Form und Funktion der »freiheitlichen demokratischen Grundordnung« [1 ed.] 9783428536641, 9783428136643

Der Verfassungsrechtslehre ist es bisher nicht gelungen, eine methodisch kontrollierte Dogmatik zur »freiheitlichen demo

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German Pages 224 Year 2013

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Form und Funktion der »freiheitlichen demokratischen Grundordnung« [1 ed.]
 9783428536641, 9783428136643

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Schriften zur Rechtstheorie Band 266

Form und Funktion der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“

Von Rolf Nichelmann

Duncker & Humblot · Berlin

ROLF NICHELMANN

Form und Funktion der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“

Schriften zur Rechtstheorie Band 266

Form und Funktion der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“

Von Rolf Nichelmann

Duncker & Humblot · Berlin

Die Philosophische Fakultät der Technischen Universität Dresden hat diese Arbeit im Wintersemester 2009/2010 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2013 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0472 ISBN 978-3-428-13664-3 (Print) ISBN 978-3-428-53664-1 (E-Book) ISBN 978-3-428-83664-2 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinem akademischen Lehrer Prof. Dr. phil. Axel Azzola, Staatssekretär a. D., zum Gedenken

[T]he establishment of system boundaries is inescapably associated with what I shall call a cognitive point of view, that is, a particular set of presuppositions and attitudes, a perspective, or a frame in the sense of Bateson or Goffman; in particular, it is associated with some notion of value, or interest. It is also linked up with the cognitive capacities (sensory capabilities, knowledge background) of the distinctor. Conversely, the distinctions made reveal the cognitive capabilities of the distinctor. Francisco Varela

Vorwort Diese Arbeit lag der Philosophischen Fakultät der Technischen Universität Dresden als Dissertation im Fach Soziologie vor; sie wurde im Frühjahr 2010 verteidigt. Für die Druckfassung wurde der ursprüngliche Text geringfügig überarbeitet und ergänzt; hinzugefügt wurde außerdem ein Sachwortverzeichnis. Ohne Prof. em. Dr. Axel Azzola (ehemals Technische Universität Darmstadt) und seine intellektuelle Integrität und Unnachgiebigkeit gäbe es diese Arbeit nicht. Er hat die Bearbeitung der Parteiverbotsproblematik und der rechtsdogmatisch ungeklärten Figur der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ angeregt. Und er hat mit seinem Verständnis von Recht und dem unbedingten Willen, empirisch tragfähige Antworten auf rechtsdogmatische und rechtstheoretische Fragen zu finden, Perspektiven eröffnet, an die die hier gewählte systemfunktionale Perspektive anknüpfen kann. Seine Einladungen nach Berlin haben mir die Gelegenheit gegeben, offene Fragen in der mit ihm unvermeidlich intensiven Auseinandersetzung zu klären. Soweit die Arbeit Ausführungen enthält, bezüglich derer er mich zu erneutem Nachdenken aufgefordert hätte, konnten diese Schwächen aufgrund des Todes von Prof. Azzola im November 2007 nicht mehr behoben werden. Ihm ist diese Arbeit posthum gewidmet. Erheblichen Einfluß auf die nachstehenden Überlegungen hatte auch Prof. em. Dr. Dr. Adalbert Podlech (ehemals Technische Universität Darmstadt). Den Gesprächen mit ihm verdanke ich den Erstkontakt mit den Schriften Luhmanns. Im übrigen hat mir die Lektüre seiner Arbeiten gezeigt, was im Bereich von Rechtstheorie und Sozialwissenschaften möglich ist, wenn man sich konsequent im „Medium der begrifflichen Präzision“ bewegt. Ich danke Prof. Dr. Jost Halfmann (Technische Universität Dresden) für seine Bereitschaft, eine Arbeit zu betreuen, die sich auf für Soziologen durchaus unübliches Terrain begibt, und insbesondere dafür, daß er mir als Ansprechpartner jederzeit zur Verfügung stand. Die auch räumliche Einbindung in seinen Arbeitsbereich hat in beträchtlichem Maße zum Gelingen der Arbeit beigetragen. Mein Dank für eine angenehme und produktive Atmosphäre geht stellvertretend an Dr. Stefan Kirchner (Universität Hamburg) und Dr. Falk Schützenmeister (University of California, Berkeley).

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Vorwort

Prof. Dr. Martin Schulte (Technische Universität Dresden) möchte ich für seine Bereitschaft danken, als Gutachter zu wirken und meinen Grenzgang zwischen Verfassungsrecht und Soziologie mit fachlichem Rat zu unterstützen. Auch Prof. Dr. Andreas Göbel (Julius-Maximilians-Universität Würzburg) danke ich für die Übernahme der Gutachterfunktion und für seine konzisen Anmerkungen zu Fragen der soziologischen Theoriebildung. Mein Dank gilt des weiteren Prof. Dr. Rainer Schröder (Universität Siegen) für anregende Diskussionen, für Hinweise, die mir den Umgang mit der rechtlichen Materie erleichterten, und ganz allgemein für die Unterstützung, die er mir hat zukommen lassen. Ein Teil der Arbeit ist an der Katholischen Universität Leuven am Arbeitsbereich von Prof. Dr. Rudi Laermans entstanden. Für sein Interesse an meiner Arbeit und für die produktiven und erfrischend direkten Streitgespräche, die mit ihm möglich sind, danke ich ihm. Angelika Kamm hat genau placierten Widerstand gegen sprachliche Idiosynkrasien und Entgleisungen in einer früheren Fassung der nun vorliegenden Arbeit geleistet und bei der Korrektur wie immer unglaubliche Genauigkeit walten lassen. Dafür gilt ihr mein Dank. Mein Dank geht ebenso an Hanna Marie Maubach und Moritz Ansmann, die mit großer Sorgfalt dazu beigetragen haben, Fehler in der Endfassung zu beseitigen. Cihan Caglar und Thomas Hoebel (Universität Bielefeld) haben die Arbeit mit viel theoretischem Sachverstand kommentiert und mich an der einen oder anderen Stelle um Klarstellungen gebeten. Die Diskussionen mit Ihnen haben mir wichtige Anregungen geliefert, die in die Überarbeitung des Textes eingeflossen sind. Dr. Alexander Paquée (Universität der Bundeswehr München) schließlich danke ich für die langjährige fruchtbare Zusammenarbeit. Als hilfreich hat sich dabei insbesondere unser gemeinsames Bemühen ausgewirkt, die negativen Effekte des Mißverständnisses, daß es sich beim Schreiben um einen isolierten Prozeß handeln müsse, etwas abzumildern. Dresden, Januar 2013

Rolf Nichelmann

Inhaltsverzeichnis I.

Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II.

Die Gehaltsarmut der fdGO: Eine Problemnäherung in sprachphilosophischen Begriffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gehalt und Spielraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Normativer Gehalt und Entscheidungsspielraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

18 19 22

Die Paradoxie der fdGO. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zum Zusammenhang von Problemformulierung und dogmatischer Limitationalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Form des Beobachtens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beobachten als bezeichnendes Unterscheiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beobachtung zweiter Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Operation und Beobachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Selektivität des Beobachtens: Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Medium und Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Form der Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ein dreistelliger Begriff der Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die autopoietische Schließung der Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . c) Observationale Schließung: Selbstreferenz und Fremdreferenz . . . . . 4. Paradoxien, Beobachtung und Information . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Information, Struktur und Redundanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Inhibierung des Beobachtens durch Paradoxien. . . . . . . . . . . . . . .

25 30 31 33 34 37 40 42 43 49 54 56 57 62

IV.

Die Beobachtung der fdGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die fdGO in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. . . . . . 2. Die Form des Grundrechts – von der Freiheit zum Wert . . . . . . . . . . . . . 3. Die fdGO zwischen Freiheit und Wert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

66 67 70 76

V.

„Rechtswissenschaft“, Recht und Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 1. Analytische Jurisprudenz: Rechtsdogmatik als Wissenschaft . . . . . . . . . . 84 a) Recht und Wahrheit aus der Perspektive der analytischen Jurisprudenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 b) Rationales Begründen und die Orientierung am „möglichen Wortsinn“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 c) Entscheidung, Gleichheit und Wahrheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 2. Die operativ-kognitive Schließung des Rechtssystems. . . . . . . . . . . . . . . . 96 a) Funktionale Spezifikation und binäre Codierung des Rechts . . . . . . . 101 b) Konditionale Programmierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103

III.

25

12

Inhaltsverzeichnis 3. Die operativ-kognitive Schließung des Wissenschaftssystems . . . . . . . . . a) Funktionale Spezifikation und binäre Codierung der Wissenschaft. . b) Wissenschaftliches Wissen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Wissenschaft als Umwelt des Rechtssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erleben und Handeln in Recht und Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Deduktives Begründen als Form der „Redundanzmaximierung“ im Rechtssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VI.

Die funktionale Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die funktionale Methode als Differenzabtastungsinstrument. . . . . . . . . . . a) Funktion und Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Funktion und Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Funktionale Methode und Systemtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Selbstabstraktion des Gegenstands und wissenschaftliche Fremdabstraktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

105 105 107 111 112 116 122 124 124 127 129 133

VII. Die Funktion der fdGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die fdGO als verfassungsrechtliches „Grenzproblem“ und ihr Verhältnis zu den Diskriminierungsverboten des Art. 3 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . 2. Die fdGO als demokratische Grundordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das politische System und das Medium Macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Funktionen der politischen Wahl I: Entfeudalisierung des politischen Prozesses. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Demokratie als Re-Codierung des Machtcodes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Funktionen der politischen Wahl II: Formierung und Offenhalten von Alternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Öffentliche Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Funktionen der politischen Wahl III: Binnendifferenzierung des politischen Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) „Vollständige“ Ausdifferenzierung des politischen Systems durch Demokratie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die fdGO als freiheitliche Grundordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die verfassungsrechtliche Funktion des Würdeschutzes. . . . . . . . . . . . b) Die Funktion der Grundrechte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die fdGO als selbstbezügliches Schutzgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VIII. Zur möglichen Rationalität einer Dogmatik der fdGO . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Funktion der Rechtsdogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Gleichheitssatz als krypto-normatives Rationalisierungsprogramm? 3. Zur Rationalität einer möglichen Dogmatik der fdGO . . . . . . . . . . . . . . . .

184 185 187 191

139 145 147 155 157 161 164 167 170 173 175 177 182

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216

I. Einleitung Nachdem in den 1950er und 1960er Jahren eine rege verfassungsrechtliche Debatte um das Verbot der kommunistischen Partei und die Notstandsgesetzgebung geführt wurde und die 1970er Jahre durch die auch in der weiteren Öffentlichkeit ausgetragene Auseinandersetzung um die Berufsverbote geprägt waren, ist in den letzten Jahren mit der Diskussion über ein Verbot der „Nationaldemokratischen Partei Deutschlands“ (NPD) die Verfassungsschutzproblematik wieder verstärkt ins Blickfeld gerückt. Den rechtlichen Hintergrund dieser Debatte bildet die sogenannte „freiheitliche demokratische Grundordnung“ (fdGO). Besondere Prominenz hat in diesen Debatten der Art. 21 Abs. 2 GG, der sogenannte Parteiverbotsartikel, erlangt. Das Grundgesetz sieht gegenüber Parteien, deren politisches Engagement als Gefährdung der fdGO betrachtet wird, die Möglichkeit vor, diese qua höchstrichterlichem Spruch aus dem politischen Prozeß auszuschließen. Die Gründe für die Aufnahme des Parteiverbotsartikels (Art. 21 Abs. 2 GG) in die deutsche Verfassung liegen auf der Hand: es sind dies die Erfahrung mit dem nationalsozialistischen Regime sowie die angebliche Wehrlosigkeit der Weimarer Republik gegen „innere Feinde“, das heißt gegenüber politischen Positionen, die der Demokratie als Herrschaftsordnung ablehnend gegenüberstanden. Der Demokratie soll ein Mittel an die Hand gegeben werden, sich gegen solche Feinde zur Wehr zu setzen; die Demokratie wird in diesem Sinne zur „wehrhaften“ oder „streitbaren“ Demokratie. In der öffentlichen Diskussion, die sich an dem allem Anschein nach „einfach“ zu entscheidenden Fall der NPD orientiert, gerät allerdings allzu oft die juristisch eigentlich bedeutsame Frage aus dem Blick, unter welchen Voraussetzungen der Verbotsartikel eigentlich greift und dazu berechtigt, eine Partei aus dem politischen Prozeß auszuschließen. Entscheidend für die Anwendung des Art. 21 Abs. 2 GG ist die Klärung dessen, was die Verfassung unter fdGO versteht. Eine solche Klärung ist bisher in befriedigender Weise weder durch das Bundesverfassungsgericht noch durch die staatsrechtliche Literatur erfolgt. Die Charakterisierung dieser Frage als „Grenzproblem“ demokratisch-verfassungsstaatlicher Ordnung läßt offen, was eigentlich (und gegen welche „Feinde“) zu schützen ist. Diese von Dissens und rechtsdogmatischen Unzulänglichkeiten gekennzeichnete Situation legt einen Neuansatz der Interpretation nahe. Denn die Unbestimmtheiten, die in

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I. Einleitung

der Formel „Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit“ ihren Ausdruck finden, stellen nicht nur ein methodisches Problem dar, sondern sind – das ist verschiedentlich angemerkt worden – auch aus rechtsstaatlicher Perspektive keineswegs unbedenklich. Nun ist die vorliegende Arbeit in fachlicher Hinsicht aber nicht der Rechtsdogmatik zuzurechnen, sondern der Rechtssoziologie. Die beiden Disziplinen pflegen bekanntlich ein unterschiedliches Verhältnis zum Gegenstand „Recht“ – ohne daß allerdings jederzeit klar wäre, worin dieser Unterschied eigentlich genau besteht, und ohne daß präzise erörtert worden wäre, welche Kontakte zwischen ihnen dann noch möglich sind und sinnvoll erscheinen. Jedenfalls zielt die Arbeit nicht – oder doch nicht vordringlich – darauf ab, ein rechtsdogmatisches Problem einer befriedigenderen Lösung zuzuführen, sondern sie beabsichtigt, mit soziologischen und näherhin mit systemfunktionalen Theoriemitteln die gesellschaftliche Funktion der fdGO zu bestimmen. Zu der disziplinären Festlegung tritt also eine theoretische und methodische hinzu. Der soziologische Systemfunktionalismus beschreibt die moderne Gesellschaft als eine funktional differenzierte (Erwartungsstruktur-)Ordnung; er sichert diese Differenzierungsthese zugleich kommunikationstheoretisch ab. Die Funktionssysteme der modernen Gesellschaft verfügen demnach über je eigene Relevanzstrukturen, was sie in kognitiver Hinsicht füreinander undurchdringbar macht. Das hat Konsequenzen auch für die Art und Weise, in der die Systemtheorie das Verhältnis von Recht und Wissenschaft beschreibt. Obschon Juristen ihr Tun oftmals als Wissenschaft deklarieren, zeigt sich bei genauerer Betrachtung der beiden „Sprachspiele“, daß beide in Tat und Wirklichkeit sehr unterschiedliche Realitäten ausformen. Diese Inkommensurabilität gilt, folgt man der Systemtheorie, selbst noch für das Verhältnis von Rechtsdogmatik und Wissenschaft: denn wo die Rechtsdogmatik, weil letztlich dem Problem des Entscheidens von Rechtsfragen verpflichtet, dem Rechtssystem zugehört, befreit sich die Rechtssoziologie als wissenschaftliche Disziplin von dieser Bindung und ersetzt sie durch die Orientierung an wahren Aussagen. Damit wird allerdings die Anschlußfrage aufgeworfen, was es für wissenschaftliche Beschreibungen heißt, wenn sie diese soziale Realität einer Trennung von Recht und Wissenschaft in Rechnung zu stellen haben. Ganz sicher muß eine soziologische Rekonstruktion spezifischer Dogmatiken irgendein Verhältnis zu den Beschreibungen einnehmen, die die Rechtsdogmatik von dem in Frage stehenden Gegenstand anfertigt. Will man die von der Dogmatik aufgeworfenen Fragen, ihre zentralen Diskussionslinien oder auch die Aporien, die sie produziert, zur Grundlage einer rechtssoziologischen Untersuchung machen – noch dazu einer Untersuchung mit gesell-

I. Einleitung

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schaftstheoretischem Anspruch –, kommt man offenkundig nicht umhin, die juristische Diskussion in einer soziologischen Sprache zu rekonstruieren. Und genau an dieser Stelle wird es dann in theoretischer Hinsicht prekär, weil diese Rekonstruktion ihrerseits nicht voraussetzungslos erfolgen kann. Gerade grundrechtsdogmatische Diskussionszusammenhänge sind oft bis in ihre Grundlagen hinein kontrovers, und wo sich Konsens herausgebildet hat, ist es vielfach ein Leichtes, der sogenannten „herrschenden Meinung“ nachzuweisen, daß sie sich auf Scheinlösungen eingelassen hat. Unter diesen Bedingungen muß zum Beispiel geklärt werden, woher man die Kriterien zu nehmen hat, die die Frage entscheidbar machen, an welche der konkurrierenden dogmatischen Beschreibungen des Gegenstands die systemfunktionale Analyse anzuknüpfen hat. Die Untersuchung bedient sich für diese Rekonstruktion einer Terminologie, die sprachanalytischen und wissenschaftstheoretischen Kontexten entstammt. Zentral steht dabei der Begriff des Informationsgehaltes. Er erlaubt es, die Interpretationsoffenheit der Grundrechte und die damit einhergehenden Entscheidungs- und Begründungsschwierigkeiten auf ein informationstheoretisches Problem zurückzuführen. Darin liegt zugleich ein Vorteil begründet, den man sich für theoretische Zwecke zunutze machen kann: in der dem Begriff eingeschriebenen Ausrichtung auf Fragen des Umgangs mit Komplexität sind bereits Möglichkeiten für eine kommunikations-, beobachtungs- und systemtheoretische Rekonstruktion der dogmatischen Kontroversen angelegt. Auf dieser Grundlage wird erkennbar, daß die konkurrierenden Dogmatiken ihre Argumente entlang einer zentralen Unterscheidung, der Differenz von Freiheit und Wert entwickeln. In Abhängigkeit davon, für welchen Ausdruck innerhalb dieser Differenz optiert wird, kommt es zu einer grundlegend anderen Konditionierung des Grundrechtsverständnisses und der fdGO. Die Auffassung, das Grundgesetz sei als Wertordnung zu begreifen, hat zum Teil harsche Kritik auf sich gezogen, und zwar sowohl aus methodischen als auch aus rechtsstaatlichen Gründen. Grosso modo lautet der Vorwurf, der wertorientierten Dogmatiken gemacht wird, daß sie verkennen, daß das Problem der Gehaltsarmut rechtsstaatlich korrekt nicht durch den unbestimmten Verweis auf Werte gelöst werden kann, sondern nur durch Rückgriff auf korrekte, was unter anderem heißt: weltanschaulich neutrale Deskriptionen. Wenn aber rechtliche Argumentationsleistungen für die Rechtssoziologie nur Gegenstand sein können, dann ist es nicht unproblematisch, daß wir uns die Behauptung zu eigen machen, die Auslegung der fdGO werde in einem ungebührlichen Ausmaß von Wertprämissen getragen und von dort her die Funktion der fdGO zu bestimmen versuchen. Denn diese Positionierung ist rechtstheoretisch gesehen nicht neutral, sondern gehört einer bestimmten Strömung in Rechtstheorie und Rechtsdogmatik zu. Wenn wir also diese rechtstheoretische Position zum

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I. Einleitung

Ausgangspunkt einer soziologischen Funktionsbestimmung machen wollen, so scheint dies vor dem Hintergrund der Behauptung, Recht und Wissenschaft seien kognitiv geschiedene Realitätsbereiche, begründungsbedürftig zu sein. Wenn hier von „begründungsbedürftig“ die Rede ist, so impliziert dies, daß es nicht mit einer systemtheoretischen Beschreibung des Gegenstandes sein Bewenden haben kann, sondern daß der Versuch, den Gegenstand zu konturieren, beinahe zwangsläufig Reflexionen über Theorie und Methode des Systemfunktionalismus nach sich zieht. So zeigt sich in der Kritik an der Wertejurisprudenz und der Forderung, daß die „Realitätsdeckung“ der Grundrechtsauslegung durch Orientierung an sozialwissenschaftlichen Beschreibungsleistungen zu verbessern sei, eine beachtenswerte Nähe der analytischen Strömung der Rechtstheorie zu den frühen rechtssoziologischen Schriften Luhmanns. Die Konvergenz geht bis hin zu der Behauptung Podlechs in einer Rezension von „Grundrechte als Institution“, die funktionale Analyse der Grundrechte, die dort vorgeschlagen wird, berge nicht nur Anregungspotential für die Grundrechtsdogmatik, sondern dieser Text sei selbst nichts anderes als eine Grundrechtsdogmatik. Die naheliegende Replik, diese teilweise handlungs- und rollentheoretisch gearbeiteten Schriften lägen noch vor der sogenannten „autopoietischen Wende“, macht es sich zu einfach – und überschätzt im übrigen die vermeintlichen Diskontinuitäten in Luhmanns Werk. Wir werden hingegen zu zeigen versuchen, daß die von Luhmann vorgenommene Bestimmung der gesellschaftlichen Funktion des Rechts – die kontrafaktische Stabilisierung kongruent generalisierter Verhaltenserwartungen – einerseits hilft, die Forderungen der „Analytiker“ einzuordnen; daß aber, wer sich dieser Funktionsbestimmung anschließt, sich zugleich, weil sie unterschwellig teleologisch gebaut ist, in seinen Analysen gebunden und in einen kaum durchschaubaren Zusammenhang von Deskription und Präskription verwickelt sieht. Der Grund dafür ist in der Tatsache zu suchen, daß auch Luhmann die Funktion des Rechts derart bestimmt, daß er nicht umhinkommt, den Justizsyllogismus oder, wie er es nennt, das Konditionalprogramm als gleichsam transzendentalpragmatische Bedingung der Möglichkeit von Recht überhaupt anzusetzen. Das Recht, so die These, laboriert in besonderer Weise an dem, was Systemtheoretiker als Referenzproblem bezeichnen. Vielleicht kann man sich zu der These versteigen, daß das Rechtssystem, jedenfalls soweit man die von Luhmann vorgeschlagene Funktionsbestimmung als eine Bedingung der Schließung dieses Systems betrachtet, anfälliger für Varietät ist als andere Funktionssysteme der modernen Gesellschaft, und zwar deshalb, weil seine dominierende Programmform auf Redundanz angewiesen ist. Damit stellt sich die Frage nach der Rationalität für dieses System in besonderer Schärfe. Wir glauben denn auch, daß sich auf der Grundlage der soziologi-

I. Einleitung

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schen Analyse der fdGO wenigstens einige Aporien ihrer dogmatischen Ausdeutung beheben lassen, und nutzen daher die Rationalitätsreflexion dazu, einen Vorschlag zu unterbreiten, wie eine „empirienäher“ gebaute Dogmatik der fdGO aussehen könnte. Man braucht deswegen eine grundsätzliche Skepsis gegenüber „Subventionierungen“ des Rechts durch die Soziologie ja nicht gleich aufzugeben. Es geht uns hier zunächst nur darum, am empirischen Fall die grundsätzliche Möglichkeit solcher Transferleistungen wieder ins Bewußtsein zu heben. Jedenfalls sollte sich eine solche Möglichkeit – oder, soziologisch weniger korrekt formuliert: dieses Gebot – für den dogmatischen Fall der fdGO nachweisen lassen, wenn die Grundüberlegungen dieser Arbeit nicht völlig fehlgehen.

II. Die Gehaltsarmut der fdGO: Eine Problemnäherung in sprachphilosophischen Begriffen Der Begriff der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ (fdGO) findet sich im Grundgesetz an zwei exponierten Stellen, nämlich in Art. 18 und in Art. 21 Abs. 2 S. 1 GG. Art. 18 sieht die Möglichkeit der Grundrechtsverwirkung als Folge „mißbräuchlichen“, also gegen die fdGO gerichteten Grundrechtsgebrauchs, vor; Art. 21 Abs. 2 S. 1 GG bezeichnet Parteien, deren Handeln sich gegen die fdGO richtet, als „verfassungswidrig“. Zu beiden Artikeln gibt es im Grundgesetz Komplementärnormen: während Art. 21 Abs. 2 S. 1 GG dem Freiheitsrecht aus Art. 21 Abs. 1 GG entspricht, ist Art. 18 GG die „negative Entsprechung“ zu den gemäß Art. 1 Abs. 3 GG unmittelbar geltenden Grundrechten, soweit diese in Art. 18 GG aufgezählt werden (Azzola 1972: 802). Mit den Instrumenten des Parteiverbots und der Grundrechtsverwirkung wird auf verfassungsrechtlicher Ebene die Möglichkeit vorgesehen, politische Parteien oder Personen, sofern von ihnen eine Gefährdung der fdGO ausgeht, in ihren politischen Beteiligungsrechten tiefgreifend einzuschränken – mit potentiell weitreichenden Auswirkungen insbesondere der Parteiverbote auf den politischen Prozeß. Zu dieser verfassungsrechtlichen Bedeutung steht die Lage der Rechtsdogmatik in auffälligem Kontrast. Fünfeinhalb Jahrzehnte nachdem sich das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Rahmen des Verbotsverfahrens gegen die Sozialistische Reichspartei (SRP) erstmals mit der fdGO auseinanderzusetzen hatte und reichlich 50 Jahre nachdem das Urteil zum Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) ergangen ist, fehlt es weiterhin an einer durchgearbeiteten und vor allem begrifflich kontrollierten Dogmatik zum Verhältnis von politischer Freiheit und fdGO. Was im Kontext der fdGO dogmatisch zur Lösung ansteht, wird in Rechtsprechung und Literatur als „Grenzproblem“ demokratisch-verfassungsstaatlicher Ordnung gekennzeichnet,1 und kann als Frage nach den Grenzen der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit und damit der Legalität politischer Opposition formuliert werden. Von den sogenannten Feinden der Freiheit wird angenommen, daß sie die politischer Opposition vom Recht 1 Diese Wortwahl in BVerfGE 5, 85 (139). Von „Grenzen“ sprechen auch Perels (1977) und Schuster (1968b) schon in den Titeln ihrer Beiträge.

1. Gehalt und Spielraum

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gesetzten Grenzen nicht respektieren. Entsprechend wird ihnen die Freiheit abgesprochen, mit gleichen Rechten am Prozeß der öffentlichen politischen Meinungsbildung teilzunehmen. Diese Feststellung bleibt jedoch, obschon juristisch nicht unwirksam, so doch rechtsdogmatisch unergiebig. Denn während man sich einig ist im Kampf gegen die Feinde der Freiheit, bricht der Dissens schon an der Frage auf, wer denn diese Feinde der Freiheit eigentlich seien (Borchers et al. 1976: 153). Umstritten sind dabei nicht nur die einzelnen „Elemente“ der fdGO, sondern auch deren Verhältnis zu anderen „leitenden Verfassungsprinzipien“ (Gusy 1980: 282). 1. Gehalt und Spielraum Nun ist es für die Verfassungsrechtsdogmatik keineswegs ungewöhnlich, sich mit Problemen befassen zu müssen, bei denen der Zusammenhang von Norm und Fallentscheidung nicht deduktiv, sondern nur auf der Grundlage von (häufig umwegigen) Interpretationsleistungen hergestellt werden kann. Vermutlich sind also die Gründe dafür, daß es erhebliche Schwierigkeiten bereitet, die im „Umfeld“ der fdGO auftauchenden dogmatischen Fragen in überzeugender Manier zu beantworten, nicht in dem spezifischen dogmatischen Gegenstand zu suchen, sondern auf ein allgemeineres grundrechtstheoretisches Problem zurückzuführen. Wenn man die unterschiedlichen Ausdeutungen der fdGO – sei es in juristischer, sei es in soziologischer Perspektive – einordnen will, kommt es daher zunächst einmal darauf an, dem (vermutlich) zugrunde liegenden Problem eine rechtstheoretisch korrekte oder doch wenigstens genauere Fassung zu geben, als dies beispielsweise der Ausdruck „unbestimmter Rechtsbegriff“ erlaubt. Dies soll in einer ersten Annäherung mit Hilfe des Begriffs „Gehalt einer Rechtsnorm“ versucht werden. „Spätestens in dem Augenblick, in dem sich die Einsicht durchzusetzen begann, daß die Grundrechte formulierenden Sätze unserer Verfassung gehaltsarme oder gar gehaltsleere Sätze (im Sinne der Logik und der Informationstheorie) seien, hätte man erwarten können, daß die Staatsrechtsdogmatik sich die Frage vorlegte, wie eine auf Grundrechte bezogene dogmatische Untersuchung in überprüfbarer Weise Gehalt in die Dogmatik einzuführen in der Lage ist. Dies ist bisher explizit nicht geschehen.“ (Podlech 1967: 341, eig. Hervorh.)

Die Begriffe Gehalt oder Informationsgehalt sind keine originär rechtsdogmatischen oder rechtstheoretischen Konzepte, sondern entstammen informationstheoretischen, sprachphilosophischen und wissenschaftstheoretischen Kontexten.2 „Gehalt“ in diesem Sinne ist eine Eigenschaft von Sät2 Der Terminus Informationsgehalt geht auf Arbeiten Carnaps und Poppers zurück. In der sozialwissenschaftlichen Literatur findet er Erwähnung etwa bei Albert (1964: 23 f.), Degenkolbe (1965) und Topitsch (1972: 24).

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II. Die Gehaltsarmut der fdGO

zen. Der Begriff des Gehalts bestimmt Information als eine Funktion des Verhältnisses von Satz und Wirklichkeit, wobei sich der Wirklichkeitsbezug eines Satzes daraus ergibt, daß er bestimmte, an sich mögliche Realitätszustände ausschließt. Die referentielle Funktion der Sprache kann, so die Annahme, um so präziser bedient werden, je mehr Fälle von einem Satz nicht abgedeckt werden, je kleiner also der sogenannte Spielraum einer Proposition ist. Es liegt dann nahe, den Gehalt eines Satzes zu bestimmen als diejenige Menge von Sachverhalten, die nicht mit der von diesem Satz ausgedrückten Proposition vereinbar ist, beziehungsweise als diejenige Klasse von Sachverhalten, die als mögliche Falsifikatoren des Satzes fungieren kann. Gehalt und Spielraum bilden also Komplementärbegriffe, die in einem streng reziproken Verhältnis zueinander stehen: je größer der Spielraum einer Aussage, desto kleiner ihr empirischer Gehalt – und umgekehrt. Die Grenzen dieses Gehaltsbegriffs werden durch Tautologien auf der einen Seite und Kontradiktionen auf der anderen Seite gesetzt. Tautologien sind Sätze, die keine denkbaren Sachverhalte ausschließen und damit aus logischen Gründen wahr sind; derartige Sätze verfügen über den totalen Spielraum und sind daher gehaltsleer. Dagegen handelt es sich bei Kontradiktionen um Sätze, die alle vorstellbaren Fälle ausschließen, mithin aus logischen Gründen falsch sind; der Spielraum solcher Sätze ist null. Der Begriff des Informationsgehaltes ist, was seine theoretische Herkunft angeht, hybrid. Er ist einerseits in einer wahrheitskonditionalen Satzsemantik verankert,3 denn offensichtlich muß man wissen, unter welchen Bedingungen ein in Frage stehender Satz wahr ist, um Aussagen über dessen Gehalt und Spielraum treffen zu können. Wahrheitskonditionale Semantiken behandeln Bedeutungsfragen als Fragen der Wahrheitsbedingungen von Sätzen. Man kennt die Bedeutung eines Satzes genau dann, wenn man weiß, wie die Wirklichkeit beschaffen sein muß, damit der Satz wahr ist;4 oder anders ausgedrückt: die Bedeutung eines Satzes ist identisch mit den Bedingungen, unter denen er wahr ist.5 Soweit Sätze als „bedeutungstragende“ sprachliche Zeichen begriffen werden, ist die Terminologie des 3 Die im folgenden referierte sprachanalytische Terminologie ist in ihren Details umstritten. Siehe als Einführungs- und Überblicksdarstellungen nur Allwood/Andersson/Dahl (1973) sowie – mit stärker sprachpragmatischem Einschlag – Kamlah/ Lorenzen (1973). 4 In Wittgensteins Tractatus (4.024) heißt es: „Einen Satz verstehen, heißt wissen, was der Fall ist, wenn er wahr ist.“ (Man kann ihn also verstehen, ohne zu wissen, ob er wahr ist.) 5 Man spricht hinsichtlich dieser Bedingungen auch von sogenannten „möglichen Welten“: wenn man von einem Satz sagt, er sei wahr, behauptet man damit, daß die Realität zu denjenigen möglichen Welten gehört, in denen realisiert ist, was der Satz aussagt.

1. Gehalt und Spielraum

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Informationsgehaltes in einer intensionalen Sprache formuliert. Die Intension eines Satzes ist seine Bedeutung. Die Bedingungen unter denen ein Satz wahr ist, bestimmt sich dabei als Funktion seiner Teilausdrücke (Kompositionalitätsprinzip), und damit nicht zuletzt über die in ihm vorkommenden Prädikate. Bei Prädikaten handelt es sich also um nicht-satzförmige Ausdrücke, und die Bedeutung oder Intension eines solchen „Begriffswortes“ liegt in derjenigen Eigenschaft (einstelliges Prädikat) beziehungsweise derjenigen Relation (mehrstelliges Prädikat), die es zum Ausdruck bringt. Sprachliche Ausdrücke erbringen aber immer auch eine referenzierende oder denotierende Leistung. Die Bedeutung eines Prädikats legt in diesem Sinne zugleich seinen „Weltausgriff“ fest, bestimmt mithin, auf welche Mengen von Objekten (logisch gesprochen: Individuen) es zutrifft. Man bezeichnet diejenige Klasse von Gegenständen, die unter den Begriff fallen (einstelliges Prädikat) beziehungsweise diejenige Menge von geordneten Paaren, Tripeln oder n-Tupeln von Objekten, auf die der Begriff zutrifft (Relations- oder mehrstellige Prädikate) als dessen Extension. Formuliert man in einer extensionalen Sprache, geht es also immer um eine Klasse von Gegenständen, die alle Merkmale oder Beziehungen realisieren, die einen Begriff ausmachen. Entsprechend spricht man auch vom Umfang des Begriffs. Die Extension der in einem Satz vorkommenden Prädikate legt auch fest, ob ein Satz unter gegebenen Bedingungen wahr oder falsch ist, so daß man den jeweils realisierten Wahrheitswert als Extension des Satzes bezeichnet. Das Eigentümliche der Gehaltsterminologie ergibt sich nun aus der Tatsache, daß der Begriff der Bedeutung mit dem des Gehalts nicht vollständig zur Deckung kommt. Wahrheitskonditionale Satzsemantiken lassen sich nicht ohne weiteres informationstheoretisch interpretieren. Der Begriff des Informationsgehaltes ist ein gradueller, setzt also die Möglichkeit des Vergleichens voraus. Die Wahrheitswertsemantik interessiert sich in intensionaler Perspektive für Bedingungen, unter denen ein Satz wahr ist; diese Bedingungen legen seine Bedeutung fest. In extensionaler Perspektive geht es um die Frage der Zuweisung von Wahrheitswerten; das aber impliziert, da eine zweiwertige Logik zugrunde gelegt wird, daß es immer nur zwei Möglichkeiten (und kein Mehr oder Weniger) geben kann: eine Proposition ist entweder wahr oder sie ist es eben nicht (Bivalenzprinzip). Umgekehrt kann der Begriff der Information – jedenfalls dann, wenn man ein an Shannon orientiertes Verständnis von Information zugrunde legt – nicht ohne weiteres semantisch, das heißt als Maß für Bedeutung interpretiert werden. Denn bei Information in diesem Sinne handelt es sich um eine statistische Größe, die sich aus der Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines Zeichens (tokens, Ereignisses) in einem (rein syntaktisch bestimmten) Kontext anderer Zeichen ergibt.

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II. Die Gehaltsarmut der fdGO

Dagegen zieht der Begriff des Informationsgehaltes, wie er hier gebraucht wird, beide Aspekte, die wahrheitskonditionale Definition von semantischer Bedeutung und den statistisch-induktiv zu interpretierenden Informationsbegriff, zusammen.6 Der Informationsgehalt eines Satzes ergibt sich demnach aus einer selektionstheoretischen Interpretation der in ihm vorkommenden Prädikate. Ein Satz wird dann semantisch und informationell interpretierbar, wenn die Prädikate nicht einfach als Satzfunktionen betrachtet werden, die für die Wahrheitswertzuweisung verantwortlich zeichnen, sondern wenn zugleich in Rechnung gestellt wird, daß die Verwendung anderer Prädikate zu anderen Bedingungen führte, unter denen der Satz als wahr bezeichnet werden könnte. Begriffe regeln in diesem Sinne den Gehalt eines Satzes, indem sie im Kontext anderer möglicher Begriffe, die anstelle ihrer in den Satz eingesetzt werden könnten, gelesen werden. Wenn also im folgenden von Informationsgehalt die Rede ist, so verweist dies auf mögliche Begriffssubstitutionen. Und was den Gegenstandsbezug betrifft, werden Aussagen infolgedessen nicht nur auf die aus ihnen resultierende Wahrheitswertverteilung hin untersucht, sondern sie werden zugleich mit anderen möglichen Sätzen vergleichbar, die ebenfalls in selektiver Manier referieren. Es ist vermutlich nicht falsch zu behaupten, daß der Informationsbegriff letztlich in einer extensionalen Sprache formuliert ist; sein analytischer Mehrwert besteht darin, daß er die Möglichkeit eröffnet, einen Satz daraufhin zu untersuchen, auf welche Klasse von Sachverhalten er als Funktion der in ihm vorkommenden Prädikate zutrifft. Sagt man also von einem Satz, er sei gehaltsarm, dann heißt dies, daß er (im Vergleich mit anderen möglichen Propositionen) für zu viele Fälle wahr ist. Die Ordnungs- und Referenzleistung eines solchen Satzes bleibt dann gering. Fungieren gehaltsarme Sätze in Theorien als Hypothesen, dann läßt die empirische Prüfbarkeit solcher Theorien zu wünschen übrig: es mangelt ihnen mit Blick auf den analysierten Realitätsausschnitt an Limitationalität (Luhmann 1990a: 406 f.). 2. Normativer Gehalt und Entscheidungsspielraum Gehalt ist eine Eigenschaft derjenigen Klasse von Sätzen, die Wahrheitsfähigkeit beanspruchen dürfen. Recht aber besteht nicht zuletzt aus Normsätzen, und Normsätze werden mehrheitlich als nicht (oder jedenfalls nicht ohne weiteres) wahrheitsfähige sprachliche Gebilde betrachtet. Die in Teilen der rechtstheoretischen Literatur zu findende Behauptung, auch Rechts6 Nach Maßgabe welcher theoretischen Bedingungen dies zulässig und möglich ist, können wir hier offenlassen; vgl. als Bezugspunkt der Diskussion aber BarHillel/Carnap (1953).

2. Normativer Gehalt und Entscheidungsspielraum

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sätze könnten gehaltsarm sein, setzt demnach eine Klärung der Frage voraus, ob und mit gegebenenfalls welchen Modifikationen sich das Konzept des Informationsgehaltes auf normative Sätze übertragen läßt.7 Um den Begriff des Gehalts auf normative Sätze erstrecken zu können, müssen die sprachphilosophischen Überlegungen durch spezifische Annahmen über das Verhältnis von Recht und Wirklichkeit ergänzt werden. Rechtsnormen können als Sätze verstanden werden, die auf die Regelung menschlichen Verhaltens gerichtet sind. Das Spezifische eines Normsatzes ergibt sich daraus, daß jedem denkbaren Verhalten, das in seinen Regelungsbereich fällt, ein deontischer Operator zugeordnet wird, so daß von diesem Verhalten ausgesagt werden kann, ob es rechtlich zulässig oder unzulässig ist.8 Diese Auffassung von Recht enthält überdies die Annahme, daß die Normativität des Rechts den Wahrheitsbezug von Sprache keineswegs eliminiert. Vielmehr wird davon ausgegangen, daß jede Rechtsordnung als eine Unterklasse der in ihr vorkommenden sprachlichen Gebilde wahrheitsfähige Aussagen enthält. Denn die Tatbestandskomponenten von Rechtsregeln beschreiben die angesteuerten Sachverhalte zunächst in einer rein deskriptiven Sprache, und erst die jeweils durch die Norm statuierte Rechtsfolge fügt dem dort beschriebenen Verhalten eine Sollenskomponente hinzu. In Anwendung auf Rechtsverhältnisse muß der Begriff des Gehalts also (nur) insoweit modifiziert werden, als juristische Sätze (Rechtsregeln), obgleich sie Sachaussagen enthalten, nicht im propositionalen Modus auf Wirklichkeit referieren, sondern die Regelung menschlichen Verhaltens zum Gegenstand haben. Das, was man dann als Gehalt einer Rechtsregel (oder auch normativen Gehalt) bezeichnen kann, läßt sich in diesem Sinne als Ausschluß möglicher Verhalten bestimmen (Podlech 1971: 27). Eine Rechtsnorm ist entsprechend genau dann gehaltsarm, wenn aus semantischen Gründen nicht hinreichend klar ist, ob ein Ereignis der Klasse der von einer Rechtsordnung (als erlaubt oder verboten) qualifizierten Verhalten zugehört. Betrachtet man das Problem der Gehaltsarmut normativer Sätze statt aus der Perspektive des Rechtsadressaten aus der des Rechtsanwenders, dann eröffnen sich letzterem Entscheidungsspielräume, die sich als Problem der Gesetzesbindung lesen lassen (Koch 1975: 27). In diesem Sinne kann man dann auch von gehaltsarmen Rechtsregeln sagen, daß sie in unzureichender Weise Limitationalität bereitstellen, weil die Tatbestandskomponente das Entscheiden nicht zuverlässig dirigiert. Und in der Forderung, den Rechts7

Wir orientieren uns im folgenden an Podlech (1971: 23–27); siehe ferner Degenkolbe (1965: 330). 8 Ein deontischer Operator drückt die Modalität der Sachverhaltsbeschreibung aus, die der Rechtssatz enthält. In der Regel bezieht er sich auf Handlungsweisen oder Verhalten und versieht diese mit unterschiedlichen Sollensmodalitäten (etwa: geboten, verboten oder erlaubt); siehe dazu den Überblick bei Röhl (1999).

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II. Die Gehaltsarmut der fdGO

normen Gehalt zuzuführen, drückt sich die Notwendigkeit aus, Entscheidungslimitationalität trotz semantischer Unterspezifikation herzustellen.9 Von den Grundrechten wird nun angenommen, daß es sich bei ihnen regelmäßig um gehaltsarme Normen handelt.10 Für diese Behauptung spricht insofern einiges, als die Grundrechte formulierenden Sätze hochstufig generalisierte Ausdrücke enthalten, die auf komplex strukturierte soziale Realitätsausschnitte verweisen. Das führt dann in dogmatische Kontroversen darüber, ob ein bestimmtes staatliches „Verhalten“ grundrechtlich geschützte Bereiche tangiert oder nicht. Es liegt nahe, zu vermuten, daß diese Problemlage auch diejenigen Sätze betrifft, die den rechtlichen Prädikatsausdruck „fdGO“ enthalten oder vor dem Hintergrund dieses Ausdrucks ausgelegt werden müssen. Im Grundgesetz findet sich keine Legaldefinition der fdGO. Zugleich sind die Prädikate Freiheit und Demokratie in ihrer Referenz- und Prädikationsleistung notorisch umstritten, so daß man sich im Zuge seiner Argumentationsbemühungen auch nicht auf einen allgemein konsentierten Sprachgebrauch stützen kann. Nichts anderes bringt denn auch die Qualifizierung der fdGO als „unbestimmter Rechtsbegriff“ zum Ausdruck (Gusy 1980: 282). Um eine durchgearbeitete Dogmatik der fdGO zu entwickeln, eine Dogmatik also, welche den Spielraum geregelten Verhaltens beziehungweise denjenigen richterlichen Entscheidens in kontrollierbaren Grenzen zu halten beabsichtigt, muß also mindestens bestimmt werden, unter welchen Bedingungen einem sozialen Gebilde das (dogmatische) Prädikat „fdGO“ zugewiesen werden kann und was rechtlich aus dieser Prädizierung folgt (siehe dazu Podlech 1969: 44). Das aber, so jedenfalls hat es den Anschein, ist ohne weitere theoretische Zurüstung nicht möglich.

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Vgl. dazu auch Topitsch (1972: 28), der Rechtssätze mit geringem Normgehalt als „pseudonormative Leerformeln“ bezeichnet. 10 Siehe dazu neben der schon zitierten Stelle in Podlech (1967: 341) etwa Böckenförde (1974: 1529); Koch (1975) und Schlink (1980: 91).

III. Die Paradoxie der fdGO Als rechtstheoretischer Ausgangspunkt, von dem wir annehmen, daß er auch für die Schwierigkeiten im Umgang mit der fdGO verantwortlich ist, dient uns das Problem der Prädikationsleistung rechtlicher Ausdrücke. Die Intension eines Prädikates legt fest, welche Merkmale allen Mitgliedern der Klasse seiner möglichen Denotata gemein sind. Ein Prädikat kann daher auch als sprachliches Gebilde mit definierten Leerstellen bestimmt werden, welches zugleich die Wahrheitswertverteilung des satzförmigen Ausdrucks regelt, der sich ergibt, wenn man in die Leerstellen sogenannte Eigennamen (Ausdrücke, die auf identifizierbare Objekte oder Sachverhalte verweisen) einsetzt. Prädikate, so kann man auch formulieren, sorgen für die Asymmetrisierung von Satz und Gegenstand; gelingt einem Prädikat diese Asymmetrisierung nicht in ausreichendem Maße, so bleibt ein Satz, dessen Bedeutung durch dieses Prädikat (mit-)bestimmt wird, gehaltsarm (Luhmann 1990a: 392, 401, 406 f.). Im Recht schlägt sich dies als ein Problem unzureichend strukturierter Entscheidungslagen nieder. Der Begriff der Limitationalität markiert dieses Problem und verweist im Recht auf die Anforderung, den Sprachgebrauch so zu spezifizieren, daß die in Frage stehenden rechtlichen Probleme entscheidbar werden. Von der Dogmatik der fdGO kann man sagen, daß sie in zentralen Hinsichten auf gehaltsarmen Sätzen aufbaut. Auch eine nur kursorische Durchmusterung der dogmatischen Literatur bestätigt die Diagnose, daß nur sehr ungenaue Aussagen darüber möglich sind, welche Verhalten von den juristischen Sätzen, in denen das Prädikat „fdGO“ vorkommt, als zulässig beziehungsweise unzulässig qualifiziert werden. So ist man sich mit Blick auf die fdGO zwar sehr wohl einig im Kampf gegen die Feinde der Freiheit; es besteht aber weder Konsens darüber, welche, noch darüber, wessen Freiheit hier gemeint ist – noch auch darüber, wie auf welcher rechtsmethodischen und rechtstheoretischen Basis dieser Dissens überwunden werden könnte. Man kann sich angesichts des Diskussionsstandes des Eindrucks einer gewissen Ratlosigkeit nicht erwehren. 1. Zum Zusammenhang von Problemformulierung und dogmatischer Limitationalität Das Prädikat „gehaltsarm“ markiert zunächst in nur sehr allgemeiner Weise die Problemlage, die diesen defizitären Stand der dogmatischen Diskussion bedingt. Es läßt erkennen, daß der Wortlaut der einschlägigen Nor-

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III. Die Paradoxie der fdGO

men das dogmatische Argumentieren und schließlich das Entscheiden nur in geringem Maße anzuleiten vermag. Lenkt man den Blick jedoch auf die rechtsdogmatische Auseinandersetzung um die fdGO selbst, so fällt auf, daß diese sich mit der Erörterung der Prämissen möglicher dogmatischer Lösungen in der Regel nicht oder jedenfalls nicht allzu lange aufhält. Anstatt zunächst die Voraussetzungen zu thematisieren, die festlegen, in welcher Form die Gehaltszuführung zu erfolgen hat, wendet man sich häufig relativ unvermittelt fallbezogenen Fragestellungen zu. Gerade die Tatsache, daß man sich über die rechtstheoretischen Grundlagen der Auseinandersetzung kaum je ausdrücklich verständigt, könnte ein Anhaltspunkt dafür sein, daß wir es mit dem zu tun haben, was in der Entscheidungstheorie ein illstructured oder ill-defined problem genannt wird.1 Bevor man sich aber mit den Eigenheiten von „schlecht strukturierten Problemen“ befassen kann, muß geklärt werden, was eigentlich ein Problem konstituiert. Ein Problem ist, sehr allgemein gesprochen, ein veränderungsbedürftiger Zustand; soweit von „Problemen“ die Rede ist, ist also ein Objekt oder eine Situation gemeint, das oder die entweder über eine unerwünschte Eigenschaft verfügt oder über eine gewünschte nicht verfügt. Probleme müssen sprachlich repräsentiert werden; diese Repräsentation von Problemen kann in unterschiedlichem Maße bereits Hinweise darauf enthalten, welche Veränderungen des beschriebenen Zustandes notwendig sind, damit ein Problem als gelöst gelten darf. Die Problemformulierung kann mehr oder weniger genaue Anhalte bezüglich der Bedingungen liefern, die ein Objekt oder eine Situation erfüllen müssen, damit sie geeignet sind, ein Problem zu beseitigen.2 Weisen die in den Problembeschreibungen enthaltenen Bedingungen der Lösung eines Problems so viel Limitationalität auf, daß mögliche Lösungen des Problems (und gegebenenfalls der Weg dorthin) erkennbar werden, hat man es mit einem „gut strukturierten Problem“ zu tun. Fehlt es dagegen der Formulierung des Problems an explizit formulierten oder auch nur explizit formulierbaren Bedingungen seiner Lösbarkeit, kann man von einem „schlecht strukturierten Problem“ sprechen; Problemlagen mit dieser Eigenschaft richten die Aufmerksamkeit nicht in ausrei1

Aus der reichhaltigen Literatur siehe als zentrale Referenzen nur Reitman (1964) und Simon (1973). Wir stützen uns im folgenden auf die konzeptionellen Überlegungen von Smith (1988). 2 Nickles (1981: 112, Hervorh. dort) definiert Probleme sogar in diesem Sinne: „A problem is a set of constraints (better, a constraint structure) plus a demand that the object (or an object, etc., depending on the selection properties of the demand) delimited or ‚described‘ by the constraints be obtained.“ Sachlich dürften seine Beobachtungen über den zirkulären Zusammenhang von Problem und Lösung zutreffen; daraus auch die Geeignetheit einer zirkulären Definition des Problembegriffs zu folgern, überzeugt dagegen nicht restlos.

1. Problemformulierung und dogmatische Limitationalität

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chendem Maße auf die Lösung ihrer selbst. Unter derartigen Bedingungen wird die Problemlösung (und gegebenenfalls auch die Problemformulierung) selbst zum Problem (Smith 1988: 1497, Hervorh. dort). So auch im Falle der fdGO. Wenn Probleme als mehr oder weniger „strukturiert“ beschrieben werden, ist damit keineswegs eine „objektive“ Eigenschaft des in Frage stehenden Problems gemeint. Der Ausdruck „Struktur“ verweist vielmehr auf die Relation zwischen den Beschreibungskapazitäten des „Problemlösers“ und dem gleichsam ontologischen Substrat des zu bearbeitenden Problems. Die „Strukturiertheit“ eines Problems wird als Resultat des Zusammenwirkens zweier Faktoren begriffen: nämlich einerseits derjenigen Realitäten, in denen das zu lösende Problem gründet; und andererseits der „kognitiven Kapazitäten“ – zu denken ist etwa an begriffliche, methodische und theoretische Mittel – derjenigen, die das Problem zu bearbeiten haben. Die Diagnose, ein Problem sei „ill-structured“ kann man nur stellen, wenn man beides relationiert und ein Mißverhältnis im Sinne eines kognitiven Defizits des Problemlösers im Verhältnis zu dem von ihm zu bearbeitenden Problem ausgemacht werden kann (Smith 1988: 1496–1498). Daß im vorliegenden Fall eine solche Disbalance von Gegenstand und Problemlösungspotential gegeben ist, wird daran erkennbar, daß man gar nicht erst bis zu einer rechtstheoretisch brauchbaren Formulierung der Problemlage vordringt, auf deren Grundlage wenigstens die Bedingungen der Möglichkeit einer dogmatisch kontrollierten Lösung angegeben werden könnten. Wenn es aber eine Eigenschaft von schlecht strukturierten Problemen ist, daß sie nur relativ auf den Problemlöser zugewiesen werden können, sollte es auf der Grundlage einer Modifikation oder Ergänzung des analytischen Instrumentariums (jedenfalls dann, wenn sich der Gegenstand nicht als zu „widerständig“ erweist) auch möglich sein, aus einem vormals schlecht ein gut strukturiertes Problem zu machen. Will man zum Beispiel versuchen, die Diskussion um die fdGO aus dem Zustand der „ill-definedness“ in einen solchen der „well-definedness“ überzuführen, muß in einem ersten Schritt genauer bestimmt werden, was eigentlich einer (dogmatisch kontrollierten) Konkretisierung der Formel „Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit“ entgegensteht. Dafür müssen die begrifflichen Transformationsschritte angegeben werden, die notwendig sind, um den „problem space“ beschreibbar zu machen. Die Diagnose „Gehaltsarmut“ bleibt dafür zu unspezifisch, da sie keine Hinweise darauf gibt, wo das der fdGO zugrunde liegende sachliche Problem zu suchen ist. Der Einstieg in eine sachhaltige Erörterung des Problems muß also anders erfolgen, und zwar, so der Vorschlag, mit Hilfe einer terminologischen Umstellung. Dazu dient uns die Formel „Keine Frei-

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III. Die Paradoxie der fdGO

heit für die Feinde der Freiheit“. Sie weist – jenseits der Tatsache, daß sie gehaltsarm und entsprechend interpretationsbedürftig ist – eine Auffälligkeit auf, die uns als Anknüpfungspunkt für eine genauere Beschreibung des „problem space“ dienen kann. Sie besagt nämlich, daß Freiheitssicherung nur auf Kosten von Freiheitseinschränkung zu haben ist: zugleich „Freiheit“ und „nicht Freiheit“, beides muß von der Verfassung gewährleistet werden (so jedenfalls lautet die dominierende Auffassung in Rechtsprechung und Literatur), damit von einer Ordnung die Rede sein kann, die sich durch Freiheitlichkeit und Demokratie auszeichnet. Bei oberflächlicher Betrachtung scheint es sich bei dem Satz „Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit“ um einen Widerspruch zu handeln. Auf den zweiten Blick wird aber erkennbar, daß die interne „Struktur“ des Satzes verwickelter ist, weil zur Negation auch noch der Aspekt der Selbstbezüglichkeit hinzutritt. Die Aussage lautet nicht „A und non A“, nicht „Freiheit und zugleich Unfreiheit“, sondern „A, weil non A“, und damit „Freiheit aufgrund von Unfreiheit“. Damit haben wir es mit einem selbstimplikativen Widerspruch, also mit einer Paradoxie zu tun.3 Die Bedingung der Möglichkeit von Freiheit ist zugleich die Bedingung der Unmöglichkeit (oder, auf Aussagen bezogen: der Negierbarkeit) von Freiheit: Unfreiheit – die Abschaffung der freiheitlichen Ordnung – liegt nur im Bereich des Möglichen, weil Freiheit – nämlich die Freiheit, sich politisch gegen eben diese Freiheit zu wenden – gewährleistet ist. Daraus wird dann geschlußfolgert, daß man dieser Möglichkeit der Abschaffung der Freiheit durch Freiheitsgebrauch begegnen muß – man spricht diesbezüglich auch von „wehrhafter Demokratie“ –, daß also Freiheit nur unter der Bedingung der Einschränkung dieser Freiheit gesichert werden kann. Das autologische Moment liegt also in der Behauptung, daß die qua grundrechtlicher Gewährleistungen ausgegrenzte Sphäre der Freiheit (die Klasse der staatlichem Einwirken entzogenen Kommunikationen, Handlungen und Verhalten) als Schutzgut zugleich der Grund ihrer Beschränkung (ihrer teilweisen Negation) sein kann – und weiterhin in der Frage, wie dies auf die Bestimmung von Freiheit zurückwirkt.4 Wenn aber die Sätze „wenn Freiheit, dann Unfreiheit“ und „wenn Unfreiheit, dann Freiheit“ zugleich rechtliche Geltung beanspruchen, dann wird es ohne weitere Konditionierungen unmög3

Zur Figur der Paradoxie siehe beispielsweise Cronen/Johnson/Lannamann (1982); Esposito (1991); Krippendorff (1984); Quine (1962); Watzlawick/Beavin/ Jackson (1967: Kap. 6) und Wormell (1958); aus der Diskussion um Paradoxien im Recht etwa Fletcher (1985); Goldstein (1979) und Hicks (1971). 4 Daß der rechtliche Ausdruck „fdGO“ paradoxal gebaut ist, vermuten ausdrücklich, aber ohne das jeweils zugrundeliegende Paradoxieverständnis zu erläutern, Dreier (1977: 98); Schuster (1968a: 417–420); Morlok (2001: 2932) und Sichert (2001: 672).

1. Problemformulierung und dogmatische Limitationalität

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lich zu entscheiden, ob Freiheit oder Unfreiheit obwaltet.5 Damit ist denn auch die zweite und hinreichende Bedingung für das Vorhandensein eines Paradoxes erfüllt: die Annahme der einen Behauptung führt zur Annahme einer ihr widersprechenden Behauptung, so daß man sich in eine Oszillationsbewegung zwischen den beiden Sätzen verstrickt sieht. Die Situation ist durch Unentscheidbarkeit gekennzeichnet (Esposito 1991: 35–39). Greift man in die grundrechtlich geschützten Bereiche zum Schutz der Freiheit ein, gefährdet man diese; unterläßt man umgekehrt den Eingriff, um die Freiheit zu schonen, stellt dies ebenfalls eine Freiheitsgefährdung dar. Eingriff und Nichteingriff wird dieselbe Aufgabe zugedacht: Schutz von Freiheit.6 Damit gerät die Dogmatik in ein unentschiedenes Oszillieren zwischen den beiden Werten Freiheit und Unfreiheit. Im Vergleich mit der Behauptung, die Ausdeutung der fdGO laboriere an dem Problem der Gehaltsarmut grundrechtlicher Sätze, ändert die Vermutung, daß die Schwierigkeiten im Umgang mit der fdGO auf die Paradoxie von Freiheitsgewährleistung durch Freiheitseinschränkung zurückgeführt werden können, zunächst nichts an der Aufgabe, der sich die Dogmatik konfrontiert sieht. In der sprachphilosophischen Terminologie wird die Forderung nach einem Sprachgebrauch, der dem Kritierium der Limitationalität genügt, als Problem der Gehaltszuführung behandelt; in der kommunikationstheoretischen Fassung wird daraus die Direktive abgeleitet, nach geeigneten Formen der Entparadoxierung zu suchen. Der Unterschied liegt zunächst nur im Bereich der begrifflichen Fassung des Problems, während der „Problemgehalt“ selbst nicht angetastet wird. Gleichviel, welche Problembeschreibung man zugrunde legt, immer geht es um die Einführung von Limitationalität, um die Schwierigkeit, wie eine mögliche Dogmatik der fdGO trotz der zu konstatierenden Unterbestimmtheit oder paradoxalen Verfaßtheit des Ausdrucks argumentative Führung gewinnen kann. 5 Es ist völlig klar, daß die Möglichkeiten, in die politischen Grundrechte einzugreifen, welche die Art. 18 und Art. 21 Abs. 2 GG vorsehen, diese Eingriffe unter Konditionierungen setzen. Das Problem ergibt sich daraus, daß diese Konditionierungen selbst den Ausdruck Freiheit enthalten. Die notwendigen Spezifikationen können also den Normen selbst nicht entnommen werden – und genau das bringt auch schon die gängige juristische Charakterisierung der Paradoxie als Widerspruch zum Ausdruck (vgl. Luhmann 1984: 494). 6 Legt man eine zweiwertige Logik zugrunde, dann ist eine paradoxale Aussage wahr, weil sie unwahr ist, und deswegen unwahr, weil sie wahr ist. Daß die Verfassung das politische Wollen und Handeln der Bürger freistellt (politische Freiheit rechtlich gewährleistet), ist wahr, weil es unwahr ist, indem die politische Freiheit als Möglichkeit den Kampf gegen eben diese Freiheit umfaßt; und es ist unwahr – die Verfassung sieht die Einschränkung der politischen Freiheit der Feinde der Freiheit vor – und gerade dadurch wahr, jedenfalls soweit man in dieser Einschränkung eine Bedingung des Freiheitsgebrauchs sieht.

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III. Die Paradoxie der fdGO

2. Die Form des Beobachtens Während man also davon ausgehen kann, daß die Identifikation einer Paradoxie „im Gegenstandsbereich“ die dogmatische Problemstellung selbst nicht verändert, gibt die Paradoxie der fdGO sehr wohl Anlaß zu einer grundbegrifflichen Revision. Das gilt jedenfalls dann, wenn man Paradoxien in ihrer Faktizität ernst nimmt, wenn man sie nicht von vornherein aus dem Bereich des Analysierbaren ausschließen will und wenn man schließlich sogar den Verdacht hegt, daß Paradoxien gerade wegen ihrer eigentümlichen Struktur auf einer anderen Ebene informativ werden, indem sie als Aussagen über den „Kontext“, in dem sie auftauchen, gedeutet werden können.7 Die bisherigen Ausführungen orientierten sich am Begriff des (semantischen) Gehalts von Aussagen beziehungsweise, in der Übertragung auf Rechtsordnungen, am Begriff des normativen Gehalts von Rechtsregeln; es geht um Fragen der Übermittlung von Bedeutung zwischen rechtlich kompetenten Sprechern und Hörern. Von diesem Spezialverständnis von Sprache als Medium der Bedeutungs- und Informationsübertragung müssen wir uns lösen, denn Paradoxien stellen die Anwendbarkeit dieser Konzepte grundlegend in Frage, so wie umgekehrt Paradoxien aus dieser Perspektive nur als Anomalien behandelt werden können. Wenn die Dogmatik auf Paradoxien aufläuft, geht es nicht mehr einfach um mehr oder weniger ausgeprägte semantische Unschärfen, sondern viel grundlegender darum, daß ein Moment des Nichtformulierbaren auftaucht, welches sich in einem rechtlich geregelten Bereich und im Gefolge der Versuche, diesen dogmatisch einzuhegen, in Unentscheidbarkeiten übersetzt. Statt von einer sprachlichen Übertragung semantischer Information, die Resultat des propositionalen Gehalts eines Satzes ist, gehen wir grundbegrifflich von Kommunikation als einer Sonderform des Beobachtens aus. Die Bestimmung des Informationsgehaltes von Sätzen über Prädikate, die für die Wahrheitswertzuweisung verantwortlich zeichnen, legt ein identitäres Verständnis von Bedeutung zugrunde. Die Sätze und die darin vorkommenden Satzfunktionen (Prädikate) fungieren gleichsam als „Container“, die die Information beziehungsweise Bedeutung enthalten und darüber das Referieren auf Gegenstände ermöglichen. Diese Vorstellung identitärer Bedeutung, die auf der – wie immer abgeschwächten – Auffassung beruht, es mit referierbaren Objekten zu tun zu haben, ist spätestens seit de Saussure in Auflösung begriffen. Das in erkenntnistheoretischer Hinsicht problematische Verhältnis von Sprache und Realität wird in der Semiotik auf die Differenz von Bezeichnendem und Bezeichnetem umgesetzt, ohne daß die Ver7 Esposito (1991: 47); Luhmann (1993d: 246); Watzlawick/Beavin/Jackson (1967: 195–229).

2. Die Form des Beobachtens

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wendung dieser Differenz in der Sprache irgendwie geartete Passungsverhältnisse von Bezeichnungsleistung und Realität voraussetzten. Bedeutung ergibt sich für die Semiotik nicht mehr als Funktion der Referenzleistung sprachlicher Ausdrücke, sondern entsteht aus dem differentiellen Zusammenspiel von sprachlichen Zeichen. Ohne auch nur annähernd auf die Feinheiten der semiotischen Theorieanlage eingehen zu können, darf man wohl sagen, daß die Aufmerksamkeit auf den Gebrauch von Differenzen gelenkt wird (siehe nur Morris 1938: 44 f.). Das aber heißt, daß die intensionale und extensionale Interpretation von Prädikaten ihrer analytisch grundlegenden Stellung verlustig geht. Nicht Identitäten – durch Prädikation zugewiesene Eigenschaften – sind es, die „Bedeutung“ hervorbringen; vielmehr ist das, was an der Bedeutung identitär erscheint, nur auf der Basis von Differenzen zu haben. Auch Prädikation verdankt sich demzufolge dem Treffen von Unterscheidungen; Begriffe müssen dann selbst als eine (anspruchsvolle) Form des Umgangs mit Differenzen begriffen werden. a) Beobachten als bezeichnendes Unterscheiden Die Zeichentheorie löst oder lockert jedenfalls die Verschränkung von Referenz, Bedeutung und Wahrheit, ohne daß damit aber zugleich Fragen der Objektkonstitution und Bedeutungsgenese hinfällig würden. Das damit angesprochene Problemsyndrom muß allerdings anders aufgeschlüsselt werden. Den Ausgangspunkt dafür bildet die Feststellung, daß Differenzen immer das Resultat ihrer Setzung sind. Alles, was in der Sprache „ist“, entsteht dadurch, daß etwas unterschieden und bezeichnet wird. Wir nennen diesen Vorgang Beobachten, lösen uns dabei jedoch – vorläufig ohne Begründung – von der Annahme, daß Beobachtung nur in und als Sprache möglich sei.8 Jede Beobachtung bezeichnet etwas und unterscheidet es damit zugleich von allem anderen, was gerade nicht im Focus der Bezeichnung steht. Das wird möglich durch die Zweiteiligkeit, die diesen Vorgang kennzeichnet: Unterscheiden und Bezeichnen sind nämlich immer gemeinsam gegeben; diese Doppelbewegung ist es, die uns den Begriff des Beobachtens definiert.9 Auch die Vorstellung, über Sprache könne man Objekte referenzieren, stellt sich als ein Effekt des Beobachtens ein, der sich daraus ergibt, daß die Beobachtung Gegenstände auf der Grundlage einer Unterscheidung, derer sie sich bedient, bezeichnet und somit identifizierbar macht (Esposito 1991: 42 f.). 8

Dazu unten S. 52, Fn. 43. Zum Beobachtungsbegriff und seinen theoretischen Implikationen siehe Luhmann (1990: Kap. 2; 1990b; 1995: Kap. 2); ferner Fuchs (2004: Kap. „Beobachtung“); zum Verhältnis von Zeichenbegriff und Beobachtungsbegriff Luhmann (1993e). 9

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III. Die Paradoxie der fdGO

Dieser vordergründig einfachen Struktur des Beobachtungsbegriffs liegt allerdings ein vertrackter „interner Aufbau“ zugrunde – und das in mehrfacher Hinsicht. Zwischen Unterscheiden und Bezeichnen besteht ein Verhältnis wechselseitiger Bedingung: es ist nicht denkbar, daß bezeichnet wird, ohne zu unterscheiden, und ebensowenig kann man unterscheiden, ohne zu bezeichnen; denn jeder Akt der Unterscheidung hat trennenden Charakter, impliziert einen Symmetriebruch, schichtet das, was bezeichnet wird, von einem Hintergrund ab; und umgekehrt gilt für jede Bezeichnungsleistung, daß sie eine Unterscheidung „verursacht“. Unterscheiden und Bezeichnen sind notwendige und hinreichende Bedingung für das Vorkommen des je anderen Sachverhalts. Dazu kommt, daß der Begriff des Beobachtens selbstimplikativ gebaut ist; er setzt voraus und vollzieht, was ihn definiert: die Unterscheidung von Bezeichnen und Unterscheiden sowie die Möglichkeit, diese Differenz zu bezeichnen – eben als „Beobachten“.10 Kurzum: Der Begriff der Beobachtung kann nur auf der Grundlage einer Beobachtung „begriffen“ werden. Jedes Beobachten vollzieht eine Doppelbewegung, die eine Grenze entstehen läßt, die zwei Seiten trennt, wobei zugleich eine dieser beiden Seiten durch Bezeichnung avisiert wird. Die Unterscheidung selbst wird im Zuge einer Beobachtung verwendet und nicht bezeichnet. Da die eingesetzte Unterscheidung nicht zugleich auch unterschieden werden kann, ist die Einheit der Unterscheidung sich nicht selbst zugänglich, kann sie sich nicht selbst identifizieren. Eine einzelne Beobachtung vermag sich nicht selbst zu beobachten, weil die Unterscheidung, der sie sich verdankt, als nicht mitsehbare Bedingung ihres Seins fungiert. In diesem Sinne eines nicht mitbeobachtbaren Vollzugs einer Unterscheidung bezeichnet man die je gebrauchte Unterscheidung auch als blinden Fleck des Beobachtens. Wer auf der Basis einer bestimmten Unterscheidung beobachtet, sieht nicht, welche Unterscheidung er einsetzt, und er sieht ebensowenig, daß er das nicht sieht. Formuliert man dies als Frage nach dem Beobachter, nach dem Ort, an dem der Beobachter, dem sich das Beobachten verdankt, residiert, dann lautet die Antwort: es ist der blinde Fleck, in den sich der Beobachter zurückzieht. Die Unterscheidung selbst ist der Beobachter. Der Begriff, den wir zur Bezeichnung dessen heranziehen, was mit jedem Beobachten entsteht, nämlich die durch das Treffen einer Unterscheidung hergestellte Differenz von zwei Seiten einschließlich der Grenze, die die 10 Man kann dieses zirkuläre Verweisungsverhältnis auch vom Unterscheidungsbegriff her sichtbar machen: der Begriff des Beobachtens ist ein selbstbezüglicher Begriff, weil er Unterscheidung und Bezeichnung unterscheidet und somit als Fall innerhalb des von ihm abgedeckten Anwendungs- (oder, wenn man so will: Beobachtungs-)Bereichs wieder vorkommt (Luhmann 1990a: 95).

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beiden Seiten trennt, ist derjenige der Form. Der Formbegriff klammert also den Zusammenhang von Bezeichnen und Unterscheiden sowie das dadurch ausgeschlossene Dritte des Beobachtens, welches man als Selbstblindheit des bezeichnenden Unterscheidens beobachten kann; oder in etwas anderer Wendung: die Form ist gerade die Unterscheidung selbst, das ausgeschlossene Dritte des Beobachtens, welches nicht beobachtet werden kann, solange auf der Basis eben dieser Form beobachtet wird. Form ist derjenige Begriff, der die Unterscheidung, auf der eine Beobachtung fußt, beobachtbar macht (Luhmann 1990a: 79 f.; 1993b; 1997: 60–62). Dabei ergibt sich zwangsläufig, daß die für den Beobachtungsbegriff kennzeichnenden autologischen Verhältnisse auch auf den Formbegriff durchschlagen. Jedes Beobachten generiert („ist“) eine Form, mit der etwas beobachtet wird, indem es als Unterschied markiert wird. Zugleich läßt sich das Beobachten selbst beobachten als eine spezifische Form, nämlich als Einheit der Differenz von Unterscheiden und Bezeichnen. Die Form des Beobachtens ist also in jeder Beobachtung vorausgesetzt, aber nicht mit dieser Beobachtung identisch (Luhmann 1990: 82).11 b) Beobachtung zweiter Ordnung Im Moment des Beobachtens kann sich das Beobachten nicht selbst in den Blick nehmen. Es bekommt die der Bezeichnung zugrundeliegende Unterscheidung nicht zu sehen. Die eingesetzte, aber unsichtbare Unterscheidung fungiert im Zuge des (einfachen) Beobachtens als Bedingung der Möglichkeit des Bezeichnens. Der Formbegriff kommt genau an dieser Stelle zum Tragen, an der es darum geht, die „interne Struktur“ des Beobachtens zu beobachten – einschließlich der Möglichkeit, den „Aufbau“ des Begriffs der Beobachtung aufzuschlüsseln. Es geht also nicht mehr um die Beobachtung von Objekten, sondern um die Beobachtung von Unterscheidungen, die dem Beobachten zugrunde liegen. Für diesen Modus der Beobachtung des Beobachtens hat sich die Rede von der Beobachtung zweiter Ordnung eingebürgert. Auch eine Beobachtung zweiter Ordnung bleibt eine Beobachtung, unterscheidet und bezeichnet also. Und auch für eine Beobachtung zweiter Ordnung gilt, daß sie in ihrem Vollzug für sich selbst nicht erreichbar ist. Die 11 In jedem Formgebrauch ist mithin die Form des Beobachtens vorausgesetzt, ohne daß sie beobachtet werden kann. Das macht es notwendig zu unterscheiden zwischen der Verwendung der Form Beobachten und der Tatsache, daß der Einsatz dieser Form immer zur Bezeichnung von etwas im Kontext einer Unterscheidung führt. Genau genommen produziert jedes Beobachten damit aber nicht einen, sondern zwei blinde Flecke: man sieht nicht, daß man beobachtet und daß man das nicht sieht; und man sieht nicht, was man beobachtet und daß man das nicht sieht.

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III. Die Paradoxie der fdGO

Differenz zu einer Beobachtung erster Ordnung entsteht dadurch, daß eine Beobachtung zweiter Ordnung nur dann möglich ist, wenn man Beobachtungen unterscheiden kann. Das Unterscheiden und Bezeichnen, dem sich das Beobachten zweiter Ordnung verdankt, ist also nicht auf das Beobachten von Identitäten (Dingen) gerichtet, sondern auf das Unterscheiden und Bezeichnen, welches eine andere Beobachtung konstituiert. Die beobachtungsleitende Fragestellung liegt dann nicht mehr darin zu fragen, was Realität konstituiert, sondern wie (auf Basis welcher Unterscheidungen) ein Beobachter seine Wirklichkeit konstruiert. Damit verliert die Beobachtung zweiter Ordnung den für die Beobachtung erster Ordnung charakteristischen direkten Ding- oder Weltbezug – sie verliert ihn jedenfalls insoweit, als sie nicht unvermittelt die „Realität“, sondern den Realitätsbezug einer anderen Beobachtung beobachtet; sie verliert ihn aber zugleich auch nicht, da auch für sie alle formalen Möglichkeiten und Beschränkungen des Beobachtens gelten (Luhmann 1990a: 85–87, 97–103; 1995a: Kap. 2.I–2.II).12 c) Operation und Beobachtung Schon die Tatsache, daß jedes Beobachten als Form zu begreifen ist, die Bezeichnungsleistungen im Kontext von Unterscheidungen hervorbringt, verweist auf andere Möglichkeiten, auf andere Beobachtungen: „Jede Seite der Form ist die andere Seite der anderen Seite“ (Luhmann 1997: 60); das, was innerhalb einer Unterscheidung momentan unbezeichnet bleibt, kann potentiell bezeichnet werden. Die Zwei-Seiten-Form des Unterscheidens und Bezeichnens ist zugleich symmetrisch und asymmetrisch. Sie ist symmetrisch insofern, als beide Seiten immer gemeinsam gegeben sind; und sie ist asymmetrisch in dem Sinn, daß dasjenige, was von der Beobachtung 12

Auf der Grundlage der Beobachtung von Unterscheidungen ergibt sich dann auch die Möglichkeit, im Anschluß an Spencer-Brown sogenannte „re-entries“ zu identifizieren. Bei einem re-entry handelt es sich um ein Hineincopieren oder einen Wiedereintritt einer Unterscheidung in deren markierte Seite. Die Form taucht also auf einer ihrer beiden Seiten wieder auf. Von einem re-entry kann man sprechen, wenn eine Unterscheidung einen „Beobachtungsraum“ nicht nur hervorbringt, sondern sie zugleich innerhalb dieses Raums beobachtbar wird. Ein re-entry ist also nur auf der Grundlage einer selbstanwendungsfähigen Unterscheidung möglich, die einen Kontext generiert, innerhalb derer sie selbst wieder eine Rolle spielen kann. So kann man zum Beispiel, um eine Differenz zu wählen, die uns später noch beschäftigen wird, zwischen Erleben und Handeln unterscheiden, und dann feststellen, daß man sowohl das Erleben als auch das Handeln erleben kann. Die Form der Unterscheidung von Erleben und Handeln kommt also auf der einen ihrer beiden Seiten wieder zum Tragen. Auch die Form des Beobachtens selbst ist re-entry-fähig. Sie ermöglicht das Beobachten, einschließlich der Möglichkeit, die Form des Beobachtens zu beobachten. Siehe dazu Kauffman (1987: 56 f.) und Luhmann (1993b: 200).

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„sichtbar“ ist, nur die Bezeichnungsleistung ist (Luhmann 1993c: 293). Dieser Zusammenhang läßt sich nicht nur als Sach-, sondern auch als Zeitverhältnis erläutern: Unterscheiden und Bezeichnen sind immer gleichzeitig gegeben, sie fallen „schlageinheitlich“ (Fuchs 1995: 25) an. Nie jedoch können die Bezeichnung und das, wovon sie sich unterscheidet, gleichzeitig bezeichnet werden (es sei denn als Beobachtung der sie übergreifenden Form).13 Um die mit einer jeden Beobachtung errichtete Grenze überschreiten zu können, bedarf es einer weiteren Beobachtung. Die Einbettung jeder Unterscheidung in einen nicht bezeichneten Raum hält andere Bezeichnungsmöglichkeiten vor, die zu bezeichnen aber nur im Rahmen einer weiteren Beobachtung möglich ist. Wie aber wird dieser Übergang von der einen zur anderen Beobachtung bewerkstelligt? Um hier zu einer Antwort zu gelangen, muß man den Umweg über eine weitere Frage nehmen. Es muß gelingen zu klären, was eigentlich die Identität einer Beobachtung ausmacht. Das „Beobachtung-Sein“ ist nämlich keine Eigenschaft, die einer Beobachtung innewohnt, sondern eine Konstruktion, die von der nachfolgenden Beobachtung vorgenommen wird – für die natürlich dasselbe gilt. Eine Beobachtung ist keine Beobachtung ohne eine andere, welche sie zu einer solchen macht. Beobachtungen sind also Produkte von Zuschreibungen. Es müssen strikt genommen zwei Zeitstellen in Betracht gezogen werden, damit ein „Vorgang“ als Beobachtung identifizierbar ist. An der Stelle, an der dasjenige, was im Nachgang als Beobachtung ausgewiesen wird, statt hat, ist es ein schlichtes Vorkommnis, ein Ereignis, auf das weitere gleichgestaltige Ereignisse folgen werden. Und weil es sich um ein zeitlich indexiertes Ereignis handelt, kann man von dem Ereignis sagen, daß es eine Operation ist.14 Daß es sich bei der Bezeichnung, als die eine solche Operation sichtbar wird, um eine Bezeichnung im Kontext einer Unterscheidung und also um eine Beobachtung handelt, wird immer erst an der nächsten Zeitstelle deutlich. Erst die Folgebeobachtung verfertigt im Nachgang die Differenz von Unterscheidung und Bezeichnung – dies aber immer nur als Bezeichnung. Beobachtungen sind Ereignisse, die sich erfolgreich auf die Differenz von Bezeichnung und Unterscheidung abtasten lassen. Deswegen zeichnen sich Beobachtungen durch eine besondere Art der Zeitlichkeit aus: ihre Identität ist gegenüber dem Moment ihres Auftretens um eine „Zeitstelle“ versetzt.15 Eine Beobachtung ist als empiri13

Eine Beobachtung ist, wenn man so will, zeitlich und sachlich selbstblind. Zur Unterscheidung von Operation und Beobachtung siehe Luhmann (1990a: 94 f.; 1993a: 198; 1995a: 34); ferner Esposito (1991: 39–44) und Fuchs (1995: 16– 18). 15 „Die Identität des Ereignisses ist, so gesehen, differentiell. Es setzt zwei Zeitstellen voraus, um ein Ereignis zu sein, es ist niemals (an keiner Stelle der Kette) an einer Zeitstelle fixiert, sein bestimmtes (positioniertes) Geschehen (sein ‚esse‘) 14

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sches Vorkommnis (als Operation) bereits vergangen, wenn eine nachfolgende Operation sie als Beobachtung auszeichnet. Von der Operation, die als „Träger“ der Beobachtung fungiert, weiß man immer erst im nachhinein, daß es sie gegeben hat. Beobachtung gibt es mithin nur in der Zeit, „nur als konstitutives Moment einer komplett ereignisbasierten Konnexität“ (Fuchs 1995: 22). Beobachtungen fallen, mit anderen Worten, immer im Rahmen eines prozeßförmigen Geschehens an, welches die zeitliche Differenz von vorher und nachher überbrückt, indem beobachtungsförmige Ereignisse, die auftauchen und unmittelbar darauf irreversibel vergehen, durch Nachfolgeereignisse desselben Typs ersetzt werden (Luhmann 1984: 74, 199, 212 f., 390; 1990a: 37). Aus dieser Verlaufsperspektive ist ein Ereignis keine Unterscheidung, sondern nur ein temporaler Unterschied in dem prozeßhaften Ablauf, dem es zugehört. Die Unterscheidung von Operation und Beobachtung nimmt sich der Problematik des blinden Flecks an; sie reagiert auf die Tatsache, daß jedes Beobachten für sich selbst blinder Vollzug bleibt, der nicht sehen kann, welcher Unterscheidung er sich verdankt, und der ebensowenig bemerkt, daß er dies nicht sehen kann, und der trotz alledem ist – eben als Operation. Die (analytische) Differenz von Operation und Beobachtung verweist also auf eine „Brechung“ der Identität der Operation „Beobachtung“, die man nur einfangen kann, wenn man zwei verschiedene Beobachtungsperspektiven einnimmt. Als Operation ist die Beobachtung ein Ereignis innerhalb einer Konnexität gleichgestaltiger Ereignisse, die sich als Verkettung von Bezeichnungsleistungen beobachten läßt. Um dagegen die Beobachtung als Beobachtung in den Blick zu nehmen, muß man berücksichtigen, daß es sich um Bezeichnungen handelt, die etwas (einen Gegenstand im weitesten Sinne des Wortes) bezeichnen, indem sie dieses Etwas zugleich unterscheiden (Fuchs 2004: 0.7.5.3; Luhmann 1990a: 76 f.).16 ist die ‚Meldung eines Geschehen-seins‘ (sein ‚fuisse‘).“ (Fuchs 1993: 24, Hervorh. dort) Das heißt aber auch, daß der Beobachtungsprozeß ein Minimum an mitlaufender Selbstbeobachtung erfordert. Dieses Minimum an Selbstbeobachtung dient gleichsam der Entschärfung des „fundamentalen“ blinden Flecks, dem zufolge es einer Beobachtung im Moment ihres Vollzugs nicht möglich ist zu erkennen, daß sie eine Beobachtung ist. Unberührt von dieser Entschärfung bleibt der „zweite“ blinde Fleck, der Grundlage dessen ist, was von der Beobachtung in den Blick genommen wird. Daß es sich bei Beobachtungen um Beobachtungen handelt, wird unbezeichnet mitbeobachtet. Wie genau man sich eine Beobachtung, die nicht bezeichnet, vorzustellen hat, darauf kommen wir später (unten S. 47) unter dem Titel basale Selbstreferenz zurück. 16 „Der reale Vollzug dieser Operation des Unterscheidens und Bezeichnens erzeugt eine Form, nämlich das, was geschieht, im Unterschied zu dem, was nicht geschieht. Er benutzt diese Differenz zu sich selbst, um etwas zu beobachten, was nicht die Operation selber ist.“ (Luhmann 1990a: 82)

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Die Beantwortung der Frage nach der Identität von Beobachtungen erfordert eine Doppelperspektive, die zugleich den Mechanismus erkennbar macht, der für die Verkettung von Beobachtungen sorgt. Die Operation Beobachtung setzt eine Unterscheidung ein, um etwas zu bezeichnen – und sie tut dies, ohne diesen Vorgang mit in den Blick nehmen zu können. Zugleich ist jede Beobachtung niemals nur Operation, sondern immer auch Beobachtung von etwas, was nicht mit ihr identisch ist. Schon die Tatsache, daß mit dem Beobachten Formen entstehen, also Bezeichnungsleistungen im Kontext von Unterscheidungen, verweist auf andere Möglichkeiten, auf andere Beobachtungen. Zu anderen Beobachtungen überzugehen (die mit jeder Beobachtung errichtete Grenze zu überschreiten) aber verlangt Zeit; und in die Zeit wird daher auch die Lösung des Problems der Beobachtung von Operationen verlegt (Luhmann 1990a: 115). d) Die Selektivität des Beobachtens: Sinn Auf der operativen Ebene wird der Prozeß des Beobachtens nur als Verkettung von Bezeichnungsleistungen sichtbar. Der Übergang von einer Bezeichnung zur nächsten erscheint als pures Faktum, wobei der Mechanismus, der der Verkettung zugrunde liegt, nicht erfaßt werden kann, weil die Einzelereignisse von dieser Warte aus betrachtet nur selbstblinde Vorkommnisse sind. Erst die Perspektive der Beobachtung läßt erkennen, wie die prozessuale Verknüpfung von Ereignissen ins Werk gesetzt wird. Der hierfür entscheidende Unterschied liegt im Moment der Selektivität. Während Operationen nichts selegieren (Esposito 1991: 41; Fuchs 1993: 63 f.; 1995: 21; vgl. auch Baecker 2005: 24), läßt die Perspektive der Beobachtung erkennen, daß die Bezeichnung immer nur im Unterschied zu dem, was sie nicht bezeichnet, wirksam wird. Beobachten ist Selegieren. Die These, daß Beobachten selektiv wirkt, leitet zu der Behauptung über, daß die Form des Beobachtens zugleich eine andere Form realisiert, die wir Sinn nennen.17 Sinn ist kein Sachverhalt im klassischen Verständnis, sondern muß als „Kontext“ begriffen werden, der auf seine eigenen Probleme reagiert und sich darüber zugleich regeneriert. Deswegen läßt sich das Phänomen „Sinn“ auch nur kontextbezogen, nur phänomenologisch aufhellen. Sinn entzündet sich an dem Doppelproblem von Komplexität und Kontingenz (Luhmann 1971: 32). Als komplex betrachtet man Bedingungen, unter denen mehr möglich ist, als in jedem Moment realisiert werden kann. Daraus ergibt sich ein Zwang zur Selektion, wobei jede Selektion gleichsam als Lösung des Komplexitätsproblems verstanden werden kann. Nur wird 17 Zum Sinnbegriff siehe Luhmann (1971; 1984: Kap. 2; 1997: Kap. 1.III); Fuchs (1993: Kap. I.10) und van Reijen (1979).

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mit dieser Lösung das Problem nicht eliminiert, sondern reproduziert. Denn jede Auswahl, die man unter solchen Bedingungen trifft – und das meint Kontingenz –, ist eben nur das: eine Auswahl aus anderen denkbaren Möglichkeiten. Sinn konstituiert also einen Kontext, der durch Komplexität gekennzeichnet ist, der gerade deswegen in Selektionen zwingt, die dann ihrerseits mit Blick auf den Kontext wieder nur als kontingent begriffen werden können. Diese Phänomenologie des Sinns läßt sich formtheoretisch zu einem Definitionsversuch zusammenführen: Sinn ist die Einheit der Differenz von Aktualität und Potentialität.18 Sinn versetzt diese Differenz, wenn man so will, in dauernde Schwingung. Sinnförmiges Prozessieren aktualisiert einerseits in jedem Moment eine Auswahl; gleichzeitig aber weist diese Auswahl über sich hinaus, so daß neben der aktuell realisierten Wirklichkeit jeweils auch eine momentan virtualisierte Wirklichkeit aufscheint. Der Gebrauch von Sinn sieht sich eingespannt in die Differenz von Selektion und Verweisungsüberschuß. Darin liegt die fundamentale Instabilität des Sinns: das, was eben noch aktuell war, kann schon im nächsten Moment in den Zustand des nur noch Möglichen übergeführt werden; und das nur Mögliche kann im Prinzip jederzeit Realität werden. Die Form des Sinns sieht also ein symmetrisches re-entry vor. Nur dadurch wird die unbeschränkte Anwendungsreichweite des Sinngebrauchs sichergestellt (Luhmann 1997: 50– 59);19 und nur dann ist gewährleistet, daß die „möglichen Welten“ jederzeit erreichbar bleiben und nicht der „Gebrauch“ von Sinn dazu führt, daß Optionen „verbraucht“ werden und Komplexität vernichtet wird. Eben diese Doppelstruktur von Selektion und Verweisungsüberschuß kann auch am Beobachten abgegriffen werden. Eine Beobachtung avisiert auf der Grundlage einer Bezeichnung ein Objekt und läßt ineins damit den Unterschied zu all dem entstehen, was sie nicht in den Blick nimmt. Der Unterschied zwischen der Markierung und dem Hintergrund, von dem sie sich abhebt, läßt einen „Raum“ nicht realisierter Möglichkeiten erahnen. Von der Form, die wirklich geworden ist, muß somit angenommen werden, daß sie kontingent ist, daß also die Beobachtung anders hätte ausfallen können, als sie ausgefallen ist. Wenn aber die Differenz von Unterscheiden und 18 Der Unterscheidung von Aktualität und Möglichkeit entspricht in der analytischen Sprachphilosophie in etwa die Differenz von Bedeutungskern und Bedeutungshof. Während diese das Problem aber als ein ausschließlich sachdimensionales (semantisches) traktiert, resultiert es für Luhmann nicht zuletzt aus der zeitlichen Instabilität allen Sinngebrauchs (vgl. auch Fuchs 2004: 5.3.1). 19 Die universelle Verfügbarkeit von Sinn wird ursprünglich über die Figur der Negation hergeleitet, die Pauschalabweisung von Möglichkeiten (Generalisierung) ebenso wie den Wiederzugriff auf diese (Reflexivität) ermöglicht; dazu Luhmann (1971: 36 f.) und ausführlicher (1975d).

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Bezeichnen mit der Differenz von Möglichkeitshorizont und realisiertem Aktualitätskern unter dem Gesichtspunkt von Selektivität zur Deckung kommt, dann kann man sagen, daß alles Beobachten die Form des Sinnes annimmt (Fuchs 1995: 25, Fn. 33; Luhmann 1990a: 81 f.).20 Daß Beobachten sinnhaft ist, läßt schließlich auch erkennen, wie die prozessuale Verkettung von Beobachtungen zustande kommt. Der Möglichkeitshorizont, der auf unreduzierte Komplexität verweist, steckt im Falle des Beobachtens in der Unterscheidung, denn es ist die Unterscheidung, die impliziert, daß auch anders hätte unterschieden werden können.21 Der nicht bezeichnete Hintergrund einer Bezeichnung ist sozusagen als Anweisung zu verstehen, diesem „unmarked space“ eine neue Bezeichnung einzuschreiben. So mag etwa die Frage auftauchen, wovon man die Bezeichnung, derer sich ein vergangenes Ereignis bediente, unterschieden wissen will. Man muß daher, wann immer man sich in einem Kontext der Beobachtung bewegt, von einer Dauerpräsenz von Sinn ausgehen.22 Sinn wird von der Operation Beobachtung zugleich vorausgesetzt und hervorgebracht. Unterscheidendes Bezeichnen ist also immer sinnförmig, und ebenso gilt das Umgekehrte: Sinngebrauch manifestiert sich immer in der Form des Beobachtens. Sinn definiert die Grenzen der „Welt“ und damit den Ausgriff dessen, was einem bestimmten Modus der Beobachtung zugänglich ist. Schließlich schlägt sich das, was sachlich als Wechselspiel von Komplexitätsproblem und korrespondierendem Selektionszwang erkennbar wird, auch in der Zeitdimension nieder. Beobachtungen sind zeitpunktgebundene Ereignisse, die mit ihrem Auftauchen bereits wieder im Vergehen begriffen sind. Damit sieht sich der temporalisierte Prozeß des Beobachtens der Frage konfrontiert, wie auf dieser dynamischen Basis noch Stabilität hergestellt 20 Luhmann (1990a: 81) betrachtet Unterscheiden und Bezeichnen deswegen auch als Unterfall der, wie er glaubt, allgemeineren Form von Überschußproduktion und Selektion. Baecker (2005: 65) argumentiert hier mit einiger Plausibilität gegen die komplexitätstheoretische Lesart und ordnet die Unterscheidung von Bezeichnen und Unterscheiden vor, weil sie den Raum hervorbringt, der dann überhaupt erst in dieser Weise (und das heißt, wie wir später zeigen werden: funktional) interpretiert werden kann. 21 „Die Operation Beobachten ist das Vorfallen einer Bezeichnung, die für den Beobachter einen Überschuß an Unterscheidungsmöglichkeiten evoziert, innerhalb derer das Ereignis notgedrungen als Selektion irgendeiner dieser virtuellen Unterscheidungsseiten erscheint.“ (Fuchs 1995: 25) 22 Sinn ist auch deswegen ein differenzloses Phänomen, da noch der Versuch, Sinn zu negieren, Sinn in Anspruch nimmt. Auf begrifflicher Ebene besagt Differenzlosigkeit, daß auch denkbare Gegenbegriffe immer schon in dem Phänomen gründen, das von dem Begriff gemeint ist, zu dessen Erläuterung sie beitragen sollen. Definitionen sind in diesen Fällen immer auf eine Art beobachtungstheoretisch raffinierte Phänomenologie angewiesen (Luhmann 1988b: 42).

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werden kann. Das aktuell Bezeichnete ist gewiß, weil unabänderbar, aber instabil, weil es sogleich zerfallen sein wird; das nur Appräsentierte ist stabil, weil es den „Vorrat“ an „Weltsinn“ vorhält, aber unsicher, weil die Selektion noch nicht stattgefunden hat. Das aber heißt, daß die Einheit der Unterscheidung von Aktualität und Potentialität nicht bezeichnet, sondern nur in Operation versetzt werden kann. Sinn gibt es wie Beobachtung nur in der Zeit (Luhmann 1997: 53–55).23 e) Medium und Form Allerdings können auch diese differenztheoretischen Versuche, des Phänomens Sinn habhaft zu werden, nicht verhindern, daß sich ein Eindruck von Ungenauigkeit einstellt. Die Vorstellung, die man von Sinn auf dieser Basis gewinnt, bleibt eigentümlich kompakt. Das hängt damit zusammen, daß Sinn ein differenzloser Begriff ist und der Begriff beim Beobachten (wie auch beim Beobachten des Beobachtens) jederzeit vorausgesetzt werden muß; und es liegt zugleich daran, daß die „Außenseite“ der Form des Sinns, die die momentan nicht aktualisierten Möglichkeiten umfaßt, nicht bezeichenbar ist, weil jede Selektion aus dem Horizont von appräsentierten Möglichkeiten diesen wieder „ausrücken“ läßt. Das bedeutet aber auch, daß die Einheit der Sinn konstitutierenden Differenz nicht sichtbar gemacht werden kann. Die Virtualität der Außenseite des Sinns hat zur Konsequenz, daß sich Sinn im Grunde genommen nicht beobachten läßt. Des weiteren führt die Umstellung von einer phänomenologischen auf eine differenztheoretische Lesart zu einer Symmetrisierung der Begriffe „Sinn“ und „Beobachtung“. Der komplexitätsreduzierende Charakter des Beobachtens führt zu dem Schluß, daß jedes Beobachten sinnförmig ist und umgekehrt die sinnkonstituierende Differenz von Aktualität und nur appräsentiertem Möglichkeitsraum isomorph gebaut ist der Unterscheidung von Unterscheiden und Bezeichnen. Die Symmetrisierung verdankt sich der Tatsache, daß man Beobachtungen komplexitätsbezogen interpretieren kann als Unterfall der Differenz von Aktualität und Potentialität, daß es aber ebensogut möglich ist, Sinn beobachtungstheoretisch zu deuten als Anwendungsfall der Unterscheidung von Bezeichnen und Unterscheiden. Zugleich heißt dies aber auch, daß Beobachtungen Sinn reproduzieren – ihn also in 23 Der Sinnbegriff wird also in funktionaler Bezugnahme auf das Komplexitätsproblem bestimmt – Sinn sei die „Ordnungsform menschlichen Erlebens“, heißt es bei Luhmann (1971: 31); aus der Nichthintergehbarkeit von Sinn folgt aber zugleich, daß Sinn nicht eigentlich eine „Lösung“, sondern eine Dauerreproduktion des Problems darstellt: Komplexität scheint selbst immer nur in der Form von Sinn auf.

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Anspruch nehmen und wieder bereitstellen, insoweit also doch nicht vollkommen mit ihm zur Deckung kommen. Man sieht sich dann vor die Frage gestellt, ob es noch möglich ist, die Form des Beobachtens und die Form des Sinns zu unterscheiden – und inwieweit dies gegebenenfalls zu einer genaueren Bestimmung des Phänomens Sinn beitragen könnte. Die angesprochenen Schwierigkeiten – die Differenzlosigkeit von Sinn und die Parallelisierung der Begriffe Sinn und Beobachtung – lassen sich beide auf das Problem der „Unbeobachtbarkeit“ von Sinn zurückführen und müssen entsprechend gemeinsam behandelt werden. An dieser Stelle – so jedenfalls unsere Vermutung – hakt eine Unterscheidung ein, die die Abstraktionslage ein weiteres Mal hochtreibt: die Unterscheidung von Medium und Form.24 Als Medium wird hier ein „Raum“ lose gekoppelter Elemente (ein homogener Beobachtungskontext) beschrieben, dem sich Formen als rigide Kopplungen der von diesem Raum vorgehaltenen Elemente einschreiben können. Das „weichere“ Medium erleidet die Formen als „Festigkeiten“, die sich ihm einprägen. Die Differenz von Form und Medium wird also geklammert durch einen einheitlichen Elementtyp; Form und Medium existieren nur in wechselseitigem Verweis aufeinander: sowenig es ein Medium ohne Formen gibt, die sich diesem Medium aufzwingen, ebensowenig kann es zu Formbildung kommen, ohne daß ein dafür geeignetes Medium zur Verfügung steht. Das Medium ist ein Reservoir denkbarer fester Kopplungen von Elementen, mit Blick auf das die aktuell gewählte Form als Selektion sichtbar wird. Das lose gekoppelte Medium bleibt virtuell, kann als solches also nicht sichtbar gemacht werden, aber seine Existenz kann und muß unterstellt werden, weil sich ihm rigide und das heißt: beobachtbare Kopplungen einschreiben. Umgekehrt ist jede Form zwar Selektion, appräsentiert aber gerade deswegen zugleich andere Möglichkeiten der Formbildung, also eine Differenz zur aktualisierten Realität, und das Medium ist gleichsam der Raum, der diese noch unbestimmten Formen vorhält. Einzig von den Formbildungen kann auf Existenz und Funktionsweise des Mediums geschlossen werden. All das – Formen sind sachlich als Selektionen und zeitlich als instabile Ereignisse interpretierbar, mit dem Ergebnis, daß die Medien „an sich“ nicht sichtbar gemacht werden können – erinnert stark an die „Eigenschaften“ der sinnförmigen Differenz von Aktualität und Potentialität; und in der Tat schlägt Luhmann (1995a: 173; 1997: 51, 59) vor, Sinn als Medium, und zwar sogar als das für Sinnverarbeitungsprozesse nicht überschreitbare Letztmedium zu begreifen. Als Formen, die in diesem Medium gebildet 24 Siehe zu dieser Differenz Luhmann (1995a: 165–175; 1997: 195–202); sowie ferner Fuchs (2002; 2004: Kap. „Form und Medium“); Khurana (2004) und Schiltz (2003).

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werden können, kommen dann nur Beobachtungen in Frage. Das führt vor die Aufgabe, den Begriff der Form innerhalb der Differenz von Medium und Form explizit beobachtungstheoretisch zu interpretieren (Luhmann 1995a: 174). Formbildungen im Medium des Sinns sind Bezeichnungen im Kontext von Unterscheidungen. Die Unterscheidung von Medium und Form erlaubt es, die Einebnung des Unterschieds zwischen der Form des Sinns und der Form des Beobachtens ein wenig zurückzunehmen. Zwar bleibt es bei der Feststellung, daß Beobachten sinnförmig ist und Sinn nur beobachtungsförmig anfällt, aber es ergibt sich ein Unterschied insoweit, als der Sinnbegriff in erster Linie auf die fortwährende An- und Aufforderung zur Selektion abstellt, während die Selektivität de facto (operativ) nur durch Beobachten in die Welt kommt. Man kann die Differenz von Medium und Form so interpretieren, daß sie als Ausdruck dieser unterschiedlichen Perspektiven verstanden wird. Innerhalb der Differenz von Form und Medium besetzt dann das bezeichnende Unterscheiden die Innenseite der Form, und in diesem Sinne handelt es sich bei Beobachtungen um die Formen, die sich dem Medium Sinn einprägen (und, so müssen wir hinzufügen, es reproduzieren).25 Jede Beobachtung läßt sich folglich verstehen als ein reentry der Sinnform in den sinnförmig aufgespannten Raum möglicher Beobachtungen (Luhmann 1995a: 169). Die Unterscheidung von Medium und Form erlaubt es, den Sinnbegriff nochmals abstrakter zu fassen und ihn mit dem Beobachtungsbegriff zusammenzuschließen.26 3. Die Form der Kommunikation Diese Überlegungen lassen sich zu der Behauptung zuspitzen, daß der Kontext des Beobachtens das Beobachten ist. Beobachten ist unvermeidlich rekursiv; es nimmt mit dem gleichursprünglichen Medium Sinn die Bedingungen seiner Möglichkeit in Anspruch und reproduziert sie zugleich.27 25 Ob die Einführung der Unterscheidung von Medium und Form notwendig oder auch nur theoretisch fruchtbar ist, inwieweit diese Differenz für theoretische Konsistenz sorgt oder sie eher unterwandert, darüber mag man streiten. Jedenfalls spielt der Begriff des Mediums im Rahmen der Theorie symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien eine zentrale Rolle (dazu unten S. 109 mehr). 26 Verkompliziert wird dieses begriffliche Arrangement dadurch, daß das Medium Sinn selbst Form ist (nämlich die Einheit der Differenz von Aktualität und Potentialität); weiter dadurch, daß sich dem Medium Formen einprägen lassen; und schließlich dadurch, daß die Unterscheidung von Medium und Form selbst eine Form ist. Dazu kommt, und das indiziert die grundbegriffliche Position dieser Differenz, daß es sich um eine re-entry-fähige Form handelt: die Form des Mediums ist die Einheit der Differenz von Medium und Form. 27 Näher zu den eigentümlichen Charakteristika rekursiver Phänomene Kauffman (1987).

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Gleichwohl bleibt der Begriff des Beobachtens eigentümlich blaß; es bleibt ein gewisses Unbehagen an der Abstraktionshöhe der Terminologie zurück. So ist es zwar offenkundig möglich, das Beobachten zu beobachten, aber man nimmt dafür mehr in Anspruch, als die Differenz von Bezeichnen und Unterscheiden, die doch für jedes Beobachten konstitutiv sein soll. Das hängt damit zusammen, daß es das Beobachten nicht gibt, genausowenig wie es Sinn in nicht weiter spezifizierter Form gibt. Was hingegen existiert, sind verschiedene Prozesse oder Kontexte, die das Beobachten in je unterschiedlicher Weise realisieren. Diese Kontexte setzen das Beobachten unter „Formzwang“. Damit ist gemeint, daß sich das bezeichnende Unterscheiden, welches sich einem bestimmten Kontext zuordnet, zugleich auf eine weitere Unterscheidung (die sich als solche ebenfalls beobachten läßt) gründen muß, um als Operation des Beobachtens wirklich zu werden. Wir gehen davon aus, daß Kommunikation einen solchen Kontext ausformt, der das Beobachten vermittels einer weiteren Unterscheidung realisiert. Alles Kommunizieren ist also Beobachten, aber nicht jede Beobachtung verwirklicht Kommunikation (so muß etwa auch die Abfolge von Gedanken, die sich in Psychen vollzieht, als Beobachten begriffen werden). Damit muß das kommunikative Beobachten über alle die Eigenschaften verfügen, die dem Phänomen des Beobachtens eignen; darüber hinaus muß Kommunikation gegenüber dem „einfachen“ Beobachten aber auch das spezifischere Phänomen sein. Der Kommunikationsbegriff wird also von einem allgemeinen Beobachtungsbegriff her entwickelt, kann aber aus Gründen der Analytizität des Beobachtungsbegriffs nicht mit diesem zur Deckung kommen. a) Ein dreistelliger Begriff der Kommunikation Mit der Annahme, daß es sich bei Kommunikation um eine Form der Beobachtung handelt, legen wir uns positiv darauf fest, daß wir es mit einem sinnhaft-selektiven Geschehen zu tun haben; und wir schließen damit zugleich aus, daß unvermittelt an die Vorstellung angeknüpft werden kann, Sprache diene der Übertragung semantisch bestimmter Informationseinheiten von einem Sender auf einen Empfänger. Was Kommunikation ausmacht, läßt sich vielmehr nur bestimmen, wenn es gelingen sollte zu klären, in welcher Weise kommunikatives Beobachten die allgemeine Form des Unterscheidens und Bezeichnens konditioniert. Beobachten ist genau dann kommunikatives Beobachten, wenn sich die Bezeichnungsleistung selbst als Realisierung einer spezifischen Form beobachten läßt. Diese Form gilt es zu identifizieren. Kommunikation leistet keine Übertragung von Informationseinheiten, sondern „sie ist gemeinsame Aktualisierung von Sinn, die mindestens einen der Teilnehmer informiert“ (Luhmann 1971: 42). Die Annahme, daß Kom-

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munikation mit Information zusammenhängt, wird also nicht rundweg aufgegeben, aber sie wird unter dem Gesichtspunkt von Selektivität reinterpretiert. Nicht die Übertragung von Information bildet den Ankerpunkt kommunikativen Geschehens, sondern die Tatsache, daß ein Sender einem Empfänger (im Medium des Sinns) Information ansinnt, indem er ihm diese mitteilt. Es ist die Verbindung von Mitteilung und Information, die kommunikative Ereignisse entstehen läßt; oder anders ausgedrückt: eine Beobachtung ist genau dann eine kommunikative Beobachtung, wenn die Bezeichnung die Form der Mitteilung einer Information annimmt. Mitteilung und Information fallen dabei notwendigerweise gemeinsam an. Es handelt sich um eine Unterscheidung, deren beide Seiten sich wechselseitig bedingen: Information ist überhaupt nur als mitgeteilte Information erkennbar, wie umgekehrt jede Mitteilung immer über etwas informiert. Der Mitteilung kommt dabei zunächst die Aufgabe zu, das Beobachten als kommunikatives Beobachten auszuweisen, indem sie deutlich macht, daß überhaupt Kommunikation vorliegt; die Information dagegen stellt den sachlichen Bezug kommunikativen Beobachtens her.28 Auch die Kommunikation unterliegt aber als sinnhafter Prozeß dem Faktum einer zeitlichen Verrückung, welches wir in abstracto am Phänomen des Beobachtens erläutert haben;29 auch ihre Elemente können sich immer erst zeitlich versetzt zu erkennen geben. Man muß also auch hier zwischen Operation und Beobachtung unterscheiden. Die differentielle Identität der Ereignisse kommt im Falle von Kommunikation dadurch zum Ausdruck, daß die Unterscheidung von Mitteilung und Information einem Ereignis nicht innewohnt, sondern sich in konstitutionslogischer Perspektive als Effekt einer Zuschreibung ergibt, die durch das nachfolgende Ereignis vorgenommen wird (Fuchs 1993: 28). Nur sofern einem Geschehnis diese Unterscheidung durch ein weiteres Vorkommnis imputiert wird, wird es zu einem Bestandteil des Kommunikationsprozesses, weil auch die Elemente des Kommunikationsprozesses immer nur in Differenz zu anderen Elementen desselben Typs sichtbar werden können. Auch Kommunikation erweist sich damit als ein „zweizügiges“ Geschehen, innerhalb dessen jede „Folgeopera28

Oftmals wird die Mitteilung als der Aspekt der Kommunikation bezeichnet, der darüber entscheidet, wie etwas mitgeteilt wird (Fuchs 1993: 28). Diese Interpretation setzt aber voraus, daß überhaupt etwas mitgeteilt wurde, daß also überhaupt Kommunikation zustande gekommen ist. Wenn man nach der Art und Weise fragt, wie etwas mitgeteilt wurde, beobachtet man bereits ein re-entry in den von der Kommunikation aufgespannten Raum. Man kann dann auch sehen, daß eine Mitteilung als Mitteilung sehr wohl informativ werden kann, wenn sie etwa – wie im Falle von Ironie – die vermeintliche Bedeutung der Information dementiert (Cronen/Johnson/Lannamann 1982; Fuchs 1993: 92–96). 29 Siehe oben Kap. III.2.c).

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tion“ eine spezifische Form von Beobachtung ist, die an ein vorhergehendes Ereignis die Unterscheidung von Mitteilung und Information anlegt, es als Beobachtung begreift, die auf dieser Differenz fußt. Wir nennen diese Form der Beobachtung Verstehen.30 Das Verstehen ist gleichsam der Prozessor, der Kommunikation am Laufen hält. Verstehen ist eine besondere Form von Beobachtung, die Kommunikation allererst hervorbringt, indem sie eine spezifische Differenz auf ein Ereignis zurechnet; Verstehen erzeugt „kommunikative Relevanz“ dadurch, „daß an einer Zeitstelle ein Ereignis [ausgezeichnet wird] als differentiell gebaut, als unterscheidbar in zwei Aspekten: daß es erstens nicht Lärm, sondern eine Mitteilung ist, und: daß es zweitens eine Information ‚enthält‘, die für sie (die Kommunikation) einen Unterschied macht im Blick auf ihre Fortsetzungsmöglichkeiten.“ (Fuchs 1993: 26)31

Ist dieses Doppelerfordernis erfüllt, definiert das zweite Ereignis retroaktiv die „Bedeutung“ des ersten, indem dieses jenes als eine spezifische Synthese der Unterscheidung von Mitteilung und Information begreift. Der Kommunikationsprozeß muß, soweit man sich für seine Genese interessiert, von „hinten“ her gelesen werden, da nicht der „Sender“, sondern der „Empfänger“ im Akt des Verstehens das Geschehen bestimmt. Kommunikation konstituiert sich zeit- (und kausalitäts-)gegenläufig.32 Kommunikation entsteht genau dann, wenn Ereignisse an zwei Zeitstellen auftreten und diese Operationen drei bestimmte Komponenten zur Synthese bringen.33 Damit aus einem Ereignis ein kommunikatives Ereignis werden kann, müssen die drei Komponenten innerhalb des Kommunikationsprozesses in spezifischer Weise auf zwei aufeinanderfolgende Ereignisse verteilt werden, und zwar so, daß jedes Ereignis mit Blick auf eine nachfolgende Beobachtung Mittei30

Dieser Kommunikationsbegriff wird erstmals umfassend eingeführt in Luhmann (1984: Kap. 4). Während dort der Nachdruck auf dem Aspekt der Selektivität liegt, sind spätere Darstellungen in stärkerem Maße beobachtungstheoretisch gearbeitet; so etwa Luhmann (1990a: Kap. 1; 1997: 81–91) und insbes. Fuchs (1993: Kap. 1; 1995: Kap. 1). 31 Oder in den Worten Luhmanns (1990: 24): „Die Differenz von Mitteilung und Information wird dadurch hergestellt, daß die Mitteilung als Zeichen für eine Information genommen wird (und in diesem begrenzten Sinne ist auch die semiologische Interpretation der Sprache berechtigt). Aber sowohl die Zeichenhaftigkeit der Mitteilung als auch die Information sind kommunikationssysteminterne Konstrukte.“ 32 Luhmann (1984: 198); vgl. auch Watzlawick/Beavin/Jackson (1967: Kap. 2.2). 33 Das ist natürlich sehr stark von der einzelnen Operation her gedacht, weil es auf den Mechanismus abstellt, der Kommunikation konstituiert. Selbstverständlich ist die Kommunikation als Prozeß der Beobachtung zugleich protentiv orientiert (Luhmann 1984: 94; 1997: 74), da man ansonsten von einem völlig randomisierten (erwartungsfreien) und damit nicht mehr sinnhaften Prozeß auszugehen hätte (dazu Göbel 2000: 194–197). Zum Erwartungsstrukturbegriff vgl. unten S. 59.

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lung einer Information und mit Blick auf eine Vorgängerbeobachtung Verstehen ist.34 Jede der drei für Kommunikation konstitutiven Komponenten Mitteilung, Information und Verstehen ist dabei selbst als Selektion zu betrachten. Es handelt sich bei keiner der drei Komponenten um Einheiten oder Identitäten, sondern um ein spezifisches Arrangement von Differenzen. Mitteilung, Information und Verstehen verdanken sich dem Beobachten, welches sie als eigentümliches Verhältnis von Differenzen sichtbar macht.35 Was an der Kommunikation als Konstante unterstellt werden muß, ist also nicht, daß sie Information überträgt, sondern daß sie sich vor einem medialen Hintergrund namens Sinn abspielt, der fortwährend Selektivität vermittelt. „Es geht bei Kommunikation demnach nicht um eine Verteilung von Beständen, sondern um eine Dosierung von Überraschungen“ (Luhmann 1971: 43); alles dreht sich „um die Möglichkeit der laufenden Übersetzung schwacher Bedingungen der Kommunikation in starke Restriktionen“ (Baecker 2005: 34). Daß die Bezeichnung im Falle von Kommunikation als Unterscheidung und Verbindung von Mitteilung und Information realisiert wird, setzt an ei34 Ein kommunikatives Ereignis läßt sich definieren (isolieren), indem man den Kommunikationsprozeß in „kleinste noch negierbare Einheit[en]“ zerlegt, wobei „Negierbarkeit“ nicht in einem logisch-semantischen, sondern in einem kommunikationspragmatischen Sinne gemeint ist (Luhmann 1984: 212). 35 Grundsätzlich stellt sich damit für jedes Anschlußereignis das Problem, eine Selektionsperspektive einnehmen zu müssen. Damit ist gemeint, daß jeder Verstehensakt den Focus entweder auf den Mitteilungs- oder auf den Informationsaspekt legen kann – oder auch das Verstehen selbst zum Gegenstand der nachfolgenden Operation machen kann (Luhmann 1997: 87). Diese Möglichkeit, innerhalb der Selektionstrias über die jeweilige Ausrichtung zu disponieren, ist Teil der Selektivität der Verstehenskomponente. Der differentielle Charakter von Kommunikation ermöglicht also Verschiebungen derjenigen Grenzen, die das Unterscheidungsarrangement Kommunikation aufrichten, ohne daß es zu einem Formverlust kommt (Fuchs 1993: 149). Es sind – so könnte man vielleicht sagen – unterschiedliche Relationierungen von Mitteilung, Information und Verstehen möglich, ohne daß die operative Realität Kommunikation selbst in Mitleidenschaft gezogen wird. (Wer etwa glaubt Kommunikation als Mechanismus der Übertragung (semantischer) Informationseinheiten beschreiben zu können, orientiert sich an bereits in spezifischer Form stabilisierten Spezialhorizonten der Kommunikation, nicht aber an deren Operativität. Auch die Informationskomponente der Kommunikation verdankt sich immer einer Auswahl.) Welchen Verrückungen auch immer die Selektionstrias unterworfen wird, solange sie als solche beobachtbar bleibt, handelt es sich um Kommunikation. Gerade weil es im Zusammenwirken der drei Selektionen zu Schwerpunktverlagerungen kommen kann, muß man sich deren Verhältnis als ein grundlegend symmetrisches vorstellen (Luhmann 1984: 227). Jedenfalls kann eine Asymmetrisierung zugunsten einer dieser drei Selektionen, weil sie immer nur „kontextgebunden“ erfolgt und grundlegend reversibel bleibt, nicht Bestandteil einer Definition des Kommunikationsbegriffs sein.

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nem Problem an, welches sich schon im Rahmen der Explikation des Beobachtungsbegriffs angedeutet hat: daß nämlich ein prozeßförmiges Geschehen nur dann Bestand haben kann, wenn die Verkettung von zeitlich flüchtigen, für den Prozeß aber konstitutiven Elementen gewährleistet ist. Weil Ereignisse immer erst ex post facto zu Beobachtungen werden, kann man sagen, daß durch jedes Ereignis ein Bruch geht, der sich als (zeitversetzte) Differenz von Operation und Beobachtung beschreiben läßt. Um das damit gestellte Problem der Elementidentifikation als gelöst betrachten zu können, ist – ungeachtet der Tatsache, daß (Einzel-)Operationen nicht mit der Fähigkeit zur Selbstbeobachtung ausgestattet sind – ein Minimum an prozessualer Selbstbeobachtung erforderlich. Dieses Minimum, das die Rekursivität des Kommunikationsprozesses herstellt (dazu auch Krippendorff 1994), wird auch als basale oder mitlaufende Selbstreferenz bezeichnet.36 Unter dem Titel Selbstreferenz lassen sich die Probleme der Zeitlichkeit und der Rekursivität serieller Beobachtungen zusammenführen. Die Vorstellung, daß die Kommunikation fortwährend auf so etwas wie mitlaufende Selbstbeobachtung angewiesen ist, erweist sich allerdings als erläuterungsbedürftig, denn es ist keineswegs offensichtlich, was sich hier eigentlich in welcher Weise auf sich selbst bezieht. Man gerät dabei nicht zuletzt in gewisse Schwierigkeiten mit der Art und Weise, in der hier von Beobachtung die Rede ist. Denn während der Ausdruck „mitlaufend“ auf ein sich fortwährend stellendes Problem verweist, wird die Differenz von Information und Mitteilung in der Kommunikation in aller Regel vom Kommunikationsprozeß nur verwendet und nicht auch beobachtet. Die Einordnung eines Ereignisses in den Kommunikationszusammenhang findet nicht laufend als explizite Leistung statt, weil der „Kontext“ (man denke etwa an Sprache oder Schrift) oftmals jeden Zweifel an der kommunikativen Qualität von Ereignissen ausräumt. Die Identität der Operation „kommunikative Beobachtung“ verschwindet üblicherweise im Vollzug des Kommunizierens. Da aber die Verkettung der Ereignisse des Kommunikationsprozesses nur auf der Basis gleichgestaltiger Elemente möglich ist, erzwingt die Verwendung der Differenz von Information und Mitteilung zugleich eine jedenfalls „rudimentäre“ Beobachtung der Verwendung dieser Differenz. Nur wenn diesem Minimum an Selbstbeobachtung Genüge getan wird, läßt sich ausmachen, ob ein Ereignis eine für den Prozeß konstitutive Operation ist; nur dann kann die Identität der Elemente eines Ereigniszusammenhangs als gesichert unterstellt werden. Die Lösung dieses Problems liegt in der jederzeit möglichen Zurechnung von informativ gewordenen Ereignissen auf Handelnde. Zu diesem Zweck 36 Esposito (1996: 273 f.); Fuchs (1993: 48); Luhmann (1984: 199, 604 f.; auch 1990a: 77).

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vollzieht das kommunikative Geschehen eine „Selbstvereinfachung“, bei der es sich als ein Zusammenhang von Handlungen „ausflaggt“ (Luhmann 1984: 226; ferner 1997: 879). Das heißt, daß der Kommunikationsprozeß auf Urheber der Kommunikation durchrechnet, so daß es aussieht, als sei er von Handlungen „durchpunktet“ (Baecker 2005: Kap. 1.3; Watzlawick/ Beavin/Jackson 1967: Kap. 2.4). Was aber jeweils als Handlung gilt, darüber verfügt die Kommunikation im Medium des Sinns, indem sie durch Zuschreibung von Kommunikationsabsichten kommunikative Ereignisse als durch Personen „verursacht“ ausweist (Luhmann 1990a: 60 f.). Die Kommunikation ist es, die definiert, was als Handlung situativ plausibel erscheint, und deswegen kann man auch sagen, daß sie sich in diesem Sinne gegenüber etwaigen Intentionen von Handelnden „durchsetzt“. Die Kommunikation bildet selbst ein sinnhaftes Medium, und Handlungen sind mit Blick auf dieses Medium „nur“ ein möglicher – wenn auch strukturell unvermeidlicher – Typ von Formbildungen.37 Daß Mitteilungen als Handlungen aufgefaßt werden – oder vielleicht sollte man genauer formulieren: jederzeit als Handlungen aufgefaßt werden können (Baecker 2005: 38; Luhmann 1984: 240) –, wird hier also auf das Problem der Verkettung von Selektionen bezogen. Mitteilungen bilden gleichsam die sichtbare Oberfläche des Kommunikationsprozesses und stellen als solche sicher, daß ein Ereignis vom Kommunikationsprozeß als Bestandteil seiner selbst erkannt wird.38 In aller Regel gründet diese Selbstsimplifikation aber nicht in einer ausdrücklichen Markierung eines Ereignisses als Handlung, sondern die Differenz von Mitteilung und Information ist im Verstehen, welches die Form einer Folgemitteilung annimmt, nur impliziert. Daß Kommunikation Kommunikation ist, wird unmarkiert mitkommuniziert (vgl. Luhmann 1990: 134). In diesem Sinne bleibt die Selbstreferenz latent. Basale Selbstreferenz reicht aber für die Reproduktion eines temporalisierten Geschehens nur hin, weil es die Möglichkeit gibt, den üblicherweise latenten Selbstbezug der Kommunikation durch einen expliziten Verweis auf Handelnde in den Bereich des Manifesten zu verschieben. Von dieser Option wird vor allem in den Grenzfällen Gebrauch gemacht, in denen es um die Abgrenzung von Verhalten und Kommunikation geht. Verhalten wird dann als kommunikatives Handeln gedeutet (oder eben nicht). Die 37

Der Grund dafür liegt darin, daß die Option, Kommunikation als durch Handlung verursacht zu beschreiben, eine der Bedingungen der Möglichkeit von Kommunikation ist, da nur darüber die notwendige Verbindung zwischen Konstitution (Selbstreproduktion, Kontinuierung) von Kommunikation und Beobachtung hergestellt werden kann (Luhmann 1984: 240, 386, 491). 38 Das Kernproblem der Beschreibung von Kommunikation liegt darin, daß sie sich direkter Beobachtung entzieht und nur „erschlossen“ werden kann (Luhmann 1984: 226; auch Fuchs 1995: 45).

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Zurechnung von Ereignissen auf Handelnde fungiert als eine Art Ausfallbürgschaft, die dann einspringt, wenn die mitlaufende Selbstbeobachtung nicht mehr zureicht. In diesem Fall wird die Differenz von Mitteilung und Information kommunikativ traktiert und damit zugleich verwendet und beobachtet.39 Sie wird in den Kommunikationsprozeß wieder eingespeist. Diese jederzeit mögliche Reflexion auf die Identität des Prozesses reicht für die Stabilisierung der Kommunikation hin, weil damit auch etwaige Unsicherheiten darüber, ob tatsächlich Kommunikation vorliegt, noch kommunikativ behandelt werden können; oder anders ausgedrückt: die Kommunikation wird mit dieser Möglichkeit im Hinblick auf ihre Kommunikationsfähigkeit kommunikationsfähig und hält sich derart die eigene Grenze (den Unterschied zu dem, was nicht Kommunikation ist) intern verfügbar (Baecker 2005: 154).40 b) Die autopoietische Schließung der Kommunikation Bei Kommunikation handelt es sich also um einen Beobachtungszusammenhang, der sich selbst konditioniert. Der Kontext der Kommunikation ist, wenn man so will, die Kommunikation selbst. Allerdings vermögen die Begriffe Prozeß oder Kontext nur sehr ungenügend auszudrücken, worin die Eigengesetzlichkeit der Kommunikation liegt. Das Problem der Selbstreferenz findet im Kontextbegriff keinen Ausdruck. Und es wird nicht recht deutlich, was jenseits des Kontextes liegt. Kontexte bleiben grundsätzlich unabschließbar. Erst wenn man die Eigenselektivität des Kommunikationsprozesses als Prozeß der Grenzbildung beschreibt, kann das Phänomen der Kommunikation mit hinreichender Genauigkeit isoliert werden, weil sich der Kontext der Reproduktion von Kommunikation dann als System darstellt. Auf grundbegrifflicher Ebene geht damit die Umstellung von der Differenz von Prozeß und Element auf die Unterscheidung von System und Element einher. Hiermit sind allerdings weitreichende Anforderungen an einen dann noch möglichen Systembegriff formuliert. Die übliche Bestimmung eines Systems als Einheit, die sich aus der Relationierung von mehr oder weniger homogenen Elementen ergibt, kann Fragen der Selbstreferenz 39 Die Frage, die in Grenzfällen (von der Kommunikation) geklärt werden muß, lautet: Wollte jemand wirklich etwas mitteilen? Man kommt dann ohne Zuschreibung von Handlungsintentionen nicht mehr aus – und sei es dergestalt, daß man jemandem unterstellt, sein Verhalten sei Ausdruck einer unbewußten Mitteilungsabsicht. 40 Die Möglichkeit auf Handelnde zurückzufallen, erfüllt vom Kommunikationsprozeß aus gesehen eine Doppelfunktion: sie stabilisiert einerseits die operative Grenze von Kommunikation und Verhalten; und sie dissimuliert zugleich für die Beteiligten die Differenz von Kommunikation und Bewußtsein.

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und näherhin des Zusammenspiels von der Konstitution der Kommunikation und ihrer sinnförmigen Aktualisierung durch die Einzelbeobachtung nicht erfassen. Dazu bedarf es eines Systembegriffs, der das Ganze als fortwährende Reproduktion seiner Teile (Elemente) begreift. Ein System, das diesen Bedingungen genügt, realisiert Autopoiese. „The autopoietic organization is defined as a unity by a network of productions of components which (i) participate recursively in the same network of productions of components which produced these components, and (ii) realize the network of productions as a unity in the space in which the components exist.“ (Varela/Maturana/Uribe 1974: 188)

Der Begriff der Autopoiese ist streng formal bestimmt. Die Definition enthält keine Aussage hinsichtlich der Materialität der Elemente (der Komponenten) und damit auch nicht hinsichtlich des „resultierenden“ Systems. Das Prädikat „autopoietisch“ besagt nur etwas über den Zusammenhang von Element und System, nämlich daß es sich dabei um ein reziprokes und gleichursprüngliches Produktionsverhältnis handelt. Der Prozeß der Autopoiese muß also immer doppelperspektivisch beschrieben werden, und zwar als ein homogener Reproduktionszusammenhang von Elementen, der zugleich ein Grenzbildungsprozeß ist. Da die Grenze den „Kontext“ der Reproduktion der Elemente bildet, kann man sagen, daß autopoietische Systeme notwendig selbstreferentielle Systeme sind. Die Selbstreferentialität sorgt dafür, daß sich die Elemente in ihrer Reproduktion auf einen Zusammenhang stützen, der sie unabhängig stellt von dem, was sie als Realität umgibt, und genau in diesem Sinne darf man von der Existenz eines Systems ausgehen. Die Frage ist, wie dieser Zusammenhang für Kommunikation gedacht werden kann. Es muß gelingen zu zeigen, daß die fortwährende Verschleifung von Information, Mitteilung und Verstehen zugleich eine Grenze hervorbringt, die auf ihrer Innenseite eine in gewisser Hinsicht eigenständige Realität in sich einschließt (Luhmann 1984: 57–62). „Die für Kommunikation kommunikative Realität konstituierende Unterscheidung ist eine sonderbare Zweifach/Dreifach-Unterscheidung. Sie erscheint als ZweiSeiten-Unterscheidung, die eine dritte Seite ‚ausstülpt‘, aber so, daß sie als Effekt der fundamentalen Unterscheidung nichts anderes ist, als dieselbe Zwei-SeitenUnterscheidung in der Folge. Die Unterscheidung, die im Prozeß der Kommunikation das Intransparenzproblem löst, ist die Innen/Außen-Unterscheidung als Unterscheidung von Information und Mitteilung, die ‚Ausstülpung‘ ist soziales Verstehen.“ (Fuchs 1993: 25 f., Hervorh. dort)41 41 Entscheidend ist, daß es sich bei Verstehen um soziales Verstehen handelt. Die Vereinfachung des dreifach selektiven kommunikativen Geschehens auf eine Verkettung von Mitteilungen muß Handelnde fingieren. Diese Selbstsimplifikation hat aber auch eine gleichsam materiale oder infrastrukturelle Entsprechung. Unter den Bedingungen der Möglichkeit kommunikativer Emergenz nehmen Akteure, oder genauer: deren Psychen, eine Sonderstellung ein. Sie sind in materieller Hinsicht Vorausset-

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Für Kommunikation ist nur relevant, was sich der fortlaufenden Synthese von Information und Mitteilung im Verstehen beugt. Realitätskontakt ist dann nur noch als kommunikative Bezugnahme denkbar. Die Kommunikation etabliert eine Differenz von Innen und Außen, und sie verortet sich selbst auf der Innenseite dieser Differenz, während alle anderen Sachverhalte – und das meint auch: andere Ereignistypen – jenseits der Grenze liegen. Das Innen kann man auch als System und das Außen als Umwelt beschreiben, und auf der Basis dieser Differenz schafft sich die Kommunikation eine eigenselektive Realität, die in der Umwelt des Systems keine Entsprechung hat. Die Selbstorganisation ist zugleich Bedingung der Möglichkeit der Selbstreproduktion des Systems. Was die Grenze eines solchen Systems anbelangt, muß man sich von jedweder räumlichen Konnotation lösen: es handelt sich bei Kommunikationssystemen um temporalisierte Systeme, die sich aus flüchtigen Elementen aufbauen, die Sinn in Anspruch nehmen und wieder bereitstellen. Auf der Ebene der Elemente muß dabei das Problem der Trennung verschiendenartiger Operationstypen gelöst werden, auf der Ebene des Systems das Problem der Ausdifferenzierung eines Systems aus seiner Umwelt. Das Verhältnis von System und den es konstitutierenden zung von Kommunikation – ohne Denken kein Handeln –, die Kommunikation muß diese Bedingung aber zugleich in der Form von „Adressen“ „sichtbar“ machen (Fuchs 1997). Kommunikation arbeitet subjektfrei, aber sie setzt verstehensbegabte Psychen voraus (Luhmann 1990a: 45), und zwar sowohl in materieller Hinsicht als auch als kommunikativ traktierbare Formen. Kommunikation ist zwar ein selbstdeterminiertes Geschehen, aber indem auf Psychen durchgerechnet (externalisiert) wird, kann der materielle Unterbau der Kommunikation zugleich als in informationeller Hinsicht relevant behandelt und der tautologische Zirkel der Selbstreproduktion unterbrochen werden. Wenn man diesen Zusammenhang komplexitätstheoretisch interpretiert, kann das Entstehen von Kommunikation auch über das Theorem doppelter Kontingenz hergeleitet werden. Man nimmt dann als Bedingung von Kommunikation (mindestens) zwei Prozessoren an, die sich zirkulär verknüpft wissen dadurch, daß sie sich wechselseitig unterstellen, daß sie sich an einer Situation orientieren, in der ein mit Freiheitsgraden ausgestatteter anderer vorkommt, der dieser mutualistischen Situation ebenfalls gewahr ist (Luhmann 1984: 156 f.). In einer solchen Situation wird aus Verhalten notwendig Kommunikation. Die Komplexitätsüberlast der Situation kann nur noch durch Zuschreibungen aufgefangen werden, die Verhalten in kommunikatives Handeln transformieren (Luhmann 1981c: 105; 1984: 148–162; klassisch Watzlawick/Beavin/Jackson 1967: Kap. 2.2; siehe zu diesem Zusammenhang von Attribution, Handlung und Systembildung auch Heidenescher 1992: 449–451). Aus den sich begegnenden black boxes wird eine durch Selbstreferentialität gekennzeichnete white box, die als Resultat ihres eigenen Komplexitätsmanagements dann wiederum Handelnde ausfällt (Luhmann 1984: 160; die Terminologie ist übernommen von Glanville 1979, 1982). In doppeltkontingenten Situationen wird also aus Interdependenz Selbstreferenz und aus Verhalten Kommunikation.

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Elementen muß als ein gleichursprüngliches, nicht in Begriffen von Ursache und Wirkung beschreibbares begriffen werden: das System ist das „Korrelat“ eines auf Einzelereignissen aufruhenden Sinnverarbeitungsprozesses, während dieser sich immer an schon vorhandenen Systemgrenzen orientieren muß (Luhmann 1984: Kap. 5.I; ferner Fuchs 1993: Kap. I.3– I.6).42 Das Problem der Aufrechterhaltung der Differenz von System und Umwelt fällt also zusammen mit der Reproduktion derjenigen Elemente, die dieses System konstituieren (Fuchs 1993: 31). Kommunikation kommt genau dann zustande, wenn zwischen Information und Mitteilung unterschieden und diese Differenz im Verstehen aufeinander bezogen wird. Auf der Grundlage dieser Differenz entstehen Operationen, die als rekursiver Zusammenhang für die operative Geschlossenheit des Systems sorgen. Rekursives Beobachten reproduziert das System und damit die Grenze zwischen System und Umwelt.43 Reformuliert man diesen Zusammenhang mittels der Formbegrifflichkeit, dann kann man sagen, daß immer dann, wenn die Form der Kommunikation – Verstehen als Synthese der Differenz von Mitteilung und Information – vorliegt, auch die Form des Kommunikationsystems – die Differenz von Kommunikation und Nicht-Kommunikation – gegeben ist. Dieser Zusammenhang erlaubt es in einem sehr präzisen Sinne von der Ausdifferenzierung eines Kommunikationssystems zu sprechen. Kommunikation bildet eine Realitätsebene, die als autopoietisches System beschrieben werden kann. Die Identität von Elementproduktion und Grenzziehung führt zu einer eigentümlichen begrifflichen Konsequenz. Das System kann als Form begriffen werden, als Differenz von System und Umwelt – es „ist“, wenn man so will, diese Differenz. Alle das System reproduzierenden Operationen „befinden sich“ auf der Innenseite dieser Form. Und weil es sich bei Kommunikationen um Operationen (Beobachtungen) im Medium Sinn handelt, ist es gerechtfertigt, davon auszugehen, daß auch die Grenzen des Systems sinnförmig gegeben sind. Zugleich läßt sich damit die Frage des Beobachtens näher an eine Klärung heranführen. Bisher hatten wir uns auf die Aussage zurückgezogen, daß der Beobachter im blinden Fleck seines Beobachtens „verschwindet“.44 Da es sich bei Kommunikation jedoch um ein tem42 Vgl. aber Luhmann (1984: 43), der das Verhältnis zugunsten der „systemischen Ebene“ asymmetrisiert; siehe zu dieser Frage außerdem Luhmann (1990a: 65). 43 Das erklärt auch, warum Luhmann in grundbegrifflicher Hinsicht anstatt von Sprache von Kommunikation ausgeht. Sprache materialisiert sich sowohl im Denken als auch in der Kommunikation, weswegen Luhmann (1990a: 51) sie für nicht systembildungsfähig erachtet. Prozesse, die nicht grenzbildungsfähig sind, können im Rahmen einer Systemtheorie nur an abgeleiteter Stelle vorkommen. 44 Vgl. oben S. 32.

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poralisiertes, operativ geschlossenes System handelt, wird man zu dem eigentümlichen Schluß gedrängt, daß der Beobachter das Resultat seines rekursiven Beobachtens ist. Und das Resultat dieses rekursiven Beobachtens ist: das System.45 Die Grenze von System und Umwelt fungiert als der blinde Fleck allen Beobachtens – er ist gleichsam die Ermöglichungsbedingung aller weiteren blinden Flecke, die das Beobachten „erzeugt“, wenn es spezifische Bezeichnungen trifft, um etwas in den Blick zu nehmen. Daß autopoietische Systeme als eine Art Selbstreproduktionsmaschine beschrieben werden müssen, bedarf allerdings der Erläuterung. Damit ist nämlich keineswegs gemeint, daß derartige Systeme auch die Ermöglichungsbedingungen ihrer Reproduktion unter ihre Kontrolle bringen müssen. Das wäre auch gar nicht möglich. Kommunikation setzt wie jede Umsetzung des Prinzips selbstreferentiell-operativer Schließung ein Materialitätskontinuum voraus (Luhmann 1997: 100, 102), in das die Differenz von System und Umwelt eingelassen ist, ohne daß das Kontinuum als Kontinuum davon unmittelbar betroffen wäre. Ob es Kommunikation gibt oder nicht, läßt viele der – vor allem physikalischen – Ermöglichungsbedingungen von Kommunikation unangetastet. Wenn von Eigenselektivität der Elemente die Rede ist, meint dies, daß dem Materialitätsunterbau die Rolle einer nur noch mitwirkenden, aber nicht mehr konstitutiven Kausalität zugewiesen wird (Luhmann 1997: 96 f.). Autopoietische Systeme sind, was Kausalität betrifft, energetisch fremddeterminiert, aber informationell eigendeterminiert (Luhmann 1997: 752).46 Es handelt sich also um eigenselektive Realitätsbereiche, die ihren Umgang mit Komplexität nur an den eigenen Vorgaben ausrichten und denen dies gerade deswegen möglich ist, weil sie darauf verzichten, alle Ermöglichungsbedingungen ihrer Existenz unter Kontrolle bringen zu wollen. Genau das meint im übrigen, soweit präzise verwendet, auch der Begriff der Emergenz (Luhmann 1984: 43 f., 157, 658). Bei der Autopoiesis der Kommunikation handelt es sich um einen Kontext kriterienloser Identität (vgl. Mohr 1988; Shoemaker 1968), der in „sich selbst stabilisierende[r] Interdependenzunterbrechung“ (Fuchs 2004: 4.2.3) gründet.47 45 Kommunikation kann hier als „Theorieatom“ betrachtet werden, als nicht weiter dekomponierbare Einheit, da diese Einheit zwar auf einer metasprachlichen Ebene analytisch zergliedert werden kann, eben dies aber auch nur im Vollzug von Kommunikation (Luhmann 1984: 226). 46 Diese Differenz findet ihre Entsprechung auch in der Tatsache, daß autopoietische Systeme durch ihre Umwelt nur destruiert, nicht aber instruiert werden können (vgl. Luhmann 1997: 753). 47 Um die Bedingungen der Systemizität im System beobachtbar zu machen, muß über die basale Selbstreferenz hinaus die Möglichkeit gegeben sein, bei Bedarf reflexive Prozesse zwischenzuschalten. Um sich als System zu schließen, reicht es also hin, daß in einem Kontext Ereignis und Prozeß relationiert werden und dieser

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III. Die Paradoxie der fdGO

c) Observationale Schließung: Selbstreferenz und Fremdreferenz Allerdings gerät auch die Beschreibung von Kommunikation als autopoietisches System wieder in die Spannung zwischen der Tatsache, daß kommunikative Ereignisse Operationen sind, und der Feststellung, daß sie dies nur als Beobachtungen sein können. Für den Begriff des autopoietischen Systems folgt daraus, daß Kommunikation einerseits operational geschlossen ist: Mitteilungen können nur durch weitere Mitteilungsereignisse ersetzt werden. Zugleich kann die einfache Schließung auf operationaler Ebene nur erfolgen, wenn sie durch eine observationale oder kognitive Schließung begleitet wird (Baecker 1993). Nur dann ergibt es Sinn, von einem beobachtungs- oder kognitionsfähigen System zu sprechen. Und nur dann kann man von den Grenzen des Systems als sinnförmigen sprechen. Auf der Ebene der Beobachtung organisiert das System seine Selektivität im Rahmen seiner eigenen sinnhaften Welt. Die Frage ist, wie das System auf der Basis der kognitionsfreien operationalen Schließung die observationale Schließung herstellen kann. Eine (Teil-)Antwort auf diese Frage lautet: Es macht die Differenz von Operation und Beobachtung beobachtbar. Die Kommunikation verwendet und reproduziert, das hatten wir festgehalten, den Unterschied von Mitteilung und Information und schließt sich auf dieser Grundlage als System. Dabei entsteht eine Verkettung von Ereignissen, die sich einerseits als einwertige und damit „objektfreie“ Operationen beobachten lassen; die aus anderer Perspektive aber zugleich Beobachtungen sind, die „Gegenstände“ referieren, indem sie sie bezeichnen. In diesem Sinne läßt sich der Unterschied von Operation und Beobachtung fassen als Unterschied von Operation und Referenz. Man wird dann in die Lage versetzt, diesen Unterschied auf der Ebene der Beobachtung einzuholen und begrifflich nochmals zu reformulieren, indem man zwischen Selbstreferenz und Fremdreferenz diskriminiert: „Selbstreferenz referiert das, was die Operation Beobachtung vollzieht. Fremdreferenz referiert das, was dadurch ausgegrenzt wird“ (Luhmann 1990a: 707). Weil der Mitteilungsaspekt der Kommunikation anzeigt, daß eine beobachtende Operation vorliegt, die den Beobachtungstyp Kommunikation verwirklicht, kann man die Mitteilung auch als Selbstreferenz der Kommunikation bezeichnen. Die Information dagegen ist alles, was jenseits der KomSelbstbezug reflexiv abgesichert wird. Das System muß sich nicht selbst als System begreifen können. Die Schließungsproblematik liegt also noch unterhalb der Ebene, die man als Identitätsreflexion bezeichnen kann. Zu basaler Selbstreferenz, Reflexivität und Reflexion als Typen von Selbstreferenz Luhmann (1981a: 103 f.; 1984: 600–602).

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munikation liegt, was von ihr zum Gegenstand gemacht wird. Entsprechend läßt sich der Informationsaspekt der Kommunikation als deren Fremdreferenz bezeichnen. Mit Hilfe der Differenz von Selbst- und Fremdreferenz kann beschrieben werden, wie die für Kommunikation konstitutive Differenz von Mitteilung und Information in den Kommunikationsprozeß wieder eingespeist und somit zugleich verwendet und beobachtet wird. Über ein reentry von Mitteilung und Information in den durch diese Differenz aufgespannten Raum der Operationen ermöglicht sich das System Zugriff auf die es konstituierende Unterscheidung: „Das Problem der operativ unzugänglichen Umwelt wird dadurch von Operation auf Kognition umgesetzt“ (Luhmann 1997: 98).48 Da die Reproduktion von Kommunikationen aus Kommunikationen zusammenfällt mit der Aufrechterhaltung der Grenze des autopoietischen Systems der Kommunikation – und zwar sowohl in operationaler als auch in observationaler Hinsicht –, liegt es nahe, dieselbe Problematik statt mit Blick auf die konstituierenden Elemente auch mit Blick auf das System zu formulieren. Die Differenz von Mitteilung und Information ist hinsichtlich des grundlegenden Reproduktionserfordernisses zwar identisch mit dem Unterschied zwischen dem Kommunikationssystem und seiner Umwelt. Die Differenz von System und Umwelt taucht dann allerdings zweimal auf, und zwar „als durch das System produzierter Unterschied und als im System beobachtbarer Unterschied“ (Luhmann 1997: 45, Hervorh. dort). Schließen und stabil von seiner Umwelt abgrenzen kann sich ein System nämlich nur dann, wenn es Vorstellungen davon entwickelt, wie zwischen System und Umwelt zu diskriminieren ist. Dafür muss das System die sich ihm immer wieder neu stellende Frage beantworten, ob es das jeweilige Objekt seines Beobachtens (das Thema der Kommunikation) im Bereich seiner eigenen „Verfügung“ oder außerhalb seiner selbst lokalisiert. Auch diese beiden Möglichkeiten der kognitiven Orientierung des Systems kann man abbilden, indem man sich der Unterscheidung von Selbstreferenz und Fremdreferenz bedient (Luhmann 1997: 879 f.). Weil die Unterscheidung von Selbst- und Fremdreferenz sowohl auf die Element- als auch auf die Systemebene bezogen werden kann, gilt es sehr 48 Wie oben ausgeführt, besteht ein Zwang zur Beobachtung der Unterscheidung von Mitteilung und Information nur insoweit, als das Erfordernis mitlaufender Selbstreferenz gemeint ist. Ohne diese Form der Selbstreferenz – die, wie gesagt, keine ausdrückliche Bezeichnung von Mitteilung und Information verlangt, sondern nur, daß diese Differenz auf dem Umwege einer Folgemitteilung erkennbar wird – käme Verstehen und damit Kommunikation nicht zustande. Wird die Mitteilung, die Information oder das Verstehen zum expliziten Gegenstand einer Beobachtung gemacht, richtet sich die Kommunikation bereits in reflexiver Manier auf sich selbst.

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III. Die Paradoxie der fdGO

genau zu bestimmen, was jeweils „referenziert“ wird. Je nach dem, ob man sie auf Mitteilung und Information oder auf System und Umwelt bezieht, verändert sich auch die Bedeutung der Begriffe Selbst- und Fremdreferenz. Die Mitteilungskomponente der Kommunikation sorgt dafür, daß die Verknüpfbarkeit der Elemente in dem, was wir „mitlaufende Selbstreferenz“ genannt haben, abgesichert ist; darin liegt dann immer zugleich ein Bezug auf das System, in dem die Kommunikation statt hat. Anders verhält es sich mit der Informationskomponente der Kommunikation, über die der „Objektbezug“ der Kommunikation hergestellt wird; denn sie avisiert zwar in der Regel, nicht aber notwendigerweise, die Umwelt des Kommunikationssystems. Vielmehr stehen der Kommunikation grundsätzlich die beiden Möglichkeiten zur Verfügung, Informationen über das System, dem sie zugehört, oder über seine Umwelt einzuholen. Um zwischen diesen beiden Modi der Informationsverarbeitung diskriminieren zu können, ist es nötig, am Informationsbegriff nochmals zwischen selbst- und fremdreferentieller Orientierung zu unterscheiden.49 4. Paradoxien, Beobachtung und Information In einer ersten Annäherung haben wir die exegetischen Schwierigkeiten, denen sich die Rechtsdogmatik im Umgang mit der fdGO konfrontiert sieht, in Begriffen einer Bedeutungstheorie vorgestellt. Das Konzept der Gehaltsarmut diente dazu, einen vorläufigen „Problemgehalt“ zu identifizieren. Demnach enthalten die Sätze des Grundgesetzes hochstufig generalisierte Begriffe, wodurch die Spezifikation des Anwendungsbereichs (des Spielraums) dieser Normen erheblich erschwert wird. Fragen der Bedeutungsspezifikation werden im Rahmen einer Theorie, die Kommunikation in Begriffen von Operation und Selektion beschreibt, nicht hinfällig. Auch daß sich das Problem bei näherem Zusehen nicht (nur) als Problem der Gehaltsarmut darstellt, sondern als ein paradoxiehaltiger Zirkel von Freiheitsgewährung und Freiheitseinschränkung, dispensiert nicht von der Aufgabe, das Problem der „Bedeutungsstabilisierung“ irgendwie einzuholen. 49 „Die Differenz Selbstreferenz/Fremdreferenz bezieht sich zunächst also nur auf die einzelne Operation, nicht ohne weiteres auf das System. Während dann die Mitteilung gar nicht anders als systemintern begriffen werden kann, läßt die Informationskomponente zwei Externa zu: operationsextern und systemextern“ (Luhmann 1997: 97 f., Fn. 126; so auch Esposito 1996). Die Unterscheidung von Selbstreferenz und Fremdreferenz läßt sich damit sowohl auf Ereignisse als auch auf Strukturen beziehen; soweit Strukturen mit Hilfe dieses Begriffspaares analysiert werden, kann es auf unterschiedlichen Generalisierungsebenen zur Anwendung gebracht werden; im Wissenschaftssystem zum Beispiel kann man die beiden Referenzrichtungen sowohl an der Differenz von Begriff und Gegenstand als auch an der von Methoden und Theorien abgreifen (siehe unten S. 127, 132).

4. Paradoxien, Beobachtung und Information

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Allerdings büßen Bedeutung oder Informationsgehalt innerhalb der Systemtheorie ihren grundbegrifflichen Status ein. Das, was diese Begriffe bezeichnen, muß nun als Effekt von Beobachtungen beschrieben werden; und was die behandelten dogmatischen Probleme betrifft, muß den in der sprachphilosophischen Terminologie nur angedeuteten Fragestellungen nun in kommunikationstheoretischen Termini Ausdruck verliehen werden. Günstigstenfalls sollte es gelingen, sie im Gefolge dieses theoretischen „Re-framing“ schärfer zu konturieren. Dies verlangt nach einem problemangemessenen Begriffsaustausch. Mit der „Umschrift“ von Sprache auf Kommunikation und der Explikation dieses Phänomens als selektiver Relationierung von Beobachtungen kann der identifizierten Paradoxie eine nochmals andere Form gegeben werden, die nicht auf Aussagen sondern auf Differenzen abstellt. Daß dem der fdGO zugrundeliegenden Problem mit Hilfe der Formel „Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit“ Ausdruck verliehen wird, bedeutet nichts anderes, als daß die fdGO als Einheit der Unterscheidung von Freiheit und Negation dieser Freiheit begriffen wird. Wir betrachten, mit anderen Worten, die fdGO als Form, deren eine Seite Freiheitsgewährung und deren andere Seite Freiheitsbeschränkung ist. Paradox ist die Formel deswegen, weil der Beobachter, gleichviel welche Seite der Form er avisiert, auf die jeweils andere Seite „katapultiert“ wird. Da ein wechselseitiges Implikationsverhältnis zwischen Freiheit und ihrer Negation besteht, lassen sich die beiden Seiten der Unterscheidung nicht mehr „auf den Begriff bringen“ – jedenfalls solange nicht, wie man „Freiheit“ als nicht weiter erläuterungsbedürftigen Ausdruck ansetzt. a) Information, Struktur und Redundanz Falls wir es nicht einfach bei einer methodisch begründeten Irrelevanz von Paradoxien belassen können oder möchten, stellt sich die Frage, welche Effekte Paradoxien in den Beobachtungszusammenhängen zeitigen, in denen sie auftreten. Auch paradoxe Kommunikation ist Kommunikation. Paradoxien entfalten ihre Wirkung nicht unmittelbar auf der Ebene des Operierens, sondern sie affizieren den Fortgang sinnhaften Beobachtens (Luhmann 1997: 91). Paradoxien verursachen Anschlußunsicherheiten. Die Rede von Anschlußunsicherheiten verweist auf Probleme, die im Bereich der Informationsverarbeitung liegen. Der Informationsbegriff meint hier aber kein Datum, also nicht (semantischen) Informationsgehalt, sondern er kann vor dem Hintergrund der bisher getroffenen Ausführungen nur als selektiv wirksame Differenz definiert werden. Die Systemtheorie schließt dabei an Gregory Batesons Diktum vom Unterschied, der einen Unterschied macht, an. Eine Information ist demnach ein Unterschied, „der beobachtet und Mo-

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III. Die Paradoxie der fdGO

ment einer Unterscheidung wird“ (Fuchs 2004: 10.2.5). Eine Beobachtung, also eine Bezeichnung vor dem Hintergrund einer Unterscheidung, ist genau dann informativ, wenn sie mit Blick auf anschließende Beobachtungen einen Unterschied macht, wenn sie also innerhalb des Systems rekursiven Beobachtens weitere Differenzen auslöst. Es geht also nicht um eine Übertragungsleistung, sondern um die Auswahl von Systemzuständen (Luhmann 1971: 39–46; 1984: 102–104). Mit jeder Operation reagiert das System auf seinen eigenen Vorzustand und interpretiert ihn damit als beachtenswerte Differenz. Ob und in gegebenenfalls welcher Weise ein Ereignis Informationswert erlangt, hängt also von dem Systemzustand ab, in den „hinein“ es geschieht. Soweit ein Ereignis in der Lage ist, differenzerzeugend zu wirken („Information hat“), verändert es seinerseits den Systemzustand. Informationen sind Selektionen, die Komplexität reduzieren und als solche dazu beitragen, Anschlüsse zu dirigieren. Auch Information ist Auswahl aus anderen Möglichkeiten im Modus der Komplexitätsreduktion, die entsteht, indem dem Sinnmedium Formen eingeprägt werden. Der Sinnbegriff erlaubt es, die Operativität des Kommunikationsprozesses mit dem Problem der Komplexitätsabsorption zu verbinden. Mit seiner Doppelnatur von Verweisungsüberschuß und Selektion markiert dieser Begriff aber zunächst nur den theoretischen Ort, an dem die Reduktion als Notwendigkeit sichtbar wird. Und ebenso läßt der Beobachtungsbegriff, der selbst die Form von Sinn hat, abstrakt erkennen, wie die selektive Verkettung von Sinn zustande kommt. Das Prozessieren von Sinn erfolgt in der Form des Beobachtens, durch Unterscheiden und Bezeichnen. Mit jeder Bezeichnung wird Sinn durch Formbildung momenthaft und irreversibel festgelegt, während die im Bezeichnen implizierte Unterscheidung zu erkennen gibt, daß von dieser Bezeichnung aus eine Überfülle an anderen Möglichkeiten zugänglich ist. Der Sinnbegriff läßt also offen, wie die Kleinarbeitung dieses Anschlußproblems faktisch vonstatten geht; um dies zu erfassen, müssen wir uns des Begriffs der Information bedienen (Luhmann 1971: 40; 1984: 100–103).50 Kommunikation realisiert sich als Abfolge von Ereignissen im Modus autopoietischer Reproduktion. Gerade wegen des flüchtigen Charakters der Ereignisse und der damit einhergehenden systeminternen Unbestimmtheiten muß eine Art „Festigkeit“ gegeben sein, die den Übergang von einem Ereignis zum nächsten ermöglicht. Anschlüsse sind nur unter der Bedingung der Wiederholbarkeit (Wiedererkennbarkeit) denkbar – und das trotz der Tatsache, daß jede Operation einmalig und damit im strengen Sinne unwiederhol50 Entsprechend unterscheidet Luhmann (1971: 39–46; 1984: 103–105) zwischen Sinn und Information. Nicht daß, sondern wie Sinn gebraucht wird, ist informativ (Fuchs 2004: 10.2.6).

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bar ist. Wiederholbarkeit kann es nur auf der Ebene der Beobachtung geben, und zwar, wenn es gelingt, Bezeichnungen konstant zu halten (Luhmann 1995: 69). Die Ereignisbasiertheit auch des Beobachtens setzt Wiederholung unter eine doppelte Anforderung: Zum einen müssen bezeichnungsfähige „Einheiten“ erzeugt werden, die situationsübergreifend identifizierbar bleiben und so zu spezifischen Zeitpunkten aktualisiert werden können. Dieses Erfordernis des Abstrahierens von situativen Besonderheiten wird als selektive Kondensierung bezeichnet. Andererseits führt gerade diese kontextübergreifende Identifizierbarkeit zu einer Reaktualisierung des Sinns in verschiedenen Situationen. Die Wiederbezeichnung ist keine einfache Wiederholung, sondern führt zu einer Aufladung mit kontextspezifischen Sinnbezügen, zu generalisierender Konfirmierung. Da Sinn immer als kondensierter und konfirmierter Sinn zur Verfügung steht, können die zeitlichen Differenzen zwischen den Ereignissen überbrückt werden. Damit wird Kommunikation als rekursiver, Vor- und Rückgriffe erlaubender Prozeß erst möglich (Luhmann 1990a: 108 f., 311–313; 1990b: 28–32; 1997: 73–75).51 Die „Festigkeit“, die sich aus dieser Doppelbewegung von Kondensierung und Konfirmierung ergibt, nennen wir Struktur. Durch die Generalisierung von Sinn wird Komplexität reduziert, was dazu führt, daß der Verweisungshorizont „überschaubarer“ wird und die in allem Sinn mittransportierten Alternativen als Spielraum möglicher Anschlüsse sichtbar werden. Strukturen haben die Aufgabe, den Anschlußselektionen eine „Richtung“ zu weisen, das heißt sicherzustellen, daß trotz der sinnhaft gegebenen Verweisungsüberschüsse ein mehr oder weniger verläßliches Fortsetzen möglich bleibt. Ohne Strukturbildung sähe sich der Kommunikationsprozeß einer Komplexitätsüberlast konfrontiert, die das Anschließen prekär bleiben ließe. Dabei geht es nicht einfach darum, Elemente zu verknüpfen. Der Bedarf an Struktur ergibt sich vielmehr daraus, daß auch schon die Relationierung kommunikativer Ereignisse eine Auswahl darstellt. Strukturen sind Ausdruck des selektiven Umgangs mit bereits eingeschränkten Kombinationsmöglichkeiten; Strukturen sind „Selektion[en] von Relationierungen von Relationen“ (Fuchs 2004: 6.3.1), die auch unter dem Druck wechselnder Prozeßverläufe als Reduktionsleistung erkennbar bleiben (Luhmann 1984: 383–385). In die systeminterne Unbestimmtheit des autopoietischen Operierens werden also Strukturen eingezogen – die jedoch auch nicht anders als ereignishaft reaktualisiert werden können. In dieser Hinsicht ist der Strukturbegriff der Komplementärbegriff zu dem des (Beobachtungs-)Ereignisses, weil jener auf die Notwendigkeit bezogen ist, das System trotz seiner „zeit51 Man kann selbst soweit gehen und Sinn als Einheit der Differenz von Kondensierung und Konfirmierung bestimmen, weil auch diese Differenz nur ein Sonderfall der Unterscheidung von Auswahl und Optionsüberschuß ist (Luhmann 1990a: 109 f.).

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III. Die Paradoxie der fdGO

gebundenen“ Existenz mit einem gewissen Grad an „Festigkeit“ zu versorgen. Generalisierungen ermöglichen es dem System, trotz seines diskontinuierlichen Reproduktionsmodus seine Beobachtungen an sinnförmigen Kontinuitäten auszurichten (Luhmann 1984: 140 f.).52 Strukturen lassen also erkennen, daß es Einzigartigkeiten nicht gibt, und wenn, dann nur in Differenz zu als bereits bekannt Unterstelltem. In allem, was sinnhaft existiert, finden sich Verweisungen auf Wiedererkennbares. Da Strukturen damit zugleich eine Art „Normalfall“ insinuieren, kann man auch sagen, daß Strukturen Erwartungen sind.53 Sie setzen am Aspekt der Generalisierung an und unterstellen die Reproduktion einer einmal verwirklichten Generalisierungsrichtung von Sinn als Normalfall – eben: als Erwartung –, während die Abweichung von diesem Pfad als Enttäuschung interpretiert wird. Strukturen sind also immer Erwartungsstrukturen und Konditionieren das Prozessieren von Sinn vermittels der Differenz von Erwartung und Enttäuschung (Baecker 2005: 87–89; Luhmann 1984: Kap. 8.V).54 Der Zusammenhang von Sinn und Beobachtung verweist auf sinnförmig gegebene Identitäten, Strukturen und, so müssen wir hinzufügen, letztlich auf Gedächtnisleistungen, die von den Beobachtungen in Anspruch genommen und reproduziert werden. Damit setzt auch Information, damit sie Information sein kann, Strukturen als Spielräume denkbarer Anschlußmöglichkeiten voraus. Dirk Baecker (2005: Kap. 1.1) schlägt vor diesem Hintergrund vor, Information explizit als „Ordnungsbegriff“ zu deuten. Ein Ereignis konstituiert sich als Information in dem Maße, als man durch sein Vorfallen zugleich etwas darüber weiß, was sonst noch in einem Kontext hätte geschehen können. Damit ist seine „Informativität“ relativ zur Struktur des Systems; oder präziser formuliert: der „Informationsgehalt“ eines Ereignisses bestimmt sich im Verhältnis zu anderen Ereignissen, die mit einer gewissen Erwartungswahrscheinlichkeit auch hätten stattfinden können. Mit diesem Vorschlag wird Information zu einem Maß für Ordnung (MacKay 52 Strukturen sind also nicht Elemente eines sozialen Systems, sondern dessen Reproduktionsbedingungen. Die durch die Temporalisierung erzeugte Instabilität der Kommunikation und die Anschlußunsicherheit, die damit einher geht, werden in Grenzfällen zu einer Bedrohung für die Fortschreibung der Autopoiese. Dann wird aus dem Problem der Gewährleistung von Anschlußfähigkeit eine Frage der Systemexistenz. 53 Erwartungen sind die „Zeitform, in der Strukturen gebildet werden“, heißt es bei Luhmann (1984: 411). 54 „[D]ie Erwartung [bestimmt] sich in einem kommunikativen Zusammenhang selbst [. . .], indem sie sich von ihrer Enttäuschung unterscheidet und die Reflexion auf diese mögliche Enttäuschung zur Selbstbezeichnung im Unterschied zu sich selbst, das heißt zu möglichen anderen Erwartungen bestimmt.“ (Baecker 2005: 89)

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1964). Um der Gradualisierung des Informationsbegriffs auch terminologisch Rechnung zu tragen, wird die informationswirksame Selektion nicht mehr abstrakt auf den Strukturbegriff bezogen, sondern auf den Redundanzbegriff. „Der Informationsgehalt liegt nicht in der Nachricht selbst, sondern im Verhältnis dieser Nachricht zu anderen möglichen Nachrichten, die ihrerseits eine gewisse Wahrscheinlichkeit haben. Das bedeutet jedoch, daß der Auswahlbereich möglicher Nachrichten mitgelesen werden können muß, wenn es zu einer Informationsverarbeitung kommen soll. Und Redundanz soll heißen, daß man es bei [. . .] Information mit einem Verhältnisbegriff zu tun hat, der auf die zugrunde gelegte beziehungsweise als Auswahlbereich möglicher Nachrichten unterstellte Ordnung verweist. Je größer die Wahrscheinlichkeit ist, daß man aus einer Nachricht auf andere Gegenstände und Zustände des Auswahlbereichs schließen kann, desto höher ist die Redundanz der jeweiligen Ordnung.“ (Baecker 2005: 21, eig. Hervorh.)

Der „Informationswert“ einer Beobachtung ist um so größer, je stabiler die Erwartungen bezüglich dessen sind, was dann noch folgen kann. Je mehr Redundanz („Strukturiertheit“) ein Erwartungsbereich aufweist, desto „informativer“ kann ein Ereignis wirken. Umgekehrt kann man in einem Erwartungskontext mit einem geringen Grad an „Strukturiertheit“ nur mit wenig Genauigkeit wissen, was im Fortgang folgen oder nicht folgen kann.55 Mit der Herstellung von Redundanz wird Entropie ab- und negentropische Komplexität aufgebaut (Baecker 2005: 21). Informationelle Redundanz sorgt dafür, daß kein weiterer Beobachtungsbedarf entsteht. „Redundanz ist [. . .] ein Maß für die Überflüssigkeit weiterer Information, für die Unabhängigkeit von weiteren Überraschungen, also für Sicherheit“ (Luhmann 1986c: 35); sie ist in diesem Sinne „sparsamer Umgang mit Informationen“ (Luhmann 1997: 63).56 Der differenztheoretische Informationsbegriff ist im Unterschied zu dem eingeführten sprachphilosophischen57 nicht semantisch, sondern erwar55 „[I]nformation is a measure of the (intellectual) work required to distinguish, to a degree better than chance, among a set of initially uncertain possibilities. For an uninformed observer, distinctions, decisions, and choices are arbitrary. For the perfectly informed observer, choices are unambiguously obvious, unique, and without surprises. [. . .] [I]nformation accounts for the difference in an observer’s state of uncertainty before and after some observation was made, including the changes introduced in the cognitive map of its receiver.“ (Krippendorff 1984: 50) 56 Luhmann (1990a: 436–441; 1992b: 174–176) setzt als Gegenbegriff zu Redundanz Varietät an, wobei er die Frage, ob es sich beim Verhältnis dieser beiden Variablen um ein inverses handelt, für eine empirische hält. Das heißt, es sind auch Beobachtungen (Modi der Informationsverarbeitung) denkbar, die Redundanz und Varietät zugleich erhöhen, also Erwartungssicherheit gerade durch Variabilisierung des Beobachtens herstellen. 57 Siehe oben Kap. II.

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III. Die Paradoxie der fdGO

tungsstrukturell bestimmt. Es geht um Grade der Orientierungs- oder Anschlußsicherheit. Desungeachtet drängen sich die Ähnlichkeiten zu dem eingeführten Informationsverständnis geradezu auf:58 denn auch dort ist Information ein gradualisierter, letztlich differentiell gebauter Begriff. Das Mehr oder Weniger an Information erwächst daraus, daß ein Satz nicht allein unter dem Aspekt der Wahrheit, sondern zugleich im Kontext anderer Sätze betrachtet wird. Sätze, die über einen hohen Informationsgehalt und entsprechend kleinen Spielraum verfügen, sorgen für Redundanz, weil sie kaum Überraschungen zulassen; umgekehrt wirken gehaltsarme Sätze mit entsprechend großem Spielraum entropisch, da man in gewisser Weise nie sicher sein kann, worüber eigentlich gesprochen wird. „Gehaltsmaximierung“ heißt dann: Kontrolle von Entropie, und das geschieht durch Ausschluß von auch denkbaren Möglichkeiten, durch Reduzierung des „logischen Spielraums“ der Aussage (Podlech 1967: 23). b) Die Inhibierung des Beobachtens durch Paradoxien Die Paradoxie der fdGO hat uns zunächst den Anlaß geliefert, eine Verlagerung der Grundbegrifflichkeit von Sprache auf kommunikatives Beobachten vorzunehmen. Diese Umstellung legt es nun aber nahe, ja sie erzwingt es bei einigem Anspruch an begriffliche Konsistenz geradezu, auch Paradoxien als spezifische Formen der Differenzbehandlung zu betrachten. Wenn man von Sätzen ausgeht, entsteht eine Paradoxie dadurch, daß zwei sich widersprechende Behauptungen gleichermaßen beanspruchen, wahr zu sein, wobei die Bedingungen der Wahrheit der einen Proposition zugleich die Bedingungen der Unwahrheit der anderen sind. Auch aus einer beobachtungstheoretischen Perspektive ist es die Oszillation zwischen zwei Positionen, die vermuten läßt, daß man es mit Paradoxien zu tun hat. Aber das Pendeln wird nicht mehr als Problem der Wahrheitswertzuweisung beschrieben, sondern es muß nun auf die beiden Seiten einer Unterscheidung bezogen werden. Paradoxien stellen sich dann als Problem für die Form des Beobachtens dar (Luhmann 1991d). Paradoxien lassen den Blick in unentschiedener Weise zwischen den beiden Seiten einer Unterscheidung hin- und herspringen. Die Bedingungen 58 Bei Baecker (2005: 15–17) findet sich zwar der Hinweis darauf, daß der Shannonsche Informationsbegriff gegenüber semantischen (und pragmatischen) Fragen abstinent bleibt, zugleich äußert er jedoch auch Zweifel, ob die Separierung von Informationsübertragungs- und Bedeutungsfragen theorienotwendig ist. Was jedoch fehlt, ist ein Hinweis auf den Gehaltsbegriff, wie er in sprachanalytischen Zusammenhängen verhandelt wird, und näherhin auf Bar-Hillel und Carnap (1953), die explizit an dem Problem der Verknüpfbarkeit von Informationstheorie und Semantik ansetzen.

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des Beobachtens liegen in dem asymmetrischen Verhältnis von Bezeichnung und Unterscheidung. Zwar gründet jede Bezeichnung in einer Unterscheidung, der sie sich verdankt, und insoweit herrscht Symmetrie. Das Unterscheiden wird durch den Akt der Bezeichnung aber nur impliziert – und in diesem Sinne wird das symmetrische Verhältnis von Bezeichnung und Unterscheidung wieder asymmetrisiert. Diese Asymmetrie ist Voraussetzung der Rekursivität des Beobachtens, weil nur die bezeichnete Seite anschlußfähig ist. Paradoxien erweisen sich mit Blick auf diese Bedingungen jeden Beobachtens als problematisch, weil sie die Asymmetrie von Bezeichnung und deren nicht bezeichnetem Kontext unterlaufen. Dabei geht es nicht einfach darum, daß man die Grenze, die mit jedem Beobachten entsteht, kreuzen und in den zuvor unbezeichneten Raum Bezeichnungen einführen kann. Vielmehr dissimulieren Paradoxien die Unterscheidung von Bezeichnung und Unterscheidung und lassen die Form des Beobachtens prekär werden. Innerhalb der Form der Paradoxie drängt jede Bezeichung zur Markierung der momentan nicht bezeichneten Seite – die Bezeichnung sieht sich sozusagen gezwungen, sich als Bezeichnung zu negieren –, wodurch sich das Beobachten in ein unbestimmbares Oszillieren verstrickt. Da der Prozeß des Beobachtens aber immer nur an Markierungen – oder genauer: an Markierungen, die sich nicht zugleich negieren – ansetzen kann, stellen Paradoxien die Beobachtung – für einen Moment jedenfalls – still. Paradoxien hemmen das Beobachten, weil sie mit Blick auf den Kontext, in dem sie statthaben, Unterschiede sind, die keine Unterschiede machen. Paradoxien lassen sich damit als Formen beschreiben, die Probleme im Bereich der Informationsverarbeitung verursachen. Da wir von einem rekursiven Prozeß der Differenzerzeugung ausgehen, kann man aber ebensogut umgekehrt ansetzen und Paradoxien als Resultat dieses Differenzverarbeitungsprozesses betrachten. Aus dieser Perspektive lassen sich Paradoxien deuten als ein Resultat unzureichender Komplexitätsverarbeitungskapazitäten (Krippendorff 1984: 52) oder, schärfer formuliert, von „unendlichen Informationslasten“ (Luhmann 1991d: 61; 1993c: 295). Die Bezeichnungen und Unterscheidungen, die der Beobachter in Anschlag bringt, reichen in ihren Strukturierungsleistungen für den Beobachtungszusammenhang, dem sie zugehören, nicht hin. Die Beobachtung sieht sich fortwährend einer Alternative konfrontiert, die in der gestellten Form aber gar nicht „entscheidungsfähig“ ist, weil jeder Sinnvorschlag seine Negation mitmeint (Esposito 1991: 37). Worin die Funktion dieser „Destrukturierungsleistung“ besteht, ist nicht zureichend geklärt. Sicher ist nur, daß der normale Ablauf des Beobachtens unterbrochen wird. Man geht allerdings davon aus, daß durch die Oszillation zwischen den beiden Seiten einer Unterscheidung nichtreduzierte Kom-

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III. Die Paradoxie der fdGO

plexität „verdeckt“ wird (Luhmann 1997: 91). Mit dieser „Funktionsbestimmung“, die auf der Ebene der Beobachtung zweiter Ordnung gewonnen wird, können die Beobachtungskontexte, in denen Paradoxien auftauchen, aber nichts anfangen. Für sie ist und bleibt Kommunikation ein in Bewegung befindlicher Prozeß, dessen Fortschreibung nur dann gesichert ist, wenn er sich auf ein Minimum an bestimmbarer Anschlußfähigkeit stützen kann. Und aus diesem Grund drängen Paradoxien zur Entparadoxierung, müssen sie in alternative Unterscheidungen zerlegt werden (man spricht auch von Paradoxieentfaltung), um alternative Modi des Beobachtens zu finden, die wieder Anschlußsicherheit herstellen.59 Was besagt all das nun für die vorliegende dogmatische Fragestellung? Im Falle der fdGO verfängt sich die dogmatische Diskussion in der widersprüchlich strukturierten Alternative von Freiheitsgewährung und Freiheitseinschränkung. Dieser Widerspruch erweist sich bei näherem Zusehen als Paradoxie. Löst man die paradoxale Formel „Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit“ in Differenzen auf, erkennt man, daß es zu einer Anwendung der Unterscheidung von Freiheit und Unfreiheit auf sich selbst kommt. Die Selbstanwendung von Unterscheidungen aber führt zu Paradoxien, weil dann das Kriterium, das darüber entscheidet, welche Seite einer Unterscheidung zu bezeichnen ist, in der Einheit eben dieser Unterscheidung selbst gesucht wird. Die Dogmatik vermutet in den Bedingungen der Freiheit die Ermöglichungsbedingungen von Unfreiheit; und sie legt sich im Gefolge die Frage vor, ob es Freiheit oder Unfreiheit ist, die Freiheit zu gewährleisten vermag. Die Frage kann jedoch in der gestellten Form nicht beantwortet werden. Als Grundlage dogmatisch kontrollierten Entscheidens eignet sich die Paradoxie jedenfalls nicht. Die identifizierte Paradoxie ist ein Indikator dafür, daß die Dogmatik sich mit einem schlecht strukturierten Problem befassen muß. Es versteht sich von selbst, daß entschieden werden muß; aber es ist nicht bekannt, was das Problem ausmacht, das zur Entscheidung ansteht, welcher Zustand als Lösung des Problems gelten darf und was genau getan werden muß, um zu einer akzeptablen Lösung zu gelangen.60 Sowenig die Diagnose „gehaltsarm“ uns Ansatzpunkte bietet, um aus dem schlecht ein gut strukturiertes Problem zu machen, sowenig enthält auch die Diagnose einer Paradoxiehaltigkeit der fdGO Hinweise darauf, welcher Art der Unterscheidungsge59

So mit Blick auf das Recht auch Fletcher (1985). Gemeint sind damit sowohl rechtstechnische Bedingungen des Argumentierens (etwa die Frage danach, welche Argumentationslastregeln gelten sollen) als auch die Art und Weise, in der die in Frage stehenden Realitäten beschrieben werden (zum Beispiel die Frage danach, was verfassungsrechtlich unter Demokratie verstanden werden soll). 60

4. Paradoxien, Beobachtung und Information

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brauch sein sollte, um als Grundlage nachvollziehbaren dogmatischen Argumentierens geeignet zu sein. Die Bestimmung der fdGO als Einheit der Differenz von Freiheitsgewährung und Freiheitsbeschränkung kann bestenfalls den Startpunkt für dogmatische Bemühungen bilden. Die dogmatischen Konditionierungsversuche müssen sich denn auch auf weitere Unterscheidungen stützen, um die Paradoxie von Freiheitsgewährung und Freiheitsbeschränkung zu entfalten. Welche Vorschläge dazu in der rechtsdogmatischen Literatur gemacht werden und auf Grundlage welcher Annahmen die konkurrierenden Dogmatiken ihre argumentationsleitenden Unterscheidungen (Begriffe) entwickeln, ist Gegenstand des Dritten Kapitels. Sollten sich dann die Fronten der Diskussion und ihre etwaigen Unzulänglichkeiten deutlicher abzeichnen, weist dies vielleicht auch den Weg zu einer besser strukturierten Problemformulierung.

IV. Die Beobachtung der fdGO Der Problemlöser muß nicht unbedingt ein Verständnis davon haben, daß er ein schlecht strukturiertes Problem bearbeitet (Smith 1988: 1498). So weisen auch die Bemühungen, eine Dogmatik der fdGO zu entwickeln, zwar durchaus ein Bewußtsein für die aporetische Spannung von Freiheitssicherung durch Freiheitsbeschränkung auf – eine echte Reflexion, ein Versuch, auf den „Grund“ des Problems vorzudringen, unterbleibt aber. Gerade dieses Abschneiden von Reflexionsbemühungen wird dann wieder zum Bestandteil des Problemsyndroms, weil man Gefahr läuft, von den ungenauen Problembeschreibungen, die die Dogmatik anbietet, auf die Nichtanalysierbarkeit des Problems zu schließen. Bei den Versuchen, die „open constraints“ (Reitman 1964) zu schließen, verläßt man sich dann, statt auf Methode zu setzen, eher auf ad-hoc-Annahmen und vermeintliche Evidenzen (vgl. Schlink 1980: 91 f.). So überrascht es nicht, daß die Jurisprudenz mit ihren Versuchen, für überzeugende dogmatische Konditionierungen zu sorgen, bislang allem Anschein nach erfolglos geblieben ist. Die Gründe für dieses Scheitern lassen sich aufzeigen, wenn man die Argumentationslinien nachzeichnet, die sich in der Literatur finden. Soll diese Rekonstruktion einen beobachtungstheoretischen Zuschnitt erhalten, muß die fdGO als kommunikationsleitende Figur in den Blick genommen werden, die in eine bestimmte Form des Unterscheidungsgebrauchs zwingt oder doch zu zwingen scheint. Strittige wie unstrittige Argumentationsmuster können nämlich in den Annahmen, die sie machen, nur dann angemessen erfaßt werden, wenn man die Unterscheidungen untersucht, die die Paradoxie von Freiheitsgewährung durch Freiheitsbeschränkung entfalten. Der Differenzgebrauch läßt sich dabei als Kondensat juristischer Argumentationsfiguren verstehen. Ergeben sich dort Verschiebungen, kann man davon ausgehen, daß sich auch die dogmatischen Argumentationstopoi verändert haben. Diese Verschiebungen sind zum Teil gut erkennbar, wenn etwa dogmatische Leitbegriffe ausgetauscht werden; zum Teil finden sie aber auch gleichsam unter der Hand statt, indem zwar die Bezeichnungen konstant gehalten werden, es aber zu einer Auswechslung von Gegenbegriffen kommt.1 Einer der Gründe für die dogmatischen 1 Dieses Phänomen der antonym substitution kann tiefgreifende Struktureffekte auf ein „semantisches Feld“ haben, wie die Untersuchungen von Holmes (1987) zeigen. Vgl. zum Problem der „choices among unequals“ ferner Waugh (1982).

1. Die fdGO in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

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Unzulänglichkeiten dürfte dabei in der Tatsache zu suchen sein, daß die Trennbegriffe häufig so gewählt werden, daß die Ursprungsparadoxie wieder auf sie durchschlägt. Dort, wo das der Fall ist, wird die Paradoxie der fdGO recht eigentlich nicht aufgelöst, sondern sie nimmt nur eine andere Gestalt an. 1. Die fdGO in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Das BVerfG musste sich schon sehr früh, und zwar in dem gegen die SRP gerichteten Verbotsurteil vom 20. Oktober 1952, mit dem Inhalt der fdGO auseinandersetzen. Der zweite Leitsatz dieser Entscheidung definiert den Inhalt dieser Ordnung wie folgt: „Freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Art. 21 II GG ist eine Ordnung, die unter Ausschluß jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.“2

Das BVerfG sieht diese Definition in einer Gesamtschau des Grundgesetzes und der Einordnung desselben in die moderne Verfassungsgeschichte verankert. Es gewinnt die zur Definition herangezogenen Elemente vermittels einer „Methode“, die es als „Substraktionsverfahren“ bezeichnet. Die Eigenschaften der fdGO ergeben sich demnach primär ex negativo, und zwar indem einerseits eine Absetzbewegung gegenüber einem vorgeblich relativistischen Demokratie- und Freiheitsverständnis der Weimarer Reichsverfassung vollzogen und andererseits auf die Unterschiede zu „totalitären“ Herrschaftsordnungen abgestellt wird (Bulla 1973: 340–353; Gusy 1980: 282 f.).3 Die resultierende Enumerativdefinition hat zum Teil ein zustim2

BVerfGE 2, 1 (12 f.). Tatsächlich handelt es sich dabei um eine politische Fehleinschätzung: Die Weimarer Republik ist nicht an einer mangelnden Wehrhaftigkeit ihrer Verfassung, sondern daran gescheitert, daß eine Mehrheit der Bürger der demokratischen Republik den Rücken kehrte und den autoritären Führerstaat bejahte. Der Sturz Hermann Müllers, der allen nachfolgenden Reichskanzlern die parlamentarische Mehrheit entzog, und nicht eine verfassungsrechtliche Fehlkonstruktion leitete den Untergang der Weimarer Republik ein, der durch den von Hindenburg durchgesetzten Sturz Joseph Wirths vollendet wurde. 3

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IV. Die Beobachtung der fdGO

mendes, zum Teil aber auch ein kritisches Echo gefunden. Soweit die Formel auf Akzeptanz stößt, werden die definitorischen Unschärfen für unvermeidlich gehalten. Kein Definitionsversuch könne mehr leisten, als die Stoßrichtung der fdGO in groben Linien vorzuzeichnen, da die Konkretisierung immer auch auf die Eigenheiten des zu behandelnden Falles eingehen müsse (Maurer 1971: 212; Morlok 2001: 2940; Schmitt 1965: 433).4 Kritische Stimmen sehen dagegen genau darin, daß sich der Definitionsversuch als nur grob umrissene Zielbestimmung lesen läßt, das Problem. Die angeführten „Prinzipien“ eignen sich als solche – das heißt, ohne sie selbst noch einmal einer Interpretation zu unterziehen – nicht, mit hinreichender Eindeutigkeit zu klären, wo die Grenze zwischen rechtlich zulässiger und rechtlich unzulässiger politischer Opposition verläuft. Verschiedentlich ist der Formel „Theorielosigkeit“ vorgehalten worden. Auch die Anleihen, die das Gericht zum Zwecke der Herleitung der Definition bei religiös-naturrechtlichen Vorstellungen macht, sind kaum dazu angetan, diesen Mangel zu beheben. Die Definition müßte vielmehr ein durchlaufendes und theoretisch abgesichertes Bezugsproblem erkennen lassen, um die Zuordnung der vom BVerfG herangezogenen Prinzipien zur fdGO rechtfertigen zu können (Azzola 1972: 803; Gusy 1980: 285, 288). Dabei ist nicht zuletzt an eine genauere Erörterung dessen zu denken, was unter Demokratie verstanden werden soll (Lameyer 1981: 151, Fn. 14). Erst wenn hier Klarheit herrscht, könnte man auch diskutieren, wie das Zusammenwirken der in der Definition genannten Prinzipien zu denken ist, um zum Beispiel zu klären, ob sie in eine Rangfolge gebracht werden können. Die Liste der Bedenken verlängert sich noch, weil das BVerfG davon ausgeht, daß der Merkmalskatalog kein abgeschlossener ist, sondern gegebenenfalls um weitere Elemente ergänzt werden kann. Jedenfalls ändert der Konkretisierungsversuch des BVerfG nichts an der Tatsache, daß Art. 21 Abs. 2 GG an einer kritischen Stelle der verfassungsrechtlichen Ordnung weite Auslegungsspielräume eröffnet. Offensichtlich ist auch das Gericht der Auffassung, daß die vorgeschlagene Definition nicht in der Lage ist, die Begründungslast zu tragen, die ein Parteiverbot mit sich bringt. Anstatt aber seine begrifflichen Überlegungen aus dem SRP-Urteil voranzutreiben, finden sich in dem Urteil aus dem Jahr 1956, in dem das BVerfG über die Verfassungswidrigkeit der KPD zu befinden hatte, nur Einlassungen zur Parteiendemokratie, die man vorsichtig als funktional orientiert bezeichnen kann (vgl. Lameyer 1981: 154; Schlink 1976a: 45). Demnach werden mit Art. 21 Abs. 2 GG die Parteien „aus dem 4 So kann man denn – was durchaus entlarvend ist – auch der Meinung sein, die Formel sei in theoretischer Hinsicht erläuterungsfähig, „vom praktischen Standpunkt aus“ besehen aber nicht ergänzungsbedürftig (Seifert 1961: 84).

1. Die fdGO in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

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Bereich des Politisch-Soziologischen in den Rang einer verfassungsrechtlichen Institution“ erhoben; eine Aufwertung, die sie zu zentralen „Organen“ der Verfassungsordnung macht und die ihnen deswegen zukomme, weil sie eine entscheidende Rolle bei der politischen Willensbildung des Wahlvolkes spielten.5 Diese Argumentation mutet schon deswegen seltsam an, da Demokratie ohne Parteienkonkurrenz gar nicht denkbar ist; nichtkontingente Sachverhalte bedürfen, abstrakter formuliert, keiner normativen Abstützung. Sie entspricht aber der Logik der Argumentation des Gerichts, weil es meint, aus der „verfassungsrechtlichen Stellung“ der Parteien unter der Ägide des Grundgesetzes auch die Grenzen ihrer parteipolitischen Betätigungsfreiheit ableiten zu können. Die Einbindung der Parteien in das Verfassungsgefüge des Grundgesetzes habe nämlich zur Konsequenz, daß in „politisch sinnvoll[er]“ Weise nur diejenigen Parteien die ihnen zugewiesene Aufgabe wahrnehmen könnten, die auf dem Boden der fdGO operierten. Die Akzeptanz derjenigen Prinzipien, für die die fdGO steht, bildet für das BVerfG den Minimalkonsens, ohne den jede politische Auseinandersetzung notwendig aus dem Ruder laufen muß.6 Parteien, die sich diese Prinzipien nicht zu eigen machen, könnten lediglich im vorpolitischen Raum auftreten, verwirkten aber den Anspruch auf normativ garantierten Zugang zur politischen und, vermittelt darüber, staatlichen Sphäre.7 Art. 21 Abs. 2 GG bewirkt demnach ein Doppeltes: Er sorgt einerseits dafür, daß die Mitwirkung der Parteien am politischen Prozeß auf verfassungsrechtlicher Ebene normativ abgesichert wird; er nimmt die Parteien aber andererseits auch insoweit in die Pflicht, als nur solche politischen Positionen vertreten werden dürfen, die mit den von der fdGO statuierten Prinzipien konform gehen (Lameyer 1981: 154). Das Ziel des Art. 21 Abs. 2 GG besteht damit letztlich darin, nicht demokratiekonformes Gedankengut aus dem politischen Prozeß auszuscheiden.8 Das Grundgesetz trifft also eine Entscheidung gegen vollkommene Neutralität gegenüber politischen Positionen und konstituiert in diesem Sinne eine Wertordnung.9 Die Auffassung, daß die fdGO als Wertordnung zu charakterisieren sei, wird auch mit Verweis auf die deutsche Geschichte abzusichern versucht. Von einer Wertordnung kann und sollte man nach verbreiteter Auffassung mit Blick auf das Grundgesetz nicht zuletzt deswegen sprechen, weil damit eine entscheidende Differenz zur Weimarer Reichsverfassung (WRV) deut5

BVerfGE 2, 1 (73). BVerfGE 2, 1 (73). 7 BVerfGE 5, 85 (134). 8 BVerfGE 2, 1 (73); so auch Seifert (1961: 86). 9 BVerfGE 5, 85 (134, 139); zustimmend Seifert (1961); abwägend Bulla (1973); ablehnend Gusy (1980); Lameyer (1981); Schuster (1968b). 6

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IV. Die Beobachtung der fdGO

lich hervortritt. Während die WRV durch Wertneutralität gekennzeichnet gewesen sei – die schließlich den Untergang der Weimarer Republik wenn schon nicht ausgelöst, so doch begünstigt habe –, bilde das Grundgesetz eine werthafte (oder wertgebundene) Ordnung, die bestimmte Prinzipien der Gestaltung von Staatlichkeit der politischen Auseinandersetzung entzieht (Seifert 1961: 81). Nach Auffassung des BVerfG übersetzt das Grundgesetz – gestützt auf historische und sachliche Erwägungen – das Problem von Freiheit und Bindung in die Form einer streitbaren oder wehrhaften Demokratie, die sich gegenüber der Intoleranz selbst intolerant aufstellt (Bulla 1973: 341 f.; Sichert 2001: 673). Letztlich liegt dem die Vorstellung zugrunde, daß Freiheit nur durch Bindung zu haben ist (Gusy 1980: 278–288). 2. Die Form des Grundrechts – von der Freiheit zum Wert Im Zuge der Versuche herauszuarbeiten, welches Demokratie- und Freiheitsverständnis das Grundgesetz zugrunde legt, führt das BVerfG den Begriff der Wertordnung in die verfassungsrechtliche Diskussion ein.10 In diesen frühen Urteilen fungiert die Wertordnung allerdings noch nicht als unmittelbar entscheidungserhebliche Figur, sondern es kommt ihr eine eher „ornamentale“ Funktion zu (Gusy 1980: 292 f.; Schlink 1976a: 18). Erst mit dem Lüth-Urteil11 entwickelt sich eine Judikatur, die ihre Begründungen explizit in Werten verankert sieht, indem sie nämlich davon ausgeht, daß es sich bei den Grundrechten nicht einfach um subjektivrechtlich gewährleistete Freiheiten, sondern um „objektive Grundsatznormen“ handelt, und daß diese in ihrer Gesamtheit eine Wertordnung ausformen. Der subjektivrechtliche Gehalt geht im Zuge dieser Umorientierung nicht verloren, aber den Grundrechten eignet – so die verbreitete Auffassung – nun ein „Doppelcharakter“, so daß die Frage nach dem Verhältnis dieser beiden Grundrechtsgehalte unabweisbar wird.12 10

BVerfGE 2, 1 (12); 5, 85 (134); 6, 32 (40). BVerfGE 7, 198. 12 Der sogenannte „objektivrechtliche“ Gehalt der Grundrechte wird zum Teil als in präpositiven Rechtsschichten beziehungsweise in materialen Wertvorstellungen abgesichert betrachtet; statt vieler Isensee (1977), der allen Ernstes der Meinung ist, mit den Werten trete zum Grundgesetz eine Art ungeschriebene Nebenverfassung hinzu, und als einen neueren Beitrag Di Fabio (2004); hinter derartigen Auffassungen steht laut Böckenförde (1987: 7 f.) die Annahme, Werten komme eine besondere, a priori gegebene ontische Qualität des „Seinsollens“ zu, die sie mit einem gleichsam intrinsischen Zug zur Verwirklichung ihrer normativen Ansprüche ausstattet. Zum Teil bezeichnet er aber auch einfach nur alle nicht-abwehrrechtlichen „Grundrechtsfunktionen“, wie die mittelbare Drittwirkung, Schutzpflichten und Institutsgarantien. Siehe zu all dem die problemsensible (aber mit eindeutig kritischer Intention verfaßte) Darstellung bei Böckenförde (1990). 11

2. Die Form des Grundrechts – von der Freiheit zum Wert

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Legt man die oben angestellten kommunikationstheoretischen Überlegungen zugrunde, so kann der Rekurs auf Werte letztlich nur dem Zweck dienen, die Begründungslast zu tragen, die es ermöglicht, gleiche und ungleiche Fälle zu unterscheiden. Nun ist aber die Wertejudikatur scharfer, teils von methodischen Überlegungen getragener, teils ideologiekritisch inspirierter Kritik unterzogen worden. Entkleidet man nämlich die Rede von Werten der Emphase und betrachtet sie als Präferenzen, also als Gesichtspunkte des Vorziehens und Zurücksetzens, dann sieht man sich zu dem Schluß gedrängt, daß die Qualifizierung eines Rechtssatzes als Wert quasi tautologisch ist. Die Befolgung einer Norm ist ihrer Verletzung gegenüber selbstverständlich vorzuziehen – genau in dieser asymmetrischen Differenz von Konformität und Abweichung liegt die Identität jeder Norm –, nur ist damit noch nichts über die Lösung des Vorrangproblems im Falle von Normkollisionen ausgesagt. Grundrechte als Werte zu betrachten, ist also wenigstens insoweit problematisch, als Werte das, was sie zu leisten vorgeben – eine Begründung – gerade nicht zu leisten imstande sind. Man muß vielmehr davon ausgehen, daß der Rückgriff auf Werte, weil er denjenigen verpflichtet, der sich durch eine Wertung rechtlich gebunden sieht, seinerseits begründungsbedürftig ist (Podlech 1970: 207 f.).13 Wenn aber Werte die notwendige Begründungsleistung nicht erbringen können, bleibt es bei einer weitgehend „dekorativen“ Funktion der Werte in verfassungsrechtlichen Argumentationskontexten; Werte vermitteln in erster Linie einen Anschein der Begründung (Böckenförde 1987: 17).14 Aufgrund dieses Auseinandertretens von semantischem Anspruch und methodischer (pragmatischer) Wirklichkeit sieht denn auch Denninger (1975: 546) in der Rede von der Wertordnung das „Arcanum der Verfassungstheorie“ schlechthin. Andererseits folgt aus den Defiziten des werttheoretischen Denkens gerade nicht dessen normative Unergiebigkeit. Durch die grundbegriffliche Verschiebung von Freiheit auf Wert entstehen sehr wohl Auswirkungen auf die Art und Weise, wie die Dogmatik ihre Informationsverarbeitung organisiert. Will man diese informationellen Effekte genauer beschreiben, muß man allerdings zunächst klären, worum es sich bei Grundrechten eigentlich

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Rechtsordnungen weisen gegenüber Moralordnungen den Vorteil auf, daß ihre Geltung keiner Begründung bedarf. Indem sie den Unterschied von Recht und Moral verwischt, begibt sich die werttheoretisch orientierte Dogmatik dieses Vorteils (Podlech 1967: 350 f.). 14 Dem entspricht auch der nüchterne empirische Befund, daß Werte eine „hochmobile Gesichtspunktmenge“ bilden, die immer dann bemüht wird, wenn Nachfragen entmutigt werden sollen (Luhmann 1997: 340–343); der Wert wird als Wert typischerweise nicht markiert (Luhmann 1993e: 58).

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IV. Die Beobachtung der fdGO

handelt.15 Ungeachtet aller Modifikationen und Diversifikationen des Grundrechtsverständnisses, geht man doch weiterhin davon aus, daß man es bei den Grundrechten zunächst und vor allem mit Abwehrrechten gegen staatliche Eingriffe in die Freiheit des Handelns zu tun hat. Gemäß Art. 1 Abs. 3 GG erstreckt sich die Bindungswirkung der Grundrechte nicht nur auf die Verwaltung, sondern auch auf die Gesetzgebung und die Rechtsprechung. Das Grundgesetz verlangt also nicht nur von der Verwaltung, ihr Handeln auf eine dieses Handeln ermächtigende gesetzliche Grundlage zu stellen, sondern es unterwirft alle staatliche Gewalt bestimmten Bindungen. Eine Explikation der Grundrechte muß an der Frage ansetzen, worin genau diese über den Vorbehalt des Gesetzes hinausgehende Bindung besteht (Schlink 1984: 459). Zunächst ist festzuhalten, daß Grundrechte zu den subjektiv-öffentlichen Rechten gehören. Ihr subjektivrechtlicher Charakter ergibt sich daraus, daß sie jedem einzelnen zum persönlichen Gebrauch zu Gebote stehen; und um öffentliche Rechte handelt es sich deswegen, weil sie ein asymmetrisches Verhältnis von Bürger und hoheitlich handelnder Gewalt voraussetzen. Die Grundrechte sind für die Ausgestaltung dieser Relation insoweit konstitutiv, als sie auf der Annahme fußen, daß die Zulässigkeit des selbstbestimmten Gebrauchs der Rechte von Verfassungs wegen widerleglich zu vermuten ist. Mit der widerleglichen Annahme der Unzulässigkeit eines staatlichen Eingriffs in den rechtlich geschützten Bereich wird dem Bürger als dem Träger der Freiheit ein Kompetenzvorbehalt gegenüber dem Staat gewährt (Böckenförde 1974: 1530); man spricht diesbezüglich mit Carl Schmitt auch vom sogenannten rechtsstaatlichen Verteilungsprinzip. Die Bindungswirkung, welche die Grundrechte gegenüber der Gesetzgebung entfaltet, setzt voraus, daß alles staatliche Handeln als zielgerichtetes Handeln begriffen werden muß. Nur so läßt sich die Asymmetrie von bürgerlicher Freiheit und staatlichem Handeln, also eine über den Gesetzesvorbehalt hinausgehende Bindung des Staates, rechtlich handhabbar machen. Die Kontrolle des Handelns der hoheitlichen Gewalt setzt am Verhältnis von bezweckten Wirkungen dieses Handelns und den zur Zweckerreichung eingesetzten Mitteln an. Staatliches Handeln muß dabei gewissen Mindestanforderungen genügen. Erstens müssen die mit dem Eingriff verbundenen Zwecke verfassungskonform und die eingesetzten Mittel prinzipiell (verfassungsrechtlich) erlaubt sein. Die Mittel unterliegen zweitens einer Bewertung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip erfordert näherhin, daß die eingesetzten Mittel sich als zur Ziel15 Die folgende Darstellung orientiert sich an Gentz (1968) und insbesondere an den Ausführungen von Schlink (1976a: Kap. 7; 1984; 2001); siehe ferner Wittig (1968).

2. Die Form des Grundrechts – von der Freiheit zum Wert

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erreichung geeignet und vor dem Hintergrund des Prinzips des mildesten Mittels als erforderlich erweisen. Beide Kriterien zusammengenommen bezeichnet man auch als „Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinne“. Die sogenannte „Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne“ verlangt schließlich, daß auch eine Verhältnismäßigkeit der eingesetzen Mittel zum angestrebten Erfolg gegeben sein muß.16 Soweit das staatliche Handeln grundrechtlich geschützte Positionen tangiert, muß der Staat den Nachweis erbringen, daß sein Wirken dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt. Es handelt sich bei den Grundrechten abstrakt betrachtet also um ein Rechtskonstrukt, welches das rechtsstaatliche Verteilungsprinzip auf eine Argumentationslastregel umsetzt. Es ist dieser methodisch-dogmatische Gesichtspunkt der widerleglichen Freiheitsvermutung, der das Diskriminationsmerkmal der Freiheitsrechte bildet. Aus dem Vorbehalt des Gesetzes wird unter diesen Bedingungen der „Vorbehalt des verhältnismäßigen Gesetzes“ (Schlink 2001: 445). Wenn man so will, gibt die Freiheitsvermutung den Grundrechten ihre Form.17 Auch die freiheitsrechtlichen Gewährleistungen des status negativus libertatis schränken das, was kommunikativ zulässig ist, in bestimmter Weise ein: die Form des Grundrechts ist, soweit man ein liberales Verständnis zugrunde legt, die Differenz von bürgerlicher Freiheit und staatlichem Eingriff. Die Freiheit bildet dabei die Innen- oder markierte Seite der Differenz. Das Verhältnis zwischen Freiheit und staatlichen Entscheidungsmöglichkeiten ist zugunsten der erstgenannten Position asymmetrisiert. Die Grenze zum staatlichen Eingriff darf nur dann gekreuzt werden, wenn man argumentativ den Bedingungen genügt, die gemeinhin als Prinzip der Verhältnismäßigkeit bezeichnet werden. Damit läßt sich jede verfassungsrechtlich zulässige staatliche Entscheidung, die subjektivrechtlich gewährte Abwehrpositionen des Bürgers gegenüber staatlichem Einwirken berührt – also jede staatliche Entscheidung, die den Begründungsanforderungen genügt, die sich aus dem bürgerlichen Kompetenzvorbehalt ergibt –, auch als ein re-entry der Außenseite der Form in die Form begreifen. Die Form des Grundrechts als Einheit der Differenz von bürgerlicher Freiheit und staatlichem Zwang legt also zugleich fest, unter welchen Bedingungen der Staat in der Sphäre der Freiheit tätig werden darf. Die verschiedenen Grundrechte beziehen unterschiedliche Zweck- und Mittelverbote beziehungsweise -gebote auf verschiedene Lebensbereiche. Im Zusammenspiel mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergeben sich daraus die schutzbereichsspezifischen Dogmatiken (Schlink 1984: 461 f.). 16 Die „Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne“ ist in ihrer dogmatischen Bedeutung umstritten, da sie sich kaum befriedigend operationalisieren läßt (dazu Schlink 1984: 461 f.; 2001: 445 f., 458–460). 17 Vgl. zu dem Vorschlag, die Formanalyse zu einer Methode auszubauen, die programmatischen Überlegungen in Baecker (2005).

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IV. Die Beobachtung der fdGO

Vor dem Hintergrund dieser formtheoretischen „Rekonstruktion der klassischen Grundrechtsfunktion“ (Schlink 1984) kann man dann die Frage stellen, was mit der Form des Grundrechts geschieht, wenn an die Stelle der Form der Freiheit mit ihrer Prüfung der Verhältnismäßigkeit staatlicher Maßnahmen die Orientierung an Werten tritt. Mit Blick auf das, was in der Begründungspraxis tatsächlich abläuft, heißt das, daß Werte die Informationslast tragen. Entscheidend ist aber die Frage, wie sie das tun. Dabei fällt zunächst auf, daß Werte nur durch andere Werte einschränkbar sind; das aber bedeutet, daß sie nur in Relation zu anderen Werten informativ werden können; und daraus folgt weiter, daß sie zur Lösung des Problems semantischer Unterbestimmtheit der Grundrechte jedenfalls nicht direkt beitragen, sondern daß sie als Anweisung verstanden werden müssen, die Grundrechte in Rangrelationen zu bringen. Damit tritt die Prüfung der Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs hinter die Aufgabe zurück, Vorrangverhältnisse zwischen Werten zu ermitteln, die nur noch im Wege einer Güterabwägung geklärt werden können. „Die neue Bedeutung hat der Begriff der Wertordnung inhaltlich im Bezug zum Gebot der Abwägung gewonnen, terminologisch in seiner Gleichsetzung mit dem auf Probleme des Gewichtens, Vergleichens und Abwägens gerade zugeschnittenen Begriff der Wertrangordnung.“ (Schlink 1976a: 18, Hervorh. dort)

Der Begriff des Wertes verlangt also, um den Vorgang des Wertens methodisch nachvollziehbar gestalten zu können, nach einer Wertungssystematik; eine solche Ordnung des Wertens existiert aber nicht.18 In einem Versuch, die tatsächlichen argumentativen Bewegungen hinter der Wertrhetorik ans Licht zu bringen, hat Schlink (1976a: 20 f., 41–45) zeigen können, daß das BVerfG in seiner Begründungspraxis nicht nur zum Teil deutlich von den Vorgaben des Verhältnismäßigkeitsprinzips abgewichen ist, sondern daß zugleich der Wertbegriff in anderer Weise zum Tragen kommt, als es die Sprache des Gerichts glauben machen will. Seine Rekonstruktion einschlägiger Urteile demonstriert, daß das Gericht die Grundrechte keineswegs in eine Rangfolge bringt, sondern auf Argumentationen überleitet, die Qualitäten des Grundrechtsgebrauchs unterscheiden. Die Abwägung, die zwischen den kollidierenden Rechtsgütern vorgenommen wird, findet ihren Bezugspunkt in der Frage, ob von den Grundrechten in sozial mehr oder weniger angemessener Weise Gebrauch gemacht wird. Die wertbezogene Interpretation der Grundrechte eröffnet der Dogmatik die Möglichkeit, zwischen einem wertverwirklichenden und einem wertgefährdenden Gebrauch von Freiheit zu differenzieren.19 Die offene Flanke dieser Praxis 18

Böckenförde (1974: 1533 f.); Luhmann (1965b: 214 f.); Schlink (1976a: 43– 45; 1984: 461–466). 19 Böckenförde (1974: 1534); Hase/Ladeur/Ridder (1981: 796); Schlink (1984: 463).

2. Die Form des Grundrechts – von der Freiheit zum Wert

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entsteht dadurch, daß die Unterscheidung von Qualitäten des Grundrechtsgebrauchs die Frage nicht zu beantworten vermag, was denn eigentlich einen mehr oder weniger adäquaten Gebrauch von Grundrechten ausmacht. Auch die Lösung dieses Problems setzt vorgängige Ordnungskriterien voraus, die dem Grundgesetz aber gerade nicht abgerungen werden können. Die asymmetrische Differenz von bürgerlicher Freiheit und staatlicher Ordnung wird also ersetzt durch die symmetrische Form des Wertes, die auf beiden Seiten ihrer Differenz wieder nur Werte enthalten kann. Das ist lediglich der formtheoretische Ausdruck dafür, daß die Rede von Werten immer schon auf das Desiderat einer Ordnung von Werten verweist, ohne daß die Wertterminologie diesen Ordnungsanspruch auch einlösen könnte. Der Informationsgehalt von Werten ist damit denkbar gering. „Wert“ eignet sich also kaum als verfassungsdogmatischer Grundbegriff – jedenfalls dann nicht, wenn man es als Aufgabe von Dogmatik betrachtet, Entscheidungen auf Redundanzen (Wiederholbarkeiten) gründen zu können. Informationstheoretisch betrachtet disbalanciert das werttheoretische Denken das Verhältnis von Varietät und Redundanz zugunsten der Varietät, weil sich die durch die zentrale Rolle von Werten ausgelöste Abwägungsneigung methodisch kaum kontrollieren läßt. Stattdessen werden die Argumentationen auf lebensweltliche Vorverständnisse und hochvolatile gesellschaftliche Wertungen gestützt. Das Problem der Grundrechtsinterpretation wird also von der Wertejudikatur nicht gelöst, sondern nur verbrämt.20 Das werttheoretische Denken resymmetrisiert zunächst die Kompetenzverteilung zwischen Bürger und Staat, weil es sowohl den Freiheitsgebrauch als auch das staatliche Ordnungsstreben als Wert betrachtet. Diese Resymmetrisierung läßt sich auch am Freiheitsbegriff abgreifen, und zwar als Widerspruch zweier Freiheitsverständnisse, mit auf der einen Seite Freiheit „als Abwesenheit von Zwang“ und auf der anderen Seite Freiheit „als Einsicht in die Notwendigkeit staatlicher Ordnung“ (ähnlich Böckenförde 1974: 1533). Damit aber wird ein Widerspruch gegenläufiger Argumentationslastregeln („A“ und „non A“, zugleich Freiheit und Bindung) in die Grundrechtsdogmatik eingebaut. Indem der Wertbegriff zu einem dogmatischen Grundbegriff promoviert wird, kann die Einheit der Verfassung nur auf die Form dieses selbstimplikativen Widerspruchs – dieser Paradoxie von Freiheit durch Bindung – abgebildet werden. Mit der Unterscheidung von Qualitäten des Grundrechtsgebrauchs wird dieser Widerspruch schließlich zuungunsten der Bürger aufgelöst. Im Ergebnis kommt es zu einer Entsubjektivierung der Grundrechte und der Betonung von Handlungspflichten im Verhältnis zum 20 Böckenförde (1974: 1534; 1987: 14–19); Luhmann (1965b: 59); Schlink (1984: 463).

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IV. Die Beobachtung der fdGO

Staat, wodurch die mit dem bürgerlichen Kompetenzvorbehalt einhergehende Beweislastverteilung umgekehrt wird (Gusy 1980: 294–301).21 Die wertbezogene Interpretation des Grundgesetzes nach Maßgabe der Vorstellung einer „Einheit der Verfassung“ projiziert „Prinzipien“ in das Grundgesetz hinein, die die textliche Grundlage transzendieren und an die neuartige Rechtsfolgen geknüpft sind. Diese Verfassungszwecke werden zum Interesse des Staates, der sich dann gleichsam als „Treuhänder“ geriert, welcher seine Bürger gegen vermeintlichen Grundrechtsmißbrauch in Schutz nimmt (Hase/Ladeur/Ridder 1981: 798). In prononcierter Form läßt sich diese Entwicklung so zusammenfassen: jede Wertordnung impliziert – aus argumentationslogischen Gründen – eine Pflichtordnung (Denninger 1975). Die Form des Grundrechts ist oder wird damit eine andere als zuvor. 3. Die fdGO zwischen Freiheit und Wert Vor diesem Hintergrund überrascht es wenig, daß die Reaktionen auf diese Praxis zum Teil vernichtend ausgefallen sind. So vermutet Forsthoff (1959: 39) in einem inzwischen als „klassisch“ zu bezeichnenden Beitrag, daß die Argumentation mit einer Wertordnung im Ergebnis zu nichts anderem führe, als der Auflösung des positiven Rechts schlechthin.22 Jenseits derartiger Fundamentalattacken dürfte die eigentliche Aufgabe aber darin bestehen, die unterschiedlichen Gesichtspunkte, unter denen die Wertejudikatur angegriffen wird, auseinanderzuziehen – eine Aufforderung, der nicht ganz leicht nachzukommen ist. Das hängt damit zusammen, daß der Wertbegriff auf – logisch gesprochen – unterschiedlichen Ebenen Verwendung findet. So werden die einzelnen Grundrechte als Werte beschrieben, zugleich ist jedoch auch die Wertordnung, also die Relation dieser Werte ein Wert (ähnlich Böckenförde 1990: 4–6). Damit bekommt die Wertterminologie eine selbstbezügliche Wendung, die einen an das Russelsche Paradox der sich selbst enthaltenden Menge denken macht. Es wird dann möglich, die Gesamtordnung der Werte gegen einzelne Werte, die diese Ordnung konstituieren, gleichsam auszuspielen. Auch die Auslegung der fdGO wird 21

Man kann dieser Argumentationslastverschiebung auch in konditionaler Form Ausdruck verleihen. Das abwehrrechtliche Grundrechtsverständnis sieht das Verhältnis von Bürger und Staat auf folgenden Satz gegründet: wenn ein seitens des Staates verfolgter Zweck und die zu seiner Verwirklichung eingesetzten Mittel grundsätzlich erlaubt sind und wenn das gewählte Mittel mit Blick auf den Zweck verhältnismäßig ist, dann ist der Eingriff in die grundrechtlich geschützte Sphäre zulässig. Dieses Verhältnis ändert sich grundlegend, wenn das Grundgesetz als Pflichtordnung begriffen wird, weil dann gilt: nur wenn der individuelle Freiheitsgebrauch dem Zweck des Grundrechts entspricht, ist er zulässig. 22 Vgl. dazu auch die – teils kritische – Deutung durch Hollerbach (1960).

3. Die fdGO zwischen Freiheit und Wert

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in diesen paradoxalen Strudel hineingezogen. Die fdGO ist nicht irgendein Wert, sondern sie steht für die Wertordnung als ganze. Sie umfaßt die grundrechtlichen Freiheiten – die man als Werte bezeichnen kann – und ist zugleich die Ordnung dieser Freiheiten. Die Problematik, wie die fdGO semantisch zu interpretieren ist, rückt damit in zunehmendem Maße aus dem Blick. Das Gericht vermeidet es, die Frage, was unter politischer Freiheit zu verstehen ist, direkt zu beantworten, und weicht stattdessen auf die These aus, daß politische Freiheit immer nur so weit reiche, wie sie die Wertordnung, durch die sie „gerahmt“ ist, nicht sprengt. Ihre Begründung findet diese Volte in der Annahme, daß es Bedingungen der Möglichkeit jeder Freiheit gebe – und die fdGO Ausdruck dieser Bedingungen sei. Wenn also die fdGO als Wert begriffen wird, dann wird aus der empirisch korrekten Beobachtung, daß die grundrechtlichen Freiheiten nicht voraussetzungslos existieren, die normativ wirksame Behauptung, daß die fdGO diese Voraussetzungen zum Ausdruck bringe. Mit der Stilisierung der fdGO zu einem „tragenden Verfassungsprinzip“ geht es nicht mehr einfach um die Bestimmung des Gehalts des Art. 21 Abs. 2 GG, sondern es entstehen Rückwirkungen auf das Grundrechtsverständnis. Obgleich also das Problem der Bestimmung des Gehalts der einschlägigen Rechtsnormen nicht gelöst wird, weil die Rede von der Wertordnung keinerlei Vorgaben hinsichtlich der Konkretisierung eben dieser Ordnung macht, ändert sich doch mit der werthaften Interpretation der fdGO deren normative Wirkung. Die Ausdeutung der fdGO als Wertordnung führt dazu, daß sich alle Auslegungsversuche in einem Spannungsfeld von Gebrauch und Mißbrauch politischer Beteiligungsrechte wiederfinden.23 Die Auslegung der fdGO im Kontext eines Wertverständnisses verhält sich allerdings gegenüber dieser Spannung nicht neutral, sondern betont den Bindungsaspekt. Wenn die fdGO als Wert begriffen wird, der auch die Grundrechte umfaßt, dann liegt es nahe, auf die Vorstellung zu verfallen, daß die grundrechtlichen Freiheiten nur durch Bindung zu haben sind. Die fdGO repräsentiert dann diesen Bindungsaspekt, gleichsam die Ermöglichungsbedingung der Freiheit. Im Ergebnis wird die „Streitbarkeit“ einer solchen Ordnung nicht mehr allein in den „streitbaren Einzelregelungen“ der Art. 18 und 21 Abs. 2 GG gesucht, sondern sie wird zu einem „umfassenden Schrankeninstrument“ ausgebaut.24 Die Dogmatik interessiert sich dann nicht mehr primär dafür, wie die Normen, welche das rechtliche Prädikat 23

Kritisch zu der Auffassung, es sei möglich, Grundrechte zu „mißbrauchen“, Hartmann (1970: 571–576). 24 Zustimmend Klein (1973: 81 f.); ablehnend Lameyer (1981: 163–166, 177 f.); kritisch auch Dreier (1977: 95) und Bulla (1973: 352 f.).

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IV. Die Beobachtung der fdGO

„fdGO“ enthalten, das Verhältnis von Freiheit und Bindung regeln, sondern es wird angenommen, daß die fdGO Ausdruck einer die gesamte Verfassungsordnung durchziehenden Bindungswirkung ist, die als mit Verfassungsrang ausgestattetes Rechtsgut zur Einschränkung von Grundrechten herangezogen werden kann (Gusy 1980: 300 f.). Mit der Absenkung des begriffsjurisprudentiellen Anspruchsniveaus wird die fdGO unter der Hand aus dem Kontext der Verfassungsschutznormen herausgelöst. Zu dem ursprünglich gestellten „Grenzproblem“ zulässigen politischen Wollens und Handelns tritt ein kaum bestimmter, aber umfassend gedachter „Integrationsauftrag“ der fdGO hinzu. An den Konsequenzen einer extensiv-wertorientierten Interpretation setzt eine zum Teil harsche Kritik an. Eine werthafte Interpretation der fdGO schlägt sich einerseits in dem Verständnis nieder, welches das BVerfG vom politischen Prozeß entwikkelt. So sichert die fdGO für das BVerfG nicht allein die Freiheit der parteipolitischen Betätigung normativ ab, sondern es leitet aus dieser formalen Garantie zugleich eine inhaltliche Bindung der am politischen Prozeß beteiligten Parteien ab.25 Die Politik sei zwar durch widerstreitende „Kräfte und Interessen“ gekennzeichnet, aber die freiheitliche Demokratie sorge dafür, daß es zu einem ständigen Ausgleich dieser Positionen kommt, ein Ausgleich, der noch dazu sicherstelle, daß politisches Entscheiden („Bildung des Staatswillens“) im großen und ganzen „richtige“ Ergebnisse hervorbringt. Der politische Prozeß wird hier in Analogie zur Herstellung von Wissen als ein fortwährender Prozeß von „trial and error“ begriffen. Obschon der Ausdruck dieses Staatswillens nicht immer in unstrittiger Weise „richtig“ sei, liege doch in der „ständige[n] gegenseitige[n] Kontrolle und Kritik die beste Gewähr für eine (relativ) richtige Linie als Resultante und Ausgleich zwischen den im Staat wirksamen politischen Kräften“.26 Hinter dieser Einordnung des demokratischen Prozesses in ein grundgesetzliches „Interessenausgleichsprogramm“ steht die der vorkonstitutionellen bürgerlichen Verfassungstheorie entstammende Vorstellung, demokratische Herrschaft unterscheide sich von anderen Arten der Herrschaft dadurch, daß es bei ihr in Wirklichkeit um die Aufhebung von Herrschaft in einem Reich der freien Erkenntnis eines gemeinen Wohls gehe (Azzola/Crössmann 1986: 271–273; Hase 1984: 88–90). Diese Auffassung ist empirisch schon deswegen unhaltbar, weil es bei Demokratie nicht um „trial and error“, sondern um „Konkurrenz und Legislatur“ geht (Azzola/Crössmann 1986: 273). Der Versuch, politisches Entscheiden zu einer Frage der Erkenntnis zu stilisieren, hat konsequent zu Ende gedacht 25

Dieser Schluß ist entweder logisch unzulässig, weil die Konklusion gegenüber der Prämissenmenge überschießenden Gehalt aufweist, oder aber er beruht auf nichtformulierten Annahmen. 26 BVerfGE 5, 85 (135).

3. Die fdGO zwischen Freiheit und Wert

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totalitäre Implikationen.27 Mit der Betonung des Bindungsaspektes kommt es zu einer zunehmenden Materialisierung des Demokratieverständnisses, das in bedenklichem Widerspruch zu den Diskriminierungsverboten des Art. 3 Abs. 3 GG steht (Borchers et al. 1976: 166). Im übrigen verkennen die Anhänger einer derart substantialisierten Demokratieauffassung die ausgreifende Wirkung von Parteiverboten. Wer glaubt, es sei möglich, bestimmte Meinungen durch ein Verbot einzelner Organisationen aus dem politischen Prozeß auszuscheiden, dessen Denken bleibt einer verkürzten, individualistisch geprägten Vorstellung von politischer Meinungsbildung und Repräsentation verhaftet; es ist vielmehr so, daß mit der Reprimierung bestimmter politischer Positionen häufig weitreichende Veränderungen der Themenstruktur politischer Öffentlichkeit verbunden sind (vgl. Azzola/ Crössmann 1986: 274; Hase 1984: 88–91). Die werthafte Interpretation der Verfassung impliziert auf der anderen Seite eine bedenkliche Veränderung des Rechtsstaatsverständnisses. Es kommt erstens zu einer mehr oder weniger weitreichenden Bindung der gesetzgeberischen Tätigkeit. Politisches Entscheiden wird in zunehmendem Maße als Beitrag zur Ausgestaltung der Wertordnung und in diesem Sinne als „Verfassungsrechtsverwirklichung“ verstanden (Borchers et al. 1976: 168). Zugleich verpflichtet die fdGO als Wertordnung auch den Bürger „auf den Staat“, so daß das Verhältnis in zunehmendem Maße „identifikatorisch“ wird (Schlink 1976b: 335). Der „Grundrechtsgebrauch“ wird als Beitrag zur Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Grundordnung begriffen und das politische Handeln einer Bewertung nach Maßgabe materieller Kriterien der Angemessenheit unterworfen. An dieser Stelle treten dann – als Konsequenz des Wertdenkens – Legalität und Legitimität auseinander. Auch „eigentlich“ legale Handlungen können, wenn sie diesem materialen Verständnis der fdGO und dem darin zum Ausdruck kommenden Staatsverständnis zuwiderzuarbeiten scheinen, unerlaubt sein (Borchers et al. 1976; Gusy 1980: 300–303). Die Paradoxie von Freiheit durch Bindung wird also umgesetzt auf die Differenz von legitimer Legalität und illegitimer Legalität, aber es bedarf wenig Anstrengung, um zu erkennen, daß es sich dabei gleichfalls um eine kaum verhohlene Paradoxie handelt. Aufs Ganze gesehen wird der fdGO ein „ausgeprägter Präventivcharakter“ bescheinigt (so zustimmend Seifert 1961: 82). Kritiker sehen in der Wertorientierung dagegen eine tendentiell rechtsstaatswidrige Entwicklung und betonen demgegenüber, daß das Grundgesetz mit Art. 21 Abs. 2 eine Regelung vorsehe, 27 So Azzola/Crössmann (1986: 272 f.) und Borchers et al. (1976: 154, 162– 165). Den antidemokratischen Impetus dieser Verwechslung von Wissen und Macht in politischen Kontexten betont auch Watkins (1957). Daß dieses „antiliberale“ Politikverständnis letztendlich grundlegende Strukturmuster der Moderne verkennt, zeigt Holmes (1979).

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IV. Die Beobachtung der fdGO

die nur ausnahmsweise die Diskrimierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 durchbreche (Ridder 1957: 364 f.; Schlink 1976b: 356) und die nur unter strikter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zur Anwendung gelangen dürfe.28 Die Kontroversen um die Interpretation der fdGO entzünden sich also an unterschiedlichen Auffassungen darüber, in welchem Verhältnis Politik und Rechtsstaat zueinander stehen. Für die Kritiker wird mit der Umdeutung der Grundrechte von Freiheitsrechten in Werte ein ideologischer Sprengsatz scharf gemacht, der letztlich dazu angetan ist, die Differenz von Politik und Verfassungsrecht durch eine Art „staatlich verwalteten politischen Metadiskurs“ (Hase 1984: 93) einzuebnen, der bestimmte Vorstellungen von Staat und Politik substantialisiert und dem politischen Meinungskampf entzieht.29 Auf der einen Seite kommt es durch die werthafte Interpretation der Grundrechte zu einer bedenklichen Politisierung der Verfassungsinterpretation; und dies hat auf der anderen Seite zur Folge, daß politische Kontroversen in ungebührlichem Maße als verfassungsrechtlich zu entscheidende Fragen behandelt werden.30 „Die staatlich ‚geschützte Demokratie‘ [. . .] und der materielle Rechtsstaat sind denn auch gegenüber staatlichen Formverletzungen, die natürlich immer im Interesse eines höheren materiellen ‚Wertes‘ erfolgen, einigermaßen hilflos. Die Verteidigung der ‚freiheitlich demokratischen Grundordnung‘ ist als staatlicher Selbstschutz schließlich das höchste Gut überhaupt. [. . .] Staatstätigkeit und Grundrechtsausübung werden im Medium der ‚Werte‘ in eins gesetzt.“ (Hase/ Ladeur/Ridder 1981: 798, Hervorh. dort) 28 In besonderer Zuspitzung und Schärfe Azzola/Crössmann (1986: 278): „Als Rechtssatz erweist er [der Satz ‚Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit‘, R. N.] allenfalls einen zumindest partiell diktatorischen Gehalt dieser Herrschaftsordnung gegenüber ihren Gegnern, und zwar insbesondere dann, wenn er unter dem Gesichtspunkt konkreter Gefahrenabwehr der disziplinierenden Funktion eines strikt verstandenen Verhältnismäßigkeitsprinzips entzogen wird.“ Nicht minder polemisch Borchers et al. (1976: 170): „Lange Zeit war die Tatsache verschüttet, daß das Grundgesetz nicht mit der ‚freiheitlichen demokratischen Grundordnung‘ im Sinne des Bundesverfassungsgerichts identisch ist. So kam es, bei Veränderung der Inhalte zu dieser Orientierung an der ‚Methode‘ des Bundesverfassungsgerichts, die mit ihren Güterabwägungen die Negation einer rechtswissenschaftlichen Methode ist, und in der sich der Zerfall der liberalen Formen kapitalistischer Herrschaft, die durch formale Rationalität gekennzeichnet ist, widerspiegelt.“ 29 Siehe dazu Gusy (1980: 294–310); Hase (1984); Hase/Ladeur/Ridder (1981); Meier (1987); Perels (1977) und Schlink (1976b). 30 Auch wenn diese Kritik sich in erster Linie an den Vorstellungen einer sogenannten „konservativen Staatsrechtslehre“ entzündet, so wendet sie sich mit ihrem Insistieren auf „Reformalisierung“ doch gegen jedwede Form der Materialisierung oder Politisierung der Verfassungsauslegung. Siehe dazu die Replik von Borchers et al. (1976) auf Stubys (1976) Versuch, aus der fdGO eine „antifaschistische Grundordnung“ zu machen.

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Die Kritik spricht damit Fragen an, die über den Bereich einer abgrenzbaren dogmatischen Problemstellung hinausreichen. Allgemein gilt, daß bei der Auslegung von Grundrechten regelmäßig das Problem auftaucht, daß Interpretationsvorschläge von einer grundrechtstheoretischen Positionierung abhängig sind.31 Im Falle der fdGO verschärft sich das Auslegungsproblem dabei insoweit, als zum Gehalt des juristischen Prädikats „fdGO“ allem Anschein nach auch die grundrechtlichen Garantien gehören. Wir haben es mit zwei ineinander verschlungenen Ebenen zu tun. Zum einen muß die Frage beantwortet werden, ob die Grundrechte als Abwehrrechte oder als werthafte Auslegungsdirektiven zu verstehen sind, die Bestandteil einer Wertordnung sind. Zum anderen stellt sich die Frage nach der korrekten Ausdeutung der fdGO. Beide Probleme laufen in der Differenz von Freiheit und Wert zusammen und kulminieren im rechtlichen Ausdruck „fdGO“. Es geht, anders ausgedrückt, zugleich um eine rechtsmethodische Entscheidung und um ein rechtsdogmatisches Problem. Die Bearbeitung des dogmatischen Problems ist auf die Klärung der rechtsmethodischen Fragestellung angewiesen, nur wirkt auch jede Bestimmung der fdGO – mit der Alternative, die fdGO in eher formaler Weise als Problem der Gefahrenabwehr oder in stärker substantialisierender Manier als verfassungsrechtlichen Höchstwert zu begreifen – zugleich auf das Grundrechtsverständnis zurück. Damit wird die grundrechtstheoretische Kontroverse, die es vor aller Auslegung zu entscheiden gilt, Teil des auslegungsbedürftigen Gegenstands. An der hier zugrunde gelegten Rekonstruktion – die wir nochmals unterscheidungstheoretisch reformuliert haben – fällt zweierlei auf. Die Darstellungen sind immer zugleich rekonstruktiv und präskriptiv.32 Sie beschreiben die Argumentationspraxis, sehen sich aber zwangsläufig dazu genötigt, das, was sie beschreiben, als rechtstheoretisch und rechtsdogmatisch unzulänglich abzulehnen. Der kritische Impetus speist sich seinerseits aus zwei Quellen, die in eigentümlicher Weise zusammenlaufen, ohne daß diese Konvergenz noch thematisiert wird. Zum einen wird die Wertorientierung abgewiesen, da sie sich über Gebühr von Standards intersubjektiver Überprüfbarkeit entfernt und daher die juristische Argumentation in methodischer Hinsicht nicht zureichend zu disziplinieren weiß. Diese methodische Kritik findet ihren gleichsam sozialtheoretischen Gegenhalt in dem Bedenken, daß sich aus dem Fehlen methodischer Kontrolle rechtsstaatlich fragwürdige Entscheidungsspielräume ergeben. Es handelt sich um eine Art juristische Ideologiekritik, die auf die freiheitsgefährdenden Implikationen eines materiellen Verfassungsverständnisses hinweist. In diesem Sinne stellt sich die 31 Kondensierte Darstellungen einer Reihe von grundrechtstheoretischen Positionen bei Böckenförde (1974; 1976); Koch (1986) und Schlink (1980). 32 Nähere Erläuterungen dazu unten S. 86.

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IV. Die Beobachtung der fdGO

Frage nach der (methodisch zu gewährleistenden) Rationalität und Rationalisierbarkeit des Rechts zugleich als eine Frage nach der Rationalität (rechtlich geregelter) gesellschaftlicher Ordnung dar.33 Wir haben es mit einer methodisch aufgeklärten Reaktion auf die quasi-naturrechtliche Fundierung und die dogmatischen (oder besser: jede Dogmatik zersetzenden) Effekte der Wertlehre zu tun.34 Das Ergebnis dieser kritischen Rekonstruktion soll vorläufig als Auffälligkeit hingenommen werden, verlangt doch eine Einordnung auch noch dieses Befunds nach Theoriemitteln, die nicht mehr der dogmatischen Diskussion selbst entnommen werden können.

33 „Die Thesen, daß die Rechtsordnung Friedens- und Freiheitsordnung sein soll, und daß in unserer rechtlich geordneten Gesellschaft Probleme der Rechtswertungen weitgehend rational und somit intersubjektv vermittelbar geführt werden sollen, diese Thesen setzen ihrerseits natürlich eine Metabewertung gesellschaftlicher Zustände voraus.“ (Podlech 1970: 208; Hervorh. dort) 34 Das klassische liberale Grundrechtsverständnis kann im Grenzfall als Versuch gedeutet werden, den Anforderungen gerecht zu werden, die sich ergeben, wenn man sich an genau den Standards orientiert, die zur Kritik der Wertlehre herangezogen werden. Grundrechte wirken demnach erstens als Abwehrrechte gegenüber staatlichen Eingriffen in die Privatsphäre. Die grundrechtliche Abschirmung bürgerlicher Freiheit kann aber nur gelingen, wenn zweitens eine Realanalyse der Freiheitsbedingungen vorgenommen wird. Dazu in programmatischer Absicht (Schlink 1984).

V. „Rechtswissenschaft“, Recht und Wissenschaft Während die Terminologie der Gehaltsarmut zunächst ausschließlich deskriptiv ansetzt, indem sie Normsätze auf ihre semantischen Eigenschaften hin zu untersuchen trachtet, laufen in der Kritik der Wertejudikatur methodische und rechtsstaatliche Bedenken zusammen. Diese Konvergenz ergibt sich schlicht daraus, daß wir es mit Rechtssätzen zu tun haben, die aus der semantischen Gehaltsarmut ein Problem juristischen Entscheidens werden lassen. In dem Maße, in dem die Grundrechte statuierenden Sätze gehaltsarm sind, weisen sie nämlich Entscheidungsspielräume auf, die durch Interpretation oder Konkretisierung geschlossen werden müssen. Der Vorgang der Konkretisierung eines rechtlichen Ausdrucks läßt sich definieren als „[d]iejenige Operation, durch die deskriptive Ausdrücke der Umgangssprache, die Bestandteile rechtlicher Bestimmungen sind, zum Zwecke der Subsumption eines gegebenen Sachverhalts präzisiert werden“ (Podlech 1970: 189). Soweit die Bedeutung der im Obersatz auftretenden Ausdrücke nicht selbstevident ist, was für verfassungsrechtliche Normen regelmäßig der Fall sein dürfte, bedarf es einer „semantische[n] Interpretation der Prädikate der gesetzlichen beziehungsweise quasi-gesetzlichen Normen dergestalt, daß eine logische Verknüpfung mit den den Sachverhalt beschreibenden Sätzen möglich wird“ (Koch 1980: 62). Es geht darum, die „Kluft“ zu „überbrükken“, die zwischen dem Wortlaut der Verfassung und dem zur Entscheidung anstehenden Sachverhalt besteht. Die Prämissenmenge des Justizsyllogismus muß durch Sätze ergänzt werden, die den Wortlaut der Norm ausdeuten, so daß man davon ausgehen darf, daß die Normauslegung in aller Regel über mehr Gehalt verfügt als der Normtext.1 Die Diskussion um die fdGO macht nur allzu deutlich, daß auch hier tiefgreifende Interpretationsunsicherheiten herrschen. Zum Zwecke der Auslegung der Art. 18 und 21 Abs. 2 GG müssen semantische Interpretationsregeln für die in Frage stehenden Ausdrücke Freiheit und Demokratie angegeben werden, soll eine Subsumption und eine Entscheidung darüber, wer die „Feinde der Freiheit“ sind, möglich sein. Sofern die Auslegungsvorschläge 1 Siehe dazu Koch (1975: 34; 1980: 61–67; 1986: 346 f.); Schlink (1980: 91); Wro´blewski (1985: 243–245). Interpretationsbedarf entsteht dann, so heißt es bei Wro´blewski (1985: 246 f., 249 f.), wenn der Normtext nicht ohne weiteres erkennen läßt, ob eine Isomorphie von Norm und Fakten gegeben ist. Weiterführend dazu (auf der Grundlage der Unterscheidung von Rechts- und Tatfrage) Rüßmann (1976).

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V. „Rechtswissenschaft“, Recht und Wissenschaft

nicht mit ausschließlich kasuistischem Anspruch auftreten, sondern auf dogmatisch angeleitete Sortierleistungen abzielen, gewinnt die Frage, nach Maßgabe welcher Regeln die strittigen Termini ausgelegt werden sollen, nochmals an Brisanz. 1. Analytische Jurisprudenz: Rechtsdogmatik als Wissenschaft Es liegt auf der Hand, daß verfassungsrechtliche Normen das juristische Entscheiden nur beschränkt zu binden vermögen. Die sprachanalytische Terminologie soll es erlauben, genauer zu bestimmen, in welchem Sinne hier von einer Unbestimmtheit von Normen die Rede sein kann. Weniger evident ist allerdings, daß das Konzept der Gehaltsarmut, welches nichtrechtlichen Kontexten entlehnt wurde, geeignet ist, den Eigenheiten rechtlichen Argumentierens Rechnung zu tragen. Da das Prädikat „gehaltsarm“ eine Eigenschaft deskriptiver Sätze bezeichnet, muß zunächst geklärt werden, ob und gegebenenfalls in welchem Sinne eine Anwendung auf normative Sätze überhaupt zulässig und adäquat ist. Das macht die Erörterung der Frage erforderlich, was eigentlich das Normative einer Norm ausmacht und inwieweit Normen auch „deskriptive“ oder gar „wahrheitsfähige“ Anteile enthalten. Schließlich wird mit der Feststellung, grundrechtliche Sätze seien gehaltsarm, über die Analyse der Voraussetzungen einer dem Gegenstand angemessenen Deskription hinaus quasi automatisch auch die Frage nach möglichen Modi der Gehaltszuführung virulent.2 a) Recht und Wahrheit aus der Perspektive der analytischen Jurisprudenz Allen Versuchen, Konzepte aus der analytischen Sprachphilosophie auf die Sprache des Rechts anzuwenden, liegt die Annahme zugrunde, daß sich empirisch-wahrheitsfähige und rechtliche Ausdrücke – jedenfalls grundsätzlich – auf eine gemeinsame Realität beziehen.3 Auch von Rechtssätzen muß demnach angenommen werden, daß sie über semantischen Gehalt verfügen, der sich aus intensional und extensional interpretierbaren Ausdrücken ergibt, andernfalls informierten diese Sätze nicht darüber, was sich pragmatisch, also mit Blick auf die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit bestimmter Hand2

Einige der nachstehenden Überlegungen wurden bereits in Kap. II. andiskutiert. Es soll uns im folgenden in stärkerem Maße um die dahinterstehenden erkenntnistheoretischen Positionen und dabei insbesondere um das Verhältnis von Recht und Realität gehen. 3 Siehe dazu Herberger/Koch (1978); Koch (1973; 1975; 1980); Peczenik (1968, 1969); Podlech (1971: § 1); Schlink (1980); Wro´blewski (1985).

1. Analytische Jurisprudenz: Rechtsdogmatik als Wissenschaft

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lungen oder durch Handlungen herbeigeführter Weltzustände, interpretieren läßt.4 Was die Konstitution von Bedeutung angeht, kann es dieser Auffassung zufolge keinen grundlegenden Unterschied zwischen der Verwendung von Begriffen und Sätzen in nicht-juristischen und juristischen Kontexten geben. Der Unterschied von Sein und Sollen wird zwar als unhintergehbar akzeptiert, aber aus der Anerkennung der Differenz von Beschreibung und Wertung wird nicht gefolgert, daß sich Normsätze auf eine andere Realität beziehen als Propositionen. Und schon gar nicht bedürfe es für den Bereich des Sollens epistemischer Sonderregeln, die prätendieren, daß Rechtsverhältnisse grundsätzlich nur in einer Werteterminologie beschrieben werden können. Der Unterschied zwischen deskriptiven und präskriptiven Sätzen wird nicht im Gegenstandsbezug an sich gesucht, sondern allein in dem Modus, in dem auf Realität Bezug genommen wird. Das Verhältnis der beiden Satztypen (und ihr jeweiliges Verhältnis zur Realität) kann pointiert folgendermaßen beschrieben werden: „From the semantic point of view a descriptive statement is qualified by reality while a norm qualifies it“ (Peczenik 1969: 47). Normsätze sagen etwas über Ereignisse (Handlungen) aus, indem sie das Eintreten dieser Ereignisse als zulässig oder unzulässig, erwünscht oder unerwünscht auszeichnen, so daß Normsätze im Gegensatz zu Propositionen nur noch über quasi-empirical significance verfügen. Während ein empirischer Satz dann als bestätigt gelten darf, wenn bestimmbar ist, welche Ereignisse eintreten müssen, um ihn als wahr oder falsch qualifizieren zu können, läßt sich von einer Norm nur sagen, daß sie anwendbar ist, soweit sie mit hinreichender Sicherheit festlegt, welche Ereignisse zum Beispiel als erlaubt oder verboten qualifiziert werden (Peczenik 1968; 1969). Normen werden demnach allein dadurch zu Normen, daß die Sachverhalte, die sie beschreiben, mit einem „pragmatischen Index“ versehen werden, der sie als „gesollt“ auszeichnet und dadurch mit möglichem Handeln in Verbindung bringt. Diese Indexierung macht aber die „Begriffe, deren Verwendung normiert wird, nicht zu Wertprädikaten“ (Koch 1973: 190). Normativ ist ein pragmatisches Prädikat, das auf einen spezifischen Modus des Weltbezugs verweist (Koch 1973: 188). b) Rationales Begründen und die Orientierung am „möglichen Wortsinn“ Schon der in sprachphilosphischen Begriffen formulierte Versuch, sich den dogmatischen Schwierigkeiten im Umgang mit der fdGO anzunähern, 4 Unter diesen theoretischen Annahmen muß davon ausgegangen werden, daß Rechtsordnungen wahrheitsfähige Aussagen als Bestandteile enthalten (Koch 1973: 191; Podlech 1971: 25).

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V. „Rechtswissenschaft“, Recht und Wissenschaft

ist nicht voraussetzungslos, sondern setzt Recht in dem beschriebenen Sinne als ein „empiriefähiges“ Phänomen voraus. Die Problembeschreibung geht davon aus, daß es zulässig ist, das Prädikat „gehaltsarm“ auf rechtliche Sätze zu übertragen, weil sich Normen grundsätzlich in rechtsunspezifischer Weise semantisch interpretieren lassen müssen. Mit dieser erkenntnistheoretischen Festlegung, die mit dem Konzept der Gehaltsarmut verbunden ist, wird zugleich in Gründzügen erkennbar, was als angemessene Problembeschreibung derjenigen Schwierigkeiten gelten darf, die bei der Grundrechtsinterpretation auftreten. Da es sich bei Grundrechten um Normsätze handelt, stellt sich Gehaltsarmut nicht mehr als Problem der Wahrheitswertzuweisung, sondern als Problem der Begründung von Entscheidungen dar. Sofern man weiter davon ausgeht – und man kommt um diese Annahme wohl kaum herum –, daß mit der Begründung von rechtlichen Entscheidungen Rationalitätsansprüche verbunden sind, führt dies vor die Frage nach der angemessenen Interpretation gehaltsarmer rechtlicher Ausdrücke. Der Anspruch einer rationalen Begründungspraxis kann dabei in zwei Hinsichten gedeutet – und zugleich argumentativ abgesichert – werden. Einerseits läßt sich das Rationalitätspostulat auf die Frage nach den kognitiven oder methodischen Bedingungen gelingenden juristischen Argumentierens umsetzen.5 Das Desiderat „methodisch korrekten juristischen Argumentierens“ kann aber zugleich recht unvermittelt als eine rechtsstaatliche Forderung (Herberger/Koch 1978: 810) gedeutet werden – eben weil Entscheidungsspielräume aus der Perspektive der Rechtsanwender zu Problemen der Gesetzes- oder Verfassungsbindung (Koch 1986: 347) oder, aus der Sicht der Rechtsunterworfenen, zu Problemen der Erwartungssicherheit führen. Die ursprünglich deskriptiv (semantisch) gemeinte Diagnose der Gehaltsarmut wird damit im Recht zu einem normativen (pragmatischen) Problem.6 Die Problemfixierung „Gehaltsarmut“ selbst bleibt zunächst deskriptiv und wird nicht normativ wirksam. Allerdings drängt sich, wenn denn die Sätze der Verfassung regelmäßig als gehaltsarm bezeichnet werden können, 5 Die Bedingungen der Möglichkeit gelingenden juristischen Argumentierens können dann zum Beispiel in den „Bedingungen jeder Erkenntnis“ verankert werden (Schlink 1980: 97). Die Rationalität juristischen Argumentierens ist in diesem Sinne eine Funktion einer Erkenntnistheorie des Rechts. 6 Mit Blick auf die Diskussion um die Rolle des Justizsyllogismus im Recht unterscheidet Wro´blewski (1974) in ähnlicher Weise zwischen einer deskriptiven, einer deskriptiv-präskriptiven und einer präskriptiven Kontroverse. Obgleich er die deskriptiv-präskriptiven Beschreibungen für methodisch problematisch hält und darauf drängt, Beschreibung und Wertung auseinanderzuhalten, sind die Argumente, die er dieser Kontroverse zuordnet, deshalb von Interesse, weil sie problembezogen ansetzen und sich an der Funktion des Syllogismus für das Recht orientieren.

1. Analytische Jurisprudenz: Rechtsdogmatik als Wissenschaft

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die Frage auf, auf welcher Grundlage die für eine Entscheidung notwendigen ergänzenden Prämissen gewonnen werden können. Jeder denkbare Vorschlag zur Lösung dieses Problems tritt unvermeidlich mit normativem Anspruch auf, weil er Rechtssätze produziert und weil er sich als juristisch begründbar präsentieren muß (Koch 1980: 61; 1986: 353; Schlink 1980: 87). Bei allen Unterschieden im einzelnen treffen sich die Vertreter einer analytischen Verfassungsrechtslehre in der Vermutung, daß sich das Problem der Gehaltszuführung durch Orientierung an wissenschaftlich validierten Methoden erstens besser beschreiben und zweitens wenigstens teilweise auch einer Lösung zuführen läßt, die einige Schwächen klassischer Begründungslehren zu vermeiden hilft. Wer Konsistenzansprüche an das Recht nicht aufgeben will, sieht sich unweigerlich auf Methode verwiesen, weil vorgebliche Alternativen (etwa hypertrophe Konsensvorstellungen) diese Aufgabe nicht wahrzunehmen in der Lage sind. Und auch der Nachweis von Defiziten der klassischen Auslegungsmethode (insbesondere des traditionellen Subsumptionsschemas) – das „Offenlegen von Unmethode“ – dispensiert die Kritik nicht von der Notwendigkeit, selbst Methode anbieten zu müssen (Schlink 1980: 91 f.). Die Frage ist vielmehr, ob und gegebenenfalls wie den Faktoren, die sich dem herkömmlichen Subsumptionsideal nicht zuordnen lassen, trotzdem eine durch Methode disziplinierte Rolle im Kontext juristischen Begründens zugewiesen werden kann. Mit all dem steht die Forderung im Raum, juristische Argumentation methodischer Kontrolle zu unterwerfen, um dadurch die Verhaltensspielräume der Rechtsunterworfenen und die Entscheidungsspielräume der Rechtsanwender in bestimmbaren Grenzen zu halten (Koch 1986: 352 f.). In zugespitzter Form mündet dies in die Zielsetzung, juristische Argumentationszusammenhänge soweit als möglich an empirisch prüfbaren Hypothesen auszurichten (so insbes. Schlink 1980).7 7

Die Forderung nach Methode führt aber zunächst vor die Frage nach der Auswahl der Methode und läßt eine juristische Methodenlehre zum Desiderat werden. Hier taucht dann aber sofort die nächste – wiederum zirkulär gebaute – Kontroverse auf. Es ist nämlich umstritten, ob man als Startpunkt der Verfassungsauslegung den Gesichtspunkt der Interpretationsziele oder denjenigen der Interpretationsmethoden zu wählen habe, ob also die Ziele der Verfassungsinterpretation als Prämisse der Methodenwahl zu fungieren haben oder umgekehrt. Etwas kompakter formuliert läuft dies auf die Frage hinaus, ob grundrechtliche Auslegungsmaximen in erster Linie staatstheoretisch oder methodisch zu begründen sind. Erstgenannte Position vertritt Koch (1986: 353) mit dem Hinweis auf die Bindungswirkung der Verfassung, letztgenannte Schlink (1980: 87), der die Bedingungen der Möglichkeit gelingenden juristischen Argumentierens in allgemeinen Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis zu finden glaubt. Wir können diese Kontroverse als das behandeln, was sie ist, nämlich eine unentscheidbare. Besonders deutlich gibt sich der Zirkel etwa zu erkennen, wenn Böckenförde (1974: 1537) meint, daß auf das Problem der Gehaltsarmut grundrechtlicher Sätze nur angemessen reagiert werden kann, wenn die Auslegung der Grundrechte in einer

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V. „Rechtswissenschaft“, Recht und Wissenschaft

Einigkeit besteht auch insoweit, als die Diagnose mangelnden semantischen Gehalts grundrechtlicher Sätze nicht zu einer Verabschiedung der Wortlautorientierung aus dem Kanon der Interpretationsmethoden führt. Im Gegenteil, auch für die Beantwortung grundrechtsdogmatischer Fragestellungen bleibt der Wortlaut oberster Richtwert, und zwar indem der sogenannte mögliche Wortsinn als Grenze der Auslegung begriffen wird. Die Rede von einem nur „möglichen“ Wortsinn verweist hier auf die Tatsache, daß aufgrund der Vagheit der Sprache nicht immer eindeutig entscheidbar ist, ob ein Sachverhalt unter einen Ausdruck fällt oder nicht. In einem solchen Fall hat ein Ausdruck neben positiven Kandidaten (Sachverhalten, die sicher zur Extension des fraglichen Ausdrucks gehören) und negativen Kandidaten (Sachverhalten, die sicher nicht zur Extension des fraglichen Ausdrucks gehören) auch noch neutrale Kandidaten (also Sachverhalte, die sich im Unschärfebereich des Ausdrucks bewegen).8 Aus dieser Unschärfe ergibt sich in Verbindung mit der Direktive, den möglichen Wortsinn als Grenze der Auslegung zu betrachten, folgende Interpretationsregel: soweit der festgestellte Wortsinn eines Ausdrucks eine Unterscheidung zwischen positiven und negativen Kandidaten ermöglicht, ist dies ein hinreichender Grund, um die beiden Klassen von Sachverhalten rechtlich unterschiedlich zu bewerten. Weder bedarf es für diese beiden Klassen von Sachverhalten weiterer Auslegung noch wäre sie zulässig. Nur im Bereich der neutralen Kandidaten des fraglichen Ausdrucks darf man zum Zwecke der Entscheidung darüber, ob ein Sachverhalt der Klasse der positiven oder der negativen Kandidaten zuzuordnen ist, auch auf andere Interpretationsmethoden zurückgreifen.9 EntVerfassungstheorie verankert wird, er zugleich aber die Wahl der Verfassungstheorie, die der Deutung Halt geben soll, aus „der normative[n] Grundintention des Grundrechtsteils“ entwickeln möchte. Denn damit wird der intendierte Vorrang der Verfassungstheorie gerade wieder unterlaufen, und grundrechtliche Sätze, Grundrechtsexegese und Verfassungstheorie sehen sich in einen zirkulären Zusammenhang gestellt. Das Problem – das sei hier im Vorgriff bereits angemerkt – ist letztlich in der Notwendigkeit der Enttautologisierung des Rechts zu suchen. Die Verfassung enttautologisiert mit ihrem Anspruch auf Vorrang in gewisser Weise das Recht. Aber damit ist die Frage noch nicht beantwortet, welche Instanz den Grundrechtsteil der Verfassung mit Gehalt anreichert. Wer hier für Verfassungstheorie plädiert, orientiert sich selbstreferentiell; wer für Erkenntnistheorie votiert, setzt auf Wissenschaft und damit auf eine spezifische Form der Fremdreferenz [vgl. unten Kap. V.4.b)]. 8 Herberger/Koch (1978: 812); Koch (1986: 356); Podlech (1970: 188); Wro ´blewski (1985: 241 f.). 9 Diese auf Herberger/Koch (1978: 813 f.) gestützten Ausführungen gelten so nur für Interpretationsspielräume, die Folge der Vagheit von Ausdrücken sind. Davon zu unterscheiden sind zum Beispiel Entscheidungsschwierigkeiten, die sich aus anderen Formen semantischer Unschärfen oder auch aus Anforderungen an die konsistente Handhabung von Rechtsmaterien ergeben; vgl. dazu Herberger/Koch (1978: 814–817) und Wro´blewski (1985: 247–249).

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sprechend bleiben im Verfassungsrecht die Orientierung an Normgenese und Folgenerwägungen gegenüber der Wortlautorientierung notwendigerweise nachrangige Instrumente (Koch 1986: 354; Schlink 1984: 100–105). Seine Begründung findet dies in der Annahme, daß sich in der Grenzfunktion des Wortlauts die Gesetzesbindung manifestiere (Schlink 1980: 100 f.). Sich auf den Wortlaut als vorrangige Auslegungsmethode festzulegen, besagt noch nichts darüber, wie der mögliche Wortsinn ermittelt werden kann. Vielmehr sieht man sich auf sprachphilosophisch umstrittenes Terrain geführt, da geklärt werden muß, worin genau die Bedeutung eines sprachlichen Zeichens liegt und wie diese zu ermitteln ist. Diese Frage wird zugunsten einer Gebrauchstheorie der Sprache entschieden. Auf dieser Basis glaubt man, die unbefriedigende Alternative von Naturalismus – dem zufolge es eine gleichsam natürliche Relation zwischen sprachlichen Ausdrükken und ihren Bedeutungen gibt – und Mentalismus – die Bedeutung eines Zeichens liegt in der Vorstellung, die man sich bei seinem Gebrauch macht – vermeiden zu können. „Versteht man nun unter Inten[s]ion das, was durch die semantischen Regeln, nach denen ein Sprecher einen Ausdruck verwendet, ausgedrückt wird, so sind Intensionen nicht mit z. B. Eigenschaften von Gegenständen identisch [. . .], gleichwohl sind sie in zwei Hinsichten objektiv: Sie beziehen sich z. B. auf Eigenschaften, sie drücken potentielle Eigenschaften von Gegenständen aus, und nicht Vorstellungen, die Leute von Gegenständen haben. Zweitens lassen sie sich aus dem faktischen Sprachgebrauch ermitteln; irgendwelcher Introspektion, um höchst individuelle Vorstellungen zu ermitteln, bedarf es nicht.“ (Koch 1975: 33 f., Hervorh. dort)

Aber selbst wenn man auf der Grundlage eines solchen konventionalistischen Verständnisses von Bedeutung davon ausgeht, daß sich die Bedeutung eines Zeichens für eine große Klasse von Verwendungen dieses Zeichens ausmachen läßt,10 so harrt doch die Frage einer Klärung, wie sich die befolgten Regeln im Falle von hochstufig generalisierten, auf soziale Sachverhalte bezogenen Begriffen, wie sie die Grundrechte enthalten, methodisch kontrolliert ermitteln lassen. Denn ohne weitere Qualifikation hilft auch der Verweis auf den Sprachgebrauch kaum weiter, sondern macht es erforderlich zu klären, welches die zur Ermittlung des relevanten Sprachgebrauchs maßgeblichen Aspekte sein sollen (Herberger/Koch 1978: 811). Die Gebrauchstheorie der Sprache beschreibt Sprachgebrauch mit dem Ziel, die „Essenz“ eben dieses Sprachgebrauchs herauszudestillieren. Bedeutung wird damit aus ihrer vermeintlichen Verankerung im Individuum gelöst und in den Sprachgebrauch selbst verlegt. Das aber heißt nichts anderes, als daß Bedeutungsanalysen eine Form der Beobachtung zweiter Ordnung darstel10

So Koch (1973: 34) im Anschluß an den späten Wittgenstein.

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len. Damit taucht dann aber auch die Frage auf, der sich jeder Versuch stellen muß, der es unternimmt, systematisch auf einer Ebene der Beobachtung höherer Ordnung zu beobachten: Wen soll man eigentlich unter welchen Gesichtspunkten beobachten? Soweit Auslegungsversuche weiterhin von der Grenzfunktion des Wortlauts ausgehen, liegt diesen die ausdrückliche Annahme zugrunde, daß der Gehaltsleere durch die Analyse der Bedeutung rechtlicher Ausdrücke zu begegnen sei. Auf die Offenheit der Verwendung sprachlicher Ausdrücke kann mit der Explikation von Begriffen reagiert werden. Damit sollen mögliche Idiosynkrasien des Sprachverständnisses der Rechtsanwender in ihren Wirkungen beschränkt und rechtliche Argumentationen „objektiviert“ werden. Explikationen streben gegenüber weltanschaulichen Vorverständnissen weitestmögliche Neutralität an, um zu verhindern, daß sich die Auswirkungen von Wertentscheidungen schon auf begrifflicher Ebene Bahn brechen (Podlech 1969: 21).11 Indes bereitet die angestrebte Präzisierung von Ausdrücken, die sich auf Phänomene der sozialen Wirklichkeit beziehen, erhebliche Schwierigkeiten. Denn im Bereich sozialer Phänomene versagt häufig die Methode, Begriffe per genus proximum et differentiam specificam sowie über die Nennung von Merkmalen und den Aufweis der Relationen zwischen diesen Merkmalen zu definieren. Anders als in der an Aristoteles angelehnten klassischen Definitionslehre vorgesehen, gelingt es dann nicht, auf der Grundlage von notwendigen und hinreichenden Bedingungen Kategorien zu entwickeln, die (abgesehen von eventuell verbleibenden Restunschärfen) die gesamte Extension der zur Debatte stehenden Gegenstände abdecken (Geeraerts 1988: 275 f., 279 f.; Komatsu 1992: 502; Margolis 1994: 77). Dies hängt damit zusammen, daß die Gegenstände, deren sprachliche Erfassung präzisiert werden soll, einem Phänomenbereich zugehören, der als „Feld heterogener Kontinua“ beschrieben werden kann. Der Realitätsbereich, über dem die Begriffsbildung erfolgen soll, wird damit charakterisiert als „Feld fließender Übergänge bei großer Komplexität der Merkmale“, mit der Folge, daß mög11 Dazu auch Azzola (1971: I, 5): „Besonders gefährlich ist ein Verfahren, das rechtliche Bewertung von Tatsachen aus der Analyse von Begriffen glaubt gewinnen zu können, ohne daß diese Begriffe selbst auf ihren empirischen Gehalt zurückgeführt wurden (diesem Verfahren liegt die wissenschaftstheoretische Prämisse zugrunde, daß das Sein am klarsten in den Begriffen zum Ausdruck gelange). Eine auf diesem Verfahren beruhende Darstellung trägt nicht zur Erklärung der Wirklichkeit bei. Verfährt sie ‚historisch‘, dann verwandelt sie die Geschichte in eine Geschichte der Begriffe ohne sozialen Bezug. Die Begriffe werden in bezug auf die Wirklichkeit mit beliebigen Inhalten füllbar und das Recht, das angeblich aus einer Betrachtung der Wirklichkeit gewonnen wurde, verfehlt die Wirklichkeit um so mehr, als der den Begriffen unterschobene Inhalt selbst die Wirklichkeit verfehlt.“

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liche Begriffe, die sich über einem solchen Realitätsausschnitt bilden lassen, regelmäßig intensional und extensional unterspezifiziert sind.12 Wenn man den Sprachgebrauch schlicht als Faktizität beobachtet – indem man zum Beispiel Sprecher befragt, wie sie bestimmte Ausdrücke verwenden –, landet man bei einer in extensionaler Sprache formulierten Prototypentheorie.13 Explikationen haben jedoch nicht die Ermittlung des tatsächlichen Sprachgebrauchs (einer auf der Basis von wie auch immer gewonnener Kriterien als kompetent unterstellten Gruppe von Sprechern) zum Ziel, sondern sehen in der Präzisierung sprachlicher Ausdrücke die Voraussetzung dafür, daß Problemfelder, auf die sich die Ausdrücke beziehen, rationaler diskutierbar werden. Explikationen zielen also auf die Ermittlung adäquaten Sprachgebrauchs ab (vgl. auch Esfeld 2002). Die Aufgabe der Begriffsexplikation besteht für Carnap darin, einen sprachlichen Ausdruck, dessen Bedeutung nicht hinreichend scharf umrissen ist und der sowohl der Alltags- als auch der Wissenschaftssprache entstammen kann, durch einen exakteren Ausdruck zu ersetzen. Der zu präzisierende Ausdruck wird dabei Explikandum, der resultierende Begriff, der die Präzisionsleistung ausdrückt und das Explikandum ersetzen soll, Explikat genannt. Gibt es grundlegend verschiedene Bedeutungen des Explikandums, muß vor die eigentliche Explikation eine begründete Entscheidung darüber vorgeschaltet werden, welche dieser Bedeutungen einer Präzisierung zugeführt werden soll (Gabriel 1972: 58–60). Aus diesem Verständnis ergeben sich eine Reihe von Konsequenzen. Begriffsexplikationen zielen auf die Präzisierung eines eingelebten Sprachgebrauchs ab. Das aber heißt, daß begriffliche Fragen nicht, wie es bei Nominaldefinitionen der Fall ist, schlicht als Vereinbarungen über eine mit Blick auf ein bestimmtes Forschungsziel zweckdienliche Terminologie betrachtet 12

So Podlech (1969: 47) im Anschluß an den Biologen Hassenstein. Die Prototypentheorie wird Anfangs durch ein kognitionswissenschaftliches Interesse an der Semantik natürlicher Sprachen geprägt; sie richtet sich gegen die Auffassung, daß alle Sachverhalte, die einer bestimmten Kategorie zugehören, bestimmte Eigenschaften nur entweder haben oder aber nicht haben können und macht das wittgensteinianische Konzept der Familienähnlichkeit zur Grundlage empirischer Untersuchungen. Zu den Kerneinsichten der (frühen) Prototypentheorie gehört etwa, daß viele Kategorien sich auf Grundlage einer klassenlogischen Kategorienlehre nicht angemessen erfassen lassen; daß der Bedeutungsgehalt einer Kategorie oftmals nur in terminis von Familienähnlichkeit angemessen beschrieben werden kann; daß es mehr oder weniger „repräsentative“ Ausprägungen einer Kategorie gibt; und daß prototypische Kategorien unscharfe Grenzen aufweisen (Geeraerts 1989: 592). Für einen Einstieg in die inzwischen weit verzweigte und keineswegs widerspruchsfreie Diskussion vgl. exemplarisch Geeraerts (1989); Komatsu (1992) und Rosch (1978); kritisch dazu Sutcliffe (1993: 51). Welche Konsequenzen daraus für die Definitionslehre zu ziehen sind, bleibt offen. 13

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werden können. Für das Explikat sollen vielmehr möglichst präzise Wortgebrauchsregeln angegeben werden können, und das kann nach Carnap nur erreicht werden, indem die Explikation einer Reihe von Bedingungen der Adäquatheit genügt. Im einzelnen werden an eine Explikation folgende Anforderungen gerichtet: Das Explikat soll erstens Ähnlichkeit mit dem Explikandum aufweisen. Damit ist gemeint, daß das Explikat die Mehrzahl der Fälle abdeckt, in denen der Ausdruck in der (wissenschaftlichen) Umgangssprache Verwendung findet. Zum zweiten sollen die Regeln für den Gebrauch des Explikats korrekt formuliert sein. Die Explikation muß also Anweisungen enthalten, was wie zu beobachten ist, damit man vom Vorliegen eines Sachverhaltes reden kann, der in die Extension des Explikats fällt. Drittens soll das Explikat so gearbeitet sein, daß wissenschaftliche Problemstellungen diskutiert und günstigstenfalls gelöst werden können. Dazu kommt viertens die Forderung, daß das Explikat im Rahmen dessen, was mit den ersten drei Punkten vereinbar ist, möglichst einfach sein soll (Gabriel 1972: 59–61; Podlech 1969: 46). Podlech (1969: 47 f.) schlägt vor, zur Bestimmung des Explikats hochstufig generalisierter Ausdrücke zweischrittig vorzugehen: In einem ersten Schritt kommt man nicht umhin, sich an sogenannten Leitgebilden zu orientieren, von denen man sicher weiß, daß sie von dem in Frage stehenden Ausdruck bezeichnet werden. Im zweiten Schritt löst man sich von diesen augenscheinlich unstrittigen Fällen und überprüft, ob die Eigenschaften der Leitgebilde sich auch an anderen weniger evidenten Fällen aufweisen lassen. Kann diesbezüglich eine Übereinstimmung festgestellt werden, so darf dies als ein hinreichender Grund gelten, diese Sachverhalte ebenfalls mittels des zu explizierenden Prädikats zu beschreiben. In dieser Übertragung liegt die Anwendung des Permanenzprinzips. Soweit sich die damit angesprochenen Probleme als solche der Vagheit sprachlicher Ausdrücke begreifen lassen,14 geht es zunächst darum, positive Kandidaten und negative Kandidaten eines Ausdrucks zu identifizieren, um dann durch Anwendung des Permanenzprinzips und unter Hinzuziehung weiterer Prämissen auch für die sogenannten neutralen Kandidaten die Frage entscheidbar zu machen, ob der Begriff auf sie angewandt werden kann oder nicht. Jeder Explikationsversuch läßt also den Blick zwischen der möglichen Intension und der möglichen Extension des in Frage stehenden Ausdrucks hin- und herwandern, um hinsichtlich der Fälle, die von diesem erfaßt werden, aus drei Werten – positiv, negativ und unentscheidbar – zwei zu machen. Diese Bifurkation ist Bedingung jeder klassifikatorischen Begriffsbildung; und sie ist zugleich Bedingung juristischen Entscheidens; mit den Unschärfen, die sich bei ei14 Zur Abgrenzung von Vagheit und Ambiguität aus der Sicht der klassischen Definitionslehre siehe Geeraerts (1988: 279 f.).

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nem Verständnis von Begriffen als Idealtypen ergeben, kann das Recht nichts anfangen.15 Ein auf der Grundlage dieses oder eines ähnlichen Verfahrens gewonnenes Explikat ist eine Realdefinition und weist damit im Vergleich mit dem Definiens einer Nominaldefinition eine Reihe von Eigenheiten auf: „The functions of real definitions, as distinguished from nominal definitions, follow directly from their properties. Real definitions not only indicate the meaning of a word, as nominal definitions do, but they also assert something about the referent of the concept defined. They predicate, in propositional form, the conventional intension of the concept – that is, the essential or most important property of the concept to be associated with it in scientific communication. A real definition furthermore can serve as a premise in inference and possibly more important, as an hypothesis concerning the nature of the phenomenon under investigation. It has all the functions of propositions and in addition the specific functions of a definition.“ (Bierstedt 1959: 130, eig. Hervorh.)

Explikationen legen somit zwar ein gebrauchstheoretisches Verständnis von Sprache zugrunde, aber sie dienen gerade dem Ziel, sprachliche Unschärfen soweit zu eliminieren, daß ein Ausdruck der (wissenschaftlichen) Umgangssprache auch fachsprachlich Verwendung finden kann; eine Explikation stellt daher für Carnap eine „rationale Nachkonstruktion“ eines vorgegebenen Sprachgebrauchs dar (Gabriel 1972: 60 f.) – und das Explikat als Ergebnis dieses Prozesses soll gleichsam eine von der umgangssprachlichen Schlacke befreite Wortgebrauchsregel sein, die sich als solche für die Diskussion wissenschaftlicher Problemstellungen eignet. Die grundsätzliche Arbitrarität des Zeichengebrauchs wird also nicht bezweifelt, aber man geht davon aus, daß das Zeichen über einen Bedeutungskern verfügt, der sich an der Verwendung des Zeichens empirisch abgreifen läßt. Der satzförmige Ausdruck dieses Bedeutungskerns ist das Explikat. Das Explikat formuliert die notwendigen und hinreichenden Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit ein möglicher Sachverhalt korrekt mit dem in Frage stehenden Prädikat belegt wird. Aber die Identität von Definiens und Definiendum liegt nicht wie bei Nominaldefinitionen in der Setzung,16 sondern muß empirisch abgesichert werden (Bierstedt 1959: 132 f.). Die Begriffsexplikation ist eine Methode, und das Explikat als Resultat der Anwendung dieser Methode 15

Es stellt sich letztlich die Frage, ob sich die ganze Diskussion um Prototypen nicht in einem performativen Widerspruch verfängt, weil sie als Bedingung ihrer Möglichkeit von trennscharfen Begriffen ausgehen, also die Selbstanwendung des Konzepts der Unschärfe ausschließen muß. Zur Kritik an der Vorstellung, es gebe unscharfe Konzepte (Intensionen) und Klassen (Extensionen), siehe nur Sutcliffe (1993). 16 Vgl. zu der Annahme, Definitionen seien nichts als „willkürliche“ Postulate auch die Kritik von Gabriel (1972).

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soll die empirisch zu beantwortende Frage nach dem korrekten Gebrauch sprachlicher Ausdrücke entscheidbar machen.17 Da das Explikat Sachverhalte referenziert, nimmt es die Form einer auf Wahrheit hin überprüfbaren Aussage an (Bierstedt 1959: 130; im Ergebnis ähnlich Carnap 1955). Eine Begriffsexplikation ist als Realdefinition „a proposition predicating a distributed intension of its subject term“ (Bierstedt 1959: 127).18 Der Vorgang der Explikation stellt in diesem Sinne eine Möglichkeit dar, (theoretische) Aussagenzusammenhänge mit informationeller Redundanz auszustatten. Er ist zum einen selbst informativ, und er schränkt zum anderen, indem er den möglichen Sprachgebrauch disambiguiert und damit gleichsam die Prämissenmenge verkleinert, den Spielraum logisch zulässiger Schlüsse ein.19 Aber diese Form der Arbeit an Begriffen kann nicht frei jeden Vorverständnisses erfolgen, sondern sie setzt nicht-beliebige Selek17 Siehe dazu auch Schlink (1980: 100 f., eig. Hervorh.): „Die Bedeutung eines Worts ist nach heutigem sprachphilosophischen Verständnis nicht der mit dem Wort bezeichnete objektive Gegenstand oder die durch ihn benannte objektive Eigenschaft. Sie ist aber auch nicht die mit dem Hören oder Äußern des Worts subjektiv verknüpfte Vorstellung. Zwischen jener naturalistischen und dieser solipsistischen Theorie stellt die Gebrauchstheorie der Bedeutung [. . .] auf die Regeln ab, nach denen ein Wort gebraucht wird. Diese semantischen Regeln bestimmen die Bedeutung eines Worts, indem sie die Bedingungen angeben, bei deren Vorliegen das Wort anwendbar und bei deren Nichtvorliegen es unanwendbar ist. Sind diese empirisch zu ermittelnden Regeln klar, dann steht auch die Bedeutung und damit die begrenzende oder falsifizierende Leistung des Wortlauts fest.“ 18 Viele der Begriffsvorschläge der soziologischen Systemtheorie sind im Ergebnis nichts anderes als Begriffsexplikationen. Sehr deutlich macht das die Analyse von Erwartungsstrukturbegriffen wie dem des Gewissens Luhmann (1965a; 1973a). Selbst der Begriff des Systems bei Luhmann ist keine reine Setzung, sondern tritt mit dem Anspruch auf, den Ausgriff eines „tatsächlich existierenden“ Realitätsbereichs zu beschreiben. Die Behauptung etwa, daß die Wissenschaft ein autopoietisches System ist, verweist auf exakt den Realitätsausschnitt, den auch Wissenschaftstheorie und Wissenschaftssoziologie zum Gegenstand haben, und soll die dort formulierten Probleme „rationaler“ (in begrifflich höher aufgelöster Form) diskutierbar machen. Nur weil der Begriff des Systems auf Tatsachen referiert, kann Luhmann (1984: 30) auch behaupten, es gebe Systeme. Der Begriff des Systems ist nicht als analytischer zu denken. Das erklärt auch die Anfrage Luhmanns an Parsons, worauf sich denn eine vorgeblich mit rein analytischem Anspruch entwickelte Terminologie beziehen solle, wenn nicht auf Realität. 19 Vgl. hinsichtlich der selektiven Wirkung von begrifflichen Entscheidungen auch Podlech (1969 45): „Intension (Begriffsinhalt) und rechtswissenschaftliche Folgerungen aus ihm sind für rechtswissenschaftliche Untersuchungen als Variable anzusetzen. Das heißt, daß die den Begriff bildenden Merkmale variiert werden können und ebenfalls die dogmatischen Folgerungen. Nur wenn eine der beiden Variablen konstant gesetzt wird, kann überprüft werden, was sich ergibt, wenn die andere Variable verschiedene Werte durchläuft. Werte sind dabei für die Intension die einzelnen Merkmale, durch die [spezifische Rechtsverhältnisse, R. N.] konstituiert werden und für die dogmatischen Folgerungen die einzelnen juristischen Probleme und

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tionsgesichtspunkte voraus, die ihrerseits nur aus theoretischen Annahmen abgezogen werden können (Bierstedt 1959: 130). Insoweit liegt es nahe zu vermuten, Explikationen hätten nach Maßgabe funktionaler Kriterien zu erfolgen (Podlech 1969: 48).20 c) Entscheidung, Gleichheit und Wahrheit Es scheint aber Grenzen der „Verwissenschaftlichung“ des Rechts zu geben, sonst müßte die Frage, in welchem Sinne das Recht wahrheitsfähig ist, überhaupt nicht gestellt und schon gar nicht mit solch großem methodischem Aufwand bearbeitet werden. Recht kann schon allein deswegen nur als teilweise wahrheitsfähiger Aussagenbereich begriffen werden, weil rechtliche Entscheidungen immer auch zwischen gleichen und ungleichen Fällen diskriminieren müssen (vgl. Peczenik 1969: 43 f.). So sind Unschärfen bei der Normanwendung nicht ausschließlich semantisch bedingt, sondern sie können sich zum Beispiel auch aus dem konfligierenden Zusammenwirken des Normmaterials ergeben (Wro´blewski 1985: 247 f.). Strittig ist dann allerdings, wie die Differenzlinie zwischen Recht und Wissenschaft zu interpretieren ist. Folgt man der Auffassung, es sei grundsätzlich möglich, Recht als Wissenschaft zu betreiben, dann erscheinen auch Entscheidungszwang und Gleichheitssatz nur als Störgrößen, die jedenfalls prinzipiell nichts daran ändern, daß man es mit einem wahrheitsfähigen Kontinuum zu tun hat, welches wissenschaftliche und rechtliche Kommunikationen übergreift. Die „Wissenschaftlichkeit des Rechts“ kann dann als steigerungsfähiger Sachverhalt gefaßt werden, wobei der Grad der Wissenschaftlichkeit als Funktion der Orientierung an wissenschaftlich validierten Methoden und Theorien begriffen wird. Der Entscheidungsbezug rechtlicher Argumentationen wirkt nur als (methodisch zu minimierende) Störgröße gegenüber den grundsätzlich als wahrheitsfähig vorgestellten rechtlichen Sätzen und den darauf bezogenen Dogmatiken. Werden dagegen Entscheidungsprobleme als das eigentliche Charakteristikum rechtlicher Argumentationszusammenhänge angesetzt, dann muß der Unterschied von Recht und Wissenschaft als so grundlegend begriffen werden, daß er sich nur noch als Unterbrechung beschreiben läßt. Entscheidungszwang und die damit einhergehende Notwendigkeit, gleiche und ungleiche Fälle zu unterscheiden, modifizieren dieser Auffassung zufolge den Realitätsbezug rechtlicher Sätze in so durchdringender Weise, daß Wahrheit nicht mehr – oder jedenfalls nicht mehr unvermittelt – als Kontrollgröße ihre Lösungsvorschläge, wie z. B. Geltung der Grundrechte, Gesetzesvorbehalt, Verwaltungsaktcharakter der Anordnungen u. ä.“ 20 Siehe dazu eingehend unten Kap. VI.

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für die Qualität juristischer Argumentationen fungieren kann. Dann wird auch die Vorstellung eines sprachlich vermittelten, Wissenschaft und Recht übergreifenden Realitätskontinuums unplausibel. Wenn aber die Prätention, daß es einen analogen, gegebenenfalls auf Wissenschaft hin optimierbaren Zusammenhang gibt, nicht haltbar ist, dann muß die Einsicht, daß die Informationsverarbeitung in Recht und Wissenschaft je eigenen Regeln gehorcht, das Verhältnis von Recht und Wissenschaft also ein digitales ist, zum Ausgangspunkt aller weiteren Überlegungen werden. Das aber heißt: Recht kann niemals Wissenschaft sein.21 2. Die operativ-kognitive Schließung des Rechtssystems Recht ist Kommunikation, soviel dürfte klar sein. Es teilt mit dieser somit auch alle Eigenschaften, insbesondere auch, daß es sich um eine Form des sinnhaften Beobachtens handelt – und all die daraus sich ergebenden Besonderheiten bei der Konstitution von Bedeutung. Mit Blick auf das Recht gehen wir allerdings über die geläufige Auffassung, daß es sich um ein „System“ sprachlicher Regeln handelt, nicht nur insoweit hinaus, als wir die Grundbegrifflichkeit von Sprache auf Kommunikation umstellen, sondern wir behaupten weiter, daß wir es bei dem, was wir bislang unexpliziert als Recht bezeichnet haben, mit einem operativ geschlossenen System zu tun haben. Die Behauptung, daß auch das Recht als autopoietisches System zu begreifen ist, hat weitreichende Implikationen, die zu erfassen begrifflicher und theoretischer Vorbereitungen bedarf. Kommunikation, das haben wir gezeigt, ist ein emergentes Phänomen, das sich nicht auf seinen psychischen (oder sonstwie gearteten) Unterbau reduzieren läßt. Dort wo Kommunikation ist, das ist die Folge dieser Einsicht, bewegt man sich in der Sphäre des Sozialen. Da Kommunikation im Medium des Sinns stattfindet, kommt man auch bei dem Versuch, eine Definition des Sozialen anzubieten, nicht ohne den Verweis auf Potentialität aus. Das berücksichtigend, könnte man Sozialität (extensional) als die Gesamtheit aller möglichen kommunikativen Akte definieren. Wer nun, wie wir das hier tun, behauptet, Recht sei ein autopoietisches System, unterstellt zugleich, daß nicht nur „die Grenzen möglicher und sinnvoller Kommunikation“ als autopoietisches System beschrieben werden können, sondern, daß sich innerhalb dieses Realitätsausschnittes weitere „Kommunikationsräume“ 21 Offen bleibt dabei vorläufig, welche sachliche Bedeutung die Forderung hat, Recht als Wissenschaft zu betreiben. Denn der Kategorienfehler entwertet ja nicht auch die Problemlage, auf die diese methodischen Positionen reagieren. Eine Einordnung wird erst vor dem Hintergrund einer gesellschaftstheoretischen Relationierung von Recht und Wissenschaft möglich [vgl. unten Kap. V.4.b)].

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in einem Maße von der sie umgebenden Realität abheben können, daß man ihnen dieses Prädikat ebenfalls zusprechen kann; anders gesagt: will man klären, was rechtliche Kommunikationen auszeichnet, so kommt man nicht umhin, sich des Konzepts der „Systemdifferenzierung“ zu bedienen. Damit ist zunächst die sehr einfache Einsicht angesprochen, daß sich innerhalb von Systemen weitere Systeme bilden können. Im Anschluß daran tauchen dann aber wesentlich kompliziertere Fragen auf – etwa diejenige danach, welche Mechanismen die „System-in-System“-Differenzierung auf Dauer stellen –, die theoretische und begriffliche Reflexionen unvermeidlich werden lassen. Innerhalb des hier zugrundegelegten theoretischen Rahmens bezeichnen wir dasjenige übergreifende Sozialsystem, das diese Differenzierungsmöglichkeit eröffnet und alle weiteren denkbaren Systeme in sich vereint, als Gesellschaft. Kommunikationstheoretisch betrachtet besteht diese Differenzierung darin, daß unterschiedliche Typen sozialer Systeme sich unterschiedlicher Formen („Form“ verstanden im oben eingeführten Sinne) von Kommunikation bedienen. Dabei geht es nicht einfach nur um die jeweils interessierenden Formen von Kommunikation, sondern mindestens ebenso sehr auch um die mit diesen jeweils verbundenen Möglichkeiten und Einschränkungen, also ihre erwartungsstrukturellen Konsequenzen. Soll das Recht als autopoietisches Sozialsystem ausgewiesen werden, muß es gelingen zu zeigen, wie rechtliche Kommunikationen innerhalb des umfassenden Sozialsystems der Kommunikation (Gesellschaft) ein geschlossenes System ausformen können.22 Um von einer Ausdifferenzierung von Rechtskommunikation als System sprechen zu können, muß deutlich werden, wie das Recht seine Informationsverarbeitung – ungeachtet der Tatsache, daß auch rechtliche Kommunikationen sich gesamtgesellschaftlicher Sinnvorgaben zwangsläufig bedienen müssen – in einem Maße von der Gesamtgesellschaft abkoppelt, daß es das, was andernorts in der Gesellschaft kommunikativ Relevanz erlangt, nur noch nach Maßgabe sehr spezifischer Transformationsregeln verwenden 22 Das alles ist in begrifflicher und theoretischer Hinsicht nicht frei von Problemen. Konsistenzfragen wirft insbesondere die Entscheidung auf, den Begriff der Gesellschaft mit zwei nicht völlig kompatiblen Bedeutungen zu belegen. Er ist einerseits extensionsgleich mit dem des Sozialen. Will man begriffliche Fragen erörtern, so muß man Kommunikation als das genus proximum aller sozialen Systeme betrachten. Andererseits wird als „Gesellschaft“ auch eine spezifische Ausprägung von Sozialität bezeichnet, die als ein Typ neben anderen in sich selbst auftaucht. Für diesen Gebrauch des Ausdrucks läßt sich aber keine differentia specifica angeben, die Gesellschaft als eine besondere Form des Kommunikationsvollzugs ausweisen könnte. Zugrunde liegt diesen Unklarheiten letztlich die in der Theorie sozialer Systeme angelegte Spannung von Kommunikations- und Systemorientierung einerseits und Erwartungsstruktur- und differenzierungstheoretischen Bezügen andererseits. Siehe dazu die instruktiven Ausführungen in Göbel (2006a: 316 et passim).

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kann.23 Das Recht muß, mit anderen Worten, innerhalb der modernen Gesellschaft ein Gefälle von System und Umwelt derart etablieren, daß von ihm aus gesehen auch die Restgesellschaft nur noch als materieller Unterbau und als Objekt der Rechtskommunikationen betrachtet werden kann. Das Rechtssystem verfügt dann über zwei Umwelten, eine nicht-kommunikative (die mit der Umwelt des Gesellschaftssystems zusammenfällt) und eine kommunikative (die man etwas ungenau als „Restgesellschaft“ bezeichnen könnte). Die Schließung des Rechts als System setzt voraus, daß zwei Bedingungen erfüllt sind: zum einen muß das Recht mit Blick auf die gesamte Kommunikationsordnung eine unverzichtbare Funktion wahrnehmen; und zum anderen muß rechtliche Kommunikation sich an einem sogenannten binären Code ausrichten (Luhmann 1997: 745–751). Die beiden Aspekte der Funktionsmonopolisierung und der binären Codierung der Kommunikation sind empirisch nicht auseinanderzuziehen, können aber analytisch als die beiden kognitiven Bedingungen der Schließung funktionaler Subsysteme der modernen Gesellschaft getrennt behandelt werden (Luhmann 2000: 81). Der Funktionsbegriff beschreibt das System als System in seiner gesellschaftlichen Umwelt, stellt also ab auf die Differenz von funktionsspezifischer Kommunikation und sonstigem Gesellschaftsvollzug; die Binärcodierung betont dagegen das Systemische des Systems, also das, was sich in der Ausbildung autonom reproduzierter Erwartungsmuster niederschlägt. Auf der Grundlage der Verbindung von Funktionsorientierung und binärer Codierung realisieren auch die Funktionssysteme der modernen Gesellschaft eine doppelte, nämlich operative und kognitive Schließung, wie sie für alle autopoietischen Sinnsysteme typisch ist. Ein Problem der Gesellschaft wird dann durch ein autopoietisches System bedient, wenn es dem mit diesem Problem befaßten Kommunikationskontext gelingt, sich zeitstabil als selbstreproduzierender Unterschied innerhalb der Gesellschaft zu etablieren. In sozialer Hinsicht erfordert diese Grenzbildung nicht zuletzt, daß der als System ausdifferenzierte Kontext Vorgaben hinsichtlich denkbarer Anlässe für Dissens und den Umgang mit diesem macht.24 23

Zu den theoretischen Konsequenzen dieser sachlichen Problematik sozialer Differenzierung siehe Luhmanns (1976a) programmatischen Aufsatz „Soziologie als Theorie Sozialer Systeme“. 24 Die Frage, wie und warum bestimmte Funktionen in Form autopoietischer Systeme erfüllt werden – warum „Sonderfunktionen“ durch autopoietische Systeme „versorgt“ werden (Luhmann 1988a: 65) –, ist schwer zu beantworten. Ob der Versuch, die Systemizität selbstselektiver Kommunikationskontexte von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung auf der Basis von Funktion und Codierung zu beschreiben, für alle „klassischen“ (was meint: in ihrer Existenz nicht umstrittenen) Funktionssysteme in theoretisch konsistenter Weise gelingen kann, wird derzeit für

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Der Begriff des funktionalen Subsystems deutet es bereits an: um sich aus dem Fluß der gesellschaftlichen Kommunikationen herausheben und einen rekursiven Zusammenhang eigengesetzlicher Kommunikationen bilden zu können, muß ein solches System eine Funktion für die Gesamtgesellschaft erfüllen. Damit ist nicht gemeint, daß das System die Funktion auch erfüllt, sondern daß es diese Funktion exklusiv an sich zieht. Die „Restgesellschaft“, das heißt alles, was von diesem System aus gesehen kommunikative Umwelt ist, wird von der Wahrnehmung dieser Funktion (im Grenzfall) vollständig entlastet. Analysiert man die funktionalen Subsysteme der modernen Gesellschaft hinsichtlich ihrer Funktion, interpretiert man sie (vornehmlich) komplexitätstheoretisch. Funktionssysteme lassen sich in diesem Sinne als selbstsubstitutive Ordnungen beschreiben, die von der Gesamtgesellschaft aus betrachtet zum Verzicht auf eine „Mehrfachabsicherung“ von Funktionen, das heißt zu Redundanzverzicht führen (Luhmann 1979: 325–335; 1997: 753). Diese Monopolisierung der Funktionserfüllung, und das ist die zweite Schließungsbedingung, erfolgt auf der Basis eines binären Codes (grundlegend Luhmann 1986d). Jedes funktionale Subsystem der modernen Gesellschaft operiert und beobachtet auf der Basis eines solchen Duals. Spricht man von der Codierung eines Funktionssystems, nimmt man eine primär kognitionstheoretische Perspektive ein und betrachtet die Konsequenzen der Systemschließung für die Informationsverarbeitung. Binäre Codes „mediatisieren“ die Informationsverarbeitung dadurch, daß im System nur noch das Relevanz erlangen kann, was sich dem Code beugt. Der Code eines Funktionssystems ist „gehaltsfrei“; es handelt sich um ein universalistisches Kontingenzschema, welches prinzipiell keinerlei Sachverhalte von der Behandlung nach Maßgabe dieses Codes ausschließt. Weil jeder Code über einen Positiv- und einen Negativwert verfügt, kann jeder „Sachverhalt“, der im System als Information auftaucht, durch den Code dupliziert werden, das heißt in einer Positiv- und einer Negativfassung vorkommen. Obwohl der Code grundlegend symmetrisch gebaut ist, kann man eine gewisse Asymmetrisierung zugunsten der positiven Seite des Codes beobachten. So ist der positive Wert besser anschlußfähig, von ihm geht in aller Regel strukturbildende Wirkung aus, während der Negativwert meist nur als Komplement zum Positivwert eine Rolle spielt. Vom positiven Wert wird entsprechend auch als dem Designationswert, vom negativen als dem Reflexionswert des Codes gesprochen (Luhmann 1986d: 147–149; 1990a: 200). Die binären Codes der Funktionssysteme setzen die selbstreferentielle Komponente der Kommunikation – die Mitteilung also – unter spezifische Bedas System der Massenmedien mit einigen Fragezeichen versehen (siehe dazu Göbel 2006a).

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dingungen. Sie transformieren die einfache kommunikationskonstitutive Differenz von Mitteilung und Information in die Differenz von binärem Code und Information. Funktionssystemspezifische Information ist dann – man gerät hier an die Grenzen des Formulierbaren – Information im Kontext einer binär codierten Mitteilung. Eine solche binär codierte Mitteilung gibt sich dadurch zu erkennen, daß, gleichviel welcher Codeseite sich eine Kommunikation zuordnet, immer ein Verweis auf den Gegenwert mitläuft (Luhmann 1988a: 53; 1997: 363–369). Der binäre Code ermöglicht dadurch für funktionsspezifische Kommunikationszusammenhänge die selbstreferentielle Verkettung von Ereignissen in der Form autopoietischer Systeme. Auch für die funktionalen Subsysteme der modernen Gesellschaft gilt damit, daß sie das, was für sie jeweils als Einheit – als nicht weiter dekomponierbares Letztelement – fungiert, im Eigenkontakt determinieren. Und deswegen kann man sagen, daß es für die funktionssystemspezifische Kommunikation in informationeller Hinsicht in der gesellschaftlichen Umwelt keine Entsprechung gibt (Luhmann 1988: 48–51). Die Sinnverarbeitung in den Funktionssystemen der modernen Gesellschaft ist zugleich universalistisch und spezifisch – oder genauer: das Beobachten verwendet einen spezifischen Universalismus, um seinen Weltzugriff herzustellen und zu regulieren. In einem grundlegenden Sinne liegt die Universalität darin, daß das, was im System möglich ist, keinen grundsätzlichen – und das meint vor allen Dingen ab extra eingeführten – Beschränkungen unterworfen ist. Diese Unversalität wird auf der Basis von Funktionsorientierung und Codierung auf eine spezifische Systemreferenz enggeführt (Luhmann 1997: 376, 709, 983). Diese Aussage muß allerdings insoweit eingeschränkt werden, als die Konzentration der Lösung eines spezifischen Problems von gesamtgesellschaftlicher Relevanz in einem Funktionssystem Probleme der Kompossibilität, des Zusammenspiels mit anderen Funktionssystemen, aufwirft. Die Funktionssysteme müssen trotz (und wegen) ihres universalistischen Ausgriffs darauf verzichten, alles zu thematisieren. Im Vergleich mit älteren (einfacheren) Gesellschaftsordnungen müssen also Funktionen abgegeben werden, weil bekannt ist, daß diese andernorts wahrgenommen werden. Es kommt im Zuge der Ausdifferenzierung eines Funktionssystems zu einer grundsätzlichen Ausweitung von Möglichkeiten, die aber von einer punktuellen Einschränkung von Optionen begleitet wird.25

25 Für das Wirtschaftssystem liegt diese Einschränkung zum Beispiel darin, daß politische Ämter nicht mehr gekauft werden können. Das politische System bindet sich selbst, indem es sich eine Verfassung gibt. Dem Wissenschaftssystem gehen mögliche Kommunikationen dadurch „verloren“, daß Werte ihre Wahrheitsfähigkeit einbüßen.

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a) Funktionale Spezifikation und binäre Codierung des Rechts Wie die anderen Funktionssysteme reagiert auch das Recht auf Erwartungslagen von gesellschaftsweiter Relevanz. Mit der Ausbildung des Rechtssystems entlang dieser lösungsbedürftigen Strukturprobleme kommt es zu einer funktionalen Spezifikation, die einerseits die Problemlage nochmals verdichtet und verschärft, ineins damit aber auch die Chancen für eine Lösung verbessert, weil eben auch die möglichen Antworten auf das Problem schärfer konditioniert werden. In einer ersten Annäherung läßt sich sagen, daß das Recht auf Probleme reagiert, die entstehen, wenn mit Kommunikationen zugleich Erwartungen über zukünftig Mögliches verbunden sind. Insofern entzündet sich die Ausdifferenzierung des Rechtssystems in einem sehr grundlegenden Sinne an einem Problem der Zeitbindung (Luhmann 1991c: 60 f.; 1993a: 125). Das reicht aber als Funktionsbestimmung nicht hin, weil Probleme des zeitlichen Vorgriffs in jedem Sinngebrauch impliziert sind. Man muß das Problem der unsicheren Zukunft auf das Problem der Erwartbarkeit von Erwartungen engführen. Erst dann wird sichtbar, daß mit dem Zeitproblem in der Sozialdimension soziale Kosten einhergehen, und erst dann gewinnt die Funktion des Rechtssystems schärfere Konturen. Aus der Spannung von Zeit- und Sozialdimension ergibt sich ein Erwartungsausgleichsproblem, und genau darauf ist das Recht gerichtet. Das Recht reagiert auf diese Spannung durch die (Wieder-)Herstellung von Erwartungssicherheit. Geleistet wird dieser Ausgleich in der Sachdimension, und zwar indem ihm die Form von Rechtsnormen gegeben wird. Normen institutionalisieren eine spezifische Form des Erwartens oder genauer gesagt, eine bestimmte Form des Umgangs mit enttäuschten Erwartungen. Der Normbegriff gewinnt Kontur nur, wenn man berücksichtigt, daß es grundsätzlich zwei und nur zwei Modi der Einstellung gegenüber Erwartungsenttäuschungen gibt: zeigt man sich gegenüber enttäuschten Erwartungen lernwillig, ist man also bereit, sein Erwarten für zukünftige, ähnlich gelagerte Fälle umzustrukturieren, spricht man von einer kognitiven Erwartungshaltung; hält dagegen jemand ungeachtet der Tatsache, daß die eigenen Erwartungsstrukturen von einem Ereignis nicht validiert wurden, an seinen Erwartungen fest, hat man es mit einer normativen Erwartungshaltung zu tun (Luhmann 1969c: 69 f.; 1983b: Kap. II.2; 1984: Kap. 8.XII–XIII).26 26 Die Relevanz dieser Differenz wird nur deutlich, wenn man sich vor Augen hält, daß diffuse Mischverhältnisse von kognitivem und normativem Erwarten gerade im Alltagserleben der Normalfall sind, so daß das Auseinanderziehen der beiden Erwartungsmodi schon als anspruchsvolle Sonderleistung begriffen werden muß.

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„Normen sind Formen der Zeitbindung, und zwar bereits ziemlich komplexe Formen. Sie projektieren eine Erwartung in die Zukunft, und zwar eine nicht-selbstverständliche (kontingente, enttäuschungsfähige) Erwartung. Im Bereich des Selbstverständlichen gibt es keine Normbildung [. . .]. Die Gefahr der Enttäuschung von Erwartungen wird aufgelöst (entfaltet, konfirmiert) in die Form der Norm, nämlich in die Unterscheidung von konformem und abweichendem Verhalten. Der Sinn dieser Unterscheidung liegt darin, daß sie sich durch beide Seiten der Form, durch konformes und durch abweichendes Verhalten als Form bestätigt sehen kann. Und genau dies unterscheidet diese Unterscheidung von anderen Unterscheidungen, vor allem solchen, in denen bei Enttäuschungslasten Lernen zugemutet wird.“ (Luhmann 1991c: 62 f., Hevorh. dort)

Normen können entsprechend als kontrafaktisch stabilisierte Verhaltenserwartungen begriffen werden (Luhmann 1969c: 37). Das Recht sorgt als ausdifferenziertes Funktionssystem der modernen Gesellschaft dafür, daß es Kontexte gibt, in denen erwartbar wird, daß man sich durchgängig an einem lernunwilligen Erwartungsstil orientiert. Soweit es sich bei Normen um Rechtsnormen handelt, also um Erwartungsstrukturen, die im Rechtssystem institutionalisiert sind, handelt es sich um zeitlich, sachlich und sozial generalisierte Erwartungserwartungen oder auch um kongruent generalisierte normative Verhaltenserwartungen (Luhmann 1983b: 99). Das Rechtssystem richtet also Enttäuschungsfestigkeiten ein, indem es einen jedenfalls grundsätzlich wissen läßt, mit welchen Erwartungen man auf soziale und gegebenenfalls durch Sanktionen gedeckte Anerkennung rechnen kann. Die Funktion des Rechts läßt sich entsprechend bestimmen als Stabilisierung normativer Erwartungen (Luhmann 1983b: Kap. II.6; 1993a: Kap. 3.I-3.II).27 Die funktionale Spezifikation des Rechts orientiert das Beobachten also an Normen. Normen enthalten die Anweisung, gemäß dem Schema von Erwartung und enttäuschter Erwartung zu beobachten und im Enttäuschungsfalle trotzdem an der Erwartung festzuhalten. Zur Grundlage der Ausdifferenzierung rechtsförmigen Beobachtens als System kann das durch die Norm installierte Beobachtungsschema von Erwartung und Erwartungsenttäuschung aber nur in Verbindung mit einer weiteren beobachtungsleitenden Differenz werden, nämlich dem Unterschied von Recht und Unrecht. Rechtsförmiges Beobachten kombiniert die Beobachtung von Erwartungen vor dem Hintergrund ihrer möglichen Enttäuschung mit der Differenz von Recht und Unrecht. Das Schema von Recht und Unrecht befindet sich dabei gegenüber der Norm und damit gegenüber Beobachtungen, die auf dem Schema von Erwartung und Enttäuschung fußen, auf der Ebene der Beobachtung zweiter Ordnung (Luhmann 1993a: 70). Weil jede Beobachtung im 27 Siehe auch die Funktionsbestimmung in Luhmann (1986b: 173), wonach das Recht der „Vorsorge für den Konfliktfall, der Festigung konfliktsicherer Erwartungen, die auch im Streitfalle durchgehalten werden können“, dient.

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Rechtssystem vor dem Hintergrund dieser Differenz stattfindet, bilden Recht und Unrecht den binären Code des Rechtssystems. Er sorgt für die Schließung des Systems.28 Da aber die Differenz von Recht und Unrecht ohne den Bezug auf Normen leerliefe, kann man von einer normativen Schließung des Rechtssystems sprechen (Luhmann 1983b: Kap. II.6; 1993a: Kap. 3.I-3.II).29 Die Differenz von Recht und Unrecht garantiert das notwendige Minimum an mitlaufender Selbstbeobachtung, welches ein Ereignis als rechtsförmige Kommunikation erkennbar macht und ermöglicht zugleich die fortlaufende Reproduktion dieses „unit act“ des Rechtssystems. Im Falle von Rechtskommunikationen überformt die Differenz von Recht und Unrecht den Mitteilungsaspekt der Kommunikation und sorgt somit dafür, daß Rechtskommunikation Gesellschaftsvollzug bleibt – aber eben unter Sonderbedingungen gesetzter Gesellschaftsvollzug, der es notwendig macht, von der Vorstellung eines kognitiven Kontinuums, welches Recht und Wissenschaft übergreift, Abstand zu nehmen. Die Informationsverarbeitung des Rechts orientiert sich an einem Code, der nicht derjenige der Wissenschaft ist. Ein Geschehnis kann nur dann im Rechtssystem wirksam werden, wenn es sich als eine Information im Kontext der Differenz von Recht und Unrecht lesen läßt (dazu auch Luhmann 1983a). b) Konditionale Programmierung Der Begriff der Autopoiesis meint nichts als einen zur Selbstreproduktion befähigten Elementzusammenhang. Er hat als Begriff keinerlei Erklärungswert und sagt auch nichts darüber aus, was in einem autopoietischen System stattfindet – zum Beispiel mit Blick auf wahrscheinliche oder weniger wahrscheinliche Strukturbildungen. Die Codes der Funktionssysteme haben ihre Funktion ausschließlich darin, einen autopoietisch geschlossenen Kommunikationszusammenhang ins Werk zu setzen. So informiert etwa der Rechtscode selbst weder darüber, ob ein Anspruch rechtmäßig oder unrechtmäßig ist, noch darüber, wie sich das System in struktureller Hinsicht selbst determiniert.30 Für Anschlußfähigkeit und Selbstfestlegung der funktions28 Etwas kryptisch Luhmann (1993a: 73): „Die Referenz auf Einheit wird ersetzt, wird ‚repräsentiert‘ durch die Referenz auf den Code, auf die Unterscheidung von Recht und Unrecht sowie durch die Unterstellung einer normativen Geltung derjenigen Erwartungen, die zur Explikation des Codes eingesetzt werden.“ 29 „Die normative Geschlossenheit ist mithin der Kontext laufender Selbstbeobachtung des Systems im Schema rechtmäßig/rechtswidrig.“ (Luhmann 1993a: 81) 30 Der Code als universell anwendbares Schema ist also selbst nicht informationswirksam – mit einer minimalen Einschränkung (die sich als re-entry fassen läßt): die Mitteilung, daß es es sich um eine Rechtskommunikation handelt, informiert eben genau darüber.

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systemischen Kommunikation sorgen Programme. Allgemein gesprochen haben Programme innerhalb von Funktionssystemen die Aufgabe, Richtigkeitsbedingungen der Codezuweisung zu definieren. Sie bestimmen, was im System zugelassen werden kann, und ferner, ob das, was vorkommt, mit dem Designations- oder mit dem Reflexionswert zu belegen ist, ob es also strukturwirksam wird oder nicht. Während die Binärcodierung die operative Geschlossenheit des Systems herstellt, sorgen Programme für die informationelle oder kognitive Offenheit des Systems, indem sie selbstreferentielle und fremdreferentielle Orientierung vermitteln. Jede Codierung findet also zwangsläufig ihr Supplement in der Programmierung (Luhmann 1986a, 1990a: 401–403; 1997: 376 f.).31 In Übertragung dieser Differenz auf Rechtskommunikationen kann man dann sagen, daß das Rechtssystem normativ geschlossen, gerade dadurch aber auch kognitiv offen ist. Das Rechtssystem zeichnet sich dabei durch die – im übrigen theoretisch mindestens überraschende und doch meines Wissens überhaupt noch nicht diskutierte – Eigenart aus, daß es zu einer relativ engen Kopplung der Schließungsanforderungen mit observationalen Richtigkeitsbedingungen kommt. Die Programme des Rechtssystems sind Konditionalprogramme.32 Als Programme des Rechtssystems definieren Konditionalprogramme die Bedingungen, unter denen eine Erwartung rechtmäßig oder unrechtmäßig ist. Konditionalprogramme bringen diese Richtigkeitsbedingungen in die Form von Wenn-dann-Beziehungen. Sofern bestimmte auslösende Bedingungen erfüllt sind (sofern die Sachverhaltsermittlung ergibt, daß der Tatbestand erfüllt ist), ist notwendig eine bestimmte Entscheidung zu treffen (Rechtsfolge). Die durch konditionale Programmierung erbrachte Strukturierungsleistung kann in mindestens zweifacher Hinsicht auf die Funktion des Rechtssystems bezogen werden. In zeitlicher Hinsicht gilt, daß Tatsachen, die zum Zeitpunkt der Anwendung des Programms noch nicht feststehen, bei der Differenzierung zwischen Recht und Unrecht keine Rolle spielen dürfen (Luhmann 1993a: 198). Das Recht reagiert auf das Problem der Zeitbindung und seine sozialen Folgen mit Nachsorgeprogrammen: „Die Erwartungen werden genau für den Fall, daß sie nicht erfüllt werden, in die Form von Normen gebracht“ (Luhmann 1993a: 199). Zum zweiten ist die Kognitionsleistung, die das System zu erbringen hat, im Rahmen konditionaler Programmierung sehr präzise umrissen: sie reduziert sich auf die Ermittlung der für die Subsumption notwendigen In31

Nur auf der Grundlage der Unterscheidung von Codierung und Programmierung kann es auch gelingen, den Code zu technisieren. Technisierung meint, daß der Übergang von der einen zur anderen Seite des Codes nur noch eine einfache Negation verlangt, während alle weiteren Bedingungen dieses Übergangs auf der Programmebene verhandelt werden müssen (Luhmann 1981a: 113; 1990a: 196 f.). 32 Zum folgenden Luhmann (1983b: Kap. IV.3; 1993a: Kap. 4.IV).

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formationen (Luhmann 1974c: 26 f.). Nur auf dieser Basis ist es möglich, die hohe Komplexität, der sich das Rechtssystem konfrontiert sieht, so zu reduzieren, daß „kongruent erwartbare Entscheidungen“ möglich bleiben (Luhmann 1983b: 229). Im Ergebnis läßt sich festhalten, daß die Form des Konditionalprogramms sehr eng mit der Funktion des Rechtssystems zusammenhängt, für kongruent generalisierte Erwartungen zu sorgen (Luhmann 1993a: 199). Die Funktion des Rechts zeichnet die Kognitionsanforderungen, denen sich das System zu beugen hat, sehr deutlich vor. 3. Die operativ-kognitive Schließung des Wissenschaftssystems Diese Aussagen über das Rechtssystem sind selbst keine rechtlichen Aussagen. Deutlich wird das vor allem am Normbegriff. Normen werden hier als Beobachtungsschemata betrachtet, die der Informationsgewinnung dienen. Sie werden, anders als es für die Selbstbeobachtung des Rechtssystems typisch wäre, nicht als Grundbegriffe angesetzt, sondern etwa den Begriffen Kommunikation und Funktion nachgeordnet. Der Normbegriff kommt erst an theoretisch abgeleiteter Stelle zum Tragen (Luhmann 1965b: 186 f.; 1984: 444, 1993a: 12). Aus dieser theoretisch nachrangigen Position folgt unter anderem auch, daß Normen als Fakten behandelt werden müssen, denn „[o]bwohl kontrafaktisch ausgerichtet, ist der Sinn des Sollens nicht weniger faktisch als der Sinn des Seins“ (Luhmann 1983b: 43).33 Die bisher getroffenen Aussagen nehmen, da sie die Faktizität normativer Argumentationszusammenhänge zum Gegenstand haben, für sich in Anspruch, wissenschaftliche Behauptungen über das Rechtssystem zu formulieren. Wie zuvor für Rechtskommunikation, stellt sich damit die Aufgabe, genauer zu spezifizieren, was wissenschaftliche Kommunikation ausmacht. Und wie zuvor für das Rechtssystem, legt die Annahme, daß die Gesellschaft zuvörderst nach funktionalen Kritierien differenziert ist, es nahe, davon auszugehen, daß auch die Wissenschaft sich als Sonderhorizont konstituiert, der seinen Weltzugriff autonom reguliert. a) Funktionale Spezifikation und binäre Codierung der Wissenschaft Das Wissenschaftssystem versorgt die moderne Gesellschaft mit neuem, mit in dieser Form in der Gesellschaft nicht erwartbarem und vor allem 33 Wer das Gegenteil behauptet, begeht einen Kategorienfehler. An die Stelle der Differenz von Norm und Faktum tritt die Unterscheidung von normativem und kognitivem Erwarten.

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auch nicht ohne weiteres vermittelbarem Wissen. Darin liegt seine Funktion. Erkenntnisgewinn wird zu einem lösungsbedürftigen Sonderproblem dadurch, daß Konventionen gegenseitiger Rücksichtnahme, die in der Sozialdimension obwalten, gewagte Sachaussagen und die Orientierung an Wahrheit häufig entmutigen. Der gesamtgesellschaftliche Bedarf für nichtalltägliches, über den common sense hinausgehendes Wissen muß durch eine Ausdifferenzierung des Erkenntnisgewinns aufgefangen werden, die in der Monopolisierung neuartigen Wissens in ein eigens für diese Aufgabe eingerichtetes System mündet. Erkenntnis meint in diesem Sinne also nicht zuletzt eine Verletzung eingelebter Erwartungshaltungen. Derart kontraintuitives Wissen kann gesamtgesellschaftlich nicht auf Anerkennung rechnen und bedarf deswegen besonderer kommunikativer Absicherung, um die mit ihm verbundenen Zumutungen zu renormalisieren und damit erträglich zu machen (Luhmann 1981a; 1990a: Kap. 4.VIII).34 Der Neuheitswert wissenschaftlichen Wissens ergibt sich aus der nicht zuletzt gemessen an außerwissenschaftlichen Ansprüchen enorm erhöhten Auflösefähigkeit der Aussagen über bestimmte Sachverhalte. Auch im Falle der Wissenschaft wird die Erfüllung der Funktion wieder in einem System monopolisiert, indem sie in operativer und kognitiver Hinsicht auf binär codierte Systemoperationen umgesetzt wird. Auch hier stellt sich wieder die Aufgabe, den Typ von Beobachtungen zu bestimmen, der es der Wissenschaft erlaubt, sich als rekursiver Kontext von Beobachtungen zu schließen. Kommunikation wird dann zu wissenschaftlicher Kommunikation, wenn Aussagen und Aussagenkontexte (die zum Beispiel Theorien sein können) systematisch nach Maßgabe der Frage beobachtet werden, ob sie wahr oder unwahr sind. Es geht also, klassisch ausgedrückt, um die durchgängige Orientierung der Kommunikation an den beiden Wahrheitswerten. Der binäre Code von wahr und unwahr sichert die selbstreferentielle Schließung wissenschaftlicher Kommunikation.35 Auf der Basis dieser Differenz entstehen innerhalb des Systems Strukturen, die weitere Kommunikationen anlei34 Weil wissenschaftliches Wissen unter die Zusatzanforderung gesetzt wird, neues Wissen zu sein, handelt sich das System das Problem ein, bestimmen zu müssen, welches Wissen diesem Kriterium genügt. Neuheit ist kein vorgegebenes, objektiv bestimmbares Datum, sondern ergibt sich aus Attributionsleistungen, die das System selbst erbringt, indem es im Schema von neu und alt beobachtet. Wissenschaftliches Wissen entsteht also, entgegen dem ersten Anschein, nicht ausschließlich durch Orientierung an der Sachdimension, sondern tangiert auch die Zeitdimension (Luhmann 1990a: 296–298). Was als Wissen gilt, ist schließlich auch von der Sozialdimension abhängig; der entsprechende Mechanismus heißt Reputation. 35 Wenn von Orientierung an dieser Differenz die Rede ist, zeigt dies an, daß es in der „wissenschaftlichen Normalkommunikation“ nur um mitlaufende Selbstreferenz geht. Der Wahrheitsanspruch muß nicht fortlaufend explizit markiert werden; das übernimmt der Kontext.

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ten – und zwar sowohl in thematischer Hinsicht als auch hinsichtlich der Zuordnung der Codewerte – und die man insofern als wissenschaftliches Wissen bezeichnen kann (Luhmann 1990a: Kap. 5.V). Daraus, daß sich wissenschaftliche Kommunikation an diesen beiden „Wahrheitswerten“ orientiert, darf allerdings nicht gefolgert werden, daß Wahrheit eine Eigenschaft von Sätzen ist. Wahrheit ist ein universell anwendbarer hochspezifizierter Modus des Beobachtens, der sich auf Basis der Einheit der Differenz von wahr und unwahr konstituiert; Wahrheit ist ein Medium. Dann erhellt auch, warum satzförmige Behauptungen, obgleich Wahrheit nicht als Satzeigenschaft definiert werden kann, die Letztelemente des Wissenschaftssystems bilden. Sätze sind Formbildungen im Medium der Wahrheit. Auch für das Medium der Wahrheit gilt, daß nur die Formbildungen sichtbar sind und von diesen aus auf ein mediales Substrat durchgeschlossen werden muß. Luhmann (1990a: 185) begreift das „Auflösevermögen der Wissenschaft“ als das mediale Substrat von Wahrheit. Das Medium verdankt sich den begrifflichen, methodischen und theoretischen Leistungen der Wissenschaft. Jede Formbildung in diesem Medium ist aufgrund der für Wissenschaft typischen rekursiven Beobachtung von Beobachtungen als Aufforderung zu Rekombinationen – zu anderen Formbildungen also – zu verstehen. Erkenntnis ist in diesem Sinne ein Prozeß, der im Wahrheitsmedium fortwährend alte Formen entkoppelt, um neue zu „finden“, indem er „Sachverhalte“ anders beschreibt als bisher bekannt. Damit ist noch nichts über die Wahrheit oder Unwahrheit der Formbildungen gesagt. Um zwischen wahr und unwahr diskriminieren zu können, bedarf es der Spezifikation der Formbildungen durch Programme; und wahr meint dann, daß eine Formbildung – gemäß welchen methodischen oder theoretischen Kriterien auch immer – als „gelungen“ begriffen wird. Das Medium „ist“ gleichsam das Resultat der Unterscheidung der Differenz von Designations- und Reflexionswert einerseits von den Programmen, die Richtigkeitsbedingungen für die Zuweisung der Codewerte festlegen, andererseits; das Medium ist der Raum von Möglichkeiten, der mit dieser Unterscheidung von Unterscheidungen entsteht (Luhmann 1990a: Kap. 4.III). b) Wissenschaftliches Wissen Wissen entsteht im Medium der Wahrheit als situationsübergreifend kondensierter Sinn. Während im Recht Normen als die zentralen Anhaltspunkte für den Erwartungsaufbau fungieren und Anschlußmöglichkeiten limitieren, liegen verfestigte Erwartungsstrukturen im Wissenschaftssystem als Wissensbestände vor. Und wie im Recht die Normen, so reguliert in der Wissenschaft das Wissen die durch das Nichteintreten einer Erwartung entstehende Enttäuschung gleich mit. Allerdings legt sich die Wissenschaft im

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Gegensatz zum Recht vorweg auf einen kognitiven Reaktionsmodus fest. Wissen ist „kognitiv stabilisierter Sinn“ (Luhmann 1990a: 138) und verlangt als solcher, im Falle einer Erwartungsenttäuschung den „Fehler“ auf die Erwartung zuzuschreiben und entsprechend die Erwartung an die „Wirklichkeit“ anzupassen. An Wissen orientiertes Beobachten ist lernwilliges Beobachten. Das Auseinanderziehen von Recht und Wissenschaft und die Verteilung der von diesen wahrgenommenen Funktionen auf autonom operierende autopoietische Systeme verdankt sich aus dieser Perspektive nicht zuletzt einem Bedarf, in bestimmten Zusammenhängen normatives und kognitives Erwarten deutlich gegen die alltagsweltlich normalen Mischlagen beider Erwartungsmodi zu profilieren. So wird, jedenfalls wenn es sich um systemspezifische Kommunikationen handelt, auch noch (normativ) erwartbar, ob die Enttäuschungsabwicklung in normativer oder in kognitiver Einstellung zu erfolgen hat (Luhmann 1981c: 120–122).36 Der Wissensbegriff läßt sich schärfer konturieren, wenn man ihn auf eine weitere Unterscheidung, die Differenz von Erleben und Handeln, bezieht. Diese Differenz hat genauso wie die sozialen Positionsbegriffe Alter und Ego einen attributionstheoretischen Zuschnitt, kennt also ebenfalls nur zwei Möglichkeiten. Erlebt ein System, verortet es den Auslöser für seine eigene Zustandsänderung (für die Selektivität der Kommunikation) außerhalb seiner selbst, also in der Umwelt; ist dagegen von Handlung die Rede, wird die Ursache für die Zustandsänderung in einer Aktivität des Systems gesucht. Die Möglichkeit, zwischen Erleben und Handeln zu unterscheiden, ist auf beiden Seiten der Differenz von Alter und Ego gegeben. Kombiniert man die Unterscheidungen von Ego und Alter einerseits sowie von Erleben und Handeln andererseits, erhält man ein Vierfelderschema, das sich problembezogen deuten läßt. Im Zusammenspiel von Alter und Ego macht es einen Unterschied für die Konditionierung der Kommunikation, wie Erleben und Handeln auf die beiden Positionen verteilt werden. Wissenschaftliche Kommunikation ist dadurch gekennzeichnet, daß Forschungsergebnisse – jedenfalls was die Darstellungserfordernisse anbelangt – weder auf die selektive Aktivität Egos noch auf diejenige Alters zurückführbar sein dürfen; auf beiden „Seiten“ muß external zugerechnet werden. Daß die Kommunikation in genau dieser Form über Kausalität disponiert, versteht sich jedoch keineswegs von selbst, ist vielmehr Resultat voraussetzungsreicher Sinngeneralisierungen (Luhmann 1981c: 110–112).37 36

Vgl. die in Kap. V.2.a) genannte Literatur. Hier hat dann auch die Ideologiekritik „neopositivistischer“ oder „kritisch-rationalistischer“ Provenienz ihren Ort. Mit ihrem Bestreben, mit Mitteln der Sprachkritik „ideologische Bestandteile“ – seien es Leerformeln, seien es Werturteile – von „Aussagensystemen“ zu entlarven, setzt sie genau an dem Problem des Zusammenhangs von Handlung und Wissenschaft an. Ideologie meint hier im Grunde 37

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Das hängt unter anderem damit zusammen, daß durch die unterschiedlichen Zurechnungskonstellationen auch Fragen der Bedingungen der Annahme von Kommunikation berührt werden. Luhmann vermutet die Lösung für dieses Problem in den sogenannten symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien.38 Zunächst muß festgehalten werden, daß auch symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien Medien sind. Der allgemeine Medienbegriff verweist aber zunächst nur auf ein fortwährend sich regenerierendes Selektionsproblem. Sehr allgemein formuliert liegt das Ausgangsproblem, auf das symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien bezogen werden können, darin, daß mit jedem Sinngebrauch – jedenfalls soweit es sich um sprachliche Formen der Kommunikation handelt – in der Sozialdimension ein Selektionsproblem gegeben ist, welches über die grundlegende Frage der Kontinuierung von Kommunikation hinausgeht. Das Problem ist in der Tatsache zu suchen, daß man zu Selektionsofferten immer sowohl bejahend als auch ablehnend Stellung nehmen kann (Luhmann 1984: 205). Das Problem der Fortsetzung von Kommunikation wird damit jedenfalls teilweise zu einer Frage des Kommunikationserfolgs (Luhmann 1984: 218). Weiter darf angenommen werden, daß Situationen und Kontexte denkbar sind, in denen die Erwartung einer positiven Einstellung zu einer Sinnofferte zwar funktional notwendig, zugleich aber unwahrscheinlich ist. Auf dieses Erfolgsproblem reagieren symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien – man spricht entsprechend auch von Erfolgsmedien. Betrachtet man die Verteilung von Jas und Neins in einem spezifischen kommunikativen Kontext (der ein System sein kann), sorgen symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien dafür, daß eine hohe Ablehnungswahrscheinlichkeit in eine wahrscheinliche Annahme transformiert wird. Symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien sind funktional auf das Problem gerichtet, die Unwahrscheinlichkeit von Sinnzumutungen zu überwinden, die sich daraus ergibt, daß sich die Selektion Alters nicht ohne weiteres mit der Motivation Egos zur Übernahme dieser Selektion deckt (Luhmann 1984: 222). Motivation und Selektion stehen dabei in einem zirkulären Verweisungszusammenhang: ohne Motivation keine Selektion – und umgekehrt. Die Anschluß- oder Erfolgsschwierigkeiten der Kommunikation sind aber zugleich Orientierungs- beziehungsweise Erwartungsschwierigkeiten. Symbolisch genichts anderes als Einfallstore für Handlungszumutungen, die es zu schließen gilt, damit von Wissenschaft die Rede sein kann. Denn dort, wo Aussagenkontexte mit ideologischen Bestandteilen durchsetzt sind, gibt es nichts (oder jedenfalls nichts ausreichend Spezifisches) zu erleben – und in diese Bresche springen dann Zielprojektionen ein. 38 Zum folgenden siehe Luhmann (1974b; 1976; 1997: Kap. 2.IX–2.XIV) sowie Baecker (2005: Kap. 4.5) und Göbel (2000: Kap. 3.1, 10.1).

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neralisierte Kommunikationsmedien setzen den zunächst in negativer Form gegebenen Zirkel auf anschlußfähige Kommunikation um, indem das Doppelproblem von Motivation und Selektion einer Lösung zugeführt wird, die auf Symbolisierungs- und Generalisierungsleistungen gründet. Sowenig wie sich Motivation und Selektion trennen lassen, so wenig ist es möglich, Symbolisierung und Generalisierung anders als analytisch zu unterscheiden. Es geht zunächst darum, das Motivationsproblem anzugehen. Die daraus resultierenden Selektionsleistungen profilieren die medienspezifische Kommunikationsform weiter – und genau in dieser Generalisierungsleistung, so die Annahme, liegen Gründe, sich auf diese Form der Kommunikation überhaupt einzulassen. Symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien transformieren das ursprünglich gestellte Erfolgsproblem in einen sich selbst tragenden Erwartungszusammenhang, und zwar dergestalt, daß die „Konditionierung der Selektion zum Motivationsfaktor gemacht wird“ (Luhmann 1997: 321, Hervorh. dort). Das gilt in zweifacher Hinsicht: einerseits wird die Erfolgswahrscheinlichkeit der Kommunikation dadurch erhöht, daß Ego Alter nicht irgendwelche, sondern spezifisch konditionierte Selektionen zumutet, die, gerade weil sie diesen besonderen Zuschnitt aufweisen, Alter zur Annahme der Kommunikation motivieren; und andererseits kann sich Ego selbst zur Kommunikation motivieren, weil er weiß, daß er mit einiger Wahrscheinlichkeit seine Kommunikationsabsichten verwirklichen kann, wenn er die medienspezifisch institutionalisierten Selektionsbedingungen berücksichtigt. Die Symbolizität der symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien liegt mithin darin, daß das Problem der Synchronisierung der Erwartungslagen von Alter und Ego gelöst wird durch Verweis auf spezifische Kommunikationsbedingungen – auf einen virtuellen Kontext, den wir Medium nennen –, die ihre Selektivität genau daraus beziehen, daß sie das zu lösende Problem als bereits gelöst unterstellen. Symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien wirken hochselektiv und liefern gerade aufgrund dieser Selektivität die Gründe für die Annahme der Selektionsofferte gleich mit. Sie generieren gleichsam selbstselektive Beobachtungskontexte, die erstens ein spezifisches Motivations-Selektionsproblem lösen, es zweitens fortlaufend regenerieren und drittens zugleich dazu motivieren, sich auf derartige Kommunikationsbedingungen überhaupt einzulassen (Baecker 2005: 180). Die verschiedenen symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien differenzieren sich dabei entlang einer Funktion, die sie bedienen, und vermittels einer spezifischen Zurechnungskonstellation, die die Kommunikation konditioniert. Die Fabrikation von Wissen im Medium der Wahrheit fußt, das hatten wir dargelegt, auf einem kognitiven Erwartungsstil. Logisch gesehen ist der Stil der Enttäuschungsabwicklung (lernwilliges versus lernunwilliges Erwarten) von der Zuschreibungskonstellation (Erleben versus Handeln) unabhän-

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gig. Aber empirisch sind deutliche Parallelisierungen erkennbar. Jedenfalls verlangt der kognitive Erwartungsstil wissenschaftlichen Beobachtens, daß Wissen auf Sachverhalte zurückgeführt wird, die außerhalb des eigenen Verfügungsbereichs liegen. Die Notwendigkeit, Kommunikation auf Erleben engzuführen, betrifft dabei beide soziale Positionen, Alter und Ego. Soweit in der Wissenschaft gehandelt (zum Beispiel experimentiert) wird, muß dies als Tätigkeit ausgewiesen werden, die adäquates Erleben erst ermöglicht. Wissenschaftliche Kommunikation – mit Wissen als Kondensat dieser Kommunikationsform – kommt genau dann zustande, wenn Erwartungen als kognitiv (und nicht als normativ) ausgezeichnet werden und wenn zugleich ersichtlich ist, daß Veränderungen des Systemzustands auf Erleben (und nicht auf Handeln) zurückgehen (Luhmann 1990a: 142, 146). 4. Wissenschaft als Umwelt des Rechtssystems In der analytischen Rechtstheorie begegnet Erkenntnis als ein kognitives Kontinuum. Sprache (oder bei anderer theoretischer und begrifflicher Präferenz: Kommunikation) wird als ein Medium begriffen, das in juristischen Argumentationskontexten auf Wahrheit hin „optimierbar“ ist. Das gilt insbesondere dann, wenn es sich um rechtsdogmatische oder rechtstheoretische Erörterungen handelt. Die Differenz von Recht und Wissenschaft wird zwar anerkannt, im Fortgang aber wird auf der Basis methodischer Erwägungen nach Möglichkeiten gesucht, diesen Unterschied soweit als möglich einzuebnen und Recht als Wissenschaft zu betreiben. Damit aber entsteht die Frage, wie spezifisch juristisches Wissen zustande kommt beziehungsweise ob und gegebenenfalls wodurch rechtliche Argumentationserfordernisse dieses Kontinuum von Recht und Wissenschaft unterbrechen. Das Konzept der semantischen Gehaltsarmut setzt eine Orientierung an wahrheitsfähigen Aussagen und damit an Wissenschaft voraus, ohne daß ein derartiger sprachphilosophischer Zugriff die Mittel bereitstellen könnte, um die Übertragung dieses Begriffs auf rechtliche Fragestellungen theoretisch noch vollumfänglich einfangen zu können. Zugleich impliziert die Problemformel „gehaltsarm“ eine methodische Forderung – die auch durch die aus den Entscheidungszwängen und dem Gleichheitssatz resultierenden Differenzen zwischen Recht und Wissenschaft nicht grundsätzlich in Frage gestellt wird –, nämlich eine Maximierung des Gehalts anzustreben und die in dogmatischen Argumentationszusammenhängen zugrundegelegten Begriffe in einem „empirisch gesättigten“ Sinne zu verwenden. Das ist ein Methodenpostulat, dessen Sinn zunächst unmittelbar einleuchtet, dessen prima-facieEvidenz sich aber bereits dann als begründungsbedürftig herausstellt, wenn man dem Recht nicht mehr ohne weiteres Wahrheitsfähigkeit zubilligt; und das schließlich im Rahmen einer rechtssoziologischen Analyse nicht mehr

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schlichtweg gesetzt werden kann. Rechtssoziologisch liegt die Aufgabe vielmehr darin, diese methodische Forderung selbst auf ihre Konsequenzen (oder, wie wir später sagen werden: ihre Funktion) hin zu untersuchen. Wir sind hingegen davon ausgegangen, daß Recht und Wissenschaft auf der Basis je eigenständiger Selektionsmodi informationell voneinander unabhängige „mögliche Welten“ konstruieren (vgl. Luhmann 1972a: 53). Unter Bedingungen funktionaler Differenzierung kommt es zu einer Auflösung des ehedem als unverbrüchlich gedachten Konnex von Referenz, Bedeutung und Wahrheit. Die Kognitionsprobleme, auf die diese Begriffe verweisen, müssen nun im Zusammenwirken von funktionssystemspezifischer Codierung und Programmierung gesucht werden (Luhmann 1997: 755). Etwaige gleichsinnige Verwendungen von Begriffen in Rechtstheorie und Wissenschaft verdanken sich dann nicht der Verankerung in einem gemeinsamen Möglichkeitshorizont von Recht und Wissenschaft, sondern treten zur vorauszusetzenden Reproduktion des eigenselektiven Horizonts des Rechts nur akzidentell hinzu. Die Orientierung an wissenschaftlich validierten Methoden, Theorien oder begrifflichen Abstraktionsleistungen ist ein Resultat sekundärer Strukturierungsleistungen des Rechts.39 Es könnte allerdings ein lohnendes Unterfangen sein zu untersuchen, welche Auswirkungen es auf die Erfüllung der Funktion des Rechtssystems und seine Strukturbildungen hat, wenn rechtliche Argumentationen versuchen, sich durch Orientierung an Wissenschaft Limitationalität zu verschaffen. a) Erleben und Handeln in Recht und Wissenschaft Bisher haben wir Recht und Wissenschaft nur hinsichtlich ihrer Erwartungsmodi verglichen. Das Recht pflegt einen normativen Erwartungsstil, während die Funktion der Wissenschaft eine kognitive Erwartungshaltung verlangt. Mit der Unterscheidung von Erleben und Handeln gewinnen wir aber eine weitere Möglichkeit, Gemeinsamkeiten und Differenzen herauszupräparieren. Die Funktion der Wissenschaft und, vermittelt durch diese, der kognitive Erwartungsmodus wissenschaftlicher Kommunikation finden ihre Entsprechung darin, daß die Informationsverarbeitung des Systems auf Erleben hin stilisiert wird. Aufgrund dieser Zurechnungskonstellation ist das Medium Wahrheit zugleich ein symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium. Damit wird ein erster Unterschied deutlich: das Rechtssystem kann kein symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium kennen, weil seine Funktion darin liegt, gleichsinniges Erleben und Handeln auch gegen 39 Man sieht dies schon daran, daß es zu dieser Ausrichtung Alternativen gibt. Zur Rolle funktionaler Äquivalente unten (Kap. V.) mehr.

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Enttäuschungserlebnisse abzusichern. Absicherung von Erwartungen gegen mögliche Enttäuschungen aber ist keine Frage des zukünftigen Kommunikationserfolgs, sondern ein Problem der Nachsorge.40 Gleichwohl gibt es, was die Zurechnungsrichtung betrifft, auffällige Gemeinsamkeiten zwischen Recht und Wissenschaft. Wie die Wissenschaft muß auch das Recht in erster Linie auf systemexterne Ursachen zurechnen – und das, obwohl die Kognitionsmodi von Recht und Wissenschaft grundlegend verschieden sind (nämlich im einen Fall kognitiv, im anderen normativ orientiert). Beide Systeme orientieren ihr Beobachten am Erleben ihrer Umwelt. Die Wissenschaft erlebt ihre Umwelt und reagiert auf nicht erwartungskonformes Erleben mit einer Änderung ihrer Erwartungsstrukturen. Auch das Recht schreibt, jedenfalls verlangt das die konditionale Programmform, seine Zustandsänderungen auf die Umwelt zu. Konditionalprogramme erfordern eine grundsätzlich passive Einstellung, um zu ermitteln, ob die Bedingungen, die eine Rechtsfolge auszulösen vermögen, vorliegen oder nicht. Beide Systeme fertigen also Beschreibungen von Ausschnitten ihrer Umwelt an; ein Unterschied ist zunächst nur hinsichtlich des Modus der Abwicklung enttäuschter Erwartungen auszumachen.41 Allerdings entsteht der Kognitionsbedarf im Rechtssystem aus anderen Gründen als im Wissenschaftssystem. Das Streben nach „Wissen“ ist im Rechtssystem nicht Selbstzweck, sondern es entsteht aus Anlaß (potentiell) entscheidungsbedürftiger Fälle. Rechtskommunikationen weisen also immer auch einen Entscheidungsbezug auf – und Entscheidungen sind unverkennbar Handlungen. Die Entscheidung relationiert den Fall mit der Rechtsregel und mit anderen gewesenen (und eventuell auch mit möglichen) Fällen. „Man hat also nicht einfach eine eventuell auslegungsbedürftige Regel anzuwenden, sondern hat zu entscheiden, ob man unterscheiden will oder nicht; und man hat diese Entscheidung zwischen Unterscheidung und Nichtunterscheidung zu begründen“ (Luhmann 1993a: 365, Hervorh. dort). Damit sieht man sich vor die Frage geführt, wie die an der Input-Grenze des Systems orientierte Informationsverarbeitung und der Zwang zur Ent40 Dies (mit einiger Vorsicht) gegen Göbel (2000, 81, Fn. 108), der die Nichterwähnung eines symbolisch generalisierten Kommunikationsmediums im Recht für theoretisch inkonsistent hält. Diese Nichterwähnung ist aber meines Erachtens deswegen konsequent, weil das Recht sich dem für die Kommunikationsmedien konstitutiven Problem der Erhöhung der Annahmewahrscheinlichkeit von Kommunikationszumutungen gar nicht gegenübersieht. 41 Diese grundsätzlich passive Einstellung gegenüber der Umwelt hat aber im Recht andere Gründe als in der Wissenschaft. Das Rechtssystem handelt nicht, sondern erlebt nur, da Erleben wesentlich geringere kognitive Anforderungen stellt, als alle Versuche, gegenüber der Umwelt manipulativ tätig zu werden (Luhmann 1974c: 26 f.).

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scheidung zusammenzudenken sind, wie also Erleben und Handeln zusammenspielen.42 Obwohl das Recht grundsätzlich durch Konditionalprogrammierung und folglich durch einen erlebensorientierten Kognitionsmodus gekennzeichnet ist, kann auch Handlungsorientierung in verschiedener Weise in den Strukturen des Rechts „abgebildet“ werden. Die Differenz von Erleben und Handeln läßt sich grundsätzlich – noch vor aller rechtlichen Konditionierung – auf die beiden Programmtypen des Konditional- und des Zweckprogramms verteilen. Zweckprogramme zielen – immer mit Blick auf mehr oder weniger scharf umrissene Situationen (Randbedingungen) – darauf ab, bestimmte Wirkungen zu erreichen, indem sie den Einsatz dazu geeigneter Mittel verlangen. Da es in aller Regel aber mehr als ein Mittel gibt, um einen bestimmten Zweck zu verfolgen, muß eine Entscheidung darüber gefällt werden, welches der denkbaren Mittel man heranzieht. Man kann zu diesem Zweck zwar erwartbare Nebenfolgen mit im Blick halten, um den Optionsspielraum zu verkleinern; das aber heißt nicht, daß damit das Problem, daß Kausalität auf mehrere Möglichkeiten verweist, grundsätzlich eliminiert werden könnte. Zweckprogramme bedürfen immer einer Entscheidung. Entscheidungen aber sind Handlungen. Durch den Situationsbezug werden die Zweckprogramme stark vom Zeitpunkt ihrer Anwendung abhängig. Ein Mittel, welches sich zu einem bestimmten Zeitpunkt als geeignet zur Erreichung eines bestimmten Ziels erweist, mag schon wenig später seine Wirkmächtigkeit – sei es absolut, sei es im Vergleich mit anderen Mitteln – eingebüßt haben. Zweckprogramme sind daher zeitlich betrachtet instabil. Das Konditionalprogramm dagegen sorgt mit seiner Fixierung von Auslösebedingungen dafür, daß die Entscheidung gegenüber dem Faktor Zeit weitgehend indifferent gesetzt wird (Luhmann 1964b; 1968b: 101–106; 1983b: 88). Aufgrund der engen Bindung der konditionalen Programmierung an die Funktion des Rechts können Zweckprogramme im Rechtssystem nur eine sekundäre Rolle spielen. Auch das Problem der Konditionierung gehaltsarmer Rechtssätze liegt im Bereich von Konditionalprogrammen. Es verdankt sich der Tatsache, daß Konditionalprogramme zwar Auslösebedingungen statuieren, die beim Vorliegen bestimmter Sachverhalte notwendig eine Rechtsfolge nach sich ziehen, daß damit aber keineswegs ausgeschlossen ist, daß Konditionalprogramme unbestimmte rechtliche Ausdrücke enthalten können. Dabei fällt zunächst auf, daß eine Entscheidung, die sich strikt deduktiv begründen läßt, weil die relevanten rechtlichen Ausdrücke keinen Bedarf 42 Luhmann (1974c: Kap. III) bedient sich hier noch der älteren Terminologie offener Systeme: soweit das System erlebt, orientiert es sich an dem, was es für seine Input-Grenze hält; soweit es handelt, produziert es Output.

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an einer semantischen Interpretation erkennen lassen, im strengen Sinne überhaupt keine Entscheidung ist.43 Betrachtet man Konditionalprogramme vor dem Hintergrund der Notwendigkeit, zwischen gleichen und ungleichen Fällen zu unterscheiden, dann fungieren die genannten Bedingungen als hinreichende positive Kriterien der Begründung einer Ungleichbehandlung (Podlech 1971: 106, 118). Wer sich gemäß der Norm verhält, hat ein Recht darauf, anders behandelt zu werden als derjenige, der das nicht tut. Ein Moment der Handlung kommt in juristischen Argumentationen also erst dann ins Spiel, wenn entweder über Ungleichbehandlungen anders als mit Verweis auf Konditionalprogramme entschieden werden muß oder aber wenn die in Konditionalprogrammen enthaltenen Ausdrücke auslegungsbedürftig sind, so daß das Konditionalprogramm nicht mehr in quasi-algorithmischer Manier „entscheidungsauslösend“ wirken kann. Hier erst erlangt denn auch das Verhältnis von Rechtssatz und Zweck mögliche Relevanz. Genau diese Schwierigkeit entsteht im Falle der Grundrechtsauslegung – eine Schwierigkeit, die in analytischer Terminologie als Gehaltsarmut markiert wird und die im Kontext rechtlichen Entscheidungsbedarfs zu einem Problem der Gehaltszuführung wird. Die Unterscheidung von internaler und externaler Zurechnung versetzt uns in den Stand, die Differenz von Freiheit und Wert und die unterschiedlichen Argumentationsstile, die sich den beiden Seiten dieser Differenz zuordnen lassen, auf ihre Konsequenz für das (ihre „Passung“ mit dem) Rechtssystem „abzuklopfen“. Die Stilisierung der Grundrechte zu Werten betont die Notwendigkeit von Handlung schon zur Entscheidungsvorbereitung. Der semantischen Gehaltsarmut wird durch Präferenzbildung begegnet. Die Betonung des Handlungsaspekts ist zumal dann unvermeidlich, wenn den Grundrechten als Werten keine grundgesetzliche Wertrangordnung entspricht.44 Werden Grundrechte als Werte interpretiert, dann wird die Norm final gedeutet – es kommt zu einem re-entry von Zweckerwägungen in das Konditionalprogramm. Wer dagegen auf einem abwehrrechtlichen Verständnis der Grundrechte insistiert, das nach verbrei43 So jedenfalls das paradoxale Diktum Heinz von Foersters (1992: 14, Hervorh. dort), dem zufolge gilt: „Only those questions that are in principle undecidable, we can decide.“ Man muß dies vor dem Hintergrund eines differenztheoretischen Begriffs der Entscheidung lesen: eine Entscheidung ist eine Operation, die sich als Auswahl einer Alternative aus einer Alternativenmenge beobachten läßt, die also einen offenen Möglichkeitshorizont in einen geschlossenen überführt. Dabei muß man berücksichtigen, daß nur unter der Bedingung, daß ausgewählt wird, überhaupt ein Auswahlhorizont zustande kommt. Eine Entscheidung ist demnach die Einheit der Differenz von Alternativenmenge und gewählter Alternative (Luhmann 1984: 402 f.; 1993c: 288–292). Deswegen kann man sagen, daß vollständig programmierten „Entscheidungen“ der Entscheidungscharakter fehlt. 44 Nur vor dem Hintergrund einer Wertrangordnung könnten Werte noch gleichsam erfahren und deduktiv genutzt werden.

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teter Auffassung mit der Notwendigkeit sorgfältiger Sachverhaltsermittlung einhergeht, will juristisches Entscheiden in Grundrechtsfragen soweit als möglich an Erleben binden. Die analytische Jurisprudenz optiert daher für eine Orientierung an Wissenschaft. In einem sehr allgemeinen Sinne heißt dies, daß wissenschaftlich validierte Methoden als Auslegungsprogramme fungieren sollen. Wenn man dieses Postulat grundsätzlich akzeptiert und wenn es überdies richtig ist, daß das Bild, welches sich das Verfassungsrecht von der Realität macht, mit der es zu tun hat, in starkem Maße von den Begriffen abhängt, die ihm zur Verfügung stehen, dann bietet sich die Explikation zentraler Begriffe als Reaktion auf das Problem der Gehaltsarmut grundrechtlicher Sätze an. Jedenfalls könnte in einer derartigen Methodenentscheidung das Potential liegen, die Erlebensorientierung der Wissenschaft auch zur Leitlinie der Auslegung von verfassungsrechtlichen Materien zu machen. b) Deduktives Begründen als Form der „Redundanzmaximierung“ im Rechtssystem Es geht bei der Differenz von Freiheit und Wert und bei der Frage, ob juristische Argumentationen eher in Erleben oder eher in Handeln zu verankern sind, letztendlich um unterschiedliche Möglichkeiten, Selbst- und Fremdreferenz aufeinander zu beziehen. Die Unterscheidung von Selbstreferenz und Fremdreferenz setzt normative Schließung voraus und erlaubt es auf dieser Grundlage zu fragen, wie das Rechtssystem die Differenz von System und Umwelt auf Beobachtungen umsetzt. Daß im Rechtssystem normative Erwartungen gehegt werden, muß als Konstante unterstellt werden; wie aber das System im einzelnen Informationen über sich selbst und seine Umwelt „einholt“ und wie System und Umwelt dabei miteinander relationiert werden, ist variabel und damit eine grundsätzlich empirisch zu beantwortende Frage. Die Vermittlung von selbstreferentieller und fremdreferentieller Orientierung erfolgt im Rechtssystem über Konditionalprogramme. Sie sorgen dafür, daß das Rechtsystem zugleich normativ geschlossen und kognitiv offen ist. Jede kognitive Einstellung (Fremdreferenz) ist einem vorauszusetzenden normativen Kontext (Selbstreferenz) nachgeordnet.45 Die Informationsgewinnung im Rechtsystem muß zwar mit Blick auf die Umwelt des Rechts45 Die (rechtstheoretische) Begründung liefert Wro ´ blewski (1974: 40): Es ist keine Rechtsregel vorstellbar, die den Gebrauch von Konditionalprogrammen als Regeltyp untersagt, während andere Argumentationstypen – etwa der Rückgriff auf Analogiebildungen in bestimmten Rechtsgebieten – sehr wohl ausgeschlossen werden können.

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systems erfolgen, aber die Relevanzkriterien, die darüber befinden, was als Unterschied, der einen Unterschied macht, in Frage kommt, werden von einem Zusammenhang jeweils relevanter Normen vorgegeben (Luhmann 1993a: 77–84). Konditionalprogramme grenzen einen Bereich möglicher Fakten ab; sie legen aber nicht fest, ob derjenige Sachverhalt, der als Auslösebedingung für die Rechtsfolge fungiert, vorliegt. Entsprechend liegt es nahe, eine weitere Form der internen Repräsentation von Selbst- und Fremdbezug in der Differenz von Normen und Fakten zu sehen. Diese Differenz orientiert sich, anders als die Unterscheidung von normativ geschlossen und kognitiv offen, nicht an der Funktion des Rechts, sondern sie entsteht mit Blick auf Fragen der Zuweisung der Codewerte (Luhmann 1993a: 84–92). Schließlich kann man beobachten, daß das System über die Unterscheidung von System und Umwelt auch noch auf einer Ebene disponieren können muß, die schon auf Unsicherheiten im Umgang mit Texten und die daraus resultierenden Schwierigkeiten bei der Zuteilung der Codewerte reagiert. Auf dieser höherstufigen Beobachtungsebene werden Gründe in Anschlag gebracht. Gründe dienen dazu, die Möglichkeiten des Analogisierens und Unterscheidens im Rechtssystem zu regulieren. Rechtskommunikationen, die sich dieser Funktion zuordnen lassen, kann man auch als juristische Argumentationen bezeichnen. Um zu vermeiden, daß die im Rechtssystem zwar wirksame, aber auch weithin ungeklärte Rede von Begründung nicht zur Bestimmung des Argumentationsbegriffs herangezogen wird, schlägt Luhmann (1993a: 348–352) vor, die Definition nur auf solche Begriffe zu stützen, die selbst in rechtlicher Hinsicht nicht begründungsrelevant werden können. „Wir formulieren den Begriff der Argumentation dann ganz unabhängig von der Frage, wie gut ihre Gründe sind, mit Hilfe von drei Unterscheidungen, nämlich (1) Operation/Beobachtung; (2) Fremdbeobachtung/Selbstbeobachtung; und (3) strittig/unstrittig. Juristische Argumentation ist demnach eine Kombination von jeweils einer Seite dieser Unterscheidungen, und zwar die Selbstbeobachtung des Rechtssystems, die in ihrem rekursiv-autopoietischen Kontext auf vergangene bzw. antezipierte Meinungsverschiedenheiten über die Zuordnung der Codewerte Recht bzw. Unrecht reagiert.“ (Luhmann 1993a: 351)46

Es geht also bei juristischen Argumentationen immer auch um den Umgang mit (möglichem) Dissens im Rechtssystem. Dissens ist ein Ausdruck für Unsicherheit im Rechtssystem, und Argumentationen limitieren diese Unsicherheit, indem sie mögliche Anknüpfungspunkte für zukünftiges Argumentieren vorgegeben. Informationstheoretisch betrachtet liegt damit die Funktion von Argumentation in der Herstellung von Redundanz (Luhmann 46

Vgl. auch die leicht abweichende Definition in Luhmann (1995b: 20).

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1986c: 33–38). Die Gründe, auf die rekurriert wird, um strittige Fragen zu entscheiden, können dabei schwerpunktmäßig mit Blick auf das System oder eher mit Blick auf die Umwelt des Systems gewonnen werden. Soweit sich eine Argumentation selbstreferentiell ausrichtet, suchen die Begründungen Halt zum Beispiel an Texten (nicht zuletzt an Präjudizien), an „Auslegungsmethoden“ oder an Beweislastregeln. Derartige formale Argumente unterbinden die Orientierung an sachlichen Begründungen und dienen dazu, das System vor einer umweltinduzierten Komplexitätsüberlast zu bewahren, die seine Entscheidungsfähigkeit beeinträchtigen könnte. Gleichwohl muß die Umwelt auch auf argumentativer Ebene Berücksichtigung finden. In fremdreferentieller Einstellung berücksichtigt das System Umweltrelevanzen, namentlich „Erwägungen [. . .], die auch außerhalb des Systems Anerkennung finden“ (Luhmann 1993a: 393). Man erkennt dann, wie sich das Rechtssystem die Unterscheidung von System und Umwelt im Rahmen seiner Begründungspraxis intern verfügbar hält: formale Argumentationen lassen sich von Begriffen leiten, während substantielle Argumentationen auf Interessen abstellen;47 Begriffe und Interessen weisen unterschiedliche Wege der Begründung von Entscheidungen (Luhmann 1990c: 10–12; 1993a: 376, 393–400). Es fällt nicht ganz leicht, die Differenz zwischen einem liberal-abwehrrechtlichen und einem wertorientierten Grundrechtsverständnis auf diese Unterscheidung von formalem und substantiellem Argumentieren zu beziehen. Man machte es sich jedenfalls zu einfach, brächte man die Differenz von Freiheit und Wert mit der Unterscheidung von Begriff und Interesse zur Dekkung. Die Wertejudikatur versucht nun einerseits durch den Verweis auf eine Wertrangordnung eine gleichsam selbstbezügliche Selbstgenügsamkeit herzustellen, greift aber, weil es die dafür notwendigen stabilen Rangverhältnisse zwischen den Grundrechten nicht gibt, auf methodisch nicht kontrollierte Werturteile (also Interessen) zurück. Abwehrrechtliche Konzeptionen der Grundrechte gehen dagegen von vornherein davon aus, daß das Recht sich auf Realität verwiesen sieht, wenn es in Fragen des Grundrechtsschutzes Entscheidungen zu fällen hat. Die Gehaltsarmut der Grundrechte verlangt geradezu eine „Öffnung“ hin zur sozialen Wirklichkeit. Beide Grundrechtsverständnisse kommen also nicht ohne eine starke fremdreferentielle Orientierung aus – nur wird diese in je völlig anderer Weise ausgestaltet. Soweit sich die Verfassungsrechtsdogmatik an Einsichten aus Methodenlehre und Wissenschaftstheorie orientiert, löst sie das Problem der fremdre47 Das Kernproblem des Bezugs auf Interessen liegt darin, daß ihre Relevanz nicht selbst-evident ist, sondern daß gerade im Fall von „kollidierenden Rechtsgütern“ diese in Rangrelationen von vorzuziehenden und zurückzustellenden Interessen gebracht werden müssen.

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ferentiellen Einstellung durch Verweis auf Wissenschaft. Das Recht begreift die Wissenschaft als strukturierte Umwelt seiner selbst und macht sich deren Kognitionsmuster zunutze. Die Fremdreferenz des Rechtssystems wird regelrecht mit Blick auf Wissenschaft maximiert, zugleich aber durch ein spezifisches Verständnis von Wissenschaft, welches in einem restriktiven Wahrheitsverständnis gründet,48 wieder stark eingeschränkt. So dient auch der Vorschlag, den Schutzbereich von Grundrechten durch theoretisch geführte Begriffsexplikationen zu bestimmen, dem Zweck, die Grundrechtsauslegung dadurch unter Kontrolle zu bringen, daß das juristische Entscheiden trotz aller zugestandenen sprachlichen Unschärfen auf Erleben hin getrimmt wird. Das eigene Begründen und Entscheiden soll Halt finden in der Orientierung an demjenigen System – eben Wissenschaft –, welches das Erleben von Sachverhalten zu seiner kognitiven Leitmaxime gemacht hat. Und auch die Formbildungen im Wahrheitsmedium werden schließlich in entscheidender Weise von der begrifflichen Anlage her gesteuert. Die Stoßrichtung ist klar: es geht darum, die Entscheidungsprämissen so zu präparieren, daß man sich der Leitvorstellung deduktiven Begründens (Koch 1980), soweit es eben möglich ist, wieder annähert. Das Gleichheitspostulat des Rechts wird also in der analytischen Jurisprudenz an die Generalisierungsleistung der Wissenschaft zurückgebunden, was im Umkehrschluß bedeutet, daß die Handelnsorientierung, die in der Wertejurisprudenz angelegt ist, zurückgedrängt werden muß. Seinen „Grund“ findet dieses Vorgehen darin, daß die konditionale Form der Rechtsnorm geradezu verlangt, daß ihr Gehalt in empirischer Einstellung bestimmt wird.49 Wer dagegen auf der Grundlage von Werten argumentiert, bringt schon in die Bestimmung des Schutzgutes eigene Vorverständnisse ein, die nicht auf „intersubjektive“ Anerkennung rechnen können. Außerdem tangiert die Interessenorientierung der Wertejurisprudenz auch die Argumentationslastverteilung, was an der Betonung „pflichtgemäßen“ Grundrechtsgebrauchs abgelesen werden kann. Die fdGO wird in diesem Rahmen auf einen Zweck hin ausgedeutet, und damit tritt neben das Ziel des Schutzes der Freiheit des Individuums ein konkurrierender Zweck, nämlich „gesellschaftliche Integration“. Die Wertekollision wird dann im Wege der Güterabwägung auf48

Zum Beispiel demjenigen des Kritischen Rationalismus. Wenn also, wie bei Schlink (1980), auf allgemeine Bedingungen der Erkenntnis abgestellt wird, dann erfolgt die Entparadoxierung des Rechts mit Blick auf methodische Vorgaben, die auch im Wissenschaftssystem Bestand haben. Da es aber gemäß der hier vertretenen Position solche Bedingungen jeder Erkenntnis nicht geben kann, weil auch die Wissenschaft nur eine mögliche Form der Relationierung von Sinn und Welt darstellt (van Reijen 1979: 323), muß dieser Vorschlag anders gelesen werden, nämlich als ein invisibilisiertes re-entry der Differenz von Recht und Wissenschaft in das Recht. 49

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gelöst. Wenn aber schon in die Prämissen ein Widerspruch eingebaut wird, ist de facto jede Deduktion möglich. Das aber bedeutet, daß die „Entscheidung über den Sinn der Grundrechte“ in der Schwebe bleibt und man auf informationelle Redundanz weitgehend verzichtet (Luhmann 1965b: 59).50 Freiheit und Wert, so kann man zusammenfassen, sind unterschiedliche Formen der Entparadoxierung der fdGO. Die beiden dogmatischen Entparadoxierungsstrategien sind in ihren Konsequenzen in terminis von Fremdund Selbstreferenz nicht ausreichend zu erfassen, da beide vornehmlich fremdreferentiell argumentieren. Die Konsequenzen dieser unterschiedlichen dogmatischen Entparadoxierungsstrategien lassen sich aber dann recht gut beschreiben, wenn man sie auf zwei weitere Differenzen abbildet, nämlich auf Handeln und Erleben sowie Varietät und Redundanz. Betrachtet man Grundrechte als auf Wertentscheidungen gegründete Grundsatznormen, so impliert dies erstens einen „bestimmten normativen Gehalt, der auf Verwirklichung drängt; sie sind nicht negatorisch, sondern auf Handeln, auf Schutz dieser Gehalte angelegt“ (Böckenförde 1990: 12). Argumentationspragmatisch betrachtet fungiert ein „Wert“ also als „Gesichtspunkt der Bevorzugung von Handlungsfolgen und damit von Handlungen“ (Luhmann 1965b: 214), während das subjektivrechtliche Grundrechtsverständnis trotz 50 In kaum zu überbietender Schärfe Luhmann (1993a: 398): „Verfassungsrechtlich ist sie [die Interessenabwägung, R. N.] bedenklich, wenn nicht schlicht verfassungswidrig. Denn aus den Wertungen der Artikel 1–3 folgt, daß der Richter Interessen als gleichrangig ansehen muß, sofern nicht das Recht selbst (und eben nicht: er selbst!) unterschiedliche Bewertungen für Konfliktfälle vorsieht. Die Formel ‚Interessenabwägung‘ ist, anders gesagt, kein geltendes Recht. Sie bezieht sich auf die Probleme der Sachverhaltserfassung, nicht jedoch auf die rechtliche Begründung der Entscheidung. Sie liegt anders gesagt, voll im Fremdreferenzbereich des Systems und leistet das nicht, was von jeder Entscheidung verlangt werden muß: die Vermittlung von Fremdreferenz und Selbstreferenz. Der Übergang von Interessenjurisprudenz zur Wertungsjurisprudenz und von der Interessenabwägung zur Güterabwägung trägt dieser Kritik zumindest insofern Rechnung, als die Wertung nicht den Interessen entnommen werden darf, sondern vom Richter auf Grund von Rechtsvorschriften selbst ermittelt werden muß. Oder vielleicht sollte man sagen: ermittelt werden müßte; denn die Rechtspraxis ist bei der Ermittlung von Wertungen des Rechts für den Fall von Wertkonflikten regelmäßig überfordert und dann doch wieder darauf angewiesen, sich an Interessen zu orientieren. Andererseits findet man nun eine formelhalfte Verbalisierung solcher Wertungen, die nicht nachprüfbar ist, ein nicht weiter begründetes Hantieren mit Abschreckungsbegriffen (‚Sozialschädlichkeit‘ zum Beispiel) und ein sehr rasches Abbrechen von Systemargumenten, insbesondere von bemühten Versuchen, Figuren, die die Rechtsdogmatik zur Verfügung stellt, den angestrebten Ergebnissen neuartiger Fallentscheidungen anzupassen. Auch wird ‚substantiell‘ Rationalität üblicherweise mit Bezug auf gesellschaftlich akzeptable Wertungen definiert. Die rhetorische Komponente in den Entscheidungsbegründungen nimmt zu. Es paßt zum ‚demokratischen‘ Stil von Politik, daß man versucht zu gefallen.“

4. Wissenschaft als Umwelt des Rechtssystems

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aller Konkretisierungsnotwendigkeiten auf der konditionalen Struktur der Freiheitsrechte insistiert. In diesem Sinne kann die Argumentationslastverschiebung, die mit der dogmatischen Umstellung von Freiheit auf Wert (oder Pflicht) einhergeht, auf die grundlegendere Differenz von Erleben und Handeln zurückgeführt werden. Diese Umorientierung läßt sich aber auch informationstheoretisch einordnen: ein Wert wird auch dann weiterhin für wertvoll gehalten, wenn die intendierten Handlungsfolgen nicht eintreten oder der Wert zugunsten anderer Werte (mithin: anderer Handlungsfolgen) zurücktreten muß; in dieser lernunwilligen Einstellung, die charakteristisch ist für kontrafaktisch stabilisierte Erwartungen, unterscheidet er sich nicht von Rechtsnormen; ein Unterschied wird erst dann sichtbar, wenn man berücksichtigt, daß Werte den Fall-, Konditionalprogramme aber den Regelbezug betonen, mit dem Ergebnis, daß jene im Vergleich mit diesen über das niedrigere Generalisierungspotential verfügen. Das liberal-abwehrrechtliche Interpretationsprogramm verfolgt, in informationstheoretischer Terminologie ausgedrückt, die Zielsetzung, durch methodische und begriffliche Kontrolle die redundanten Anteile der dogmatischen Argumentation zu maximieren; werden die Grundrechte hingegen auch oder vordringlich als objektive Grundsatznormen betrachtet, so entspricht dem ein juristisches Argumentieren, welches – indem es die Werthaltigkeit der Grundrechte und daraus sich ergebende Fragen des „konkordanten“ Ausgleichs zwischen ihnen betont – eher auf Varietät setzt (Luhmann 1993a: 400).

VI. Die funktionale Methode Wenn es richtig ist, daß rechtliche und wissenschaftliche Kommunikationen je autonome Sinnhorizonte konstituieren, die nicht ineinander übergeführt werden können, so zwingt dies dazu, sich der Frage anzunehmen, wie Paradoxien unter derartigen polykontexturalen Bedingungen zu behandeln sind. Auch bei der Untersuchung von Kommunikationszusammenhängen, die mit Paradoxien durchsetzt sind, ist darauf zu achten, daß jederzeit erkennbar bleibt, welchen Beschränkungen man sich dabei unterwirft oder nicht unterwirft. Es gehört zu den Ermöglichungsbedingungen jeder sachhaltigen Analyse auf systemtheoretischer Grundlage, zu klären, welche Systemreferenz man ansteuert. Paradoxien haben die Eigenschaft, in dem Kontext, in dem sie auftreten, „normales“ (soll heißen: konsistentes) Beobachten zu inhibieren. Die Tatsache, daß die fdGO in der dogmatischen Literatur immer wieder mit paradoxiehaltigen Formulierungen umschrieben wird, kann in diesem Sinne als Anhalt dafür genommen werden, daß es ihr nicht gelingt, einen kontrollierten Zugriff auf die entscheidungsbedürftigen Fälle herzustellen. Das kommt zum Beispiel darin zum Ausdruck, daß sich alle begrifflichen Entscheidungen, die sich als Entfaltung der Ursprungsparadoxie begreifen lassen, sozusagen selbst reparadoxieren. Man bedient sich bestimmter Unterscheidungen – etwa der Unterscheidung von Freiheit und Wert –, die nicht geeignet sind, den Blick auf ihre eigene Einheit – die sich als Einheit aber gerade nicht fassen läßt – unnötig erscheinen zu lassen. So bleibt es bei einer Situation, in der die Dogmatik gleichsam vor diesem „schlecht formulierten“ Problem verharrt, einer Situation, in der sie keinen sicheren Grund findet, von dem aus sich eine „sachgerechte“ und argumentativ konsistente Dogmatik entwickeln ließe. Deswegen liegt der Schluß auf die Vermutung nicht allzu fern, daß an dieser Stelle die systemische Differenzabtastungskapazität nicht hinreicht, um konsistentes Fortsetzen zu gewährleisten. Paradoxien können in diesem Sinne als Indikatoren für eine „Störung“ der Informationsverarbeitung betrachtet werden. Die Formanalyse enthüllt, daß und wie sich das Beobachten (gerade auch in seinen Versuchen, die Paradoxie aufzulösen) in eine Oszillation zwischen den beiden Seiten der Unterscheidung verstrickt. Es gelingt dem System nicht, aus der Paradoxie argumentativ verwertbare Prämissen abzuziehen; zugleich bleiben auch die Gründe für das scheinbar unentrinnbare Scheitern aller juristischen Argumentationsbemühungen im Dunkeln (vgl. Luhmann 1993d: 246).

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Die Systemtheorie faßt Paradoxien zunächst schlicht als empirisches Vorkommnis auf, als Resultat von Beobachtungsmustern, die von einem bestimmten (und bestimmbaren) Beobachter eingerichtet werden. Im Falle der fdGO ist dieser Beobachter das Rechtssystem der modernen Gesellschaft. Die Wissenschaft kann es allerdings bei der Diagnose, daß dieser Beobachter am Objekt seines Beobachtens „scheitert“, nicht bewenden lassen (Luhmann 1993d: 255). Die Systemtheorie nimmt die Paradoxie und die damit einhergehende Irritation der Unterscheidungspraxis, die auch als Ausdruck von Erwartungsunsicherheiten gelesen werden kann, als Indikator für ein Problem. Von Paradoxien wird aber nicht nur angenommen, daß sie ein Problem anzeigen, sondern auch, daß sie dieses Problem zugleich verstellen (invisibilisieren). Und von einem Problem ist dabei nicht nur insoweit die Rede, als Fragen „konsistenten“ Unterscheidungsgebrauchs berührt sind, vielmehr wird die weitergehende These aufgestellt, daß eine Verbindung zwischen der paradoxieinduzierten Verunsicherung des Beobachtens und gesellschaftsstrukturellen Problemlagen hergestellt werden kann (Luhmann 1991d; 1993d).1 Paradoxien sind in diesem Sinne Unterschiede, die keine Unterschiede machen – und nur als solche machen sie dann für die Wissenschaft einen Unterschied (vgl. Esposito 1991: 38, 47). Das aber können sie nur, wenn es gelingt, die identifizierte Paradoxie auf andere Unterschiede zu beziehen. Jede wissenschaftliche Analyse sieht sich aufgefordert, Abstand zwischen sich und den Beobachter, den sie beobachtet, zu bringen (Luhmann 1993d: 255). In diesem Sinne begreifen wir die Paradoxie als das, „was der Fall ist“; wir fragen aber zugleich nach dem, „was dahinter steckt“ (Luhmann 1993d). Die ungreifbare Einheit einer paradoxalen Differenz wird als Faktum gedeutet, hinter dem sich anderes verbirgt, das von (wissenschaftlichem) Interesse sein könnte. Den Ansatzpunkt, um dieses andere sichtbar zu machen, bildet die Differenz von Paradoxie und Paradoxieentfaltung (Luhmann 1991d: 72; 1993b: 201 f.). Es müssen Formen der Paradoxieentfaltung gewonnen werden, die von denen abweichen, die „im Gegenstand“ zur Anwendung kommen. Die Vermutung, daß Paradoxien und erwartungsstrukturelle Fragestellungen aufeinander bezogen werden können, erlaubt es, die Tatsache, daß das Recht nicht sieht, was es nicht sieht, und daß es das nicht sieht, in eine (rechts-)soziologische Fragestellung umzuarbeiten. Die mit Paradoxien einhergehenden Irritationen können in diesem Sinne als Abstoßpunkt für sachhaltige Analysen dienen (Luhmann 1993d: 246).

1 Diese Annahme läßt sich nicht vollständig, aber doch insoweit begründen, als Kommunikation (also: Unterscheidungsgebrauch) die Letzteinheit des Sozialen ist.

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VI. Die funktionale Methode

1. Die funktionale Methode als Differenzabtastungsinstrument Eine sehr spezielle alternative Möglichkeit der Paradoxieentfaltung ist die funktionale Methode. Die funktionale Analyse und der Paradoxiebegriff treffen sich im Problem der Informationsverarbeitung. Während Paradoxien mit Blick auf die Informationsgewinnung in einem System ein Problem darstellen, weil sie eine kontrollierte Differenzabtastung jedenfalls erschweren, bietet sich mit der funktionalen Methode eine wissenschaftliche Option, um das Beobachten wieder mit Führung auszustatten. Die funktionale Methode bringt die Differenzabtastung in eine besondere Form, indem sie die Bedingungen spezifiziert, die Unterschiede einen Unterschied machen lassen (Luhmann 1984: 83). Sie bildet damit das Verbindungsstück zwischen der beobachtungstheoretischen Deutung von Paradoxien (Formanalyse) und ordnungstheoretischen Fragestellungen. Alle Versuche, die fdGO (als Einheit) zu explizieren, das heißt in Unterscheidungen zu zerlegen, machen sie als unexplizierbares Phänomen sichtbar, welches in einer paradoxen Differenz gründet. Die Paradoxie ist Ausdruck der Tatsache, daß es nicht gelingt, die Identität der fdGO und die darin mitgeführten Sinnverweisungen derart anschlußfähig in Differenzen zu zergliedern, daß sie juristisches Argumentieren in konsistenter Weise zu ordnen vermögen (vgl. Luhmann 1962: 639). An solchen Punkten unzureichend restringierter Anschlußmöglichkeiten setzt die funktionale Methode an. Sie ist ein Differenzabtastungsinstrument, welches die Informationsverarbeitung diszipliniert, das heißt unter Limitationszwang setzt, indem nach Maßgabe der Differenz von Problem und Problemlösung beobachtet wird. Beugt man sich den Einschränkungen, die dieses Schema dem Beobachten auferlegt, dann macht ein Unterschied nur dann einen Unterschied, wenn es gelingt, ihn mit Blick auf einen anderen sozialen Sachverhalt, der als Problem fixiert wird, als Lösung zu deuten. Probleme existieren also immer nur als schon gelöste Probleme. Ein Problem kann nur dann als Problem sichtbar gemacht werden, wenn man davon ausgeht, daß es eine Lösung gibt, die bestimmte Sinnkonfigurationen als Erwartungen auf Dauer stellt. Entscheidend ist für diese Form der Analyse mithin, daß Erwartungsstrukturen funktional gedeutet werden. Der soziale Sachverhalt fdGO, der in seinem „Ursprungskontext“ zu paradoxen Beschreibungen führt, wird in ein Problem sozialer Ordnung umgedeutet. a) Funktion und Kausalität Mit dieser Relationierungstechnik reagiert die funktionale Methode zugleich auf zwei Probleme, die bei der Analyse sozialer Phänomene virulent

1. Die funktionale Methode als Differenzabtastungsinstrument

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werden. Zum einen begegnen bekanntlich erhebliche Schwierigkeiten, wenn man versucht, im Bereich sozialer Phänomene stabile kausalgesetzliche Beziehungen zu identifizieren. Die klassische Kausalerklärung sucht nach eindeutigen Beziehungen zwischen einer Ursache und einer Wirkung. Allerdings kann ein gesetzesförmiger Zusammenhang – wenn überhaupt – nur über weitreichende ceteris paribus-Annahmen gerettet werden, weil jede Ursache Verschiedenes bewirken kann und jede Wirkung auf unterschiedliche Ursachen zurückführbar ist. Die Schwierigkeiten, auf die man stößt, wenn man versucht, Beschreibungsleistungen auf invariante Beziehungen zwischen sozialen Phänomenen zu gründen, hängen – neben den Problemen bei der Stabilisierung von Antecedensbedingungen – nicht zuletzt damit zusammen, daß das Kausalschema im Gegenstandsbereich wieder vorkommt. Kausalität fungiert nicht nur in der wissenschaftlichen, sondern auch in der alltagsweltlichen Kommunikation als regulatives Sinnschema, ist also innerhalb dieses Selektionsbereichs selbst selektiv wirksam (Luhmann 1962: 617–629; 1968b: Kap. 1.2).2 Auch die funktionale Analyse kann nicht auf das Kausalschema verzichten. Allerdings büßt die Unterscheidung von Ursache und Wirkung den Status einer analytischen Leitdifferenz zugunsten des Schemas von Problem und Problemlösung ein. Damit wird in Rechnung gestellt, daß es sich eben auch bei Kausalität nur um ein Beobachtungsschema handelt. Man erkennt dann die Relation, die eine Kopplung zwischen zwei Sachverhalten herstellt, nicht mehr in einer stabilen Korrelation oder gar einer ontologisch verstandenen „Ursächlichkeit“, sondern in der Neigung bestimmter Faktoren, zur Existenz bestimmter Sachverhalte beizutragen, deren Abwesenheit als ein lösungsbedürftiges Problem ausgezeichnet wird (Parijs 1979: 429). Die Tendenz bestimmter Faktoren, anderes zu verursachen, wird im Rahmen der funktionalen Analyse nur dann als relevante Kausalität (man könnte auch sagen: als angemessene Komplexitätsreduktion) identifizierbar, wenn sie als Beitrag zur Lösung eines Problems gedeutet werden kann (ähnlich McCauley/Lawson 1984: 378). Funktionale Analysen „do not explain a cause by its consequence, but explain the presence of an item by a dispositional property of the context in which it appears: by the context’s 2 Kausalität wird hier als spezifische Form der Zuschreibung begriffen. Dies führt zu einer Deontologisierung des Kausalitätsverständnisses. Die Problemformel, unter der dieses re-entry der kausal wirksamen Kausalität verhandelt wird, ist die der selffulfilling prophecy. Für eine über das Mertonsche Verständnis hinausgetriebene Fassung, in der die Möglichkeit, auch über Kausalität noch durch Attribution zu disponieren, und die Tatsache, daß eben dies Wirkungen zeitigt, als spezifische Eigenschaft des Sozialen (und damit von Gesellschaft) betrachtet wird, siehe Krishna (1971). Die daraus resultierende nicht-triviale Maschine Gesellschaft in Begriffen von Ursache und Wirkung beschreiben zu wollen, greift somit gemessen an der Komplexität des Gegenstands zu kurz.

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VI. Die funktionale Methode

disposition to produce F when in the presence of i“ (Parijs 1979: 429, Hervorh. dort). In diesem Beitrag zur Lösung eines sozialen Problems wird die Funktion eines Sachverhaltes gesehen. Der identifizierte Problembezug definiert also die Funktion eines Phänomens, und er reduziert damit, weil er Kausalität auf dieses Schema hin engführt, Komplexität. Dabei bleibt es aber nicht. Geht man davon aus, ein Sachverhalt leiste einen Beitrag zur Erfüllung einer bestimmten Funktion, dann öffnet sich ineins damit der Blick auf einen Optionsraum, auf eine Klasse von funktional äquivalenten Möglichkeiten, die ebenso, aber doch anders, zur Lösung dieses Problems beitragen können (Holenstein 1983: 299; Luhmann 1962: 624; 1968b: 197 f., 236). Genau in dieser Suche nach faktischen oder denkbaren alternativen Lösungen eines Problems liegt die Stärke der funktionalen Analyse gegenüber dem Kausaldenken, welches für die Kategorie des Möglichen keinen Platz vorsehen kann. Unter der Ägide einer funktionalen Orientierung wird es nämlich möglich, auch noch sehr heterogene Sachverhalte in einer bestimmten Hinsicht vergleichbar zu machen (Schneider 1991: 236 f.). Die funktionale Methode impliziert also zugleich einen funktionalen Vergleich und damit den Übergang von der zweistelligen Kausalrelation zu einem dreistelligen Beobachtungsschema (Luhmann 1977: 9). Funktion ist ein dreistelliger Relationsbegriff, der je zwei Sachverhalte unterscheidet und sie zugleich nach Maßgabe eines Problemgesichtspunktes als vergleichbar (also: in einer bestimmten Hinsicht gleich) behandelt.3 Die Ausmessung des Bereichs funktional äquivalenter Lösungen ist deswegen von entscheidender Bedeutung, weil eine Problemfixierung nur dann informativ werden kann, wenn sie den Spielraum möglicher Lösungen hinreichend limitiert. Genau genommen wird ein Problem überhaupt nur unter dieser Bedingung sichtbar (Luhmann 1990a: 424). Genau hier, nämlich in der Aufgabe, die Klasse der hinsichtlich eines Problems äquivalenten Lösungen abzugrenzen, findet das Kausalschema seinen Platz innerhalb der funktionalen Methode. Für die eindeutige Kausalbeziehung bleibt dann nur noch die Rolle eines Grenzfalls innerhalb des funktionalen Schemas von Problem und Problemlösung, nämlich derjenige Fall, in dem die Klasse der funktional äquivalenten Möglichkeiten, die als Lösung eines Problems in Betracht kommen, nur ein Element enthält.

3 Der Funktionsbegriff ist demnach dem Gleichheitsbegriff isomorph beziehungsweise ein Anwendungsfall einer Gleichheitsrelation. Die Identität, die den Vergleich ermöglicht, liegt im zu lösenden Problem; vgl. dazu Luhmann (1968b: 194, Fn. 43) und die untenstehenden Ausführungen (S. 140).

1. Die funktionale Methode als Differenzabtastungsinstrument

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b) Funktion und Begriff Alle Versuche, die funktionale Analyse auf eine besondere Form der Kausalerklärung zu reduzieren, greifen mithin zu kurz. Die eigentliche Stärke der funktionalen Orientierung liegt denn auch nicht im Erklären – im Sinne einer an Kausalität orientierten Beschreibungsleistung –, sondern eher in einer Art verstehensorientierter oder phänomenologischer Aufhellung kommunikativer Kontexte. „Die Hauptfunktion von Funktionalanalysen besteht nicht in der Erklärung bestimmter Fakten, sondern in ihrem evaluativen Verständnis. Im Vergleich mit alternativen Möglichkeiten wird ein funktionaler Zusammenhang aufgeklärt und bewertet. Die Funktionalanalyse ist primär komparativ und evaluativ und nicht explanatorisch orientiert.“ (Holenstein 1983: 294, Hervorh. dort)4

Mit dieser Ausrichtung verändert sich zugleich das Verständnis von Sachverhalten und deren begrifflicher Erfassung. Begriffe sind für die Wissenschaft von überragender Bedeutung. Begriffe sind Abtastinstrumente und entscheidend dafür, wie das Wissenschaftssystem seinen Realitätskontakt herstellt, welche Differenzen für es Relevanz erlangen können (Luhmann 1984: 13). Begriffe sorgen in einem sehr grundlegenden Sinne – indem man sie nämlich von den Sachverhalten unterscheidet, auf die man mit ihnen Bezug nimmt – für die Selbstreferenz der Wissenschaft. In Absetzung von begriffsrealistischen Auffassungen, die die Einheit eines Begriffs in der eine Klasse bildenden Art oder Gattung vermuten, verlegt die funktionale Methode die Identität eines Begriffs in die Funktion. Sie reagiert damit auf die Tatsache, daß soziale Sachverhalte immer nur kontext- und also problemrelativ bestimmt werden können. Jeder Versuch, die Intension von Begriffen zu fixieren, setzt ein Problemverständnis voraus, welches es überhaupt erst ermöglicht, die Sachverhalte, die zum Begriffsumfang gehören, zu identifizieren (Schneider 1991: Kap. 3; vgl. auch Holenstein 1983). Diese Umstellung von Merkmals- auf Problembegriffe (Luhmann 1984: 33), führt zu, so könnte man sagen, funktionalem Klassifizieren. Begriffe bezeichnen damit kein Sein mehr, sondern werden über die Funktion des Sachverhaltes, den sie bestimmen, expliziert. Das „Wesen“ eines Begriffs liegt demnach in den Bedingungen seiner Ersetzbarkeit.5 An die Stelle eines Substanz- tritt ein Funktionsdenken, was für unseren Fall heißt: die fdGO ist das, worin ihre soziale Funktion liegt. 4 Die Annahme, daß die Funktionalanalyse immer sowohl Fragen mechanistischer Erklärung als auch der gegenstandsadäquaten Begriffsbildung berührt, findet sich auch bei Parijs (1979: 425 f.) und Sztompka (1971: 372). 5 Vgl. dazu auch die Unterscheidung von „Definition durch empirische Referenz“ und „streng funktionale[r] Begriffsbildung“ bei Luhmann (1964a: 17, Fn. 44).

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VI. Die funktionale Methode

Das problemorientierte Vergleichen löst damit die Konzepte der Kausalität und der Klassifikation ab, ohne sie jedoch vollständig ersetzen zu können. Wir waren eingangs davon ausgegangen, daß die funktionale Analyse der Abtastung des Kommunikationsprozesses auf informationswirksame Differenzen dient. In diesem Sinn liegt die Aufgabe der funktionalen Analyse darin, einen Beitrag zur Reduktion überbordender Komplexität zu leisten. Da es sich bei einer Funktion aber nicht um eine zu bewirkende Wirkung handelt, sondern um ein „regulatives Sinnschema, das einen Vergleichsgesichtspunkt äquivalenter Leistungen organisiert“ (Luhmann 1962: 623), muß diese Funktionsbestimmung präzisiert werden. Während das Kausalschema Zusammenhänge durch Vereinfachung sichtbar macht, kommt es im Zuge eines funktionalen Vergleichs neben einer Reduktion von Komplexität immer auch zu einer Steigerung von Komplexität, weil der analysierte Gegenstand als eine unter verschiedenen Möglichkeiten erscheint (Luhmann 1984: 85, Fn. 107). Das aber heißt nichts anderes, als daß die funktionale Methode selbst die Form von Sinn hat. Der Funktionsorientierung geht es nicht in erster Linie um die Verkleinerung eines Möglichkeitsraums – etwa in dem Sinne, daß das Problem die Existenz der Lösung „erklärt“ – sondern vor allem auch um die „andere Seite des Sinns“: um den Verweis auf alternative Möglichkeiten, die sich als Klasse funktional äquivalenter Kausalfaktoren begreifen lassen (Luhmann 1962: 626, 635 f.). Die funktionale Analyse sorgt also, indem sie Kausalität als Beobachtungsschema einsetzt, einerseits für Limitationalität im Beobachtungskontext. Diese Abschattung anderer Möglichkeiten wird zugleich dadurch „ausgeglichen“, daß sie andere Optionen sichtbar macht, die mit Blick auf ein gewähltes Problem ebenso als Lösung fungieren können. Bei der funktionalen Analyse handelt es sich um eine in spezifischer Weise konditionierte Wiederanwendung der Form des Sinns auf die Resultate des Sinngebrauchs. Man kann dann auch formulieren, daß die Lösung des Problems, auf welches die funktionale Methode reagiert, nämlich die Reduktion von Weltkomplexität, also die Funktion der funktionalen Methode, darin liegt, methodisch kontrollierte Komplexitätstransformation (nämlich zugleich Komplexitätsabbau und Komplexitätsaufbau) zu gewährleisten, indem sie die Schemata Problem und Problemlösung, Notwendigkeit und Kontingenz6 sowie Ursache und Wirkung kombiniert (Fuchs 2004: 206). Im Ergebnis läuft dies darauf hinaus, daß „Auflöse- und Rekombinationsvermögen gesteigert“ werden können (Luhmann 1977: 10). Fragt man jetzt erneut nach dem Zusammenhang von Paradoxien und funktionaler Methode, dann besteht die Aufgabe letzterer darin, die Laten6 Kontingenz ist dabei nicht einfach der Gegenbegriff zu Notwendigkeit, sondern ergibt sich, wenn man zweierlei ausschließt (negiert), nämlich: Notwendigkeit und Unmöglichkeit.

2. Funktionale Methode und Systemtheorie

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zen, die wir hinter den die Beobachtung blockierenden Paradoxien vermuten, in Kontingenzen zu transformieren. Das, was dem System als notwendig und unveränderbar erscheint, wird aus Sicht des externen Beobachters zu einer artifiziellen Lösung eines Problems (Luhmann 1991d: 61; 1999: 13). Notwendig ist dann gewissermaßen nur noch das Problem, nicht aber die Lösung. Die Paradoxien verdecken ein Problem, für das man sich auch andere Lösungen vorstellen kann als diejenige, die das Objektsystem gerade gewählt hat;7 oder kürzer: die funktionale Analyse überführt unsichtbare Probleme in sichtbare Alternativen der Problemlösung. Und sie tut dies, indem sie Beobachtungen beobachtet, und zwar nach Maßgabe der Differenz von Problem und Problemlösung. Mit all dem erweist sich die funktionale Methode als eine spezifische Form der Beobachtung zweiter Ordnung. Begreift man Paradoxien und die Notwendigkeit ihrer Entfaltung selbst als Probleme, mit Blick auf die sich jeder Entfaltungsvorschlag als Lösung darstellt, dann ist auch die funktionale Umdeutung von Sachverhalten diesbezüglich ein funktionales Äquivalent – ein funktionales Äquivalent, das sich durch die Besonderheit auszeichnet, seinen Unterscheidungsgebrauch selbst methodisch zu kontrollieren. Wendet man in dieser Weise das Schema von Problem und Problemlösung auf die Funktionalanalyse selbst an – und das Gelingen dieser Operation beweist deren universalistischen Ausgriff –, so liegt das Problem in der Informationsgewinnung unter Bedingungen hoher Komplexität, das sich in der Latenz von Strukturen niederschlägt, und die Lösung besteht eben darin, „Realität“ in das Schema von Problem und Problemlösung „einzuspannen“.8 2. Funktionale Methode und Systemtheorie Das, was zunächst als einfaches, weil unanalysiertes Phänomen erscheint, wird im Zuge der funktionalen Analyse auf einen Gesichtspunkt hin proble7 An die Stelle der theoriegeschichtlich älteren Differenz von latent und manifest tritt also die Unterscheidung von latent und kontingent, weil das, was sichtbar gemacht wird, immer nur als eine mögliche Lösung für ein Problem gedeutet wird. 8 Mit der Bestimmung der Funktion der funktionalen Methode wird ein Weiteres deutlich: die funktionale Analyse ist ein universelles Beobachtungsschema, das, weil wiedereintrittsfähig, einen Zugriff auf alle denkbaren Gegenstände, also auch auf sich selbst, erlaubt. Der Funktionsbegriff hat damit den Vorteil, im Lichte seiner Funktion explizierbar zu sein, während die Frage nach der Ursache der Kausalität keinen Sinn ergibt. Außerdem wird deutlich, daß das Kausalschema und die funktionale Analyse mit Blick auf die Funktion der Informationsgewinnung funktionale Äquivalente sind. Beide fungieren als regulative Sinnschemata – mit allerdings unterschiedlichen Konsequenzen für die Vermittlung von Varietät und Redundanz im Wissenschaftssystem.

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VI. Die funktionale Methode

matisiert und dadurch, wenn man so will, virtualisiert. Indem Sachverhalte der Doppelbewegung von Komplexitätsreduktion und Komplexitätsaufbau unterzogen werden, werden Identitäten in Probleme transformiert. Damit aber steht und fällt diese Form der Beobachtung mit der Wahl eines Bezugsgesichtspunktes oder, wie es bei Luhmann (1987: 87) heißt, einer Vergleichsdirektive. Die Form der funktionalen Beobachtung enthält selbst keine Hinweise darauf, auf welche Sachverhalte die Differenz von Problem und Problemlösung je bezogen werden soll. Das Problem der Problemwahl liegt darin, daß die Vergleichsdirektive dazu dient, Sachverhalte in einen Kontext vergleichbarer Möglichkeiten einzurücken, dieses Kontingentsetzen selbst aber nicht arbiträr erfolgen darf.9 Die Methode liefert für das Problem der Wahl eines „angemessenen“ Problemgesichtspunkts keine Lösung, muß es vielmehr als gelöst voraussetzen. Man kommt nicht umhin, zu erörtern, was in der hier gewählten Perspektive den Status eines „Problems“ beanspruchen darf. Die Gesellschaft ist, folgt man Luhmann, durch ein nichthintergehbares Bezugsproblem gekennzeichnet: der fortwährend gegebenen Notwendigkeit, Komplexität zu reduzieren.10 Deswegen erscheint es angemessen, Sozialität in terminis von Sinn und Beobachtung zu beschreiben. Zu den Notwendigkeiten der Komplexitätsreduktion gehört Strukturbildung. Schon die sinnhaft generierten Identitäten, die die funktionale Methode mit Hilfe ihrer spezifischen Optik einer Komplexitätstransformation zu unterziehen beabsichtigt, setzen, sonst gäbe es sie nicht, Struktur voraus. Strukturen werden ihrerseits auf die Differenz von System und Umwelt bezogen, sie setzen das Problem der Relationierung von System und Umwelt auf Systemstrukturen (Erwartungen) um (Schneider 1991: 226). Das Letztproblem der Komplexitätsreduktion wird also in Systemen verortet, die einerseits dadurch, daß sie ein Gefälle von System und Umwelt etablieren, selbst schon eine Lösung dieses Problems darstellen; die aber andererseits, eben weil sie als Kontingenzgrenze wirken, selbst zentrale Bedingungen der Komplexitätsreduktion setzen.11 Damit wird die Komplexitätsreduktion zum nicht überbietbaren Bezugsproblem der funktionalen Analyse.12 9 Im skurril-anschaulichen Duktus der analytischen Philosophie: es ist nicht die Funktion einer metallenen Gürtelschnalle, Leben zu retten, auch wenn sie genau das tut, indem sie verhindert, daß eine auf den Träger des Gürtels abgefeuerte Pistolenkugel in dessen Körper eindringt. 10 Zum Komplexitätsbegriff siehe Luhmann (1975b; 1984: 45–51); dazu auch Schneider (1991: 182–184). 11 Luhmann (1967a: 617–625; 1968b: 155 f.; 1975b: 208–210); Schneider (1991: 205 f.). 12 Schneider (1991: 183 f.) spricht hier von der Transzendentalisierung des letzten Bezugsproblems der Gesellschaft.

2. Funktionale Methode und Systemtheorie

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Die weitgehend tautologische Bestimmung autopoietischer Reproduktionszusammenhänge – das System leistet, was es muß, damit es bleibt, was es ist – wird umgesetzt auf die Frage, wie es seine Informationsverarbeitung organisieren muß, damit es dazu in der Lage ist. Damit wird der Blick auf die Strukturbildung in den Systemen gelenkt. In diese Strukturen werden im Zuge der funktionalen Analyse Probleme hineinprojiziert, das heißt die Differenz von Problem und Problemlösung wird in Strukturen verankert, mit Blick auf die sich Probleme als Probleme und Lösungen als Lösungen ausmachen lassen.13 Der Problembegriff kann nicht ohne den Strukturbegriff gedacht werden. In diesem Sinne ist jede funktionale Analyse zugleich eine strukturale Analyse (Holenstein 1983: 298). Probleme sind vor dem Hintergrund einer Theorie, die den Strukturbegriff an den Systembegriff rückbindet, zu begreifen als „permanente Gegebenheiten, die als solche die Stabilisierung von Systemen nicht verhindern, sondern nur eine kontinuierliche, aber strukturierbare Bedürftigkeit bekunden. Die Grundprobleme eines Systems werden durch die Systemstruktur nicht definitiv gelöst, so daß sie verschwänden; sie erhalten nur eine bestimmte Form und werden in dieser Form als Verhaltenslast dem Handelnden auferlegt. Die Permanenz der Problematik hat ihre Wurzel im Grundgedanken der System/UmweltTheorie: daß alle Invarianz durch eine besondere Kombination von Systemleistungen einer anderslaufenden Umwelt abgewonnen werden muß und insofern problematisch bleibt. Die System/Umwelt-Theorie gibt damit eine sachliche Erklärung für die methodologische Prämisse: daß jede Feststellung von Funktionen dazu dient, Lösungsvarianten für Probleme aufzuzeigen.“ (Luhmann 1964a: 14)

Daß die Funktionsorientierung auf der einen Seite sowie Struktur und System auf der anderen Seite auf diese Weise zusammengeschlossen werden, ist also keinesfalls zufällig. Struktur und System sind theoretische Begriffe, mittels derer sich sachliche Aussagenkontexte organisieren lassen. Die funktionale Methode sieht sich – andernfalls kann keine Problemkonstruktion für sich in Anspruch nehmen, kontrolliert erfolgt zu sein – auf Theorie verwiesen. Der Zusammenhang zwischen beiden stellt sich folgendermaßen dar: das Problem der Problemwahl führt vor das Problem der Klärung des Verhältnisses von Methode und Theorie (Luhmann 1990a: 432; Schneider 1991: Kap. 8). Die Theorie gibt einen sachlichen Rahmen vor und fungiert in diesem Sinne als „Problementdeckungshilfe“ (Luhmann 1990a: 424), denn ohne „einen theoretischen Bezugsrahmen sachlicher Begriffe“ (Luhmann 1964a: 8) bliebe das Vergleichen ohne Führung. Die funktionale Methode ist auf Theorie angewiesen, um Vergleichsmöglichkeiten sichtbar zu machen (Luhmann 1964a: 16); und ebenso, um die Klasse funktional äquivalenter Problemlösungen zu verkleinern und derart die „Erklärungskraft“ 13 Der Paradoxiebegriff wird also auf den Strukturbegriff bezogen und dieser seinerseits funktional gedeutet.

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VI. Die funktionale Methode

ihrer Aussagen erhöhen zu können (Holenstein 1983: 298; Luhmann 1964a: 10 f.). Die Theorie hält ein Arsenal von Begriffen vor, welches zum Arrangieren von Problemkonstruktionen eingesetzt werden kann (Fuchs 2003: 207), während umgekehrt eben diese Theorie ihren Sachaussagen die Form funktionaler Hypothesen gibt (Fuchs 2003: 206, Fn. 2). Die funktionale Methode wird mithin verbunden mit „systemtheoretischen Annahmen über die Realität selbst“ (Luhmann 1978b: 16). In diesem Sinne besetzt die funktionale Analyse „die Stelle zwischen Theorie und (Re[-])Konstruktion des Phänomenbereichs Sozialität unter Einschluß der Rekonstruktion der dies rekonstruierenden Theorie“ (Fuchs 2003: 205).14 Auch an dieser Relationierung von Theorie und Methode bestätigt sich der selbstimplikative Charakter einer Theorie, die immer auch Aussagen über sich selbst trifft: zum einen verdankt sich die Entscheidung für die funktionale Methode selbst theoretischen Einsichten; und zum anderen kommt die Differenz von (funktionaler) Methode und (System-)Theorie im Aussagenbereich der Theorie wieder vor, und zwar als Differenz von Selbstreferenz und Fremdreferenz. Methodenentscheidungen ermöglichen die kognitive Schließung des Wissenschaftssystems, realisieren also dessen Selbstreferenz, indem sie günstigstenfalls eine eindeutige Entscheidung in Fragen der Wahrheitswertzuweisung erlauben, während Theorien über thematische Öffnung die fremdreferentielle Orientierung des Wissenschaftssystems regulieren (Luhmann 1990a: 403–405). Theorien und Methoden lassen sich schließlich noch in einer anderen Hinsicht unterscheiden, nämlich von der Codierung wissenschaftlicher Kommunikation. Sie bilden die Programme des Wissenschaftssystems. Die Programme sorgen für Limitationalität im Wissenschaftssystem; sie spezifizieren Richtigkeitsbedingungen und ermöglichen damit die Zuordnung der Codewerte (Luhmann 1981c: 114–119; 1990a: 184 f., 197). Beide, Theorien wie Methoden, dienen also dazu, Bedingungen zu formulieren, die eine korrekte Zuweisung der Codewerte ermöglichen. Gleichwohl macht es einen Unterschied, ob man das Beobachten primär an methodischen oder an theoretischen Vorgaben ausrichtet und in welcher Weise Methode und Theorie aufeinander bezogen werden. Auch die wissenschaftliche Kommunikation läßt sich als fortlaufendes Koppeln und Entkoppeln von Formen – wahrheitsfähigen Sätzen – in einem Medium – eben dem der Wahrheit – beschreiben. Designationswert und Reflexionswert einerseits und selbstreferentielle und fremdreferentielle Orientierung andererseits sind dabei voneinander logisch unabhängig; selbstreferentielle Sätze können wahr und 14 Die systemtheoretische Theorie der Realität ist für die Systemtheorie die Realität. Dieser blinde Fleck kann noch mitgedacht werden, darf aber keine Konsequenzen mehr zeitigen.

3. Selbstabstraktion des Gegenstands und Fremdabstraktion

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unwahr sein, und ebenso kann die fremdreferentielle Orientierung zu wahren und zu unwahren Aussagen führen. Die Differenz von Referenzrichtungen und binärem Code eines Funktionssystems entzieht sich jeder vereinheitlichenden Formulierung, so daß nur noch von einem „virtuellen Raum“ die Rede sein kann, innerhalb dessen sich die Formbildung abspielt (Luhmann 1997: 754 f.). Programme bilden damit gleichsam die Raster, die die Orientierung in diesem virtuellen Raum ermöglichen – sie leiten die Formbildung im Medium an, indem sie angeben, welche Beobachtungen man durchzuführen hat, um zu „richtigen Reduktionen“ zu gelangen (vgl. Luhmann 1990a: Kap. 4.III). 3. Selbstabstraktion des Gegenstands und wissenschaftliche Fremdabstraktion Soweit die funktionale Methode als systemfunktionale Methode verstanden wird, liegt dem die Vorstellung zugrunde, daß der Gegenstand, der als Lösung eines Problems gelesen wird, durch die Kommunikationsprozesse eines spezifischen Funktionssystems konstituiert wird (Schneider 1991: 226). Damit verlangt jede funktionale Analyse die Festlegung auf eine Systemreferenz. Strukturen sind immer Systemstrukturen – und damit sind Probleme auch immer Systemprobleme (Luhmann 1984: 84). Mit der Unterscheidung von Systemreferenzen spreizt sich auch der Problembegriff auf. Probleme der Komplexitätsreduktion werden einerseits im System selbst vermutet. Andererseits erschöpft sich die funktionale Analyse nicht im Nachvollzug der Weltsicht des analysierten Systems. Autopoietische Systeme organisieren ihre Reproduktion, indem sie sich von einer Umwelt unterscheiden und die damit gewonnene Differenz in informationswirksamer Weise verwenden, nämlich als Unterschied von Selbstreferenz und Fremdreferenz. Wenn man so will, reguliert die Vermittlung von Selbst- und Fremdreferenz die Art und Weise, wie sich ein grundlegend selbstreferentiell organisiertes System selbst versteht. Wenn man von zwei Systemen ausgeht, tritt zu den unterschiedlichen Möglichkeiten, die Selbstbeobachtung auf Grundlage der Unterscheidung von Selbstreferenz und Fremdreferenz auszubalancieren, auch noch die Option, die Selbstbeobachtung einer Fremdbeobachtung zu unterziehen.15 Viele der Eigentümlichkeiten der modernen 15 Erst mit der Unterscheidung von Selbstbeobachtung und Fremdbeobachtung verfügen wir über diejenigen Unterscheidungen, die es ermöglichen, eine systemtheoretische Erkenntnistheorie zu formulieren (dazu Luhmann 1984: Kap. 12). Eine solche Theorie der Beobachtung selbstbeobachtungsbegabter Systeme muß die Unterscheidungen von Operation und Beobachtung, System und Umwelt, Selbstreferenz und Fremdreferenz, Beobachtung erster Ordnung und Beobachtung zweiter Ordnung (und vermittelt dadurch von manifest und latent) sowie schließlich von

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VI. Die funktionale Methode

Gesellschaft lassen sich auf die damit gegebenen polykontexturalen Beobachtungsverhältnisse zurückführen. Will die Fremdbeobachtung – die zum Beispiel eine wissenschaftliche Fremdbeobachtung des Rechtssystems sein kann – ihrem Gegenstand gerecht werden, muß sie an dessen Selbstverstehensprozessen ansetzen. Die kognitive Autonomie eines beobachteten Systems läßt sich nur angemessen fremdverstehen, wenn man in Rechnung stellt, wie es über die Differenz von Selbstreferenz und Fremdreferenz disponiert (Luhmann 1986e: 74–82). „Die Leitdifferenz, die das Verstehen als Beobachtung ermöglicht, ist mithin die System/Umwelt-Differenz eines anderen Systems. Vom verstehenden System ist damit eine eigentümliche Reflexivität von System/Umwelt-Unterscheidungen verlangt. Es muß die Wiedereinführung dieser Unterscheidung in den eigenen Bereich doppelt handhaben. Es legt die eigene Systemreferenz zugrunde und bleibt in allem Verstehen dadurch unaufhebbar systemrelativ. Es führt (1) in das System dieser Unterscheidung diese Unterscheidung ein, das heißt: es orientiert die eigene Operation in der Differenz des Systems zu seiner Umwelt (denn sonst würde es sich selbst mit dem zu verstehenden System verwechseln). Es führt aber zugleich (2) in die Umwelt dieser primären Unterscheidung eine zweite System/UmweltDifferenz ein, nämlich die eines anderen Systems. Es versteht in seiner Umwelt ein anderes System aus dessen Umweltbezügen heraus.“ (Luhmann 1986e: 80)

Die funktionale Analyse ist eine anspruchsvolle Form des Fremdverstehens. Sie verkompliziert das Problem der Relationierung von Selbst- und Fremdbeobachtung noch einmal, weil sie es vermeidet, unvermittelt an der Eigenperspektive desjenigen Systems anzuknüpfen, in dem der Gegenstand „liegt“ und stattdessen darauf abzielt, die Abstraktions- und Verstehensleistungen des Objektsystems zu unterlaufen. Als methodisches Desiderat kommt dies in der Rede von der Notwendigkeit des Distanzgewinns zum Ausdruck.16 Zum einen sieht sich jede Fremdbeobachtung, eben weil sie eine Fremdbeobachtung ist, immer schon in eine gewisse „Distanz“ zum Gegenstand gezwungen. Schon die Codeorientierung des Wissenschaftssystems ist (sofern es sich nicht um eine wissenschaftliche Analyse des Wissenschaftssystems handelt) eine andere als die des Objektsystems. Damit geht einher, daß auf der Programmebene andersartige Unterscheidungen zum Einsatz kommen, weil die unterschiedlichen „frames“ disparate Anforwahrheitscodierten Kommunikationen und autopoietischen Kommunikationszusammenhängen anderen Typs voneinander zu unterscheiden und aufeinander zu beziehen wissen (Luhmann 1988b: 22 f.). Erst wenn das gelingt, ist auch das Phänomen der Erkenntnis voll in den Gegenstandsbereich der Theorie Sozialer Systeme eingeholt und in diesem Sinne als soziales Phänomen vollständig naturalisiert (Luhmann 1984: 647 f.; 1988b: 23 f.). 16 Siehe dazu den programmatischen Beitrag mit dem Titel „Soziologische Aufklärung“ (Luhmann 1967b); weitere Hinweise zum Desiderat des „Distanzgewinns“ zum Beispiel in Luhmann (1984: 597) und (1990a: 645).

3. Selbstabstraktion des Gegenstands und Fremdabstraktion

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derungen an die Sinnverarbeitung stellen, so daß selbst identische sprachliche Ausdrücke in beobachtendem und beobachtetem System in aller Regel Verschiedenes meinen. Gegenüber spezifischen Beobachtungszusammenhängen des jeweils analysierten Funktionssystems nimmt die funktionale Methode aber auch eine gemäß spezifischen Anforderungen disziplinierte, nämlich wissenschaftliche Fremdperspektive ein. Gemessen an den „Abläufen“ im Objektsystem projiziert die funktionale Analyse mehr oder doch wenigstens eine ganz andere Art von Komplexität in den Gegenstand – Komplexität, die außerhalb der Wissenschaft nicht ohne weiteres anschlußfähig ist. Sie überfordert in diesem Sinne ihren Gegenstand (Luhmann 1984: 88). So können etwa Rechtsbegriffe in aller Regel eben nicht über die Bedingungen ihrer Austauschbarkeit definiert werden. Die funktionale Methode ist eine Denormalisierungstechnik, die Evidenzen (auch solche fachlicher Art) zu unterhöhlen vermag. Dadurch entsteht eine Perspektivendifferenz, die sich als Unterschied von Selbstabstraktion des Gegenstandes und begrifflicher Abstraktion oder wissenschaftlicher Fremdabstraktion beschreiben läßt.17 Jedenfalls insoweit die funktionale Analyse Anwendung auf die nach funktionalen Gesichtspunkten ausdifferenzierten Subsysteme der modernen Gesellschaft findet, entsteht mit all dem eine intrikate, dreifach relationierende Beobachtungsarchitektur: „Das Wissenschaftssystem kann, gebunden an die eigenen Auffassungsformen und Theorien und abhängig von der eigenen Informationsverarbeitungskapazität, diese System/Umwelt-Relationen in seiner Umwelt als kontingent und zweiseitig variabel erfassen. Es gewinnt, obwohl Teilsystem der Gesellschaft, den Standpunkt eines nur an die eigene System/Umwelt-Relation gebundenen Beobachters, von dem aus andere System/Umwelt-Relationen in Bewegung versetzt werden können. Wenn schon das Funktionssystem für [Recht, R. N.] sich auf die System/ Umwelt-Relation der Gesellschaft bezieht, so bezieht sich eine systemfunktionale Analyse ihrerseits auf diese Beziehung. Wenn schon eine erste Relationierung von System/Umwelt-Relationen auf System/Umwelt-Relationen Voraussetzung ist für eine funktionale Differenzierung der Gesellschaft, so erfordert die funktionale Analyse der funktionalen Differenzierung (und allgemeiner: der Universalitätsanspruch funktionaler Analyse schlechthin) eine dreifache Relationierung: Die funk17 „Eine solche begriffliche Abstraktion (die auf Theorie abzielt) ist von der Selbstabstraktion des Gegenstandes (die auf Struktur abzielt) zu unterscheiden. Die begriffliche Abstraktion ermöglicht Vergleiche. Die Selbstabstraktion ermöglicht Wiederverwendung derselben Strukturen im Gegenstand selbst. Beides muß man streng auseinanderhalten. Dann, und nur dann, kann man aber auch Überschneidungen feststellen.“ (Luhmann 1984: 16, Hervorh. dort) – Reichhaltige wissenschaftstheoretische und methodologische Anregungen dazu enthält die anthropologische Literatur. Dort findet die Frage, wie „indigene“ und „wissenschaftliche“ Sichtweisen zu unterscheiden und aufeinander zu beziehen sind, ihren terminologischen Ausdruck in der (auf Kenneth L. Pike zurückgehenden) Unterscheidung einer „emischen“ von einer „etischen“ Perspektive. Siehe dazu nur Feleppa (1986) und Harris (1976).

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VI. Die funktionale Methode

tionale Systemtheorie analysiert in diesem Fall das [Rechtssystem, R. N.] als einen Gegenstand ihrer Umwelt, der sich funktional auf einen Spezialaspekt der System/Umweltrelationen eines anderen Systems der Gesellschaft, bezieht. Daher kann die funktionale Systemtheorie auch noch die Ausdifferenzierung des [Rechtssystems, R. N.] innerhalb der Gesellschaft und die dadurch erwirkten Spezifikationen des Bezugsproblems für [Recht, R. N.] als Variable ansehen.“ (Luhmann 1977: 69)

Die Wissenschaft ist demnach selbst ein System, das sich unter funktionalen Gesichtspunkten aus der Gesellschaft ausdifferenziert hat. Damit bildet die Gesellschaft eine mögliche Umwelt des Wissenschaftssystems. Zugleich kann diese Umwelt weitere Funktionssysteme, wie etwa das Rechtssystem, enthalten, für die selbiges gilt. Folglich weist die gesellschaftliche Umwelt des Wissenschaftssystems ihrerseits Strukturen auf, die sich als System-Umwelt-Relationen beschreiben lassen. Schließlich, weil Wissenschaft sich nicht daran zu halten braucht, wie ein System sich selbst im Unterschied zu seiner Umwelt begreift, kann diese Beziehung des Objektsystems zu seiner Umwelt nach Maßgabe von Fragestellungen beschrieben werden, die von nur wissenschaftlicher Relevanz sind. Die Leistung der funktionalen Analyse liegt darin, daß sie sich diese Möglichkeit zunutze macht.

VII. Die Funktion der fdGO Die folgenden Überlegungen verstehen sich als rechtssoziologischer Versuch, die gesellschaftliche Funktion derjenigen Rechtsregeln zu bestimmen, die das Prädikat „fdGO“ enthalten. Unter Absehung von den klassischen Auslegungsmethoden fragen wir also, auf welches Problem der funktional differenzierten Gesellschaftsordnung die fdGO und ihre kontrafaktische Stabilisierung eine Antwort geben könnte. Da die Analyse auf Grundlage der funktionalen Methode vorgenommen wird, vollzieht sie Wissenschaft. Bei dem, was funktionalisiert wird, handelt es sich dagegen um thematisch abgrenzbare Rechtskommunikationen, und zwar im engeren Sinne um eine Norm des Grundgesetzes und im weiteren Sinne um die rechtsdogmatischen Versuche der Interpretation dieser Norm. In klassischer Terminologie formuliert, machen funktionale Analysen metasprachliche Aussagen, die über einem Gegenstand formuliert sind. Erschwert wird das Unterfangen, die fdGO zu funktionalisieren, maßgeblich dadurch, daß das Objekt der Analyse selbst nicht homogen ist, sondern aus den relevanten Rechtsnormen einerseits und den über diesen Rechtssätzen formulierten rechtsdogmatischen Abstraktionsleistungen (also einer weiteren Klassen von metasprachlichen Aussagen) andererseits besteht (Wro´blewski 1985: 253). Da die dogmatischen Beschreibungen immer Beschreibungen sind, die nach Maßgabe der Differenz von Recht und Unrecht erfolgen, kann man auch sagen, daß der Gegenstand fdGO nur als systemisches Objekt besteht. Die Normen eines dogmatischen Problemfeldes grenzen ein Thema ab, dem sich Beiträge zuordnen können; und umgekehrt legt der damit entstehende kommunikative Kontext erst die „Bedeutung“ der Normen fest (Koch 1975: 41). Das, was dann soziologisch als Gegenstand identifiziert wird, ist nichts anderes als eine Menge von rechtlichen Beschreibungen rechtlicher Beschreibungen. Die gesellschaftliche Funktion derjenigen Rechtsregeln zu bestimmen, die das Prädikat „fdGO“ enthalten, verlangt somit notwendig, die Ausdeutungen dieser Rechtsregeln mit in Rechnung zu stellen; sie bilden gleichsam das empirische Material, an dem die Funktion abgegriffen werden muß. Daß die rechtsdogmatischen Aussagen dabei konsistent und widerspruchsfrei geordnet sind, liegt, wie wir gesehen haben, keinesfalls in der Natur der Sache. Die Aufgabe besteht demnach darin, einen Sachverhalt, der sich nur auf der Ebene der Beobachtung zweiter Ordnung konstituiert, zu funktionalisieren – auch darin kommt zum Ausdruck, daß es sich

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VII. Die Funktion der fdGO

bei einer funktionalen Analyse um eine systemfunktionale Analyse handeln muß. Was den Zugriff auf konkrete empirische Materialen anbelangt, muß insbesondere geklärt werden, in welchem Maße man sich als wissenschaftlicher Beobachter von rechtssysteminternen Selbstbeobachtungen anleiten läßt oder diese gerade durch inkongruente Beobachtungsperspektiven unterläuft. Dazu gehört auch, zu berücksichtigen, dass keine soziologische Funktionsbestimmung vollständig von den rechtsdogmatischen Positionen absehen kann, die gegenüber einer in Frage stehenden Rechtsregel eingenommen werden. So vermeiden wir mit Blick auf die Konkretisierung des Schutzgutes fdGO zunächst jeden Rückgriff auf den Topos einer verfassungsimmanenten Wehrhaftigkeit. Die Rekonstruktion orientiert sich an dem liberalen Anspruch, dem zufolge auch Positionen, die sich jenseits eines vermeintlichen Wertkonsenses bewegen, der Freiheitsvermutung unterfallen und jedenfalls nicht ohne weiteres als „feindlich“ gebrandmarkt werden können und sollen (Schlink 1980: 85 f.). Um dieses Anspruchs willen ist im Anschluß an die Forderungen der analytischen Rechtstheorie eine rationale, wirklichkeitswissenschaftlich orientierte Explikation der fdGO anzustreben.1 Die Begriffsklärung soll dabei in funktionaler Einstellung zum Gegenstand erfolgen, was bedeutet, daß wir nach dem sozialen Problem fragen,2 auf das die fdGO reagiert. Die Schwierigkeit eines solchen Vorgehens besteht darin, die juristische und die soziologische Problemorientierung getrennt zu halten, ohne sich der Möglichkeit zu begeben, beide auch wieder aufeinander zu beziehen.3

1 Spätestens an dieser Stelle der Untersuchung kann denn eine vollständige Neutralität gegenüber dem rechtlichen Gegenstand nicht mehr durchgehalten werden; das rechtliche Material ist so heterogen, daß man sich entscheiden muß, an welche der beiden verfassungstheoretischen Positionen mit der rechtssoziologischen Deutung angeknüpft werden soll. Daß dies in diesem Fall das liberale Grundrechtsverständnis ist, findet eine mögliche Begründung in den mit rechtstheoretischen Mitteln ausgewiesenen Defiziten der Wertlehre [siehe dazu oben Kap. IV.3.]; es kann aber auch damit begründet werden, daß die Grundrechte, soweit sie als Freiheitsrechte interpretiert werden, das soziologisch bestimmte Problem, auf das sie reagieren, „besser“ bearbeiten [siehe dazu oben Kap. V.4.b)]. 2 Weitergehende rechtstheoretische Überlegungen dazu bei Podlech (1980). 3 Siehe zu der Frage, was die „Funktion einer Rechtsregel“ ausmacht, auch Podlech (1971: § 26). Man erkennt deutlich das Bestreben, die Systemreferenzen Recht und Gesellschaft auseinanderzuziehen, um sie anschließend wieder aufeinander beziehen zu können, sowie die korrespondierende Frage, ob Rechtstheorie oder Rechtssoziologie für die Bestimmung der Funktion von Rechtsregeln zuständig sind.

1. Die fdGO als verfassungsrechtliches „Grenzproblem“

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1. Die fdGO als verfassungsrechtliches „Grenzproblem“ und ihr Verhältnis zu den Diskriminierungsverboten des Art. 3 Abs. 3 GG Überall dort, wo in der Verfassung der Begriff der fdGO auftaucht, ist ein Problem der Abwehr von Gefahren von eben dieser Ordnung angesprochen (Azzola 1972: 803). Indem rechtlich fixiert wird, was als Inhalt der fdGO zu gelten hat, wird uno actu eine Entscheidung über die Freiheit des Bürgers und die Zulässigkeit öffentlicher Gefahrenabwehr getroffen. Die Art und Weise, wie der Inhalt der fdGO bestimmt wird, wirkt also auf das faktische Fungieren dieser Grundordnung in entscheidender Weise zurück, so daß mit der Bestimmung des Gehalts der fdGO zugleich die reale Freiheitsgewährleistung der Verfassung zur Disposition steht. „Dabei verliert die Norm ihren defensiven Charakter, wenn durch extensive Auslegung in fehlsamer Weise verpflichtende Elemente in sie hineingelegt werden. Denn jedes dem Inhalt der ‚freiheitlichen demokratischen Grundordnung‘ zugerechnete Prinzip erweist sich für den Bürger als verpflichtendes, seine politische Handlungsfreiheit begrenzendes Element. Anders ausgedrückt heißt das: Wird auch nur ein Prinzip unzulässig zur ‚freiheitlichen demokratischen Grundordnung‘ gerechnet, ist die freiheitliche demokratische Verfassung nicht defendiert, sondern tendenziell ausgehöhlt: Eine unzulässige Anreicherung des Inhalts der ‚freiheitlichen demokratischen Grundordnung‘ verwandelt diese Verfassung in einen autoritären Rechtsstaat.“ (Azzola 1972: 802 f.)

Es ist dieser Zusammenhang von juristischer Begriffsarbeit und tatsächlicher Freiheit des politischen Handelns, der sich als das eigentliche „Grenzproblem“ demokratisch-verfassungsstaatlicher Ordnung erweist. Denn mit der Notwendigkeit, zwischen rechtlich zulässiger und rechtlich unzulässiger Opposition unterscheiden zu müssen, taucht ein Risiko auf: das Risiko, die Intension des Ausdrucks „fdGO“ in „überschießender“ Weise zu bestimmen und somit das zu gefährden, was es eigentlich zu schützen gilt – und in diesem Sinne einem „autoritären Rechtsstaat“ Vorschub zu leisten. „Autoritär“ wäre ein Rechtsstaat dann, wenn er die politischen und weltanschaulichen Diskriminierungsverbote, also die in Art. 3 Abs. 3 GG verpönten Kriterien, zum Anknüpfungspunkt von zulässigen Differenzierungen und politischen Zielen machte. Die Diskriminierungsverbote stünden dann von vornherein unter einem verfassungsimmanenten Vorbehalt, einer verfassungsimmanenten Schranke (Azzola 1972: 813; Schlink 1976b: 360 f.). Man kommt also bei keinem Versuch einer rechtsdogmatischen Einordnung der fdGO umhin, die Frage nach dem Verhältnis von Freiheitsrechten und Gleichheitssatz zu stellen. Im hier zu diskutierenden Fall erfordert dies zu klären, ob und gegebenenfalls unter welchen Bedingungen ein Eingriff in

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VII. Die Funktion der fdGO

die politischen Freiheitsrechte mit den Diskriminierungsverboten des Art. 3 Abs. 3 GG vereinbar ist. Verfassungsrechtliche Gleichheit wird durch Art. 3 Abs. 1 GG angeordnet. Trotz der zentralen Stellung dieser Norm im Grundgesetz sind Funktion und Gehalt des allgemeinen verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes4 umstritten. Da die Rede von Gleichheit nicht auf den juristischen Sprachgebrauch beschränkt ist, bietet es sich an, den Ausdruck „gleich“ zunächst in seiner allgemeinen Verwendung zu untersuchen, das heißt abgelöst von seinem Gebrauch in juristischen Argumentationskontexten. Der Versuch, einen Begriff der Gleichheit zu entwickeln, führt zu folgendem Ergebnis: Gleichheit ist ein dreistelliges Relationsprädikat, das zwei Sachverhalte (logisch: Individuen) mit einer gegebenen Eigenschaft in Beziehung setzt. Die beiden Sachverhalte sind gleich genau dann, wenn sie die fragliche Eigenschaft teilen (Podlech 1971: § 3). Unterscheidungstheoretisch betrachtet handelt es sich bei Gleichheit um eine Form, und zwar um die Einheit der Differenz von gleich und ungleich, wobei die Innenseite der Form zugleich dem Begriff seinen „Namen“ gibt. Dabei unterwirft das Prädikat „gleich“ die Klasse der Sachverhalte (den Individuenbereich), die in einer bestimmten Hinsicht als gleich gelten können, keinerlei Einschränkungen, und entsprechend sagt auch die Form der Gleichheit nichts darüber aus, welche Eigenschaft es ist, mit Blick auf die zwei Sachverhalte als gleich ausgezeichnet werden können. Bei Gleichheit handelt es sich um ein in seiner Anwendungsreichweite unbeschränktes Schema, welches durch Bifurkationen (man denke etwa an Klassifikation) zum Aufbau systemischer Ordnung beiträgt (Luhmann 1991; ferner Fuchs 1996). Gegenüber diesem allgemeinen Begriff von Gleichheit ist der Begriff der verfassungsrechtlichen Gleichheit in zwei Hinsichten enger: zum einen beschränkt er die Klasse der Individuen, die in einer bestimmten Hinsicht als gleich bezeichnet werden können, und zwar auf die Klasse der vom öffentlichen Recht definierten Rechtsträger; neben der Verengung des Individuenbereichs führt der Ausdruck „verfassungsrechtlich gleich“ aber auch zu einer Spezifikation der Eigenschaft, im Hinblick auf welche die Rechtsträger gleich oder ungleich sein können. Es muß sich um eine Beziehung handeln, „die zwischen den Personen, denen verfassungsrechtliche Gleichheit zukommt, und dem Staat“ besteht (Podlech 1971: 35, Hervorh. dort). Diese Bestimmung leitet aber zunächst nur auf die Frage über, was es denn bedeutet, wenn ein Rechtsverhältnis zwischen Personen und der öffentlich hoheitlich handelnden Gewalt (dem Staat) durch Gleichheit gekennzeichnet sein soll (Podlech 1971: § 4). 4 So der Titel der Untersuchung von Podlech (1971), an der sich die folgenden Ausführungen orientieren.

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Ließe sich der normative Gehalt des Gleichheitssatzes bestimmen, dann wäre es zugleich möglich, Aussagen darüber zu treffen, welche Rechtsregeln und welches Verhalten der staatlichen Gewalt gegenüber ihren Bürgern mit dieser Rechtsregel unvereinbar sind. Semantischen Gehalt hätte der Gleichheitssatz in dem Maße, in dem er selbst Kriterien enthielte, die festlegten, was jeweils unter welchem Gesichtspunkt als gleich beziehungsweise ungleich zu behandeln ist. Da jedoch das Prädikat „gleich“ solche Kriterien nicht aufweist und damit den nötigen Vergleich selbst nicht anzuleiten vermag, kann man sagen, daß der Gleichheitssatz semantisch gehaltsleer ist (Podlech 1971: § 10; Westen 1982). Aus der Tatsache, daß der Gleichheitssatz keine Aussage darüber trifft, was mit ihm vereinbar oder nicht vereinbar ist, darf aber nicht geschlossen werden, daß die Rechtsregel überflüssig ist. Der Gleichheitssatz kann stattdessen als an den Rechtsanwender gerichtete Aufforderung verstanden werden, nach zureichenden Gründen für die Zulässigkeit einer rechtlichen Differenzierung zu suchen. Er enthält eine Argumentationslastregel, „zugunsten derjenigen, die die verfassungsrechtliche Unzulässigkeit einer rechtlichen Differenzierung rügen“ (Podlech 1971: 89, Satz 11.5). Zulässig sind demnach nur solche rechtlichen Differenzierungen, für deren verfassungsrechtliche Zulässigkeit sich hinreichend plausible Begründungen finden lassen. An die Stelle semantischen Gehalts tritt beim Gleichheitssatz diese rechtlichen Vermutung und der in ihr sich ausdrückende pragmatische Gehalt (Podlech 1971: § 11); von diesem pragmatischen Gehalt kann man zugleich annehmen, daß er die Funktion des Gleichheitssatzes verkörpert (Luhmann 1965b: 169).5 Gerade die Tatsache, daß die Form der Gleichheit nichts darüber aussagt, unter welchem Gesichtspunkt Sachverhalte auf ihre Gleichheit oder Ungleichheit hin abgeprüft werden müssen, deutet also darauf hin, daß der Sinn der Differenz darin zu suchen ist, daß man bei ihrer Anwendung in einen Vergleich gezwungen wird. Die Kriterien des Übergangs von der einen auf die andere Seite der Unterscheidung müssen dabei dem jeweiligen Kontext abgerungen werden, in dem die Form zur Anwendung gebracht wird. Die Form der Gleichheit zwingt die Systeme dazu, Kriterien dafür zu entwickeln, was jeweils als gleich beziehungsweise ungleich behandelt (Luhmann 1991a: 442) und welches „Mischverhältnis“ von Selbstreferenz und Fremdreferenz dabei zugrunde gelegt werden soll. Erfolgt dieser Vergleich im Rechtssystem, das heißt mit Blick auf Normen, kommt darin zugleich eine Präferenz für die Seite der Gleichheit zum Ausdruck. Sofern man also die Form als Norm behandelt, führt das zu einer Asymmetrie, da 5 Die analytische Rechtstheorie bedient sich verschiedentlich der bedeutungstheoretischen Differenz von Semantik und Pragmatik, um rechtstheoretische Problemstellungen zu beschreiben (vgl. etwa Wro´blewski 1985: insbes. 240 f.).

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VII. Die Funktion der fdGO

sich Gleichheit selbst genügt, wohingegen jede Ungleichbehandlung nach einer zureichenden Begründung verlangt. Die eigentlich entscheidende Frage ist damit aber noch nicht beantwortet: wie nämlich unter diesen Bedingungen Kriterien gewonnen werden können, die als zureichender Grund einer Ungleichbehandlung gelten dürfen. Podlech (1971: 104) schlägt vor, zwischen positiven und negativen sowie zwischen hinreichenden und notwendigen Kriterien für die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit einer Ungleichbehandlung zu unterscheiden. Positive Kriterien sind solche, bei deren Vorliegen eine Ungleichbehandlung zulässig ist, während negative Kriterien Bedingungen für die Unzulässigkeit einer Ungleichbehandlung sind. Ein hinreichendes Kriterium einer Ungleichbehandlung ist ein solches, welches es rechtfertigt, einen Sachverhalt als (eine entweder zulässige oder unzulässige) Ungleichbehandlung auszuweisen, ohne daß auszuschließen ist, daß der Sachverhalt auch dann in selbigem Sinne qualifiziert werden kann, wenn das Kriterium nicht vorliegt. Ein notwendiges Kriterium einer Ungleichbehandlung ist ein solches, bei dessen Fehlen es ausgeschlossen ist, daß ein Sachverhalt als (entweder zulässige oder unzulässige) Ungleichbehandlung qualifiziert wird, wobei es sein kann, daß trotz des Vorliegens des Kriteriums selbige Qualifikation nicht zugewiesen werden darf. Kreuztabuliert man diese beiden Unterscheidungen, so ergeben sich vier Kriterien für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Ungleichheit. „Ein Kriterium heißt dann hinreichendes positives Kriterium, wenn aus dem Umstand, daß der durch das Kriterium beschriebene Sachverhalt vorliegt, immer folgt, daß die Ungleichbehandlung zulässig ist. Ein Kriterium heißt dann ein notwendiges positives Kriterium, wenn aus dem Umstand, daß der durch das Kriterium beschriebene Sachverhalt nicht vorliegt, immer folgt, daß die Ungleichbehandlung zulässig ist. Ein Kriterium heißt dann ein hinreichendes negatives Kriterium, wenn aus dem Umstand, daß der durch das Kriterium beschriebene Sachverhalt vorliegt, immer folgt, daß die Ungleichbehandlung unzulässig ist. Ein Kriterium heißt dann ein notwendiges negatives Kriterium, wenn aus dem Umstand, daß der durch das Kriterium beschriebene Sachverhalt nicht vorliegt, immer folgt, daß die Ungleichbehandlung zulässig ist.“ (Podlech 1971: 104, Satz 14.1.1–14.1.4, Hervorh. dort)

Dieses Raster versetzt uns in die Lage, der Frage nach dem Verhältnis von politischer Freiheit und Gleichheitssatz eine präzisere Fassung zu geben. Die Abs. 2 und 3 des Art. 3 GG enthalten die sogenannten Diskriminierungsverbote. Die dort genannten Kriterien besagen aber nicht, daß Differenzierungen zwischen Personen unterschiedlichen Geschlechts, unterschiedlicher Sprache oder unterschiedlicher Rasse grundsätzlich nicht erlaubt wären. Die Diskriminierungsverbote müssen stattdessen vor dem

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Hintergrund des Verständnisses des Gleichheitssatzes als Argumentationslastregel gelesen werden; sie „stellen [. . .] verfassungsrechtliche Inhaltsbestimmungen des Ausdrucks ‚zureichender Grund für eine Ungleichbehandlung‘ dar“ (Podlech 1971: 91). Es handelt sich um Kriterien, die keinesfalls für die Begründung einer Ungleichbehandlung herangezogen werden können, mithin um hinreichende negative Kriterien einer Ungleichbehandlung. Was diese Kriterien dem Staat untersagen, sind nicht Ungleichbehandlungen zwischen Personen, die die in Art. 3 Abs. 3 GG genannten Merkmale aufweisen, sondern nur, daß derartige Ungleichbehandlungen ihre Begründung in den dort genannten Merkmalen finden können (Podlech 1971: 104, Satz 14.1.3; Schlink 1976a: 202). Und wie für die anderen in Art. 3 Abs. 3 GG genannten Merkmale gilt also auch für das Kriterium der politischen Anschauung, daß dieses nicht in die Begründung einer Ungleichbehandlung eingehen darf. Die staatliche hoheitliche Gewalt darf also sehr wohl Menschen mit unterschiedlichen politischen Anschauungen unterschiedlich behandeln, nur dürfen diese unterschiedlichen politischen Auffassungen eben nicht als Differenzierungsgrund in Anschlag gebracht werden. Während die politischen Freiheitsrechte das politische Wollen und Handeln widerleglich freistellen, verhindert das Diskriminierungsverbot, daß ein Eingriff in diese Freiheitssphäre mit dem Hinweis auf unterschiedliche politische Anschauungen begründet werden kann (Schlink 1976b: 351 f.). Vor dem Hintergrund dieses Diskriminierungsverbots erhebt sich die Frage, unter welchen Umständen der Inhalt einer politischen Äußerung trotzdem in die Begründung einer Ungleichbehandlung von Fällen eingehen darf. Dies ist nur dann der Fall, wenn eine Rechtsregel eine politische Position in zulässiger Weise aus dem Bereich politischer Freiheit ausscheidet, denn in diesem Fall liegt der Grund der Zulässigkeit der Differenzierung im Rechtssatz selbst, und eine solche Rechtsregel fungiert immer als hinreichende positive Bedingung einer Ungleichbehandlung6 – sofern sie mit Art. 3 GG vereinbar ist (Schlink 1976b: 351 f.). Eine einfachgesetzliche Norm kann dies nicht leisten, da ein Anknüpfen an den Inhalt von politischen Meinungen verfassungsrechtlich durch die Art. 3 und 5 GG ausgeschlossen ist. Nur soweit im Grundgesetz selbst solche Sanktionen vorgesehen sind, ist dies möglich. Die Art. 18 und 21 Abs. 2 S. 1 GG sehen derartige Rechtsfolgen vor, falls deren Verhältnismäßigkeit begründet werden kann (Schlink 1976b: 353–360; ähnlich Ridder 1957: 364 f.). An dieser Stelle treffen sich die Suche nach gleichheitskonformen Diskriminierungs6 Nur im Fall konditionaler Programmierung – und nicht generell, wie Westen (1982) meint – ist der Gleichheitssatz „redundant“. Und nur in diesem Fall entspricht der Suche nach Gründen für eine Ungleichbehandlung eine Verhältnismäßigkeitsprüfung; sie ist nicht – wovon Huster (1994) ausgeht – ein grundsätzliches Merkmal der Gleichheitsprüfung.

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gründen und die Prüfung der Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs zum Zwecke des Schutzes der fdGO. Wenn letzteres gegeben ist, ist dies zugleich eine hinreichende positive Bedingung einer Ungleichbehandlung. Auf der Basis der vier Kriterien, die über die Zulässigkeit einer Ungleichbehandlung entscheiden, läßt sich die Frage nach dem Verhältnis von Freiheitsrechten und verfassungsrechtlichem Gleichheitssatz wiederaufnehmen. Es ist gängige Praxis, die Freiheits- und Gleichheitsrechte als zwei Klassen subjektiver Rechte nebeneinanderzustellen und entsprechend im Falle etwaiger Grundrechtsverletzungen sowohl auf die Zulässigkeit etwaiger Freiheitsverletzungen als auch auf mögliche unzulässige Ungleichbehandlungen abzuprüfen.7 Die eingeführten Kriterien erlauben es, von dieser Auffassung abzurücken und das Recht auf Gleichheit dogmatisch eher als „grundrechtsrangige[n] Aspekt eines jeden subjektiven Rechtes“ (Luhmann 1965b: 167) denn als eigenständige Anspruchsform zu begreifen. Mit der Feststellung, daß Art. 21 Abs. 2 GG als Konditionalprogramm ein notwendiges hinreichendes Kriterium ist, welches es erlaubt, zwischen politischen Auffassungen zu differenzieren, ist zunächst nur sichergestellt, daß nicht andernorts nach Begründungen für eine solche Ungleichbehandlung gesucht werden muß. In diesem Umstand ist noch keine Antwort auf die Frage angelegt, wie dem rechtlichen Ausdruck „fdGO“ Gehalt zugeführt werden kann. Es ist nämlich keineswegs eine Eigenschaft von Konditionalprogrammen, keine unbestimmten Rechtsbegriffe zu enthalten. So ist ein verhältnismäßiger Eingriff zum Schutze der fdGO zwar ein hinreichendes positives Kriterium der Differenzierung zwischen rechtlich zulässigen und unzulässigen politischen Positionen, dabei bleibt aber zunächst offen, ob die fdGO auch spezifische Inhalte umfaßt oder nur grundlegende Prämissen staatlichen Entscheidens – was immer das heißen mag –, wieweit also gegebenenfalls die Identifikation mit einer wie auch immer zu bestimmenden Ordnung gehen muß. Man sieht sich mit all dem also auf das dogmatische Ausgangsproblem zurückgeworfen, den Gehalt des infragestehenden rechtlichen Ausdrucks „fdGO“ bestimmen zu müssen, um zwischen rechtlich zulässiger und unzulässiger politischer Opposition diskriminieren zu können.

7 „Es bleibt rätselhaft,“ meint dagegen Luhmann (1965b: 164), „wieso jemand, der ein bestimmtes Recht hat, nicht nur Behandlung nach Maßgabe seines Rechts, sondern außerdem und daneben noch beanspruchen kann, gleich behandelt zu werden“. Vgl. auch Gentz (1968: 1606), der von einer „merkwürdige[n], noch nicht abschließend geklärte[n] Bedeutung“ des Verhältnisses von grundrechtskonstitutivem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und Gleichheitssatz spricht.

2. Die fdGO als demokratische Grundordnung

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2. Die fdGO als demokratische Grundordnung Die fdGO wird oftmals und ohne weitere Erläuterung als „freiheitliche Demokratie“ verstanden. Wer so formuliert, unterstellt implizit, daß es sich bei dem Ausdruck „fdGO“ um einen Pleonasmus handelt. Dann erhebt sich allerdings die Frage, warum das Grundgesetz die zu schützende Grundordnung als zugleich freiheitliche und demokratische qualifiziert. Vielleicht können einige der in der Literatur anzutreffenden interpretatorischen Unklarheiten ausgeräumt werden, wenn man den möglichen Wortsinn des Ausdrucks „fdGO“ zu ermitteln versucht, indem man seinen semantischen Bestandteilen „freiheitlich“ und „demokratisch“ je eigenständige Bedeutung zumißt und sie getrennt expliziert. Erst eine solche begriffliche Abschichtung lässt dann auch erkennen, in welcher Weise die durch diese Prädikate bezeichneten Phänomene empirisch verschränkt sind. Fragt man zunächst, was das Grundgesetz unter Demokratie versteht, so fällt auf, daß es keine Legaldefinition des Demokratiebegriffs kennt. Die Klärung des Ausdrucks kann dann nur unter Rückgriff auf außerrechtliche Vorstellungen erfolgen (Lameyer 1981: 190). Was aus dieser Offenheit gemacht wird, kann jedoch keinesfalls befriedigen. Die verfassungstheoretische Auseinandersetzung mit dem Demokratiebegriff kann nicht gerade durch übersichtliche Argumentationslinien beeindrucken. Sie bleibt einer überkommenen ideengeschichtlichen Tradition verhaftet, die sich auf Begriffe wie Repräsentation und Gemeinwohl stützt. Die Diskussionsgesichtspunkte werden weiterhin von identitären Demokratiekonzeptionen abgezogen, die die Einheit von Herrschenden und Beherrschten als Grundproblem ansetzen. Auf die Tatsache, daß die Realitäten kaum als Einebnung dieses Unterschieds begriffen werden können, kann man dann nur mit normativem Beharrungsvermögen und der Suche nach zweit- oder drittbesten Lösungen reagieren. Wenn man solche Positionen von ideologiekritischer Warte aus betrachtet, kommt man zu dem wenig überraschenden Ergebnis, daß in einem überprüfbaren Sinne kein Volk jemals herrschte oder auch nur über einen „Willen“ verfügte, der nur deswegen nicht umfassend zur Geltung kommt, weil es an geeigneten institutionellen Arrangements fehlt. Wer sich an der Lincolnschen Formel von der „Herrschaft des Volkes durch das Volk für das Volk“ orientiert, verschleiert wissentlich oder unwissentlich die wirklichen (Macht-)Verhältnisse. Zu meinen, es wäre wirklich so, wie der von Lincoln geprägte Satz glauben machen will, hieße somit, eine als „Ideal“ verkleidete Illusion und damit einen Irrglauben zur Grundlage der Interpretation eines zentralen Begriffs des Verfassungsrechts zu machen. Allerdings liefern diese in einem weiteren Sinne ideologiekritischen Überlegungen zunächst noch keine positiven Anhaltspunkte dafür, welche realen Vorgänge

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VII. Die Funktion der fdGO

durch die politik-philosophischen Vorstellungen von „Volksherrschaft“ abgedunkelt werden.8 Eher schon mag es gelingen, die Kritik auf eine systematischere Grundlage zu stellen, wenn man fragt, welche Unterscheidungen den von der Politischen Theorie tradierten Auffassungen nicht zur Verfügung stehen. Die Politische Theorie begreift Politik weiterhin als ein grundlegend dialogisches, über Anwesenheit von Betroffenen ablaufendes Geschehen. Geht man aber von der Tatsache aus, daß die Kommunikationsform Interaktion unter Anwesenden sehr spezifischen Beschränkungen unterliegt, dann muß man von dem Versuch Abstand nehmen, Funktion und Struktur des Politischen auf Interaktionseffekte abbilden zu wollen, und stattdessen zwischen den Systemtypen Interaktion, Organisation und Gesellschaft unterscheiden (Luhmann 1975a). Das bedeutet nicht, daß einer der drei Systemtypen vernachlässigt werden kann. Wohl aber heißt dies anzuerkennen, daß die Gesellschaft im Verhältnis zur Interaktion eine emergente Ebene der Sinngeneralisierung ist, die sich entsprechend an qualitativ anderen Strukturen orientiert. Soweit die Beschreibung von Politik sich weiterhin an der vormodernen Vorstellung einer „face to face society“ orientiert, kommt aber die Gesellschaft – gleiches gilt im übrigen für Organisationen – als Gegenstand eigenen Rechts gar nicht vor (Laslett 1967; Thompson 1994). Die dominanten Strukturmuster der Moderne werden schlichtweg ausgeklammert. Wer so ansetzt, kann nicht anders, als systematisch an seinem Gegenstand vorbeizugreifen. Die begriffliche Anlage der Politischen Theorie führt dann zwangsläufig dazu, daß Fragen sozialer Ordnung kaum ernsthaft aufgeworfen werden; und wenn doch, dann sucht man die Lösung im hypothetischen Vertragsschluß einer Population von Chimären (Laslett 1967: 167–169). Ein weiteres kommt hinzu: auch das, was als Gesellschaft figuriert, kann, wenn die Argumentation von aristotelischen Prämissen ihren Ausgang nimmt, nicht den Realitäten entsprechen. Sie verkennt die Veränderungen, die die Gesellschaft seit den Zeiten der sogenannten athenischen Demokratie durchlaufen hat. Die Gesellschaft ist keine politische Gesellschaft mehr, 8 Tatsächlich finden sich im Verfassungsrecht oftmals völlig konturlose Ausführungen zu Begriff und Funktion der Demokratie, denen höchst individuelle politikphilosophische Vorstellungen zugrunde liegen. Insoweit ist die Kritik berechtigt, daß der Demokratiebegriff im Verfassungsrecht zu einem Einfallstor für ideologische Versatzstücke geworden ist. Strittig ist, wie mit diesem Befund umzugehen ist. Entweder man ist der Auffassung, daß die Ideologiegeneigtheit des Verfassungsrechts im allgemeinen und der „streitbaren Demokratie“ im besonderen zum Verzicht auf Methode nötigt, und daß man bestenfalls die Auswüchse durch ein Mehr an Reflexion disziplinieren kann (so wohl Dreier 1977); oder man orientiert sich weiterhin an der Annahme, es gebe identifizierbare Bedingungen der Richtigkeit verfassungsdogmatischer Argumentationen (Schlink 1980). Von letztgenannter Position gehen wir im folgenden aus.

2. Die fdGO als demokratische Grundordnung

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die von staatlichen Entscheidungen fundamental durchdrungen ist, sondern eine funktional differenzierte Sozialordnung. In dem Maße, in dem die Politische Theorie sich desungeachtet fortgesetzt vormoderner Denkfiguren bedient, wird ihre Begrifflichkeit in Anwendung auf die funktional differenzierte Gesellschaft inadäquat (Luhmann 1981c: Kap. III). Und nicht nur das: sie entwickelt insoweit totalitäre Implikationen, als sie auf eine Durchpolitisierung der Gesellschaft abzielt oder eine solche von ihrer Anlage her jedenfalls nicht ausschließt (Holmes 1979). Es ist offensichtlich nötig, die Analyse politischer Phänomene von den politik-philosophischen Altlasten zu befreien und auf eine gegenstandsadäquatere Basis zu stellen. Im Rahmen einer „Demokratietheorie“, die – mit welchen Modifikationen auch immer – weiterhin die Identität von Herrschenden und Beherrschten als Grundproblem ansetzt, läßt sich kein angemessenes Verständnis der Ordnungsfragen gewinnen, die gemeint sind, wenn von Demokratie die Rede ist. Gleiches gilt für eine theoretische Anlage, die die Gesellschaftsordnung auf Interaktion und auf die Fiktion eines Primats des Politischen verkürzt. Man verstellt sich damit die Möglichkeit, Macht als das zu betrachten, was sie ist: ein auf die Gesamtgesellschaft gesehen unentbehrlicher Ordnungsfaktor. Nur wer sich hier blind stellt, kann allen Ernstes der Meinung sein, es wäre möglich, eine Demokratietheorie zu formulieren, die nicht zuerst Machttheorie ist. Soweit die Politische Theorie den Machtbegriff dem Demokratiebegriff nachordnet und Macht auf ein eingestandenermaßen unvermeidliches, aber vor allem disziplinierungsbedürftiges Faktum reduziert, das sowohl Partizipationsbedürfnissen im Wege steht als auch der Qualität politischer Entscheidungen oftmals abträglich ist, führt dies zu einer unzulässigen Marginalisierung von Macht in ihrer ordnungsstiftenden Funktion. Denn wenn man Demokratie und Macht als Antonyme begreift – was auf einen Kategorienfehler hinausläuft – wird die Suche nach Lösungsmöglichkeiten für Probleme sozialer Ordnung, denen eigentlich Macht- oder Herrschaftsfragen zugrunde liegen, verstellt, und die Fragen, die man dann noch stellen kann, können ihren realitätsfremden Charakter kaum verhehlen. Uns ist es demgegenüber darum zu tun, einen empirisch gesättigten Demokratiebegriff zu entwickeln, der solche Fragen in adäquater Weise diskutierbar macht, und wir nehmen an, daß dies nur im Wege einer theoretisch geführten und funktional orientierten Begriffsexplikation gelingen kann. a) Das politische System und das Medium Macht Die fdGO definiert die verfassungsrechtlichen Grenzen zulässiger politischer Opposition. Die rechtlichen Fragen, die sich an dem Ausdruck „fdGO“ entzünden, haben also in inhaltlicher Hinsicht „Politik“ zum Gegenstand

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– ohne daß damit auch gesagt wäre, daß sie nur Politik zum Gegenstand haben. Jedenfalls kommt das Rechtssystem bei seinen Versuchen, die fdGO auf den Begriff zu bringen, nicht umhin, sich Rechenschaft darüber abzulegen, was es unter Politik, die demokratischen Ansprüchen genügt, verstehen will. Soll das Bild, daß es sich von Politik macht, überdies der Anforderung genügen, den gesellschaftlichen Realitäten soweit als möglich Rechnung zu tragen, so muß es auf Grundlage empirisch gesättigter Beschreibungen entwikkelt werden; das kann zum Beispiel – und es lassen sich gute Gründe für ein solches Vorgehen finden – auf der Grundlage einer Theorie des politischen Systems geschehen (Luhmann 1968a). Die dogmatischen Lösungen, die sich auf solcher Basis formulieren lassen, sind dann, systemtheoretisch ausgedrückt, eine Funktion derjenigen Beschreibungen, die das Recht von einem anderen Funktionssystem der modernen Gesellschaft anfertigt. Wie für jedes Funktionssystem finden sich die (Minimal-)Bedingungen, die eine Beschreibung von Politik als System zu rechtfertigen vermögen, auch hier wieder in der Monopolisierung einer Spezialfunktion in Verbindung mit einem universal anwendbaren binären Code. Die spezifische Funktion des Politischen liegt im Bereithalten der Kapazität zu kollektiv bindendem Entscheiden (Luhmannn 1981c: 82; 2000: 84–86).9 Damit ist die Möglichkeit der Politik angesprochen, auf gesellschaftliche Konfliktlagen (jedenfalls grundsätzlich jederzeit) durch kollektiv bindendes Entscheiden reagieren zu können – und dafür sind entsprechende Machtkapazitäten erforderlich. Entgegen einer sich hartnäckig haltenden Vorstellung besteht also kein intrinsischer Zusammenhang zwischen Politik und Konsens, vielmehr setzt Politik gerade dort an, wo gesellschaftlicher Konsens endet. Politik institutionalisiert Konflikte in Gestalt machtförmiger Kommunikationen; und Macht fungiert dabei als „das nach außen abgrenzbare, nach innen hin offene Problem, das diese Funktion vorzeichnet“ (Luhmann 2000: 87). Bei Macht handelt es sich – anders könnte der Zusammenhang von Funktion und Systemschließung nicht hergestellt werden – um einen binären Code, der als Einheit der Differenz von überlegener und unterlegener Macht (beziehungsweise von Macht und Ohnmacht) die im politischen System möglichen Anschlüsse dirigiert. Die Orientierung an Macht sorgt für das notwendige Maß an selbstreferentieller Orientierung der politischen Kommunikation.10 9

Im einzelnen verweist diese Funktionsbestimmung darauf, daß es sich immer um Entscheidungen handelt; daß diese Entscheidungen mit Bindungswirkung ausgestattet sein müssen; daß es sich um effektive, mithin durchsetzungsbewehrte Entscheidungen handelt; und daß schließlich die Bindung eine kollektive ist, die auch den Binder als Gebundenen einschließt (Luhmannn 2000: 84 f.; ferner 1981c: 82). 10 Wir betrachten die Begriffe politische Macht und Herrschaft im folgenden als in Grenzen austauschbar. Beide Begriffe verweisen auf die Kompetenz, kollektiv bindende Entscheidungen zu treffen. Impliziert ist also immer ein Verhältnis von

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Auch machtförmige Kommunikation bewegt sich als soziales Geschehen im Medium des Sinns. Allerdings löst Macht das Doppelproblem von Selektion und Verweisungsüberschuß auf eine sehr spezifische Art. Man kann daher sagen, daß Macht selbst ein Medium bildet, das sich über ein laufendes Koppeln und Entkoppeln von Formbildungen in einem medialen Substrat regeneriert. Formen werden im Medium der Macht dann sichtbar, wenn es gelingt, Kausalpläne auszumachen. Ereignisse werden also im Medium Macht auf einen Zusammenhang von Ursache und Wirkung hin gelesen; zugleich setzt diese Reduktion von Komplexität die Identifikation von Handelnden voraus, denen das Hervorrufen bestimmter Wirkungen als Absicht oder Motiv zugeschrieben werden kann.11 Will man Kausalität als Resultat intentionaler Selektionsleistungen begreifen, muß man Beobachter beobachten. Die Formbildungen im Machtmedium ergeben sich also daraus, wie man Ursache und Wirkung einerseits sowie Handelnde andererseits aufeinander bezieht. Und genau darin, in der Tatsache also, daß Kausalität immer nur als zugeschriebene Kausalität wirksam wird, kommt zum Ausdruck, das Macht als Einheit der Differenz von loser und fester Kopplung verstanden werden muß (Luhmann 2000: Kap. 2.II–2.III). Im Machtmedium kann jederzeit so oder anders über Kausalität und Intentionen disponiert werden – und jedem ist bekannt, daß dies bekannt ist. Wie für alle Medien gilt also auch für Macht, daß Lagen von Erwartungserwartungen entstehen, die sich zugleich selbst voraussetzen und reproduzieren.12 Daß es bei Politik um Fragen des Kommunikationserfolges geht, liegt auf der Hand. Macht fungiert im politischen System als ein symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium, welches dazu beiträgt, eine Unwahrscheinlichkeitsschwelle zu überschreiten, die einer erfolgreichen Verkettung von Kommunikationen entgegensteht.13 Symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien differenzieren sich über unterschiedliche ZurechnungskonÜber- und Unterordnung, gleichviel ob wir von Herrschaft, staatlicher Macht oder auch hoheitlicher Gewalt sprechen. Herrschaft kann als spezifische Form des Machtgebrauchs verstanden werden, die sehr deutlich einen Verweis auf diejenige Instanz mitführt, die gemeinhin „Staat“ genannt wird. Der Machtbegriff dagegen ist der umfassendere Begriff, einmal in dem Sinne, daß sich Machtausübung auch in umgekehrter Richtung – vom Bürger zum Staat – denken läßt, und zum anderen aus dem Grund, daß es – was hier nicht interessiert – auch nicht-politische Macht gibt. 11 Für einen solchen Motivbegriff, der Motive als sozial akzeptable „accounts“ begreift, siehe etwa Mills (1940) und Blum/McHugh (1971). 12 Der Machtbegriff ist also weder kausal- noch handlungstheoretisch, sondern informationstheoretisch gebaut. Es geht darum zu beobachten, wie Kausalität und Handlung zur Erzeugung von Information herangezogen werden (Luhmann 1991b: 18). 13 Zum folgenden siehe insbesondere Luhmann (1969b; 1988c; 2000: Kap. 2).

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stellationen von Erleben und Handeln.14 Im Falle machtförmiger Kommunikation werden auf beiden Seiten der Alter-Ego-Beziehung Selektionen als Handlungen vollzogen, wobei Alter seine Selektion in Egos Handlungsprämissen eingebaut sehen will. Als unwahrscheinlich erweist sich die Institutionalisierung dieser Selektionszumutung zunächst ganz einfach deswegen, weil einem durch Absichten eines anderen ein Handeln angesonnen wird, welches man von sich aus nicht wollen würde. Die schiere Menge an alternativen Handlungsoptionen legt – in einer Situation, die gerade nicht durch Reziprozität, also durch die Bereitschaft Alters zur Gegenleistung strukturiert ist (Luhmann 1988a: 14) – ein Handeln Egos nahe, das anders ausfällt, als von der Sinnofferte Alters „intendiert“.15 Macht bewerkstelligt die notwendige Engführung von Selektion und Motivation, indem sie sich negativer Sanktionen bedient. Mit dieser Verfügung über negative Sanktionsmittel erweist sich Macht als Drohmacht. Ihre Wirksamkeit bezieht die Drohung mit Sanktionen daraus, daß sie in einer von Alter und Ego hergestellten Situationsdefinition eine Alternative (die mögliche Realisierung der Sanktion) sichtbar werden läßt, die beide nicht wollen; gleichzeitig ist der Drang, die Alternative zu vermeiden, auf Seiten Egos ausgeprägter als bei Alter – nur dadurch wird die Vermeidungsalternative überhaupt zur Sanktion, die Alter gegen Ego in Anschlag bringen kann. Macht verdankt sich also einer „invers konditionalisierte[n] Kombination von relativ negativ bewerteten und relativ positiv bewerteten Alternativenkombinationen“ (Luhmann 1988a: 24). Auf beiden Seiten der Beziehung muß eine nicht notwendig transitive, aber doch im Prinzip als durchschaubar zu denkende Reihung von Alternativen unterstellt werden, die dispräferierte Optionen umfaßt. Kommunikation wird machtförmige Kommunikation genau dann, wenn es gelingt, die Präferenzordnung von vorzugswürdigen und zurückzusetzenden möglichen Realitäten nochmals zu relationieren. Diese Relationierung der Präferenzreihungen stützt sich auf eine dispräferierte Möglichkeit, die sowohl Alter (der „Machthaber“) als auch Ego (der „Machtunterworfene“) nicht realisiert sehen wollen, wobei dies für Ego in stärkerem Maße gilt als für Alter und beide von dieser Asymmetrie wissen.16 Damit 14 Es handelt sich bei Erleben und Handeln um einen Schematismus, der dann einrastet, wenn die Sinnverarbeitung eines Systems daraufhin abgetastet wird, ob Ereignisse ihren Ursprung innerhalb oder außerhalb des Systems haben (Luhmann 1984: 123 f.); für detailliertere Ausführungen siehe Luhmann (1978a) und zu den attributionstheoretischen Grundlagen Jones/Nisbett (1971). 15 Im übrigen liegt die besondere Brisanz von Handlungszumutungen darin, daß sich Handlungsabsichten leichter zurückweisen lassen als Selektionen, die im Erleben gründen (Luhmann 1988a: 19 f.). 16 Luhmann (2000: 47) spricht hinsichtlich des von Ego und Alter dispräferierten Verlaufs der Kommunikation auch von einer „zweiten artifiziellen Präferenzstruktur“.

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„entsteht die Möglichkeit einer konditionalen Verknüpfung der Kombination von Vermeidungsalternativen mit einer weniger negativ bewerteten Kombination von anderen Alternativen“ (Luhmann 1988a: 22, Hervorh. dort), so daß Ego in der Regel dazu motiviert wird, die von Alter gewünschte Selektion zur Voraussetzung seines eigenen Handelns zu machen (Luhmann 1988a: Kap. 1, 2).17 Es bleibt die Frage zu beantworten, wie diese motivationstheoretische Beschreibung mit der Vorstellung verbunden werden kann, daß Macht durch die fortlaufende Einprägung von Formen in einem Medium regeneriert. Man muß zeigen können, wie im Medium Macht das Beobachten von Absichten mit der selektiven Wirkung von Drohkommunikation zusammengeführt wird. Daß es sich bei Macht um ein symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium handelt, besagt nicht nur, daß dazu motiviert wird, abgrenzbare Selektionszumutungen anzunehmen, sondern auch, daß politische Macht den Kontext, der die Bedingungen dieser Durchsetzungsfähigkeit setzt, gleich mit verfertigt. Die gegenläufige Präferenzbewertung läßt die Selektivität auf beiden Seiten der sozialen Beziehung in besonderer Weise hervortreten. Deswegen wird unter der Ägide des Machtmediums jedes Handeln zum Entscheiden. Da auch der Verzicht auf Handlung als Entscheidung gelesen werden kann, verliert, wer sich im Machtmedium bewegt, die Kontrolle darüber, ob er entscheiden möchte oder nicht. Da „Macht als Möglichkeit (Potenz, Chance, Disposition) erscheint und auch als solche wirkt“ (Luhmann 1988a: 24, Hervorh. dort), sieht man 17 Macht arbeitet also auf der Grundlage der Differenz von angedrohtem und realisiertem Zwang. Die auf „zwanglosem Zwang“ gegründete Selektivität des Machtmediums geht in dem Maße verloren, in dem Zwangsmittel tatsächlich zum Einsatz kommen müssen, um Ego zur Übernahme der Prämissen Alters zu bewegen. „Im Grenzfall läuft Zwang auf Anwendung physischer Gewalt hinaus und damit auf Substitution eigenen Handelns für unerreichbares Handeln anderer“ (Luhmann 1988a: 9, auch 64). Gewalt wirkt im Kontext von symbolisch generalisierter Machtkommunikation als symbiotischer Mechanismus, repräsentiert also den Verweis auf Körper (Luhmann 1974a; 1976). Genau besehen löst sich Macht in dem Moment auf, in dem die angedrohten Sanktionen realisiert werden müssen (Luhmann 1988a: 9, 23). Macht ist darauf angewiesen, daß die Anwendung von Sanktionen die Ausnahme bleibt (Luhmann 1988a: 23), und deswegen kann man auch sagen, daß sie in einer „Nullmethodik“ gründet (Luhmann 2000: 46; so auch Bachrach/Baratz 1963: 635–637; Schiltz 2006: 51). Erfüllt Macht ihre Funktion, so läßt das Wissen über ein vorhandenes Machtgefälle einen „gegenläufigen“ Willen häufig gar nicht erst entstehen. „Die Kausalität der Macht besteht in der Neutralisierung des Willens, nicht unbedingt in der Brechung des Willens des Unterworfenen“ (Luhmann 1988a: 11 f.). Die „ursprünglich“ gegebene Tendenz, Handlungszumutungen abzuweisen, wird dann situativ so transformiert, daß die Neigung entsteht, machtbasiertes Entscheiden als unvermeidliche Faktizität zu erleben. Macht steht und fällt also mit der Möglichkeit, bestimmte Handlungsverläufe zu vermeiden (dies auch die These von Bachrach/Baratz 1963: 641 f.).

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sich auf beiden Seiten der Machtrelation gezwungen, sich zu den Optionen, die das Machtmedium eröffnet, zu verhalten. Machtkommunikation, obgleich auf beiden Seiten der Relation auf Handlungszuschreibungen gegründet, wird dann selbst als unvermeidbares Faktum erlebbar (Luhmann 1988a: 24 f.). In diesem faktisch wirksamen Möglichkeitsüberschuß liegt die Symbolizität des Machtmediums. Führt man diese Überlegungen in einem formtheoretischen Definitionsversuch zusammen, kann man sagen, daß Macht medial gesehen aus einem Reservoir loser Kopplungen zwischen einer unüberschaubaren Zahl denkbarer Programme und den Sanktionsmitteln besteht, die zur Durchsetzung eben dieser Programme eingesetzt werden können. Die vorübergehenden strikten Kopplungen von Kausalplan und angedrohter Sanktion prägen sich als Formen ins Medium ein (Luhmann 2000: 49 f.). Zwei Eigenschaften von Macht sind von besonderer Bedeutung: Erstens handelt es sich bei Macht um einen steigerungsfähigen Sachverhalt. Macht ist größere Macht in dem Maße, als sie sich auch angesichts attraktiver Handlungsoptionen noch durchzusetzen vermag, je unwahrscheinlicher also ihr Erfolg ist. Damit hängt die Intensität von Macht nicht nur von den Möglichkeiten ab, die dem Machthaber zur Verfügung stehen, um zu drohen, sondern zugleich von der Optionsvielfalt desjenigen, dem die Übertragungsleistung zugemutet werden soll (Luhmann 1988a: 8–10). Als Medium löst sich Macht zweitens von einer allzu engen Bindung an Personen und Interaktionszusammenhänge. Macht ist kein Attribut personaler Träger, sondern eine relationales Vermögen (so auch Bachrach/Baratz 1963; Nagel 1968). Gerade in der Depersonalisierung von Macht liegen Möglichkeiten, sie in erheblichem Maße zu steigern. Die für Macht konstitutiven Relationen von unterschiedlich bewerteten Vermeidungsalternativen lassen sich nämlich durch reflexive Handhabung von Macht nochmals relationieren.18 Damit ergibt sich die Möglichkeit, Handlungsketten zu bilden (Luhmann 1988c: 31– 41), so daß Selektionen mit zeitlich, sachlich und sozial deutlich vergrößerter Reichweite möglich werden. Machthaber wie Machtunterworfener können sich damit auf Situationen einstellen, unter denen Macht ausgeübt werden kann. Allerdings müssen unter Bedingungen von Reflexivität und letztlich von symbolischer Generalisierung nicht nur die Handlungsintentionen durch Zuschreibung fixiert werden; auch die Sanktionsmittel und deren Wirkmächtigkeit verdanken sich dann kaum noch durchschaubaren Vermutungen über den Aufbau und die Wirkweise zukünftiger Handlungsketten. Das Problem der Akzeptanz von Handlungszumutungen wird umgesetzt auf ein zirkuläres Verhältnis von Macht und Motiv (Luhmann 1988a: 19–21). 18 Zur Selektivitätsverstärkung durch reflexive Prozesse siehe Luhmann (1966; 1984: Kap. 11.X).

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Das Machtmedium wirkt unter derartigen Bedingungen ausgeprägt „lückenkonfiguriert“ (Fuchs 1993: 41), vieles wird über „nondecisions“ geregelt (Bachrach/Baratz 1963: 641 f.). Macht – man kann es kaum anders als derart opak formulieren – wird damit zu einem Spiel mit der Intransparenz des Systems. Eben das stellt aber auch ein Problem dar. Denn ungeachtet aller symbolischen Qualitäten der Macht steht und fällt ihr Funktionieren mit der Möglichkeit, sie als Machtausübung eines Machthabers zu begreifen, obwohl auf beiden Seiten der Beziehung gehandelt wird (Luhmann 1988c: 32 f.). Die machtspezifische Selektivität kommt nur zustande, wenn der Machtunterworfene auf Seiten des Machthabers die Potenz erkennt, durch Entscheidung handlungsauslösend wirken zu können. Genau diese Zurechnungsleistung – die Möglichkeit, Motive und relative Unterschiede bei der Gewichtung von Vermeidungsalternativen ausmachen zu können – wird jedoch unter Bedingungen der Reflexivität von Macht prekär. Der unmittelbare Vergleich von Machtlagen verliert an Bedeutung und stattdessen gerät Macht mehr und mehr in Abhängigkeit von Information, da man ohne ein ausreichendes Maß an Information gar nicht erkennen kann, wer über welche Möglichkeiten (erfolgversprechenden Drohens) verfügt – und also auch nicht, welche Optionen sich einem selbst bieten (Luhmann 1988a: 10, 25 f.). Die Zirkularität von Macht und Motiv droht, die Differenz von überlegener und unterlegener Macht in der Diffusität der Verhältnisse verschwinden zu lassen. Jedenfalls soweit Macht als Kognitionsgrundlage der Ausdifferenzierung des politischen Systems fungieren soll, stellt dies ein Problem dar, da die Funktion des Politischen nur dann zuverlässig erfüllt werden kann, wenn hinsichtlich der Differenz von überlegener und unterlegener Macht eine gewisse Eindeutigkeit gegeben ist. Man muß wissen, wer kollektiv bindende Entscheidungen zu treffen befugt ist (Schiltz 2006: 54 f.). Die Generalisierung des Machtcodes führt, mit anderen Worten, zu Konsistenzproblemen bei der Handhabung von Macht. In zunehmendem Maße entsteht ein Bedarf, zwischen genetischen und strukturellen Bedingungen von Macht zu unterscheiden (Luhmann 1988a: 25). Der Machtgebrauch muß in weitem Maße von expliziten Drohungen entkoppelt und auf Erwartungen gestützt werden. Das verlangt eine doppelstufige Symbolstruktur, die den Mediencode und seine Symbolhaftigkeit „von denjenigen Symbolen, die Selektionen oder Selektionsbereitschaften signalisieren, Themen oder Meinungen übermitteln und entsprechende Erwartungsinhalte festlegen“, zu unterscheiden erlaubt (Luhmann 1988a: 36). Im politischen System muß der Gebrauch von Macht unter Bedingungen gesetzt werden, die auf das Problem der Instabilität von Machtlagen reagieren. Geleistet wird dies über die Einrichtung der Stelle. Stellen sind Kompetenzregeln, die Elastizi-

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tät und Stabilität kombinieren. Eine Stelle bleibt nämlich als Stelle selbst dann noch erkennbar, wenn Personen ausgetauscht, wenn Inhalte variiert oder das Kompetenzgefüge, also das Verhältnis zu anderen Stellen, verändert werden; ihre Identität geht erst dann verloren, wenn zu viele dieser Veränderungen zugleich vorgenommen werden. Während die Informationsabhängigkeit des Machtgebrauchs dazu anregt, Machtpotentiale herauszufordern, macht die Institution der Stelle dieses ständige Antesten von Macht obsolet oder läßt es jedenfalls ohne unmittelbare Auswirkungen auf die Identität der Stelle bleiben, indem sie die Macht in der Stelle und nicht in der Person, die sie besetzt, verortet. Die dort lokalisierte Macht bleibt situationsübergreifend identifizierbar, da sie sich nicht etwa mit einem gescheiterten Testen von Machtchancen bereits auflöst, und kann damit als zeitstabile Entscheidungsprämisse behandelt werden (Luhmann 2000: Kap. 3.V). Politische Macht wird unter diesen Bedingungen zu Amts- oder Stellenmacht. Die Einrichtung der Stelle verbindet eine Depersonalisierung der Macht mit deren Hierarchisierung. Bestimmte Positionen werden als Orte formal überlegener Macht ausgewiesen und wirken daher im System als Beobachtungsattraktoren. Die politische Kommunikation gewinnt ihre Konturen damit entlang einer deutlich erkennbaren Differenz von oben und unten. Der Intransparenz des Machtmediums wird also durch eine hierarchische Strukturierung der Verhältnisse begegnet (Luhmann 1988c: 51). Das politische System weist in Form seiner Spitzenämter ein sichtbares „Zentrum“ aus, welches nicht nur mit einer einfachen Kompetenz zum Treffen kollektiv bindender Entscheidungen versehen ist, sondern das zugleich über eine „Kompetenz-Kompetenz“ verfügt, das heißt in reflexiver Manier auch noch über die Kompetenzverteilung in Machtfragen entscheiden kann. Gemeinhin nennt man diese Spitze auch den Staat des politischen Systems. Im Staat werden höchste Generalisierung von Macht und einfache Zurechnung kombiniert (Luhmann 1988a: 68) – und darüber wird die Einheit der Differenz von Kontingenz und Bindung symbolisiert (Schiltz 2006: 60 f.).19 Auch mit der hierarchischen Strukturierung des politischen Systems sind aber keineswegs alle Probleme politischer Macht gelöst. Mit der Fiktion einer systemischen Spitze gelingt es zwar, die Einheit des Mediums beziehungsweise des Systems zu symbolisieren. Aber gerade die Einheitsprätention, mit der die „höchsten Symbole“ auftreten (Luhmann 1988c: 55), legt die Frage nahe, wie mit ihnen verfahren werden soll. Das Hierarchieprinzip 19 Alle Versuche, den Begriff des Staates zu explizieren, dürfen als gescheitert gelten. Anspruchsvollere Versuche, den Begriff auf empirische Sachverhalte einzustellen, führen anscheinend beinahe zwangsläufig auf eine Theorie des politischen Systems. Instruktiv in diesem Zusammenhang die problembewußten Überlegungen von Drath (1966; 1977); siehe auch Luhmann (1981c: 89 f.).

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unterstellt stabile Machtkonfigurationen, die Konflikte durch Orientierung an formalen Kompetenzen entscheidbar machen. Es stößt dann an seine Grenzen, wenn es zu Bestrebungen kommt, diese Kompetenzordnung selbst zu verändern. Die hierarchische Ordnung kann nicht auch noch über ihre eigene Gültigkeit befinden, so daß sich an der Spitze des politischen Systems und der Symbolisierungsfunktion, die es übernimmt, immer wieder Auseinandersetzungen um Fragen der Legitimation entzünden. Es geht um die Frage, wie die immensen Möglichkeiten zur Steigerung von Macht, die mit der Symbolisierung des Politischen im Staat einhergehen, mit Beschränkungen kombiniert werden können. b) Funktionen der politischen Wahl I: Entfeudalisierung des politischen Prozesses Derartige machtverändernde Konflikte konnten solange vermieden werden oder blieben jedenfalls unproblematisch, wie die Rekrutierung von Personen für staatliche Ämter und die damit verbundene Allokation von Entscheidungsrechten durch Merkmale geregelt waren, die in der Person des Herrschers lagen und als erblich betrachtet wurden. In dem Moment, in dem die Überzeugungskraft dieser Praxis zu erodieren beginnt, wird der Umgang mit Stellenmacht begründungsbedürftig. Abstrakt betrachtet wird damit eine Entwicklung hin zu einer stärkeren Spezifikation von Politik angestoßen. Es entsteht ein Bedarf dafür, politische Kommunikation mit einer gewissen Indifferenz gegenüber anderen „Generalisierungsrichtungen“ der Kommunikation auszustatten, sie also von nicht-politischen Verpflichtungen und Loyalitäten soweit freizustellen, daß ihr die Kriterien des Entscheidens nicht mehr gleichsam von der Gesellschaft aufgezwungen werden können (Luhmann 1965b: 160). Dieser Problematik, die vor allem an Fragen der Rekrutierung politischen Personals erkennbar wird, kann man sich zunächst in rollentheoretischer Perspektive nähern.20 Mit der Auflösung der überkommenen Legitimationspraxen wird die Frage virulent, ob und in gegebenenfalls welcher Weise nicht-politische Rollen bei der Besetzung politischer 20 Der Rollenbegriff findet hier als Erwartungsstrukturbegriff Verwendung. Rollen sind Erwartungsmuster, deren Relevanz mit dem Stand der gesellschaftlichen Differenzierung variiert. Von Rollentrennung (im Unterschied zu Rollenverflechtung) kann man dann sprechen, wenn der Zugang einer Person zu bestimmten Aufgaben und Leistungen nicht von der Gesamtperson abhängt, sondern von denjenigen Merkmalen der Person, die im Hinblick auf die Rolle relevant sind (siehe statt vieler Bates 1956; Levinson 1959; Morris 1971). Rollen gewinnen ihre Bedeutung dadurch, daß sie den personalen Rollenträger nach Maßgabe der Erwartungsausschnitte, die sie regulieren, als austauschbar betrachten. Rollen sind daher die im Vergleich mit Personen höher generalisierten Erwartungsmuster (Luhmann 1984: 430–432; 1983b: 88 f.); zur Differenz von Rolle und Person vgl. auch Turner (1978).

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Stellen von Belang sein sollen und dürfen (Luhmann 1965b: 139–141; 1975c: 156 f.). Die durch dieses Problem eingeleitete Entwicklung hin zu einer stärkeren Autonomisierung der Politik läßt sich genauer fassen, wenn man den Begriff der Rolle mithilfe der Parsonianischen pattern variables empfindlicher einstellt.21 Ältere Herrschaftsformationen (ebenso wie aktuelle nicht-demokratische Herrschaftsordnungen) koppeln politische Entscheidungsrechte an askriptive Merkmale. Sie tendieren zur Verquickung von Rollen, indem sie sowohl die politischen Entscheidungsbefugnisse als auch die Kontrolle dieser Herrschaft an die „Unterstützung durch die eigenen anderen Rollen der Herrscher“ (Luhmann 1975c: 157, Hervorh. dort) rückbinden. Die politischen Verhältnisse fußen damit auf stark personalisierten Mustern, die nur einen geringen Grad an Rollendifferenzierung zulassen. Im Zeitablauf tendiert der Modus der Rekrutierung für politische Entscheidungsrollen dazu, diese diffusen Rollenverquickungen aufzulösen. Die anderen gesellschaftlichen Aufgaben des Herrschers – seien es nun familiäre, religiöse oder wirtschaftliche – verlieren in zunehmendem Maße ihre Begründungskraft für dessen politische Herrschaft. Mehr und mehr wird von askriptiven Kriterien abgesehen und auf leistungsorientierte Merkmale umgestellt. Ausschlaggebend für die Besetzung der Position des Herrschers sind nicht länger dessen eigene andere Rollen, sondern ein Verhältnis der Rollenkomplementarität, welches den Zugang zu den politischen Leistungsrollen von der Zustimmung eines politischen Publikums abhängig macht (Luhmann 1975c: 157 f.; auch Stichweh 1988). Es ist in erster Linie die politische Wahl, die die gesellschaftsweit in Gang gesetzte Rollendifferenzierung institutionalisiert. Sie sorgt für eine Unterbrechung der diffusen Interdependenzen, die zwischen gesellschaftlichen Rollen bestehen, und unterbindet damit, daß sich die gesellschaftliche Verteilung von Einfluß unmittelbar in politische Macht übersetzen läßt (Luhmann 1965b: 138). Jede politische Wahl muß dabei insbesondere drei Merkmale aufweisen, damit sie als demokratisch gelten darf. Erstens wird 21 Von den Relevanzkriterien einer Rolle ist dabei nicht in einem statistischen, sondern in einem theoretischen Sinne die Rede. Der Rollenbegriff wird auch nicht mehr einfach über unterscheidbare Handlungsmuster oder -kontexte definiert, sondern erhält einen explizit gesellschaftstheoretischen Zuschnitt. Rollentrennung liegt dann vor, wenn der Zugang zu den mit einer Rolle verbundenen Anforderungen und Kompetenzen auf einer funktional spezifischen (im Gegensatz zu einer diffusen) Orientierung einerseits beruht und der Zugang zur Rolle über Leistungskriterien (und nicht über Askription) reguliert wird. Der Zugang zu den Institutionen, die auf einer solchen Form der Rollentrennung aufruhen, wird dann gemäß universalistischer (und nicht partikularistischer) Standards gewährt (vgl. Blau 1962; Parsons 1939; Works 1967).

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das Wahlrecht auf die gesamte Bevölkerung ausgedehnt, wobei nur solche Gruppen ausgeschlossen werden dürfen, für deren Ausschluß sich in funktionaler Hinsicht triftige Gründe finden lassen. Die Universalisierung der Wählerrolle wird zweitens durch die Gleichheit der Stimmgewichtung hergestellt. Schließlich muß drittens gewährleistet sein, daß die Stimmabgabe geheim erfolgt. Sind diese Anforderungen realisiert, hat dies eine Abtrennung von anderen gesellschaftlichen Bindungen und somit eine funktionale Spezifikation der Rolle des Wählers zur Folge (Luhmann 1975c: 158–160; Rokkan 1961). Von vorrangiger Bedeutung ist dabei die Tatsache, daß im Zugang zur Wahl wie auch im Wahlakt selbst alle Unterschiede zwischen den Wählern ignoriert werden – es sei denn, ihre Berücksichtigung läßt sich mit Blick auf die Funktion der Wahl rational begründen. Dabei handelt es sich um eine historische Entwicklung, die mehr und mehr Gründe für den Ausschluß bestimmter Gruppierungen entwertet. Man kann diesbezüglich auch von einer Entfeudalisierung der Politik auf der Grundlage eines sich universalisierenden Gleichheitsverständnisses sprechen (Podlech 1971: § 28). Daß die Wahl geheim erfolgt, stellt schließlich sicher, daß die in der Rolle des Wählers getroffenen Entscheidungen in anderen gesellschaftlichen Zusammenhängen nicht verantwortet zu werden brauchen.22 c) Demokratie als Re-Codierung des Machtcodes Obschon die unmittelbare Aufgabe der politischen Wahl in der Selektion von Führungspersonal zu suchen ist, reichen ihre Auswirkungen weit über den eigentlichen Wahlakt hinaus. Im Zuge der Institutionalisierung eines allgemeinen Wahlrechts kommt es zu einer durchgreifenden Veränderung der Bedingungen politischer Kommunikation. Mit der politischen Wahl werden auch der Staat und die dort lokalisierten Machthaber dem Machtgebrauch unterworfen. Die Spitze des Systems kann vom Wahlvolk übermächtigt werden. Damit wird der Machtgebrauch vollständig reflexiv (Schiltz 2006: 55), und das politische System entwickelt eine eigentümliche Empfindlichkeit gegenüber Faktoren, die es nicht mehr unter seine Kontrolle bringen kann (vgl. Luhmann 1988a: 55). Denn mit dem Wahlakt ist im politischen Prozeß eine Entscheidung vorgesehen, die von deren Trägern nicht mehr politisch verantwortet werden kann und muß. Im Zuge der Durchsetzung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts verändert sich also nicht nur die Einbindung der Abnehmer politischer Entscheidungen in den politischen Prozeß, sondern die politische Informations22 Damit berücksichtigt die politische Wahl sozusagen auch noch die Voraussetzungen ihres Gebrauchs, indem sie gewährleistet, daß nicht soziale Pressionen zur Folge haben, daß von dem Recht kein Gebrauch gemacht wird.

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verarbeitung insgesamt erfährt eine Umstrukturierung. Dies hat seine Ursache in einigen Eigenheiten des Verfahrenstyps „politische Wahl“. Entscheidend wirkt sich dabei aus, daß die politische Wahl den Regeln eines Nullsummenspiels gehorcht (Luhmann 1965b: 151; 1988a: 52). Sie macht damit die Besetzung derjenigen Stellen, die zum Treffen der „maßgeblichen“ Entscheidungen befugt sind, von einem Modus der Entscheidungsfindung abhängig, bei dem der Stimmenzugewinn der einen Gruppierung dem Verlust der anderen entspricht. Das Wahlergebnis garantiert also, daß trotz der grundsätzlichen Intransparenz der Machtverhältnisse und der fluktuierenden Machtlagen zu bestimmten Zeitpunkten quantifizierbare Aussagen über die Machtverteilung getroffen werden können. Das Summenkonstanzprinzip ergänzt das Hierarchieprinzip und eliminiert momenthaft alle Unsicherheiten über die Machtverteilung (Luhmann 2000: 64). Die politische Wahl entfaltet Wirkungen, die weit über den eigentlichen Wahlakt hinausreichen. Die politische Wahl wird zu dem strukturierenden politischen Faktor überhaupt. Politik wird unter demokratischen Bedingungen zu einem „Spiel“, bei dem jeder, der daran mit Erfolg teilzunehmen beabsichtigt, der Regel gehorchen muß, daß alles politische Handeln (und jedes Erleben politischen Handelns) auf das Ziel des Wahlgewinns hin zu orientieren ist. Die Politik bildet damit einen eigenständigen Rationalitätshorizont aus, der in einer „Pervertierung“ des Zweck-Mittel-Schemas gründet: Wahlgewinne sind nicht in erster Linie Mittel, die zum Zwecke der Verfolgung von Sachzielen angestrebt werden, sondern es sind die Sachziele, die daraufhin abgeprüft werden müssen, ob sie dem Erhalt von Machtpositionen zu- oder abträglich sind.23 Es entstehen Bedingungen, die den Gebrauch politischer Macht selbst riskant werden lassen, weil die Folge des Machtgebrauchs im Verlust der Macht bestehen kann. Zugleich führt diese Sonderrationalität politischen Entscheidens dazu, daß sich das System in eine Art Dauerwahlkampf verstrickt, welcher die Aufmerksamkeit des politischen Systems in sehr großem Maße bindet. Im Ergebnis heißt das, daß es Macht und nur Macht ist, die das politische „Spiel“ strukturiert: alle gegenteiligen Behauptungen erweisen sich damit als empirisch falsch; sie beruhen zumeist auf normativen – also nicht durch Funktionalisierung kontrollierten – Vorstellungen von Demokratie. Eine empirisch gesättigte Demokratietheorie läßt sich nur als Machttheorie formulieren.24 23 Downs (1957: 137); Luhmann (1965b: 151–154; 1975c: 164, Fn. 16); Schumpeter (1947: 448). 24 Schumpeter wird oftmals als Begründer oder doch wenigstens als Gewährsmann der sogenannten ökonomischen Theorie der Demokratie in Beschlag genommen. Ihren Anknüpfungspunkt meint diese Charakterisierung in der Definition Schumpeters (1947: 269) zu finden, der zufolge „the democratic method is that institutional arrangement for arriving at political decisions in which individuals ac-

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Der basale Machtcode von machtüberlegen und machtunterlegen bildet die Grundlage der Ausdifferenzierung von Politik als System. Er lenkt die Aufmerksamkeit auf die Herstellung und Sicherung von überlegener Macht, macht dadurch aber zugleich die Angreifbarkeit des Machthabers sichtbar. Die Institutionalisierung demokratischer Verfahren reagiert auf diese „prekäre Symbolizität“ von Macht, indem sie in die Spitze des politischen Systems Kontingenz einbaut. Politik wird zu einem Spiel mit und um Alternativen umgebaut, das in der Frage nach alternativen Machthabern kulminiert. Die kognitiven Möglichkeiten des politischen Systems werden dabei in erheblichem Maße durch das Moment der Legislatur bestimmt, weil dem System dadurch die eigene Zukunft mit Blick auf entscheidende („besonders mächtige“) Stellen notwendig unbekannt bleiben muß (Luhmann 2000: 104).25 Die Kontingenz übersetzt sich aber zugleich aus der Zeit- in die Sozialdimension. Die Regierung sieht sich nicht mehr nur den Regierten (also den Entscheidungsabnehmern) gegenüber, sondern zugleich einer Opposition, die einen rechtlichen Anspruch auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb hat. Mit dieser Spaltung der Spitze des Systems geht eine so tiefgreifende Veränderung der Kognitionsbedingungen politischer Kommunikation einher, daß das einfache und für Politik im allgemeinen konstitutive Dual von machtüberlegen und machtunterlegen zur Beschreibung der ablaufenden Prozesse nicht mehr hinreicht. Die Veränderungen müssen in quire the power to decide by means of a competitive struggle for the people’s vote“. Aus einer Situation der Konkurrenz um Stimmen, die den beschriebenen grundlegenden Stilwandel politischen Entscheidens herbeiführt, welcher alles politische Handeln auf das Ziel des Wahlgewinns hin rationalisiert, wird gefolgert, daß sich demokratisch verfaßte Politik in ökonomischen Begriffen beschreiben lassen müsse. Vermutlich begeht man hier einen Kategorienfehler, denn der Analogisierung demokratischer Politik mit wirtschaftlichen Prozessen liegt ein unklares Tausch- beziehungsweise Knappheitsverständnis zugrunde. Die Knappheit der Stimmen ist keine ökonomische Knappheit: weder werden Stimmen gegen Wahlversprechen getauscht, noch kann die Stimmabgabe selbst als Zugriff auf knappe Güter gelesen werden. Bei der Stimmenknappheit handelt es sich vielmehr um eine artifiziell hergestellte Knappheit, die dazu dient, Konflikte um Machtverteilungen sicht- und entscheidbar zu machen. Das Wahlrecht gibt dem Wähler genau genommen keine Tausch-, sondern sehr diffuse Drohpotentiale an die Hand. Daher stehen die Ausführungen Schumpeters einer Medientheorie politischer Macht vermutlich näher als den ökonomistischen Deutungen seiner selbst ernannten Nachfolger. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die These Prischings (1995), Schumpeters Ausführungen zur Demokratie gründeten in einer „Irrational Choice Theory“. 25 Damit verbunden ist ein nicht zu vernachlässigender legitimatorischer Effekt. Die Tatsache, daß demokratische Ordnungen trotz aller Probleme, die ihnen anhaften, auf eine erstaunlich breite Akzeptanz stoßen, dürfte in erster Linie durch die Hoffnung der Unterlegenen auf einen Wechsel begründet sein, die mit jeder Wahlniederlage einhergehen kann. Diese Hoffnung fußt auf der zeitlichen Beschränkung einer durch Wahlen erworbenen Befugnis, öffentliche Herrschaft auszuüben.

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den Machtbegriff selbst eingebaut werden: Macht konstituiert sich unter demokratischen Bedingungen als Differenz von Regierung und Opposition (Luhmann 2000: 98–101).26 Formuliert man die Strukturänderungen, welche durch die Demokratisierung des politischen Systems ausgelöst werden, in differenztheoretischer Terminologie, so kann man von einer Recodierung der politischen Macht sprechen. Damit wird eine Schematisierung des Beobachtens im Machtmedium erzwungen, die zu einer durchgreifenden Umstrukturierung politischer Kommunikation führt. Die Differenz von Regierung und Opposition überformt unter derartigen Bedingungen den basalen Machtcode und bildet fortan selbst den Präferenzcode des politischen Systems. Die Unterscheidung von Regierung und Opposition ist nicht nur Bedingung dafür, daß man berechtigterweise von einer politischen (Aus-)Wahl sprechen kann, sondern sie läuft in jeder politischen Kommunikation mit; sie ist es, die nun die Selbstreferenz des politischen Systems garantiert. Damit ist die Möglichkeit eröffnet, jeder politischen Entscheidung zwei Fassungen zu geben, und Politik wird unter diesen Bedingungen zu einer fortwährenden Reproduktion von Dissens. Letztlich liegt die Stabilität des Systems im Dissens – und in der Akzeptanz des auf Dauer gestellten Streits. Damit wird ein relativ reibungsloser Übergang von der einen auf die andere Seite des Duals ermöglicht. Diese „Technisierung“ des Machtcodes gelingt erst mit seiner Recodierung, weil der basale Machtcode noch eine zu starke Präferenz für den Designationswert aufweist (Luhmann 2000: 98–100). Das gilt auch und gerade für seine Ausprägungen als Amtsmacht, so daß man auch sagen kann, daß demokratische Verhältnisse zu einer „Zweitcodierung politischer Amtsmacht“ führen (Luhmann 2000: 103). Soweit Macht demokratisch verfaßt ist, läßt sich innerhalb des politischen Systems ein neuartiges Unterscheidungsarrangement ausmachen. Mit der Recodierung der Macht sieht sich jede Regierung im Spannungsfeld zweier 26 Ein älterer Vorschlag Luhmanns (1974a), das Dual von konservativ und progressiv als politischen Code anzusetzen, weist vor dem Hintergrund der Differenz von Codierung und Programmierung eine gewisse Unentschiedenheit auf. Nimmt man nämlich an, das politische System werde vermittels der Differenz von Regierung und Opposition codiert, dann handelt es sich bei „konservativ“ und „progressiv“ mit Blick auf diesen Code um dritte Werte – wenn auch um Werte, die auf einem Niveau sehr geringer Spezifizität angesiedelt sind. Siehe dazu Luhmann (1981c: 38): „Ähnliches gilt in bezug auf das, was man den Spezialcode für Politik nennen könnte: die Klassifikation von Themen [Programmen!, R. N.] nach ‚progressiv‘ und ‚konservativ‘. Es scheint zu den Bedingungen der Politikfähigkeit von Themen zu gehören, daß sie sich diesem Schema zuordnen lassen.“ Außerdem scheint sich diese Differenz nicht als Grundlage von symbolischen Generalisierungsleistungen zu eignen, und zwar unter anderem deswegen nicht, weil nicht zwischen Designations- und Reflexionswert unterschieden werden kann.

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Unterscheidungen. Politik muß jetzt nicht nur zwischen Regierung und Regierten, sondern zugleich zwischen Regierung und Opposition unterscheiden. Damit kommt es zu einer grundlegenden Umgestaltung des politischen Beobachtens; erst mit der Codierung politischer Kommunikation im binären Schema von Regierung und Opposition schließt sich das politische System in der für die Funktionssysteme der modernen Gesellschaft typischen Weise auf der Ebene der Beobachtung zweiter Ordnung. Die systematische Umstellung politischer Kommunikation auf ein Beobachten von Beobachtern zeitigt vor allem in zwei Hinsichten strukturelle Auswirkungen, die sich ebenfalls als Lösungen bestimmter Probleme beschreiben lassen: zum einen sorgt die politische Wahl für eine sehr spezifische Sensibilität gegenüber Umweltirritationen, die das System fortwährend dazu zwingt, entscheidungsfähige Alternativen zu präsentieren [Kap. VII.2.d)]; und zum anderen entstehen mit der politischen Wahl Beobachtungsverhältnisse, die zu einer Art Binnendiffenzierung des politischen Systems führen [Kap. VII.2.f)].27 d) Funktionen der politischen Wahl II: Formierung und Offenhalten von Alternativen In Demokratien wird also ein „Austauschverhältnis von Regierung und Opposition“ institutionalisiert, über das in freier und geheimer Wahl entschieden werden muß. Zugleich führt diese Wahl dadurch, daß sie das System mit einer ihm unbekannten Zukunft konfrontiert, zu einer Selbstreferenzunterbrechung – einem „Strukturbruch“ – im politischen System. Dieser Strukturbruch läßt sich auch als zweite Funktion demokratischer Ordnung formulieren: dem Formieren und Offenhalten von Alternativen. Zwar sind ein Mehrparteiensystem und periodisch wiederkehrende Wahlen keine hinreichenden Bedingungen der Herstellung und Erhaltung von systemischer Komplexität, und zwar unter anderem deshalb nicht, weil Konkurrenz um den Zugang zu Entscheidungskompetenzen in der Tendenz zu einer Angleichung der politischen Programme führt. Zumindest aber verunmöglicht der Wahlmechanismus eine ungebrochene Verlängerung von kompakten gesellschaftlichen Konfliktlinien in das politische System hinein. Dies läßt sich aber nur unter der Voraussetzung sicherstellen, daß die gesellschaftliche Umwelt des politischen Systems selbst durch vielfältig gebrochene Konfliktfronten („cross-cutting cleavages“) gekennzeichnet ist (Luhmann 1975c: 161 f.). Andererseits kommt es gerade unter Bedingungen einer heterogen strukturierten Umwelt zu einer Vervielfältigung von Konflikten, die zur politi27 Der Vorschlag, die politische Wahl anhand von drei Kernfunktionen zu charakterisieren, findet sich in Luhmann (1975c: Kap. III.3).

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schen Thematisierung drängen, was wiederum eine starke Fluktuation der politischen Unterstützung zur Folge hat, so daß man kaum davon ausgehen darf, daß sich die politische Wahl gut eignet, spezifischen Interessenkonstellationen Ausdruck zu verleihen. Im Wahlakt kann die gesellschaftliche Komplexität, obwohl (oder gerade weil) sie sich im Wahlverfahren nicht abbilden läßt, zur Entscheidung gestellt werden. In einem formalen Sinne stellt der Wahlakt überlegene politische Macht par excellence dar. Er unterwirft auch die Spitze des politischen Systems nochmals der Entscheidung und setzt damit Prämissen für alle weiteren politischen Entscheidungen. Zugleich aber führt sich die Vorstellung, im Wahlakt könne über Machtketten disponiert werden – Staatsrechtler sprechen hier gerne von einer ununterbrochenen „Legitimationskette“ –, selbst ad absurdum, da mit der politischen Wahl „alle Macht denen verfügbar [gemacht wird], die sie überhaupt nicht ausüben können“ (Luhmann 1988a: 41). In gewissem Sinne fällt im Wahlakt absolute Macht und völlige Ohnmacht zusammen. Die Steigerungsfähigkeit der Macht stößt hier ersichtlich an ihre Grenzen, weil mit dieser absoluten Macht praktisch nichts mehr darüber ausgemacht werden kann, was das System im Fortgang mit der durch den Wahlakt „delegierten“ Macht thematisch anfängt (vgl. Luhmann 1965b: 150). Das eigentliche Thema der politischen Wahl ist der Machtcode selbst (Luhmann 1988a: 55). Die Komplexität des Systems wird symbolisiert, indem man sie als Differenz zur Wahl stellt. Daß es sich bei dem Versuch, die Gesamtkomplexität des Systems auf eine Entscheidung abzubilden, um ein paradoxes Unterfangen handelt, läßt sich kaum übersehen. Es ist daher nicht ganz zutreffend, wenn man die Hauptfunktion der politischen Wahl darin sieht, dem „Volk“ ein Verfahren zur Entscheidung über gesellschaftliche Alternativen an die Hand zu geben. Das Wahlverfahren trägt nicht in erster Linie dazu bei, daß Perspektivendifferenzen in der Wahl zur Entscheidung gebracht, entschärft und damit gleichsam aus dem politischen System hinausgeleitet werden. Vielmehr ist die Wahl Bedingung der Möglichkeit dafür, widerspruchsreiche Komplexität zu erhalten und sie in der Form des Konfliktes in das politische System hineinzuleiten. Damit leistet sie, wenn es funktioniert, einen Beitrag zur Absorption gesellschaftlicher Konflikte (Luhmann 1975c: 162–164). Viele gesellschaftliche Konflikte, die zur Politisierung drängen, lassen sich korrekt nur als Effekte von Zuschreibungsprozessen beschreiben, die sich an Fragen der Zeitbindung entzünden. Derartige Konflikte entstehen, wenn Beobachter zukünftige Ereignisse auf Entscheidungen zuschreiben und dabei Risiko und Gefahr unterscheiden. Bei Risiko und Gefahr handelt es sich um die beiden Seiten eines Attributionsschemas, welches auf der Unterscheidung von Erleben und Handeln fußt und dessen gemeinsamer Fluchtpunkt Schäden sind, deren zukünftiges Eintreten man für wahrschein-

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lich oder doch für möglich hält. Die attributive Disposition über die Ursachen möglicher Schäden entscheidet darüber, ob etwas als Risiko oder als Gefahr betrachtet wird. Sofern die unerwünschten Entwicklungen auf Ursachen zurückgeführt werden, von denen ein Beobachter meint, daß sie ohne sein Zutun zustandekommen, werden Gefahren identifiziert; wenn dagegen die Schäden nicht als Effekt fremden Handelns erlebt werden, sondern wenn eigenes Handeln als (mit)ursächlich für deren Auftreten gesehen wird, dann liegt ein Risiko vor. Überträgt man dieses Schema in die Sozialdimension, dann erkennt man eine asymmetrische Verteilung von Betroffenheit: wer entscheidet, läßt Risiken entstehen, die sich für diejenigen, die von den Entscheidungsfolgen berührt werden, als Gefahren auswirken. Die moderne Gesellschaft produziert damit fortwährend changierende Lagen von Risiken und Gefahren, von Entscheidern und Betroffenen, die je nach Beobachtungsstandpunkt wechseln. Es sind nicht zuletzt die inkompatiblen Beobachtungsmodi der Funktionssysteme, die die Differenz von Risiko und Gefahr ins Relief treten lassen. Die Risiken, die in einem System eingegangen werden, können sich für ein anderes System als Gefahren auswirken, die es nicht unter seine Kontrolle bringen kann. Immer wenn die Kommunikation von Risiken und Gefahren handelt, geht es um soziale Kosten der Zeitbindung (Luhmann 1990d; 1991c). Es wäre völlig illusorisch zu glauben, die damit entstehenden Perspektivendifferenzen ließen sich – zum Beispiel durch eine bessere Einbindung Betroffener in die Entscheidungsvorbereitung – doch noch auf Konsens ableiten. Was bleibt, ist deren Politisierung. Es überrascht wenig, daß die Politik sich für Konflikte, die sich der Semantik betroffener Gruppen bedienen, empfänglich zeigt. Das politische System kann die gesellschaftlich kursierenden Gefahrenattributionen aufnehmen und sie zum Gegenstand politischer Entscheidungen machen. Es verwandelt damit gesellschaftliche Gefahren in politische Risiken. Darin liegt, wenn man so will, seine Funktion. Die Parteien werden unter Bedingungen instabiler Konfliktkonstellationen fortwährend gezwungen, sich entscheidungsbedürftigen Konflikten zu stellen. Dieser Zwang erzeugt eine Ungewißheit, eine „beeinflußbare, reduktionsbedürftige Zufälligkeit“ (Luhmann 1975c: 170), die ihrerseits einen nicht substituierbaren Antriebsfaktor für politisches Handeln darstellt. Die immerwährende Ungewißheit bezüglich der Frage, was die Gesellschaft je für entscheidungsbedürftige Probleme hält, sorgt dafür, daß das Machtmedium gleichsam in Zirkulation versetzt wird. Die politische Wahl konfrontiert das politische System mit Unsicherheit, was sein Verhältnis zur Umwelt angeht; sie überführt die Unbestimmtheit der Umwelt in eine selbsterzeugte Unbestimmtheit (Luhmann 1975c: 163 f.; 2000: 104 f.).

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e) Öffentliche Meinung Wenn es das politische System mit der ständigen Umwandlung von gesellschaftlicher in politische Kontingenz zu tun hat, liegt die Frage nahe, wie es sich dessen vergewissern kann, was eigentlich jeweils zur Politisierung ansteht. Man kann das Syndrom, welches entsteht, wenn die Politik die Gesellschaft unter dem Gesichtpunkt ihrer Politisierung und Politisierbarkeit beobachtet, mit dem Ausdruck öffentliche Meinung belegen.28 Im Anschluß an Baecker (1996) läßt sich die öffentliche Meinung als die Realisation von Öffentlichkeit im politischen System begreifen. Soweit sich die Selbstorganisation von Systemen an ihrer Öffentlichkeit ausrichtet, liegt das Problem in der Beobachtung von Relevanzstrukturen in der Umwelt des Systems. Es geht für das System sozusagen darum, sensibel gegenüber dem eigenen thematischen Ausgriff und dem Verhältnis zur gesellschaftlichen Umwelt zu bleiben und dem Anregungen für die Informationsverarbeitung zu entnehmen. Die Figur der Öffentlichkeit sorgt – kurz gesagt – dafür, daß im System auch die Variabilität der Grenzziehung von System und Umwelt noch mitberücksichtigt werden kann. Die Politik stellt diese Grenzsensibilität dadurch her, daß sie die Kontingenz der Unterscheidung von Politischem und Unpolitischem (oder Politischem und Privatem) auf die Meinung des Publikums bezieht. An Vermutungen, die das politische System über Interessen und Motive des Publikums anstellt, bricht sich die grundsätzliche Unkalkulierbarkeit der Umwelt. Indem man von diesem „Meinungsklima“ in mehr oder weniger gesicherter Weise Schlüsse auf die Verteilung politischer Unterstützung zieht, lassen sich Anknüpfungspunkte für die eigene Informationsverarbeitung gewinnen. Die Politik muß nämlich zugleich unterstellen, daß das Publikum sich durch geeignete Kommunikation in seinen Meinungen beeinflussen läßt. Bei diesen Versuchen, die öffentliche Meinung zu kanalisieren, ist man in starkem Maße auf Zuschreibungen angewiesen, die handlungsfähige Gruppen identifizieren, denen Motive und Interessen zugerechnet werden können. Da es immer zugleich um die Beobachtung und die Beeinflussung von Motivlagen geht, kommt man gar nicht umhin, die politische Konkurrenz (auch) als Inszenierung zu beobachten. Politik wird damit jedenfalls teilweise zu einer Frage des Managements von Aufmerksamkeit (vgl. Hilgartner/Bosk 1988). Politiker beobachten das Publikum und buhlen darum, von diesem Publikum beobachtet zu werden. Die öffentliche Meinung dient den Politikern dazu, sich ein Bild davon zu machen, wie sie von anderen Politikern und von einem Publikum, von dem man weiß, daß es diese wechselseitigen Beobachtungen ebenfalls beobachtet, gesehen werden. 28

Zum folgenden Luhmann (1970; 1992a; 2000: Kap. 8).

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Immer wenn von öffentlicher Meinung die Rede ist, geht es um einen rekursiven Kontext des Beobachtens von Beobachtern, an dem sich abgreifen läßt, was aktuell politisch relevant ist oder doch als denkbarer Gegenstand politischer Auseinandersetzung gelten kann. Die öffentliche Meinung ist für die Politik in etwa das, was der Markt für die Wirtschaft ist. Das aber heißt, daß die öffentliche Meinung das Intransparenzproblem nicht löst – sie ist das Intransparenzproblem. Ausgeschlossen ist damit zunächst und vor allem die Vorstellung, die öffentliche Meinung könne über die Aggregation individueller Präferenzen dargestellt werden. Es geht vielmehr um eine spezifische Form der Beobachtung von Beobachtern, die Relevanz für politische Kalküle erlangt. Öffentliche Meinung kann in diesem Sinne auch als Kommunikation im Medium der Meinungsbildung (Luhmann 2000: 286) beschrieben werden. Das Medium gerinnt zur Form, wenn entweder Themen gesetzt oder Beiträge zu bereits etablierten Themen geliefert werden (Luhmann 1970; 2000: 293 f.). Mögliche Wirklichkeiten müssen sich dabei immer an der Frage messen lassen, ob sie unter dem Gesichtspunkt von Zustimmung Erfolg versprechen. Die Formbildung im Medium der Meinungsbildung läuft im Bereich der thematischen Strukturierung maßgeblich über Schemata ab. Schemata sind hochgeneralisierte Wiedererkennungsmuster, die von situativen Besonderheiten weitgehend absehen, so daß sich sehr unterschiedliche Sachverhalte ein und demselben Schema zuordnen lassen. Werden mehrere Schemata über Kausalattributionen verbunden, kann man auch von Skripten sprechen. Durch den Rückgriff auf Skripte werden Problemdefinitionen sichtbar, die zugleich die Aufforderung enthalten, Abhilfe zu schaffen. Es sind die in der öffentlichen Meinung kursierenden Schemata, die dafür sorgen, daß die Demokratie empfindlich bleibt für veränderte Problemlagen und Präferenzen (Luhmann 2000: 300 f.). Die politische Beobachtung der Gesellschaft wird dabei in entscheidendem Maße über die Massenmedien vermittelt. Auch die Massenmedien sind ein Funktionssystem der modernen Gesellschaft. Die Massenmedien staffieren die moderne Gesellschaft mit Redundanzen aus, indem sie eine Art Hintergrundwissen bereitstellen, das jedem zugänglich ist. Darin liegt ihre Funktion. Die Massenmedien erfüllen diese Funktion, die Gesellschaft mit sich selbst bekannt zu machen; dies aber in einer paradoxen Weise, indem sie vor dem Hintergrund dieser Bekanntheitsprätention Überraschungen präsentieren. Sie diskriminieren fortlaufend zwischen Information und Nichtinformation und schließen sich auf der Grundlage dieses Codes als autopoietisches System. Was dabei jeweils als informativ gelten kann, darüber befinden auf der Ebene der Programmstruktur Themen und Beiträge (Luhmann 1996; 1997: Kap. 5.XX). Schon diese Prominenz der Unterscheidung von Themen und Beiträgen sowohl in den Massenmedien als auch in der öffent-

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lichen Meinung legt die Vermutung nahe, daß es deutliche Isomorphien zwischen beiden gibt. Eine weitere Ähnlichkeit liegt in der Tatsache, daß beide in starkem Maße auf Aufmerksamkeit und damit auf Neuigkeitswerte angewiesen sind.29 Allerdings wäre es irreführend, das, was man gemeinhin mit dem Ausdruck „öffentliche Meinung“ belegt, als entweder nur politisches oder nur massenmediales Phänomen zu betrachten. Während die Massenmedien gesellschaftliche Relevanzstrukturen und Konfliktlinien sichtbar beziehungsweise „öffentlich“ machen, erhöht sich damit zugleich die Wahrscheinlichkeit, dass die behandelten Themen auch in einem engeren entscheidungsbezogenen Sinne politische Bedeutung erlangen. Wenn von „öffentlicher Meinung“ die Rede ist, geht es also um die massenmediale Erfassung sinnhafter Komplexität, die dann durch politisches Entscheiden gegebenenfalls reduziert werden muß. Allerdings folgt aus der Tatsache, dass massenmediale und politische Aufmerksamkeit häufig konvergieren, nicht, daß sich das System der Massenmedien und dasjenige der Politik überlappen. Wenn in der Systemtheorie von „öffentlicher Meinung“ gehandelt wird, so ist genau dieses wechselseitige, zwischen massenmedialer und politischer Kommunikation bestehende Abhängigkeits- und Verweisungsverhältnis gemeint, das auch als strukturelle Kopplung von Politik und Massenmedien beschrieben werden kann. Von struktureller Kopplung spricht man dann, wenn es um Fragen der Einwirkungsmöglichkeiten von Systemen aufeinander geht und wenn diese Einwirkungsmöglichkeiten auf beiden Seiten einer Beziehung gemäß der jeweiligen systemischen Imperative als Erwartungsstrukturen institutionalisiert sind. Während die Massenmedien die politischen Themen, die sie aufgreifen, in erster Linie danach auswählen, ob ihr „Nachrichtenwert“ hinreichend hohe Aufmerksamkeit verspricht, stellt sich für die Politiker die dadurch hergestellte Öffentlichkeit völlig anders da: für sie geht es vordringlich darum, mit ihren Verlautbarungen die Unterstützung eines diffus bleibenden Publikums zu erlangen, mittelbar oder unmittelbar also um den Aufbau oder Erhalt von Macht. Die Politik bedient sich dabei der öffentlichen Meinung, um sich über sich selbst zu informieren und um die Anbindung an die gesellschaftliche „Konfliktkultur“ zu wahren, und sie tut dies vornehmlich über die Kanäle, die ihr von den Massenmedien zur Verfügung gestellt werden; die Massenmedien ihrerseits wüßten ohne den Bezug auf eine unterstellte öffentliche Meinung gar nicht, wie Politik informativ aufzubereiten ist. Diese „intersystemische“ Konstellation ist aber nicht nur von weitreichenden Ab29 Bedenkenswert ist in diesem Zusammenhang die Vermutung von Laermans (2005), daß der Wert, an dem sich die Massenmedien orientieren, nicht Information, sondern (öffentliche) Aufmerksamkeit ist.

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hängigkeiten gekennzeichnet, sondern sie eröffnet, indem sie „Resonanzkorridore“, also strukturell erwartbare Reaktionen, definiert, beiden Seiten auch Möglichkeiten, gezielt Einfluß zu nehmen (Luhmann 1990a: 38–44, Kap. 3.VIII; 1997: Kap. 4.IX, 2000: Kap. 10). Auf Seiten der beteiligten Systemen muß also vorausgesetzt werden können, daß die öffentliche Meinung im jeweils anderen System die ihr zugedachte Rolle spielt, andernfalls könnten Politik und Massenmedien nicht auf dem gegenwärtigen Entwicklungsniveau fortgeschrieben werden. So betrachtet ist die öffentliche Meinung Bedingung der Möglichkeit der Ausdifferenzierung beider Systeme. Der entscheidende Punkt ist, daß es zwar ohne Meinungs- und Pressefreiheit keine demokratische Politik geben kann, daß aber das Verhältnis von Politik und Massenmedien keines der partiellen Identität, sondern eines der Dependenz ist. Als Bedingung der Möglichkeit bleibt die öffentliche Meinung Teil des Materialitätsunterbaus beider Systeme, während sie in kognitiver Hinsicht nach Maßgabe zweier unterschiedlicher Codes gelesen wird.30 f) Funktionen der politischen Wahl III: Binnendifferenzierung des politischen Systems Betrachtet man die Meinungsbildung in der Politik als Effekt eines Mediums, das sich maßgeblich massenmedialer Kommunikation bedient, so wird die weiterhin verbreitete Auffassung hinfällig, die politische Wahl erlaube in mehr oder weniger vermittelter Weise eine Entscheidung über Präferenzen. Die Interessenkonstellationen und die Unterstützungsmuster, die die öffentliche Meinung prägen, wechseln viel zu schnell, um einen derartigen Abbildungseffekt von Interessen auf Entscheidungen annehmen zu können. In der politischen Wahl können bestenfalls hochstufig generalisierte Prämissen zur Entscheidung gestellt werden. Wenn es nun aber so ist, daß die unvermittelte Durchsetzung von Interessen nicht in den Aufgabenbereich der politischen Wahl fällt, dann liegt die Funktion jener möglicherweise gerade in dieser Nichtidentität: nämlich darin, die Prozesse der Rekrutierung politischen Personals und der Akquise politischer Unterstützung auf der einen Seite abzutrennen von der Formulierung von Interessen und dem Stellen von Forderungen auf der anderen.31 Die beiden Aspekte werden auf unter30

Wenn man von Materialitätsunterbau spricht, heißt dies auch, daß der Ausfall derjenigen Einrichtungen, die für die strukturelle Kopplung zweier Systeme sorgen, in den gekoppelten Systemen nicht mehr als Information registriert wird, sondern nur noch destruktiv wirken kann (Luhmann 1997: 102 f.). 31 Siehe zu dieser Differenz von Unterstützen und Fordern auch Easton (1957). Im Anschluß daran könnten auch Überlegungen angestellt werden, mit welchen Begriffen in einer Theorie des politischen Systems selbst- und fremdreferentielle Bezüge zu belegen sind.

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schiedliche Kommunikationswege verteilt, so daß ein Tausch von Interessenförderung gegen politische Unterstützung wesentlich erschwert wird. Da die „Interessen den Schlitz der Wahlurne nicht passieren“ (Luhmann 1965b: 150), kann bestenfalls noch in einem sehr abstrakten Sinne von einem Tauschverhältnis die Rede sein. Wenn man so will, werden hoch generalisierte Unterstützungsmuster gegen sehr diffuse Befriedigung eingetauscht (Luhmann 1975c: 164–166). Für die Erfüllung der Funktion des Politischen bleiben unter derartigen Bedingungen weite Entscheidungsspielräume offen.32 Aus der Perspektive des Publikums entstehen damit zwei unterschiedlich gerichtete „Kontaktbahnen“. In der einen Richtung wird dem Wähler in Form des Wahlaktes ein minimaler Einfluß gewährt, der sich allerdings nicht zur Durchsetzung spezifischer Interessen eignet, während sich umgekehrt persönliche Kontakte und Interventionen zwar zur Darstellung von Interessen eignen mögen, eine etwaige Umsetzung dieser Interessen in Entscheidungen aber anderen überlassen bleiben muß. Beides ist schließlich nochmals zu unterscheiden von der Rolle des Bürgers als Abnehmer staatlicher Entscheidungen (Luhmann 1975c: 166). Eine Perspektive, die vornehmlich mit dem Rollenbegriff arbeitet, stößt jedoch an Grenzen, wenn es darum geht, die strukturellen Eigenheiten des Machtmediums unter demokratischen Bedingungen genauer zu fassen. Luhmann hat daher vorgeschlagen, die Konsequenzen, die sich aus der demokratischen Behandlung des Hierarchieprinzips ergeben, auf ein Kreislaufmodell der Macht abzubilden, welches mit interaktionell hergestellten Schnittstelleneffekten arbeitet, aber zugleich erkennen läßt, daß diese Effekte ohne Organisationsbildung nicht denkbar sind.33 Angenommen wird, daß die Verwaltung, die Politik (im engeren Sinne) und das Publikum abgrenzbare Einheiten bilden, die jeweils paarweise in Form von Interaktionen in Kontakt treten, so daß politische Kommunikation als kreiskausales Arrangement beschreibbar wird. Dabei wird in Übereinstimmung mit gängigen Vorstellungen zunächst davon ausgegangen, daß die „höchste“ politische Macht sich dem Wahlakt verdankt, der es dem Publikum erlaubt, Führungspersonal zu 32

Es kommt zu einer Ausdünnung der Kausalität im politischen System, einer „losen Kopplung“ von Wahlakt und zukünftigem politischen Entscheiden (Weick 1976: 6). Man wird der Funktion dieser losen Kopplung nicht gerecht, wenn man sie als „Demokratiedefizit“ beschreibt. 33 Zum folgenden siehe Luhmann (1981c: Kap. VI; 1981b; 2000: Kap. 7.IV). Es gilt dabei zu berücksichtigen, daß man mit Blick auf den Machtkreislauf nur in einem metaphorischen Sinne von Differenzierung sprechen kann, weil dessen interne Strukturierung sich keiner Systemdifferenzierung verdankt, sondern in Begriffen von Interaktion formuliert ist (Luhmann 2000: 253, 255). Wenn wir mit Luhmann die dritte Funktion der politischen Wahl nichtsdestotrotz als Binnendifferenzierung des politischen Systems bestimmen, so muß man der damit in Kauf genommenen begrifflichen Ungenauigkeiten gewahr bleiben.

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selektieren und zwischen Parteiprogrammen zu entscheiden. Der Politik obliegt es, politische Prämissen soweit zu verdichten, daß sie entscheidungsfähige Formen annehmen können. Gerade in diesem Bereich geht es aber nicht mehr ohne Organisationsbildung; nur Parteien können denkbare verbindliche Entscheidungen in unverbindlicher Weise vorbereiten; und außerdem kann man nicht auf die Restriktionen und Anreizstrukturen verzichten, die dem Entscheiden durch Mitgliedschaftsbedingungen gesetzt sind (dazu Luhmann 2000: Kap. 7.V).34 Die Verwaltung schließlich vollzieht Entscheidungen und bindet darüber das Publikum, das seinerseits auf all das in der politischen Wahl reagieren kann. Damit schließt sich der „offizielle Machtkreislauf“, der von einer hierarchischen Gliederung der Macht ausgeht. Weil mit dem Wahlakt die Möglichkeit vorgesehen ist, daß die Befehlsempfänger die Spitze des Systems „übermächtigen“ können (Luhmann 1988a: 40), kann man von einem Kreislauf sprechen – dieser Reflexivität entspricht die geläufige Bestimmung von Demokratie als Paradoxie des sich selbst beherrschenden Volkes. Schon durch die Tatsache, daß die Anforderungen hierarchischer Machtausübung mit der Institutionalisierung eines Wahlvolkes nicht reibungslos zusammengehen – die Hierarchie wird durch die Machtkonkurrenz gleichsam untergraben –, wird die Gesamtordnung hochgradig intransparent. Weiter verstärkt wird der Komplexitätsdruck dadurch, daß der Machthaber in verschiedenen Hinsichten auf die Kooperationsbereitschaft seines Gegenüber angewiesen ist; in dieser Abhängigkeit liegt zugleich das Drohpotential der formal betrachtet machtunterworfenen Position. Da ein solches Potential an allen Kontaktstellen beobachtbar ist, kann auch hier von einem Kreislauf gesprochen werden: zur formalen Macht des offiziellen Machtkreislaufs tritt die informale Macht des inoffiziellen Kreislaufs hinzu (Luhmann 1988a: 41 f.). So sind die politischen Entscheidungen des Wahlvolkes keineswegs autonome, primär von Kosten-Nutzen-Erwägungen getragene und auf die gegebene Informationslage gestützte Vorgänge; vielmehr ist das Publikum darauf angewiesen, daß ihm Personen und Programme von den Parteien gleichsam vorgesetzt werden. Parteien produzieren – und dafür müssen sie sich der öffentlichen Meinung bedienen – Verstehens- und Interpretationshilfen für das Publikum. Ohne Parteien wäre es gar nicht möglich, zu wissen, was man politisch will oder auch nur wollen kann (dazu Ginsberg/Weissberg 1978). Auch die Politik produziert nicht einfach nur gesetzes- oder verordnungsförmige Direktiven, die von der Verwaltung umzusetzen sind, sondern 34 Deswegen bedarf es auch nicht des Grundgesetzes, um Parteien ihren Ort im politischen Raum zuzuweisen. Juristisch betrachtet sind politische Parteien Vereine. Es handelt sich um „Machterhaltungsvereine“, die sich aufgrund der Anforderungen machtförmigen Entscheidens zwangsläufig bilden. Jede grundsätzliche Parteienkritik geht damit fehl, weil sie Nichtkontingentes in Frage stellt.

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jene ist, will sie ihre Programme nicht vollständig an Machbarkeitsbedingungen vorbei entwickeln, auf inhaltliche, strategische und personale Kooperationen mit und Rücksichtnahmen gegenüber dieser angewiesen. Schließlich ist auch das Verhältnis von Verwaltung und Publikum nicht einfach eines von Weisungsbefugtem und Weisungsempfänger; unter wohlfahrtsstaatlichen Bedingungen bedürfen viele Programme, die die Verwaltung zu implementieren hat, eines entgegenkommenden Publikums, das zum Beispiel bereit ist, Informationen gegen Einflußchancen zu tauschen.35 Während der offizielle Machtkreislauf sich auf die im Machtmedium angelegten Potentiale der Konditionierung stützt, bezieht das, was Luhmann den inoffiziellen oder Gegenkreislauf der Macht nennt, seine Wirkmächtigkeit aus der möglichen Überfrachtung mit Komplexität, der sich die in formaler Hinsicht überlegenen Positionen konfrontiert sehen, wenn die formal unterlegenen Positionen damit drohen, sich „unkooperativ“ zu verhalten, indem sie dem Machthaber entscheidungsnotwendige Informationen vorenthalten (Luhmann 1981d: 74). g) „Vollständige“ Ausdifferenzierung des politischen Systems durch Demokratie Die vorstehenden Ausführungen – beispielsweise zur Rollendifferenzierung in der Politik, den Effekten der Beobachtung zweiter Ordnung und der verstärkten Bedeutung von Gegenmacht im Kommunikationsgeschehen – beschreiben einen grundlegenden und vielschichtigen Umbau der Erwartungshaltungen im Rahmen der „Demokratisierung von Politik“, so daß man der Auffassung zuneigen könnte, daß die Gesamtheit dieser strukturwirksamen Effekte als „Demokratie“ zu beschreiben ist. Das ist sicherlich nicht falsch. So weist der systemtheoretische Begriff „demokratischer Macht“, definiert als Einheit der Differenz von Regierung und Opposition, einen klaren Systembezug auf. Aber abgesehen von dem Nachteil, theoretisch sehr voraussetzungsvoll zu sein, ist diese Definition auch nicht geeignet, die Frage entscheidbar zu machen, ob die Merkmale vorhanden sind, die es erlauben, von einer politischen Ordnung als „Demokratie“ zu sprechen; ein Begriff, der dies leistet, müßte konkretere Merkmale beobachtbar machen. Es läßt sich aber sehr leicht erkennen, daß alle die beschriebenen Struktureffekte mit der demokratischen Wahl stehen und fallen. Im Anschluß an die von Schumpeter (1947: 269) vorgeschlagene Definition kann Demokratie als ein spezifisches Verfahren des Herrschafts- oder Macht35 Dieser Gegenkreislauf der Macht beruht auf Einflußchancen, die in der offiziellen Kompetenzordnung nicht vorgesehen sind; er kann daher, anders als der offizielle Machtkreislauf, auch nicht noch einmal rechtsförmig konditioniert werden (Luhmann 1988a: 45 f.).

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erwerbs expliziert werden, welches bestimmte Merkmale – jedes für sich genommen notwendig und alle gemeinsam hinreichend – aufweist, die vorhanden sein müssen, um einer staatlichen politischen Ordnung das Prädikat „demokratisch“ zuweisen zu können. Demokratie ist ein in zeitlichen Höchstabständen zu wiederholendes Verfahren (Legislatur) (1), das mittels einer Auswahl der Bewerber unter Konkurrenzbedingungen unter Ausschluß eines rechtlich durchgesetzten Führungsanspruchs irgendeiner Elite (2), auf einer Form des Mehrheitsprinzips fußend (3) und dem Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit genügend (4), den Erwerb der Befugnis, politische Macht auszuüben, regelt, wobei das Mehrheitsprinzip auch auf die Ausübung politischer Macht Anwendung finden muß.

Es ist leicht einzusehen, daß alle vier Bedingungen erfüllt sein müssen, wenn ein politisches System der Teilmenge demokratischer Herrschaftsordnungen zugerechnet werden soll. Auch Diktaturen kennen eine „Auswahl“ der politischen Führungskader, auch in Diktaturen oder anderen elitären Herrschaftsformen kann um die Macht konkurriert werden, und auch in undemokratischen Organisationen politischer Herrschaft kann innerhalb der Herrschaftselite Wahlrechtsgleichheit und eine Art Legislatur vorgesehen sein. Allerdings ist es das Kennzeichen oligarchisch-elitärer Machtstrukturen, die Zulassung von Bewerbern zur Auswahl und die Ausübung von Herrschaftsbefugnis an ein rechtlich verankertes Privileg – sei es eines Herrschaftshauses, sei es eines Standes, sei es einer Partei – zu knüpfen. Das unterbindet eine offene Konkurrenz um den Erwerb der Befugnis, politische Macht auszuüben. Nicht zufällig ist in allen quasi-kommunistischen Verfassungen das Machtmonopol der jeweiligen sozialistischen beziehungsweise kommunistischen Partei in der Verfassung verankert gewesen, und zwar nicht nur als programmatischer, sondern als rechtlich definierter Führungsanspruch. Ein rechtlich definierter Führungsanspruch aber schränkt die Konkurrenzbedingungen einer Auswahl in einem Maße ein, daß kein politisches System das Prädikat „demokratisch“ zugewiesen bekommen kann, das auf einem derartigen Führungsanspruch einer Machtelite fußt. Dieser Begriffsvorschlag läßt zwar erkennen, daß zwischem dem demokratischen Wahlverfahren und den angesprochenen weitreichenden Umbauten im politischen System ein notwendiger Zusammenhang besteht. Ein schwerwiegendes theoretisches Problem bleibt allerdings bestehen. Aufgeworfen wird es durch die differenztheoretische Deutung demokratisch verfaßter Ordnung; indem sie die erwartungsstrukturellen Veränderungen, die mit der politischen Wahl einhergehen, in den Machtbegriff selbst einbaut, wird die Einheit der Differenz von Regierung und Opposition zum Ausdruck der Identität des Systems (Luhmann 1989a: 23). Es wird dadurch ein Zusammenhang zwischen Demokratie und der Ausdifferenzierung des politischen Systems hergestellt, und zwar dergestalt, daß es ohne Institutionalisie-

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rung des demokratischen Verfahrens eine vollständige Ausdifferenzierung des politischen Systems nicht geben kann (Luhmann 2000: 105). Soweit das Wahlrecht Partikularismen nicht ausschließt, sondern rechtlich vermittelte Führangsansprüche von irgendwie definierten Eliten ermöglicht, kommt es zu einer „engen Kopplung“ (im Sinne von „zu viel“ Kausalität, die über die Systemgrenze hinweg Wirkung entfaltet) politischer Kommunikation mit „Schichtungsstrukturen“. Diese droht sowohl die Ausdifferenzierung des politischen Systems aus der Gesellschaft als auch die dafür notwendige Innendifferenzierung zurückzunehmen, da sich die Regierung dann nur noch von Regierten, nicht mehr aber von der Opposition unterschiede (Luhmann 1989a: 23). In autokratischen Ordnungen fungiert diejenige Eigenschaft einer Elite, die sie zum Herrschen berechtigt, gegenüber der Unterscheidung von Regierung und Opposition als „Rejektionswert“. Gemessen an den gesellschaftsstrukturellen Erwartbarkeiten wird die Politik entlang partikularistischer Linien „korrumpiert“ und für „Durchgriffskausalitäten“ geöffnet.36 Man muß also davon ausgehen, daß es mit der Transformation des Machtcodes in die Differenz von Regierung und Opposition nicht nur zu einer Veränderung der selbstreferentiellen Orientierung des Systems kommt, sondern daß allererst auf dieser Grundlage in einem strikten Sinne von selbstreferentieller Geschlossenheit die Rede sein kann. Im Ergebnis läßt sich sagen, daß das Prädikat „demokratisch“ auf eine spezifische Konditionierung oder Reschematisierung des Machtgebrauchs verweist und nur solchen „Herrschaftsordnungen“ zugewiesen werden kann, deren Regeln des Machterwerbs eine vollständige Ausdifferenzierung des politischen Systems ermöglichen. In unterscheidungstheoretischer Perspektive kann man die fdGO als eine freiheitliche und zugleich demokratische Grundordnung begreifen; sie ist in diesem Sinne eine Zwei-Seiten-Form. Soweit sie eine demokratische Grundordnung ist, liegt ihre gesellschaftliche Funktion darin, den Machtgebrauch mit den Strukturvorgaben der funktional differenzierten Gesellschaft abzustimmen, indem insbesondere die Bedingungen des Erwerbs politischer Macht gegenüber ungefilterten gesellschaftlichen Einflüssen autonom gestellt werden. Die Art. 18 und 21 Abs. 2 GG lassen sich dann als verfassungsrechtliche Absicherung der Erfüllung dieser Funktion verstehen, die es ermöglicht, der „Selbstkorrumpierung“ demokratischer Ordnung mit rechtlichen Mitteln zu begegnen. Im folgenden wenden wir uns der Frage zu, was es bedeutet, daß diese Grundordnung zugleich als eine „freiheitliche“ beschrieben wird.

36 Am Verhältnis von binärer Codierung und Rejektionswerten müßten auch Überlegungen zu einer gesellschaftstheoretisch fundierten Theorie der Korruption ansetzen (vgl. Luhmann 1993a: 81 f.).

3. Die fdGO als freiheitliche Grundordnung

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3. Die fdGO als freiheitliche Grundordnung Zu klären bleibt nun noch, wie die andere Seite der Form ausgestaltet ist, was es also bedeutet, daß die fdGO nicht nur eine „demokratische“, sondern zugleich eine freiheitliche Grundordnung ist. Hierbei liegt der Focus nicht auf ihrem Verhältnis zur Politik, sondern zum Recht. Wie jede grundrechtlich geschützte Freiheit fußt auch die politische Meinungs- und Organisationsfreiheit auf der Annahme, daß die Zulässigkeit eines individuellen Freiheitsgebrauchs widerleglich zu vermuten ist und daß eine Widerlegung dieser Vermutung nur dann Rechtswirksamkeit erlangt, wenn die für einen Eingriff in diese Freiheit maßgeblichen Gründe den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips genügen. Ihre „strukturelle Entsprechung“ findet die Freiheitsvermutung der Freiheitsrechte in der Begründungslastregel des Gleichheitssatzes. Gemäß Art. 3 Abs. 3 GG ist es dabei in Fragen der politischen Kommunikation keinesfalls zulässig, bei der Suche nach Gründen, um diese Vermutung zu entkräften, auf den Inhalt oder den Wert von Meinungen abzustellen (Schlink 1976a: 202). In diesem Sinne ist die „demokratische“ zugleich eine „freiheitliche“ Grundordnung. Allerdings nehmen die aktivbürgerlichen Grundrechte eine Sonderstellung unter den Freiheitsrechten ein. Da die aktivbürgerlichen Freiheiten dem Staat – anders als die übrigen Grundrechte – nicht „vorausliegen“, sondern der Staat als Bedingung ihrer Möglichkeit und also als ihr Bezugspunkt wirkt, müssen sie im Kontext von demokratietheoretischen Überlegungen betrachtet werden (Luhmann 1965b: 136 f.). In empirischer Perspektive zeigt sich, daß im Zeitablauf mehr und mehr derjenigen möglichen Gründe entwertet werden, die einen Ausschluß bestimmter Gruppen vom Zugang zur politischen Wahl zu rechtfertigen erlauben. Diese Entwicklung kann als Effekt des Gleichheitssatzes begriffen werden. Man kann daher sagen, daß die politische Funktion des Gleichheitssatzes, indem er die Staatswillensbildung auf ein Verfahren festlegt, bei dem die Klasse der Beteiligten auf ein „mögliches Maximum“ zuläuft, in einer Beteiligungsmaximierungsanweisung besteht (Podlech 1971: § 27– 28).37 Diese politische Funktion des Gleichheitssatzes ist ein Sonderfall 37 Das Prädikat „möglich“ macht deutlich, daß es sich hier nicht um ein zahlenmäßiges, sondern um ein funktionales Maximum handelt (Podlech 1971: § 27–28). Keinesfalls sind aus dieser Funktionsbestimmung Behauptungen abzuleiten wie diejenige, daß der Demokratie ein Kinderwahlrecht inhäriere und aus der Unmöglichkeit seiner direkten Realisierung Kompensationsansprüche im Sinne eines Vertretungsstimmrechts für Eltern abzuleiten wären. Vermutlich gilt für die gesamte Diskussion über die Absenkung des Wahlalters, daß die dort in Anschlag gebrachten Argumente funktional nicht kontrollierbar sind, jedenfalls nicht mit dem Hinweis auf die politische Urteilsfähigkeit gegebenenfalls wahlfähiger Bevölkerungsgruppen.

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VII. Die Funktion der fdGO

einer allgemeineren egalisierenden oder entfeudalisierenden Funktion. Der Gleichheitssatz trägt nämlich – durch die Begründungslasten, denen er Ungleichbehandlungen unterwirft – dafür Sorge, daß es im Vergleich mit älteren oder „weniger differenzierten“ Gesellschaftsformationen weniger Möglichkeiten gibt, mit Mitteln des Rechts gesellschaftliche Rollen oder Rollenkombinationen zu fixieren. Für das politische System heißt das zum Beispiel, daß mehr und mehr gesellschaftliche Rollen ihre Relevanz für die Beantwortung der Frage verlieren, ob jemand wahlberechtigt ist oder nicht. Im Ergebnis führt dies dazu, daß jede Abweichung vom Prinzip der Allgemeinheit des Wahlrechts begründungsbedürfig wird und nur noch solche Ausschlußkriterien auf Anerkennung rechnen dürfen, die sich mit Blick auf die Funktion der politischen Wahl rechtfertigen lassen. Man kann daher sagen, daß die „wenigstens näherungsweise Verwirklichung der politischen Funktion des Gleichheitssatzes [. . .] die Demokratie [konstituiert]“ (Podlech 1971: 172). Die politische Funktion des Gleichheitssatzes entspricht dem Universalismus des demokratischen Machtcodes. Dieser verlangt nämlich, daß jeder – „zumindest in der Form des Ausschlusses der Unmöglichkeit“ – über die Option verfügen muß, dem Gebrauch von Macht nicht nur unterworfen zu sein, sondern sie auch ausüben zu können (Luhmann 1988a: 48). Der Ausschluß bestimmter Gruppen von der politischen Wahl darf daher insbesondere nicht durch das Kriterium der Erfolgssicherung motiviert und auf dieses zurückführbar sein, sondern muß sich auf konsentierte Aspekte anderer Art beziehen lassen. Seine entscheidende Bedeutung erlangt das Prädikat „freiheitlich“ aber in anderer Hinsicht. Die Grundrechte wirken nicht nur demokratiekonstituierend, sondern sie sorgen zugleich für eine rechtliche Bindung demokratischer Entscheidungen. Das Problem liegt hier wie dort in der naturwüchsigen Tendenz des Machtgebrauchs, die Rechtslage an die Machtlage anzugleichen. Die Grenzen des Machtgebrauchs können (auch und gerade unter Bedingungen demokratischer Politik) nicht im Medium selbst erarbeitet werden (vgl. Luhmann 1988a: 55 f.). Deswegen wird der Machtgebrauch nach Maßgabe der Regel respezifiziert, daß „innerhalb eines konstituierten (demokratischen) Gemeinwesens ein Mehrheitsbeschluß eines Entscheidungsgremiums kein hinreichendes Kriterium der Gültigkeit des Beschlusses ist“ (Podlech 1971: 172). Aus der Perspektive des politischen Systems, wird das Machtmedium rechtlich zweitcodiert. Das Recht sortiert das, was sich „naturgemäß“ als machtförmige Relationierung von Macht und OhnAbgesehen davon wäre ein Kinderwahlrecht verfassungswidrig. Beim Wahlrecht gilt der Grundsatz der Selbstvertretung. Und es gibt keinen zureichenden Grund, der diesen Grundsatz außer Kraft zu setzen vermag. Bloße Spekulationen über die angebliche Berücksichtigung der Anliegen zukünftiger Generationen reichen zur Begründung nicht aus.

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macht ergäbe, nach erlaubten und unerlaubten Kombinationen (Luhmann 1988a: 34, 44, 51). Wir vermuten nun, daß die „andere“ Seite der fdGO, die freiheitliche Grundordnung, genau hier ansetzt: am Problem rechtlicher Beschränkung politischer Macht. a) Die verfassungsrechtliche Funktion des Würdeschutzes Kommunikation im Medium der Macht unterliegt keinen Beschränkungen; im Prinzip kann alles zum Thema von Politik werden; das macht sie zu einem Funktionssystem mit universalistischem Ausgriff. Berücksichtigt man ferner, daß es eine der vordringlichen Aufgaben der Politiker ist, Wahlen erfolgreich zu gestalten, so erscheint es ohne weiteres möglich, daß es unter der Ägide einer „demokratischen Grundordnung“ zu Entscheidungen kommt, von denen bezweifelt werden darf, daß ihre Folgen jederzeit mit den Vorgaben einer „freiheitlichen Grundordnung“ vereinbar sind. Dabei ist namentlich an solche Entscheidungen zu denken, die die Subjektstellung einzelner Menschen oder von Gruppen von Menschen verletzen. Das Grundgesetz reagiert auf dieses Problem durch Art. 1 Abs. 1. Der Würdebegriff markiert die Notwendigkeit, den Machtgebrauch in seinem Ausgriff durch Recht einzuschränken. Die Einsicht in die Unabdingbarkeit des Würdeschutzes ist dabei weniger an Vorbildern der europäischen Verfassungstradition geschult, als vielmehr eine unmittelbare Konsequenz der Erfahrungen mit den Folgen des nationalsozialistischen Rechts. Die nationalsozialistische Rechtsordnung negierte in doppelter Hinsicht die Grundlagen des bürgerlichen Verfassungsstaates, indem sie nämlich einerseits mit dem Prinzip „Du bist nichts, dein Volk ist alles“ das Recht auf Selbstbestimmung des Individuums eliminierte und indem sie andererseits durch die Maxime der „Artgleichheit des Blutes“ die rechtliche Gleichheit aller Angehörigen der „Gattung“ Mensch verneinte. Die barbarischen Folgen einer auf diesen Maximen errichteten Rechtsordnung führten zu der Erkenntnis, dass nur eine solche Form öffentlicher Herrschaft anerkennungswürdig sei, welche als unverzichtbare Bestandteile die Prinzipien der Gattungsgleichheit (derzufolge jeder jedem die Anerkennung als Gleicher schuldet) und der – eine Freiheitsvermutung konstituierenden – individuellen Selbstbestimmung (als der prinzipiellen Subjektstellung aller Angehörigen der Gattung) enthält. Deshalb wurden diese Prinzipien im ersten Satz der Verfassung als objektives Recht niedergelegt und durch das in Art. 79 Abs. 3 GG enthaltene Abänderungsverbot auf Dauer allen politischen Entscheidungen entzogen. Den Ausgangspunkt der verfassungsrechtlichen Debatte über den Würdebegriff bildet die sogenannte „Objektformel“, die von Dürig (1956) entwik-

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kelt wurde und die sich das BVerfG in der Folge zu eigen gemacht hat. Sie besagt, daß es dem Staat untersagt ist, den Menschen dadurch herabzuwürdigen, daß er ihn auf ein reines Objekt seines Handelns (auf ein Mittel zum Zweck) reduziert. Wir schließen an die Objektformel insoweit an, als wir tatsächlich darin die Funktion von Art. 1. Abs. 1 GG sehen, jedweder Objektsetzung der „Gattung Mensch“ zuvorzukommen. Wir gehen aber anders als die herrschende Meinung nicht davon aus, daß (deswegen) etwaige Verletzungen der Würde wie ein subjektives Grundrecht zu prüfen sind, sondern sehen in Art. 1 Abs. 1 GG „nur“ die Positivierung dieser Funktion in Form von Freiheit und Gleichheit. Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG kann über dieses objektive Recht hinaus kein eigenständiges subjektives Recht entnommen werden, da alle Rechtsverletzungen, auf die Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG materiell bezogen werden könnte, auch ohne diese Norm eine Verletzung von Grundrechten darstellten. Ebensowenig kann aus Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG die Gewährleistung außerrechtlicher Sachverhalte – etwa eines „Tabudurchbrechungsverbotes“ – gefolgert werden. Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG enthält ausschließlich objektives Recht, indem er die Subjektstellung von jedermann gegenüber dem Staat sichert und jedermann gegenüber jedermann den Anspruch gewährt, als ein Gleicher behandelt zu werden. Ersteres bildet die Grundlage für die im Rechtsstaatsprinzip enthaltene Freiheitsvermutung, letzteres bildet die Grundlage für die umfassende Geltung des Gleichheitssatzes und für die – jedenfalls mittelbare – Geltung der Grundrechte gegen Dritte, weil jeder jedem die Anerkennung als ein Gleicher schuldet. Insoweit bildet Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG die Grundlage für die Auslegung des gesamten materiellen Verfassungsrechts. Würde kann daher sehr wohl als verfassungsrechtlicher „Höchstwert“ begriffen werden, aber nicht in dem Sinne, daß alle anderen Grundrechte nur Ausgestaltungen dieses Prinzips wären, sondern interpretiert als „Recht auf Rechte“ (Enders 2004), die jedem gegenüber dem Staat zu Gebote stehen.38 38 Diesen Vorschlag zur Interpretation des Art. 1 Abs. 1 GG verdanke ich Axel Azzola. Eine in Begründung und Ergebnis beinahe gleichlautende Deutung findet sich bei Enders (2004). Mit diesem Vorschlag lassen sich die üblichen Linien unterlaufen, die die Diskussion des Würdebegriffs prägen (für einen Überblick siehe Will 2006). Mit diesem Verständnis läßt sich sowohl die übliche Praxis der Abwägung umschiffen, die an dem Widerspruch von Absolutheitsanspruch und Einschränkung Schiffbruch erleidet, als auch die Tendenz, im Namen der Würde einer Entdifferenzierung der Freiheitsrechte das Wort zu reden. Ebenso nehmen wir Abstand von Luhmanns (1965b: Kap. 4) funktionaler Deutung, der zufolge sich Würdefragen am Problem personaler Selbstdarstellungskontrolle entzünden. So überzeugend der Vorschlag empirisch auch ist, so muß doch bezweifelt werden, daß er dogmatisch fruchtbar gemacht werden kann, weil ihm die auf Zurechnung fußende Perspektivendifferenz von Innen (Würde) und Außen (Freiheit) zugrundeliegt. Will man wertethische Übersteigerungen einerseits und die andernfalls wohl unvermeidliche soziologische Behandlung der Würdeproblematik andererseits vermeiden, scheint es daher angezeigt, komplett von einer subjektivrechtlichen Auffassung abzurücken.

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Läßt sich diese These halten, so hieße dies, daß sich die fdGO nicht allein auf Fragen der demokratischen Organisation von Politik erstreckt, sondern daß sie zugleich auf etwaige Gefährdungen reagiert, die aus dieser Form staatlicher Herrschaft erwachsen können: „Menschenwürdige Ausübung öffentlicher Herrschaft durch ihre inhaltliche Begrenzung und ihre Bindung an Formen ist also das die ‚freiheitliche demokratische Grundordnung‘ beherrschende Prinzip, seine verfassungsrechtliche Funktion“ (Azzola 1972: 804). Das objektivrechtliche Gebot der Unantastbarkeit der Menschenwürde und das auf diesem Gebot fußende Prinzip einer auf die Menschen als Gattung bezogenen Rechtsgleichheit sichern gemeinsam die Subjektstellung aller Menschen gegenüber der Staatsmacht. Ergänzt man dies durch die Organisationsprinzipien der Bindung aller staatlichen Gewalt an die Normen der Verfassung, der Verwaltung an Gesetz und Recht und damit der Gewährleistung eines auf der Weisungsunabhängigkeit der Richter fußenden effektiven Rechtsschutzes, so entsprechen diese in allen Verfassungen übereinstimmend verankerten formellen und organisationsrechtlichen Grundsätze jenem Kernbestand verfassungsrechtlicher Regelungen, der erstmals in der europäischen Verfassungsgeschichte in Art. 21 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland als „freiheitliche demokratische Grundordnung“ bezeichnet wird und durch Art. 79 Abs. 3 GG jeder Änderung und damit zugleich jeder politischen Disposition entzogen ist. b) Die Funktion der Grundrechte Mit Art. 1 Abs. 1 S. 1 normiert das Grundgesetz dieser Auffassung zufolge kein eigenständiges subjektives Freiheitsrecht, sondern es markiert als objektivrechtliches Gebot grundlegende Formen, nicht zuletzt die für die Grundrechte konstitutive Freiheitsvermutung. Das Phänomen der Würde wird in dieser Ausdeutung bereits funktionalisiert, die Deutung bleibt aber proto-soziologisch, weil sie ihren Anknüpfungspunkt in der Problematik des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft findet. Das ist aus juristischer Perspektive konsequent, weil die Freiheitsrechte, jedenfalls soweit sie in liberaler Tradition als Freiheitsvermutung zugunsten des Bürgers verstanden werden, die Differenz von Staat und Gesellschaft als methodisch notwendige Fiktion voraussetzen (Schlink 1976a: 219). Für eine Bestimmung der Funktion der Grundrechte aus rechtssoziologischer Warte stellt die Orientierung an dieser Unterscheidung dagegen ein Hindernis dar. Zwar wird auch im juristischen Diskurs auf eine zunehmende Verflechtung von staatlicher und gesellschaftlicher Sphäre hingewiesen (Böckenförde 1972; Hesse 1975); aber diese Einsicht ergibt sich nachgerade zwangsläufig, wenn man eine methodisch zu denkende Differenz auf komplexe Realverhältnisse stoßen

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VII. Die Funktion der fdGO

läßt. Was dabei im Dunkeln bleibt, ist die Bedingung der Möglichkeit dieser Differenz (Luhmann 1965b: 30, 99). Wir müssen also die empirisch gewonnene Einsicht in Rechnung stellen, daß der Staat immer ein „Staat der Gesellschaft“ ist. Dieses re-entry läßt sich allerdings theoretisch nicht mehr kontrollieren, was die Vermutung nahelegt, daß die Terminologie an die Grenzen ihrer Beschreibungskapazität gestoßen ist. Greift man statt dessen auf die Theorie der funktional differenzierten Gesellschaft zurück, wird es möglich, an die Stelle der Differenz von Staat und Gesellschaft die Unterscheidung des politischen Systems von seiner Umwelt zu setzen (Luhmann 1973c: 5 f.).39 Mit diesem Begriffsaustausch geht die Notwendigkeit einher, den Freiheitsbegriff neu zu justieren. Man muß dazu von dem primär rechtsmethodischen Freiheitsbegriff des öffentlichen Rechts, der auf der Differenz von bürgerlicher Freiheit und staatlichem Zwang fußt, abgehen und Freiheit statt dessen als empirischen Sachverhalt begreifen. Freiheit meint nicht Ungebundenheit, sondern einen Zustand strukturierter Komplexität, der gerade durch den Ausschluß von Möglichkeiten völlig ungekannte Handlungsspielräume eröffnet (Luhmann 1983b: 6 f.). Und die Funktionssysteme der modernen Gesellschaft sind sozusagen der Endpunkt einer gesellschaftlichen Entwicklung, die ihre Ordnungsleistungen in zunehmendem Maße auf generalisierte Erwartungsstrukturen stützt. Die Stabilität dieser Ordnung liegt in der Flexibilität und Austauschbarkeit, die sie erlangt, indem sie ihre Erwartungen in zentralen Hinsichten an Rollen und Programmen (und nur sekundär an Personen und Werten) ausrichtet.40 Das politische System nimmt diesen generalisierten Erwartungsstrukturen gegenüber eine ambivalente Stellung ein. Zum einen setzt kollektiv bindendes Entscheiden immer schon eine „entgegenkommende“ Umwelt voraus, die durch Generalisierung in einem Maße vorstrukturiert ist, das dem politischen Entscheiden Ansatzpunkte bietet. Gerade aufgrund seiner funktiona39 Zum folgenden insbesondere Luhmann (1965b; 1973c). Siehe zur Frage nach dem Verhältnis von juristischem und soziologischem Staats- und Freiheitsverständnis auch Drath (1966; 1977); Neumann (1953) und Podlech (1967). 40 Personen, Rollen, Programme und Werte bilden eine von konkret nach abstrakt aufsteigende Reihe von Stufen der sachdimensionalen Erwartungsgeneralisierung. Die Art und Weise, wie sie zusammenwirken, ist entscheidend für den Grad der Komplexität, den die Gesellschaft erreichen kann. Dominieren die beiden „mittleren“ Generalisierungsstufen, also Rollen und Programme, so werden die Selektionsleistungen von Erwartungsmustern her gesteuert, die Problembezug und Substituierbarkeit verbinden. Personen sind demgegenüber zu konkret; Werte dagegen bleiben zu abstrakt, weil sie zwar auf die Vorzugswürdigkeit von Gesichtspunkten verweisen, aber im Unterschied zu den Programmen keine Direktiven für richtiges Handeln und Erleben enthalten (Luhmann 1983b: Kap. II.5; 1984: Kap. 8.XI); zur Differenz von Person und Rolle siehe auch oben S. 155.

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len Spezifikation muß das politische System das Vorhandensein generalisierter Erwartungshaltungen voraussetzen, kann deren Schaffung also nicht auch noch als seine eigene Aufgabe betrachten (Luhmann 1965b: 20–23).41 Auf der anderen Seite ist der Staat des politischen Systems sehr wohl eine Ermöglichungsbedingung dieser Freiheit zum generalisierten Erwarten, und zwar, weil er das ehedem diffus vorliegende Potential an gesellschaftlich vorhandener Freiheitsbedrohung bündelt und ihm damit eine Form gibt, auf die in rechtlich verregelter Form reagiert werden kann. Die Funktion, die staatliche Macht an dieser Stelle wahrnimmt, liegt also nicht in der aktiven Herstellung von faktischer Freiheit (im Sinne einer positiven Gewährleistungsinstanz), sondern in der Transformation der Freiheitsgefährdung in eine regulierte und regulierbare Form. Der Staat wird zu einer Bedingung der Möglichkeit von Freiheit, indem er sich auf der Grundlage seines Gewaltmonopols ein Monopol auf Freiheitsbedrohung sichert (Luhmann 1965b: 57). Ausgehend von diesem Verhältnis von staatlicher Macht und gesellschaftlichen Erwartungsstrukturen eröffnet sich eine neue Perspektive auf die grundrechtlichen Freiheitsgewährleistungen. Aufgrund seiner Kompetenz, jederzeit kollektiv bindende Entscheidungen zu treffen, wird das politische System in die Lage versetzt, generalisierte Erwartungsstrukturen der modernen Gesellschaft zu unterlaufen. Da die Funktion des politischen Systems das Spektrum möglicher Entscheidungen inhaltlich nicht vorzeichnet, sind auch Entscheidungen möglich, die dazu angetan sind, „funktional notwendige“ Strukturen einer differenzierten Sozialordnung zu desavouieren. Gerade unter demokratischen Bedingungen neigt das politische System dazu, mehr und mehr gesellschaftliche Kommunikationszusammenhänge als regelungsbedürftig zu begreifen. Die Ausdifferenzierung des politischen Systems birgt die Gefahr, das Kommunikationswesen unter politischen Gesichtspunkten zu entdifferenzieren (Luhmann 1965b: 24). Die Grundrechte begegnen dieser Gefahr, indem sie Kommunikation und Erwartungsstrukturaufbau grundsätzlich als unpolitischen Vorgang verstehen und die Wahl der Kommunikationspartner und Kommunikationsthemen freistellen. Sie wirken damit als Instrumente des Schutzes einer von unmittelbarem politischem Einfluß unabhängigen Erwartungsbildung (Luhmann 1965b: 98; 2000: 213). „Grundrechte dienen als eine unter vielen funktional äquivalenten Institutionen der industriell-bürokratischen Sozialordnung dazu, das Kommunikationswesen so 41 Wenn wir behaupten, daß solche Ansprüche zum Scheitern verurteilt sind, soll damit keineswegs geleugnet werden, daß es oftmals unvermeidlich ist, Drittwirkungsprobleme, Institutsgarantien oder Schutzpflichten zum Thema der Dogmatik zu machen. Trotzdem bleiben dies abgeleitete, gegenüber der Abwehrfunktion der Grundrechte sekundäre Aufgaben.

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VII. Die Funktion der fdGO

zu ordnen, daß es im großen und ganzen für eine Differenzierung offen bleibt. Die Garantie von Freiheiten ist nichts anderes als eine Garantie von Kommunikationschancen. Sie hat zwar nicht den erklärten Zweck, wohl aber die latente Funktion, eine gewisse Disponibilität und damit Motivierbarkeit von Kommunikationen sicherzustellen.“ (Luhmann 1965b: 23, eig. Hervorh.)

Auch die Gewährleistung von Freiheit durch das rechtsstaatliche Verteilungsprinzip kann damit auf das Problem der Erhaltung einer differenzierten Kommunikationsordnung bezogen werden. In der modernen Gesellschaft treffen eine Reihe von Funktionssystemen mit je universalistischem kommunikativem Ausgriff aufeinander. Gerade weil jedes dieser Systeme sich weitreichende Indifferenz gegenüber den Abläufen in seiner jeweiligen Umwelt erlauben kann, gibt es „Kompatibilitätskorridore“, die nicht verlassen werden dürfen, wenn nicht die Gesamtordnung in ihrer Struktur erschüttert werden soll. Die Grundrechte setzen dort an, wo die Entscheidungen des politischen Systems Probleme der Kompatibilität mit anderen gesellschaftlichen Kommunikationszusammenhängen aufzuwerfen drohen.42 Vom politischen System aus gesehen erfüllt die Verfassung die Funktion, „solche Bedingungen gesellschaftlicher Kompatibilität für den internen Gebrauch – das heißt: entscheidbar! – zu reformulieren“ (Luhmann 1973c: 6, Hervorh. dort). Die Grundrechte fungieren dabei gegenüber der Umwelt des politischen Systems als Negationsverwendungsregeln, deren Handhabung sich gerichtlich überprüfen läßt: „Die effektive Konzentration politischer Entscheidungsgewalt im Staat ermöglicht zugleich ihre effektive Spezifikation und Reduktion unter Ausgrenzung dessen, was nicht politisch entschieden werden soll“ (Luhmann 1973c: 165, Hervorh. dort). Auf der Basis von Kompetenzvermutungen und Begründungslastregeln spezifizieren die Grundrechte, welche Erwartungsstrukturen politischem Entscheiden nicht zur Disposition stehen sollen (Luhmann 1973c: 165–170; Schlink 1984). Sie liefern damit einen Beitrag zur Sicherung des gesellschaftlich vorhandenen Potentials an Freiheit. Die mit der rechtlichen Gewährleistung von Freiheit und Gleichheit einhergehenden Beschränkungen politischen Entscheidens lassen sich als Metaregeln der rechtlichen Zweitcodierung von Politik verstehen. Die durch Freiheit und Gleichheit installierten Argumentationslastverteilungen sollen die kognitive Autonomie der Funktionssysteme gegen unbotmäßige Politisierungen sichern. Die Verfassung verhindert, daß politische Entscheidungen gegenüber den Systemen in der Umwelt des politischen Systems „Durchgriffskausalität“ entfalten und beschränkt sie auf Irritationsleistungen.43 42

Diese funktionale Deutung der Grundrechte wird entwickelt in Luhmann (1965b); ergänzende Ausführungen finden sich in (1973c). 43 Das aber heißt, daß dort, wo solche Durchgriffskausalitäten möglich sind, wo also die rechtliche Zweitcodierung von Politik durch Macht (oder auch durch Geld)

3. Die fdGO als freiheitliche Grundordnung

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Eine genauere Analyse des Verhältnisses von Durchgriff und Irritation müßte an der Differenz von Codierung und Programmierung ansetzen. Die Grundrechte wirken in unterschiedlicher Weise auf die Spielräume möglichen staatlichen Entscheidens ein: während manche Grundrechte dem Staat die Verfolgung bestimmter Zwecke untersagen, legen andere ihn auf die Verfolgung spezifischer Zwecke in den bezeichneten Bereichen fest. Aus diesen Beschränkungen ergibt sich dann, mit welchen Argumenten die Zulässigkeit einer staatlichen Maßnahme begründet werden kann. Der Staat ist also sehr wohl in der Lage, auf der Programmebene der Systeme in seiner Umwelt manches durch gesetzgeberisches Handeln auszuschließen. Er kann zum Beispiel durch Verbote den thematischen Zugriffsbereichs eines Codes einschränken, so daß das System „schrumpft“. Politische Entscheidungen dürfen jedoch nicht mit dem Anspruch auftreten, selbst die Zuweisung der Codewerte regulieren zu wollen; die Aufgabe der Ausgestaltung von Richtigkeitsbedingungen der Codewertallokation muß in aller Regel in der Eigenregie der Funktionssysteme verbleiben. So impliziert die rechtliche Beschränkung der Politik durch die Verfassung nicht zuletzt ein Verbot, politisch über Wahrheiten zu disponieren. Vielleicht ist es das, was (Luhmann 1973c: 167) meint, wenn er behauptet, der Verfassungsstaat ermögliche es, „die Grenzen ausdifferenzierter Systeme zugleich operativ als Negationen zu verwenden.“44 gleichsam überschrieben wird, von autopoietischer Geschlossenheit des Rechts – und infolgedessen auch von funktionaler Differenzierung – nicht mehr die Rede sein kann (dazu Neves 2007: 382–387, 394 f.). 44 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang der Vorschlag, den vorbehaltlos gewährten Freiheiten der Kunst und der Wissenschaft (Art. 5 Abs. 3 GG) ein Definitionsverbot zu entnehmen. Will der Staat in denjenigen sozialen Bereichen tätig werden, die von diesen Grundrechten geschützt werden, so kann er nicht mit der Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme argumentieren, ist es doch die Funktion dieser Normen, staatliche Argumentation in diesen Bereichen auszuschließen. Nach verbreiteter Auffassung ergibt sich die Möglichkeit zu staatlichen Eingriffen insbesondere aus der Notwendigkeit des Schutzes von Grundrechten Dritter oder aus Kollisionsverhältnissen mit anderen mit Verfassungsrang ausgestatten Gütern. Es könnte aber gerade auf Grundlage der dogmatischen Figur des Definitionsverbots möglich sein, die Vorbehaltlosigkeit dieser Grundrechte ernst zu nehmen. Denn während aus der Perspektive des Freiheitsschutzes für eine solche Auslegung spricht, daß es dem Staat damit untersagt ist, künstlerische oder wissenschaftliche Tätigkeiten deswegen zu verbieten, weil sie das verfehlen, was seiner Auffassung nach den Zweck oder das Wesen dieser sozialen Domänen ausmacht, so heißt dies zugleich und zum Vorteil des Staates, daß eine Handlung nicht schon deswegen rechtlich zulässig ist, weil sie sich als wissenschaftlich oder künstlerisch ausweist (dazu neben anderen insbesondere Azzola 1971). Liest man diesen Vorschlag unter dem Gesichtspunkt des Differenzierungsschutzes, bedeutet dies, daß der Staat zwar in diesen Bereichen durch Verbote dafür sorgen kann, daß ein Funktionssystem seine Codierung auf bestimmte Sachverhalte nicht mehr anwenden darf; daß es ihm jedoch zugleich untersagt ist, unmittelbar über die Zuweisung der Codewerte zu disponieren und derge-

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VII. Die Funktion der fdGO

4. Die fdGO als selbstbezügliches Schutzgut Man erkennt in den beiden Seiten der fdGO ein eigentümliches Zusammenspiel von Politik und Recht. Die Politik kann das Recht ändern und sich des Rechts als Gestaltungsmittel bedienen. Auf der anderen Seite sorgen die Grundrechte zusammen mit den Staatsorganisationsrechten für eine Beschränkung dessen, was zulässigerweise politisch entschieden und in geltendes Recht umgesetzt werden kann. Die Institution, die dieses Zusammenwirken von Politik und Recht vermittelt, nennt man Verfassung. Sie definiert die Bahnen, in denen sich Politik und Recht beeinflussen können. Derartige Korridore wechselseitiger Irritation werden von der Systemtheorie als strukturelle Kopplung beschrieben. Die Verfassung ist – als Resultat der rechtlichen Zweitcodierung politischer Macht – Bezugspunkt des politischen Systems und seiner Entscheidungstätigkeit; sie orientiert aber ebenso das Rechtssystem, welches die Verfassung als Ausdruck der Positivierung des Rechts begreift. Diese Kausalitäten ändern aber nichts an der kognitiven Geschiedenheit der beiden Sphären. Sowenig die Politik in Verfassungsinterpretation aufgeht, ebensowenig erschöpft sich das Selbstverständnis des Rechts darin, ein Instrument der Implementation politischer Programme zu sein. Trotz der beidseitigen Orientierung an der Verfassung bleibt es dabei, daß die Politik nur politische Möglichkeiten und das Recht nur rechtliche Möglichkeiten (der Domestizierung von Politik) zu sehen bekommt. Die Verfassung ist eine Institution mit zwei Seiten, die sich je nachdem, ob sie aus politischer oder rechtlicher Perspektive betrachtet wird, völlig anders darstellt (Luhmann 1989b; 1993a; ferner Neves 2007: 379–382). Gerichte sind nicht befugt, politische Fragen zu entscheiden; rechtlich relevant werden politische Entscheidungen nur insoweit, als deren Inhalt den Gerichten als behauptete Verletzung einer (Verfassungs-)Norm vorgelegt werden kann. Die Verfassung ist in diesem Sinne dasjenige „positive [. . .] Gesetz, das das positive Recht selbst begründet und von daher bestimmt, wie politische Macht organisiert und in Rechtsform mit rechtlich gegebenen Beschränkungen ausgeübt werden kann“ (Luhmann 1993a: 472). Verfassungen sind aus der Perspektive des Rechtssystems betrachtet grundlegend autoreferentiell gebaute Texte, weil sie Bestandteil des geltenstalt die Selbstorganisation von Kunst und Wissenschaft zu zerstören. Damit werden Kunst und Wissenschaft auch rechtlich als das betrachtet, was sie sind: autonome Kommunikationssphären, für deren Wirken es gesellschaftliche Bedingungen der Möglichkeit gibt, die aber ansonsten jederzeit selbst festlegen, was in ihnen Strukturwert gewinnen kann. Der Vorschlag, die Freiheit von Kunst und Wissenschaft als objektivrechtliche Gewährleistung gegen staatliche Inhaltsbestimmungen zu lesen, bildet punktgenau das ab, was sich in soziologischer Perspektive als Selbstselektivität der Funktionssysteme Kunst und Wissenschaft darstellt.

4. Die fdGO als selbstbezügliches Schutzgut

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den Rechts sind und dieses zugleich begründen. Ihre herausgehobene Rolle ergibt sich daraus, daß sie in den Korpus positiven Rechts die Differenz von Verfassungsrecht und anderem Recht einziehen. Damit aber handelt sich das Recht Abgrenzungsprobleme ein, die unter anderem darin zum Ausdruck kommen, daß Verfassungen oftmals Regeln enthalten, die festlegen, welche ihrer Normen von Abänderungen ausgenommen sind. Die fdGO ist ein Teil des in Art. 79 Abs. 3 genannten änderungsfesten Kerns des Grundgesetzes; mit der fdGO werden aber nicht einfach bestimmte Normen der politischen Verfügungsmasse entzogen, sondern es sind gleichsam die Grundfesten der Verfassung, die gegen politische Entscheidungen abgeschirmt werden sollen. Die fdGO verlangt einerseits, daß Änderungen des positiven Rechts nur von Entscheidungsträgern getroffen werden dürfen, die auf demokratischem Wege an die Macht gekommen sind. Deswegen müssen alle Parteien die Regeln des demokratischen Wettbewerbs anerkennen. Das heißt auch, daß schon das Inbetrachtziehen der Möglichkeit, die bestehende Ordnung mit Gewalt zu beseitigen, so gefährlich ist, daß ein staatliches Einschreiten legitimiert werden kann. Die fdGO sieht aber zugleich die Möglichkeit vor, politische Entscheidungen auf ihre Vereinbarkeit mit den Bedingungen rechtlicher Freiheit und Gleichheit zu überprüfen. Geschützt wird die Gesellschaft also zugleich gegen Angriffe auf diejenigen Organisationsprinzipien öffentlicher Herrschaft, die die Subjektstellung des Menschen gegenüber dem Staat und seiner Entscheidungstätigkeit sichern. Politische Parteien, die Programme vertreten, welche als Negation von Demokratie und/oder Freiheitlichkeit verstanden werden müssen, sind verfassungswidrig und können nach geltendem Recht verboten werden – wobei dieses Verbot selbst den rechtsstaatlichen Regeln der Verfassung, vor allem also dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, genügen muß.45 Soziologisch betrachtet liegt der Grund für diese Möglichkeit darin, daß die Implementation derartiger Programme eine Entdifferenzierung von Recht und Politik zur Folge hätte. Die fdGO läßt sich in diesem Sinne als selbstbezügliches Schutzgut verstehen, dem die Funktion zugedacht ist, die Strukturkopplung von demokratischer Politik und Recht nochmals auf Ebene der Verfassung gegen politische Gefährdungen abzusichern.

45 Es geht also bei dem Instrument des Parteiverbots – anders als man zuweilen liest – keineswegs darum, einzelne politische Programme auf ihre Vereinbarkeit mit der Verfassung abzuprüfen. So werden im Rahmen des politischen Meinungskampfs ständig Vorschläge gemacht, die möglicherweise oder ganz offensichtlich verfassungswidrig sind. Die in den frühen 1980er Jahren geführte Diskussion darüber, ob „Die Grünen“ eine verfassungswidrige Partei sind, ist Ausdruck dieses gefährlichen Mißverständnisses (Hase 1984: 87).

VIII. Zur möglichen Rationalität einer Dogmatik der fdGO Dieser Vorschlag zur Bestimmung von Form und Funktion der fdGO ordnet sich dem Wissenschaftssystem zu. Er beansprucht, wahr zu sein. Wir haben uns zunächst an die Perspektive des Rechtssystems gehalten, welches bei dem Versuch, eine (begrifflich konsistente) Dogmatik der fdGO zu entwickeln, ersichtlich auf Schwierigkeiten stößt, die sich nicht zuletzt in der – zugegebenermaßen zugespitzt interpretierten – Differenz eines freiheitsund eines wertorientierten Grundrechtsverständnisses niederschlagen. Die rechtsdogmatischen Probleme wurden im Fortgang aus der Perspektive des Wissenschaftssystems kontrolliert zu unterlaufen versucht, und zwar mit Mitteln einer kombinierten Form- und Funktionalanalyse. Bei dem, was sich juristisch als Grenzproblem rechtlich zulässiger politischer Opposition darstellt, handelt es sich aus gesellschaftstheoretischer Perspektive um Schwierigkeiten, die sich ergeben, wenn das Recht sich gezwungen sieht, die politischen und rechtlichen Bedingungen funktionaler Differenzierung entscheidungsfähig zu reformulieren. Dies ist in jedem Falle eine Beschreibung des „problem space“, die deutlich über das hinaus geht, was die dogmatische Diskussion bislang angeboten hat. Dabei könnte man es aus rechtssoziologischer Sicht bewenden lassen. Man könnte aber auch zurückfragen, was denn passierte, konfrontierte man das Rechtssystem mit diesen Ergebnissen. Sehr allgemein betrachtet, hieße dies zu untersuchen, ob wissenschaftlich gewonnene Einsichten über das Rechtssystem im Rechtssystem informationswirksam werden können oder ob dem Recht damit dermaßen viel Komplexität aufgebürdet wird, daß es sie seinen eigenen Strukturen nicht mehr einpassen kann. Der Soziologie könnte im Rahmen einer solchen Kooperation die Aufgabe zufallen, die „Problemgesichtspunkte“ zu formulieren, während die Grundrechtsdogmatik die spezifisch juristischen „Diskussionsschemata“ zu liefern hätte, die das Entscheiden anleiten sollen.1 Ein solcher Versuch kann mit Blick auf eine Dogmatik der fdGO jedenfalls damit gerechtfertigt werden, daß sich diese ohnehin in einem unbefriedigenden Zustand befindet, der nicht nur durch verdeckte Paradoxien, sondern durch sehr gut sichtbare Aporien gekennzeichnet ist – so daß von Dogmatik recht eigentlich kaum die Rede sein 1

So Podlech (1967: 354) im Anschluß an Luhmann (1965b: 39, Fn. 3, 203–205).

1. Die Funktion der Rechtsdogmatik

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kann. Zu klären wäre mithin, ob sich auf der Basis einer funktionalen Interpretation der fdGO eine Rechtsdogmatik der fdGO entwickeln läßt, die dem Desiderat einer methodisch kontrollierten Rekonditionierung von Begründungszusammenhängen eher entspricht und wenigstens einige der ungeklärten Fragen zu beantworten hilft. 1. Die Funktion der Rechtsdogmatik Verkompliziert wird ein solcher Versuch dadurch, daß sich die Frage, ob sich die Dogmatik in fruchtbarer Weise von wissenschaftlichen Einsichten irritieren lassen kann, nicht unabhängig von der Frage nach der gesellschaftlichen Funktion der Dogmatik beantworten läßt. Denn ohne eine Vorstellung von dem, was Dogmatik für das Rechtssystem leistet, können auch Möglichkeiten und Grenzen der Subventionierung von Rechtsdogmatik durch Wissenschaft (was hier heißt: durch politische Soziologie und Rechtssoziologie) nicht in sinnvoller Weise erörtert werden. Und wenn der Gegenstand, den wir hier behandeln, überhaupt nur in Form seiner rechtsdogmatischen Aufarbeitungsversuche sichtbar wird, dann kommt man nicht umhin zu fragen, welche Rolle dogmatische Abstraktionsleistungen im Rechtssystem spielen – und wieder: nicht aus rechtstheoretischer, sondern aus rechtssoziologischer Perspektive. Dogmatiken vollziehen juristische Argumentation. Der Bedarf für Dogmatiken liegt also im Bereich der Dissensregulierung im Rechtssystem. Man könnte der Vermutung zuneigen, die Aufgabe der Rechtsdogmatik bestünde darin, Nichtnegierbarkeiten in die juristische Argumentation einzuführen, also Prämissen zu fixieren, die in bestimmten juristischen Argumentationszusammenhängen nicht mehr hinterfragt werden können. Dogmatik wäre damit allein an Redundanz orientiert. Das ist jedoch zu kurz gegriffen. Negationsverbote in die juristische Argumentation einzuarbeiten, ist nicht – oder jedenfalls nicht die alleinige – Funktion der Rechtsdogmatik, sondern führt auf deren Funktion nur hin. Die Funktion der Rechtsdogmatik besteht nicht ausschließlich in der Herstellung von Bindung, sondern die Nichtnegierbarkeiten bilden nur die Abstoßpunkte, von denen aus es dem Rechtssystem möglich wird, seinen Umgang mit Texten und gesellschaftlichen Sachverhalten neu zu arrangieren (Luhmann 1974c: 16 f.). Indem die Dogmatik für Redundanzen sorgt, wird in strukturierter Weise zugleich Neues, also mehr Varietät, zugelassen. Es geht um die Vermittlung von Gebundenheit und Komplexitätsberücksichtigung, um die, wie es bei Luhmann (1974c: 16) heißt, „Wiederherstellung von Zweifeln, die Steigerung tragbarer Unsicherheiten“. Dieser Anspruch, Unsicherheiten in noch traktablem Maße zu steigern, sieht sich eingespannt zwischen den beiden Aspekten der Normbindung

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VIII. Zur möglichen Rationalität einer Dogmatik der fdGO

und des Entscheidungszwangs. Um herauszuarbeiten, wie sich diese Funktion der „Steigerung tragbarer Unsicherheiten“ herleitet, muß man zunächst ganz konventionell vom Problem der „Rechtsanwendung“ ausgehen. Die Anwendung von Rechtsnormen läßt sich beschreiben als Herstellung einer Relation zwischen geltendem Recht, das heißt den Entscheidungsprämissen, und der (Fall-)Entscheidung. Dabei muß mindestens eine der beiden Seiten der Relation kontingent gesetzt werden, ansonsten könnte man nicht von einem Rechtsfall sprechen. Man kann dann von Fakten ausgehend nach Normen suchen, die diese Sachverhalte rechtlich qualifizieren, oder umgekehrt einen Normbestand voraussetzen und fragen, ob die Fakten vorliegen, die die Norm einrasten lassen. In dieser Relationierung von Entscheidungsprogramm und Entscheidung liegt die Form des Rechtsfalles. Wenn man jedoch auch noch die Rechtsregel, da auslegungsbedürftig, als kontingent betrachten muß, wird die Beziehung zwischen den beiden Elementen der Rechtsanwendungsrelation „doppelseitig variabel“. Dabei kann es nicht bleiben. Neu auftretende Fälle müssen unter rechtlichen Gesichtspunkten rekonstruiert und, indem sie zu Fallkonstellationen zusammengefaßt werden, „de-randomisiert“ werden (Luhmann 1986c: 34–36). Es ergibt sich mithin ein Bedarf an Kriterien, die es erlauben, die „Rechtsanwendungsrelation nochmals [zu] relationieren“ (Luhmann 1974c: 18); es entsteht, mit anderen Worten, ein Bedarf an Rechtsdogmatik. Der Dogmatik wird damit die Aufgabe zugewiesen, den Zirkel von Norminterpretation und Fallentscheidung zu unterbrechen. Von Dogmatik kann dabei erst dann die Rede sein, wenn dieser Zirkel nicht einfach durch Verweis auf bereits entschiedene Fälle enttautologisiert wird. Die Aufgabe der Dogmatik liegt vielmehr gerade darin, die Kasuistik zurückzudrängen (Luhmann 1974c: 17 f.), oder, um es mit Gunther Teubner zu formulieren, in der „Subversion der Präjudizienbindung“.2 Im Gefolge dieser Funktionsbestimmung müssen geläufige Auffassungen über Rechtsdogmatik modifiziert werden: Dogmatik wirkt nicht in erster Linie als Vermittlungsinstanz zwischen Normsetzung und Normanwendung; und ihre Funktion ist auch nicht beschränkt auf eine Subsumptionshilfe – und zwar weder im Sinne einer Konkretisierung unbestimmter Tatbestandsmerkmale, noch im Sinne der juristischen Konstruktion von Sachverhalten zum Zwecke der Herstellung der Subsumptionsfähigkeit von Normsätzen. Dies sind sicherlich wichtige Problemstellungen, zu deren Lösung die Dogmatik auch beitragen kann. Die eigentliche Funktion steht jedoch orthogonal auf dem Konkretisierungsproblem; es geht um „Konsistenzkontrolle im Hinblick auf die Entscheidung anderer Fälle“ (Luhmann 1974c: 19, eig. Hervorh.). Es ist zwar keineswegs ausgeschlossen, daß die Konsistenzkon2

Mündliche Mitteilung.

2. Der Gleichheitssatz als Rationalisierungsprogramm?

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trolle auch oder gar in erster Linie über Konkretisierungsbemühungen läuft; aber ebensogut ist es möglich, daß die Unterspezifikation gesetzlicher Regelungen im Zuge der Generalisierungen und Problematisierungen, die mit den Dogmatisierungsbemühungen einhergehen, gesteigert wird, wenn etwa begriffliche Umstrukturierungen ganz neue Möglichkeiten des Schließens eröffnen. Im Ergebnis kann man dann sagen, daß die Funktion von Rechtsdogmatiken darin besteht, juristische Argumentationskontexte aufzuspannen, indem sie die „Bedingungen des juristisch Möglichen, nämlich die Bedingungen juristischer Konstruktion von Rechtsfällen“ ausweist (Luhmann 1974c: 19, Hervorh. dort). Versteht man unter Komplexität die „Relation wechselseitiger Ermöglichung von Elementmengen und reduktiven Ordnungen“ (Luhmann 1975b: 207), dann fällt der Dogmatik die Aufgabe zu, die Komplexität des Rechtssystems auf eine höhere Stufe zu heben. Sie soll Kriterien der Selektion von Entscheidungen entwickeln, die im Vergleich mit einem Zustand, der durch Kasuistik geprägt ist, den Bedarf an Entscheidungen im Entscheiden kleiner ausfallen lassen (vgl. Luhmann 1975b: 215). 2. Der Gleichheitssatz als krypto-normatives Rationalisierungsprogramm? Das alles bleibt unvermeidlicherweise (aus Gründen, die im Gegenstand liegen) sehr abstrakt und führt vor die Frage, wie diese Funktion im Rechtssystem operationalisiert werden kann. Dogmatik, so Luhmann (1974c: 20), sei notwendig gerechte Rechtsdogmatik. Man gerät mit diesem behaupteten Zusammenhang von Rechtsdogmatik und Gerechtigkeit auf theoretisch kaum gesichertes Terrain. Innerhalb der systemfunktionalistischen Theorie fungiert Gerechtigkeit als Kontingenzformel des Rechtssystems. Kontingenzformeln gehören zum Arsenal derjenigen Strukturbedingungen, die sich in jedem Funktionssystem der modernen Gesellschaft finden lassen. Fragt man in ideologiekritischer Absicht nach dem semantischen Gehalt der Kontingenzformeln, dann zeigt sich, daß das Leerformelhafte nachgerade konstitutiv für diese Figuren ist. Gerade, daß sie gehaltsleer sind, macht sie aber kommunikationspragmatisch ergiebig. Ihre Funktion liegt nämlich darin, nichthintergehbare Nichtnegierbarkeiten in die systemischen Beobachtungszusammenhänge einzuziehen. Dadurch daß es schlechterdings nicht möglich ist zu kommunizieren, daß man die Kontingenzformel ablehnt, entsteht ein Bereich des „Unsagbaren“. Ungerechte Entscheidungen darf man nicht wollen – und folglich muß auch Rechtsdogmatik notwendig gerecht sein. Der Gesichtspunkt der Nichtbestreitbarkeit reicht zur Bestimmung der Funktion der Kontingenzformel Gerechtigkeit aber nicht zu. Luhmann geht davon aus, daß die Kontingenzformel Gerechtigkeit im Rechtssystem nicht

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VIII. Zur möglichen Rationalität einer Dogmatik der fdGO

anders denn als Norm wirksam werden kann.3 Die Frage ist nur, wie einer Formel, die einen Bezug zum Rechtssystem als Ganzem unterhält und die gerade dadurch hochgradig unspezifisch bleiben muß, dennoch Normeigenschaften zugesprochen werden können (Luhmann 1993a: 218). Gerechtigkeit fungiert im Rechtssystem als Meta-Programm, als Kontextbedingung, die immer vorauszusetzen ist, wenn Normen zur Anwendung gebracht werden sollen. Die Norm der Gerechtigkeit läßt sich nicht sistieren; sie ist keine Regel, die Ausnahmen verträgt. Eine solche Deutung ist nur möglich, wenn man einerseits das Leerformelhaft-Unspezifische auf einen zugrundeliegenden Unterschied, nämlich die Differenz von Unbestimmbarkeit und Bestimmbarkeit, zurückführt. Damit verweist Gerechtigkeit auf die immer gegebene Möglichkeit, etwas, was im Rechtssystem momentan als Faktum kursiert, im Lichte anderer Möglichkeiten zu betrachten – mithin: es kontingent zu setzen (Luhmann 1993a: 220). Gleichwohl besagt diese Funktionsbestimmung nicht, daß Gerechtigkeit ein Selektionskriterium ist, welches begründungswirksam werden könnte (Luhmann 1993a: 221). Gerechtigkeit ist keine justiziable Norm, die in Konkurrenz zu anderen Programmen des Systems treten könnte. Dazu ist die Norm Gerechtigkeit mit ihrem Bezug auf das Gesamtsystem zu hochstufig generalisiert. Um vom Normcharakter der Gerechtigkeit ausgehen zu können, muß man zeigen können, daß und wie die Kontingenzformel Gerechtigkeit trotz Systemorientierung auch für die Einzelfallentscheidung noch Relevanz erlangen kann (Luhmann 1993a: 223 f.). Von der leerformelhaften Generalisierung zur Respezifikation als Norm gelangt man, wenn man Gerechtigkeit begreift als „ein Schema der Suche nach Gründen oder Werten, die nur in der Form von Programmen Rechtsgeltung gewinnen können“ (Luhmann 1993a: 222 f.). Diese Vermittlungsleistung ist an die Form der modernen Gesellschaft gebunden. Sie muß das Problem also mit Bezug auf die Differenz von System und Umwelt einer Lösung zuführen. Das ist möglich, so jedenfalls die Vermutung Luhmanns (1973c: 142), indem die im Rechtssystem nichthintergehbare Maxime der Gerechtigkeit als Forderung nach „adäquater Komplexität des Rechtssystems“ normativ wirksam wird. Die Zweiteiligkeit des Prädikats „gerecht“ bringt dabei zum Ausdruck, daß es sich beim Rechtssystem um ein System in einer Umwelt handelt, um ein System also, das immer unter der Doppelanforderung steht, sich an sich selbst und an seiner Umwelt zu orientieren. Der selbstreferentielle Bezug hängt an der Frage, nach welchen Kriterien das Rechtssystem seine Sortierleistungen organisiert, also gleiche und ungleiche Fälle unterscheidet. Gerechtigkeit läßt sich daher auch als „adäquate Komplexität des konsistenten Entscheidens“ defi3 Die gegenteilige Auffassung findet sich allem Anschein nach noch in Luhmann (1974c: 21).

2. Der Gleichheitssatz als Rationalisierungsprogramm?

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nieren (Luhmann 1993a: 225). Der Grad der Konsistenz des Entscheidens aber ist eine Funktion der Programmwahl und damit auch von Informationen abhängig, die in fremdreferentieller Einstellung gewonnen werden. Adäquate Komplexität verlangt also, das Verhältnis von Rechtssystem und seiner gesellschaftlichen Umwelt rechtssystemintern in entscheidungsverträglicher Weise nachzuvollziehen. Im Rechtssystem taucht damit die Notwendigkeit, zwischen Selbst- und Fremdreferenz laufend einen „Ausgleich“ herzustellen, als Norm wieder auf: Rechtskommunikationen dürfen, soweit dies mit konsistentem Entscheiden vereinbar ist, nicht unterkomplex sein (Luhmann 1973b; siehe 1975b: 215 f.).4 Das Rechtssystem ist typischerweise konditional programmiert. Diese Programmform entspricht in der Art und Weise ihrer Informationsverarbeitung der Funktion des Rechts, Erwartungshaltungen kontrafaktisch zu stabilisieren. Und auch die Kontingenzformel Gerechtigkeit ist für ihre Respezifikation auf konditional formulierte Rechtssätze angewiesen, ja, sie kann mit ihrem Bezug auf die Herstellung von Regelhaftigkeiten gar nicht anders gedacht werden als in Konditionalprogrammen verankert (Luhmann 1993a: 231). Rechtsdogmatik als notwendig gerechte Dogmatik sieht sich dann gezwungen, die Doppelanforderung von Entscheidungskonsistenz (Regelhaftigkeit) und Komplexitätsberücksichtigung bei ihren Versuchen, Konditionalprogramme nochmals zu relationieren, aufzunehmen und zu bearbeiten. Ihr fällt die Aufgabe zu, Selbstreferenz und Fremdreferenz einerseits, Einzelfall und Systemorientierung andererseits aufeinander abzustimmen. Die Rechtsdogmatik muß, weil auch die Gerechtigkeit nur in konditionaler Form Ausdruck finden kann und weil es Rechtsbegriffe sind, die die Auslösebedingungen der Konditionen festlegen, zu diesem Zweck gesellschaftsadäquate Rechtsbegriffe bilden. Rechtsnormen sind aus sich selbst heraus nicht in der Lage, die Bedingungen gesellschaftsadäquaten Entscheidens herzustellen. Dazu ist ihr Abstraktionsniveau schlichtweg zu niedrig. „In diesem Sinne setzt die Rechtsdogmatik gesellschaftsadäquate Begriffe ein, um im Rechtssystem intern die Möglichkeit zu schaffen, Inputverarbeitungsprozesse und Outputerzeugungsprozesse zu integrieren. [. . .] Die Dogmatik gewährleistet durch gesellschaftsadäquate Formung ihrer Begriffe nur ‚Bedingungen der Möglichkeit‘ – genauer gesagt: Bedingungen dafür, daß das Rechtssystem mit Input und Output zugleich sich an einem gesamtgesellschaftlich erzeugten Entscheidungsbedarf orientiert. Das geschieht, indem sie die Transformation von Input in Output unter Vorentscheidungen setzt, die ihrem Abstraktionsgrad, ihrer Spezifikationsrichtung und ihrem Inhalte nach mit wichtigen Strukturen des jeweiligen Gesellschaftssystems kompatibel sind. 4 Gerechtigkeit muß demnach als steigerungsfähiger Sachverhalt begriffen werden. Im günstigsten Fall werden dabei die Variablen Konsistenz und Komplexitätsberücksichtigung gemeinsam auf ein höheres Niveau gehoben (Luhmann 1973b: 146).

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Man muß demnach, um ein hinreichend komplexes Urteil über die Funktion der Rechtsdogmatik zu gewinnen, verschiedene Gesichtspunkte auseinanderhalten und zueinander in Beziehung setzen, nämlich 1) die systeminterne Integration von Input und Output, die weder eine Maximierung des Inputs (z. B. unbeschränkte Informationssuche oder größte Tiefenschärfe in der Fallanalyse) noch eine Optimierung von Output im Sinne eines wohlfahrtsstaatlichen social engineering zuläßt; 2) die Anpassung dieser Leistung an Strukturen und Probleme der gesellschaftlichen Umwelt des Rechtssystems, und 3) den Grad an Generalisierung und Spezifikation derjenigen Sinnebene, auf der diese beiden Leistungen verknüpfbar sind.“ (Luhmann 1974c: 58 f.)

Dogmatiken fällt also die Aufgabe zu, eine auf Kategorien gestützte Vermittlung von Entscheidungsinterdependenzen zu leisten. Als „rational“ läßt sich dieser Auf- und Abbau von Verknüpfungsmöglichkeiten im System dann bezeichnen, wenn es gelingt, ihn zugleich auf die Differenz zwischen dem Recht und seiner gesellschaftlichen Umwelt zu beziehen (Luhmann 1972b). Auffällig – aber mit Blick auf die konditionale Programmform konsequent – ist dabei, daß Luhmann (1993a: 30) der Meinung ist, die Dogmatik könne ihrer Aufgabe, „Gründe der Ähnlichkeit von Fällen“ zu entwikkeln, nur dann gerecht werden, wenn sie klassifikatorisch ansetzt. Dahingegen sind für ihn keine Kriterien erkennbar, die die Folgenorientierung (und deren Folgen) so zu disziplinieren vermögen, daß sie für den Aufbau dogmatisch durchgearbeiteter Strukturierungsleistungen nutzbar gemacht werden können – im Gegenteil vermutet er, daß folgenbasierte Argumentation ein erhebliches Potential der Zersetzung dogmatischer Strukturierungsleistungen birgt.5 Während die Kontingenzformeln der Funktionssysteme – man denke nur an die Gemeinwohlformel im politischen System – geschickt placierte semantische Artefakte sind, die zwar kommunikationspragmatisch zum Teil hochwirksam sind, aber gerade nicht in dem Sinne programmierend wirken, daß sie Richtigkeitsbedingungen der Codewertzuweisung festlegen, deutet Luhmann Gerechtigkeit zugleich als Metakriterium der Programmentwicklung im Rechtssystem, welches für die Entwicklung von Dogmatiken Relevanz erlangen soll. Im Unterschied zu Kontingenzformeln anderer Funktionssysteme belastet er den Gerechtigkeitsbegriff also mit Rationalitätszumutungen. Auch der Rationalitätsbegriff erhält im Rahmen der Theorie Sozialer Systeme eine eigene Konturierung. Wenn von Rationalität die Rede ist, muß es sich um einen Modus der Beobachtung handeln, der unter bestimmte Anforderungen gesetzt wird. Sehr abstrakt gesprochen setzt Ratio5 Luhmann (1986e: 193 f.) sieht in Entwicklungen wie dem Ausweichen in unbestimmte Rechtsbegriffe, dem Rückgriff auf Abwägungsgebote und einer verstärkten Folgenorientierung eine problematische „Steigerung der Differenzierung von Codierung und Programmierung“.

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nalität voraus, daß man beim Beobachten die Einheit der verwendeten (Leit-) Differenz mitreflektiert, daß man also beobachtet, worin die eigene Beobachtungsfähigkeit gründet. Sofern man als Beobachter Systeme ansetzt, liegt die Bedingung der Möglichkeit ihres Beobachtens in der Differenz von System und Umwelt. Dabei ist die Informationsverarbeitung selbstreferentieller Systeme auf das fortlaufende Diskriminieren von Selbstreferenz und Fremdreferenz angewiesen. Das aber macht deren Beobachtungstätigkeit noch nicht rational. Rationalität hat dort ihren Ort, wo die Unterscheidung von Selbst- und Fremdreferenz in bewußter (reflektierter) Form zum Zwecke der Informationsgewinnung eingesetzt wird (Luhmann 1984: 617, 640–645; 1992: 182 f.; 1997: 177–184). Die Verwendung der Differenz von System und Umwelt im System bildet deswegen den Startpunkt für die Einrichtung von Beobachtungsmustern, die als rational gelten dürfen, weil alle weiteren Unterscheidungen, die an dieser Ausgangsdifferenz ankristallisieren, damit bereits mit einer Art grundlegendem „Schizophrenieschutz“ ausgestattet sind, der verhindert, daß sich ein System mit seiner Umwelt verwechselt.6 Daß es sich dabei nicht um eine völlig abstrakte Problemstellung handelt, wird schon daran erkennbar, daß der Rechtsprechung des BVerfG wiederholt vorgehalten wird, sie führe zu einer Politisierung des Rechts und in eins damit zu einer ungebührlichen Verrechtlichung der Politik; man macht ihr, mit anderen Worten, zum Vorwurf, diese Differenz und damit auch die (guten) Gründe für ihre gesellschaftsweite Institutionalisierung zu mißachten.7 3. Zur Rationalität einer möglichen Dogmatik der fdGO Unter dem Titel Gerechtigkeit mutet Luhmann der Rechtsdogmatik zu, das Recht als System in einer Umwelt zu begreifen und daraus informationswirksame Schlüsse zu ziehen. Damit erhebt sich die Frage, was geschieht, wenn die Rechtsdogmatik ihre Generalisierungsvorschläge als Produkte eines Systems betrachtet, die auf die Stabilisierung gesellschaftlicher Verhaltenserwartungen gerichtet sind. Eine verallgemeinerungsfähige Antwort auf die Frage wird sich kaum finden lassen. Man kann aber sehr wohl an dogmatischen Problemen überprüfen, wie sich Argumentationsfiguren verändern, wenn man sie mit Problemformulierungen konfrontiert, die mit 6

Ein generalisierter Begriff der Schizophrenie müßte auf das Problem mißlingender Selbstdemarkation eines (nicht zwangsläufig psychischen) Systems abstellen. Die Symptome, welche als Manifestationen schizophrener Störungen betrachtet werden, wären dann als Effekt inadäquater Vermittlung von selbst- und fremdreferentiellen Bezügen zu lesen; und das Ergebnis ist ein Modus der Informationsverarbeitung, der von einer psychotischen Erfahrungsabgewandtheit zeugt. 7 Enders (2004: 58); Esser (1975: 556); Hase (1984: 56 f.); Hase/Ladeur/Ridder (1981: 796); Luhmann (1993a: 97 f.); Schlink (1984: 462, 465).

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systemtheoretischen Mitteln gewonnen wurden. Mit Blick auf eine mögliche Dogmatik der fdGO müßte daher geprüft werden, welche Auswirkungen es hat, wenn die vorgeschlagene funktionale Deutung derselben in das Rechtssystem eingespeist und selbst zur Grundlage dogmatischer Argumentationsbemühungen gemacht wird. Dabei ist es wichtig, sich die Grenzen der Möglichkeit einer solchen rationalen Dogmatik vor Augen zu halten. Sie liegen zuvorderst in der grundlegend anderen Haltung zum „normativen Material“, die man einnimmt, wenn man sich einem Gegenstand, der letztlich immer mit Entscheidungsfragen befaßt ist, in funktionaler Perspektive nähert. Die Beschränkung der Dogmatik liegt in ihrem kategorialen Zugriff. Klassifikatorische Begriffe setzen einer komplexitätsadäquaten Sachverhaltsbeschreibung Grenzen; gerade die faktischen Interdependenzen von System und Umwelt lassen sich auf dieser Basis nur bedingt erfassen. Auf der anderen Seite entsteht beim Übergang von klassifikatorischer zu funktionaler Dogmatik leicht das entgegengesetzte Problem von zuviel Änderbarkeit und zu wenig Bindung. Nicht alles, was in funktionaler Perspektive Sinn ergibt, läßt sich an dogmatische Diskussionsschemata rückbinden und in Argumentationsanweisungen umsetzen.8 Wir hatten gezeigt, daß die Interpretation der fdGO nicht nur isolierbare Probleme der Auslegung einzelner Grundrechte berührt, sondern zugleich auf die tieferliegende grundrechtstheoretische Diskussion verweist, was überhaupt Grundrechte ausmacht und wie sie auszudeuten sind. Die Kontroverse darüber kulminiert in der Alternative von Freiheit und Wert. In parallel gelagerter Weise kann aus soziologischer Perspektive die Frage nach der Funktion der fdGO nicht unabhängig von der Frage nach der Funktion der Grundrechte beantwortet werden. Wir hatten sowohl die Grundrechte als auch die fdGO auf das Problem der Stabilisierung der modernen Gesellschaftsordnung gegen entdifferenzierende Tendenzen bezogen. In der Tat kombiniert die fdGO als Zwei-Seiten-Form spezifische Organisationmuster politischer Beteiligung mit grundrechtlichen Gewährleistungen von Freiheit. Die fdGO setzt diesem soziologischen Verständnis zufolge an einer genau bestimmbaren System-Umwelt-Problematik an, die im engeren Sinn das Verhältnis des politischen Systems zu seiner gesellschaftlichen Umwelt be8 Eingehender zu den damit verbundenen Problemstellungen rechtsdogmatischer und rechtstheoretischer Art Luhmann (1965b: Kap. 10; 1969a; 1974c); siehe ferner Podlech (1967). Möglichkeiten und Grenzen dieses Programms einer Subventionierung der Rechtsdogmatik durch Soziologie werden ausgelotet in Luhmann (1965b) und (1965a) sowie im Anschluß daran in Podlech (1969); mit deutlichem Grenzbewußtsein Luhmann (1974c: Kap. VI). Bei allen Unsicherheiten im einzelnen kann man den Eindruck gewinnen, Luhmann neige einer Art „funktionalen Begriffsjurisprudenz“ zu.

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trifft; die wegen der Durchgriffsmöglichkeiten, über die das Politische verfügt, wenn ihm keine verfassungsrechtlichen Grenzen gesetzt werden, aber zugleich Auswirkungen auf die Differenzierungsstruktur der Gesellschaft als Ganze hat. Die Wertsemantik greift an diesem Bezugspunkt vorbei. Das läßt sich zu der These zuspitzen, daß die Charakterisierung der fdGO als Wert deren Eigenschaften nicht nur deskriptiv verfehlt, sondern daß aus derartig unterkomplexen Prämissen auch dogmatische Dysfunktionalitäten erwachsen. Das aber heißt nichts anderes, als daß sich die unterschiedlichen Auslegungsdirektiven gegenüber der (soziologisch bestimmten) Funktion nicht neutral verhalten. So läßt sich etwa die Bestimmung der fdGO durch den ersten Senat des BVerfG9 – auch wenn sie unter systematischen Gesichtspunkten nicht zu befriedigen vermag – unter Rückgriff auf die bislang angestellten Überlegungen zur Funktion der fdGO in einer Art und Weise rektifizieren, die geeignet ist, einer Fehlanwendung entgegenzuwirken. Denn eine Herrschaftsordnung, die den Anforderungen an Freiheitlichkeit und Demokratie genügt, schließt in der Tat jede „Gewalt und Willkürherrschaft“ im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG aus, auch wenn dieser Ausschluß das Ergebnis und nicht die normative Grundlage der fdGO bildet. Ähnlich verhält es sich mit der „Achtung der im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte“, weil es insoweit nur darauf ankommen kann, den Grundsatz der (widerleglichen) Vermutung der Rechtmäßigkeit eines individuellen Freiheitsgebrauchs und der ausschließlichen Zulässigkeit verhältnismäßiger Eingriffe in diese Freiheit uneingeschränkt anzuerkennen. Die Berufung auf die Grundsätze der „Selbstbestimmung des Volkes“ und der „Volkssouveränität“ legt zwar das Mißverständnis nahe, Völker könnten sich „selbst bestimmen“ und verfügten über eine reale Souveränität, was nirgendwo der Fall ist. Gemeint ist freilich nicht mehr, als daß sich keine Partei und keine soziale Klasse die Befugnis anmaßen darf, öffentliche Herrschaft von Rechts wegen auszuüben, wie dies sowohl im „Dritten Reich“ als auch in den kommunistischen Diktaturen der Fall war.10 Schließlich wäre es auch illusionär, mehr als eine rechtliche „Chancengleichheit“ für die politischen Parteien zu fordern, weil es eine reale Chancengleichheit nicht geben kann und deshalb 9

Siehe oben S. 67. Korrekt expliziert meint „ ‚Volkssouveränität‘ [. . .] eine bestimmte Form des Erwerbs politischer Herrschaft. Dieses Prinzip war ursprünglich polemisch gegen ‚Fürstensouveränität‘ und ‚Ständesouveränität‘ gewendet (vgl. Art. 3 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte) als deren konkrete Negation. [. . .] ‚Volkssouveränität‘ ist also die Negation einer bestimmten Form und damit einer spezifischen Ungleichheit der Chancen politischen Herrschaftserwerbs, nämlich derjenigen durch Geburt. Diesbezüglich und nur diesbezüglich schafft dieses Prinzip ‚Gleichheit‘, nämlich als organisationsrechtliche Entsprechung des grundrechtlichen Gleichheitssatzes“ (Azzola 1972: 807 f., Hervorh. dort). 10

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– folgt man der Maxime „Sollen impliziert Können“ – auch nicht geben soll. Auch insoweit kommt es allein darauf an anzuerkennen, daß die Befugnis, öffentliche Herrschaft auszuüben, in zulässiger Weise nur unter Konkurrenzbedingungen, nur auf Zeit und nur nach Maßgabe von Mehrheitsentscheidungen erworben werden kann. In allen Fällen, in denen die oben genannten Prinzipien von Verfassungs wegen als unabänderlich und damit absolut gelten, sind sie von den Rechtsunterworfenen im Sinne einer verfassungsrechtlichen Loyalitätspflicht strikt zu beachten. Diese schränkt die politische Entscheidungsfreiheit der Bürger ein, was nur dann Legitimität beanspruchen kann, wenn es sich um Eingriffe handelt, die sich für die Verteidigung von Freiheit und Demokratie als geeignete und notwendige Maßnahmen erweisen. Weitergehende Eingriffe in ihre politische Handlungsfreiheit würden die Freiheit der Bürger nicht schützen, sondern ruinieren. Es muß sich also die Selbstverteidigung der fdGO von den entsprechenden Maßnahmen einer „Gewalt- und Willkürherrschaft“ unterscheiden. Auch das „Dritte Reich“ hat schließlich die Verteidigung der „nationalsozialistischen Ordnung“ zum Verfassungsprinzip erhoben, während in den Staaten des „real existierenden Sozialismus“ regelmäßig „konterrevolutionäre Bestrebungen“ mit dem Ziel der Systemerhaltung unterdrückt wurden. Aus dieser Strukturähnlichkeit ergibt sich zwar kein prinzipieller Einwand gegen die Zulässigkeit der Wehrhaftigkeit einer freiheitlichen Demokratie, wohl aber die Mahnung, bei der Verfolgung politischer Gegner jene Freiheit nicht zu zerstören, die es zu verteidigen gilt. In diesem Sinne wäre es mißbräuchlich, im Namen der fdGO auch gesellschaftspolitische Alternativen oder deren philosophische Grundlagen (oder bloße Prognosen) als „verfassungsfeindliche Zielsetzung“ zu verfolgen. So ist es verfehlt, den Begriff der Klassenherrschaft oder die Behauptung, jede gesellschaftliche Herrschaft verkörpere eine Form von „klassenmäßiger Diktatur“, sei es der Bourgeoisie, sei es des Proletariats, als verfassungsfeindlich einzustufen, wie dies im Gefolge des KPD-Urteils vielfach geschehen ist. Definitionen und gesellschaftliche Spekulationen sind nämlich als solche nicht verfassungsfeindlich, solange sie nicht mit Mitteln umgesetzt werden sollen, die mit dem Kernbestand der Verfassungsordnung unvereinbar sind. Derartige Übergriffe sind rechtlich verfehlt und auch politisch keineswegs unbedenklich. Wenn die fdGO inhaltlich nicht in Anlehnung an ein bestimmtes und bestimmbares Gemeinwohl definiert werden kann und wenn also der Streit um die zentralen Fragen der „politischen Ausgestaltung“ der Lebensverhältnisse durch die fdGO nicht eingeschränkt wird, dann muß es auch Sozialisten möglich sein, für den Sozialismus zu werben, ohne sich der Verfassungsfeindlichkeit verdächtig zu machen – wenn und solange derartige Gruppierungen ihre gesellschaftspolitischen Ziele unter

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fortdauernder Beachtung derjenigen Prinzipien zu verwirklichen trachten, die zu den unabänderlichen Mindeststandards unserer Verfassungsordnung zählen. Eine weitergehende Bedeutung kommt diesen Mindeststandards in der Auseinandersetzung um gesellschaftspolitische Umwälzungen nicht zu, was sich in bezug auf die Frage der Zulässigkeit der Überführung bestimmter Produktionsmittel in Gemeineigentum allein schon aus Art. 15 GG ergibt. Auch wenn Art. 14 GG, indem er das Eigentum garantiert, als einziges Grundrecht „soziale Herrschaftsmacht“ gewährt, so schränkt er doch die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von politisch gewollten Eingriffen in diese Besitzstände nicht ein. Die Eigentumsfreiheit fällt nämlich nicht unter die Bestandsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG, während zugleich Art. 14 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 15 GG die sachliche Reichweite von Art. 14. Abs. 1 GG begrenzt – mit der Folge, daß eigentumsvermittelte Machtpositionen, die geeignet sind, die politische Entscheidungsfreiheit staatlicher Organe zu beeinträchtigen, keinem eine Entschädigungspflicht auslösenden Grundrechtsschutz unterliegen. Entschädigungslose (oder entschädigungsgeminderte) Enteignungen können sich sogar für die Erhaltung der Funktionsfähigkeit der verfassungsmäßigen Grundordnung als unverzichtbar erweisen, wenn zum Beispiel eine Privatperson oder eine Gruppe von Privatpersonen ansonsten in der Lage wären, die Prozesse der öffentlichen Meinungsbildung zugunsten eines privaten Meinungsmonopols zu behindern, und andere Formen der „Demonopolisierung“ nicht zur Verfügung stehen oder sich als untauglich erwiesen haben. Der demokratische Verfassungsstaat fußte bei seiner Entstehung auf dem Theorem einer Trennung von Politik und Gesellschaft. Dieser Trennung sollte eine Unabhängigkeit der Formen des politischen Machterwerbs in einer Sphäre des Öffentlichen gegenüber gesellschaftlicher Macht und Einflußnahme entsprechen. Auch wenn dieses Theorem niemals mit der Wirklichkeit übereinstimmte, ist es doch geeignet, jede eigentumsvermittelte politische Einflußnahme auf politische Entscheidungsprozesse als Regelverletzung zu identifizieren, die im Extremfall das Funktionieren des Systems in Frage stellen kann. Die politische Forderung, gesellschaftliche Verhältnisse herzustellen, die derartige Gefahren ausschließen, mag töricht oder auch „extrem“ sein: verfassungsfeindlich wäre sie nicht, wohl aber ihre Unterdrückung verfassungswidrig. Wie schon bei der Auslegung der fdGO hat das BVerfG auch bei der Entscheidung der Frage, welchen politischen „Treuepflichten“ ein Beamter im Hinblick auf Art. 33 GG unterliegt, rektifizierungsbedürftige Aussagen getroffen. Die im Grundgesetz dem Beamten abverlangte Verfassungstreue ist nämlich dann nicht mehr nachvollziehbar, wenn diese Treuepflicht gegenüber dem Staat gelten soll, der schließlich nichts anderes als ein – in der Moderne allerdings unverzichtbarer – Machtapparat ist. Dabei ist es

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vermutlich kein Zufall, daß das BVerfG den besonderen, über eine „Verfassungstreue“ hinausgehenden normativen Gehalt einer derartigen „Staatstreue“ nicht dargelegt hat, was die Vermutung nahelegt, daß es diesen eigenständigen normativen Gehalt gar nicht gibt.11 Wie im vordemokratischen Staat der Beamte politische „Treue“ dem Monarchen schuldete, so schuldet der Beamte im demokratischen Verfassungsstaat politische „Treue“ ausschließlich der Verfassung als der rechtlich verbindlichen Grundlage allen staatlichen Handelns und damit auch seines Handelns als Beamter. Das schließt den Wunsch nach regelgerechten und damit auch verfassungsrechtlich zulässigen Änderungen nicht aus. Die Treuepflicht bezieht sich damit in erster Linie auf eine loyale Erfüllung dienstlicher Obliegenheiten, wobei die Gewissenhaftigkeit der Erfüllung von Dienstpflichten nicht von subjektiven Wertungen, sondern von der Beachtung objektiver rechtlicher Erfordernisse abhängt.12 Zu diesen Erfordernissen gehört auch die Verpflichtung, die Prinzipien, die den Kernbestand dieser Ordnung ausmachen, gegen die Angriffe durch Feinde der fdGO zu verteidigen, auch wenn grundlegende Differenzen zu politisch herrschenden Auffassungen hinsichtlich der Ausgestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse bestehen sollten.13 Ein solches Insistieren auf einer rechtlich einwandfreien Grenzziehung ist keineswegs rein akademischer Natur. Legt man nämlich einer rechtlichen Bewertung der „Partei des Demokratischen Sozialismus“ (PDS) diesen allein rechtlich korrekten Maßstab zugrunde, dann ergibt sich sowohl aus der Analyse der Programmatik der Partei als auch aus ihrer politischen Praxis einschließlich dem Verhalten ihrer Mitglieder, daß sie zwar in weiten, in der Regel als „orthodox“ bezeichneten Teilen auch grundlegende gesellschaftspolitische Änderungen anstrebt, während die so genannten Modernisierer die gesellschaftlich gegebenen Verhältnisse jedenfalls nicht grundlegend in Frage stellen; aber selbst wenn man das eine mit Recht politisch als „extrem“ oder „radikal“ bezeichnen wollte, handelte es sich dabei nicht um eine rechtliche Wertung im Sinne einer Verfassungsfeindlichkeit. Selbst die von einer Minderheit gebildete „kommunistische Plattform“ scheint bereit, die politischen Spielregeln der fdGO auch für die eigene Machtausübung anzuerkennen, was eine Verfassungsfeindlichkeit ausschließt. Zu 11

Azzola/Lautner (1973: 245); siehe auch Esser (1975: 558) und Schlink (1976b:

359). 12

Nähere Ausführungen dazu bei Schlink (1976b). Dabei muß unterschieden werden zwischen Fällen, in denen nur äußere Loyalität in die Pflicht genommen wird, und solchen, in denen es ausnahmsweise notwendig sein kann, auch innere Loyalität zu verlangen. Dort, wo berufliches Handeln in einem hohen Maß auf mit der Rechtsordnung übereinstimmenden Wertungen fußt, dort und nur dort kann auch nach innerer Loyalität gefragt werden. Im Falle von Richtern könnte also interne Loyalität durchaus angezeigt sein. 13

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wünschen wäre, daß dies auch die Gegner der PDS anerkennen und den unter politik-legitimatorischen Gesichtspunkten keineswegs unproblematischen Versuch unterlassen, die Diskussion über gesellschaftliche Alternativen als verfassungsfeindlich zu diskreditieren.14 Diese Überlegungen legen den Schluß nahe, daß sich das, was wir im Zuge gesellschaftstheoretischer Erörterungen als Funktion der fdGO bestimmt haben, zugleich als Fundament begrifflich-dogmatischer Überlegungen eignet. Auch im Rahmen einer sich als „wehrhaft“ verstehenden Verfassungsordnung bleibt es bei der für politische Freiheit konstitutiven Vermutung, daß politische Wertungen nicht rechtserheblich sind. Ebensowenig ist die Verfassung ein Optimierungsprogramm, welches die Bürger auf bestimmte Formen legitimen „Grundrechtsgebrauchs“ festlegt. Die fdGO umfaßt ausschließlich die Organisationsprinzipien von Demokratie und freiheitlichem Rechtsstaat. Sie reagiert damit auf eine genau bestimmbare Gefahrengeneigtheit politischer Machtausübung: aus rechtlicher Perspektive besteht ihre Aufgabe in der Stabilisierung der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft; und soziologisch betrachtet kommt in ihr der Versuch zum Ausdruck, die Zweitcodierung der Politik durch das Recht auch auf die politischen und rechtlichen Ermöglichungsbedingungen funktionaler Differenzierung zu erstrecken. Ein solches „empirienäheres“ Verständis der fdGO ermöglicht es, die Frage der Trennung und Verbindung von Recht und Politik auch begrifflich festzuhalten und auf dieser Grundlage den Rahmen dogmatisch zulässiger Schlüsse abzustecken. Diese Form der Zuführung von Gehalt ist geeignet, die rechtlichen Gründe der Ähnlichkeit von Fällen stärker mit den gesellschaftsstrukturellen Gegebenheiten abzugleichen. Das methodisch kaum kontrollierte Wertdenken neigt dagegen dazu, die Differenz von Recht und Politik zu überspielen und mit der Politisierung juristischer Argumentationen Form und Funktion der fdGO zu unterhöhlen. Die werthafte Auslegung erweist sich in diesem Sinne als dysfunktional; sie verschenkt vorhandene Rationalisierungspotentiale im Umgang mit Systemgrenzen. Es bleibt allerdings bei der gegenwärtigen Rechtslage ein Ärgernis, daß selbst eine Partei wie die NPD, deren ablehnende Haltung gegenüber den die fdGO konstituierenden Einrichtungen unschwer zu erkennen ist, solange vom sogenannten Parteienprivileg des Grundgesetzes in der Weise begünstigt wird, daß sie an der staatlichen Parteienfinanzierung und an den für Parteispenden geltenden steuerlichen Privilegien partizipiert, bis das BVerfG 14 Das hier Gesagte gilt – abgesehen von der Tatsache, daß sie noch kein Parteiprogramm verabschiedet hat – gleichermaßen für die aus der Fusion von PDS und der Partei „Arbeit & soziale Gerechtigkeit – Die Wahlalternative“ (WASG) hervorgegangene Partei „Die Linke“.

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in einem Verbotsverfahren ihre Verfassungswidrigkeit festgestellt sowie Verbot und Auflösung angeordnet hat. Nicht weniger ärgerlich ist es, daß neofaschistische Parteien öffentlich im Rahmen von Demonstrationen unter Polizeischutz für ihre verfassungsfeindlichen und damit gegen die Grundlagen der Verfassung des Staates gerichteten Ziele werben dürfen und Kommunen zwingen können, ihnen Versammlungsräume zur Verfügung zu stellen. Dieser politisch kaum wünschenswerte Zustand könnte und sollte rechtlich geändert werden. Das ist verfassungsrechtlich zulässig, obwohl die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei nach geltendem Recht zwingend zu einem Parteienverbot führt. Zwar sieht das BVerfG in der Verbotsanordnung eine „normale, typische und adäquate Folge der Feststellung der Verfassungswidrigkeit“,15 aber weder Wortlaut noch Systematik des Grundgesetzes schließen andere Regelungen mit milderen Rechtsfolgen aus als die gegenwärtig durch § 46 Abs. 3 BVerfGG angeordneten.16 So schlägt Schuster (1968b) eine Regelung vor, der zufolge an die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei durch das BVerfG als Rechtsfolge nicht ein endgültiges Verbot, sondern nur ein zeitlich befristeter Ausschluß dieser Partei von der politischen Willensbildung (einschließlich des Verbots der Bildung von Ersatzorganisationen und des Einfrierens des Parteivermögens) zu knüpfen ist. Die Rechtsfolgen sollen also in zeitlicher Hinsicht dadurch entschärft werden, daß – in Anlehung an § 40 BVerGG – über eine Partei, deren Verfassungswidrigkeit festgestellt wurde, nur eine zeitlich begrenzte Verwirkung ihrer politischen Grundrechte ver15 BVerfGE 5, 85 (391). So auch Henke (1973: 295 f.), der die geltende Regelung für mindestens „sehr naheliegend“ hält, weil die Annahme paradox sei, daß das Schutzgut fdGO diejenigen Parteien schonen könne, die ihm zuwiderarbeiten. Damit ergebe sich ein „enger sachlicher Zusammenhang“ von Rechtswidrigkeit und Rechtsfolgen. Aus dem Zweck der Norm folgt für ihn eine diesem adäquate Rechtsfolge – und mithin eine weniger strikte Bindung an das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Noch schärfer Seifert (1961: 86), für den die Partei mit der Feststellung der Verfassungwidrigkeit ihre (rechtliche) Existenz verwirkt und sie zur „effektiven Vernichtung“ freigegeben sei. 16 Azzola/Lautner (1973: 246); Bernstein/Zweigert (1972: 4–10); Maurer (1971: 209 f.); Morlok (2001: 2941). Für Schuster (1968b: 155) stellen sich die Rechtsfolgen, die sich aus den Ausführungsgesetzen zu Art. 21 Abs. 2 GG ergeben, denn auch als „weder normal [. . .] noch typisch noch adäquat“ dar: „Kommt man dabei zu dem Ergebnis, daß sich aus dem Grundsatz der Freiheitlichkeit und Offenheit einer Gesellschaft, das heißt aus dem geschützten Gut selbst die Beschränkung der Abwehrmaßnahmen auf ein streng zu überprüfendes Mindestmaß ergibt, wird man gegen eine Änderung der Rechtslage in der angedeuteten Art kaum prinzipielle Bedenken haben müssen“ (Schuster 1968b: 158, Hervorh. dort). Diese Vermutung verdichtet sich andernorts zu der Behauptung, daß die „Verbotsautomatik“ der aktuell geltenden Ausführungsbestimmungen gemessen an dem Ausnahmecharakter eines Parteiverbotes „geradezu systemwidrig“ (Schuster 1968a: 422) oder gar „verfassungswidrig“ (Bernstein/Zweigert 1972: 15) sei.

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hängt wird (zustimmend Willms 1973: 455). Nach Ablauf der Frist kann es zu einem Überprüfungsverfahren kommen, in dem das BVerfG festzustellen hat, ob die Partei weiterhin die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Verbots erfüllt. Bernstein und Zweigert (1972) schließen an diesen Vorschlag einer Regelung mit zeitlich beschränkten Rechtsfolgen an. Sie gehen aber mit ihrer „Quarantäneregelung“ insoweit noch darüber hinaus, als sie auch in sachlicher Hinsicht mildere Rechtsfolgen fordern, da ihrer Auffassung nach nur so eine (im Unterschied zum allgemeinen Vereinsrecht) tatsächlich parteienspezifische Regelung zum Tragen gebracht werden kann.17 Parteien, deren Verfassungswidrigkeit durch das BVerfG festgestellt wurde, sollen nicht umfassend (im Sinne einer, wenn auch zeitlich beschränkten, Aufhebung des rechtlichen Bestands) an der politischen Betätigung gehindert werden, sondern nur, indem ihnen die Teilnahme an Wahlen und Abstimmungen zu untersagen ist. Nach Ablauf der Karenzzeit kommt es zu einem Überprüfungsverfahren, das die Möglichkeit vorsieht, die Partei zu „rehabilitieren“. Sicherlich entsprächen derartige Regelungen in ihren Rechtsfolgen dem Parteienprivileg in besserer Weise als die aktuelle Regelung. Sie verfangen aber dann nicht, wenn es um die Klärung der Frage geht, ob an die Verfassungsfeindlichkeit einer Partei, die man nicht verbieten lassen möchte, differenzierende Rechtsfolgen geknüpft werden können. Ein neues Verfahren, das ausschließlich auf die Feststellung der Verfassungsfeindlichkeit einer Partei abzielt, könnte dazu dienen, rechtliche Differenzierungen im Umgang mit der betroffenen Partei und mit ihren Mitgliedern auch ohne Ausspruch eines Parteiverbotes zu gestatten. Ziel einer Rechtsänderung sollte es sein, die Auseinandersetzung mit den Neofaschisten dadurch zu erleichtern, daß unabhängig von dem geltenden Verbotsverfahren ein neues Verfahren eingerichtet wird, welches ausschließlich auf die verfassungsgerichtliche Feststellung der Verfassungsfeindlichkeit einer Partei abstellt. Als Rechtsfolge dieser Feststellung sollen die betroffenen Parteien den Anspruch auf Gleichbehandlung im Rahmen des Parteienprivilegs und damit den Anspruch auf staatliche Finanzierung und steuerliche Förderung verlieren, ohne daß ein Parteiverbot ausgesprochen würde. Als normative Grundlage kann für derartige Verfahren gelten, daß eine Partei dann als verfassungsfeindlich anzusehen ist, wenn sie politische Ziele verfolgt, die unter keinem Betracht in einer verfassungsrechtlich zulässigen Weise verwirklicht werden könnten, weil sie einen der in Art. 1 und 20 GG niedergelegten Grundsätze verletzen. Geschützt sind folglich die Unantastbarkeit der Menschenwürde und damit die prinzipielle Subjektstellung und die Gattungsgleichheit aller Men17 Bernstein/Zweigert (1972: 11 f.); ablehnend Henke (1973: 296); Willms (1973: 455).

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schen gegenüber dem Staat sowie die Strukturprinzipien einer auf freier Konkurrenz von Meinungen und Organisationen beruhenden rechts- und sozialstaatlichen Demokratie. Demgegenüber wäre ein Verbot der Partei eine mögliche Folge eines vom Feststellungsverfahren rechtlich unabhängigen Verbotsverfahrens, in dem dann ausschließlich über Fragen der konkreten Gefahrenabwehr zu befinden wäre (Azzola/Lautner 1973: 245–248). Mit einer solchen Trennung von Feststellungs- und Verbotsantrag könnte man zugleich ein weiteres Problem lösen. Bisher treffen rechtliche Differenzierungen zwischen verfassungsfeindlichen und anderen Parteien nur Mitglieder solcher Parteien, denen als Organisation schon ein verfassungsfeindliches Verhalten vorgehalten werden kann. Allerdings kam es gerade während des sogenannten kalten Krieges – gestützt auf die ungenauen Ausführungen des BVerfG zur fdGO – auch diesbezüglich zu nicht immer überzeugenden Versuchen der Abgrenzung von verfassungsrechtlich zulässiger politischer Opposition von verfassungsrechtlich unzulässigen Auffassungen, die als „verfassungsfeindlich“ oder „extremistisch“ bewertet wurden. Ihren Trägern, die man entsprechend als „Verfassungsfeinde“ oder „Extremisten“ bezeichnete, sei insbesondere der Zugang zum öffentlichen Dienst zu verweigern.18 Dies erfolgte vielfach unter Hinweis auf die Indizwirkung einer Mitgliedschaft in einer Organisation mit „verfassungsfeindlichen“ beziehungsweise „extremistischen“ Zielsetzungen. Es ist in der Tat nicht abwegig, schon einer bloßen Mitgliedschaft in einer Organisation eine (widerlegliche) Vermutung zu entnehmen, daß eine Übereinstimmung eines Mitglieds zumindest mit den herausragenden Zielsetzungen dieser Organisation gegeben ist; diese Vermutung kann sich bei einer aktiven Mitgliedschaft auch zu einer (faktisch) unwiderleglichen Vermutung verdichten. Das ist zumal deswegen zulässig, weil Rechtsstaatlichkeit und Demokratie für die Gesamtheit der Rechtsunterworfenen so wichtige Organisationsprinzipien im Hinblick auf akzeptable Formen des Erwerbs und der Ausübung politischer Herrschaft sind, daß es die Möglichkeit geben muß, die politische Freiheit des einzelnen in dem Umfange einzuschränken, der zur Verteidigung und damit zur Erhaltung der Mindeststandards einer für akzeptabel erachteten Herrschaftsordnung notwendig ist. Allerdings kann es bei der Fehleranfälligkeit, die die Versuche der Klärung dieser Mindeststandards aufweisen, unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht überzeugen, daß dieses Verfahren als reines Verwaltungsverfahren, also unabhängig von einem gegen eine Partei gerichteten verfassungsgerichtlichen Verfahren, durchgeführt wird. Anzustreben ist, daß auch diese Rechtsakte auf einem gegen eine Partei ge18 Vgl. dazu vor allem die Diskussion im Anschluß an den sogenannten „Radikalenerlaß“ vom 28. Januar 1972 und die BVerfGE 39, 334; statt vieler Lange (1976) und Menger (1976).

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richteten 1973).19

verfassungsgerichtlichen Verfahren

beruhen

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(Azzola/Lautner

Es zeigt sich, daß die sozialtheoretische Analyse der fdGO nicht nur aus wissenschaftlicher Sicht eine gut strukturierte Problembeschreibung liefert; sondern daß die vorgeschlagene Explikation auch geeignet ist, der Rechtsdogmatik in einer Weise Gehalt zuzuführen, die einige der im Zusammenhang mit der fdGO aufgeworfenen und bislang nicht befriedigend beantworteten Fragen näher an eine Lösung heranzuführen vermag. Vermieden werden können durch diese Rückbindung der Rechtsdogmatik an die Soziologie eine extensive Auslegung der fdGO durch unmittelbar ideologiehaltige Bestimmungen ebenso wie die vielfach gerügte werthafte Interpretation der Grundrechte und die damit verbundene „Vorverlegung der Gefahrenschwelle“. Das im Zusammenhang mit den Art. 18 und 21 Abs. 2 GG besonders deutlich zutage tretende Risiko, durch die Betonung von den Bürger bindenden oder verpflichtenden Grundrechtsbestandteilen seine Freiheitssphäre im Namen des Demokratie- und Freiheitsschutzes über Gebühr einzuschränken, kann durch Argumentation auf der Basis eines „gesellschaftsadäquaten“ Begriffs der fdGO deutlich abgemildert werden. Erst eine solche soziologisch informierte und auch juristisch verwertbare Beschreibung läßt erkennen, was tatbestandlich als „Gefährdung der fdGO“ zu gelten beziehungsweise nicht zu gelten hat, so daß sich schließlich eine dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügende Lösung für das Problem verfassungsfeindlicher, aber noch nicht verbotener Parteien abzeichnet. Im untersuchten Fall scheint also eine auf ein Mehr an methodischer Kontrolle gerichtete Subventionierung der Rechtsdogmatik durch die Soziologie nicht nur möglich, sondern – sofern man sich Forderungen nach weltanschaulicher Neutralität und empirischer Sättigung der dogmatischen Problemformulierungen zu eigen macht – auch normativ angezeigt.

19 Auch Kriele (1975) hält eine Trennung von Feststellungs- und Verbotsverfahren für denkbar und wünschenswert, ohne aber die Notwendigkeit zu sehen, daß über eine etwaige „mangelnde Verfassungstreue“ von Parteien in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren befunden werden müßte.

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Sachwortverzeichnis Analytische Jurisprudenz 15 f., 84– 88, 111, 115 f., 118 f., 138, 141 Fn. 5 Argumentation, juristische 117 f. (siehe auch Rechtsdogmatik) Argumentationslast, Argumentationslastregel, Argumentationslastverteilung 64 Fn. 60, 118 – Freiheit als siehe Verteilungsprinzip – Gleichheit als 141–143 – Verschiebung der 75 f., 119–121 Ausdifferenzierung, vollständige siehe Entdifferenzierung – von Politik durch Demokratie 157– 161, 171 f. Autopoiesis 50, 52 f., 60 Fn. 52, 103, 131 Bedeutung 20–22, 25, 30 f., 38 Fn. 18, 56 f., 62 Fn. 58, 112, 141 Fn. 5 – konventionalistisches Verständnis von siehe Gebrauchstheorie – rechtliche 85 begriffliche Abstraktion siehe Selbstabstraktion/Fremdabstraktion Begriffsexplikation 90–95, 116, 119, 138, 147, 201 Beobachtung, Beobachter 31–35 (siehe auch Information, Kommunikation, Medium/Form, Sinn, System) – zweiter Ordnung 33 f., 64, 89 f., 102 f., 137 f., 161 (siehe auch funktionale Analyse, öffentliche Meinung) Beweislast, Beweislastregel, Beweislastverteilung siehe Argumentationslast

Code, binärer, Codierung 98–100, 172 Fn. 36 – demokratischer Politik, Regierung/ Opposition 159–161, 170–172 – der Massenmedien, Information/ Nichtinformation 165, 166 Fn. 29 – der Wissenschaft, wahr/unwahr 106 f. – der Politik, überlegene/unterlegene Macht 148, 159 f. – des Rechts, Recht/Unrecht 102 f. – Technisierung des 104 Fn. 31, 160 – und Programmierung 103 f., 107, 112, 133, 181, 190 Fn. 5 – Zweit- 174 f., 180, 182, 197 Deduktives Begründen 19, 114 f., 119 Definitionslehre, klassische, aristotelische 90 Definitionsverbot 181 Fn. 44 Demokratie 170–174 (siehe auch politische Wahl) – als Code, Regierung/Opposition 159–161, 170–172 – Ausdifferenzierung von Politik durch 157–161, 171 f. – Definition des Ausdrucks 171 – klassische Theorie der 145–147 – ökonomische Theorie der 158 Fn. 24 – rechtliches Verständnis von 68 f., 78 f., 145 f. – Sonderrationalität der 158 – und Gleichheit 173 f. Denormalisierung 135 Deskription/Präskription 16 (siehe auch Norm)

Sachwortverzeichnis Differenzierung – funktionale siehe funktionale Differenzierung – von Generalisierungsstufen siehe Generalisierungsstufe – von Rollen siehe Rolle – von Systemen siehe Systemdifferenzierung Distanzgewinn 134 Dogmatik siehe Rechtsdogmatik doppelte Kontingenz 51 Fn. 41 Element siehe Operation Emergenz 50 Fn. 41, 53, 146 Entdifferenzierung, Schutz vor 172– 175, 179–181, 183, 192 f., 197 Entscheiden, politisches 151 f. (siehe auch Macht) – kollektiv bindendes 148, 153 f., 178 f. Entscheidung, rechtliche – Form der 115 Fn. 43 – Limitationalität von 23 f. – Paradoxie der 114 f., 187 – Spielraum einer 23 f., 56, 68, 81, 83, 86 f., 88 Fn. 9, 181 Ereignis siehe Operation Erleben/Handeln 108, 112–116, 119– 121, 150 Fn. 14 (siehe auch symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium, Risiko/Gefahr) Erwartung, Erwartungsstruktur siehe Struktur – /Enttäuschung 60 (siehe auch normative/kognitive Erwartung) – normative/kognitive siehe normative/kognitive Erwartung Explikation siehe Begriffsexplikation Extension siehe Intension/Extension Form 32–35, 36 Fn. 16 – der Entscheidung 115 Fn. 43 – der fdGO 57, 64–66, 172 f., 175, 182–184, 192 f., 197

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– der Gleichheit 140 f. – der Norm 102 – des Grundrechts 73 f. – des Rechtsfalles 186 – des Wertes 74 f. – Medium / siehe Medium/Form Freiheit – als Argumentationslastregel siehe Verteilungsprinzip – Interpretation der Grundrechte als Gewährleistung von 15, 72 f., 82 Fn. 34, 115 f., 118–121, 138 Fn. 1 – soziologisches Verständnis von 178 – und Gleichheit 139 f., 143 f., 173 freiheitliche demokratische Grundordnung, fdGO 13 f., 18 f., 67–70, 76–81, 119 f., 139 f., 143 f., 184 f., 192–197 (siehe auch Parteiverbot) – als Grenzproblem 13, 18, 78, 139, 184 – Definitionsvorschlag des BVerfG 67 f., 193 f. – Form der 57, 64–66, 172 f., 175, 182–184, 192 f., 197 – Funktion der 14, 124, 127, 137 f., 147 f., 171–175, 177, 179–184, 192 f., 197, 201 – Gehalt der 24–29, 56, 77, 81, 83, 85 f., 139, 144 f., 195 f., 201 – Paradoxie der 28–30, 56 f., 62, 64– 67, 76 f., 79, 122, 124, 184 f. – rationale Interpretation der 192 f., 197, 201 – und strukturelle Kopplung 183 – und Verhältnismäßigkeit 79 f., 143 f., 183, 193, 198 Fn. 15, 201 Freiheitsordnung 82 Fn. 33 Fremdabstraktion siehe Selbstabstraktion/Fremdabstraktion funktionale Analyse, Methode 95, 124–138 – und Begriffsbildung, Klassenbildung 127 f. – und Kausalität 124–129

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Sachwortverzeichnis

– und Rechtsdogmatik siehe Subventionierung – und Systemtheorie siehe Systemfunktionalismus funktionale Differenzierung 14, 112, 135 f., 146 f., 184, 193, 197 Funktionssystem 14, 97–100, 161, 178 Gebrauchstheorie der Sprache, der Bedeutung 89–91, 93 f. Gehalt, empirischer, semantischer 15, 19–23, 25, 30, 56 f., 64, 111 – der fdGO 24–29, 56, 77, 81, 83, 85 f., 139, 144 f., 195 f., 201 – des Gleichheitssatzes, pragmatischer 140–143 – normativer, von Rechtssätzen 19, 22–24, 30, 83–86 – Problem- 29, 56 f. – und Information 61 f. – Zuführung von 19, 23 f., 26, 29, 84, 86–88, 90, 115, 197, 201 Generalisierungsstufe 178 Fn. 40 Gleichheit, rechtliche, Gleichheitssatz – als Argumentationslastregel 141– 143 – als Form 140 f. – als Norm 140–143 – Funktion der 141, 173 f. – Gehalt des 140–143 – und Demokratie, politische Funktion der 173 f. – und Diskriminierungsverbote 79, 139 f., 142 f. – und Freiheit, Verhältnismäßigkeit 139 f., 143 f., 173 – und Konditionalprogramme 143 Fn. 6, 144 – und Kriterien einer Ungleichbehandlung 142 f. Gerechtigkeit 187–192 Gesellschaft 97 (siehe auch Systemdifferenzierung)

– funktional differenzierte siehe funktionale Differenzierung gesellschaftsadäquater Rechtsbegriff 189 f., 201 Gesetzesbindung 23, 89 Grundrecht – abwehrrechtliche, liberale Interpretation der, als Freiheitsrechte 15, 72 f., 82 Fn. 34, 115 f., 118–121, 138 Fn. 1 – demokratische 173 f. – Entsubjektivierung der 75 f. – Form des 73 f. – Funktion der 174 f., 177–181, 192 – Gehaltsarmut von 15, 19, 24, 29, 56, 83, 86 f. – Mißbrauch von 18, 76 f. – Qualitäten des Gebrauchs von 74 f. – und Gleichheit 139 f., 143 f., 173 – wertgebundene Interpretation der, als Grundsatznormen siehe Wertejurisprudenz Grundsatznorm, objektive 70, 120 f. Handeln, Handlung, Handelnder siehe Erleben/Handeln – und Kommunikation 47–49, 50 Fn. 41 Information (differenztheoretisches Verständnis) 43 f., 58–62 – und Gehalt 61 f. Informationsgehalt (wissenschaftstheoretisches, sprachanalytisches Verständnis) siehe Gehalt Intension/Extension 20–22, 25, 31, 84, 88–94, 127 Interaktion unter Anwesenden siehe Systemdifferenzierung Klassifikation, Klassenbildung, Klassenlogik 21, 25 (siehe auch Definitionslehre) – und funktionale Analyse 127 f.

Sachwortverzeichnis – und Rechtsdogmatik 190, 192 – und semantische Unschärfe 90–95 kognitive Erwartung siehe normative/ kognitive Erwartung Kommunikation 30, 42–49 (siehe auch System) – und Handlung 47–49, 50 Fn. 41 – und Sprache 30 f., 43, 45 Fn. 31, 52 Fn. 43, 56 f., 62 – und Verhalten 48 f., 51 Fn. 41 Komplexität 15, 24, 37–40, 51 Fn. 41, 53, 61, 99, 161 f., 166, 169 f., 178, 187 – adäquate siehe Gerechtigkeit – Reduktion/Aufbau von 58 f., 105, 125 f., 128–130, 133, 135, 149, 185, 187 – Überlast an, Überforderung durch 51 Fn. 41, 59, 63 f., 118, 135, 184 – Unter- 189, 193 Kondensieren/Konfirmieren 59 Konditionalprogramm 16, 104 f., 113–117, 119–121, 189 f. – und Gleichheit 143 Fn. 6, 144 Konfirmieren siehe Kondensieren/Konfirmieren Kontingenz 37 f., 69, 99, 102, 128– 130, 135, 154, 159, 164, 169 Fn. 34, 186 – doppelte siehe doppelte Kontingenz Kontingenzformel 187 (siehe auch Gerechtigkeit) Latenz 128 f., 133 Fn. 15, 180 Limitationalität 22, 25–27, 29, 112, 124, 128, 132 – von Entscheidungen 23 f. Macht – als Code demokratischer Politik, Recodierung politischer, Regierung/ Opposition 159–161, 170–172 – als Code der Politik, überlegene/ unterlegene Macht, Macht/Ohnmacht 148, 159 f.

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– – – –

formale/informale 169 f. hierarchische 154 f., 158, 168 f. Medium der 149, 152, 163 rechtsförmige Zweitcodierung von 174 f., 180, 182, 197 – Reflexivität der 152 f., 154, 157, 162, 169 – Stellen- 153–156, 158 f. – symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium 149–153, 159 Fn. 24 – und Herrschaft 147, 148 Fn. 10 – und Motiv 149, 152 f. – und Zwang 154 Fn. 17 Machtkreislauf, gegenläufiger 168– 170 Massenmedien 98 Fn. 24, 165 f. – Code der, Information/Nicht–Information 165, 166 Fn. 29 – Funktion der 165 – strukturelle Kopplung von Politik und siehe öffentliche Meinung Materialitätskontinuum, Materialitätsunterbau 51 Fn. 41, 53, 96, 98, 167 Medium/Form 41 f., 132 f. – der Macht 149, 152, 163 – der Meinungsbildung 165, 167 – des Sinns 41 f., 44, 46, 48, 52, 58 – der Wahrheit 107 – der Werte 80 Menschenwürde 175–177, 199 f. Methode – der Begriffsexplikation siehe Begriffsexplikation – funktionale siehe funktionale Analyse – rechtsstaatsadäquate juristische 13– 15, 80 Fn. 28, 81–83, 86 f. möglicher Wortsinn 88 f., 145 Norm – Form der 102 – Gehalt einer 19, 22–24, 30, 83–86

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Sachwortverzeichnis

– Konkretisierung einer 83, 186 f. – rechtstheoretisches Verständnis von 23, 84–86 – soziologisches Verständnis von 101 f., 104 f. (siehe auch normative/ kognitive Erwartung) – und Fakten 83 Fn. 1, 117, 186 – und Werte 70 Fn. 12, 71, 74 f., 85, 90, 115, 120 f. normative/kognitive Erwartung 101 f., 105 Fn. 33, 107 f., 110 f., 112 f. objektives Recht 175–177, 182 Fn. 44 öffentliche Meinung 164–167 Öffentlichkeit 164 Operation – /Beobachtung 35–37, 54 f. – und Prozeß 49 f., 53 Fn. 47 – und Referenz 54 Organisation siehe Systemdifferenzierung Paradoxie 28–30, 57, 62–64, 122 – der Entscheidung 114 f., 187 – der fdGO 28–30, 56 f., 62, 64–67, 76 f., 79, 122, 124, 184 f. – /Paradoxieentfaltung, Entparadoxierung 29, 64–66, 119 Fn. 49, 120, 122–124, 128 f., 184 f. Partei – rechtliches Verständnis von 68 f., 78 – soziologisches Verständnis von 163, 169 – verfassungsfeindliche siehe verfassungsfeindlich – verfassungswidrige siehe verfassungswidrig Parteienprivileg 197–199 Parteiverbot 13, 18, 197–199 (siehe auch Trennung von Feststellungsund Verbotsverfahren) pattern variables 156 Pflicht 69, 71, 75 f., 79, 119, 121, 139, 201

Pflichtordnung 76 Politik, politisches System 148 (siehe auch Demokratie, Entscheiden, Macht, politische Wahl) – als Einheit im Machtkreislauf siehe Machtkreislauf – Code demokratischer, Regierung/ Opposition 159–161, 170–172 – Code der, überlegene/unterlegene Macht, Macht/Ohnmacht 148, 159 f. – Funktion der 148, 163 – rechtsförmige Zweitcodierung von 174 f., 180, 182, 197 – Selbstreferenz/Fremdreferenz der 167 Fn. 31 – strukturelle Kopplung von Massenmedien und siehe öffentliche Meinung – strukturelle Kopplung von Recht und siehe Verfassung – und Staat 148 Fn. 10, 154 f., 157 politische Wahl siehe Demokratie – Funktionen der 155–157, 161–163, 167–170 Prädikat 21 f., 24 f., 30 f., 82–84, 92 f., 140 f. – pragmatisches 85 Pragmatik siehe Semantik/Pragmatik Präskription siehe Deskription/Präskription Problem 26 (siehe auch funktionale Analyse) – -gehalt 29, 56 f. – ill-structured, ill-defined 26 f., 63– 66, 201 Programm, Programmierung siehe Generalisierungsstufe, Konditionalprogramm, Zweckprogramm – und Codierung 103 f., 107, 112, 133, 181, 190 Fn. 5 Prototypen, Prototypentheorie 91, 93 Fn. 15 Prozeß 35–37, 39 f., 44–49, 59

Sachwortverzeichnis – der Grenzbildung 49 f. – und Operation 49 f., 53 Fn. 47 Publikum 156, 164, 166 – als Einheit im Machtkreislauf siehe Machtkreislauf Rationalität – rechtliches Verständnis von 80 Fn. 28, 81–83, 86 f. – soziologisches Verständnis von 16, 190 f. – und Interpretation der fdGO 16 f., 192 f., 197, 201 – und Rechtsdogmatik siehe Gerechtigkeit Realdefinition 93 f. Realitätskontinuum, kognitives 95 f., 103, 111 Recht, Rechtssystem 96–98, 101–105, 116–118 – Code des 102 f. – Funktion des 16, 101 f. – Programme des siehe Konditionalprogramm, Zweckprogramm – Selbstreferenz/Fremdreferenz des 88 Fn. 7, 116–120, 141, 188–190 – strukturelle Kopplung von Politik und siehe Verfassung – Zeitbindung durch 101 f., 104 – Zweitcodierung von Macht durch 174 f., 180, 182, 197 Rechtsdogmatik 14 – Funktion der 185–187 – gerechte siehe Gerechtigkeit – und funktionale Analyse siehe Subventionierung – und Klassifikation 190, 192 Rechtsfall – Form des 186 Rechtsstaat – autoritärer 139 – und juristische Methode 13–15, 80 Fn. 28, 81–83, 86 f. Rechtstheorie 15 f., 19, 22 f., 25–27, 81 f., 112, 116 Fn. 45, 138, 141

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Fn. 5, 185, 192 (siehe auch analytische Jurisprudenz) Redundanz/Varietät 16, 61 f., 75, 94, 99, 117, 120 f., 129 Fn. 8, 143 Fn. 6, 185 Re-entry 34 Fn. 12, 38, 42 Fn. 26, 44 Fn. 28, 73, 103 Fn. 30, 115, 119 Fn. 49, 125 Fn. 2, 178 Referenz – soziologisches Verständnis von 16, 54 (siehe auch Selbstreferenz/ Fremdreferenz) – sprachphilosophisches, sprachanalytisches Verständnis von 20–22, 24, 30 f., 93 f., 112 – und Operation 54 Risiko/Gefahr 162 f. – Zeitbindung durch 162 Rolle, Rollendifferenzierung 155 Fn. 20, 156 Fn. 21, 168, 174, 178 (siehe auch Generalisierungsstufe) – Spezifikation der Wähler- 155–157 Satzsemantik, wahrheitskonditionale 20–22 Schließung, doppelte 54, 98, 106 – /Öffnung siehe Selbstreferenz/ Fremdreferenz Sein/Sollen siehe Norm Selbstabstraktion/Fremdabstraktion 14–16, 134 f. Selbstreferenz 49–53 (siehe auch Selbstreferenz/Fremdreferenz) – basale, mitlaufende 47–49, 53 Fn. 47, 106 Fn. 35 – der Funktionssysteme 99 f. (siehe auch Code/Codierung) Selbstreferenz/Fremdreferenz 54–56, 104, 133 f., 191 – der Politik 167 Fn. 31 – der Wissenschaft 56 Fn. 49, 127, 132 f., 135 f. – des Rechts 88 Fn. 7, 116–120, 141, 188–190

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Sachwortverzeichnis

Semantik/Pragmatik 71, 84–86, 141 Semiotik 30 f., 45 Fn. 31 Sinn 37–40, 43 f., 51 f., 54, 58 (siehe auch Struktur) – Medium des 41 f., 44, 46, 48, 52, 58 Sollen siehe Norm Spielraum 20, 62 – normativer, einer rechtlichen Entscheidung 23 f., 56, 68, 81, 83, 86 f., 88 Fn. 9, 181 Sprache – Gebrauchstheorie der siehe Gebrauchstheorie der Sprache – intensionale/extensionale siehe Intension/Extension – Umgangs- 83, 92 f. – und Kommunikation 30 f., 43, 45 Fn. 31, 52 Fn. 43, 56 f., 62 Staat – Funktion des 179 f. – juristisches Verständnis des siehe Grundrecht, Gleichheit, Menschenwürde – und Gesellschaft 146 f., 177 f., 197 f. – und Politik 148 Fn. 10, 154 f., 157 streitbare Demokratie 13, 28, 67 Fn. 3, 70, 77, 138, 146 Fn. 8, 194, 197 Struktur 58–60 (siehe auch normative/kognitive Erwartung) strukturelle Kopplung 166 f. – von Politik und Massenmedien siehe öffentliche Meinung – von Recht und Politik siehe Verfassung – und fdGO 183 subjektives Recht 70, 72 f., 120 f. Subventionierung der Rechtsdogmatik 16f., 176 Fn. 38, 184 f., 191–193, 197, 201 symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium 108–110, 149 f.

– Macht 149–153, 159 Fn. 24 – und Recht 112 f. – Wahrheit 110 f., 112 System 49–53, 94 Fn. 18, 130 f. (siehe auch Selbstreferenz/Fremdreferenz) – Grenze eines 46 Fn. 35, 49–55, 113 f., 130, 172, 181, 197 Systemdifferenzierung 97 – funktionale siehe funktionale Differenzierung – von Interaktion, Organisation, Gesellschaft 146 f., 152, 168 f. Systemfunktionalismus 14–16, 130– 138 Systemreferenz 122, 133–136, 138 Fn. 3 Trennung von Feststellungs- und Verbotsverfahren 199–201 Treuepflicht im öffentlichen Dienst 195 f., 200 Vagheit 88, 92 Varietät siehe Redundanz/Varietät Verfassung – rechtliches Verständnis von siehe Freiheit, Gleichheit, Menschenwürde – soziologisches Verständnis von 180–183 Verfassungsfeindlichkeit 194–201 Verfassungswidrigkeit 18, 68, 183, 197–199 Verhältnismäßigkeit 72 f., 76 Fn. 21, 173, 181 Fn. 44 – und fdGO 79 f., 143 f., 183, 193, 198 Fn. 15, 201 – und Gleichheit 139 f., 143 f., 173 Verteilungsprinzip, rechtsstaatliches 72 f., 176, 180 Verwaltung als Einheit im Machtkreislauf siehe Machtkreislauf Wahrheit – als Code der Wissenschaft 106 f.

Sachwortverzeichnis – Medium der 107 – symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium 110 f., 112 wehrhafte Demokratie siehe streitbare Demokratie Wert – Form des 74 f. – Interpretation der Grundrechte als siehe Wertejurisprudenz – Medium der 80 – soziologisches Verständnis von 71 (siehe auch Generalisierungsstufe) – und Norm 70 Fn. 12, 71, 74 f., 85, 90, 115, 120 f. Wertejurisprudenz, Wertejudikatur 15 f., 70 f., 74–76, 80–83, 115 f., 118–121, 138 Fn. 1 Wertordnung, Wertrangordnung 15, 69–71, 74, 76 f., 79, 81, 115, 118 Wissen, wissenschaftliches 105–108, 110 f.

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Wissenschaft, Wissenschaftssystem siehe Wahrheit, Wissen – Code der, wahr/unwahr 106 f. – Funktion der 105 f. – Programmierung der 132 (siehe auch funktionale Analyse) – Selbstreferenz/Fremdreferenz der 127, 132 f., 135 f. Wortlaut, Wortlautorientierung 25 f., 83, 88 f., 94 Fn. 17 – Grenzfunktion des 89 f. Würde siehe Menschenwürde Zeichen 20 f., 30 f., 45 Fn. 31, 89, 93 Zeitbindung – durch Recht 101 f., 104 – durch Risiko 162 Zweckprogramm 114 f., 119