten. 192 Mehrere Anstalten ermöglichen drogenabhängigen Frauen eine Psychotherapie. 193 In vielen Anstalten gibt es eine Reihe von Rehabilitationsmaßnahmen. Neben der Entgiftung geht es vor allem um die Beratung bei Betäubungsmittelabhängigkeit. Medizinische Rehabilitationshilfen in einzelnen Anstalten umfassen den Einsatz von Akupunktur 194, eine suchtmedizinische Versorgung und ein Nemexin-Programm 195 (Opiatantagonisten). Psychische und soziale Unterstützung leisten auch Gruppenarbeit und die Vermittlung in betreute Wohnformen für Substituierte und ehemalige Drogenabhängige. Am 1. Januar 2004 nahm in der JVA Willich II eine abstinenzorientierte Behandlungsabteilung für Drogenabhängige ihre Arbeit auf. Des Weiteren gibt es in den Anstalten Drogenbeauftragte, besonders geschulte Bedienstete und externe Fachkräfte aus Drogenberatungsstellen. Einen Überblick über internes und externes Fachpersonal vermittelt Tabelle 42. Bis auf das Justizvollzugskrankenhaus Fröndenberg sind in allen Justizvollzugsanstalten Fachkräfte aus externen Drogenberatungsstellen tätig. 196 Ein / e Drogenbeauftragte / r ist in den meisten Einrichtungen bestellt worden. In einigen Anstalten wird im Umgang mit Drogenabhängigen besonders geschultes Vollzugspersonal eingesetzt. Die Daten bestätigen die Befunde aus anderen Untersuchungen zu Gesundheit und Krankheit im Strafvollzug. 197 Dies gilt vor allem für das erhöhte Vorkommen von psychosomatischen Erkrankungen und mit der Drogenproblematik verknüpfte Krankheiten. Obgleich Unterschiede in den Rahmenbedingungen bzgl. der Sprechzeiten und der medizinischen Ausstattung zu konstatieren sind, gewährleisten alle befragten Justizvollzugsanstalten die medizinische Versor191 JVA Schwäbisch-Gmünd: Kurzstrafen und medizinische Indikation nach strengen Vorgaben; JVA Vechta: Methadon; JVA Willich II: im Einzelfall. 192 Zur uneinheitlichen Substitutionspraxis in den Bundesländern mit Fallbeispielen vgl. Keppler / Knorr / Stöver, ZfStrVo 2004, S. 202 ff. 193 JVK Fröndenberg: Vermittlung in Psychotherapie; JVA Willich II: Psychotherapie / psychologische Beratung im Einzelfall. 194 JVA Hahnöfersand; zu Suchthilfemaßnahmen im Hamburger Justizvollzug im Jahr 2000, vgl. Thiel, in: Freiheit und Unfreiheit, S. 171 f. 195 JVA Vechta. 196 JVA Willich II: ab 2004 ist mit dem Wegfall der externen Fachkräfte zu rechnen. 197 Hillenkamp, ZfStrVo 2005, S. 264; Konrad, in: Justizvollzugspsychologie in Schlüsselbegriffen, S. 323 ff.; Schröttle / Müller, in: Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland, S. 46 ff.; Zolondek (2007), S. 211.

298

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland Tabelle 42 Internes und externes Fachpersonal in den Justizvollzugsanstalten Justizvollzugsanstalt

Drogenbeauftragte

geschulte Vollzugskräfte

externe Drogenberatung

Schwäbisch-Gmünd

Nein

Nein

Ja

Ja

Nein

Ja

Berlin

Nein

Ja

Ja

Luckau

Ja

Nein

Ja

Bremen V

Nein

Ja

Ja

Bremen VI

Nein

Nein

Ja

Hahnöfersand

Nein

Nein

Ja

Frankfurt a. M. III

Nein

Nein

Ja

Bützow

Nein

Ja

Ja

Vechta

Ja

Ja

Ja

JVK Fröndenberg

Ja

Ja, zum Teil

Nein

Willich II

Ja

seit 2004

Ja

Zweibrücken

Ja

Nein

Ja

Chemnitz

Ja

Nein

Ja

Dresden

Ja

Nein

Ja

Halle I

Ja

Ja

Ja

Lübeck-Lauerhof

Ja

k.A.

Ja

Aichach

gung in allgemein- und fachärztlicher Hinsicht. Mit verschiedenen Suchtberatungsangeboten bemühen sich die Justizvollzugsanstalten Hilfsmaßnahmen für die Betäubungsmittelabhängigen bereitzustellen. Erneut lassen sich diesbezüglich Unterschiede zwischen den Justizvollzugsanstalten hinsichtlich des Prophylaxe- und Rehabilitationsspektrums abhängig von der Größe der Einrichtung und dem regionalen Standort feststellen. Bezogen auf die alten und neuen Europäischen Strafvollzugsgrundsätze erfüllen die äußeren Gegebenheiten weitgehend die gestellten Anforderungen. Wegen der besonderen Problemlagen von Betäubungsmittelabhängigen wären spezifische Fortbildungen für die Vollzugsbediensteten in allen Justizvollzugsanstalten im Sinne der Empfehlung 81.3 des Regelwerks von 2006 erfreulich.

F. Verkehr mit der Außenwelt

299

F. Verkehr mit der Außenwelt Das Strafvollzugsgesetz enthält in seinem vierten Teil (§§ 23 – 36) Regelungen für Kontakte der Gefangenen zur Außenwelt durch Besuche, Briefwechsel, Telefonate, Urlaub und Vollzugslockerungen. Vor allem die neuen Strafvollzugsgrundsätze enthalten hierzu detaillierte Empfehlungen (Nr. 26). Aus Tabelle 43 gehen Besuchsdauer und -zeiten von mehreren Justizvollzugsanstalten hervor. Alle Einrichtungen überschreiten die gesetzlich vorgeschriebene Mindestbesuchsdauer von einer Stunde pro Monat (§ 24 Abs. 1 S. 2 StVollzG). 198 Die monatliche Besuchsdauer reicht von zwei Stunden bis mehr als vier Stunden. Mehrere Anstalten mit einem monatlichen Stundenumfang bis zu drei Stunden sehen für längerstrafige Insassinnen eine ausgedehntere Besuchszeit bis zu vier Stunden vor. Die Besuchsregelungen verschiedener Anstalten lassen in der Regel einen monatlichen Besuch am Wochenende zu. An Werktagen sind Besuche meist nur während der gewöhnlichen Arbeitszeiten möglich. Berufstätige Besucher / innen müssen unter Umständen entweder Urlaub nehmen oder wenn möglich an einem Wochenende kommen. Neben der allgemeinen Besuchsregelung erlauben einige Anstalten 199 Sonderbesuche oder gewähren weitere Besuchsstunden 200 abhängig von den Kapazitäten des Vollzugspersonals. Ein paar Anstalten 201 beschränken die Anzahl der Besucher / innen auf drei Personen. Dabei gilt in der JVA Aichach ein Kind ab ein Jahr als Person. In der Regel findet der Besuch im geschlossenen Vollzug in optisch überwachten Besuchsräumen statt (§ 27 Abs. 1 S. 1 StVollzG). Nur wenige Einrichtungen 202 stellen Räumlichkeiten für unbewachten Langzeitbesuch insbesondere für Langzeitgefangene zur Verfügung. 203 Die Besuchsregelungen entsprechen überwiegend den Empfehlungen der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze von 1987 und 2006. Die Kommentierung zur jüngsten Fassung hebt jedoch die Bedeutung von Langzeitbesuchen für die Aufrechterhaltung familiärer Beziehungen hervor. 204 In der bundesdeutschen Praxis sind nur in wenigen Anstalten Langzeitbesuche zugelassen. Im Frauenvollzug

198 Manche Justizvollzugsanstalten wie Aichach und Vechta haben auf ihrer homepage die Besuchszeiten angegeben. 199 Z. B. JVA Aichach, JVA Zweibrücken, JVA Chemnitz. 200 Z. B. JVA Luckau. 201 JVA Aichach, JVA Chemnitz. 202 JVA Luckau, JVA Vechta, JVA Willich II, JVA Lübeck-Lauerhof; in der JVA Schwäbisch-Gmünd ist Langzeitbesuch in Planung. 203 Das Modell der Langzeitbesuche wurde erstmals in der JVA Bruchsal 1984 verwirklicht und in einigen Bundesländern übernommen, näher Kaiser / Schöch, Strafvollzug, § 7 Rn. 84, S. 171. 204 European Prison Rules (2006), S. 53 f.

300

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland Tabelle 43 Besuchszeiten für Familie, Angehörige und Freund(inn)e(n) JVA

Kontingent pro Monat

bei Längerstrafigen pro Monat

Besuchszeiten

Schwäbisch-Gmünd bis zu 3 Stunden

bis zu 4 Stunden

Besuche am Wochenende möglich; werktags auch Kinderbesuche

Aichach

2 Stunden

3 Stunden

Mo-Fr 8:00 –10:30, 12:30 –15:00, 1x Mon.Sa, So 10:00 –15:00

Berlin

Strafgefangene bis 4 Stunden; U-Gefangene 2x 30 Minuten

an mind. 3 –4 Tagen / Woche geschlossener Vollzug; zusätzlich 1x / Woche „Kinderspielstunde“ (3 Std.) bei Vorliegen der Voraussetzungen; an mind. 2 Tagen / Woche offener Vollzug mit Möglichkeit zum Besuch außerhalb (4 Std. Aufschlag bei lockerungsfähigen Insassinnen auf monatliches Stundenkontingent;) Sondersprechstunden auf Antrag

Luckau

mind. 2 Stunden

1x wöchentlich

Hahnöfersand

4 Stunden (2 Besuche für je 2 Stunden)

Vechta

4 Stunden (insgesamt 4 Besuche für je 1 Stunde)

Willich II

3 Stunden

Zweibrücken

2 Stunden

Chemnitz

3 Stunden

Dresden

Strafgef. 4 Std.; U-Gef. 2 Stunden

Lübeck-Lauerhof

mind. 4 Stunden

Mo.-Do. 13:30 –16:30; So 12.00 –16:00: Mutter-KindHeim 14:00 –18:00; Freigang bzw. offener Vollzug werktags 16:00 –19:00; Sa, So 13:00 –19:00 bis zu 4 Stunden

geschlossener Vollzug Mo-Do überwachter Besuch U-Gef.: Mo-Do 9:00 –12:00 Uhr, Strafgef.: Mi + Do 16:00 –19:30,Sa 8:00 –12:00, 13:00 –17:00

G. Beschäftigungs- und Ausbildungssituation der Insassinnen

301

wäre eine Ausweitung zu begrüßen, um die Bindung zu den eigenen Kindern zu wahren und den familiären Zusammenhalt zu stärken. 205

G. Beschäftigungs- und Ausbildungssituation der Insassinnen Im Strafvollzug stellen Arbeit, Ausbildung und Weiterbildung Eckpfeiler für Bemühungen um eine Resozialisierung und die Angleichung an die allgemeinen Lebensverhältnisse dar (§§ 2, 3 StVollzG). Diese zentralen Bereiche sind im fünften Titel des StVollzG (§§ 37 –52) geregelt. Wenngleich für die Gefangenen eine allgemeine Arbeitspflicht besteht, steht ihnen umgekehrt kein Rechtsanspruch auf Arbeit zu. Ausnahmen von der Arbeitspflicht gelten für Gefangene über 65 Jahren und schwangere Insassinnen im gesetzlichen Mutterschutz (§ 41 Abs. 1 S. 3 StVollzG). Allgemein steht die Arbeitspflicht unter dem Vorbehalt, dass jede / r einzelne eine „seinen körperlichen Fähigkeiten angemessene Arbeit“ zugewiesen bekommt (§ 41 Abs. 1 S. 1 StVollzG). Einen eigenen Abschnitt zu Arbeit und Bildung enthalten die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze (Nr. 71 – 82:1987; Nr. 26, 28:2006). In der neuen Version wurde eigens ein Diskriminierungsverbot aufgenommen, um frauenspezifischen Benachteiligungen bei der Arbeitszuteilung und den Bildungsmöglichkeiten entgegenzuwirken. I. Ausbildungen Die berufliche Bildung samt allen Maßnahmen der Aus- und Weiterbildung sind im Vollzug der normalen Arbeitszuweisung gleichgestellt (§ 37 Abs. 3 StVollzG), wobei ihnen Vorrang gegenüber der angemessenen Beschäftigung zukommt (§ 37 Abs. 4 StVollzG). Eine genaue Definition und klare Abgrenzung der Begriffe „Aus- und Weiterbildung“ sowie „andere weiterbildende Maßnahmen“ gibt es bislang nicht. 206 Unter Ausbildung sind Grundausbildungen mit offiziellen Abschlussprüfungen (Lehre, Umschulung, Schulabschluss) zu verstehen. Weiterbildung und weiterbildende Maßnahmen umfassen Fortbildungen, kürzere Lehrgänge mit Zertifikat und ein Universitätsstudium. 207 Das Strafvollzugsgesetz 205 Hirsch (2003), S. 221 f. konstatierte bei einer Befragung unter bayerischen Justizvollzugsanstalten nicht nur eine restriktive Praxis bzgl. der Kommunikation mit der Familie entgegen Art. 6 Abs. 1 GG, sondern auch eine unterschiedliche Handhabung zwischen den einzelnen Justizvollzugsanstalten. 206 Kaiser / Schöch, Strafvollzug, § 7 Rn. 116, S. 185. 207 Aber in der Regel nicht Fernstudium ohne berufsqualifizierenden Abschluss, Kaiser / Schöch, Strafvollzug, § 7 Rn. 116, S. 186 m.w. N.

302

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland

enthält somit in § 37 Abs. 3 in Anlehnung an § 1 Berufsbildungsgesetz (BBG) verschiedene Ausbildungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten. Im Folgenden geht es um Ausbildungsmöglichkeiten im geschlossenen Vollzug in den Bundesländern. Ausbildungsabschlüsse können in insgesamt 17 verschiedenen Berufen erworben werden: Modenäherin, (Damen-)Schneiderin, Köchin, Hauswirtschafterin, Textilreinigerin, Friseurin, Malerin, Lackiererin, Bäckerin, Gärtnerin, technische Zeichnerin, Buchbinderin, Fräserin, Werkzeugmechanikerin, Dreherin, Elektroinstallateurin und Energieelektronikerin. Aus der nachstehenden Tabelle ergibt sich das Ausbildungsangebot mit vorgehaltenen Plätzen und tatsächlicher Auslastung am 31. März 2003 in so genannten frauentypischen Berufen. Tabelle 44 Ausbildungsplätze und Belegung im geschlossenen Vollzug am 31. 03. 2003 Bundesland

Modenäherin Plätze

Schneiderin

Belegung

Plätze

Textilreinigerin

Belegung

Plätze

Belegung

Baden-Württemberg

8

6





3

1

Bayern

4

3









Berlin

2

0









10

8

12

10

10

2

8

8

28

25

14

10

13

3

Nordrhein-Westfalen Sachsen insgesamt

Köchin Plätze

Hauswirtschafterin

Belegung

Plätze

Friseurin

Belegung

Plätze

Belegung

Baden-Württemberg





1

0





Bayern









4

0

Hessen

15

15









Niedersachsen

18

18









Nordrhein-Westfalen

12

10





6

2





12

8





45

43

13

8

10

2

Rheinland-Pfalz insgesamt

G. Beschäftigungs- und Ausbildungssituation der Insassinnen

303

Die meisten Ausbildungsplätze gibt es in den beiden Bereichen Modenäherin / Schneiderin und Köchin, die weitgehend ausgelastet sind. Im Hauswirtschaftsbereich sind über die Hälfte der Kapazitäten belegt. Demgegenüber nehmen nur vereinzelt Frauen eine Ausbildung zur Textilreinigerin oder zur Friseurin wahr. Aus der stichtagsbezogenen Befragung lässt sich allerdings nicht ersehen, ob die Resonanz für diese beiden Ausbildungen in der Regel zurückhaltend ist. Bei den anderen Ausbildungsmöglichkeiten handelt es sich um besondere Angebote in den Justizvollzugsanstalten. In Bayern kann der Beruf der Bäckerin in der JVA Aichach erlernt werden. Am Stichtag standen 4 Plätze zur Verfügung, von denen 2 Plätze belegt waren. Eine Ausbildung zur Zierpflanzengärtnerin gibt es in Berlin. Beide Ausbildungsplätze waren aber am Stichtag unbesetzt. In Baden-Württemberg bietet die JVA Schwäbisch-Gmünd eine Lehre zur Malerin und Lackiererin mit sechs Plätzen an. Vier Frauen befanden sich in dieser Ausbildung. In Rheinland-Pfalz verfügt die JVA Zweibrücken über ein breites Ausbildungsspektrum in überwiegend männertypischen Berufen. Dort steht das für männliche Gefangene konzipierte Ausbildungsangebot auch weiblichen Gefangenen offen. Eine bestimmte Platzanzahl ist Frauen nicht vorbehalten, sondern interessierte Frauen erhalten bei Eignung einen Ausbildungsplatz. Jeweils zwei Frauen belegten dort eine Ausbildung zur technischen Zeichnerin, Buchbinderin, Fräserin und Dreherin. Drei Insassinnen machten eine Ausbildung zur Energieelektronikerin. Zur Werkzeugmechanikerin oder Elektroinstallateurin ließ sich am Stichtag keine weibliche Gefangene ausbilden. In acht Bundesländern können Frauen in Justizvollzugsanstalten eine Ausbildung machen. Diese Ausbildungen werden entweder in den Frauenanstalten oder in Einrichtungen mit größeren Frauenparten angeboten. In den großen Flächenstaaten mit hoher Bevölkerungsanzahl (Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen) konzentriert sich das Ausbildungsangebot auf eine Anstalt (JVA Schwäbisch-Gmünd, JVA Aichach, JVA Vechta). Nur das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen ermöglicht Ausbildungen in verschiedenen Einrichtungen. In den neuen Bundesländern gibt es lediglich in Sachsen die Möglichkeit einen Beruf zu erlernen, während in Brandenburg, MecklenburgVorpommern und Sachsen-Anhalt keine Kapazitäten zur Verfügung stehen. Der überwiegende Teil der Ausbildungsplätze verteilt sich auf die Berufssparten Modenäherin / Schneiderin und Köchin mit insgesamt 87 Plätzen. In den anderen Berufszweigen werden 48 Lehrplätze vorgehalten. Es kommt die JVA Zweibrücken hinzu, in der alle geeigneten Frauen bei Interesse einen Ausbildungsplatz in Männerberufen erhalten. Die JVA Zweibrücken hebt sich von allen Justizvollzugsanstalten ab, weil sie die einzige Einrichtung mit einem breiten Ausbildungsspektrum in frauen- und männertypischen Berufen ist. Dagegen besteht in den zentralen Frauenanstalten und Anstalten mit großen Frauenparten nur die Möglichkeit, eine Ausbildung in ein bis vier, meist frauentypischen Berufen zu absolvieren. Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass einzig die JVA Zweibrücken

304

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland

der Maxime der neuen Europäischen Strafvollzugsgrundsätze nachkommt und Insassinnen Ausbildungen in männertypischen Berufen ermöglicht. II. Fortbildungsprogramme Die anderen weiterbildenden Maßnahmen umfassen ein buntes Spektrum an Kursen und Schulungen, um sowohl die beruflichen Kenntnisse und Fertigkeiten als auch die schulische Bildung zu verbessern. Unter dieser Rubrik werden Lehrgänge mit und ohne Zertifikat und schulische Maßnahmen ohne Abschluss erfasst. Einen Schwerpunkt der Weiterbildung bilden Kurse bzw. Lehrgänge im Bereich der elektronischen Datenverarbeitung und der Bürokommunikation. Die folgende Tabelle gibt eine Übersicht zu Maßnahmen zur Vermittlung von EDVKenntnissen.

Tabelle 45 Bundesland bzw. JVA mit Computerlehrgängen am 31. März 2003 Bundesland bzw. JVA

PC-Kurs

Plätze

Equal / E-Lis

Belegung

Aichach

18

18

Berlin

13

13

4

4

14

11

Bremen VI Hahnöfersand

Plätze

Kaufmännischer Grundlehrgang mit Schwerpunkt EDV

Belegung

12

Vechta

7 40*

Lübeck-Lauerhof insgesamt

6

10

10

53

43

63

53

5

40

Nordrhein-Westfalen Zweibrücken

Belegung

12

Frankfurt a. M. III Bützow

Plätze

3

6 ab 4/03 101

89

19

* davon 24 Plätze für LiBES (Desktop-Publishing)

17

G. Beschäftigungs- und Ausbildungssituation der Insassinnen

305

Computerkurse stoßen in den Justizvollzugsanstalten auf hohe Akzeptanz. 208 Vielfach sind alle Plätze am Stichtag belegt. Bei dem Projekt Equal / E-Lis (e-learning im Strafvollzug) handelt es sich um ein von der EU gefördertes Programm, das die Entlassungsperspektive von inhaftierten Frauen verbessern möchte. 209 Den Europäischen Computerführerschein können Frauen in der JVA Zweibrücken auf Vollzeitbasis und seit April 2003 ebenfalls in der JVA LübeckLauerhof erwerben. In der JVA Berlin handelt es sich bei dem PC-Kurs um eine Qualifizierungsmaßnahme („NEUSTART IT“), die die Anstalt und ein externer Bildungsträger gemeinsam durchführen. In der Teilanstalt Bremen VI können die Insassinnen einen Computerkurs mit Abschlusszertifikat im Nebenamt (§ 67 StVollzG) als Teilzeitmaßnahme belegen. In der JVA Hahnöfersand ist nach Abschluss des EDV-Grundkurses der Besuch des EDV-Aufbaukurses möglich. Des Weiteren werden in den verschiedenen Justizvollzugsanstalten der Bundesländer unterschiedliche Weiterbildungsmaßnahmen angeboten. Im handwerklichen Bereich findet in der JVA Halle I in Sachsen-Anhalt ein Berufsvorbereitungsjahr Elektro mit zehn Plätzen statt, die am 31. März 2003 von fünf Frauen in Anspruch genommen wurden. Grundlehrgänge im Gartenbau sowie eine Qualifizierungsmaßnahme im Garten- und Landschaftsbau gibt es in Nordrhein-Westfalen. Für die erste Maßnahme stehen 18 Plätze zur Verfügung, von denen 17 Plätze belegt waren, und für die zweite Maßnahme acht Plätze, die alle am Stichtag besetzt waren. In der JVA Vechta in Niedersachsen wurde ein am Stichtag ausgelasteter Lehrgang im Gartenbau und Floristik mit 16 Plätzen durchgeführt. In Berlin stehen 10 Anlernplätze in der Schneiderei und der Gärtnerei zu Verfügung. Dort gibt es noch einen Holzlehrgang mit zehn Plätzen, die acht Frauen in Anspruch nahmen, und eine Anqualifizierung für das Malerhandwerk mit 10 Plätzen. Eine am Stichtag voll besetzte Grundqualifikation „Holz, Farbe, Gestalten“ wird in Nordrhein-Westfalen mit neun Plätzen angeboten. Eine besondere Freizeitmaßnahme bildet ein Führerscheinkurs mit drei Teilnehmerinnen (31. 03. 2003) am Abend in der JVA Zweibrücken. Weitere Maßnahmen betreffen vor allem frauenspezifische Tätigkeiten. In der sächsischen JVA Dresden gibt es eine am 31. März 2003 ausgelastete Bildungsmaßnahme Hauswirtschaft mit zehn Plätzen. Ein Floristik-Kurs findet in der sächsischen JVA Chemnitz mit 15 Plätzen statt, die am 31. März 2003 alle 208

In der JVA Aichach finden drei PC-Kurse mit je sechs Plätzen statt; in der JVA Vechta wird ein DTP-Kurs durchgeführt, d. h. ein Lehrgang für die Bereiche Computergrafik / Bildbearbeitung / Layout und Textverarbeitung. 209 Zum Projekt „e-Lis“ Knauer (2006), S. 19 f., bei dem Internetsimulatoren eingesetzt werden; Equal ist ein Gemeinschaftsprogramm der EU mit dem Ziel, besonders benachteiligte Gruppen mit neuen Handlungsansätzen, Methoden und Konzepten vor Diskriminierung und Ungleichheit am Arbeitsplatz zu schützen; BAG-S, Informationsdienst Straffälligenhilfe (4/2002), S. 5 f.; in Schweden gibt es ebenfalls ein Equal-Projekt mit dem Namen „Bättre Frigivning“ www.battrefrigivning.nu oder www.equal-de.se.

306

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland

belegt waren. In Nordrhein-Westfalen werden Qualifikationsmaßnahmen zur Friseurassistentin mit acht Plätzen angeboten, von denen am Stichtag fünf Plätze belegt waren, und zur Modenäherin mit zehn Plätzen, von denen am Stichtag zwei Plätze besetzt waren. In der Teilanstalt Bremen VI können Frauen an einem Nähkurs mit sechs Plätzen im Nebenamt teilnehmen. Am Stichtag nahmen vier Frauen das Angebot wahr. In der JVA Frankfurt a. M. III wird ein am Stichtag voll belegter Qualifizierungslehrgang Verkauf mit zehn Plätzen durchgeführt. In Hamburg wird in der JVA Hahnöfersand eine Call-Center-Tätigkeit mit zehn Plätzen angeboten. In diesem Bereich waren sechs Insassinnen beschäftigt. Hilfen für die Berufswahl bieten mehrere Einrichtungen an. In der JVA Aichach erfolgt ein Projekt zur beruflichen Integration nach der Entlassung mit acht besetzten Plätzen. In Hamburg findet eine Maßnahme zur Berufsfindung mit sechs belegten Plätzen statt. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit an einem Trainingskurs mit sechs Plätzen teilzunehmen. Am Stichtag belegte keine Insassin diesen Kurs. In Nordrhein-Westfalen ist eine Schulung in einem Berufsinformationszentrum mit zwölf Plätzen möglich. Zehn Frauen belegten am 31. März 2003 diese Maßnahme. III. Arbeit Die Zuweisung von Arbeit innerhalb der Einrichtung ist als gesetzlicher Regelfall vorgesehen (§ 37 StVollzG). Wenngleich die Fähigkeiten des Individuums bei der Arbeitszuteilung zu berücksichtigen sind, geht damit kein entsprechender Rechtsanspruch der Gefangenen einher. 210 Das Strafvollzugsgesetz kennt vier Tätigkeitsarten: wirtschaftlich ergiebige Arbeit (§ 37 Abs. 2), angemessene Beschäftigung (§ 37 Abs. 4), arbeitstherapeutische Beschäftigung (§ 37 Abs. 5) und Hilfstätigkeiten in der Anstalt (§ 41 Abs. 1 S. 2). Im Verhältnis zur wirtschaftlich ergiebigen Arbeit gilt die angemessene Beschäftigung als subsidiäre Tätigkeit. Wirtschaftlich ergiebige Arbeit wird regelmäßig innerhalb der Anstalten in Unternehmer- und Eigenbetrieben verrichtet. Unternehmerbetriebe befinden sich grundsätzlich auf dem Gelände der Anstalten. 211 Während das Unternehmen Maschinen, Gerätschaften und Material einbringt, kommen die Arbeiter / innen und das Aufsichtspersonal aus der Anstalt. 212 Eigenbetriebe unterhalten die Anstalten selbst, wozu sie nach § 149 Abs. 1 StVollzG verpflichtet sind. Die folgende 210

Laubenthal (2007), S. 207, Rn. 404. Im Rahmen des „unechten Freigangs“ außerhalb der Anstalt unter engen Voraussetzungen; vgl. Laubenthal (2007), S. 211, Rn. 409, BVerfGE 98, S. 169 ff. 212 Böhm (2003), S. 159, Rn. 300; die Anstaltsleitung vergibt die Arbeitskraft der Gefangenen, die somit nicht Arbeitnehmer des privaten Unternehmens sind; zur strittigen Frage über ein Zustimmungserfordernis wegen Art. 2 Abs. 2c Übereinkommen Nr. 29 International Labor Organization (ILO) und des daraus folgenden, aber nach 211

G. Beschäftigungs- und Ausbildungssituation der Insassinnen

307

Tabelle gibt einen Überblick zu wirtschaftlich ergiebigen Arbeiten in Eigen- und Unternehmerbetrieben. Tabelle 46 Arbeit und Belegung in Eigen- und Unternehmerbetrieben am 31. 03. 2003 Bundesland bzw. JVA

Eigenbetriebe Plätze

Schwäbisch-Gmünd

Unternehmerbetriebe

Belegung

Plätze

Belegung

100

100

Aichach

53

53

100

95

Berlin

14

10

20

20

Luckau

5

3

26

21

14

8

Bremen Hahnöfersand

32

27

Frankfurt a. M. III

35

30

20

25

Vechta

23

23

15

15

Nordrhein-Westfalen

50

50

27

27

Rheinland-Pfalz

47

37

Sachsen

47

47 13

9

Halle I Lübeck-Lauerhof insgesamt

5

5

4

0

411

385

239

220

In den Justizvollzugsanstalten Bützow (Mecklenburg-Vorpommern) und Ottweiler (nur Auffangfunktion im Saarland) gibt es außer Hilfstätigkeiten keine wirtschaftlich ergiebigen Arbeiten für die Insassinnen. In den anderen Einrichtungen finden sich vor allem Eigenbetriebe in den Zweigen Schneiderei (Näh-, Textilbetrieb) 213, Küche 214, Gärtnerei (Landschaftspflege, Landwirtschaft) 215 und Wäscherei 216. 217 In einzelnen Anstalten gibt es noch weitere Eigenbetriebe: Mon§ 198 Abs. 4 StVollzG suspendierten § 41 Abs. 3 StVollzG s. Laubenthal (2007), S. 209 f., Rn. 408 m.w. N. 213 JVA Schwäbisch-Gmünd, JVA Aichach, JVA Berlin, JVA Vechta, in NRW, JVA Rohrbach (Flickschneiderei), JVA Zweibrücken, JVA Chemnitz, JVA Lübeck-Lauerhof. 214 JVA Schwäbisch-Gmünd, JVA Hahnöfersand, JVA Vechta, JVA Zweibrücken, JVA Chemnitz. 215 JVA Aichach, JVA Berlin, JVA Hahnöfersand, JVA Chemnitz. 216 JVA Schwäbisch-Gmünd, JVA Aichach, JVA Frankfurt a. M. III, in NRW u. a. JVA Willich II, JVA Dresden.

308

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland

tagebetrieb 218, Bäckerei, Friseur 219, Buchbinderei, Dekorationsbetrieb, Hilfsarbeitertätigkeiten 220 und Beschäftigung als Malerin 221. Mehrere Unternehmerbetriebe gibt es in den Anstalten Aichach 222 und Halle 223. Des Weiteren sind Insassinnen der Teilanstalten Bremen V und VI in einem Werkhof nach Stücklohn beschäftigt. Eigenbetriebe stellen insgesamt die meisten Arbeitsplätze für Insassinnen. Es fällt jedoch auf, dass in einigen Anstalten (Aichach, Luckau, Bremen, Halle I) überwiegend oder sogar ausschließlich Arbeiten in Unternehmerbetrieben verrichtet werden. 224 Die Kapazitäten für wirtschaftlich ergiebige Arbeit waren am Stichtag weitgehend ausgelastet. Während in den Eigenbetrieben 93,7 % der Arbeitsplätze besetzt waren, waren in den Unternehmerbetrieben 96,2 % der Arbeitsplätze belegt. Neben der wirtschaftlich ergiebigen Arbeit sind Hilfstätigkeiten und die arbeitstherapeutische Beschäftigung von Bedeutung. Arbeitstherapeutische Maßnahmen bezwecken das Einüben eines geregelten Tagesablaufs, die Förderung von manuellen Fähigkeiten und sozialer Kompetenz einhergehend mit der Entdeckung von Talenten und dem Erleben von Erfolgen. 225 Da Hilfstätigkeiten in der Anstalt der individuellen Behandlung kaum dienen und keine qualifizierten Beschäftigungen im Sinne des § 37 Abs. 1 und 2 StVollzG darstellen, ist ihre Zulässigkeit je Gefangene auf drei Monate im Jahr beschränkt. Mit Zustimmung der Insassin ist eine Überschreitung der gesetzlichen Höchstdauer erlaubt. Tabelle 47 enthält Angaben zu den Hilfstätigkeiten und zur Arbeitstherapie in den Bundesländern und befragten Justizvollzugsanstalten. Die Hilfstätigkeiten umfassen in den befragten Anstalten vor allem Reinigungsarbeiten im Haus, in der Verwaltung, an der Pforte und im Sanitätshaus. Weitere Arbeiten im Haus beziehen sich auf den Innenanstrich, die Materialverwaltung sowie Tätigkeiten in der Kammer, Wäscherei, Küche, im Büro und in 217 Die Unterteilung in wirtschaftlich ergiebige Arbeiten und Hilfstätigkeiten ist gerade in diesen Arbeitsbereichen schwierig: teilweise haben die Anstalten die Betriebe als Eigenbetriebe bezeichnet, teilweise wurde eine Einordnung nach Begriff vorgenommen; so gehören Arbeiten bei der Essens- und Wäscheausgabe und bei der Gestaltung der Außenanlagen zu den Hilfstätigkeiten; vgl. auch Böhm (2003), S. 305 f., Rn. 303, 306, Laubenthal (2007), S. 212, Rn. 412; zu Küche insbesondere Dörhöfer, in: Klopp (Hrsg.) 2003, S. 74 f. 218 JVA Schwäbisch-Gmünd. 219 JVA Aichach. 220 JVA Zweibrücken. 221 JVA Lübeck-Lauerhof. 222 Höko, Industrie I, II, Industrie Jugend. 223 Papierbetrieb, 2 Betriebe Elektroarbeiten. 224 Zum Einfluss von Unternehmen auf die Vollzugsgestaltung, vgl. Böhm (2003), S. 159, Rn. 301. 225 Laubenthal (2007), S. 212, Rn. 411.

G. Beschäftigungs- und Ausbildungssituation der Insassinnen

309

Tabelle 47 Hilfstätigkeiten und Arbeitstherapie am 31. 03. 2003 Bundesland bzw. JVA

Hilfstätigkeiten Plätze

Arbeitstherapie

Belegung

Plätze

Belegung

Schwäbisch-Gmünd

26

26

8

Aichach

55

53

16*

Berlin

39

39

13

11

Luckau

22

17

Bremen

2

2

Hahnöfersand

15

14

6

6

Frankfurt a. M. III

53

53

6

6

Bützow

11

11

Vechta

22

22

172

172

31

31

8

8

12

12

28

19

5

3

Ottweiler

5

5

Sachsen

27

27

Halle I

5

5

17

13

499

478

69

65

Nordrhein-Westfalen davon in Willich II Rheinland-Pfalz

Lübeck-Lauerhof insgesamt

8

* 8 Plätze für Erwachsene, 8 Plätze für Jugendliche

der Bücherei. Die Gestaltung der Außenanlagen im Hof und im Garten kommt als Beschäftigung hinzu. Arbeitstherapie findet in mehreren Anstalten statt, die ohne Termin- und Leistungsdruck im Rahmen einer Werkgruppe, Holz- oder Bastelmaßnahme durchgeführt wird. Insgesamt stehen in den befragten Anstalten und Bundesländern 2003 etwa 1218 Arbeitsplätze für weibliche Gefangene zur Verfügung. Es handelt sich um 650 Plätze in Eigen- und Unternehmerbetrieben, 499 Plätze für Hilfstätigkeiten und 69 Plätze für Arbeitstherapie. 226 Hieraus lässt sich ersehen, dass die Hilfs226

Leider geben die Zahlen nicht die tatsächliche Anzahl der Arbeitsplätze und genaue Klassifizierung wieder, weil sich einerseits die Zuordnung der Beschäftigungen in Eigen-, Unternehmerbetriebe und Hilfstätigkeiten als schwierig erwies und andererseits

310

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland

tätigkeiten mit einem Anteil von ca. 41 % an allen Arbeitsplätzen eine wichtige Funktion für die Bereitstellung von Arbeit in der Anstalt innehaben. 227 IV. Schulbildung / Studium Der schulische Unterricht gehört ebenfalls zur Aus- und Weiterbildung im Sinne des § 37 Abs. 3 StVollzG und findet während der Arbeitszeit statt (§ 38 Abs. 2 StVollzG). § 38 Abs. 1 S. 1 StVollzG erwähnt ausdrücklich den zum Hauptschulabschluss führenden Unterricht und den Sonderschulunterricht, lässt aber auch andere schulische, nicht näher bezeichnete Bildungsmaßnahmen zu. Außerhalb der Arbeitszeit werden „sonstige Veranstaltungen der Weiterbildung“ gem. § 67 StVollzG im Nebenamt (z. B. Fremdsprachenunterricht) durchgeführt. Tabelle 48 enthält einen Überblick zu Möglichkeiten, den Hauptschul- oder Realschulabschluss während des Strafvollzugs nachzuholen. In den meisten Bundesländern haben weibliche Gefangene bei Eignung die Möglichkeit, den (qualifizierten) Hauptschulabschluss 228 nachzuholen. In einigen Anstalten kann auch der Realschulabschluss abgelegt werden. In der JVA Zweibrücken 229 erfolgt der Unterricht für den Hauptschulabschluss zwei Mal wöchentlich auf Teilzeitbasis. Hieraus lässt sich eine unterschiedliche Handhabung des Schulunterrichts in den Justizvollzugsanstalten ersehen, der sowohl Vollzeit als auch Teilzeit stattfinden kann. In Nordrhein-Westfalen gibt es einen Schwerpunkt zur Schulbildung in der JVA Köln. Dort stehen für koedukativen Unterricht 28 Plätze für den Hauptschulabschluss und je 15 Plätze für den Realschulabschluss und das Fachabitur bzw. Abitur zur Verfügung. Eine Statistik zur Belegung nach Geschlecht gibt es jedoch nicht. In drei Bundesländern belegten fünf Insassinnen ein Fernstudium: je eine Frau in der JVA Aichach und der JVA Dresden sowie drei Frauen in der JVA Willich II. Für das Fernstudium werden keine Plätze vorgehalten. Angesichts der wenigen Studierenden im Strafvollzug orientiert sich die Zulassung zum Studium am Bedarf. die Angaben unvollständig sind. So gibt es beispielsweise in der JVA Aichach eine arbeitstherapeutische Maßnahme, nach Franze (2001), S. 315. 227 In der Literatur (BAG-S (1998), S. 51 ff., Franze (2001), S. 377) wird häufig Kritik an zu wenig qualifizierenden Beschäftigungen wie Hausarbeit geübt. Zweifel sind aber hinsichtlich der Belanglosigkeit von Reinigungsarbeiten für die berufliche Entwicklung nach der Entlassung angebracht. Obwohl es sich um eine schlecht bezahlte und kaum anerkannte Tätigkeit handelt, sind gute Reinigungskräfte sehr begehrt und können einen relativ hohen Stundensatz verlangen. Für Frauen ohne Schulabschluss oder ohne Ausbildung könnte diese Tätigkeit ein erster Schritt zur Selbständigkeit in Freiheit darstellen. 228 Je nach Bundesland entspricht der qualifizierte Hauptschulabschluss dem Realschulabschluss. 229 Am 31.03.04 waren 12 der 15 Plätze von Insassinnen belegt.

G. Beschäftigungs- und Ausbildungssituation der Insassinnen

311

Tabelle 48 Erwerb von Schulabschlüssen am 31.01.03 Bundesland bzw. JVA

Hauptschulabschluss

Realschulabschluss

Plätze

Plätze

Belegung

Schwäbisch-Gmünd

22 Plätze, alle belegt

Aichach

10

0

Berlin

10

10

Bremen VI

10

8

bei Bedarf

1

Bützow

2

2

Vechta

12

12

Willich II

10

9

Zweibrücken

15

8

Chemnitz

6

4

Lübeck-Lauerhof

1

1

99

77

Hamburg

insgesamt

Belegung 6

0

1

1

10

6

1

1

18

8

Das schulische Bildungsprogramm beschränkt sich nicht auf das Erreichen eines Schulabschlusses, sondern umfasst auch Qualifizierungsmaßnahmen, um die deutsche Sprache zu erlernen, schulische Grundfertigkeiten zu erwerben oder um auf die Teilnahme an einem Schulabschlusskurs vorbereitet zu werden (sog. Liftkurs). 230 Deutschkurse für Ausländerinnen gibt es in der JVA Aichach mit sechs, damals unbesetzten Plätzen und ein Mal pro Woche in der JVA Zweibrücken mit zehn Plätzen, von denen die Hälfte belegt waren. Ein Deutschkurs für Analphabeten wird ebenfalls in der JVA Aichach mit sechs, ebenfalls nicht belegten Plätzen angeboten. In der JVA Aichach findet darüber hinaus ein am Stichtag ausgelasteter Förderkurs in grundlegenden Fächern (Deutsch, Englisch, Mathematik, Kochen, Arbeitslehre) mit acht Plätzen statt. In der JVA Hahnöfersand werden zwei Schulkurse durchgeführt: im Basis-Schulkurs mit zehn Plätzen geht es um die Vermittlung von schulischen Grundlagen, sieben Frauen nahmen am 31. März 2003 dieses Angebot wahr. Anschließend können die Frauen am Aufbau-Schulkurs mit acht Plätzen teilnehmen, von denen vier Plätze belegt waren. In der JVA Chemnitz findet ein Lernbüro mit 15, am Stichtag ausgelasteten Plätzen statt. 231 230 Die Angaben sind bedauerlicherweise unvollständig. Zum Beispiel gibt es in der JVA Willich II Deutsch-Kurse für Ausländerinnen und Liftkurse.

312

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland

V. Koedukation Die Koedukation wurde bereits in den Bereichen Ausbildung, Arbeit und Schule angesprochen. Für die gemeinsame Teilnahme von Frauen und Männern an Behandlungsmaßnahmen enthält § 140 Abs. 3 StVollzG eine Ausnahme vom Trennungsprinzip, ebenso die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze (Nr. 11.2:1987; Nr. 18.9:2006). Die Regelung ermöglicht die Koedukation im Rahmen von Gruppentherapie, beruflicher und schulischer Aus- und Weiterbildung samt Freizeitgestaltung. Keine Koedukation gibt es grundsätzlich in den Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern (JVA Aichach 232), Berlin, Brandenburg und in Hessen. Aus der folgenden Tabelle ergeben sich die Arbeits- und Bildungsmaßnahmen mit gemeinsamer Beteiligung beider Geschlechter in den Justizvollzugsanstalten. Tabelle 49 Koedukation in den Justizvollzugsanstalten am 31.01.03 JVA Bremen V

Koedukation Plätze nach Bedarf

Altengamme (Sozialtherapie)

6

Bützow

3

Vechta

164

Bielefeld-Brackwede II + Bochum-Langendreer

16

Köln

58

JVK Fröndenberg Zweibrücken

1 nach Bedarf

Ottweiler

1

Chemnitz

6

Dresden

+

Halle I

10

Lübeck-Lauerhof

nach Bedarf

Koedukation gibt es im Rahmen von Arbeit, Aus- und Weiterbildung. Einzelne Insassinnen arbeiten in der Küche oder Wäscherei zusammen mit männlichen 231 Dort war auch eine Maßnahme mit dem Titel „Ich bin ich“ geplant, doch waren zum damaligen Zeitpunkt die Fördermittel noch nicht zugeteilt. 232 Ausbildungsschnupperkurse in Ausnahmefällen.

G. Beschäftigungs- und Ausbildungssituation der Insassinnen

313

Gefangenen. 233 Arbeitstherapie erfolgt manchmal unter Teilnahme beider Geschlechter (JVA Dresden). Auf koedukativer Basis machen inhaftierte Frauen ihren Führerschein oder den Europäischen Computerführerschein sowie Ausbildungen in der JVA Zweibrücken. In der JVA Halle I belegen Männer und Frauen gemeinsam ein Berufsvorbereitungsjahr. Koedukativer Schulunterricht wird in der JVA Köln und in der JVA Lübeck-Lauerhof erteilt. Im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen werden die meisten koedukativen Maßnahmen durchgeführt. Bis auf die JVA Vechta stellt die gemeinsame Teilnahme von weiblichen und männlichen Gefangenen an Arbeit, Aus- und Weiterbildung eine Ausnahme dar. In etwa ein Drittel aller Bundesländer finden sich überhaupt keine Möglichkeiten zur Koedukation. Erneut ist wieder ein Nord-Süd-Gefälle zu beobachten. Während in den nördlichen Bundesländern koedukative Maßnahmen durchgeführt werden, gibt es in den südlichen Bundesländern BadenWürttemberg und Bayern keine gemeinsamen Behandlungsangebote. VI. Freies Beschäftigungsverhältnis Regelmäßige externe Beschäftigungen ermöglichen die Außenbeschäftigung und der Freigang nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 StVollzG. Neben (Aus-)Bildungsmaßnahmen handelt es sich bei der Außenbeschäftigung häufig um Tätigkeiten gem. § 41 StVollzG in Unternehmerbetrieben. Auf den Freigang bezieht sich das freie Beschäftigungsverhältnis außerhalb der Anstalt (§ 39 Abs. 1 S. 1 StVollzG). Hier schließen Arbeitgeber und Gefangener einen normalen Arbeits- und Ausbildungsvertrag zu dem entsprechenden Tariflohn bzw. der üblichen Ausbildungsvergütung ab. 234 Ein Hochschulstudium, die Tätigkeit als Hausfrau und die Selbstbeschäftigung gem. § 39 Abs. 2 StVollzG gehören auch zu den freigangsfähigen Beschäftigungen. 235 Aus Tabelle 50 geht die Anzahl der Freigängerinnen in freien Beschäftigungsverhältnissen in den Bundesländern und Justizvollzugsanstalten hervor.

233

JVK Fröndenberg, 1 Platz in der Küche, JVA Ottweiler 1 Platz in der Wäscherei mit männlichen Jugendlichen. 234 Unechter Freigang = zugewiesene Arbeit durch die Anstalt (§ 37 Abs. 2 StVollzG) in externem Unternehmerbetrieb unter anstaltsüblichen Bedingungen. Mit Wirkung vom 1. 1. 1999 hat das BVerfGE 98, S. 210 diese Praxis grundsätzlich für verfassungswidrig erklärt. Nur ausnahmsweise darf dem Gefangenen mit seiner Zustimmung noch Arbeit zugewiesen werden. Voraussetzung ist, dass trotz Bemühungen kein freies Beschäftigungsverhältnis gefunden werden kann. 235 Kaiser / Schöch, Strafvollzug, § 7 Rn. 32, S. 149 (siehe zu Freigang von Hausfrauen Teil 6 A. VII.).

314

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland Tabelle 50 Insassinnen in freien Beschäftigungsverhältnissen am 31. 03. 2003 Bundesland bzw. JVA

Insassinnen

Schwäbisch-Gmünd

3

Aichach

2

Berlin

28

Luckau

0

Bremen V

2

Hamburg

8

Hessen

14

Bützow

0

Vechta

20

Nordrhein-Westfalen

64

Zweibrücken

3

Saarland

0

Chemnitz

7

Halle I

0

Lübeck-Lauerhof

4

insgesamt

163

Im gesamten Bundesgebiet haben nur wenige Insassinnen ein freies Beschäftigungsverhältnis. Im Vergleich der bevölkerungsstarken Bundesländer BadenWürttemberg, Bayern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen ist wie schon beim offenen Vollzug ein Nord-Süd-Gefälle zu bemerken. In den nördlichen Bundesländern haben wesentlich mehr Frauen ein freies Beschäftigungsverhältnis. In diesem Zusammenhang fällt auf, dass es in den östlichen Bundesländern mit Ausnahme von Sachsen keine Freigängerinnen mit einem externen Arbeitsbzw. Ausbildungsverhältnis gibt. Zwar stehen für den offenen Vollzug nur wenige Haftplätze zur Verfügung, doch ist wohl ebenso die überaus schlechte Arbeitssituation in den neuen Bundesländern zu berücksichtigen. 236 Auf dem freien Arbeitsmarkt sind Gefangene mit dem Manko der Straffälligkeit belastet. In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit liegt eine Bevorzugung von nicht vorbestraften 236

Rückgang von Freigang aufgrund der schlechten Arbeitsmarktsituation in BR-Ds. 401/99 Gesetzentwurf des Bundesrates. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes.

G. Beschäftigungs- und Ausbildungssituation der Insassinnen

315

Bewerberinnen nahe. Diese Benachteiligung betrifft ebenso Insassinnen im alten Bundesgebiet, aber wohl in schwächerem Ausmaß angesichts einer günstigeren Situation auf dem Arbeitsmarkt. VII. Arbeitsentgelt Für die Verrichtung zugewiesener Arbeit, einer sonstigen Beschäftigung, einer Hilfstätigkeit oder auch arbeitstherapeutischer Beschäftigung 237 billigt das Strafvollzugsgesetz in § 43 Abs. 1 den Gefangenen einen öffentlich-rechtlichen Anspruch auf Arbeitsentgelt zu. Eine Ausbildungsvergütung steht Gefangenen in Ausbildung, beruflicher Weiterbildung oder Unterricht zu (§ 44 StVollzG). Nach der grundlegenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 238 erfolgte mit dem 5. Gesetz zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes eine Neufassung der §§ 43, 48 und 200 StVollzG. Die Entgeltbemessung basiert auf dem jeweiligen durchschnittlichen Arbeitsentgelt aller Versicherten der gesetzlichen Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten (§ 43 Abs. 2 S. 2 StVollzG). Die Entlohnung der Gefangenenarbeit ist eine Eckvergütung mit einem festgesetzten Anteil von 9 % des jährlich ermittelten Arbeitsentgelts aller Versicherten (§ 43 Abs. 2 S. 2 i.V. m. § 200 StVollzG). Die geringere Produktivität und Rentabilität der Gefangenenarbeit ist der Grund für eine Vergütung unterhalb der Tariflöhne. 239 Die Vergütung richtet sich nach der Leistung des Inhaftierten und nach der Art der Tätigkeit (§ 43 Abs. 3 S. 1 StVollzG). Die Verordnung über die Vergütungsstufen des Arbeitsentgelts und der Ausbildungsbeihilfe (StVollzVergO) legt fünf Vergütungsstufen der Eckvergütung fest und sieht eine Erhöhung des Grundlohns durch Zulagen vor. 240 Tabelle 51 enthält eine Übersicht über das Arbeitsentgelt von Insassinnen in den Bundesländern und den befragten Justizvollzugsanstalten. Der monatliche Durchschnittslohn reicht von 90 € bis zu 247 €. Im Bundesland Nordrhein-Westfalen wird sowohl die niedrigste als auch die höchste Durchschnittsvergütung erzielt. Das vergleichsweise geringe Durchschnittsentgelt ist in der JVK Fröndenberg auf Halbtagsbeschäftigungen zurückzuführen. Die höchsten Durchschnittslöhne liegen deutlich über 200 € in den Bundesländern Berlin, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz. 241 In der Mehrzahl der Justizvoll237 Arbeitstherapeutische Beschäftigung kann auf den Wert der Leistungen bezogen werden und unter Umständen eine Senkung des Arbeitsentgelts bis zur Höhe des Taschengeldes nach sich ziehen (§§ 43 Abs. 3, 46 StVollzG). 238 BVerfGE 98, S. 169 ff. 239 Zu den Gründen Laubenthal (2007), S. 230, Rn. 441. 240 Erlass aufgrund der Ermächtigung des § 48 StVollzG durch das Bundesministerium der Justiz einvernehmlich mit dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung unter Zustimmung des Bundesrates.

316

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland Tabelle 51 Monatliches Entgelt von weiblichen Gefangenen in den Bundesländern Bundesland bzw. JVA

Durchschnittslohn

Baden-Württemberg

Minimallohn

Maximallohn

ca. 150 €

114 €

230 €

180 €

100 €

280 €

10 € Tagessatz

7,71 €

11,52 €

180 €

154,20 €

230,40 €

ca. 225 €

1,13 € Std.

1,69 € Std.

120 €

55 €

330 €

162,17 €

149,19 €

175,12 €

10,79 € Tagessatz

k.A.

k.A.

Mecklenburg-Vorpommern

193 €

165 €

220 €

Vechta

181 €

ca. 40 €

257 €

Nordrhein-Westfalen

215,88 €

161,91 €

269,85 €

davon Willich II

247,05 €

181,95 €

346,06 €

90 €

70 €

175 €

238 €

81 €

385,90 €

198,23 €

160,17 €*

227,63 €

1,13 € Std.

k.A.

188,95

130 €**

142 €

190 €

ca. 180 €

154 €

230 €

Aichach Berlin Brandenburg Bremen V Bremen VI Hamburg Frankfurt a. M. III

davon JVK Fröndenberg Rheinland-Pfalz Chemnitz Dresden Sachsen-Anhalt Schleswig-Holstein * 82,38 € Hausarbeiterin Job-Sharing ** eventuell Teilzeitarbeit

zugsanstalten bewegt sich die Vergütung im Mittel zwischen 150 € und knapp unter 200 €. In diesem Rahmen lassen sich keine nennenswerten Unterschiede in der Höhe des Arbeitsentgelts zwischen den alten und den neuen Bundesländern ausmachen. Dieser Befund verwundert, weil die Bemessung der Eckvergütung wegen der niedrigeren Arbeitslöhne der Bevölkerung in den östlichen Bundesländern geringer ausfallen dürfte. 242 Die Spannbreite beim Minimallohn geht von etwa 40 € bis zu 182 €. Diese Differenz ist vor dem Hintergrund erklärlich, dass es sich bei dem untersten 241

Wird der jeweilige Tagessatz der JVA Berlin und der JVA Frankfurt a. M. III mit 21,66 Arbeitstagen multipliziert, so ergibt sich ein monatlicher Durchschnittslohn in Höhe von 216,6 € und i. H.v. 233,71 €.

G. Beschäftigungs- und Ausbildungssituation der Insassinnen

317

Wert um Taschengeld für Insassinnen handelt, die ohne Verschulden ohne Arbeit sind. Dabei treten weitere Abweichungen in den Berechnungsgrundlagen auf, die das verbliebene Hausgeld (Teilanstalt Bremen VI 55 €), eine Teilzeitbeschäftigung (JVK Fröndenberg) oder die Untersuchungshaft 243 betreffen und demgemäß zu einem niedrigeren Minimallohn führen. Der Minimallohn bezieht sich auf die Vergütungsstufe 1 mit einfachen Arbeiten ohne Vorkenntnisse mit kurzer Einweisungszeit und geringen Anforderungen an die körperliche und seelische Leistungsfähigkeit (§ 1 Abs. 1 StVollzVergO). Zu diesen Tätigkeiten gehören Reinigungskräfte, Haus- und Hilfsarbeiterinnen 244 sowie die arbeitstherapeutische Beschäftigung 245. Große Unterschiede werden auch bei der Höhe des Maximalentgelts aufgrund der Zuschläge deutlich. Während der niedrigste Höchstlohn etwa 175 € beträgt, liegt der Spitzenverdienst für weibliche Gefangene bei knapp 386 € (JVA Zweibrücken). Den Maximallohn erhalten Insassinnen der Vergütungsstufe 4 bzw. 5. Arbeiten der Gruppe 4 setzen Kenntnisse und Fähigkeiten eines Facharbeiters oder entsprechendes Können voraus. 246 Tätigkeiten in Eigen- und Unternehmerbetrieben als Facharbeiterin und Vorarbeiterin stellen somit in den Anstalten gut bezahlte Beschäftigungen dar. 247 In der Küche gibt es für Küchenbedienstete 248 bessere Verdienstmöglichkeiten. Köchinnen 249 mit abgeschlossener Berufsausbildung fallen unter die Vergütungsstufe 5, da hohe Anforderungen an Können, Einsatz und Verantwortung gestellt werden. In einzelnen Anstalten stellt die Ausbildungsbeihilfe für weibliche Gefangene den Maximallohn dar. 250

242

Vgl. Laubenthal (2007); S. 233 f., Rn. 449: Tagessatz als 250stel Teil der Eckvergütung mit einem Tagessatz i. H.v. 10,13 € (alte Bundesländer) und 8,47 € (neue Bundesländer) im Jahr 2002. 243 JVA Zweibrücken U-Haft (Lohnstufe I= 85,60 Euro): § 177 S. 2 StVollzG Anteil von 5 % der Eckvergütung für erwachsene Untersuchungshäftlinge. 244 JVA Schwäbisch-Gmünd, JVA Luckau, JVA Bützow, Teilanstalten Bremen V+VI, JVA Hahnöfersand, JVA Bützow, Nordrhein-Westfalen, JVK Fröndenberg halbe Wochenarbeitszeit, JVA Willich II, JVA Zweibrücken, JVA Chemnitz Job-Sharing, JVA Halle I, JVA Lübeck-Lauerhof. 245 JVA Aichach. 246 JVA Berlin, Außenbeschäftigung JVA Luckau. 247 Unternehmerbetrieb JVA Aichach, JVA Halle I; Facharbeiterin Nordrhein-Westfalen; Vorarbeiterin Teilanstalten Bremen V+VI im Akkord, JVA Lübeck-Lauerhof (Schneidereibetrieb); Stickerin JVA Chemnitz; Bücherei JVA Willich II. 248 JVA Schwäbisch-Gmünd, JVK Fröndenberg. 249 JVA Vechta, JVA Zweibrücken, JVA Chemnitz (Beiköchin). 250 Ausbildungsbetrieb JVA Hahnöfersand; Haupt- und Realschülerin JVA Bützow.

318

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland

VIII. Zusammenfassung In der Mehrzahl der Bundesländer werden Maßnahmen zur Ausbildung, Weiterbildung und Schulbildung durchgeführt. Die nachstehende Tabelle zeigt, in welchen Bundesländern entsprechende Qualifizierungsangebote gemacht werden. Tabelle 52 Aus-, Weiter- und Schulbildung Bundesland

Ausbildung

Weiterbildung

Schulbildung

Baden-Württemberg

+

+

Bayern

+

+

+

Berlin

+

+

+

Bremen

+

+

Hamburg

+

+

Brandenburg

Hessen

+

Mecklenburg-Vorpommern

+ +

+

Niedersachsen

+

+

+

Nordrhein-Westfalen

+

+

+

Rheinland-Pfalz

+

+

+

Saarland

nur Auffangfunktion der JVA Ottweiler

Sachsen

+

Sachsen-Anhalt Schleswig-Holstein

+

+

+ +

+

+

Nur in Brandenburg gibt es keinerlei Bildungsmöglichkeiten. Dieser Befund hängt vermutlich mit der damals anstehenden Schließung der JVA Luckau zusammen. Sieben Bundesländer bieten in allen drei Bildungszweigen Programme im geschlossenen Vollzug an. Ausbildungen können in acht Bundesländern absolviert werden, die meistens in den Frauenanstalten (JVA Schwäbisch-Gmünd, JVA Aichach, JVA Berlin, JVA Frankfurt a. M. III, JVA Vechta, JVA Willich II) bzw. in Anstalten mit großen Frauenparten (JVA Zweibrücken, JVA Chemnitz). Dabei können die Insassinnen ganz überwiegend frauentypische Berufe erlernen. So gab es am Stichtag insgesamt 123 Ausbildungsplätze in sechs Frauenberufen (Köchin, Modenäherin, Schneiderin, Textilreinigerin, Hauswirtschafterin, Friseurin). Zwölf weitere Ausbildungsplätze standen für die Berufe Bä-

G. Beschäftigungs- und Ausbildungssituation der Insassinnen

319

ckerin, Gärtnerin, Malerin und Lackiererin zur Verfügung. Zusätzlich bietet die JVA Zweibrücken sieben weitere Ausbildungen in männertypischen Berufen an (technische Zeichnerin, Buchbinderin, Fräserin, Dreherin, Energieelektronikerin, Werkzeugmechanikerin, Elektroinstallateurin). Während bei den Ausbildungen zur Köchin, Hauswirtschafterin, Modenäherin und Schneiderin am Stichtag mindestens über die Hälfte der Plätze belegt war, gab es nur wenige Auszubildende in den Bereichen Textilreinigung und Haarmode. Bis auf Baden-Württemberg, Brandenburg und das Saarland finden in den Bundesländern verschiedene Fortbildungsprogramme statt. Ein Schwerpunkt der Weiterbildung liegt auf der Vermittlung von PC-Kenntnissen und Grundfertigkeiten in der Bürokommunikation. Hierfür waren am 31. März 2003 insgesamt 177 Weiterbildungsplätze in zehn Bundesländern eingerichtet. Als einziges neues Bundesland fand in der JVA Bützow ein von der EU-gefördertes Projekt zum E-Learning statt. Die Lehrgänge für Computer und Bürokommunikation stoßen auf hohe Resonanz unter den Insassinnen, es gab am 31. März 2003 kaum freie Kapazitäten. Darüber hinaus wurde am Stichtag eine Vielzahl von Lehrgängen in unterschiedlichen Bereichen mit etwa 150 Plätzen angeboten. Grundund Aufbaukurse sind in den Bereichen Garten-, Landschaftsbau und Floristik verbreitet. Des Weiteren gibt es Qualifikationen im Umgang mit Holz und anderen Materialien. Andere frauentypische Lehrgänge beziehen sich auf die Hauswirtschaft, Friseurassistenz, den Verkauf und das Nähen. Vereinzelt haben Insassinnen die Möglichkeit, die Führerscheinprüfung abzulegen, eine Call-Center-Tätigkeit aufzunehmen oder ein Berufsvorbereitungsjahr im Bereich Elektro zu absolvieren. Unterstützung bei der Berufswahl wird in einigen Anstalten mit spezifischen Projekten geleistet. Insgesamt wiesen die Fortbildungsprogramme eine hohe Teilnahmequote am Stichtag auf. Die Lehrgänge waren entweder voll ausgelastet oder über die Hälfte der verfügbaren Plätze belegt. Auf dem Gebiet der Schulbildung wird in elf Bundesländern überwiegend in Fraueneinrichtungen oder Anstalten mit großen Frauenparten Unterricht erteilt. Das Angebot reicht von Deutschkursen für Analphabeten und Ausländerinnen über Grundlagen- und Förderkurse bis hin zur Nachholung von Schulabschlüssen. In Sprach- und Liftkursen gab es etwa 63 Plätze in den befragten Anstalten, von denen 39 Plätze besetzt waren. Am 31. Januar 2003 standen in den befragten Justizvollzugsanstalten für den Erwerb des Hauptschul- und Realschulabschlusses etwa 117 Plätze für die Insassinnen zur Verfügung. Der Unterricht für den Hauptschulabschluss war gut besucht, über Dreiviertel der Plätze waren am Stichtag belegt. Dagegen war über die Hälfte der Plätze für den Realschulabschluss nicht belegt. Auf koedukativer Basis ist es in Nordrhein-Westfalen möglich, Schulabschlüsse (Hauptschulabschluss, Realschulabschluss, Fachabitur, Abitur) nachzuholen. In seltenen Fällen nahmen Frauen während des Vollzugs ein Hochschulstudium auf.

320

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland

In Bezug auf Arbeit gab es am 31. März 2003 etwa 650 Arbeitsplätze in Eigen- und Unternehmerbetrieben mit 605 beschäftigten Insassinnen. Für die Hilfstätigkeiten und Arbeitstherapie standen ungefähr 568 Plätze zur Verfügung. Mit diesen Arbeiten waren 543 Insassinnen beschäftigt. Auch wenn die Beschäftigungsmöglichkeiten im Frauenvollzug vielfältig und differenziert erscheinen, dürfen die Angaben nicht darüber hinweg täuschen, dass bei einer Gesamtpopulation von 3.844 Frauen, von denen 2.284 Frauen eine Freiheitsstrafe verbüßten, nicht genügend Tätigkeiten für alle Inhaftierten vorhanden sind. Allerdings wirkt sich auch im Vollzug die angespannte Situation auf dem Arbeitsmarkt aus. 251 Im Bildungsbereich gibt es für 2.284 eine Freiheitsstrafe verbüßende Frauen gerade im Ausbildungssektor ein kaum differenziertes Spektrum an Lehrberufen. Eine Ausnahme bildet die JVA Zweibrücken mit acht unterschiedlichen Ausbildungen. Dort profitieren die Frauen von der Anbindung an die Männeranstalt, die ihnen verschiedene Lehren in männertypischen Berufen ermöglicht. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob eine Ausbildung zur Modenäherin bzw. Schneiderin angesichts des Niedergangs der Textilindustrie hierzulande noch zeitgemäß ist. Außerdem fällt auf, dass Ausbildungen zur Textilreinigerin und Friseurin auf geringes Interesse stoßen. Dagegen ist die Resonanz in frauentypischen Berufen wie Köchin oder Hauswirtschafterin größer. In der Gastronomie und im Haushaltsbereich sind qualifizierte Kräfte nach wie vor gefragt, so dass diese Ausbildungen eine reelle Zukunftsperspektive bieten. Demzufolge erscheint eine offene Strategie optimal, die sowohl den individuellen Bedarf der Insassinnen als auch den Arbeitsmarktbedarf berücksichtigt. Der Entwicklung eines breiten Ausbildungsangebots steht wiederum die kleine Zahl an Insassinnen mit entsprechend langer Strafdauer und Eignung entgegen. Möglicherweise ließen sich jedoch neue Ausbildungsfelder im IT-Bereich und der Bürokommunikation durch die Einführung von Baukastensystemen erschließen. Denn bei den Fortbildungsmaßnahmen zeigt sich, dass die Kapazitäten für Computer- und Bürolehrgänge weitgehend ausgelastet sind. An Grund- und Aufbaukursen in diesen Bereichen können Frauen mit kürzeren und längeren Freiheitsstrafen teilnehmen. Im Anschluss daran wäre es sinnvoll, verschiedene Module für Ausbildungen in den genannten Sparten zu entwickeln. Abgesehen hiervon macht das Beispiel der JVA Zweibrücken deutlich, dass die Koedukation Frauen erweiterte Berufsperspektiven eröffnen kann. In Anstalten mit Frauenparten könnten Frauen ermutigt werden, eine Ausbildung in männertypischen Berufen zu beginnen. Frauenanstalten könnten mit nahe gelegenen Männeranstalten diesbezüglich kooperieren. Überdies wäre eine Zusammenarbeit zwischen den Anstalten mit Frauenvollzug denkbar, die eine Verlegung von Frauen in andere Bundesländer zur Aufnahme einer Lehre ermöglicht. 252 In diesem Zu251 Eine Abwanderung von Unternehmerbetrieben in sog. Billiglohnländer ist auch im Vollzug zu beobachten.

H. Soziale Unterstützung der Insassinnen

321

sammenhang könnte die computergestützte Kommunikation für eine rasche und unbürokratische Kontaktaufnahme sorgen. Während das Strafvollzugsgesetz den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen zur Arbeit und Weiterbildung gerecht wird, bleibt die Praxis bei der Schaffung von ausreichend Arbeitsplätzen und eines differenzierten Ausbildungsspektrums hinter den Empfehlungen zurück. Insbesondere die einseitige Fokussierung auf frauentypische Ausbildungen in vielen Justizvollzugsanstalten weckt Bedenken im Hinblick auf das Diskriminierungsverbot in der jüngeren Fassung.

H. Soziale Unterstützung der Insassinnen In diesem Abschnitt geht es um das religiöse Leben, die soziale Betreuung, die Entlassungsvorbereitung während des Vollzugs sowie soziale Hilfen nach der Entlassung. In diesem Zusammenhang wird auf das ehrenamtliche Engagement, die Arbeit von internen und externen Fachkräften sowie ihren Umfang eingegangen. Das entworfene Bild gleicht einem bruchstückhaften Mosaik, weil die Datenbasis insbesondere in diesem Bereich unklar, unvollständig und nicht verlässlich ist. 253 Einerseits bleibt die Zuordnung von ehrenamtlichen Kräften und extramuralem Fachpersonal undurchsichtig und andererseits ist die Aufteilung der Tätigkeitsfelder zwischen Laien sowie internen und externen Professionellen schwer zu durchschauen. Trotz dieser Nachteile vermittelt diese Zusammenstellung sowohl einen Eindruck über das Angebot an Freizeit- und Hilfsmaßnahmen als auch von der Bedeutung des extramuralen Engagements. I. Religionsausübung Im Strafvollzug sind die vorbehaltlosen Grundrechte auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) und ungestörte Religionsausübung (Art. 4 Abs. 2 GG) zu gewährleisten. Der sechste Abschnitt des Strafvollzugsgesetzes (§§ 53 – 55) regelt die Verwirklichung dieses Grundrechts unter den besonderen Bedingungen des Freiheitsentzuges, um Beeinträchtigungen möglichst entgegen252

Dieser Austausch findet zurzeit teilweise innerhalb der Bundesländer, über Vollzugsgemeinschaften und zwischen einzelnen Anstalten (z. B. JVA Frankfurt a. M. III und JVA Aichach) statt. 253 Dies gilt vor allem für Freizeitbeschäftigungen in den Anstalten: die Daten deuten auf ein vielgestaltiges und umfangreiches Angebot in verschiedenen Gebieten wie Sport, Bildung, handwerkliche und künstlerische Betätigungen hin; allerdings enthalten die Angaben keine Informationen über die Häufigkeit und Regelmäßigkeit der organisierten Freizeitaktivitäten, das Platzangebot und die Resonanz der Insassinnen und wurden deshalb nicht gesondert dargestellt.

322

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland

zuwirken und wird durch die Speisevorschrift in § 21 S. 3 unterstützt, nach der die Verpflegung mit religiöser Kost zu ermöglichen ist. 254 Die Anstaltsseelsorger / innen nehmen eine Sonderstellung ein. Zwar gelten auch sie als Vollzugsbedienstete (§ 155 Abs. 2 StVollzG), doch neben der Wahrnehmung von Vollzugsaufgaben beinhaltet die Zugehörigkeit zu einer (christlichen) Religionsgemeinschaft seelsorgerische Betreuung. Die Schweigepflicht von Geistlichen bildet eine wichtige Grundlage zur Schaffung von Vertrauen. Aus der nachstehenden Tabelle lässt sich die Anzahl der im Vollzug tätigen Seelsorger / innen, Beschäftigungsart und der Personalschlüssel in den befragten Justizvollzugsanstalten ersehen. 255

Tabelle 53 Theolog(inn)en, Art der Beschäftigung und Personalschlüssel Justizvollzugsanstalt

Theolog(inn)en

Art der Beschäftigung

Verhältnis zu Insassinnen

Schwäbisch-Gmünd

2 (weiblich)

Vollzeit

1: 149,5

Aichach

2 (männlich / weiblich)

Vollzeit

1: 237

Berlin

2 (männlich / weiblich)

k. A.

k. A.

Bremen VI

1 (männlich)

Teilzeit

0,33: 31

Hahnöfersand

1 (weiblich)

Vollzeit

1: 95

4 (1 weiblich, 3 männlich)

Teilzeit

1: 74,3

Vechta

2 (weiblich)

Vollzeit

1: 115

Willich II

2 (weiblich)

1 Vollzeit, 1 Teilzeit

1: 100

3 (1 weiblich, 2 männlich)

1 Vollzeit, 1 Teilzeit

1: 77

Chemnitz

1 (weiblich)

Vollzeit

1: 173

Dresden

4 (1 weiblich, 3 männlich)

k. A.

k. A.

Halle I

1 (weiblich)

Vollzeit

1: 50

Lübeck-Lauerhof

1 (männlich)

Vollzeit

k. A.

Frankfurt a. M. III

Zweibrücken

254

Kaiser / Schöch, Strafvollzug, § 7 Rn. 139, S. 194. Anstaltsseelsorger / innen gab es nicht in der JVA Luckau, der Teilanstalt Bremen V und der JVA Bützow. 255

H. Soziale Unterstützung der Insassinnen

323

In den meisten Anstalten sind Theolog(inn)en auf Voll- und Teilzeitbasis tätig, wobei sich ein / e Seelsorger / in zwischen 70 und 240 Insassinnen kümmert. 256 Um die evangelische und katholische Seelsorge kümmern sich Pastor(inn)en und auch Pastoralreferent(inn)en 257. Die seelsorgerische Versorgung ist in allen Anstalten sichergestellt. Die Insassinnen können evangelische und katholische Gottesdienste besuchen sowie alleine bzw. in der Gruppe Gespräche mit den Theolog(inn)en führen. Der Religionsausübung dienen zudem Bibelgruppen 258, Schweigestunden 259, Gottesdienstvorbereitungsgruppen 260, gemeinschaftliche Pastorenstunden 261, Singen im Kirchenchor 262 und Klosterfreizeiten mit religiösen Inhalten 263. Angehörigen anderer Konfessionen kann neben der Teilnahme an christlichen Gottesdiensten ermöglicht werden, in Kontakt mit Glaubensvertretern ihrer Religionsgemeinschaft zu treten. Die Seelsorge erschöpft sich nicht in der Abhaltung von Gottesdiensten und in religiöser Beeinflussung. Praktische und familiäre Unterstützung wird durch die Begleitung zu Behörden 264, Angehörigengespräche 265 und Ehe- und Familienseminare 266 gewährt. Neben der Anstaltsseelsorge gibt es christliche Organisationen mit (ehrenamtlichen) Betreuer(inne)n, die Gesprächskreise und Freizeitaktivitäten anbieten. 267 Die Praxis entspricht zweifelsohne den Anforderungen der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze (Nr. 46, 47:1987; Nr. 29:2006).

256 In den Anstalten, Zweibrücken, Dresden und Lübeck-Lauerhof sind die Theolog(inn)en sowohl für Männer als auch für Frauen verantwortlich. In der JVA Lübeck-Lauerhof gibt es 502 Haftplätze für Männer und 52 für Frauen, so dass ein Geistlicher für etwa 554 Gefangene zuständig ist. In der JVA Aichach kümmern sich die beiden Geistlichen auch um die Männer. 257 Z. B. JVA Vecha; Pastoralreferent(inn)en dürfen nicht die Beichte abnehmen und unterliegen nicht der kirchlichen Schweigepflicht. 258 JVA Aichach (Emmausgruppe, Taborgruppe), Nordrhein-Westfalen, JVA Halle I. 259 JVA Aichach. 260 Nordrhein-Westfalen. 261 JVA Bützow. 262 JVA Halle I, JVA Aichach. 263 JVA Schwäbisch-Gmünd. 264 JVA Willich II. 265 JVA Aichach. 266 Nordrhein-Westfalen. 267 Z. B. JVA Berlin (Sozialdienst katholischer Frauen Berlin e.V., Berliner Stadtmission), JVA Bremen VI (Gesprächskreis Schwarzes Kreuz), JVA Willich II (Quäker), JVA Halle I (evangelische Studentengemeinde).

324

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland

II. Soziale Betreuung in den Justizvollzugsanstalten Die Geltung des Sozialstaatsprinzips im Strafvollzug bringen die Bestimmungen zur sozialen Hilfe im Strafvollzugsgesetz (§§ 71 – 75) zum Ausdruck, die dem Gefangenen einen Rechtsanspruch auf gewisse Hilfestellungen gewähren. Diese Unterstützung richtet sich im Wege der Hilfe zur Selbsthilfe darauf, dem Gefangenen bei der eigenverantwortlichen Bewältigung seiner Probleme zur Seite zu stehen (§ 71 StVollzG). Für die drei Vollzugsphasen Aufnahme, Dauer der Strafhaft und Entlassung enthalten die §§ 72 bis 75 StVollzG ungenaue Leistungsbereiche, die der Sozialarbeit ein vielgestaltiges und verschwommenes Aufgabenspektrum eröffnen. Die im Vollzug tätigen Sozialarbeiter / innen trifft die Verpflichtung, mit Behörden (Sozialhilfe, Arbeitsagentur usw.), Sozialversicherungsträgern, Stellen der Entlassenenfürsorge, der Führungsaufsicht, der Bewährungshilfe, Verbänden der freien Wohlfahrtspflege und Ehrenamtlichen zu kooperieren (§ 154 Abs. 2 StVollzG). Soziale Hilfe für Gefangene ist dabei als durchgehende Betreuung aufzufassen, die früh beginnt und seine Wirkungen auch noch nach der Entlassung unter Mitwirkung des sozialen Umfelds entfaltet. Aus Tabelle 54 ergibt sich die Anzahl von Sozialarbeiter / innen im Strafvollzug, Art der Beschäftigung und der Personalschlüssel in den befragten Justizvollzugsanstalten. In fast allen Justizvollzugsanstalten sind festangestellte Sozialarbeiter / innen tätig. Überwiegend kümmern sich Frauen um die Belange der Insassinnen. 268 Unterschiede treten besonders im Verhältnis Sozialarbeiter / innen und weibliche Gefangene hervor. Bis zu dreißig Insassinnen betreut eine Sozialarbeiter / in in den Einrichtungen Hahnöfersand, Frankfurt a. M. III, Berlin und Zweibrücken. In diesen Anstalten gibt es ein dichtes Betreuungsnetz, das den Idealzustand im Betreuungsverhältnis 1:20 erreicht bzw. nahe kommt. 269 Am ungünstigsten ist der Personalschlüssel in der JVA Vechta und in der JVA Aichach mit über 100 Klientinnen. 270. Bei einer Fallzahl von über hundert Frauen dürfte eine individuelle Unterstützung nicht mehr gewährleistet sein. Insgesamt lässt sich aus den Zahlen eine Tendenz zu einer besseren personellen Ausstattung der nördlichsten Anstalten im Vergleich zu den südlichsten Anstalten ablesen.

268 Die geringe Zahl von männlichen Sozialarbeitern könnte damit zusammenhängen, dass den Fachhochschulstudiengang Sozialarbeit meist Frauen absolvieren (Anteil von über 76 %). Bei den Beschäftigten liegt ihr Anteil bei 63 %; vgl. Forum SOZIAL (3/2004), S. 36. 269 Näher Riemer (2006), S. 122 f. 270 Eine weitaus höhere Fallzahl trifft vermutlich den sozialen Dienst in der JVA Lübeck-Lauerhof: bei einer Gesamtzahl von 554 Haftplätzen für weibliche und männliche Gefangene gibt es eine Vollzeit- und eine Teilzeitstelle.

H. Soziale Unterstützung der Insassinnen

325

Tabelle 54 Sozialarbeiter / innen, Art der Beschäftigung und Personalschlüssel Justizvollzugsanstalt

Sozialarbeiter / innen

Art der Beschäftigung

Verhältnis zu Insassinnen

Schwäbisch-Gmünd

6 (5 weiblich, 1 männlich)

3 Vollzeit, 2 Teilzeit

1: 59,8

5 (weiblich)

3 Vollzeit, 2 Teilzeit

1: 110

Berlin

8 (7 weiblich, 1 männlich)

7 Vollzeit, 1 Teilzeit

1: 27,75

Luckau

1 (weiblich)

1 Vollzeit

1: 47

Bremen VI

1 (weiblich)

1 Teilzeit

0,5: 31

5 (3 weiblich, 2 männlich)

5 Vollzeit

1: 19

12 (11 weiblich, 1 männlich)

5 Vollzeit, 7 Teilzeit

1: 24,7

Vechta

2 (weiblich)

2 Teilzeit

1: 115

JVK Fröndenberg

1 (weiblich)

1 Vollzeit

1: 27

Willich II

3 (weiblich)

3 Vollzeit

1: 66,6

Zweibrücken

5 (weiblich)

3 Vollzeit, 2 Teilzeit

1: 28,8

Chemnitz

3 (weiblich)

3 Vollzeit

1: 58

Aichach

Hahnöfersand Frankfurt a. M. III

Dresden

1 (weiblich)

k. A.

k.A.

Halle I

1 (männlich)

1 Vollzeit

1: 50

Lübeck-Lauerhof

2 (1 weiblich, 1 männlich) *

1 Vollzeit, 1 Teilzeit

k.A.

* für alle weiblichen und männlichen Gefangenen

Im Rahmen der sozialen Hilfe ist die Beteiligung des sozialen Dienstes in allen Vollzugsphasen von der Vollzugsplanung bis zur Entlassung vorgesehen. Das breite Tätigkeitsfeld der Sozialarbeit im Strafvollzug umfasst unter anderem Einzelgespräche und die Beratung von Insassinnen 271, Gruppenangebote 272, die Entlassungsvorbereitung 273, die Arbeit im Wohngruppenvollzug 274, die Durch271 Z. B. JVA Schwäbisch-Gmünd; JVA Aichach, JVA Berlin, JVA Luckau, Moritz-Liepmann-Haus, JVA Frankfurt a. M. III (Hilfen zur Lebensbewältigung, Einzelfallhilfen in persönlichen Angelegenheiten, Vermittlung in Therapie- und Frauenhilfeeinrichtungen), JVA Vechta (fester Sozialdienst auf den Vollzugsabteilungen), JVA Willich II, JVA Zweibrücken. 272 Z. B. JVA Aichach, JVA Berlin, Moritz-Liepmann-Haus.

326

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland

führung des sozialen Trainings 275, Betreuung von bestimmten Gefangenengruppen 276, Schuldnerberatung 277 sowie Beschaffung von Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten 278. Über das Tätigkeitsgebiet und die Position von Psycholog(inn)en und Psychiater / innen enthält das Strafvollzugsgesetz keine Beschreibung. Sie gehören zu den Bediensteten (§ 155 Abs. 2 StVollzG) und den an der Behandlung maßgeblich Beteiligten (§ 159 StVollzG). Bis in die Gegenwart gibt es keine allgemeine Aufgabenzuordnung, so dass die beiden Berufsstände nach wie vor versuchen, ihr Selbstverständnis für die Arbeit in einer Anstalt zu bestimmen. 279 Tabelle 55 enthält Angaben zur psychiatrischen und psychologischen Betreuung in den Justizvollzugsanstalten. Im Durchschnitt kümmert sich ein / e Psychologe / in bzw. Psychiater / in um ungefähr 150 Insassinnen. In wenigen Anstalten liegt das Patientinnenverhältnis bei etwa 1:50. Bemerkenswert ist, dass in der JVA Lübeck-Lauerhof wesentlich mehr Psycholog(inn)en und Psychiater / innen als Sozialarbeiter / innen beschäftigt sind. Die im Vergleich überaus hohe Patientinnenzahl in der JVA Frankfurt a. M. III beruht auf einer unbesetzten Stelle zum Befragungszeitpunkt. 280 In der JVA Luckau war die Psychologin mit einer halben Stelle bis zum Jahr 2005 beschäftigt. In der Teilanstalt Bremen VI ist eine Psychologin auf der Basis von zehn Stunden wöchentlich tätig. Die JVA Hahnöfersand hat zwar keinen psychologischen Dienst, jedoch kommen anstaltsexterne Personen in die Einrichtung. Neben ihrer Mitwirkung bei der Behandlungsuntersuchung, der Aufstellung des Behandlungsplans und weiteren Begutachtungen für Entscheidungen im Vollzug (z. B. Vollzugslockerungen) sind Psycholog(inn)en und Psychiater / innen für die Beratung 281 sowie der einzel- und gruppentherapeutischen Behandlung 282 von Insassinnen verantwortlich. Eine andere wichtige Aufgabe ist die Krisenin273 Z. B. JVA Schwäbisch-Gmünd (eigene, abgetrennte Wohneinheit), JVA Hahnöfersand, JVA Frankfurt a. M. III. 274 Z. B. JVA Schwäbisch-Gmünd (Langstrafenvollzug), JVA Berlin. 275 Z. B. JVA Luckau, JVA Frankfurt a. M. III (Verhaltenstraining), JVA Zweibrücken (jährlich 4 Kurse mit je 12 Teilnehmerinnen), JVA Dresden; in der JVA Willich II aber Bedienstete des allgemeinen Vollzugsdienstes mit Fortbildung. 276 Z. B. JVA Hahnöfersand (Suchtabhängige, Hepatitis- und HIV-Infizierte, von Kindern getrennte Mütter), JVA Willich II (Gesprächsgruppe für Lebenslängliche). 277 Z. B. JVA Luckau, JVA Frankfurt a. M. III, JVA Vechta, JVA Willich II, JVA Zweibrücken (Gruppengespräche der Jugendabteilung). 278 Z. B. JVA Hahnöfersand. 279 Im Wesentlichen stehen sich zwei Positionen gegenüber: zum einen ein traditionell klinisch-psychologischer Ansatz und zum anderen ein organisations-psychologischer Ansatz; vgl. Laubenthal (2007), S. 141, Rn. 285. 280 Mittlerweile ist diese Stelle wieder besetzt (Information bei einem Besuch in der JVA Frankfurt a. M. III Anfang November 2003).

H. Soziale Unterstützung der Insassinnen

327

Tabelle 55 Psychiater / innen, Psycholog(inn)en, Art der Beschäftigung und Personalschlüssel Justizvollzugsanstalt

Psychiater / innen, Psycholog(inn)en

Art der Beschäftigung

Verhältnis zu Insassinnen

Schwäbisch-Gmünd

3 (weiblich)

1 Vollzeit, 2 Teilzeit

1: 149,5

Aichach

4 (2 weiblich, 2 männlich)

2 Vollzeit, 2 Teilzeit

k. A.

Berlin

3,5 (weiblich)

3 Vollzeit*, 1 Teilzeit

1: 66

Luckau

1 (weiblich)

1 Vollzeit

1: 47

Bremen VI

1 (weiblich)

1 Teilzeit

0,25: 31

Frankfurt a. M. III

1 (weiblich)

1 Vollzeit

1: 297

Vechta

2 (weiblich)

2 Vollzeit

1: 115

2 (1 weiblich, 1 männlich)

1 Vollzeit, 1 Teilzeit

1: 133,3

Zweibrücken

1 (weiblich)

1 Teilzeit

1: 144

Chemnitz

1 (weiblich)

1 Vollzeit

1: 173

Dresden

1 (weiblich)

k. A.

k. A.

Halle I

1 (männlich)

1 Vollzeit

1: 50

7 (3 weiblich, 4 männlich) **

5 Vollzeit, 2 Teilzeit

k. A.

Willich II

Lübeck-Lauerhof

* 2 Therapeutinnen der Sozialtherapeutischen Abteilung ** für alle weiblichen und männlichen Gefangenen

tervention, um einer besorgniserregenden Entwicklung sofort zu begegnen. Die Aufgabenvielfalt und der zahlenmäßig kleine psychologische Dienst deuten darauf hin, dass die therapeutische Arbeit im Anstaltsalltag meist zu kurz kommt und nur wenige Insassinnen erreicht. 283

281 Z. B. JVA Schwäbisch-Gmünd, JVA Frankfurt a. M. III, JVA Willich II (tiefenpsychologisch fundierte Beratungsgespräche mit vier Plätzen). 282 Z. B. JVA Aichach, JVA Berlin, JVA Luckau, Sozialtherapie Altengamme, JVA Frankfurt a. M. III therapeutisches Projekt für junge Frauen als Opfer von sexuellem Missbrauch und Gewalt), JVA Willich II (Psychotherapie mit acht Plätzen). 283 Beschreibung der Aufgaben und Arbeitsbedingungen von Ruf, in: Hinter Gittern, S. 93, 97 ff.

328

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland

Darüber hinaus sind in den Institutionen Pädagog(inn)en beschäftigt. Ihren Tätigkeitsbereich und ihre Stellung definiert das Strafvollzugsgesetz ebenfalls nicht. Allerdings bereitet es Schwierigkeiten, eigene Aufgaben zu bestimmen, da es kaum Erfahrungen mit dieser Berufsgruppe gibt und ihre Tätigkeit Überschneidungen zum Aufgabenfeld des sozialpädagogischen und psychologischen Dienstes aufweist. 284 Der folgenden Tabelle lässt sich die Zahl der beschäftigten Pädagog(inn)en in den Justizvollzugsanstalten entnehmen. Tabelle 56 Pädagog(inn)en, Art der Beschäftigung und Personalschlüssel Justizvollzugsanstalt Pädagog(inn)en

Art der Beschäftigung

Verhältnis zu Insassinnen

Berlin

1 (männlich)

Vollzeit

1: 234

Luckau

1 (weiblich)

befristet

1: 47

Hahnöfersand

1 (weiblich)

1 Vollzeit

1: 95

Frankfurt a. M. III

2 (weiblich)

2 Teilzeit

1: 148,5

Zweibrücken

1 (weiblich)

1 Vollzeit

1: 144

Chemnitz

1 (männlich)

1 Vollzeit

1: 173

In sechs Anstalten gibt es eine / n Pädagogin / en mit einer Vollzeitstelle oder zwei Pädagoginnen auf Teilzeitbasis. Die Tätigkeit der Pädagog(inn)en im Strafvollzug stimmt wohl in Teilen mit der Arbeit von Lehrer(inne)n überein. Der Schwerpunkt des Lehrauftrags in der Anstalt liegt in der Aus- und Weiterbildung. 285 Hierzu gehört sowohl die Vorbereitung und Organisation des Unterrichts für die Insassinnen als auch die Gestaltung der Fortbildung für die Vollzugsbediensteten. Weitere Aufgaben können die Verwaltung der Anstaltsbibliothek sowie die Freizeitkoordination mit Sportangeboten sein. Auch wenn es keine spezielle Regelung zum Arbeitsfeld der Lehrer / innen gibt, lässt sich ihre berufliche Rolle aus den Bestimmungen zu Aus- und Weiterbildung ersehen (§§ 7 Abs. 2 Nr. 4+5, 37 Abs. 3, 38, 67 S. 2 StVollzG). Tabelle 57 gibt einen Überblick über das Lehrpersonal in den befragten Justizvollzugsanstalten. In allen Frauenanstalten sind Lehrer / innen beschäftigt. Dabei sind wiederum Unterschiede beim Personalschlüssel zu verzeichnen. Während in der JVA Berlin ein Lehrer für alle Insassinnen zur Verfügung steht, ist in der JVA Willich II das Verhältnis Schülerinnen je Lehrer / in mit 50 Frauen am niedrigsten. Es fällt auf, 284

Böhm (2003), S. 50 f., Rn. 98. Näher Böhm (2003), S. 50, Rn. 96, Laubenthal (2007), S. 140 f., Rn. 284 die Lehrtätigkeit wird unter der Überschrift „Pädagogen“ dargestellt. 285

H. Soziale Unterstützung der Insassinnen

329

Tabelle 57 Lehrer / innen, Art der Beschäftigung und Personalschlüssel Justizvollzugsanstalt

Lehrer / innen

Art der Beschäftigung

Verhältnis zu Insassinnen

Schwäbisch-Gmünd

4 (2 weiblich, 2 männlich)

4 Vollzeit

1: 74,75

Aichach

4 (weiblich)

1 Vollzeit, 3 Teilzeit

k. A.

Berlin

1 (männlich)

1 Vollzeit

1: 234

Bremen VI

2 (1 weiblich, 1 männlich)

2 Vollzeit

1: 15,5

Hahnöfersand

2 (1 weiblich)

1 Teilzeit

1: 95

2 (weiblich)

2 Vollzeit

1: 148,5

Frankfurt a. M. III Vechta

2 (weiblich)

2 Vollzeit

1: 115

Willich II

4 (1 weiblich, 3 männlich)

4 Vollzeit

1: 50

Dresden

3 (weiblich)*

k. A.

k. A.

Lübeck-Lauerhof

3 (2 weiblich, 1 männlich) *

2 Vollzeit, 1 Teilzeit

k. A.

* für alle weiblichen und männlichen Gefangenen

dass in der kleinen Teilanstalt Bremen VI zwei Lehrer auf Vollzeitbasis eine kleine Zahl von weiblichen Gefangenen unterrichten. In den Justizvollzugsanstalten variiert die personelle Ausstattung der Fachdienste beträchtlich. Vereinzelt ist durchgängig ein Personalmangel zu konstatieren: Bedauerlicherweise ist mit der JVA Aichach die größte Frauenanstalt in Deutschland hiervon betroffen. Überwiegend lässt sich eine Gemengelage beobachten, nach der die Einschätzung zum Personalschlüssel bei einem Fachdienst positiv und bei einem anderen Fachdienst negativ ausfällt. Dies trifft beispielsweise auf die JVA Frankfurt a. M. III mit einer sehr guten Besetzung des sozialen Dienstes und einer ungünstigen Ausstattung des psychologischen und pädagogischen Dienstes zu. Einen nahezu durchgängig hinreichenden Personalschlüssel weisen wenige Einrichtungen auf. Hierzu gehören die Teilanstalt Bremen, die JVA Hahnöfersand und die JVA Luckau. Die höchst unterschiedliche Ausstattung der Fachdienste gleicht somit einem Flickenteppich und deutet auf divergierende Vollzugsstile und Schwerpunktsetzungen in den verschiedenen Justizvollzugsanstalten hin. Die heterogene Besetzung der Fachdienste geht aber nicht auf Richtungsbestimmungen der jeweiligen Anstaltsleitung zurück, sondern ist von politischen Orientierungen der Entscheidungsträger in

330

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland

den Landesregierungen abhängig. Die vielfach festgestellte Unterbesetzung der Fachdienste widerspricht indessen den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen (Nr. 57.1:1987; Nr. 89.1:2006), die – wenngleich vage – eine ausreichende Zahl an unterschiedlichen Fachkräften veranschlagen. III. Karitative bzw. kirchliche Verbände und Vereine, Ehrenamtliche, externe Fachdienste Im Strafvollzug sollen die Gefangenen auf ihre Rückkehr in die Freiheit unter Einbeziehung von gesellschaftlichen Gruppen und Einzelpersonen vorbereitet werden. Die Kommunikation mit der Gesellschaft dient der Realisierung des Angleichungsgrundsatzes, nach dem das Leben in der Anstalt den allgemeinen Verhältnissen angenähert werden soll (§ 3 Abs. 1 StVollzG). Das Sozialstaatsprinzip gewährleistet die Beteiligung von ehrenamtlicher Vollzugshilfe und ist sowohl deren Institutsgarantie als auch Gestaltungsprinzip für den Vollzug, nach dem die extramurale Tätigkeit über die bloße Möglichkeit gefördert werden soll. 286 § 154 Abs. 1 StVollzG ruft zur Kooperation aller im Vollzug Mitwirkenden auf (Kooperationsklausel). Neben Behörden, amtlichen und gemeinnützigen Stellen gehören hierzu ehrenamtliche Privatpersonen, Vereine und informelle Gruppen (§ 154 Abs. 2 S. 2 StVollzG). Aus der folgenden Tabelle ergibt sich die Zahl der im Frauenvollzug tätigen Ehrenamtlichen in den Bundesländern und Justizvollzugsanstalten. Dabei wird kein Anspruch auf Vollständigkeit angesichts der Unübersichtlichkeit erhoben. Zu den ehrenamtlichen Kräften zählen Privatpersonen, karitative bzw. kirchliche Verbände und Vereine. In Organisationen arbeiten häufig professionelle und ehrenamtliche Menschen zusammen. Daher geht aus Tabelle 58 nicht hervor, in welchem Umfang hauptamtliches Personal aus Wohlfahrtsverbänden und anderen externen Beratungsstellen zu den ehrenamtlichen Mitarbeiter / innen gerechnet wurde. 287 Das ehrenamtliche Engagement sieht in den Frauenanstalten sehr unterschiedlich aus. In der JVA Aichach ist die große Anzahl von ehrenamtlichen Helfer(inne)n im Vergleich zu allen anderen Einrichtungen bemerkenswert. Dort gibt es etwa 40 Vollzugshelfer / innen aus dem Raum Augsburg und München 288. Eine Vielzahl weiterer Personen aus verschiedenen Vereinen und Initiativen besuchen

286

Laubenthal (2007), S. 144, Rn. 293. Vgl. zur Problematik auch BAG-S (1998), S. 35; darin auch ein Beispiel für die Zusammenarbeit von Ehrenamtlichen und Professionellen beim Sozialdienst katholischer Frauen Augsburg. 288 Die Zahl der Vollzugshelfer / innen bleibt konstant. Ihre Mitwirkung im Strafvollzug unterliegt Schwankungen, da sie entlassene Frauen unterstützen und erst nach einer gewissen Zeit wieder Kapazitäten für eine neue Betreuung haben; persönliche Auskunft. 287

H. Soziale Unterstützung der Insassinnen

331

Tabelle 58 Anzahl der ehrenamtlichen Mitarbeiter / innen bis 31. 03. 2003 Bundesland bzw. JVA

Ehrenamtliche Mitarbeiter / innen

Baden-Württemberg

40

davon Schwäbisch-Gmünd

33

Aichach

137

Berlin

20

Luckau

5

Bremen VI

4

Hahnöfersand

31

Hessen

77

Bützow

6

Vechta

15

Nordrhein-Westfalen

68

davon JVK Fröndenberg

12

davon Willich II

28

Rheinland-Pfalz

14

davon Zweibrücken

12

Saarland

0

Chemnitz

19

Dresden

1

Halle I

13

Lübeck-Lauerhof

3

dort teilweise wöchentlich Insassinnen, wobei hier die Zugehörigkeit zu den Ehrenamtlichen teilweise zweifelhaft ist. Viele Ehrenamtliche kommen aus unterschiedlichen Organisationen mit vielfältigen Angeboten. Die Vollzugshilfe umfasst ein weites und differenziertes Aufgabenspektrum wie Einzel- und Gruppenarbeit, Briefwechsel, Freizeitangebote, Begleitung bei Ausführung und Hafturlaub, Unterstützung der nächsten Angehörigen und Betreuung nach der Entlassung. Die Beratung wird sowohl in einzelnen Problemfeldern als auch in allen Lebensbereichen geleistet. In diesem Rahmen gibt es große Unterschiede in Struktur, Zielsetzung und Zielgruppen der

332

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland

Beratungsstellen. Zum einen gibt es allgemein ausgerichtete Beratungsstellen für alle Insassinnen, die Hilfen in den relevanten Problemzweigen (z. B. Schuldenregulierung, Kontakt zur Familie) gewähren. Zum anderen wenden sich spezielle Beratungsstellen an bestimmte Gruppen von Insassinnen wie Ausländerinnen und Frauen mit HIV. Angesichts der großen Zahl von Drogenabhängigen in den Anstalten liegt ein Schwerpunkt in der Drogenberatung. Gerade in den Großstädten ist eine Reihe von freien Trägern mit Schwerpunkt auf der Suchtberatung angesiedelt, die sich teilweise ausschließlich an Frauen wenden. Nach der Rückkehr in die Freiheit sorgen überwiegend freie und gemeinnützige Vereinigungen der Entlassenenhilfe für die Betreuung von ehemaligen Insassinnen. Dachverband ist seit 1987 der Bundesverband der Straffälligenhilfe. 289 Die Vereine der freien Wohlfahrtspflege nehmen oft schon während des Vollzugs Kontakt zu den Frauen auf, um die Voraussetzungen für einen Neuanfang in Freiheit zu schaffen. Diese Vorgehensweise entspricht dem Prinzip der durchgehenden Hilfe. Wichtige Aufgaben erfüllen die freien Träger bei der Wohnungssuche und der Bereitstellung von Wohnraum, der Entschuldung, der Vermittlung und Inanspruchnahme von Therapieeinrichtungen, Hilfen für Familien sowie Vermittlung von Arbeit. Einige Anlaufstellen für Haftentlassene für beide Geschlechter oder ausschließlich für Frauen unterstützen Straffällige dabei, die für sie geeigneten Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen. Zur Vorbereitung der Entlassung haben in Bremen Behörden und freie Träger eine gemeinsame Plattform gebildet, um die Koordination von Hilfeleistungen zu verbessern. 290 IV. Frauenspezifische Angebote Im Frauenstrafvollzug gibt es in den meisten Bundesländern frauenspezifische Programme. 291 Besonderheiten beziehen sich auf die Art der Unterbringung wie Wohngruppenvollzug und Selbstversorgung (Kochen). 292 Therapeutische Einzelund Gruppenangebote richten sich unter anderem an Gewalt- und Sexualtäte289

In der Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe (BAG-S) e.V. haben sich die Wohlfahrtsverbände (Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt, Deutscher Caritasverband, Deutsches Rotes Kreuz, Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland, Paritätischer Wohlfahrtsverband, Zentrale Wohlfahrtsstelle der Juden) und der Fachverband für soziale Arbeit, Strafrecht und Kriminalpolitik (DBH) e.V. zusammengeschlossen; vgl. zur Tätigkeit und zum Selbstverständnis Wittmann / Jäger-Busch / Scheffler, BewHi 2004/1, S. 30 ff. 290 EvB-Pool (Entlassungsvorbereitungs-Pool) mit Sprechstunden in den Teilanstalten der JVA Bremen. 291 Baden-Württemberg, JVA Aichach, Berlin, JVA Luckau, Hamburg, JVA Hahnöfersand, JVA Vechta, Nordrhein-Westfalen, JVA Willich II, Rheinland-Pfalz, JVA Chemnitz, JVA Dresden, JVA Lübeck-Lauerhof. 292 Justizministerium Baden-Württemberg bzgl. JVA Schwäbisch-Gmünd.

H. Soziale Unterstützung der Insassinnen

333

rinnen, sexuell missbrauchte Frauen und Frauen als Opfer von Gewalt. 293 Auch an unterschiedlichen Gesprächskreisen können Insassinnen teilnehmen. 294 Möglichkeiten zur (Weiter-)Bildung 295 und Trainingsangebote auf den Gebieten Gesundheit, Kommunikation, Umgang mit Geld und soziales Verhalten 296 werden ebenfalls angeführt. Andere frauenspezifische Programme fördern die Körperwahrnehmung 297 und die Kreativität 298. Der Kontakt zu Kindern und Partnern soll durch verschiedene Maßnahmen verbessert werden. 299 Darüber hinaus wird eine frauenspezifische Beratung in verschiedenen Lebensbereichen angeboten. 300 Schließlich sind freie Träger von Bedeutung, die während des Vollzugs und nach der Entlassung speziell auf die Bedürfnisse von Frauen eingehen. Es handelt sich um Initiativen und Vereine in Ballungsgebieten ausschließlich für oder mit einem Schwerpunkt auf Frauen, die Hilfen bei der (betreuten) Wohnraumbeschaffung, Suchtberatung mit Therapievermittlung, Arbeitssuche und anderen Lebenslagen gewähren. Auf den ersten Blick existiert in den Anstalten eine Reihe von frauenspezifischen Programmen in unterschiedlichen Bereichen. In diesem Zusammenhang fällt jedoch auf, dass Unklarheit über den Begriff „frauenspezifische Angebote“ herrscht. Ein Beispiel stellen die Antworten des Justizministeriums Baden-Württemberg und der JVA Schwäbisch-Gmünd dar. Während die JVA Schwäbisch293 JVA Aichach: Einzel- und Gruppengespräche einer externen Therapeutin mit sexuell missbrauchten Frauen, Einzelgespräche einer Fachkraft mit Gewalt- und Sexualstraftäterinnen, gruppentherapeutisches Angebot zur Selbstsicherheit / Selbstvertrauen bei Frauen; Nordrhein-Westfalen: Therapie nach Traumatisierung durch das Erleben von Gewalt; JVA Chemnitz: Gruppenarbeit differenziert nach jeweiliger Haftsituation und persönlicher Problemlage; JVA Dresden: Kunsttherapiekurs (Bildhauerkunst), Selbstbehauptungskurs. 294 Justizministerium Baden-Württemberg bzgl. JVA Schwäbisch-Gmünd: Frauenkreis-Seelsorge; JVA Luckau; Nordrhein-Westfalen: Gesprächsgruppen „Beziehungsstrukturen“, JVA Willich II: Gesprächsgruppe für Lebenslängliche zu Beziehungsstrukturen; JVA Chemnitz. 295 Justizministerium Baden-Württemberg bzgl. JVA Schwäbisch-Gmünd: leistungsbezogener Realschulunterricht, JVA Berlin: Frauenbildung (EDV-Kurse). 296 JVA Berlin: Gesundheitstraining, Kommunikationstraining; Nordrhein-Westfalen: soziales Training; JVA Rohrbach: soziales Training „Gesünder leben“; JVA Zweibrücken: 1 Mal pro Jahr Kurs „Gesund leben, sicher auftreten“, soziale Trainingskurse speziell für Frauen, Themenkreise „Geld und Arbeit“, „Geld und Schulden“, „sinnvolle Freizeit“; JVA Chemnitz: soziales Kompetenztraining insbesondere für Jugendliche. 297 Justizministerium Baden-Württemberg bzgl. JVA Schwäbisch-Gmünd: körperbildendes Training, JVA Luckau: autogenes Training, JVA Vechta: Frauensport, Nordrhein-Westfalen: Körpergruppe, JVA Chemnitz: Tanzgruppe. 298 JVA Berlin: Schreibwerkstatt (Biographiezirkel); Nordrhein-Westfalen: Kreativgruppen; JVA Chemnitz: Kreativarbeit. 299 JVA Zweibrücken: Eheseminare mit den Partnern, JVA Dresden: Kindernachmittage mit den Kindern der Insassinnen. 300 JVA Vechta: Schwangerschaftsberatung, Aidsberatung.

334

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland

Gmünd die Einrichtung von frauenspezifischen Programmen verneint, führt das Ministerium mehrere Besonderheiten für den Frauenvollzug in der dortigen Anstalt an. Dies gilt teilweise auch für die Antworten der Bundesländer und Justizvollzugsanstalten, nach denen keine frauenspezifischen Programme durchgeführt werden. 301 Während die Unterbringung in Wohngruppen mit Selbstversorgung, Therapien für sexuell missbrauchte Frauen und die Schwangerschaftsberatung teils als Besonderheit im Frauenvollzug bezeichnet werden, sehen andere diese Angebote als allgemeine soziale Hilfen von internen und externen Fachdiensten an. 302 Darüber hinaus geht der frauenspezifische Charakter aus manchen Angeboten wie Realschulunterricht und Gesprächskreisen ohne thematischen Bezug nicht eindeutig hervor. An dieser Stelle wird deutlich, dass es bislang an einer Begriffsbestimmung oder zumindest an allgemein anerkannten Indikatoren für frauenspezifische Belange im Strafvollzug fehlt. V. Zusammenfassung Im Frauenvollzug gibt es eine Fülle von unterschiedlichen Freizeitbeschäftigungen. Das Freizeitangebot umfasst verschiedene Sportarten, handwerkliche, künstlerische und musische Aktivitäten, Weiterbildung, Kulturveranstaltungen, Religiösität und Kommunikationsforen. Es zeigt sich, dass sich die Anstalten um ein differenziertes und ausgewogenes Freizeitprogramm bemühen. Unklar bleibt jedoch, wie viele Frauen an den jeweiligen Freizeitaktivitäten teilnehmen können, in welchem Turnus die verschiedenen Kurse stattfinden und in welchem Umfang die Insassinnen das Freizeitprogramm nutzen. Trotz des reichhaltigen Freizeitangebots könnte lediglich ein recht kleiner Personenkreis aufgrund der begrenzten Platzanzahl bzw. des geringen Interesses aktiv am organisierten Anstaltsleben in der Freizeit teilnehmen. Bei der Freizeitgestaltung scheint zudem das Engagement von Ehrenamtlichen eine gewisse Bedeutung zu haben, weil Laien aus unterschiedlichen Bezügen (Kirche, Straffälligenhilfe, individuelles Tätigwerden) im Vollzug Freizeitaktivitäten anbieten. Die tragende Rolle der freien Straffälligenhilfe wird bei der Betreuung während des Vollzugs, der Entlassungsvorbereitung und der Unterstützung nach der Entlassung besonders deutlich. Als Schnittstelle zwischen Anstalt und Außenwelt ist die Tätigkeit von ehrenamtlichen und professionellen Kräften im Rahmen der durchgehenden sozialen Hilfe unverzichtbar. Während die freie Straffälligenhilfe in Anstalten mit einem personell gut ausgestatteten sozialen Dienst (JVA Hahnöfersand, JVA Frankfurt a. M. IIII, JVA Zweibrücken) ergän301

Bremen, Hessen, JVA Bützow, JVK Fröndenberg, Saarland, JVA Halle I. Eine nur für Frauen vorgesehene Einrichtung sind die Mutter-Kind-Abteilungen. Insofern stellt die Mutter-Kind-Station in der JVK Fröndenberg eine frauenspezifische Vollzugsform dar. 302

H. Soziale Unterstützung der Insassinnen

335

zend tätig wird und im günstigsten Fall eine fruchtbare Kooperation zwischen internen und externen Kräften stattfindet, sind Anstalten mit einer schwachen Personalbesetzung im sozialen Bereich (JVA Aichach, JVA Vechta) auf die extramurale Tätigkeit angewiesen. 303 Die freie Straffälligenhilfe setzt sich jedoch insbesondere in Ballungsräumen aus einer unübersichtlichen Vielzahl von Vereinen mit unterschiedlichen Zielgruppen und Hilfeansätzen zusammen, was die Kontaktaufnahme für die hilfesuchende Frau erschweren kann. Eine bessere Vernetzung und Abstimmung des Hilfebedarfs ermöglichen daher Zentralstellen wie die Anlaufstelle für straffällige Frauen in Frankfurt a. M. oder der Entlassungsvorbereitungspool in Bremen. Solche zentralen Einrichtungen mit einem Schwerpunkt oder ausschließlich für Frauen sind im Bundesgebiet aber kaum vorhanden. Eine Vernetzung der sozialen Hilfe wäre sowohl zwischen den externen Verbänden als auch zwischen internen und externen Kräften erstrebenswert, 304 um Frauen bei der Suche nach der individuell passenden Unterstützung zu helfen. Außerdem wäre im sozialen Dienst eine Begrenzung der Fallzahlen von höchstens 50 Insassinnen pro Sozialarbeiter / in zu begrüßen, so dass eine gewisse Erreichbarkeit für potenziell alle Frauen gewährleistet ist. Gerade die oft schwache personelle Ausstattung der Fachdienste bildet einen neuralgischen Punkt und steht im Widerspruch zu den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen. Der Begriff „frauenspezifischer Vollzug“ ist zwar eine gängige Bezeichnung, doch bleiben seine Grenzen und sein Inhalt unklar. Aus diesem Grund drängt sich der Eindruck auf, dass es sich bei dem Begriff um eine „überfrachtete Worthülse“ handelt. Als frauenspezifische Besonderheiten lassen sich zunächst die Mutter-Kind-Abteilungen, Schwangerschaft während des Vollzugs und der Hausfrauenfreigang einordnen. Demgegenüber kommt bei der Vollzugsgestaltung der frauenspezifische Charakter von Maßnahmen auf den ersten Blick nicht zum Ausdruck. So sind Bildungs- und soziale Trainingsangebote für die Resozialisierung für beide Geschlechter sinnvoll. Frauenspezifische Bedürfnisse zeigen sich aber bei der inhaltlichen Gestaltung. Die sportlichen Aktivitäten schließen beispielsweise Aerobic und Jazztanz ein. Gesprächsgruppen betonen die Entwicklung von Selbstvertrauen, Selbstbehauptung und Erkennen von Abhängigkeiten. Für die Vollzugsgestaltung sind die frauenspezifischen Belange für jeden Vollzugsbereich und jede Vollzugsmaßnahme gesondert festzuhalten, um dem Begriff „frauenspezifischer Vollzug“ Konturen und Gehalt zu verleihen.

303

Zum Verhältnis Strafrechtspflege und Straffälligenhilfe siehe Müller-Dietz, ZfStrVo 1997, S. 35; Lange, NK 4/1992, S. 28 spricht von einer „schwierigen Partnerschaft“. 304 Müller-Dietz, ZfStrVo 1997, S. 36 „Nicht Vereinigung, aber Vernetzung ist hier die Maxime, auch nicht Konformität, sondern Kooperation“.

336

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland

I. Die Personalsituation im Frauenvollzug Der dritte Titel im Strafvollzugsgesetz enthält einige grundlegende Regelungen zur Personalstruktur und Aufgabenverteilung im Justizvollzug. Nach § 156 Abs. 1 StVollzG ist die Anstaltsleitung in der Regel Beamter / in des höheren Dienstes und nimmt ihr Amt in hauptamtlicher Verantwortung wahr. Vollzugsaufgaben erfüllen gem. § 155 Abs. 1 S. 1 StVollzG grundsätzlich Vollzugsbeamt(inn)e(n). § 155 Abs. 2 HS 2 StVollzG enthält die nicht abschließend („namentlich“) aufgeführten Berufsgruppen im Strafvollzug. Der Vollzugsstab setzt sich aus folgenden Personengruppen zusammen: Anstaltsleitung und Stellvertretung, Verwaltungsdienst, allgemeiner Vollzugsdienst, Werkdienst sowie die bereits behandelten Fachdienste. Aus § 155 Abs. 2 HS 1 StVollzG ergibt sich für die Landesjustizverwaltungen die Verpflichtung, für die erforderliche personelle Ausstattung zur Aufgabenwahrnehmung zu sorgen. Im Laufe der 1970er Jahre kam es zu beträchtlichen personellen Verstärkungen in den Justizvollzugsanstalten. Doch lässt sich seit den 1990er Jahren eine anhaltende Verschlechterung der Personalsituation beobachten, weil die bis 2007 steigende Belegung im Strafvollzug nicht durch zusätzliche Einstellungen ausgeglichen wurde. 305 I. Personalbestand im gehobenen und allgemeinen Vollzugsdienst, Werkdienst Im Folgenden wird auf den Personalbestand in den Justizvollzugsanstalten und den Bundesländern im Frauenvollzug für das Jahr 2003 eingegangen. In der Mehrheit der befragten Einrichtungen sind Frauen und Männer inhaftiert. Die Zuordnung des Personals in Anstalten mit beiden Geschlechtern bereitet teilweise Schwierigkeiten, weil einige Bedienstete gemeinsame Aufgaben für weibliche und männliche Gefangene erledigen (z. B. Pforte, Küche). 306 Des Weiteren treten aufgrund von Voll- und Teilzeitstellen Abweichungen zwischen der absoluten Stellenzahl und der Bedienstetenzahl auf, so dass es mehr Bedienstete als Stellen gibt. Dieser Unterschied wirkt sich auch auf das Verhältnis von Bediensteten und Insassinnen aus, da entweder die Stellenzahl oder die Bedienstetenzahl als Berechnungsgrundlage für den Personalschlüssel herangezogen wird. Allerdings kann nur auf der Basis der absoluten Stellenzahl eine genaue Ermittlung des Personalschlüssels erfolgen. 307 Deshalb vermitteln die nachstehenden Tabellen kein exaktes Bild über die Stellen- und Bedienstetenanzahl wie auch Personalschlüssel. 308 305 Die Zunahme der männlichen Gefangenen wird auf Veränderungen in der Kriminalitätsstruktur und eine repressivere Kriminalpolitik zurückgeführt, z. B. 1998 Verschärfung der Strafrestaussetzung nach §§ 57, 57a StGB; vgl. Kaiser / Schöch, Strafvollzug, S. 304 § 11 Rn. 3 und Hohage / Walter / Neubacher, ZfStrVo 2000, S. 136 ff. 306 Anmerkung der JVA Zweibrücken.

I. Die Personalsituation im Frauenvollzug

337

Tabelle 59 Gehobener Vollzugsdienst, Art der Beschäftigung und Personalschlüssel Justizvollzugsanstalt bzw. Bundesland

Gehobener Vollzugsdienst

Art der Beschäftigung

Verhältnis zu Insassinnen

Schwäbisch-Gmünd

1 (weibl.)

1 Vollzeit

1: 299

Aichach

10 (9 weibl., 1 männl.)

9 Vollzeit, 1 Teilz.

1: 47,4

Bremen V*

2 (1 weibl., 1 männl.)

2 Vollzeit

k. A.

Bremen VI

1 männl.

1 Vollzeit

0,25: 31

Hahnöfersand

1 weibl.

1 Teilzeit

1: 95**

6 (3 weibl., 3 männl.)

5 Vollzeit, 1 Teilz.

1: 49,5**

Bützow

1 männl.

Vollzeit

1: 44

Vechta

12 (9 weibl., 3 männl.)

5 Vollzeit, 7 Teilz.

1: 19**

Nordrhein-Westfalen***

9 (5 weibli., 4 männl.)

8 Vollzeit, 1 Teilz.

1: 107,7**

Willich II

4 (2 weibl., 2 männl.)

4 Vollzeit

1: 50

Chemnitz

3 (2 weibl., 1 männl.)

3 Vollzeit

1: 58

Dresden

1 weibl.

k. A.

k. A.

Halle I

1 weibl.

1 Vollzeit

1: 50

15 (6 weibl., 9 männl.)*

13 Vollzeit, 2 Teilz.*

1: 40 bzgl. Insassinnen

Frankfurt a. M. III

Lübeck-Lauerhof

* weibliche und männliche Gefangene ** Berechnung mit Zahl der Bediensteten *** höherer und gehobener Dienst

Zunächst geht es um die Bediensteten des gehobenen Verwaltungs- und Vollzugsdienstes. In kleineren Anstalten sind Beamt(inn)e(n) des gehobenen Diensts mit der Leitung der Verwaltung, der Arbeitsverwaltung oder der Hauswirtschaft betraut. In größeren Anstalten obliegt ihnen die Führung der Vollzugsgeschäfts307 Eigene Berechnungen sind meist ausgeschlossen, weil nicht klar ist, welchen Umfang die Teilzeitstellen (z. B. 25 %, 50 %, 75 %) haben. 308 Ein Problem ist erneut die Verlässlichkeit der erhobenen Daten.

338

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland

stelle. Weitere Aufgabenfelder betreffen die Zuständigkeit für Sicherheit und Ordnung, die Überwachung der besonderen Sicherungs- und Zwangsmaßnahmen oder die Tätigkeit als Vollzugsabteilungsleiter. 309 In einigen Einrichtungen gibt es im Frauenvollzug keine Bediensteten im gehobenen Dienst (JVA Berlin, JVA Luckau, JVA Zweibrücken). In den meisten Anstalten ist ein / e Beamtin / er des gehobenen Dienstes für etwa 50 weibliche Gefangene verantwortlich. Das besonders günstige Verhältnis in der JVA Vechta beruht auf der Zugrundelegung der Bedienstetenzahl, wobei dort die meisten gehobenen Beamt(inn)e(n) in Teilzeitverhältnissen arbeiten. Bei der JVA LübeckLauerhof wird die Gesamtzahl der Bediensteten im gehobenen Vollzug in Vollund Teilzeitverhältnissen für beide Geschlechter angegeben, aber hinsichtlich des Personalschlüssels auf die Situation im Frauenvollzug abgestellt. In stetem und unmittelbarem Kontakt zu den Insassinnen stehen die Beamt (-inn)e(n) des allgemeinen Vollzugsdienstes (AVD), die die zahlenmäßig größte Berufsgruppe des Vollzugsstabs ausmachen. Neben der Überwachung sind sie für die Behandlung, Betreuung und Versorgung der Gefangenen zuständig, wobei die Sicherheitsaufgaben 310 oft einen Großteil der Dienstzeit beanspruchen. Tabelle 60 enthält Angaben zur Beschäftigungssituation im allgemeinen Vollzugsdienst und zum Personalschlüssel. In drei Einrichtungen 311 sind ausschließlich Frauen im allgemeinen Vollzugsdienst beschäftigt. In der Mehrzahl der Anstalten ist der allgemeine Vollzugsdienst gemischtgeschlechtlich besetzt. Mit Ausnahme der JVA Luckau und der Teilanstalt Bremen V stellen die Frauen die deutliche Mehrheit im allgemeinen Vollzugsdienst. 312 Die meisten Bediensteten sind auf Vollzeitbasis im Frauenvollzug tätig. 313 Während in den alten Bundesländern Teilzeitbeschäftigungen ver309

Böhm (2003), S. 48 f. Rn. 92; Schott (2002), S. 34. Aufgabenfeld in § 12 Abs. 2 DSVollz; 70 % der Dienstzeit entfällt auf Routinetätigkeiten wie Auf- und Einschluss, Zuführung zur Arbeit, zum medizinischen Dienst, zu Besuchsräumen, zur Habekammer, zur Vollzugsgeschäftsstelle, zum Gefangenentransportwagen, Aufsicht über Aufenthalt im Freien, Haftraumrevisionen und Durchsuchung der Gefangenen, Postverteilung, Ausgabe und Entgegennahme von Antragsvordrucken, Krankmeldungen, Aufsicht über Gemeinschaftsveranstaltungen, Sorge für Ordnung und Sauberkeit der Räume sowie Reinlichkeit der Gefangenen, Durchführung von Ausführungen; vgl. Kaiser / Schöch, Strafvollzug, S. 309 § 11 Rn. 15; Schott (2002), S. 37. 311 JVA Aichach, TA Bremen VI, JVA Bützow. 312 Zwar sind in der JVA Lübeck-Lauerhof deutlich mehr Männer eingestellt, doch handelt es sich hier um die Gesamtzahl der Beschäftigten im allgemeinen Vollzugsdienst für beide Geschlechter (502 Haftplätze für Männer, 52 für Frauen). Daher lassen sich keine Aussagen über die weiblichen und männlichen Bediensteten im Frauenvollzug treffen. 313 In Nordrhein-Westfalen gibt es sieben Bedienstete mit befristeter Einstellung und in der JVA Zweibrücken fünf Bedienstete. Allerdings handelt es sich um Planstellen mit Vertretungen für beurlaubtes Personal; Anmerkung der JVA Zweibrücken. 310

I. Die Personalsituation im Frauenvollzug

339

Tabelle 60 Allgemeiner Vollzugsdienst, Art der Beschäftigung und Personalschlüssel Justizvollzugsanstalt bzw. Bundesland

Allgemeiner Vollzugsdienst

Art der Beschäftigung

Verhältnis zu Insassinnen

SchwäbischGmünd

95,5 (67 weibl., 28,5 männl.)

87 Vollzeit, 17 Teilzeit

1: 3,13

114 weibl.

88 Vollzeit, 26 Teilzeit

1: 4,9

Berlin

152 (116 weibl., 36 männl.)

149 Vollzeit, 3 Teilzeit

1: 1,46**

Luckau

37 (17 weibl., 20 männl.)

36 Vollzeit, 1 Teilzeit

1: 1,09**

Bremen V*

1 männl.

1 Vollzeit

k. A.

Bremen VI

7,5 weibl.

7 Vollzeit, 1 Teilzeit

1: 4,13

Hahnöfersand

25 (16 weibl., 9 männl.)

23 Vollzeit, 2 Teilzeit

1: 3,8**

Frankfurt a. M. III

120 (90 weibl., 30 männl.)

105 Vollzeit, 15 Teilzeit

1: 2,4**

Bützow

14 weibl.

14 Vollzeit

1: 3

Vechta

73 (74 weibl., 28 männl.)

53 Vollzeit, 25 Teilzeit

1: 3,2**

336 (242 weibl., 94 männl.)

293 Vollzeit, 43 Teilzeit

1: 2,9**

Willich II

76 (55 weibl., 21 männl.)

k. A.

1: 2,6**

Zweibrücken

65 (51 weibl., 14 männl.)

52 Vollzeit, 12 Teilzeit

1: 2,25**

Chemnitz

62 (48 weibl., 14 männl.)

62 Vollzeit

1: 2,08

Dresden

12 (11 weibl., 1 männl.)

k. A.

k. A.

Halle I

14 (9 weibl., 5 männl.)

14 Vollzeit

1: 3,8

233 (59 weibl., 174 männl.)

218 Vollzeit, 15 Teilzeit

1: 2,5 bzgl. Insassinnen

Aichach

Nordrhein-Westfalen

Lübeck-Lauerhof*

* weibliche und männliche Gefangene ** Berechnung mit Zahl der Bediensteten

340

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland

breitet sind, arbeitete in den neuen Bundesländern lediglich in der JVA Luckau eine Person in Teilzeit. In den anderen östlichen Anstalten sind ausschließlich Vollzeitkräfte im allgemeinen Vollzugsdienst tätig. Beim Personalschlüssel treten Unterschiede zwischen den Anstalten in den verschiedenen Bundesländern auf. Abweichungen hinsichtlich der Lage der Bundesländer (Süd / Nord, Ost / West, Großstadt / Flächenstaat) lassen sich aber nicht feststellen. Bemerkenswert ist, dass das Verhältnis von allgemeinem Vollzugsdienst und Insassinnen der JVA Berlin und der JVA Luckau am niedrigsten ist. Dort kümmert sich ein / e Beamtin / er um ein bis zwei Inhaftierte. Dagegen ist in der Teilanstalt Bremen VI, der JVA Hahnöfersand und der JVA Halle I ein / e Bedienstete / r für etwa vier Insassinnen und in der JVA Aichach für etwa fünf Insassinnen verantwortlich. Diese Unterschiede beim Personalschlüssel führen vermutlich dazu, dass in den Anstalten mit einer höheren Gefangenenzahl je Bediensteter / n der Akzent auf kustodialen Aufgaben liegt und kaum Zeit für Behandlungsaktivitäten bleibt. Während die Aufgabenpluralität den allgemeinen Vollzugsdienst charakterisiert, stellt der Werkdienst eine spezialisierte Bedienstetengruppe dar. Dessen Angehörige weisen eine fachliche Qualifikation entweder durch eine Meisterprüfung in ihrem Beruf oder eine entsprechende Ausbildung auf. Dem Werkdienst können auch fachlich vorgebildete Mitglieder des allgemeinen Vollzugsdienstes angehören (Nr. 13 Abs. 1 DSVollz). Die Bediensteten des Werkdienstes leiten die Betriebe der Arbeitsverwaltung und sind für die Aufsicht, Anleitung und Ausbildung der Gefangenen zuständig (Nr. 13 Abs. 2 DSVollz). Es kommt der technische Dienst mit der Überwachung und Wartung der technischen Anlagen hinzu. Obgleich die Mitarbeiter / innen des Werkdienstes im Arbeitsbereich Sicherheit und Ordnung aufrechterhalten (Nr. 11 DSVollz), ist ihr Ansehen aufgrund ihrer fachlichen Autorität und der Vergünstigungen für den Einzelnen unter den Gefangenen im Allgemeinen höher als das des allgemeinen Vollzugsdiensts. Tabelle 61 enthält einen Überblick über die Besetzung des Werkdienstes in den Justizvollzugsanstalten und den Bundesländern. Während in vier Anstalten 314 alle Bediensteten des Werkdienstes weiblich sind, gibt es in drei Einrichtungen 315 lediglich Männer im Werkdienst. In den anderen Institutionen gehören dem Werkdienst Angehörige beider Geschlechter an. Die Bediensteten des Werkdienstes üben meistens eine Vollzeitbeschäftigung aus. 316 In Bezug auf den Personalschlüssel variiert das Verhältnis von Bediensteter / m zu Insassinnen in den Anstalten beträchtlich. Bis zu 30 Insassinnen kommen 314

TA Bremen VI, JVA Hahnöfersand, JVA Vechta, JVA Dresden. JVA Luckau, JVA Willich II, JVA Lübeck-Lauerhof. 316 Im Werkdienst sind häufig Beamt(inn)e(n) des AVD beschäftigt. In der JVA Aichach gehören dem Werkdienst Angehörige des AVD an. 315

I. Die Personalsituation im Frauenvollzug

341

Tabelle 61 Werkdienst, Art der Beschäftigung und Personalschlüssel Justizvollzugsanstalt bzw. Bundesland

Werkdienst

Art der Beschäftigung

Verhältnis zu Insassinnen

Schwäbisch-Gmünd

10 (4 weibl., 6 männlich)

10 Vollzeit

1: 29,9

Aichach

7 (4 weibl., 3 männlich)

6 Vollzeit, 1 Teilzeit

1: 67,71 **

Berlin

3 (2 weibl., 1 männlich)

3 Vollzeit

1: 74

Luckau

3 (männlich)

3 Vollzeit

1: 16

Bremen VI

1,5 (2 weibl.)

1 Vollzeit, 1 Teilzeit

1: 20,7

2 weibl.

1 Vollzeit, 1 Teilzeit

1: 47,5**

10 (2 weibl., 8 männlich)

10 Vollzeit

1: 30

2 weibl.

2 Vollzeit

1: 115

19 (12 weibl., 7 männlich)

17 Vollzeit, 2 Teilzeit

1: 51**

4 männlich

4 Vollzeit

1: 50

Zweibrücken

10 (2 weibl., 8 männlich)

8 Vollzeit, 2 Teilzeit

1: 14,4**

Chemnitz

11 (2 weibl., 9 männlich)

11 Vollzeit

1: 15,81

Dresden

3 weibl.

k. A.

k. A.

Halle I

3 (2 weibl., 1 männlich)

3 Vollzeit

1: 16,7

Lübeck-Lauerhof *

10 männlich

10 Vollzeit

1: 40 bzgl. Insassinnen

Hahnöfersand Frankfurt a. M. III Vechta Nordrhein-Westfalen Willich II

* weibliche und männliche Gefangene ** Berechnung mit Zahl der Bediensteten

auf eine / n Werkbeamtin / en in sieben Einrichtungen, und bis zu sechzig in drei Anstalten und im Bundesland Nordrhein-Westfalen. 317 317

Hierbei ist zu beachten, dass in den Anstalten Zweibrücken, Chemnitz und Halle I mit einem hohen Personalschlüssel im Werkdienst auch männliche Gefangene untergebracht sind. Es besteht daher die Vermutung, dass alle oder ein Teil der Bediensteten auch

342

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland

Zwar enthalten die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze (Nr. 54.2 1987; Nr. 78, 79:2006) Empfehlungen zum Arbeitsverhältnis und zu den Arbeitsbedingungen für den allgemeinen Vollzugsdienst, doch findet sich im Unterschied zur personellen Ausstattung der Fachdienste kein Grundsatz zur hinreichenden Personalbesetzung. Mittelbare Anhaltspunkte können jedoch aus der Zusammenschau mit der neuen Empfehlung 72.3 gewonnen werden. Die Empfehlung hebt den Behandlungsauftrag des allgemeinen Vollzugsdienstes hervor. Hieraus lässt sich ableiten, dass die fast ausschließliche Wahrnehmung von Sicherungsaufgaben aufgrund von Personalmangel nicht im Einklang mit dem Regelwerk stehen kann. Allerdings sind sich Wissenschaft und Praxis einig darüber, dass die unterschiedliche Größe und Struktur 318 der Anstalten einer Festlegung von präzisen Schlüsselzahlen für den allgemeinen Vollzugsdienst entgegenstehen. 319 Als grober Anhalts- und Vergleichspunkt wird dennoch ein / e Bedienstete / r des allgemeinen Vollzugsdienstes auf drei Gefangene zugrunde gelegt. 320 Die Grenzen der Belastbarkeit sind folglich bei einem Personalschlüssel von 1:4 in mehreren Anstalten überschritten und ziehen vermutlich notgedrungen eine Vernachlässigung der Behandlungsaufgabe nach sich, die nicht den Anforderungen der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze entspricht. 321 Die ausschließliche Beschäftigung von Frauen im allgemeinen Vollzugsdienst in drei Anstalten stimmt zudem nicht mit der Empfehlung 85 im neuen Regelwerk überein, die ein zahlenmäßig ausgewogenes Geschlechterverhältnis fordert. II. Personalfortbildung Das Vollzugspersonal hat die Möglichkeit an Fortbildungsmaßnahmen für den Strafvollzug seitens der Anstalt und dem jeweiligen Bundesland teilzunehmen. Im Frauenvollzug stellt sich die Frage, ob besondere Schulungen und Seminare zur spezifischen Situation und den Bedürfnissen von weiblichen Gefangenen angeboten werden. Die Forderung nach einer besonderen Ausbildung im Umgang mit weiblichen Gefangenen wurde zusätzlich in Nr. 81.3 der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze von 2006 aufgenommen. für männliche Inhaftierte verantwortlich sind; in diesem Sinn Anmerkung im Schreiben des Justizministeriums Rheinland-Pfalz v. 16. 07. 2003. 318 Wie Größe der Wohngruppe oder Abteilung; Art der Anstalt (offene oder geschlossene); Sicherungen. 319 Schwind / Böhm / Jehle-Rotthaus / Wydra (2005), § 155 Rn. 3. 320 Böhm (2003), S. 63 f. Rn. 114. 321 Dies trifft insbesondere auf die größte Frauenanstalt Aichach zu, auch wenn die Besetzung der Außenpforte, der Küche oder des Hof- und Nachtdienstes gleich bleibt; der Personalmangel war bei Durchführung der empirischen Studie im Vergleich zur JVA Willich II deutlich spürbar.

I. Die Personalsituation im Frauenvollzug

343

Frauenspezifische Weiterbildung für das Vollzugspersonal gibt es lediglich in sechs Justizvollzugsanstalten 322. Im Gegensatz zur JVA Schwäbisch-Gmünd bejaht das Land Baden-Württemberg die Durchführung von Schulungen im Bereich des Frauenvollzugs. An dieser Stelle fällt erneut das unterschiedliche Verständnis von frauenspezifischen Fortbildungen auf, weil es an einem allgemeingültigen Begriffsverständnis „Frauenvollzug“ fehlt. Die Schulungen und Seminare umfassen Struktur und Organisation des Frauenvollzuges, die Situation der Insassinnen und des Vollzugspersonals sowie überregionale Veranstaltungen mit Erfahrungsaustausch. Während der Ausbildung zum Vollzugsbediensteten erfolgt eine „gesonderte Unterstützung“ in der JVA Chemnitz. Fortbildung zu Fragen des Frauenvollzugs 323 findet innerhalb der Anstalt 324, in einer externen Fortbildungsstätte 325 oder auch innerhalb der Justiz 326 bzw. über die Justiz hinausgehend statt. Manche Seminare widmen sich besonderen Insassinnengruppen wie schwierigen bzw. psychisch kranken Frauen 327 und Suchtabhängigen 328. Andere Programme richten sich an das Vollzugspersonal 329. Schließlich werden länderübergeifende bzw. überregionale Seminare und Tagungen durchgeführt. 330 Insgesamt gibt es jedoch nur wenige Weiterbildungsveranstaltungen zum Thema „Frauenvollzug“. Es besteht ein großes Defizit an spezifischen Schulungen im Umgang mit weiblichen Inhaftierten, was im Widerspruch zu den Anforderungen der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze steht.

322

JVA Aichach, JVA Berlin, JVA Luckau, JVA Hahnöfersand, JVA Zweibrücken und JVA Chemnitz. 323 JVA Lübeck-Lauerhof: 1- bis 2-tägige Veranstaltungen für Mitarbeiter / innen des Frauenvollzuges pro Jahr. 324 Baden-Württemberg, JVA Aichach. 325 JVA Zweibrücken: alle 3 Jahre ein Seminar „Wie gestalten wir den Vollzug in der Frauenabteilung?“. 326 JVA Chemnitz. 327 JVA Berlin: Umgang mit schwierigen Insassinnen, JVA Hahnöfersand: Information über das Borderline-Syndrom. 328 JVA Hahnöfersand: Umgang mit suchtabhängigen Frauen. 329 Baden-Württemberg: sportliches Grundtraining für weibliche Bedienstete des allgemeinen Vollzugsdienstes, JVA Berlin: Männer im Frauenvollzug. 330 JVA Luckau: 1 Seminar für 3 Tage im Jahr gemeinsam mit dem Land Berlin; JVA Hahnöfersand: 2 Mal jährlich Erfahrungsaustausch mit Mitarbeiter / innen anderer Frauenvollzugsanstalten, berufliche Bildung von Frauen; JVA Chemnitz: Teilnahme an Fachtagung „Frauenvollzug“.

344

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland

J. Weiterentwicklung Im letzten Abschnitt zur Ist-Situation im Frauenvollzug in Deutschland werden Reformbestrebungen im Strafvollzug in den einzelnen Bundesländern behandelt. In diesem Rahmen geht es um Entwicklungen im baulichen Bereich, um Arbeitsund Bildungsangebote, soziale Hilfen und den Vollzugsstab. 331 I. Bauliche Entwicklung Die Überbelegung und veraltete Gebäudesubstanz sind in einigen Bundesländern Gründe für den Neubau von Justizvollzugsanstalten bzw. den Ausbau verbunden mit der Schaffung von zusätzlichen Haftkapazitäten. In Baden-Württemberg wurden im April 2004 zwei weitere Haftgebäude für Untersuchungsgefangene und jugendliche Strafgefangene sowie eine neue Versorgungsküche in Betrieb genommen. In Planung sind eine größere Besuchsabteilung, eine Werkhalle und eine Sporthalle außerhalb der Anstaltsmauern. 332 In Bayern wurde von einem privaten Unternehmen das Frauenhaus mit einer neuen Mutter-KindAbteilung in München gebaut und 2009 mit 160 Haftplätzen in Betrieb genommen. 333 In der JVA Memmingen wurde eine Abteilung für den offenen Vollzug 2005 eröffnet. In der JVA Aichach wurde das Freigängerhaus mit einer neuen offenen Mutter-Kind-Einrichtung 2007 eröffnet. In Brandenburg wurde die JVA Luckau 2005 geschlossen. Im Neubau der JVA Luckau-Duben sind 270 Haftplätze für Männer und 63 Haftplätze für Frauen eingerichtet. 334 In Bremen war aus Kostengründen die Verlegung der weiblichen Inhaftierten in andere Bundesländer (Niedersachsen, Hamburg, Schleswig-Holstein) beschlossen worden. 335 Angesichts der dortigen Überbelegung kam aus tatsächlichen Gründen eine Schließung der Frauenabteilungen in Bremen nicht in Betracht. Daher werden seit Juli 2004 weibliche Strafgefangene auf dem Gelände des offenen Vollzuges Am Fuchsberg in zwei Pavillons mit 22 geschlossenen Haftplätzen untergebracht. 336 In Hamburg wurden die sozialtherapeutische Anstalt Altengamme und das Moritz-Liepmann-Haus geschlossen. 337 In Niedersachsen wurden zusätz331 332

2008. 333

Mittlerweile sind viele Vorhaben und Pläne realisiert worden. www.arbg-karlsruhe.de/servlet/PB/menu/1180847/index.html; abgerufen am 20. 3.

PPT=Private Public Partnership. Auskünfte unter http://brandenburg.de/cms/detail.php/lbm1.c.283986.de, abgerufen am 20. 3. 2008. 335 Vgl. Bremische Bürgerschaft Drs. 16/251 (zu Drs. 16/75) v. 18.05.04. 336 http://www.senatspressestelle.bremen.de/sixcms/detail.php?id=14645; abgerufen am 20. 3. 2008. 337 Mitteilung in ZfStrVo 2004, S. 234. 334

J. Weiterentwicklung

345

liche Haftplätze geschaffen, seit August 2004 ist die JVA Hildesheim nicht mehr für Untersuchungshaft an beiden Geschlechtern zuständig, sondern nur noch für den Vollzug von Strafhaft an Frauen. 338 2005 wurde der offene Vollzug um ein weiteres Gebäude erweitert. In Nordrhein-Westfalen wurde ein neues Hafthaus für die JVA Willich II mit 141 Haftplätzen für den geschlossenen Vollzug gebaut, die Eröffnung erfolgte 2009. 339 In Sachsen-Anhalt wurde in der JVA Halle I am 7. Juni 2004 der offene Vollzug mit zwölf Haftplätzen eröffnet. 340 In SchleswigHolstein wurden in der JVA Lübeck-Lauerhof die Kapazitäten auf 61 geschlossene und 23 offene Haftplätze aufgestockt. 341 Ein neues Werkstattgebäude wurde 2005 fertig gestellt. Seit 2007 gibt es sieben Plätze für Abschiebehäftlinge und einen Platz für eine Mutter-Kind-Unterbringung. II. Perspektiven hinsichtlich Arbeit und Bildung Hier geht es um Umstrukturierungen und Ausweitung der Arbeits- und Bildungsmöglichkeiten in den Bundesländern. In Baden-Württemberg bemühte sich die JVA Schwäbisch-Gmünd um eine Verstärkung der beruflichen Ausbildung. Darüber hinaus sollte die Entlassungsvorbereitung intensiviert werden. In Bayern sollte das von der EU geförderte Projekt „Ausblick“ in der JVA Aichach fortgesetzt werden, um die Reintegration und die berufliche Vermittlung weiblicher Gefangener zu verbessern. In Berlin stand eine bedarfsorientierte Reorganisation des Arbeitswesens an. In Hamburg wollte die JVA Hahnöfersand ein neues System der individuellen und fachübergreifenden Bildungsförderung und -steuerung einführen. In Hessen beabsichtigte die JVA Frankfurt a. M. III eine fortlaufende Aktualisierung und Fortentwicklung des Arbeits- und Bildungsangebots. Die Einführung von e-Learning sollte dort erfolgen. In MecklenburgVorpommern sollten in der JVA Bützow neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Die Entwicklungspartnerschaft EQUAL / e-Lis (e-Learning im Strafvollzug) sollte zur Reintegration von Entlassenen auf dem Arbeitsmarkt durch Vermittlung von Medienkompetenz weitergeführt werden. In Niedersachsen sollte die Sanierung der Werkbereiche 25 zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. In NordrheinWestfalen sollte im künftigen Neubau der JVA Willich II eine Ausbildung im Küchenbereich ermöglicht werden. Zusätzlich sollte der Garten- und Landschaftsbau erweitert werden. In Rheinland-Pfalz wollte die JVA Zweibrücken weitere Arbeitsbetriebe für die gemeinsame Arbeit von Männern und Frauen öffnen. 338

Zolondek (2007), S. 130 f. www.justiz.nrw.de/Presse/PresseJM/archiv/2006_02_Archiv/p_2006_10_16/index .php; abgerufen am 20. 3. 2008. 340 Pressemitteilung Nr. 026/04 unter www.asp.sachsen-anhalt.de. 341 http://www.schleswig-holstein.de / JVALUEBECK / DE / Frauenvollzug / Frauenvoll zug__node.html__nnn=true; abgerufen am 20. 3. 2008. 339

346

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland

Neben der bisher schon bestehenden Zusammenarbeit in Küche und Buchbinderei sollten die Schreinerei und die Schneiderei hinzukommen. Die Ausbildung zur Netzwerkbetreuer / in sollte im Ausbildungsangebot neu aufgenommen werden. In Sachsen rechnete die JVA Dresden mit einer rückläufigen Entwicklung, weil bisherige Förderungsmittel wegfallen würden. Die JVA Chemnitz wollte die Arbeitstherapie einführen. In Schleswig-Holstein strebte die JVA LübeckLauerhof die Fortsetzung des Entwicklungspartnerschaft EQUAL / e-Lis an. Das vollzugliche Arbeitswesen sollte Bemühungen um Arbeit intensivieren, um die Vollbeschäftigung der Frauen zu erreichen.

III. Soziale Unterstützung Baden-Württemberg richtete in der JVA Schwäbisch-Gmünd eine Abteilung für Langzeitbesuche ein. In Berlin ging es um den Erhalt des bestehenden Netzwerks. In Brandenburg wurde eine Verringerung der sozialen Hilfen vermutet, weil die JVA Luckau-Duben eine schlechte Verkehrsanbindung hat. In Hamburg wollte die JVA Hahnöfersand Beratungs- und Betreuungsangebote für Suchtabhängige verbessern. Ein Schwerpunkt sollte dabei in der Vorbereitung auf therapeutische Maßnahmen außerhalb der Anstalt liegen. In Mecklenburg-Vorpommern beabsichtigte die JVA Bützow die Einführung einer Behandlungsmaßnahme, die eine Antigewaltberatung für Frauen beinhalten sollte. In NordrheinWestfalen wollte die JVA Willich II die soziale Unterstützung in verschiedenen Bereichen fördern. Neben der Einrichtung einer abstinenzorientierten Abteilung (seit 2004) richteten sich die Vorhaben auf Gruppenangebote für abhängige Frauen, Stärkung der Mutter-Kind-Beziehung und die Erweiterung von Angeboten für Langzeitinsassinnen. In Rheinland-Pfalz beabsichtigte die JVA Zweibrücken eine Angebotsausdehnung hinsichtlich sozialer Trainingskurse. Außerdem bemühte sich die Anstalt um den Ausbau sinnvoller Freizeitmöglichkeiten (Malkurse, „Schreibwerkstatt“, Musikgruppe). In Sachsen war für die JVA Chemnitz, im Rahmen einer durchgängigen Betreuung, die Kontaktpflege für eine langfristige Zusammenarbeit und Kooperation mit den Trägern der freien Wohlfahrt wichtig. In diesem Zusammenhang wurde eine Vernetzung der Hilfsangebote angestrebt. Eine Reihe von weiteren Maßnahmen umfasste den Wohngruppenvollzug, die Einrichtung einer drogenfreien Station und die Einführung von Langzeit- und Intimbesuchen. In diesem Rahmen sollte ein Urlauberbereich oder ein Bereich für individuelle Freizeit im Vollzug für Langzeitinsassinnen ohne Lockerungen und Hafturlaub geschaffen werden. In der JVA Dresden sollte eine Abteilung für Sozialtherapie eingeführt werden, ebenso in der JVA Aichach. 342 342 In Sachsen-Anhalt sollte in der JVA Halle I Projektarbeit mit Praktikanten / innen der FH und der Universität Halle durchgeführt werden.

K. Zusammenfassung

347

K. Zusammenfassung Seit den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts sind einerseits eine stete Zunahme der Gefangenenpopulation und andererseits eine veränderte Zusammensetzung der Gefangenen zu beobachten. Diese Veränderungen betreffen nicht nur inhaftierte Männer, sondern auch inhaftierte Frauen. Den Anstieg der weiblichen Inhaftiertenzahlen macht ein Vergleich mit dem Jahr 1993 deutlich. Waren am 31. März 1993 gut 2.600 Frauen in Haft, nähert sich ein Jahrzehnt später die weibliche Inhaftiertenpopulation der Gesamtzahl von 4.000 an. I. Überbelegung In den Justizvollzugsanstalten sorgte der Anstieg weiblicher Gefangener für beträchtlichen Belegungsdruck. Dieses Problem stellte sich jedoch nur für den geschlossenen Vollzug, im offenen Vollzug standen sogar freie Haftkapazitäten zur Verfügung. 343 Im Nord-Süd- und Ost-West-Vergleich zeigt sich, dass es in den südlichen Bundesländern (Baden-Württemberg, Bayern) sowie in den östlichen Bundesländern (Mecklenburg-Vorpommern) kaum bzw. keine Plätze im offenen Vollzug gibt. Insgesamt bildet der offene Vollzug entgegen der Sollbestimmung des § 10 StVollzG eine Ausnahme. 344 Bedauerlich ist, dass vor allem die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze von 2006 in ihrem Regelungsgehalt den offenen Vollzug vernachlässigen. Gerade in diesem Bereich wären detaillierte Empfehlungen zu begrüßen. Hinsichtlich der Unterbringung lässt sich feststellen, dass fast die Hälfte der inhaftierten Frauen allein in einem Einzelhaftraum lebt. Dabei treten beträchtliche Unterschiede im Nord-Süd-Vergleich auf. Während in den nördlichen Bundesländern (Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein) fast alle bzw. alle Frauen einzeln untergebracht sind, steht in Baden-Württemberg nur knapp einem Viertel ein Einzelhaftraum zur Verfügung. Im Durchschnitt stellt die Einzelunterbringung somit nicht die Regelunterbringung gem. § 18 Abs. 1 S. 1 StVollzG dar. Die langjährige und fragwürdige Übergangsregelung in § 201 StVollzG erlaubt die Gemeinschaftsunterbringung in vor 1977 errichteten Anstaltsgebäuden, was auf die Mehrzahl der hier befragten Justizvollzugsanstalten zutrifft. Allerdings fanden im vergangenen und im neuen Jahrzehnt in mehreren Einrichtungen grundlegende Sanierungen von Altbauten und die Errichtung von Neubauten statt. 343

Mit Ausnahme von Sachsen. Da die Verweildauer im offenen Vollzug oft deutlich kürzer als im geschlossenen Vollzug ist, gibt die Stichtagserhebung nur eine Vergleichsmöglichkeit der zur Verfügung stehenden Haftplätze und ihrer Belegung, aber nicht über die tatsächliche Anzahl der weiblichen Gefangenen im offenen Vollzug im Verhältnis zur Anzahl der weiblichen Gefangenen im geschlossenen Vollzug binnen eines Jahres. 344

348

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland

Nach der hier vertretenen Auffassung scheidet eine Anwendung des § 201 Nr. 3 StVollzG nicht nur bei Neubauten auf dem Anstaltsgelände, sondern auch bei sanierten Altanstalten aus. Aus diesem Grund müsste in mehreren Einrichtungen die Einzelunterbringung in stärkerem Maße praktiziert werden. Die unbefristete Übergangsbestimmung läuft zudem dem Grundsatz der nächtlichen Einzelunterbringung in den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen zuwider. Bei der gemeinsamen Unterbringung teilen sich die meisten Frauen zu zweit oder zu dritt einen Haftraum. In wenigen Anstalten bewohnen vier bis sechs Gefangene eine Gemeinschaftszelle. Erneut fallen erhebliche Abweichungen zwischen den nördlichen und südlichen Bundesländern auf. Während die beiden südlichen Frauenanstalten Viererhafträume eingerichtet haben, findet man in den nördlichen Bundesländern entweder die Einzelunterbringung oder die Unterbringung zu zweit. In drei neuen Bundesländern ist die Gemeinschaftsunterbringung mit drei bis vier Personen teilweise recht verbreitet. In den gemeinsamen Unterkünften für zwei bis sechs Personen unterschreitet die Bodenfläche pro Frau vielfach den Richtwert von zumindest 6 qm. Dieser Befund trifft gleichermaßen auf die Notgemeinschaften in mehreren Justizvollzugsanstalten zu. Die Bildung von Notgemeinschaften weist nochmals eindringlich auf die Überfüllungsproblematik hin. Aus menschenrechtlicher Perspektive ist zu appellieren, dass die gemeinsame Unterbringung von mehr als drei Personen in einem Haftraum in Zukunft nicht mehr gebilligt wird und die entsprechenden Mehrpersonenhafträume eine Größe von mindestens 14 qm für zwei Personen und 21 qm für drei Personen ohne Sanitäranlage haben müssen. Auf die Bildung von Notgemeinschaften sollte somit gänzlich verzichtet werden. Um diese Zielvorstellung zu verwirklichen, könnten die Staatsanwaltschaften notfalls einen Vollstreckungsaufschub gem. § 455a StPO aus Gründen der Vollzugsorganisation anordnen. Denn diese Bestimmung bezweckt in erster Linie, dem Verbot der Überbelegung (§ 146 StVollzG) bereits auf dem Gebiet der Strafvollstreckung zur Geltung zu verhelfen. 345 Die festgestellten Haftkapazitäten samt ihrer Belegung wie auch den Größen der Hafträume stimmen sowohl mit der deutschen Rechtsprechung als auch des EGMR zu den menschenrechtlichen Mindeststandards der Haftraumunterbringung überein. Die Aufweichung des Grundsatzes der Einzelunterbringung in den neuen Landesgesetzen zum Strafvollzug (vgl. Art. 20 BayStVollzG) ändert jedoch nichts an der Belegung in zu kleinen Gemeinschaftsunterkünften. Die Beseitigung des Anspruchs auf Einzelunterbringung (§ 18 Abs. 1 StVollzG) bleibt ohne Einfluss auf die mögliche Verletzung der Menschenwürdegarantie in Art. 1 Abs. 1 GG sowie das Verbot einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung nach Art. 3 EMRK. Unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung zu Extremfällen 345

Meyer-Goßner (2007), § 455a Rn. 1; näher Fabricius, StV 1998, S. 447 ff.

K. Zusammenfassung

349

könnte der / die Gefangene Ansprüche auf eine menschenwürdige Unterbringung geltend machen. II. Insassinnenstruktur Während des letzten Jahrzehnts veränderte sich die Zusammensetzung der Gefangenen. So erhöhte sich der Anteil der Ausländer / innen 346 in der Gefangenenpopulation. 347 Im Bundesgebiet machten Nichtdeutsche im Frauenvollzug etwa ein Viertel der weiblichen Gefangenen aus. 348 Anstalten mit vielen unterschiedlichen Nationalitäten und einem hohem Ausländerinnenanteil sind mit besonderen Herausforderungen konfrontiert, die sich aus Verständigungsschwierigkeiten, Bildungsdefiziten, soziokulturellen Unterschieden sowie Diskriminierung ergeben. 349 Benachteiligungen aufgrund von Bildungsmängeln und dem Wohnort im Ausland werden bei der Arbeitszuteilung, bei der Gewährung von Vollzugslockerungen und Hafturlaub vermutet. 350 Auch schränkt die Entfernung zum Heimatort im Ausland oft die Besuchsmöglichkeiten der Angehörigen in den Anstalten ein. Einige deutsche Justizvollzugsanstalten bieten Sprachkurse an, nehmen in der Anstaltsbibliothek fremdsprachige Bücher auf und lassen die Zusendung von fremdsprachiger Lektüre durch Angehörige zu. 351 Diese Rahmenbedingungen korrespondieren mit den Anforderungen der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze. Auffallend ist der hohe Anteil der weiblichen Betäubungsmittelabhängigen. 352 Obgleich drogenkranke Frauen insgesamt eine bedeutsame Gruppierung im Vollzug darstellen, differiert ihr jeweiliger Anteil in den Anstalten beträchtlich. 346

Ein Sonderproblem ist die Unterbringung von Abschiebehäftlingen, insbesondere auch von Frauen, die sich in Justizvollzugsanstalten befinden, was der europäische Antifolterausschuss kritisierte; CPT-Report Germany, Report to the Government of the Federal Republic of Germany on the visit to Germany carried out by the CPT from 14 to 26 April 1996, Straßburg 1997, S. 33. 347 Kaiser / Schöch, Strafvollzug, S. 66 § 4 Rn. 10. 348 Ohne Bayern und Niedersachsen: JVA Aichach mit 20,7 % und JVA Vechta mit 10,5 %. 349 Kaiser / Schöch, Strafvollzug, S. 264 § 10 Rn. 16; eine spezifisch deutsche Problematik sind Russlanddeutsche, die besonders im Männervollzug als schwierige Gruppe mit ausgeprägter Subkultur gelten. 350 Kaiser / Schöch, Strafvollzug, S. 265 § 10 Rn. 19; Tzschaschel (2002), S. 118. 351 Rieder-Kaiser (2004), S. 135 f. befürwortet Schulungen für die Vollzugsbediensteten und Behandlungsangebote für nichtdeutsche Gefangene wie interkulturelle Gruppenarbeit. 352 Im Vergleich zu Dünkel (1992), S. 71, 86 angestiegen; Wirth, BewHi 2002, S. 112 der Anteil drogenkonsumierender Frauen (54,3 %) stimmt in etwa mit dem Anteil männlicher Deutscher überein. Dagegen ist der Anteil drogenabhängiger Frauen (48,4 %) im Vergleich zu Männern (29,1 %) überdurchschnittlich hoch.

350

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland

Während Einrichtungen in westdeutschen Großstädten mindestens zur Hälfte mit drogenabhängigen Frauen belegt sind, befinden sich in den meisten Anstalten der neuen Bundesländer nur wenige Betäubungsmittelabhängige. In den Bundesländern werden sehr unterschiedliche Wege im Umgang mit der Drogenproblematik im Vollzug beschritten. Aufschluss über Verbreitung und Umfang der einzelnen Maßnahmen geben die Daten nicht, doch lässt die Unterschiedlichkeit der Programme auf eine heterogene Praxis schließen. Diese Vermutung wird durch neue Befunde zur Substitutionsbehandlung in den Bundesländern gestützt. 353 Zwar ist die Substitution eine Anwendungsoption in fast allen Bundesländern, doch ergeben sich beträchtliche Abweichungen bei der Vergabe hinsichtlich Zielsetzung, Zweck und Häufigkeit trotz bundeseinheitlicher rechtlicher Rahmenbedingungen und länderspezifischer Verwaltungsvorschriften. Die unterschiedliche Handhabung der Substitution, aber auch von anderen Vorsorgeund Rehabilitationsmaßnahmen, ist gerade für therapiemotivierte Frauen von Bedeutung. 354 Ein Manko ist, dass weder das Strafvollzugsgesetz noch die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze einen besonderen Abschnitt für den Umgang mit Betäubungsmittelabhängigen enthalten. III. Ausbildung, Bildung und Arbeit In den Justizvollzuganstalten gibt es ein zahlenmäßig überschaubares Ausbildungsangebot in wenigen eher frauentypischen Berufen. Dabei bleibt die Koedukation weitgehend ungenutzt, um ein breiteres Ausbildungsspektrum in anderen Berufsfeldern für Insassinnen zu schaffen. Dabei unterstützen die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze die Koedukation. Ein weiterer Schritt mag die Ausweitung von Ausbildungsmöglichkeiten im Frauenvollzug sein. Aufgrund der kleinen Insassinnenpopulation erscheint ein Ausbau lediglich in den Frauenanstalten und den Anstalten mit größeren Frauenparten sinnvoll, um genügend geeignete und interessierte Teilnehmerinnen zu gewinnen, zumal lange Ausbildungszeiten die Zielgruppe weiter verkleinern und auf Frauen mit längeren Freiheitsstrafen beschränken. Vor diesem Hintergrund könnte eine länderübergreifende Kooperation unter den Justizvollzugsanstalten ein vielgestaltiges Berufsbildungsangebot entwickeln, indem unterschiedliche Ausbildungsschwerpunkte in den verschiedenen Einrichtungen für Insassinnen aus dem gesamten Bundesgebiet gesetzt werden. 355 353

Im Folgenden die Ergebnisse von Keppler / Knorr / Stöver, ZfStrVo 2004, S. 202 ff. Beispiele im Aufsatz von Keppler / Knorr / Stöver, ZfStrVo 2004, S. 202 ff. 355 Zolondek (2007), S. 236 macht zu Recht darauf aufmerksam, dass es für die einzelne Anstaltsleitung problematisch ist, vor dem Hintergrund von kurzen Haftzeiten, Bildungsdefiziten und stoffgebundenen Abhängigkeiten eine breite Ausbildungspalette anzubieten. 354

K. Zusammenfassung

351

Um Insassinnen mit kürzeren Freiheitsstrafen zu erreichen, sind Fortbildungen sinnvoll. Lehrgänge und Kurse im Bereich der Bürokommunikation und der Vermittlung von Computerkenntnissen wiesen am Stichtag in den Anstalten eine hohe Auslastungsquote auf. Hier scheint es noch Potenzial für ein breiteres Weiterbildungsangebot zu geben. Mit Hilfe eines Baukastensystems könnten sich Insassinnen in Aufbaulehrgängen mit Abschlusszertifikat qualifizieren. Auf diese Weise könnte schließlich ein Berufsabschluss erreicht werden. Eine verstärkte Zusammenarbeit mit den Arbeitsagenturen und anderen Einrichtungen (z. B. IHK, VHS) wäre sinnvoll, um intramurale und extramurale Bildungsmodule miteinander zu verzahnen. 356 Vor allem Frauen mit kürzeren und mittleren Freiheitsstrafen könnten hiervon profitieren und ihre Bemühungen um weitere Qualifizierung in Freiheit fortsetzen. Eine Ausweitung des Ausbildungsspektrums durch Kooperation und Koedukation sowie die Entwicklung von Modulausbildungen würden den Empfehlungen zur Weiterbildung in den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen entgegenkommen. 357 Des Weiteren lässt sich ein Arbeitsplatzmangel in den Anstalten konstatieren. Um der Arbeitslosigkeit der stark gewachsenen Gefangenenpopulation entgegenzuwirken, müssten in vielen Einrichtungen mehr Tätigkeitsfelder im geschlossenen Vollzug in Eigen- und Unternehmerbetrieben geschaffen werden. Dementsprechend ist in mehreren Bundesländern eine Ausweitung der Arbeitskapazitäten, aber auch Verbesserungen von Bildungsmöglichkeiten hinsichtlich Schule und Ausbildung in Planung. In diesem Sinne bemühen sich die Vollzugsverwaltungen, das Postulat der Bereitstellung von ausreichender Arbeit in den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen zu verwirklichen. IV. Soziale Unterstützung Soziale Hilfe im Vollzug leisten neben den anstaltsinternen Fachdiensten ehrenamtliche und professionelle Kräfte der freien Straffälligenhilfe. Während des Vollzugs hängt die Bedeutung extramuraler Personen auch von der personellen Besetzung der Fachdienste ab: Je dünner deren Personaldecke in den Justizvollzugsanstalten ist, desto mehr Gewicht haben Laien und Fachleute von außen für 356 Über ein solches Modellprojekt in Sachsen berichten Häßler / Preusche et al., ZfStrVo 2004, S. 276 ff. 357 Zolondek (2007), S. 236 zieht tendenziell Ausbildungen in traditionellen Frauenberufen wie Köchin oder Küchenhelferin Fortbildungen im Bereich der Informationstechnik vor, weil sie günstigere Aussichten auf dem Arbeitsmarkt vermutet; dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass infolge der fortschreitenden Technisierung selbst bei Anlerntätigkeiten oft elementare Fertigkeiten im Umgang mit Computern verlangt werden; insofern könnte die Vermittlung von Basiskenntnissen ein Anfang für eine weitere berufliche Qualifizierung darstellen; im Ergebnis befürwortet Zolondek ein Nebeneinander verschiedener Berufsmaßnahmen.

352

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland

die soziale Unterstützung. Kürzungen im sozialen Bereich bedrohen allerdings den Fortbestand dieser wichtigen Betreuung. Es steht daher zu befürchten, dass auf sozialer Ebene an notwendigen Integrationshilfen gespart wird und auch bewährte Stellen mit einem Schwerpunkt für Frauen dem Rotstift zum Opfer fallen. 358 In der freien Straffälligenhilfe für straffällig gewordene Frauen wurde eine Bestimmung des Begriffs „frauenspezifischer Ansatz“ 359 für die Sozialarbeit und entsprechende Leistungs- und Qualitätsstandards 360 entwickelt. Als ein „frauenspezifischer Ansatz“ wird „die spezielle Umgehensweise von straffällig gewordenen Frauen vor dem Hintergrund ihrer unmittelbaren Lebenssituation und ihrer weiblichen Lebenswelt, die in hohem Maße gekennzeichnet ist von strukturellen Benachteiligungen in allen Lebensbereichen, vielfältigen Gewalterfahrungen sowie materiellen und immateriellen Abhängigkeiten [verstanden]. Diese spezifischen Sozialisations- und Lebensbedingungen von Frauen machen eine spezifische Beratungsarbeit erforderlich. ... Gerade die besonderen patriarchalischen Strukturen der Justiz erfordern eine feministische Standortbestimmung im Umgang mit straffällig gewordenen Frauen.“ Es stellt sich jedoch die Frage, ob ein ideologisch besetzter Ansatz tatsächlich die Bedürfnisse von inhaftierten und entlassenen Frauen berücksichtigt. 361 Dennoch können aus diesem Ansatz Anhaltspunkte sowohl für die interne Vollzugsgestaltung als auch für eine Konturierung des Begriffs „frauenspezifischer Vollzug“ gewonnen werden. Aufgrund von negativen Erfahrungen haben weibliche Gefangene häufig wenig Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen. Noch dazu leiden sie unter wirtschaftlichen, körperlichen bzw. seelischen Abhängigkeiten. Während des Vollzugs könnte eine vermehrte Einbeziehung der Ausgangs- und Lebenslagen der Insassinnen die Entwicklung von Unabhängigkeit fördern, um die Perspektiven zur Resozialisierung zu verbessern. In diesem Sinne richtet sich die vollzugsinterne soziale Hilfe darauf, die Lebenstüchtigkeit der Insassinnen zu stärken. Dabei geht es um Unterstützung bei der Regelung von praktischen Angelegenheiten wie beispielsweise Umgang mit Behörden, Schuldenregulierung, Therapie-, Wohnungs- und Arbeitssuche. Darüber hinaus erscheint eine psychische Betreuung sinnvoll, um die Eigenverantwortlichkeit zu stärken und um Beistand in Krisensituationen zu leisten. Gerade an dieser 358

So zum Beispiel war im Jahr 2003 die Anlaufstelle für straffällig gewordene Frauen der AWO in Frankfurt a. M. von der Schließung bedroht. 359 Harjes / Harms / Klenkies / Stürmer, in: BAG-S e.V. 1998, S. 104. 360 Fachausschuss „Straffällig gewordene Frauen“ BAG-S e.V. (Hrsg.), Leistungs- und Qualitätsstandards in der frauenspezifischen Straffälligenhilfe in der BAG-S e.V., Bonn 1999. 361 Auch zweifelnd Kawamura-Reindl, in: Handbuch der Resozialisierung, S. 393 f.; in einer Befragung von 35 straffälligen Frauen meinte nur gut ein Drittel, dass eine Beratung durch eine Frau eher helfe, Vollstedt (1998), S. 113.

K. Zusammenfassung

353

Schnittstelle ist eine weitere Vernetzung mit extramuralen Angeboten anzustreben, welche Entlassenen individuell angepasste Hilfestellungen bieten, ihr Leben in Freiheit ohne kriminelle Handlungen zu meistern. Aus den Antworten der Anstalten und Landesjustizverwaltungen geht hervor, dass es in jüngster Zeit Bemühungen gibt, bessere Entlassungsperspektiven in Bezug auf Ausbildung und Wohnung zu schaffen sowie Denkanstöße für ein positiveres Selbstbild zu vermitteln. 362 Die Entlassungsvorbereitung in Kooperation mit extramuralen Organisationen sowie eine Nachbetreuung in Freiheit halten dementsprechend die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze (Nr. 87 –89:1987; Nr. 107:2006)für eine elementare Voraussetzung der Legalbewährung. 363 V. Personalsituation Die Umsetzung des Behandlungsvollzuges wird zum Teil wegen der schwachen Personalbesetzung des allgemeinen Vollzugsdienstes und noch häufiger der Fachdienste in den Justizvollzugsanstalten erschwert. 364 Bei einem Personalschlüssel von einer / m Bediensteten bis zu vier Insassinnen ist der allgemeine Vollzugsdienst vermutlich mit der Sicherungsaufgabe weitgehend ausgelastet. Für den Behandlungsprozess gibt es in der Regel nur wenige besonders qualifizierte Beschäftigte in den Fachdiensten. Oft ist der Behandlungsvollzug somit auf Einzelfälle beschränkt. In den Einrichtungen geht es häufig um den Erhalt des gegenwärtigen Vollzugsstabs. Die Finanznot der Länder lässt für die Zukunft eher noch weitere Einsparungen beim Personal befürchten. Vor allem die veränderte Insassinnenstruktur stellt im Vollzug eine Belastung für das Personal dar. Gerade für den Umgang mit Drogenabhängigen, Gewalttätigen, psychisch Kranken und Ausländerinnen bedarf es Schulungen für den Vollzugsstab, um Verständnis für die spezifischen Probleme dieser Gruppen aufzubringen, auf deren Bedürfnisse eingehen zu können und in schwierigen Situationen adäquat reagieren zu können. Darüber hinaus wäre es wünschenswert, die Besonderheiten des Frauenvollzugs entweder in einem Ausbildungsabschnitt zu behandeln oder vor Dienstantritt in einer Anstalt mit weiblichen Gefangenen eine entsprechende Fortbildung zu absolvieren. Auf diese Weise könnte versucht werden, vor allem in Männeranstalten mit kleinen Frauenparten der „Anhängselposition“ von Frauen entgegenzuwirken. 362 Es handelt sich oft um Projekte, die aus Fördermitteln (z. B. EU-Förderung von Mabis, Ausblick) finanziert werden und bei denen Unklarheit über eine langfristige Etablierung herrscht. 363 Zur Vernetzung der JVA Hahnöfersand mit 85 extramuralen Trägern, vgl. van den Boogart / Kleber / Nanninga, in: Freiheit und Unfreiheit, S. 191 f. 364 Kaiser / Schöch, Strafvollzug, S. 303 f. Rn. 3.

354

Teil 5: Bestandsaufnahme des Frauenstrafvollzugs in Deutschland

Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze dringen sowohl auf eine angemessene personelle Besetzung der Fachdienste als auch auf adäquate Arbeitsbedingungen für den allgemeinen Vollzugsdienst unter Einschluss von fachspezifischen Schulungen. Die weiter zu befürchtende Reduktion in beiden Bereichen würde den Behandlungsvollzug konterkarieren und den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen nicht nur in Bezug auf das Vollzugspersonal zuwiderlaufen, sondern noch dazu reelle Chancen auf eine Resozialisierung gefährden. Entsprechend der Grundprinzipien im jüngsten Regelwerk (Nr. 4) vermag Mittelknappheit menschenrechtswidrige Vollzugsbedingungen nicht zu rechtfertigen. An dieser Stelle ist allerdings zu betonen, dass der Strafvollzug in Deutschland hiervon noch weit entfernt ist.

Teil 6

Die Entlassenenjahrgänge der JVA Willich II und der JVA Aichach A. Beschreibung der Stichprobe für die Auswertung der Gefangenenpersonalakten 1 Aus zeitlichen, finanziellen und ökonomischen Erwägungen konnte keine Totalerhebung in den beiden Anstalten durchgeführt werden. Die beiden Stichproben bezogen sich auf Entlassene aus der Strafhaft. Damit blieben Abschiebehaft, Untersuchungshaft, Jugendstrafe und Ersatzfreiheitsstrafe möglichst außen vor. 2 In der JVA Willich II fanden insgesamt 130 Gefangenenpersonalakten Berücksichtigung aus einer Grundgesamtheit von 214 Entlassenen aus dem offenen und geschlossenen Vollzug. Aufgrund der verschwindend geringen Bedeutung des offenen Vollzuges wurde auf eine derartige Differenzierung in der JVA Aichach verzichtet. Die Stichprobe betraf daher insgesamt 200 Frauen aus dem geschlossenen Vollzug bei einer Grundgesamtheit von 467 entlassenen Gefangenen. Obgleich in den Justizvollzugsanstalten Willich II (2003) und Aichach (2004) unterschiedliche Entlassungsjahrgänge berücksichtigt wurden, erscheint eine gemeinsame Darlegung der Befunde sinnvoll, weil Abweichungen bei der Aktenführung, im niedergelegten Vollzugsverlauf und in der Vollzugspraxis nicht damit zusammenhängen. Auch ist die einjährige Zeitverschiebung zu kurz bemessen, um einen grundlegenden Wandel in der Gefangenenpopulation und in der Vollzugsgestaltung herbeizuführen. 3 Auf Unterschiede und Gemeinsamkei1

Näher zur Methode Teil 5 E. III. In der JVA Willich II zeigte sich, dass die Akten mit Ersatzfreiheitsstrafen aufgrund der kurzen Haftdauer kaum verwertbare Informationen enthielten. Daraufhin wurden Entlassene mit Ersatzfreiheitsstrafen ausgenommen. In der JVA Aichach gab es auch bloße Ersatzfreiheitsstrafen, da der Entlassungsgrund „Haftende“ zu unbestimmt war. Bei den Einweisungsstrafen kam es bisweilen vor, dass neben der Freiheitsstrafe noch eine oder mehrere Ersatzfreiheitsstrafen verbüßt wurden. Des Weiteren konnten die Entlassenen von Jugendstrafen in der JVA Aichach nicht vollständig ausgenommen werden: Hinter den Entlassungsgründen „Haftende“ und „Zurückstellung der Vollstreckung nach § 35 BtmG“ verbargen sich einige Jugendstrafen. 3 Zwar haben Sparzwänge, Strafschärfungen, eine restriktivere Handhabung der Gewährung von Hafturlaub, Vollzugslockerungen und der Reststrafenaussetzung eine Erhö2

356

Teil 6: Die Entlassenenjahrgänge der JVA Willich II und der JVA Aichach

ten der beiden Anstalten wird bei der Auswertung der Ergebnisse eingegangen. Neben den eigenen erhobenen Daten werden teilweise auch Vergleichsdaten des Statistischen Bundesamtes zum Strafvollzug herangezogen. I. Alter Das Geburtsdatum fast aller Insassinnen 4 wurde im Erhebungsbogen vermerkt. Zusätzlich erhoben vier Variablen das jeweilige Datum der Aufnahme in die Erhebungsanstalt, des Strafantritts 5, des ausgeurteilten Endes der Strafzeit und des tatsächlichen Endes der Strafzeit. Um die Altersstruktur der weiblichen Gefangenen festzustellen, wurde auf das Alter beim Strafantritt und beim tatsächlichen Strafende abgestellt. 6 Tabelle 62 stellt zunächst das Alter der Insassinnen beim Strafantritt und der Entlassung in Fünfjahresabständen dar. Sowohl beim Strafantritt (67,8 %) als auch zur Entlassung (65,0 %) ist die deutliche Mehrheit der Frauen unter 40 Jahre alt. 7 Zu Beginn der Inhaftierung beträgt der Mittelwert 35,8 Jahre und am Ende 37,2 Jahre. Der Median liegt zu Anfang bei 33,6 Jahren und am Tag der Entlassung bei 35,4 Jahren. Die jüngste Frau trat ihre Haft mit 17,5 Jahren 8 an und die Älteste mit 67,6 Jahren. Frauen ab 60 Jahre stellen im Strafvollzug eine absolute Minderheit dar. 9 Zum Zeitpunkt der tatsächlichen Entlassung war die jüngste Entlassene 17,9 Jahre alt und die Älteste 67,8 Jahre. Im Vergleich zum Alter beim Strafantritt zeigt sich, dass der Mittelwert um 1,4 Jahre und der Median um 1,8 Jahre gestiegen ist. hung der Gefangenenpopulation und eine Verschlechterung der Haftbedingungen bewirkt, doch handelt es sich um einen schleichenden Prozess, der in den 1990er Jahren des letzten Jahrhunderts einsetzte. Ohne Bedeutung für die Untersuchung ist der Regierungswechsel in Nordrhein-Westfalen Mitte 2005, weil die Erhebung vor diesem Zeitpunkt in der JVA Willich II bereits durchgeführt worden war. 4 Bei einer Insassin fehlte das Geburtsdatum, so dass eine Altersberechnung ausschied. 5 Datum des Strafantritts mit Anrechnung von Untersuchungshaft. 6 Bei einem primären Strafzeitantritt ohne Untersuchungshaft und / oder Vollverbüßung stimmen die Daten der Aufnahme und des Strafantritts bzw. des abgeurteilten Strafendes und des tatsächlichen Endes überein. Abweichungen treten vor allem bei Untersuchungshaft, Verlegungen und vorzeitigen Entlassungen aus der Strafhaft auf. 7 Dieser Anteil würde sich vermutlich noch geringfügig erhöhen, wenn die Jugendlichen in der JVA Aichach systematisch erfasst worden wären; in der JVA Willich II gibt es nur den Erwachsenenvollzug. 8 Die Jugendliche wurde ausnahmsweise erfasst, weil aus der Entlassenenliste der JVA Aichach das Alter und die Art der Strafe nicht hervorgingen. 9 Der demographische Wandel in der Bevölkerung könnte jedoch in den nächsten Jahren zu einer Erhöhung des Seniorinnenanteils im Strafvollzug führen, vgl. zur Thematik Langenhoff, BewHi 2005, S. 99 ff.; die JVA Vechta hat erste Plätze für Seniorinnen eingerichtet.

A. Beschreibung der Stichprobe für die Auswertung

357

Tabelle 62 Weibliche Gefangene zu Beginn und Ende der Strafzeit nach Altersgruppen Altersgruppen

Strafbeginn Häufigkeit

Entlassung

Prozente

Häufigkeit

Prozente

unter 21

11

3,3

6

1,8

21 bis unter 25

44

13,4

31

9,4

25 bis unter 30

59

17,9

67

20,4

30 bis unter 35

58

17,6

56

17,0

35 bis unter 40

51

15,5

54

16,4

40 bis unter 45

37

11,2

39

11,9

45 bis unter 50

29

8,8

26

7,9

50 bis unter 55

22

6,7

23

7,0

55 bis unter 60

11

3,3

20

6,1

60 bis unter 65

4

1,2

3

0,9

65 bis unter 70

3

0,9

4

1,2

329

100,0

329

100,0

insgesamt

Die recht niedrige Alterserhöhung deutet auf die Verbüßung von überwiegend kürzeren Freiheitsstrafen hin. 10 Etwa zwei Drittel der Frauen befinden sich somit in der Altersperiode mit der höchsten körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit. 11 Aufgrund dessen liegt die Durchführung von qualifizierenden Bildungsmaßnahmen während des Strafvollzuges nahe, um derart die Resozialisierungsperspektiven von Entlassenen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Jedoch hat das Alter für sich genommen nur wenig Aussagekraft für die mögliche Auslastung eines breiten Bildungsangebots, da weitere Faktoren zu berücksichtigen sind wie die Dauer der Freiheitsstrafen und die Motivation der Betroffenen samt persönlichen Hinderungsgründen (z. B. Vorrang von Therapie bei stoffgebundenen Abhängigkeiten, chronische physische bzw. psychische Erkrankungen, mangelhafte Sprachbeherrschung). Zwar gibt es demnach in der JVA Willich II und der JVA Aichach eine große Gruppe von Frauen, die aufgrund ihres jungen Alters für Weiterbildungsmaßnahmen in 10 Zumal eine Entlassung nach der Verbüßung von lebenslänglichen und sehr langen Freiheitsstrafen den Durchschnittswert beträchtlich anhebt (zur Dauer der Strafhaft s. Teil 7 A. VIII. 3.). 11 Skirbekk abgerufen am 12. 12. 2006, S. 1, wonach der Produktivitätshöhepunkt zwischen 30 und 40 Jahren erreicht wird und ein merklicher Abfall ab etwa 50 Jahren zu verzeichnen ist.

358

Teil 6: Die Entlassenenjahrgänge der JVA Willich II und der JVA Aichach

Betracht kommen würde, doch ist im Weiteren im Auge zu behalten, welche negativen Parameter dem entgegenstehen könnten. II. Nationalität Im Strafvollzug sind für die Behandlung von Ausländern das Strafvollzugsgesetz und das Ausländerrecht mit ihren gegenläufigen Zielrichtungen von Einfluss. 12 Während das Strafvollzugsgesetz die Resozialisierung (§ 2 S. 1 StVollzG) bezweckt, verfolgt das Ausländerrecht abstrakte Staatsinteressen und ermöglicht somit eine Ausweisung wegen Straffälligkeit als eine polizeiliche und ordnungsrechtliche Maßnahme zur Gefahrenabwehr. Dieser Zielkonflikt könnte die Teilhabechancen für Nichtdeutsche am Behandlungsvollzug erschweren. In diesem Zusammenhang ist zunächst der Anteil von Ausländern an der Gesamtpopulation der Gefangenen von Interesse. Im Laufe der 1990er Jahre lässt sich allgemein eine Zunahme von nichtdeutschen Gefangenen im Strafvollzug beobachten. Hatte noch 1990 gut jeder zehnte Insasse eine ausländische Staatsangehörigkeit, so gehörte im Jahr 2000 fast jeder Vierte und fast jede fünfte Frau einer anderen Nationalität an. 13 Die nachstehende Abbildung zeigt die Zusammensetzung der weiblichen Gefangenenpopulation in Kategorien von Nationalitäten entsprechend den 330 erhobenen Akten.

  Abb. 1: Weibliche Gefangene nach Nationalitätsgruppen 12

Ausführlich hierzu Tzschaschel (2002), S. 2 ff. 1990:12,7 %, 2000: 23,4 % zusammen und 18,3 % weiblich; Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 4.1, Tab. 2, 2000, S. 9; vgl. Tzschaschel (2002), S. 2. 13

A. Beschreibung der Stichprobe für die Auswertung

359

In der JVA Aichach und in der JVA Willich II besaß das Gros der Gefangenen die deutsche Staatsangehörigkeit. 14 Etwa ein Fünftel der Insassinnen gehörte einer anderen Nation an. 15 Die insgesamt 67 Nichtdeutschen kamen aus 33 Staaten. 16 Von den Ausländerinnen stammte der ganz überwiegende Teil aus dem europäischen Raum. Hier fällt der hohe Anteil von Frauen aus Osteuropa auf, von denen viele aus dem früheren Jugoslawien 17, den Anrainerländern (Polen, Tschechien, Slowakei, Bulgarien, Rumänien) und den damals noch unselbständigen Teilstaaten der ehemaligen Sowjetunion stammten. Lediglich sechs Frauen waren türkischer Abstammung. Im Männervollzug stellen die Türken dagegen mutmaßlich nach wie vor eine der stärksten Ausländergruppierungen dar. 18 Dieser Umstand ist vermutlich auf einen rigideren Erziehungsstil gegenüber türkischen Mädchen und die Auferlegung von strengen Verhaltensregeln zurückzuführen, deren Einhaltung durch eine informelle, soziale Kontrolle in einer vernetzten Gemeinschaft gewährleistet wird. 19 Im Hinblick auf die Sozialisation und Integration der ausländischen Insassinnen stellt sich die Frage nach der Aufenthaltsdauer und dem Aufenthaltsstatus bzw. dem Aufenthaltsanlass in Deutschland (Abb. 2). 20 Fast ein Drittel der Ausländerinnen (31,3 %) hielt sich als Durchreisende oder Touristin in Deutschland auf. 21 Als besondere Untergruppe der Touristinnen sind die Drogenkurierinnen zu verstehen, die ausschließlich zum Zweck der Tatbegehung in die Bundesrepublik einreisen und fast drei Viertel der Gruppe ohne 14 Spätaussiedler und eingebürgerte Deutsche werden nicht gesondert ausgewiesen, wobei in den Erhebungsbögen entsprechende Vermerke aufgenommen wurden. Roma und Sinti wurden nicht nach ihrer ethnischen Gruppenzugehörigkeit erfasst, sondern nach ihrer Nationalität. 15 Was auch den Daten des Statistischen Bundesamts, Fachserie 10, Reihe 4.1, Tab. 2, S. 9 mit einem Anteil von 17,7 % an allen eine Freiheitsstrafe verbüßenden Frauen entspricht. 16 Afrika: 1 Ghana, 1 Kenia, 2 Marokko, 2 Nigeria; Amerika: 1 Brasilien, 1 Chile, 1 Kolumbien; Asien: 1 Armenien, 1 Philippinen, 2 Thailand; Europa: 1 Bosnien, 2 Bulgarien, 1 Dänemark, 2 Frankreich, 1 Griechenland, 1 Italien, 2 ehemaliges Jugoslawien, 3 Kroatien, 5 Niederlande, 3 Österreich, 5 Polen, 2 Portugal, 2 Rumänien, 1 Russland, 1 Schweiz, 6 Serbien, 1 Slowakei, 1 Slowenien, 3 Spanien, 2 Tschechien, 6 Türkei, 2 Ukraine, 1 Weißrussland. 17 Das frühere Jugoslawien gehört zu der Kategorie „ehemaliger Ostblock“, obgleich das Land nur teilweise bzw. zeitweise dazu gerechnet wurde. 18 Nach Rieder-Kaiser (2004), S. 20 lag 2002 der Anteil türkischer Staatsangehöriger an Nichtdeutschen im bayerischen Strafvollzug bei lediglich 16,4 %; nach der Gefangenenaktenanalyse befanden sich 2004 mit einem Anteil von 8,9 % an allen Nichtdeutschen prozentual weniger Türkinnen als Türken in Strafhaft. 19 Özsoy (2000), S. 1. 20 Daten zum Geburtsort, zur Aufenthaltsdauer und zu den Sprachkenntnissen wurden nicht systematisch erhoben. 21 Hierunter befindet sich eine Frau, die als Au pair tätig war.

360

Teil 6: Die Entlassenenjahrgänge der JVA Willich II und der JVA Aichach

  Abb. 2: Aufenthaltsstatus bzw. -anlass der Nichtdeutschen

festen Aufenthalt ausmachen. Zur Wohnbevölkerung gehörten zwei Drittel der Nichtdeutschen mit unbefristetem oder befristetem Aufenthaltstitel bzw. ohne Aufenthaltstitel (Asylbewerberinnen) oder Aufenthaltsstatus (Illegale 22). 23 Ungefähr die Hälfte der Wohnbevölkerung war in Deutschland geboren oder aufgewachsen. Über eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis verfügten die Gastarbeiterinnen, die Ehefrauen von Deutschen, anerkannte Asylantinnen und andere entweder in Deutschland geborene oder sesshafte Frauen. Einen unsicheren Aufenthaltsstatus hatten die Asylbewerberinnen, Frauen mit Duldung und die Illegalen in Haft.

22 Worbs (2005), S. 3 f. ist für den Begriff „Illegale“, doch gibt es bislang keine einheitliche Definition. Die beiden mit der Studie erfassten „Illegalen“ waren ohne Aufenthaltsstatus, aber aufgrund des Strafverfahrens verbunden mit der Aufnahme in einer JVA behördlich registriert. Nach enger Auffassung handelt es sich bei dieser Personengruppe nicht mehr um „Illegale“, weil sie bei den Behörden registriert sind und ihr zahlenmäßiger Umfang bekannt ist. Da der Begriff „Illegale“ den Gefangenenakten entnommen wurde, werden diese Bezeichnung und damit die weiter gefasste Definition übernommen. 23 Aus der Bevölkerungsfortschreibung und dem Ausländerzentralregister (AZR) werden die Angaben zur ausländischen Bevölkerung zusammengestellt. Die Bestandszahlen im AZR weisen niedrigere Ausländerzahlen als in der Bevölkerungsfortschreibung aus, weil das AZR nur den dauerhaften Aufenthalt in Deutschland erfasst, was folglich nur eine eingeschränkte Vergleichbarkeit zulässt.

A. Beschreibung der Stichprobe für die Auswertung

361

III. Familiäre Situation Die Angaben zum Familienstand basieren auf dem ausgewerteten Urteil 24 und geben den damals aktuellen Familienstand wieder. Änderungen des Familienstands fanden keine Berücksichtigung, so dass mehrfache Beziehungswechsel nicht biografisch erfasst wurden. 25 Der nachstehenden Abbildung lässt sich der Familienstand der Entlassenen entnehmen.

  Abb. 3: Familienstand der weiblichen Gefangenen

Fast 40 % der Frauen war vor der Inhaftierung ledig. In Scheidung oder Trennung lebte knapp ein Drittel (31,1 %); Witwe waren unter 5 %. 26 Insgesamt hatte etwa drei Viertel keine stabile Beziehung zu einem Mann bzw. einer Frau. 27 Das andere Viertel der Frauen lebte in einer festen Verbindung, von dem der Großteil verheiratet war. In diesem Zusammenhang sind Vergleichsdaten zum Familienstand der weiblichen Gesamtbevölkerung in Deutschland von Interesse: 2004 waren 37 % der Einwohnerinnen ledig, 44 % verheiratet 28, 11,8 % verwitwet und 24

Soweit das Urteil wenig aussagekräftig war oder ganz fehlte, wurden ergänzend Angaben aus der Gefangenenpersonalakte herangezogen. 25 Bei mehreren Insassinnen fielen mehrfache Trennungen vom Partner bzw. Ehemann (Scheidung, Tod) auf. 26 Die Differenzierung zwischen nichteheliche Lebensgemeinschaft und verlobt / feste Freundschaft geht auf die Urteilsangaben zurück; danach lebten die Verlobten mit ihrem Freund bzw. Verlobten nicht zusammen. 27 Lesbische Verbindungen wurden nicht gesondert ausgewiesen, sondern ggf. in den Rubriken feste Freundschaft und nichteheliche Lebensgemeinschaft aufgenommen. 28 Verheiratete, die zusammen oder getrennt leben.

362

Teil 6: Die Entlassenenjahrgänge der JVA Willich II und der JVA Aichach

7,2 % geschieden. 29 Im Vergleich liegen die ledigen Insassinnen mit 41,6 % 30 bloß geringfügig höher. Demgegenüber fallen Unterschiede im Verhältnis zu den verheirateten und geschiedenen Frauen auf: Einerseits waren mit 29,3 % deutlich weniger der Insassinnen verheiratet 31 und andererseits mit 24,6 % beträchtlich mehr Insassinnen geschieden. 32 Im Unterschied zur weiblichen Gesamtbevölkerung ist die Scheidungsquote bei den weiblichen Gefangenen demzufolge weitaus höher. Im Folgenden geht es um eine etwaige Mutterschaft der Insassinnen sowie die Zahl der Kinder pro Mutter.

  Abb. 4: Anzahl der Kinder der weiblichen Gefangenen

35,4 % der weiblichen Gefangenen hatte keine Kinder. Insgesamt gab es 210 Mütter mit 458 minder- und volljährigen Kindern. Ein Viertel (24,9 %) war Mutter eines Kindes, mehr als ein Fünftel (21,2 %) von zwei Kindern und fast jede Zehnte (8,6 %) von drei Kindern. Unter 10 % brachte mindestens vier Kinder zur Welt. Der Mittelwert beträgt 1,41 Kinder pro Insassin (n=325). Wird die Bevölkerungsstatistik herangezogen, so liegt die durchschnittliche Geburtenzahl je Frau im früheren Bundesgebiet 2004 bei 1,37 Kindern. 33 Die Vergleichbarkeit ist jedoch stark eingeschränkt, weil sich die zusammengefasste Geburtenziffer 29

Statistisches Bundesamt 2006, Tab. 4.1, S. 36. Die Rubriken „ledig“, „verlobt / feste Freundschaft“ und nichteheliche Lebensgemeinschaft“ wurden addiert. 31 Die Rubriken „verheiratet“ und „getrennt lebend“ wurden addiert. 32 Dem entsprechen in etwa auch die Daten des Statistischen Bundesamts 2005, Fachserie 10, Reihe 4.1, Tab. 2, S. 9: Am 31. 3. 2005 waren 44,4 % der 3006 Insassinnen ledig, 27,7 % verheiratet, 5,1 % verwitwet und 22,9 % geschieden (eigene Berechnung). 30

A. Beschreibung der Stichprobe für die Auswertung

363

auf Frauen im prinzipiell gebärfähigen Alter von 15 bis 49 Jahren bezieht und der für Insassinnen ermittelte Mittelwert auch ältere Frauen umfasst. Aussagekräftiger ist der Mittelwert der Geburten in Bezug auf alle Insassinnen im Alter von 15 bis 49 Jahren einerseits zum Zeitpunkt des Haftantritts und andererseits zum Entlassungstermin. Beim Zugang beträgt der Mittelwert 1,26 (n=280) und bei der Entlassung 1,25 (n=270). 34 Damit liegt der Mittelwert leicht unterhalb der zusammengefassten Geburtenziffer. Zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung waren insgesamt 288 Kinder von 156 Müttern unter 18 Jahre alt. 35 Hinsichtlich des Familienstandes lebten 47 Mütter in Scheidung und vierzehn Mütter in Trennung. 46 Mütter waren ledig. 68,6 % der Mütter hatte demzufolge keinen Partner. Eine nichteheliche Lebensgemeinschaft führten fünf Mütter. Zwei Mütter waren verlobt oder hatten eine feste Freundschaft. Verheiratet waren 34 Mütter. Lediglich 21,8 % der Mütter lebten somit im traditionellen und nach Art. 6 GG geschützten Eheverbund. Der Familienstand der Mütter lässt allerdings keine Rückschlüsse über den Lebensmittelpunkt der minderjährigen Kinder zu. Im Hinblick auf die Resozialisierung der inhaftierten Mütter ist aber von Bedeutung, ob sie vor Strafantritt die Verantwortung für die Erziehung ihrer Kinder getragen und mit ihnen in einer Haushaltsgemeinschaft gelebt hatten. Aus Diagramm 5 geht der Lebensmittelpunkt der minderjährigen Kinder hervor. In 14 Fällen gab es Mehrfachnennungen, weil bei den Müttern entweder ein Kind mehrere Lebensgruppenwechsel erlebt hatte oder mehrere Kinder getrennt untergebracht waren. 55,1 % der Mütter lebten mit ihren minderjährigen Kindern in einem Haushalt. 25,2 % hatten ihre Kinder engen Verwandten anvertraut. Obgleich die meisten Kinder unter achtzehn Jahren zumindest im engen familiären Umfeld wohnen, ist die große Anzahl der von ihren Kindern getrennt lebenden Mütter bemerkenswert. Bei fast einem Fünftel der Mütter war der Nachwuchs zur Adoption freigegeben, in einem Heim oder in einer Pflegefamilie untergebracht. 36 Fast der Hälfte der Mütter war es nicht möglich, ihre Kinder dauerhaft oder vorübergehend großzuziehen. Die Übertragung der Erziehung auf Dritte deutet auf eine schwierige Lebenssituation der leiblichen Mütter hin, die ihnen die Inanspruchnahme und Ausübung der mütterlichen Sorge verwehren dürfte. 33

Statistisches Bundesamt v. 17. 3. 2006, S. 1. Die Verringerung des Mittelwerts beruht auf der Überschreitung des 50. Lebensjahres von zehn Frauen bei der Entlassung. 35 Bei 20 Kindern von sechs Müttern konnte das Alter aus dem Urteil nicht ermittelt werden. 36 Bei der Variablen „sonstige“ war ein Kind gestorben, ein Kind lebte nicht bei der Mutter, ein Vater hatte sein Kind adoptiert, ein Kind lebte von der Mutter getrennt im Ausland und ein Kind war mit seiner Mutter in einer Mutter-Kind-Einrichtung in Norddeutschland untergebracht gewesen. 34

364

Teil 6: Die Entlassenenjahrgänge der JVA Willich II und der JVA Aichach

 

Abb. 5: Lebensmittelpunkt der Kinder bezogen auf die Mütter

IV. Wohnsituation Angaben zu den Wohnverhältnissen der Insassinnen vor und nach der Inhaftierung sind aus dreierlei Gründen wichtig. Zuerst werden Anhaltspunkte über die soziale Bindung an die Gesellschaft vermittelt. Im Rahmen der Vollzugsgestaltung spielt die Aufrechterhaltung der Wohnung bzw. die Wohnungssuche eine zentrale Rolle. Nicht zuletzt stellt ein fester Wohnsitz nach der Entlassung eine wichtige Ausgangsvoraussetzung für die Resozialisierung dar. Diagramm 6 stellt die Wohnverhältnisse der Insassinnen zum Tatzeitpunkt des ausgewerteten Urteils dar. In 45 Fällen blieb die Wohnsituation unklar. 79,2 % der weiblichen Gefangenen lebten entweder allein 37 oder gemeinsam 38 in einer Miet- bzw. Eigentumswohnung 39. Das Gros verfügte somit über einen eigenen festen Wohnsitz. Eine Bleibe bei ihren Eltern, Verwandten oder Freund(inn)en fanden 6,7 %. 40 Einzelne Frauen waren in der Psychiatrie bzw. in einer Therapie (1,4 %) oder in einer Justizvollzugsanstalt (1,1 %). 41 In einem 37

25,6 % Wohnung; 0,4 % Untermiete. 15,8 % mit Kind / ern; 15,4 % mit Ehemann / Partner und Kind / ern; 22,2 % mit Ehemann / Lebensgefährte / Freund. 39 Die ganz überwiegende Mehrheit lebte in einer Mietwohnung; nur wenige Frauen bewohnten eine Eigentumswohnung, Eigenheim oder ein gemietetes Haus, was nicht gesondert erfasst wurde. 40 5,3 % Eltern; 0,7 % Verwandte; 0,7 % Freund / in; hier wird aufgrund des Aktenstudiums vermutet, dass es sich in manchen Fällen um „versteckte“ Wohnsitzlosigkeit handeln könnte. 38

A. Beschreibung der Stichprobe für die Auswertung

365

  Abb. 6: Wohnsituation zum Tatzeitpunkt

Wohnheim (3,2 %) oder in einer Pension (0,7 %) nächtigten ebenfalls nur wenige Insassinnen. Ausgehend von der vorübergehenden Natur der Unterbringung in einem Wohnheim und in einer Pension waren diese Frauen vermutlich von Obdachlosigkeit bedroht. Ohne festen Wohnsitz waren 7,4 %. Im Vergleich zur Strafvollzugsstatistik ist der Anteil der wohnsitzlosen Frauen in dieser Untersuchung höher, denn am 31. März 2005 hatten bundesweit lediglich 2,5 % der weiblichen Strafgefangenen keinen festen Wohnsitz. 42 Insgesamt lässt sich konstatieren, dass gut jede Zehnte der Insassinnen (Unterkunft in Wohnheim, Pension, Wohnsitzlosigkeit) beim Zugang mit dem Problem der Nichtsesshaftigkeit konfrontiert war. 41 42

Unklarheit besteht hier über die tatsächliche Wohnsituation. Statistisches Bundesamt 2005, Fachserie 10, Reihe 4.1, Tab. 2, S. 8.

366

Teil 6: Die Entlassenenjahrgänge der JVA Willich II und der JVA Aichach

V. Schul- und Berufsbildung Eine entscheidende Weiche für die schulische bzw. berufliche Förderung im Vollzug bildet der erreichte Schulabschluss der Insassinnen. Leider ließen die Urteile in einem Drittel der Fälle keine Rückschlüsse auf die schulische Vorbildung zu, so dass die nachstehende Abbildung nur unvollständige Angaben enthält.

  Abb. 7: Höchster allgemeinbildender Schulabschluss

Erwartungsgemäß verfügte nur eine Minderheit der inhaftierten Frauen (7,7 %) über die Hochschulreife oder Fachhochschulreife. Nahezu ein Viertel (23,2 %) besaß den Realschulabschluss. 43,6 % hatte den Hauptschulabschluss erreicht. 43 Ohne Schulabschluss war ein Viertel der Stichprobe. Zieht man die Daten des Mikrozensus 44 vom April 2004 heran, so zeigen sich erwartungsgemäß Unterschiede im Bildungsstand zwischen den inhaftierten Frauen und der weiblichen Bevölkerung. 45 Danach verfügten 21 % aller Frauen über 15 Jahre über die mittlere Reife und 19 % über das Abitur bzw. Fachabitur. Bei den jüngeren Jahrgängen ist der formale Bildungsstand wesentlich höher als bei der älteren Generation. In der Altersgruppe der 25- bis 35-Jährigen haben 35 % der Frauen die Hochschuloder Fachhochschulreife erworben. 46 Dagegen besaßen lediglich 8,4 % der 25bis 35-jährigen Insassinnen (n=82) das Abitur oder Fachabitur. Im Vergleich zur weiblichen Gesamtbevölkerung weisen die Insassinnen einen deutlich schlech43

Ältere Frauen mit Volksschulabschluss wurden hierunter gefasst. Der Mikrozensus erfasst jährlich Angaben zum Bildungsstand von Personen über 15 Jahren. 45 Im Folgenden aus Statistisches Bundesamt 2006, S. 16. 46 Aber nur 6 % der weiblichen Bevölkerung über 65 Jahre. 44

A. Beschreibung der Stichprobe für die Auswertung

367

teren Bildungsstand auf, zumal sich im Strafvollzug ganz überwiegend Frauen jüngeren Alters befinden, die ein höheres Bildungsniveau als die ältere Generation erreicht haben könnten. 47 Die folgende Tabelle veranschaulicht den Bildungsstand in verschiedenen Altersgruppen beim Haftantritt. Tabelle 63 Schulabschluss nach Altersgruppen beim Haftantritt Altersgruppen beim Haftantritt unter 21

gesamt

21 bis 30 bis 40 bis 50 und unter 30 unter 40 unter 50 darüber

kein Abschluss / Schule besucht / Sonderschule / Hauptschule ohne Abschluss

Anzahl

5

21

14

12

4

56

%

50,0 %

30,6 %

16,0 %

29,3%

18,2%

25,0%

Hauptschulabschluss

Anzahl

5

31

32

20

8

96

%

50,0 %

43,1 %

44,0 %

48,8%

36,4%

44,1%

Mittlere Reife

Anzahl

0

15

22

6

8

51

%

,0 %

20,8 %

29,3 %

14,6%

36,4%

23,2%

Anzahl

0

4

8

3

2

17

%

,0 %

5,5 %

10,7 %

7,3%

9,1%

7,7%

Anzahl

10

71

76

41

22

220

%

100,0 %

100,0 %

100,0 %

(Fach-)Abitur gesamt

100,0% 100,0% 100,0%

p =.292

Die unter 30-Jährigen weisen einerseits die niedrigste Abiturientinnenquote und andererseits den höchsten Anteil ohne Schulabschluss aus. Über alle Altersgruppen hinweg stellt der Hauptschulabschluss den am häufigsten erreichten Schulabschluss dar. Im Unterschied zur Durchschnittsbevölkerung sind die über 50-Jährigen die Altersgruppe mit dem höchsten Bildungsstand. Immerhin haben 45,5 % der über 50-Jährigen den Realschulabschluss, das Abitur oder das Fachabitur erworben. Freilich sind die Fallzahlen insgesamt zu gering, um hieraus repräsentative Schlüsse für die gesamte weibliche Gefangenenpopulation zu ziehen. Über die berufliche Entwicklung der Insassinnen anhand von Informationen aus dem Urteil gibt das nachstehende Diagramm Aufschluss. 47

alt.

Bloß 16,4 % der Frauen mit erfasstem Schulabschluss (n=220) waren über 45 Jahre

368

Teil 6: Die Entlassenenjahrgänge der JVA Willich II und der JVA Aichach

  Abb. 8: Berufliche Ausbildung der Insassinnen

43,9 % der weiblichen Gefangenen hatten erfolgreich eine Lehre absolviert. Jeweils drei Frauen hatten entweder den Meisterbrief in einem Handwerksberuf oder einen Universitätsabschluss erreicht. Eine 17-Jährige war Lehrling. Demgegenüber war ein Fünftel angelernt oder hatte eine Lehre nicht abgeschlossen, ein Drittel hatte gar keine Ausbildung gemacht. 53,5 % der Stichprobe war somit ohne abgeschlossenen Lehrberuf. Entsprechend den Daten des Mikrozensus vom April 2004 betrug der Anteil der Frauen über 15 Jahren mit abgeschlossener Lehrausbildung etwa 50 % und der Anteil mit Hochschul- oder Fachhochschulabschluss 9 %. 48 Eine berufliche Ausbildung hatten insgesamt 66 % der Frauen abgeschlossen. Bei den 25- bis 35-Jährigen verfügten 55 % über eine abgeschlossene Lehre und 15 % über einen Hochschul- bzw. Fachhochschulabschluss. Dagegen hatten lediglich 37,9 % der 25- bis 35-jährigen Insassinnen eine Lehre abgeschlossen und zwei weitere Insassinnen hatten einen Meisterbrief. 49 Ohne Ausbildung waren 39,8 % der inhaftierten Altersgruppe, weitere 20,4 % angelernt oder ohne Lehrabschluss. Im Vergleich weisen somit die Insassinnen, vor allem die Altersgruppe der 25- bis 35-Jährigen, erwartungsgemäß einen niedrigeren beruflichen Bildungsstand als die weibliche Gesamtbevölkerung auf. Im Folgenden stellt Tabelle 64 den Ausbildungsstand der Insassinnen nach Altersgruppen beim Haftantritt dar. 50

48

Statistisches Bundesamt 2006, S. 16. N=302 bei einer Einteilung in Altersgruppen, weil bei einer Frau das Geburtsdatum fehlte. 50 N=301 ohne eine Frau der Rubrik „sonstige“ und eine Frau ohne Altersangabe. 49

A. Beschreibung der Stichprobe für die Auswertung

369

Tabelle 64 Berufsausbildung nach Altersgruppen Altersgruppen beim Haftantritt unter 21 keine

gesamt

21 bis 30 bis 40 bis 50 und unter 30 unter 40 unter 50 darüber

Anzahl

5

42

28

20

5

100

%

45,5 %

44,2 %

28,0 %

33,3%

14,3%

33,2%

angelernt / Lehre ohne Abschluss / in Ausbildung

Anzahl

5

29

17

9

3

63

%

45,5 %

30,5 %

17,0 %

15,0%

8,6%

20,9%

Lehre mit Abschluss

Anzahl

1

23

53

28

27

132

%

9,1 %

24,2 %

53,0 %

46,7%

77,1%

43,9%

Fachschule (Meister) / höherer Abschluss

Anzahl

0

1

2

3

0

6

%

,0 %

1,1 %

2,0 %

5,0%

,0%

2,0%

gesamt

Anzahl

11

95

100

60

35

301

100,0 %

100,0 %

100,0 %

% Cramer’s V =.227, p =.000

100,0% 100,0% 100,0%

51

Während drei Viertel der über 50-Jährigen eine abgeschlossene Berufsausbildung besaßen, war die berufliche Bildungssituation der unter 30-Jährigen äußerst schlecht. Drei Viertel der 21- bis 30-Jährigen hatten bislang keine Perspektiven im Berufsleben entwickelt. Neben dem hohen Anteil ohne Ausbildung war ein knappes Drittel entweder angelernt oder hatte eine Lehre nicht abgeschlossen. Je älter die Insassinnen waren, desto besser war ihr berufliches Bildungsniveau. 52 Aus der folgenden Abbildung ergibt sich die im Urteil angeführte Berufsgruppe nach der letzten ausgeübten Tätigkeit, die auch schon Jahre zurückgelegen haben kann. Dabei kam es nicht darauf an, dass es sich um eine sozialversicherungsund steuerpflichtige Beschäftigung handelte.

51

Zum Korrelationskoeffizienten und dem Signifikanzniveau vgl. Teil 5 F. II. Die 40- bis 50-Jährigen haben zwar einen niedrigeren beruflichen Bildungsstand als die 30- bis 40-Jährigen, doch ist deren Bildungsniveau gegenüber den unter 30-Jährigen bedeutend höher. 52

370

Teil 6: Die Entlassenenjahrgänge der JVA Willich II und der JVA Aichach

  Abb. 9: Berufsgruppe nach letzter ausgeübter Tätigkeit

In ihrer letzten ausgeübten Tätigkeit waren 38,9 % der Frauen ungelernte oder angelernte Arbeiterinnen. Als Angestellte oder Beamtin waren etwa 13 % tätig, als Facharbeiterin 5,1 % und als Unternehmerin oder Freiberuflerin 6,8 %. An einer Schule, in Ausbildung oder im Studium befanden sich 3,1 %. Als Prostituierte arbeiteten 4,8 %. 18,1 % waren Hausfrau, Rentnerin bzw. Pensionärin. 9,6 % hatten bislang noch keine Tätigkeit ausgeübt. Eine Reihe von Frauen ging unterschiedlichen Tätigkeiten und vielfach frauentypischen Tätigkeiten im Laufe ihres Berufslebens nach. Die folgende Aufzählung der Arbeitsbereiche enthält daher Mehrfachnennungen. In der Alten- und Krankenpflege waren 20 Frauen als qualifizierte Fachkraft, Helferin, Aushilfe, Auszubildende bzw. Umschülerin beschäftigt. Im Hotel- und Gaststättengewerbe waren 31 Frauen in verschiedenen Bereichen tätig. 53 Als Verkäuferin mit oder ohne Ausbildung waren 25 Frauen in unterschiedlichen Branchen dauerhaft oder vorübergehend beschäftigt. Mit der Raumpflege waren 19 Frauen befasst. In der Verwaltung bzw. im Büro arbeiteten 24 Frauen. 54 In anderen frauentypischen Berufen waren elf Frauen tätig. 55 Im produzierenden Gewerbe arbeiteten 27 Frauen meist als angelernte bzw. ungelernte Arbeiterin und in wenigen Fällen als Fach53

Aushilfe, Bedienung, Gastwirtin, Hotelfachkraft, Imbisshilfe, Köchin, Küchenhilfe, Zimmermädchen. 54 Buchhalterin; Bürokauffrau; Justiz-, Post-, Verwaltungsangestellte; Schreibkraft, Sekretärin, Steuerfachgehilfin.

A. Beschreibung der Stichprobe für die Auswertung

371

arbeiterin. Selbständig waren 17 Frauen. 56 In einem akademischen Beruf waren vier Frauen beschäftigt. 57 Einige Frauen waren in einem „dubiosen“ Gewerbe tätig. 58 Insgesamt waren viele Frauen in ungesicherten Arbeitsverhältnissen als Aushilfe bzw. über Leiharbeit beschäftigt. Noch dazu erledigten viele Frauen weniger qualifizierte Tätigkeiten im Niedriglohnsektor, die keine Ausbildung oder besondere Fähigkeiten und Fertigkeiten erfordern. Die Strafzeit könnte folglich für eine berufliche und schulische Weiterqualifizierung genutzt werden, sofern es ein entsprechendes (Aus)Bildungsangebot in den beiden Anstalten 59 gibt und die weiblichen Gefangenen hierzu motiviert sind. Darüber hinaus ist das Alter der weiblichen Gefangenen von Bedeutung. Zwei Drittel der Entlassenenstichprobe befand sich für Qualifizierungsmaßnahmen im günstigen Alter bis zu vierzig Jahren. 60 Diesen Befund verdeutlicht ein Vergleich des Altersaufbaus zwischen der weiblichen Bevölkerung (Abb. 11) und der Stichprobe (Abb. 10). Die aktuelle Bevölkerungsstruktur entspricht schon lange nicht mehr der idealen Pyramidenform, bei der die Kinder die stärksten Jahrgänge besetzen und Todesfälle zu einer gleichmäßigen Ausdünnung der späteren Jahrgänge führen. 61 Frauen und Männer mittleren Alters stellen die stärksten Jahrgänge, so dass der Altersaufbau in Deutschland infolge von gehäufter Sterblichkeit in Kriegszeiten und anhaltendem Geburtenrückgang in der jüngsten Zeit eher einer „zerzausten Wettertanne“ ähnelt. Auch wenn in der Entlassenenstichprobe natürlich Männer und Kinder fehlen, stellen die Entlassenen im Alter von 24 bis zu 42 Jahren bei Strafantritt die stärksten Jahrgänge. Im Alter ab 55 Jahren verringern sich die Besetzungszahlen beträchtlich. Insofern erinnert der Altersaufbau der Stichprobe auf Frauenseite schon mehr einem „ausgefransten Weihnachtsbaum“. 62 Der Vergleich stellt nochmals das jüngere Alter der Insassinnen gegenüber der weiblichen Durchschnittsbevölkerung heraus. Das Gros der Entlassenen befand 55 Arzthelferin, Friseurin, Haushälterin, Kindererzieherin, Kosmetikerin, Näherin, Pferdewirtin, Stewardess. 56 Bordell, Partnerschaftsvermittlung, Kleinstunternehmen, Kurierfahrerin, Reitschule, Aufsicht Putzkolonne, Busbegleiterin, Fotolaborantin, Groupier, Konditorin, Kranführerin, Ladendetektivin, Reiseleiterin, Sicherheitsdienstfachkraft, Spielhallenaufsicht, Telefonistin Callcenter, Übersetzerin, Zeitungsbotin. 57 Journalistin (in den letzten Jahrzehnten entwickelte sich dieser Beruf zu einem Akademikerberuf), Musikpädagogin, Religionslehrerin, Übersetzerin. 58 Rotlichtmilieu (Bordellbetreiberin und Prostituierte), Zeitungswerbung „Drückerin“, Hausieren. 59 Siehe oben Teil 6 G. I., II, IV. 60 Vgl. Tab. 60 des Teil 7 A. I. 61 Statistisches Bundesamt 2006, S. 12. 62 Wegen der geringen Zahl von Jugendlichen, Heranwachsenden und Jungerwachsenen ist der Stamm dünn besetzt, zumal auf eine systematische Erhebung von jungen Frauen im Jugendstrafvollzug verzichtet wurde.

372

Teil 6: Die Entlassenenjahrgänge der JVA Willich II und der JVA Aichach

  Abb. 10: Alter zum Zeitpunkt der Inhaftierung in Jahren

  Abb. 11: Altersverteilung Frauen in Deutschland 2004 Quelle: Statistisches Bundesamt

A. Beschreibung der Stichprobe für die Auswertung

373

sich also während ihrer Inhaftierung in einem Alter, in dem die Weichen für die Zukunft in beruflicher Perspektive und bei der Familiengründung gestellt werden. VI. Beschäftigungs- und Einkommenssituation Während im vorherigen Abschnitt ein Überblick über die zuletzt ausgeübten Beschäftigungen, die Schul- und Berufsbildung erfolgte, steht nunmehr die Erwerbstätigkeit der Insassinnen zum Tatzeitpunkt im Vordergrund (Abb. 12).

  Abb. 12: Beschäftigung zur Zeit der Tatausführung

Aus den ausgewerteten Urteilen geht eine hohe Arbeitslosigkeit hervor. Danach hatten zwei Drittel der Verurteilten zum Tatzeitpunkt keine Beschäftigung. Lediglich ein Viertel der Frauen war voll berufstätig, ein Zehntel arbeitete Teilzeit. Nach dem Mikrozensus für eine Berichtswoche im März 2004 lag die Beschäftigungsquote von Frauen im erwerbsfähigen Alter von 15 bis 64 Jahren im gesamten Bundesgebiet bei 59 %. 63 Hinsichtlich der Beschäftigungssituation fällt die hohe Arbeitslosigkeit unter den Insassinnen gegenüber der weiblichen Gesamtbevölkerung auf. Vor der Inhaftierung ist folglich eine weitaus schlechtere 63

Statistisches Bundesamt 2006, S. 27; die Beschäftigungsquote gibt den Anteil der Erwerbstätigen an der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter in privaten Haushalten an; Erwerbstätige sind alle Personen ab 15 Jahren, die in der Berichtswoche mindestens eine Stunde gegen Entgelt oder als Selbständige oder als mithelfende Familienangehörige beschäftigt waren oder in einer Ausbildung waren.

374

Teil 6: Die Entlassenenjahrgänge der JVA Willich II und der JVA Aichach

Integration der Insassinnen ins Arbeitsleben im Vergleich zu allen erwerbsfähigen Frauen zu konstatieren. In diesem Zusammenhang ist das Arbeitsverhalten der Insassinnen vor der Haft von Interesse, das in Abbildung 13 dokumentiert ist. Leider fehlten in vielen Urteilen Informationen zum Arbeitsverhalten.

  Abb. 13: Arbeitsverhalten vor der Inhaftierung

Etwa die Hälfte gehörte zu den Langzeitarbeitslosen. 21,1 % wechselten oft die Arbeitsstellen und 8,4 % arbeiteten als Aushilfs- oder Saisonkraft. Ein gutes Fünftel der Insassinnen besaß eine beständige bzw. langfristige Arbeitsstelle. Erneut zeigt sich hier der Ausschluss vieler Insassinnen vom Arbeitsmarkt aufgrund von Langzeitarbeitslosigkeit oder von vorübergehenden Beschäftigungsverhältnissen. Obwohl die Urteile zur Höhe des letzten Nettoeinkommens meist keine Details enthielten, konnte festgestellt werden, dass ungefähr ein Drittel der Stichprobe ein Gehalt bezogen hatte (Abb. 14). 64 Eine Ausnahme stellt das Nettoeinkommen einer Insassin in Höhe von 5.000 Euro dar. 65 Über ein hohes Nettoeinkommen in Höhe von 2.000 bzw. 2.500 Euro verfügten vier Frauen. Der Mehrheit stand jedoch nur ein niedriges Nettoeinkommen pro Monat zur Verfügung. So liegt der Mittelwert des monatlichen Nettoeinkommens bei 893 Euro und der Median bei 725 Euro. 66 Dieses niedrige Nettoeinkommen dürfte auf die geschlechtsspezifische Berufswahl (z. B. Friseurin, Verkäuferin 67), die mangelhafte Berufsqualifikation, die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse (Raumpflege) und familiär bedingte Ausfallzei64

79 Insassinnen hatten gar kein Nettoeinkommen bezogen. Hierbei handelte es sich um eine Betrügerin mit einem eigenen Unternehmen. 66 Das Nettoeinkommen der meisten Frauen liegt damit unter dem pfändungsfreien Existenzminimum in Höhe von monatlich 989,99 Euro netto (§ 850 c ZPO). 65

A. Beschreibung der Stichprobe für die Auswertung

375

  Abb. 14: Höhe des letzten Nettoeinkommens pro Monat

ten zurückzuführen sein. Hinsichtlich des Gesamteinkommens zur Deckung des Lebensbedarfs kommen neben der Erwerbstätigkeit der Insassin noch andere Unterhaltsquellen in Betracht. Aus Abbildung 15 geht die Herkunft des überwiegenden Lebensunterhalts hervor. Auch hierzu fehlten in den Urteilen häufig Angaben. 31,4 % der Insassinnen gab vor der Inhaftierung als Haupteinkommensquelle die eigene Berufstätigkeit an. Jede Zehnte war auf das Einkommen des Ehemannes oder Lebensgefährten angewiesen. Familiäre Unterstützung erfuhr eine Minderheit (5,5 %). Öffentliche Leistungen erhielten insgesamt 43,9 % der Frauen; davon war das Gros von Sozialhilfe (31,4 %) abhängig. 4,7 % finanzierte den Lebensunterhalt durch Straftaten. Wenn man den Mikrozensus vom März 2004 heranzieht 68, entspricht der Anteil der Frauen, die ihren Lebensunterhalt überwiegend aus eigener Erwerbstätigkeit decken, mit einem Drittel dem der Insassinnen. 67

Vgl. hierzu Statistisches Landesamt Baden-Württemberg 2005, S. 3; Statistisches Bundesamt 2006, S. 51: Verkäuferinnen haben das niedrigste Bruttoeinkommen in Höhe von monatlich 1.914 Euro. 68 Statistisches Bundesamt 2006, S. 48, Abb. 5.1.

376

Teil 6: Die Entlassenenjahrgänge der JVA Willich II und der JVA Aichach

  Abb. 15: Herkunft des Hauptanteils des Einkommens

Die Abhängigkeit von der Unterstützung durch Angehörige fällt mit etwa 35 % der weiblichen Bevölkerung dagegen wesentlich größer als bei den Insassinnen aus, von denen 15,7 % vorwiegend diese Einkommensquelle anführten. Angesichts der geringen Anzahl von Seniorinnen im Strafvollzug gab es deutlich mehr Rentnerinnen und Pensionärinnen (23 %) in der weiblichen Bevölkerung. Nur ein Bruchteil aller Frauen über 15 Jahren bezog jedoch Sozialhilfe (3,8 %) 69 oder Arbeitslosengeld bzw. -hilfe (3,5 %). Während bei den Insassinnen der Anteil der Arbeitslosengeld / -hilfeempfängerinnen (9 %) nur etwas höher liegt, fällt der außerordentlich hohe Anteil der Sozialhilfeempfängerinnen (31,4 %) im Strafvollzug im Vergleich zur weiblichen Bevölkerung auf. 70 Insbesondere die überproportional verbreitete Abhängigkeit von staatlichen Leistungen im Strafvollzug deutet auf eine schwierige Lebenslage vieler Insassinnen hin.

69

Statistisches Bundesamt 2006, S. 53 ff., Tab. 5.1. Leider ließ sich der Anteil der alleinerziehenden Sozialhilfeempfängerinnen wegen der vielen fehlenden Werte nicht exakt ermitteln: So war ein Viertel der Sozialhilfeempfängerinnen (n=80) alleinerziehend, wenn auf die Variable „gemeinsame Wohnung mit Kindern“ abgestellt wurde, und 37,5 % der Sozialhilfeempfängerinnen bei der Variablen „Familienstand“. 70

A. Beschreibung der Stichprobe für die Auswertung

377

VII. Krankheiten, Abhängigkeiten und andere Auffälligkeiten Informationen über den Gesundheitszustand der Insassinnen sind für die Gestaltung des Strafvollzugs im Hinblick auf die Haftraumunterbringung, die Arbeitszuteilung und etwaige Behandlungsmaßnahmen von Bedeutung. Das folgende Balkendiagramm vermittelt einen wenngleich unvollständigen Eindruck über registrierte Erkrankungen und andere Auffälligkeiten, wobei Mehrfachnennungen häufiger vorkamen. In den Gefangenenpersonalakten fanden sich keine Vermerke zu 59 Frauen. Die Zuordnung von somatischen und psychischen Krankheiten erfolgte mit Hilfe des ICD-10 2007 (German Modification).

  Abb. 16: Krankheiten und Auffälligkeiten der Insassinnen

Bezogen auf die Stichprobe (n=330) fällt der hohe Anteil der Betäubungsmittelabhängigen (39,4 %) im Strafvollzug auf. Die Drogengefährdeten, Haschischund Tablettenkonsumentinnen samt den Alkoholikerinnen machten insgesamt

378

Teil 6: Die Entlassenenjahrgänge der JVA Willich II und der JVA Aichach

sogar 50 % der gesamten Stichprobe aus. 71 Das Hauptproblem bilden also stoffgebundene Abhängigkeiten und in manchen Fällen übermäßiger Konsum. Da mit den Gefangenenakten nur das Hellfeld erfasst werden kann, scheiden natürlich Aussagen zur Dunkelziffer aus. 72 Während meldepflichtige Krankheiten wie Tuberkulose (2), Aids oder Geschlechtskrankheiten selten oder überhaupt nicht zu verzeichnen waren, traten meldepflichtige Hepatitiserkrankungen 73 (12,4 %) vor allem bei Drogenabhängigen gehäuft auf. Außerdem gab es elf Schwangere, zwei Frauen vermuteten eine Schwangerschaft. Andere Krankheiten wiesen 17 % der Insassinnen auf, von denen einige Frauen mehr als eine Erkrankung hatten. 74 Es handelte sich dabei um ein weites Spektrum, das unterschiedliche chronische Erkrankungen wie auch verschiedene temporäre Krankheiten mit leichtem bis letztlich tödlichem Verlauf erfasst. Über Herz- und Kreislaufprobleme klagten neun Frauen. 75 Unter Migräne bzw. Kopfschmerzen litten sechs Frauen. Bluthochdruck (5), Diabetes (5), schlechte Blutwerte (1) machten mehreren Insassinnen 76 zu schaffen. Erkrankungen der inneren Organe gaben 13 Insassinnen an. 77 Gelenk- und Knochenkrankheiten kamen in 16 Fällen vor. 78 Zwei Schwerbehinderte mit Teilprothesen befanden sich im Strafvollzug. 79 An Multipler Sklerose war eine Frau erkrankt. Bei manchen Beschwerden wie Atemnot (1), Herzrasen (1) und Schlafstörungen (1) konnte keine Zuordnung zu einem somatischen und / oder psychischen Leiden vorgenommen werden. Psychische Auffälligkeiten wurden bei 13,3 % der Insassinnen registriert. Am häufigsten kamen Depressionen (9) vor. 80 Acht Frauen wiesen eine dependante, narzisstische, kombinierte oder dissoziale Persönlichkeitsstörung auf. Das Bor71

184 Fälle (Haschischkonsumentin, Drogengefährdete, Tablettenkonsumentin, Alkoholikerin und Betäubungsmittelabhängige) mit Mehrfachnennungen. 72 Gerade Tablettenabhängigkeiten bleiben oft unentdeckt, aber auch Alkohol- und Drogenmissbrauch kann im Vollzug verborgen werden. 73 Es handelt sich vor allem um Hepatitis C. 74 Im Fragebogen wurde mit der Variablen „Krankheit“ zwar nur ein nicht näher bestimmtes Leiden erfasst, doch wurden mit Hilfe der Textvariablen verschiedene Krankheiten eines Individuums aufgenommen. 75 Herzbeschwerden (5), Herzinfarktgefahr (2), Kreislaufprobleme (1). 76 Bluthochdruck und Diabetes waren teilweise gleichzeitig angegeben. 77 Bauchoperation (1), Bronchitis (2), Darmbeschwerden (1), Krebs (4), Leberzirrhose (1), Lungenerkrankung (1), Magenschmerzen (2), Morbus Crohn (1), Nierenschmerzen (1), Schilddrüse (2). 78 Arthritis (2), Bandscheibenvorfall (2), Fußverstauchung (1), Handoperationen (1), Kniebeschwerden (2), Knochenbruch (2), Osteoporose (1), Rheuma (2), Rippenprellung (1), Rückenbeschwerden (2). 79 An weiteren Beschwerden wurde von jeweils einer Frau angeführt: Atemnot, Augenprobleme, Gliederschmerzen, gynäkologische Beschwerden, Hautprobleme, geschwollene Beine, Kopfbeule, Schuppenflechte, Tinnitus, Zahnschmerzen, Zyste.

A. Beschreibung der Stichprobe für die Auswertung

379

derline-Syndrom trat bei sieben Insassinnen auf. Eine Minderbegabung hatten fünf Frauen. Essstörungen (Bulimie, Adipositas) wurden in drei Fällen eingetragen. Jeweils zwei Frauen fielen wegen ihrer aggressiven Grundstruktur, ihrer (emotional-labilen) erregbaren Persönlichkeit, einer (depressiven) Neurose sowie ihrer Spielsucht auf. 81 Bei 6,4 % der Insassinnen bestand die Gefahr der Selbstschädigung oder des Selbstmordes. Bei fünf Frauen waren traumatische Erlebnisse wie sexueller Missbrauch bzw. Vergewaltigung in der Kindheit und Gewalterfahrungen aktenkundig geworden. Bei den psychischen Auffälligkeiten war nicht selten Komorbidität zu beobachten. Schließlich muss nochmals betont werden, dass die registrierten Daten zu somatischen und psychischen Krankheiten nur einen Ausschnitt aus der Spannbreite der Beschwerden der Insassinnen wiedergeben. In Bezug auf die stoffgebundenen Abhängigkeiten wurde der Gebrauch verschiedener Suchtmittel erfasst, um Erkenntnisse über den Rauschmittelkonsum zu gewinnen. 82 Es gab 160 Erklärungen zu akuten Suchterkrankungen, von denen 107 Angaben zum Rauschmittelgebrauch enthielten (Abb. 17). 36,4 % der Abhängigen konsumierten verschiedene Substanzen. 83 Erwartungsgemäß kommt der Heroinmissbrauch (55,7 %) am häufigsten vor. Mit Abstand folgt der Alkoholkonsum (34,9 %). Von Bedeutung ist noch der Gebrauch von Amphetaminen bzw. Tabletten bei 17,9 % der Frauen. Beim Mehrfachgebrauch wurde dementsprechend im Wesentlichen zu Amphetaminen bzw. Tabletten, Heroin und Alkohol gegriffen. Eine untergeordnete Rolle spielten Kokain, Haschisch bzw. Cannabis, Ecstasy und Crack.

80 Erwartungsgemäß liegt die Depression (2,7 %) an der Spitze der registrierten psychischen Erkrankungen. Doch ist die Dunkelziffer im Strafvollzug vermutlich weitaus höher. Denn laut Bundes-Gesundheitssurvey von 1998 hatten 7,8 % der Frauen zwischen 18 und 65 Jahren in den vorangegangenen vier Wochen eine Depression, Robert Koch Institut 2006, S. 29. 81 Des Weiteren wurden bei jeweils einer Frau folgende Auffälligkeiten vermerkt: ADHS (Hyperaktivität), hirnorganische Störung, hysterische Züge, keine moralischen Leitlinien, Legasthenie, Psychose, seelische Störung wegen Polytoxikomanie, Störung der Impulssteuerung, Verwahrlosungsgenese, zwanghafte Ordnungsliebe. 82 Angaben zu den einzelnen Rauschmitteln liegen bei 107 Insassinnen von 160 Abhängigen vor. Die Zahl der Abhängigen fällt im Vergleich zur Fußnote 71 etwas niedriger aus, weil ehemalige Abhängige und bloße Konsumentinnen nicht erfasst wurden; die Unterscheidung ergab sich aus der Bezeichnung nach Aktenlage. 83 Einzelheiten zu den Suchtstoffen gab es nicht bei neun Frauen; Nikotinabhängigkeit wurde nicht erfasst, zumal in den Gefangenenakten hierzu in der Regel keine Angaben vorlagen.

380

Teil 6: Die Entlassenenjahrgänge der JVA Willich II und der JVA Aichach

  Abb. 17: Arten des Rauschmittelkonsums bei stoffgebundener Abhängigkeit

VIII. Inhaftierungsgrund und Delinquenz Der Aufnahme im Strafvollzug können eine oder mehrere Einweisungsstrafen zugrunde liegen. Bei der Datenaufnahme wurden höchstens vier Aufnahmegründe berücksichtigt. Hinsichtlich des jeweiligen Einweisungsgrunds wurden die schwerste Deliktsgruppe 84 und ggf. eine weitere Deliktsgruppe in acht Deliktskategorien aufgenommen. Anschließend wurde die Art der Strafe samt ihrer Strafhöhe erfasst. 1. Inhaftierung nach Deliktsgruppe Zur Inhaftierung führte in fast der Hälfte (162) der Fälle eine Verurteilung aufgrund von Straftaten (n=330). 85 Aus der nachstehenden Tabelle ergibt sich die als schwerste eingestufte Deliktsgruppe mit ihrer Häufigkeit als Einweisungsgrund. 86 84 Es handelt sich um eine subjektive Einschätzung, bei der die Höhe der Freiheitsstrafe berücksichtigt wurde. 85 Bei drei Frauen beruhte der zweite bzw. dritte Einweisungsgrund nicht auf einem Delikt und wurde deshalb hier nur einfach gezählt, eine Frau war sogar zwei Mal in Zivilhaft. 86 Bei sechs Frauen war sieben Mal die Deliktsgruppe, bei einer vier Einweisungsgründe unbekannt, bei drei Frauen lag vier Mal wegen Zivilhaft kein Delikt vor.

A. Beschreibung der Stichprobe für die Auswertung

381

Tabelle 65 Schwerste Deliktsgruppe als Einweisungsgrund 1x Einweisungs- 2x Einweisungs- 3x Einweisungsgrund grund grund

mind. 4x Einweisungsgrund

Betäubungsmitteldelikte

93

22

5

0

Straßenverkehrsdelikte

12

1

1

0

Vermögensdelikte

63

17

8

2

Eigentumsdelikte

70

33

9

8

Raub / Erpressung

27

1

0

0

Körperverletzungsdelikte

18

3

0

0

Tötungsdelikte

13

0

0

0

sonstige Delikte

36

5

2

0

36,4 % der Frauen waren wegen 195 Diebstahlstaten als schwerster Deliktsgruppe von vier Einweisungsgründen inhaftiert. In 152 Fällen hatte genau ein Drittel ein Betäubungsmitteldelikt begangen. 27,3 % hatten 129 Vermögensstraftaten verübt. Diese drei Deliktsgruppen bilden somit als schwerste Deliktsgruppe die mit Abstand wichtigsten Inhaftierungsgründe. 87 Einen Raub oder eine räuberische Erpressung (29) begingen lediglich 28 Frauen. Nahezu bedeutungslos waren Körperverletzungs- und Tötungsdelikte. Zu den sonstigen Delikten gehören unter anderem Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung wie beispielsweise (schwerer) sexueller Missbrauch von Kindern (§§ 176, 176a StGB), Zuhälterei (§ 181a StGB) und Ausübung der verbotenen Prostitution (§ 184a StGB). Der Anteil der Gewaltdelikte liegt nach dieser Untersuchung um 20 %. 88 Es ist bemerkenswert, dass nur ein Teil der Frauen bei den schwersten Einweisungsgründen in den jeweiligen Deliktsgruppen mehrfach einschlägig auffiel. Bei 84,5 % der wegen Betäubungsmitteln Verurteilten (n=110) und bei 70 % 87 Auch ungeachtet der eingerechneten Mehrfachtäterinnen: Zieht man nur den 1. Einweisungsgrund heran, so zeigt sich, dass gut zwei Drittel (226) wegen einer der drei Deliktsgruppen im Strafvollzug waren. 88 18,8 % mit Raub / räuberischer Erpressung, Köperverletzungs- und Tötungsdelikten; Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und gegen die persönliche Freiheit nach StGB waren nicht quantifizierbar.

382

Teil 6: Die Entlassenenjahrgänge der JVA Willich II und der JVA Aichach

der wegen Vermögensdelikten Verurteilten (n=90) bildeten diese schwersten Deliktsbereiche nur ein Mal den Einweisungsgrund. Bei den Eigentumsdelikten waren es noch 58,3 % der Verurteilten mit Diebstahl (n=120) als einmaliger Inhaftierungsstrafe. Neben den vier schwersten Inhaftierungsgründen wurde diesbezüglich eine weitere Deliktsgruppe erfasst. In 43 Fällen wurde zusätzlich eine weitere Deliktsgruppe bei der ersten Einweisungsstrafe verwirklicht. Davon entfielen je acht Taten auf Betäubungsmittel-, Diebstahls- und Körperverletzungsdelikte sowie fünf Taten auf Vermögensstraftaten. Beim zweiten und dritten Inhaftierungsgrund gab es jeweils nur noch acht weitere Straftaten in den Bereichen Betäubungsmittel-, Diebstahls-, Körperverletzungs- und Straßenverkehrsdelikte wie den sonstigen Straftaten. Schließlich lässt sich festhalten, dass die Insassinnen in der Regel Straftaten ohne Gewalt verübt hatten. Während die Hälfte nur einen schwersten Einweisungsgrund für den Strafvollzug aufwies, lagen der anderen Hälfte mehrere schwerste Einweisungsstrafen zugrunde. Während bei den Diebstahlsdelikten vermehrt einschlägige Einweisungsstrafen (41,7 %) auftraten, waren bei der Betäubungsmittel- und Vermögenskriminalität in der Regel unterschiedliche Deliktsgruppen für die Inhaftierung ausschlaggebend. 2. Art der Freiheitsentziehung und Strafmaß bei Einweisungsstrafen Aufgrund einer Einweisungsstrafe befanden sich 48,5 % der Frauen (n=330) im Strafvollzug. 24,5 % der Frauen wiesen zwei Einweisungsstrafen und 17,3 % drei Einweisungsstrafen auf. Mindestens vier Einweisungsstrafen führten bei 9,7 % der Insassinnen zur Inhaftierung. Bei diesem kleinen Teil handelt es sich um eine auffällige Gruppe mit mehreren Verurteilungen. Die Einweisungsstrafen beruhten auf unterschiedlichen Arten von Freiheitsentzug. Zuvörderst standen die unbedingte Freiheitsstrafe, der Bewährungswiderruf und der Reststrafenwiderruf. Aufgrund des Untersuchungsdesigns hatten die Jugendstrafe, die Ersatzfreiheitsstrafe und sonstiger Freiheitsentzug 89 wenig Bedeutung. Ausnahmsweise wurde neben der Einweisungsstrafe eine stationäre Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet. Es handelt sich in zwei Fällen um die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) und in zwölf Fällen um die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB). Die folgende Tabelle stellt die verschiedenen Einweisungsstrafen in ihrer Häufigkeit als Inhaftierungsgrund dar. Die angegebenen Gesamtzahlen zu den verschiedenen Einweisungsstrafen sind teilweise unvollständig, da lediglich vier Einweisungsgründe erfasst wurden. 89 Unter sonstigen Freiheitsentzug fallen die Zivilhaft, aber auch die in Einzelfällen gesondert aufgenommene Untersuchungshaft.

A. Beschreibung der Stichprobe für die Auswertung

383

Tabelle 66 Art der Freiheitsentziehung als Einweisungsgrund 1 Mal Einweisungsgrund Freiheitsstrafe (FS)

2 Mal Einweisungsgrund

3 Mal Einweisungsgrund

mind. 4 Mal EinweiEinweisungsstrafen sungsinsgesamt grund

201

38

8

2

309

Jugendstrafe (JS)

5

0

0

0

5

Bewährungswiderruf FS

74

19

1

0

115

Bewährungswiderruf JS

2

0

0

0

2

Reststrafenwiderruf FS

48

20

11

2

129

Reststrafenwiderruf JS

7

0

0

0

7

Ersatzfreiheitsstrafe

23

4

1

0

34

sonstiger Freiheitsentzug

17

2

0

0

21

Drei Viertel der Frauen waren wegen mindestens einer unbedingten Freiheitsstrafe inhaftiert. Die Einweisung basierte bei 28,5 % der Insassinnen auf zumindest einem Widerruf einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe. Ein Viertel war von mindestens einem Widerruf einer ausgesetzten Restfreiheitsstrafe betroffen. Bezogen auf die Gesamtzahl aller ermittelbaren Einweisungsstrafen (622) hatte der Widerruf von Aussetzungsentscheidungen bei (Rest-)Freiheitsstrafen und (Rest-)Jugendstrafen mit 40,7 % einen großen Anteil. Eine oder mehrere Ersatzfreiheitsstrafen wurden an insgesamt 28 Frauen (8,5 %) vollstreckt. 90 Der Mittelwert und der Median für einzelne Einweisungsstrafen ergeben sich aus der nachstehenden Tabelle.

90

Der Anteil der Frauen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßten, ist höher, weil bei der Stichprobenbildung die bloße Verbüßung von Ersatzfreiheitsstrafen in der Regel ausgenommen wurde. Dies gilt ebenso für die Jugendstrafe.

384

Teil 6: Die Entlassenenjahrgänge der JVA Willich II und der JVA Aichach Tabelle 67 Mittelwert und Median der Einweisungsstrafen in Jahren N Freiheitsstrafe (FS)

Mittelwert

Median

307

1,69

0,83

5

1,57

1,50

Bewährungswiderruf FS

115

0,62

0,50

Reststrafenwiderruf FS

128

1,16

0,83

Reststrafenwiderruf JS

6

1,81

1,67

Jugendstrafe (JS)

Bei den unbedingten Freiheitsstrafen fällt der Mittelwert deutlich höher als der Median aus, was auf wenige Freiheitsstrafen mit hohem Strafmaß zurückzuführen ist: So wurde auf eine lebenslängliche Freiheitsstrafe in zwei Fällen 91, eine 13-jährige Freiheitsstrafe, eine achtjährige Freiheitsstrafe und auf eine siebenjährige Freiheitsstrafe in vier Fällen erkannt. Der Median macht jedoch deutlich, dass die Strafdauer bei einem großen Teil der unbedingten Freiheitsstrafen unter einem Jahr liegt. Demgegenüber stimmen bei der Jugendstrafe beide Maße nahezu überein. Dieser Umstand ist sicherlich sowohl auf das höhere Mindestmaß als auch das niedrigere Höchstmaß der Jugendstrafe (§ 18 Abs. 1 JGG) zurückzuführen, obgleich die vorliegende Fallzahl zu klein und damit kaum aussagekräftig ist. Bei einem Bewährungswiderruf der ausgesetzten Freiheitsstrafe bis höchstens zwei Jahre sind der Mittelwert und der Median erwartungsgemäß am niedrigsten. In diesem Zusammenhang interessiert vor allem das Strafmaß der verschiedenen Einweisungsstrafen bis zu zwei Jahren, um Erkenntnisse über die Häufigkeit der gemäß § 47 Abs. 1 StGB unerwünschten Freiheitsstrafen unter sechs Monaten und über die aussetzungsfähigen Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren (§ 56 Abs. 1, 2 StGB) zu gewinnen (Tab. 68). Der Widerruf von ausgesetzten (Rest)Freiheitsstrafen sowie die Verhängung von unbedingten Freiheitsstrafen unter sechs Monaten machen 31,8 % aller vollstreckten Freiheitsstrafen der vier Einweisungsgründe (n=553) aus. Angesichts des auffallend hohen Anteils von unter sechsmonatigen Freiheitsstrafen kann in der Vollzugspraxis vom Ausnahmecharakter der kurzen Freiheitsstrafe nicht gesprochen werden. Zu einem Anstaltsaufenthalt unter sechs Monaten kommt 91 Eine Lebenslängliche verbüßte wegen der Schwere der Schuld eine gut 22-jährige Freiheitsstrafe, die für die Berechnung des Mittelwerts herangezogen wurde. Die andere Lebenslängliche wurde in Thailand verurteilt und nach mehreren Jahren dort in ein Gefängnis nach Deutschland überstellt (Gesetz zu dem Vertrag v. 26. 3. 1993 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Thailand über die Überstellung von Straftätern und über die Zusammenarbeit bei der Vollstreckung von Strafurteilen, v. 4. 12. 1995, BGBl. 1995 II S. 1010); es handelt sich um einen Sonderfall, bei dem für den Mittelwert noch die in Deutschland zu verbüßende formelle Haftdauer von acht Jahren und elf Monaten aufgenommen wurde.

A. Beschreibung der Stichprobe für die Auswertung

385

Tabelle 68 Anzahl der Einweisungsstrafen von bis zu zwei Jahren unter 6 Monaten Freiheitsstrafe (FS) Jugendstrafe (JS) Bewährungswiderruf FS

6 Monate bis 1 Jahr

über 1 Jahr bis 2 Jahre

insgesamt bis 2 Jahre

96

67

45

208

0

0

4

4

46

46

23

115

Bewährungswiderruf JS

1

1

0

2

Reststrafenwiderruf FS

34

34

33

101

Reststrafenwiderruf JS

0

1

3

4

es noch in weiteren Fällen wie bei einer Zwei-Drittel-Entlassung bei Freiheitsstrafen von sechs bis neun Monaten, beim Widerruf einer Reststrafe unter sechs Monaten, bei der Anrechnung von Untersuchungshaft sowie bei Ersatzfreiheitsstrafen. Auch wenn die Stichprobe keine genauen Feststellungen zur Haftdauer einer jeden Einweisungsstrafe ermöglicht, lässt sich konstatieren, dass im Strafvollzug eine beträchtliche Anzahl von „versteckten“ Freiheitsstrafen unter sechs Monaten vollstreckt wird. Eine Zurückdrängung der kurzen Freiheitsstrafe und von Inhaftierungszeiten unter sechs Monaten ist somit im Frauenvollzug entsprechend der Stichprobe nicht erfolgt, so dass die Rechtsprechung und die Vollzugspraxis in diesem Bereich der Intention des Gesetzgebers zuwiderlaufen. 3. Dauer des Aufenthalts in einer Justizvollzugsanstalt Nicht selten verbüßen Gefangene mehrere Einweisungsstrafen 92 mit einem formalen Entlassungszeitpunkt. Im Falle einer vorzeitigen Entlassung verkürzt sich der Anstaltsaufenthalt. Verlegungen aufgrund der Zuständigkeitsregelungen im Vollstreckungsplan und aus anderen Gründen führen zudem zu einer kürzeren Verweildauer in den Justizvollzugsanstalten. Deshalb erfasst Tabelle 69 die formelle und tatsächliche Haftdauer unter Berücksichtigung der Erhebungsanstalt. 93 Natürlich sind bei der formellen Haftdauer der Mittelwert und der Median höher als bei der tatsächlichen Haftdauer. Bei der formalen Haftdauer erstaunt jedoch der bei gut zwei Jahren liegende Mittelwert und der bei einem Jahr und vier Monaten angesiedelte Median, da diese Werte im unteren Bereich der aussetzungsfähigen Freiheitsstrafen liegen. Hinsichtlich der tatsächlichen Haftdauer 92 93

den.

Vgl. Teil 7 A. VIII. 2. Bei einer Entlassenen konnte das formale Ende der Strafzeit nicht festgestellt wer-

386

Teil 6: Die Entlassenenjahrgänge der JVA Willich II und der JVA Aichach Tabelle 69 Haftdauer in Jahren N

Maximum Mittelwert

Median

Standardabweichung

formale Haftdauer

329

22,13

2,05

1,35

2,09

tatsächliche Haftdauer

330

22,13

1,37

1,07

1,62

tatsächliche Haftdauer in der Erhebungsanstalt

330

20,37

1,16

0,88

1,42

liegt der Median mit gut einem Jahr im Bereich des sog. Kurzstrafenvollzugs. 94 Diese Zwölfmonatsgrenze gilt als vollzugspragmatische Handhabung, die sich aus der bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschrift zu § 6 StVollzG ergibt. Danach ist in der Regel eine Behandlungsuntersuchung bei einer Vollzugsdauer bis zu einem Jahr nicht erforderlich. Im Ergebnis lassen sich im Durchschnitt relativ kurze Aufenthalte in den Erhebungsanstalten feststellen, die die Verwirklichung eines Behandlungsvollzuges im Sinne des StVollzG erschweren könnten. Tabelle 70 stellt die formale und tatsächliche Haftdauer in Zeitintervallen dar. Der Kurzstrafenvollzug bis zu einem Jahr betraf nach der formalen Haftdauer 36,2 % der Entlassenen. Die tatsächliche Strafzeit reichte jedoch für 49,1 % höchstens bis zu einem Jahr. Der Kurzstrafenvollzug charakterisiert demnach den Vollzugsalltag in beiden Erhebungsanstalten. 95 Während die formale Strafzeit bei 63,8 % der Frauen bis zu zwei Jahren betrug, dauerte die tatsächliche Haft für 81,2 % höchstens solange. Die Haftzeit überstieg nur bei einem guten Drittel in formeller Hinsicht zwei Jahre und bei einem knappen Fünftel in tatsächlicher Hinsicht. Anstaltsaufenthalte im unteren Bereich bis zu zwei Jahren kommen demnach in beiden Frauenanstalten mit Abstand am häufigsten vor. Noch geringer fällt die Verweildauer in den beiden Erhebungsanstalten infolge von Verlegungen aus, so dass der längste Aufenthalt bei gut zwanzig Jahren liegt. 50,9 % der Stichprobe wurde mindestens ein Mal verlegt. Größtenteils gingen die Verlegungen im gleichen Bundesland entweder in Bayern oder in NordrheinWestfalen vonstatten. Nur in Einzelfällen erfolgte eine Verlegung aus einem anderen Bundesland oder aus dem Ausland. Weitere Verlegungen kamen in 8,2 % der Fälle vor. In der Regel fand eine Verlegung infolge der Zuständigkeit im Rahmen der Vollstreckung (81,7 %) statt. Eine anstaltsorganisatorische Verlegung 94 Näher zur Definition des Kurzstrafenvollzugs Dolde / Jehle, ZfStrVo 1986, S. 196; Dolde, ZfStrVo 1999, S. 330. 95 Die Zahlen im Kurzstrafenvollzug liegen sicherlich höher, da in die Gefangenenpersonalaktenanalyse die Verbüßung von reinen Ersatzfreiheitsstrafen nach Möglichkeit nicht einbezogen wurde.

A. Beschreibung der Stichprobe für die Auswertung

387

Tabelle 70 Formale und tatsächliche Haftdauer formale Haftdauer Häufigkeit

tatsächliche Haftdauer

Prozente

Häufigkeit

Prozente

bis 6 Monate

45

13,7

79

23,9

über 6 Monate bis 1 Jahr

74

22,5

83

25,2

über 1 Jahr bis 1 ½ Jahre

57

17,3

70

21,2

über 1 ½ bis 2 Jahre

34

10,3

36

10,9

über 2 bis 3 Jahre

53

16,1

36

10,9

über 3 bis 4 Jahre

31

9,4

12

3,6

über 4 bis 6 Jahre

21

6,4

11

3,3

über 6 bis 8 Jahre

10

3,0

2

0,6

über 8 bis10 Jahre

2

0,6

0

0,0

über 10 bis 14 Jahre

1

0,3

0

0,0

22 bis 24 Jahre

1

0,3

1

0,3

329

100,0

330

100,0

gesamt

wurde in 7,3 % der Fälle vorgenommen und eine disziplinarische Rückverlegung in den geschlossenen Vollzug in 3 % der Fälle. 96 Die Zuständigkeit für die Vollstreckung wechselt vor allem bei Untersuchungshaft nach der Urteilsverkündung und führt zu einer Verlegung in eine andere Anstalt zur Verbüßung der Freiheitsstrafe. Dies verdeutlicht Übersicht 18, die die Mittelwerte der Untersuchungshaft in Tagen bezogen auf Verlegungen in die beiden untersuchten Anstalten darstellt.

  Abb. 18: Mittelwerte von U-Haft in Tagen bezogen auf Verlegungen

96 Jeweils eine Frau wurde zur Behandlung, zur Entlassungsvorbereitung, wegen Überbelegung, Suizidabsichten und wegen eines Krankenhausaufenthaltes verlegt sowie jeweils zwei Frauen in Abweichung vom Vollstreckungsplan und aus dem Maßregelvollzug.

388

Teil 6: Die Entlassenenjahrgänge der JVA Willich II und der JVA Aichach

Im Vergleich der Mittelwerte zeigt sich, dass Entlassene ohne Verlegungen im Durchschnitt gut einen Monat in Untersuchungshaft verbracht hatten. Demgegenüber ist der Mittelwert bedeutend höher, sobald eine Verlegung stattgefunden hatte: Im Falle einer Verlegung saßen die Frauen durchschnittlich nahezu vier Monate in Untersuchungshaft und im Falle von mehreren Verlegungen über vier Monate. Dieser Befund trifft auf die Untersuchungshäftlinge (n=161) mit und ohne Verlegung(en) zu: Während die 62 nicht verlegten Inhaftierten im Schnitt 85,1 Tage (2 1/2 Monate) in Untersuchungshaft verbrachten, saßen 99 Inhaftierte mit einer Verlegung 188,2 Tage (ca. 6 Monate) und mit mehreren Verlegungen 196,2 Tage (6 1/2 Monate) in Untersuchungshaft. Tabelle 71 Mittelwertsanalyse F-Test auf Mittelwertsgleichheit

Verlegungen n=321 F 16,962

Zusammenhangsmaße

Eta 0,310

Signifikanz 0,000 Eta-Quadrat ,096

Verlegungen U-Haft n=161 F 8,677 Eta 0,315

Signifikanz 0,000 Eta-Quadrat ,099

Der beobachtete Unterschied der Dauer von Untersuchungshaft hinsichtlich Verlegungen ist dem F-Test zufolge bezogen auf die gesamte Stichprobe und die Gruppe der Untersuchungshäftlinge höchst signifikant (Tab. 71). Einen positiven Zusammenhang zwischen der unabhängigen Variablen Verlegungen und der abhängigen Variablen Dauer von Untersuchungshaft veranschaulicht Eta, wobei der Wert von Eta-Quadrat eine proportionale Fehlerreduktion um etwa 10 % angibt. Bei mindestens einer Verlegung hält demnach die Untersuchungshaft im Schnitt länger an als bei einer Inhaftierung ohne Verlegung. Aus diesem Befund lässt sich schließen, dass die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe neben der Beendigung der Untersuchungshaft einen Zuständigkeitswechsel für die Vollstreckung der Strafhaft herbeiführt. 97 Aufgrund der Anrechnung auf die Freiheitsstrafe war die Untersuchungshaft Bestandteil der formalen Haftzeit bei 161 Entlassenen. Da der Behandlungsvollzug erst mit dem Vollzug der Freiheitsstrafe eingeleitet wird, verringert sich mit der Untersuchungshaft weiter der Zeitraum für die Durchführung von zeitaufwendigen Behandlungsmaßnahmen. Die folgende Abbildung stellt die Dauer der Untersuchungshaft in Tagen dar. 97

falen.

Vgl. auch die Vollstreckungspläne der Bundesländer Bayern und Nordrhein-West-

A. Beschreibung der Stichprobe für die Auswertung

389

  Abb. 19: Länge der Untersuchungshaft in Tagen

Die Untersuchungshaft reichte von einem Tag bis zu 688 Tagen. Während der Mittelwert 149,3 Tage beträgt, liegt der Median bei 79 Tagen. § 121 Abs. 1 StPO sieht eine Begrenzung der Untersuchungshaft auf sechs Monate vor. Nur in Ausnahmefällen und auf Anordnung des OLG ist eine Überschreitung dieses Zeitraums zulässig (§ 121 Abs. 2 StPO). Vorliegend wurde die Sechsmonatsgrenze bei ungefähr 50 Frauen überschritten. Ein Anspruch auf beschleunigte Aburteilung ergibt sich für den Beschuldigten sowohl aus Art. 5 Abs. 3 S. 2 EMRK als auch aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nach Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG. Eine absolute Höchstgrenze für die Dauer von Untersuchungshaft enthält jedoch weder die StPO noch die EMRK. Bei 21 Frauen dauerte die Untersuchungshaft mindestens ein Jahr. In einem Fall erstreckte sich die Untersuchungshaft sogar auf nahezu zwei Jahre. Die Rechtsprechung des EGMR legt an die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft über zwei Jahre strenge Maßstäbe an und hält eine sechsjährige Untersuchungshaft unabhängig von Verfahrensschwierigkeiten für unzulässig. 98 Die vorliegende Höchstdauer von 688 Tagen bewegt sich demnach noch unterhalb der prekären Zweijahresgrenze für die Untersuchungshaft.

98

Vgl. Meyer-Goßner (2007), § 121 Rn. 1.

390

Teil 6: Die Entlassenenjahrgänge der JVA Willich II und der JVA Aichach

4. Urteilsauswertung hinsichtlich der Tatbegehung a) Schwerste Deliktsgruppe und Art der Strafe In manchen Gefangenenpersonalakten fehlten entweder die Urteile vollständig 99 oder das Urteil mit der schwersten Einweisungsstrafe. Kleinkriminalität wurde in der Regel mit Strafbefehlen und knapp begründeten Urteilen von Einzelrichtern an Amtsgerichten abgeurteilt. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick zur schwersten Deliktsgruppe des ausgewerteten Urteils. 100 Tabelle 72 Schwerste Deliktsgruppe des ausgewerteten Urteils Deliktsgruppen

Häufigkeit

Prozente

Betäubungsmitteldelikte

86

26,5

Diebstahlsdelikte

82

25,3

Vermögensdelikte

65

20,1

Körperverletzungsdelikte

25

7,7

Raub / räuberische Erpressung

21

6,5

Tötungsdelikte

12

3,7

Straßenverkehrsdelikte

11

3,4

sonstige Delikte

22

6,8

324

100,0

insgesamt

Entsprechend der vier Einweisungsstrafen stellen die Betäubungsmittel-, Eigentums- und Vermögensdelikte das Gros der Straftatengruppen (71,6 %). Gewaltdelikte mit und ohne Vermögensbezug machen etwa 17,9 % aus. 101 Wie schon oben festgestellt, spielen Gewalttätigkeiten eine untergeordnete Rolle. Bei der Tatausführung führten nur 15 Frauen (n=322) eine Waffe 102 mit sich und setzten diese auch während der Tatbegehung ein. Hiervon benutzten neun Frauen die Waffe als bloßes Drohmittel. Bei den Betäubungsmittelstraftaten gab es 36 Verurteilte, die Betäubungsmittel in nicht geringer Menge schmuggelten oder damit Handel trieben. 103 Die Art der Strafe ergibt sich aus der nächsten Tabelle. 104 In 99

Es handelt sich um fünf Gefangenenpersonalakten. Nach Möglichkeit wurde das Urteil mit der schwersten Einweisungsstrafe aus den vier möglichen Einweisungsstrafen einbezogen. 101 Es kommen wenige Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern hinzu, die unter sonstige Delikte erfasst wurden. 102 Vgl. zum Waffenbegriff im technischen Sinne § 1 Abs. 2 WaffG, zu dem auch Hiebund Stoßwaffen gehören. 100

A. Beschreibung der Stichprobe für die Auswertung

391

den Gesamtfreiheitsstrafen sind die nachträglich gebildeten Gesamtfreiheitsstrafen enthalten. Tabelle 73 Art der vollstreckten Strafe des ausgewerteten Urteils Art der Strafe

Häufigkeit Prozente

unbedingte Gesamtfreiheitsstrafe

140

43,3

unbedingte Freiheitsstrafe

100

31,1

56

17,3

4

1,2

14

4,3

Widerruf einer bedingten Jugendstrafe

7

2,2

Ersatzfreiheitsstrafe bei Uneinbringlichkeit der Geldstrafe

1

0,3

Widerruf einer bedingten Freiheitsstrafe Widerruf einer ausgesetzten Restfreiheitsstrafe unbedingte Jugendstrafe

Ersatzfreiheitsstrafe bei Uneinbringlichkeit der Gesamtgeldstrafe insgesamt

1

0,3

323

100,0

In Dreiviertel der Fälle wurde im Urteil auf eine unbedingte (Gesamt-)Freiheitsstrafe erkannt. Knapp ein Fünftel der Verurteilten wurde entweder zu einer bedingten Freiheitsstrafe oder einer bedingten Jugendstrafe verurteilt, deren Aussetzung zur Bewährung widerrufen wurde und einen Einweisungsgrund in eine der untersuchten Anstalten bildete. In vier Fällen führte der Widerruf einer ausgesetzten Restfreiheitsstrafe erneut in den Strafvollzug. Eine uneinbringliche (Gesamt-)Geldstrafe zog in zwei Fällen eine Ersatzfreiheitsstrafe nach sich. b) Höhe der materiellen Schäden 168 Urteile enthielten Angaben zur materiellen Schadenshöhe. 105 140 Urteilen zufolge hatten die Verurteilten keinen materiellen Schaden verursacht.

103 Zwanzig Frauen schmuggelten Betäubungsmittel, sieben nicht abhängige Frauen und neun drogenabhängige Frauen trieben Handel mit Betäubungsmitteln. Bei den fünfzig weiteren Verurteilten wegen Betäubungsmitteldelikten deckte der Schmuggel oder Handel den Eigenbedarf oder es wurden Betäubungsmittel in kleinen Mengen abgegeben. 104 Bei fünf Entlassenen fehlte das Urteil, bei einer Entlassenen fehlten Teile des Urteils; eine Entlassene war schuldunfähig (§ 20 StGB). 105 Aus 17 Urteilen ging nicht hervor, ob oder in welcher Höhe ein Schaden eingetreten war.

392

Teil 6: Die Entlassenenjahrgänge der JVA Willich II und der JVA Aichach Tabelle 74 Höhe der materiellen Schäden Häufigkeit

Prozente

1 bis 25 Euro

18

10,71

25 bis 100 Euro

28

16,67

über 100 bis 250 Euro

23

13,69

über 250 bis 500 Euro

12

7,14

über 500 bis 1000 Euro

14

8,33

über 1000 bis 2500 Euro

21

12,50

über 2500 bis 5000 Euro

18

10,71

über 5000 bis 10.000 Euro über 10.000 bis 60.000 Euro ab 100.000 Euro insgesamt

9

5,36

18

10,71

7

4,17

168

100,00

Die entstandenen Schäden reichten von einem Euro bis zu zwei Millionen Euro. Lediglich bei sieben Verurteilten war ein Schaden in Höhe von 100.000 Euro und mehr entstanden; bei 18 Verurteilten bewegte sich der Schaden zwischen 12.500 und 60.000 Euro; bei neun Verurteilten betrug die Schadenshöhe zwischen 5.500 und 9.000 Euro. Der einmalige Schaden in Zweimillionenhöhe und die sechs weiteren Schadensfälle ab 100.000 Euro wirkten sich stark verzerrend auf den Mittelwert mit einer Schadenshöhe von 25.692,76 Euro aus. Demgegenüber lag der deutlich niedrigere Median bei 568 Euro. Ein materieller Schaden in Höhe von 25 Euro führte bei 10,7 % der Frauen allein oder kumulativ zu einer Inhaftierung. Nach dem BGH gelten 25 Euro zurzeit als Grenze der Geringwertigkeit. 106 Bei solchen geringwertigen Tatobjekten hat § 248a StGB für die Zulässigkeit der Strafverfolgung im Rahmen von §§ 242, 246, 263 Abs. 4, 265a Abs. 3 StGB Bedeutung. 107 In einem Fall ging es um ein Fahrtentgelt in Höhe von zwei Euro für Beförderungserschleichung (§ 265a StGB). 108 Die erschlichene Fahrt zog eine unbedingte Freiheitsstrafe von zwei Monaten nach sich, die den einzigen Einweisungsgrund bildete. Zuvor war die Verurteilte mehrfach einschlägig aufgefallen. Eine einmonatige unbedingte 106

Fischer (2011), § 248a Rn. 3. Vgl. noch die Ausschlussklausel des Regelbeispiels in § 243 Abs. 2 StGB für § 243 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 – 6, welche bei geringwertigen Tatobjekten nur eine Verurteilung wegen einfachen Diebstahls zulässt. 108 Ergänzend wurden Angaben zu den Einweisungsgründen und den BZR-Einträgen herangezogen. 107

A. Beschreibung der Stichprobe für die Auswertung

393

Freiheitsstrafe bekam eine mehrfach einschlägig vorbestrafte „Schwarzfahrerin“, jedoch kamen noch zwei weitere Einweisungsgründe hinzu. In einem Urteil wurde wegen Diebstahls in Höhe von vier Euro auf eine drei- oder fünfmonatige unbedingte Freiheitsstrafe erkannt. 109 Zwei Verurteilungen zu unbedingten Freiheitsstrafen von vier und zwei Monaten ergingen wegen Diebstahls mit Schäden in Höhe von sechs und neun Euro, wobei jeweils zwei weitere Einweisungsgründe hinzutraten und bereits einschlägige Vorstrafen vorlagen. 110 Offensichtlich erfolgte die Strafverfolgung in diesen Fällen aufgrund eines Strafantrags des Geschädigten gem. § 248a StGB. Der Verurteilung zu an und für sich unerwünschten kurzen Freiheitsstrafen lag demzufolge eine Reihe von einschlägigen Vorverurteilungen zugrunde. Bei den sieben Urteilen mit außerordentlich hohen materiellen Schäden ab 100.000 Euro handelte es sich in vier Fällen um Betrügereien mit vier, sechs, elf und zwölf Geschädigten mit einer Schadenshöhe von 200.000, 500.000, 450.000 und 100.000 Euro. Zwei Verurteilte hatten sich einer Steuerhinterziehung mit einem Schaden von 280.000 Euro und 2 Millionen Euro schuldig gemacht. Diebstähle im Wert von 136.000 Euro hatte eine Frau an drei Geschädigten begangen. Angesichts der hohen Schäden 111 wurde durchweg eine unbedingte Freiheitsstrafe verhängt. Die Strafmaße fielen dabei sehr unterschiedlich aus: Die unbedingten Freiheitsstrafen bewegten sich zwischen anderthalb und viereinhalb Jahren. Das besondere Ausmaß der materiellen Schäden kann aber nur mit einer deliktsspezifischen Unterscheidung in Sach- und Vermögensschäden beurteilt werden. Von einem bedeutenden Fremdsachschaden im Sinne von §§ 142 Abs. 4, 315b Abs. 1 S. 1 und 315c Abs. 1 S. 1 StGB dürfte derzeit bei Schäden um 1.300 Euro ausgegangen werden. 112 Vorliegend wurde in zwei Fällen ein Fremdsachschaden bei Straßenverkehrsdelikten in Höhe von 1.500 und 5.500 Euro verursacht, so dass diesbezüglich von einem bedeutenden Sachschaden gesprochen werden kann. Beim Betrug liegt ein besonders schwerer Fall vor, wenn das Regelbeispiel eines Vermögensverlustes großen Ausmaßes in § 263 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB erfüllt ist. 113 Ein Vermögensverlust großen Ausmaßes erfordert 109

Es gab zwei Einweisungsgründe, denen jeweils ein Diebstahl zugrunde lag, so dass eine genaue Zuordnung nicht erfolgen konnte. 110 In zwei weiteren Fällen wog das weitere abgeurteilte Delikt schwerer als das Delikt mit einem materiellen Schaden von einem bzw. zwei Euro. 111 Die Schadenshöhe ist entscheidend für die Sanktionswahl mit deliktsspezifischen Differenzierungen, allerdings wird im Bereich der White-Collar-Kriminalität bei hohen Schadenssummen, beispielsweise 250.000 Euro, noch wegen „Geringfügigkeit“ eingestellt; bei der Strafzumessung spielt von den Tatmerkmalen die Schwere des Schadens eine zentrale Rolle; vgl. Streng (2002), S. 45 Rn. 80 und S. 300 Rn. 583. 112 Fischer (2011), § 142 Rn. 64, § 306e Rn. 3 und § 315 Rn. 16a; bei der Brandstiftung wird die Wertgrenze des erheblichen Schadens mit 2.500 Euro höher angesetzt.

394

Teil 6: Die Entlassenenjahrgänge der JVA Willich II und der JVA Aichach

eine tatsächlich eingetretene Schädigung, die nach objektivem Maßstab über den Rahmen durchschnittlicher Betrugsschäden hinausgeht. Entsprechend der gesetzgeberischen Intention nimmt der BGH einen derartigen Vermögensschaden ab 50.000 Euro an. 114 In sechs von sechzig Urteilen wegen Vermögensdelikten trat ein Vermögensverlust von 50.000 Euro und mehr ein. Nur ein Zehntel der Verurteilten einer Vermögensstraftat verursachten somit einen Vermögensschaden von großem Ausmaß. Ein Diebstahl in einem unbenannten besonders schweren Fall nach § 243 Abs. 1 StGB kommt bei gestohlenen Sachen von besonders hohem Wert in Betracht. 115 In der hierzu vorliegenden BGH-Entscheidung handelt es sich allerdings um einen von Amtsträgern begangenen Fall mit einer außergewöhnlich hohen Schadenssumme von etwa 1,1 Millionen Euro (2,2 Millionen DM). Um Anhaltspunkte zur tatsächlichen Verteilung der Schadenshöhen bei registrierten Diebstahlsdelikten zu erhalten, ist ein Vergleich der Schadenshöhen bei den Diebstahls- und Betrugsdelikten anhand der PKS 2004 und 2005 sinnvoll (s. Tab. 75). 116 Bei der registrierten Eigentums- und Vermögenskriminalität zeigt sich, dass über 90 % der Fälle einen Schaden von höchstens 2.500 Euro im Bereich der Diebstahlsdelikte und der Betrugsdelikte nach sich ziehen. Bei Schadenssummen über 2.500 Euro lassen sich bezogen auf Betrugsdelikte mehr Fälle mit hohen Schäden beobachten. Dies verdeutlicht auch eine Gegenüberstellung der Gesamtschadenssummen: Während sich 2005 bei den Diebstahlsdelikten das Schadensvolumen auf insgesamt 2.178.245.661 Euro beläuft, fällt bei den Betrugsdelikten mit deutlich weniger Registrierungen der Gesamtschaden mit 2.389.022.515 Euro dennoch höher aus. 117 Da die registrierten Straftaten in der PKS am Anfang des strafrechtlichen Filterprozesses stehen, vermindert sich im Laufe des Strafverfahrens durch staatsanwaltliche Einstellungen, Strafbefehle und Urteile mit ambulanten Sanktionen das Fallaufkommen beträchtlich. In den Strafvollzug kommen infolgedessen nur wenige Gefangene, die einen kleinen Ausschnitt aus den Tatverdächtigen des Hellfeldes bilden. Es verwundert daher nicht, dass bei diesen Kriminalitätsgebieten 14,7 % der wegen eines Diebstahlsdelikts Inhaftierten (n=75) 118 und 55 % der wegen eines Betrugsdeliktes Inhaftierten (n=60) 113

So auch in §§ 264 Abs. 2 S. 2 Nr. 1, 335 Abs. 2 Nr. 1, 267 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StGB und § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO. 114 In Anlehnung an § 264 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 StGB; BGHSt 48, S. 360. Diese Übernahme stößt im Schrifttum auf Kritik, weil die durchschnittliche Schadenshöhe in Betrugsfällen gem. § 263 StGB noch nicht mal ein Zehntel der Summe beträgt; vgl. Fischer (2011), § 263 Rn. 215 f., Wessels / Hillenkamp (2010), Rn. 591. 115 BGHSt 29, 322. 116 PKS 2004 und 2005, Tab. 07. 117 PKS 2005, Tab. 07; PKS 2004, Tab. 07: Schadenssumme bei Diebstahl insgesamt 2.239.044.074 Euro und bei Betrug 3.086.789.690 Euro; aber es lag eine Schadensüberhöhung durch Fehlerfassung in Baden-Württemberg (Diebstahl: 45.818.727 Euro, Betrug 171.000.000 Euro) vor.

A. Beschreibung der Stichprobe für die Auswertung

395

Tabelle 75 Höhe der materiellen Schäden bei Diebstahl und Betrug nach PKS 2004, 2005 2004

vollendete Diebstahlsdelikte Häufigkeit

vollendete Betrugsdelikte

Prozente

Häufigkeit

Prozente

1 bis unter 15 Euro

493.174

18,4

237.604

26,7

15 bis unter 50 Euro

327.071

12,2

153.625

17,3

50 bis unter 250 Euro

916.583

34,1

220.989

24,8

250 bis unter 500 Euro

405.256

15,1

80.621

9,05

500 bis unter 2.500 Euro

401.985

14,9

123.366

13,8

2.500 bis unter 5.000 Euro

67.019

2,5

27.748

3,1

5.000 bis unter 25.000 Euro

63.352

2,4

34.917

3,9

25.000 bis unter 50.000 Euro

6.914

0,3

6.788

0,8

50.000 Euro und mehr

3.490

0,1

4.909

0,6

2.684.844

100,0

890.567

100,0

insgesamt 2005

vollendete Diebstahlsdelikte

vollendete Betrugsdelikte

Häufigkeit

Prozente

Häufigkeit

Prozente

1 bis unter 15 Euro

424.936

17,2

241.583

27,0

15 bis unter 50 Euro

284.172

11,5

156.628

17,5

50 bis unter 250 Euro

829.718

33,5

216.097

24,2

250 bis unter 500 Euro

402.552

16,3

72.594

8,1

500 bis unter 2500 Euro

394.110

15,9

124.988

14,0

2500 bis unter 5000 Euro

66.324

2,7

30.450

3,4

5000 bis unter 25.000 Euro

62.938

2,5

39.337

4,4

25.000 bis unter 50.000 Euro

7.937

0,3

6.618

0,7

50.000 Euro und mehr

3.666

0,1

5.236

0,6

2.476.353

100,0

893.531

100,0

insgesamt

einen materiellen Schaden ab 2.500 Euro verursacht hatten. Dieser Befund veranschaulicht, dass insbesondere beim Betrug eine Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe bei einer Schadenshöhe von 2.500 Euro eher in Betracht 118

Die niedrigeren Fallzahlen im Vergleich zur schwersten Deliktgruppe des ausgewerteten Urteils beruhen darauf, dass die Tat im Versuchsstadium stecken geblieben war.

396

Teil 6: Die Entlassenenjahrgänge der JVA Willich II und der JVA Aichach

kommt als eine ambulante Sanktion. Aufgrund der tatsächlichen Schadensverteilung nach der PKS wird als Grenze für einen hohen Schaden bei Eigentumsund Vermögensstraftaten ein Wert in Höhe von 2.500 Euro herangezogen. 119 c) Geschädigte und Opfer Nach der ausführlichen Behandlung der Verteilung der Schadenshöhen geht es in Abb. 20 um die Zahl der Geschädigten pro verurteilter Frau.

  Abb. 20: Anzahl der Geschädigten je Verurteilter

Die Gesamtzahl der Geschädigten belief sich auf 526 Personen. Im Durchschnitt gab es 2,7 Geschädigte pro Verurteilter (n=195). Mehr als die Hälfte der verurteilten Frauen hatte eine Person geschädigt, so dass der Median bei 1 liegt. In einem Ausnahmefall hatte eine Verurteilte an 23 Personen materielle Schäden verursacht. Die Abbildung veranschaulicht, dass nur eine Minderheit der verurteilten Frauen eine große Anzahl von Menschen schädigte. 80,5 % der Verurteilten wiesen bis zu drei Geschädigte auf. Verurteilungen wegen Gewalttaten kamen erwartungsgemäß in der Stichprobe nicht häufig vor; 18 % von 322 Frauen 120 hatten mindestens ein Gewaltdelikt be119

Dünkel / Meyer-Velde, in Groß / Schädler 1990, Anhang S. 34 setzten ebenso einen hohen Schaden bei mehr als 5.000 DM an. 120 264 Verurteilte wendeten keine körperliche Gewalt an; bei drei Verurteilten fehlten diesbezüglich Angaben.

A. Beschreibung der Stichprobe für die Auswertung

397

gangen. 121 Körperliche Verletzungen fügten 58 Verurteilte insgesamt 81 Opfern zu. 43 Verurteilte (74,1 %) verletzten ein Opfer, zehn Verurteilte zwei Opfer, vier Verurteilte drei Opfer und eine Verurteilte sogar sechs Opfer. Der körperliche Angriff zog bei 31 Opfern (n=77) 122 keine weiteren Verletzungen nach sich. Verletzungen mit einer stationären Behandlung bis zu einer Woche erlitten 18 Opfer. Aufgrund von erheblichen Verletzungen mussten sich zehn Opfer einer längeren stationären Behandlung unterziehen. Bleibende Schäden nach schweren Verletzungen trugen zwei Opfer davon. 16 Opfer verstarben an ihren Verletzungen. Als schwere Verletzung ist jede kurzfristige stationäre Behandlung zu verstehen, so dass 59,7 % der Opfer schwere bis tödliche Verletzungen erlitten. Bezogen auf die Stichprobe (n=322) hatten 10,8 % der Verurteilten den Opfern schwere bis tödliche Verletzungen beigebracht. Es zeigt sich, dass die Zufügung schwerer bis tödlicher Verletzungen relativ oft vorkam, wenngleich die Verübung von Gewalttaten eine Ausnahme darstellt. Erneut ist darauf aufmerksam zu machen, dass aufgrund des Vollstreckungsplans in den beiden untersuchten Anstalten Frauen mit schwereren Gewalttaten untergebracht werden. d) Merkmale von besonders schweren Taten Kennzeichnet die begangene(n) Straftat(en) des ausgewerteten Urteils einen besonders schweren Handlungs- bzw. Erfolgsunwert, so scheidet die Verhängung von ambulanten Sanktionen nach Erwachsenenstrafrecht aus. 123 Bei Verbrechen und Vergehen mit höherem Unrechtsgehalt sieht das StGB als Strafdrohung lediglich eine Freiheitsstrafe vor, so dass das Gericht in diesen Fällen die Entscheidung über die Höhe der Freiheitsstrafe und gegebenenfalls über die Strafaussetzung der Freiheitsstrafe trifft. Die Verhängung einer unbedingten Freiheitsstrafe bzw. Jugendstrafe erfolgte bei allen fünfzehn Verurteilten, die eine Waffe oder ein Werkzeug einsetzten. Die besondere Gefährlichkeit des Gebrauchs einer Waffe oder eines (gefährlichen) Werkzeugs unterstreichen die Strafandrohungen von mindestens sechs Monaten Freiheitsstrafe bei einer gefährlichen Körperverletzung gem. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB und von mindestens drei Jahren bei einem schweren Raub gem. § 250 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Bei Gewaltdelikten, insbesondere (versuchten) Tötungsdelikten, wurde beim Großteil der 23 Frauen (82,6 %) auf eine unbedingte Freiheitsstrafe bzw. Jugendstrafe erkannt, auch wenn das Opfer keine weiteren Verletzungen 124 davontrug. 125 Bei Eigentums-, Vermögens- und Wirtschaftsde121 Da in der JVA Aichach und der JVA Willich II Frauen mit mittelschwerer und schwerer Kriminalität aufgenommen werden, ist der Anteil der Frauen mit Gewaltdelikten dort höher als in anderen Anstalten mit kleinen Frauenabteilungen für eher leichte Kriminalität. 122 Bei vier Opfern konnte der Grad der Verletzung nicht ermittelt werden. 123 Bei den nach JGG Verurteilten gelten bei der Verurteilung zu einer Jugendstrafe die Strafrahmen des StGB nach § 18 Abs. 1 S. 3 JGG nicht.

398

Teil 6: Die Entlassenenjahrgänge der JVA Willich II und der JVA Aichach

likten mit einem Schaden ab 2.500 Euro wurde eine unbedingte Freiheitsstrafe bzw. Jugendstrafe gegen 77,4 % der Verurteilten (n=53) verhängt. Die Zahlen aus der PKS 2004 und 2005 machen zudem deutlich, dass nur ein Bruchteil der Eigentums- und Vermögensdelikte einen Schaden ab 2.500 Euro verursachen. 126 Darüber hinaus wurden 36 Drogenkurierinnen und Drogendealerinnen, denen der Schmuggel oder Handel mit nicht geringen Mengen an Betäubungsmitteln nachgewiesen worden war, mit einer unbedingten Freiheitsstrafe bzw. Jugendstrafe belegt. 127 Aufgrund dessen charakterisieren vier tatbezogene Merkmale die Gruppe von Täterinnen, für die in der Regel eine Alternative zur unbedingten Freiheitsstrafe nicht mehr in Betracht kommen dürfte: 128 der Einsatz einer Waffe, sehr leichte bis tödliche Verletzungen bei Gewaltdelikten, Schäden ab 2.500 Euro bei Eigentums- und Vermögensdelikten sowie Handel mit bzw. Schmuggel von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. 129 Freilich handelt es sich hier um eine subjektive und restriktive Einschätzung der Tatschwere, die in ihren Einzelausprägungen auch Mehrfachnennungen umfasst (s. Abb. 21). Bei Tatbegehung erfüllten 47,6 % der Entlassenen (n=313) mindestens ein tatbezogenes Merkmal. Von den Verurteilten mit besonderer Tatschwere verwirklichte nur eine Minderheit von 8,8 % zwei tatbezogene Merkmale. 130 Der Erfolgs- und Handlungswert der begangenen Straftaten wog demnach nach den aufgestellten Kriterien besonders schwer. Allerdings verbüßte die Mehrheit der Entlassenen Freiheits- und / oder Jugendstrafen aufgrund von Vermögens- und Eigentumskriminalität mit relativ niedrigen Schäden ohne Gewaltbezug und / oder von Betäubungsmittelkriminalität mit geringen Mengen. 131 Richtet man das Augenmerk allein auf die besondere Schwere der Tat, so ließen sich für über die 124 Unter dem Begriff wurde die Zufügung von einfachen Hämatomen und Schürfwunden verstanden. Auch ein Fußtritt in den Bauch oder Schläge an den Oberkörper fielen darunter, sofern keine ärztliche Behandlung erforderlich war und den Urteilsgründen keine Anhaltspunkte für weitere Beschwerden aufgrund dieser Verletzungen entnommen werden konnten. 125 Beim Tod des Opfers wurden alle zwölf Frauen zu einer unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt. 126 Vgl. Tab. 74 Teil 7 A. VIII. 4. b). 127 In den Gefangenenpersonalakten von 32 Frauen war die Tätigkeit im Betäubungsmittelhandel und / oder -schmuggel vermerkt. 128 Freilich sind diese tatbezogenen Merkmale nicht abschließend zu verstehen. Überdies sind täterbezogene Strafzumessungsgründe wie die Vorstrafenbelastung und die Rückfallgeschwindigkeit von Bedeutung; vgl. § 46 StGB. 129 Im Unterschied hierzu erfasste die Untersuchung von Dünkel / Meyer-Velde 1990, S. 34 bei Gewaltdelikten nur schwere bis tödliche Verletzungen und Schäden über 5.000 DM bei Eigentums- und Vermögensdelikten; Handel und Schmuggel mit Betäubungsmitteln wurden dort nicht aufgenommen. 130 Verletzung und Waffengebrauch: acht Verurteilte; Verletzung und hoher Schaden: drei Verurteilte; Waffengebrauch und hoher Schaden: eine Verurteilte; Waffengebrauch und Betäubungsmittelhandel bzw -schmuggel: eine Verurteilte.

A. Beschreibung der Stichprobe für die Auswertung

399

  Abb. 21: Merkmale für eine besondere Schwere der Straftat

Hälfte der Frauen Überlegungen zur Verhängung von ambulanten Sanktionen anstellen. 132 Trotz konservativer Schwereeinschätzung erscheint diese Sichtweise jedoch zu optimistisch, da in die Strafzumessung eine Reihe von erschwerenden und mildernden Zumessungstatsachen einfließen. Dennoch lässt sich konstatieren, dass bei der Mehrheit die Begehung von Straftaten leichter bis mittlerer Schwere zu einer Inhaftierung führte. e) Tatbegehung mit berauschenden Stoffen, Beschaffungskriminalität, Schuldfähigkeit Unter dem Einfluss von Rauschmitteln standen 148 Verurteilte bei Tatbegehung (n=317). 133 Der folgenden Tabelle lässt sich entnehmen, ob die Tatbegehung im berauschten Zustand erfolgte und ob eine stoffgebundene Abhängigkeit 134 vorlag. 135 131 Hier ist erneut zu beachten, dass neben den ersten Einweisungsgrund noch andere Einweisungsgründe traten, die sich aus Freiheits-, Jugend- und Ersatzfreiheitsstrafen samt Zivilhaft zusammensetzten. 132 Dünkel (1992), S. 76 sieht aufgrund der Gefährlichkeitsanalyse „im Bereich der Freiheitsstrafe noch ungenutzte Potentiale für Alternativen zur Freiheitsstrafe“. 133 Neben den fünf fehlenden Urteilen lagen keine Angaben zu Rauschmitteln in acht weiteren Urteilen vor. 134 Variable zur Erklärung über stoffgebundene Abhängigkeiten (s. Teil 7 A. VII.).

400

Teil 6: Die Entlassenenjahrgänge der JVA Willich II und der JVA Aichach Tabelle 76 Tatbegehung unter Einfluss von Rauschmitteln und stoffgebundene Abhängigkeiten Einfluss von Rauschmitteln zum Tatzeitpunkt

nein

stoffgebundene Abhängigkeit

gesamt

nein Alkohol Tabletten Drogen mehrfach abhängig 146

1

2

2

2

4

157

10

15

1

1

4

1

32

Medikamente

0

0

5

0

0

0

5

Drogen

0

0

0

35

24

44

103

Alkohol

Mischung

0

0

0

1

6

1

8

insgesamt

156

16

8

39

36

50

305

Cramer’s V =.698; p =.000

Erwartungsgemäß hatten die meisten Frauen ohne Abhängigkeit keine berauschenden Substanzen zu sich genommen, nur zehn Frauen standen zum Tatzeitpunkt unter Alkoholeinfluss. Bei elf Verurteilten mit einer stoffgebundenen Abhängigkeit erfolgte laut Urteilsgründen die Tatbegehung nicht unter dem Einfluss von berauschenden Stoffen. Beim Gros der Abhängigen (n=138) wurde die Tat unter Rauschmitteleinfluss begangen, so dass sich diesbezüglich eine recht starke Korrelation (Cramer’s V = 0,698) feststellen lässt. Ein ähnlicher Befund ist in Bezug auf die Beschaffungskriminalität zu erwarten. 136 Tabelle 77 Beschaffungskriminalität bezogen auf stoffgebundene Abhängigkeiten Beschaffungskriminalität

Erklärung über stoffgebundene Abhängigkeit ja

ja nein insgesamt

gesamt

nein 101

0

101

51

157

208

152

157

309

Phi =.708; Cramer’s V =.708; p =.000 135 Bei der Variablen stoffgebundene Abhängigkeit fehlten zwölf Werte; in der Tabelle konnte die Rubrik „abhängig“ nach der Art des Rauschmittelkonsums nicht festgestellt werden, so dass sich hier verschiedene stoffgebundene Abhängigkeiten sammeln können. 136 In der Stichprobe fehlten neun Werte bei Beschaffungskriminalität und zwölf Werte bei der Erklärung über eine stoffgebundene Abhängigkeit.

A. Beschreibung der Stichprobe für die Auswertung

401

Aus der Tabelle ergibt sich naturgemäß ein starker Zusammenhang (Cramer’s V = 0,708) zwischen Beschaffungskriminalität und stoffgebundenen Abhängigkeiten. Ausnahmslos verübten Abhängige Straftaten, um ihre Sucht zu finanzieren. Dieses Ergebnis verdeutlicht nochmals die bekannte kriminogene Wirkung von stoffgebundenen Abhängigkeiten, die insbesondere zur Inhaftierung von straffällig gewordenen Abhängigen mit illegalem Betäubungsmittelkonsum führt. 137 Darüber hinaus interessiert, ob die Tatbegehung unter Rauschmitteleinfluss einerseits und eine stoffgebundene Abhängigkeit anderseits die Schuldfähigkeit beeinträchtigt (§ 21 StGB) bzw. ausgeschlossen (§ 20 StGB) hat. Tabelle 78 Schuldfähigkeit und Rauschmitteleinfluss bei Tatbegehung / stoffgebundene Abhängigkeit bei Tatbegehung berauscht ja

nein

gesamt

stoffgebundene Abhängigkeit ja

nein

gesamt

voll schuldfähig

91

159

250

97

145

242

vermindert schuldfähig

38

7

45

35

10

45

schuldunfähig

1

0

1

1

0

1

§ 1 JGG

4

0

4

4

0

4

13

3

16

15

2

17

147

169

316

152

157

309

§ 105 Abs. 1 JGG insgesamt

Cramer’s V =.234, p =.000

Cramer’s V =.352, p =.000

Von den vier Jugendlichen waren alle zur Tatzeit berauscht und von Suchtmitteln abhängig. Von den nach JGG verurteilten Heranwachsenden lagen meist eine Tatbegehung unter Rauschmitteleinfluss und eine stoffgebundene Abhängigkeit vor. 138 Bei Tatbegehung waren insgesamt 45 Verurteilte (n=321) 139 vermindert schuldfähig, von denen 38 Täterinnen unter dem Einfluss von Rauschmitteln standen und 35 Täterinnen von Suchtstoffen abhängig waren. Eine schuldunfähige 137

Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass erst die stoffgebundene Abhängigkeit kriminelle Verhaltensweisen hervorruft. Auch der umgekehrte Weg von der Kriminalität zur Sucht kommt, wenngleich seltener, vor. 138 Drogen- und / oder Alkoholmissbrauch können im Rahmen einer Gesamtwürdigung sämtlicher im Einzelfall bedeutsamer Umstände die Feststellung einer Reifeverzögerung i. S. d. § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG begründen, vgl. Meier / Rössner / Schöch (2007), S. 99 Rn. 24; in einigen Urteilen wurde dementsprechend auf die stoffgebundene Abhängigkeit zur Anwendung des JGG auf Heranwachsende Bezug genommen. 139 254 voll Schuldfähige, 4 Jugendliche, 17 Heranwachsende (§ 105 Abs. 2 JGG), 9 fehlende Werte.

402

Teil 6: Die Entlassenenjahrgänge der JVA Willich II und der JVA Aichach

Frau verübte die Tat im Rauschzustand und war zugleich abhängig. Danach scheinen die Tatbegehung unter Rauschmitteleinfluss und / oder eine stoffgebundene Abhängigkeit die wichtigsten Gründe für eine Strafmilderung wegen verminderter Schuldfähigkeit nach § 21 StGB darzustellen. 140 Nach ständiger Rechtsprechung reicht Betäubungsmittelabhängigkeit an sich für die Annahme von § 21 StGB nicht aus. 141 Vielmehr müssen besondere Umstände hinzutreten, beispielsweise schwere Persönlichkeitsveränderungen infolge langjährigen Konsums, bei Beschaffungstaten unter starken Entzugserscheinungen bzw. aufgrund der Angst vor nahe bevorstehenden Entzugserscheinungen. Mit den genannten Beispielen begründeten viele Urteile eine Strafmilderung nach § 21 StGB. Darüber hinaus führte akute Alkoholintoxikation im Tatzeitpunkt zur Annahme von verminderter Schuldfähigkeit. 142 Schließlich lässt sich feststellen, dass in den Urteilen von der Strafmilderung nach § 21 StGB bei Rauschmitteleinfluss zur Tatzeit und stoffgebundener Abhängigkeit zurückhaltend Gebrauch gemacht wurde. Überwiegend wurde bei Straftaten unter Einfluss von Betäubungsmitteln die Schuldfähigkeit bejaht, ohne deren Annahme ausdrücklich zu begründen. Umgekehrt fiel in manchen Urteilen die pauschale Annahme verminderter Schuldfähigkeit auf. 5. Vorstrafenbelastung a) Anzahl der Vorstrafen und Deliktsgruppen Die Vorstrafenbelastung der gesamten Stichprobe konnte nicht exakt ermittelt werden, da sieben Gefangenenakten keinen Bundeszentralregisterauszug enthielten. 143 Aus Tabelle 79 ergibt sich die schwerste Deliktsgruppe. Dabei wurde die Deliktsgruppe mit höchstens fünf Einträgen im Bundeszentralregister erfasst. Wie schon bei den deliktischen Einweisungsgründen liegt das Schwergewicht auf den Diebstahlsdelikten, gefolgt von den Betrugs- und Betäubungsmitteldelikten. Von Relevanz sind ebenfalls Körperverletzungs- und Straßenverkehrsdelikte, wobei hier regelmäßig ein BZR-Eintrag vorlag. Nur in Einzelfällen gab es zwei Einträge: Körperverletzungen und Straftaten im Straßenverkehr. Vorstrafen wegen schwerwiegender Gewaltdelikte mit und ohne Vermögensbezug kamen erwartungsgemäß selten und nicht wiederholt vor. Bezogen auf den ersten und schwersten Einweisungsgrund in die jeweilige Erhebungsanstalt ergibt sich folgende Belastung mit mindestens einer Vorstrafe (s. Tab 80). 144 140

Vgl. zur Anwendungshäufigkeit LK-Schöch (2007), § 20 Rn. 4. Hierzu Fischer (2011), § 21 Rn. 13 m.w. N. 142 Fischer (2011), § 21 Rn. 12 und § 20 Rn. 12 ff. zur Feststellung der Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit. 143 Von diesen sieben Fällen berichtete eine Frau beim Zugangsgespräch von einer Jugendstrafe. 141

A. Beschreibung der Stichprobe für die Auswertung

403

Tabelle 79 Schwerste Deliktsgruppe im Bundeszentralregister 1 Eintrag 2 Einträge 3 Einträge 4 Einträge 5 Einträge Diebstahlsdelikte

59

55

40

18

11

Vermögensdelikte

55

31

15

13

6

Betäubungsmitteldelikte

49

22

12

6

0

Körperverletzungsdelikte

32

8

0

0

0

Straßenverkehrsdelikte

29

5

4

1

2

Raub / Erpressung

14

0

0

0

0

Tötungsdelikte

2

0

0

0

0

sonstige Delikte

77

21

4

4

1

Bei den Straßenverkehrsdelikten und Körperverletzungsstraftaten hatten alle Frauen mindestens eine Vorstrafe. Obwohl es sich in beiden Deliktsbereichen um wenige Fälle handelt, erstaunt dieser Befund nicht: Vergehen im Straßenverkehr und leichte Körperverletzungen werden traditionell mit einer Geldstrafe geahndet. Eine unbedingte Freiheitsstrafe oder der Widerruf einer bedingten Freiheitsstrafe kommt deshalb vor allem in Wiederholungsfällen in Betracht. Diese Erkenntnis trifft gleichwohl auf die Eigentumsdelikte zu, denn auch auf diesem Gebiet kann die einzige nicht vorbestrafte Verurteilte als Ausnahme angesehen werden. Bei den Vermögensstraftaten und den Gewaltverbrechen mit Eigentums- bzw. Vermögensbezug war das Gros ebenfalls vorbestraft, doch angesichts von Vermögensschäden beim Betrug und der hohen Strafandrohung bei Raub bzw. Erpressung verwundert die Einweisung in den Strafvollzug ohne Vorstrafe nicht. Bei den Betäubungsmitteldelikten und den Tötungsverbrechen ist die Vorstrafenbelastung erwartungsgemäß am niedrigsten. Etwa ein Drittel der wegen illegaler Drogen Verurteilten wies bislang keinen Eintrag im Bundeszentralregister auf. Dieses Ergebnis ist u. a. auf erstmalig in Erscheinung tretende Drogenkurierinnen aus dem Ausland zurückzuführen. Bei Kapitalverbrechen wie Mord und Totschlag waren sogar 46,2 % vorher strafrechtlich unauffällig. Hierbei dürfte es sich oft um einmalige Beziehungstaten im bürgerlichen Milieu handeln, die im Affekt oder aus Verzweiflung begangen wurden. 145 Die Unterschiede zwischen Vorbestraften und Nichtvorbestraften bei den verschiedenen Einweisungsdelikten schlagen sich in höchster Signifikanz und einer schwa144 Insgesamt gab es neun fehlende Werte: Neben den sieben Frauen, bei denen ein BZR-Auszug fehlte, hatte eine Frau nur BZR-Einträge, nach denen ihre Schuldfähigkeit stets ausgeschlossen war; bei einer Frau war die Deliktsgruppe bei der Einweisung nicht feststellbar. 145 Vgl. zur Problematik der Tötung von sog. Haustyrannen Haverkamp, GA 2006, S. 586 ff.

404

Teil 6: Die Entlassenenjahrgänge der JVA Willich II und der JVA Aichach Tabelle 80 Vorstrafenbelastung nach 1. schwersten Einweisungsgrund Einweisungsgrund

Vorstrafe ja

Betäubungsmitteldelikte Straßenverkehrsdelikte Vermögensdelikte Eigentumsdelikte Raub / Erpressung Körperverletzungsdelikte Tötungsdelikte sonstige Delikte insgesamt

gesamt nein

Anzahl

68

32

100

%

68,0%

32,0%

100,0%

Anzahl

8

0

8

%

100,0%

0,0%

100,0%

Anzahl

60

10

70

%

85,7%

14,3%

100,0%

Anzahl

75

1

76

%

98,7%

1,3%

100,0%

Anzahl

16

3

19

%

84,2%

15,8%

100,0%

Anzahl

14

0

14

%

100,0%

0,0%

100,0%

Anzahl

7

6

13

%

53,8%

46,2%

100,0%

Anzahl

16

5

21

%

76,2%

23,8%

100,0%

Anzahl

264

57

321

%

82,2%

17,8%

100,0%

Cramer’s-V =.358; p =.000

chen Korrelation (Cramer’s V = 0,358) nieder. Tabelle 81 setzt die formale Haftdauer in fünf Kategorien in Beziehung zur Belastung mit mindestens einer Vorstrafe. 146 Bei einer formalen Haftdauer bis zu zwei Jahren lässt sich die höchste Vorstrafenbelastung beobachten. 147 Während knapp 90 % der Frauen mit einer formalen Haftdauer bis zu sechs Monaten mindestens ein Mal registriert waren, lag sogar bei 95,5 % der Frauen mit einer formalen Haftdauer über einem Jahr bis zu 146 Auch hier neun fehlende Werte, jedoch konnte bei einer Vorstrafe die formale Haftdauer nicht berechnet werden.

A. Beschreibung der Stichprobe für die Auswertung

405

Tabelle 81 Vorstrafenbelastung nach formaler Haftdauer formale Haftdauer

Vorstrafe ja

bis 6 Monate über 6 Monate bis 1 Jahr über 1 Jahr bis 2 Jahre über 2 Jahre bis 5 Jahre über 5 Jahre gesamt

gesamt nein

Anzahl

35

4

39

%

89,7 %

10,3%

100,0%

Anzahl

72

6

78

%

92,3 %

7,7%

100,0%

Anzahl

84

4

88

%

95,5 %

4,5%

100,0%

Anzahl

61

33

94

%

64,9 %

35,1%

100,0%

Anzahl

12

10

22

%

54,5 %

45,5%

100,0%

Anzahl

264

57

321

%

82,2 %

17,8%

100,0%

Cramer’s V =.388; p =.000

zwei Jahren mindestens eine Vorstrafe vor. Reichte die formale Haftdauer über zwei Jahre hinaus, so hatten nur noch zwei Drittel einen Eintrag im Bundeszentralregister. Bei einer formalen Haftdauer über fünf Jahre sank die Quote der Vorbestraften weiter auf 54,5 %. Unter Berücksichtigung der Deliktsgruppen bei den Einweisungsgründen bedeuten diese Ergebnisse, dass vor allem die wiederholte Begehung von minder schweren Vergehen aus dem Eigentums- und Vermögensbereich zu einer relativ kurz bemessenen formalen Haftdauer bis zu zwei Jahren führt. Dagegen handelt es sich bei der Verübung von Kapitaldelikten häufiger um einmalige Vorfälle, die aufgrund der Schwere der Tat eine höhere bzw. hohe Haftstrafe erfordern. Dementsprechend ist diese Abweichung höchst signifikant und äußert sich in einem schwachen Zusammenhang (Cramer’s V = 0,388). Laut Bundeszentralregisterauszug hatten 82,4% der Entlassenen (n=323 148) mindestens einen Eintrag. 149 Im Durchschnitt wiesen die vorbestraften Frauen 147

Zwar können Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden, doch gilt es hier zu bedenken, dass bei der formalen Haftdauer mehrere Einweisungsstrafen kumulieren können. 148 Hier ausnahmsweise mit der durchweg schuldunfähigen Frau.

406

Teil 6: Die Entlassenenjahrgänge der JVA Willich II und der JVA Aichach

(n=265) 7,01 Einträge auf; der Median betrug 6,0. Eine Frau hatte mit 28 Einträgen die höchste Vorstrafenbelastung. Mit mindestens einer (un)bedingten Freiheitsstrafe waren 68,3 % der Stichprobe registriert, von denen 24,1 % zu einer Freiheitsstrafe, 20 % zu zwei Freiheitsstrafen und 16,4 % zu drei Freiheitsstrafen verurteilt worden waren. Bei acht Frauen gab es über zehn Verurteilungen zu einer Freiheitsstrafe, davon war in einem Fall bereits auf vierzehn Freiheitsstrafen erkannt worden. Der Mittelwert der Freiheitsstrafen (n=220) lag bei 3,6 und der Median bei 3,0. In diesem Zusammenhang sind Unterschiede hinsichtlich der Vorstrafenbelastung zwischen Frauen mit einer stoffgebundenen Abhängigkeit und Frauen ohne festgestellte Abhängigkeit 150 von Interesse. Tabelle 82 BZR-Einträge von abhängigen und nicht abhängigen Frauen Erklärung über stoffgebundene Abhängigkeit Anzahl der Einträge im BZR

ja nein

T-Test für die Mittelwertgleichheit Erklärung über stoffgebundene Abhängigkeit Anzahl der Frei- ja heitsstrafen im nein BZR T-Test für die Mittelwertgleichheit

N=310 Mittelwert StandardStandardfehler abweichung des Mittelwertes

153

7,61

5,41

,43756

157

4,01

4,01

,32037

T=-6,723; p=0,000 N=309 Mittelwert StandardStandardfehler abweichung des Mittelwertes

152

3,09

2,98

,24162

157

1,85

2,43

,19419

T=-3,974; p=0,000

Der T-Wert verdeutlicht einen höchst signifikanten Unterschied hinsichtlich der Vorstrafenbelastung zwischen abhängigen und nicht abhängigen Frauen. Frauen mit einer stoffgebundenen Abhängigkeit hatten deutlich mehr Einträge im Bundeszentralregister als Frauen ohne festgestellte Abhängigkeit. Eine schwächere, wenngleich hohe Signifikanz zeigt sich bei den BZR-Einträgen bzgl. Freiheitsstrafen, denn auch hier wiesen die Frauen mit einer stoffgebundenen Ab149 Ein BZR-Auszug enthielt eine Reihe von Einträgen, doch war die Betroffene in allen registrierten Fällen schuldunfähig; daher blieb dieser Fall bei den weiteren Berechnungen (n=265 statt n=266) außen vor. 150 Nicht alle abhängigen Frauen wurden in den Akten erfasst, weil einige ihre Abhängigkeit im Strafvollzug verbergen konnten.

A. Beschreibung der Stichprobe für die Auswertung

407

hängigkeit durchschnittlich etwa 1,3 Freiheitsstrafen mehr auf als Frauen ohne festgestellte Abhängigkeit. Das höhere registrierte Kriminalitätsaufkommen bei den abhängigen Entlassenen deutet auf eine höhere Rückfallgefährdung hin und könnte eine restriktivere Vollzugsgestaltung beispielsweise bei der Gewährung von Vollzugslockerungen und Hafturlaub nach sich ziehen. Dieser Frage wird im Rahmen des Vollzugsverlaufes nachgegangen. Einen Vergleich zur Häufigkeit der Vorstrafen zwischen der Stichprobe und der Strafvollzugsstatistik 151 enthält die folgende Tabelle. Tabelle 83 Vorstrafenbelastung im Vergleich Strafvollzugsstatistik 2005 und Stichprobe Strafvollzugsstatistik Häufigkeit

Prozent

Stichprobe Häufigkeit

Prozent

Weibliche Strafgefangene insgesamt

3006

100

322

100

nicht vorbestraft

1418

47,2

57

17,7

vorbestraft

1588

52,8

265

82,3

1 Mal vorbestraft

403

13,4

19

5,9

2 Mal vorbestraft

246

8,2

20

6,2

3 Mal vorbestraft

192

6,4

28

8,7

4 Mal vorbestraft

129

4,3

30

9,3

5 bis 10 Mal vorbestraft

448

14,9

109

33,9

11 bis 20 Mal vorbestraft

147

4,9

55

17,1

23

0,8

4

1,2

21 Mal und öfter vorbestraft

Zunächst fällt die unterschiedliche Vorstrafenbelastung auf. Während nach der Strafvollzugsstatistik fast die Hälfte der weiblichen Gefangenen nicht vorbestraft ist, war noch nicht mal ein Fünftel der Stichprobe ohne Vorstrafe. Dementsprechend kann eine deutlich höhere Belastung mit Vorstrafen innerhalb der Stichprobe festgestellt werden. Dies zeigt sich vor allem im Bereich von fünf bis zwanzig Vorstrafen, in dem 51 % der Stichprobe angesiedelt sind, aber nur 19,8 % aller weiblichen Gefangenen am Stichtag. Aber auch bei der Art der Vorstrafe fallen die Strafen bei der Stichprobe schwerer aus: So hatten 68,3 % der Stichprobe mindestens eine Freiheitsstrafe als Vorstrafe, aber nur 37,7 % der Insassinnen der Strafvollzugsstatistik eine Jugend- und / oder Freiheitsstrafe. Diese unterschiedlichen Ergebnisse beruhen vermutlich auf mehreren Verzerrungsfaktoren. Zum einen handelt es sich bei der Stichprobe um Zahlen aus zwei Frauenanstalten, die entsprechend der Vollstreckungspläne in Bayern und 151

Statistisches Bundesamt 2005, Fachserie 10, Reihe 4.1., Tab. 4, S. 14.

408

Teil 6: Die Entlassenenjahrgänge der JVA Willich II und der JVA Aichach

Nordrhein-Westfalen gerade weibliche Verurteilte mit schwereren Delikten und längeren Strafzeiten aufnehmen. 152 Die Verbüßung von kurzen Freiheitsstrafen bis zu drei Monaten erfolgt meist in kleinen Frauenabteilungen anderer Justizvollzugsanstalten. Zum anderen berücksichtigte die eigene Untersuchung alle Einträge in das Bundeszentralregister wie die Fürsorgerziehung bei strafunmündigen Kindern sowie Erziehungsmaßnahmen und Zuchtmittel des JGG 153. 154 b) Beginn und Dauer der registrierten Kriminalität Aus der folgenden Abbildung ergibt sich die Dauer der „kriminellen“ Karriere, die aus dem ersten Eintrag im Bundeszentralregister 155 und dem jetzigen Aufnahmedatum im Strafvollzug errechnet wurde. Abb. 22: Dauer der registrierten kriminellen Karriere

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