Meinungsfreiheit für die Feinde der Freiheit?: Meinungsäußerungsdelikte zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung als Instrumente der wehrhaften Demokratie [1 ed.] 9783428557424, 9783428157426

Mittelpunkt der Arbeit ist der Konflikt, der durch das Verbot von Meinungsäußerungen zum Schutz der freiheitlichen demok

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German Pages 306 Year 2019

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Meinungsfreiheit für die Feinde der Freiheit?: Meinungsäußerungsdelikte zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung als Instrumente der wehrhaften Demokratie [1 ed.]
 9783428557424, 9783428157426

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Schriften zum Strafrecht Band 348

Meinungsfreiheit für die Feinde der Freiheit? Meinungsäußerungsdelikte zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung als Instrumente der wehrhaften Demokratie

Von

Viktor Volkmann

Duncker & Humblot · Berlin

VIKTOR VOLKMANN

Meinungsfreiheit für die Feinde der Freiheit?

Schriften zum Strafrecht Band 348

Meinungsfreiheit für die Feinde der Freiheit? Meinungsäußerungsdelikte zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung als Instrumente der wehrhaften Demokratie

Von

Viktor Volkmann

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin hat diese Arbeit im Jahre 2018 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2019 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 978-3-428-15742-6 (Print) ISBN 978-3-428-55742-4 (E-Book) ISBN 978-3-428-85742-5 (Print & E-Book)

Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Für meinen Vater

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im November 2018 von der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin als Dissertation angenommen. Ich bedanke mich ganz herzlich bei Prof. Dr. Tatjana Hörnle, die mich nicht nur wissenschaftlich in höchstem Maße inspirierte und bei der vorliegenden Arbeit begleitete, sondern auch durch die Beschäftigung als wissenschaftlicher Mitarbeiter an ihrem Lehrstuhl stets in meinen Vorhaben unterstützte. Großer Dank gilt zudem den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Lehrstuhls für die gemeinsame Zeit. Für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens danke ich Prof. Dr. Gerhard Werle herzlich. Auch bin ich der Friedrich-Ebert-Stiftung und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu großem Dank verpflichtet, die mir durch ein Promotions­ stipendium die Möglichkeit gaben, mich zeitlich umfassend der vorliegenden Arbeit zu widmen. Die Stiftung hat mich außerdem durch ihre ideelle Förderung besonders bereichert. Der größte Dank gilt meinem engsten Kreis, insbesondere meinem Vater Rüdiger Volkmann, dem diese Arbeit gewidmet ist und der mir durch seine ideelle sowie finanzielle Unterstützung die vorliegende Arbeit überhaupt erst ermöglichte. Besonders bedanken möchte ich mich auch bei Tina Gerschler und Hanna Volkmann, die mich auf meinem Weg stets stützten und stärkten. Den Vorgenannten bin ich für ihre Unterstützung tief verbunden. Berlin, im Juli 2019

Viktor Volkmann

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 B. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bedeutungsspektrum der Meinungsfreiheit im Grundgesetz . . . . . . . . . . II. Meinungsäußerungsverbote zum Schutz der fdG . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Demokratietheoretische Grundlagen und Begründungsfragen der wehrhaften Demokratie  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Interdisziplinäre Vorüberlegungen zur Wirkweise von Sprache . . . . . . . V. Meinungsäußerungsdelikte im Lichte der Untersuchung . . . . . . . . . . . .

20 20 20 21 21 21

C. Verfassungsgeschichtliche, -rechtliche und demokratietheoretische Grundlagen: Das Bedeutungsspektrum der Meinungsfreiheit im Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 I. Ideengeschichtlicher Abriss der Meinungsfreiheit im deutschen Verfassungssystem seit 1450 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 1. Entwicklungen ab 1450 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 2. Entwicklung im 18. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 3. Entwicklung bis Mitte des 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 a) Historische Ereignisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 b) Staatsrechtslehre im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 4. Entwicklung bis zum 20. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 5. Entwicklung im 20. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 a) Weimarer Republik  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 b) NS-Herrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 II. Das Bedeutungsspektrum der Meinungsfreiheit grundgesetzlicher Konzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 1. Geschichte seit Ende des Zweiten Weltkrieges . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 2. Begriffliche und rechtliche Grundlagen der Meinungsfreiheit . . . . . . 38 a) Meinungsäußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 b) Tatsachenbehauptungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 c) Grundrechtsdogmatische Besonderheiten der Meinungsfreiheit  . 44 aa) Kombinationslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 bb) Wechselwirkungslehre  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 cc) Eingriffsfreier Bereich nach Ansicht des BVerfG . . . . . . . . . 49 3. Grundgesetzliches Bedeutungsspektrum: Individuelle und überindividuelle Freiheitsgewährleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 a) Bedeutung für das Individuum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 b) Bedeutung für die fdG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

10 Inhaltsverzeichnis c) Individuelle und überindividuelle Freiheitsgewährleistung im Spannungsverhältnis? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die fdG und die Meinungsfreiheit im Abhängigkeitsverhältnis . . . . . . . 1. Begriffsbedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Für welche Bestandteile der fdG ist die Meinungsfreiheit konsti­ tuierend? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58 59 60 62 65

D. Meinungsäußerungsverbote zum Schutz der fdG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 I. Vorüberlegungen: Grundrechtseingriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 II. Zur Auswahl und praktischen Relevanz der Strafnormen . . . . . . . . . . . . 69 1. Auswahl der Strafnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 2. Praktische Relevanz der ausgewählten Strafnormen . . . . . . . . . . . . . 70 III. § 83 Abs. 1 StGB – Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens in der Variante „Agitation“ (Verfassungshochverrat) . . . . . . . . . . . 73 1. Schutzgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 2. Eingriff in die Meinungsfreiheit durch das Verbot der „Agitation“ bzw. „Propaganda“  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 IV. § 86 StGB – Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 1. Schutzgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 2. Eingriff in die Meinungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 V. § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB – Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 1. Schutzgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 2. Eingriff in die Meinungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 VI. § 90a Abs. 1 StGB – Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole . 92 1. Schutzgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 2. Eingriff in die Meinungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 a) Beschimpfungen, Absatz 1 Nr. 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 b) Böswilliges Verächtlichmachen, Absatz 1 Nr. 1 . . . . . . . . . . . . . . 96 c) Verunglimpfung, Absatz 1 Nr. 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 VII. § 90a Abs. 2 StGB – Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole: Gewalt gegen Sachen als geschützte Meinungsäußerung? . . . . . . . . . . . 99 1. Schutzbereichsgrenzen der Meinungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 a) Schutz strikt dem Wortlaut entsprechender Ausdrucksformen . . . 100 b) Schutz jeglicher Ausdrucksformen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 c) Festlegung einer Schutzbereichsgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 aa) BVerfG: Beschränkung auf geistig vermittelnde Ausdrucksformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 bb) Schutz friedlicher und gewaltloser Ausdrucksformen (Leihe aus Art. 8 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 d) Zwischenergebnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 2. Eingriff in die Meinungsfreiheit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109

Inhaltsverzeichnis11 VIII. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 E. Demokratietheoretische Grundlagen und Begründungsfragen der wehrhaften Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 I. Historischer Rückblick: Die liberale Demokratie am Beispiel der Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 II. Erste Überlegungen zur Wehrhaftigkeit: Die „militante Demokratie“ von 1918 bis 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 III. Das Wehrhaftigkeitskonzept nach dem Grundgesetz: Absage an den Wertrelativismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 1. Wehrhafte Demokratie nach dem Grundgesetz  . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 2. Wertordnung des GG: Primat der fdG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 3. Instrumente wehrhafter Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 4. Wesensmerkmale der wehrhaften Demokratie nach Jesse . . . . . . . . . 144 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 IV. Lehren aus Weimar: Gefahr für die Demokratie durch die Wehrhaftigkeit gebannt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 1. Historischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 2. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 V. Kritik und Krise des Wehrhaftigkeitskonzepts: Zur „Metaphysik“ der wertgebundenen Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 1. Wehrhaftigkeit in Zeiten politischen Friedens – Wehrhaftigkeit als Krisenkonzept? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 2. Wertbindung an die fdG  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 3. Ideologieanfälligkeit der Wertbindung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 4. Wertkonsens und demokratische Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 5. Abwehr-Ideologie und Freund-Feind-Schema . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 6. Unbestimmtheit der fdG als Möglichkeit eines neuen Wertrelativismus – Böckenförde-Theorem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 7. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 VI. Einordnung der Meinungsäußerungsdelikte in das Wehrhaftigkeitskonzept des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 1. Nutzen der Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 2. Meinungsäußerungsdelikte als Instrumente wehrhafter Demokratie . 180 3. (Politische) Gewalt in der Demokratie – aktivierte Wehrhaftigkeit? . 182 4. Zwischenergebnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 VII. Begriffsbestimmung: „Wehrhafte“ oder „streitbare“ Demokratie? . . . . . 185 VIII. Ergebnis und Anschlussfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 1. Die WRV als liberale Demokratiekonzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 2. Militante Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 3. Grundgesetzliche Wehrhaftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 4. Lehren aus Weimar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 5. Kritik und Krise der wehrhaften Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 6. Meinungsäußerungsdelikte als Instrumente wehrhafter Demokratie . 190

12 Inhaltsverzeichnis 7. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 F. Die Meinungsäußerung als Gefahr für die Demokratie: Interdisziplinäre Vorüberlegungen zur Wirkweise und zum Gefahrenpotential von Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 I. Sprache und Gewalt in empirischer Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 II. Pragmalinguistische Analyse: Meinungsäußerungen als Sprechakte . . . 195 1. Sprechakttheorie (Speech Act Theory) nach Austin und Searle . . . . 197 2. Taxonomie illokutionärer Akte nach Searle im Lichte der Meinungsfreiheit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 3. Eingriffsfreier Bereich der Meinungsfreiheit im Lichte der Taxonomie illokutionärer Akte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 4. Zwischenergebnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 III. Verbale Aggression und verbale Gewalt aus pragmalinguistischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 1. Verbale Aggression: Definition und Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 2. Verbale Gewalt: Definition und Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 3. Schutzfähigkeit verbaler Aggression und Gewalt durch Art. 5 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 4. (Verfassungsrechtlich anvisierter) Diskurs, verbale Aggression und verbale Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 G. Meinungsäußerungsdelikte im Lichte der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . I. Verfassungsrechtliche Einordnung der Untersuchung und daraus abgeleitete Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zur Eingriffsfähigkeit und Außenwirksamkeit der Meinungsäußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. § 83 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. § 86 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. § 86a StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. § 90a StGB  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Meinungsfreiheit als Gefahr für die fdG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unberechenbarkeit als Gefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Freiheit für Feinde der Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Organisationsbezug als Gefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) § 83 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) § 86 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) § 86a StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) § 90a StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gefahr für das Ansehen des Staates als Gefahr für die fdG (§ 90a StGB)? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Das Meinungsäußerungsverbot als Gefahr für Meinungsfreiheit und fdG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

217 218 220 220 221 222 224 226 226 228 233 233 234 236 240 240 247

Inhaltsverzeichnis13 1. Abschreckungseffekte (Chilling Effect) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 2. Unbestimmtheit der Meinungsäußerungsdelikte als Gefahrenquelle: Chilling Effect und politische Instrumentalisierung . . . . . . . . . . . . . . 252 a) § 83 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 b) §§ 86, 86a StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 c) § 90a StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 d) Zwischenergebnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 3. Märtyrertum, Legendenbildung und ungewollte Aufmerksamkeit . . . 257 4. Verdrängung in den Untergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 5. Strafverbote als propagandistische Meinungsverstärker . . . . . . . . . . . 261 V. Ergebnis der Gefahrenallokation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 1. Zur Meinungsfreiheit als Gefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 2. Zu den Meinungsäußerungsverboten als Gefahr . . . . . . . . . . . . . . . . 266 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 VI. Konsequenzen für die untersuchten Meinungsäußerungsdelikte . . . . . . . 268 1. § 83 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 2. § 86 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 3. § 86a StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 4. § 90a StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 H. Gesamtergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zur grundgesetzlichen Konzeption der Meinungsfreiheit . . . . . . . . . . . . II. Zur wehrhaften Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zu den Gefahren der Meinungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Schluss und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

275 275 276 277 280

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305

Abkürzungsverzeichnis a. A. andere Ansicht a. a. O. am angegebenen Ort Abs.  Absatz a. E. am Ende a. F. alte Fassung Alt. Alternative a. M. andere Meinung Art. Artikel Aufl. Auflage a. v. O. an verschiedenen Orten Beschl. Beschluss BGH Bundesgerichtshof BKA Bundeskriminalamt Bsp. Beispiel bspw. beispielsweise BT-Drucks. Bundestag-Drucksache BVerfG Bundesverfassungsgericht bzgl. bezüglich bzw. beziehungsweise ders. derselbe dies. dieselbe DÖV Die Öffentliche Verwaltung ebd. ebenda Ed. Edition EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EL Ergänzungslieferung EMRK Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten Erkl. Erklärung et al. et alii (und andere) fdG freiheitliche demokratische Grundordnung Fn. Fußnote GA Goltdammer’s Archiv für Strafrecht

Abkürzungsverzeichnis15 gem. gemäß GG Grundgesetz GjS Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte GLJ German Law Journal GVVG Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten h. L. herrschende Lehre h. M. herrschende Meinung Hs. Halbsatz ICTR International Criminal Tribunal for Rwanda i. e. S. im engeren Sinne insb. insbesondere insg. insgesamt i. w. S. im weiteren Sinne JR Juristische Rundschau JuS Juristische Schulung JuSchG Jugendschutzgesetz JZ Juristenzeitung KG Kammergericht KJ Kritische Justiz KPD Kommunistische Partei Deutschlands LG Landgericht Lit. Literatur m. w. N. mit weiteren Nachweisen n. F. neue Fassung NJW Neue Juristische Wochenschrift Nr. / Nrn. Nummer / Nummern NS-Regime Nationalsozialistisches Regime NStZ Neue Zeitschrift für Strafrecht o. oben OK Online-Kommentar OLG Oberlandesgericht PKS Polizeiliche Kriminalstatistik PMK Politisch motivierte Kriminalität RefE Referentenentwurf Rn. Randnummer Rspr. Rechtsprechung Rz. Randzeichen

16 Abkürzungsverzeichnis S. Satz sog. sogenannte SRP Sozialistische Reichspartei st. ständige str. streitig SVS Strafverfolgungsstatistik u. und u. a. unter anderem umstr. umstritten Urt. Urteil usw. und so weiter u. U. unter Umständen StGB Strafgesetzbuch StPO Strafprozessordnung v. a. vor allem Var. Variante v. Chr. vor Christus vgl. vergleiche Vor. / Vorb. Vorbemerkungen VStGB Völkerstrafgesetzbuch WRV Weimarer Reichsverfassung z. B. zum Beispiel ZIS Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik ZStW Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

A. Einleitung Die im Titel der vorliegenden Arbeit gestellte Frage – „Meinungsfreiheit für die Feinde der Freiheit?“ – ist eine Anlehnung an das Zitat „Keine Freiheit den Feinden der Freiheit.“ bzw. im Original: „Pas de liberté pour les ennemis de la liberté.“ Dieses Zitat wird als „Jakobiner-Parole“1 gemeinhin Louis Antoine de Saint-Just zugeschrieben und findet sich als Devise und „Reizsatz“ in der Debatte zur wehrhaften Demokratie.2 Die hinter dem Zitat stehende Strategie ist, Freiheit dadurch zu schützen, den Freiheitsgegnern die Freiheit zu nehmen. Es verdeutlicht ein „Kerndilemma“3 moderner4 Demokratien: Wie können sich Demokratien um ihres Selbsterhaltes willen gegen die demokratischen Mittel wehren, die für ihre Existenz unveräußerlich sind?5 Wie kann ein freiheitlich demokratischer Staat einerseits Freiheitsrechte 1  So etwa Leggewie / Meier, Republikschutz, 1995, S. 210, die den fraglichen Ausruf ebenfalls Saint-Just zuschreiben. 2  Etwa Schliesky, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts XII, 3. Aufl. 2014, § 277 Rn. 1, der die Adaption „Keine Macht den Feinden der Demokratie“ als Idee der wehrhaften Demokratie ausmacht und diesen Ausruf ideengeschichtlich in der Französischen Revolution verortet. Ferner Becker, BLJ 2012, 113 (116); Jesse, Demokratie in Deutschland, 2008, S. 319 („jakobinische Devise“); Thiel, in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 24; Lameyer, Streitbare Demokratie, 1978, Vorblatt. Die genannten Autoren schreiben das Zitat jeweils Saint-Just zu, wobei dieses in keiner seiner Schriften auftaucht. Kritisch zur Verbindung des Zitats mit der wehrhaften Demokratie: Fromme, in: Jesse, Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik, 4., erw. Aufl. 1985, S. 79. 3  Andere Schlagwörter dieser Problematik sind bspw.: „Selbstwiderspruch“, vgl. dazu die Ausführungen des BVerfG zum Art. 21 GG (BVerfGE 5, 85 (137) = BVerfG, Urt. v. 17.8.1956  – 1 BvB 2 / 51, NJW 1956, 1393 (1396)); „Oxymoron“ bei Becker, BLJ 2012, 113 (113) (Betonung wurde nicht vom Autor hinzugefügt.); „Paradoxie“ bei Hufen, in: Kaspar / Schoen / Schumann / Winkler, FS Falter, 2009, S. 101 (102). 4  Zuzugeben ist insoweit aber, dass sich das „Paradoxon der Freiheit“ schon seit Anbeginn der Überlegungen zur Demokratie stellt und bis auf Platon zurückführen lässt, vgl. dazu die Untersuchungen bei Popper, Offene Gesellschaft, Bd. I, 7. Aufl. 1992, S. 147. 5  Dieses „Kerndilemma“ lässt sich in der These Poppers verallgemeinern: „Alle Theorien der Souveränität sind paradox.“ (S. 148). Vorliegend sind – in den Worten Poppers – folgende Paradoxa relevant: (1) „[…] Paradoxon der Toleranz: Uneingeschränkte Toleranz führt mit Notwendigkeit zum Verschwinden der Toleranz. Denn wenn wir die unbeschränkte Toleranz sogar auf die Intoleranten ausdehnen […], dann werden die Toleranten vernichtet werden und die Toleranz mit ihnen.“ (S. 333) und (2) das „Paradoxon der Demokratie: […] d. h. die Möglichkeit, daß sich die Mehrheit

18

A. Einleitung

gewährleisten, sich aber andererseits vor denen schützen, die diese Freiheitsgarantien missbrauchen, um den freiheitlich demokratischen Staat zu bekämpfen? In der vorliegenden Arbeit wird dieses Kerndilemma nicht in aller Breite anhand der Freiheit insgesamt untersucht, sondern konkret anhand strafrechtlicher Verbote6 der Meinungsfreiheit, denn: Erst der Blick auf die Beschränkungen der Meinungsfreiheit offenbart, was „gesagt werden darf“7. Die Meinungsfreiheit stellt sich dabei als eine der wichtigsten politischen Freiheiten dar; ihr wird vom BVerfG seit dem frühen Lüth-Urteil gar zugeschrieben, „[f]ür eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung […] schlechthin konstituierend“ zu sein.8 Auch in der Literatur herrscht weitgehende Einigkeit über die – zumindest abstrakte, weniger über die konkrete – Bedeutung der Meinungsfreiheit als demokratiebezogenem Grundrecht9: Dabei handele es sich um ein Verfassungsgut von höchstem Wert sowohl für das Individuum als auch für die freiheitliche demokratische Grundordnung (fdG10). Dieser Bedeutungszuschreibung zum Trotz lassen sich kernstrafrechtliche Verbote von Meinungsäußerungen finden: Schutzgut dieser Normen ist paradoxerweise ebenfalls die fdG. Wie aber kann die Meinungsfreiheit einerseits die fdG konstituieren und andererseits eine Gefahr für diese Grundordnung darstellen, die strafrechtlich abzuwehren ist? Aus diesem Zuschnitt ergibt sich die übergeordnete Frage der vorliegenden Arbeit: Meinungsfreiheit für die Feinde der Freiheit? Ist die Frage nach dem „Ob“ der Freiheitsgewährung zur Herrschaft eines Tyrannen entschließen kann.“ (S. 333), in: Popper, Offene Gesellschaft, Bd. I, 7. Aufl. 1992. (Betonungen wurden nicht vom Autor hinzugefügt.). 6  Beachte dazu: BVerfGE 39, 1 (47) = BVerfG, Urt. v. 25.2.1975 – 1 BvF 1-6 / 74, NJW 1975, 573 (576): „Die Strafnorm stellt gewissermaßen die ‚ultima ratio‘ im Instrumentarium des Gesetzgebers dar.“ Vgl. weiterführend etwa: Jahn / Brodowski, ZStW 2017, 363; Kindhäuser, ZStW 2017, 382. 7  In Anlehnung an Baer, in: Kretzmer / Hazan, Freedom of Speech and Incitement against Democracy, 2000, S. 67. 8  BVerfGE 7, 198 (208) = BVerfG, Urt. v. 15.1.1958 – 1 BvR 400 / 57, NJW 1958, 257 (258). Zitat a. a. O. Bull, in: Badura / Dreier, FS 50 Jahre BVerfG, Bd. 2, 2001, S. 163 spricht insoweit gar vom meistzitierten Satz der BVerfG-Judikatur. 9  Zur demokratiebezogenen Grundrechtsausübung n.a. Tillmanns, in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 30 und Dreier, JZ 1994, 741. Vgl. vertiefend Abschnitt C. II.3. 10  Die Abkürzung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung als fdG erfolgt nicht in abwertender, sondern in wertungsfreier Absicht. Eine pejorative Konnotation wird etwa von Jesse für viele Fälle vermutet, vgl. Jesse, Streitbare Demokratie, 1980, S. 19 („ ‚fdGO‘, wie sie oft – und dabei nicht selten in verächtlich machender Absicht – abgekürzt wird“); auch Fromme nennt die Abkürzung – zumindest bei Walter Jens – „pejorativ“, in: Jesse, Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik, 4., erw. Aufl. 1985, S. 88.



A. Einleitung19

positiv beschieden, kann die Frage weiter präzisiert werden: Wie viel Meinungsfreiheit für die Feinde der Freiheit? Zur Beantwortung dieser Frage ist das grundgesetzliche Konzept wehrhafter Demokratie heranzuziehen. Es stellt sich dabei die Frage, wie sich die wehrhafte Demokratie konkret demokratieschützender Meinungsäußerungsverbote als Instrument bedient. Werden im Kernstrafrecht die Bedeutung der Meinungsfreiheit einerseits und die Schutzbedürftigkeit der fdG auf der anderen Seite hinreichend weitsichtig vermessen? Werden staatsschützende Meinungsäußerungsverbote dem grundgesetzlichen Wehrhaftigkeitskonzept gerecht oder handelt es sich um vom eigentlichen Schutzanliegen losgelöste, symbolische Strafverbote, die der Demokratie nicht dienen, sondern dieser vielmehr schaden? Findet die theoretische Wehrhaftigkeitskonzeption eine konsistente Ausformung in den kernstrafrechtlichen Meinungsäußerungsdelikten oder lassen dogmatische und logische Brüche eine Zurechnung zum demokratietheoretischen Rahmen nicht zu? Bei der Beantwortung dieser Fragestellungen handelt es sich nicht nur um „einfache“ Abwägungen widerstreitender Interessen, sondern vielmehr um eine „Kern- und Existenzfrage der Demokratie, wo für den weltanschaulich neutralen Staat, der den ideologisch-kulturellen Pluralismus als ungeschriebene Voraussetzung seiner Existenz anerkennt, die prinzipiellen Schranken des Zugriffs auf das forum internum liegen.“11 Diese Fragen stellen sich ferner nicht allein auf einer rechtlichen Ebene; es soll nicht untersucht werden, ob einzelne Verbote verfassungsgemäß sind. Vielmehr soll auf einer demokratietheoretischen Ebene untersucht werden, wie dieses Paradoxon zustande kommt und ob es sich mit systemischen Überlegungen auflösen lässt. Ziel ist, prinzipielle Legitimationsfragen zur wehrhaften Demokratie zu erörtern, der prinzipiellen Bedeutung der Meinungsfreiheit gegenüberzustellen und sodann konkrete Legitimations- und Funktionalitätsfragen vor dem Hintergrund dieser Bedeutungsspektren zu erörtern. Im Ergebnis dient die vorliegende Arbeit dazu, einerseits den aktuellen Zustand des Wehrhaftigkeitskonzeptes des Grundgesetzes zu evaluieren und ferner, anhand von kernstrafrechtlichen, (vorgeblich) die Demokratie schützenden Meinungsäußerungsdelikten zu prüfen, ob dieses Instrument als solches und in konkreter Ausprägung in sich konsistent ist oder aber ob sogar legislative Nachbesserungen erforderlich sind.

11  Badura, in: Bundesamt für Verfassungsschutz (Hrsg.), Verfassungsschutz in der Demokratie, 1990, S. 39.

B. Gang der Untersuchung Die eingangs gestellten Fragen werden in der vorliegenden Arbeit in fünf verschiedenen Abschnitten aufgeschlüsselt, deren Bearbeitungsziele im Folgenden kurz dargelegt werden.

I. Bedeutungsspektrum der Meinungsfreiheit im Grundgesetz Im Mittelpunkt des Abschnitts C. steht die Bedeutung der Meinungsfreiheit im verfassungsrechtlichen System des Grundgesetzes. Die aktuelle Bedeutung kann ideengeschichtlich her- und abgeleitet werden, weshalb ein Abriss der Geschichte des Freiheitsrechts vorangestellt wird. Dieser beginnt mit einer kurzen Übersicht zur Entwicklung der historischen Rahmenbedingungen politischer Freiheitsrechte mit Fokus auf die Meinungsfreiheit ab 1450 bis in die Gegenwart (C.I.). Im Mittelpunkt dieser Untersuchung steht insbesondere die Ideengeschichte der Meinungsfreiheit. In einem weiteren Schritt wird die Bedeutung der Meinungsfreiheit im heutigen Verfassungssystem analysiert, wobei eine Unterteilung der Bedeutungsdimensionen in „individuelle“ und „überindividuelle“ aus Art. 5 Abs. 1 GG vorgenommen wird (C.II.). Auf Ebene der „überindividuellen Bedeutungsdimension“ wird dabei die enge Verknüpfung zwischen Meinungsfreiheit und fdG deutlich, weshalb in einem letzten Schritt eine erste Bedeutungsübersicht zur fdG gegeben wird (ebenfalls unter C.II.).

II. Meinungsäußerungsverbote zum Schutz der fdG Im Abschnitt D. werden solche kernstrafrechtlichen Verbote „identifiziert“, die mit dem Schutzzweck in die Meinungsfreiheit eingreifen, die fdG zu schützen. Ziel dieser Analyse ist, die augenscheinlich unversöhnliche Gegenüberstellung bzw. das Paradoxon solcher Normen beispielhaft darzustellen, die zum Schutz der fdG in das Freiheitsrecht – die Meinungsfreiheit – eingreifen, das ausgerechnet die fdG konstituieren soll. Dafür erforderlich sind Untersuchungen zum Schutzgut der Strafverbote. Ferner ist zu prüfen, ob die Verbote einen Eingriff in die Meinungsfreiheit darstellen. Beispielhaft wurden dafür folgende Normen des Kernstrafrechts gewählt: §§ 83, 86, 86a und 90a StGB.



V. Meinungsäußerungsdelikte im Lichte der Untersuchung21

III. Demokratietheoretische Grundlagen und Begründungsfragen der wehrhaften Demokratie Im Abschnitt E. stehen die demokratietheoretischen und verfassungsrechtlichen Grundlagen der wehrhaften Demokratie des GG im Untersuchungsfokus. Dazu wird zunächst entstehungsgeschichtlich an die liberale Demokratiekonzeption der Weimarer Reichsverfassung (E.I.) als auch an die Konzeption einer militanten Demokratie bis 1945 (E.II.) angeknüpft. Das Wehrhaftigkeitskonzept des GG (E.III.) lässt sich nur in einer historischen Gesamtschau verstehen, da die „Mütter und Väter“ des GG sowie die frühe Staatsrechtslehre der BRD dieses als spezifisch deutsche (Teil-)Antwort auf die Erfahrungen mit dem Niedergang der Weimarer Republik und dem Aufstieg des nationalsozialistischen Regimes verstanden wissen wollten (vgl. dazu insbesondere auch E.IV.). Dem Wehrhaftigkeitskonzept kommt für die Auflösung des Paradoxons eine gewichtige Rolle zu – die Aufgabe bzw. Einschränkung verfassungsrechtlicher Freiheitsgarantien steht immerhin unter hohem Legitimationsdruck –, sodass das Konzept selbst in einem weiteren Schritt kritisch zu würdigen ist (E.V.). Ferner wird eine Einordnung der untersuchten Meinungsäußerungsdelikte in das System der wehrhaften Demokratie vorgenommen (E.VI.). In einem letzten Schritt finden sich Überlegungen zur Begrifflichkeit „wehrhafte Demokratie“ (E.VII.). Zielstellung des Abschnitts E. ist damit, sich der Auflösung des Paradoxons aus demokratietheoretischer Sicht zu nähern.

IV. Interdisziplinäre Vorüberlegungen zur Wirkweise von Sprache Im Abschnitt F. wird aus interdisziplinärer Perspektive die Frage untersucht, inwiefern Meinungsäußerungen gefährlich sein können. Voraussetzung für das Verbot einer solchen Äußerung zum Schutz der fdG ist nämlich, dass die Äußerung eine Gefahr für die fdG darstellt. Die Bearbeitung zum Abschnitt F. wird vorab aus pragmalinguistischer Sicht (F.II. und F.III.) eine erste Gefahrenanalyse erlauben und darüber hinaus eine Operationalisierung der Sprache, die nachfolgende Untersuchungen (v. a. zum Abschnitt G.) erleichtert.

V. Meinungsäußerungsdelikte im Lichte der Untersuchung Im Abschnitt G. werden die demokratietheoretischen Erarbeitungen aus dem Abschnitt E. den straf- und grundrechtlichen Erarbeitungen aus dem Abschnitt D. gegenübergestellt. Dazu wird zunächst ein verfassungsrecht­

22

B. Gang der Untersuchung

licher Anknüpfungspunkt der Gegenüberstellung herausgearbeitet (G.I.), um neben der rein demokratietheoretischen Analyse auch rechtliche Anknüpfungen vornehmen zu können. Im Mittelpunkt dieser Gegenüberstellung steht in Anknüpfung an die Tathandlungen der untersuchten Meinungsäußerungsdelikte (Abschnitt D.) eine umfassende Gefahrenallokation: Inwiefern kann die Meinungsfreiheit überhaupt eine Gefahr für die fdG darstellen (G.III.)? In einem weiteren Schritt wird untersucht, ob im Falle von der Meinungsfreiheit ausgehenden Gefahren der grundrechtliche Eingriff in die Meinungsfreiheit nicht eine noch größere Gefahr für die fdG darstellen kann als die Ausgangsgefahr (G.IV.). Erkenntnisziel des Abschnitts G. ist, Aussagen zur demokratietheoretischen Funktionalität und zum Nutzen der untersuchten, die fdG-schützenden Meinungsäußerungsdelikte (§§ 83, 86, 86a, 90a StGB) zu treffen. Dabei handelt es sich nicht um eine Verfassungsmäßigkeitsprüfung der fraglichen Strafnormen.

C. Verfassungsgeschichtliche, -rechtliche und demokratietheoretische Grundlagen: Das Bedeutungsspektrum der Meinungsfreiheit im Grundgesetz Für die Gegenüberstellung und Diskussion ist zunächst die grundlegende Bedeutung der Meinungsfreiheit zu ermitteln. Für eine Bedeutungsübersicht wird dabei sowohl auf den ideengeschichtlichen Ursprung als auch die Bedeutung der Meinungsfreiheit im heutigen System des Grundgesetzes eingegangen. Geboten ist dieser verfassungshistorische Abriss und die historische Kontextualisierung deshalb, weil die durch das Grundgesetz bestimmte Demokratiekonzeption und als verfassungsrechtlicher Ausfluss auch die fdGschützenden Meinungsäußerungsdelikte in bedeutendem Maße von den Erfahrungen der Vergangenheit geprägt sind.

I. Ideengeschichtlicher Abriss der Meinungsfreiheit im deutschen Verfassungssystem seit 1450 Die Meinungsfreiheit gehört zu den ersten und damit ältesten grund- beziehungsweise menschenrechtlichen Gewährleistungen.1 1. Entwicklungen ab 1450 Die Geschichte der Meinungsfreiheit war zunächst eng mit der Bildungsentwicklung – genauer der Alphabetisierung – und anderen, technischen Entwicklungen wie der Erfindung des Buchdrucks durch Gutenberg ab 14502 verknüpft, da nur so eine Kommunikation auch außerhalb engster gesellschaftlicher Kreise3 1  Stern

Staatsrecht, Band IV / 1: Grundrechte, 2006, S. 1379. zur (Kultur-)Geschichte des Buchdrucks Schönbeck, NTM International Journal of History & Ethics of Natural Sciences, Technology & Medicine 1998, 193 (194 f.). 3  Ideengeschichtlich ist fast ausschließlich die Entwicklung der Meinungsfreiheit im öffentlichen Raum relevant, da im Privaten kaum Probleme der Freiheitsverkürzung bestanden, Grimm, in: Schwartländer / Willoweit, Meinungsfreiheit: Grundgedanken und Geschichte, 1986, S. 145; ders., Recht und Staat der bürgerlichen Gesellschaft, 1987, S. 232. 2  Siehe

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C. Verfassungsgeschichtliche und -rechtliche Grundlagen

möglich wurde.4, 5 Damit wurden die Möglichkeiten der Kommunikation durch Flugblätter, Zeitungen und vor allem Bücher mit einer Vielzahl von Abwesenden wesentlich erweitert, während vor der Erfindung etwa des Buchdrucks die Kommunikation auf das bloße Weitererzählen oder dem mühsamen, handschrift­ lichen Verfassen von Texten beschränkt war. Für die ideengeschichtliche Entwicklung der Meinungsfreiheit waren neben den technischen Möglichkeiten der (Massen-)Kommunikation aber auch andere, insbesondere gesellschaftliche bzw. soziale Bedürfnisse erforderlich; konkret: „ein elementares Interesse an freiem Meinungsaustausch“.6 Die Sozialgeschichte war zunächst geprägt vom Friedensstreben der Bevölkerung: Die Aufgabe jeder Freiheit zugunsten des Staates wurde dadurch gebilligt, dass der absolute Staat im Gegenzug Frieden sichern musste. Mit Erreichen eines passablen Friedensniveaus änderte sich der Wille der Bevölkerung Freiheit zugunsten staatlicher Macht aufzugeben, solange dies nicht zur Erfüllung der Staatsaufgaben erforderlich war.7 Diese Forderungen nach (geistiger) Freiheit (im 18. Jahrhundert) hatten ihren Ursprung insbesondere im neu entstandenen Bürgertum, einem sozialen Stand, der durch seine staatswichtigen Aufgaben in der Verwaltung einerseits eine neue Macht gegenüber das durch Erbfolge, Kriegserfolge oder transzendent begründete Monarchentum darstellte und aufgrund eines hohen Bildungsgrades auch die intellektuellen Bedürfnisse nach freier Kommunikation begründete.8 4  Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, Band 1, 1886, S. 1 ff., der auch die Rolle bildungsgeschichtlicher Ereignisse (etwa: Thesenanschlag Luthers, Entdeckungen von Kolumbus und Kopernikus) mit der Geschichte der Pressefreiheit verbindet, im Detail zur Entwicklung des Buchdrucks und auch kritisch zur Bedeutung Gutenbergs ab S. 42. Vgl. auch Rühl, Tatsachen – Interpretationen – Wertungen, 1998, S. 21. Zu den insbesondere repressiven kirchlichen Reaktionen auf diesen neuen Gedankenaustausch vgl. Gornig, Äußerungsfreiheit und Informationsfreiheit als Menschenrechte, 1988, S. 61 ff. 5  Vgl. zur Geschichte der Meinungsfreiheit schon seit der Antike Gornig, Äußerungsfreiheit und Informationsfreiheit als Menschenrechte, 1988, S. 57 ff. und zur Bedeutung der Meinungsfreiheit vor allem aus rechtsvergleichender Perspektive (mit den Vereinigten Staaten v. Amerika und England) Matuschek, Erinnerungsstrafrecht, 2012, ab S. 220. 6  Grimm, in: Schwartländer / Willoweit, Meinungsfreiheit: Grundgedanken und Geschichte, 1986, S. 146. Das Zitat findet sich auch a. a. O. Laut Grimm entstand dieses Bedürfnis mit dem Aufkommen des Besitzbürgertums. 7  Grimm, Recht und Staat der bürgerlichen Gesellschaft, 1987, S. 239; ders., in: Schwartländer / Willoweit, Meinungsfreiheit: Grundgedanken und Geschichte, 1986, S. 150 f. Dazu auch Klippel, Politische Freiheit und Freiheitsrechte, 1976, S. 89 ff. 8  Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, 11. Aufl. 1980, S. 33 spricht insofern vom Bürgertum als „Pendant zur Obrigkeit“ (a. a. O.). Vgl. ausführlicher Grimm, Recht und Staat der bürgerlichen Gesellschaft, 1987, S. 233 ff. Siehe auch Hölscher, Die Wahrheit der öffentlichen Meinung, in: Schwartländer / Willoweit, Meinungsfreiheit: Grundgedanken und Geschichte, 1986, S. 53. S. auch Schlumbohm, Freiheit: Anfänge der bürgerlichen Emanzipationsbewegung, 1975, S. 113, der die Pressefrei-



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2. Entwicklung im 18. Jahrhundert Im 18. Jahrhundert zeigten sich erstmals sowohl die technischen als auch sozialen Fortschritte in einer Gesamtheit, die die Entstehung des Freiheitsrechts – zunächst als Pressefreiheit9 – überhaupt erst möglich machten.10 In der Folge entwickelte sich ein privater, vor dem Staat zurückgehaltener Freiheitsbereich, der im 18. Jahrhundert mehr und mehr in Menschenrechtskataloge gefasst wurde.11 Für die weitere Entwicklung bedeutsam stellte sich etwa die Virginia Declaration of Rights von 1776 dar, die in bis heute ikonischen Worten in Art. 12 darlegte: „That the freedom of the press is one of the greatest bulwarks of liberty and can never be restrained but by despotic governments.“12

Die Konzeption der Meinungsfreiheit änderte sich im Zuge der Weiterentwicklung der Vertragstheorie Ende des 18. Jahrhunderts vom abdingbaren Recht zum nicht disponiblen Menschenrecht.13 Spätestens mit der Déclaration des Droits de l’Homme et du Citoyen vom 26. August 1789 und der in heit als „spezifisches Interesse dieser Intelligenz [meint: Lehrer und Professoren, Geistliche etc.]“ (a. a. O.) beschreibt. 9  Zunächst konnten größere Bevölkerungsteile lediglich durch Presseerzeugnisse wie den Zeitungen erreicht werden, was die Meinungsfreiheit in den Schatten der Pressefreiheit stellte. Heute kann dies freilich nicht mehr gelten, da durch die Digitalisierung jedem Internetnutzer nunmehr möglich ist, eine Vielzahl von Menschen anzusprechen. Vgl. zur anfänglichen Ungenauigkeit in der Beschreibung dieses Rechts die Übersicht bei Klippel, Politische Freiheit und Freiheitsrechte, 1976, S. 123 oder etwa konkret bei Bahrdt, System der moralischen Religion, Band 1, 3. Aufl. 1791, S. 205, der von „Preßfreiheit“ ebenso wie vom „Recht frei zu urtheilen, und seine Einsichten und Urtheile laut zu sagen“ redet oder der „Befugnis, über alles, was er [der Mensch] sieht, hört u. s. w. nachzudenken“ (Zitate a. a. O.). 10  Rühl, Tatsachen – Interpretationen – Wertungen, 1998, S. 21. Vgl. aber auch Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, 11. Aufl. 1980, S. 34 ff., der die Entwicklung der Presselandschaft schon ab dem 17. Jahrhundert erläutert. 11  Grimm, in: Schwartländer / Willoweit, Meinungsfreiheit: Grundgedanken und Geschichte, 1986, S. 151. 12  Art. 12, The Virginia Declaration of Rights, Final Draft vom 12.06.1776, abrufbar unter zuletzt besucht am 20.09.18. 13  Vgl. neben anderen Bahrdt, Ueber Preßfreiheit und deren Grenzen, 1794, S. 34: „Die Freiheit, seine Einsichten und Urtheile mitzutheilen – es sey mündlich oder schriftlich, ist, eben wie die Freiheit zu denken, ein heiliges und unverletzliches Recht der Menschheit, das, als allgemeines Menschenrecht, über alles Fürstenrecht erhaben ist.“, ferner S. 39. Auch: Bahrdt, System der moralischen Religion, Band 1, 3. Aufl. 1791, S. 205 – insofern ist von einem „menschlichen Recht“ in Abgrenzung zu „bürgerlichen Rechten“ die Rede. Vgl. auch zur Entwicklung von Freiheitsrechten als naturrechtliche Errungenschaft Klippel, Politische Freiheit und Freiheitsrechte, 1976, S.  82 ff.

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Art. 1114 festgeschriebenen Meinungsfreiheit nahm diese einen festen Platz im Naturrechtssystem ein.15, 16 Im Zuge der französischen Revolution wurde damit die politische Freiheit konkret umrissen und gestaltet.17 Dabei lassen sich im Wesentlichen zwei Begründungsansätze erkennen, nämlich ein individualistisches und ein überindividuelles Konzept: Dem individualistischen, naturrechtlichen Ansatz folgend ist die Meinungsfreiheit als „natürliche Grundausstattung, angeborenes Recht und unverzichtbarer Besitz“18 des Menschen zu verstehen, also als etwas, das keinen bestimmten Zweck erfüllen muss, um schutzwürdig zu sein.19 Daneben wurde auf einer individuellen Ebene angebracht, die Meinungsfreiheit diene der eigenständigen Bildung und Weiterentwicklung, etwa mit Blick auf religiöse oder philosophische Fragen des Lebens.20 14  Originaltext: „La libre communication des pensées et des opinions est un des droits les plus précieux de l’homme; tout citoyen peut donc parler, écrire, imprimer librement, sauf à répondre de l’abus de cette liberté dans les cas déterminés par la loi.“ Abrufbar unter zuletzt besucht am 20.09.18. 15  Gornig, Äußerungsfreiheit und Informationsfreiheit als Menschenrechte, 1988, S. 70; Suppé, Grund- und Menschenrechte in der deutschen Staatslehre, 2004, S.  34 ff.; Fenske, in: Fenske / Mertens / Reinhard / Rosen, Geschichte der politischen Ideen, 2. Aufl. 1996, S. 383 und auch schon Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, 1920, S. 12 sowie Leibholz, Auflösung der liberalen Demokratie, 1933, S. 23. 16  Beachte aber auch zum durch die französische Deklaration neu entfachten Konflikt der Bipolarität zwischen Freiheit und Gleichheit, der – als beständiges Balancieren der widerstreitenden Interessen – auch in der Demokratie eine Rolle spielt (dazu die demokratietheoretische Untersuchung im Abschnitt E.). Zur „Freiheit und Gleichheit“ seit der französischen Revolution umfangreich auch Newman, Zerstörung und Selbstzerstörung der Demokratie, 1965, S. 221 ff. 17  Badura, in: Brandt / Gollwitzer / Henschel, FS Helmut Simon, 1987, S. 193. 18  Grimm, Recht und Staat der bürgerlichen Gesellschaft, 1987, S. 241. 19  Vgl. etwa Bahrdt, Ueber Preßfreiheit und deren Grenzen, 1794, S. 34, 39, geradezu überschwänglich: „Und in der That ists einer der schönsten und edelsten Triebe der Natur, den der Schöpfer uns eingepflanzt hat, daß es uns Bedürfniß ist, uns mitzutheilen.“ (S. 39). Vgl. sehr ausführlich zu den Urfreiheiten, der dazugehörigen Ideengeschichte und den philosophischen Hintergründen Gornig, Äußerungsfreiheit und Informationsfreiheit als Menschenrechte, 1988, S. 9 ff. Ferner zu den Dimensionen der Naturrechtstheorie: Suppé, Grund- und Menschenrechte in der deutschen Staatslehre, 2004, S. 23 ff. und auch Dreier, RW 2010, 11 (16). 20  Vgl. etwa Riem, Ueber Religion als Gegenstand der verschiedenen Staatsverfassungen, 1793, S. 48 f., der zugleich auch betonte, dass die Gewährleistung dieses Freiheitsrechts dazu führt, dass der Einzelne zufrieden mit der Freiheitssituation sei und sich deshalb nur selten mit Politik befassen würde, sondern v. a. mit privaten „Religionsangelegenheiten“ (S. 49). S. ferner Grimm, Recht und Staat der bürger­ lichen Gesellschaft, 1987, S. 242, der ebenfalls darauf verweist, dass diese Funktion als Argument dafür angebracht wurde, dass die Meinungsfreiheit für die damaligen Fürsten deshalb keine Gefahr sei, weil diese die Menschen mit der Suche oder der



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Auf überindividueller Ebene entfaltet sich eine staatstragende Funktion der Meinungsfreiheit, der zufolge sich mittels freien Meinungsaustauschs – nach dem Prinzip vom Marketplace of Ideas – einerseits die besten, für den Staat gewinnbringendsten Argumente stets durchsetzen (Meinungsfreiheit als Innovationsinkubator) und ferner, dass durch die freie Rede Missstände aufgedeckt und korrigiert werden können (Meinungsfreiheit als machtkontrollierendes und ordnungsbewahrendes Korrektiv sowie als politisches Mitspracherecht); die Meinungsfreiheit ist damit konstituierendes Merkmal „einer vernünftigen und weisen Regierung“.21 Ferner gilt die Meinungsfreiheit nach diesem Ansatz als geeignetes Instrument zur „Wahrheitserkenntnis“, da durch die Auslese schwacher – also etwa unlogischer – Argumente auf dem Marketplace of Ideas letztlich nur „Wahrheiten“ überbleiben.22 (Staatliche) Eingriffe in diesen Marketplace stellen danach eine Gefahr für die „Wahrheitsfindung“ dar.23 Zu beachten ist insoweit aber, dass den damaligen Herrschern eine solche Wahrheitssuche schon deshalb nicht gelegen kommen konnte, weil sie mit ihrer Macht eine unumstößliche „Wahrheit“ voraussetzten und zum Machterhalt auch benötigten: die Legitimationserklärungen ihrer – zumeist göttlich verliehenen – Herrschaft; also eine in den Augen der Fürsten usw. bereits feststehende, nicht mehr erörterbare Wahrheit.24 Konflikte waren damit vorprogrammiert. Diese beiden Begründungsansätze wurden (und werden) häufig kombiniert, um die Bedeutung und das Wesen der Meinungsfreiheit zu erklären. Diese naturrechtstheoretischen Errungenschaften und auch der Erfolg der amerikanischen Menschenrechtserklärung sowie der französischen Deklaration führten zunehmend zur Forderung, die Meinungsfreiheit – und auch Bildung auf philosophischen, religiösen etc. Gebieten von der Politik ablenken würde (a. a. O.). 21  Grimm, in: Schwartländer / Willoweit, Meinungsfreiheit: Grundgedanken und Geschichte, 1986, S. 154 f., Zitat auf S. 154. Vgl. dazu auch ders., Recht und Staat der bürgerlichen Gesellschaft, 1987, S. 243. 22  Die Idee von der Meinungsfreiheit als Instrument zur Wahrheitsfindung lässt sich bis in die Aufklärung im Sinne Miltons zurückverfolgen, der bereits 1644 in seinem Traktat „Areopagitica“ u. a. formulierte: „Truth is compared in scripture to a streaming fountain; if her waters flow not in a perpetual progression, they sicken into a muddy pool of conformity and tradition. A man may be a heretic in the truth; and if he believes things only because his pastor says so, or the assembly so determines, without knowing other reason, though his belief be true, yet the very truth he holds becomes his heresy.“, Milton, Areopagitica, Reprint 1918, S. 43. 23  Boventer, Grenzen politischer Freiheit, 1985, S. 49. 24  Grimm, Recht und Staat der bürgerlichen Gesellschaft, 1987, 242. Vgl. zum Problem der Annerkennung positiven Rechts durch einen Herrscher, der sich vollumfänglich als Staat identifiziert: Klippel, Politische Freiheit und Freiheitsrechte, 1976, S. 149.

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andere Menschenrechte – zu positivieren bzw. verfassungsrechtlich zu gewährleisten.25 3. Entwicklung bis Mitte des 19. Jahrhunderts a) Historische Ereignisse Die Erfahrungen der französischen Revolution hatten die Monarchen der Zeit vorsichtig werden und um ihre Macht fürchten lassen; immerhin sahen sie in den gewährten Freiheitsrechten einen maßgebenden Grund für die Revolution und ferner auch für antijüdische und andere Gewaltakte, die schließlich zu vielfältigen Zensurbestrebungen führten.26, 27 Auch in der deutschen Bevölkerung hatte die französische Revolution ihre Auswirkungen: Anfängliche Begeisterung für die freiheitliche Demokratie wich mit der napoleonischen Okkupation einer „nationale[n] Abwehrideologie“ – mithin Beschleuniger eines sich ausbreitenden Nationalismus.28 Konträr dazu kamen in dieser Zeit Überlegungen auf, die Pressefreiheit könnte ein machtkontrollierendes Korrektiv sein, was zur Stärkung der Pressefreiheit führte.29 Durchsetzen konnten sich zunächst jedoch Verfechter eines Zensurregimes: Ein lang anhaltender Höhepunkt staatlicher Zensurbestrebungen wurde 1819 mit den 25  Diese Forderungen finden sich etwa bei Bahrdt, Ueber Preßfreiheit und deren Grenzen, 1794, S. 34, 39; Riem, Ueber Religion als Gegenstand der verschiedenen Staatsverfassungen, 1793, S. 48 f. Vgl. ferner dazu Grimm, in: Schwartländer / Willoweit, Meinungsfreiheit: Grundgedanken und Geschichte, 1986, S. 155. 26  Grimm, in: Schwartländer / Willoweit, Meinungsfreiheit: Grundgedanken und Geschichte, 1986, S. 155. Vgl. auch ders., Recht und Staat der bürgerlichen Gesellschaft, 1987, S. 244. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass die „Demokratie“ nach französischer Verfasstheit, etwa in der jakobinischen Schreckensherrschaft, damals eine eindeutig pejorative Bedeutung („Demokratie gleich Terror“) hatte, die zunächst zu großen Vorbehalten gegenüber der Demokratie und den mit ihr verbundenen Freiheitsverständnis und auch zum „bewussten Konservatismus“ (S. 414) führte, vgl. Fenske, in: Fenske / Mertens / Reinhard / Rosen, Geschichte der politischen Ideen, 2. Aufl. 1996, S. 407, 414 f. 27  Vgl. dazu auch bereits Horn, Uiber den waren Begrif von Freiheit, 1794, der Bedenken über eine allzu weitreichende Meinungs- und auch Informationsfreiheit wie folgt zusammenfasste: „[…] desto mer aber ist Sorge dafür zu tragen, daß der große unstudirte Haufe nicht alles in di Hände bekomt, zumal Bücher, so gewiße wichtige Gegenstände des Staats in einem kritischen Gesichtspunkt ausstellen, denn der gemeine Menschenverstand kan nicht Schidsrichter über Sachen seyn, di dem Klügsten oft ein Rätsel sind. Für den großen Haufen sind nur solche Schriften dinlich, di Belerungen für Berufsgeschäfte […], die Anweisung und Ermunterung zur Tugend und zu guten Sitten geben.“ 28  Bracher, Die Auflösung der Weimarer Republik, 2. Aufl. 1957, S. 4. Zitat a. a. O. 29  Grimm, in: Schwartländer / Willoweit, Meinungsfreiheit: Grundgedanken und Geschichte, 1986, S. 159.



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Karlsbader Beschlüssen erreicht, mit denen revolutionäre Unruhen an den Universitäten als „Nachwehen“ der französischen Revolution unterbunden werden sollten.30 Zwar hatten diese signifikante Auswirkungen auf die damalige geistige Elite, etwa durch das Universitätsgesetz, das eine Art Gesinnungskontrolle der Universitätslehrer durch die Regierungen verlangte.31 Die Karlsbader Beschlüsse als „drastische Konflikterfahrung“32 spielten dennoch eine maßgeblich handlungsleitende Rolle für Forderungen nach Meinungsfreiheit im Speziellen und Demokratisierungstendenzen im Allgemeinen.33 So wurde als Reaktion auf die letztlich zwar gescheiterte Deutsche Revolution von 1848 / 184934 ein Zensurverbot – ein Erfolg der Revolution – auch verfassungsrechtlich verankert.35 Diese ersten signifikanten verfassungsrechtlichen Gewährleistungen der Menschenrechte gründeten allerdings nicht – also anders als in der amerikanischen Menschenrechtserklärung (Bill of Rights)36 oder der französischen Deklaration – auf naturrechtlichen Überlegungen, sondern wurden allein von Gnaden der damaligen Herrscher gewährt.37 Das Kalkül der herrschenden Fürsten lag unter anderem darin, dem in der Bevölkerung zu der Zeit populären und ihnen günstigen Patriotismus in der Presse freien Lauf zu lassen.38 30  Fenske, in: Fenske / Mertens / Reinhard / Rosen, Geschichte der politischen Ideen, 2. Aufl. 1996, S. 410. 31  Rühl, Tatsachen – Interpretationen – Wertungen, 1998, S. 22; vgl. dazu auch Grimm, in: Schwartländer / Willoweit, Meinungsfreiheit: Grundgedanken und Geschichte, 1986, S. 157 f.; ders., Recht und Staat der bürgerlichen Gesellschaft, 1987, S. 246. 32  Rühl, Tatsachen – Interpretationen – Wertungen, 1998, S. 22. 33  Fenske, in: Fenske / Mertens / Reinhard / Rosen, Geschichte der politischen Ideen, 2. Aufl. 1996, S. 410 und Grimm, in: Schwartländer / Willoweit, Meinungsfreiheit: Grundgedanken und Geschichte, 1986, S. 159 f. Vgl. auch knapp dazu Dagasan, Das Ansehen des Staates im türkischen und deutschen Strafrecht, 2015, S. 158. 34  Vgl. Frotscher / Pieroth, Verfassungsgeschichte, 14. Auflage 2015 zum Scheitern der Revolution (S. 172) und zu den grundrechtlichen Forderungen (S. 171). 35  Dieses Zensurverbot hat Eingang gefunden in Art. 27 der Preußischen Verfassungsurkunde von 1850; eingehend dazu: Rühl, Tatsachen – Interpretationen – Wertungen, 1998, S. 23 und Gornig, Äußerungsfreiheit und Informationsfreiheit als Menschenrechte, 1988, S. 80 ff. 36  Dazu auch Gornig, Äußerungsfreiheit und Informationsfreiheit als Menschenrechte, 1988, S. 68. 37  Bull, in: Badura / Dreier, FS 50 Jahre BVerfG, Bd. 2, 2001, S. 163 (164); Grimm, Recht und Staat der bürgerlichen Gesellschaft, 1987, S. 245; ders., in: Schwartländer / Willoweit, Meinungsfreiheit: Grundgedanken und Geschichte, 1986, S. 156. 38  Solche Tendenzen bzw. Überlegungen, die Meinungsfreiheit zu gewähren und auf andere Themen als Staat, Politik etc. zu lenken, finden sich mit Blick auf die pol. Situation unter Friedrich II. schon bei Riem, Ueber Religion als Gegenstand der verschiedenen Staatsverfassungen, 1793, S. 49: „Zufrieden mit dem nie verletzten Rechte, auch hierüber [Politik, Staat etc.] urtheilen zu dürfen, fiel es nur wenigen ein,

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Der (verfassungsrechtliche) Erfolg des Zensurverbotes brachte jedoch auch neue, in seiner rechtlichen Struktur begründete Herausforderungen für das Freiheitsrecht39 mit sich, die bis zum heutigen Tage relevant und Gegenstand dieser Untersuchung sind: Während sich die (Vor-)Zensur bei Nichtbestehen entsprechender verfassungsrechtlicher Freiheitsgarantien als polizeirechtliches beziehungsweise präventivrechtliches Instrument zur Abwehr von Gefahren einordnen lässt, stand nunmehr das Strafrecht als „ordnungspolitisches Instrument“ im Raum. Das Strafrecht als Limitation der Meinungsfreiheit stellt je nach Ausgestaltung eine ebenso große, wenn nicht gar eine größere40 Gefahr für die Freiheit dar als die präventivrechtliche Vorzensur.41 b) Staatsrechtslehre im 19. Jahrhundert Die damals überwiegend liberal und auf konstitutionelle Staatsformen ausgerichtete Staatsrechtslehre begann schon vor der Deutschen Revolution von 1848 / 1849 in Reaktion auf die Karlsbader Beschlüsse Pressefreiheit zu fordern.42 Die Begründung einer Presse- und damit auch einer Meinungsfreiheit fußte auf zwei Ansätzen: Einerseits fand sich die – oftmals nur hilfsweise angeführte – naturrechtliche Annahme, das Freiheitsrecht sei dem Menschen wesentlich und deshalb auch verfassungsrechtlich zu verankern; andererseits sei diese Freiheit objektives Rechtsprinzip des Staatsfunktionierens.43 Auf individualistischer, naturrechtlicher Ebene wurde die Pressefreiheit als gar wichtigste Freiheitsausprägung verstanden – mithin unabdingbar für den davon Gebrauch zu machen, und die Völker, die er [Friedrich II.] regierte, blieben ruhig und zufrieden mit einer Staatsadministration, zu welcher sie ein unbegrenztes Zutrauen hatten.“ Ferner dazu Grimm, in: Schwartländer / Willoweit, Meinungsfreiheit: Grundgedanken und Geschichte, 1986, S. 156. 39  Am Anfang dieser ideengeschichtlichen Entwicklung handelt es sich bei dem relevanten Freiheitsrecht um die Pressefreiheit, während die Meinungsfreiheit bis dato wenig differenziert in der Pressefreiheit aufgeht. Vgl. dazu etwa von Aretin / von Rotteck, Staatsrecht der constitutionellen Monarchie, 2. Aufl. 1840, S. 228: „Die Freiheit der Presse ist also eins und dasselbe wie die Freiheit der Rede […].“ 40  Die Vorzensur führt in der Regel „nur“ dazu, dass eine (verschriftlichte etc.) Äußerung nicht erscheinen darf, während die „Öffentlichkeitsregulierung“ durch Strafgesetze für den Urheber das ungleich höhere Risiko einer Bestrafung birgt. 41  Vgl. mit Verweis auf Starck: Rühl, Tatsachen – Interpretationen – Wertungen, 1998, S. 24. 42  Bspw.: von Aretin / von Rotteck, Staatsrecht der constitutionellen Monarchie, 2. Aufl. 1840, S. 227 ff.; Ekendahl, Allgemeine Staatslehre, 1833, S. 193; Welcker, Die vollkommene und ganze Pressfreiheit, 1830, S. 145; Effner, Aphorismen über Baiern’s Constitution., 1818, S. 17. 43  Dazu im Überblick: Grimm, in: Schwartländer / Willoweit, Meinungsfreiheit: Grundgedanken und Geschichte, 1986, S. 163; Leibholz, Auflösung der liberalen Demokratie, 1933, S. 24 f.



I. Ideengeschichtlicher Abriss der Meinungsfreiheit seit 145031

Fortschritt und das kulturelle Leben des Einzelnen und der Allgemeinheit.44 Staatstheoretisch wurde die Freiheit den damaligen Herrschern damit angedient, dass nur diese Freiheit zur Wahrheitserkenntnis führe und geeignet sei, andere Formen möglicherweise „notwendigen“ Protestes – etwa in Form gewalttätiger Aufstände – zu verhindern.45 Auch wurde das Recht als wichtigste Ausprägung funktionierender Kommunikation und Repräsentation des Volkswillens gesehen, was mit der Errichtung konstitutioneller Herrschaftsformen beziehungsweise konstitutioneller Monarchien erstmals relevant wurde.46 Der Pressefreiheit wurde mehr noch als der parlamentarischen Volksvertretung zugetraut, nicht korrumpiert zu sein und in politischer Unabhängigkeit die staatliche Macht zu kontrollieren.47 Jedenfalls erschien widersprüchlich, einerseits die parlamentarische Volksvertretung zu errichten, andererseits aber das Volk in der Willensbildung durch Zensur etc. zu beschneiden.48 In Konsequenz dieser in der Staatsrechtslehre erkannten Bedeutung 44  Etwa von Aretin / von Rotteck, Staatsrecht der constitutionellen Monarchie, 2. Aufl. 1840, S. 228, S. 230 („Freiheit der Rede“ bzw. „Freiheit der Mittheilung“ als „heiliges Menschenrecht“ bzw. als „ursprüngliches, absolutes Recht aller Menschen“, Zitate auf S. 228); Ekendahl, Allgemeine Staatslehre, 1833, S. 193: „Das Recht zu denken, die Wahrheit zu suchen, und Anderen seine Gedanken, Ansichten, Meinungen […] durch Rede, Schrift oder Druck mitzutheilen und sich die ihrigen mittheilen zu lassen, ist ein ursprüngliches, unveräußerliches, welches keine Gewalt auf Erden dem Menschen rauben darf.“ 45  Zoepfl, Grundsätze des Allgemeinen und des Constitutionell-Monarchischen Staatsrechts, 3. Aufl. 1846, S. 295 f.; Welcker, Die vollkommene und ganze Pressfreiheit, 1830, S. 145: „Vertrauen und Ruhm erwirbt, als durch Preßfreiheit, so ist es auch sicher, daß, vollends in unseren Tagen, nichts mehr beleidigt, von der Regierung abwendet und unzufrieden macht, als Preßsklaverei.“ Auch Effner, Aphorismen über Baiern’s Constitution., 1818, S. 17, der drastisch ausführt: „[…] wer es [Meinungsfreiheit] beschränkt, schneidet die Zunge aus dem Munde des Staates, und verräth, daß er […] nur von stummen Sklaven bedient seyn will.“; Cucumus, Lehrbuch des Staatsrechts der konstitutionellen Monarchie Baierns, 1825, S. 243: „Die edelste Kraft des Staats ist die erleuchtete öffentliche Meinung.“ 46  Dazu u. a. von Aretin / von Rotteck, Staatsrecht der constitutionellen Monarchie, 2. Aufl. 1840, S. 227: „Den Abgang gesezlich anerkannter, organischer, lebenskräftiger Verbindungen im Volk einigermaßen zu ersezen und, wo jene bestehen, sie fortdauernd mit dem wahrhaft guten Geiste zu durchdringen, dient die öffentliche Meinung, sie, die wahre Seele des Volkslebens, die erste Bedingung eines gesicherten Rechtsbodens für die Gesammtheit.“ und auf S. 229: „sie [Meinungsfreiheit] gehört zur Constitution als unentbehrlicher Bestandtheil derselben und als kostbarste Gewährleisterin des Ganzen.“ 47  von Aretin / von Rotteck, Staatsrecht der constitutionellen Monarchie, 2. Aufl. 1840, S.  232  ff. Ferner Grimm, in: Schwartländer / Willoweit, Meinungsfreiheit: Grundgedanken und Geschichte, 1986, S. 162 f. Vgl. dazu auch ders., Recht und Staat der bürgerlichen Gesellschaft, 1987, S. 252. 48  Dazu etwa Zoepfl, Grundsätze des Allgemeinen und des Constitutionell-Monarchischen Staatsrechts, 3. Aufl. 1846, S. 295 f.: „[…] hierdurch [Meinungsfreiheit] übt

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der Pressefreiheit wurde eine Abschaffung der Zensur gefordert, was letztlich ihren Höhepunkt in den verfassungsrechtlichen Verankerungen in Reaktion auf die insgesamt zwar verlorene, in diesem Punkt aber siegreiche Deutsche Revolution von 1848 / 1849 fand.49 4. Entwicklung bis zum 20. Jahrhundert Nach dem Erfolg der Abschaffung der Zensur in der Mitte des 19. Jahrhunderts offenbarten sich schnell die „Schattenseiten“ der neuen Freiheitsrechte: Handelte es sich bei den Forderungen nach einer Presse- und damit nach einer Meinungsfreiheit um originär bürgerliche Anliegen – mithin um eine „bürgerliche Verfassungsbewegung“50 –, drohten in den Augen des Bürgertums diese Freiheiten nunmehr auch und insbesondere den Arbeitern, also dem unterbürgerlichen Stand zugute zu kommen.51 Besondere Lasten hatte das Bürgertum durch die Karlsbader Beschlüsse zu tragen, wie etwa das Universitätsgesetz verdeutlichte. Mit der Abschaffung der Zensur fühlte sich aber das Bürgertum von der nunmehr durch Presse „hörbaren“ Arbeiterklasse im Stand bedroht, weshalb die bürgerliche Schicht ein Zurückgreifen und damit eine Aussöhnung mit dem Fürstentum nicht scheute, um dessen Machtmittel zur abermaligen Unterdrückung des Arbeiterstandes zu nutzen.52 Diese Entwicklung brachte Marx bereits 1842 in einer Debatte zur Pressefreiheit überspitzt auf den Punkt: „Kein Mensch bekämpft die Freiheit; er bekämpft höchstens die Freiheit der anderen.“53 nämlich das Volk eine unmittelbare Controlle und Censur über die landständische und ministerielle Thätigkeit, und gewährt überdies dadurch der Regierung die Möglichkeit, sich in jedem Augenblicke über die Beschaffenheit der öffentlichen Meinung zu vergewissern, deren Unterstützung die nun einmal bei dem constitutionellen Systeme nicht entbehren kann.“; Cucumus, Lehrbuch des Staatsrechts der konstitutionellen Monarchie Baierns, 1825, S. 243 f. und ferner, als Übersicht: Grimm, Recht und Staat der bürgerlichen Gesellschaft, 1987, S. 254. 49  Grimm, in: Schwartländer / Willoweit, Meinungsfreiheit: Grundgedanken und Geschichte, 1986, S. 165 f. 50  Badura, in: Brandt / Gollwitzer / Henschel, FS Helmut Simon, 1987, S. 194. 51  Deutlich wird dieses Umdenken auch in der Staatsrechtslehre, in der sich nunmehr nicht nur „Loblieder“ auf die Pressefreiheit wie vor der Deutschen Revolution finden lassen, vgl. dazu etwa Bluntschli, Allgemeines Staatsrecht, 1852, S. 681: „Wir wissen freilich aus Erfahrung, daß durch eine schlechte und liederliche Presse häufig sittliche Verwirrung und große Uebelstände aller Art theils verbreitet und gefördert, theils hervorgerufen worden sind, […] und der oft vernommene Ruhm der Preßfreiheit, sie heile jederzeit die Wunden selber wieder, die sie geschlagen, ist trügerisch.“ Vgl. ferner etwa Leibholz, Auflösung der liberalen Demokratie, 1933, S. 50. 52  Grimm, in: Schwartländer / Willoweit, Meinungsfreiheit: Grundgedanken und Geschichte, 1986, S. 169.



I. Ideengeschichtlicher Abriss der Meinungsfreiheit seit 145033

Des Weiteren konzentrierte sich das Bürgertum insbesondere auf die Nutzung neuer wirtschaftlicher Entwicklungsmöglichkeiten im Zuge einer sich industrialisierenden Wirtschaft, womit Demokratisierungstendenzen und -absichten dieses Standes in den Hintergrund traten.54 Im Mittelpunkt grundrechtlicher Forderungen standen demnach nicht mehr naturrechtliche, also universale und für Vertreter aller Stände geltende Rechte und Freiheiten, sondern der Erhalt bürgerlicher Freiheiten.55 Diese Abkehr von Forderungen vor der Deutschen Revolution hatte auch signifikante Auswirkungen auf die Staatsrechtslehre der Zeit: Naturrechtliche Erklärungen tauchten kaum noch auf und auch der Begründungsansatz der Presse- und Meinungsfreiheit als objektives Rechtsprinzip im Staat war in den wissenschaftlichen Texten nur noch selten zu finden.56 Ausprägung dieser neuen Bestrebungen war unter anderem das Sozialistengesetz vom 21.10.1878 im Deutschen Kaiserreich, das insbesondere dazu diente, von unterbürgerlichen Ständen geprägte sozialdemokratische und sozialistische Bestrebungen der Zeit zu unterdrücken.57 Auch die Kulturkampfgesetzgebung kann exemplarisch angeführt werden, um die damals staatlich institutionalisierten Freiheitsverkürzungen zu verbildlichen.58 5. Entwicklung im 20. Jahrhundert a) Weimarer Republik Mit der Weimarer Reichsverfassung wurde gemäß Art. 118 die Meinungsfreiheit schließlich ausdrücklich als Grundrecht gewährleistet.59 Mit dieser Kodifizierung wurden auch dogmatische Grundlagen geschaffen, die bis in 53  Marx / Engels,

Werke. Band 1, 1976, S. 51. Die Auflösung der Weimarer Republik, 2. Aufl. 1957, S. 7. 55  Grimm, in: Schwartländer / Willoweit, Meinungsfreiheit: Grundgedanken und Geschichte, 1986, S. 170. 56  Vgl. nur mit Blick auf die Freiheitsrechte insgesamt Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 3. Aufl. 1895, S. 134: „Die Freiheitsrechte oder Grundrechte sind Normen für die Staatsgewalt […], aber sie begründen nicht subjective Rechte der Staatsbürger. Sie sind keine Rechte, denn sie haben kein Object.“ 57  Rühl, Tatsachen – Interpretationen – Wertungen, 1998, S. 27 f. Vgl. zur Sozialistenverfolgung auch Frotscher / Pieroth, Verfassungsgeschichte, 14.  Auflage 2015, S. 231 ff. und insbesondere die Wertung der Sozialistengesetzgebung im Lichte des GG (a. a. O., S.  233 f.). 58  Rühl, Tatsachen – Interpretationen – Wertungen, 1998, S. 25 f. 59  Umfassend aus damaliger Perspektive Rothenbücher, in: VVDStRL 4, 1927, S. 6 ff. Vgl. ferner dazu Gornig, Äußerungsfreiheit und Informationsfreiheit als Menschenrechte, 1988, S. 84 ff. 54  Bracher,

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C. Verfassungsgeschichtliche und -rechtliche Grundlagen

das gegenwärtige Verfassungsrecht hineinwirken.60 Die Bedeutung der Meinungsfreiheit in der WRV war allerdings umstritten. Auf der einen Seite wurden politische Freiheitsrechte, also etwa die Meinungsfreiheit, in ihrer für die Demokratie konstituierenden Wirkung grundsätzlich anerkannt.61 Die Freiheitsrechte waren damit nicht nur naturrechtlich begründet, sondern auch durch ihre institutionelle Funktion legitimiert.62 Die Konstituierung einer solche politischen Freiheitsrechte gewährleistenden, liberalen Verfassung wurde (und wird) mithin als „Emanzipation des Bürgertums und die Zusammenfassung dieses Bürgertums zur bürgerlichen Gesellschaft“ gesehen.63 Abseits dieser Idealisierungen wurden jedoch auch Ansätze verfolgt, die Meinungsfreiheit in die Bedeutungslosigkeit zu drängen, indem diese allenfalls als Ausdruck einer gesetzmäßigen Verwaltung verstanden wurde.64 Politisch war die in ihrer Demokratieverwurzelung trotzdem instabile65 Weimarer Republik allerdings geprägt von intensiven, auch bürgerkriegsähnlichen Kämpfen zwischen Vertretern der politischen Linken und Rechten. Auf Seiten der politischen Linken standen Kommunisten mit dem Ziel etwa einer Räterepublik, während die Rechte für die Rückkehr zum autoritären Staat kämpfte.66 Gesetzgeberische Reaktion auf die politischen Gewalteskalationen war insbesondere das unter dem Reichspräsidenten Friedrich Ebert verabschiedete Gesetz zum Schutze der Republik vom 21.07.1922.67 Mit diesem Gesetz wurde beispielsweise gemäß § 8 unter Strafe gestellt, die Staatsform zu beschimpfen oder herabzuwürdigen (Nr. 1) und die Reichsoder Landesfarben zu beschimpfen (Nr. 2). Mit Verboten wie diesen griff das Gesetz in die Meinungsfreiheit der politisch aufgeheizten Öffentlichkeit ein. 60  Vgl. für die umfangreiche Nachzeichnung der Entwicklung der Dogmatik Rühl, Tatsachen – Interpretationen – Wertungen, 1998, insb. S. 32 ff. 61  So bspw. bei Leibholz, Auflösung der liberalen Demokratie, 1933, S. 11. 62  Vgl. Leibholz, Auflösung der liberalen Demokratie, 1933, S. 25 f. 63  Leibholz, Auflösung der liberalen Demokratie, 1933, S. 44. Zitat a. a. O. 64  Vgl. die Übersicht bei Jestaedt, in: Merten / Papier, Handbuch d. Grundrechte IV: Einzelgrundrechte I, 2011, § 102 Rn. 1. 65  Dazu die treffende Problemanalyse von Armstrong, We or They, 1937, S. 87: „Obviously democracy in postwar Italy and Germany was not impregnable. It did not have behind it a long history of gradual development and success, and the problems of the period, both material and psychological, would have tested the popularity and solidity of any government. Both countries felt, though in different degree, the psychology of defeat and frustration.“ 66  Bracher, Die Auflösung der Weimarer Republik, 2. Aufl. 1957, S 16 ff.; Rühl, Tatsachen – Interpretationen – Wertungen, 1998, S. 32. 67  RGBl. I, 1922, S. 585 ff., auch sog. Republikschutzgesetz. Vgl. zu den Hintergründen Rühl, Tatsachen – Interpretationen – Wertungen, 1998, S. 32 und vor allem auch Gusy, Weimar – die wehrlose Republik?, 1991, S. 128 ff. und auch zu den Notverordnungen zum Schutz des inneren Friedens, S. 191 ff. Siehe auch Abschnitt E.IV.



I. Ideengeschichtlicher Abriss der Meinungsfreiheit seit 145035

Mit Blick auf den Art. 118 WRV hat das Republikschutzgesetz jedoch trotz der grundrechtlichen Schrankenregelung zu keinen dogmatischen Fragen geführt, da das Gesetz im Reichstag mit einer verfassungsändernden Mehrheit beschlossen und in der Konsequenz zur damals staatsrechtlich zulässigen Verfassungsdurchbrechung führte.68 b) NS-Herrschaft Eine beispiellose Zäsur erlebte die Presse- und Meinungsfreiheit mit der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft ab 1933. Die Pressefreiheit wurde unter der euphemistischen Bezeichnung „Gleichschaltung“ der Presselandschaft vollkommen unterminiert, beginnend mit der Bücherverbrennung 1933 – die sogenannte „Aktion wider den undeutschen Geist“69 – und weiteren Maßnahmen wie der Errichtung eines Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda70 unter der Leitung von Joseph Goebbels sowie dem Schriftleitergesetz71 vom 19.12.1933.72 Die Meinungsfreiheit – vor allem die Kommunikation im privaten Lebensbereich – wurde ebenfalls durch gesetzgeberische Maßnahmen zugunsten der Indoktrination mit nationalsozialistischer Ideologie weitgehend eingeschränkt. Gesetzliche Grundlage von Eingriffen auch in sehr private Kommunikationen war zunächst insbesondere das „Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen“ vom 20.12.1934 – besser bekannt als sogenanntes Heimtücke-Gesetz.73 Die Meinungsfreiheit auch im privaten Lebensbereich war damit faktisch aufgehoben. Die Strafverfolgung stützte sich auf systematische Denunziationen, wodurch auch nicht-öffentliche Meinungsäußerungen in großem Umfang 68  Dazu Rühl, Tatsachen – Interpretationen – Wertungen, 1998, S. 32. Vgl. zum Instrument „Verfassungsdurchbrechung“ etwa Wienbracke, Staatsorganisationsrecht, 2017, S. 3. Siehe zur Verfassungsänderung in Zeiten der WRV auch Abschnitt E.I. und E.IV. 69  Vgl. dazu etwa Strätz, Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 1968, 347. 70  Vgl. den „Erlaß über die Errichtung des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda“ vom 13.03.1933. Vgl. zur Geschichte des Ministeriums auch Mühlenfeld, in: Hachtmann / Süss, Hitlers Kommissare: Sondergewalten in der nationalsozialistischen Diktatur, 2006, S. 72 ff. 71  RGBl. I, 1933, S. 1085 ff. 72  Vgl. zur „Gleichschaltung“ der Gesellschaft auch Frotscher / Pieroth, Verfassungsgeschichte, 14. Auflage 2015, S. 313 f. und den „Kampf gegen den Ungeist“ Ridder, Die soziale Ordnung des Grundgesetzes, 1975, S. 62. Vgl. ferner die kurze Übersicht bei Gornig, Äußerungsfreiheit und Informationsfreiheit als Menschenrechte, 1988, S. 87. 73  RGBl. I, 1934, S. 1269 ff.

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C. Verfassungsgeschichtliche und -rechtliche Grundlagen

abgeurteilt werden konnten. Später wurde dieses Instrumentarium der Freiheitsunterdrückung durch den Straftatbestand der sogenannten Wehrkraftzersetzung gemäß § 5 der Kriegssonderstrafrechtsverordnung74 vom 17.08.1938 „komplettiert“.75 Tatbestandliches Verhalten, also wehrmachts- oder systemkritische Äußerungen, wurden häufig mit dem Tod bestraft.76 Durch sehr unbestimmte Tatbestandsmerkmale und die Androhung der Todesstrafe war diese Strafnorm geeignete Grundlage willkürlicher Rechtsanwendung zur Unterdrückung politisch-ideologischer Gegner. Der Öffentlichkeitsbegriff des Abs. 1 Nr. 1 wurde so sehr ausgedehnt, dass eine Äußerung selbst dann als öffentlich galt, wenn sie von einem Offizier auf einer mehrere Monate dauernden Feindfahrt eines U-Bootes im Kreise der nunmehr bekannten Mannschaft geäußert wurde.77 Noch größeren Deutungsspielraum ließ die Tatmodalität „den Willen des deutschen oder verbündeten Volkes zur wehrhaften Selbstbehauptung zu lähmen oder zu zersetzen“ zu, die jedes kritische Wort zur damaligen politischen oder militärischen Führung erfassen konnte.78 Die Presse- und die Meinungsfreiheit im nationalsozialistischen Regime wurden mit zwei aus der deutschen Grundrechtsgeschichte bekannten Mitteln „angegriffen“: Einerseits wurde durch die Gleichschaltung der Presse eine umfangreiche Zensur und zentrale Meinungssteuerung erreicht; ferner wurde im privaten Lebensbereich durch schwere Strafgesetzgebung – so stand eine Tatmodalität gemäß § 2 Abs. 2 Heimtücke-Gesetz unter Androhung der Todes­strafe – ein Klima der Angst und Überwachung geschaffen, das zur Anpassung des Äußerungsverhaltens führte beziehungsweise führen sollte. Damit lässt sich zusammenfassen, dass die öffentliche Meinungsbildung in der NS-Diktatur unter völliger staatlicher Kontrolle stand und allein der Indok­trination der Bevölkerung mit nationalsozialistischer Ideologie diente. 74  Der „politische Tatbestand“ der am häufigsten angewendet wurde, war § 5 Abs. 1 Nr. 1 KSSVO. Vgl. dazu Messerschmidt, Wehrmachtsjustiz 1933–1945, 2005, S. 199. § 5 Abs. 1 Nr. 1 KSSVO: „Wegen Zersetzung der Wehrkraft wird mit dem Tode bestraft: 1. wer öffentlich dazu auffordert oder anreizt, die Erfüllung in der deutschen oder einer verbündeten Wehrmacht zu verweigern, oder sonst öffentlich den Willen des deutschen oder verbündeten Volkes zur wehrhaften Selbstbehauptung zu lähmen oder zu zersetzen sucht […].“ § 5 Abs. 2 KSSVO: „In minder schweren Fällen kann auf Zuchthaus oder Gefängnis erkannt werden.“ 75  RGBl. I, 1939, S. 1446. 76  Vgl. die Verurteilungs- und die Todesurteilszahlen bei Messerschmidt, Wehrmachtsjustiz 1933–1945, 2005, S. 200. 77  Messerschmidt, Wehrmachtsjustiz 1933–1945, 2005, S. 204. 78  Vgl. dazu auch Messerschmidt, Wehrmachtsjustiz 1933–1945, 2005, S. 205: „Hitler […] war so etwas wie die Symbolfigur dafür geworden, daß Kritik an ihm die ‚Heimtücke‘ zur Wehrkraftzersetzung werden ließ.“



II. Bedeutungsspektrum der Meinungsfreiheit grundgesetzlicher Konzeption37

Diese Indoktrination funktionierte auf zwei Ebenen: Auf einer ersten Ebene wurden Informationen sehr selektiv verbreitet, um die Meinungsbildung so weit zu steuern, dass Machtkritik schwer bis unmöglich wurde. Auf einer zweiten Ebene wurde im Falle trotzdem vorkommender Machtkritik unter schwerer Strafandrohung repressiv gegen Störer vorgegangen. Es wurde also mit präventiven als auch repressiven Mitteln der Meinungssteuerung gearbeitet. Ein naturrechtliches Verständnis der Meinungsfreiheit wurde damit völlig aufgegeben.79 Gleichzeitig wurde die Meinungsfreiheit nicht als objektives Rechtsprinzip zur Konstituierung des Staates als Mittel der Wahrheitsfindung betrachtet, sondern – ganz im Gegenteil – als Gefahr für eine „nationalsozialistische Wahrheit“, die es mit allen Mitteln abzuwehren galt. Das NS-System positionierte sich sehr deutlich gegen den „Geist der Reichsverfassung von Weimar“, erklärte diesen mithin für „tot“.80

II. Das Bedeutungsspektrum der Meinungsfreiheit grundgesetzlicher Konzeption Mit der Darstellung der ideengeschichtlichen Entwicklung der Meinungsfreiheit stellt sich die Frage, welche Bedeutung der Meinungsfreiheit heute im Verfassungssystem des Grundgesetzes zukommt. Dazu werden zunächst kurz die Entwicklungen seit Ende des Zweiten Weltkrieges in der Bundesrepublik Deutschland dargestellt. Sodann wird auf die Rezeption des Freiheitsrechts in der kontemporären Literatur und Rechtsprechung eingegangen. 1. Geschichte seit Ende des Zweiten Weltkrieges In Anknüpfung an Art. 118 WRV wurde die Meinungsfreiheit im vom Parlamentarischen Rat verabschiedeten Grundgesetz in Art. 5 kodifiziert.81 Zwar gibt es keine auffallenden textlichen Unterschiede zur Gewährleistung im Weimarer Verfassungstext, doch hat die Meinungsfreiheit einerseits durch systemische Neuerungen der Verfassung und andererseits durch das vom Bundesverfassungsgericht eingeleitete dogmatische Umdenken – beginnend mit dem wegweisenden82 Lüth-Urteil – einen enormen Bedeutungsschub er79  Vgl. zum Widerspruch totalitärer Herrschaftsansprüche mit dem Naturrechtsverständnis auch Gornig, Äußerungsfreiheit und Informationsfreiheit als Menschenrechte, 1988, S. 7. 80  Ridder, Die soziale Ordnung des Grundgesetzes, 1975, S. 25. 81  Vgl. zur Geschichte des GG Frotscher / Pieroth, Verfassungsgeschichte, 14. Auflage 2015, S. 380 ff. 82  Vgl. auch die Bedeutungszuschreibungen anderer Autoren, etwa: Jestaedt, in: Merten / Papier, Handbuch d. Grundrechte IV: Einzelgrundrechte I, 2011, § 102

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C. Verfassungsgeschichtliche und -rechtliche Grundlagen

fahren.83 Im Verfassungssystem erlebt die Meinungsfreiheit, wie auch die übrigen Grundrechte, durch die symbolisch-herausgehobene Stellung am Anfang des Grundgesetzes eine neue Bedeutung ebenso wie durch die in Art. 1 Abs. 3 GG verankerte unmittelbare Geltung und durch die mittels Verfassungsbeschwerde sichergestellte Justiziabilität.84 Das vom Bundesverfassungsgericht angestoßene dogmatische Umdenken ergibt sich einerseits aus der nunmehr anerkannten mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte wie auch daraus, dass die Verfassungsmäßigkeit der Anwendung eines abstrakt verfassungsgemäßen Gesetzes der verfassungsgerichtlichen Überprüfung zugänglich wird.85 Zu beachten ist dabei, dass die Meinungsfreiheit – wie auch die Freiheit insgesamt – nach grundgesetzlicher Konzeption ohne Begrenzung ist und damit an den Einzelnen nicht vom Staat verliehen ist, sondern vielmehr an den Staat die Befugnis verliehen ist, in die Freiheitsrechte (begrenzt) einzugreifen.86 2. Begriffliche und rechtliche Grundlagen der Meinungsfreiheit Vorab sind Grundbegriffe und Dogmatik der Meinungsfreiheit zu klären: Was ist eine Meinung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 GG, wie lässt sich diese von einer Tatsachenbehauptung abgrenzen? Auch stellt sich die Frage, wie Eingriffe in das Grundrecht gerechtfertigt werden können und welche grundrechtsdogmatischen Besonderheiten sich für Eingriffe in die Meinungsfreiheit ergeben. Relevant sind diese Darstellungen für die spätere Untersuchung der Meinungsäußerungsdelikte. Sowohl der Schutzbereich als auch Besonderheiten zum Eingriff in die Meinungsfreiheit sind dabei zu berücksichtigen. Im Folgenden wird zu diesen Fragen knapp Stellung genommen. a) Meinungsäußerungen Zunächst stellt sich die Frage, was überhaupt unter einer „Meinung“ im Sinne des Art. 5 Abs. 1 GG zu verstehen ist. Eine Meinung in diesem Sinne Rn.  1 ff.; Höfling / Augsberg, JZ 2010, 1088: „in mehrfacher Hinsicht richtungsweisende und für die Rechtsprechung des BVerfG wie für die deutsche Grundrechtsdogmatik maßstabsbildende [Urteil]“ (a. a. O.) oder Grimm, NJW 1995, 1697: „Die Rechtsprechung des BVerfG zur Meinungsfreiheit bewegt sich bis heute in den Bahnen, die 1958 vom Lüth-Urteil vorgezeichnet worden sind.“ (a. a. O.). 83  Vgl. dazu Rühl, Tatsachen – Interpretationen – Wertungen, 1998, S. 45 ff. 84  Rühl, Tatsachen – Interpretationen – Wertungen, 1998, S. 47. 85  BVerfGE 7, 198 = BVerfG, Urt. v. 15.1.1958 – 1 BvR 400 / 57, NJW 1958, 257. 86  Dazu u. a. Hubo, Verfassungsschutz des Staates durch geistig-politische Auseinandersetzung, 1998, S. 17. Vgl. zum modernen Freiheitsbegriff auch Böckenförde, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts I, 2. Aufl. 1995, § 22 Rn. 35 f.



II. Bedeutungsspektrum der Meinungsfreiheit grundgesetzlicher Konzeption39

ist geprägt durch Elemente „der Stellungnahme und des Dafürhaltens“, wobei der sich Äußernde eine „subjektive Beziehung […] zum Inhalt seiner Aussage“ aufweist.87 Bei dieser subjektiven Beziehung „handelt [es] sich um die persönliche Auffassung, die sich der einzelne zu Verhältnissen, Ereignissen, Ideen oder Personen bildet.“88 Diese Subjektivität kann allerdings nicht dazu führen, dass nur solche Meinungen vom Schutzbereich erfasst werden, von denen der sich Äußernde auch tatsächlich überzeugt ist.89 Um eine Meinung handelt es sich auch dann, wenn die Aussage eigentlich von einem Dritten getätigt wurde, der Äußernde sich diese aber zu eigen macht und weiterverbreitet.90 Dies ist vor allem dann der Fall, „wenn es an einer eigenen und ernsthaften Distanzierung fehlt“ und „die Äußerung eines Dritten in den eigenen Gedankengang so eingefügt wird, dass dadurch die eigene Aussage unterstrichen werden soll.“91 Die Meinungsäußerung selbst ist dem Beweis nicht zugänglich; entzieht sich also den Kategorien „wahr“ und „unwahr“.92 Darüber hinaus darf zur Anerkennung einer Äußerung als Meinung von dieser keine besondere Verwertbarkeit für Debatten oder Ähnliches verlangt werden.93 Vielmehr ist die Meinung geschützt, „ohne dass es darauf ankommt, ob die Äußerung begründet oder grundlos, emotional oder rational ist, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt wird.“94 Vor allem mit dem Hinweis da­ 87  BVerfGE 124, 300 (320) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009 – 1 BvR 2150 / 08, NJW 2010, 47 (48). Zitate a. a. O. Vgl. dazu auch Epping, Grundrechte, 6. Aufl. 2015, S. 103 f. Rn. 213; Bethge, in: Sachs GG, 7. Aufl. 2014, Art. 5 Rn. 25; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG (Bd. 1), 3. Aufl. 2013, Art. 5 I, II Rn. 62; Wendt, in: v. Münch / Kunig GG, 6. Aufl. 2012, Art. 5 Rn. 8; Jestaedt, in: Merten / Papier, Handbuch d. Grundrechte IV: Einzelgrundrechte I, 2011, § 102 Rn. 34; zur Entstehung einer Meinung: SchmidtJortzig, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts VII, 3. Aufl. 2009, § 162 Rn. 20. Kritik an diesem Begriff der „echten Meinungsäußerung“ findet sich bei Hochhuth, Die Meinungsfreiheit im System des Grundgesetzes, 2007, etwa S. 14, 344. 88  Grimm, NJW 1995, 1697 (1698). Dazu auch Rühl, Tatsachen – Interpretationen – Wertungen, 1998, S. 65. 89  Hoffmann-Riem, Kommunikationsfreiheiten, 1. Aufl. 2002, S. 90 Rn. 29. 90  BVerfG, Beschl. v. 30.9.2003 – 1 BvR 865 / 00, NJW 2004, 590 (591). 91  Beide Zitate im Satz: BVerfG, Beschl. v. 30.9.2003  – 1 BvR 865 / 00, NJW 2004, 590 (591). 92  BVerfGE 124, 300 (320) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08, NJW 2010, 47 (48). 93  BVerfGE 124, 300 (320) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009 – 1 BvR 2150 / 08, NJW 2010, 47 (48). Vgl. dazu auch Epping, Grundrechte, 6. Aufl. 2015, S. 103 f. Rn. 213. 94  BVerfGE 124, 300 (320) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08, NJW 2010, 47 (48). Vgl. dazu auch Epping, Grundrechte, 6. Aufl. 2015, S. 103 f. Rn. 213; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG (Bd. 1), 3. Aufl. 2013, Art. 5 I, II Rn. 62; mit der Auffassung, dass Meinungen keine wie auch immer gearteten Wertmaßstäbe erfüllen müssen: Schmidt-Jortzig, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts VII,

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C. Verfassungsgeschichtliche und -rechtliche Grundlagen

rauf, dass die Meinung weder wahr noch unwahr ist und auch grundlos sein darf, hat das Bundesverfassungsgericht mit Blick auf die Meinung als solche einem Wahrheitsdogma eine Absage erteilt: „[Die] Meinungsfreiheit will nicht nur der Ermittlung der Wahrheit dienen; es [das Recht] will auch gewährleisten, daß jeder frei sagen kann, was er denkt, auch wenn er keine nachprüfbaren Gründe für sein Urteil angibt oder angeben kann.“95

Das Bundesverfassungsgericht nimmt an dieser Stelle also eine Metaperspektive ein, aus der sich eine Kategorisierung von Meinungen in „richtig“ oder „falsch“ verbietet.96 Es spielt ferner keine Rolle, ob die Äußerungen politischer oder öffentlicher Natur sind, da daraus kein größerer Schutz abgeleitet werden darf.97 Unabhängig davon, ob die Äußerung dem privaten oder dem politisch-öffentlichen Bereich zuzuordnen ist – sie ist in gleicher Weise schutzwürdig.98 Ebenso ist es in diesem Rahmen unerheblich, „ob eine Äußerung andere in ihren Rechten verletzt, Gemeinschaftsgüter gefährdet oder Grundprinzipien der politischen und sozialen Ordnung in Frage stellt.“99 Dies gilt umso mehr, als dass der jeweilige Grundrechtsträger nicht zur sogenannten „Werteloyalität“100 durch das Grundgesetz gezwungen wird, trotz der grundgesetzlichen Erwartung an den Bürger die dort festgeschriebenen Verfassungswerte zu achten und sogar zu verwirklichen.101 Damit sind auch Meinungen durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützt, die den Wertungen des Grundgesetzes widersprechen.102 Überdies umfasst der sachliche Schutzbereich eine Meinungsäußerung, wenn diese „übersteigert“103, „scharf oder verletzend formuliert ist.“104 3. Aufl. 2009, § 162 Rn. 24; Bull, in: Badura / Dreier, FS 50 Jahre BVerfG, Bd. 2, 2001, S. 163 (165); Schmitt Glaeser, JZ 1983, 95 (99). 95  BVerfGE 42, 163 (171) = BVerfG, Beschl. v. 11.5.1976 – 1 BvR 163 / 72, NJW 1976, 1680 (1681). Vgl. aber auch die Etablierung eines Wahrheitsdogmas durch das BVerfG mit Blick auf die unwahre Tatsachenbehauptung, dazu sogleich im Abschnitt C.II.2.b). 96  Vgl. dazu Rühl, Tatsachen – Interpretationen – Wertungen, 1998, S. 191. 97  Schemmer, in: BeckOK GG, 38. Edition 2018, Art. 5 Rn. 4; Wendt, in: v. Münch /  Kunig GG, 6. Aufl. 2012, Art. 5 Rn. 2, 8, der ein „einseitig funktional-demokratisches Verständnis der Meinungsfreiheit“ ablehnt, Rn. 2 a. a. O. 98  Vgl. m. w. N. Stern Staatsrecht, Band  IV / 1: Grundrechte, 2006, S. 1381. Beachte aber auch den Streit darüber, ob die Öffentlichkeit einer Meinungsäußerung die Schutzwürdigkeit erhöht. 99  Grimm, NJW 1995, 1697 (1698) mit weiterem Verweis auf BVerfGE 61, 1 = BVerfG, Beschl. v. 22.6.1982 – 1 BvR 1376 / 79, NJW 1983, 1415. 100  BVerfG, Beschl. v. 24.3.2001 – 1 BvQ 13 / 01, NJW 2001, 2069 (2070). 101  BVerfG, Beschl. v. 24.3.2001 – 1 BvQ 13 / 01, NJW 2001, 2069 (2070). 102  BVerfGE 124, 300 (320) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08, NJW 2010, 47 (49). 103  BVerfGE 61, 1 (7) = BVerfG, Beschl. v. 22.6.1982  – 1 BvR 1376 / 79, NJW 1983, 1415 (1415).



II. Bedeutungsspektrum der Meinungsfreiheit grundgesetzlicher Konzeption41

b) Tatsachenbehauptungen Vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit ist unstreitig die Meinungsäußerung erfasst. Umstritten hingegen ist, ob auch die (wahre und unwahre) Tatsachenbehauptung vom Schutzbereich des Art. 5 GG erfasst wird. Nach verbreiteter Auffassung vor allem des BVerfG ist die Tatsachenbehauptung nicht gleichzusetzen mit einer Meinung und damit grundsätzlich nicht vom sachlichen Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG erfasst; das Gericht stellt dazu fest: „Die Mitteilung einer Tatsache ist […] im strengen Sinne keine Äußerung einer Meinung, weil ihr die für eine Meinungsäußerung charakteristischen Merkmale fehlen.“105

Diese Eingrenzung des Schutzbereiches könne aus dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG abgeleitet werden, da hier nur von der „Meinung“ gesprochen wird.106 Anders als eine Meinung sei die Tatsachenbehauptung dem Beweis zugänglich; sie könne also durch die Kategorien „wahr“ und „unwahr“ qualifiziert werden.107 Nach Ansicht des Gerichts sei aber auch anzu104  BVerfGE 90, 241 (247) = BVerfG, Beschl. v. 13.4.1994 – 1 BvR 23 / 94, NJW 1994, 1779 (1779). Vgl. dazu auch Scholz / Konrad, AöR 1998, 60 (84). 105  BVerfGE 85, 1 (15) = BVerfG, Beschl. v. 9.10.1991  – 1 BvR 1555 / 88, NJW 1992, 1439 (1440). Ferner BVerfGE 90, 241 (247) = BVerfG, Beschl. v. 13.4.1994 – 1 BvR 23 / 94, NJW 1994, 1779 (1779). Vgl. dazu auch Epping, Grundrechte, 6. Aufl. 2015, S. 104 Rn. 214. Kritisch dazu ist Hochhuth, Die Meinungsfreiheit im System des Grundgesetzes, 2007, S. 345 bis 351. Vgl. auch Wendt, in: v. Münch / Kunig GG, 6. Aufl. 2012, Rn. 9: Wendt ist der Auffassung, das BVerfG wäre in seiner Entscheidung BVerfGE 61, 1 (7 ff.) = BVerfG, Beschl. v. 22.6.1982  – 1 BvR 1376 / 79, NJW 1983, 1415 (1415) von dieser Rechtsprechungslinie abgewichen und führt dazu folgenden Passus des Beschlusses an: „Dieses Grundrecht gewährleistet, ohne ausdrücklich zwischen ‚Werturteil‘ und ‚Tatsachenbehauptung‘ zu unterscheiden, jedermann das Recht, seine Meinung frei zu äußern […].“ (a. a. O.). Der Hinweis des Gerichtes darauf, dass es keine ausdrückliche Unterscheidung gibt, dürfte sich jedoch darauf beziehen, dass der Wortlaut eine solche Unterscheidung nicht trifft. Das Gericht macht in nachfolgender Rechtsprechung jedoch deutlich, dass es die Tatsachenbehauptung nach wie vor nicht unter eine Meinung zu fassen gedenkt. Insofern kann dem Gericht auch keine Inkonsequenz in der Grundrechtskonzeption vorgeworfen werden, wie Wendt aber dem Gericht vorwirft (a. a. O.). 106  Schemmer, in: BeckOK GG, 38. Edition 2018, Art. 5 Rn. 6. Vgl. dazu auch die Anmerkungen von Wendt, in: v. Münch / Kunig GG, 6. Aufl. 2012, Art. 5 Rn. 9. Kritisch dazu auch Hochhuth, Die Meinungsfreiheit im System des Grundgesetzes, 2007, S. 346, der nach wörtlicher Auslegung kein Argument gegen den Schutz der Tatsachenbehauptung sehen will. So heißt es a. a. O.: „Der wörtlichen Auslegung widerspricht es, denn viele Meinungen richten sich gerade auf Tatsachen […].“ 107  BVerfGE 90, 241 (247) = BVerfG, Beschl. v. 13.4.1994 – 1 BvR 23 / 94, NJW 1994, 1779 (1779). Vgl. dazu auch Epping, Grundrechte, 6. Aufl. 2015, S. 104 Rn. 214; Kett-Straub, ZStW 2008, 759 (765).

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C. Verfassungsgeschichtliche und -rechtliche Grundlagen

erkennen, dass Tatsachen häufig Grundlage von Meinungen sind – Meinungen können beispielsweise Bewertungen von Tatsachen sein –, was dazu führen könne, dass Meinungsäußerungen stark mit Tatsachenbehauptungen verwoben sind.108 Tatsachenbehauptungen werden nach Auffassung des BVerfG deshalb vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG umfasst, wenn und soweit sie als Grundlage beziehungsweise Voraussetzung einer Meinung dienen.109 Zwar verdiene auch die Behauptung wahrer Tatsachen Schutz, allerdings müsse der Meinungsfreiheit nicht in jedem Fall abverlangt werden, diesen Schutz zu gewährleisten. Grundrechtlichen Schutz können Behauptungen wahrer Tatsachen nämlich auch in anderen Kontexten erfahren, etwa im Rahmen wissenschaftlicher Tätigkeiten durch die Wissenschaftsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG.110 Mit Blick auf Tatsachenbehauptungen, die von der Meinung losgelöst sind oder (wohl) losgelöst werden können, ist damit nach Ansicht des BVerfG kein Schutz gegeben. Nach dieser Auffassung unterliegen wahre Tatsachenbehauptungen einem bedingten Schutz durch Art. 5 GG. Nach Auffassung des BVerfG gilt jedoch für „die bewußt oder erwiesen unwahre Tatsachenbehauptung“111, dass der Schutz durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG auch dann zu versagen ist, wenn diese Voraussetzung der Meinung ist.112 Das Gericht begründet diesen diskriminierenden Grundrechtsschutz damit, dass solche Tatsachenbehauptungen „zu der verfassungsrechtlich vorausgesetzten Meinungsbildung nichts beitragen können.“113 Sie seien deshalb 108  BVerfGE 90, 241 (247 f.) = BVerfG, Beschl. v. 13.4.1994 – 1 BvR 23 / 94, NJW 1994, 1779 (1779). Vgl. dazu auch Epping, Grundrechte, 6. Aufl. 2015, S. 104 Rn. 214; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG (Bd. 1), 3. Aufl. 2013, Art. 5 I, II Rn. 63 ff.; Wendt, in: v. Münch / Kunig GG, 6. Aufl. 2012, Art. 5 Rn. 9; Hoffmann-Riem, Kommunikationsfreiheiten, 1. Aufl. 2002, S. 90 Rn. 30; Grimm, ZRP 1994, 276 (277). 109  BVerfGE 90, 241 (247 f.) = BVerfG, Beschl. v. 13.4.1994 – 1 BvR 23 / 94, NJW 1994, 1779 (1779); BVerfGE 94, 1 (8) = BVerfG, Beschl. v. 13.2.1996 – 1 BvR 262 / 91, NJW 1996, 1529 (1529 f.); vgl. auch BVerfGE 61, 1 (9) = BVerfG, Beschl. v. 22.6.1982 – 1 BvR 1376 / 79, NJW 1983, 1415 (1415). 110  Vgl. dazu bspw. die Wissenschafts-Definition von Scholz, in: Maunz / Dürig, GG, 83. EL 2018, Art. 5 Abs. 3 Rn. 101: „Wissenschaft heißt […] Suche nach Erkenntnissen sachbezogen-objektiver Wahrheit sowie kommunikative[…] Vermittlung solcher Erkenntnisse.“ 111  BVerfGE 90, 241 (247) = BVerfG, Beschl. v. 13.4.1994 – 1 BvR 23 / 94, NJW 1994, 1779 (1779). 112  Vgl. BVerfGE 114, 339 (352 f.) = BVerfG, 25.10.2005 – 1 BvR 1696 / 98, NJW 2006, 207 (209). Vgl. dazu auch die (kritischen) Erklärungen von Steinbach, JZ 2017, 653 (654) zum „Wahrheitsparadigma“ der Meinungsfreiheit; ferner Michael / Morlok, Grundrechte, 5. Aufl. 2016, § 9 Rn. 210; Epping, Grundrechte, 6. Aufl. 2015, S. 104 Rn. 215; Scholz / Konrad, AöR 1998, 60 (86). Sehr kritisch dazu Dietz, KJ 1995, 210. 113  BVerfGE 90, 241 (247) = BVerfG, Beschl. v. 13.4.1994 – 1 BvR 23 / 94, NJW 1994, 1779 (1779) und ferner BVerfGE 94, 1 (8) = BVerfG, Beschl. v. 13.2.1996 – 1



II. Bedeutungsspektrum der Meinungsfreiheit grundgesetzlicher Konzeption43

„kein schützenswertes Gut.“114 Dies darf nach Ansicht des Gerichts allerdings nicht zu einer „wesentliche[n] Verkürzung des Grundrechtsschutzes“ führen, insbesondere wenn die Abgrenzung und Trennung der Tatsachenbehauptung von der Meinungsäußerung nur unter Verfälschung des Aussage­ inhalts möglich ist.115 Führe die Abgrenzung und Trennung zu einer solchen Verfälschung, so „muß die Äußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes insgesamt als Meinungsäußerung angesehen und in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit einbezogen werden“116. Das Gericht erhebt damit, im Unterschied zum Schutz der Meinungsäußerung als solcher, die Wahrheitserkenntnis zum Ziel der grundrechtlich geschützten Tatsachenbehauptung, also eine Art „Wahrheitsdogma der Tatsachenbehauptung“. Zu beachten ist aber auch, dass diese Schutzbereichsfestlegung nicht dazu führen soll, dass bereits solche Tatsachenbehauptungen schutzlos bleiben, die zwar unwahr sind, aber entweder im Vertrauen auf die Richtigkeit oder zumindest ohne Vorstellung von der Unrichtigkeit gemacht werden. Der Schutzbereich der Meinungsfreiheit ist nach Auffassung des Gerichts erst dann zu versagen, wenn der Äußernde sich der Unwahrheit bewusst ist, umgangssprachlich also bei Vorliegen einer Lüge,117 oder aber die Unwahrheit erwiesen ist – zu denken ist insoweit an „historische Tatsachen“.118, 119 BvR 262 / 91, NJW 1996, 1529 (1529); BVerfGE 85, 1 (15 f.) = BVerfG, Beschl. v. 9.10.1991 – 1 BvR 1555 / 88, NJW 1992, 1439 (1440); BVerfGE 61, 1 (8) = BVerfG, Beschl. v. 22.6.1982  – 1 BvR 1376 / 79, NJW 1983, 1415 (1415). Vgl. dazu auch Grimm, ZRP 1994, 276 (277). 114  BVerfGE 90, 241 (247) = BVerfG, Beschl. v. 13.4.1994 – 1 BvR 23 / 94, NJW 1994, 1779 (1779). Vgl. dazu auch BVerfGE 54, 208 (219) = BVerfG, Beschl. v. 3.6.1980 – 1 BvR 797 / 78, NJW 1980, 2072 (2073). 115  BVerfGE 90, 241 (248) = BVerfG, Beschl. v. 13.4.1994 – 1 BvR 23 / 94, NJW 1994, 1779 (1779). Zitat a. a. O. 116  BVerfGE 90, 241 (248) = BVerfG, Beschl. v. 13.4.1994 – 1 BvR 23 / 94, NJW 1994, 1779 (1779). Vgl. dazu auch Epping, Grundrechte, 6. Aufl. 2015, S. 104 Rn. 214. 117  Vgl. nur die Definition der „Lüge“ im Duden: „bewusst falsche, auf Täuschung angelegte Aussage; absichtlich, wissentlich geäußerte Unwahrheit“, abrufbar unter zuletzt besucht am 20.09.18. 118  Vgl. etwa zur historischen bzw. geschichtlichen Tatsache „daß Menschen nach den Abstammungskriterien der sog. Nürnberger Gesetze ausgesondert und mit dem Ziel der Ausrottung ihrer Individualität beraubt wurden“: BVerfGE 90, 241 (251 f.) = BVerfG, Beschl. v. 13.4.1994  – 1 BvR 23 / 94, NJW 1994, 1779 (1780). Vgl. aber auch die Einschränkung des Gerichts mit Blick auf solche Normen, „deren Richtigkeit im Zeitpunkt der Äußerung noch ungewiß ist und sich nicht binnen kürzester Frist aufklären läßt.“ (1781). Solche Äußerungen fallen danach nicht unter dem Stichwort „erwiesen unwahre Tatsachenbehauptung“ aus dem Schutzbereich. 119  Vgl. auch die Unterscheidung bei Steinbach, JZ 2017, 653 (656): Danach gibt es „Unwissende“, „Lügner“ und „Leugner“. Der Unwissende gibt die unwahre Tatsachenbehauptung ohne weitere Überlegung oder Recherche im guten Glauben auf de-

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C. Verfassungsgeschichtliche und -rechtliche Grundlagen

c) Grundrechtsdogmatische Besonderheiten der Meinungsfreiheit Wie sich aus Art. 5 Abs. 2 GG ergibt, ist die Meinungsfreiheit nicht vorbehaltlos gewährleistet. Die Meinungsfreiheit findet im Absatz 2 „ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.“ Für die vorliegende Arbeit ist lediglich die Schranke der allgemeinen Gesetze relevant, da das Schutzgut „fdG“ untersucht wird – offensichtlich nicht der Schutz der Jugend oder der persönlichen Ehre. Bei dieser Schranke – der bedeutendsten Schrankenregelung in Absatz 2120 – handelt es sich um einen sogenannten qualifizierten Gesetzesvorbehalt, da die gesetzliche Eingriffsgrundlage bestimmte Voraussetzungen erfüllen muss.121 Die Schranke der allgemeinen Gesetze steht in einer Regelungstradition, die bis in das 19. Jahrhundert zurückverfolgt werden kann.122 Der bloße Wortlaut der Schranke hilft für das Begriffsverständnis jedoch nicht weiter, da dieser allenfalls auf das Verbot eines Einzelfallgesetzes schließen lässt – ein Verbot, das mit Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG bereits verfassungsrechtlich kodifiziert ist.123 Das Einzelfallgesetzverbot kann deshalb nicht die Qualifikation der Schranke der allgemeinen Gesetze sein. Das BVerfG legte bereits sehr früh in seiner Rechtsprechungsgeschichte – beginnend mit dem Lüth-Urteil – einen Grundstein für diese Schrankendogmatik ren Richtigkeit ab – die Behauptung des Unwissenden ist nach Auffassung des BVerfG grds. schutzfähig. Der Lügner hingegen ist sich bewusst über die Unwahrheit; gibt eine bewusst unwahre Tatsachenbehauptung ab – nach Ansicht des BVerfG ist die bewusst unwahre Tatsachenbehauptung nicht schutzfähig. Der Leugner akzeptiert nach Ansicht Steinbachs anders als der Lügner nicht das „binäre System von Lüge und Wahrheit“, sondern „akzeptiert keine objektiven Fakten, […] verlässt sich einzig auf seine subjektive Wahrnehmung“ – der Leugner tauscht „die real-weltliche Objektivität“ durch „Subjektivität. (Alle Zitate a. a. O.) Das von Steinbach als „Leugner“ bezeichnete Phänomen der durch Subjektivität ersetzten Objektivität lässt sich auch in der deutschen Politik beobachten, etwa wenn wenn einzelne Politiker von einer gefühlten Realität sprechen; bspw. der AfD-Abgeordnete Pazderski, der Folgendes sagte: „Es geht nicht nur um die reine Statistik, sondern es geht darum, wie das der Bürger empfindet. Perception is reality. Das heißt: Das, was man fühlt, ist auch Realität.“ (van Laak „Gefühlte Realität“, in: Deutschlandfunk, abrufbar unter zuletzt besucht am 20.09.18. 120  So etwa auch Schemmer, in: BeckOK GG, 38. Edition 2018, Art. 5 Rn. 98. 121  Epping, Grundrechte, 7. Aufl. 2017, Rn. 239. 122  Vgl. m. w. N. Lücke, Die „allgemeinen“ Gesetze (Art. 5 Abs. 2 GG), 1998, S. 1–2. Dazu auch Schemmer, in: BeckOK GG, 38. Edition 2018, Art. 5 Rn. 99.1; Bethge, in: Sachs, GG, 7. Aufl. 2014, Art. 5 Rn. 136. 123  Epping, Grundrechte, 7.  Aufl. 2017, Rn. 240. Zum Auslegungsbedarf der Schranke: Grabenwarter, in: Maunz / Dürig, GG, 83. EL 2018, Art. 5 Rn. 114.



II. Bedeutungsspektrum der Meinungsfreiheit grundgesetzlicher Konzeption45

der allgemeinen Gesetze124, wobei diese bis heute viele Rechtsprobleme aufwirft.125 Bei der Auslegung knüpfte das Gericht an das Begriffsverständnis in der Weimarer Republik an, in der mit dem Art. 118 WRV der Begriff der allgemeinen Gesetze 1919 in das Verfassungsrecht eingeführt wurde.126 aa) Kombinationslösung Das Gericht fasst mit seiner Rechtsprechung Bestandteile zwei vor allem in der Lehre entstandener Theorien auf und verknüpft diese miteinander, nämlich die sogenannte Sonderrechtslehre und die Abwägungslehre.127 Es stellt eine Begriffsformel auf, nach der die allgemeinen Gesetze „ ‚nicht eine Meinung als solche verbieten, die sich nicht gegen die Äußerung der Meinung als solche richten‘, die vielmehr ‚dem Schutze eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung, zu schützenden Rechtsguts dienen‘, dem Schutze eines Gemeinschaftswerts, der gegenüber der Betätigung der Meinungsfreiheit den Vorrang hat […].“128

Die für diese Begriffsformel wesentlichen Bestandteile der Sonderrechtslehre stellen dabei komplexe Anforderungen an die Prüfung eines Gesetzes auf seine Allgemeinheit.129 Zunächst ist zu fragen, ob ein Gesetz ein Verhalten ohne jede Rücksicht auf etwaige Meinungsinhalte beschränkt.130 Liegt eine solche Indifferenz vor, kann die Allgemeinheit des Gesetzes mit Blick auf die Meinungsneutralität bejaht werden.131 Sehr viel schwieriger ist das Merkmal der Meinungsneutralität allerdings dann zu bejahen, wenn das Ge124  BVerfGE 7, 198 (209 ff.) = BVerfG, Urt. v. 15.1.1958  – 1 BvR 400 / 57, NJW 1958, 257 (258–259). Vgl. zur Bedeutung der Lüth-Entscheidung in der GrundrechtsDogmatik auch Jestaedt, in: Merten / Papier, Handbuch d. Grundrechte IV: Einzelgrundrechte I, 2011, § 102 Rn. 2 ff. 125  Bethge, in: Sachs, GG, 7. Aufl. 2014, Art. 5 Rn. 136, 142. 126  BVerfGE 7, 198 (209) = BVerfG, Urt. v. 15.1.1958  – 1 BvR 400 / 57, NJW 1958, 257 (258). 127  Grabenwarter, in: Maunz / Dürig, GG, 83. EL 2018, Art. 5 Rn. 121. 128  BVerfGE 7, 198 (209 f.) = BVerfG, Urt. v. 15.1.1958  – 1 BvR 400 / 57, NJW 1958, 257 (258), m. w. N. 129  Vgl. etwa Michael / Morlok, Grundrechte, 5. [aktualisierte] Aufl. 2016, Rn. 649; Pieroth / Schlink / Kingreen / Poscher, Grundrechte, 30., neu bearb. Aufl. 2014, Rn. 633; vgl. auch m. w. N. die kritische Rezeption von Lücke, Die „allgemeinen“ Gesetze (Art. 5 Abs. 2 GG), 1998, S. 4–16, der Häntzschel als Urheber der Sonderrechtslehre ausgemacht hat (S. 4). 130  BVerfGE 124, 300 (322) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08, NJW 2010, 47 (49). Dazu auch Schemmer, in: BeckOK GG, 38. Edition 2018, Art. 5 Rn. 99.2. 131  BVerfGE 124, 300 (322) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08, NJW 2010, 47 (49).

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C. Verfassungsgeschichtliche und -rechtliche Grundlagen

setz an Meinungsinhalte anknüpft.132 In einem solchen Fall ist zuvorderst zu prüfen, „ob die Norm dem Schutz eines auch sonst in der Rechtsordnung geschützten Rechtsguts dient.“133 Kann im Ergebnis dieser Prüfung der Schutz eines solchen Rechtsguts bestätigt werden, so wird die Meinungsneutralität (widerlegbar) vermutet.134 Widerlegt wird diese Vermutung dann, wenn durch das eingreifende Gesetz an die Meinungsinhalte unter Missachtung einer politischen und weltanschaulichen Neutralität angeknüpft wird; wenn das Gesetz also „nicht hinreichend offen gefasst ist und sich von vornherein nur gegen bestimmte Überzeugungen, Haltungen oder Ideologien richtet.“135 Diese politische und auch weltanschauliche Neutralität gebietet sich schon aus den Diskriminierungsverboten des Art. 3 Abs. 3 Var. 8 und 9 GG.136 Ein grundsätzlich unzulässiges Sonderrecht, also ein nicht meinungsneutrales Gesetz, liegt demnach dann vor, wenn diesem „konkret-standpunktbezogene, insbesondere etwa ideologiebezogene Unterscheidungen zu Grunde [liegen] […].“137 Allerdings ist hier zu beachten, dass der Prüfung der Meinungsneutralität keine starren Kriterien zugrunde liegen, sondern vielmehr im Wege einer Gesamtbetrachtung untersucht werden muss, ob „die Schwelle zum Sonderrecht überschritten ist.“138 Als zweiter, gedanklich und auch dogmatisch trennbarer Anforderungskomplex stellte sich nach der Lüth-Rechtsprechung die inhaltliche Anlehnung an die „Abwägungslehre“ dar: Danach ist der Schutz eines höherrangigen – nicht aber zwingend verfassungsrangigen – Schutzguts erforderlich.139 Das 132  BVerfGE 124, 300 (322 f.) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08, NJW 2010, 47 (49). 133  BVerfGE 124, 300 (322) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08, NJW 2010, 47 (49). 134  BVerfGE 124, 300 (322) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08, NJW 2010, 47 (49); vgl. dazu auch Hong, ZaöRV 2010, 73 (116): „[…] Vermutung zugunsten der Allgemeinheit ist widerleglich, und zwar durch den Aufweis einer Standpunktdiskriminierung.“ (ebd.). 135  BVerfGE 124, 300 (323) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08, NJW 2010, 47 (49). 136  Vgl. dazu BVerfGE 124, 300 (324) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009 – 1 BvR 2150 / 08, NJW 2010, 47 (50). Das BVerfG nennt lediglich (sprachlich inkorrekt mit Bezug auf den Begriff „Alt.“) Art. 3 Abs. 3 Alt. 9 GG in diesem Zusammenhang. Richtigerweise ergibt sich das Diskriminierungsverbot weltanschaulicher Bekenntnisse aus Art. 3 Abs. 3 Var. 8 GG, vgl. dazu Langenfeld, in: Maunz / Dürig, GG, 83. EL 2018, Art. 3 Abs. 3 Rn. 67 f. 137  BVerfGE 124, 300 (324) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08, NJW 2010, 47 (50). 138  BVerfGE 124, 300 (325) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08, NJW 2010, 47 (50). 139  BVerfGE 7, 198 (210 f.) = BVerfG, Urt. v. 15.1.1958  – 1 BvR 400 / 57, NJW 1958, 257 (258). Siehe in der Lit. v. a. Lücke, Die „allgemeinen“ Gesetze (Art. 5



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vom allgemeinen Gesetz geschützte Gut muss „[…] in der Rechtsordnung allgemein und damit unabhängig davon geschützt sein, ob es durch Meinungsäußerungen oder auf andere Weise verletzt werden kann.“140 Zu beachten ist, dass nicht etwa bloß eine – wie Smend 1928 schon formulierte – „materiale Überwertigkeit“ der fdG für die Rechtfertigung des Eingriffs ausreicht.141 Die Allgemeinheit des eingreifenden Gesetzes ergibt sich also nicht daraus, dass am Schutzgut ein „höhere[s] Allgemeininteresse hängt“ als an der Meinungsfreiheit; das zu schützende also „wichtiger“ ist als die Meinungsfreiheit.142 Im Ergebnis sind damit zwei Anforderungen an das allgemeine Gesetz zu stellen, nämlich Meinungsneutralität sowie der Schutz höherrangiger Rechtsgüter.143 Insbesondere das Erfordernis der Meinungsneutralität kann dabei zu schwierigen Abgrenzungsfragen führen. bb) Wechselwirkungslehre Die sogenannte Wechselwirkungslehre wurde ebenfalls mit dem bereits erwähnten Lüth-Urteil vom BVerfG entwickelt und auch in nachfolgender Judikatur bestätigt.144 Im besagten Urteil stellte das Gericht mit Blick auf die allgemeinen Gesetze im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG fest, dass diese nicht nur als Grundrechtsschranke herangezogen werden können, sondern „ihrerseits im Lichte der Bedeutung dieses Grundrechts gesehen und so interpretiert werden [müssen], daß der besondere Wertgehalt dieses Rechts […] auf jeden Fall gewahrt bleibt.“145 Dabei gilt eine „grundsätzliche [..] Vermutung für die Freiheit der Rede in allen Bereichen, namentlich aber im öffentlichen Leben“146. Die Abs. 2 GG), 1998, S. 17, der Smend als Begründer dieser Lehre ausgemacht hat (ebd.). Vgl. ferner Epping, Grundrechte, 7. Aufl. 2017, Rn. 241; Michael / Morlok, Grundrechte, 5. [aktualisierte] Aufl. 2016, Rn. 651. 140  BVerfG, Urt. v. 27.2.2007 – 1 BvR 538 / 06 u. a., NJW 2007, 1117 (1118). 141  Smend, in: VVDStRL 4, 1927, S. 52. 142  So aber Smend, in: VVDStRL 4, 1927, S. 52. 143  So auch das BVerfG in ständiger Rspr. Vgl. dazu auch Battis / Grigoleit, NVwZ 2001, 121 (123). 144  BVerfGE 7, 198 (209) = BVerfG, Urt. v. 15.1.1958  – 1 BvR 400 / 57, NJW 1958, 257 (258), später etwa in BVerfG, Beschl. v. 10.10.1995  – 1 BvR 1476 / 91, 1 BvR 1980 / 91, 1 BvR 102 / 92 u. 1 BvR 221 / 92, NJW 1995, 3303 (3304); zuletzt in BVerfG, Beschl. v. 28.11.2011 – 1 BvR 917 / 09, NJW 2012, 1273 (1274). Vgl. dazu auch Jestaedt, in: Merten / Papier, Handbuch d. Grundrechte IV: Einzelgrundrechte I, 2011, § 102 Rn. 71 ff.; Grimm, NJW 1995, 1697 (1700). 145  BVerfGE 7, 198 (208) = BVerfG, Urt. v. 15.1.1958  – 1 BvR 400 / 57, NJW 1958, 257 (258). 146  BVerfGE 7, 198 (208) = BVerfG, Urt. v. 15.1.1958  – 1 BvR 400 / 57, NJW 1958, 257 (258).

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vom Gericht entwickelte Wechselwirkung liegt also darin, dass zwar die allgemeinen Gesetze die Meinungsfreiheit einschränken, diese Gesetze ihrerseits aber auch im Lichte der Meinungsfreiheit einzuschränken sind.147 Da die Wechselwirkungslehre signifikante Ähnlichkeiten zur Verhältnismäßigkeitsprüfung aufweist, wird ihr teilweise nur noch eine geringe eigenständige Bedeutung zuerkannt.148 Treffender aber als die Einschätzung, dass die Wechselwirkungslehre durch eine für Grundrechte sowieso obligatorische Verhältnismäßigkeitsprüfung ersetzt wird, ist Jestaedts Zusammenfassung: Ihm zufolge ist die Wechselwirkungslehre eine „Sonderausprägung des Ver­ hältnismäßigkeitsgrundsatzes“149. Nach wie vor ist anerkannt, trotz Kritik insbesondere in der Lehre150, dass die Wechselwirkungslehre für die Meinungsfreiheit im Rahmen der Grundrechtsschranken eine Prüfung auf drei Ebenen gebietet: auf der Sinn-, auf der Normauslegungs- sowie auf der Normanwendungsebene.151 Auf der ersten Ebene, der Sinnebene, sind fragliche Äußerungen selbst zu untersuchen mit dem Ziel, unter Beachtung des Kontextes die Äußerungen zu verstehen.152 Die zweite Ebene, die sogenannte Normauslegungsebene, beschäftigt sich 147  BVerfGE 7, 198 (208) = BVerfG, Urt. v. 15.1.1958  – 1 BvR 400 / 57, NJW 1958, 257 (258). Zur Kritik an diesem Entwurf einer Wechselwirkungslehre vor dem Hintergrund streitbarer Demokratie: Ridder, Die soziale Ordnung des Grundgesetzes, 1975, S. 80. 148  Streng: Epping, Grundrechte, 6. Aufl. 2015, S. 122, Rn. 250. Siehe auch Grabenwarter, in: Maunz / Dürig, GG, 83. EL 2018, Art. 5 Rn. 140, der ebenfalls einen weitreichenden Gleichlauf mit der Verhältnismäßigkeit sieht, der Wechselwirkungslehre aber nach wie vor Bedeutung zumisst, da „sie bei der Begründung der Zulässigkeit von Eingriffen zu einer sorgfältigen Ermittlung und Würdigung des Sachverhalts ebenso zwingt wie zu einer genauen Ermittlung und nachvollziehbar begründeten Bewertung des Eingriffsziels.“ (a. a. O.). 149  Jestaedt, in: Merten / Papier, Handbuch d. Grundrechte IV: Einzelgrundrechte I, 2011, § 102 Rn. 72. 150  Vgl. zur übersichtlichen Darstellung möglicher Kritikpunkte Jestaedt, in: Merten / Papier, Handbuch d. Grundrechte IV: Einzelgrundrechte I, 2011, § 102 Rn. 74 ff. und (sehr viel kürzer) Grabenwarter, in: Maunz / Dürig, GG, 83. EL 2018, Art. 5 Rn. 147. Im Einzelnen wird kritisiert, dass die Wechselwirkungslehre den Schrankenvorbehalten in Art. 5 Abs. 2 GG undogmatisch entgegenwirke und damit auch für Rechtsunsicherheit sorge, die Abwägung der Grundrechtseingriffe verkompliziere und es des Instruments der Wechselwirkungslehre aufgrund der Sicherungssysteme des Grundgesetzes ohnehin nicht bedürfe (vgl. die Darstellung von Grabenwarter a. a. O. und m. w. N.). 151  Jestaedt, in: Merten / Papier, Handbuch d. Grundrechte IV: Einzelgrundrechte I, 2011, § 102 Rn. 71; Grimm, NJW 1995, 1697 (1700). Vgl. dazu kritisch auch Grabenwarter, in: Maunz / Dürig, GG, 83. EL 2018, Art. 5 Rn. 139, 146, der lediglich von zwei Ebenen – der Normauslegungs- und der Normanwendungsebene (Rn. 139) – spricht und den Prüfungsschwerpunkt auf der Normanwendungsebene sieht (Rn. 146). 152  Grimm, NJW 1995, 1697 (1700).



II. Bedeutungsspektrum der Meinungsfreiheit grundgesetzlicher Konzeption49

mit der vom Einzelfall losgelösten (verfassungskonformen) Gesetzesauslegung im Lichte der Meinungsfreiheit.153 Ziel ist dabei, gesetzgeberische Wertungswidersprüche zur konstituierenden Bedeutung der Meinungsfreiheit zu vermeiden oder konkreter: eine in besonderem Maße die Meinungsfreiheit schonende Tatbestandsauslegung zu erreichen.154 Bei der dritten und letzten Ebene, der Normanwendungsebene, handelt es sich um eine Einzelfalluntersuchung.155 Dabei „ist im Rahmen der aus­ legungsfähigen Tatbestandsmerkmale der einfachrechtlichen Vorschriften […] eine fallbezogene Abwägung zwischen der Bedeutung der Meinungsfreiheit und dem […] beeinträchtigten Rechtsgut […] vorzunehmen.“156 cc) Eingriffsfreier Bereich nach Ansicht des BVerfG Nicht zur Diskussion, da aus einem eingriffsmöglichen Bereich herausgehalten, sollen nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts solche Meinungsäußerungen stehen, die rein geistig bleiben beziehungsweise in einer „rein geistige[n] Sphäre des Für-richtig-Haltens“ verbleiben.157 Mit dieser Einteilung und mittels der oben beschriebenen Anleihen zur Sonderrechtslehre soll verhindert werden, dass der Staat durch Meinungsäußerungsverbote in Gesinnungen eingreift.158 Bloß in ihrer geistigen Wirkung gefährliche oder schädliche – dazu gehören auch verfassungsfeindliche – Meinungen dürfen danach nicht schon zur Eingriffsdisposition des Gesetzgebers stehen.159 Solche Meinungen werden im Vertrauen auf die Selbstregulierung und „Entschärfung“ der freien Debatte überlassen.160 Vielmehr soll ein legitimer Zweck erst dann vorliegen und ein Eingriff damit möglich sein, wenn Meinungsäußerungen „in Rechtsgutverletzungen oder erkennbar in Gefährdungs153  Jestaedt, in: Merten / Papier, Handbuch d. Grundrechte IV: Einzelgrundrechte I, 2011, § 102 Rn. 73; Grimm, NJW 1995, 1697 (1700). Vgl. auch BVerfGE 7, 198 (208) = BVerfG, Urt. v. 15.1.1958 – 1 BvR 400 / 57, NJW 1958, 257 (258). 154  Vgl. dazu auch Jestaedt, in: Merten / Papier, Handbuch d. Grundrechte IV: Einzelgrundrechte I, 2011, § 102 Rn. 76, der a. a. O. die Kritik an diesem Vorgehen bespricht. 155  Jestaedt, in: Merten / Papier, Handbuch d. Grundrechte IV: Einzelgrundrechte I, 2011, § 102 Rn. 73; Grimm, NJW 1995, 1697 (1700). 156  BVerfG, Beschl. v. 12.11.2002 – 1 BvR 232 / 97, NJW 2003, 660 (662). 157  BVerfGE 124, 300 (330) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08, NJW 2010, 47 (51). 158  BVerfGE 124, 300 (330) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08, NJW 2010, 47 (51). 159  BVerfGE 124, 300 (331) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08, NJW 2010, 47 (52). 160  BVerfGE 124, 300 (331) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08, NJW 2010, 47 (52).

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C. Verfassungsgeschichtliche und -rechtliche Grundlagen

lagen umschlagen“161 beziehungsweise wenn diese „die Schwelle zur individualisierbaren, konkret fassbaren Gefahr einer Rechtsverletzung“162 überschreiten. Davon kann nach Ansicht des BVerfG dann ausgegangen werden, wenn die fraglichen Meinungsäußerungen „mittelbar auf Realwirkungen angelegt sind und etwa in Form von Appellen zum Rechtsbruch, aggressiven Emotionalisierungen oder der Herabsetzung von Hemmschwellen rechtsgutsgefährdende Folgen unmittelbar auslösen können.“163 Auch die Auslösung von Handlungsbereitschaft und die Einschüchterung Dritter – abstrakt: „Realwirkungen“ – durch emotionalisierende oder appellierende Meinungsäußerungen fallen darunter.164 Der gesetzgeberische Eingriff ist damit auf eine „Sphäre der Äußerlichkeit“ beschränkt.165 Eine solche Gefahr liegt danach nicht vor, wenn die Meinungsinhalte als Abstraktum zwar gefährlich sind, aber es sich bei der Meinungsäußerung letztlich nur um eine ausgetauschte Gesinnung beziehungsweise „das subjektive Innere der individuellen Überzeugung“ handelt.166 Die Grenzziehung zwischen der „Sphäre der Äußerlichkeit“ und dem „subjektiv Inneren der individuellen Überzeugung“ ist schwer und häufig fließend, sodass dem Gesetzgeber ein gewisser Spielraum zukomme.167 Dennoch müssen sich die legitimen Schutzzwecke (und auch die übrigen Verhältnismäßigkeitsvoraussetzungen) an eben dieser Grenze orientieren.168 Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung gilt deshalb, dass die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeitsprüfung je nach Mittel- oder Unmittelbarkeit der Gefahr entweder höher oder geringer sind.169 Damit zieht das Gericht eine, wenn auch „schwammige“, Grenze für die Verlagerung des Güterschutzes in einen Bereich, der sich im Vorfeld tatsächlicher Schutzgüterverletzung bewegt – die Vorfeldkriminalisierung.170 161  BVerfGE 124, NJW 2010, 47 (51). 162  BVerfGE 124, NJW 2010, 47 (52). 163  BVerfGE 124, NJW 2010, 47 (52). 164  BVerfGE 124, NJW 2010, 47 (53). 165  BVerfGE 124, NJW 2010, 47 (52). 166  BVerfGE 124, NJW 2010, 47 (52). 167  BVerfGE 124, NJW 2010, 47 (52). 168  BVerfGE 124, NJW 2010, 47 (52). 169  BVerfGE 124, NJW 2010, 47 (52).

300 (330) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08, 300 (332) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08, 300 (332) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08, 300 (332) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08, 300 (333) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08, 300 (333) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08, 300 (333) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08, 300 (333) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08, 300 (333) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08,



II. Bedeutungsspektrum der Meinungsfreiheit grundgesetzlicher Konzeption51

3. Grundgesetzliches Bedeutungsspektrum: Individuelle und überindividuelle Freiheitsgewährleistungen Personen des politischen Lebens, juristische Kommentatoren und Gerichte werden bis heute nicht „überdrüssig“, die grundlegende Bedeutung der Meinungsfreiheit zu betonen.171 Sie fügt sich in das herausgehobene Freiheitssystem des GG, wie bereits mit dem vorangestellten Grundrechtskatalog deutlich wird.172 Der Meinungsfreiheit kommt dabei eine hervorgehobene Bedeutung sowohl für das Individuum als auch für die Staatsordnung als solche zu.173 Sie sticht aus den übrigen Kommunikationsgrundrechten des Art. 5 Abs. 1 GG in besonderer Weise hervor: „Kardinaler Bezugspunkt der Garantien des Art. 5 I ist die Gewährleistung freier und öffentlicher Meinungsbildung: Diese vollzieht sich in einem Prozess der Kommunikation.“174

a) Bedeutung für das Individuum Die Meinungsfreiheit ist für den Grundrechtsträger als Abwehrrecht (status negativus bzw. status libertatis175) gegen die öffentliche Gewalt gerichtet.176 Sie konstituiert einen Lebensbereich, der grundsätzlich von staatlichen Eingriffen freizuhalten ist – die Meinungsfreiheit steht in ihrer individualisti170  Zur

Kritik daran aus pragmalinguistischer Sicht vgl. Abschnitt F.II.3. voran das sog. Lüth-Urteil: BVerfGE 7, 198 (208) = BVerfG, Urt. v. 15.1.1958  – 1 BvR 400 / 57, NJW 1958, 257. In der Lit. etwa: Möller, Der grundrechtliche Schutzbereich der Meinungsfreiheit, 2016, S. 222; Bethge, in: Sachs GG, 7. Aufl. 2014, Art. 5 Rn. 18; Stern Staatsrecht, Band  IV / 1: Grundrechte, 2006, S. 1382; Bull, in: Badura / Dreier, FS 50 Jahre BVerfG, Bd. 2, 2001, S. 163. 172  Vgl. Dreier, JZ 1994, 741 (741). 173  Vgl. dazu Stern Staatsrecht, Band  IV / 1: Grundrechte, 2006, S. 1382; Bull, in: Badura / Dreier, FS 50 Jahre BVerfG, Bd. 2, 2001, S. 163. Die hervorgehobene Bedeutung der Meinungsfreiheit spiegelt sich überdies auch in der Bevölkerung, wie Umfragen zeigen. Vgl. dazu etwa eine Umfrage des Marktforschungsinstituts YouGov, zusammengefasst von Nier, auf Statista vom 07.04.2016, abrufbar unter zuletzt besucht am 20.09.18: Danach ist für die befragten Deutschen mit 66 % die Meinungsfreiheit das wichtigste Menschenrecht. Nach anderer Umfrage von Barclaycard von Februar bis Juni 2017, abgebildet auf Statista, abrufbar unter zuletzt besucht am 20.09.18, ist mit 47,8 % die Meinungsfreiheit die wichtigste persönliche Freiheit der Befragten. 174  Bethge, in: Sachs GG, 7. Aufl. 2014, Art. 5 Rn. 18. 175  Einordnung nach Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 1892, S.  89 ff. 176  Schemmer, in: BeckOK GG, 38. Edition 2018, Art. 5 Rn. 1. 171  Allen

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C. Verfassungsgeschichtliche und -rechtliche Grundlagen

schen Bedeutung damit in liberaler Tradition.177 Für den Staat ergeht an dieser Stelle also eine negative Verpflichtung.178 Der status negativus ist dabei vorwiegend auf den Schutz einer (Meinungs-)Minorität gerichtet, da in einer Demokratie gerade nicht zu befürchten steht, dass eine Mehrheitsüberzeugung der Bevölkerung in den Eingriffsfokus des Gesetzgebers gerät, der seinerseits demokratisch, also durch eine Mehrheit der Wählerschaft legitimiert ist (Stichwort: „Tyrannei der Mehrheit“179).180 Auf der Seite des Individuums dient die Meinungsfreiheit der freien Persönlichkeitsentfaltung.181 Sie ist grundlegend wichtiger Persönlichkeitswert und zugleich auch Ausdruck der Menschenwürde;182 dient mithin individueller Selbstbestimmung mit den Mitteln der Kommunikation.183 Der Meinungsfreiheit kommt eine herausragende Bedeutung zu, wie schon die exponierte Stelle im Grundrechtskatalog nach der Menschenwürde, der Freiheit und dem Leben, der Gleichheit sowie der Religions- und Bekenntnisfreiheit zeigt.184 Wichtiger Auftakt dieser Wertschätzung war das frühe Lüth-Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Mit klaren und bis heute vielfach zitierten Worten stellten die Richter fest: „Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ist als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt (un des droits les plus précieux de l’homme nach Art. 11 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789).“185

Auch andere Autoren aus der Rechtswissenschaft verstehen die Meinungsfreiheit übereinstimmend „für den Menschen als unverzichtbare Bedingung Bull, in: Badura / Dreier, FS 50 Jahre BVerfG, Bd. 2, 2001, S. 163. zu den sich aus verfassungsrechtlich garantierten Freiheitsrechten ergebenden Verpflichtungen des Staates Suppé, Grund- und Menschenrechte in der deutschen Staatslehre, 2004, S. 37. 179  Boventer, Grenzen politischer Freiheit, 1985, S. 16. 180  Zum Minoritätenschutz in Demokratien vgl. etwa bereits Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, 1920, S. 12. 181  BVerfGE 7, 198 (208) = BVerfG, Urt. v. 15.1.1958  – 1 BvR 400 / 57, NJW 1958, 257 (258). Vgl. dazu auch Schemmer, in: BeckOK GG, 38. Edition 2018, Art. 5 Rn. 1. 182  Stern, in: Stern Staatsrecht, Band IV / 1: Grundrechte, 2006, S. 1379. 183  Jestaedt, in: Merten / Papier, Handbuch d. Grundrechte IV: Einzelgrundrechte I, 2011, § 102 Rn. 7. Allgemeiner zu den Freiheitsrechten insgesamt Dreier, RW 2010, 11 (20). 184  Vgl. dazu Stern, in: Stern Staatsrecht, Band IV / 1: Grundrechte, 2006, S. 1378. 185  BVerfGE 7, 198 (208) = BVerfG, Urt. v. 15.1.1958  – 1 BvR 400 / 57, NJW 1958, 257 (258). Vgl. zudem BVerfGE 5, 85 (205) = BVerfG, Urt. v. 17.8.1956 – 1 BvB 2 / 51, NJW 1956, 1393 (1396). Vgl. auch zur Fortwirkung der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 in der heute verfassungsrechtlich garantierten Meinungsfreiheit: Friauf / Höfling, AfP 1985, 249 (249 f.). 177  Vgl. 178  Vgl.



II. Bedeutungsspektrum der Meinungsfreiheit grundgesetzlicher Konzeption53

seiner Existenz“186. Die Autoren greifen damit unter anderem Smend auf, der bereits 1928 feststellte: „[E]s ist […] ein Stück sittlich notwendiger Lebensluft für den Einzelnen, die Wahrheit sagen zu dürfen.“187 Die Meinungsfreiheit lässt sich als individuelle Freiheitsgewährleistung weiter in zwei Kernfunktionen differenzieren. Diese lassen sich – wie auch im Rahmen der Kunstfreiheit188 – unterscheiden in Werk- und Wirkbereich. Der Werkbereich der Meinungsfreiheit ist dabei „die Freiheit, mit anderen zu kommunizieren, daß und was man denkt“ – mithin eine „Freiheit des Selbstzeugnisses vor anderen“.189 Der Wirkbereich der Meinungsfreiheit hingegen liegt darin, „meinungsbildend oder handlungsmotivierend“ auf Adressaten zu wirken.190 Die individuelle Freiheitsgewährleistung erschöpft sich also nicht darin, etwas äußern zu dürfen.191 In diesen Funktionen entfaltet sich auch die Einschätzung des BVerfG, die Meinungsfreiheit sei „unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit“.192 Die besondere Betonung der individuellen Freiheitsgewährleistung findet sich zudem in der Begriffsbestimmung zur „Meinung“: Sie ist auch ohne Verwertbarkeit für Debatten oder Begründung ebenso ohne Ansehung von Emotionalität, Logik usw. vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG geschützt. Eine Meinung darf danach auch nicht in die Kategorien „richtig“ oder „falsch“ eingeordnet werden – der Schutzbereich kann aufgrund solcher Charakterisierungen nicht versagt werden.193 Diese Schutzbereichsgestaltung stellt sicher, dass nicht nur solche Meinungen grundrechtlichen Schutz erfah186  Schmidt-Jortzig, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts VII, 3. Aufl. 2009, § 162 Rn. 1. Vgl. auch Michael / Morlok, Grundrechte, 5. Aufl. 2016, § 9 Rn. 201; Bethge, in: Sachs GG, 7. Aufl. 2014, Art. 5 Rn. 22; Wendt, in: v. Münch / Kunig GG, 6. Aufl. 2012, Art. 5 Rn. 1; Stern, in: Stern Staatsrecht, Band  IV / 1: Grundrechte, 2006, S. 1378; Kubiciel / Winter, ZStW 2001, 305 (317 f.). 187  Smend, in: VVDStRL 4, 1927, S. 50. 188  Dieses Gleichnis findet sich v. a. bei Jestaedt, in: Merten / Papier, Handbuch d. Grundrechte IV: Einzelgrundrechte I, 2011, § 102 Rn. 7, aber auch bei Hufen, Staatsrecht II, 4. Aufl. 2014, S. 413 Rn. 10. Das BVerfG spricht insofern von einer „Wirkungsdimension“, vgl. BVerfGE 97, 391 (398) = BVerfG, Beschl. v. 24.3.1998 – 1 BvR 131–96, NJW 1998, 2889 (2889) und auch bereits BVerfGE 7, 198 (207) = BVerfG, Urt. v. 15.1.1958 – 1 BvR 400 / 57, NJW 1958, 257 (258). 189  Jestaedt, in: Merten / Papier, Handbuch d. Grundrechte IV: Einzelgrundrechte I, 2011, § 102 Rn. 7. Alle Zitate a. a. O. 190  BVerfGE 97, 391 (398) = BVerfG, Beschl. v. 24.3.1998 – 1 BvR 131–96, NJW 1998, 2889 (2889). 191  BVerfGE 97, 391 (398) = BVerfG, Beschl. v. 24.3.1998 – 1 BvR 131–96, NJW 1998, 2889 (2889). 192  BVerfGE 7, 198 (208) = BVerfG, Urt. v. 15.1.1958  – 1 BvR 400 / 57, NJW 1958, 257 (258). 193  Vgl. zum Begriff „Meinung“ i. S. d. Art. 5 Abs. 1 GG oben Abschnitt C.II.2.a).

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C. Verfassungsgeschichtliche und -rechtliche Grundlagen

ren, die für die politisch-gesellschaftliche Debatte, mithin für den demokratischen Prozess „wertvoll“ bzw. „verwertbar“ sind. Mit dieser Grundrechtskonstruktion wird sichergestellt, dass individuelle Selbstbestimmung kommunikativ verwirklicht werden kann.194 Insbesondere der Verweis des BVerfG auf die französische Deklaration macht deutlich, dass der Meinungsfreiheit des Grundgesetzes ein naturrechtliches Verständnis zugrunde liegt. Sie ist also als angeborenes, nicht disponibles Recht geschützt, ohne dass dem Einzelnen eine besondere Rechtsausübung abverlangt werden muss. Dies wird bereits deutlich durch die grundgesetzliche Formulierung als Menschenrecht („Jeder hat das Recht […].“195) und nicht als sogenanntes Deutschengrundrecht196. Ferner kommt ihr aber auch die Funktion der eigenständigen Bildung und individuellen Entwicklung zu; es hat damit auch eine zweckgebundene Eigenschaft. b) Bedeutung für die fdG Nach nunmehr herrschender Auffassung ist die Meinungsfreiheit – wie auch die Versammlungs- (Art. 8 GG) und die Vereinigungsfreiheit (Art. 9 GG) – Grundstein des freiheitlich demokratischen Systems, indem sie politische Teilhabe ermöglicht und Werte wie Liberalismus und Pluralität sichert (demokratisch-funktionaler Ansatz197).198 Die Meinungsfreiheit ist demokratisches Beteiligungsrecht;199 mithin „Gradmesser dafür, wie sicher Staat und Gesellschaft sich fühlen und wie stark sie auf den Innovationsschub vertrauen, den die Freiheit der Gedanken und der Verbreitung von Informationen 194  Vgl. auch Jestaedt, in: Merten / Papier, Handbuch d. Grundrechte IV: Einzelgrundrechte I, 2011, § 102 Rn. 8. 195  Art. 5 Abs. 1 GG. Betonung wurde vom Autor hinzugefügt. 196  Vgl. nur das Kommunikationsgrundrecht in Art. 8 Abs. 1 GG: „Alle Deutschen haben das Recht […].“ (Betonung wurde vom Autor hinzugefügt.). 197  Eine solche Einordnung geht zurück auf Jestaedt, in: Merten / Papier, Handbuch d. Grundrechte IV: Einzelgrundrechte I, 2011, § 102 Rn. 14, der diesen Ansatz allerdings zu ergänzen versucht durch einen „objektivrechtlichen Ansatz“ (Rn. 15) und einen „gewährleistungsrechtlichen Ansatz“ (Rn. 16). 198  Stern, in: Stern Staatsrecht, Band  IV / 1: Grundrechte, 2006, S. 1379; Hubo, Verfassungsschutz des Staates durch geistig-politische Auseinandersetzung, 1998, S. 16; Badura, in: Brandt / Gollwitzer / Henschel, FS Helmut Simon, 1987, S. 193; Denninger, in: Benda / Maihofer / Vogel, Handbuch d. Verfassungsrechts, 1983, S. 1308; Ridder, Die soziale Ordnung des Grundgesetzes, 1975, S. 75. Vgl. zur ähnlich gelagerten konstituierenden Bedeutung der Pressefreiheit etwa Ossenbühl, JZ 1995, 633 (634). 199  Zu den Freiheitsrechten als demokratische Selbstbeteiligungsrechte Abendroth, Grundgesetz, 1966, S. 75.



II. Bedeutungsspektrum der Meinungsfreiheit grundgesetzlicher Konzeption55

ermöglicht.“200 Als politisches Teilhaberecht trägt die Meinungsfreiheit neben anderen Teilhaberechten (Mit-)Verantwortung dafür, „die kollektive Gestaltung der politisch-sozialen Ordnung“ zu ermöglichen und abzusichern.201 Ihr kommt als politische Freiheit die Funktion zu, sowohl Herrschaft zu legitimieren als auch zu kontrollieren und zu kritisieren.202 Die Konstituierungswirkung der Meinungsfreiheit ist damit bezogen auf die Möglichkeit des Einzelnen, „seine Rolle als ein Teil des Souveräns wahrzunehmen.“203 Sie ermöglicht die Meinungs- wie auch die Willensbildung „von unten nach oben, d. h. von den einzelnen und aus der Gesellschaft heraus auf die staat­ liche politische Entscheidungsgewalt hin.“204 Das Bundesverfassungsgericht fasst diese Funktionen der Meinungsfreiheit wie folgt zusammen: „Für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung ist es schlechthin konstituierend, denn es ermöglicht erst die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselement ist […]. Es ist in gewissem Sinn die Grundlage jeder Freiheit überhaupt, ‚the matrix, the indispensable condition of nearly every other form of freedom‘ (Cardozo).“205

Der freie Austausch der Meinungen ist Wesenskern der fdG.206 Die Meinungsfreiheit lässt sich deshalb als conditio sine qua non für die Demokratie beschreiben.207 Da die Herrschaft des Volkes eine Willensbildung durch das 200  Hoffmann-Riem, Kommunikationsfreiheiten, 1. Aufl. 2002, Vorwort. Vgl. dazu auch Epping, Grundrechte, 6. Aufl. 2015, S. 101 f. Rn. 208; Wendt, in: v. Münch / Kunig GG, 6. Aufl. 2012, Art. 5 Rn. 1 mit weiteren Ausführungen gegen eine erhöhte Schutzwürdigkeit politischer oder öffentlicher Meinungsäußerungen, Rn. 2 a. a. O.; Schmidt-Jortzig zur konstituierenden Wirkung, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts VII, 3. Aufl. 2009, § 162 Rn. 8. 201  Dreier, JZ 1994, 741 (741). Ähnlich auch bei Hubo, Verfassungsschutz des Staates durch geistig-politische Auseinandersetzung, 1998, S. 16. 202  Badura, in: Brandt / Gollwitzer / Henschel, FS Helmut Simon, 1987, S. 194. 203  Casper, ZRP 2002, 214 (217). 204  Böckenförde, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts I, 2. Aufl. 1995, § 22 Rn. 37. 205  BVerfGE 7, 198 (208) = BVerfG, Urt. v. 15.1.1958  – 1 BvR 400 / 57, NJW 1958, 257 (258). Vgl. einstimmend in der Lit. etwa Badura, in: Bundesamt für Verfassungsschutz (Hrsg.), Verfassungsschutz in der Demokratie, 1990, S. 39. Zur falschen Kontextualisierung Cardozos durch das BVerfG vgl. Bull, in: Badura / Dreier, FS 50 Jahre BVerfG, Bd. 2, 2001, S. 163 (164, Fn. 4). 206  BVerfGE 90, 1 (20 f.) = BVerfG, Beschl. v. 11.1.1994  – 1 BvR 434 / 87, NJW 1994, 1781 (1784): „Die freie Diskussion ist das eigentliche Fundament der freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft.“ Vgl. auch Bull, in: Badura / Dreier, FS 50 Jahre BVerfG, Bd. 2, 2001, S. 163 (164). 207  Möller, Der grundrechtliche Schutzbereich der Meinungsfreiheit, 2016, S. 222. So auch bereits bei Astrow, Grenzen der Freiheit in der Demokratie, 1940, S. 33, der allerdings von „Denkfreiheit“ spricht. S. auch Bemmann, Meinungsfreiheit und Strafrecht, 1981, S. 19: „Ohne Meinungsfreiheit keine Demokratie!“

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C. Verfassungsgeschichtliche und -rechtliche Grundlagen

Volk voraussetzt – der Volkswille ist nicht fertig, sondern muss erst entstehen208 –, muss die Willens- beziehungsweise Meinungsbildung auch (verfassungsrechtlich) garantiert sein. Die Meinungsbildung entsteht nach grundgesetzlicher Konzeption durch den freien Ideen- und Gedankenaustausch; im offenen Meinungsaustausch setzen sich nach Ansicht des BVerfG auf verfälschten Tatsachenbehauptungen fußende Meinungen („im Allgemeinen“) nicht durch.209 Ein Marketplace of Ideas210 ist deshalb erforderlich.211 Die Meinungsfreiheit ist die verfassungsrechtliche Garantie dieses Marketplaces; sie ist damit Essenz für den Erhalt des demokratischen Prozesses.212 In einer Gesamtbetrachtung ist diese Freiheit Kernelement demokratischer Legitimation: Ohne dieses politische Freiheitsrecht „verkommen“ Wahlen zur Makulatur und damit auch die in Wahlen gewonnenen Mehrheiten; demokratische Legitimationsketten ohne freie Willensbildung sind demnach zwar nicht personell unterbrochen, aber doch ideell.213 Auch das Bundesverfassungsgericht hat in langjähriger Rechtsprechung ein solches (staatstheoretisches) Verständnis von der Bedeutung der Meinungsfreiheit geprägt: „Denn es ist eine der Grundanschauungen der freiheitlichen Demokratie, daß nur die ständige geistige Auseinandersetzung zwischen den einander begegnenden sozialen Kräften und Interessen, den politischen Ideen und damit auch den sie vertretenden politischen Parteien der richtige Weg zur Bildung des Staatswillens ist – nicht in dem Sinne, daß er immer objektiv richtige Ergebnisse liefere, denn dieser Weg ist a process of trial and error (I. B. Talmon), aber doch so, daß er durch die ständige gegenseitige Kontrolle und Kritik die beste Gewähr für eine (relativ) richtige politische Linie als Resultante und Ausgleich zwischen den im Staat wirksamen politischen Kräften gibt.“214 208  Böckenförde, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts I, 2. Aufl. 1995, § 22 Rn. 38. 209  BVerfGE 90, 1 (20) = BVerfG, Beschl. v. 11.1.1994  – 1 BvR 434 / 87, NJW 1994, 1781 (1784). Zitat a. a. O. 210  Vgl. zum demokratietheoretischen Begriff „Marketplace of Ideas“, der bereits auf John Milton (dazu: Milton, Areopagitica, Reprint 1918) zurückgeführt werden kann: Napoli, Journal of Communication 1999, (49) 4, 151 (153). 211  S. Bull, in: Badura / Dreier, FS 50 Jahre BVerfG, Bd. 2, 2001, S. 163 (168). Vgl. aber auch kritische Überlegungen zur Tendenz etwa des BVerfG, den Raum „Öffentlichkeit“ wie er etwa mit dem Marketplace of Ideas oft assoziiert wird, in: die Tradition eines libertären-demokratischen Denkens zu stellen bei Vesting, AöR 1997, 337 (355): „Seit dem Lüth-Urteil assoziiert das Verfassungsgericht mit seinem Begriff der demokratischen Öffentlichkeit eine Vorstellung von Zivilisation, die zu sehr der geschichtsphilosophischen Tradition der Aufklärung verhaftet bleibt.“ 212  Findeisen / Hoepner / Zünkler, ZRP 1991, 245 (248). Dazu auch Dreier, RW 2010, 11 (20). 213  Vgl. dazu auch die Ausführungen von Badura, in: Brandt / Gollwitzer / Henschel, FS Helmut Simon, 1987, S. 196 f.



II. Bedeutungsspektrum der Meinungsfreiheit grundgesetzlicher Konzeption57

Das Gericht führt an anderer, späterer Stelle weiter aus: „Die Aufmerksamkeit und das Verantwortungsbewußtsein des Staatsbürgers, der Mißstände nicht nur zur Kenntnis nimmt, sondern sich auch für deren Abstellung einsetzt, ist eine wesentliche Voraussetzung für den Bestand der freiheitlichen demokratischen Ordnung […]. Das Grundrecht der freien Meinungsäußerung verdient, wenn es diesem Ziel dient, besonderen Schutz […].“215

Dem Staat kommt mit dieser Bedeutungsdimension die Verpflichtung zu, die Meinungsfreiheit zu schützen und zu erhalten. Diese Verpflichtung erfährt eine positive Ausgestaltung, es handelt sich demnach um eine Schutzpflicht.216 Die demokratische Funktion der Meinungsfreiheit – eine „Freiheit zum Staat“– tritt (gleichberechtigt) neben die Funktionen als Abwehrrecht gegen den Staat und persönliches Mittel zur freien Persönlichkeitsentfaltung.217 Abschließend stellt sich dazu die Frage, wie die verfassungsrechtliche Konzeption der Meinungsfreiheit im GG demokratietheoretisch einzuordnen ist. Welche Art von Diskurs wird mit dem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG anvisiert und wie passt dieser sich in die verschiedenen Demokratietheorien ein? Gibt es eine vorherrschende Demokratietradition, die sich in diesem Grundrecht spiegelt? Das BVerfG gibt in seiner Darstellung des überindividuellen Bedeutungsspektrums der Meinungsfreiheit klare Hinweise auf ein liberales Verständnis der Meinungsfreiheit, wenn es die „ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen“ als konstituierendes Merkmal der fdG beschreibt.218 Der diskursiven Auseinandersetzung verschiedener politischer Ideen, Interessen etc. ist dem BVerfG zufolge prozedural das Prinzip „trial and error“ zugrunde gelegt.219 Deutlich wird mit dieser Beschreibung, dass das BVerfG dem Diskurs nach Konzeption des Art. 5 Abs. 1 GG in der Tradition vor allem des liberalen Vordenkers John Stuart Mill ein Marktmodell zugrunde legt.220 Wesenszug der liberalen Demokratie ist nämlich eine 214  BVerfGE 5, 85 (135) = BVerfG, Urt. v. 17.8.1956  – 1 BvB 2 / 51, NJW 1956, 1393 (1396). 215  BVerfGE 28, 191 (202) = BVerfG, Beschl. v. 28.4.1970 – 1 BvR 690 / 65, NJW 1970, 1498 (1500). 216  Vgl. zu den sich aus verfassungsrechtlich garantierten Freiheitsrechten ergebenden Verpflichtungen des Staates Suppé, Grund- und Menschenrechte in der deutschen Staatslehre, 2004, S. 37. 217  Vgl. dazu Dreier, JZ 1994, 741 (741). Zitat a. a. O. 218  BVerfGE 7, 198 (208) = BVerfG, Urt. v. 15.1.1958  – 1 BvR 400 / 57, NJW 1958, 257 (258). Zitate a. a. O. 219  BVerfGE 5, 85 (135) = BVerfG, Urt. v. 17.8.1956  – 1 BvB 2 / 51, NJW 1956, 1393 (1396). 220  Grundlagenwerk dazu: Mill, On liberty, The Second Edition 1859. Vgl. aber auch schon die Ideen bei Milton, Areopagitica, Reprint 1918.

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C. Verfassungsgeschichtliche und -rechtliche Grundlagen

marktgesellschaftliche Verwurzelung; Freiheitsrechte sind insofern überwiegend als Abwehrrechte gegen den Staat ausgestaltet.221 Bedeutend ist diese Zuordnung zur liberalen Demokratietradition insbesondere für den Entwurf eines „idealen“ Diskurses nach grundgesetzlicher Konzeption. Auch erlaubt diese Zuordnung eine Abgrenzung von anderen Demokratiemodellen und Entwürfen „idealer Sprechsituationen“ – relevant ist insofern etwa die Diskurstheorie im Lichte deliberativer Demokratie nach Habermas.222 Ausgangspunkt der Untersuchung ist damit grundsätzlich der Diskurs als Meinungsmarkt, nicht aber als voraussetzungsvoller Diskurs deliberativer Konzeption.223 c) Individuelle und überindividuelle Freiheitsgewährleistung im Spannungsverhältnis? Die Bedeutungsdimensionen der Meinungsfreiheit nach grundgesetzlicher Konzeption deuten Spannungen an: Auf der einen Seite wird die Funktion der Meinungsfreiheit als kommunikatives Mittel zur Verwirklichung individueller Selbstbestimmung in den Mittelpunkt gerückt. Dieser individuellfunktionale Kern der Meinungsfreiheit spiegelt sich auch in der Schutzbereichsbestimmung des Art. 5 Abs. 1 GG, die keinerlei Anforderungen an Sachlichkeit oder Verwertbarkeit einer Meinung stellt, um die Selbstbestimmungsfunktion nicht zu beeinträchtigen. Auf der anderen Seite werden Rechtsprechung und Literatur nicht „müde“, die überindividuelle Funktion der Meinungsfreiheit für das Demokratiefunktionieren mit wirkmächtigen Worten zu betonen. Die Meinungsfreiheit ist danach „konstituierend“ für die fdG. Die Voraussetzungen auf individueller und überindividueller Funktionsebene unterscheiden sich jedoch maßgeblich: Während zur kommunikativen Verwirklichung der Selbstbestimmung Sachlichkeits- oder Verwertbarkeitskriterien auf Schutzbereichsebene destruktiv wären, ist die politische Debatte als Grundlage des demokratischen Prozesses auf Sachlichkeit, Vernunft und Logik angewiesen. Zu befürchten könnte deshalb sein, dass die Schutzbereichsgestaltung der Meinungsfreiheit nur der individuellen, nicht aber der 221  Vgl. dazu den Überblick bei Ottmann, Synthesis Philosophica 2006, 315 (318). Vgl. dazu ganz grundlegend Locke, Two treatises of government, A New Edition, Corrected. 1823. 222  Vgl. dazu das Grundlagenwerk Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Band I, 1988 und Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Band II, 1988. Konkret zur Diskurstheorie in der deliberativen Demokratie: Habermas, Faktizität und Geltung, 1998, S. 349 ff. 223  Vgl. zur Kritik am Diskurs liberaler (und ebenso republikanischer) Tradition bei gleichzeitiger „Preisung“ deliberativer Demokratie: Habermas, Die Einbeziehung des Anderen, 1996, S. 277 ff.



III. Die fdG und die Meinungsfreiheit im Abhängigkeitsverhältnis59

überindividuellen Freiheitsgewährleistung gerecht wird. Einer solchen Befürchtung ist jedoch entgegenzuhalten, dass Anforderungen an Sachlichkeit usw. bereits auf Schutzbereichsebene auch für die überindividuelle Funktion destruktiv sein können: Einschätzungen zur Sachlichkeit, Verwertbarkeit usw. sind der Subjektivität beziehungsweise inhaltlicher Abgrenzungen zugänglich, sodass die Frage „Schutz ja oder nein?“ in politisch opportuner Weise beantwortet werden könnte. Das Spannungsverhältnis, das sich in den unterschiedlichen Funktionen der Meinungsfreiheit andeutet, ist damit auflösbar. Der Staat ist durch dieses Bedeutungsspektrum doppelt verpflichtet: Eine negative Pflicht ergeht auf individueller Ebene, nämlich als Heraushalten aus der Freiheitsgestaltung im privaten Lebensbereich.224 Auf einer überindividuellen Ebene kommt dem Staat eine Schutzpflicht zu, um die konstituierende Wirkung der Meinungsfreiheit für die freiheitliche demokratische Grundordnung zu sichern und zu erhalten.225

III. Die fdG und die Meinungsfreiheit im Abhängigkeitsverhältnis Da die vorliegende Untersuchung im Schutzobjekt „fdG“ entspringt, stellt sich – zunächst auf verfassungsrechtlicher Ebene und nur überblicksartig – die Frage, was genau unter dieser Grundordnung verstanden wird und welchen Beitrag die Meinungsfreiheit zur Konstituierung dieser Ordnung leisten könnte. Im Rahmen einer späteren, demokratietheoretischen Diskussion wird die fdG einer kritischen Analyse im Hinblick auf ihre Bedeutung im System wehrhafter Demokratie unterzogen.226

224  Anders etwa bei Matuschek, Erinnerungsstrafrecht, 2012, S. 220, der aus rechtsvergleichender Sicht (Deutschland, Vereinigte Staaten, England) davon ausgeht, dass die Meinungsfreiheit in den von ihm „untersuchten Rechtsordnungen auf mindestens drei Grundpfeiler“ (S. 221) stützt: „Erstens ist sie Ausdruck der freien Entfaltung des Individuums. […] Zweitens ermöglicht die Meinungsfreiheit die Wahrheitsfindung und fördert dadurch den gesellschaftlichen Fortschritt. […] [Drittens:] In der Demokratie ist die freie Meinungsäußerung ein unverzichtbares Mittel in der Auseinandersetzung um die beste Lösung.“ (S. 221–222) Nach hier vertretener Auffassung sind die letzten beiden Punkte untrennbar miteinander verknüpft und deshalb zusammenzufassen.Vgl. ferner etwa die Bedeutungsspektren nach Brugger, GLJ 2003, 1 (6 ff.). 225  Vgl. zu den sich aus verfassungsrechtlich garantierten Freiheitsrechten ergebenden positiven und negativen Verpflichtungen des Staates Suppé, Grund- und Menschenrechte in der deutschen Staatslehre, 2004, S. 37. 226  Zur kritischen Untersuchung der „fdG“ siehe Abschnitt E.III.2. und Abschnitt E.V.

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C. Verfassungsgeschichtliche und -rechtliche Grundlagen

1. Begriffsbedeutung Die fdG findet sich zwar an verschiedenen Stellen des Grundgesetzes, doch gibt die Verfassung keine Erklärung dazu, was unter dieser Grundordnung eigentlich zu verstehen ist. In der Folge hat das BVerfG sich veranlasst (bzw. „genötigt“) gesehen, die fdG näher zu bestimmen.227 Das Gericht greift in seinen Ausführungen zur überindividuellen Bedeutung der Meinungsfreiheit wiederholt die fdG auf und schreibt dem Freiheitsrecht für diese Ordnung eine konstituierende Wirkung zu. Die fdG wird im Grundgesetzes an mehreren Stellen ausdrücklich genannt, konkret in den Art. 18 S. 1, 11 Abs. 2, 21 Abs. 2, 87a Abs. 4, 91 Abs. 1 GG. Das BVerfG hat in seiner früheren Entscheidung zum Verbot der SRP festgestellt, dass die demokratische Grundordnung „das Gegenteil des totalen Staates [ist], der als ausschließliche Herrschaftsmacht Menschenwürde und Gleichheit ablehnt.“228 In jüngster Rechtsprechung – namentlich in der zweiten Verbotsentscheidung zur NPD – hat das Gericht diese Definition konkretisiert und festgestellt, dass ein „pauschale[r] Rückgriff auf Art. 79 III GG“ nicht ausreicht; vielmehr handele es sich dabei um „für den freiheitlichen demokratischen Verfassungsstaat schlechthin unverzichtbare[…] Grundsätze“, allen voran „das Prinzip der Menschenwürde“ in seiner Ausgestaltung durch Demokratie und Rechtsstaat.229 Das Gericht verweist auf eine klare Abgrenzung der fdG von der verfassungsmäßigen Ordnung230, da erstere auf die oben genannten Grundsätze beziehungsweise Prinzipien beschränkt sei.231 Das BVerfG stellte zunächst im SRP-Urteil folgende acht Prinzipien fest: „So läßt sich die freiheitliche demokratische Grundordnung als eine Ordnung bestimmen, die unter Ausschluß jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die 227  Die Zuspitzung von der „Nötigung“ des Gerichts stammt von Brill, in: Denninger, fdGO Bd. I, Materialien, 1977, S. 199 f. Vgl. kritisch dazu auch Preuß, Legalität und Pluralismus, 1973, S. 23. 228  BVerfGE 2, 1 (12) = BVerfG, Urt. v. 23.10.1952  – 1 BvB 1 / 51, NJW 1952, 1407 (1408). So auch Tillmanns, in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 39; Gusy, AöR 1980, 279 (283); ähnlich Stuby, in: Römer, Der Kampf um das Grundgesetz, 1977, S. 121 ff. Zur Kritik an diesen Grundsätzen, vor allem aufgrund der negativen Bestimmung, Denninger, in: Denninger, fdGO Bd. I, Materialien, 1977, S. 67 ff. Dazu später auch im Detail Abschnitt E.III. 229  Alle Zitate: BVerfGE 144, 20 (202 f.) = BVerfG, Urt. v. 17.1.2017 – 2 BvB 1 / 13, NJW 2017, 611 (618). 230  Vgl. dazu später im Abschnitt E.III.2. und E.V. die kritische Analyse der fdG. 231  BVerfGE 144, 20 (203) = BVerfG, Urt. v. 17.1.2017 – 2 BvB 1 / 13, NJW 2017, 611 (618).



III. Die fdG und die Meinungsfreiheit im Abhängigkeitsverhältnis61 Achtung vor den im GG konkretisierten Menschenrechten [1], vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität [2], die Gewaltenteilung [3], die Verantwortlichkeit der Regierung [4], die Gesetz­ mäßigkeit der Verwaltung [5], die Unabhängigkeit der Gerichte [6], das Mehrparteiensystem [7] und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition [8].“232

Später ergänzte das Gericht in der KPD-Verbotsentscheidung diese Prinzipien um die Vereinigungsfreiheit und das durch regelmäßige Wahlen und damit von Diskontinuität geprägte parlamentarische System.233 Eine vorliegend – neben anderen – besonders relevante Ergänzung ist die bundesverfassungsgerichtliche Feststellung, dass die Meinungsfreiheit auch als konstituierendes Element Teil der fdG ist.234 Zuletzt hat das BVerfG diese Ergänzungen in der NPD-Verbotsentscheidung zusammengefasst: „In der Folgezeit hat das BVerfG seine Rechtsprechung bestätigt […] und den Katalog der Elemente, die die freiheitliche demokratische Grundordnung bilden, um das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung […], den freien und offenen Prozess der Meinungs- und Willensbildung des Volkes […], die Rundfunk-, Presseund Informationsfreiheit […], das Bekenntnis zu religiöser und weltanschaulicher Neutralität […] und die Religionsfreiheit […] ergänzt.“235

Nicht zu den Prinzipien der fdG gehören nach Auffassung des Gerichts die von Art. 79 Abs. 3 GG erfassten Prinzipien „Republik“ und „Bundesstaat“, womit ein begrifflicher Unterschied zur sogenannten Ewigkeitsklausel deutlich wird.236 Im Mittelpunkt des Begriffs steht der „Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft“, also die völlige Abkehr von der totalitären237 NS-Herr232  BVerfGE 2, 1 (12 f.) = BVerfG, Urt. v. 23.10.1952 – 1 BvB 1 / 51, NJW 1952, 1407 (1408). Zuletzt: BVerfGE 144, 20 (203 f.) = BVerfG, Urt. v. 17.1.2017 – 2 BvB 1 / 13, NJW 2017, 611 (618). 233  BVerfGE 5, 85 (139) = BVerfG, Urt. v. 17.8.1956  – 1 BvB 2 / 51, NJW 1956, 1393. Vgl. auch zusammenfassend BVerfGE 144, 20 (204) = BVerfG, Urt. v. 17.1.2017 – 2 BvB 1 / 13, NJW 2017, 611 (619). 234  BVerfGE 7, 198 (208) = BVerfG, Urt. v. 15.1.1958  – 1 BvR 400 / 57, NJW 1958, 257. Zuletzt: BVerfGE 144, 20 (204) = BVerfG, Urt. v. 17.1.2017 – 2 BvB 1 / 13, NJW 2017, 611 (619). 235  BVerfGE 144, 20 (204) = BVerfG, Urt. v. 17.1.2017 – 2 BvB 1 / 13, NJW 2017, 611 (619). 236  BVerfGE 144, 20 (206) = BVerfG, Urt. v. 17.1.2017 – 2 BvB 1 / 13, NJW 2017, 611 (619). 237  Zur Definition des Totalitarismus: Jesse, Diktaturen in Deutschland, 2008, S. 11: Danach ist der totalitäre Staat das Gegenstück zum demokratischen Staat; er ist i. d. R. „antidemokratisch, pseudodemokratisch und postdemokratisch gleichermaßen“ (a. a. O.). Ferner abzugrenzen vom autoritären Staat, der seinerseits auch begrenzten Pluralismus gewährleisten könne – Wesensmerkmale des Totalitarismus u. a.: Entrechtung aller Individuen, Gleichschaltung, Kontrolle.

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C. Verfassungsgeschichtliche und -rechtliche Grundlagen

schaft.238 Die Abkehr ist jedoch nicht auf den NS-Staat beschränkt, sondern bezieht sich auf Staatsformen wie den NS-Staat. Nicht unter den Begriff der fdG können in der Folge allerdings Staatsprinzipien fallen, die sich nicht aus der Gegenbildlichkeit zur Gewalt- und Willkürherrschaft ergeben.239 Dieser Begriffsschwerpunkt darf aber nicht mit einem bloßen, verfassungsrechtlich auferlegten Gewaltverbot (in der Freiheitsausübung) verwechselt werden, sondern muss als eine Festlegung auf Verfassungswerte verstanden werden.240 Ferner stellte das Gericht mit Blick auf das Parteiverbot klar, dass trotzdem „auch das kritische Hinterfragen einzelner Elemente der Verfassung möglich sein muss […]. Ein Ausschluss aus dem Prozess der politischen Willensbildung kommt erst in Betracht, wenn dasjenige infrage gestellt und abgelehnt wird, was zur Gewährleistung eines freiheitlichen und demokratischen Zusammenlebens schlechthin unverzichtbar ist und daher außerhalb jedes Streits stehen muss.“241 Zu beachten ist jedoch, dass diese Prinzipien für sich wieder auslegungsfähig und -bedürftig sind. Eine Gewaltenteilung etwa ist als strikte Abgrenzung der einzelnen Gewalten denkbar oder eben als Gewaltenverschränkung – wie vom Grundgesetz vorgesehen. Auch die „Selbstbestimmung des Volkes nach Mehrheitswillen“ kann nicht für sich stehen, da der Mehrheitswille durchaus dazu dienen kann, Minderheiten zu unterdrücken, was wiederum mit dem Prinzip „Freiheit und Gleichheit“ konfligieren kann.242 2. Für welche Bestandteile der fdG ist die Meinungsfreiheit konstituierend? In Anbetracht der vom BVerfG aufgelisteten Bestandteile der fdG stellt sich die Frage, für welche konkreten Bestandteile die Meinungsfreiheit ihrerseits konstituierend ist. Damit ist vor allem die demokratisch-funktionale Begründung der Meinungsfreiheit zu konkretisieren: Wie genau gewährleistet und sichert die Meinungsfreiheit die fdG? 238  Vgl. auch Dürig / Klein, in: Maunz / Dürig, GG, 83. EL 2018, Art. 18 Rn. 59; von Oertzen, in: Denninger, fdGO Bd. I, Materialien, 1977, S. 212. 239  Vgl. etwa Dürig / Klein, in: Maunz / Dürig, GG, 83. EL 2018, Art. 18 Rn. 59 und Fn. 1, die das Sozialstaatsprinzip unter diesem Gesichtspunkt als problematisch diskutieren. 240  Ähnlich Boventer, Grenzen politischer Freiheit, 1985, S. 22. 241  BVerfGE 144, 20 (205) = BVerfG, Urt. v. 17.1.2017 – 2 BvB 1 / 13, NJW 2017, 611 (619). 242  Vgl. dazu auch Bull, in: Badura / Dreier, FS 50 Jahre BVerfG, Bd. 2, 2001, S. 163 (169): „die Verfassung bewährt sich gerade beim Schutz der Minderheitsmeinungen.“



III. Die fdG und die Meinungsfreiheit im Abhängigkeitsverhältnis63

Unmittelbar konstituierend ist die Meinungsfreiheit insbesondere für die „Selbstbestimmung des Volkes nach Mehrheitswillen“, da es für die Bildung eines (Mehrheits-)Willens eines (freien) Ideen- und Meinungsaustausches bedarf (Stichwort: Marketplace of Ideas). Dieser Selbstbestimmungsprozess des Volkes beginnt mit der (individuellen) Meinungsbildung: Unverzichtbare Voraussetzung der Meinungsfreiheit ist nämlich, dass sich der Einzelne eine Meinung überhaupt bilden kann und dabei vor staatlich veranlasster Indok­ trination geschützt wird.243 Dazu ist für den Einzelnen erforderlich, dass dieser sich frei informieren kann und auch die Meinungsäußerungen anderer Personen wahrnehmen kann.244 Der Zugang zur Meinungsäußerung beziehungsweise die freie Wahrnehmung solcher Meinungsäußerungen ist vom sachlichen Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst, wobei allerdings zu beachten ist, dass der sich Äußernde Grundrechtsträger ist.245 Der Rezipient dieser Äußerungen hingegen ist nicht durch die Meinungsfreiheit geschützt, sondern durch die Informationsfreiheit.246 Hat sich der Einzelne eine Meinung gebildet, muss auch das Haben der Meinung von staatlichen Eingriffen frei bleiben. Dies gebietet sich bereits aus der Feststellung des BVerfG, dass es dem Einzelnen als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG selbst überlassen ist zu entscheiden, was er wie und wann äußern möchte.247 Es gilt die durch Volkslieder verbreitete und vom BVerfG bestätigte Erkenntnis: „Die Gedanken sind frei.“248 Staatliche Eingriffe oder gar Indoktrinationen auf der Ebene „Meinungsbildung“ oder mit Blick auf das Haben einer Meinung würden den Selbstbestimmungsprozess des Volkes empfindlich stören. Eine durch staatliche Eingriffe unterbrochene Willensbil243  Zur Drohung der Indoktrination, vor allem auch im Medienbereich: Grabenwarter, in: Maunz / Dürig, GG, 83. EL 2018, Art. 5 Rn. 75. 244  BVerfGE 27, 71 (81) = BVerfG, Beschl. v. 3.10.1969  – 1 BvR 46 / 65, NJW 1970, 235 (236). Dort heißt es: „Denn nur umfassende Informationen, für die durch ausreichende Informationsquellen Sorge getragen wird, ermöglichen eine freie Meinungsbildung und -äußerung für den Einzelnen wie für die Gemeinschaft.“ Beachte überdies: Die Meinungsbildungsfreiheit überschneidet sich mit einem ebenfalls in Art. 5 Abs. 1 S. 1 (Hs. 2) GG enthaltenen Kommunikationsgrundrecht, nämlich der Informationsfreiheit. 245  BVerfGE 27, 71 (81) = BVerfG, Beschl. v. 3.10.1969  – 1 BvR 46 / 65, NJW 1970, 235 (236). 246  BVerfGE 27, 71 (81) = BVerfG, Beschl. v. 3.10.1969  – 1 BvR 46 / 65, NJW 1970, 235 (236). 247  BVerfGE 80, 367 (373) = BVerfG, Beschl. v. 14.9.1989  – 2 BvR 1062 / 87, NJW 1990, 563 (563). 248  Fallersleben / Richter, Schlesische Volkslieder mit Melodien, 1842, S. 307; BVerfGE 80, 367 (381) = BVerfG, Beschl. v. 14.9.1989  – 2 BvR 1062 / 87, NJW 1990, 563 (565).

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C. Verfassungsgeschichtliche und -rechtliche Grundlagen

dung ist nicht frei bzw. nur begrenzt frei, womit eine Grundbedingung der fdG angetastet wäre. In einem nächsten Schritt sind der „Werk- und Wirkbereich“249 der Meinungsfreiheit relevant: Eine (Meinungs-)Äußerung beinhaltet schon dem Wortsinne nach, etwas sichtbar zu machen beziehungsweise auszudrücken.250 Auch das BVerfG hat mit der Lüth-Rechtsprechung deutlich gemacht, dass die Äußerung als solche (Werkbereich) vom Schutzbereich umfasst ist.251 Die Meinungsäußerung ist danach kommunikatives Element und setzt eine Verbreitung voraus, da nur so Reaktionen verursacht werden und Austausch (Wirkbereich) ermöglicht wird.252 Das Verbreiten als Teil des sachlichen Schutzbereiches geht darüber hinaus schon aus dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG hervor.253 Nicht als Äußerung einer Meinung gilt hingegen, was der Einzelne im Rahmen eines Tagebucheintrags verfasst oder anlässlich eines Selbstgespräches äußert, da gerade nicht die Öffentlichkeit Ziel solcher Äußerungen ist.254 Auch insofern ist die Meinungsfreiheit für den Selbstbestimmungsprozess des Volkes unerlässlich: Kann eine Meinung nicht geäußert werden, bleibt eine Wirkung – etwa in Form der Meinungsbildung anderer oder gar der Handlungsmotivation anderer – aus. Das Volk kann in der Folge keine politischen Mehrheitsentscheidungen treffen, da die nur durch Debatten erreichbare Verständigung und Einigung unmöglich bleibt. Dieser verfassungsrechtlich umfassend abgesicherte Meinungsbildungsprozess ist zudem Voraussetzung für freie Wahlen (u. a. Art. 38 GG), da eine 249  Vgl. zur Unterscheidung zwischen Werk- und Wirkbereich nicht nur bei der Kunstfreiheit, sondern auch der Meinungsfreiheit oben, Abschnitt C.II.2.a). 250  Vgl. die Bedeutungsübersicht (Nr. 2) für „Äußerung, die“ im Duden: „sichtbares Zeichen, Ausdruck“. Abrufbar unter zuletzt besucht am 20.09.18. 251  BVerfGE 7, 198 (208) = BVerfG, Urt. v. 15.1.1958  – 1 BvR 400 / 57, NJW 1958, 257 (258). Zu beachten ist aber, dass das BVerfG entgegen der hier vertretenen Ansicht eine Unterscheidung zwischen Werk- und Wirkbereich für nicht zielführend hält. 252  Vgl. dazu auch Hoffmann-Riem, Kommunikationsfreiheiten, 1.  Aufl. 2002, S. 92 Rn. 32: „Meinungsbildung als Bezugspunkt der Kommunikation ist ein tendenziell auf Breitenwirkung angelegter Prozess, der auch insoweit geschützt ist, als der Kommunikationsinhalt sich von dem Äußernden abgelöst hat.“ 253  Vgl. ebd.: „zu verbreiten“. 254  Vgl. dazu BVerfGE 80, 367 (373) = BVerfG, Beschl. v. 14.9.1989 – 2 BvR 1062 / 87, NJW 1990, 563 (563): Hier (Tagebuchaufzeichnungen) ist nicht etwa die Meinungsfreiheit betroffen, sondern vielmehr der Kernbereich einer Persönlichkeit als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gem. Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, a. a. O. Vgl. auch, mit Bezug auf das Selbstgespräch: BGHSt 57, 71 (74 f.) = BGH, Urt. v. 22.12.2011  – 2 StR 509 / 10, NJW 2012, 945 (945 / 946). Dazu auch Grabenwarter, in: Maunz / Dürig, GG, 83. EL 2018, Art. 5 Rn. 81.



IV. Ergebnis65

Wahl ohne zuvor geschehene freie Meinungsbildung zur „Makulatur“ gerät.255 Der Selbstbestimmungsprozess des Volkes ist nicht mit der Meinungsbildung und -äußerung beendet, sondern findet vielmehr erst durch Wahlen Verwirklichung, indem der bürgerliche Wille in die staatliche Willensbildung übergeht (sog. „Demokratierealisierungsfunktion“).256 Mit den Wahlen wird staatliches Handeln auf den bürgerlichen Willen rückführbar gemacht – es wird mithin eine demokratische Legitimationskette geschaffen.257 Eine ähnlich gewichtige Rolle spielt die Meinungsfreiheit für das Mehrparteiensystem – ebenfalls Bestandteil der fdG –, da dieses institutionalisiertes „Sinnbild“ des Meinungspluralismus ist; ohne Freiheit der Meinungen also undenkbar. Parteien selbst sind gleichfalls auf einen freien und demokratischen Entscheidungs- und Willensbildungsprozess angewiesen.258 Als Freiheitsrecht bildet die Meinungsfreiheit überdies die Grundlage für die vom BVerfG genannte „Freiheit und Gleichheit“. Insoweit ist die Meinungsfreiheit „schlechthin konstituierend“. Mit Blick auf andere Wesenselemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nimmt sich die Meinungsfreiheit eher als ein mittelbar kon­ stituierendes Element aus. Der „Ausschluß jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft“ als übergeordnetes Wesensmerkmal wird unter anderem durch die Kontrolle (demokratisch legitimierter Macht) erreicht; dazu dienen verfassungsrechtliche Institutionen wie die Gewaltenteilung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte etc. Die Meinungsfreiheit hat für diese Institutionen keine unmittelbar „einrichtende“ oder konstituierende Wirkung, gewährleistet durch die Möglichkeit der Machtkritik – also etwa dem Aufzeigen von Machtmissbrauch – aber den Erhalt und die Durchsetzung der Institutionen. Da die Meinungsfreiheit an dieser Stelle lediglich eine Sicherungsfunktion hat, kann allenfalls von einer mittelbaren Konstituierung gesprochen werden und auch das nur, um (in überspitzter Form) die Bedeutung dieser Freiheit zu betonen.

IV. Ergebnis Wichtiger Entwicklungsinkubator der Meinungsfreiheit war der technische Fortschritt der Kommunikationsmöglichkeiten, beginnend mit der Erfindung 255  Ähnlich Mannewitz, in: Mannewitz, Die Demokratie und ihre Defekte, 2018, S. 289. 256  Vgl. Klein, in: Maunz / Dürig, GG, 83. EL 2018, Art. 38 Rn. 67. Zitat a. a. O. 257  Ähnlich Klein, in: Maunz / Dürig, GG, 83. EL 2018, Art. 38 Rn. 67. 258  Ähnlich Denninger, in: Benda / Maihofer / Vogel, Handbuch d. Verfassungsrechts, 1983, S. 1308.

66

C. Verfassungsgeschichtliche und -rechtliche Grundlagen

des Buchdrucks. Zu bedenken ist insoweit, dass eine (Weiter-)Entwicklung der Bedeutungsdimensionen auch heute noch denkbar ist, zumal der technische Fortschritt der Kommunikationsmöglichkeiten mit dem Internet geradezu unüberschaubar ist. Die Entwicklung der Meinungsfreiheit ist zudem eng verknüpft mit dem Entstehen des Bürgertums und damit verbunden auch der größeren Zugänglichmachung von (u. a. universitärer) Bildung. Für die Rechtsentwicklung bis hin zur grundgesetzlichen Konzeption der Meinungsfreiheit ist vor allem die Französische Deklaration als wichtiger (kontinentaleuropäischer) Wegpunkt zu nennen, der die Idee von einer Meinungsfreiheit als nicht disponiblem Menschenrecht prägte. Mit der (zumindest theoretischen) Entwicklung eines modernen Demokratieverständnisses seit der französischen Revolution entwickelte sich darüber hinaus das überindividuelle Bedeutungsspektrum der Meinungsfreiheit – ursprünglich in Form eines radikal-liberalen Marktmodells etwa nach Vorstellung Mills. Die folgenden Jahrhunderte Entwicklungsgeschichte waren geprägt von wechselhaften Zäsuren einerseits für und andererseits gegen die Meinungsfreiheit: Die Karlsbader Beschlüsse von 1819 etwa stellten einen rechtlichen Tiefpunkt der Freiheitsgewährleistung dar, begründeten andererseits aber auch den verstärkten Wunsch nach Meinungsfreiheit vor allem innerhalb des Bürgertums und wechselten sich in der Folge mit dem Zensurverbot nach der deutschen Revolution von 1848 / 1849 als Beschleuniger der Freiheitsentwicklung ab. Diese wechselhafte Entwicklung setzte sich fort mit dem freiheitsbegrenzenden Sozialistengesetz von 1878; mit der WRV hingegen wurde die Meinungsfreiheit ausdrücklich als Grundrecht positiviert. Einschneidendste und schrecklichste Zäsur in der Entwicklung der Meinungsfreiheit war die Unterdrückung aller politischer Freiheiten im NS-Herrschaftssystem – sie ist zugleich antithetischer Bezugspunkt der Meinungsfreiheit grundgesetzlicher Prägung. Ferner wurden für die weitere Arbeit begriffliche und dogmatische Grundlagen sowie Besonderheiten zur Meinungsfreiheit dargestellt: Eine Meinungsäußerung ist danach zu erkennen, wenn der sich Äußernde eine Stellungnahme, mithin eine subjektive Beziehung zum Aussageinhalt aufweist. Eine solche Äußerung ist nicht in den Kategorien „wahr“ und „unwahr“ qualifizierbar und von grundsätzlich nicht geschützten Tatsachenbehauptungen abzugrenzen. Dogmatische Besonderheiten der Meinungsfreiheit finden sich auf Schrankenebene in den Anforderungen an die Allgemeinheit eines eingreifenden Gesetzes, die mit der Kombinationslösung erläutert wurden. Zu beachten ist bei Eingriffen in die Meinungsfreiheit ferner die durch die Wechselwirkungslehre verkomplizierte Abwägungssituation auf Sinn-, Norm­ auslegungs- und Normanwendungsebene. Weitere dogmatische, wenn auch



IV. Ergebnis67

äußerst unbestimmte Besonderheit ist der durch das BVerfG etablierte eingriffsfreie Bereich der Meinungsfreiheit, der in einer rein geistig bleibenden Sphäre der Stellungnahme liegen soll. Der grundgesetzliche Entwurf der Meinungsfreiheit findet seine ideengeschichtlichen Wurzeln einerseits im liberalen Entwicklungsstrang seit der französischen Revolution und andererseits als bewusste Entgegensetzung zur NS-Herrschaft. Das heutige Bedeutungsspektrum der Meinungsfreiheit ist deshalb historisch herleitbar, sowohl mit Blick auf die individuelle als auch auf die überindividuelle Komponente des Freiheitsrechtes. Beide Bedeutungsdimensionen finden sich in der Ideengeschichte seit der französischen Revolution und beide sind als Antithese zur politischen Freiheitsgewährleistung des NS-Systems zu verstehen. Die Meinungsfreiheit dient einerseits als Abwehrrecht gegen die öffent­ liche Gewalt zum Schutz der freien Persönlichkeitsentwicklung und -entfaltung; dabei handelt es sich um die individuelle Bedeutungsdimension. Auf überindividueller Ebene kommt der Meinungsfreiheit für die fdG Konstituierungsfunktion zu, indem sie politische Teilhabe gewährleistet ebenso wie sie Willensbildung und politische Gestaltung sichert. Sie stellt sich als Grundstein demokratischer Prozesse dar und hat dadurch Sicherungsfunktion für die demokratische Legitimation öffentlicher Gewalt. Auch dabei handelt es sich um eine Antithese zur Freiheitssituation im NS-Staat, in dem zur Durchsetzung nationalsozialistischer Ideologie politisch nicht genehme Teilhabe unterdrückt und verfolgte wurde – mithin jeder Pluralismus zu verhindern gesucht wurde. Neben der Grundrechtskonzeption als Antithese finden sich für beide Bedeutungsdimensionen darüber hinaus ideengeschichtliche Anknüpfungspunkte seit der französischen Revolution. Die Meinungsfreiheit grundgesetzlicher Konzeption kann aufgrund dieser wichtigen historischen Bezugspunkte nur dann vollumfänglich verstanden werden, wenn sie im Kontext ihrer Entstehungsgeschichte betrachtet wird.

D. Meinungsäußerungsverbote zum Schutz der fdG Das fragliche Paradoxon ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Verfassungs- und Strafrecht, konkret: Solchen Strafverboten, die zum Schutz der fdG in die Meinungsfreiheit eingreifen, die – wie oben bereits konstatiert – selbst auch dem Schutz der fdG dient. Um diesen Konflikt zu verdeutlichen, werden im Folgenden Strafnormen als fdG-schützende Meinungsäußerungsdelikte „identifiziert“. Dass Äußerungsdelikte nicht zwingend auch die Meinungsfreiheit einschränken, hat bereits Dieter Grimm mit Blick auf Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG zutreffend festgestellt: „Schutzgut des Grundrechts ist […] nicht die Äußerung schlechthin, sondern die Meinungsäußerung.“1 Grimm macht deutlich, dass nicht jedes Äußerungsdelikt einen Eingriff in die Meinungsfreiheit darstellt. Die Untersuchung wird deshalb ermöglichen, bloße Äußerungen von solchen abzugrenzen, die als Meinungsäußerung grundrechtlich geschützt sind. Im Folgenden werden besonders exponierte Meinungsäußerungsverbote dazu exemplarisch untersucht. Darstellungsrelevant sind dabei der Schutzzweck der Norm sowie der Eingriff in die Meinungsfreiheit durch das Verbot.

I. Vorüberlegungen: Grundrechtseingriffe Ein Grundrechtseingriff im engeren Sinne liegt vor, wenn „ein rechtsförmiger Vorgang […], der unmittelbar und gezielt (final) durch ein vom Staat verfügtes, erforderlichenfalls zwangsweise durchzusetzendes Geoder Verbot, also imperativ, zu einer Verkürzung grundrechtlicher Freiheiten führt.“2 Ein unmittelbarer Eingriff in die Meinungsfreiheit liegt danach immer dann vor, wenn durch ein gesetzliches Verbot Meinungsäußerungen untersagt werden.3 Eines weitergehenden oder anderen Verständnisses vom 1  Grimm,

NJW 1995, 1697 (1698). 105, 279 (300) = BVerfG, Beschl. v. 26.6.2002  – 1 BvR 670 / 91, NJW 2002, 2626 (2628); vgl. dazu auch Jestaedt, in: Merten / Papier, Handbuch d. Grundrechte IV: Einzelgrundrechte I, 2011, § 102 Rn. 48; Hufen, Staatsrecht II, 4. Aufl. 2014, S. 416 Rn. 15. 3  Vgl. allgemeiner zu Eingriffen in die Meinungsfreiheit: BVerfGE 7, 198 (206 ff.) = BVerfG, Urt. v. 15.1.1958  – 1 BvR 400 / 57, NJW 1958, 257 (258). Noch allgemeiner lässt sich die Funktion des Eingriffes damit beschreiben, dass er alle 2  BVerfGE



II. Zur Auswahl und praktischen Relevanz der Strafnormen69

Eingriffsbegriff bedarf es für die vorliegende Arbeit nicht, da Eingriffe in die Meinungsfreiheit durch das StGB, also durch gesetzliche Verbote, untersucht werden.

II. Zur Auswahl und praktischen Relevanz der Strafnormen 1. Auswahl der Strafnormen Zunächst ist die Auswahl der Strafnormen kurz zu begründen: Untersucht werden vorliegend die §§ 83, 86, 86a sowie 90a StGB. Dabei handelt es sich nach verbreiteter Auffassung um sogenannte Staatsschutzdelikte.4 Auch in den Kreis dieser Deliktsgruppe fallen Strafnormen wie etwa die §§ 80a, 90, 90b StGB.5 Im Fokus der vorliegenden Arbeit stehen nur solche Normen, die (auch) Meinungsäußerungen unter Strafe stellen. Mit diesem Kriterium ist allerdings noch keine Begründung dafür gegeben, warum insbesondere Verbote wie die der §§ 80a, 90, 90b StGB nicht von der Analyse erfasst sind. Der Untersuchungsausschluss ergibt sich erst mit Blick auf das Schutzgut dieser Normen: Untersucht werden solche Normen, die die fdG schützen. § 80a StGB etwa schützt nicht die fdG, sondern dient – wie auch § 80 StGB a. F. – insbesondere dem Schutz der (äußeren) Sicherheit der Bundesrepu­ blik.6 Daneben ist als Schutzzweck der „Völkerfriede“ anerkannt.7 § 80a StGB eignet sich damit nicht für die vorliegende Exemplifizierung. Umstritten sind die Schutzgüter der §§ 90 bis 90b StGB; insbesondere die Frage zum Schutz einer Art „Staatsehre“ steht dabei im Mittelpunkt.8 Aus Gründen Minderungen oder Verkürzungen grundrechtlich gewährleisteter Freiheiten erfasst, vgl. Peine, in: Merten / Papier, Handbuch d. Grundrechte III: Allgemeine Lehren II, 2009, § 57 Rn. 13. 4  PKS 2016, S. 135. Vgl. n.a. auch Hefendehl, in: Hoyer, FS Schroeder, 2006, S. 453 (455). Ausführlicher dazu unter Fn. 280. 5  PKS 2016, S. 135: „Staatsschutzdelikte gem. §§ 80–83, 84–86a, 87–91, 94– 100a, 102–104a, 105–108e, 109–109h, 129a–b, 234a und 241a StGB […].“ Hefendehl, in: Hoyer, FS Schroeder, 2006, S. 453 (455). 6  Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder StGB, 29. Aufl. 2014, § 80a Rn. 2; Laufhütte / Kuschel, in: LK StGB (Bd. 4), 12. Aufl. 2007, § 80a Rn. 1. 7  Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder StGB, 29. Aufl. 2014, § 80a Rn. 2; Laufhütte / Kuschel, in: LK StGB (Bd. 4), 12. Aufl. 2007, § 80a Rn. 1; Klug, in: FS Jescheck Teil 1, 1985, S. 595. 8  Vgl. zur Begriffsverwendung z.  B. BGHSt 11, 11 (12) = BGH, Urt. v. 2.10.1957 – 3 StR 28 / 57, NJW 1957, 1727 (1727): „Das Erste Strafänderungsgesetz hat den Ehrenschutz des Staates, seiner Organe und Symbole in den §§ 95 ff. StGB bewußt durch drei selbständige Strafbestimmungen geregelt […].“ (a. a. O.) Auch in der Literatur wird dieser Streit rezipiert. Vgl. dazu die umfassende Streitdarstellung in Last, Die Staatsverunglimpfungsdelikte, 2000, S. 53–62.

70

D. Meinungsäußerungsverbote zum Schutz der fdG

der Übersichtlichkeit wird vorliegend nur § 90a StGB behandelt, wobei die Untersuchungsergebnisse teilweise auf die §§ 90, 90b StGB übertragbar sein dürften. Wesentliche Unterschiede zu § 90a StGB ergeben sich nur insoweit, dass die §§ 90, 90b StGB (auch) persönliche Ehre schützen – insofern wird von „qualifizierte[n] Beleidigungsdelikte[n]“ gesprochen.9 Die Auswahl der §§ 83, 86, 86a und 90a StGB zur beispielhaften Darstellung der Meinungsäußerungsdelikte als Instrumente der wehrhaften Demokratie begründet sich damit einerseits mit dem gemeinsamen Schutzgut „fdG“, andererseits mit als Meinungsäußerungen „identifizierbaren“ Tathandlungen. Untersuchungsergebnisse der vorliegenden Arbeit zu diesen Normen sind mit Einschränkungen auf ähnlich gelagerte Strafverbote übertragbar. 2. Praktische Relevanz der ausgewählten Strafnormen Es stellt sich ferner die Frage nach der praktischen Relevanz der ausgewählten Strafnormen – mithin, ob die Strafverbote Eingang in das tägliche politische Leben finden oder von eher theoretischer Bedeutung sind. Statistische Grundlage für diese Analyse ist die Strafverfolgungsstatistik (SVS), also die statistische Erhebung aller Ab- und Verurteilungen.10 Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) erhebt die hier relevanten „Staatsschutz­ delikte“11 nicht.12 Auch die Staatsanwaltschaftsstatistik gibt mangels Bezugs z. B. Last, Die Staatsverunglimpfungsdelikte, 2000, S. 53. Zitat a. a. O. dazu die Begriffsbestimmung in Statistisches Bundesamt, SVS 2015, S. 13: „Abgeurteilte sind Angeklagte […]. Ihre Zahl setzt sich zusammen aus den Verurteilten und aus Personen, gegen die andere Entscheidungen (u. a. Einstellung, Freispruch) getroffen wurden.“ Eine weitergehende Differenzierung soll hier nicht erfolgen, da auch Freisprüche das Kommunikationsverhalten durch den (repressiven) Eindruck der Strafverfolgung beeinträchtigen können (Chilling Effect). 11  Normen der vorliegend untersuchten Art werden häufig als sogenannte „Staatsschutzdelikte“ bezeichnet oder mitunter auch dem „politischen Strafrecht“ zugeordnet. Weder die Kategorisierung in Staatsschutzdelikte noch als politisches Strafrecht soll vorliegend erfolgen, da diese Einordnungen für sich genommen äußerst unscharf und umstritten sind und deshalb keinen systematisierenden Beitrag leisten können. Vgl. zum Begriff der Staatsschutzdelikte und des politischen Strafrechts n. a. Hefendehl, in: Hoyer, FS Schroeder, 2006, S. 453 und auch die kritische Analyse bei Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, 2005, S. 254 ff. 12  „Staatsschutzdelikte“ in diesem Sinne sind die §§ 80–83, 84–86a, 87–91, 94– 100a, 102–104a, 105–108e, 109–109h, 129a–b, 234a und 241a StGB, vgl. dazu den Bericht vom Bundeskriminalamt, PKS 2016, S. 135. Die §§ 83, 86, 86a sowie 90a StGB werden als sog. Staatsschutzdelikte deshalb – ohne dass es sich dabei um eine aufschlussreiche Erklärung handeln würde – nicht in der PKS, sondern in der als Verschlusssache nicht zugänglichen PKS-S gelistet. Allerdings ist die ohnehin begrenzte Aussagekraft der PKS zu beachten, die sich etwa aus der „Tendenz zur strafrechtlichen Überbewertung“ (Münster, in: Göppinger, Kriminologie, 6. Aufl. 2008, 9  So

10  Vgl.



II. Zur Auswahl und praktischen Relevanz der Strafnormen71

zu den strafvollzugsbegründenden Normen keinen Aufschluss über die praktische Relevanz.13 Die SVS weist für § 83 StGB nur geringe praktische Relevanz aus.14 § 86 StGB zeichnet sich mit Aburteilungszahlen im unteren vierstelligen Bereich hingegen durch nicht zu vernachlässigende praktische Relevanz aus, wobei mitunter deutliche Schwankungen zu verzeichnen sind.15 Die Statistik ergibt für § 86a StGB ein ähnliches Bild.16 Für § 90a StGB kann in Anbetracht von Aburteilungszahlen im ein- bis niedrigen zweistelligen Bereich von einer geringen praktischen Relevanz ausgegangen werden.17 Die Aussagekraft der Analyse ist allerdings in bedenklicher Weise dadurch begrenzt, dass es keinen öffentlichen Zugang zur PKS-S für diese Normen gibt. Anzunehmen ist, dass bereits die Eröffnung von Ermittlungsverfahren einschüchternde Wirkung – einen Chilling Effect18 beziehungsweise Abschreckungseffekt – hat oder haben kann, sodass sich betroffene Personen in ihrem Kommunikationsverhalten anpassen, verändern oder beschränken. Denkbar ist in diesem Zusammenhang, dass für die relevanten Normen die Zahl der Ermittlungsverfahren deutlich höher ausfällt als die Aburteilungs§ 23 Rn. 31) ergibt. Vgl. auch die umfassende Kritik (etwa: schwierige Anwendungsrichtlinien und daraus resultierende Falscherfassungen, politische u. strategische Einflussnahmen) von Neubacher, Kriminologie, 2. Aufl. 2014, S. 53 Rn. 11 – S. 57 Rn. 19 und Albrecht, Kriminologie, 4. Aufl. 2010, S. 175 f. Selbst das BKA stellt fest: „Die PKS bietet […] kein getreues Spiegelbild der Kriminalitätswirklichkeit, sondern eine […] mehr oder weniger starke Annäherung an die Realität.“, in: Bundeskriminalamt, PKS 2014, S. 2. 13  Zum Wesen der Strafvollzugsstatistik: Neubacher, Kriminologie, 2. Aufl. 2014, S. 58 Rn. 22 / 23; Münster, in: Göppinger, Kriminologie, 6. Aufl. 2008, § 23 Rn. 53. 14  Auf § 83 StGB zugeschnittene Werte enthält die SVS nicht, da die §§ 81 bis 83 StGB zusammengefasst sind. 15  Vgl. die Jahre 2004 – 2006 auf der einen und die Jahre 2007 – 2009 auf der anderen Seite. 16  Das Dunkelfeld könnte jedoch erheblich höher liegen, wie etwa Kett-Straub bereits mit einem Blick auf die „Häufigkeit von Hakenkreuz-Schmierereien im Stadtbild“ ausmacht, Kett-Straub, NStZ 2011, 601 (602). Zitat a. a. O. Vgl. auch die Mutmaßungen von Steinmetz, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 86a Rn. 3. 17  Dass die praktische Relevanz der Norm aber vor allem auch eine Frage des politischen Willens ist, zeigen folgende Analysen: Vgl. dazu die Falldarstellungen bei Cobler, in: Kienzle / Mende, Zensur in der BRD, 1980, S. 80 (84 ff.) und Krutzki, KJ 1980, 294 (304 ff.). Diese zeigen, dass vor allem in der frühen Bundesrepublik sowie zur Zeit des RAF-Terrors § 90a StGB im politischen Leben als politisches Mittel einige Signifikanz hatte. Auch Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 90a Rn. 4 macht deutlich, dass die praktische Relevanz des Verbots abhängt vom „Maß, in dem die offizielle Justiz-Politik sich bemüßigt fühlt, für die Symbolik ‚Flagge zu zeigen‘.“ (Zitat a. a. O.). 18  Vgl. dazu die Ausführungen im Abschnitt G.IV.1.

72

D. Meinungsäußerungsverbote zum Schutz der fdG

zahlen.19 Ein diesbezügliches Missverhältnis könnte Missstände etwa der rechtsstaatlichen Anforderungen an das Strafrecht indizieren.20 Die Aburteilungszahlen der SVS stellen sich für den Zeitraum von 2004 bis 2016 im Detail wie folgt dar: § 83 StGB – Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens21 Jahr 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016

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§ 86 StGB – Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen Jahr 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016

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517

603

702

1405 1450 1356 1275 1036 1046 1085 1073 1163 1296 14007

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491

571

659

1349 1367 1292 1207

971

1007 1028 1017 1106 1244 13309

19  So auch mit Blick auf § 90a StGB Vormbaum, GA 2016, 609 (618). Vgl. auch Deiters, in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 291 (319, Fn. 108), der für die §§ 84, 85, 87–90b StGB im Jahre 1999 ein erstaunliches Missverhältnis zwischen eingeleiteten Ermittlungsverfahren und Verurteilungen ausmacht. S. auch Roggemann, JZ 1992, 934 (936), der für die §§ 90a, 90b StGB ein signifikantes Missverhältnis zwischen staatsanwaltschaftlichen und strafgerichtlichen Verurteilungsbestrebungen erkannt hat. 20  Dies gilt, da die relevanten Tathandlungen insb. im politisch-extremistischen Bereich auftreten und in den Bereich der Vorfeldkriminalisierung fallen. Denkbar ist z. B., dass (ergebnislose) Ermittlungen in missbräuchlicher Weise dazu eröffnet werden, strafprozessuale Befugnisse für die polizeiliche Arbeit zu erweitern beziehungsweise überhaupt erst zu eröffnen. Ähnlich ist Krutzki, KJ 1980, 294 (314) zu verstehen, der eine „besondere juristische Gefährlichkeit des § 90a StGB […] in der Befugnis der Polizei [sieht], aufgrund bloßer – meist recht vager – Verdachtsmomente Meinungsäußerungen unterdrücken zu dürfen […].“ Vgl. auch Jakobs, ZStW 1985, 751 (752) dazu, dass Vorfeldkriminalisierungen v. a. im Bereich sog. Staatsschutzdelikte den Zweck haben, „der Polizei zur dafür günstigsten Zeit einen Zugriff zu ermöglichen“ und „die Grenzen des zur Prävention Erlaubten um das zur Repression Erlaubte“ zu erweitern (Zitate a. a. O.). Zum prozeduralen Nutzen d. § 86 StGB und auch des § 83 StGB Hinweise bei Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 86 Rn. 9, § 83 Rn. 2. Außerdem zu den rechtsstaatlichen Problemen v. Vorfeldkriminalisierungen Brunhöber, in: Puschke / Singelnstein, Der Staat und die Sicherheitsgesellschaft, 2018, S. 209 und auch Čopić, Grundgesetz und politisches Strafrecht neuer Art, 1967, S. 11 ff. Vgl. ferner zu den Gefahren des Präventivstrafrechts am Bsp. des sog. Terrorismusstrafrechts Weißer, JZ 2008, 388 (393 ff.). 21  Die Zahlen beziehen sich auf die §§ 81 bis 83 StGB.



III. § 83 Abs. 1 StGB73 § 86a StGB – Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen Jahr 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016

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840

786

962

1155 1233 1168 1051

989

947

942

926

1005 1191 13195

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807

754

916

1098 1173 1104 1008

952

904

893

883

943

1118 12553

§ 90a StGB – Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole Jahr 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016

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III. § 83 Abs. 1 StGB – Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens in der Variante „Agitation“ (Verfassungshochverrat) Die historisch weit zurückreichende22 Norm stellt die Vorbereitung eines (hochverräterischen) Unternehmensdeliktes unter Strafe.23 Die Vorbereitungshandlung des § 83 StGB zielt auf den Hochverrat gegen den Bund (§ 81 StGB) oder gegen ein Land (§ 82 StGB) ab. Für beide Hochverratsvarianten gilt das Tatmittel „mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt“ (jeweils in den Absätzen 1 der Normen). § 81 Abs. 1 Nr. 2 StGB regelt den sogenannten Verfassungshochverrat. Ein solcher liegt vor, wenn die verfassungsmäßige Ordnung (vorliegend relevant bei Übereinstimmung mit den Grundsätzen der fdG24) angegriffen wird. § 82 Abs. 1 Nr. 2 StGB regelt ebenfalls den Verfassungshochverrat. Dazu gilt, bei Übertragung auf die Landesverfassungen, das zu § 81 Abs. 1 Nr. 2 StGB Gesagte.25 Sowohl § 81 als auch § 82 StGB sind Unternehmensdelikte. Das „Unternehmen“ einer Tat umfasst gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 6 StGB sowohl den Ver22  Vgl. zur Geschichte des Landesverrats schon in der Weimarer Republik Gusy, GA 1992, 195. 23  Lampe / Hegmann, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 83 Rn. 1; v. Heintschel-Heinegg, in: BeckOK StGB, 39. Edition 2018, § 83 Rn. 3. Vgl. zum Unternehmensdelikt des Hochverrats auch bereits die Ausführungen zu § 81 RStGB bei Huther, ZStW 1898, 751 (754 ff.). 24  Vgl. dazu vor allem oben unter Abschnitt C.III. Vgl. ferner v. HeintschelHeinegg, in: BeckOK StGB, 39. Edition 2018, § 81 Rn. 7 ff.; Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder StGB, 29. Aufl. 2014, § 83 Rn. 7 ff.; Kühl, in: Lackner / Kühl StGB, 29. Aufl. 2018, § 81 Rn. 3; Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 81 Rn. 12 f. 25  Vgl. auch Lampe / Hegmann, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 82 Rn. 5.

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D. Meinungsäußerungsverbote zum Schutz der fdG

such als auch die Vollendung einer Tat. Die Vorbereitung ist also dem Versuch im Sinne der §§ 22 ff. StGB noch vorgelagert, sodass § 83 StGB weit im Vorfeld eigentlich strafbaren Verhaltens angesiedelt ist.26 Die Strafnorm ist dem Präventivstrafrecht zuzuordnen; sie soll hochverräterische Unternehmen schon im Anfangsstadium verhindern.27 Die Norm stellt also die „Vorbereitung der Vorbereitung“28 unter Strafe.29, 30 Relevant für die Untersuchung ist § 83 StGB in der Variante der Vorbereitung des Verfassungshochverrates, vgl. § 83 Abs. 1 i. V. m. § 81 Abs. 1 Nr. 2 StGB. 1. Schutzgut Geschützt wird, wie auch durch die §§ 81 und 82 StGB, jeweils der Bestand des Bundes und seiner Länder (sogenannter Bestands- oder Gebietshochverrat31) als auch jeweils die verfassungsmäßige Ordnung (sogenannter Verfassungshochverrat32).33 Für die Untersuchung könnte das Schutzgut „verfassungsmäßige Ordnung“ des Bundes über die Verweisung in § 83 Abs. 1 StGB zu § 81 Abs. 1 Nr. 2 StGB relevant sein. Fraglich ist, ob dieses Schutzgut gleichgesetzt werden kann mit der fdG, die Ausgangs- und Mittelpunkt dieser Untersuchung ist.34 26  Vgl. dazu die Kritik von Zöller, in: SK-StGB, 8. Aufl. (148. Lfg.) 2014, § 83 Rn. 1 und auch Hennke, ZStW 1954, 390 (391 f.) mit der Anmerkung, dass „das Versuchs- und Vorbereitungsstrafrecht in die Gefahr [kommt], ein Gesinnungsstrafrecht zu werden […].“ (a. a. O.). 27  Zöller, in: SK-StGB, 8. Aufl. (148. Lfg.) 2014, § 83 Rn. 1. Vgl. auch Lampe /  Hegmann, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 83 Rn. 1. 28  Lampe / Hegmann, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 83 Rn. 1. 29  Vgl. zu sich daraus ergebenden Problemen vor allem aus rechtspolitischer Sicht auch Deiters, in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, 291 (302 ff.). 30  Denkbar ist außerdem (zumindest theoretisch) – § 83 Abs. 1 StGB ist ein Verbrechenstatbestand im Sinne des § 12 Abs. 1 StGB – ein strafbarer Versuch gem. § 83 StGB in Verbindung mit § 23 Abs. 1 StGB, was zur kuriosen Konstellation der versuchten Vorbereitung eines Versuchs führen könnte, mithin eine Vor-Vor-Vorfeldkriminalisierung. Vgl. zum Streit darüber, ob ein strafbarer Versuch gem. § 83 StGB möglich ist: Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 83 Rn. 19 ff. Siehe auch Deiters, in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 301. Klar ablehnend: Hennke, ZStW 1954, 390 (398). 31  Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder StGB, 29. Aufl. 2014, § 83 Rn. 1. 32  Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder StGB, 29. Aufl. 2014, § 83 Rn. 1. 33  Dazu auch v. Heintschel-Heinegg, in: BeckOK StGB, 39. Edition 2018, § 83 Rn. 4; Zöller, in: SK-StGB, 8. Aufl. (148. Lfg.) 2014, § 83 Rn. 2. Vgl. ferner zu den Schutzzwecken der Strafnormen zum Hochverrat Lampe / Hegmann, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, Vor § 81 Rn. 8. Zur Frage, in welchem Verhältnis diese Schutzgüter zueinander stehen Becker, BLJ 2012, 113 (114 f.).



III. § 83 Abs. 1 StGB75

Beide Begriffe sind dem Staatsrecht entlehnt. Allerdings ist (vor allem in der (Strafrechts-)Literatur) unklar, ob diese Begriffe synonym zueinander verwendet werden können oder aber die Bedeutungsgehalte so unterschiedlich sind, dass sie nebeneinander stehen. Nur bei synonymer oder teil-synonymer35 Verwendung lässt sich § 83 StGB für die weitere Untersuchung (exemplarisch) heranziehen. Erste Gemeinsamkeit beider Rechtsbegriffe ist jedenfalls ihre Unbestimmtheit – beide Begriffe lassen großen Interpretations­ spielraum.36 Die verfassungsmäßige Ordnung wird ausdrücklich an verschiedenen Stellen des Grundgesetzes genannt, so etwa in Art. 2 Abs. 1, Art. 9 Abs. 2, Art. 18 sowie Art. 20 Abs. 3 GG. In der Verfassungsliteratur herrscht jedoch kein einheitliches Begriffsverständnis – vielmehr wird innerhalb des GG der Begriff je nach Standort bestimmt.37 Dabei lässt sich die Begriffsverwendung unterscheiden zwischen den Kategorien „extensive Bedeutung“, „restriktive Bedeutung“ sowie „gemäßigte Bedeutung“.38 Wird der Begriff extensiv verwendet, beinhaltet die verfassungsmäßige Ordnung alle formell und materiell verfassungsgemäßen Rechtsnormen (bspw. in Art. 2 Abs. 1 GG).39 Res­ triktiv bezieht sich der Begriff auf die wesentlichen Prinzipien des Grundgesetzes (bspw. in Art. 9 Abs. 2 GG).40 Nach „gemäßigter“ Bedeutung werden mit dem Begriff alle Normen des Grundgesetzes bezeichnet (bspw. Art. 20 Abs. 3 GG).41 Die verfassungsmäßige Ordnung könnte entsprechend diesen Kategorien dann wie die fdG zu verstehen sein, wenn der Begriff restriktiv verwendet wird. Ein unmittelbarer, konkreter verfassungsrechtlicher Anknüp34  Vgl.

zum Begriff der fdG Abschnitt C.III.1. oben unter Abschnitt C.III.2.: Die Frage für die vorliegende Untersuchung ist nämlich, welche Bestandteile der fdG überhaupt von der Meinungsfreiheit (mit-) konstituiert werden. Nur auf diese Bestandteile kommt es bei der hier fraglichen sy­ nonymen Begriffsverwendung an. 36  Vgl. zur Rolle dieser unpräzisen Formulierungen in der Arbeit der „Staatsschutzbehörden“ die kritischen Anmerkungen von Denninger, in: Denninger, fdGO Bd. II, Materialien, 1977, S. 764. 37  Vgl. dazu etwa Di Fabio, in: Maunz / Dürig, GG, 83. EL 2018, Art. 2 Rn. 39; Grzeszick, in: Maunz / Dürig, GG, 83. EL 2018, Art. 20 Rn. 30; Scholz, in: Maunz / Dürig, GG, 83. EL 2018, Art. 20a Rn. 50. 38  Scholz, in: Maunz / Dürig, GG, 83. EL 2018, Art. 20a Rn. 50. 39  So BVerfGE 6, 32 (37 f.) = BVerfG, Urt. v. 16.1.1957 – 1 BvR 253 56, NJW 1957, 297 (298): verfassungsmäßige Ordnung i. S. d. Art. 2 GG als Gesamtheit aller formell und materiell verfassungsgemäßen Normen. 40  BVerfGE 6, 32 (38) = BVerfG, Urt. v. 16.1.1957 – 1 BvR 253 56, NJW 1957, 297 (298): Das Gericht bestimmt die verfassungsmäßige Ordnung i. S. d. Art. 9 GG als „gewisse elementare Grundsätze der Verfassung“. 41  BVerfGE 6, 32 (38) = BVerfG, Urt. v. 16.1.1957 – 1 BvR 253 56, NJW 1957, 297: Insofern spricht das Gericht von der „Verfassung schlechthin“ (a. a. O., 297). 35  Dazu

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D. Meinungsäußerungsverbote zum Schutz der fdG

fungspunkt für § 83 StGB findet sich aber nicht, weshalb das Verfassungsverständnis für die Schutzgutuntersuchung aufgrund der sehr unterschiedlichen Definitionen nicht weiterhelfen kann. Nach einer vor allem in der Literatur vertretenen Ansicht stimmt die „verfassungsmäßige Ordnung“ nicht mit der fdG überein.42 Laufhütte und Kuschel nehmen an, dass mit § 81 StGB (und damit folglich auch mit § 83 StGB) die vom GG entworfene Staatsordnung institutionell und personell geschützt wird und ferner auch solche Verfassungsgrundsätze, die „für den demokratischen Rechtsstaat wesensimmanent sind“43. Damit würde einerseits einer uferlosen Strafbarkeit nach § 83 StGB entgegengewirkt und andererseits der „Umsturz durch Verfassungsaushöhlung“ verhindert.44 Ähnlich geht Paeffgen davon aus, dass § 81 StGB die „normative Verfassungsordnung“ (also die konkrete, auf dem GG beruhende Staatsordnung) schützt.45 In der Konsequenz wäre die „institutionell und personell konkretisierte Verfassungsordnung der BRD“ zu schützen.46 Sternberg-Lieben versteht das Schutzgut als „die konkrete Ausgestaltung, die die Grundsätze einer freiheitlichen Demokratie im GG gefunden haben“ und damit als die institutionellen und personellen Ausgestaltungen des Grundgesetzes.47 Geschützte institutionelle Ausprägungen der verfassungsmäßigen Ordnung sind danach etwa die „Gewaltentrennung“, die „Achtung vor den Grundrechten“, die „Unabhängigkeit der Gerichte“, die „Gesetzmäßigkeit der Verwaltung“, die „Rechtsgleichheit“, das „Mehrparteiensystem“, die „Wahl der Legislative“ etc.48 Nicht dazu gehören sollen Sternberg-Lieben zufolge aber etwa „noch nicht ratifizierte völkerrechtliche Verträge“.49 In eine ähnliche Richtung gehen die Ausführungen von Heintschel-Heinegg, der unter den Begriff der verfassungsmäßigen Ordnung mehr fassen will, als in § 92 Abs. 2 StGB bereits gelistet ist.50 Zur verfassungsmäßigen Ordnung gehören danach die freie, gleiche und geheime Wahl von Staatsgewalt oder 42  Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 81 Rn. 5, 11; Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder StGB, 29. Aufl. 2014, § 81 Rn. 7 f.; Laufhütte / Kuschel, in: LK StGB (Bd. 4), 12. Aufl. 2007, § 81 Rn. 11. 43  Laufhütte / Kuschel, in: LK StGB (Bd. 4), 12. Aufl. 2007, § 81 Rn. 11. 44  Laufhütte / Kuschel, in: LK StGB (Bd. 4), 12. Aufl. 2007, § 81 Rn. 11. Zitat a. a. O. 45  Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 81 Rn. 5. 46  Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 81 Rn. 11. Zitat a. a. O. 47  Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder StGB, 29. Aufl. 2014, § 81 Rn. 11. Zitat a. a. O. Rn.  7. 48  Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder StGB, 29. Aufl. 2014, § 81 Rn. 8. 49  Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder StGB, 29. Aufl. 2014, § 81 Rn. 8. 50  Heintschel-Heinegg, in: BeckOK StGB, 35. Edition 2017, § 81 Rn. 9.



III. § 83 Abs. 1 StGB77

zum Beispiel „das Recht auf die Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition“.51 Ferner finden sich weitreichende Überschneidungen mit den Aufzählungen von Sternberg-Lieben. In Anbetracht der Aufzählungen sowohl von Sternberg-Lieben als auch Heintschel-Heinegg verschwimmen etwaige Unterschiede zur fdG jedoch; eine klare Abgrenzung lässt sich so nicht vornehmen. Diese schwierige Abgrenzung und darauf basierend die dargestellten Ansichten in der Literatur werden kritisiert von Lampe und Hegmann: Diesen Autoren zufolge führt eine Gegenüberstellung der einzelnen Bedeutungsinhalte nicht weiter.52 Schon zu Beginn der Bundesrepublik hätte die Literatur diese Begriffe in ihrem Bedeutungsgehalt nicht unterschieden.53 Auch würde im Verfassungsrecht kein Unterschied zwischen der verfassungsgemäßen Ordnung im Sinne von Art. 20 GG und der fdG gemacht.54 Zu beachten sei bei alldem, dass das Schutzgutsverständnis nicht dazu führen dürfe, dass mit der Norm etwa „politische Programmsätze, Ideologien und rein abstrakte Prinzipien“ geschützt werden.55 Für die vorliegende Untersuchung ist von einer teilweisen Synonymie der Begriffe auszugehen. Für diese (teil-)synonyme Begriffsverwendung sprechen folgende Gründe: Zunächst ist den Autoren Lampe und Hegmann zuzugeben, dass in Anbetracht der sehr geringen Schärfe beider Begriffe eine Unterscheidung ohnehin nur schwer möglich ist.56 Trotzdem ist zu beachten, dass schon der Bestimmtheitsgrundsatz gemäß Art. 103 Abs. 2 GG ein klares Begriffsverständnis gebietet. Dies gilt umso mehr, als dass die „verfassungsmäßige Ordnung“ über die Verweisung in § 83 StGB auf § 81 StGB auf tatbestandlicher Ebene eine Rolle spielt. Zwar werden die Schwierigkeiten bereits bei einem Blick auf die verfassungsrechtlichen Definitionsansätze deutlich; der Begriff „verfassungsmäßige Ordnung“ wird nämlich innerhalb des Verfassungsrechts mit verschiedenen Bedeutungen belegt, je nach gesetzlichem Standort und Verwendung.57 Trotzdem muss für die strafrechtliche Betrachtung zumindest ein gewisses Bestimmtheitserfordernis erfüllt werden, um den Anforderungen 51  Heintschel-Heinegg,

in: BeckOK StGB, 35. Edition 2017, § 81 Rn. 9. in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 81 Rn. 18. 53  Lampe / Hegmann, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 81 Rn. 18; so ist wohl auch Becker, BLJ 2012, 113 (114 f.) zu verstehen (114), der grds. zum sog. „Staatsschutzstrafrecht“ ausführt: „Das bedeutendste Rechtsgut im Staatsschutzstrafrecht muss die verfassungsmäßige Ordnung, der Sache nach also die freiheitlich demokratische Grundordnung sein.“ 54  Lampe / Hegmann, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 81 Rn. 18. 55  Lampe / Hegmann, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 81 Rn. 24. Zitat a. a. O. 56  Lampe / Hegmann, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 81 Rn. 18. 57  Vgl. nur Scholz, in: Maunz / Dürig, GG, 83.  EL 2018, Art. 20a Rn. 50, der bereits drei Begriffsbedeutungen ausmacht. 52  Lampe / Hegmann,

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D. Meinungsäußerungsverbote zum Schutz der fdG

aus Art. 103 Abs. 2 GG gerecht werden zu können. Das Urteil „synonyme Verwendung nicht möglich“ bedarf deshalb einer Begriffsgegenüberstellung. In einer Zusammenschau mit der Untersuchung im Abschnitt C.III.1. zeigt sich, dass die Kernabweichungen der Begriffe selbst nach der herrschenden Auffassung zum Begriff „verfassungsmäßige Ordnung“ marginal sind.58 Auch die herrschende Auffassung sieht neben dem institutionellen und personellen Schutz Verfassungsgrundsätze vom Begriff der verfassungsmäßigen Ordnung erfasst; Abweichungen hierbei wie etwa die Erfassung von Föderalismus als Verfassungsgrundsatz sind für die vorliegende Untersuchung ohne Relevanz. Wie in Abschnitt C.III.2. festgestellt, sind für die unmittelbare Konstituierungswirkung der Meinungsfreiheit Verfassungsgrundsätze wie „Selbstbestimmung des Volkes nach Mehrheitswillen“, Existenz eines Mehrparteien­ systems sowie die „Freiheit und Gleichheit“ bedeutsam. Die mittelbar konstituierende Wirkung der Meinungsfreiheit ist vielfältig denkbar, kommt in der Regel aber eher einer Sicherungsfunktion gleich. Eine inhaltliche Gegenüberstellung zeigt in den kritischen Punkten also hinreichende Übereinstimmungen, um hier eine (teil-)synonyme Begriffsverwendung zu begründen. Für das Analysemodell „Meinungsäußerungsverbote zum Schutze der fdG“ kann die Norm deshalb exemplarisch herangezogen werden. 2. Eingriff in die Meinungsfreiheit durch das Verbot der „Agitation“ bzw. „Propaganda“ In Anbetracht der offenen Formulierung der Strafnorm sind vielfältige Vorbereitungshandlungen denkbar.59 Allerdings haben sich in der Kommentarliteratur verschiedene Fallgruppen herausgebildet.60 Nach allgemeiner Auffassung gehört dazu auch die „Agitation in Wort, Schrift, Bild“61 beziehungsweise – wie andere Kommentatoren diese Vorbereitungshandlung ausdrücken – die wörtliche, schriftliche oder bildliche „politische Propagan­da“62.63 auch Stuby, in: Römer, Der Kampf um das Grundgesetz, 1977, S. 119. in: LK StGB (Bd. 4), 12. Aufl. 2007, § 83 Rn. 8, vgl. auch Lampe / Hegmann, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 83 Rn. 5. Vgl. zu den Vorbereitungshandlungen auch Hennke, ZStW 1954, 390 mit Blick auf § 81 StGB a. F. (Vorgängernorm des § 83 StGB in der heutigen Fassung, vgl. dazu auch BGBl. I 1951 vom 31.08.1951, S. 739 zur Gesetzesfassung von 1951 bis 1968), insbesondere S.  392 ff. 60  Vgl. diese Fallgruppen etwa bei v. Heintschel-Heinegg, in: BeckOK StGB, 39. Edition 2018, § 83 Rn. 8.1; Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 83 Rn. 12; Laufhütte / Kuschel, in: LK StGB (Bd. 4), 12. Aufl. 2007, § 83 Rn. 8. 61  Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 83 Rn. 12. 62  v. Heintschel-Heinegg, in: BeckOK StGB, 39. Edition 2018, § 83 Rn. 8.1; vgl. auch: Kühl, in: Lackner / Kühl StGB, 29. Aufl. 2018, § 83 Rn. 3; Zöller, in: SK-StGB, 58  Ähnlich

59  Laufhütte / Kuschel,



III. § 83 Abs. 1 StGB79

Nach Auffassung etwa von Laufhütte und Kuschel soll es für die Strafbarkeit keine Rolle spielen, ob bereits mit dieser Propaganda zur Gewalt aufgerufen werden soll.64 Andere Fallgruppen, beispielsweise das „Beschaffen oder Bereitstellen von Waffen“ oder „organisatorische Vorbereitungen“ sind für die vorliegende Untersuchung ohne weitere Bedeutung, da diese Verbote evident nicht in die Meinungsfreiheit eingreifen können.65 Umstritten ist, ob die Vorbereitungshandlung eine konkrete Gefahr darstellen muss oder ob ihr sonst abverlangt werden kann, einen bestimmten Schweregrad erreicht zu haben. Relevant ist die Unterscheidung in der vorliegenden Untersuchung deshalb, weil je nach Gefährdungsgrad sich die Eingriffsqualität in die Meinungsfreiheit ändern kann: Ist eine konkrete Gefahr Tatbestandsvoraussetzung, wäre womöglich abzulehnen, dass die Agitation noch geistig vermittelt und damit überhaupt vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit erfasst ist.66 Nach Auffassung von v. Heintschel-Heinegg und anderen muss die Vorbereitungshandlung zwar keine konkrete Gefahr darstellen, doch muss ihr eine „gewisse Gefährlichkeit“67 beziehungsweise „objektive Gefährlichkeit“68 in dem Sinne innewohnen, dass sich die Vorbereitungshandlung zur Verwirklichung von entweder § 81 StGB (Verweisung über § 83 Abs. 1 StGB) oder § 82 StGB (Verweisung über § 83 Abs. 2 StGB) zumindest eignet.69 Mit Blick auf die hier relevante Fallgruppe – das agitatorische Vorbereitungshandeln – 8. Aufl. (148. Lfg.) 2014, § 83 Rn. 10; Laufhütte / Kuschel, in: LK StGB (Bd. 4), 12. Aufl. 2007, § 83 Rn. 8. 63  Zurückhaltender allerdings Lampe / Hegmann, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 83 Rn. 5, die lediglich vom „Einsatz von Kommunikationsmitteln aller Art“ sprechen, aber auf Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 2013, § 83 Rn. 12 und andere verweisen. Vgl. auch Hennke, ZStW 1954, 390 (395), der dazu schreibt: „Daß auch geistige Einwirkungen Vorbereitungshandlungen enthalten können, erscheint selbstverständlich.“ (a. a. O.). Zurückhaltender Fischer StGB, 64. Aufl. 2017, § 83 Rn. 3, der lediglich darauf verweist, dass die „öffentliche Aufforderung zum Hochverrat […] oder zum Sturz der Regierung“ (a. a. O.) nicht genügt. Kritisch zur tatbestandl. Erfassung von Äußerungen Schroeder, Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht, 1970, S. 322. 64  Laufhütte / Kuschel, in: LK StGB (Bd. 4), 12. Aufl. 2007, § 83 Rn. 8. 65  Die zitierten Fallgruppen finden sich m. w. N. bei: von Heintschel-Heinegg, in: BeckOK StGB, 39. Edition 2018, § 83 Rn. 8.1. 66  Vgl. zur Schutzbedürftigkeit und -würdigkeit nicht geistig vermittelter Äußerungen Abschnitt D.VII.1. 67  So die Wortwahl von v. Heintschel-Heinegg, in: BeckOK StGB, 39. Edition 2018, § 83 Rn. 9. 68  So die Wortwahl von Kühl, in: Lackner / Kühl StGB, 29. Aufl. 2018, § 83 Rn. 3. 69  Trotz abweichender Wortwahl in der Sache übereinstimmend: v. HeintschelHeinegg, in: BeckOK StGB, 39. Edition 2018, § 83 Rn. 9; Fischer StGB, 64. Aufl. 2017, § 80a Rn. 3. In der Tendenz wohl auch Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann /  Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 83 Rn. 13 f.

80

D. Meinungsäußerungsverbote zum Schutz der fdG

müsste nach dieser Auffassung beispielsweise Folgendes gelten: Der bloße Kauf der für die Agitation nötigen Mittel (Computer, Notizblock etc.) trägt nicht die für die Strafbarkeit erforderliche Gefährlichkeit, während das Verfassen agitatorischer Texte mittels Computer oder Notizblock bereits eine „gewisse Gefährlichkeit“ aufweist. Nach anderer Auffassung von Lampe und Hegmann ist zur Abgrenzung nicht strafbarer Vorbereitungshandlungen auf die Erheblichkeit dieser Handlungen abzustellen.70 Es bedarf danach für das hochverräterische Unternehmen spezifischer Vorbereitungshandlungen in gewisser zeitlicher oder sachlicher Nähe zum Unternehmen, wie etwa das Verfassen hochverräterischer Schriften, nicht aber das Kaufen des dafür erforderlichen Computers oder Notizblockes.71 Im Ergebnis kann diese Frage damit offen bleiben, da die Auffassungen einerseits regelmäßig zu gleichen Ergebnissen führen werden und andererseits für die hier untersuchte Grundrechts­ relevanz ubiquitäre Handlungen wie das Kaufen eines Computers unbedeutend sind. Erst das stellungnehmende Äußerungsverhalten kann vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit erfasst werden. Da die Vorbereitungshandlungen auch bloße Äußerungen oder Verbreitungen von Schriften und Bildern sein können, ist die Handlung der Ausdrucksform nach vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit erfasst.72 Ferner verlangt die Strafnorm dem Täter auch ein Element der Stellungnahme ab. Zunächst muss die Vorbereitungshandlung auf ein bestimmtes Unternehmen gerichtet sein. Der Täter muss danach ein in seinen Umrissen festliegendes Unternehmen fördern, während die Verbreitung abstrakter umstürzlerischer Gedanken nicht ausreicht.73 Die Umrisse liegen dann fest, wenn der Täter beispielsweise eine grobe zeitliche, örtliche sowie modale Vorstellung vom Unternehmen hat.74 Die Konkretheit stellt sich zwar nicht als konstituierend für eine Meinungsäußerung dar, doch muss das Unternehmen hochverräterisch im Sinne der §§ 81, 82 StGB sein. Der Täter muss also die darin bezeichneten Elemente (Gebietshoheit, verfassungsmäßige Ordnung etc.) ablehnen. Aus welchen Gründen der Täter diese Ablehnung zum Ausdruck bringt – etwa 70  Lampe / Hegmann, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 83 Rn. 5; so auch Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder StGB, 29. Aufl. 2014, § 83 Rn. 8. 71  So Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder StGB, 29. Aufl. 2014, § 83 Rn. 8 mit dem Beispiel eines Schreibmaschinenkaufs. 72  Vgl. zu den geschützten Ausdrucksformen der Meinungsfreiheit Abschnitt D. VII.1. 73  Vgl. dazu auch Lampe / Hegmann, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 83 Rn. 4; Fischer StGB, 64. Aufl. 2017, § 80a Rn. 2; Zöller, in: SK-StGB, 8. Aufl. (148. Lfg.) 2014, § 83 Rn. 5. Zur Bestimmtheit des Unternehmens auch Hennke, ZStW 1954, 390 (392 ff.). 74  Lampe / Hegmann, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 83 Rn. 4; Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder StGB, 29. Aufl. 2014, § 83 Rn. 2.



IV. § 86 StGB81

aus religiösen oder politischen Gründen – bleibt freilich offen. Die Agitation enthält damit im Grunde zwei stellungnehmende Elemente: Zum einen eine Stellungnahme gegen den Bestand der Bundesrepublik etc. und zum anderen für das hochverräterische Unternehmen. Die Vorbereitungshandlung der Agitation im Sinne des § 83 StGB weist somit alle konstituierenden Elemente einer Meinungsäußerung auf. Festzustellen ist daher: Ein Eingriff in die Meinungsfreiheit durch § 83 StGB kann vorliegen, sofern die Fallgruppe der Agitation beziehungsweise politischen Propaganda betroffen ist. § 83 StGB stellt zumindest in der von der Literatur herausgearbeiteten Fallgruppe „Agitation“ einen Eingriff in die Meinungsfreiheit dar. Da es sich bei dem Verbot in den anderen dargestellten Fallgruppen nicht um einen Eingriff in die Meinungsfreiheit handelt, kann von einem „unspezifischen“ Meinungsäußerungsdelikt gesprochen werden.

IV. § 86 StGB – Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen Bei § 86 StGB handelt es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, da hier lediglich ein Verhalten von grundsätzlicher Gefährlichkeit unter Strafe gestellt wird und nicht die konkrete Gefährdung eines Schutzguts.75 Gemeinsam mit § 86a StGB wird § 86 StGB „zu den äußersten Vorposten des Vorfeldschutzes“76 gezählt. Darüber hinaus wurde § 86 StGB vom Bundes­ gerichtshof als sogenanntes „mittelbares Organisationsdelikt“ eingestuft.77 Diese Einschätzung ergibt sich daraus, dass die Strafnorm Propaganda verfassungsfeindlicher Organisationen verbietet, womit die Tathandlung des Einzelnen einer solchen Organisation (mittelbar) zugute kommt.78 75  Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 86 Rn. 2; Steinmetz, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 86 Rn. 2; Gercke, in: Spindler / Schuster StGB, 2015, § 86 Rn. 1; Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder StGB, 29. Aufl. 2014, § 86 Rn. 1; Laufhütte / Kuschel, in: LK StGB (Bd. 4), 12. Aufl. 2007, § 86 Rn. 1; Stegbauer, Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, 2000, S. 47. Vgl. zum Wesen der abstrakten Gefährdungsdelikte m. w. N. Zieschang, Die Gefährdungsdelikte, 1998, S. 22 und folgendes Zitat auf S. 25: „In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß in der Strafrechtswissenschaft inzwischen zutreffend herausgearbeitet worden ist, daß man zwischen der Gefährlichkeit der Handlung und der Gefahr, in der sich ein Gut befindet, zu unterscheiden hat […].“ (Hervorhebungen wurden nicht vom Autor hinzugefügt.). 76  Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 86a Rn. 4. 77  BGHSt 23, 64 (70) = BGH, Urt. v. 23.7.1969  – 3 StR 326 / 68, NJW 1969, 1970 (1972). A. A. etwa bei Stegbauer, Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, 2000, S. 46 f. 78  Vgl. dazu (m. w. N.) auch ähnlich Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 86 Rn. 2 und Ellbogen, in: BeckOK StGB, 39. Edition 2018,

82

D. Meinungsäußerungsverbote zum Schutz der fdG

Das Strafverbot steht in einer Reihe mit Vorgängernormen, die überwiegend ideologisch motiviert waren – zum Beispiel das Sozialistengesetz vom 21.10.1878.79 Das Sozialistengesetz diente der weitreichenden Unterminierung sozialdemokratischer Bestrebungen und richtete sich damit gegen eine bestimmte Meinung als solche.80 Unter dem Eindruck dieser Geschichte stellt sich einleitend die Frage, welche Grundrechtsrelevanz das Verbot nach Konzeption des GG hat. 1. Schutzgut Die Konkretisierung des Begriffs „Propagandamittel“ in § 86 Abs. 2 StGB macht deutlich, dass die Strafbarkeit in Abs. 1 zum Schutz der „freiheitlich demokratische[n] Grundordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung“ gedacht ist.81 2. Eingriff in die Meinungsfreiheit Ein Eingriff in die Meinungsfreiheit ist gegeben, wenn gemäß § 86 StGB von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützte Inhalte und geschütztes Verhalten verboten sind. Der BGH und auch Teile der Literatur haben ohne weitergehende Differenzierung den Schutzbereich für das Tatverhalten als eröffnet betrachtet.82 Folgend soll jedoch im Detail untersucht werden, inwieweit die Meinungsfreiheit durch das Verbot eingeschränkt wird. Strafbar macht sich gemäß § 86 Abs. 1 StGB, wer Propagandamittel der in den Nr. 1 bis 4 bezeichneten Organisationen „im Inland verbreitet oder zur Verbreitung im Inland oder Ausland herstellt, vorrätig hält, einführt oder § 86 vor Rn. 1. Beachte, dass solche Delikte Verbote von verfassungswidrigen Organisationen durchsetzen bzw. erhalten und deshalb eine Nähe zu Ausformungen der wehrhaften Demokratie aufweisen, also insbesondere Art. 21 Abs. 2 GG, Art. 9 Abs. 2 GG: nach Dewitz, NS-Gedankengut und Strafrecht, 2006, S. 224 (unten) bis 227. 79  Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 86 Rn. 1. 80  Vgl. zur Geschichte des Sozialistengesetzes: Rühl, Tatsachen – Interpretationen – Wertungen, 1998, S. 27 bis 28. 81  Übereinstimmend zum Schutzgut in § 86 StGB: Steinmetz, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 86 Rn. 1; Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 86 Rn. 2; Ellbogen, in: BeckOK StGB, 39. Edition 2018, § 86 Rn. 1; Trips-Hebert, RuP 2013, 216 (217); Stegbauer, Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, 2000, S. 39. 82  BGHSt 23, 64 (70) = BGH, Urt. v. 23.7.1969  – 3 StR 326 / 68, NJW 1969, 1970 (1972). Vgl. exemplarisch für die Literatur: Stern, in: Stern Staatsrecht, Band  IV / 1: Grundrechte, 2006, S. 1452, der § 86 StGB als allgemeines Gesetz einordnet; Stegbauer, Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, 2000, S. 41.



IV. § 86 StGB83

ausführt oder in Datenspeichern öffentlich zugänglich macht“. Zunächst ist zu klären, ob der von § 86 Abs. 1 StGB verbotene Inhalt, nämlich Propaganda für die genannten Organisationen, vom sachlichen Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst ist. Anschließend ist zu fragen, ob die verbotenen Ausdrucksformen vom Schutzbereich erfasst sind. Aus § 86 Abs. 2 Hs. 2 StGB ergibt sich, dass Propaganda im Sinne der Norm sich inhaltlich „gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung“ richtet.83 Der Begriff der fdG wurde in Auslegung des Art. 21 Abs. 2 GG vom BVerfG näher bestimmt.84 Dieser Begriff wurde zu großen Teilen in der Begriffsbestimmung des § 92 Abs. 2 StGB wiedergegeben.85 Zur Begriffsbestimmung in § 92 StGB kommen jedoch nach der Rechtsprechung des Gerichts folgende, nicht abschließende Merkmale hinzu: „die Achtung vor den im GG konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung“ sowie „die Chancengleichheit für alle politischen Par­ teien“86. Des Weiteren liegt gemäß § 86 Abs. 2 StGB Propaganda auch dann vor, wenn sich ihr Inhalt gegen Gedanken der Völkerverständigung richtet. Auch dieser Begriff hat verfassungsrechtliche Wurzeln, namentlich in Art. 9 Abs. 2 GG. Darunter fallen sowohl Angriffe auf grundlegende Übereinkünfte der internationalen Gemeinschaft ebenso wie Angriffe auf einzelne Normen des Völkerrechts.87 Verkürzt ausgedrückt lässt sich der Inhalt solcher Propaganda auch als völkerrechtswidrig oder kriegsverherrlichend verstehen.88 Diese Mittel müssen nach Ansicht des BGH, in Anlehnung an die Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 21 Abs. 2 GG, „eine ‚aktiv kämpferische, aggressive Tendenz‘ gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung erkennen lassen.“89

83  § 86

Abs. 2 Hs. 2 StGB. 2, 1 (12 f.) = BVerfG, Urt. v. 23.10.1952  – 1 BvB 1 / 51, NJW 1952, 1407 (1408). Der Begriff findet sich auch an anderer Stelle des GG, nämlich Art. 18 GG. 85  Kühl, in: Lackner / Kühl StGB, 29. Aufl. 2018, § 86 Rn. 2; anderer Ansicht, nämlich, dass die Begriffsbestimmung in § 92 Abs. 2 StGB über den Begriff der fdG hinausgeht: Steinmetz, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 92 Rn. 7. Lediglich mit Blick auf die Unmittelbarkeit der Wahl hat Steinmetz recht. 86  Beide Zitate aus: BVerfGE 2, 1 (13) = BVerfG, Urt. v. 23.10.1952 – 1 BvB 1 / 51, NJW 1952, 1407 (1408). Dazu auch: Dewitz, NS-Gedankengut und Strafrecht, 2006, S. 224. 87  Scholz, in: Maunz / Dürig, GG, 83. EL 2018, Art. 9 Rn. 131. 88  Kühl, in: Lackner / Kühl StGB, 29. Aufl. 2018, § 86 Rn. 3. 89  BGHSt 23, 64 (72) = BGH, Urt. v. 23.7.1969  – 3 StR 326 / 68, NJW 1969, 1970 (1972), m. w. N. auf die Rspr. des BverfG a. a. O. 84  BVerfGE

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D. Meinungsäußerungsverbote zum Schutz der fdG

Wird die tatbestandliche Propaganda also vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit erfasst? Zunächst ist festzustellen, dass der Propaganda eine Wertung innewohnt, nämlich die Ablehnung der fdG oder der Völkerverständigung und die Befürwortung anderer, entgegengesetzter Staatsformen oder völkerrechtlicher Konzeptionen. Das Element der Stellungnahme ist ein wesentliches Merkmal der Meinung, sodass auch Propaganda im genannten Sinne vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG erfasst ist.90 Grundsätzlich sind nämlich auch Meinungen geschützt, die den Wertungen des Grundgesetzes widersprechen.91 Es ist für die Schutzbereichseröffnung unerheblich, ob die politische Ordnung kritisiert oder gar abgelehnt wird.92 Der Grundrechtsträger wird nicht zur Werteloyalität durch das Grundgesetz gezwungen.93 Der Propaganda selbst ist damit eine Wertung inhärent, die ein erstes konstituierendes Merkmal einer Meinungsäußerung darstellt. Ein bloßer Inhalt jedoch bedarf keines Schutzes durch die Meinungsfreiheit, solange er nicht sichtbar wird.94 Folglich sind zusätzlich die tatbestandlichen Ausdrucks- und Verhaltensweisen – sozusagen die „Entäußerung“ der tatbestandlichen Wertungen – zu untersuchen: Gemäß § 86 Abs. 2 StGB sind Propagandamittel Schriften sowie diesen gleichgestellte Darstellungen im Sinne des § 11 Abs. 3 StGB, die sich gegen die fdG oder die Gedanken der Völkerverständigung richten.95 Schriften selbst sind als „Gedankenäußerung[en] durch Buchstaben, Bilder oder Zeichen […] zu verstehen, die zur Vervielfältigung oder anderweitigen Verbreitung bestimmt sind.“96 Die Verweisung auf § 11 Abs. 3 StGB zeigt ferner, dass den Schriften „Ton- und Bildträger, Datenspeicher, Abbildungen und andere Darstellungen“ gleichstehen. Vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst ist gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG sowohl die Äußerung in 90  BVerfGE 124, 300 (320) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08, NJW 2010, 47 (48). Vgl. dazu auch die Erarbeitung im Abschnitt C.II.2. 91  BVerfGE 124, 300 (320 f.) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08, NJW 2010, 47 (49). 92  Grimm, NJW 1995, 1697 (1698) mit weiterem Verweis auf BVerfGE 61, 1 = BVerfG, Beschl. v. 22.6.1982 – 1 BvR 1376 / 79, NJW 1983, 1415. 93  BVerfG, Beschl. v. 24.3.2001 – 1 BvQ 13 / 01, NJW 2001, 2069 (2070). 94  Handelt es sich nur um Gedanken einer Person, die nicht entäußert werden, ist ein staatlicher Zugriff mangels Sichtbarkeit nicht möglich. Der Schutz durch die Meinungsfreiheit ist an dieser Stelle nicht erforderlich. 95  Zutreffend ist, dass „Darstellungen“ der Oberbegriff im Sinne des § 11 Abs. 3 StGB ist, wie sich bereits aus dem Wortlaut von § 11 Abs. 3 StGB ergibt: „und andere Darstellungen“. „Schriften“ sind damit nur eine Fallgruppe solcher in § 11 Abs. 3 StGB aufgezählten „Darstellungen“. So auch statt vieler: Radtke, in: MüKo StGB (Bd. 1), 3. Aufl. 2017, § 11 Rn. 168 ff. 96  BGHSt 13, 375 (376) = BGH, Urt. v. 22.12.1959  – 3 StR 52 / 59, NJW 1960, 492 (492).



IV. § 86 StGB85

Wort, Schrift als auch Bild. Die Form der Propagandamittel fällt demnach in den sachlichen Schutzbereich der Meinungsfreiheit.97 Zu klären bleibt, ob und wie durch die verschriftlichte Propaganda im Sinne des § 86 StGB die Geisteshaltung des sich Äußernden deutlich werden muss. Der Begriff der Verbreitung im Sinne des § 86 StGB ist in der Literatur zwar in seinen Einzelheiten umstritten,98 weitgehende Einigkeit besteht aber darüber, dass das Verbreiten die Zugänglichmachung zu einem für den Täter nicht mehr kontrollierbaren Personenkreis erfordert.99 Die übrigen Tathandlungen sind der Verbreitung noch vorgelagert, aber stets in Verbindung mit dem Fernziel der Verbreitung zu verstehen.100 Die Verbreitung selbst muss unter dem Aspekt des Zugänglichmachens gesehen werden. Bei § 86 StGB handelt es sich damit nicht um ein persönliches Äußerungsdelikt – ein Zu-eigen-Machen der Propaganda ist nicht erforderlich – sondern um ein Verbreitungsdelikt. Dass der Täter sich den Inhalt aber nicht zu eigen machen muss, also keine Solidarisierung oder Identifizierung mit dem Inhalt erkennbar werden muss, bedeutet nicht, dass es sich bei nach § 86 StGB verbreiteter Propaganda nicht um eine Meinungsäußerung handeln kann. Für die Schutzbereichseröffnung nach Art. 5 Abs. 1 GG ist nicht erforderlich, dass der Täter auch tatsächlich von der verbreiteten Meinung überzeugt ist.101 Der sich Äußernde muss zwar eine „subjektive Beziehung […] zum Inhalt seiner Aussage“ aufweisen.102 Dies kann allerdings schon dann angenommen werden, „wenn es an einer eigenen und ernsthaften Distanzierung fehlt“ und „die Äußerung eines Dritten in den eigenen Gedankengang so eingefügt wird, dass dadurch die eigene Aussage unterstrichen werden soll.“103 Regelmäßig wird es bei einer Verbreitung (oder bei Vorliegen einer der anderen Tathandlungen) an einer entsprechenden 97  Vgl. auch die weiteren Ausführungen zu den geschützten Ausdrucksformen der Meinungsfreiheit im Abschnitt D.VII.1. 98  Siehe nur die Ausführungen von Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 86 Rn. 25 bis 32. 99  Steinmetz, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 86 Rn. 26. 100  Vgl. dazu etwa Steinmetz, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 86 Rn. 26 ff. 101  Hoffmann-Riem, Kommunikationsfreiheiten, 1. Aufl. 2002, S. 90 Rn. 29. 102  BVerfGE 124, 300 (320) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08, NJW 2010, 47 (48). Vgl. dazu auch Epping, Grundrechte, 6. Aufl. 2015, S. 103 f. Rn. 213; Bethge, in: Sachs GG, 7. Aufl. 2014, Art. 5 Rn. 25; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG (Bd. 1), 3. Aufl. 2013, Art. 5 I, II Rn. 62; Wendt, in: v. Münch / Kunig GG, 6. Aufl. 2012, Art. 5 Rn. 8; Jestaedt, in: Merten / Papier, Handbuch d. Grundrechte IV: Einzelgrundrechte I, 2011, § 102 Rn. 34; zur Entstehung einer Meinung: Schmidt-Jortzig, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts VII, 3. Aufl. 2009, § 162 Rn. 20. Kritik an diesem Begriff der „echten Meinungsäußerung“ findet sich bei Hochhuth, Die Meinungsfreiheit im System des Grundgesetzes, 2007, etwa S. 14, 344. 103  Beide Zitate im Satz: BVerfG, Beschl. v. 30.9.2003  – 1 BvR 865 / 00, NJW 2004, 590 (591).

86

D. Meinungsäußerungsverbote zum Schutz der fdG

Distanzierung fehlen. In diesen Fällen wäre der Schutzbereich der Meinungsfreiheit eröffnet. In den Fällen, in denen die Propagandamittel verbreitet werden und der Täter sich zugleich vom Inhalt distanziert, wird in der Regel ein Tatbestandsausschluss104 durch die Sozialadäquanzklausel des Absatz 3 einschlägig sein, sodass in diesen Fällen schon gar kein tatbestandsmäßiges Handeln vorliegt.105 Für die Fälle „der staatsbürgerlichen Aufklärung“ und „der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen“ ist die Notwendigkeit einer Distanzierung vom Propagandainhalt offensichtlich, doch gilt auch für die übrigen Zwecke eine vergleichbare Sozialadäquanz, sodass die Distanzierung denklogisch ist. Damit kann festgestellt werden, dass – obwohl es sich bei § 86 StGB nicht um ein persönliches Äußerungsdelikt handelt; ein Zu-eigen-Machen des Aussageinhalts nicht erforderlich ist – in der Regel nur dann tatbestandsmäßiges Verhalten vorliegt, wenn der Täter sich nicht von der Propaganda distanziert. In den Fällen fehlender Distanzierung wird mit der Rechtsprechung des BVerfG regelmäßig eine Meinungsäußerung des Täters anzunehmen sein. Mit dieser Tatbestandsanalyse wird deshalb deutlich, dass der Gesetzgeber mit dieser Norm vor allem das Verbot von tatbestandsmäßigen Meinungsäußerungen anvisiert hat. Der Schutzbereich der Meinungsfreiheit ist (regelmäßig) für das Tatverhalten eröffnet. Durch die Verbote in § 86 Abs. 1 StGB wird also in die Meinungsfreiheit eingegriffen, wie auch der BGH feststellte.106 Der Schutz der fdG wird schon im Tatbestand der Norm deutlich, womit ein propagandistischer Einsatz gegen diese Grundordnung verhindert werden soll. § 86 StGB stellt damit (regelmäßig) ein Meinungsäußerungsdelikt zum Schutz der fdG dar.

V. § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB – Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen Ebenso wie bei § 86 StGB handelt es sich bei § 86a StGB um ein abstraktes Gefährdungsdelikt.107 Darüber hinaus wird § 86a StGB gemeinhin als 104  BGHSt 47, 278 (283) = BGH, Urt. v. 10.4.2002  – 5 StR 485 / 01, NJW 2002, 2115 (2116). 105  Vgl. zur Sozialadäquanzklausel die Ausführungen von Steinmetz, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 86 Rn. 36 ff. 106  BGHSt 23, 64 (70) = BGH, Urt. v. 23.7.1969  – 3 StR 326 / 68, NJW 1969, 1970 (1972); so auch Ellbogen, in: BeckOK StGB, 39. Edition 2018, § 86 Rn. 2. Mit Einschränkungen dazu Reuter, Verbotene Symbole, 2005, S. 270, der das Verwendung und Verbreiten „als potentielle Gefährdungsdelikte“ versteht und lediglich die Vorbereitungshandlungen als abstrakte Gefährdungsdelikte.



V. § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB87

Organisationsdelikt eingeordnet.108 Die nachfolgende Darstellung ist aus Gründen der Übersichtlichkeit im Wesentlichen auf die Tathandlungsvarianten des § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB reduziert. 1. Schutzgut Anders als bei der vorgenannten Norm ergibt sich das Schutzgut von § 86a StGB nicht unmittelbar aus dem Normtext (dort in § 86 Abs. 2 StGB). Ein erster Anhaltspunkt zum Schutzgut der Norm ist seiner systematischen Stellung im dritten Titel des ersten Abschnitts des Strafgesetzbuchs zu entnehmen: „Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates“. Teilweise wird aber abgelehnt, den demokratischen Rechtsstaat in der Konsequenz als Schutzgut zu bezeichnen.109 Schutzzweck der Norm sei vielmehr „eine Wiederbelebung verfassungswidriger Organisationen und der von ihnen verfolgten verfassungsfeindlichen Bestrebungen“ zu verhindern, indem „bereits jeder Anschein vermieden werde[…], in […] Deutschland gebe es eine rechtsstaatswidrige politische Entwicklung in dem Sinne, dass verfassungsfeindliche Bestrebungen […] geduldet würden […].“110 Grund dieser Befürchtungen ist, dass die Gewöhnung des öffentlichen Lebens an solche Kennzeichen dazu führen könnte, dass diese Kennzeichen ohne Gefahr genutzt werden könnten.111 Das Bundesverfassungsgericht spricht sogar von einer „Tabuisierungsfunktion des Gesetzes“112 beziehungsweise von der Errichtung eines „kommunikative[n] Tabu[s]“113.

107  BVerfG, Beschl. v. 23.3.2006  – 1 BvR 204 / 03, NJW 2006, 3052 (3053); vgl. auch Steinmetz, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 86a Rn. 2; Laufhütte / Kuschel, in: LK StGB (Bd. 4), 12. Aufl. 2007, § 86a Rn. 2; Stegbauer, Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, 2000, S. 92. 108  Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 86a Rn. 2; Steinmetz, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 86a Rn. 2; Laufhütte / Kuschel, in: LK StGB (Bd. 4), 12. Aufl. 2007, § 86a Rn. 2; Stegbauer, JR 2002, 182 (184); Stegbauer, Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, 2000, S. 92. 109  So zum Beispiel Reuter, Verbotene Symbole, 2005, S. 78 f., der den „demokratischen Rechtsstaat“ als falsche und ungenaue Begrifflichkeit betracht. 110  Beide Zitate aus: BGHSt 25, 30 (33) = BGH, Urt. v. 18.10.1972 – 3 StR 1 / 71 I, NJW 1973, 106 (106). Vgl. dazu auch Steinmetz, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 86a Rn. 1. 111  Laufhütte / Kuschel, in: LK StGB (Bd. 4), 12. Aufl. 2007, § 86a Rn. 1, 2. 112  BVerfG, Beschl. v. 23.3.2006 – 1 BvR 204 / 03, NJW 2006, 3052 (3053). 113  BVerfG, Beschl. v. 1.6.2006 – 1 BvR 150 / 03, NJW 2006, 3050 (3051).

88

D. Meinungsäußerungsverbote zum Schutz der fdG

Als weiteres Schutzgut der Norm wird von der Rechtsprechung der „politische Frieden“ angenommen.114 Dieses Schutzgut wird insbesondere in der Literatur als „öffentlicher Frieden“ bezeichnet und ist in seiner Bedeutung umstritten.115 Gegenstand dieses Schutzguts ist nach einer Auffassung vor allem die Bewahrung der Reputation des Staates sowohl im In- als auch im Ausland116, während nach anderer Ansicht damit die innerstaatliche politische Beruhigung gemeint ist117, etwa indem die Verbreitung verfassungsfeindlichen Gedankenguts verhindert wird. Richtigerweise hat Stegbauer aber festgestellt, dass die Reputation des Staates nicht als eigenständiges Schutzgut des § 86a StGB gelten kann, da die von der Norm verbotenen Handlungen allerhöchstens mittelbar gegen die Reputation gerichtet sind.118 Vereinzelt wird außerdem vertreten, § 86a StGB schütze, wie auch § 86 StGB, die Gedanken der Völkerverständigung.119 Nach Stegbauer ergibt sich dieses weite Verständnis der Schutzgüter aus einer Anknüpfung an die Art. 21 Abs. 2 und Art. 9 Abs. 2 GG.120 Diese Anknüpfung ergebe sich schon aus der Anlehnung an § 86 StGB.121 Dagegen ist jedoch mit Reuter einzuwenden, dass die bloße Verwendung der im Tatbestand bezeichneten Kennzeichen nicht ausreicht, um die Völkerverständigung zu beeinträchtigen.122 Die Festlegung der Schutzgüter der Norm ist vorliegend nur soweit relevant, wie mit dem Verbot die fdG geschützt wird, da sich aus eben diesem Schutzzweck das fragliche Paradoxon ergibt. Vor allem die systematische Stellung im Abschnitt „Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates“ sowie 114  BGHSt 25, 30 (33) = BGH, Urt. v. 18.10.1972 – 3 StR 1 / 71 I, NJW 1973, 106 (106). So auch später in Bundestagsdrucksachen zum Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes, z. B.: BT-Drucks. 12 / 4825, S. 4. 115  Zustimmend: Kühl, in: Lackner / Kühl StGB, 29. Aufl. 2018, § 86a Rn. 1; wohl auch Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 86a Rn. 2. Sehr kritisch bis ablehnend: Hörnle, NStZ 2007, 698 (698 / 699). Vgl. zum Begriff mit der Aufzählung weiterer Variationen (z. B. sozialer oder innerer Frieden) und m. w. N. Reuter, Verbotene Symbole, 2005, S. 72. 116  So zum Beispiel in BGHSt 25, 30 (33) = BGH, Urt. v. 18.10.1972 – 3 StR 1 / 71 I, NJW 1973, 106 (107). 117  Vgl. dazu Reuter, Verbotene Symbole, 2005, S. 76. 118  Stegbauer, JR 2002, 182 (183). 119  V.a. Stegbauer, JR 2002, 182 (183) und Stegbauer, Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, 2000, S. 87; wohl auch: Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 86a Rn. 2. Vor allem mit Blick auf die Völkerverständigung weitet Paeffgen den Schutzzweck zu sehr aus, insoweit auch eine irreführende Verweisungen auf die Rspr. OLGe Frankfurt und Oldenburg, vgl. m. w. N. a. a. O. Vgl. dazu auch, mit a. A.: Reuter, Verbotene Symbole, 2005, S. 71–72. 120  Stegbauer, JR 2002, 182 (183). 121  Stegbauer, JR 2002, 182 (183). 122  Reuter, Verbotene Symbole, 2005, S. 72.



V. § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB89

die Nähe zu und Bezugnahme auf § 86 StGB lassen jedoch darauf schließen, dass die fdG Schutzgut der Strafnorm ist.123 Etwas anderes ergibt sich auch nicht dadurch, dass neben der Grundordnung Schutzgüter wie der öffentliche Frieden angenommen werden; vorliegend wird isoliert eine Betrachtung nur unter dem Aspekt der fraglichen Grundordnung vorgenommen. 2. Eingriff in die Meinungsfreiheit Neben dem Schutzzweck der Norm ist fraglich, ob durch die Verbote in § 86a StGB überhaupt in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit eingegriffen wird. Die in § 86a Abs. 1 StGB genannten Kennzeichen sind im Abs. 2 der Norm lediglich aufgezählt, nicht aber abschließend legaldefiniert.124 Danach sind Kennzeichen im Sinne des Verbots: „Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen.“ Darüber hinaus gilt gemäß Absatz 2 S. 2 der Norm auch als Kennzeichen, was diesen „zum Verwechseln ähnlich“ ist. Diese müssen außerdem einer der in § 86 Abs. 1 Nr. 1, 2 oder 4 StGB genannten Organisationen zugehören. Erforderlich ist auch, dass das Kennzeichen selbst – nicht ausreichend ist eine bloße Beschreibung des Kennzeichens – durch das Verwenden optisch oder akustisch wahrnehmbar wird.125 Besonders wichtig für die Kennzeicheneigenschaft ist, dass „sich die Vereinigung ein bestimmtes Symbol durch einen Autorisierungsakt […] zu eigen gemacht hat, so dass dieses Symbol zumindest auch als Zeichen der verbotenen Organisation erscheint […].“126 Kennzeichen dienen damit der (von der Organisation zumeist gewollten) symbolhaften Identifikation mit der, oder der Propaganda für die Organisation.127 Es weist in der Regel auf die geistigpolitische, nicht zwingend mitgliedschaftliche Zugehörigkeit zur Organisation hin.128

123  Für das Schutzgut der freiheitlichen demokratischen Grundordnung etwa auch Reuter, Verbotene Symbole, 2005, S. 80 und Stegbauer, Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, 2000, S. 87. 124  Die Beispielhaftigkeit bestätigend auch: BGHSt 52, 364 (371) = BGH, Beschl. v. 1.10.2008 – 3 StR 164 / 08, NJW 2009, 928 (929). 125  Steinmetz, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 86a Rn. 19. 126  BGHSt 52, 364 (372) = BGH, Beschl. v. 1.10.2008  – 3 StR 164 / 08, NJW 2009, 928 (929 / 930). Ein solcher Autorisierungsakt kann aus einer „formale[n] Widmung“ bestehen oder auch aus der „schlichte[n] Übung“, Zitate a. a. O. 127  Steinmetz, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 86a Rn. 5; Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 86a Rn. 7. 128  Steinmetz, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 86a Rn. 5.

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D. Meinungsäußerungsverbote zum Schutz der fdG

Die Kennzeichen im Sinne der Norm erfüllen eine wichtige, nämlich kon­ stituierende Voraussetzung für die Schutzbereichseröffnung der Meinungsfreiheit: Da es sich bei diesen um den Ausdruck einer (geistig-politischen) Identifikation mit der Organisation handelt, liegt eine Stellungnahme in Form des Dafürhaltens vor.129 Sie drückt eine bejahende, befürwortende beziehungsweise unterstützende Beziehung eines „Kennzeichenträgers“ zur Organisation aus. Fraglich ist jedoch, ob die strafbare Verbreitung oder auch Verwendung gemäß § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB eine subjektive Beziehung des Täters zum Aussageinhalt, also zum stellungnehmenden Element, voraussetzt. Denkbar könnte sein, dass etwa die Verwendung auch ein im Sinne der Meinungsfreiheit bekenntnisfreies Handeln beinhaltet, was dann der Fall ist, wenn der Täter sich trotz eigener und ernsthafter Distanzierung vom Aussageinhalt strafbar macht.130 In diesen Fällen wäre mangels subjektiver Beziehung des Täters zum Aussageinhalt eine Schutzbereichseröffnung zu versagen. Die Tathandlungsvariante der Verbreitung ist zu verstehen wie im Sinne des § 86 StGB.131 Für die vorliegende Untersuchung kann deshalb auf die Ergebnisse zu § 86 StGB verwiesen werden.132 Zu klären ist ferner, was unter der Verwendung im Sinne der Norm zu verstehen ist: Unter dem Begriff des Verwendens ist jedes Benutzen oder Gebrauchen zu verstehen, wodurch das Kennzeichen entweder optisch oder akustisch wahrnehmbar wird.133 Unerheblich soll nach Auffassung des Bundesgerichtshofs sein, ob der Täter dem Kennzeichen dadurch „einen neutralen oder positiven Sinne beimesse“, da anderenfalls das Tatbestandsmerkmal zu eng gefasst würde.134 Im Rahmen des § 86a StGB sei damit nicht vom Täter zu verlangen, dass dieser die verfassungswidrigen Kennzeichen „bekenntnishaft“ verwendet.135 Eine bekenntnisfreie Verwendung solcher Kenn129  Zur Stellungnahme als Merkmal der Meinungsäußerung: BVerfGE 124, 300 (320) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009 – 1 BvR 2150 / 08, NJW 2010, 47 (48). 130  Eine Meinung i. S. d. Art. 5 Abs. 1 GG liegt nämlich auch dann vor, wenn die Aussage eines Dritten ohne eigene und ernsthafte Distanzierung weiterverbreitet wird, ohne dass erforderlich ist, dass der sich Äußernde tatsächlich von der Aussage überzeugt ist. Vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 30.9.2003  – 1 BvR 865 / 00, NJW 2004, 590 (591) und auch Hoffmann-Riem, Kommunikationsfreiheiten, 1. Aufl. 2002, S. 90 Rn. 29. 131  So etwa auch Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 86a Rn. 12. 132  Vgl. Abschnitt D.IV.2. 133  BGH, Urt. v. 29.5.1970  – 3 StR 2 / 70 I, NJW 1970, 1693 (1693). Vgl. dazu auch Steinmetz, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 86a Rn. 19; Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 86a Rn. 13. 134  BGH, Urt. v. 29.5.1970 – 3 StR 2 / 70 I, NJW 1970, 1693 (1693). 135  OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 18.3.1998 – 1 Ss 407–97, NStZ 1999, 356 (357).



V. § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB91

zeichen ist etwa denkbar bei Händlern oder Sammlern sogenannter Kriegsbeziehungsweise NS-Devotionalien auf Flohmärkten oder sonstigen dafür einschlägigen Foren, die aus einem ausschließlich historischen oder sammlerischen Interesse handeln.136 Gleiches gilt für das gedankenlose, infantile Schmieren eines Hakenkreuzes durch einen Abiturienten auf von ihm abzugebende Arbeitsblätter etc.137 Tatmodalitäten sind insoweit vielfältig vorstellbar. Um einer ausufernden Weite der Strafbarkeit entgegenzutreten, wird in der Literatur deshalb vereinzelt gefordert, die tatbestandliche Verwendung auf bekenntnishaftes Handeln zu den Organisationszielen (teleologisch) zu reduzieren.138 Der BGH hat jedoch eine andere Lösung zur Eingrenzung der Strafbarkeit geschaffen: Kein tatbestandliches Verwenden soll nach Auffassung der (herrschenden) Rechtsprechung vorliegen, wenn das Kennzeichen „dem Schutzzweck des § 86 a StGB ersichtlich nicht zuwiderläuft“, wobei nicht ausreichen soll, dass der Verwendung „lediglich […] werbender Charakter fehlt“.139 Dieser freihändige Tatbestandsausschluss durch die Rechtsprechung verwundert, da schließlich auch für § 86a StGB über Absatz 3 die Sozialadäquanzklausel des § 86 StGB gilt: mithin ein ganz ähnliches Instrument zur Tatbestandsausschließung.140 Ferner mutet widersprüchlich an, dass das Verwenden keinen inhaltlich positiven oder negativen Bezug, also eine Art Stellungnahme erfordern soll, auf das stellungnehmende Element aber dann abgestellt wird, wenn das Kennzeichen dem Schutzzweck „ersichtlich nicht zuwiderläuft“. Für diese Stellungnahme wird sodann auf tatbestandlicher Ebene ein Strafbarkeitsausschluss konstruiert, der mit der Deliktsstruktur nur schwerlich vereinbar ist, zumal eine Sozialadäquanzklausel als rechtliches Instrument herangezogen werden könnte. Wird wie von Teilen der Literatur eine bekenntnishafte Verwendung vorausgesetzt, wäre mit dem Verbot des § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB stets ein Eingriff in die Meinungsfreiheit gegeben: Nur das entäußerte Dafürhalten zur verfassungswidrigen Organisation ohne eigene und ernsthafte Distanzierung 136  In solchen Fällen ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Strafbarkeit gemäß Absatz 3 (sog. Sozialadäquanzklausel) entfallen kann. Vgl. dazu auch Steinmetz, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 86a Rn. 30. 137  Vgl. ein ähnliches Beispiel von Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 86a Rn. 14. 138  So etwa m. w. N. Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 86a Rn. 14. 139  Beide Zitate: BGHSt 28, 394 (396) = BGH, Urt. v. 25.4.1979  – 3 StR 89 / 79, NJW 1979, 1555 (1555). Vgl. auch den Ansatz von Molsberger / Wax, 2006, 140 (142), die über eine verfassungsrechtliche Korrektur (Rechtsgedanke nach Art. 20 Abs. 4 GG) eine Strafbarkeit ausschließen wollen. 140  Kritisch auch: mit Verweis auf die Deliktsnatur Steinmetz, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 86a Rn. 22.

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D. Meinungsäußerungsverbote zum Schutz der fdG

des Täters vom Aussageinhalt wäre strafbar, womit alle Elemente einer vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG erfassten Meinungsäußerung vorlägen. Nach der Rechtsprechungslösung gilt dies nicht gleichermaßen, da auch Fälle der bekenntnisfreien Verwendung denkbar sind, etwa der erwähnte Handel mit NS-Devotionalien auf Flohmärkten. Zu beachten ist für diese Fälle, dass die Sozialadäquanzklausel zum Tatbestandsausschluss führen kann. Im Mittelpunkt der Rechtsprechungslösung stehen indes Fälle der bekenntnishaften Verwendung, wie auch die Ausklammerung solcher Verwendungen zeigt, die erkennbar dem Schutzzweck der Norm entgegenstehen. Wird ein entsprechendes Kennzeichen bekenntnishaft verwendet und ist nach der Rechtsprechungslösung strafbar, gilt für den Eingriff in die Meinungsfreiheit das zur Lösung der Literatur Gesagte. Wie auch bei § 86 StGB handelt es sich damit bei § 86a StGB regelmäßig um ein Meinungsäußerungsdelikt, das dem Schutz der fdG dient.141

VI. § 90a Abs. 1 StGB – Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole Für die weitere Exemplifizierung des Paradoxons ist der (umstrittene142) § 90a StGB zunächst in den Tathandlungsvarianten des Absatzes 1 Nr. 1 und Nr. 2 darzustellen.143 Diese Norm steht in der Tradition etwa des Republikschutzgesetzes der Weimarer Republik (§ 8), das in Reaktion auf die Gewalt­ eskalationen zwischen der politischen Linken und Rechten erlassen wurde.144 Das Verbot ist ferner trotz seiner Ähnlichkeit zu den Ehrschutzdelikten der §§  185 ff. StGB145 als abstraktes Gefährdungsdelikt ausgestaltet.146 im Übrigen etwa auch Reuter, Verbotene Symbole, 2005, S. 40. zur Verfassungsmäßigkeit etwa Laufhütte / Kuschel, in: LK StGB (Bd. 4), 12. Aufl. 2007, § 90 Rn. 1; Cobler, in: Kienzle / Mende, Zensur in der BRD, 1980, S. 80 (84), der von „einer eher skurrilen Bestimmung“ spricht; Grünwald, KJ 1979, 291 (294). 143  Vgl. für die Ausführungen zum Absatz 2 den Abschnitt D.VII. 144  Vgl. dazu auch Abschnitt E.I. und E.IV. Vgl. zum historischen Kontext der Norm ausführlich Dagasan, Das Ansehen des Staates im türkischen und deutschen Strafrecht, 2015, S. 155 ff., zur Rechtslage in der Weimarer Republik v. a. ab S. 168; in Übersicht auch Vormbaum, JR 2009, 127; Krutzki, KJ 1980, 294 (295 ff.) und Schroeder, JZ 1979, 89 (89 ff.). 145  Vgl. dazu sogleich das Schutzgut des § 90a StGB, das gerade nicht in der Ehre des Staates liegt. Etwas anderes könnte nur für solche Normen gelten, die auch die persönliche Ehre schützen – etwa § 90 StGB. Dazu auch Roggemann, JZ 1992, 934 (938). 146  Steinmetz, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 90a Rn. 2; Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder StGB, 29. Aufl. 2014, § 90a Rn. 1. 141  So

142  Kritisch



VI. § 90a Abs. 1 StGB93

1. Schutzgut Zunächst ist zu klären, ob das Verbot überhaupt die fdG schützt. Das BVerfG geht davon aus, § 90a StGB schütze das Ansehen des Staates.147 In Abgrenzung zum personalen Ehrschutz hat das Gericht in späteren Beschlüssen für Klarstellung gesorgt. In seinem jüngsten Beschluss zu § 90a StGB hat es festgestellt, dass „anders als dem einzelnen Staatsbürger […] dem Staat kein grundrechtlich geschützter Ehrenschutz zu[kommt].“148 Dem Gericht ist insoweit zuzustimmen, da der Staat nicht gleichgesetzt werden kann mit der natürlichen Person – für eine solche Gleichsetzung sind nur schwerlich Argumente zu finden.149 Auch kann die Erwägung nicht überzeugen, dem Staat sei Ehre zuzugestehen, da er ein Zusammenschluss von Individuen ist.150 Dem Staat kommt keine Ehre über den Umweg der Personengesamtheit zu, da es insoweit an einer Vergleichbarkeit fehlt.151 Geeigneter und auch genauer ist deshalb der Begriff des „Ansehens“ eines Staates, da dieser 147  BVerfGE 47, 198 (231) = BVerfG, Beschl. v. 14.2.1978 – 2 BvR 523 / 75, 958, 977 / 76, NJW 1978, 1043 (1045): „Schutzgegenstand der Vorschrift ist das Ansehen des Staates, das nicht nur gegen Verfassungsfeinde, sondern gegen jedermann geschützt werden soll.“ Vgl. auch Würtenberger, JR 1979, 309 (311); Schroeder spricht insofern vom „guten Ruf des Staates“, s. dazu Schroeder, Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht, 1970, S. 401 ff. Zur Kritik am Schutzgut „Ansehen“ vgl. Vormbaum, JR 2009, 127 (128 f.); Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, 2005, S. 257. 148  BVerfG, Beschl. v. 28.11.2011 – 1 BvR 917 / 09, NJW 2012, 1273 (1274). Vgl. dazu auch Steinmetz, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 90a Rn. 1 und v. a. auch die Kritik von Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, 2005, S. 257; Cobler, in: Kienzle / Mende, Zensur in der BRD, 1980, S. 80 (84). 149  Last, Die Staatsverunglimpfungsdelikte, 2000, S. 57, vgl. a. a. O. zur weiteren Erklärung der Unterschiede und der verschiedenen (historischen) Erklärungsansätze zur Rechtspersönlichkeit des Staates. Wesentliche Arg. gg. eine Gleichsetzung: Überhöhung des Staates durch Verleihung menschlicher Eigenschaften (S. 58), biologische Unterschiede (S. 57), fehlende empirische Grundlage (S. 57), Idee der Gleichsetzung ist metaphysisch einzuordnen und damit unjuristisch (ähnlich S. 57). Vgl. ferner auch Deiters, in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 291 (318); Roggemann, JZ 1992, 934 (937). 150  Würde diesem Ansatz gefolgt, müsste bei Verunglimpfung (§§ 90 – 90b StGB) von einer Kollektivbeleidigung ausgegangen werden, vgl. Last, Die Staatsverunglimpfungsdelikte, 2000, S. 58. Der Ansatz überzeugt nach zutreffender Ansicht (Last) schon deshalb nicht, weil der Staat nach der Lehre von Georg Jellinek mehr als nur das Staatsvolk ist (vgl. S. 59). 151  Auch dazu: Last, Die Staatsverunglimpfungsdelikte, 2000, S. 59–62. Zutreffend stellt Last fest, dass der Staat auch vielerlei Gemeinsamkeiten mit der Personengesamtheit aufweist (etwa die Erfüllung einer sozialen Funktion, S. 60), jedoch darüber hinaus andere, nicht vergleichbare Eigenschaften hat (hoheitliche Funktionen, S. 61). Last stellt richtigerweise fest, dass, um dem Ehrbegriff nicht die Konturen zu nehmen, eine Erweiterung auf den Staat deshalb unterbleiben sollte (S. 61).

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D. Meinungsäußerungsverbote zum Schutz der fdG

Überschneidungen mit dem Ehrbegriff natürlicher Personen und Personengesamtheiten vermeidet.152 Das Gericht führte ferner aus, dass die „Zielrichtung des vorliegend angewandten § 90a StGB wie sämtlicher Staatsschutznormen ist […], den Bestand der Bundesrepublik Deutschland, ihrer Länder und ihrer verfassungsgemäßen Ordnung zu gewährleisten und zu erhalten […].“153 Das Ansehen des Staates wird dabei als Sichtbarmachung der verfassungsmäßigen Ordnung und der Bundesrepublik durch § 90a StGB mitgeschützt. Im Mittelpunkt als wichtigstem Schutzanliegen des Verbotes bleibt aber der Bestand der Bundesrepublik und der verfassungsmäßigen Ordnung bestehen; verstärkt durch den gleichzeitigen Schutz des Ansehens. Dafür spricht auch die systematische Stellung des § 90a StGB: Die Norm ist unter dem Titel „Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates“ gefasst. Auch der Absatz 3 gibt einen Hinweis auf das Schutzgut: Die Tathandlung wird danach qualifiziert, wenn der Täter sich „absichtlich für Bestrebungen gegen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze einsetzt.“ Ebenfalls ist die ausdrückliche Nennung in Absatz 1 Nr. 1 ein klarer Indikator für diese Schutzgüter. Schließlich stellt sich die Frage, ob mit dem Schutz der „verfassungsmäßigen Ordnung“ auch die freiheitliche demokratische Grundordnung – also der „Reizgegenstand“ dieser Untersuchung – gemeint sein kann. Die verfassungsmäßige Ordnung umfasst die sogenannten Verfassungsgrundsätze (legaldefiniert in § 92 Abs. 2 StGB), die Grundrechte, die Staatsmerkmale (dazu Art. 79 Abs. 3 GG) sowie „die Rechtsordnung in Form der Grundsätze des freiheitlich-demokratisch verfassten Rechtsstaates“.154 Damit lässt sich feststellen, dass auch die freiheitliche demokratische Grundordnung Schutzgut des § 90a StGB ist. Die Strafnorm ist insoweit geeignet, das Paradoxon zu exemplifizieren. 2. Eingriff in die Meinungsfreiheit Es stellt sich die Frage, ob es sich bei den Tathandlungen nach Absatz 1 Nr. 1 und Nr. 2 – also dem Beschimpfen und dem böswilligen Verächtlichmachen (Nr. 1) sowie der Verunglimpfung (Nr. 2) – um vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG erfasste Meinungsäußerungen handelt. Das 152  Last,

Die Staatsverunglimpfungsdelikte, 2000, S. 64–65. Beschl. v. 28.11.2011  – 1 BvR 917 / 09, NJW 2012, 1273 (1274), m. w. N. Vgl. ferner Steinmetz, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 90a Rn. 1. 154  Das Zitat sowie die übrige Aufzählung: Steinmetz, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 90a Rn. 5 (Betonung wurde vom Autor hinzugefügt.). Dazu auch Würtenberger, JR 1979, 309 (311). Kritisch zur h. M., die hier die Existenz der fdG geschützt sieht: Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 90a Rn. 2. 153  BVerfG,



VI. § 90a Abs. 1 StGB95

Bundesverfassungsgericht hat dazu festgestellt, dass die Norm (pauschal) einen Eingriff in die Meinungsfreiheit darstellt.155 Im Folgenden wird ein möglicher Eingriff im Detail untersucht. a) Beschimpfungen, Absatz 1 Nr. 1 Das Beschimpfen im Sinne des § 90a Abs. 1 Nr. 1 StGB ist, als ein „Mehr“ noch zur Verunglimpfung, bei Vorliegen einer entweder mittels Form – konkret: durch einen rohen Ausdruck – oder durch Inhalt geäußerten Missachtung anzunehmen.156 Inhaltlich ist eine solche Missachtung gegeben, wenn der Täter schimpfliches Verhalten vorwirft.157 Zur (zugegeben schwierigen) Abgrenzung der Beschimpfung von nicht tatbestandlicher, etwa in politischen Debatten auftretender Kritik – insbesondere politischer Polemik – kann die Kontrollfrage herangezogen werden, ob noch die Sache als solche im Vordergrund steht (nicht tatbestandliche, also zulässige Kritik) oder aber die Herabsetzung der Bundesrepublik etc. (Beschimpfung).158 Beschimpfungen im Sinne des § 90a Abs. 1 Nr. 1 StGB sind vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG erfasste Meinungsäußerungen.159 Bei diesen handelt es sich um starke, mitunter extreme Ablehnungen von Institutionen, Zuständen usw., also in der Art. 5 Abs. 1 GG-Terminologie um das Dagegenhalten als Variante einer Stellungnahme. Für die Schutzbereichseröffnung ist unerheblich, dass der Täter mit der Beschimpfung „Grundprinzipien der politischen und sozialen Ordnung in Frage stellt“160, zumal dieser vom Grundgesetz nicht zur sogenannten „Werteloyalität“161 gezwungen wird. Es sind nämlich auch solche Meinungen geschützt, die den grundgesetzlichen Wer155  BVerfGE 69, 257 (269) = BVerfG, Beschl. v. 25.4.1985 – 2 BvR 617 / 84, NJW 1985, 2521 (2521 f.). Derartige „Pauschalurteile“ finden sich auch in der Literatur, vgl. etwa Deiters, in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 291 (317). 156  Steinmetz, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 90a Rn. 11; Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 90a Rn. 8. 157  Steinmetz, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 90a Rn. 11; Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 90a Rn. 8. 158  Vgl. Steinmetz, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 90a Rn. 11; Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 90a Rn. 8. 159  Vgl. die Ausführungen des BVerfG zu § 90a StGB und Eingriffe in die Meinungsfreiheit: BVerfG, Beschl. v. 28.11.2011  – 1 BvR 917 / 09, NJW 2012, 1273 (1274); BVerfG, Beschl. v. 29.7.1998 – 1 BvR 287–93, NJW 1999, 204 (205); BVerfGE 69, 257 (269) = BVerfG, Beschl. v. 25.4.1985 – 2 BvR 617 / 84, NJW 1985, 2521. 160  Grimm, NJW 1995, 1697 (1698) mit weiterem Verweis auf BVerfGE 61, 1 = BVerfG, Beschl. v. 22.6.1982 – 1 BvR 1376 / 79, NJW 1983, 1415. 161  BVerfG, Beschl. v. 24.3.2001 – 1 BvQ 13 / 01, NJW 2001, 2069 (2070).

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D. Meinungsäußerungsverbote zum Schutz der fdG

tungen nicht entsprechen oder sogar widersprechen.162 Auch die Beschimpfung durch Rohheit der Form kann von der Meinungsfreiheit geschützt werden, da der Schutzbereich grundsätzlich auch für „übersteigert[e]“163 und „scharf oder verletzend formuliert[e]“164 Meinungsäußerungen eröffnet ist. Für die Tatmodalität des Beschimpfens kann damit festgestellt werden, dass es sich um eine vom Schutzbereich erfasste Meinungsäußerung handelt. b) Böswilliges Verächtlichmachen, Absatz 1 Nr. 1 Für die zweite hier relevante Tathandlungsvariante gilt: Ein Verächtlichmachen im Sinne des § 90a Abs. 1 Nr. 1 StGB ist dann gegeben, wenn der Täter durch seine Äußerung die bezeichneten Angriffsobjekte in ein solches Licht rückt, dass diese in den Augen der Staatsbürger unwert oder nicht würdig erscheinen.165 Da der Bundesrepublik Deutschland und den übrigen Angriffsobjekten kein persönlicher Ehrschutz zuteil wird und der „Ehrangriff“ damit nicht ausreicht, bedarf es einer abstrakten Gefährdung der Angriffs­ objekte.166 Ferner muss die Verächtlichmachung böswillig sein. Eine solche Böswilligkeit (als besonderes persönliches Merkmal im Sinne von § 28 Abs. 1 StGB) liegt vor, wenn der Täter aus einer staatsfeindlichen Gesinnung, aus Niedertracht, Feindseligkeit oder Verwerflichkeit heraus handelt.167 Eine böswillige Verächtlichmachung liegt nach einem Beschluss des Bundesgerichtshofs jedoch selbst dann noch nicht vor, wenn zu einem gewaltfreien Umsturz der bestehenden staatlichen Ordnung aufgerufen wird.168 Auch in dieser Äußerung ist ein stellungnehmendes Element enthalten, wie sich insbesondere aus dem Merkmal der Böswilligkeit ergibt. Die Abwertung der Angriffsobjekte durch die Verächtlichmachung geschieht aus Gründen der Feindseligkeit etc., sodass die konstituierenden Merkmale einer vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG erfassten Meinungsäußerung vorliegen. Wie auch mit Blick auf die Beschimpfung kann der Schutz nicht deshalb 162  BVerfGE 124, 300 (320 f.) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08, NJW 2010, 47 (49). 163  BVerfGE 61, 1 (7) = BVerfG, Beschl. v. 22.6.1982  – 1 BvR 1376 / 79, NJW 1983, 1415 (1415). 164  BVerfGE 90, 241 (247) = BVerfG, Beschl. v. 13.4.1994 – 1 BvR 23 / 94, NJW 1994, 1779 (1779). Vgl. dazu auch Scholz / Konrad, AöR 1998, 60 (84). 165  Steinmetz, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 90a Rn. 12; Valerius, in: BeckOK StGB, 39. Edition 2018, § 90a Rn. 6; Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 90a Rn. 14. 166  Steinmetz, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 90a Rn. 12. 167  Steinmetz, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 90a Rn. 13. Vgl. auch Valerius, in: BeckOK StGB, 39. Edition 2018, § 90a Rn. 6. 168  BGH, Beschl. v. 7.2.2002 – 3 StR 446 / 01, NStZ 2002, 592 (593).



VI. § 90a Abs. 1 StGB97

verneint werden, weil die betroffenen Äußerungen den Staat besonders verächtlich machen, „da es hierfür auf den Wert der Äußerungen und eine Werteloyalität […] [des sich Äußernden] nicht ankommt.“169 Damit bleibt festzustellen, dass es sich auch bei dem Verbot des böswilligen Verächtlichmachens im Sinne des § 90a Abs. 1 Nr. 1 StGB um ein Meinungsäußerungsverbot handelt. c) Verunglimpfung, Absatz 1 Nr. 2 Die Verunglimpfung im Sinne des § 90a Abs. 1 Nr. 2 StGB wird gemeinhin verstanden als Kundgabe von Missachtung oder das ehrangreifende Verächtlichmachen durch Behauptungen von Tatsachen oder auch durch Werturteile.170 Nicht erfasst sind impertinente Äußerungen zu den aufgelisteten Symbolen171 oder der Hymne; bloße Kritik muss demnach erlaubt bleiben.172 Die Abgrenzung stellt sich als äußerst schwierig dar, da die Grenzen zwischen einer strafbaren Verunglimpfung von – womöglich überspitzter, polemischer oder reißerischer – Macht- und Staatskritik im Einzelfall173 fließend sein dürften. Objektivierbare Abgrenzungskriterien zu formulieren, fällt in Anbetracht dieses Verhältnisses zwischen zulässiger und strafbarer Kritik schwer. Anhaltspunkt könnte unter Beachtung des Äußerungskontextes aber die Frage sein: Wird durch das Handeln die Bundesrepublik in ihrer grundsätzlichen Prägung in Frage gestellt?174 Bei der Determinierung strafrecht­ licher Grenzen ist jedoch stets zu beachten, dass die Strafpraxis „nicht zur Immunisierung des Staates gegen Kritik und selbst gegen Ablehnung führen [darf].“175

169  BVerfG,

Beschl. v. 28.11.2011 – 1 BvR 917 / 09, NJW 2012, 1273 (1274). in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 90a Rn. 14. Vgl. dazu auch ähnlich Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 90a Rn. 15; Fischer StGB, 64. Aufl. 2017, § 90a Rn. 6 i. V. m. § 90 Rn. 2; Kühl, in: Lackner / Kühl StGB, 29. Aufl. 2018, § 90a Rn. 6 i. V. m. § 90 Rn. 3; Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder StGB, 29. Aufl. 2014, § 90a Rn. 11. 171  Solche Symbole sind etwa die bundesdeutschen Farben, Flagge und Wappen. Vgl. dazu vor allem auch Valerius, in: BeckOK StGB, 39. Edition 2018, § 90a Rn. 8 und Fischer StGB, 64. Aufl. 2017, § 90a Rn. 6. 172  Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 90a Rn. 15. 173  Vgl. auch die Entscheidungsübersicht zur Bejahung und Verneinung von Verunglimpfungen bei Valerius, in: BeckOK StGB, 39. Edition 2018, § 90a Rn. 9.1–9.3. 174  BVerfG, Beschl. v. 15.9.2008  – 1 BvR 1565 / 05, NJW 2009, 908 (909). So auch Steinmetz, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 90a Rn. 14. 175  Steinmetz, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 90a Rn. 14. 170  Steinmetz,

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D. Meinungsäußerungsverbote zum Schutz der fdG

Ein Eingriff in die Meinungsfreiheit durch dieses Verbot liegt vor. Die Tathandlungsvariante pönalisiert ein stellungnehmendes Verhalten, das die nur schwer determinierbare Grenze von bloßer Geschmacklosigkeit zur „ehrangreifenden“ Verächtlichmachung überschreitet. Der Schutz für solche Äußerungen bleibt nicht allein deshalb versagt, weil diese polemisch oder überspitzt sind.176 Gleiches gilt, wenn man solchen Äußerungen unterstellen wollte, sie würden keinen verwertbaren Debattenbeitrag leisten: Für die Schutzbereichseröffnung ist eine besondere Verwertbarkeit der fraglichen Äußerung nicht erforderlich.177 Auch wird der grundrechtliche Schutz nicht dadurch verhindert, dass mit den verletzten Schutzobjekten möglicherweise Grundprinzipien der rechtlichen und damit (zumindest mittelbar) auch politischen Ordnung angegriffen beziehungsweise in Frage gestellt werden.178 Es handelt sich mithin um eine besonders ausdrucksstarke, wenngleich auch abwertende, entäußerte Stellungnahme, die nicht zwingend ein Dagegenhalten bedeutet.179 Die Eingriffsintensität des Verbotes wird ferner deutlich durch die vielfachen gerichtlichen Hinweise auf die Wechselwirkungslehre; also ein gerichtliches Anhalten zur Beachtung der Meinungsfreiheit.180 Das BVerfG hat dazu wiederholt ausgeführt, dass es aufgrund der Grundrechtsintensität einer besonderen Achtung und Abwägung mit der Meinungsfreiheit bedarf.181

176  Vgl. nur BVerfGE 90, 241 (247) = BVerfG, Beschl. v. 13.4.1994 – 1 BvR 23 / 94, NJW 1994, 1779 (1779) und BVerfGE 61, 1 (7) = BVerfG, Beschl. v. 22.6.1982  – 1 BvR 1376 / 79, NJW 1983, 1415 (1415). Vgl. dazu auch Scholz / Konrad, AöR 1998, 60 (84). 177  BVerfGE 124, 300 (320) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08, NJW 2010, 47 (48). 178  Vgl. dazu etwa Grimm, NJW 1995, 1697 (1698) mit weiterem Verweis auf BVerfGE 61, 1 (7) = BVerfG, Beschl. v. 22.6.1982  – 1 BvR 1376 / 79, NJW 1983, 1415. 179  Vgl. dazu etwa den Fall von 2009 vor dem AG und LG Rostock, aufbereitet von Vormbaum, GA 2016, 609 (610). Siehe ferner zum Element der Stellungnahme etwa BVerfGE 124, 300 (320) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08, NJW 2010, 47 (48). 180  Vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 15.9.2008  – 1 BvR 1565 / 05, NJW 2009, 908 (909). Zum Eingriff in die Kunstfreiheit BVerfG, Beschl. v. 3.11.2000 – 1 BvR 581 /  00, NJW 2001, 596; BVerfGE 81, 298 = BVerfG, Beschl. v. 7.3.1990 – 1 BvR 1215 /  87, NJW 1990, 1985 und BVerfG, Beschl. v. 7.3.1990 – 1 BvR 266 / 86, 1 BvR 913 /  87, NJW 1990, 1982 (1983). Zum Eingriff in die Meinungsfreiheit siehe auch Vormbaum, GA 2016, 609 (613 ff., 616). 181  Ibid.



VII. § 90a Abs. 2 StGB99

VII. § 90a Abs. 2 StGB – Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole: Gewalt gegen Sachen als geschützte Meinungsäußerung? Anders als bei den Tathandlungen des Abs. 1 könnte es sich bei § 90a Abs. 2 StGB um solche Ausdrucksformen handeln, die nicht mehr vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit erfasst sind.182 Das Schutzgut der Verbote ist aber auch hier die fdG.183 Die Tathandlungen nach Abs. 2 der Norm sind differenziert zu betrachten: Insbesondere die Tathandlungen des Entfernens, Zerstörens, Beschädigens und des Unbrauchbarmachens könnten die Schutzbereichsgrenzen der Meinungsfreiheit überschreiten. Fraglich ist insoweit, ob es sich bei diesen Verhaltensweisen überhaupt noch um Meinungsäußerungen handeln kann. Aus diesem Grund ist zunächst zu untersuchen, welche Ausdrucksformen vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit noch erfasst sind, um in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob die konkreten Tathandlungen in diesen Schutzbereich fallen. 1. Schutzbereichsgrenzen der Meinungsfreiheit Die Reichweite des Schutzbereiches ist umstritten.184 In der Diskussion um die Schutzbereichsgrenzen der Meinungsfreiheit können im Wesentlichen drei verschiedene Ansätze ausgemacht werden: Mit einer Auffassung könnte anzunehmen sein, dass die im Wortlaut genannten Ausdrucksformen abschließend aufgezählt sind (aa). Dieser Ansicht steht folgende Extremposition gegenüber: Es könnte vertreten werden, dass der Schutzbereich für jede Ausdrucksform zu eröffnen ist, da Einschränkungen erst auf der Schrankenebene erfolgen dürfen (bb). Schließlich könnte angenommen werden, dass die Aufzählung nur exemplarisch ist, aber dennoch eine Schutzbereichsgrenze zu setzen ist (cc). Wie diese zu bestimmen ist, ist ebenfalls umstritten. Diskutiert werden in diesem Rahmen Schutzbereichsgrenzen der geistig vermittelnden Ausdrucksformen (1) sowie in analoger Anwendung des Art. 8 Abs. 1 GG (2).

182  Insofern ist aber auch die sehr ähnliche Strafnorm § 104 StGB zu beachten. Die Ausführungen zu § 90a Abs. 2 StGB dürften zu großen Teilen auf § 104 StGB übertragbar sein. 183  Vergleiche dazu bereits die Ausführungen im Abschnitt D.VI.1. 184  Vgl. dazu m. w. N. Möller, Der grundrechtliche Schutzbereich der Meinungsfreiheit, 2016, S. 36 f., der eine Tendenz zur Ausdehnung sowohl der grundrechtlichen Schutzbereiche als auch der Eingriffsbegriffe sieht und dabei auf der Schutzbereichsebene zwischen sogenannten „weiten“ und „engen“ Tatbestandstheorien unterscheidet (S. 36).

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D. Meinungsäußerungsverbote zum Schutz der fdG

a) Schutz strikt dem Wortlaut entsprechender Ausdrucksformen Der Schutzbereich könnte nur für die in Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG ausdrücklich genannten Formen eröffnet sein (Wort, Schrift, Bild). Wörtliche Äußerungen sind gemeinhin hörbar gemachte Mitteilungen, etwa das gesprochene Wort oder das Abspielen eines Tonträgers.185 Schriftliche Äußerungen sind neben klassischen Texten wie Büchern, Aufsätzen und Briefen auch solche, die nicht von einer Bevölkerungsmehrheit lesbar sind, exempli causa die Blindenschrift.186 Die bildlich geäußerte Meinung tritt üblicherweise als Fotografie, Grafik oder Zeichnung auf, ist aber auch in vielen anderen Formen möglich.187 Für diese streng am Wortlaut orientierte Auffassung spricht neben dem grammatikalischen Argument ein Vergleich zur Vorgängernorm des Art. 5 Abs. 1 GG, nämlich der Entsprechung in Art. 118 WVR.188 Danach können Meinungen nicht nur in „Wort, Schrift, Druck, Bild“ geäußert werden, sondern auch „in sonstiger Weise“. Der letztgenannte Zusatz verdeutlicht den beispielhaften Charakter der Aufzählung. Das Weglassen des Zusatzes im Art. 5 Abs. 1 GG könnte als Hinweis darauf herangezogen werden, dass der Aufzählung gerade kein beispielhafter Charakter zukommen soll, sondern dass es sich um eine abschließende Aufzählung handeln soll. Diesem Argument wird in der Literatur jedoch richtigerweise widersprochen, da in Ansehung der Diskussionen im Parlamentarischen Rat diesem nicht die Absicht unterstellt werden kann, die Ausdrucksformen abschließend geregelt haben zu wollen.189 Nach zutreffender Einschätzung von Jestaedt besteht deshalb in der Rechtswissenschaft weitgehende Einigkeit darüber, dass auch andere Ausdrucksformen geschützt sind; die in Art. 5 GG aufgezählten Formen sind damit nicht abschließend, sondern exemplarisch zu verstehen.190 185  Ähnlich Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG (Bd. 1), 3. Aufl. 2013, Art. 5 I, II Rn. 75; Starck, in: Mangoldt / Klein / Starck, GG (Bd. 1), 6. Aufl. 2010, Art. 5 Rn. 29. 186  Die Blindenschrift aufzählend und mit weiteren Beispielen, ohne den Hinweis auf das etwaige Erfordernis einer mengenmäßigen Größe der Rezipienten: SchulzeFielitz, in: Dreier, GG (Bd. 1), 3. Aufl. 2013, Art. 5 I, II Rn. 75; vgl. auch Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG (Bd. 1), 6. Aufl. 2010, Art. 5 Rn. 30. 187  Mit weiteren Beispielen: Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG (Bd. 1), 3. Aufl. 2013, Art. 5 I, II Rn. 75; Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG (Bd. 1), 6. Aufl. 2010, Art. 5 Rn. 31. 188  Online abrufbar unter zuletzt besucht am 20.09.2018. 189  Vgl. dazu den Bericht zur Diskussion (vor allem von Dr. Heuß, Paul, Prof. Thoma et al.) im Parlamentarischen Rat in JöR 1951, 80 (80 ff.) und auch Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG (Bd. 1), 6. Aufl. 2010, Art. 5 Rn. 28. 190  Jestaedt, in: Merten / Papier, Handbuch d. Grundrechte IV: Einzelgrundrechte I, 2011, § 102 Rn. 41. Dazu vor allem auch BVerfGE 85, 1 (11 f.) = BVerfG, Beschl. v.



VII. § 90a Abs. 2 StGB101

b) Schutz jeglicher Ausdrucksformen Diametral zur strengen Schutzbereichsauslegung (aa) könnte ein Schutz jeglicher Ausdrucksformen angenommen werden. Damit wären auch Ausdrucksformen erfasst, die unfriedlich oder gewalttätig sind – insofern ließe sich von einem „extremen Meinungsfundamentalismus“191 sprechen. Grundlage dieser weiten Auslegung könnte sein, dass die Möglichkeiten der Kommunikation keine Grenzen kennen.192 Den allermeisten sozialen Interaktionen kommt ein kommunikativer Gehalt zu, sei er noch so gering. Sogar Beschädigungen oder Zerstörungen von Sachen könnten Ausdruck besonders intensiver, mitunter verzweifelter Stellungnahmen sein. Ferner spricht für eine weite Schutzbereichsauslegung, dass Legalitätserwägungen nicht bereits auf Schutzbereichs-, sondern erst auf Schrankenebene angestellt würden. Hufen etwa lehnt ab, „schon in den Schutzbereich einen Legalitätsvorbehalt einzubauen“193, da solche Erwägungen „vielmehr klassische Frage[n] der Schranken“194 seien. Diese Auffassung vertritt Hufen zwar mit Blick auf solche Äußerungen, die „sich letztlich als Beleidigung, Verleumdung, Nötigung oder Volksverhetzung erweis[…][en]“195, sodass Hufen keine Antwort auf die schutzbereichliche Erfassung auch unfriedlicher und gewalttätiger Äußerungen gibt. Dennoch lässt sich die Überlegung für die Frage der Schutzbereichsgrenze heranziehen. Die Schrankenebene unter Beachtung der ihr zukommenden Systematik bietet nämlich ausreichenden Spielraum für solche Erwägungen. Im Rahmen einer immanenten Schutzbereichsgrenze ist es überdies einfacher als auf der Schrankenebene, den Grundrechtsschutz zu beschränken, da so die besonderen Anforderungen des Art. 5 Abs. 2 GG – etwa die Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Beachtung der Wechselwirkungslehre – umgangen werden könnten. Die Schranken des Absatzes 2 sind dann zur Anwendung zu bringen, wenn die Freiheitsausübung von den Verfassungsgebern nicht gewollt gewesen sein kann, denn: 9.10.1991  – 1 BvR 1555 / 88, NJW 1992, 1439 (1439). Siehe ferner Schemmer, in: BeckOK GG, 38. Edition 2018, Art. 5 Rn. 14; Epping, Grundrechte, 6. Aufl. 2015, S. 106 Rn. 218; Hufen, Staatsrecht II, 4.  Aufl. 2014, S. 413 Rn. 10; Pieroth /  Schlink / Kingreen / Poscher, Grundrechte, 30. Aufl. 2014, Rn. 600; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG (Bd. 1), 3. Aufl. 2013, Art. 5 I, II Rn. 67; Hoffmann-Riem, Kommunika­ tionsfreiheiten, 1. Aufl. 2002, S. 93 Rn. 33. 191  Seitz, NJW 2003, 3523 (3523). Seitz benutzt diese Bezeichnung mit Blick auf den Schutz von „Extrembeschimpfungen“ (3525). 192  Vgl. Schmidt-Jortzig, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts VII, 3. Aufl. 2009, § 162 Rn. 25. 193  Hufen, Staatsrecht II, 4. Aufl. 2014, S. 413 Rn. 10. 194  Hufen, Staatsrecht II, 4. Aufl. 2014, S. 413 Rn. 10. 195  Hufen, Staatsrecht II, 4. Aufl. 2014, S. 413 Rn. 10.

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D. Meinungsäußerungsverbote zum Schutz der fdG

„Nur so ist ein wirksamer, das heißt juristisch voll kontrollierbarer Schutz des Grundrechts zu sichern.“196 Auch dem Minderheitenschutz wäre mit einer Betonung der Schrankenregelung gedient, da der missbräuchlichen Freiheitseinschränkung im Rahmen des Absatz 2 aufgrund einer differenzierten Schrankendogmatik gut vorgebeugt ist, während sich solche Schutzmechanismen auf Schutzbereichsebene nicht finden. Unbeachtet lässt diese Auffassung aber, dass ein fehlender Kanon schutzwürdiger Ausdrucksformen Ufer- und Konturenlosigkeit für das Grundrecht der Meinungsfreiheit bedeutet. Abseits der inhaltlichen Begriffsbestimmung ließen sich keine äußeren Wesensmerkmale beschreiben, um geschütztes von ungeschütztem Verhalten abzugrenzen. Dass den allermeisten sozialen Interaktionen ein kommunikativer Gehalt zukommt, spricht nämlich nicht nur für, sondern auch gegen einen weiten Schutzbereich. Ein konturierter Schutzbereich und dadurch feststehender Kommunikationsrahmen schafft für den Grundrechtsadressaten Rechtssicherheit. Die uferlose Schutzbereichseröffnung für jedes menschliche, kommunikative Handeln würde hingegen zur Bedeutungslosigkeit der Meinungsfreiheit führen – ihr käme allenfalls noch der Charakter eines Auffanggrundrechts zu. Die weite Schutzbereichsauslegung lässt überdies den Rezipienten der Äußerung bzw. Äußerungsempfänger außer Acht: Ist zunächst jede Ausdrucksform vom Schutz erfasst, steht der Empfänger möglicherweise gewalttätiger Kommunikation gegenüber, die ihm die Möglichkeit zur gewaltlosen Reaktion nimmt und damit den Kommunikationsprozess insgesamt erheblich beeinträchtigt. Ein solcher Diskurs würde der Kommunikationskonzeption des GG widersprechen. Ein uferloser Ausdruckskanon kann das eigentliche Ziel der Meinungsfreiheit – mithin der umfassende Schutz des Kommunikationsprozesses – konterkarieren. Merten führt außerdem an, dass – hätte der Verfassungsgeber etwa Gewalt vom Schutzbereich erfassen wollen – er wie auch für den Ehrschutz „Bestimmungen zum Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit als Schranken“ eingeführt hätte.197 Im Ergebnis ist deshalb festzustellen, dass ein allzu weiter Schutzbereich der Meinungsfreiheit nicht sachgerecht ist.

196  Schmidt-Jortzig, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts VII, 3. Aufl. 2009, § 162 Rn. 7. Schmidt-Jortzig trifft diese Aussage zwar mit Blick auf Einschränkung der Meinungsfreiheit durch die Schrankenregelungen des Art. 5 Abs. 2 GG, geht jedoch nicht so weit jede Ausdrucksform der Meinung zunächst vom Schutzbereich erfasst zu sehen. Vielmehr tendiert er dahin, auch den Schutzbereich gewissen Grenzen zu unterwerfen (Rn. 25). 197  Merten, in: FS Herzog, 2009, S. 286. Zitat a. a. O.



VII. § 90a Abs. 2 StGB103

c) Festlegung einer Schutzbereichsgrenze Es wurde gezeigt, dass einerseits weitere als die in Art. 5 Abs. 1 GG ausdrücklich genannten Ausdrucksformen geschützt sein können, andererseits der Schutzbereich aber nicht uferlos werden darf. Damit stellt sich die Frage nach einer Schutzbereichsgrenze. In Literatur und Rechtsprechung finden sich unterschiedliche Ansätze dazu, einem uferlosen Schutz entgegenzuwirken. Hoffmann-Riem etwa will nur solche Ausdrucksformen geschützt sehen, die „der Übermittlung des kommunikativen Inhalts dienen und sich darauf beschränken“198 und zählt als weitere Ausdrucksformen das Tragen von Uniformen sowie das Abspielen von Musik auf.199 Hufen sieht ferner Gesten200 als vom Schutzbereich erfasst ebenso wie „das Abladen eines Bergs genetisch veränderter Kartoffeln vor der Zentrale eines Chemie-Konzerns.“201 Milstein und Lippold wollen sogar Suchmaschinenergebnisse im Internet von der Meinungsfreiheit geschützt wissen, sobald diese aufgrund ihrer Programmierung Elemente der Stellungnahme enthalten.202 Auch Jestaedt fordert für den Schutz anderer Ausdrucksformen, dass diese „den ausdrücklich im Verfassungstext genannten [Formen] in ihrer rein kommunikativen Ausrichtung vergleichbar sein [müssen].“203 aa) BVerfG: Beschränkung auf geistig vermittelnde Ausdrucksformen Das BVerfG hat festgestellt, dass auch andere als die ausdrücklich genannten Ausdrucksformen – etwa das „Tragen einer Plakette“ – vom sachlichen Schutzbereich erfasst sind.204 Das Plakettentragen ist eine beispielhafte Nennung, sodass vergleichbare Ausdrucksformen ebenfalls geschützt werden. Im Blinkfüer-Beschluss macht das Gericht aber deutlich, dass der Schutzbereich 198  Hoffmann-Riem, Kommunikationsfreiheiten, 1.  Aufl. 2002, S.  93 Rn.  33, m. w. N. 199  Hoffmann-Riem, Kommunikationsfreiheiten, 1.  Aufl. 2002, S.  93 Rn.  33; Schulze-Fielitz ergänzt richtigerweise, dass das Tragen der Uniform die Äußerung unterstützen bzw. bestärken muss, in: Dreier, GG (Bd. 1), 3. Aufl. 2013, Art. 5 I, II Rn. 67. 200  So auch Michael / Morlok, Grundrechte, 5. Aufl. 2016, Rn. 210. 201  Hufen, Staatsrecht II, 4. Aufl. 2014, S. 413 Rn. 10. 202  Milstein / Lippold, NVwZ 2013, 182 (187): „Es liegt eine Meinung im engeren Sinne vor, da in den vom Suchmaschinenbetreiber ausgewählten Faktoren zur Ermittlung der Relevanz einer Webseite eine wertende Stellungnahme liegt und der Wahrheitsbeweis nicht geführt werden kann.“ 203  Jestaedt, in: Merten / Papier, Handbuch d. Grundrechte IV: Einzelgrundrechte I, 2011, § 102 Rn. 41. 204  BVerfGE 71, 108 (113) = BVerfG, Beschl. v. 23.10.1985  – 1 BvR 1053 / 82, NJW 1986, 1671 (1671). Zitat a. a. O.

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D. Meinungsäußerungsverbote zum Schutz der fdG

nicht eröffnet ist, „wenn […] [die Äußerung] nicht nur auf geistige Argumente gestützt wird, […] sondern darüber hinaus sich solcher Mittel bedient, die den Angesprochenen die Möglichkeit nehmen, ihre Entscheidung in voller innerer Freiheit und ohne wirtschaftlichen Druck zu treffen.“205 Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn der sich Äußernde sich gegenüber dem Empfänger in einer wirtschaftlichen Machtstellung befindet und diese Macht als Druckmittel verwendet.206 Denkbar sei außerdem die Verwendung anderer psychischer oder sogar physischer Druckmittel.207 Danach müssen Meinungsäußerungen „sich also auf die Überzeugungskraft von Darlegungen, Erklärungen und Erwägungen beschränk[en]“, da „Sinn und […] Wesen des Grundrechts der freien Meinungsäußerung [ist], […] den geistigen Kampf der Meinungen [zu] gewährleisten“.208 Voraussetzung für die Eröffnung des Schutzbereiches ist nach Ansicht des BVerfG damit eine geistige Vermittlung der Meinung. Auch wenn im Mittelpunkt der geistigen Vermittlung damit die Überzeugungskraft der Meinungsäußerungen steht, hängt die Schutzbereichseröffnung nicht vom Erklärungsoder Darlegungswert derselben ab. Eine Äußerung fällt auch dann in den Schutzbereich, wenn sie für die Empfänger nicht als Erklärung verwertbar ist, solange sie grundsätzlich einen Erklärungs- oder Darlegungscharakter hat. Daran wird es bei bloßer Gewalt, d. h. bei Ausübung physischer Kraft gegen Menschen oder Sachen fehlen. Gleiches gilt nach Ansicht des BVerfG für den Zwang wirtschaftlicher Natur.209 Das BVerfG führt dazu aus: „Der Grundrechtsschutz aus Art. 5 I GG endet erst dort, wo der Bereich geistiger Einwirkung auf die Adressaten der Meinungsäußerung oder die Öffentlichkeit verlassen und physischer, wirtschaftlicher oder vergleichbarer Druck zur Verstärkung der geäußerten Meinung eingesetzt wird […].“210 Die „geistige Vermittlung“ einer Meinung ist damit negativ definiert: Sie ist abzulehnen, wenn vor allem physischer Zwang oder Druck auf den Äußerungsadressaten ausgeübt wird. Meinungsäußerungen sind damit nur dann zu schützen, solange und soweit sie geistig vermittelt werden.

205  BVerfGE 25, 256 (264 f.) = BVerfG, Urt. v. 26.2.1969  – 1 BvR 619 / 63, NJW 1969, 1161 (1162); vgl. dazu auch Epping, Grundrechte, 6. Aufl. 2015, S. 106 Rn.  219 ff.; Pieroth / Schlink / Kingreen / Poscher, Grundrechte, 30. Aufl. 2014, Rn. 601. 206  BVerfGE 25, 256 (264 f.) = BVerfG, Urt. v. 26.2.1969  – 1 BvR 619 / 63, NJW 1969, 1161 (1162). 207  Vgl. m. w. N. Grabenwarter, in: Maunz / Dürig, GG, 83. EL 2018, Art. 5 Rn. 85. 208  BVerfGE 25, 256 (2645) = BVerfG, Urt. v. 26.2.1969  – 1 BvR 619 / 63, NJW 1969, 1161 (1162). Zitate a. a. O. (Betonung wurde nicht vom Autor hinzugefügt.). 209  So nämlich in BVerfGE 25, 256 = BVerfG, Urt. v. 26.2.1969 – 1 BvR 619 / 63, NJW 1969, 1161. 210  BVerfG, Beschl. v. 27.10.1987 – 1 BvR 385 / 85, NJW 1989, 381 (382).



VII. § 90a Abs. 2 StGB105

bb) Schutz friedlicher und gewaltloser Ausdrucksformen (Leihe aus Art. 8 GG) Einzelne Autoren, die bereits den Ansatz des BVerfG stützen, ziehen zusätzlich die Schutzbereichsgrenze des Art. 8 Abs. 1 GG211 heran.212 Danach wird angenommen, dass Meinungen „friedlich und ohne Waffen“ für den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG geäußert werden müssen.213 In analoger Anwendung des Art. 8 Abs. 1 GG wird die „Unfriedlichkeit als [ein] grundgesetzliches Unwerturteil“ erkannt, das tatbestandliche Grenze auch der Meinungsfreiheit sein soll.214 Michael und Morlok etwa sehen in analoger Anwendung der Schutzbereichsgrenze „friedlich“ aus Art. 8 Abs. 1 GG die „Gewaltfreiheit auch [als] begriffliche Grenze der Meinungsfreiheit.“215 Auf diese Art soll verhindert werden, dass in einer geistigen Debatte Argumente durch Druck und Zwang ersetzt werden.216 Bethge nimmt sogar an, dass die „Friedlichkeit und Gewaltlosigkeit […] Tatbestandsvoraussetzungen jeglicher Grundrechtsbetätigung [sind] […].“217 Gewalttätige oder unfriedliche Mei211  Im Rahmen des Art. 8 Abs. 1 GG ist anerkannt, dass in den Merkmalen „friedlich und ohne Waffen“ Schutzbereichsgrenzen zu sehen sind, vgl. m. w. N. Depenheuer, in: Maunz / Dürig, GG, 83. EL 2018, Art. 8 Rn. 78. 212  So etwa Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG (Bd. 1), 3. Aufl. 2013, Art. 5 I, II Rn. 73. 213  Dieser Auffassung zuzuordnen sind u. a. Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG (Bd. 1), 3. Aufl. 2013, Art. 5 I, II Rn. 73, der keinen Schutz von Akten der Gewalt zulassen will und zusätzlich zur Argumentation des BVerfG (Schutz lediglich geistiger Ausdrucksformen) die Friedlichkeit aus Art. 8 Abs. 1 GG als tatbestandliche Grenze der Meinungsfreiheit betrachtet. Bethge, in: Sachs GG, 7. Aufl. 2014, Art. 5 Rn. 35 sieht die Friedlichkeit und die Gewaltlosigkeit sogar als Voraussetzung jedes grundrechtlich relevanten Handelns, a. a. O. Merten, in: FS Herzog, 2009, S. 285 f. In der Rspr. hervorzuheben ist insbesondere BGH, Urt. v. 24.1.1984  – VI ZR 37 / 82, NJW 1984, 1226 (1229), der feststellte: „Die verfassungsrechtlich mit der Meinungs- und Versammlungsfreiheit durch Art. 5 I und Art. 8 I GG gewährleistete Demonstrationsfreiheit gibt allerdings kein Recht zur Ausübung von Gewaltakten, […] weil die Gewährleistungen nur auf die friedliche Auseinandersetzung mit geistigen Mitteln angelegt sind […].“ A. A.: Hoffmann-Riem, Kommunikationsfreiheiten, 1. Aufl. 2002, S. 93: In Fn. 119 a. a. O. nimmt Hoffmann-Riem ablehnend Bezug auf die Kommentierungen von Bethge (in Sachs GG) und Wendt (in v. Münch / Kunig GG). Jestaedt, in: Merten / Papier, Handbuch d. Grundrechte IV: Einzelgrundrechte I, 2011, § 102 Rn. 41: Zwar fordert Jestaedt für die Ausdrucksform der Meinungsfreiheit Gewaltfreiheit, hält jedoch das „Postulat[..] eines allgemeinen Friedlichkeits- und Gewalt­ losigkeitsvorbehaltes“ für nicht erforderlich, vgl. Fn. 194 a. a. O. 214  Vgl. dazu den gleichnamigen Aufsatz von Merten, in: FS Herzog, 2009, S.  281 ff. 215  Michael / Morlok, Grundrechte, 5. Aufl. 2016, Rn. 210. 216  Pieroth / Schlink / Kingreen / Poscher, Grundrechte, 30. Aufl. 2014, Rn. 601. 217  Bethge, in: Sachs GG, 7. Aufl. 2014, Art. 5 Rn. 35.

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D. Meinungsäußerungsverbote zum Schutz der fdG

nungsäußerungen seien bereits deshalb nicht zu schützen, da Gewaltanwendung Kommunikation verhindere und damit einem Kommunikationsgrundrecht wesensfremd sei – freier Meinungsaustausch funktioniere nur durch geistiges Handeln.218 Es bedürfe deshalb einer Abgrenzung bereits auf Schutzbereichsebene und nicht erst auf Schrankenebene.219 Ferner sieht Merten das Argument für verfehlt, dass im Umkehrschluss aus den ausdrücklichen Schutzbereichsvoraussetzungen des Art. 8 Abs. 1 GG („friedlich und ohne Waffen“220) mangels ausdrücklicher Nennung im Rahmen der anderen Grundrechte diese Voraussetzungen nicht erforderlich sind.221 Dieses Argument sei schon deshalb verfehlt, weil der Katalog der Grundrechte „[…] nicht systematisch konzipiert wurde, sondern eine Kollekte aus früher erfahrener Freiheitsbedrohung und Freiheitsverletzung darstellt […].“222 Zur weiteren Begründung dieser Schutzbereichsgrenzenleihe lässt sich anführen, dass die Meinungsfreiheit – wie auch die Versammlungsfreiheit im Sinne des Art. 8 GG – ein Kommunikationsgrundrecht ist und damit gleichen kommunikativen Grenzen unterliegen sollte. Die Heranziehung der Schutzbereichsgrenzen aus Art. 8 GG für die Meinungsfreiheit würde damit zu einer einheitlichen Handhabung der Kommunikationsgrundrechte führen. Es stellt sich jedoch die Frage, was unter dem Merkmal der Friedlichkeit im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG überhaupt zu verstehen ist und inwieweit dieser Begriff auf die Meinungsfreiheit übertragbar ist. Die „Friedlichkeit“ darf keine zu hohe Hürde für die Schutzbereichseröffnung darstellen.223 So darf die Friedlichkeit nicht allein schon mit einem Verweis auf einfache Rechtsbrüche abgelehnt werden, da der Schutzbereich der Versammlungsfrei218  U. a. mit Verweis auf das BVerfG: Bethge, in: Sachs GG, 7. Aufl. 2014, Art. 5 Rn. 34–35. 219  Bethge, in: Sachs GG, 7. Aufl. 2014, Art. 5 Rn. 35. 220  Art. 8 Abs. 1 GG. 221  Merten, in: Merten / Papier, Handbuch d. Grundrechte III: Allgemeine Lehren II, 2009, § 60 Rn. 28. Vgl. ferner auch den Ansatz von Merten, eine Schutzbereichsgrenze für in erheblichem Maße sozialschädliches Verhalten zu konstruieren (Rn. 26 ff., 30). Dies gebietet sich laut Merten allein schon deshalb, weil anderenfalls ein unnötiger Aufwand betrieben werden müsste, diese Verhaltensfreiheiten auf der Schrankenebene wieder zurückzunehmen; zudem sei ein unbeschränkter Schutzbereich „lebensfremd“, „konstruiert“ sowie juristisch unsauber (Rn. 26). Unklar wäre aber auch insofern wieder, was unter „erheblicher Sozialschädlichkeit“ überhaupt zu verstehen ist. Fraglich ist insofern, ob etwa bei einer „einfachen“ Körperverletzung gem. § 223 StGB bereits von erheblicher Sozialschädlichkeit ausgegangen werden kann. Wäre dem nicht so, wäre dieses Kriterium ungeeignet den Kommunikationsprozess vor physischem Zwang etc. zu schützen. 222  Merten, in: Merten / Papier, Handbuch d. Grundrechte III: Allgemeine Lehren II, 2009, § 60 Rn. 28. 223  So etwa Schneider, in: BeckOK GG, 38. Edition 2018, Art. 8 Rn. 13; a. A. Depenheuer, in: Maunz / Dürig, GG, 83. EL 2018, Art. 8 Rn. 80.



VII. § 90a Abs. 2 StGB107

heit anderenfalls einfachgesetzlich ausgestaltet werden könnte.224 Dies gilt insbesondere in Ansehung der hohen Wahrscheinlichkeit einzelner Rechtsbrüche bei der Ansammlung größerer oder großer Menschenmengen.225 Zudem ist zu beachten, dass Versammlungen bei entsprechender Größe dadurch für die Öffentlichkeit eindrücklich wirken, dass sie von erheblicher „physische[r] Präsenz“ sind und sich „Dritten körperlich, optisch und akustisch geradezu auf[drängen].“226 Rechtsverstöße, die in diesem Rahmen oft passieren – etwa durch Rempeleien – können nicht bereits zum Entfallen der Friedlichkeit führen. Höfling stellt deshalb zutreffend fest, dass Versammlungen anders wirken als Meinungsäußerungen.227 Das BVerfG hat dazu ausgeführt, dass im Vergleich mit der im Art. 8 Abs. 1 GG geforderten Waffenlosigkeit der Versammlung die Unfriedlichkeit erst dann angenommen werden kann, „wenn Handlungen von einiger Gefährlichkeit wie etwa aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten stattfinden […].“228 Ferner stellte das Gericht fest, dass die „Unfriedlichkeit […] nicht mit dem von der Rechtsprechung entwickelten weiten Gewaltbegriff des Strafrechts229 gleichgesetzt werden [kann].“230 Der Friedlichkeitsbegriff des Art. 8 Abs. 1 GG lässt sich damit schon gar nicht auf die Kommunikationssituation des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG übertragen. Eine weitere Gefahr, die sich bei Heranziehung der Schutzbereichsgrenze aus Art. 8 GG stellt, ist die der einfachgesetzlichen Schutzbereichsbestimmung: Ein Verweis auf die Unfriedlichkeit und damit etwa auf Bestimmungen des Strafgesetzbuches könnten dazu führen, dass der Gesetzgeber einfachgesetzlich den Schutzbereich der Meinungsfreiheit einschränken kann, indem er typische, dem normalen Kommunikationsverhalten nahestehende Verhaltensweisen unter Strafe stellt und damit die Hürde der Nichteröffnung des Schutzbereiches absenkt. Soweit Vertreter dieser Lösung Gewalt nicht als Ausdrucksform einer Meinung geschützt sehen wollen, ist die Friedlichkeit des Art. 8 Abs. 1 GG nur 224  So richtigerweise die h. M., vgl. neben anderen: Epping, Grundrechte, 6. Aufl. 2015, S. 17 Rn. 38; Höfling, in: Sachs GG, 7. Aufl. 2014, Art. 8 Rn. 30. Nicht zutreffend deshalb die a. A. von Depenheuer, in: Maunz / Dürig, GG, 83. EL 2018, Art. 8 Rn.  79 f. 225  Ähnlich dazu auch Schneider, in: BeckOK GG, 38. Edition 2018, Art. 8 Rn. 13. 226  Höfling, in: Sachs GG, 7. Aufl. 2014, Art. 8 Rn. 30: Höfling macht deutlich, dass gerade in der „physische[n] Präsenz“ der Wirkungsunterschied zwischen Versammlung und Meinungsäußerung zu sehen ist. Vgl. zum Unterschied zwischen „bloßer“ Meinungsäußerung und Versammlung auch Bull, in: Badura / Dreier, FS 50 Jahre BVerfG, Bd. 2, 2001, S. 163 (166). 227  Höfling, in: Sachs GG, 7. Aufl. 2014, Art. 8 Rn. 31. 228  BVerfGE 104, 92 (106) = BVerfG, Beschl. v. 24.10.2001  – 1 BvR 1190 / 90 u. a., NJW 2002, 1031 (1033). 229  Gemeint ist der Gewaltbegriff der Nötigung i. S. d. § 240 StGB. 230  BVerfG, Urt. v. 11.11.1986 – 1 BvR 713 / 83 u. a., NJW 1987, 43 (47).

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D. Meinungsäußerungsverbote zum Schutz der fdG

dem Wesensgedanken nach als Schutzbereichsgrenze geeignet. Eine analoge Anwendung ist aufgrund der unterschiedlichen Kommunikationssituationen nicht ohne weitreichende Adaptionen möglich. Die Friedlichkeit des Art. 8 Abs. 1 GG kann nämlich auch bei einfachen Rechtsbrüchen (zu denken ist etwa an die §§ 223, 303 StGB) noch gegeben sein, womit Gewalt gerade nicht aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit herausgehalten wäre. Insofern ist widersprüchlich, wenn einzelne Vertreter der Literatur die Rechtsprechung des BVerfG stützen und zusätzlich – ohne genaue Begriffsbestimmung – die Schutzbereichsgrenze des Art. 8 Abs. 1 GG heranziehen. Mit dieser „Grenzenleihe“ wird die Rechtsprechung des BVerfG nämlich teilweise unterminiert. Darüber hinaus findet die Friedlichkeit als Schutzbereichsgrenze keinerlei Entsprechung im Wortlaut des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG. Die analoge Anwendung des Art. 8 GG kann damit nicht überzeugen. d) Zwischenergebnis Die Untersuchung hat verdeutlicht, dass der Schutzbereich der Meinungsfreiheit eingeschränkt werden muss, um insbesondere Gewalt auf dieser Ebene vom Schutz ausschließen zu können. Wesenskern der Meinungsfreiheit ist nämlich der umfassende Schutz eines Kommunikationsprozesses, weniger nur der Schutz entäußerter Gedanken in ein resonanzloses Vakuum. Dazu gehört, dass ein Austausch von Meinungen stattfindet. Ein solcher Austausch ist nicht möglich, sobald und soweit Gewalt das geistige Wirken von Argumenten verhindert oder ersetzt.231 Ein Kommunikationsprozess wäre kaum möglich, wenn der sich (gewaltlos) Äußernde mit einer gewalttätigen Reaktion rechnen muss. In Erwartung solcher Reaktionen würde vielmehr jede Kommunikation verstummen. Die Eröffnung des Schutzbereiches für Gewalt wäre deshalb für die Meinungsfreiheit wesensfremd. Nachdem festgestellt wurde, dass es einer Schutzbereichsgrenze für die Meinungsfreiheit bedarf, stellt sich die Frage, wie diese Grenze zu ziehen ist. Die dazu untersuchten Ansätze haben Folgendes ergeben: Nicht überzeugen konnte die Analogie zu Art. 8 Abs. 1 GG. Diese Heranziehung der „Friedlichkeit“ aus Art. 8 GG ist nicht ohne Weiteres auf die Meinungsfreiheit übertragbar, da zwar beide Freiheiten (abstrakt) Kommunikation schützen, im Einzelnen aber doch erhebliche situative Unterschiede zum Tragen kommen. Die Friedlichkeit ist auf die Situation einer Demonstration zugeschnitten, die signifikante Unterschiede zur (alltäglicheren) Kommunikation im Sinne des Art. 5 GG aufweist. Der Begriff ist deshalb nur unter Anpassungen 231  Dabei ist jedoch zu beachten, dass der Schutz auf dieser Grundlage nicht so weit verengt werden darf, dass Meinungsäußerungen nur noch dann geschützt sind, wenn sie tatsächlich Reaktionen hervorrufen.



VII. § 90a Abs. 2 StGB109

übertragbar. Da das BVerfG jedoch bereits eine leichter handhabbare Einschränkung mit der verlangten geistigen Wirkung von Meinungen geschaffen hat, bedarf es dieser Schutzbereichsgrenzenleihe schon gar nicht. Im Gegensatz dazu hat das BVerfG eine Formel gefunden, die dem Schutzbereich einen Rahmen gibt: die geistige Vermittlung der Meinung ist Essenz der Kommunikation. Diese Formel ist vor allem negativ definiert. Nicht geistig vermittelt ist eine Meinung danach, wenn sie aufgrund physischen oder auch wirtschaftlichen Zwangs bzw. Drucks als Erklärung keinen Erklärungs- oder Darlegungscharakter hat, also etwa bei Ausübung bloßer Gewalt. Es handelt sich dabei nicht mehr um eine geistig bleibende Einwirkung auf den Adressaten, sondern insbesondere um eine physische Einwirkung. Der Kommunikationsprozess wird bei Vorliegen solcher Ausdrucksformen nicht bzw. nicht umfassend geschützt. 2. Eingriff in die Meinungsfreiheit In Ansehung der Schutzbereichsuntersuchung stellt sich die Frage, ob die Verbote – mithin das Entfernen, Zerstören, Beschädigen, Unbrauchbar- und Unkenntlichmachen sowie der beschimpfende Unfug – des § 90a Abs. 2 StGB Eingriffe in die Meinungsfreiheit darstellen (können). Das „Entfernen“ ist verwirklicht, wenn Flagge oder Hoheitszeichen vom Anbringungsort weggenommen werden.232 Erfasst sind öffentlich gezeigte Bundes- und Landesflaggen.233 Nicht erforderlich ist, dass die Flagge von anderen Personen vor oder auch nur während der Tathandlung wahrgenommen wird, solange sie nur wahrgenommen werden kann und auch wahrnehmbar sein soll.234 Hoheitszeichen im Sinne des Abs. 2 sind Gegenstände, die die Autorität des Staates öffentlich symbolisieren, indem sie erkennbar den Willen eines Bundes- oder Landesorgans zum Ausdruck bringen, dass ein bestimmter Ort oder eine Sache ihrer Staatsgewalt unterliegt und auch gewidmet ist.235 232  Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 90a Rn. 33; Laufhütte / Kuschel, in: LK StGB (Bd. 4), 12. Aufl. 2007, § 90a Rn. 37. 233  Und zwar unabhängig davon, ob sie von privater oder öffentlicher Hand und aus welchem Grund sie angebracht wurden, vgl.: Steinmetz, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 90a Rn. 20; Laufhütte / Kuschel, in: LK StGB (Bd. 4), 12. Aufl. 2007, § 90a Rn. 34. 234  Steinmetz, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 90a Rn. 20; Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 90a Rn. 29 f.; Laufhütte / Kuschel, in: LK StGB (Bd. 4), 12. Aufl. 2007, § 90a Rn. 34; Burkiczak, JR 2005, 50 (52). 235  Laufhütte / Kuschel, in: LK StGB (Bd. 4), 12. Aufl. 2007, § 90a Rn. 35. Diese Zeichen können nicht in privater Angelegenheit angebracht werden, sondern müssen

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D. Meinungsäußerungsverbote zum Schutz der fdG

Die Wegnahme ist begrifflich an den Diebstahl (§ 242 StGB) angelehnt, setzt aber keine Zueignungsabsicht236 des Täters voraus; unerheblich ist deshalb, ob der Gegenstand in der Nähe des Anbringungsortes verbleibt, der Täter diesen etwa liegen lässt.237 Dieses Minus zum Diebstahl ergibt sich, da mit § 90a Abs. 2 StGB nicht Eigentum, sondern Symbole geschützt werden. Schutzlücken entstehen nicht – das Eigentum wird durch andere Normen (§§ 242, 303 StGB) geschützt. Die Wegnahme liegt vor, wenn fremder Gewahrsam gebrochen und neuer, nicht notwendigerweise tätereigener Gewahrsam begründet wird.238 Dafür muss der Täter gegen oder ohne den Willen des Gewahrsamsinhabers handeln.239 Bedingter Vorsatz genügt grundsätzlich, allerdings muss dem Täter die Wirkung seines Handelns auf Dritte bewusst sein – anderenfalls kann der Vorsatz entfallen.240 Nicht erforderlich ist eine staatsgefährdende Absicht des Täters.241 Handelt es sich bei diesem Handeln um von der Meinungsfreiheit geschütztes Verhalten? Problematisch ist insoweit: Das tatbestandliche Verhalten muss das Konstituierungsmerkmal „Stellungnahme“ aufweisen. Ferner könnte aufgrund der Ausdrucksform die Schutzbereichsgrenze der „nichtgeistigen Vermittlung“ greifen. Das Entfernen könnte als neutrale Handlung ohne kommunikativen Gehalt verstanden werden, sodass eine Stellungnahme abzulehnen wäre. Mit Blick auf das Schutzgut – konkret der unmittelbare Schutz eines Symbols, nicht der Schutz von Eigentum –, fällt es allerdings ungleich schwerer, das Entfernen als neutrale, ohne Stellungnahme versehene Tathandlung zu verstehen. Dies gilt auch, da subjektiv vom Täter Bewusstsein über die Wirkung seines Handelns auf Dritte vorausgesetzt ist. Damit ist tatbestandlich vorausgesetzt, dass das Entfernen einen stellungnehmenden Charakter hat – ein irrtümliches Entfernen etwa durch einen Behördenmitarbeiter wäre schon gar nicht tatbestandlich. Das konstituierende Element der Stellungnahme wird mithin regelmäßig vorliegen, wenn tatbestandlich „entfernt“ wird. auf behördliche Veranlassung öffentlich angebracht, aber nicht zwingend öffentlich sichtbar sein. Insoweit reicht, dass das Hoheitszeichen am Anbringungsort für beliebige Personen wahrnehmbar ist. (a. a. O., Rn. 36). 236  Zur Zueignungsabsicht als subjektives Tatbestandsmerkmal des § 242 StGB vgl. Schmitz, in: MüKo StGB (Bd. 4), 3. Aufl. 2017, § 242 Rn. 122. 237  Steinmetz, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 90a Rn. 22; Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 90a Rn. 33; Laufhütte / Kuschel, in: LK StGB (Bd. 4), 12. Aufl. 2007, § 90a Rn. 37. 238  RG, Urt. v. 15.12.1913 – II 684 / 13, RGSt 48, 58. 239  Schmitz, in: MüKo StGB (Bd. 4), 3. Aufl. 2017, § 242 Rn. 49. 240  Steinmetz, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 90a Rn. 26; Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 90a Rn. 38. 241  Burkiczak, JR 2005, 50 (52).



VII. § 90a Abs. 2 StGB111

Schwieriger zu beantworten ist, ob das Entfernen noch geistig vermittelt ist. Der Schutzbereich bleibt nicht bereits verschlossen, weil das Entfernen nicht den „klassischen“ Ausdrucksformen (Wort, Schrift, Bild) entspricht – andere Ausdrucksformen, etwa Gesten, sind ebenfalls vom Schutzbereich erfasst.242 Das Entfernen kann als eine Geste erkannt werden und liegt damit zunächst im Kanon geschützter Ausdrucksformen. Problematisch für die Schutzbereichseröffnung könnte aber mit dem Merkmal der Wegnahme der tatbestandliche Gewahrsamsbruch sein: Ist für den Adressaten die Äußerung trotz Gewahrsamsbruchs noch geistig vermittelt? Vorausgesetzt ist insoweit, dass der Täter nicht Gewahrsamsinhaber des Schutzgegenstandes ist. Damit ist aber nicht ausgeschlossen, dass der Täter Eigentümer des Schutzgegenstandes ist – die Anleihe zum § 242 StGB ist auf den Begriff der Wegnahme beschränkt; das Vorliegen einer fremden Sache ist nicht Tatbestandsvoraussetzung des § 90a Abs. 2 StGB. Eine strafrechtlich relevante Verletzung fremden Eigentums findet nicht statt, weder in Form des Diebstahls noch der Sachbeschädigung. Allerdings ist tatbestandlich vorausgesetzt, dass gegen oder ohne den Willen des Gewahrsamsinhabers gehandelt wird. Mit dem Entfernen wird also psychischer, weniger wirtschaftlicher Druck auf den Gewahrsamsinhaber als Adressaten ausgeübt. Diese Drucksituation führt mithin nicht dazu, dass dem wahrnehmenden Rezipienten des Entfernens die innere Freiheit genommen wird, geistig-kommunikativ, etwa verbal zu reagieren. Etwas anderes ergibt sich nur, wenn der Adressat durch Eigentumsverletzung, also beispielsweise eine gleichzeitig durch das Entfernen verwirklichte Sachbeschädigung oder Diebstahl, in eine psychisch-wirtschaft­ liche Zwangslage versetzt wird, die ihn seiner inneren Freiheit beraubt. Eine pauschale Aussage zur Grundrechtsrelevanz des tatbestandsmäßigen Entfernens lässt sich damit nicht treffen; vielmehr bedarf es einer genauen Untersuchung dazu, ob durch eigentumsverletzende, mitverwirklichte Straftaten der Adressat in eine Zwangslage versetzt wird. Wird mit dem Entfernen nicht zugleich eine Verschärfung der zunächst zu vernachlässigenden, „nur“ psychischen Zwangslage verwirklicht, kann der Schutzbereich der Meinungsfreiheit damit noch eröffnet werden – die Schutzbereichsgrenze greift insoweit nicht. Das Beschädigen und Zerstören ist im Sinne einer Sachbeschädigung gemäß § 303 StGB zu verstehen.243 Beschädigungen sind gegeben, wenn durch körperliche Einwirkung die Substanz, äußere Erscheinung oder Form einer Flagge oder eines Hoheitszeichens verletzt und dadurch die bestimmungsge242  Vgl.

Abschnitt D.VII.1. Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 90a Rn. 34; Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder StGB, 29. Aufl. 2014, § 90a Rn. 17; Laufhütte / Kuschel, in: LK StGB (Bd. 4), 12. Aufl. 2007, § 90a Rn. 38; Burkiczak, JR 2005, 50 (52). 243  Vgl.

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D. Meinungsäußerungsverbote zum Schutz der fdG

mäße Brauchbarkeit eingeschränkt wird, ohne dass die Beeinträchtigung mit nur geringem Aufwand beseitigt werden kann.244 Nach vor allem in der Rechtsprechung vertretener Auffassung setzt eine Beschädigung (§ 303 Abs. 1 StGB) eine Substanzverletzung für die Verwirklichung nicht (mehr) zwingend voraus.245 Beschädigungen ohne Substanzeingriff oder gar -verletzung246 sind gegeben, wenn die Einwirkung auf die oder die Veränderung an der Sache zur wesentlichen Minderung der bestimmungsmäßigen Brauchbarkeit und dadurch zur Einschränkung der Funktionsfähigkeit führt.247 Keine tatbestandsmäßige Beschädigung liegt vor, wenn die Sache entzogen wird; denkbar ist insoweit eine Strafbarkeit aus § 242 StGB oder – wie besprochen – aus der Begehungsvariante „Entfernen“.248 Eine Zerstörung liegt vor, wenn der Gegenstand dergestalt beschädigt wird, dass seine bestimmungsgemäße Brauchbarkeit völlig aufgehoben wird.249 Bekanntestes praktisches Beispiel dieser Tathandlung ist die Flaggenverbrennung, die als Ausdruck heftigen Protests oder auch der Verachtung verwirklicht wird. Sowohl die Beschädigung als auch die Zerstörung im Sinne des Absatzes 2 weisen das Konstituierungsmerkmal der Stellungnahme auf – insoweit ergeben sich keine Unterschiede zum „Entfernen“ eines Schutzgegenstandes.

244  Steinmetz, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 90a Rn. 22 i. V. m. § 87 Rn. 16. Vgl. dazu auch Dagasan, der darauf hinweist, dass Hoheitszeichen ihre Funktion schon dann vollständig verlieren, wenn nur eine Substanzbeschädigung vorliegt, da die Hoheitszeichen zur Funktionserfüllung (Symbolisierung staatl. Autorität) „ein repräsentatives, d. h. adäquates, sauberes und gepflegtes Erscheinungsbild aufzuweisen haben“. Dagasan, Das Ansehen des Staates im türkischen und deutschen Strafrecht, 2015, S. 218. Zitat a. a. O. 245  Etwa BGHSt 44, 34 (38) = BGH, Urt. v. 12.2.1998 – 4 StR 428–97, NJW 1998, 2149 (2150): „Der Begriff der Beschädigung einer Sache verlangt keine Verletzung ihrer Substanz. Es genügt, daß durch körperliche Einwirkung auf die Sache die bestimmungsgemäße (technische) Brauchbarkeit nachhaltig gemindert wird […].“ Zitat a. a. O. Vgl. ferner auch die Auführungen von Wieck-Noodt, in: MüKo StGB (Bd. 5), 2. Aufl. 2014, § 303 Rn. 21 ff. 246  Zu beachten ist insoweit aber, dass keine Beschädigung angenommen werden kann, wenn der Täter gar nicht auf die Sachsubstanz einwirkt, wie das etwa bei der Unterbrechung der Stromzufuhr zu elektrischen Geräten gegeben wäre, vgl. WieckNoodt, in: MüKo StGB (Bd. 5), 2. Aufl. 2014, § 303 Rn. 26. 247  M. w. N. Wieck-Noodt, in: MüKo StGB (Bd. 5), 2. Aufl. 2014, § 303 Rn. 21, 24. 248  BGHSt 44, 34 (38 f.) = BGH, Urt. v. 12.2.1998 – 4 StR 428–97, NJW 1998, 2149 (2150): „Eine […] straflose Sachentziehung ist dadurch gekennzeichnet, daß die Sache durch Veränderung ihres Aufenthaltsortes oder durch die Verhinderung des Zugangs zu ihr der Verfügungsgewalt des Berechtigten entzogen wird, davon abgesehen aber von ihm (oder anderen) bestimmungsgemäß genutzt werden könnte.“ Zitat a. a. O. 249  Steinmetz, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 90a Rn. 22 i. V. m. § 87 Rn. 16.



VII. § 90a Abs. 2 StGB113

Anders als etwa mit Blick auf das Entfernen wird bei diesen Tatbegehungsvarianten in der Regel in die Sachsubstanz der Gegenstände eingegriffen bzw. diese völlig aufgehoben. Für die Frage, ob hier die Schutzbereichsgrenze greift, muss nach den Eigentumsverhältnissen unterschieden werden. Für die tatbestandlichen Schutzgegenstände „Flagge“ und „Hoheitszeichen“ ist unerheblich, in welchem Eigentumsverhältnis der Täter zum Gegenstand steht; er kann damit auch Eigentümer der Gegenstände sein.250 Die Unbeachtlichkeit der Eigentumsverhältnisse ergibt sich aus dem Schutzgut; geschützt wird durch § 90a StGB nicht das Eigentum, sondern (u. a.) die freiheitliche demokratische Grundordnung.251 Handelt es sich bei der Flagge oder dem Hoheitszeichen um Eigentum des Täters, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Beschädigung oder Zerstörung eine Zwangswirkung auf mögliche Adressaten der Meinungsgeste ausübt. Anders verhält es sich jedoch, wenn der Schutzgegenstand für den Täter eine fremde Sache darstellt; er durch diese Begehungsformen also auch eine tatbestandliche Sachbeschädigung im Sinne des § 303 Abs. 1 StGB mitverwirklicht. Insoweit kann davon ausgegangen werden, dass der Angriff auf das fremde Eigentum zumindest bei dem Adressaten „Eigentümer“ eine Zwangswirkung dergestalt ausübt, dass dieser nicht mehr die innere Freiheit hat, ohne wirtschaftlichen Druck Entscheidungen zu treffen.252 Die tatbestandliche Sachbeschädigung lässt sich insofern als „Gewalt gegen Sachen“ erkennen, auch ohne Sub­ stanzverletzung. Die Beschädigung oder Zerstörung führt zumindest für den Eigentümer dazu, dass eine rein geistige Ebene beziehungsweise ein rein geistiger Meinungskampf verlassen wird und ein psychisch-wirtschaftlicher Druck auf diesen ausgeübt wird, der nicht mit gewaltfreier Kommunikation vergleichbar ist.253 Für die Begehungsvarianten „Beschädigung oder Zerstörung fremder Schutzgegenstände“ kann damit festgestellt werden, dass der Schutzbereich der Meinungsfreiheit schon gar nicht eröffnet ist. Dieses Ergebnis lässt sich jedoch nicht auf die Konstellation „Beschädigung oder Zerstörung eigener Schutzgegenstände“ übertragen.254 Eine etwa250  Steinmetz,

in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 90a Rn. 19. zum Schutzgut Abschnitt D.VI.1. Vgl. ähnlich auch Steinmetz, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 90a Rn. 1, 19. 252  Vgl. insofern die Anleihen in BVerfGE 25, 256 (264 f.) = BVerfG, Urt. v. 26.2.1969 – 1 BvR 619 / 63, NJW 1969, 1161 (1162). 253  Vgl. dazu das BVerfG, Beschl. v. 27.10.1987 – 1 BvR 385 / 85, NJW 1989, 381 (382): „Der Grundrechtsschutz aus Art. 5 I GG endet erst dort, wo der Bereich geistiger Einwirkung auf die Adressaten der Meinungsäußerung oder die Öffentlichkeit verlassen und physischer, wirtschaftlicher oder vergleichbarer Druck zur Verstärkung der geäußerten Meinung eingesetzt wird […].“ 254  Vgl. dazu auch Starck mit Blick auf die Flaggenverbrennung, der die Beschädigung oder gar Zerstörung von beispielsweise Fahnen vom Schutzbereich erfasst sieht, solange in dieser Handlung keine Verletzung fremden Eigentums liegt, in: 251  Vgl.

114

D. Meinungsäußerungsverbote zum Schutz der fdG

ige Zwangswirkung auf Dritte als Adressaten entfällt; der Täter ist zugleich Eigentümer des Schutzgegenstandes. Entfällt durch den mangelnden Eingriff in das Eigentum Dritter die psychisch-wirtschaftliche Drucksituation, verbleibt ein gewaltfreier255 kommunikativer Äußerungsgehalt, der – unabhängig vom Erklärungs- oder Darlegungswert für den Adressaten – vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit erfasst ist. Unbrauchbar wird der Gegenstand gemacht, wenn seine Funktion oder Tauglichkeit beseitigt wird, wobei schon eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung tatbestandlich sein kann.256 Regelmäßig ist auch für diese Tathandlung ein Eingriff in die Substanz zu fordern.257 Fraglich ist, ob in Anbetracht der Begehungsvarianten „Beschädigung“ und „Zerstörung“ überhaupt noch ein Anwendungsspielraum für das Unbrauchbarmachen verbleibt. Liegt nämlich eine durch Substanzeingriff verwirklichte Funktionsbeseitigung vor, wird oft auch die Zerstörung des Schutzgegenstandes tatbestandlich sein. Liegt eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung durch Substanzeingriff vor, wird in der Regel die Beschädigung tatbestandlich sein. Theoretisch denkbar sind Fälle, in denen der Schutzgegenstand ohne Substanzeingriff unbrauchbar gemacht wird, jedoch ist auch in diesen Fällen zumindest eine tatbestandliche Beschädigung denkbar. Für das tatbestandliche Unbrauchbarmachen kann deshalb auf die Ergebnisse zu den Begehungsvarianten Zerstörung und Beschädigung verwiesen werden. Das Unkenntlichmachen als Auffangtatbestandsmerkmal des Abs. 2 setzt voraus, dass der Täter die Erkennbarkeit des Gegenstandes beseitigt, ohne diesen zu beschädigen (im Sinne einer Substanzverletzung); denkbar etwa durch das Überkleben oder Übermalen der Gegenstände und auch das (teilweise) Einholen einer am Fahnenmast hängenden Flagge ohne Entfernung der Flagge.258 Insoweit können die Ausführungen zum Konstituierungsmerkmal bei dem Entfernen herangezogen werden – ein inhaltlicher Unterschied ergibt sich nicht. Fraglich ist jedoch, ob das Unkenntlichmachen noch vom Schutzbereich erfasst ist. Dazu ist wieder nach Eigentumsverhältnissen zu unterscheiden: Ist der Täter auch Eigentümer des Schutzgegenstandes, steht v. Mangoldt / Klein / Starck, GG (Bd. 1), 6. Aufl. 2010, Art. 5 Rn. 33. Siehe auch Möller, Der grundrechtliche Schutzbereich der Meinungsfreiheit, 2016, S. 242, Fn. 851. 255  Im Sinne von: Gewalt gegen Sachen. 256  Steinmetz, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 90a Rn. 22 i. V. m. § 87 Rn. 16; Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 90a Rn. 35; Laufhütte / Kuschel, in: LK StGB (Bd. 4), 12. Aufl. 2007, § 90a Rn. 39. 257  Steinmetz, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 90a Rn. 22 i. V. m. § 87 Rn. 16. 258  Steinmetz, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 90a Rn. 22; Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 90a Rn. 36; Laufhütte / Kuschel, in: LK StGB (Bd. 4), 12. Aufl. 2007, § 90a Rn. 40.



VII. § 90a Abs. 2 StGB115

einer Schutzbereichseröffnung nichts entgegen. Ist jedoch nicht der Täter Eigentümer, sondern ein (adressierter) Dritter, könnte das Unkenntlichmachen etwa ein psychisch-wirtschaftlich wirkender Zwang sein, der die Schutzbereichseröffnung verhindert. Anders als mit Blick auf die Beschädigung, Zerstörung und auch das Unbrauchbarmachen der Schutzgegenstände, ist für die Unkenntlichmachung ein geringerer Prüfungsmaßstab anzulegen. So ist für das Unkenntlichmachen, immerhin handelt es sich um einen Auffangtatbestand, tatbestandlich nicht vorausgesetzt, dass – wie etwa bei der Beschädigung – die Beeinträchtigung nicht mit nur geringem Aufwand beseitigt werden kann. Das ergibt sich schon mit einem Blick auf das Beispiel der eingeholten Flagge ohne Entfernung der Flagge: Der ursprüngliche Zustand, also das Aufhissen der Flagge, kann mit sehr geringem Aufwand wiederhergestellt werden. Von vergleichbarer Schwere müssten auch das tatbestandliche Überkleben oder Übermalen sein, um eine Begriffsüberschneidung mit der Beschädigung oder Zerstörung zu vermeiden. Das Unkenntlichmachen wirkt damit anders als die übrigen Begehungsvarianten des § 90a Abs. 2 StGB zumindest auf den Eigentümer als Adressaten. Dieser gerät durch das Unkenntlichmachen zwar auch in eine gewisse (psychisch veranlasste) Drucksituation, allerdings fehlt insoweit ein ergänzender wirtschaftlicher Druck, da die Minderung oder der Verlust von Eigentum nicht zu befürchten steht. Die von dem Unkenntlichmachen ausgehende Zwangswirkung ist damit nicht solcher Intensität, dass dem Angesprochenen die innere Freiheit zur kommunikativen Reaktion genommen wird – er kann weiterhin ohne wirtschaftlichen Druck Entscheidungen treffen. Aus diesem Grund kann für die Begehungsvariante „Unkenntlichmachen“ der Schutzbereich der Meinungsfreiheit eröffnet werden. Der beschimpfende Unfug wird durch eine rohe, grobe und verletzende Kundgabe der Missachtung beziehungsweise Herabwürdigung in räumlicher Unmittelbarkeit gegen die Gegenstände verübt, ohne dass Substanzverletzungen oder Funktionseinschränkungen tatbestandlich vorausgesetzt werden.259 Denkbar sind Handlungen wie das Urinieren, Defäkieren oder Anspucken eines Gegenstandes ebenso wie das Umsägen einer gehissten Flagge.260 Noch deutlicher als mit Blick auf die übrigen Tathandlungen des Abs. 2 verlangt der beschimpfende Unfug ein Element der Stellungnahme, nament259  Steinmetz, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 90a Rn. 22; Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 90a Rn. 37; Laufhütte / Kuschel, in: LK StGB (Bd. 4), 12. Aufl. 2007, § 90a Rn. 41; Burkiczak, JR 2005, 50 (52). 260  Vgl. Steinmetz, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 90a Rn. 22; Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 90a Rn. 37; vgl. auch Laufhütte / Kuschel, in: LK StGB (Bd. 4), 12. Aufl. 2007, § 90a Rn. 41.

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D. Meinungsäußerungsverbote zum Schutz der fdG

lich der Kundgabe einer Missachtung. Das Konstituierungsmerkmal „Stellungnahme“ in konkreter Form des Dagegenhaltens ist damit tatbestandlich vorausgesetzt. Fraglich ist deshalb nur, ob die Ausdrucksformen vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit erfasst sind. Insoweit kann wieder die Sachbeschädigung als Indikator für die Schutzbereichseröffnung herangezogen werden: Soweit es sich bei Handlungen wie dem Urinieren, Defäkieren oder Umsägen um Sachbeschädigungen handelt – etwa in Form der tatbestandlichen Beschädigung – gelten aufgrund der durch dieses Verhalten verursachten psychisch-wirtschaftlichen Zwangssituation des Angesprochenen die entsprechenden Ergebnisse zur Schutzbereichseröffnung. Etwas anderes könnte gelten, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Sachbeschädigung nicht gegeben sind. Solche tatbestandsmäßigen Handlungen mögen in einer Debatte zwar nur schwer verwertbar,261 womöglich gar „gefährlich“ oder „wertlos“ sein,262 in jedem Fall „übersteigert“263 und „scharf oder verletzend formuliert“264. Für die Schutzbereichseröffnung kommt es darauf aber nicht an. Solange diese Meinungsäußerungsgeste den Angesprochenen nicht die innere Freiheit nimmt, weiterhin kommunikativ tätig zu werden, greift die fragliche Schutzbereichsgrenze nicht. Ein die innere Freiheit unterminierender Zwang entsteht auch nicht durch bloßes Unwohlsein, das bei der Beobachtung des Defäkierens auf die Schutzgegenstände ausgelöst werden kann. Ein bloßes, nicht psychosomatisch wirkendes Unwohlsein nimmt nicht die Freiheit zur kommunikativen Erwiderung – ein geistig wirkender Meinungskampf ist weiterhin möglich. Aus diesen Gründen ist für die Tatbestandsverwirklichung durch beschimpfenden Unfug der Schutzbereich der Meinungsfreiheit eröffnet, solange keine tatbestandliche Sachbeschädigung vorliegt.

261  Zur Unerheblichkeit darüber, ob eine Meinungsäußerung besonders verwertbar sein muss: BVerfGE 124, 300 (320) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009 – 1 BvR 2150 / 08, NJW 2010, 47 (48). Vgl. dazu auch Epping, Grundrechte, 6. Aufl. 2015, S. 103 f. Rn. 213. 262  Zur für die Schutzbereichseröffnung grundsätzlichen Unbeachtlichkeit darüber, ob eine Meinungsäußerung „begründet oder grundlos, emotional oder rational ist, […] wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos“ ist: BVerfGE 124, 300 (320) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08, NJW 2010, 47 (48). Zitat a. a. O. Vgl. dazu auch Abschnitt C.II.2. 263  Zur für die Schutzbereichseröffnung grundsätzlichen Unbeachtlichkeit darüber: BVerfGE 61, 1 (7) = BVerfG, Beschl. v. 22.6.1982  – 1 BvR 1376 / 79, NJW 1983, 1415 (1415). Zitat a. a. O. Vgl. dazu auch Abschnitt C.II.2.a). 264  Zur für die Schutzbereichseröffnung grundsätzlichen Unbeachtlichkeit darüber: BVerfGE 90, 241 (247) = BVerfG, Beschl. v. 13.4.1994 – 1 BvR 23 / 94, NJW 1994, 1779 (1779). Zitat a. a. O. Vgl. dazu auch Abschnitt C.II.2.a).



VIII. Ergebnis117

VIII. Ergebnis Die dargestellten Strafnormen §§ 83, 86, 86a und 90a StGB schützen jeweils die fdG, wenn es sich dabei auch nicht um das einzige Schutzgut der Normen handelt. § 83 StGB stellt in der Tatbegehungsvariante der „Agitation“ einen Eingriff in die Meinungsfreiheit dar, da diese die Meinung konstituierende Stellungnahmen aufweist: zum einen gegen den Bestand der Bundesrepublik etc., zum anderen für das hochverräterische Unternehmen. Für das Tatverhalten im Sinne des § 86 StGB und auch § 86a StGB ist ebenfalls (regelmäßig) der Schutzbereich der Meinungsfreiheit eröffnet – beide Normen können damit als Meinungsäußerungsdelikte klassifiziert werden. Der Eingriffscharakter des § 90a StGB stellt sich hingegen differenzierter dar: Während für die Tathandlungsvarianten des Absatz 1 Nr. 1 – mithin die Beschimpfung, das böswillige Verächtlichmachen sowie die Verunglimpfung – jeweils der Schutzbereich der Meinungsfreiheit eröffnet ist, gilt dies für die Tathandlungen nach Absatz 2 nicht in gleichem Maße. Bei dem „Entfernen“ im Sinne von § 90a Abs. 2 StGB handelt es sich grundsätzlich um eine stellungnehmende Geste, die vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit erfasst ist. Insofern greift auch die Schutzbereichsgrenze der „geistigen Vermittlung“ nicht, da der Gewahrsamsbruch allein nicht vermag, dem Gewahrsamsinhaber die innere Freiheit zu nehmen, geistig-kommunikativ zu reagieren. Für das Beschädigen und Zerstören im Sinne des § 90a Abs. 2 StGB gilt hingegen eine Unterscheidung nach Eigentumsverhältnissen: Steht die Flagge oder das Hoheitszeichen im Eigentum des Täters, hat eine Beschädigung oder Zerstörung keine Zwangswirkung auf Dritte. Ist der Gegenstand für den Täter jedoch fremd, hat das Tathandeln zumindest auf den Eigentümer eine Zwangswirkung, sodass dieser nicht in innerer Freiheit ohne wirtschaftlichen Druck Entscheidungen treffen kann – eine geistige Vermittlung ist nicht mehr gegeben, sodass der Schutzbereich der Meinungsfreiheit schon gar nicht zu eröffnen ist. Für das Unbrauchbarmachen gilt Gleiches wie für das Beschädigen und Zerstören. Das Unkenntlichmachen bedeutet für den Dritten als Eigentümer eine vergleichbare Zwangslage wie beim Entfernen, sodass noch von einer geistigen Vermittlung ausgegangen werden kann – der Schutzbereich der Meinungsfreiheit wird regelmäßig zu eröffnen sein. Für den tatbestandlichen beschimpfenden Unfug im Sinne des Absatzes 2 ist ebenfalls der Schutzbereich zu eröffnen, solange keine tatbestandliche Sachbeschädigung mitverwirklicht wird.

E. Demokratietheoretische Grundlagen und Begründungsfragen der wehrhaften Demokratie Die Überlegungen und Untersuchungen im Abschnitt C. und D. zeigen, dass die Meinungsfreiheit als für die fdG konstituierendes Grundrecht und die Verbote der §§ 83, 86, 86a und 90a StGB in ihrer Anwendung als Meinungsäußerungsdelikte zum Schutz der fdG in einem Spannungsverhältnis stehen. Auf der einen Seite macht die Meinungsfreiheit die vom Grundgesetz entworfene Staatsordnung überhaupt erst möglich; auf der anderen Seite wird die Meinungsfreiheit eingeschränkt, um eben diese Staatsordnung zu schützen. Verständnisschlüssel für dieses Paradoxon ist das grundgesetzliche Konzept der wehrhaften Demokratie. Nachfolgend wird deshalb anhand demokratietheoretischer Grundlagen zum Wehrhaftigkeitskonzept das Paradoxon analysiert und wenn möglich aufgelöst. Abzugrenzen ist die nachfolgende Diskussion von einer bloßen Verfassungsmäßigkeitsprüfung: Es wird vielmehr darum gehen, eine systemische Einordnung zu treffen und „prinzipielle Legitimationsfragen“1 der wehrhaften Demokratie zu besprechen, um in einem nächsten Schritt praktische Legitimationsprobleme (Abschnitt G.) zu untersuchen. Konkrete Forschungsfrage dieses Abschnitts ist: Handelt es sich bei den untersuchten Meinungsäußerungsdelikten um Instrumente wehrhafter Demokratie? Dazu ist zunächst der historische Entstehungsprozess der wehrhaften Demokratie des GG nachzuzeichnen (Abschnitte E.I. und E.II.). Im kritischen Fokus stehen dabei die historischen Grundannahmen des GG, wonach die Wehrhaftigkeit eine „Lehre aus der Vergangenheit“ ist (Abschnitt E.IV.). Ferner wird das Wehrhaftigkeitskonzept des GG erschlossen (Abschnitt E.III.), kritisch überprüft (Abschnitt E.V.) und sodann vor dem Hintergrund fdG-schützender Meinungsäußerungsdelikte untersucht (Abschnitt E.VI.).

I. Historischer Rückblick: Die liberale Demokratie am Beispiel der Weimarer Republik Im Fokus der wehrhaften Demokratie stehen zwei gegenpolige Konzeptionen: die liberale und die militante Demokratie. Als „Antagonistin“ und zugleich „gegenpoliger Ursprung“ der wehrhaften Demokratie stellt sich dabei 1  Vgl. zu dieser Begriffsprägung Scherb, Der Bürger in der Streitbaren Demokratie, 2008, S. 23.



I. Historischer Rückblick119

die strikt liberale Demokratie dar. Die liberale Demokratie zeichnet sich durch ein inneres Spannungsverhältnis aus, wenn die Konzepte „Liberalismus“ und „Demokratie“ als (theoretische) Extreme einander gegenübergestellt werden: Liberalismus auf der einen Seite fokussiert die Freiheit des Individuums und wäre als gedachtes Extrem Anarchismus.2 Grundbedingung des (gemäßigten) Liberalismus ist damit die Gewährleistung von Freiheitsrechten.3 Die Demokratie hingegen visiert nicht die Freiheit des Einzelnen an, sondern die Herrschaft der Mehrheit – in seiner extremsten Form die absolute Herrschaft der Mehrheit; „der Einzelne [stellt] seine vorstaat­ liche Freiheit restlos zur Disposition des Staatswillens, des Mehrheitswil­ lens“.4, 5 Die Komposition „liberale Demokratie“ verdeutlicht den Fokus dieser Demokratietheorie, nämlich die Freiheitsrechte. Bei grundrechtlicher Gewährleistung, also auch des politischen Teilhaberechts Meinungsfreiheit, steht damit das negative Freiheitsspektrum (status negativus bzw. status libertatis6) im Mittelpunkt: Der Schwerpunkt der Freiheitsgewährleistung liegt darin, staatliche Interventionen in die individuelle Freiheitsausübung zu unterbinden.7 Bei aller Verschiedenheit zwischen Liberalismus und Demokratie darf eine Gemeinsamkeit allerdings nicht vernachlässigt werden, nämlich der jeweils „gleichgefährliche Gegner, der monarchisch-autoritäre Obrigkeits­ staat“.8 Diesem Obrigkeitsstaat gegenüber hat sich in „antithetischer Dia­ lektik“9 die liberale Demokratie gebildet, in der der Staat anders als im 2  Radbruch, Rechtsphilosophie, 2., überarb. Aufl. 2003, S. 67. Zu beachten ist insofern die Gefahr, dass „extreme[r] Liberalismus um der persönlichen Freiheitsrechte willen mitunter das Wohl des Ganzen aus dem Auge verliert“, Astrow, Grenzen der Freiheit in der Demokratie, 1940, S. 20. 3  Radbruch, Rechtsphilosophie, 2., überarb. Aufl. 2003, S. 67. 4  Radbruch, Rechtsphilosophie, 2., überarb. Aufl. 2003, S. 67. Zitat a. a. O. Vgl. zum Gegensatz „Demokratie“ und „Liberalismus“ auch Leibholz, Auflösung der liberalen Demokratie, 1933, S. 21 ff. 5  Ein weiterer Aspekt, der das Spannungsverhältnis zwischen Demokratie und Liberalismus begründet, für die Erarbeitung zur wehrhaften Demokratie aber weniger relevant ist, ist das der Demokratie zugrundeliegende Gleichheitsideal, da die (vollumfassende) Durchsetzung von Gleichheit stets auch Freiheitseinschnitte bedeutet. Dieser Antagonismus wurde sowohl von Feinden der Weimarer Demokratie als auch Befürwortern der Demokratie diskutiert, vgl. dazu umfassend Newman, Zerstörung und Selbstzerstörung der Demokratie, 1965, S. 243. 6  Einordnung zurückgehend auf Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 1892, S. 89 ff. Beachte dazu auch die Arbeit von Berlin, Essays on Liberty, 1969, S.  118 ff. 7  Vgl. Boventer, Grenzen politischer Freiheit, 1985, S. 14  f. Knapp dazu auch Tillmanns, in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 26. 8  Leibholz, Auflösung der liberalen Demokratie, 1933, S. 21 f. (Zitat a. a. O.). 9  Leibholz, Auflösung der liberalen Demokratie, 1933, S. 22. Vgl. dazu auch Bonn, Zur Krise der Demokratie: Politische Schriften, 1919–1932, 2015, S. 201, 206.

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E. Demokratietheoretische Grundlagen und Begründungsfragen

Deutschen Kaiserreich „keine übergeordnete, über dem politischen Meinungsstreit stehende, staatlich repräsentierte, materiale Wahrheit beanspruchen durfte.“10 Das von der Weimarer Reichsverfassung entworfene11 und in seinem Freiheitsverständnis auch signifikant von John Stuart Mill inspirierte12 Staatssystem ist nach vorherrschender Auffassung als eine solche ­liberale Demokratie zu verstehen – umgesetzt, indem der Reichsverfassung ein wertrelativistisches beziehungsweise rechtspositives Staatsrechtskonzept zugrunde gelegt wurde.13, 14 Die WRV war nicht wertgebunden, sodass bereits konzeptionell verfassungsfeindliche Ziele nicht denkbar waren.15 Die 10  Becker,

in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts VII, 1992, § 167 Rn. 8. Wesentlichen lässt sich der Entwurf auf Hugo Preuß zurückführen, dazu Ridder, Die soziale Ordnung des Grundgesetzes, 1975, S. 20. 12  Vgl. dazu Newman, Zerstörung und Selbstzerstörung der Demokratie, 1965, S. 307 f., der den Einfluss Millschen Gedankenguts in europäischen, liberal-demokratischen Verfassungen ab 1918 nachzeichnet und das für die Konzeption politischer Freiheiten wichtigste Werk von Mill: On liberty, The Second Edition 1859. 13  Schliesky, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts XII, 3. Aufl. 2014, § 277 Rn. 9, 20; Jesse, Demokratie in Deutschland, 2008, S. 319, 339 f. und bereits ders., Streitbare Demokratie, 1980, S. 10 f., 20; Jaschke, TD 2004, 109 (113) und kritischer noch Jaschke, in: Bundesamt für Verfassungsschutz (Hrsg.), Verfassungsschutz in der Demokratie, 1990, S. 233; Papier / Durner, AöR 2003, 340 (343); Thiel, in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 5 f., 129; Tilmanns, in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 26, 39; Altenhof, in: Jesse / Löw, 50 Jahre Bundesrepublik, 1999, S. 166; Hubo, Verfassungsschutz des Staates durch geistig-politische Auseinandersetzung, 1998, S. 20 f.; Dreier, JZ 1994, 741 (747); Becker, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts VII, 1992, § 167 Rn. 6, 47; differenzierend zu den verschiedenen Richtungen innerhalb des Positivismus Heun, Der Staat 1989, 377 (379 ff.); Fromme, in: Jesse, Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik, 4., erw. Aufl. 1985, S. 80; Boventer, Grenzen politischer Freiheit, 1985, S. 30, 57 f.; Gusy, AöR 1980, 279 (280); Klein, in: VVDStRL 37, 1979, S. 63; kritisch-analytisch Ridder, Die soziale Ordnung des Grundgesetzes, 1975, S. 15 ff.; Bulla, AöR 1973, 340 (341 f.); Bauer, Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 1968, 209 (213, 216) und Bauer, Wertrelativismus und Wertbestimmtheit im Kampf um die Weimarer Demokratie, 1968; auch – wenngleich nicht in präziser juristischer Analyse – Astrow, Grenzen der Freiheit in der Demokratie, 1940, S. 27; vgl. dazu auch die Ausführungen bei Leibholz, Auflösung der liberalen Demokratie, 1933, S. 35 („Politisch gesehen ist das weltanschauliche System des konsequenten Liberalismus das des Relativismus […].“), S. 40 f. und Leibholz, in: Denninger, fdGO Bd. I, Materialien, 1977, S. 90. Siehe dazu knapp Flümann, Streitbare Demokratie, 2015, S. 94. Zur Kritik am Rechtspositivismus zur damaligen Zeit übersichtsartig: Schulz, in: Schmidt, Rechtspositivismus, 2014, ab S. 137. Kritisch, im Ergebnis aber zustimmend zur These von der wertrelativistischen WRV: Gusy, Weimar – die wehrlose Republik?, 1991, S.  27 ff., 93. 14  Mitunter auch bezeichnet als „konventionalistische Verfassungskonzeption“, etwa von Scherb, Der Bürger in der Streitbaren Demokratie, 2008, S. 31. 15  So bereits Schmitt, Legalität und Legitimität, 2.  Auflage 1968 (Erstaufl. v. 1932), S. 50 f., der zu den wenigen Kritikern des Wertrelativismus während der Wei11  Im



I. Historischer Rückblick121

Existenz eines verfassungsfeindlichen Ziels setzt nämlich voraus, dass die Verfassung selbst Zielvorgaben macht, gegen die sich „Feinde“ in der Folge richten könnten. Die WRV jedoch erlaubte gemäß Art. 76 eine Verfassungsänderung ohne inhaltliche Vorgaben, sodass im Wege der Mehrheitsentscheidung – also im Wege eines demokratischen Prozesses – auch die Demokratie selbst abgeschafft werden konnte.16 Schmitt resümierte diese Ansicht wert­ relativistischer Verfassungslehre: „Für die herrschende ‚alte‘ Lehre kann es keine wegen ihres Zieles oder des Inhaltes ihrer Bestrebungen illegale Parteien, Bestrebungen, Organisationen, Verbindungen usw. geben.“17

Die politischen „Kampfmittel“ der WRV – hier relevant ist die Meinungsfreiheit – standen damit den Feinden der Verfassung offen, die diese Freiheiten allein zur Beseitigung der durch die Verfassung konstituierten Ordnung einsetzten.18 Der (grundsätzlich) einzige der WRV bekannte Abwehrmechanismus betraf verfassungsfeindliche Methoden.19 So waren der Verfassungsänderung inhaltlich keine Grenzen gesetzt, allerdings bedurfte es für die Änderung der Achtung demokratisch-prozessualer Vorgaben. Damit stand die Weimarer Republik den totalitären Bestrebungen nicht nur tatenlos gegenüber. Aus dem Maßnahmenrepertoire gegen diese Angriffe auf die Demokratie sei etwa das (repressive) Republikschutzgesetz gemarer Repubilk gehört. Ferner: Dagasan, Das Ansehen des Staates im türkischen und deutschen Strafrecht, 2015, S. 185 f.; Jesse, Demokratie in Deutschland, 2008, S. 339 und Jesse, Streitbare Demokratie, 1980, S. 11; Papier / Durner, AöR 2003, 340 (343); Dreier, JZ 1994, 741 (747); Schiffers, VfZ 1990, 589 (593). Vgl. dazu aber auch die kritische Betrachtung von Gusy, Weimar – die wehrlose Republik?, 1991, S. 29 ff. und in Anknüpfung an Gusy die Ausführungen von Leggewie / Meier, Republikschutz, 1995, S.  181 ff. 16  Dazu v. a. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, 1933, Art. 76, S. 401: „Die Verfassung steht nicht über der Legislative, sondern zur Disposition derselben.“ Siehe auch beispielhaft das Republikschutzgesetzes, das im Wege der Verfassungsdurchbrechung verfassungsgemäßes Recht wurde und später freilich das sogenannte Ermächtigungsgesetz von 1933, Abschnitt C.I.5.b). Vgl. ferner Papier / Durner, AöR 2003, 340 (343). Dazu auch Scherb, Der Bürger in der Streitbaren Demokratie, 2008, S. 31, Fn. 58: „Das Ermächtigungsgesetz wird […] als historisches Damoklesschwert einer missbrauchten konventionalistischen Verfassungskonzeption angesehen.“; Dreier, JZ 1994, 741 (747): „Die Weimarer Reichsverfassung erschien wie eine Art Loseblattsammlung, deren Inhalt bis auf den Art. 76 selbst vollständig ausgewechselt werden durfte […] – gleichgültig, für welche Art von Nachlieferung der Gesetzgeber sorgte.“; Jesse, Streitbare Demokratie, 1980, S. 11. Im Ergebnis auch: Gusy, Weimar – die wehrlose Republik?, 1991, S. 93. 17  Schmitt, Legalität und Legitimität, 2. Auflage 1968 (Erstaufl. v. 1932), S. 51. 18  Vgl. Bulla, AöR 1973, 340 (342). 19  Jesse, Demokratie in Deutschland, 2008, S. 319 und Jesse, Streitbare Demokratie, 1980, S. 11; Papier / Durner, AöR 2003, 340 (343).

122

E. Demokratietheoretische Grundlagen und Begründungsfragen

nannt.20 Trotzdem ist zu konstatieren, dass das strikt liberale Demokratieverständnis zur Zurückhaltung gegenüber demokratiefeindlichen, totalitären Bestrebungen führte – repressive legislative Maßnahmen lassen sich eher in den Kontext des Staatsschutzes rücken, weniger des Demokratieschutzes.21 Von Verfassung wegen war es so möglich, den Staat „umzuwälzen“ und etwa durch ein kommunistisches oder nationalsozialistisches Regime zu ersetzen, solange die dafür erforderlichen demokratischen Mehrheiten auf demokratischem Wege erlangt wurden.22 Als einer der profiliertesten Vertreter einer liberalen, wertrelativistischen Demokratiekonzeption hat sich Hans Kelsen in der Weimarer Republik hervorgetan.23, 24 Der relativistische Ansatz ergibt sich Kelsen zufolge aus dem für die Demokratie zwingend erforderlichen Schutz von Minoritäten als Antithese zum Absolutismus, vor allem in der politischen Debatte, da die Minderheit „nicht absolut im Unrecht, nicht absolut rechtlos, jederzeit selbst zur Mehrheit werden kann.“25 Die Anerkennung und insbesondere der Schutz 20  RGBl. I, 1922, S. 585 ff. Vgl. insoweit aber auch zum „Legitimationsdefizit“ des Republikschutzgesetzes bei Becker, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts VII, 1992, § 167 Rn. 7. 21  Vgl. Boventer, Grenzen politischer Freiheit, 1985, S. 41. 22  So auch Jesse, Demokratie in Deutschland, 2008, S. 339. 23  Grundlegende Werke von Kelsen dazu: Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, 1920 und Kelsen, Demokratie und Sozialismus, 1967, S. 60 (nachgedruckter Aufsatz von 1932). Weitere Rechtspositvisten in der Weimarer Republik: Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, 1933, der einem gemäßigten Rechtspositivismus zugeordnet werden kann; ebenso als gemäßigter Rechtspositivist Thoma zusammen mit Anschütz, in: Anschütz / Thoma, Hdb. d. Staatsrechts, 1930. Vgl. auch den Rechtspositivismus und Liberalismus bei Radbruch, Rechtsphilosophie, 2., überarb. Aufl. 2003, S. 67, zugleich aber seine Kritik im Anhang 3 („Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht“ von 1946) auf S. 215: „Der Positivismus hat in der Tat mit seiner Überzeugung ‚Gesetz ist Gesetz‘ den deutschen Juristenbund wehrlos gemacht gegen Gesetze willkürlichen und verbrecherischen Inhalts.“ Als Kritiker Kelsens und des Wertrelativismus können vor allem Smend gelten, vgl. v. a. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, 1928 und Leibholz, Auflösung der liberalen Demokratie, 1933, S. 40 ff. Dazu auch übersichtsartig die Arbeit von van Ooyen, Integration: Die antidemokratische Staatstheorie von Rudolf Smend im politischen System der Bundesrepublik, 2014, etwa S. 31 ff. In jüngerer Zeit wird Kelsen etwa von Leggewie / Meier, Republikschutz, 1995, S. 244 f. „revitalisiert“. 24  Vgl. zur Theorie und dem Denken bei Kelsen auch die umfassende Analyse bei Bauer, Wertrelativismus und Wertbestimmtheit im Kampf um die Weimarer Demokratie, 1968, S. 79 ff.: Kelsen „treibt die Methode des wertfreien Denkens zur höchsten Vollendung.“ (S. 79). Vgl. zur Rezeption von Kelsen in der Weimarer Staatsrechtslehre einerseits (S. 11 ff.) und in der BRD andererseits (S. 37 ff.) Lehnert, IfS Nachrichten 1998. 25  Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, 1920, S. 37. Weiter heißt es: „Das ist der eigentliche Sinn jenes politischen Systems, das wir Demokratie nennen, und das nur darum dem politischen Absolutismus entgegengestellt werden darf, weil



I. Historischer Rückblick123

von Minoritäten in der politischen Debatte, die – anders als in einer durch „absolute Wahrheiten“ geprägten Diktatur – durch argumentative Überzeugungsarbeit zur Mehrheit werden kann, lässt sich Kelsen zufolge in der Konsequenz auf folgende Formel bringen: „Der Relativismus ist […] die Weltanschauung, die der demokratische Gedanke voraussetzt.“26

Ideologien in der Staatskonzeption gilt es damit zu verhindern, da sie durch ihre absolute Geltungskraft dem demokratischen Zugriff entzogen sind. Drastisch resümierte Kelsen zum Wesen der liberalen Demokratie noch 1932: „Man muß seiner Fahne treu bleiben, auch wenn das Schiff sinkt; und kann in die Tiefe nur die Hoffnung mitnehmen, daß das Ideal der Freiheit unzerstörbar ist und daß es, je tiefer es gesunken, um so leidenschaftlicher wieder aufleben wird.“27

Er erkennt damit zwar die – 1932 nunmehr unübersehbaren – Gefahren für die Demokratie durch den Totalitarismus, konkret den Faschismus, doch beharrt er auf die „Selbstheilungskraft“ der liberalen Demokratie und gibt lediglich für bestimmte politische, etwa gewalttätige Methoden eine Wehrhaftigkeit frei.28 Für das hier besprochene Paradoxon gilt nach einer strikt liberalen Demokratiekonzeption wie der der WRV, dass auch Feinde der Demokratie grundsätzlich nur mit den Mitteln der Demokratie abgewehrt werden können.29 Danach kann einer demokratiefeindlichen Äußerung nur eine argumentativ entkräftende Äußerung entgegengehalten werden – also in gegenseitiger Ausübung (politischer) Freiheitsrechte –, während Gewalt als politische Methode abgewehrt werden darf. Das vorliegend untersuchte Spannungsverhältnis kann damit gar nicht zur Entstehung geraten, da es bereits an einer formulierund schützbaren Wertefeindlichkeit mangelt. es der Ausdruck eines politischen Relativismus ist.“ (a. a. O.) Vgl. die Übersicht der Kritik am Positivismus von Kelsen zur damaligen Zeit bei Heun, Der Staat 1989, 377 (382 ff.). 26  Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, 1920, S. 36. 27  Kelsen, Demokratie und Sozialismus, 1967, S. 68 (nachgedruckter Aufsatz von 1932). 28  So kann etwa Kelsen verstanden werden, wenn er ausführt in General Theory Of Law And State, 3. Auflage 1945, S. 284.: „But society means order, and order means bonds. The State is a social order by which individuals are bound to a certain behavior.“ 29  Beachte aber auch das verfassungsdurchbrechende (und auch die Verfassungsdurchbrechung selbst als Verfassungsschwäche) Republikschutzgesetz zur Abwehr von Angriffen auf den Staat, seine Repräsentanten etc., Abschnitt C.I.5.a) und Abschnitt E.IV. Zum strafrechtlichen Schutz der Republik siehe auch Gusy, Weimar – die wehrlose Republik?, 1991, S. 107 ff.

124

E. Demokratietheoretische Grundlagen und Begründungsfragen

II. Erste Überlegungen zur Wehrhaftigkeit: Die „militante Demokratie“ von 1918 bis 1945 In Anbetracht der sich anbahnenden und fortschreitenden Unterminierung der Weimarer Reichsverfassung und Republik kamen ab 1918, aber auch nach dem Zerfall der Republik verstärkt Forderungen nach einer Wehrhaftigkeit der Demokratie auf.30 Überlegungen dazu, die auch als wegbereitend für die Wehrhaftigkeitskonzeption des Grundgesetzes gelten dürfen, fanden insbesondere unter dem Stichwort „militante Demokratie“ statt.31 Die Entwicklungen dieses Demokratiekonzeptes standen im Lichte radikaler politischer wie wirtschaftlicher Entwicklungen und Krisen – dieser zeithistorische Hintergrund muss „mitgedacht“ werden, um das Konzept in seiner Rigorosität zu verstehen.32 Mit der frühen und auf deutschem Boden neuen Demokratieerfahrung der Weimarer Republik wurden, noch vor der nationalsozialistischen Machtergreifung, Überlegungen angestellt, wie man das demokratische System vor Feinden absichern kann. Theoretische Anleihen dazu konnten zu dieser Zeit aus älteren Demokratien wie der US-Demokratie gewonnen werden. Wegbereitend aus diesem Rechtsraum waren Analysen wie etwa von Kimball, der in Kritik einer wertrelativistischen Meinungsfreiheit in den USA 1920 kon­ statierte: „The policy to which it [First Amendment] commits us is one of toleration; of recognition of the ‚relativity of values.‘ But legal toleration pushed to its ultimate conclusion becomes impotence, self-destruction. […] Somewhere we must be willing to put our back against the wall of opinion, or existence becomes impossible. The law must resist its own destruction.“33 30  Vgl. die Übersichten bei Jesse, Demokratie in Deutschland, 2008, S. 334; Jaschke, TD 2004, 109 (112); Papier / Durner, AöR 2003, 340 (345). Konkret finden sich solche Forderungen u. a. bei Kimball, Harvard Law Review 1920, 442; Loewenstein, American Political Science Review 1937, 417 ff.; Mannheim, Diagnose unserer Zeit, 1951 (in der englischen Erstausgabe von 1943). Vgl. auch die Kritik am Wert­ relativismus bei Leibholz, Auflösung der liberalen Demokratie, 1933, ab S. 40. Zu bedenken ist insoweit noch, dass der Topos „keine Freiheit den Feinden der Freiheit“ in der Demokratie sich bis zur französischen Revolution zurückführen lässt, vgl. dazu etwa Schliesky, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts XII, 3. Aufl. 2014, § 277 Rn. 1. 31  Vgl. zur begrifflichen Rückführung Boventer, Grenzen politischer Freiheit, 1985, S. 31. 32  Vgl. zu den Zäsuren in der deutschen Gesichte ab 1918: Jesse, Diktaturen in Deutschland, 2008, ab S. 187. Siehe auch Radbruch, der bereits 1924 das Problem politischer Straftaten verdeutlichte, indem er die Frage einer damals üblichen „Sonderbehandlung des politischen Verbrechers“ etwa durch Festungshaft diskutiert, Radbruch, ZStW 1924, 34. 33  Kimball, Harvard Law Review 1920, 442 (446).



II. Erste Überlegungen zur Wehrhaftigkeit125

Eine ähnliche Problemanalyse findet sich bei Leibholz mit Bezug auf die WRV, der durch den Wertrelativismus des liberalen Staates „die ideellen Triebkräfte des Staates“ untergraben sah und damit auch „Autorität und Zwang [..], ohne die kein Staat, auch nicht der liberale Staat, existenzfähig ist.“34 Auch gefährde die relativistische Staatsverfasstheit „die bestehenden Bindungen […] [und] die organischen Daseinsgrundlagen des Volkes“35. Eine liberale Demokratie ist Leibholz zufolge deshalb stets der Gefahr ausgesetzt, „sich mit dem skeptizistischen Rationalisierungsprozess aufzulösen“, der durch die (legale) Infragestellung metaphysischer Staatsgrundlagen möglich sei.36 Eine dergestalt verfasste Demokratie könne deshalb jederzeit legal abgeschafft werden.37 Umfassendere Ausarbeitungen zur „militanten Demokratie“ fanden sich in der Folgezeit bei dem Juristen Karl Loewenstein sowie dem Soziologen Karl Mannheim, die als Hauptvertreter einer „militanten Demokratie“ gelten können.38, 39 Diese Ausarbeitungen geschahen ab 1933 vor allem im internationalen Kontext, da das NS-Regime Arbeiten auf deutschem Boden bisweilen unmöglich machte. Loewenstein stand 1937 unter dem Eindruck vieler aufstrebender faschistischer Diktaturen in Europa – insbesondere der deutschen und der italienischen – und kritisierte den damalig vorherrschenden Rechtspositivismus als Blindheit gegenüber die vom Faschismus ausgehenden Gefahren.40 Dieser zeithistorische Hintergrund der Theorienentwicklung Loewensteins ist bei Übertragung des Konzeptes auf heutige (westlich-moderne) Staatssysteme zu beachten. Nach Auffassung Loewensteins ist der Faschismus weniger als Ideologie zu verstehen, sondern als eine politische Technik,

34  Leibholz,

Auflösung der liberalen Demokratie, 1933, S. 40. Zitate a. a. O. Auflösung der liberalen Demokratie, 1933, S. 43. 36  Leibholz, Auflösung der liberalen Demokratie, 1933, S. 41. 37  Leibholz, Auflösung der liberalen Demokratie, 1933, S. 41. 38  Loewenstein, American Political Science Review 1937, 417 ff. und Mannheim, Diagnose unserer Zeit, 1951, S. 9, insb. S 14 ff. Vgl. dazu überblicksartig auch Jesse, Demokratie in Deutschland, 2008, S. 334 und ders., in: Backes / Jesse, Gefährdungen der Freiheit, 2006, S. 499. 39  Auch als Vertreter einer „militanten Demokratie“ können u.  a. gelten: Arm­ strong, We or They, 1937, ab S. 101, der sein Wehrhaftigkeitskonzept zwar unter einen erweiterten Liberalismus („it would be disastrous to think that devotion to liberal standards requires us to remain on the defensive“, a. a. O.) fasst, inhaltlich aber für eine militante Demokratie spricht; der britische Historiker u. Politikwissenschaftler Bassett, The essentials of parliamentary democracy, 2. Ed. 1964 (Erstaufl.: 1935). 40  Loewenstein, American Political Science Review 1937, 417 (417 / 424). Vgl. auch andere Arbeiten zur Wehrhaftigkeit, die in Anbetracht totalitärer Machtergreifungen in Europa entstanden, etwa Astrow, Grenzen der Freiheit in der Demokratie, 1940. 35  Leibholz,

126

E. Demokratietheoretische Grundlagen und Begründungsfragen

die allein dem Machterhalt dient.41 Die Demokratie müsse deshalb in Reaktion auf den Faschismus ebenfalls Techniken – sozusagen als „Krisenkon­ zept“42 – zur Machtsicherung entwickeln: „Democracy must become militant.“43 Er verlangte in der Folge, dass der Staat sich gegen extremistische Angriffe verteidigen müsse, indem er ein rechtliches Instrumentarium zur (Vorfeld-)Abwehr seiner Verfassungsgegner entwickle.44 Anderenfalls würde die Demokratie selbst als „Trojan horse“ ihren Gegnern zur Machtergreifung dienen.45 Dazu müsse jedoch Folgendes verstanden werden: „the principal obstacle to defense against fascism is democratic fundamentalism itself.“46 Insbesondere die Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland müsse insofern ein warnendes Beispiel sein.47 Cushman, amerikanischer Politikwissenschaftler, bringt dieses Dilemma 1944 auf folgende Formel: „What shall it profit a nation to make a Quixotic stand for unrestricted freedom of speech, press, and assembly if it thereby jeopardizes its own democratic way of life?“48

Loewenstein räumt aber zugleich ein, dass die Militanz des demokratischen Staates nicht unendlich sein braucht, jedoch zumindest andauern sollte „[…] for the transitional stage until a better social adjustment to the conditions of the technological age has been accomplished […].“49 Diese Ideen einer militanten Demokratie während und nach der Weimarer Republik beziehungsweise vor dem Dritten Reich fasst Loewenstein mit der Losung „Fire is fought with fire.“ zusammen.50, 51 Zu beachten ist insoweit aber auch, dass Loewen41  Loewenstein, American Political Science Review 1937, 417 (423): „Fascism simply wants to rule.“ 42  Dazu auch Jesse, in: Backes / Jesse, Gefährdungen der Freiheit, 2006, S. 499. 43  Loewenstein, American Political Science Review 1937, 417 (423). 44  Loewenstein, American Political Science Review 1937, 638 (656 f.); vgl. auch Papier / Durner, AöR 2003, 340 (346). Beachte insofern, dass sich Loewenstein trotz oder gerade wegen seiner umfangreichen Arbeiten zur militanten Demokratie mit der Wertbindung des GG als Kern des Wehrhaftigkeitskonzepts „Zeit seines Lebens nicht anfreunden [konnte].“ Dazu van Ooyen, in: Lehnert, Verfassungsdenker, 2017, S. 306. Zitat a. a. O. 45  Loewenstein, American Political Science Review 1937, 417 (424). 46  Loewenstein, American Political Science Review 1937, 417 (430). 47  Loewenstein, American Political Science Review 1937, 417 (426). 48  Cushman, The American Political Science Review 1944, 1 (14). 49  Loewenstein, American Political Science Review 1937, 638 (657 f.). 50  Loewenstein, American Political Science Review 1937, 638 (656). 51  Beachte aber auch die spätere, differenziertere Arbeit Loewenstein, Verfassungslehre, 4. Aufl. 2000, S. 349: „Entschließt er [der demokratische Staat, Anm. d. Autors] sich, Feuer mit Feuer zu bekämpfen und den totalitären Angreifern den Gebrauch der demokratischen Freiheiten zur letztlichen Zerstörung aller Freiheit zu



II. Erste Überlegungen zur Wehrhaftigkeit127

steins Entwurf sich nicht auf legalistische Maßnahmen beschränkt, sondern in Anprangerung politischer Willfährigkeit („suicidal lethargy“) auf die Notwendigkeit einer Demokratieverwurzelung in der Bevölkerung hinweist.52 Der Katalog der Abwehrmechanismen, auf die sich Loewenstein bezieht, ist lang.53 Hier relevant sind seine Ausführungen zur Meinungsfreiheit als Gefahr für die Demokratie – für Loewenstein „the thorniest problem of democratic states“54. Dazu gehört etwa das Verbot vom Tragen politischer Uniformen, Teilen davon oder anderen politischen Symbolen, die dazu dienen, die politische Meinung des Trägers in der Öffentlichkeit zu verbreiten.55 Loewenstein sieht solche Verbote als direkte Gegenwehr zur „fascist technique of propaganda, namely self-advertisement and intimidation of others“56. Besonders schwierig abzuwehren seien nicht etwa Anstiftungen zur Gewalt, sondern subtilere Überzeugungstechniken wie Schmähungen, Diffamierungen, Verleumdungen oder das Lächerlichmachen des demokratischen Staates.57 Bezugnehmend auf diese subtileren politischen Techniken prangert Loewenstein insbesondere Zurückhaltung und zu legalistische Auffassungen der Meinungsfreiheit in Demokratien an, wenngleich er die schwierige Abgrenzung unrechtmäßiger Äußerungen von berechtigter Kritik einräumt.58 Gleichfalls Überlegungen zur militanten Demokratie stellte Mannheim an – wie Loewenstein ein deutscher Emigrant jüdischen Glaubens.59 Ebenfalls im Anblick der NS-Diktatur und schon nach Ausbruch des Krieges warnte er im britischen Exil davor, „Toleranz mit Neutralität“ zu verwechseln und attestierte der liberalen Demokratie „Laissez-faire-Liberalismus“.60 Dieser Liberalismus würde bedroht von neuen „Sozialtechniken“, „die eine Beverwehren, handelt er gerade den Grundsätzen der Freiheit und Gleichheit zuwider, auf denen er selbst beruht. Hält er aber an den demokratischen Grundwahrheiten auch zugunsten ihrer geschworenen Feinde fest, setzt er seine eigene Existenz aufs Spiel.“ 52  Loewenstein, American Political Science Review 1937, 417 (431). Noch deutlicher im darauf folgenden Jahr Loewenstein, Columbia Law Review 1938, 725 (774): „The most important attitude of militant democracy – and that which transcends legislative action – is the will and the spirit of both the government and the people in democracies to survive.“ 53  Loewenstein, American Political Science Review 1937, 638 (644 ff.). 54  Loewenstein, American Political Science Review 1937, 638 (652). 55  Loewenstein, American Political Science Review 1937, 638 (648). 56  Loewenstein, American Political Science Review 1937, 638 (648). 57  Loewenstein, American Political Science Review 1937, 638 (652). 58  Loewenstein, American Political Science Review 1937, 638 (653 f.). 59  Vgl. Weckenbrock, Die streitbare Demokratie auf dem Prüfstand, 2009, S. 23, der allerdings ungenau von jüdischer „Herkunft“ spricht. 60  Mannheim, Diagnose unserer Zeit, 1951, S. 18, Zitate a. a. O.

128

E. Demokratietheoretische Grundlagen und Begründungsfragen

einflussung menschlichen Verhaltens zum Ziele haben und […] als besonders machtvolles Instrument sozialer Kontrolle wirken.“61 Beispielhaft zählt Mannheim dazu „Erziehung, Propaganda, Verwaltung“.62 Um die Gefahr einer von den neuen Sozialtechniken beschleunigten Diktaturentstehung abzuwehren, empfiehlt er einen „dritten Weg“63: Um die Demokratie zu erhalten, müsse danach die Demokratie streitbar64 beziehungsweise geplant sein und ein klares und durch Einigung erzieltes Bekenntnis zu Werten wie „soziale Gerechtigkeit, Freiheit, Anständigkeit und Menschenwürde“ enthalten.65 Abseits dieser wertbegrifflichen Grundlagen müsse das Wertsystem aber „persönlicher Entscheidung oder dem Geiste des Experimentierens“ überlassen werden.66 Im Unterschied zu Loewenstein hat Mannheim die militante (bzw. streitbare) Demokratie weniger als Krisenkonzept erdacht, sondern vielmehr als eine Weiterentwicklung der liberalen Demokratie in Anpassung an existente Bedrohungslagen, während Loewenstein mit seinem Konzept momentanen starken antidemokratischen Bewegungen zu begegnen versuchte. Auch Carl Schmitt, später unrühmlicher „Kronjurist im Dritten Reich“67, erwog eine Wertegebundenheit für die Weimarer Reichsverfassung und warnte vor der inhaltlichen Werteneutralität dieser Verfassung.68, 69 Vor allem der von Anschütz vertretenen Wertneutralität warf er vor, „in ihrer Neutralität bis zum Selbstmord“ zu gehen.70 Dazu regte er eine Auslegung des Art. 76 61  Mannheim,

Diagnose unserer Zeit, 1951, S. 10. Diagnose unserer Zeit, 1951, S. 15. 63  Mannheim, Diagnose unserer Zeit, 1951, ab S. 14. 64  Beachte dazu, dass der Begriff „streitbar“ nicht von Mannheim selbst geprägt wurde, sondern von einem Übersetzer, so auch auch Jesse, Demokratie in Deutschland, 2008, S. 335 Fn. 3 und Boventer, Grenzen politischer Freiheit, 1985, S. 64. Undifferenzierter schreibt Lameyer, Streitbare Demokratie, 1978, S. 13 Fn. 1 Mannheim die Begriffsprägung zu. 65  Mannheim, Diagnose unserer Zeit, 1951, S. 19, Zitat a. a. O. Ein anderer Vorschlag zur Wertbindung findet sich etwa bei Armstrong, We or They, 1937, S. 103: „It [meint: die Mehrheit in einer Demokratie, Anm. d. Autors] shall not accept a dictator.“ 66  Mannheim, Diagnose unserer Zeit, 1951, S. 20. 67  Vgl. neben vielen anderen, aber in großer Tiefe: Rüthers, Entartetes Recht, 1989, ab S. 99. 68  Schmitt, Legalität und Legitimität, 2. Auflage 1968 (Erstaufl. v. 1932), S. 50. Dazu auch die Interpretationen von Papier / Durner, AöR 2003, 340 (345); Bulla, AöR 1973, 340 (343). 69  Zur Frage, wie und ob sich das Gesamtwerk Schmitts als Einheit darstellt – insbesondere aufgrund seiner Verbindungen zum nationalsozialistischen System – vgl. etwa Mehring, in: Brocker, Geschichte des politischen Denkens, 2007, S. 512 f. 70  Schmitt, Legalität und Legitimität, 2. Auflage 1968 (Erstaufl. v. 1932), S. 50. Die Metapher von der „Demokratie als Selbstmord“ wird insoweit auf Schmitt zurückgeführt, dazu Leggewie / Meier, Republikschutz, 1995, S. 171. 62  Mannheim,



III. Das Wehrhaftigkeitskonzept nach dem Grundgesetz129

WRV an, die dem Artikel eine Wertentscheidung zugunsten der bestehenden Staatsform zumaß.71 Trotz dieser frühen und auch späteren Bestrebungen eine wehrhafte Demokratie zu etablieren und trotz einer teilweise wehrhaften, verfassungsdurchbrechenden Gesetzgebung in Form etwa des Republikschutzgesetzes, gelang es den Nationalsozialisten durch das „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“72 (sogenanntes Ermächtigungsgesetzes) vom 24.03.1933 die verfassungsmäßige Ordnung de facto außer Kraft zu setzen. Umstritten ist insofern allerdings, ob die nationalsozialistische Machtergreifung allein aufgrund des Wertrelativismus der WRV möglich war.73 Zusammenfassend lässt sich das Konzept der militanten Demokratie als Lösungs- bzw. Gegenvorschlag zur „suizidalen“ Veranlagung strikt liberaler Demokratien verstehen. Im Mittelpunkt dieses Demokratiekonzeptes steht die Wertgebundenheit; die Demokratie darf danach in der Gewährung von Freiheitsrechten „Intoleranten“ gegenüber nicht „tolerant“ sein. Wann genau eine solche Intoleranz gegeben ist, bestimmt sich nach den Verfassungswerten – anhand dieser ist die Demokratiefeindlichkeit zu messen. Mannheim schlägt dafür – nicht abschließend – Werte wie „soziale Gerechtigkeit, Freiheit, Anständigkeit und Menschenwürde“74 vor.

III. Das Wehrhaftigkeitskonzept nach dem Grundgesetz: Absage an den Wertrelativismus Zwar fand das Konzept75 der wehrhaften Demokratie – wenngleich ohne ausdrückliche Bezeichnung als solches76 – Ausgestaltung im Grundgesetz, 71  Schmitt,

Legalität und Legitimität, 2. Auflage 1968 (Erstaufl. v. 1932), S. 51. I, 1933, S. 141. Vgl. zum sog. Ermächtigungsgesetz auch Frotscher /  Pieroth, Verfassungsgeschichte, 14. Auflage 2015, S. 306 ff.; Schneider, Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 1953, 197. 73  Der Streit um die sog. Legalitätstaktik der Nationalsozialisten, vgl. dazu die Diskussion im Abschnitt E.IV. 74  Mannheim, Diagnose unserer Zeit, 1951, S. 19, Zitat a. a. O. 75  Vgl. die Diskussion darüber, ob es sich bei der wehrhaften Demokratie um ein Verfassungsprinzip handelt: Lt. BVerfG ist die wehrhafte Demokratie ein solches Prinzip, zuletzt in BVerfGE 144, 20 (204) = BVerfG, Urt. v. 17.1.2017 – 2 BvB 1 / 13, NJW 2017, 611 (614). Vgl. ferner die Diskussionen bei Thiel, in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 1 ff., 23 f.; Schliesky, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts XII, 3. Aufl. 2014, § 277 Rn. 11 f.; Becker, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts VII, 1992, § 167 Rn. 2, 43. Thiel kommt im Ergebnis zutreffend zur Annahme eines solchen Prinzips, vgl. S. 23 f., ebenso wie Becker (Rn. 2, 43) und Schliesky, der ebenso wie Becker (Rn. 43) ein „materiales Verfassungsprinzip“ ohne „ausdrückliche[..] Normierung“ annimmt (Rn. 11). Ferner auch Lameyer, 72  RGBl.

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E. Demokratietheoretische Grundlagen und Begründungsfragen

doch führte die personelle Teilkontinuität zumindest auf dem Boden der Bundesrepublik dazu, dass wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit den Elementen dieses Demokratiekonzepts nur zögerlich stattfanden.77 Ebenfalls eine Rolle in der Rezeption spielte, dass die Bevölkerung – weitgehend demoralisiert und mit dem Wiederaufbau des Landes beschäftigt – schlicht kein oder nur geringes Interesse für die neue Verfassung entwickelte.78 Das änderte sich erst mit den Liberalisierungsbestrebungen der sogenannten 68erBewegung, den innerdeutschen, terroristischen Bedrohungslagen durch die RAF ab den 70er-Jahren und auch dem Erlass zur Beschäftigung von Radikalen im öffentlichen Dienst vom 28. Januar 1972 in Nordrhein-Westfalen (sog. Radikalenerlass).79, 80 Allerdings ist festzuhalten, dass sich die Kritik am Wehrhaftigkeitskonzept zum damaligen Zeitpunkt lediglich einer Minderheit der deutschen Öffentlichkeit erschlossen hat, da die Bevölkerung in der jungen Bundesrepublik unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Streitbare Demokratie, 1978, ab S. 94 und Klein, in: VVDStRL 37, 1979, S. 67 ff., v. a. Fn.  63. 76  Vgl. neben anderen dazu Jaschke, in: Bundesamt für Verfassungsschutz (Hrsg.), Verfassungsschutz in der Demokratie, 1990, S. 231. 77  Scherb, Der Bürger in der Streitbaren Demokratie, 2008, S. 25 und etwa auch Dagasan, Das Ansehen des Staates im türkischen und deutschen Strafrecht, 2015, S. 184. Zu den Strategien im Umgang mit nach Ende des Weltkrieges noch existierenden ideologischen Verwurzelungen: Cushman, The American Political Science Review 1944, 1 (13 ff.); Abriss zur personellen Teilkontinuität: Abendroth, Grundgesetz, 1966, S. 22. 78  So vor allem in den 1950er-Jahren, vgl. m. w. N. Leggewie / Meier, Republikschutz, 1995, S. 168 f. Vgl. aber umfangreich zum Demokratieverständnis in der Nachkriegszeit Niclauß, Demokratiegründung in Westdeutschland, 1974, S. 73 ff. 79  Etwa Mommsen, in: Habermas, Stichworte zur geistigen Situation der Zeit, 4. Aufl. 1982, S. 174 ff. Einen Eindruck der damaligen Kritik gibt die Materialsammlung von Denninger, fdGO Bd. I, Materialien, 1977, vgl. insoweit Grosser, S.  54 ff. und insb. auch den ehemaligen Bundespräsidenten Heinemann, ab. S. 61: „Es wird mehr nach dem Staat als nach Demokratie gerufen.“ (S. 63). Vgl. ferner den Abriss bei Boventer, Grenzen politischer Freiheit, 1985, S. 13 f. und auch Lameyer, Streitbare Demokratie, 1978, ab S. 14; Jesse, Demokratie in Deutschland, 2008, S. 335 und ders. in ders. (Hrsg.), Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik, 4., erw. Aufl. 1985, S. 71 ff. in kritischer, mitunter polemischer Analyse aufkommenden Protestes gegen den Demokratieschutz seit dem Radikalenerlass – Kritikern wirft Jesse insb. fehlende historische Perspektive vor (S. 77). Kurz auch bei van Ooyen, in: Lehnert, Verfassungsdenker, 2017, S. 294; Scherb, Der Bürger in der Streitbaren Demokratie, 2008, S. 25; Jesse, Demokratie in Deutschland, 2008, S.  320 ff. (Jesse spricht insofern von einer „Überkompensation“ in dieser Zeit) und Weckenbrock, Die streitbare Demokratie auf dem Prüfstand, 2009, S. 71, 81. 80  Beachte allerdings auch die „Vorreiterrolle“ des BVerfG in der wissenschaftlichen Erörterung des Wehrhaftigkeitskonzeptes, das die Instrumentarien des GG, allen voran Art. 21 GG als Ausdruck „streitbarer Demokratie“ bezeichnet, BVerfGE 5, 85 (139) = BVerfG, Urt. v. 17.8.1956 – 1 BvB 2 / 51, NJW 1956, 1393 (1397).



III. Das Wehrhaftigkeitskonzept nach dem Grundgesetz131

Schreckensherrschaft und einer noch zögerlichern Demokratieverwurzelung das Staatshandeln aus wenig kritischen Augen betrachtete.81 Die Bundesrepublik und ihr verfassungsrechtliches System wurden deshalb „[…] von vielen nicht ganz zu Unrecht als Erlösung empfunden […].“82 Die Herausforderungen der 2000er-Jahre – insbesondere die zunehmenden terroristischen Bedrohungen seit den Anschlägen vom 11. September 2001 – haben zur erneuten Popularität und zu einem Aufflammen der Zustimmung zum Wehrhaftigkeitskonzept geführt.83 1. Wehrhafte Demokratie nach dem Grundgesetz Die Wehrhaftigkeitskonzeption des Grundgesetzes ist als spezifisch deutsche84 (Teil-)Antwort auf die Erfahrungen mit dem Niedergang der Weimarer Republik, dem Aufstieg des nationalsozialistischen Regimes und vor allem dem Wertrelativismus der WRV zu verstehen.85 Geschaffen wurde das 81  Preuß,

KJ 1999, 263 (264). KJ 1999, 263 (264). 83  Papier / Durner, AöR 2003, 340 (341). 84  Zu bedenken ist insoweit, dass die Bedrohung von Demokratien durch totalitäre Bestrebungen keine spefizisch deutsche ist, sondern sich in nahezu allen modernen Demokratien wiederfindet. Entsprechend finden sich in anderen Demokratien – auch solchen, die augenscheinlich libertärer verfasst sind – methodische Ansätze zur Abwehr von Gefahren für die Demokratie, vgl. dazu etwa die vergleichende Untersuchung von Boventer, Grenzen politischer Freiheit, 1985. Siehe auch Scherb, Der Bürger in der Streitbaren Demokratie, 2008, S. 11. 85  So schon BVerfGE 6, 32 (40) = BVerfG, Urt. v. 16.1.1957 – 1 BvR 253 56, NJW 1957, 297 (298): „Dabei wird jedoch übersehen, daß die Gesetzgebungsgewalt nach dem GG stärkeren Beschränkungen unterliegt als unter der Geltung der RV von 1919. […] Demgegenüber hat das GG eine wertgebundene Ordnung aufgerichtet, die die öffentliche Gewalt begrenzt.“ Zum Wehrhaftigkeitskonzept als Reaktion auf den Wertrelativismus der WRV: Gerlach, Die Vereinsverbotspraxis der streitbaren Demokratie, 2012, S. 59; Jesse, Demokratie in Deutschland, 2008, S. 318, 340, 342; Zacharias, in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 66; Tillmanns, in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 39; Altenhof, in: Jesse / Löw, 50 Jahre Bundesrepublik, 1999, S. 166; Leggewie / Meier, Republikschutz, 1995, S. 174; Becker, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts VII, 1992, § 167 Rn. 1; Fromme, in: Jesse, Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik, 4., erw. Aufl. 1985, S. 79 f. weist zusätzlich darauf hin, dass der Parlamentarische Rat auch Abgrenzung zu den Entwicklungen in der sowjetischen Besatzungszone – der entstehenden DDR – gesucht hat; Klein, in: VVDStRL 37, 1979, S. 63; Leibholz, in: Denninger, fdGO Bd. I, Materialien, 1977, S. 91; Bulla, AöR 1973, 340 (343, 346); Schroeder, Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht, 1970, S. 177; Čopić, Grundgesetz und politisches Strafrecht neuer Art, 1967, S. 1 f. Vgl. zum motivationalen Ansatz der Verfassungsmütter und -väter: BVerfGE 5, 85 (138 f.) = BVerfG, Urt. v. 17.8.1956 – 1 BvB 2 / 51, NJW 1956, 1393 (1396). Teil-Antwort deshalb, weil auch andere Bedrohungslagen 82  Preuß,

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E. Demokratietheoretische Grundlagen und Begründungsfragen

Grundgesetz vom Parlamentarischen Rat unter dem Eindruck des nationalsozialistischen Herrschaftssystems und stand bei seinen Autoren deshalb unter der Annahme fehlender Demokratiegeneigtheit der Bevölkerung, für die das Grundgesetz gelten sollte.86 Die im weiteren historischen Verlauf desaströsen Demokratieerfahrungen der Weimarer Republik haben zur reflexhaften Verfassunggebung in der jungen Bundesrepublik geführt, ohne dass das Konzept einer wehrhaften Demokratie allzu kritisch analysiert wurde. So ist im Bericht zum Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee zu lesen: „Es bedarf keiner Darlegung, daß jede Demokratie, die in diesem Punkt [meint: Abwehr gegen Feinde der fdG, Anm. d. Autors] achtlos ist, in Gefahr steht, selbstmörderisch zu werden.“87

Das Wehrhaftigkeitskonzept des GG soll damit Ausdruck und Erkenntnis historischer Entwicklungen und Ereignisse sein; mithin der verfassungshistorisch gewachsenen Erkenntnis, dass die Demokratie der Gefahr ihrer Abschaffung ausgesetzt ist.88 Vor diesem Hintergrund sollte das GG – anders als die WRV – ausreichende Mittel bereithalten, um seine Abschaffung zu verhindern.89 Diese Erfahrung wurde in bis dahin ungekannter Grausamkeit durch die Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten ab 1933 deutlich, die sich zur Machtergreifung unter anderem demokratischer Mittel – namentlich der (euphemistisch) sogenannten „Legalitätsstrategie“90 – bedient hatten.91 Dem Grundgesetz kam deshalb zuvorderst die Aufgabe zu, „nach der […] Vernichtung eines totalitären Staatssystems eine freiheitliche Ordnung erst das Wehrhaftigkeitskonzept prägten, etwa die sich ausbreitende kommunistische Herrschaft in den osteuropäischen Ländern, vgl. dazu Schiffers, VfZ 1990, 589 (589 f., 594). 86  Dazu v. a. Jellinek, in: VVDStRL 8, 1950, S. 5; Jesse, Streitbare Demokratie, 1980, S. 14. Vgl. ferner die Ausführungen zur politischen Kultur dieser Zeit von Henkel / Lembcke, KJ 2001, 14 (20–21). Zum historischen Hintergrund Frotscher / Pieroth, Verfassungsgeschichte, 14. Auflage 2015, S. 380 ff.; ebenso Becker, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts VII, 1992, § 167 Rn. 11. 87  Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee v. 10. bis 23 August 1948, 1948, S. 22. 88  Schliesky, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts XII, 3. Aufl. 2014, § 277 Rn. 1. Solche historischen Analysen wurden aber auch bereits während der NSHerrschaft bekannt, vgl. exemplarisch bei Astrow, Grenzen der Freiheit in der Demokratie, 1940, S. 27. Ferner zur historischen Dimension etwa Groh, ZRP 2000, 500 (501); auch Weckenbrock, Die streitbare Demokratie auf dem Prüfstand, 2009, S. 29; Bulla, AöR 1973, 340 (346). 89  Groh, ZRP 2000, 500 (503); Papier / Durner, AöR 2003, 340 (341); vgl. dazu auch: Preuß, KJ 1999, 263 (264). 90  Auch bekannt als „legale Revolution“ bzw. „Legalitätstaktik“. Vgl. die historische Einordnung in Frotscher / Pieroth, Verfassungsgeschichte, 14. Auflage 2015, S. 289 ff. und auch Frei, Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 1983, 136 (141 f.). 91  Jesse, Demokratie in Deutschland, 2008, S. 318–319.



III. Das Wehrhaftigkeitskonzept nach dem Grundgesetz133

wieder einzurichten […].“92 Die Wehrhaftigkeit des Grundgesetzes ist in den Worten des BVerfG: „[…] Ausdruck des bewußten verfassungspolitischen Willens zur Lösung eines Grenzproblems der freiheitlichen demokratischen Staatsordnung, Niederschlag der Erfahrungen eines Verfassunggebers, der in einer bestimmten historischen Situation das Prinzip der Neutralität des Staates gegenüber den politischen Parteien nicht mehr rein verwirklichen zu dürfen glaubte […].“93

Neben den vor allem auf parlamentarische Strukturen abzielenden Abwehrmechanismen hält das Grundgesetz die Möglichkeit bereit, Freiheitsrechte zu beschneiden: Grundrechte – insbesondere politische Teilhaberechte wie die Meinungs- und die Versammlungsfreiheit – sollen dann eingeschränkt werden dürfen, wenn sie in missbräuchlicher Weise allein dazu genutzt werden, das System, das sie überhaupt erst ermöglicht und gewährleistet, zu bekämpfen.94 Die Beschneidung von Freiheitsrechten zum Schutz des Systems, das eben diese Freiheitsrechte ermöglicht und gewährleistet, ist im Grunde ein undemokratischer Vorgang: In einer radikalen Demokratie bzw. einer Demokratie im engeren Sinne muss das Volk auch in der Lage sein, die Demokratie abzuschaffen. Darin ist das Paradoxon der Souveränität begründet, das „Demokraten in eine hoffnungslose intellektuelle Situation“95 versetzt, denn: „Einerseits verlangt das von ihnen akzeptierte Prinzip sich jeder Herrschaft zu widersetzen außer der Herrschaft der Majorität, also auch der Herrschaft des neuen Tyrannen; andererseits fordert dasselbe Prinzip von ihnen die Anerkennung jeder Entscheidung der Majorität und damit auch die Anerkennung der Herrschaft des neuen Tyrannen.“96

An dieser Stelle aber entfaltet die Wertentscheidung des Grundgesetzes Wirkung: Die Volkssouveränität wird zum Schutz der Demokratie beschnitten, indem eine Wertentscheidung u. a. gegen den Totalitarismus getroffen 92  BVerfGE 5, 85 (138) = BVerfG, Urt. v. 17.8.1956  – 1 BvB 2 / 51, NJW 1956, 1393 (1396). 93  BVerfGE 5, 85 (139) = BVerfG, Urt. v. 17.8.1956  – 1 BvB 2 / 51, NJW 1956, 1393 (1397). 94  Dieses Verständnis der wehrhaften Demokratie wird gemeinhin zur Definition derselben herangezogen. Vgl. etwa Flümann: „Eine streitbare Demokratie ist eine Demokratie, deren staatliche Institutionen politische Freiheitsrechte von oppositionellen Extremisten beschneiden können, ohne dass diese notwendigerweise die Gewaltschwelle übertreten müssen.“ in Flümann, Streitbare Demokratie in Deutschland und den Vereinigten Staaten, 2015, S. 105 oder Bulla: Wehrhafte Demokratie ist danach der Verfassungsschutz vor dem Missbrauch der „[…] für die Freiheitlichkeit der Verfassungsordnung konstitutiven Grundrechte zum Kampf gegen gerade diese Ordnung […].“ in Bulla, AöR 1973, 340 (341). 95  Popper, Offene Gesellschaft, Bd. I, 7. Aufl. 1992, S. 148. 96  Popper, Offene Gesellschaft, Bd. I, 7. Aufl. 1992, S. 148.

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E. Demokratietheoretische Grundlagen und Begründungsfragen

wird.97, 98 Durch diese Wertentscheidung wird die Errichtung eines totalitären Staates – zumindest verfassungstheoretisch auf legalem Wege – undenkbar, da es „in der zwangsläufigen […] dämonischen Logik eines totalen Staates [liegt], daß er die Grundlagen der liberalen Demokratie radikal beseitigen und seine eigenen Prinzipien an deren Stelle setzen muß.“99 Dem Grundgesetz wurde deshalb, als Art metaphysischer Grundsteinlegung, eine Wertbindung an die fdG (und Art. 79 Abs. 3 GG100) zugrunde gelegt, um dem Staat die differente Behandlung politischer Strömungen bzw. „inhaltliche Posi­ tion“101 und damit eine Abwehr nicht nur von gewalttätigen Angriffen auf diese Grundordnung zu ermöglichen.102 Dadurch stehen einzelne verfassungsrechtliche Prinzipien nicht mehr zur Disposition des einfachen Gesetzgebers beziehungsweise der Volksentscheidung, sondern gelten absolut.103 Auch werden damit der Vorrang und die auf den Verfassungskern bezogene Unabänderlichkeit der Verfassung sichergestellt, die die WRV hat missen lassen.104 Dem verfassungsrechtlichen Positivismus einer WRV wird im GG mit der Wertbindung die Grundlage genommen.105 Diese Wertbindung verschafft (zunächst106) auch innere Homogenität und folgend demokratische 97  Vgl. dazu auch Schliesky, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts XII, 3. Aufl. 2014, § 277 Rn. 11; Jesse, in: Backes / Jesse, Gefährdungen der Freiheit, 2006, S.  499 f.; Seifert, in: Habermas, Stichworte zur geistigen Situation der Zeit, 4. Aufl. 1982, S. 321 f; Leibholz, in: Denninger, fdGO Bd. I, Materialien, 1977, S. 90 f. 98  Zu denken ist insoweit auch an den Ansatz („Theorie der demokratischen Kontrolle“) Poppers von einer offenen Gesellschaft, in: Popper, Offene Gesellschaft, Bd. I, 7. Aufl. 1992: „[D]ie Theorie stützt sich auf den Entschluß, die Tyrannei zu vermeiden oder sich ihr zu widersetzen.“ (S. 149) Das Paradoxon werde dadurch vermieden, dass Demokratie allein dem Zweck dient, Tyrannei zu verhindern, nicht aber eine Majorität herrschen zu lassen. Es sei mithin zu bevorzugen, „schlechte“ demokratische Politik zu ertragen als sich „guter“ Tyrannei zu unterwerfen (S. 150). Vgl. ferner Popper, Offene Gesellschaft, Bd. II, 4. Aufl. 1975, S. 185 ff. 99  Leibholz, in: Denninger, fdGO Bd. I, Materialien, 1977, S. 91. 100  Vgl. zur Diskussion, ob die fdG oder Art. 79 Abs. 3 GG Schutzobjekt der wehrhaften Demokratie ist Abschnitt E.III.2. 101  Tillmanns, in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 40. Zitat a. a. O. 102  Vgl. Badura, in: Bundesamt für Verfassungsschutz (Hrsg.), Verfassungsschutz in der Demokratie, 1990, S. 38; Jesse, Streitbare Demokratie, 1980, S. 19, 21, redet insofern von einer Art symbiotischer Beziehung zwischen Wertbindung und Wehrhaftigkeit (S. 19); Klein, in: VVDStRL 37, 1979, S. 63; Bulla, AöR 1973, 340 (344). 103  BVerfGE 5, 85 (139) = BVerfG, Urt. v. 17.8.1956  – 1 BvB 2 / 51, NJW 1956, 1393 (1397); Papier / Durner, AöR 2003, 340 (348). 104  Vgl. zum Verhältnis zwischen WRV und einfachem Gesetz Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, 1933, Art. 76 S. 401. Zum Vorrang und zur Unabänderlichkeit des GG aufgrund der Wertbindung Dreier, JZ 1994, 741 (746). 105  Heun, Der Staat 1989, 377 (378). 106  Zur Kritik und den Grenzen einer durch staatlich auferlegten Wertordnung zur Entstehung gebrachten Homogenität, vgl. Abschnitt E.V.3. und E.V.4.



III. Das Wehrhaftigkeitskonzept nach dem Grundgesetz135

Stabilität. Angriffe auf die Prinzipien können mithin abgewehrt werden.107 Zu beachten ist allerdings, dass mit dem grundgesetzlichen Schutzmechanismus keine vollständige Abkehr vom Liberalismus einhergehen soll; vielmehr soll „der suizidalen Lethargie gegenüber formell-legalen Formen der Liquidierung demokratischer Verfassungsstrukturen […] abgeschworen“108 werden. „Zentralnorm“ der Wertbindung und Verschriftlichung des Wehrhaftigkeitskonzeptes ist nach weit verbreiteter Auffassung der Art. 79 Abs. 3 GG.109 Diese Norm verteidigt die fdG in zwei Richtungen, nämlich nach „oben“ gegen den Staat sowie nach „unten“ gegen den Bürger.110 Einerseits wehrt sie Angriffe staatlicher Gewalten ab, indem sie diese unumkehrbar an die Grundordnung bindet.111 Auf der anderen Seite wehrt sie Angriffe von Bürgern auf die fdG ab, indem sie staatliche Eingriffe in die missbräuchlich ausgeübten Freiheiten dieser Bürger rechtfertigt.112 Anders als die WRV setzt der Schutzmechanismus des GG im gewaltfreien politischen Bereich an, um bereits die Entstehung verfassungsfeindlicher Strömungen zu unterbinden.113 Der Schutz wird also weit vorverlagert, um insbesondere etwaige Legalitätstaktiken – bekannt als Strategie der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ – politischer Extremisten114 zu durchbrechen.115

107  BVerfGE 5, 85 (139) = BVerfG, Urt. v. 17.8.1956  – 1 BvB 2 / 51, NJW 1956, 1393 (1397). 108  Klein, in: VVDStRL 37, 1979, S. 66. 109  So u. a. Papier / Durner, AöR 2003, 340 (348); Groh, ZRP 2000, 500 (502); Becker, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts VII, 1992, § 167 Rn. 16; Klein, in: VVDStRL 37, 1979, S. 57; Bulla, AöR 1973, 340 (345). Vgl. zur Wertgebundenheit als Element wehrhafter Demokratie und im GG auch Jesse, in: Backes /  Jesse, Gefährdungen der Freiheit, 2006, S. 499; Jaschke, TD 2004, 109 (113). 110  Vgl. Bulla, AöR 1973, 340 (353). Dieser macht die Schutzrichtung nach „oben“ und nach „unten“ zu Recht aber nicht nur für den Art. 79 Abs. 3 GG aus, sondern für das gesamte grundgesetzliche Konzept der Wehrhaftigkeit. Dazu auch Klein, in: VVDStRL 37, 1979, S. 54. 111  Bulla, AöR 1973, 340 (351). 112  Bulla, AöR 1973, 340 (351). 113  Klein, in: VVDStRL 37, 1979, S. 63; Bulla, AöR 1973, 340 (348). Beachte allerdings das verfassungsdurchbrechende Republikschutzgesetz, das ebenfalls im gewaltfreien Bereich (etwa bei Verunglimpfungen, Verherrlichungen etc.) ansetzte, um Angriffe auf die Staatsordnung abzuwehren, vgl. dazu auch Abschnitt C.I.5.a) und Abschnitt E.IV. 114  Politischer Extremismus im Sinne einer Verfassungsfeindschaft. 115  Dazu auch Jesse, in: Backes / Jesse, Gefährdungen der Freiheit, 2006, S. 500.

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E. Demokratietheoretische Grundlagen und Begründungsfragen

2. Wertordnung des GG: Primat der fdG? Art. 79 Abs. 3 GG wird regelmäßig als Zentralnorm der Wehrhaftigkeit – auch als „Ewigkeitsklausel“ bezeichnet – und zugleich als „Vergangenheitsbe­ wältigung“116 ausgemacht.117 Absatz 3 verweist einerseits auf den Art. 1 GG und damit auf die Unantastbarkeit der Menschenwürde, ferner auf die in Art. 20 GG niedergelegten rechtsstaatlichen und demokratischen Grundsätze. Diese den Regelungen zugrunde liegenden Verfassungswerte dürfen nicht berührt werden. Mit der ausdrücklichen Wertbindung des Grundgesetzes sollte eine Neutralität wie die der WRV vermieden werden; die genannten Grundsätze stehen nicht zur Disposition des verfassungsändernden Gesetzgebers – wirken mithin als Schranke –, sondern gelten absolut nach den Vorgaben des historischen Verfassungsgebers.118 Erst diese Wertbindung soll Abwehrinstrumente befähigen, da durch sie festgelegt wird, was überhaupt verfassungsfeindlich sein kann.119 Sie soll sicherstellen, dass es zu keiner „legale[n] Revolution“120 totalitärer Bewegungen mehr kommen kann. Allerdings ist zu bedenken, dass nicht Art. 79 Abs. 3 GG, sondern die fdG vom Bundesverfassungsgericht und auch von der Literatur etwa im Rahmen von Verbotsentscheidungen (politischer) Parteien bemüht wurde und wird, um die Aktivierung des Wehrhaftigkeitskonzeptes zu begründen.121 Darüber hinaus wurde die fdG bereits vom Verfassungskonvent vom Herrenchiemsee in den Vordergrund der Bemühungen um eine wehrhafte Demokratie gestellt, beispielsweise in Art. 108 des Herrenchiemsee-Entwurfs: „Anträge auf Änderungen des Grundgesetzes, durch die die freiheitliche und demokratische Grundordnung beseitigt würde, sind unzulässig.“122 116  Dreier, JZ 1994, 741 (747). Auch: Zacharias, in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 57. 117  So u. a. Weckenbrock, Die streitbare Demokratie auf dem Prüfstand, 2009, S. 32; Papier / Durner, AöR 2003, 340 (348); Zacharias, in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 60 ff. (zur Frage, wie weit die Wertbindung reicht); Groh, ZRP 2000, 500 (502); Klein, in: VVDStRL 37, 1979, S. 57; Bulla, AöR 1973, 340 (345). Ähnlich Jesse, Demokratie in Deutschland, 2008, S. 343 f. und Scherb, Der Bürger in der Streitbaren Demokratie, 2008, S. 12. Vgl. zur Wertgebundenheit als Element wehrhafter Demokratie und im GG auch Jesse, in: Backes / Jesse, Gefährdungen der Freiheit, 2006, S. 499. Kritisch dazu Leggewie / Meier, Republikschutz, 1995, S. 172. 118  Ähnlich Zacharias, in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 68. 119  Ähnlich Scherb, Der Bürger in der Streitbaren Demokratie, 2008, S. 13. 120  Zacharias, in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 58. 121  Vgl. dazu Abschnitt C.III. 122  Vgl. ferner die Erläuterungen im Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee v. 10. bis 23 August 1948, 1948, S. 48: „Mit allen Nachdruck befürwortet der Konvent, daß solche Anträge auf Änderung des Grundgesetzes, die praktisch das Grundgesetz als solches vernichten würden, überhaupt für unzulässig erklärt



III. Das Wehrhaftigkeitskonzept nach dem Grundgesetz137

Sie steht als Schutzobjekt auch im Mittelpunkt der wehrhaften Normtrias (mit Ausnahme des Art. 9 Abs. 2 GG).123 Deutlicher Bezugspunkt der Wehrhaftigkeit ist damit – vergleiche nur Art. 18 GG – nicht der Art. 79 Abs. 3 GG, sondern eben die fdG.124 Ebenso findet sie sich an anderen Stellen des Grundgesetzes: Art. 11 Abs. 2, 87a, 91 GG.125 Ferner erlangt die fdG Bedeutung als Bezugspunkt der Konstituierungswirkung der Meinungsfreiheit: Das Bundesverfassungsgericht führt aus, die Meinungsfreiheit sei konstituierend für die fdG.126 Die fdG dient dabei wiederholt als Anknüpfungspunkt für die Wertgebundenheit des Grundgesetzes. Aber nicht nur verfassungsrechtlich und -gerichtlich kommt der fdG eine signifikante Rolle zu: Diskussionen zur Wehrhaftigkeitskonzeption des Grundgesetzes kommen ohne Rückgriff auf die fdG selten oder gar nicht aus – sie steht weitaus stärker im Fokus der Untersuchungen als die Verweisungen in Art. 79 Abs. 3 GG.127 Auch in den „einfachen Gesetzen der Wehrhaftigkeit“ kommt der Fokus auf die fdG zum Ausdruck. So heißt es etwa in § 3 BVerfSchG: „Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder ist die Sammlung und Auswertung von Informationen […] über 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung […] gerichtet sind […].“ Umso erstaunlicher ist daher, dass weder in Art. 79 Abs. 3 GG – immerhin „Zentralnorm der Wehrhaftigkeit“ – noch in den Verweisungsnormen Art. 1 und 20 GG von einer „freiheitlich demokratischen Grundordnung“ die Rede ist. Wie also stehen fdG und Art. 79 Abs. 3 GG zueinander im Verhältnis? Ist die fdG mit

werden. Unter Beiseitelassung des föderativen Grundelements […] wird hierfür die Formulierung gewählt, daß Anträge auf Änderungen des Grundgesetzes, durch die die freiheitliche und demokratische Grundordnung beseitigt würde, unzulässig sind (Art. 108).“ Vgl. dazu auch Denninger, Benda / Maihofer / Vogel, Handbuch d. Verfassungsrechts, 1983, S. 1306 f. 123  Vgl. dazu Abschnitt E.III.3. 124  So auch Leibholz, in: Denninger, fdGO Bd. I, Materialien, 1977, S. 82. 125  Vgl. aber auch Schliesky, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts XII, 3. Aufl. 2014, § 277 Rn. 16, der die „Treue zur Verfassung“ in Art. 5 Abs. 3 GG sowie die „verfassungsmäßige Ordnung“ in Art. 9 Abs. 2 GG mit der fdG gleichsetzt. Zu den Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen fdG und verfassungsmäßiger Ordnung vgl. Abschnitt C.III. und Abschnitt C.III.1. 126  Vgl. dazu Abschnitt C.III. 127  Vgl. dazu u. a. Tillmanns, in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 39: „Den obersten Grundwert des deutschen Verfassungsstaates bildet die freiheitliche demokratische Grundordnung.“; Becker, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts VII, 1992, § 167 Rn. 17; Jesse, Streitbare Demokratie, 1980, S. 18; Gusy, AöR 1980, 279 (280); Klein, in: VVDStRL 37, 1979, S. 56; Bulla, AöR 1973, 340 (346); Leibholz, in: Denninger, fdGO Bd. I, Materialien, 1977, S. 82 f. Kritisch Leggewie / Meier, Republikschutz, 1995, S. 171; Stuby, in: Römer, Der Kampf um das Grundgesetz, 1977, S.  116 f.

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E. Demokratietheoretische Grundlagen und Begründungsfragen

der Wertbindung in Art. 79 Abs. 3 GG identisch? Gibt es Unterschiede zwischen der fdG und Art. 79 Abs. 3 GG? Das Bundesverfassungsgericht gab im sogenannten Elfes-Urteil einen (ersten) Hinweis auf die Beziehung des Art. 79 Abs. 3 GG zur fdG: „Die obersten Prinzipien dieser Wertordnung sind gegen Verfassungsänderungen geschützt (Art. 1, 20, 79 Abs. 3 GG). […] Sie [Gesetze] müssen auch materiell in Einklang mit den obersten Grundwerten der freiheitlichen demokratischen Grundordnung als der verfassungsrechtlichen Wertordnung stehen, aber auch den ungeschriebenen elementaren Verfassungsgrundsätzen und den Grundentscheidungen des GG entsprechen, vornehmlich dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit und dem Sozialstaatsprinzip.“128

Das Gericht lässt aber eine eindeutige Aussage zum Verhältnis vermissen. Klar wird lediglich, dass es sich sowohl bei Art. 79 Abs. 3 GG („oberste Prinzipien der Wertordnung“) als auch bei der fdG („verfassungsrechtliche Wertordnung“) jeweils um Bestandteile der Wertordnung, also der Wertgebundenheit des Grundgesetzes handeln muss. Weitaus deutlicher äußerte das Gericht sich hingegen in jüngster Vergangenheit zum Verhältnis dieser „Bestandteile der Wertordnung“: „Der Begriff der ‚freiheitlichen demokratischen Grundordnung‘ ist durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung konkretisiert worden (a). Sein Regelungsgehalt kann nicht durch einen pauschalen Rückgriff auf Art. 79 III GG bestimmt werden, sondern beschränkt sich auf die für den freiheitlichen demokratischen Verfassungsstaat schlechthin unverzichtbaren Grundsätze (b). Dabei steht das Prinzip der Menschenwürde (Art. 1 I GG) im Vordergrund (c), das durch die Grundsätze der Demokratie (d) und der Rechtsstaatlichkeit (e) näher ausgestaltet wird.“129

Andere Autoren betonen ebenfalls die Unterschiede zwischen fdG und Art. 79 Abs. 3 GG,130 während nur wenige Autoren von einer Identität der fdG und des Art. 79 Abs. 3 GG sprechen.131 Gegen eine Gleichsetzung dieser 128  BVerfGE 6, 32 (40 f.) = BVerfG, Urt. v. 16.1.1957 – 1 BvR 253 56, NJW 1957, 297 (298). 129  BVerfGE 144, 20 (202 f.) = BVerfG, Urt. v. 17.1.2017  – 2 BvB 1 / 13, NJW 2017, 611 (618). 130  Gegen eine Identität von fdG und Art. 79 Abs. 3 GG sprechen sich u. a. aus: Papier / Durner, AöR 2003, 340 (357); Becker, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts VII, 1992, § 167 Rn. 47; Denninger, Benda / Maihofer / Vogel, Handbuch d. Verfassungsrechts, 1983, S. 1307 und (noch zurückhaltender) ders., in: Denninger, fdGO Bd. I, Materialien, 1977, S. 69; grds. auch Jesse, Streitbare Demokratie, 1980, S. 19; Lautner, Die freiheitliche demokratische Grundordnung, 2. Aufl. 1982, S. 63; in dieser Weise ist wohl auch zu verstehen: Leibholz, in: Denninger, fdGO Bd. I, Materialien, 1977, S. 82. 131  Für eine solche Identität sprechen Schmitt Glaeser, Mißbrauch und Verwirkung von Grundrechten im politischen Meinungskampf, 1968, S. 46 und auf Schmitt Glae­ ser aufbauend Klein, in: VVDStRL 37, 1979, S. 57 ff. und Bulla, AöR 1973, 340



III. Das Wehrhaftigkeitskonzept nach dem Grundgesetz139

spricht insbesondere, dass die in Art. 79 Abs. 3 GG genannte Bundesstaatlichkeit zur Verwirklichung einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht erforderlich ist.132 Gleiches gilt für das Prinzip der Republik, das über die Verweisung in Art. 79 GG auf Art. 20 Abs. 1 GG ebenfalls unantastbar wird: Die fdG könnte – wie andere Staaten erfolgreich unter Beweis stellen – nämlich sowohl in parlamentarischen Monarchien (als Antithese zur Republik) als auch in Zentralstaaten (als Antithese zum Bundesstaat) verwirklicht werden.133 Die fdG jedoch dient nicht dazu, ein Staatssystem in allen Einzelheiten zu entwerfen, sondern grundlegende „Ordnungsprinzipien jeder Demokratie“134. Wären fdG und Art. 79 Abs. 3 GG identisch, könnte dies zur exzessiven Wehrhaftigkeit etwa im Bereich der Parteiverbote nach Art. 21 Abs. 2 GG oder der Grundrechtsverwirkung nach Art. 18 GG führen.135 Die politische Opposition einer Partei zur Bundesstaatlichkeit oder zur Sozialstaatlichkeit (Verweisung durch Art. 79 Abs. 3 GG auf Art. 20 Abs. 1 GG: „sozialer Bundesstaat“) könnte ein Parteiverbot begründen. Derartige „Auswüchse“ sind aber nicht Zweck der Wehrhaftigkeit, die in erster Linie die Demokratie zu schützen bestimmt ist.136 Die fdG soll insoweit nicht tagespolitische Inhalte etwa zur Ausgestaltung der Sozialstaatlichkeit schützen, sondern „Struktur und Form des politischen Prozesses selbst.“137

(350). In jüngerer Zeit etwa Schliesky, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts XII, 3. Aufl. 2014, § 277 Rn. 21. 132  Papier / Durner, AöR 2003, 340 (357) und knapp dazu auch Jesse, Demokratie in Deutschland, 2008, S. 319. Vgl. dazu aber auch Schmitt Glaeser, Mißbrauch und Verwirkung von Grundrechten im politischen Meinungskampf, 1968, S. 48, der stets „nur die Substanz des fraglichen Grundsatzes“ (Betonung wurde nicht vom Autor hinzugefügt) geschützt sehen will. 133  Dazu Papier / Durner, AöR 2003, 340 (357), die allerdings von konstitutioneller Monarchie sprechen, in der die Verwirklichung einer fdG schwieriger sein dürfte als in einer parlamentarischen Monarchie. Vgl. auch Becker, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts VII, 1992, § 167 Rn. 47; Denninger, Benda / Maihofer / Vogel, Handbuch d. Verfassungsrechts, 1983, S. 1307 f. 134  Papier / Durner, AöR 2003, 340 (357). 135  Vgl. Papier / Durner, AöR 2003, 340 (357). 136  Schmitt Glaeser stellt im Gegensatz dazu auf die Entstehungsgeschichte dieser Verfassungsprinzipien ab – also Sozial- und Bundesstaatlichkeit, Republikprinzip –, die „alle mehr oder minder direkt eine Absage an jegliche Gewalt- und Willkürherrschaft“ (S. 55) sind. Dem ist zuzustimmen, allerdings ändert dieser historische Bezug nichts daran, dass die Verwirklichung der fdG auf diese Verfassungsprinzipien nicht angewiesen ist, wie sich ebenfalls historisch (vgl. Vereinigtes Königreich, Frankreich etc.) zeigen lässt. Dazu Schmitt Glaeser, Mißbrauch und Verwirkung von Grundrechten im politischen Meinungskampf, 1968, S. 50 ff., 55. 137  Denninger, Benda / Maihofer / Vogel, Handbuch d. Verfassungsrechts, 1983, S. 1309.

140

E. Demokratietheoretische Grundlagen und Begründungsfragen

Zusammenfassen lässt sich, dass fdG und Art. 79 Abs. 3 GG nicht gleichgesetzt werden können. Inhaltlicher und funktionaler Bezugspunkt der Wehrhaftigkeit des GG sind damit nicht die Verfassungsprinzipien nach Art. 79 Abs. 3 GG, sondern die fdG.138 In Erläuterungen zur Wertbindung des GG findet sich oft ein pauschaler Verweis auf die „Ewigkeitsgarantie“ des Art. 79 GG, um in der Konsequenz mittels fdG die Wertordnung zu erläutern. Zu beachten ist insoweit, dass die fdG nur „eine Teilmenge der von Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Verfassungssubstanz“139 ist, sodass sich die Wertordnung des GG nicht abschließend mit der fdG erläutern lässt. Die prägnante Charakterisierung des Art. 79 Abs. 3 GG als „Zentralnorm“ des Wehrhaftigkeitskonzepts ist somit ungenau – verleitet sie doch zur Annahme, auch der Föderalismus oder die Sozialstaatlichkeit könnten Schutzobjekte der wehrhaften Demokratie sein.140 3. Instrumente wehrhafter Demokratie Die Abwehrmechanismen haben zwei Wirkrichtungen: Sie können sowohl Angriffe auf die Demokratie „von oben“ als auch „von unten“ abwehren.141 „Von oben“ drohen Gefahren wie etwa der Machtmissbrauch durch Regierung, Parlament etc.142 „Von unten“ droht insbesondere der Missbrauch von Freiheitsrechten als politisches Kampfmittel gegen die Grundordnung, die diese Freiheitsrechte gewährleistet. Im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung steht die Gefahr „von unten“; konkret in Gestalt der missbräuch­ lichen Ausübung der Meinungsfreiheit. „Kernbestimmungen bundesdeutscher Streitbarkeit“143 bzw. „normativer Kern der sog. ‚streitbaren‘ […] Demokratie“144 sind die Instrumente der 138  Vgl.

(348).

zum Bezugspunkt der wehrhaften Demokratie auch Bulla, AöR 1973, 340

139  Herdegen,

in: Maunz / Dürig, GG, 83. EL 2018, Art. 79 Rn. 87. merkt deshalb an, dass die fdG ausdrücklich im Art. 79 Abs. 3 GG zu nennen gewesen wäre, wie ursprünglich vom Verfassungskonvent auch angedacht, Jesse, Streitbare Demokratie, 1980, S. 19. 141  In dieser Unterscheidung in Angriffe von „oben“ und „unten“ auch: Schliesky, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts XII, 3. Aufl. 2014, § 277 Rn. 25; Becker, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts VII, 1992, § 167 Rn. 18; Bulla, AöR 1973, 340 (350). 142  Grundgesetzliche Abwehrinstrumente finden sich etwa in den: Art. 67 GG (sog. konstruktives Misstrauensvotum), Art. 92 ff. GG (Verfassungsgerichtsbarkeit; konkret: Justiziabilität von Grundrechten durch Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG in Form der Verfassungsbeschwerde), im Vergleich zur Weimarer Republik „entmachtete“ Stellung des Bundespräsidenten. 143  Weckenbrock, Die streitbare Demokratie auf dem Prüfstand, 2009, S. 37. 144  Dreier, JZ 1994, 741 (750). 140  Jesse



III. Das Wehrhaftigkeitskonzept nach dem Grundgesetz141

Normentrias: Art. 9 Abs. 2, 18 sowie 21 Abs. 2 GG.145 Theoretisch bedeutendes, aber praktisch irrelevantes Element der Wehrhaftigkeit gegen den Missbrauch „von unten“ – vereinzelt gar als „rostigstes Schwert der streitbaren Demokratie“146, 147 deklariert –, ist die Verwirkung bestimmter Grundrechte, Art. 18 GG.148 Verfassungsrechtlich handelt es sich bei diesem Instrument, vor allem im Vergleich mit anderen Demokratien, um ein „Novum“, das in konkreter Anwendung aktivistischem Symbolismus offen steht.149 Bezugspunkt der Grundrechtsverwirkung ist die fdG, wie bereits aus den tatbestandlichen Voraussetzungen ersichtlich wird.150 Gleiches gilt für das ebenfalls zur Normtrias gezählte Parteienverbot gemäß Art. 21 Abs. 2 GG – auch mit Entscheidungsmonopol beim BVerfG.151 Dieses Instrument ist praktisch rele145  Dazu auch Hufen, in: Kaspar / Schoen / Schumann / Winkler, FS Falter, 2009, S. 101 (103); Jaschke, TD 2004, 109 (113); Hubo, Verfassungsschutz des Staates durch geistig-politische Auseinandersetzung, 1998, S. 21; Altenhof, in: Jesse / Löw, 50 Jahre Bundesrepublik, 1999, S. 167; Becker, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts VII, 1992, § 167 Rn. 15; Jesse, Streitbare Demokratie, 1980, S. 22; Stuby, in: Römer, Der Kampf um das Grundgesetz, 1977, S. 123; Bulla, AöR 1973, 340 (347 f.). Kritisch: Leggewie / Meier, Republikschutz, 1995, S. 172 und Fromme, in: Jesse, Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik, 4., erw. Aufl. 1985, S. 80 ff. 146  Leggewie / Meier, Republikschutz, 1995, S. 82 ff. 147  Zugleich handelt es sich aber um ein (eigentlich) besonders scharfes Schwert der demokratischen Selbstbehauptung, wie etwa die zugehörigen Verfahrensvoraussetzungen zeigen (Entscheidung des BVerfG erforderlich), vgl. dazu etwa Abendroth, Grundgesetz, 1966, S. 75 f. So wurde Art. 18 GG auch vom Parlamentarischen Rat eingestuft, vgl. Thiel, in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 129. Nach a. A. dürfte es sich bei dem Parteiverbot gem. Art. 21 Abs. 2 GG um die „wohl schärfste Waffe“ im Instrumentarium der wehrhaften Demokratie handeln, Weckenbrock, Die streitbare Demokratie auf dem Prüfstand, 2009, S. 37. 148  In der Geschichte der Bundesrepublik kam es noch nie zur Verwirkung von Grundrechten. Vier Verfahren vor dem Bundeverfassungsgericht zur Grundrechtsverwirkung wurden bislang angestrengt. Die relevantesten sind BVerfGE 11, 282 sowie BVerfGE 38, 23. Vgl. in der Literatur insb. die Abhandlung von Schliesky, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts XII, 3. Aufl. 2014, § 277 Rn. 28; Thiel, in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 129 ff. und zur Geschichte Seifert, in: Römer, Der Kampf um das Grundgesetz, 1977, S. 98 ff. Beachtenswert auch die weiteren Überlegungen von Jesse, Demokratie in Deutschland, 2008, S. 323, der feststellt, dass alle Anstrengungen zu Grundrechtsverwirkungen gegen solche Personen angestrengt wurden, die dem Rechtsextremismus zugehörig sind. 149  Dreier, JZ 1994, 741 (752). Zitat a. a. O. 150  Thiel, in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 135 ff. 151  Schliesky, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts XII, 3. Aufl. 2014, § 277 Rn. 31; Weckenbrock, Die streitbare Demokratie auf dem Prüfstand, 2009, S. 37; Hufen, in: Kaspar / Schoen / Schumann / Winkler, FS Falter, 2009, S. 101 (102); Ausführlicher dazu Jesse, Demokratie in Deutschland, 2008, S. 345 ff. und 351 ff.; Klein, in: VVDStRL 37, 1979, S. 73 ff.

142

E. Demokratietheoretische Grundlagen und Begründungsfragen

vanter als die Grundrechtsverwirkung nach Art. 18 GG, wenngleich auch ein selten erfolgreiches „Schwert“.152 Komplettiert wird die Trias vom praktisch weitaus relevanteren153 Vereinigungsverbot gemäß Art. 9 Abs. 2 GG.154, 155 Mit dem Anknüpfungspunkt „fdG“ offenbart sich dabei die Verbindung zu Art. 79 Abs. 3 GG: Es wird jeweils eine Wertbindung verankert, mithin „Ausprägung eines dezidierten Antirelativismus“156, womit eine gemeinsame Einordnung in das Wehrhaftigkeitskonzept leicht fällt. Deutlich wird insoweit bereits die präventive Wirkrichtung dieser der Verfassung unmittelbar entnehmbaren Instrumente wehrhafter Demokratie: Nicht etwa die Illegalität eines Verhaltens soll Wehrhaftigkeit aktivieren, sondern die bloße Verfassungsfeindlichkeit.157 Die Normentrias ist deshalb illiberaler Natur: Der Feind der Verfassung wird im tatsächlichen Schutzgutsverletzungen vorgelagerten Bereich vom „politischen Wettbewerb“ ausgegrenzt.158 Zu den weiteren Instrumenten lassen sich die Treueklauseln in den Art. 5 Abs. 3 und Art. 10 Abs. 2 GG zählen,159 ebenso wie die Entfernung von Extremisten aus dem öffentlichen Dienst160 und Art. 20 Abs. 4 GG. Weitere 152  Art. 21 Abs. 2 GG hat bislang nur zu zwei Parteiverboten (SRP (BVerfGE 2, 1 = BVerfG, Urt. v. 23.10.1952 – 1 BvB 1 / 51, NJW 1952, 1407) und KPD (BVerfGE 5, 85 = BVerfG, Urt. v. 17.8.1956 – 1 BvB 2 / 51, NJW 1956, 1393)) geführt, wurde allerdings mehrfach vor dem BVerfG angestrengt – zuletzt im erneut erfolglosen NPD-Verbotsverfahren II (BVerfGE 144, 20 = BVerfG, Urt. v. 17.1.2017 – 2 BvB 1 / 13, NJW 2017, 611). 153  Die höhere praktische Relevanz lässt sich u. a. darauf zurückführen, dass nicht – wie bei Art. 18 und Art. 21 Abs. 2 GG – die hohe Hürde einer bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung genommen werden muss, vgl. Dreier, JZ 1994, 741 (752). 154  Vgl. nur den Bericht des Bundesministeriums des Innern zu Vereinsverboten, abrufbar unter zuletzt besucht am 20.09.18. Ferner etwa Schliesky, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts XII, 3. Aufl. 2014, § 277 Rn. 40. 155  Ausdrücklich ist in Art. 9 Abs. 2 GG von der „verfassungsmäßigen Ordnung“ die Sprache, allerdings ist diese wie die fdG zu verstehen, vgl. zur Diskussion darüber n.a. Scholz, in: Maunz / Dürig, GG, 83. EL 2018, Art. 9 Rn. 127, der i. E. aber auch den „Bestand der Bundesrepublik Deutschland“ erfasst sehen will. 156  Dreier, JZ 1994, 741 (750). 157  Altenhof, in: Jesse / Löw, 50 Jahre Bundesrepublik, 1999, S. 167. Zitat a. a. O. 158  Leggewie / Meier, Blätter für deutsche und internationale Politik 2012, 63 (71 f.). 159  Speziell zu Art. 21 Abs. 2 GG vgl. BVerfGE 5, 85 (139) = BVerfG, Urt. v. 17.8.1956 – 1 BvB 2 / 51, NJW 1956, 1393 (1397): Bei der Regelung handelt es sich um die „Bekenntnis zu einer – in diesem Sinne – ‚streitbaren Demokratie‘.“ (a. a. O.) Vgl. auch ausführlich zu den Instrumenten der wehrhaften Demokratie Papier / Durner, AöR 2003, 340 (347). 160  Ausführlicher dazu Jesse, Demokratie in Deutschland, 2008, S. 345  ff. und 351 ff.



III. Das Wehrhaftigkeitskonzept nach dem Grundgesetz143

grundgesetzliche Elemente zur Abwehr der Gefahr „von unten“ finden sich etwa in Art. 91 Abs. 1 GG (wechselseitiger Einsatz der Landes- und Bundespolizeien zur Abwehr von Gefahren etwa für die fdG). Wichtiges Instrument ist außerdem der institutionalisierte Verfassungsschutz in Form der Landesämter sowie des Bundesamtes für Verfassungsschutz.161 Diese Regelungen können ebenfalls dem präventiven Demokratieschutz zugeordnet werden.162 Mit ihnen wird strikter Pluralismus aufgegeben und durch verfassungsrechtliche Markierungen eingegrenzt. Auch einfachgesetzlich findet sich eine Vielzahl von Schutzbestimmungen – etwa verwaltungsrechtlicher und strafrechtlicher Natur.163 Damit deutet sich bereits an, dass die Instrumente des Wehrhaftigkeitskonzepts nicht nur verfassungsrechtlich bestimmt sind. Aus diesem Grund ist das Wehrhaftigkeitskonzept nicht nur ein Verfassungsprinzip164, sondern zugleich auch ein Sammelbegriff für die fdG schützende Vorschriften, Institutionen etc. – sowohl innerhalb als auch außerhalb des GG.165 Neben den auf Abwehr und Schutz angelegten Instrumenten gehört auch die politische Bildung zur wehrhaften Demokratie – insofern ist von einem „Gestaltungsauftrag“ im Bereich der Prävention die Rede, um verfassungsfeindliche Bestrebungen schon gar nicht zur Entstehung geraten zu lassen.166 161  Vgl. dazu auch das Selbstverständnis des Bundesamtes für Verfassungsschutz im Verfassungsschutzbericht von 2014, S. 14: „Zu den im Grundgesetz angeführten Schutzmechanismen der streitbaren Demokratie gehört auch die Einrichtung und Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder (Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 Buchstabe b und Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG).“ Umfangreich zur „Legitimität“ des Verfassungsschutzes Badura, in: Bundesamt für Verfassungsschutz (Hrsg.), Verfassungsschutz in der Demokratie, 1990, S. 27 ff. Ferner: Jaschke, TD 2004, 109; Bulla, AöR 1973, 340 (347). 162  Jesse, Demokratie in Deutschland, 2008, S. 342. 163  Vgl. etwa BVerfGE 28, 37 (49) = BVerfG, Beschl. v. 18.2.1970 – 2 BvR 531 / 68, NJW 1970, 1268 (1269), das § 8 SoldG ausdrücklich dem Konzept der wehrhaften Demokratie zuordnet. Ferner auch Becker, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts VII, 1992, § 167 Rn. 42. Beachte, dass es aber sogar Vorschläge für ein verfassungsstrafrechtliches Vorgehen gab. Dazu m. w. N. Dagasan, Das Ansehen des Staates im türkischen und deutschen Strafrecht, 2015, S. 185, Fn. 13. 164  Vgl. dazu Fn. 608. 165  So auch Schliesky, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts XII, 3. Aufl. 2014, § 277 Rn. 12; Becker, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts VII, 1992, § 167 Rn. 42 und ferner, das Verhältnis der wehrhaften Demokratie als Verfassungsprinzip und als Sammelbegriff diskutierend: Klein, in: VVDStRL 37, 1979, S. 67. Vgl. auch Papier / Durner, AöR 2003, 340 (348) oder, noch allgemeiner: „Vorkehrungen zur Verteidigung seiner freiheitlichen demokratischen Grundlagen gegen Angriffe von innen und außen“, a. a. O. (341). 166  Schliesky, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts XII, 3. Aufl. 2014, § 277 Rn. 41.

144

E. Demokratietheoretische Grundlagen und Begründungsfragen

Mit einer solchen Gestaltungsarbeit wird die Demokratieverwurzelung herund sichergestellt sowie schon frühzeitig Einfluss genommen auf für Extremismus anfällige Gesellschaftskreise. 4. Wesensmerkmale der wehrhaften Demokratie nach Jesse Die Darstellungen der grundgesetzlichen Wehrhaftigkeit lassen sich nach einer Einordnung von Jesse überdies in Wesensmerkmale zusammenfassen: Danach sind die drei wichtigsten Eigenschaften wehrhafter Demokratie Wertgebundenheit, Abwehrbereitschaft sowie die Vorverlagerung des Demokratieschutzes.167 Wertordnung der wehrhaften Demokratie ist die fdG; die Bindung ergibt sich aus Art. 79 Abs. 3 GG, dessen Teilmenge die fdG ist – mithin steht diese nicht zur Disposition. Die Abwehrbereitschaft des GG zeigt sich bereits anhand der Normtrias, die dem Schutz der fdG vor verfassungsfeindlichen Bestrebungen zugedacht ist: Im Mittelpunkt steht die Verteidigung gegen extremistische Bestrebungen, womit die wehrhafte Demokratie mit Werten wie dem Pluralismus und dem Liberalismus konfligiert.168 Mit Blick auf die Vorverlagerung des Demokratieschutzes lässt sich konstatieren: Bestrebungen gegen die fdG sollen nicht erst bei Vorliegen konkreter Gefahren abgewehrt werden dürfen, sondern bereits vorher.169 Die dargestellten Instrumentarien der wehrhaften Demokratie verdeutlichen diese Funktionsweise: Der institutionalisierte Verfassungsschutz in Gestalt der Verfassungsschutzämter wird weit im Vorfeld konkreter Gefahren tätig – etwa durch die Beobachtung von Parteien, ohne dass konkrete Parteiverbotsverfahren geplant oder anhängig sind.170 Wehrhafte Demokratie ist damit nicht lediglich ein Konzept zur Gefahrenabwehr im Bereich des Verfassungsschutzes. Anders klingt die Erklärung der Vorverlagerung hingegen bei Jesse an, der darunter versteht, eine Abwehr dürfe bereits im Vorfeld von Verstößen „gegen (Straf-)Gesetze“ geschehen.171, 172

167  Jesse,

Demokratie in Deutschland, 2008, S. 319, 342. Demokratie in Deutschland, 2008, S. 343. 169  So v. a. Papier / Durner, AöR 2003, 340 (357). Ferner Jesse, Demokratie in Deutschland, 2008, S. 319, 343. 170  Papier / Durner, AöR 2003, 340 (357). 171  Jesse, Demokratie in Deutschland, 2008, S. 319, 343. 172  Vgl. zur Vorverlagerung als Wesensmerkmal wehrhafter Demokratie und den Strafverboten als Instrumenten dieser Demokratie Abschnitt E.VI. 168  Jesse,



IV. Lehren aus Weimar145

5. Zwischenergebnis Grundannahme der wehrhaften Demokratie nach grundgesetzlicher Verfasstheit ist, dass der Wertrelativismus und die daraus resultierende Abwehrschwäche der WRV die NS-Machtergreifung maßgeblich (mit-)ermöglichten. Diametral zur WRV steht im Mittelpunkt des Wehrhaftigkeitskonzeptes des GG deshalb die Wertgebundenheit: Mit dieser wird die Volkssouveränität beschränkt, um die (Wieder-)Errichtung eines totalitären Staates (verfassungsrechtlich) unmöglich zu machen. Schutzobjekt der wehrhaften Demokratie ist die fdG – im Vordergrund der wehrhaften Demokratie steht damit nicht der Staats- sondern der Demokratieschutz.173 Diese stellt sich als Teilmenge der Wertbindung in Art. 79 Abs. 3 GG dar. Angriffe auf die fdG können im Lichte der wehrhaften Demokratie abgewehrt werden; die herausgearbeiteten Instrumentarien können nur in einer Zusammenschau mit diesem Schutzobjekt verstanden werden. Abwehrinstrumente finden sich neben den verfassungsrechtlichen Kodifizierungen (etwa die sog. Normtrias) auch in einfachgesetzlicher Ausgestaltung. Die Wehrhaftigkeitskonzeption ist damit nicht verfassungsrechtlich abschließend enumeriert, sondern vielmehr ein Sammelbegriff für die fdG schützende Gesetze und Institutionen. Zum In­ strumentarium gehört ferner auch der Gestaltungsauftrag des Staates, der sich zusammensetzt aus der Her- und Sicherstellung von Demokratieverwurzelung etwa durch politische Bildung. Damit ist nicht die Illegalität Anknüpfungspunkt für die Aktivierung wehrhafter Instrumente, sondern bereits die Verfassungsfeindlichkeit – auch insoweit erweist sich das GG als gegenbildlicher Entwurf zur WRV. In einer Gesamtschau fasst Jesse die Wesensmerkmale der wehrhaften Demokratie wie folgt zusammen: Wertgebundenheit, Abwehrbereitschaft sowie Vorverlagerung des Demokratieschutzes.

IV. Lehren aus Weimar: Gefahr für die Demokratie durch die Wehrhaftigkeit gebannt? Wichtige Grundannahmen des Wehrhaftigkeitskonzepts basieren auf Analysen der Weimarer Reichsverfassung durch den Verfassungskonvent und den Parlamentarischen Rat.174 Auch das BVerfG stellte in einer frühen Entscheidung fest: auch Scherb, Der Bürger in der Streitbaren Demokratie, 2008, S. 19 f. über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee v. 10. bis 23 August 1948, 1948, S. 22. Vgl. etwa den Bericht v. a. über den Parlamentarischen Rat von Jellinek, in: VVDStRL 8, 1950, S. 5: „Das Grundgesetz wollte verhindern, daß sich die Nöte der Weimarer Zeit wiederholen, und dieser gewollte Gegensatz zu der Weimarer Regelung scheint mir eines der wichtigsten Auslegungsmittel für das Bonner Grundgesetz zu sein.“ Ferner Schliesky, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staats173  Dazu

174  Bericht

146

E. Demokratietheoretische Grundlagen und Begründungsfragen

„Die Weimarer Verfassung hat auf eine Lösung verzichtet, ihre politische Indifferenz beibehalten und ist deshalb der aggressivsten dieser ‚totalitären‘ Parteien erlegen.“175

Ähnliche Analysen fanden sich zudem in der Bundespolitik, wie etwa der (erste) Bundesjustizminister Dehler im Kabinett Adenauer I zum Strafrechtsänderungsgesetz am 12.09.1950 feststellte: „Das Schicksal der Weimarer Republik ist ein warnendes Beispiel dafür, daß eine Überdosierung der Freiheit, besonders eine zu weit getriebene Toleranz gegenüber den Feinden der Demokratie, zum Freitod der Freiheit führen kann. Wir müssen ein Freiheitsopfer bringen, um die Freiheit zu bewahren.“176

Zweifel am monokausalen Verständnis der frühen Bundesrepublik, das im Wertrelativismus und der damit verbundenen Wehrlosigkeit der Weimarer Reichsverfassung die Ursache für die Machtergreifung der Nationalsozialisten sah, kamen allerdings bereits in den 1960er- bis 1970er-Jahren auf.177 Leggewie und Meier sprechen insofern gar von „landesüblichen Weimar-­ rechts XII, 3. Aufl. 2014, § 277 Rn. 2, der insofern vom „unbedingte[n] Willen“ der Verfassunggeber spricht, aus Weimar Lehren zu ziehen. 175  BVerfGE 5, 85 (138) = BVerfG, Urt. v. 17.8.1956  – 1 BvB 2 / 51, NJW 1956, 1393 (1396). Vgl. aber auch jüngere Entscheidungen des BVerfG, wonach sich Feinde der Verfassung nicht oder nur begrenzt auf durch die Verfassung gewährleistete Freiheiten berufen dürfen, um den Staat selbst in Gefahr zu bringen, in: BVerfGE 134, 141 (179 f.) = BVerfG, Urt. v. 17.9.2013 – 2 BvR 2436 / 10, 2 BvE 6 / 08, NVwZ 2013, 1468 (1472). 176  BT-Protokoll 1 / 83 v. 12.09.1950, S. 3103 (3105). 177  Vgl. die Übersicht bei Weckenbrock, Die streitbare Demokratie auf dem Prüfstand, 2009, S. 81; Papier / Durner, AöR 2003, 340 (347); Altenhof, in: Jesse / Löw, 50 Jahre Bundesrepublik, 1999, S. 167. Ein (weitgehend) monokausales Verständnis lässt sich indes schon bei Leibholz, Auflösung der liberalen Demokratie, 1933, S. 42 f. ausmachen, in neuerer Zeit etwa noch bei Becker, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts VII, 1992, § 167 Rn. 4 f. Zu den Kritikern zu zählen sind bspw. Schliesky, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts XII, 3. Aufl. 2014, § 277 Rn. 2; Leggewie / Meier, Republikschutz, 1995, S. 164, 175 ff., die gar von einem „WeimarSyndrom der bundesdeutschen Verfassung“ (Überschrift auf S. 160) oder „Legendenbildung“ (S. 178) sprechen und auch Meier, Protestfreie Zonen?, 2012, S. 89; Heun, Der Staat 1989, 377 (401); Mommsen, in: Habermas, Stichworte zur geistigen Situation der Zeit, 4. Aufl. 1982, S. 170 ff., 174; Stuby, in: Mayer / Stuby, Das Lädierte Grundgesetz, 1977, S. 237, der den Anknüpfungspunkt nicht in den Schwächen der WRV sieht, sondern dem NS-System als solches; Denninger, in: Denninger, fdGO Bd. I, Materialien, 1977, S. 69; Dahs, NJW 1976, 2145 (2151) warnt davor, dass zu weitreichende Kriminalisierungen im pol. Bereich dazu führen, dass der Gesetzgeber den „freiheitlichen Rechtsstaat ‚zu Tode schützen‘ [wird].“; s. auch m. w. N. Bulla, AöR 1973, 340 (343); Abendroth, Grundgesetz, 1966, S. 36, der eine unzutreffende historische Analyse durch den Verfassungskonvent („Illusion der Juristen“) attestiert, obwohl es eine „historisch zutreffende Überlegung der Periode vorher […] [gab], der Untergang der Demokratie sei durch den Widerspruch zwischen politischer Verfassung und sozialökonomischen Machtverhältnissen“ verursacht worden. (Zitat a. a. O.)



IV. Lehren aus Weimar147

Legenden“, da „dem Republikschutz, wäre er denn nur politisch gewollt gewesen, sehr wohl Instrumente zu Gebote standen.“178 Sie gehen davon aus, dass das Grundgesetz eine „Absetzbewegung von der Weimarer Reichsverfassung“ ist, die insgesamt als „Fehlleistung[..]“ verstanden werden muss.179 Mommsen attestiert gar: „Der Prozeß der Auflösung der Weimarer Republik gerät zu einem Arsenal der Legitimierung autoritärer Strategien, die unter dem Deckmantel des Konzepts der ‚wehrhaften‘ Demokratie die schrittweise Aushöhlung wesentlicher grundrecht­ licher Garantien zugunsten von ‚Staatsschutz‘-Erwägungen einleiten.“180

Was aber, wenn nicht (allein) die Abwehrschwäche der WRV, könnte Ursache für die Machtergreifung gewesen sein? Und weiter stellt sich die Frage: Ist das Wehrhaftigkeitskonzept des GG als Gegenentwurf zum Wertrelativismus der Weimarer Reichsverfassung geeignet, einer Machtergreifung wie die der Nationalsozialisten im Jahr 1933 vorzubeugen?181 Mit Dreier lässt sich gar polemisch fragen: „Sollten wir nicht alle nach der Weimarer Lektion Herzensrepublikaner sein?“182

Fraglich ist also, ob das Wehrhaftigkeitskonzept des Grundgesetzes eine in sich schlüssige Konsequenz aus dem Versagen der Weimarer Republik ist. Hatten andere Umstände – etwa die Weltwirtschaftskrise der 1920er- und 1930er-Jahre oder die mangelnde Demokratieverwurzelung in der Repu­ blik – womöglich einen weitaus größeren Einfluss auf die Erosion der Weimarer Demokratie? Diese Fragen sind trotz ihrer historischen Dimensionen für die vorliegende Arbeit von großer Bedeutung, denn: Wenn das Wehrhaftigkeitskonzept als solches dem Legitimitätsdruck einer freiheitlichen Demokratie nicht stand hält, wie können dann die Instrumente der Wehrhaftigkeit legitim und funktionsfähig sein? Wichtigste Arbeit der jüngeren Zeit ist die kritische Analyse von Gusy, Weimar – die wehrlose Republik?, 1991. 178  Leggewie / Meier, Republikschutz, 1995, S. 18. 179  Leggewie / Meier, Republikschutz, 1995, S. 172. 180  Mommsen, in: Habermas, Stichworte zur geistigen Situation der Zeit, 4. Aufl. 1982, S. 174. 181  Diese Frage beschränkt sich indes nicht auf die Gefahr einer Machtergreifung durch Nationalsozialisten, Rechtsextremisten etc. im Speziellen, sondern visiert die Gefahr durch Demokratiefeinde im Allgemeinen an. Dazu führt Flümann, Streitbare Demokratie, 2015, S. 115 treffend aus: „Ein vergangenes historisches Unrechtsregime wiederholt sich nun mal nicht auf exakt dieselbe Art und Weise. Wenn Wiederholung der Geschichte nur durch Illegalisierung eines einmal beschrittenen Weges zur Diktatur verhindert werden soll, ist sie überflüssig, da eine solche Wiederholung im höchsten Maße unwahrscheinlich ist. Der antiextremistische Ansatz der streitbaren Demokratie sucht eine Wiederholung der Geschichte im Ergebnis – Abschaffung der Demokratie – zu verhindern.“ 182  Dreier, RW 2010, 11 (24).

148

E. Demokratietheoretische Grundlagen und Begründungsfragen

1. Historischer Hintergrund Für ein Verständnis der Weimarer Demokratiekonzeption ist der historische Hintergrund mitzudenken: Der Weimarer Versuch einer Demokratie auf deutschem Boden geschah in einer Zeit, in der das Demokratieverständnis der Bevölkerung nach den Erfahrungen mit einer „halbdemokratisierten Monarchie“183 noch eher gering entwickelt war und zudem für Teile der Bevölkerung die Demokratie durch die Versailler Ereignisse nach dem ersten Weltkrieg ein Stigma der Niederlage184 trug.185 Dieses Staatsverständnis ebenso wie die weit verbreiteten totalitären Ideologien186 stellten eine Hürde für die Durchsetzung demokratischer Strukturen dar. Problematisch war zudem, dass es keinen hinreichend gesellschaftlich konsentierten Umgang mit dem 1. Weltkrieg, der Kriegsniederlage und der „neuen“ politische Ordnung „Weimarer Republik“ gab.187 Newman fasst die Demokratisierung dieser Zeit in Deutschland (und in anderen mitteleuropäischen Ländern) zusammen: „[…] Demokratie [war] vor 1918 nur als abstrakte Ideologie durch eine kleine Gruppe von Wissenschaftlern, Theoretikern und Politikern vertreten worden. Ihr 183  Lepsius, Demokratie in Deutschland, 1993, S. 80. Zumindest seit 1871 existierte zwar eine konstitutionelle Monarchie, doch galt vielen Bürgern die autoritäre Staatsführung nach wie vor als vertrautes und verstandenes System, das sich einer großen Anhängerschaft rühmen konnte. 184  Zur Wirkung von Versaille auf das Demokratieempfinden der Bevölkerung: Loewenstein, American Political Science Review 1937, 417 (427). Ausführlich dazu Newman, Zerstörung und Selbstzerstörung der Demokratie, 1965, S. 167 ff. und Bracher, Die Auflösung der Weimarer Republik, 2. Aufl. 1957, S. 17: „Die Auswirkungen von Versailles müssen […] vor allem als psychologische, propagandafähige Potenz gesehen werden.“ 185  Vgl. auch zum verbreiteten „antidemokratischen Denken“ intellektueller Eliten: Sontheimer, Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 1957, 42. Knapp dazu Leggewie / Meier, Blätter für deutsche und internationale Politik 2012, 63 (73); Jaschke, TD 2004, 109 (118); Papier / Durner, AöR 2003, 340 (347). Vgl. ferner Jesse, Diktaturen in Deutschland, 2008, S. 222, der sogar annimmt: „Die Weimarer Republik war eine Demokratie ohne Demokraten.“ (a. a. O.) und auch schon in Jesse, Streitbare Demokratie, 1980, S. 10. Vgl. auch zum Konflikt zwischen Nationalismus und Liberalismus als Ursache innerer Spannungen Newman, Zerstörung und Selbstzerstörung der Demokratie, 1965, S. 60 ff. und zur noch stark ausgeprägten Monarchieverwurzelung, insb. in Armee und Verwaltung, S. 322; zudem Bracher, Die Auflösung der Weimarer Republik, 2. Aufl. 1957, S. 16 ff. Vgl. außerdem zur Entstehungsgeschichte und den politischen Umständen der Verfassungsentstehung der WRV: Gusy, JZ 1994, 753. Vgl. als zeitgenössische Analyse der Krisenherde und damit zusammenhängend der zunehmenden Popularität des Nationalsozialismus Bonn, Zur Krise der Demokratie: Politische Schriften, 1919–1932, 2015, S. 249 ff. 186  Jesse, Demokratie in Deutschland, 2008, S. 340. 187  Lepsius, Demokratie in Deutschland, 1993, S. 78.



IV. Lehren aus Weimar149 Idealismus und ihre Selbstaufopferung waren zwar imstande, die Massen für die Demokratie zu begeistern; aber durch Begeisterung und Glauben allein werden Völker nicht demokratisiert. […] Im Gegenteil, über Nacht entstanden demokratische Republiken in Staaten mit Gesellschaftsstrukturen, die noch aus ihrer monarchisch-autoritären Vergangenheit den Geist der Unterwürfigkeit, der romantischen Verehrung der Macht und der engstirnigen Intoleranz bewahrt hatten.“188

Das führte in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zu einem vermehrten Aufkommen solcher Parteien, die eine liberale Demokratie bekämpften.189 Im Kontrast dazu herrschte zumindest bei Befürwortern des strikten Libe­ ralismus das Vertrauen vor, dass eine ernstliche Abschaffungsgefahr der ­De­mokratie wider der Natur der Menschen wäre – Jesse spricht insofern vom „rousseauistisch inspirierte[n] Glaube an die ursprüngliche Güte der Menschennatur“190. Dieses Ambivalenz fiel zudem in eine Zeit ständiger politischer Krisen: Putschversuche, eine Vielzahl von Regierungswechseln und damit verbundenen Wahlen.191 Ebenso führte die Änderung sozio-ökonomischer Rahmenbedingungen, etwa durch die Weiterentwicklung der Industrialisierung und damit verbunden neuer Arbeitslandschaften bei ins­ besondere im (selbstständigen) Mittelstand gleichzeitig verbreiteter „vor­ industrieller Wirtschaftsmentalität“, zu innerdeutschen gesellschaftlichen Spannungen.192 Diesen Konflikten und drastischen gesellschaftlichen wie politischen Veränderungen stand zum Beispiel das Kleinbürgertum mit Ratlosigkeit gegenüber;193 darüber hinaus ergaben sich in der deutschen Bevölkerung starke Bedürfnisse nach Arbeit und Frieden.194

188  Newman,

Zerstörung und Selbstzerstörung der Demokratie, 1965, S. 259 f. dazu die Darstellung des BVerfGE 5, 85 (137 f.) = BVerfG, Urt. v. 17.8.1956 – 1 BvB 2 / 51, NJW 1956, 1393 (1396). Zu beachten ist auch, dass das in der WRV verwurzelte Millsche Freiheitsverständnis den Feinden der Demokratie – auch solchen, die als Beamte in Justiz und Verwaltung beschäftigt waren – zugute kam, da sie „vorgeben [konnten], demokratisch zu handeln, und durch ihre Anwendung eben dieser Prinzipien doch das ihre zum Sturz der Demokratie beitragen [konnten].“, Newman, Zerstörung und Selbstzerstörung der Demokratie, 1965, S. 308. Zitat a. a. O. Ferner: Jesse, Diktaturen in Deutschland, 2008, S. 192 f. 190  Jesse, Demokratie in Deutschland, 2008, S. 339 und bereits in Jesse, Streitbare Demokratie, 1980, S. 10. 191  Lepsius, Demokratie in Deutschland, 1993, S. 52: Von 1919 bis 1933 gab es 19 Kabinette (durchschnittliche Amtszeit: 7 Monate). 192  Ähnlich Lepsius, Demokratie in Deutschland, 1993, S. 57. Zitat auf S. 62, 90. Diese „vorindustrielle Wirtschaftsmentalität“ macht Lepsius ebenfalls bei Bauern dieser Zeit aus. Vgl. auch die drei Entwicklungsphasen, die Jesse für die Weimarer Republik ausmacht: Aufstands- und Putschversuche in der Anfangszeit v. 1918–1923, relative Stabilisierung v. 1924–1929, Weltwirtschaftskrise ab 1930. 193  Newman, Zerstörung und Selbstzerstörung der Demokratie, 1965, S. 324. 194  Lepsius, Demokratie in Deutschland, 1993, S. 90. 189  Vgl.

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E. Demokratietheoretische Grundlagen und Begründungsfragen

Diese und weitere Konflikte ermöglichten in einer fatalen Kombination den Erfolg der NSDAP, obwohl „die [einzelnen Konflikte] für sich durchaus begrenzt und kontrollierbar sind.“195 Der Erfolg der Nationalsozialisten war indes kein (ausschließlich) gewaltsamer Staatsstreich, sondern „handelt[e] es sich vielmehr um einen sich gegenseitig verschränkenden Prozeß der Machtübergabe und Machtübernahme.“196 Nach dem Scheitern des Hitler-Ludendorff-Putsches im Kampf gegen die Weimarer Demokratie im November 1923 machte Hitler auch in den folgenden Jahren deutlich, dass er das demokratische Grundprinzip ablehnte.197 Da der gewaltsame Umsturzversuch von 1923 scheiterte, entschied sich Hitler und mit ihm die NSDAP trotz intrinsischer Demokratieverachtung den Umsturz „unter Vortäuschung von Loyalität gegenüber der Verfassung“ zu erreichen.198 Es folgte eine grotesk-opportune Doppelstrategie der Nationalsozialisten. Zwar war Hitler ideologisch motiviert – hatte etwa in „Mein Kampf“ offen das Ziel der Abschaffung der Demokratie („Ablehnung des demokratischen Massengedankens“199) ausgerufen – doch zugleich „betonte [er] stets die Legalität seiner Bewegung“ und zwar dann, wenn es einerseits die Wahrnehmung politischer Freiheitsrechte ermöglichte und andererseits dem Fortkommen der Nationalsozialisten opportun war, etwa dem Reichspräsidenten von Hindenburg gegenüber.200 Teil der Legalitätsstrategie war überdies, die Institutionen der Republik zu lähmen und destabilisieren, indem zum Beispiel die parlamentarische Arbeit durch Störun195  Lepsius,

Demokratie in Deutschland, 1993, S. 78. Demokratie in Deutschland, 1993, S. 80. Vgl. auch zur Legalität der Machtergreifung: Bracher, Die Auflösung der Weimarer Republik, 2. Aufl. 1957, S.  731 f. 197  Vgl. nur neben vielen anderen Passagen Hitler, Mein Kampf, 855. Aufl. 1943 (Erstauflagen von 1925 (Bd. 1) und 1926 (Bd. 2)), S. 493: „Eine Weltanschauung, die sich bestrebt, unter Ablehnung des demokratischen Massengedankens, dem besten Volk […] diese Erde zu geben […]. Damit baut sie nicht auf dem Gedanken der Majorität, sondern auf dem der Persönlichkeit auf.“ Berühmt-berüchtigt sind in diesem Zusammenhang auch die Ausführungen von Goebbels, Der Angriff, 1935 (Nachdruck von „Was wollen wir im Reichstag?“ in Der Angriff, 1928), S. 71: „Wir sind doch eine antiparlamentarische Partei, lehnen aus guten Gründen die Weimarer Verfassung […] ab, sind Gegner einer verfälschten Demokratie […]. Was also wollen wir im Reichstag? Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns im Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen. Wir werden Reichstagsabgeordnete, um die Weimarer Gesinnung mit ihrer eigenen Unterstützung lahmzulegen. Wenn die Demokratie so dumm ist, uns für diesen Bärendienst Freifahrten und Diäten zu geben, so ist das ihre eigene Sache. Wir zerbrechen uns darüber nicht den Kopf. Uns ist jedes gesetzliche Mittel recht, den Zustand von heute zu revolutionieren.“ 198  Newman, Zerstörung und Selbstzerstörung der Demokratie, 1965, S. 312. 199  Hitler, Mein Kampf, 855. Aufl. 1943, S. 493. 200  Newman, Zerstörung und Selbstzerstörung der Demokratie, 1965, S. 312 f. Zitat auf S. 312. 196  Lepsius,



IV. Lehren aus Weimar151

gen beeinträchtigt wurde.201 Durch diese Taktik sollte die Krise der Weimarer Republik verschärft werden, um so fruchtbaren Boden für eine letztlich erfolgreiche, aber verheerende Revolution zu schaffen.202 Drastische Zuspitzung dieser Taktik stellte die Abstimmung zum sogenannten Ermächtigungsgesetz dar. Dieses Gesetz offenbarte zugleich, dass die Taktik sich allenfalls durch den Anschein einer Legalität auszeichnete, enthielt das Ermächtigungsgesetz doch zahlreiche formelle und materielle Verfassungsverstöße.203 Bereits die Zusammenstellung des Reichstags am Tag der Abstimmung, dem 23. März 1933, machte deutlich, dass die Abstimmung erhebliche demokratische Defizite und formelle Verfassungsverstöße zeitigte: Keiner der KPD-Abgeordneten war anwesend – sie wurden auch nicht schriftlich zur Sitzung geladen – und 26 der 120 SPD-Abgeordneten blieben der Abstimmung fern, da sowohl die abwesenden KPD- als auch SPD-Mitglieder zu diesem Zeitpunkt entweder auf der Flucht, „im Untergrund“ oder gar in „Schutzhaft“ genommen waren.204 Die KPD war zu diesem Zeitpunkt zwar nicht verboten, aber doch in die Illegalität gedrängt.205 Die Abstimmung selbst stand (psychologisch) unter dem Eindruck vieler im Sitzungssaal anwesender, uniformierter SA- und SS-Männer, „die einen immer engeren Kordon um die Sitze der SPD zogen“, ebenso wie einer im Saal ausgestellten Hakenkreuzfahne.206 Das Ermächtigungsgesetz wies sich überdies durch eine Vielzahl materieller Verfassungsverstöße aus. Hervorzuheben ist Art. 2 Ermächtigungsgesetz, wonach das Verfassungsänderungsmonopol aus Art. 76 WRV aufgehoben war und von der Reichsregierung Verfassungsänderungen (und auch einfache Gesetze) durch Kabinettsbeschluss erlassen werden konnten – der Vorrang der WRV vor einfachem Gesetz war damit aufgehoben.207 Treffender für die Taktik der Nationalsozialisten ist daher die Charakterisierung als „Legalitätsanschein“208 oder 201  Newman,

Zerstörung und Selbstzerstörung der Demokratie, 1965, S. 314. Zerstörung und Selbstzerstörung der Demokratie, 1965, S. 315. 203  Vgl. nur die umfassende juristische Wertung von Strenge, Journal der Juristischen Zeitgeschichte 2013, 1; Preuß, KJ 1999, 263 (268); Lepsius, Demokratie in Deutschland, 1993, S. 89, 91. Auch Ridder spricht von einem „Schein von Legalität“, vgl. Ridder, Die soziale Ordnung des Grundgesetzes, 1975, S. 21. Allgemein zur Illegalität des Vorgehens auch: Mommsen, in: Habermas, Stichworte zur geistigen Situation der Zeit, 4. Aufl. 1982, S. 174 f. 204  Strenge, Journal der Juristischen Zeitgeschichte 2013, 1 (4). Dazu auch Leggewie / Meier, Republikschutz, 1995, S. 179. 205  Strenge, Journal der Juristischen Zeitgeschichte 2013, 1 (4). Dazu am Rande auch Ridder, Die soziale Ordnung des Grundgesetzes, 1975, S. 21. 206  Strenge, Journal der Juristischen Zeitgeschichte 2013, 1 (6 f.). Zitat auf S. 6. Ferner Leggewie / Meier, Republikschutz, 1995, S. 180. 207  Strenge, Journal der Juristischen Zeitgeschichte 2013, 1 (9). 208  Ähnlich „Schein von Legalität“ bei Ridder, Die soziale Ordnung des Grundgesetzes, 1975, S. 21. 202  Newman,

152

E. Demokratietheoretische Grundlagen und Begründungsfragen

„(Pseudo)legalität“209. Darüber hinaus ist auch zu bedenken, dass in der Weimarer Republik durchaus Maßnahmen zur Abwehr der Demokratiefeinde ergriffen wurden; zu denken ist an die prozessualen Vorgaben der Verfassungsänderung (Art. 76 WRV) als auch an die Republikschutzgesetze.210 Der in der WRV veranlagte Wertrelativismus bedeutete im Ergebnis also nicht auch Wehrlosigkeit.211 Im Mittelpunkt stand vielmehr die Abwehr bestimmter Methoden, insbesondere der Gewalt im politischen Meinungskampf.212 Die Weimarer Republik kann damit nicht pauschal als wehrlose Demokratie gelten.213 Gusy stellt dazu fest: „Es gab […] in der Weimarer Republik ein weitreichendes, verfassungsgemäßes Recht zum Schutz der WRV, dessen Vollzug allerdings erhebliche Defizite aufwies.“214

Es zeigt sich, dass die Machtergreifung einerseits nicht legal war, da sie nur unter Inkaufnahme zahlreicher formeller wie materieller Verfassungsstöße und auch Verstöße gegen das einfache Recht erfolgte. Zugleich gab es in der Republik Abwehrmaßnahmen, die letztlich aber nicht zum Abwehr­ erfolg führten. Wichtiger Faktor der Machtergreifung war indes der fruchtbare Boden in der Bevölkerung für den Umsturz, die weder besondere Demokratieverwurzelung noch Loyalität zur Weimarer Republik aufwiesen. Die Erosion der Republik und mit ihr der WRV war nicht Ursache für den gesellschaftspolitischen Wandel der Zeit, sondern vielmehr Folge des Wandels.215 Das monokausale Verständnis von der nationalsozialistischen Machtergreifung, das die Ursache in der Abwehrschwäche der WRV sieht, kann damit nicht verfangen – es greift schlichtweg zu kurz. Diese Verantwortungszuschreibung kam in der Nachkriegszeit indes den Eliten (und wohl auch allen anderen Involvierten) der BRD zugute, die ihrerseits weitreichende Verstrickungen in das nationalsozialistische Regime aufwiesen – Stichwort: perso209  Newman,

Zerstörung und Selbstzerstörung der Demokratie, 1965, S. 308. dazu bereits Abschnitt C.I.5.a). Ferner Gusy, Weimar – die wehrlose Republik?, 1991, S. 29 ff., 128 ff.; Leggewie / Meier, Republikschutz, 1995, S. 181 ff.; Schroeder, JZ 1979, 89 (90). S. zur kontraproduktiven Wirkung der Vorgängernorm von § 90a StGB, § 8 Republikschutzgesetz Krutzki, KJ 1980, 294 (301). 211  Gusy, Weimar – die wehrlose Republik?, 1991, S. 93. 212  Vgl. dazu bereits oben, Abschnitt E.I. Dazu auch Gusy, Weimar – die wehrlose Republik?, 1991, S. 77 ff., 93. 213  So auch u. a. Thiel, in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 5; Gusy, Weimar – die wehrlose Republik?, 1991, S. 367. 214  Gusy, Weimar – die wehrlose Republik?, 1991, S. 369. (Betonung wurde nicht vom Autor hinzugefügt.) Vgl. dazu auch andere Autoren, etwa Schiffers, VfZ 1990, 589 (593); Schroeder, JZ 1979, 89 (90) und v. a., ausführlich zu den einfachgesetz­ lichen, insb. strafrechtl. Staatsschutzmaßnahmen in der Weimarer Republik Schroe­ der, Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht, 1970, S. 142 ff. 215  Ähnlich Gusy, Weimar – die wehrlose Republik?, 1991, S. 368. 210  Vgl.



IV. Lehren aus Weimar153

nelle Teilkontinuität –, da so die individuelle Verantwortung in eine systemische Verantwortung umgedeutet werden konnte.216 2. Zwischenergebnis Zusammenzufassen ist, dass der Wertrelativismus und die daraus resultierende Abwehrschwäche der WRV nicht maßgebend waren für den Niedergang der Republik, so aber doch für die Entwicklung des Wehrhaftigkeitskonzeptes des Grundgesetzes.217 Das Ende des nationalsozialistischen Schreckensregimes kann – das gilt trotz Verfassungsnovelle in Gestalt des Grundgesetzes – aus demokratietheoretischer Sicht nicht pauschal als Stunde Null bezeichnet werden, da konzeptionelle Überlegungen zur Wehrhaftigkeit der Demokratie aus der Zeit bis 1945 signifikanten Einfluss auf die Wehrhaftigkeitskodifizierungen des Grundgesetzes haben.218 Eine Verfassunggebungszäsur stellt der Erlass des Grundgesetzes hingegen dar.219 Der Wertrelativismus und die Abwehrschwäche der Weimarer Verfassung waren keineswegs alleinige Ursache für den Niedergang der Republik und 216  Vgl. ähnlich bei Leggewie / Meier, Republikschutz, 1995, S. 201. Zur personellen Teilkontinuität etwa Abendroth, Grundgesetz, 1966, S. 22, der die Entnazifizierungsverfahren als „Farce“ beschreibt und aufgrund dessen eine „soziale Kontinuität jener beamteten sozialen Gruppen wiederhergestellt [sah], die in Deutschland seit der Entstehung des monarchischen Obrigkeitsstaates die bürokratische Handhabung der öffentlichen Gewalt getragen hatten […] jeder Demokratisierung entgegengestellt hatten und dann mit dem Dritten Reich identifiziert hatten.“ (a. a. O.) Vgl. auch dazu die Belastung der Mitglieder des Verfassungskonvents, a. a. O. S. 36. Vgl. zur Vergangenheitsbewältigung in der „alten“ BRD auch Jesse, Diktaturen in Deutschland, 2008, S.  308 ff. 217  Ähnlich Jesse, Demokratie in Deutschland, 2008, S. 339, Fn. 22. 218  Vgl. Jesse, Diktaturen in Deutschland, 2008, S. 186: „In jedem Wandel, sei er noch so massiv, steckt Kontinuität – und in jeder Kontinuität Wandel.“ 219  Vgl. die kritischen Anmerkungen dazu von Leggewie / Meier, Republikschutz, 1995, S. 167, die bei der Verfassunggebung von einem „Nullpunkt der deutschen Souveränität“ (Betonung nicht vom Autor hinzugefügt) sprechen, da sie folgenden Standpunkt vertreten: „Die spätere Beteuerung der westdeutschen Verfassung, das deutsche Volk habe ‚kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz beschlossen‘ […] besagt schlicht die Unwahrheit.“ Diese Aussage kann in solcher Absolutheit einer historischen Überprüfung allerdings nicht standhalten, insbesondere wenn man die (indirekte) demokratische Legitimation des Parlamentarischen Rates bedenkt, vgl. dazu etwa Abendroth, Grundgesetz, 1966, S. 39: „Zwar war der Verfassungskonvent nicht demokratisch legitimiert, hingegen der Parlamentarische Rat schon“ („halbwegs demokratisch legitimiert“, a. a. O.). Zuzugeben ist den Autoren indes, dass die Verfassunggebung mit einer „Weisung“ der Westalliierten begann (dazu Leggewie / Meier, S. 165 ff. und ferner Strauch, in: Jesse, Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik, 4., erw. Aufl. 1985, S. 40).

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E. Demokratietheoretische Grundlagen und Begründungsfragen

die Möglichkeit einer Machtergreifung der Nationalsozialisten.220 Vielmehr spielte eine Vielzahl innen- wie außenpolitischer, kultureller wie gesellschaftlicher Konflikte eine Rolle. Hervorzuheben ist in diesem Ursachenkomplex die fehlende Demokratieverwurzelung der Weimarer Bevölkerung, denn: „[I]nstitutionell noch so ausgeklügelte Waffen, die niemand zur rechten Zeit zu gebrauchen weiß, müssen stumpf bleiben; sie werden den neuerlichen Untergang einer deutschen Republik nicht verhindern.“221 Auch Loewenstein kam in einer späteren Analyse zum überzeugenden Ergebnis: „Im Lichte der reichlichen Erfahrungen der letzten 30 Jahre kann nicht stark genug betont werden, daß bisher noch keine totalitäre Ideologie oder Umsturzbewegung durch legitime Methoden, d. h. ohne Gewaltanwendung, zur Macht gelangt ist, ­vorausgesetzt, die rechtmäßigen Machthaber […] besaßen den Willen, es zu ver­ hindern.“222

Allerdings ist auch zu konstatieren, dass die Wehrlosigkeit (oder auch „suizidale Veranlagung“ der Verfassung) die Machtergreifung der Nationalsozialisten zumindest begünstigte und erleichterte.223 Der Ursachenkomplex der nationalsozialistischen Machtergreifung darf in einer verfassungstheoretischen Untersuchung des Grundgesetzes nicht verkürzt dargestellt werden, da eine allzu kurzsichtige Vermessung der Gefahren für die Demokratie zur unsachgemäßen Freiheitsverkürzung führen kann. Werden (politische) Freiheitsrechte zum Schutz der Demokratie verkürzt – insofern ist stets daran zu denken, dass Demokratie und Freiheitsgewährleistungen einander bedingen –, darf diese Verkürzung nicht auf unzutreffend simplifizierten historischen Annahmen beruhen. Die nationalsozialistische Machtergreifung lässt 220  Ähnlich Weckenbrock, Die streitbare Demokratie auf dem Prüfstand, 2009, S. 30; Jesse, Demokratie in Deutschland, 2008, S. 339, Fn. 22 und ders., Diktaturen in Deutschland, 2008, S. 194, der zwar einen monokausalen Erklärungsansatz ablehnt, aber fahrlässige Argumentation darin sieht, den „Handlungsspielraum der politisch Verantwortlichen“ zu ignorieren (a. a. O.); Thiel, in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 5. Vgl. auch Bracher, Die Auflösung der Weimarer Republik, 2. Aufl. 1957, S.  21 ff. 221  Leggewie / Meier, Republikschutz, 1995, S. 203. Insofern schlussfolgern Leggewie / Meier überspitzt auf S. 202: „Wenn es denn überhaupt eine bündige ‚Lehre‘ aus der nahezu ohne Widerstand inszenierten Etablierung der nationalsozialistischen Diktatur gibt, so die illusionslose Zurkenntnisnahme der denkbar banalen Tatsache, daß eine Demokratie ohne die halbwegs geglückte Verankerung in den Massen eben nicht erfolgreich verteidigt werden kann.“ 222  Loewenstein, Verfassungslehre, 4. Aufl. 2000 (Erstaufl. 1957), S. 352. 223  Ähnlich auch Armstrong, der insbesondere auch auf die „moral weakness“ sowie die wirtschaftlich desaströse Situation in den 20er- und 30er-Jahren (S. 96) als Faktor der Möglichkeit einer Machtergreifung hinweist, in We or They, 1937, S. 87: „But there were technical weaknesses in both parliamentary systems, and there were moral weaknesses in those who administered them. Both contributed to the gradual process of disintegration and to the ultimate overthrow.“



IV. Lehren aus Weimar155

sich nicht linear auf die Abwehrschwäche der WRV zurückführen – problematisch ist deshalb, wenn das Wehrhaftigkeitskonzept des Grundgesetzes auf diesem vermuteten Ursachenzusammenhang basiert. Die Legitimität der Wehrhaftigkeit würde sich durch (erhebliche) Inkonsistenz auszeichnen, wenn ein Begründungsversuch mit einem pauschalen Verweis auf einen ungefähren Ursachenzusammenhang zwischen WRV und nationalsozialistischer Machtergreifung beginnt und endet. Ein Wehrhaftigkeitskonzept, das auf unzutreffenden Gefahrenannahmen basiert, könnte in der Folge zu unzutreffenden Schlussfolgerungen zur Schutzbedürftigkeit der demokratischen Staatsordnung führen. Dieses Risiko gilt es in der weiteren Untersuchung zu berücksichtigen. Die eingangs gestellte Frage, ob mit dem Wehrhaftigkeitskonzept entsprechende Machtergreifungen unmöglich geworden sind, ist deshalb differenziert zu beantworten: Die Gefahr einer gleichen nationalsozialistischen Machtergreifung ist ohnehin unwahrscheinlich und bereits deshalb zuverlässig abgewehrt.224 Zu beachten ist also, dass Konsequenz dieser historischen Erfahrung nicht sein kann, die Demokratie („nur“) gegen eine identische Gefahr mit Wehrhaftigkeitsinstrumenten auszustatten, sondern gegen vergleichbare Gefahren insgesamt.225 Das Grundgesetz und die fdG sind darüber hinaus im Lichte einer gewandelten politischen Kultur zu betrachten. Ob dabei sogar davon ausgegangen werden darf, dass „die Gefahr, daß sich eine systemfeindliche Organisation zu einer Massenpartei entwickelt, nicht mehr real [ist]“226, bleibt allerdings unklar. Der Wertrelativismus als „Einfallstor“ für Legalitätsstrategien totalitärer Bewegungen zur Machtergreifung ist jedoch mit dem Grundgesetz geschlossen. Zumindest unter diesem Aspekt ist die Wahrscheinlichkeit einer Machtergreifung reduziert. Eine zuverlässigere Aussage als in den Kategorien „wahrscheinlich“, „unwahrscheinlich“ etc. lässt sich allerdings nicht treffen, da eine Vielzahl von Umständen totalitäre Machtergreifungen in demokratischen Systemen begünstigen und ermög­ lichen.

etwa auch Thiel, in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 3. auch Flümann, Streitbare Demokratie, 2015, S. 116. 226  Henkel / Lembcke, KJ 2001, 14 (21). Leggewie und Meier ergänzen geradezu fatalistisch, die Abwehrmechanismen des Grundgesetzes würden ohnehin „im Ernstfall wenig ausrichten“, wenn „große und entschlossene Mehrheiten […] ihren politischen Gestaltungswillen“ verwirklicht sehen wollen. Dies gelte auch in Ansehung der nationalsozialistischen Machtergreifung, da diese „nicht nur eine brutale Diktatur gewesen [sei], die jede Opposition im Keim erstickt hatte, sondern eben auch eine ‚funkensprühende Revolution‘“, in: Leggewie / Meier, Republikschutz, 1995, S. 173. Zitate a. a. O. 224  So 225  So

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E. Demokratietheoretische Grundlagen und Begründungsfragen

V. Kritik und Krise des Wehrhaftigkeitskonzepts: Zur „Metaphysik“ der wertgebundenen Demokratie Die Funktionalität und Legitimität der untersuchten Meinungsäußerungsdelikte als Instrumente wehrhafter Demokratie hängt des Weiteren maßgeblich von der Konsistenz und Stichhaltigkeit des Wehrhaftigkeitskonzeptes ab. Schwächen in der Begründungskette von Freiheitsbeschneidungen sind zu vermeiden, um der Bedeutung der Meinungsfreiheit Genüge zu tun. Eine allzu unkritische Annahme der Grundvoraussetzungen wehrhafter Demokratie könnte gar zur Unterminierung grundgesetzlicher Freiheitsgewährleistungen bei pauschalem Verweis auf notwendigen Demokratieschutz führen.227 Kritik am Wehrhaftigkeitskonzept des Grundgesetzes findet sich jedoch reichlich.228 Im Einzelnen ist zwar weniger umstritten, dass die Demokratie sich ihrer Feinde erwehren darf und muss, jedoch ist umstritten, wie sie sich wehrt.229 In Anknüpfung daran sind Grundannahmen des Konzeptes kritisch zu untersuchen. Ergeben sich Inkonsistenzen oder Schwächen des Wehrhaftigkeitskonzeptes, müssen diese Beachtung finden im Rahmen einer Legiti227  Ähnlich, aber vor allem unter Heranziehung der historischen Begründung („Weimar-Trauma“): Mommsen, in: Habermas, Stichworte zur geistigen Situation der Zeit, 4. Aufl. 1982, S. 174. 228  Zu den Kritikern gehört(e) auch der theoretische Wegbereiter der militanten Demokratie, Loewenstein, Verfassungslehre, 4. Aufl. 2000, z. B. S. 92 f. Kritisch sieht er vor allem die verfassungsrechtliche Wertgebundenheit; ernüchtert war er etwa von den Verbotsentscheidungen der SRP und KPD in Deutschland und der McCarthy-Ära in den USA. Zur Entwicklung des staatstheoretischen Denkens von Loewenstein bei van Ooyen, in: Lehnert, Verfassungsdenker, 2017, S. 305 ff., insb. 317. Weitere Kritiker der wehrhaften Demokratie u. a.: Bulla, AöR 1973, 340 (343); Preuß, Legalität und Pluralismus, 1973 und in KJ 1999, 263; Jaschke, Streitbare Demokratie, 1991 und TD 2004, 109, ebenso in Bundesamt für Verfassungsschutz (Hrsg.), Verfassungsschutz in der Demokratie, 1990, S.  223 ff.; Dencker, StV 1987, 117, der in diesem Zusammenhang vor einem Übermaß repressiven Vorgehens warnt ebenso wie Dahs, NJW 1976, 2145 (2151); Ridder, Die soziale Ordnung des Grundgesetzes, 1975, v. a. ab S. 67. Als Fundamentalkritiker bzw. „Gegner“ des Konzeptes können gelten: Leggewie / Meier, Blätter für deutsche und internationale Politik 1992, 598; ebenso Brückner / Krovoza, Staatsfeinde, 1972; Čopić, Grundgesetz und politisches Strafrecht neuer Art, 1967. Vgl. zum Überblick über die Kritik etwa Weckenbrock, Die streitbare Demokratie auf dem Prüfstand, 2009, S. 81 ff. und Altenhof, in: Jesse / Löw, 50 Jahre Bundesrepublik, 1999, S. 165 ff. 229  So stellen selbst die schärfsten Kritiker Leggewie / Meier in Republikschutz, 1995, S. 155 fest: „Denn ob sich eine Demokratie verteidigen dürfe, ist eine zur Genüge diskutierte Scheinfrage, die vernünftigerweise nur eine Antwort zulässt: Gerade die Demokratie, die ein Maximum an friedlicher gesellschaftlicher Veränderung im Medium von Freiheit und Gleichheit garantiert, hat das legitime Recht, sich gegen ihre Gegner zu behaupten.“ (Betonung wurde nicht vom Autor hinzugefügt.).



V. Kritik und Krise des Wehrhaftigkeitskonzepts157

mation des Konzeptes selbst und – vorliegend besonders relevant – der Meinungsäußerungsdelikte als (mögliche) Instrumente dieses Konzeptes. Ein kritischer Aspekt der wehrhaften Demokratie ergibt sich mit Blick auf die historische Ableitung des Konzeptes. Erste Überlegungen dazu wurden in Zeiten politischer Krisen angestellt, etwa in der Weimarer Republik. Damit stellt sich die Frage, welchen Nutzen die aktivierte Wehrhaftigkeit in Zeiten politischen Friedens hat (1.). Des Weiteren sind die Wertordnung und -bindung der wehrhaften Demokratie kritisch zu analysieren: Wie gezeigt wurde, steht vorliegend nicht Art. 79 Abs. 3 GG im Mittelpunkt der Wehrhaftigkeit, sondern die fdG – sie ist Schutzobjekt und Wertordnung der wehrhaften Demokratie. Das Wehrhaftigkeitskonzept steht aufgrund des Spannungsverhältnisses zur Freiheitsgewährleistung bei gleichzeitiger „Verabsolutierung“ einer Wertordnung unter hohem Legitimationsdruck – der absolute Wertkanon garantiert einerseits Freiheit, limitiert zugleich aber auch die garantierte Freiheit. Wie „offen“ und pluralistisch kann eine Demokratie sein, die sich einen absolut geltenden Wertkanon auferlegt? Droht eine Art „Werttotalitarismus“? Diese Frage stellt sich insbesondere mit Blick auf das politische Teilhaberecht „Meinungsfreiheit“, da diese als funktionelles Element der fdG („Marketplace of Ideas“) grundsätzlich auf die pluralistische Debatte angewiesen ist – verabsolutierte Ideen (bzw. Werte) lassen sich nicht ohne Weiteres mit der ergebnisoffenen Debatte in Einklang bringen, sodass sich die Frage stellt, ob die Wertgebundenheit des GG in einen unauflösbaren Widerspruch mündet. Die übergeordnete Frage zum „Werttotalitarismus“ lässt sich in einzelne Untersuchungsabschnitte unterteilen, beginnend mit der Frage zur Antastbarkeit und Wertbindung an die fdG (2.). Weiter fragt sich: Führt die mit der Wertgebundenheit des Grundgesetzes einhergehende Verabsolutierung von Verfassungswerten zu einem „Werttotalitarismus“ (3.)? Ist die Wertordnung zivilgesellschaftlich konsentiert und / oder demokratisch legitimiert (4.)? Entsteht durch die verabsolutierte Wertordnung eine Art „Abwehr-Ideologie“ (5.)? Führt die Unbestimmtheit der Wertbindung zu einem neuen Positivismus bzw. Relativismus (6.)? Die Aspekte stellen sich für die vorliegende Untersuchung als besonders relevant dar, da einerseits verabsolutierte Werte die politische Debatte funktionell beeinträchtigen können und andererseits die Vorverlagerung der Abwehr regelmäßig in den geistig-politischen Bereich drängt – auch insofern sind funktionelle Beeinträchtigungen der politischen Freiheit zu befürchten.

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E. Demokratietheoretische Grundlagen und Begründungsfragen

1. Wehrhaftigkeit in Zeiten politischen Friedens – Wehrhaftigkeit als Krisenkonzept? Festgestellt wurde, dass der Wertrelativismus der WRV zwar den Niedergang der Republik (mit-)ermöglicht hat, allerdings nicht als alleinige oder hauptsächliche Ursache gelten kann (vgl. dazu Abschnitt E.IV.). Wie gezeigt wurde, entstanden einerseits Konzeptionen einer militanten Demokratie in Ansehung zunehmend totalitärer Herrschaften in ganz Europa im Zeitraum von 1918 bis 1945. Das Wehrhaftigkeitskonzept des GG wiederum entstand in Ansehung der desaströsen Auswirkungen der NS-Machtergreifung und des resultierten Zweiten Weltkrieges. In beiden Fällen handelt es sich also um Krisenbewältigungen. Fraglich ist deshalb, ob das Wehrhaftigkeitskonzept des Grundgesetzes als unmittelbare verfassungsgeberische Reaktion auf diese Krisenerfahrungen verstanden werden muss. Denkbar ist nämlich, dass die weitreichende Beschneidung von Freiheitsrechten zum Schutze der Demokratie nur in Krisenzeiten geboten ist und in Zeiten politischen Friedens stets eine unnötige Unwucht zulasten der individuellen Freiheitsgewährung darstellt.230 Könnte deshalb in Zeiten des Friedens eine prinzipielle Absage an die Demokratieverteidigung zu fordern sein? Loewenstein als einer der Urheber militanter Demokratie – eines in der Tendenz repressiven Wehrhaftigkeitskonzepts – hat diese als Krisenkonzeption verstanden, die endlich sei und andauern sollte „[…] for the transitional stage until a better social adjustment to the conditions of the technological age has been accomplished […].“231 Diese konzeptionelle Entwicklung für die demokratische Krise muss allerdings vor dem Hintergrund fehlender Demokratiegeneigtheit bzw. -verwurzelung gesehen werden, die Loewenstein als maßgebliches Problem erkannte.232 Als Kritiker der jüngeren Vergangenheit geht Jaschke mit Blick auf das GG davon aus, dass Wehrhaftigkeit nur für die Transition von der NS-Dikta230  Diese Frage wirft auch Boventer, Grenzen politischer Freiheit, 1985, S. 76 auf. Leggewie und Meier sind gar der Auffassung, dass die Deutschen mittlerweile so demokratieverwurzelt sind, dass es des Wehrhaftigkeitskonzeptes gar nicht mehr bedarf, vgl. Leggewie / Meier, Blätter für deutsche und internationale Politik 2012, 63 (73). 231  Loewenstein, American Political Science Review 1937, 417 (423) sowie ders., American Political Science Review 1937, 638 (657 / 658). Zitat auf S. 657 f. Vgl. aber auch die neuere Analyse Loewensteins zum Zusammenhang zwischen politischer Lage und Freiheitsgewährleistung in westlichen Demokratien: Loewenstein, Verfassungslehre, 4. Aufl. 2000, S. 348 ff. (Erstaufl. v. 1957). Ferner bereits oben unter Abschnitt E.II. 232  Vgl. zur Notwendigkeit der Demokratieverwurzelung: Loewenstein, American Political Science Review 1937, 417 (431) und ders., Columbia Law Review 1938, 725 (774).



V. Kritik und Krise des Wehrhaftigkeitskonzepts159

tur hin zur (funktionierenden) Demokratie der BRD erforderlich war, sich nunmehr die Rahmenbedingungen aber geändert haben.233 Er nimmt an, dass das Wehrhaftigkeitskonzept für die Durchsetzung der Demokratie „nützlich“ war, indem diese vom Staat geschützt wurde.234 Später aber sei deutlich geworden, dass vor allem die „Zivilgesellschaft“ in der Verteidigungspflicht stehe und Stabilitätsgarantie sei.235 Heute bilde sich Demokratie, anders als in der Nachkriegszeit, auch aus einer demokratischen Tradition heraus.236 Eine Gefahr demokratisch erfolgreicher, gewaltbereit-revolutionärer Parteien sei insofern nicht mehr gegeben.237 Grundlage der auch heute noch gelebten Wehrhaftigkeit sieht Jaschke überdies im historisch verursachten und international geschuldeten „Nachweis demokratischer Zuverlässigkeit“, obwohl mittlerweile keine „Zweifel an der demokratischen Substanz“ Deutschlands mehr existieren.238 Es gebe aber bis heute eine „parteiübergreifende Sorge um den Ansehensverlust im Ausland“.239 Es lässt sich mit Loewenstein und Jaschke nicht von der Hand weisen, dass zivilgesellschaftliches Verantwortungsbewusstsein für die Verteidigung der Demokratie wichtiger Stabilitätsfaktor ist und dieses heute – anders noch als in der Weimarer Republik oder der frühen Bundesrepublik – weit ausgeprägter ist.240 In den Jahrzehnten seit Ende der nationalsozialistischen Herrschaft wurde mithin ein Wandel der politischen Kultur vollzogen: In den 1950er und 1960er Jahren war die politische Kultur noch von gering entwickeltem demokratischen Denken und einem „Untertanentum“ geprägt, während demokratisches Denken heute tief verwurzelter Bestandteil der deutschen politischen Kultur ist.241 Konsequenz kann jedoch nicht sein, die Verteidigung der fdG allein der Zivilgesellschaft zu überantworten. Auch wenn das Wehrhaftigkeitskonzept in der frühen Bundesrepublik als „transitional 233  Jaschke,

TD 2004, 109 (110, 118). TD 2004, 109 (118). 235  Jaschke, TD 2004, 109 (118). 236  Jaschke, TD 2004, 109 (119). 237  Jaschke, TD 2004, 109 (119). 238  Jaschke, TD 2004, 109 (119). Zitat a. a. O. 239  Jaschke, TD 2004, 109 (120). Zitat a. a. O. 240  Vgl. nur die (hohen) Zufriedenheits- und Zustimmungswerte in der Umfrage von: Europäische Kommission, Zufriedenheit mit der Demokratie in Deutschland 2017 | Standard Eurobarometer 88, Tabellenanhang (Erhebung durch TNS Infratest) – danach waren im Frühjahr 73 % der Befragten „ziemlich zufrieden“ oder „sehr zufrieden“ mit der „Art und Weise, wie die Demokratie in Deutschland funktioniert“. 241  Vgl. zum Wandel der politischen Kultur in Deutschland: Flümann, Streitbare Demokratie in Deutschland und den Vereinigten Staaten, 2015, S. 124 ff. Vgl. auch die Zufriedenheits- und Zustimmungswerte in der Umfrage von: Europäische Kommission, Zufriedenheit mit der Demokratie in Deutschland 2017 | Standard Eurobarometer 88, Tabellenanhang (Erhebung durch TNS Infratest). 234  Jaschke,

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E. Demokratietheoretische Grundlagen und Begründungsfragen

stage“ eine wichtigere Rolle spielte für die Durchsetzung der fdG als in der Gegenwart, ist die Bedeutung verfassungsrechtlich institutionalisierter Demokratieverteidigung nicht entfallen. Gefahren für die fdG existieren nach wie vor – auch in Zeiten politischen Friedens. Die geschichtliche Erkenntnis darf insoweit nicht reduziert werden auf das Erkennen einer „nationalsozialistischen Gefahr“, sondern ist vorstellbar etwa als eine extremistische Gefahr religiöser Art. Die historisch abgeleitete Lehre bedarf deshalb einer Loslösung von der Gefahrenzuschreibung zu einer bestimmten grundordnungsfeindlichen Ideologie. Überdies lassen sich politische Krisen nicht zuverlässig vorhersehen; es bedarf daher flexibler verfassungsrechtlicher „Antwortmöglichkeiten“ – zu denken ist insoweit auch an das Modell einer „flexible Response“242 –, die mit dem Konzept der wehrhaften Demokratie des GG grundsätzlich auch möglich sind. Zu bedenken ist insoweit, dass Verfassungsprinzipien wie das der wehrhaften Demokratie nur „schwer reaktiviert werden können“, wenn sie einmal „in die Abstellkammer geraten sind“.243 Auch zu bedenken sind insofern Rechtssicherheit und Bestimmtheit, die in statischen Rechtslagen deutlich erhöht sind.244 Die hohe Bedeutung der Demokratieverteidigung in Krisen kann nicht zum Umkehrschluss führen, die Wehrhaftigkeit in Zeiten politischen Friedens sei nicht erforderlich. Anpassungen an die Demokratiegefahren können vielmehr durch Lockerungen der Abwehr, etwa durch legislative Anpassungen erfolgen. Eine Unterscheidung ließe sich auch in der Wirkweise der wehrhaften Demokratie – abhängig von Krise oder Frieden – vornehmen: Funktioniert die militante Demokratie nach Loewenstein als Krisenkonzept insbesondere durch repressive Abwehrmaßnahmen, könnte der geringeren Bedrohungslage in Zeiten politischen Friedens mit präventiven Abwehrmaßnahmen abseits der verfassungsrechtlichen Normtrias, des Verfassungsschutzes etc. begegnet werden – etwa durch Gestaltungsarbeit, also der Stärkung und Absicherung des zivilgesellschaftlichen Konsens über 242  Geprägt wurde die „flexible Response“ in der wehrhaften Demokratie v. a. von Scherb, der diese an „politischer Notwendigkeit“ ausrichten und ihr „eine sorgfältige Gefahrenanalyse“ zugrundelegen will, in Scherb, Der Bürger in der Streitbaren Demokratie, 2008, S. 44. In jüngerer Zeit kam das Modell im Zuge des NPD II-Verbotsverfahrens (BVerfGE 144, 20 = BVerfG, Urt. v. 17.1.2017 – 2 BvB 1 / 13, NJW 2017, 611) mit Blick auf Parteiverbotsverfahren zur Sprache, vgl. dazu etwa Flümann, Streitbare Demokratie, 2015, S. 209 ff.; van Ooyen, in: van Ooyen / Möllers, Handbuch Bundesverfassungsgericht, 2015, S. 547. 243  Zitate: Fromme, in: Jesse, Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik, 4., erw. Aufl. 1985, S. 82. 244  Vgl. dazu Flümann, Streitbare Demokratie, 2015, S. 116: „[…] Legitimität streitbarer Demokratie [wird] erhöht, wenn sie in allgemeinen Gesetzen formuliert ist, deren Gültigkeit nicht allein von bestimmten Umständen wie der demokratischen Stabilität und Gefährdungssituation einer Demokratie abhängig ist.“



V. Kritik und Krise des Wehrhaftigkeitskonzepts161

die fdG durch Aufklärung und Bildungsarbeit.245 Dabei handelt es sich um eine Unterscheidung, die vor allem bei Analyse strafrechtlicher Verbote – hier der Meinungsäußerungsdelikte – relevant wird: Ist das strafrechtliche Verbot von Meinungsäußerungen in politischen Krisen aus demokratietheoretischer Sicht „legitimer“ als in Zeiten politischen Friedens und wenn ja, wie lassen sich diese Bedeutungsunterschiede legislativ umsetzen?246 Auch verdient Kritik, dass Loewenstein in seiner Analyse des Faschismus diesen ganz überwiegend als politische Strategie beschreibt und damit dessen ideologischen Charakter vernachlässigt. Der ideologische Gehalt des Faschismus führt nämlich dazu, dass die Demokratie nicht nur bei unmittelbarer, faschistischer Machtergreifung wehrhaft sein muss – also als Krisenkonzept –, sondern solange die Ideologie als solche in politisch relevanten Kreisen existiert und im (kämpferisch-aggressiven) Widerspruch zur Demokratie steht. Extremistische Bedrohungen der Demokratie gibt es nach wie vor, sodass eine „Deckungslosigkeit“ der Verfassung Missbrauchs-, Entfaltungs- und Verbreitungsmöglichkeiten für solche Ideologien eröffnet. Im Ergebnis bleibt damit zwar festzuhalten, dass Demokratie abhängig von der gesamtgesellschaftlichen politischen Situation – also politischem Frieden oder Unfrieden – unterschiedlich wehrhaft sein muss, nicht aber, dass in Zeiten politischen Friedens die Demokratieverteidigung nicht mehr erforderlich ist. Die Überlegung zur wehrhaften Demokratie als Krisenkonzept ist dem demokratietheoretischen Diskurs insofern zuträglich, als dass sie auf unterschiedliche Bedrohungslagen für die Demokratie hinweist – in einer Gesamtschau kann mit der Krisenkonzeption das grundgesetzliche Wehrhaftigkeitskonzept aber nicht delegitimiert werden. 2. Wertbindung an die fdG Festgestellt wurde, dass die fdG nicht mit der Wertbindung in Art. 79 Abs. 3 GG identisch ist, sodass die „Ewigkeitsannahme“ des Art. 79 GG auch nicht ohne weitere Überlegungen für die fdG angenommen werden kann. Deshalb stellt sich die Frage, ob überhaupt eine Unantastbarkeit der fdG angenommen werden kann. Zu erinnern ist daran, dass sich für die Definition der fdG ein pauschaler Rückgriff auf Art. 79 Abs. 3 GG verbietet, da insbesondere das Bundesstaats-, das Republik- sowie das Sozialstaatsprinzip für die Verwirklichung einer freiheitlichen und demokratischen Grundordnung nicht erforderlich sind. Die fdG ist demnach nicht mit Art. 79 Abs. 3 245  Vgl. dazu auch die Darstellungen bei Boventer, Grenzen politischer Freiheit, 1985, S.  77 ff. 246  Vgl. dazu die Abschnitte E.I., E.II., E.III. und E.IV.

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E. Demokratietheoretische Grundlagen und Begründungsfragen

GG identisch, weil die letztgenannte Wertbindung weitergeht als die fdG. Die von der fdG erfassten Prinzipien sind allerdings Teilmenge der Wert­ bindung des Art. 79 Abs. 3 GG; eine Wertbindung der fdG ebenso wie eine „Ewigkeitsannahme“ ergeben sich aus dieser Überschneidung. 3. Ideologieanfälligkeit der Wertbindung Es stellt sich zudem die Frage, ob die Wertordnung des GG – immerhin im Rahmen des Art. 79 Abs. 3 GG nicht disponibel – ideologieanfällig ist oder gar als werttotalitär bezeichnet werden kann. „Ideologie“ soll dabei im Sinne Mannheims verstanden werden als ein sozial bedingtes Denksystem, das trotz Bedingtheit einen „absoluten Wahrheitsanspruch“ aufweist.247 Kern der Frage ist damit, ob die Wertbindung des GG „absoluten Wahrheitsanspruch“ hat. Als (radikale, mithin polemisierende) Kritiker der Wertbindung können – neben anderen, gemäßigt-kritischen Autoren248 – Leggewie und Meier gelten.249 In ihrem „vorgezogenen Nachruf auf die freiheitliche demokratische Grundordnung“ von 1992 machen sie einen „ideologischen Kern bundesrepublikanischen Verfassungsschutzes“250 aus; an anderer Stelle ist die Rede von einer „Ideologie der ‚streitbaren Demokratie‘“251. Leggewie und Meier zufolge führt die Verabsolutierung einer Wertordnung – im Grundgesetz konkret die fdG252 – zur Zurückdrängung der „Pluralität und dem Recht auf 247  Vgl. die Zusammenfassung bei Hartmann / Offe, Politische Theorie und Politische Philosophie, 2011, S. 222. Zitat a. a. O. 248  Vgl. etwa: Jaschke, in: Bundesamt für Verfassungsschutz (Hrsg.), Verfassungsschutz in der Demokratie, 1990, S.  223 ff.; Bulla, AöR 1973, 340 (360), der eine „Ideologieanfälligkeit bzw. Ideologiegefährdung“ des wehrhaften Grundgesetzes erkennt und davor warnt, dass eine allzu wehrhafte Demokratie „in ein autoritäres oder gar totalitäres Staatsverständnis einmünden kann.“ (Zitat a. a. O.); Ridder, Die soziale Ordnung des Grundgesetzes, 1975, S. 64, der in der fdG „einen mißlungenen Verschnitt von demokratischen Prinzipien mit dubiosen Zutaten spätbürgerlicher Ideologie und Elementen der Totalitarismuslehre“ sieht, die „unreflektiert auf die Behauptung der Möglichkeit des Unmöglichen hinaus[läuft], nämlich der Konkordanz von Ausgrenzungsfreiheit und Demokratie.“ (Zitat a. a. O.). Vgl. weiter Preuß, Legalität und Pluralismus, 1973, S. 17 ff., der kritisch von einer „Superlegalität“ spricht. Auch Häberle, JZ 1971, 145 (147), der eine Ideologieanfälligkeit der wehrhaften (bzw. „streitbaren“) Demokratie insg. ausmacht. 249  Vgl. aber auch die kritische Würdigung von Leggewie u. Meier u. a. bei Altenhof, in: Jesse / Löw, 50 Jahre Bundesrepublik, 1999, S. 172. 250  Leggewie / Meier, Blätter für deutsche und internationale Politik 1992, 598 (600). 251  Leggewie / Meier, Blätter für deutsche und internationale Politik 1992, 598 (599). 252  Zur kritischen Analyse der fdG vgl. auch Leggewie / Meier, Republikschutz, 1995, S.  214 ff.



V. Kritik und Krise des Wehrhaftigkeitskonzepts163

Abweichung“, „Politik tendenziell zur Bekehrung und die Gesellschaft zu einer Glaubensgemeinde der ‚freiheitlichen‘ Demokratie“.253 Vor allem In­ strumente der Wehrhaftigkeit wie der Verfassungsschutz bewegen sich danach „in die Nähe geistiger Intoleranz und autoritär-staatlicher Anmaßungen“254. In einer Demokratie müssen Leggewie und Meier zufolge auch destruktive Gedanken und Äußerungen möglich sein: „Nicht mit absoluten Wahrheiten, sondern mit mehrheitsfähigen, im weitesten Sinne überzeugenden Ideen muß Politik gemacht werden.“255

Eine ideologisch aufladbare Wertordnung sei für sich eine Gefahr, denn: „Sobald es irgendeiner Gruppe gelingt, ihre Politik in Gestalt ‚freiheitlicher demokratischer‘ Staatsziele zu monopolisieren, kommt Gruppenzwang ins Spiel.“256 In der Konsequenz dürfe Demokratie deshalb nicht streitbar sein und eine Wertbindung sei zu verhindern.257 Schutz der Demokratie könne nur als Gewaltgrenze gewährleistet werden,258 womit sie an die Lehre von Kelsen anknüpfen.259 Diese Kritik erneuern Leggewie und Meier im Jahr 2012: Gegen die Begründung der Wehrhaftigkeit auf Grundlage einer Wertordnung spreche nach wie vor, dass man mit der fdG „eine rein politisch bestimmte (und ideologieanfällige) Definition ausreichen“ lasse.260 Sie vertreten im Gegenzug eine Wehrhaftigkeit durch die Abwehr gewaltsamen 253  Leggewie / Meier, Blätter für deutsche und internationale Politik 1992, 598 (603). Zitat a. a. O. Vgl. auch Leggewie / Meier, Republikschutz, 1995, S. 245. 254  Leggewie / Meier, Blätter für deutsche und internationale Politik 1992, 598 (603). Meier führt dazu auch aus, die fdG ist als Wertgebundenheit und damit verbundener Absolutierung von Werten „im Kern illiberal“, Meier, Protestfreie Zonen?, 2012, S. 94. 255  Leggewie / Meier, Blätter für deutsche und internationale Politik 1992, 598 (602). 256  Leggewie / Meier, Republikschutz, 1995, S. 19. 257  Leggewie / Meier, Blätter für deutsche und internationale Politik 1992, 598 (603). Deutlich wird diese Position bereits mit dem Titel ihrer Monografie Republikschutz, 1995, der in Anlehnung an die demokratietheoretischen Grundlagen der WRV gewählt wurde: „Der Begriff ‚Republikschutz‘ ist zwar nicht geläufig, bietet aber, gerade weil er antiquiert scheint, den Vorteil, jenseits überkommenen Verfassungsschutzes ein radikaldemokratisches, offenes Demokratieverständnis zu markieren.“ (S.  17 a. a. O.). 258  Leggewie / Meier, Blätter für deutsche und internationale Politik 1992, 598 (603). Vgl. dazu auch Meier, Merkur 1989, 719 (722): „Mit der Gewaltgrenze liegt ein Kriterium vor, das ungleich berechenbarer und transparenter ist, als die Karlsruher Exegese eines ideologieanfälligen Begriffes der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ jemals sein kann.“ 259  Leggewie / Meier, Republikschutz, 1995, S. 245, 262. Vgl. zur Lehre von Kelsen auch Abschnitt IV.1. 260  Leggewie / Meier, Blätter für deutsche und internationale Politik 2012, 63 (69). Zitat a. a. O.

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E. Demokratietheoretische Grundlagen und Begründungsfragen

Verhaltens, nicht aber die Begründung von „Verfassungsfeindschaft […] mit anstößigen Gesinnungen und Meinungen“261 und konstatieren, dass eine „selbstbewusste[..] Demokratie“ erforderlich sei, die sich „besinnt […] auf die Abwehr konkreter Gefahren […] [und] im Übrigen mit den Unwägbarkeiten [lebt], die Freiheit auszeichnen.“262 Geradezu fatalistisch263 klingt dabei an, wenn Leggewie und Meier die Demokratie als Staatsform zur Disposition stellen: Entscheide sich eine Mehrheit der Bevölkerung für die Diktatur, „dann ist die Demokratie auf demokratische Weise eben nicht mehr zu verteidigen.“264 Auf bloße juristische Absicherungen könne im „Ernstfall“ ohnehin nicht vertraut werden.265 Zuzugeben ist den Kritikern, dass die Verabsolutierung von Werten bzw. einer Wertordnung sich nicht ohne Schwierigkeiten in das Bild einer pluralistischen, demokratischen Grundordnung einpasst. Die Wertbindung des GG ist ideologieanfällig, da sie Werte verabsolutiert – mithin zur „absoluten Wahrheit“ erhebt. Der Schutz der Verfassung und der Wertordnung darf nicht dazu führen, dass der demokratische Prozess in seiner Offenheit verhindert oder untergraben wird, da dieser Prozess die Verfassung und die Wertordnung überhaupt erst zur Wirklichkeit werden lässt. Zu beachten ist deshalb, dass die staatliche Abwehr von Demokratiegefährdungen nicht überbetont wird, während auf der anderen Seite die zivilgesellschaftliche Verantwortlichkeit für die Konsentierung einer Wertordnung unterbetont wird. Das Wehrhaftigkeitskonzept muss mithin „verantwortungsvoll gehandhabt werden“ und darf „nicht [allein] der Durchsetzung ohnehin dem Wandel unterworfener Ideologien“ dienen.266 Letztlich ist vor allem zivilgesellschaftlicher Konsens über eine Wertordnung erforderlich, der nur begrenzt durch staatlich-autoritäre Verordnung erreicht werden kann. Für die Wertbindung spricht trotz Ideologieanfälligkeit allerdings nach wie vor ihre Sicherungsfunktion: Mit ihr wird verfassungstheoretisch sichergestellt, dass es eine legale Errichtung eines totalitären Staates nicht geben kann, da dafür stets die Abschaffung liberaler Demokratie erforderlich wä261  Leggewie / Meier, Blätter für deutsche und internationale Politik 2012, 63 (69). Zitat a. a. O. 262  Leggewie / Meier, Blätter für deutsche und internationale Politik 2012, 63 (71). Zitat a. a. O. 263  Insofern stehen Leggewie und Meier tatsächlich in der Tradition von Kelsen, der als Hauptvertreter der strikt liberalen Demokratie in der Weimarer Republik konstatierte: „Bleibt sie [die Demokratie] sich selbst treu, muß sie auch eine auf Vernichtung der Demokratie gerichtete Bewegung dulden […].“, in: Kelsen, Demokratie und Sozialismus, 1967, S. 68. 264  Leggewie / Meier, Republikschutz, 1995, S. 247. 265  Leggewie / Meier, Republikschutz, 1995, S. 248. 266  Thiel, in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 18. Zitate a. a. O.



V. Kritik und Krise des Wehrhaftigkeitskonzepts165

re.267 Der Wertrelativismus, also der fehlende Konsens über Werte, kann der Demokratie den inneren Zusammenhalt rauben und so weitaus angreifbarer machen für vor allem ideologisch begründeten Totalitarismus.268 Eine Erneuerung des „Weimarer Fatalismus“269, wie er bei Leggewie und Meier anklingt, ist deshalb zu vermeiden. Keine Aussagen lassen sich allerdings bislang zur Meinungsfreiheit treffen: Ob und wie weit die Meinungsfreiheit durch eine ideologieanfällige Wertordnung beeinträchtigt wird oder werden kann, ist erst noch zu prüfen. Fraglich ist insoweit nämlich, ob die Verabsolutierung dazu führt, dass auch eine geistige Ablehnung der Wertordnung nicht mehr möglich ist oder aber lediglich eine verfassungsrechtliche Änderung dieser Ordnung.270 4. Wertkonsens und demokratische Legitimation Wie lässt sich die (staatliche) Verabsolutierung von Werten mit zivilgesellschaftlicher Konsentierung über Werte und demokratischer Legitimation in Einklang bringen? Eine logische bzw. erfahrungswissenschaftlich verallgemeinerbare Herleitbarkeit von Werten ist kaum denkbar, da Werte einerseits vieldeutig271 und andererseits individuell abhängig von Erfahrungen, Prägungen, Intuitionen etc. sind – es gibt mithin keine Wissenschaft der Werte. Damit können sie nicht bereits aus sich heraus konsensfähig sein.272 Eine unmittelbare demokratische Legitimation als gesellschaftliche Konsentierung ist ebenfalls pro­ blematisch: Zu bedenken ist insofern nämlich, dass die Verabsolutierung der Werte ursprünglich zwar konsentiert und demokratisch legitimiert gewesen sein mag, aber bei Absolutheit weder erneuert noch verändert werden kann; das Souverän des Volkes ist aufgrund der Unantastbarkeit der Wertordnung grundsätzlich beschränkt.273 Die durch Verabsolutierung unmöglich gewor267  Leibholz, 268  Dazu

(222).

in: Denninger, fdGO Bd. I, Materialien, 1977, S. 91. weitergehend auch Bauer, Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 1968, 209

269  Dieser „Fatalismus“ klang bereits an bei Kelsen, Demokratie und Sozialismus, 1967, S. 68 (Aufsatz von 1932, Nachdruck). 270  Dazu v. a. Abschnitt G.II., G.III. und G.IV. 271  Vgl. zur Unbestimmtheit der Wertordnung Abschnitt C.III. und E.III.2. Außerdem zur Unbestimmtheit: Preuß, in: Klein, Grundwerte in der Demokratie, 1995, S. 46. 272  Gusy, AöR 1980, 279 (292). 273  So etwa Scherb, Der Bürger in der Streitbaren Demokratie, 2008, S. 24. Vgl. etwa auch Böckenförde, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts I, 2. Aufl. 1995, § 22 Rn. 39: „Ewigkeitsgarantien wie in Art. 79 Abs. 3 GG sind, soweit sie über die konstitutiven Bedingungen demokratischer Willensbildung hinausgehen,

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E. Demokratietheoretische Grundlagen und Begründungsfragen

dene Erneuerung des Wertkonsens könnte auch für die den unmittelbaren Verfassungsgebern nachfolgenden Generationen einen Freiheitsbruch bedeuten, da diese sowohl am ursprünglichen Wertkonsens nicht mitwirken konnten und sich einer Erneuerung grundsätzlich nicht annehmen dürfen;274 Dreier spricht gar von einer „sedierenden Wirkung der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG“275. Neben den Problemen einer demokratischen Legitimationskette im engeren Sinne stellt sich überdies die Frage, ob die historische Begründung des Wehrhaftigkeitskonzeptes heute noch in gleicher Weise „Legitimationskraft“ zu entfalten geeignet ist wie in den Nachkriegsgenera­ tionen, für die sowohl die Weimarer Republik als auch die NS-Herrschaft in eindrücklicher Erinnerung waren.276 Für diese Legitimationsbedenken spricht eine umstrittene277, aber verbreitete Ansicht, dass Art. 79 Abs. 3 GG und damit auch die Wertordnung des GG278 selbst im Zuge einer Verfassungneugebung gemäß Art. 146 GG nicht disponibel ist, sondern vollumfänglich im Rahmen der neuen Verfassung zu berücksichtigen und aufzunehmen ist.279 Herdegen etwa führt dazu aus, dass es deshalb wichtig sei, „im Interesse einer hinreichend elastischen Verfassungsordnung einer unangemessenen Verdichtung und Ziselierung der Grundsätze des Art. 79 Abs. 3 GG entgegenzutreten.“280 Um die damit verfestigten Legitimationsprobleme einer verabsolutierten Wertordnung zu beseitigen, bringt hingegen Zacharias an, Art. 79 Abs. 3 GG müsse im Rahmen einer Verfassungneugebung abänderbar sein und schlussfolgert: „die Ewignicht ein Ausfluß demokratischer Freiheit, sondern eine inhaltliche Einschränkung derselben.“ Insofern könnte mit Dreier, RW 2010, 11 (16) auch die Frage gestellt werden: „Aber ist mit dem Urakt der Verfassunggebung die Selbstgesetzgebung nicht gewissermaßen verbraucht?“ 274  So auch Scherb, Der Bürger in der Streitbaren Demokratie, 2008, S. 24. 275  Dreier, RW 2010, 11 (18). 276  Diese Frage wirft Schliesky auf, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts XII, 3. Aufl. 2014, § 277 Rn. 5. Ähnlich klingt auch Dreier, JZ 1994, 741 (747) an, der fragt: „Wenn […] die Verfassung Produkt der verfassungsgebenden Gewalt des Volkes ist – worin soll dann die Berechtigung dafür liegen, das Volk im Jahre 1994 durch einen (bei genauer historischer Betrachtung: nicht uneingeschränkt souveränen) Akt der Verfassungsgebung des Jahres 1949 mit dem Argument seiner Vorrangigkeit zu binden?“ 277  Das BVerfG selbst hat diesen Streit und den Streitstand identifiziert, aber bislang keine eindeutige Stellung genommen, vgl. zuletzt BVerfGE 144, 20 (197) = BVerfG, Urt. v. 17.1.2017 – 2 BvB 1 / 13, NJW 2017, 611 (617). 278  Zum Verhältnis von Art. 79 Abs. 3 GG und fdG unter dem Aspekt „Wertordnung“ vgl. Abschnitt E.III.2. 279  So etwa Hillgruber, in: BeckOK GG, 38. Edition 2018, Art. 146 Rn. 6 ff.; Herdegen, in: Maunz / Dürig, GG, 83. EL 2018, Art. 146 Rn. 49. 280  Herdegen, in: Maunz / Dürig, GG, 83. EL 2018, Art. 146 Rn. 49.



V. Kritik und Krise des Wehrhaftigkeitskonzepts167

keitsgarantie schränkt die Souveränität der nachfolgenden Generationen ‚unter dem Grundgesetz‘ nicht ein.“281 Ob es sich, wie Leggewie und Meier befürchten, bei der fdG um eine „Ideologie“ – also um ein Denksystem mit absolutem Wahrheitsanspruch – handelt oder „bloß“ die Gefahr einer Ideologieanfälligkeit gegeben ist, hängt maßgeblich davon ab, welche Befugnisse die verfassungsgebende Gewalt – der Pouvoir Constituant282 – nach dem GG heute hat. Ist die Wertordnung über die Verweisungen in Art. 79 Abs. 3 GG auch im Rahmen einer Verfassungneugebung unabänderbar, kann in der fdG eine Ideologie – also ein absoluter Wahrheitsanspruch – ausgemacht werden. Da aber absolute Wahrheitsansprüche mit einer pluralistischen, demokratischen Grundordnung nicht oder nur schwer vereinbar sind, ist insoweit Zacharias zuzusprechen, dass Art. 79 Abs. 3 GG zumindest im Rahmen einer Verfassungneugebung disponibel sein muss.283 Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund sozialer, politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen, die etwa technologisch bedingt sind und heute, noch weniger aber für die Urheber des GG, in ihrer Reichweite unvorhersehbar sind. Die Volkssouveränität kann nicht – insbesondere vor dem Hintergrund notwendiger zivilgesellschaftlicher Reaktualisierungen des Wertkonsens – bis in alle „Ewigkeit“ durch (demokratische) Entscheidungen beschnitten werden, die aufgrund personeller Diskontinuität allmählich demokratische Legitimationskraft verlieren.284 Die „obersten Grundwerte“, von denen Jesse spricht, können in ihrer zivilgesellschaftlichen Verwurzelung ohnehin nicht allein durch „staatliche Verordnung“ erfolgreich sein. Zuzugeben ist Jesse zwar, dass Pluralismus auf Dauer nur durch einen Minimalkonsens zu sichern ist,285 aber auch dieser Minimalkonsens muss ein Konsens286 sein.287 Kann von einem Konsens gesprochen werden, wenn die Volkssouveränität in diesem Punkt „abgeschafft“ ist und die demokratische 281  Zacharias,

in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 60 ff., Zitat auf S. 62. Begriff geht zurück auf Sieyès, Qu’est-ce que le Tiers état?, Reprint der 3. Aufl. (von 1789) 2002, Chapitre V, S. 53. 283  Vgl. insoweit auch die Ausführungen zur Positivität des Rechts von Luhmann, in: Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, 1970, 175 (197): „In der Ära des positiven Rechts kann das Bewegliche nicht mehr auf das Feste gegründet werden; es muß umgekehrt das Feste auf das Bewegliche gegründet werden. Recht, das jeweils gilt, hat sein Recht zu gelten daraus, daß es geändert werden könnte. […] Das Recht gilt dann als momentan eingefrorene Präferenz.“ 284  Vgl. zur Verfassunggebung des GG Abschnitt E.III. 285  Jesse, Streitbare Demokratie, 1980, S. 22. 286  Zur Bedeutung von Konsens in der Demokratie und zum Begriff „Grundkonsens“ vgl. auch Preuß, in: Habermas, Stichworte zur geistigen Situation der Zeit, 4. Aufl. 1982, S. 364 ff. 287  Vgl. dazu auch Böckenförde, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts I, 2. Aufl. 1995, § 22 Rn. 39, der „Ewigkeitsgarantien wie in Art. 79 Abs. 3 GG“ attes282  Der

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E. Demokratietheoretische Grundlagen und Begründungsfragen

Legitimationskette der Wertordnung durch Zeitablauf schwächer wird? Um den Charakter der Wertordnung als Minimalkonsens zu erhalten, muss zumindest die theoretische, an hohe Hürden gebundene Möglichkeit einer Verfassungneugebung bei Disponibilität auch des Art. 79 Abs. 3 GG und damit einer neuen Wertordnung bestehen.288 Nur so wird auch sichergestellt, dass die Wertordnung evolutionär verändert werden kann und eine Mehrheit des Volkes nicht auf die revolutionäre Überwindung zurückgreifen muss.289 Es gilt: „Der Freiheitsgedanke steht am Beginn moderner Verfassunggebung, verbraucht sich aber in diesem Akt nicht.“290 5. Abwehr-Ideologie und Freund-Feind-Schema Die wehrhafte Demokratie ist überdies geprägt durch eine binäre Unterscheidung in „Verfassungsfreund“ (oder, häufiger anzutreffen: „Verfassungstreue“) und „Verfassungsfeind“; deutlich wird diese Unterscheidung etwa daran, dass die „Verfassungsfeindlichkeit“ ein gebräuchliches und verbreitetes Schlagwort der Verfassungsschutzämter ist.291 Im Mittelpunkt der Wehrhaftigkeit steht in der Arbeit der Verfassungsschutzämter – will man an diese Terminologie anknüpfen – die Abwehr von Verfassungsfeinden.292 Jaschke tiert, sie wären Zeichen dafür, „daß eine politische Gemeinschaft […] ihre Selbstgewißheit verloren hat.“ Zitate a. a. O. 288  A. A. wohl Jesse, der ausführt: „Das Demokratieverständnis des Grundgesetzes […] basiert auf der Notwendigkeit, daß im Konfliktfall obersten Grundwerten, wie sie der Art. 79,3 GG benennt, der Vorrang gegenüber der Volkssouveränität gebührt.“, in Jesse, Streitbare Demokratie, 1980, S. 21. So im Übrigen auch die Rspr. des BVerfG, etwa in BVerfGE 5, 85 (139) = BVerfG, Urt. v. 17.8.1956  – 1 BvB 2 / 51, NJW 1956, 1393 (1397). 289  In Anlehnung an Dreier, RW 2010, 11 (17): „Eine freiheitliche Verfassung währt nicht ewig und legt dem politischen Prozess keine unlösbaren Fesseln an, weil sie revolutionär überwunden oder evolutionär fortentwickelt werden kann.“ 290  Dreier, RW 2010, 11 (19). 291  Vgl. dazu bspw. den Verfassungsschutzbericht 2016 des Bundesamtes für Verfassungsschutz, hrsg. vom Bundesministerium des Innern, etwa auf S. 14, 67, 70, 78 etc. Diese schematische Unterscheidung findet sich aber auch in der Literatur bei Fürsprechern der wehrhaften Demokratie grundgesetzlicher Verfasstheit, vgl. etwa Jesse, Streitbare Demokratie, 1980, S. 18, der die fdG als Kriterium zur Unterscheidung von Verfassungsfeindschaft oder Verfassungstreue heranzieht, gleichzeitig aber einem Freund-Feind-Schema im wehrhaften System des GG widerspricht (S. 23). Fromme macht „verfassungsfeindlich“ gar als „Schlüsselbegriff“ mit ambivalenten Gehalt in der politischen Debatte aus, in: Jesse, Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik, 4., erw. Aufl. 1985, S. 87. 292  Dazu der Verfassungsschutzbericht 2016, S. 14: „Eine Voraussetzung für die Abwehr der von Feinden der demokratischen Grundordnung ausgehenden Gefahr ist eine umfassende Information der staatlichen Organe und der Öffentlichkeit über verfassungsfeindliche Bestrebungen und Entwicklungen.“



V. Kritik und Krise des Wehrhaftigkeitskonzepts169

etwa sieht die „Freund-Feind-Unterscheidung gleichsam wie ein Damoklesschwert über allen Anstrengungen [stehen], den staatlichen Umgang mit den Gegnern der Verfassung (eben den Verfassungsfeinden) zu rechtfertigen“293. Welche Gefahren aber gehen von der binären Unterscheidung in „Freund“ und „Feind“ der Verfassung, genauer der fdG, aus? Warum handelt es sich bei der Freund-Feind-Unterscheidung um ein Damoklesschwert? Überlegungen zur schematischen Unterscheidung zwischen Freund und Feind finden sich bereits bei Schmitt im Jahr 1932. Danach handelt es sich bei der Unterscheidung zwischen Freund und Feind um ein Wesenselement politischen Denkens.294 Schmitt konstatiert: „Die Höhepunkte der großen Politik sind zugleich die Augenblicke, in denen der Feind in konkreter Deutlichkeit als Feind erblickt wird.“295

Eine konkrete Gefahrenzuschreibung zur binären Unterscheidung wird insoweit nicht ersichtlich – im Gegenteil: Das „Freund-Feind-Schema“ stellt sich bei Schmitt als (notwendiger) Topos des Politischen dar. Anders aber klingen in jüngerer Zeit Überlegungen etwa bei Flümann an: Dieser warnt in Anlehnung an die Theorie der „Abwehr-Ideologie“ von Mayer296 davor, demokratiefeindliche, extremistische Bewegungen „ohne eine konkrete Gefährdungssituation“ pauschal abzuwehren, da Demokratie im Gegensatz zu totalitären Bewegungen aufgrund ihres libertären Kernes gerade keine solche Ideologie aufweisen dürfe.297 Von einer „Abwehr-Ideo293  Jaschke, in: Bundesamt für Verfassungsschutz (Hrsg.), Verfassungsschutz in der Demokratie, 1990, S. 226. (Hervorhebung wurde nicht vom Autor hinzugefügt.) Vgl. auch mit Ähnlichkeiten bei Seifert, in: Habermas, Stichworte zur geistigen Situation der Zeit, 4. Aufl. 1982, S. 327, demzufolge jeder zum „Feind“ gemacht wird, der die Grundwerte des GG nicht annimmt. A. A. bei Stuby, in: Mayer / Stuby, Das Lädierte Grundgesetz, 1977, S. 248 f., der davon ausgeht: „Die potentiell veränderbare Persönlichkeit auch des Feindes der Demokratie bleibt respektiert.“ (S. 249). 294  Schmitt, Der Begriff des Politischen, Neuauflage 1963, S. 59 ff., 67. Kritisch dazu Jaschke, in: Bundesamt für Verfassungsschutz (Hrsg.), Verfassungsschutz in der Demokratie, 1990, S. 226. 295  Schmitt, Der Begriff des Politischen, Neuauflage 1963, S. 67. 296  Mayer, in: Bracher / Jacobsen / Kronenberg / Spatz, Festschrift Funke, 2009, S. 33. Vgl. auch schon Ausführungen zur sog. Abwehr-Ideologie in Zeiten der Weimarer Republik Bracher, Die Auflösung der Weimarer Republik, 2. Aufl. 1957, S.  165 ff. 297  Flümann, Streitbare Demokratie, 2015, S. 114. Ähnlich klingen auch die Ausführungen bei Leggewie / Meier, Republikschutz, 1995, S. 209 an, die davon sprechen, dass sich ein „Grundkonsens“ in der BRD (auch) durch die „Pflege des inneren ‚Feindes‘“ konstituieren konnte (Zitate a. a. O.). A. A.: Jesse, Streitbare Demokratie, 1980, der auf S. 23 rhetorisch fragt: „Aber erinnert sie [Rspr. des BVerfG] wirklich an das Freund-Feind-Denken eines Carl Schmitt?“ und in der Folge allenfalls Bedeutung der Kritik für Grenzfälle ausmacht.

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E. Demokratietheoretische Grundlagen und Begründungsfragen

logie“ spricht Mayer dann, wenn „eine dialektische Abhängigkeit vom Feind“ gegeben ist; das Dagegenhalten also Identität und Legitimität schaffe – mithin grundlegender „Bestandteil des eigenen ideologischen Konzeptes“ ist – und die Ideologie ohne Feindbild zu kollabieren drohe.298 Problematisch wird diese Abwehr-Ideologie aus rechtsstaatlicher und demokratietheoretischer Sicht dann, wenn sie – also die Identifizierung als Verfassungsfeind – zum Anknüpfungspunkt für Abwehrmaßnahmen des Staates wird. Verfassungsfeindschaft liegt nämlich nicht erst dann vor, wenn „aktiv-kämpferisch“ gegen die Verfassung vorgegangen wird, sondern bereits bei geistiger Manifestierung einer Ablehnung der Verfassung, konkret ihrer Wertordnung. Wird also die bloße Verfassungsfeindschaft zum Anknüpfungspunkt für Abwehrmaßnahmen, drohen gewichtige Verkürzungen des rein geistig-politischen Denkens und Diskurses – immerhin „essentialia negotii“ der Demokratie. Bedenken in der Literatur gehen gar so weit, in der wehrhaften Demokratie ein bloßes „Disziplinierungsmittel gegenüber systemimmanenten demokratiekritischen Strömungen“299 zu sehen. Dass diese Bedenken nicht nur theoretischer Natur sind, zeigt ein Blick auf die wehrhafte Demokratie grundgesetzlicher Konzeption: Die präventive Abwehr von Bestrebungen gegen die fdG ist wichtiges Wesensmerkmal der Wehrhaftigkeitskonzeption nach dem Grundgesetz.300 Sie ist überdies Ausdruck gegenbild­ licher Verfassunggebung zur Weimarer Republik: Der Schutz des Staates wurde nach der Weimarer Verfasstheit (nur) durch die strafrechtliche Abwehr demokratiefeindlicher Methoden, konkret gewaltsamer politischer Mittel erreicht.301 Bei der Vorverlagerung der Abwehr handelt es sich um eine ver­ fassungskonzeptionelle Reaktion des Grundgesetzes auf die Weimarer Verfassung und ihrer Abwehrmethode – mithin um eine Erweiterung der Abwehrinstrumente.302 Leggewie und Meier sprechen insoweit von einer „hypertrophe[n] Prävention der streitbaren Demokratie“ – sie stellen überzeichnet fest:

298  Mayer, in: Bracher / Jacobsen / Kronenberg / Spatz, Festschrift Funke, 2009, S. 34 f. Zitate auf S. 34. Der konzeptionelle Beitrag, den die abgewehrte Ideologie leistet, ist lt. Mayer folgendermaßen zu verstehen: „Wenn man den Feind erkennt, erkennt man den eigenen Standpunkt.“ (S. 34). 299  Mommsen, in: Habermas, Stichworte zur geistigen Situation der Zeit, 4. Aufl. 1982, S. 170. 300  Vgl. Jesse, Demokratie in Deutschland, 2008, S. 342 und bereits Abschnitt E. III.4. Ferner Hubo, Verfassungsschutz des Staates durch geistig-politische Auseinandersetzung, 1998, S. 24 f. 301  Vgl. dazu Abschnitt C.I.5.a) und E.I., insb. zum Republikschutzgesetz. 302  Ähnlich Bulla, AöR 1973, 340 (348).



V. Kritik und Krise des Wehrhaftigkeitskonzepts171 „Das Recht auf Opposition wird geschützt, indem man bestimmte Oppositionsparteien verbietet, die eines Tages das Recht auf Opposition beeinträchtigen könn­ ten.“303

In der Folge der Wehrhaftigkeitskonzeption würden „bereits weit im Vorfeld wirklicher Gefahren gegen politisch Andersdenkende“ Abwehrmaßnahmen vorgenommen.304 Ähnlich kritisch merkt auch Čopić an, die Abwehr diene oftmals „nicht dem vorgeblichen Zweck des Staatsschutzes, sondern der Demonstration politischer Entschlossenheit im Abwehrkampf gegen den Staatsfeind, der Schaustellung einer politischen Konzeption, der pädagogischen Beeinflussung der politischen Öffentlichkeit […].“305 Um den Folgen einer Abwehr-Ideologie zu begegnen, fordert Flümann deshalb, dass grundsätzlich eine konkrete Gefährdungssituation gegeben sein sollte, um Repressionen als Mittel wehrhafter Demokratie gegenüber der Meinungsfreiheit im Speziellen oder (politischen) Freiheitsrechten im Allgemeinen Vorzug zu gewähren.306 Deutlich wird insoweit die Notwendigkeit einer umfassenden Gefahrenallokation für die vorliegend untersuchten In­ strumente wehrhafter Demokratie.307 Handelt es sich darüber hinaus bei der binären Unterscheidung um eine „Abwehr-Ideologie“, wird im Einzelfall die staatliche Zurückhaltung aufgrund „der dialektischen Abhängigkeit vom Feind“ schwierig fallen und vor allem gefährlich sein; derartige Ideologien sind laut Mayer nämlich „im Kern Vernichtungsstrategien“ des politischen „Gegners“.308 6. Unbestimmtheit der fdG als Möglichkeit eines neuen Wertrelativismus – Böckenförde-Theorem Problematisch könnte ferner die Unbestimmtheit der fdG sein: Wie wehrhaft kann eine Demokratie sein, die sich an interpretationsoffene Werte bindet? Der Interpretation unbestimmter Verfassungswerte bzw. einer unbestimmten Wertordnung könnte nämlich ihrerseits eine relativistische Gefahr innewohnen, die durch die Verabsolutierung von Werten gerade gebannt werden soll. Umso unbestimmter die auslegungsbedürftige Wertordnung ist, desto relativistischer ist ihre Handhabung möglich. Die Auslegung bzw. Interpretation der Werte könnte als „Einfallstor“ genutzt werden, totalitäre Ideologien (rechtlich) zu verabsolutieren, wenn es sich dabei auch um einen 303  Leggewie / Meier,

Blätter für deutsche und internationale Politik 2012, 63 (69). Blätter für deutsche und internationale Politik 2012, 63 (69). 305  Čopić, Grundgesetz und politisches Strafrecht neuer Art, 1967, S. 4. 306  Flümann, Streitbare Demokratie, 2015, S. 114. 307  Vgl. Abschnitt E.III.3. 308  Mayer, in: Bracher / Jacobsen / Kronenberg / Spatz, Festschrift Funke, 2009, S. 35. 304  Leggewie / Meier,

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E. Demokratietheoretische Grundlagen und Begründungsfragen

„Umweg“ handelt im Vergleich zu den Möglichkeiten309 im strikten Wertrelativismus.310 Das vielzitierte und -interpretierte Böckenförde-Theorem fügt sich in diese kritische Analyse der grundgesetzlichen Wertgebundenheit und vor allem auch der Unbestimmtheit ein.311 Im Mittelpunkt des Theorems steht folgende These: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“312

Die Säkularisierung des Staates ist danach zu verstehen als ein Jahrhunderte andauernder Emanzipationsprozess des modernen Staates, dessen politische Ordnung nicht mehr auf dem Christentum oder anderen Religionen basiert.313 Auch Surrogate für das religiöse Staatsfundament – etwa „die Idee der Nation“ – haben Böckenförde zufolge durch den von Menschenrechten geprägten Individualismus an Geltungskraft verloren.314 Diese Säkularisierung stelle aufgrund ihrer Wertentleerung den modernen Staat aber vor einer Herausforderung: „Woraus lebt der Staat, worin findet er die ihn tragende, homogenitätsverbürgende Kraft […]?“315 Der Bestand eines freiheitlichen, säkularisierten Staates hänge demnach davon ab, dass die Freiheit „von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft“ zur Entstehung gelangt.316, 317 Versucht der Staat aber, diese „inneren Regulierungskräfte“ mittels „Rechtszwanges und autoritativen Gebots“ herzustellen und zu gewährleisten, gebe er seine ihm zugrundeliegende 309  Vgl. anhand des Beispiels der Weimarer Republik, wie totalitäre Ideologien sich strikten Wertrelativismus zu Nutzen machen können unter Abschnitt C.I.5.a) und C.I.5.b). 310  Scherb, Der Bürger in der Streitbaren Demokratie, 2008, S. 31 und ders. auf S. 19, der die zweifelsfreie Deduzierbarkeit der Grundsätze (hier konkret: fdG) als Voraussetzung der wehrhaften Demokratie nennt. 311  Vgl. dazu Böckenförde selbst in seiner Rückschau, Böckenförde, Der säkularisierte Staat, 2. Aufl. 2015, S. 8, der den Kernsatz seines Theorems beschreibt als „meistzitierten Satz meines ganzen wissenschaftliche Œuvres“. 312  Böckenförde, Staat, Gesellschaft, Freiheit, 1976, S. 60. (Betonung wurde nicht vom Autor hinzugefügt.). 313  Böckenförde, Staat, Gesellschaft, Freiheit, 1976, 43. Vgl. auch schon zum Säkularisationsprozess in der Weimarer Republik, indem mit der WRV „ein im wesentlichen amtliches, loyales und kühles Verhältnis von Staat und Kirche“ geschaffen wurde, Leibholz, Auflösung der liberalen Demokratie, 1933, S. 43. 314  Böckenförde, Staat, Gesellschaft, Freiheit, 1976, S. 59 f. 315  Böckenförde, Staat, Gesellschaft, Freiheit, 1976, S. 59. 316  Böckenförde, Staat, Gesellschaft, Freiheit, 1976, S. 60. (Zitate a. a. O.). 317  Das Erfordernis einer („politischen“, nicht „gesellschaftlich-sozialen“) Homogenität für das Funktionieren der Demokratie betonte bereits Leibholz, Auflösung der liberalen Demokratie, 1933, S. 12.



V. Kritik und Krise des Wehrhaftigkeitskonzepts173

Freiheitlichkeit auf und drohe, in einen „Totalitätsanspruch zurückzufallen“ – etwa in der Art einer „verordnete[n] Staatsideologie“ oder eines „objektiven Wertsystems“.318 Entsprechende Gefahren lassen sich damit auch im Staatssystem der BRD ausmachen, da die (staatlich verordnete) Rückbesinnung auf eine Wertordnung „dem Subjektivismus und Positivismus der Tageswertungen das Feld“ öffnen könnte und dadurch „die Freiheit eher zerstören als fundieren [könnte].“319 Zu bedenken ist insoweit die weitreichende Deutungshoheit des BVerfG über die fdG320, ein juristischer „Sammelbegriff“321, der seinerseits verfassungsrechtlich nicht definiert ist und zudem mit Zeitverlauf wandelbar322 ist.323 Zumindest vom Gesetzgeber als auch von der Rechtsprechung wurden und werden die Definitionen der fdG durch das BVerfG – etwa aus den Parteiverbotsentscheidungen zur SRP, KPD und NPD – weitgehend übernommen, im Übrigen gibt es verschiedene Auffassungen zur Begriffsbestimmung.324 Bestandteile der fdG nach Definition des BVerfG sind überdies – man denke nur an Schlagwörter wie „Volkssouveränität, Gewaltenteilung, Verantwortlichkeit der Regierung“325 etc. – in sich auslegungsfähig und -bedürftig.326 Beispielhaft sei für die Unbestimmtheit dieser Begriffe nur die 318  Böckenförde, Staat, Gesellschaft, Freiheit, 1976, S. 60. (Zitate a. a. O.) (Betonung „Anführungszeichen“ vom Autor durch Kursivschrift ersetzt.). 319  Böckenförde, Staat, Gesellschaft, Freiheit, 1976, S. 60. 320  Allerdings ist auch umstritten, ob die Deutungshoheit überhaupt beim BVerfG liegt, da in der täglichen Arbeit vor allem die „Verfassungsschutzämter über den Inhalt des ‚generalklauselartigen Tatbestandes ‚Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung‘‘ bestimmen.“ So bei Seifert, in: Denninger, fdGO Bd. I, Materialien, 1977, S. 235, Zitat a. a. O. 321  Von einem Sammelbegriff spricht etwa – kritisch – Preuß, Legalität und Pluralismus, 1973, S. 23. 322  Vgl. dazu die Einleitung von Podlech, in: Lautner, Die freiheitliche demokratische Grundordnung, 2. Aufl. 1982, S. V. 323  Vgl. die Kritik von Seifert, in: Habermas, Stichworte zur geistigen Situation der Zeit, 4. Aufl. 1982, S. 323 ff., der gar von einer Entwicklung des BVerfG vom „Hüter“ zum „Herrn“ der Verfassung spricht (S. 331). 324  Vgl. dazu bereits Abschnitt C.III. und E.III.2. Vgl. ferner Becker, in: Isensee /  Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts VII, 1992, § 167 Rn. 47. 325  Vgl. BVerfGE 2, 1 (13) = BVerfG, Urt. v. 23.10.1952  – 1 BvB 1 / 51, NJW 1952, 1407 (1408). Zuletzt: BVerfGE 144, 20 (203) = BVerfG, Urt. v. 17.1.2017 – 2 BvB 1 / 13, NJW 2017, 611 (618). Vgl. ferner Abschnitt C.III. 326  Dazu etwa auch Hubo, Verfassungsschutz des Staates durch geistig-politische Auseinandersetzung, 1998, S. 26. Vgl. auch Preuß, in: Klein, Grundwerte in der Demokratie, 1995, S. 46: „Da Werte vieldeutig und daher stets auslegungsbedürftig sind, je nach Kontext sehr unterschiedliche Inhalte haben und folglich sehr unterschied­ liche Verhaltensweisen einfordern, gewinnt die Instanz, die die Befugnis zur verbindlichen Interpretation hat, eine im Grunde unangreifbare Machtstellung.“

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E. Demokratietheoretische Grundlagen und Begründungsfragen

„Gewaltenteilung“ knapp analysiert: Eine strenge Gewaltenteilung würde Überschneidungen der einzelnen Gewalten verbieten, doch zeigt bereits die grundgesetzliche Gewaltenteilung Verschränkungen und Überschneidungen der Gewalt.327 Begriffsbestimmtheit ist – das zeigt die beispielhafte Analyse – nicht gegeben. Die fdG ist damit nicht in allzu klaren Grenzen bestimmbar, sondern einerseits überwiegend der Rechtsprechung des BVerfG überlassen und andererseits in ihrer Definition auslegungsfähig und -bedürftig.328 Eine Möglichkeit, dem vom Bürger ausgehenden Legitimitätsdruck des Staates zu begegnen und Stabilität herzustellen, könnte Böckenförde zufolge für den Staat deshalb sein, „sich zum Erfüllungsgaranten der eudämonistischen Lebenserwartung der Bürger“ zu machen – etwa durch Vorsorge- und Sozialpolitik.329 Allerdings reiche dieser Lösungsansatz nur bis zur nächsten (wirtschaftlichen, innenpolitischen etc.) Krise und dem damit einhergehenden Versagen der Vorsorge- und Sozialpolitik.330 Letztlich könne es deshalb nur in der Hand der Bürger liegen, „die Chance der Freiheit […] zu erhalten und zu realisieren“, nicht in der Hand des Staates.331 Der Staat ist damit in höchstem Maße angewiesen auf den „Glauben“ der Bürger an die Freiheit selbst, die der Staat gewährleistet. Für das Wehrhaftigkeitskonzept sind aus den Überlegungen Böckenfördes folgende Aspekte ableitbar: Das Konzept der wehrhaften Demokratie kann – insofern ist Schliesky zuzustimmen – als verfassungsrechtliche Umkehrung des Böckenförde-Theorems gesehen werden. Mit der Wertbindung der Verfassung und dem Schutz dieser Wertordnung versucht der Staat gerade die Voraussetzungen zu garantieren, von denen er lebt.332 Das Theorem bleibt für 327  Neben vielen anderen Gewaltenverschränkungen, beispielhaft: Die Bundesregierung als Exekutive hat gem. Art. 76 Abs. 1 GG ein Initiativrecht in der Gesetzgebung, womit ihr auch eine Rolle in der Legislativen zukommt. Sie ist damit Teil der Exekutiven und Legislativen. 328  Für eine hinreichende Bestimmtheit der fdG durch die Rspr. des BVerfG spricht sich etwa aus: Jesse, Streitbare Demokratie, 1980, S. 18: „Wenn auch manche Prinzipien sich überlappen und in einem gewissen Spannungsverhältnis zueinander stehen […], so hat doch das Bundesverfassungsgericht diesen Kernbegriff des Grundgesetzes präzise beschrieben und treffend interpretiert. […] weist die Begriffsbestimmung ein so hohes Maß an Genauigkeit und Klarheit auf, daß sich Bestrebungen gegen [die fdG] […] leicht ausmachen lassen.“ 329  Böckenförde, Staat, Gesellschaft, Freiheit, 1976, S. 60. Vgl. auch die Überlegungen dazu, was den pluralistischen „Staat zusammenhalten“ kann bei Dreier, RW 2010, 11 (30 ff.). 330  Böckenförde, Staat, Gesellschaft, Freiheit, 1976, S. 61. 331  Böckenförde, Staat, Gesellschaft, Freiheit, 1976, S. 61. (Zitate a. a. O.). 332  Schliesky, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts XII, 3. Aufl. 2014, § 277 Rn. 14.



V. Kritik und Krise des Wehrhaftigkeitskonzepts175

die vorliegende Untersuchung demnach nicht ohne Relevanz, da es Schwächen der grundgesetzlichen Wehrhaftigkeitskonzeption aufzeigt. Die fdG könnte aufgrund ihrer Unbestimmtheit Gefahr laufen eben jene Wertordnung zu sein oder zu werden, die Böckenförde „dem Subjektivismus und Positivismus der Tageswertungen“ ausgesetzt sieht. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Deutungshoheit über die fdG (zumindest faktisch) weitgehend beim BVerfG liegt und der zivilgesellschaftlichen Konsentierung einer Wertordnung damit allenfalls sekundäre Bedeutung zukommt. Auch der Gesetzgeber – aufgrund kürzerer demokratischer Legitimationskette dem Volkswillen „näher“ als das BVerfG – hat insoweit nur sehr begrenzten Zugriff auf die Bestimmung der fdG.333 Damit gelten die Werte für die Gesellschaft zwar absolut, stehen aber in (engen Grenzen) nach wie vor zur Disposition des BVerfG. Die Wertbindung der wehrhaften Demokratie unterliegt somit einer gewichtigen Relativierungsgefahr – allerdings fernab zivilgesellschaftlicher Konsentierung. Dieser Gefahr eines neuen Subjektivismus, der zumal von zivilgesellschaftlicher Konsentierung überwiegend losgelöst ist, könnte – in Anknüpfung eines weiteren Aspektes Böckenfördes – folgendermaßen begegnet werden: Im Mittelpunkt der Wehrhaftigkeit dürfte nicht etwa die staatliche Abwehr, sondern müsste vielmehr die zivilgesellschaftliche Abwehr demokratiefeindlicher Bestrebungen stehen.334 Auf diese Weise könnte sichergestellt werden, dass der freiheitliche demokratische Staat zur Abwehr demokratiefeindlicher Bestrebungen nicht die Freiheitlichkeit aufgibt und einen totalitären Anspruch entwickelt. 7. Zwischenergebnis Die wehrhafte Demokratie grundgesetzlicher Konzeption weist verschiedene Konfliktfelder auf. In einer Gesamtschau stellt sich die Frage, wie sich diese Schwächen auf die Funktionsfähigkeit des Wehrhaftigkeitskonzepts auswirken. Wird die Demokratie letztlich gar selbst durch ihre eigene Wehrhaftigkeit unterminiert? Droht die Wehrhaftigkeit den Staat seinerseits autoritär werden zu lassen? Welche Konsequenzen haben Schwächen der Wehrhaftigkeitskonzeption auf die untersuchten Meinungsäußerungsdelikte? dazu auch Altenhof, in: Jesse / Löw, 50 Jahre Bundesrepublik, 1999, S. 171. ähnlich auch bei Scherb, Der Bürger in der Streitbaren Demokratie, 2008, S. 19 f.: „Die Aussage des Böckeförde-Theorems legt […] die Forderung nach einer primär gesellschaftlichen Streitbarkeit nahe, deren substantielle Bezugspunkte auf oberste Grundsätze einer demokratischen Ordnung beschränkt bleiben müssen. […] Streitbare Demokratie ist damit […] nicht Staatsschutz sondern Demokratieschutz.“ (Betonung wurde nicht vom Autor hinzugefügt.). 333  Vgl. 334  Vgl.

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E. Demokratietheoretische Grundlagen und Begründungsfragen

Gezeigt wurde, dass Demokratie abhängig von politischer Krise und politischem Frieden nicht gleichermaßen, sondern vielmehr unterschiedlich wehrhaft sein kann, ohne Funktionseinbußen zu erleiden. Konsequenz dieser Unterschiede in der Notwendigkeit des Demokratieschutzes ist jedoch nicht, dass Demokratie in Zeiten politischen Friedens nicht wehrhaft sein braucht. Dies gilt, da sich politische Krisen und Angriffe auf die Demokratie nicht zuverlässig vorhersehen lassen und nach wie vor existieren, sowie eine einmal „deaktivierte“ Wehrhaftigkeit nur schwer wieder zur Anwendung gebracht werden kann – vor allem dann, wenn politische Instabilität für die „Reaktivierung“ erforderliche demokratische Prozesse ohnehin erschwert. Für Zeiten des politischen Friedens ist allerdings eine Lockerung repressiver Wehrhaftigkeit ratsam, um für den Demokratieschutz nicht erforderliche Freiheitsbeschneidungen zu verhindern. Bei geringer Bedrohungslage für die Demokratie sollte der Gestaltungsauftrag als Wehrhaftigkeitsinstrument im Mittelpunkt stehen – mithin die Stärkung und Absicherung zivilgesellschaftlichen Konsens über die fdG. Zivilgesellschaftliches Verantwortungsbewusstsein stellt sich dabei als wichtiger Stabilitätsfaktor für den Demokratieschutz dar, der vor allem in Zeiten politischen Friedens nicht überbetont werden kann. Gezeigt wurde ferner, dass die fdG ideologieanfällig ist. Die Verabsolutierung der Wertordnung – insbesondere durch die Unantastbarkeit des Art. 79 Abs. 3 GG und damit zusammenhängend den Problemen der demokratischen Legitimation – fügt sich nur schwer ein in das Bild einer pluralistischen, demokratischen Grundordnung. Insgesamt lässt sich an dieser Stelle eine Überbetonung staatlicher Abwehr von Demokratiegefährdungen ausmachen, während auf der anderen Seite die zivilgesellschaftliche Verantwortlichkeit für die Konsentierung einer Wertordnung unterbetont wird. Zuzugeben ist Kritikern insoweit, dass vor allem zivilgesellschaftlicher Konsens über eine Wertordnung erforderlich ist, der nicht oder nur begrenzt durch staatlich-autoritäre Verordnung erreicht werden kann. Die verfassungsrechtliche Struktur der Wertbindung ist insofern problematisch. Auch in der zivilgesellschaftlichen Konsentierung ebenso wie in der demokratischen Legitimation der Wertordnung sind Konflikte angelegt: Werte sind mangels logischer bzw. wissenschaftlicher Herleitbarkeit nicht bereits aus sich heraus konsensfähig. Zeitverlauf seit der Verfassunggebung im Jahr 1949 schwächt einerseits die demokratische Legitimationskette und erzeugt zugleich „neben der stetigen Vergewisserung der historischen Wurzeln […] Bedarf an zeitgemäßer inhaltlicher Ausfüllung und Aktualisierung der Denkfigur“335. Die Verabsolutierung der Wertordnung verhindert, diese de335  Schliesky, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts XII, 3. Aufl. 2014, § 277 Rn. 5.



V. Kritik und Krise des Wehrhaftigkeitskonzepts177

mokratisch erneut zu legitimieren oder anzupassen – das Souverän des Volkes wird dadurch beschränkt. Um die Charakterisierung der fdG als „Ideologie“ zu verhindern, muss deshalb die (demokratische) Konsentierung einer Wertordnung zumindest im Rahmen einer Verfassungneugebung möglich bleiben, womit der Ansicht zu widersprechen ist, Art. 79 Abs. 3 GG sei auch im Rahmen der Verfassungneugebung gemäß Art. 146 GG nicht disponibel. Zu beachten ist aber auch, dass Grundwerte nur begrenzt staatlich verordnet werden können – im Vordergrund steht auch insoweit die zivilgesellschaft­ liche Verwurzelung und Konsentierung der Wertordnung und ihrer Verteidigung. Das Wehrhaftigkeitskonzept ist auf in der Zivilgesellschaft verwurzelte Anerkennung angewiesen, um überhaupt funktionieren zu können. Die „bloße“ Verabsolutierung von Werten ist nicht geeignet, eine Demokratie wehrhaft zu gestalten. Problematisch ist darüber hinaus die ideologisch veranlagte Prägung eines Freund-Feind-Schemas durch die grundgesetzliche Wehrhaftigkeitskonzeption. Einerseits begibt sich die Wertordnung in die Abhängigkeit eines „Feindes“, indem die Abgrenzung von „Verfassungsfeinden“ identitätsstiftendes Merkmal sowie „Legitimitätssymbol“ der wehrhaften Demokratie wird. Da­ rüber hinaus kann die Anknüpfung von Abwehrmaßnahmen an die bloße Identifizierung von Verfassungsfeinden zur ausufernden Verkürzung vor allem politischer Freiheitsgewährleistungen im Einzelnen und des rein geistigpolitischen Diskurses im Allgemeinen führen. Das Wesensmerkmal „Vorverlagerung der Abwehr“ macht diese Gefahr deutlich: Die Demokratie wird bereits auf gewaltfreier, (noch) friedlicher Diskursebene geschützt. Um eine Unterminierung der funktionellen Aufgaben politischer Freiheitsrechte zu verhindern, sollten Anknüpfungspunkt für Abwehrmaßnahmen deshalb konkrete Gefahren sein. Schließlich ist die fdG in ihrer Unbestimmtheit problematisch. Die daraus resultierende Interpretationsoffenheit ist einerseits Einfallstor für Wertrelativismus. Betrachtet man die vorangegangene Kritik zur Verabsolutierung der Werte, könnte der Interpretationsoffenheit grundsätzlich ein positiver Aspekt abgewonnen werden – mithin Wandel- und Anpassbarkeit der fdG. Allerdings liegt die Deutungshoheit über die fdG in erster Linie beim BVerfG, womit etwa eine zivilgesellschaftliche Konsentierung ohne Auswirkung auf die Definition der fdG wäre. Letztlich ist auch insoweit Böckenförde darin zuzustimmen, dass im Mittelpunkt des Demokratieschutzes die zivilgesellschaftliche Abwehrbereitschaft stehen muss. Es lässt sich für die Wehrhaftigkeitskonzeption zusammenfassen, dass diese selbst in Zeiten politischen Friedens für den Demokratieschutz erforderlich ist – die grundgesetzliche Konzeption der Demokratie muss mithin wehrhaft sein. „Legalitätsstrategien“ zur Unterhöhlung der Demokratie wie

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E. Demokratietheoretische Grundlagen und Begründungsfragen

in der Weimarer Republik sind mit dem Wehrhaftigkeitskonzept nicht mehr möglich. Politische Indifferenz kann – wie von der Weimarer Republik veranschaulicht – in Zeiten der politischen Krise gefährlich sein und der Demokratiezersetzung Vorschub leisten. Die wehrhafte Demokratie erlaubt dem Staat insoweit flexible Antwortmöglichkeiten. Allerdings konnten auch zahlreiche Schwächen der Wehrhaftigkeit ausgemacht werden; insbesondere sind Konflikte in der Verabsolutierung von Werten bzw. der Wertbindung veranlagt. Konsequenz dieser Schwächen kann jedoch nicht sein, die Wertgebundenheit als solche sei ungeeignetes Element der Wehrhaftigkeit. Vielmehr gilt in der Konsequenz „nur“ zu beachten: Eine Überbetonung des Staates bei gleichzeitiger Unterbetonung der Zivilgesellschaft ist zu vermeiden. „Überzeugungen“ lassen sich nicht staatlich verordnen, sondern müssen zivilgesellschaftlich gebildet und konsentiert werden. Erster Ansatzpunkt dafür wäre, Art. 79 Abs. 3 GG im Rahmen einer Verfassungneugebung gemäß Art. 146 GG für disponibel zu erklären. Ferner darf die Interpretation der fdG nicht ausufernd sein – anderenfalls droht Unbestimmtheit oder sogar der Relativismus, den das GG rigoros zu verhindern sucht. Außerdem muss Wehrhaftigkeit flexibel sein: Geeignetes Mittel der Abwehr demokratiefeindlicher Bestrebungen kann nicht in Frieden und Krise gleichermaßen Repression durch strafrechtliches Verbot sein. Vor allem in Zeiten politischen Friedens muss der Gestaltungsauftrag im Mittelpunkt der Wehrhaftigkeit stehen. In erster Linie braucht es zivilgesellschaftliches Verantwortungsbewusstsein für effektiven Demokratieschutz – fatalistischerweise könnte auch konstatiert werden: Will eine Mehrheit die Demokratie abschaffen, kann eine Mehrheit die Demokratie auch abschaffen. Die wehrhafte Demokratie verliert nämlich spätestens dann ihre Wirkung, wenn sie nicht mehr konsequent gelebt und angewendet wird. Es gilt: Wehrhafte Demokratie kann gefährlich sein. Ist sie allzu wehrhaft, kann sie sich selbst unterminieren – ein werttotalitärer Staat droht, der seine Feinde im Vorfeld eigentlicher Schutzgutsverletzungen bekämpft und damit in den Kernbereich politischen Denkens und Arbeitens vordringt. Schließlich kann die Wertgebundenheit für die Ausübung der Meinungsfreiheit gefährlich werden: Kernelement der Meinungsfreiheit in ihrer demokratisch-funktionellen Bestimmung als Methode der Willensbildung ist die Offenheit des Willensbildungsprozesses; die (Ergebnis-)Offenheit stellt sicher, dass Entscheidungen frei getroffen werden können und darüber hinaus auch rückgängig gemacht werden können.336 Verabsolutierungen von Werten haben auch auf die Meinungsbildung Einfluss, da sie die Offenheit des (po336  Vgl. dazu bereits Abschnitt C.II.3.b). Ferner dazu: Böckenförde, in: Isensee /  Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts I, 2. Aufl. 1995, § 22 Rn. 40.



VI. Einordnung der Meinungsäußerungsdelikte in das Grundgesetz179

litischen) Diskurses – wenn auch nur durch symbolische „Strahlkraft“ – einschränken können.

VI. Einordnung der Meinungsäußerungsdelikte in das Wehrhaftigkeitskonzept des Grundgesetzes Unter Heranziehung der verfassungsrechtlichen und demokratietheoretischen Grundlagen zur wehrhaften Demokratie ist abschließend zu klären, wie sich (u. a. die untersuchten) Meinungsäußerungsdelikte zum Schutz der fdG in das Wehrhaftigkeitskonzept einfügen: Handelt es sich dabei um In­ strumente der wehrhaften Demokratie? 1. Nutzen der Einordnung Ziel dieser Einordnung ist, das Verfassungsprinzip „wehrhafte Demokratie“ zu konkretisieren – als solches unterliegt es nämlich „einem sich fortdauernd erneuernden Konkretisierungsbedarf“337 – und in seiner (auch) einfachgesetzlichen Reichweite darzustellen. Erst das Gesamtbild der wehrhaften Demokratie erlaubt, Aussagen zum demokratietheoretischen Nutzen zu treffen. Der umfassende Entwurf eines Wehrhaftigkeitskonzept erleichtert somit die demokratietheoretische Untersuchung von Vorschriften – vorliegend von Strafgesetzen. Die Einordnung verdeutlicht zudem das herausgearbeitete Paradoxon die fdG schützender Meinungsäußerungsdelikte, womit eine weitsichtige Vermessung des Spannungsverhältnisses erleichtert wird. Belässt man es für die Beschneidung der Meinungsfreiheit zum Schutze der fdG bei einem Verweis auf die Schranke des Art. 5 Abs. 2 GG, ohne das Verbot in den Kontext der wehrhaften Demokratie einzuordnen, könnte man der Gefahr erliegen, sich im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung „opportunistischer“ Grundrechtsanwendung zu ergeben. Die Klassifizierung als Instrument der Wehrhaftigkeit erhöht den Legitimationsdruck solcher Verbote. Verliert man in der legislativen Arbeit den Bezugspunkt „Wehrhaftigkeit“, entsteht die Gefahr, dass Meinungsäußerungsverbote unter vager Vermutung von Gefahrenzusammenhängen zur fdG in der Verhältnismäßigkeitsprüfung pauschal „abgefertigt“ werden. Eine solche „Abfertigung“ wird etwa dann deutlich, wenn Meinungsäußerungsdelikte als abstrakte Gefährdungsdelikte ausgestaltet werden. Teil des Wehrhaftigkeitskonzept ist nämlich nicht nur die Freiheitsbeschneidung zum Schutz der fdG, sondern zugleich auch der Schutz von Freiheitsgewährleistungen als Bestandteil der fdG, indem 337  Becker, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts VII, 1992, § 167 Rn. 43.

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E. Demokratietheoretische Grundlagen und Begründungsfragen

missbräuchliche Freiheitsbeschneidungen verhindert werden und ihrerseits an den Standards der fdG gemessen werden. 2. Meinungsäußerungsdelikte als Instrumente wehrhafter Demokratie Die untersuchten Meinungsäußerungsdelikte passen sich nicht ohne Weiteres in das Wehrhaftigkeitskonzept des GG ein. Ein Meinungsäußerungsverbot zum Schutz der fdG kann nicht als ein solches Instrument im engeren Sinne bezeichnet werden: Es ist nicht verfassungsrechtlich positiviert; vielmehr handelt es sich um eine einfachgesetzliche, kernstrafrechtliche Regelung. Allerdings sind die beschriebenen Instrumentarien des Wehrhaftigkeitskonzepts, also etwa die Normtrias der Art. 9, 18 und 21 GG, nicht abschließend, sondern bloße „Erscheinungsformen“ der wehrhaften Demokratie (im engeren Sinne) – die Instrumentarien der wehrhaften Demokratie erschöpfen sich nicht in der Normtrias des GG.338 Handelt es sich bei diesen Delikten aber um Instrumente wehrhafter Demokratie im weiteren Sinne? Eine solche Zuordnung könnte möglich sein, da die wehrhafte Demokratie als Verfassungsprinzip in sich nicht abschließend verfassungsrechtlich determiniert ist, sondern vielmehr ein „Sammelprinzip“ und als solches form- und anpassbar.339 „Unschädlich“ für die Einordnung als Instrument wehrhafter Demokratie (i. w. S.) ist deshalb, wenn sich die Meinungsäußerungsverbote nicht auf eine der Kernnormen des Wehrhaftigkeitskonzepts (Art. 9, 18, 21 GG) zurückführen lassen. Vielmehr könnte jedes staatliche Tätigwerden, das der Abwehr von Gefahren für die fdG dient, unter dem Aspekt wehrhafter Demokratie betrachtet werden. Der Wehrhaftigkeitskern des GG – mithin die fdG – der zum Bezugspunkt staatlichen Handelns wird, dient nämlich allein dem Schutz der Demokratie. Handelt es sich bei dem staatlichen Handeln nicht nur um voneinander losgelöste Einzelhandlungen, sondern um Institutionalisierungen etwa in Form legislativen Tätigwerdens – hier also das kernstrafrechtliche Verbot von Meinungsäußerungen – zum Schutz der fdG, könnte man damit von Instrumenten wehrhafter Demokratie sprechen. Ein Instrument wehrhafter Demokratie im weiteren Sinne könnte demnach immer anzunehmen sein, wenn eine präventive oder repressive staatliche Maßnahme ergriffen wird, um Gefahren von der fdG abzuwenden. Dass der Eingriff in die Meinungs- und Willensbildung dem Wehrhaftigkeitskonzept nicht „fremd“ ist, lässt sich bereits anhand der Normtrias nach338  Vgl. auch Becker, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts VII, 1992, § 167 Rn. 15. 339  Schliesky, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts XII, 3. Aufl. 2014, § 277 Rn. 12. Vgl. dazu ferner bereits Abschnitt E.III.3.



VI. Einordnung der Meinungsäußerungsdelikte in das Grundgesetz181

vollziehen: Verwirkbare Grundrechte sind gemäß Art. 18 GG abschließend enumeriert und allesamt als politische Freiheitsrechte zu erkennen, beginnend mit der Meinungsfreiheit;340 das Verbot einer Partei gemäß Art. 21 Abs. 2 GG setzt ebenfalls im Kernbereich demokratischer Willensbildung an – Gleiches gilt für Vereinigungsverbote gemäß Art. 9 Abs. 2 GG.341 Das strafrechtliche Verbot einer Meinungsäußerung passt sich damit in konsistenter Weise in das Wehrhaftigkeitskonzept des GG ein. Problematisch könnte diese Einordnung allerdings bei Heranziehung der Wesensmerkmale wehrhafter Demokratie nach Jesse sein. Danach sind die Wesensmerkmale in der Wertgebundenheit, Abwehrbereitschaft sowie der Vorverlagerung des Demokratieschutzes zu sehen.342 Das gemeinsame Schutzgut der untersuchten Meinungsäußerungsdelikte – mithin die fdG – verdeutlicht die Wertbindung: Die Normen weisen einen klaren Bezug zur Wertordnung der Wehrhaftigkeitskonzeption des GG auf. Ferner handelt es sich (bzw. soll sich handeln) dabei um die differente Behandlung demokratiefeindlicher bzw. verfassungsfeindlicher Bestrebungen; deutlich wird dadurch die Abwehrbereitschaft gegenüber den entsprechenden Handlungen. Fraglich ist insoweit nur, wie sich das Wesensmerkmal „Vorverlagerung“ mit dem Strafrecht in Einklang bringen lässt. Die „Vorverlagerung“ wird grundsätzlich verstanden als eine Wehrhaftigkeit, die nicht erst bei Vorliegen ­konkreter Gefahren, sondern bereits im Vorfeld solcher Gefahren aktiviert wird.343 Jesse versteht die Vorverlagerung sogar noch weitergehend: Ihm zufolge handelt es sich bei der Vorverlagerung um den „Sachverhalt, dass der demokratische Verfassungsstaat es sich vorbehält, nicht erst bei einem Ver­ stoss gegen (Straf-)Gesetze zu reagieren. Der politische Extremismus kann bereits im Bereich legalen, aber verfassungsfeindlichen Handelns gestört werden.“344 Bei den Meinungsäußerungsdelikten handelt es sich aber um Strafgesetze, sodass sich die Frage stellt, ob die Maßnahmen überhaupt zum Instrumentarium wehrhafter Demokratie gerechnet werden können. § 83 StGB etwa stellt sich als eine weitreichende Vorfeldkriminalisierung dar: Strafbar ist die Vorbereitung eines Unternehmensdeliktes, also mithin die „Vorbereitung der Vorbereitung“345. Das Verbot ist damit dem Präventiv340  Vgl. zur kritischen Diskussion der abschließenden Enumeration Dürig / Klein, in: Maunz / Dürig, GG, 83. EL 2018, Art. 18 Rn. 29 ff. 341  Vgl. dazu die Ausführungen zur Meinungsfreiheit im System der fdG unter Abschnitt C.III.2. 342  Jesse, Demokratie in Deutschland, 2008, S. 319, 342. 343  Vgl. dazu bereits Abschnitt E.III.4. Ferner: Papier / Durner, AöR 2003, 340 (357); Jesse, Demokratie in Deutschland, 2008, S. 319, 343. 344  Jesse, Demokratie in Deutschland, 2008, S. 343. 345  Vgl. zu alledem Abschnitt D.III. Ferner: Lampe / Hegmann, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 83 Rn. 1.

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E. Demokratietheoretische Grundlagen und Begründungsfragen

strafrecht zuzuordnen.346 § 86, § 86a sowie § 90a StGB sind als abstrakte Gefährdungsdelikte einzuordnen, da sie als Vorfeldtatbestände jeweils Verhalten von grundsätzlicher Gefährlichkeit verbieten – es bedarf keines Verletzungserfolges.347 Deutlich wird mit diesen Deliktsstrukturen, dass auch strafrechtliche Regulierungen im Vorfeld konkreter Gefahren oder Verletzungserfolge möglich sind. Der pauschale Verweis im Rahmen der Vorverlagerung als Wesensmerkmal darauf, wehrhafte Instrumente würden im Vorfeld konkreter Gefahren oder Strafgesetzen wirken, ist deshalb nicht zielführend, da es die Möglichkeiten des Präventivstrafrechts verkennt. Die Vorverlagerung des Demokratieschutzes als Wesensmerkmal wehrhafter Demokratie ist vielmehr irreführend; eine Definition der Vorfeldtätigkeit sollte sich nicht pauschal an der Einordnung etwa als Strafgesetz orientieren, sondern vielmehr an der Methodik politischer Handlungen: Eine Grenzziehung müsste dann anhand (politischer) Gewalt erfolgen. Alle Abwehrhandlungen im Vorfeld politischer Gewalt würden nach dieser Einordnung das Wesensmerkmal „Vorverlagerung“ erfüllen. Feststellen lässt sich damit, dass die untersuchten Meinungsäußerungsdelikte, deren Schutzzweck die fdG ist, als Instrumente wehrhafter Demokratie (i. w. S.) erfasst werden können. 3. (Politische) Gewalt in der Demokratie – aktivierte Wehrhaftigkeit? Gezeigt wurde: Die Wertgebundenheit des GG erlaubt dem Gesetzgeber, Verfassungsfeinde nicht anhand bestimmter politischer Methoden zu identifizieren, sondern bereits aufgrund inhaltlicher Ausrichtung Verfassungsfeindschaft zu bestimmen. Darüber hinaus wurde im Rahmen der Untersuchung folgende Schutzbereichsgrenze herausgearbeitet: Nicht vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit sind solche Ausdrucksformen erfasst, die nicht geistig vermittelt sind – mithin Gewalt und Zwang im Diskurs.348 Daraus ergibt sich die Frage, ob diese Schutzbereichsgrenze auch in das System wehrhafter Demokratie eingeordnet werden kann. Überlegungen zur Gewaltgrenze finden sich bei (modernen) Vertretern einer wertrelativistischen Demokratie. So schlagen Leggewie und Meier eine Gewaltgrenze für den politischen Meinungskampf vor, da diese sowohl politische Neutralität aufweise als auch unideologisch und berechenbar sei.349 Ein Demokratieschutz sei unter der Prämisse „radikale[n] Pluralismus“ an346  Zöller,

in: SK-StGB, 8. Aufl. (148. Lfg.) 2014, § 83 Rn. 1. dazu Abschnitt D.III., D.IV., D.V., D.VI. 348  Vgl. dazu Abschnitt D.VII.1. 349  Leggewie / Meier, Republikschutz, 1995, S. 18, 249. 347  Vgl.



VI. Einordnung der Meinungsäußerungsdelikte in das Grundgesetz183

ders nicht möglich, da inhaltlich keine Vorgaben in den Kategorien richtig und falsch gemacht werden könnten.350 Gewalt hingegen würde jeden politischen Diskurs beenden, da dieser allein auf argumentativen Austausch basiere.351 Das Gewaltkriterium wäre damit eine zwar hohe, zugleich aber eine „klar[e], berechenbar[e] und politisch neutral[e]“ Eingriffsschwelle.352 Nur so ließen sich „Gesinnungsdruck vermeiden und demokratische Freiheitsrechte verteidigen“353. Ein solches Verständnis von Demokratieschutz bei bloßer Abwehr bestimmter politischer Methoden existierte bereits in der Weimarer Republik, da gemäß dem der WRV zugrunde liegenden Wertrelativismus Verfassungsfeindlichkeit konzeptionell nicht denkbar war.354 Der einzige Abwehrmechanismus der WRV bezog sich auf verfassungsfeindliche Methoden, also etwa der politischen Gewalt.355 Wichtiger Mechanismus der wehrhaften Demokratie nach grundgesetzlicher Verfasstheit ist die Vorverlagerung von Abwehrmaßnahmen, zum Beispiel durch die Einsetzung von Verfassungsschutzämtern oder durch die Verwirkung von Grundrechten trotz „legaler“ (also: nicht strafbarer), aber zugleich verfassungsfeindlicher Verhaltensweisen. Wirkungsziel der wehrhaften Demokratie ist demnach der gewaltfreie, geistigpolitische Bereich. Dieser strukturelle Fokus des Wehrhaftigkeitskonzepts darf allerdings nicht dazu verleiten, die Abwehr politisch motivierter Gewalt zu vernachlässigen. Die wehrhafte Demokratie des GG ist nicht beschränkt auf die Abwehr im geistig-politischen Bereich, sondern erweitert um die Abwehr im geistig-politischen Bereich. Das Verbot politischer Gewalt – wenn es sich nicht ohnehin aus den Schutzpflichten des Staates für Leib, Leben, Eigentum etc. ergibt – ist ebenfalls Bestandteil der wehrhaften Demokratie. Gezeigt wurde, dass Gewalt zwar grundsätzlich auch als Meinungsäußerung erkannt werden kann, aber bereits vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit nicht erfasst ist.356 Nach hier vertretener Ansicht handelt es sich bei der relevanten Schutzbereichsgrenze um die der „geistigen Vermittlung“. Eine geistige Vermittlung ist spätestens dann nicht mehr gegeben, wenn im 350  Leggewie / Meier,

Republikschutz, 1995, S. 249. Republikschutz, 1995, S. 249. 352  Leggewie / Meier, Republikschutz, 1995, S. 250, 257. Zitat auf S. 257. 353  Leggewie / Meier, Republikschutz, 1995, S. 261. Beachte aber, dass sie gleichzeitig einen Bruch der von ihnen entworfenen Systematik begehen, indem sie statt der fdG eine „antinazistische Durchbrechung des politisch neutralen Republikschutzes“ (S. 308) fordern, dazu auch S. 19, 282 f., 308 ff. 354  Vgl. dazu umfangreich Abschnitt E.I. 355  U. a. Papier / Durner, AöR 2003, 340 (343). 356  Vgl. dazu die Ausführungen oben unter Abschnitt D.VII.1. 351  Leggewie / Meier,

184

E. Demokratietheoretische Grundlagen und Begründungsfragen

Diskurs durch Gewalt auf andere Personen eingewirkt wird – in diesen Fällen ist der Schutzbereich der Meinungsfreiheit nicht zu eröffnen. Im Zuge der Diskussion um diese Schutzbereichsgrenze wurden verschiedene Ansätze zur Grenzziehung überprüft: Ein ähnlicher Ansatz wird in der Literatur mit der Schutzbereichsgrenzenleihe aus Art. 8 GG vertreten, die allerdings nicht ohne Anpassungen auf die Meinungsfreiheit übertragbar ist. Überzeugen konnte der Ansatz des Bundesverfassungsgerichts letztlich, da dieser insbesondere der überindividuellen Funktion der Meinungsfreiheit357 Genüge tut. Diese Funktion der Meinungsfreiheit (auch: demokratisch-funktionaler Ansatz) – mithin die Gewährleistung politischer Beteiligung, Gestaltung, freier Willensbildung und damit auch demokratisch konsistenter Legitimation – wird durch ein als Schutzbereichsgrenze ausgestaltetes Gewaltverbot (als Kriterium „geistige Vermittlung“) geschützt. Kann diese Schutzbereichsgrenze nunmehr als verfassungsrechtliche Ausprägung des Wehrhaftigkeitskonzeptes verstanden werden? Die Wehrhaftigkeit des Grundgesetzes ist kein abschließend enumerierter Katalog von Verfassungsvorschriften, sondern vielmehr ein Sammelbegriff für all die Institutionen, Vorschriften etc., die die fdG schützen.358 Schutzzweck der Schutzbereichsgrenze ist insbesondere der Schutz des demokratischen Prozesses, womit ein Kernbestandteil der fdG angesprochen ist. Zwar ist die Meinungsfreiheit selbst auch Bestandteil der fdG, womit der Schutz der Meinungsfreiheit auch stets als Schutz der fdG betrachtet werden könnte, allerdings wird mit der Schutzbereichsgrenze auch die Meinungsfreiheit zum Schutz der Meinungsfreiheit eingeschränkt. Insofern ergibt sich ein „argumentatives Patt“, das zur Klassifizierung als Instrument wehrhafter Demokratie ungeeignet ist. Die Einordnung in das Wehrhaftigkeitskonzept kann aber bereits aufgrund der demokratisch-funktionalen Zielbestimmung der Schutzbereichsgrenze erfolgen. Damit ist festzustellen, dass neben den beschriebenen inhaltlichen Abwehrbestimmungen auch solche existieren, die allein auf die politische Methode gerichtet sind. Gewalt in der (politischen) Debatte ist grundrechtlich nicht durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützt und als Schutzbereichsgrenze auch Instrument wehrhafter Demokratie. 4. Zwischenergebnis „Denkt man“ die Meinungsäußerungsdelikte als ein Instrument wehrhafter Demokratie, kommt es in der Konsequenz zu systemischen Ungereimtheiten. Die Meinungsfreiheit ist nämlich einerseits konstituierend für die fdG, andererseits muss die fdG aber auch vor der Meinungsfreiheit geschützt werden. 357  Vgl. 358  Vgl.

dazu Abschnitt C.II.3.b). dazu Abschnitt E.III.3.



VII. Begriffsbestimmung: „Wehrhafte“ oder „streitbare“ Demokratie?185

Aufgrund dieser Bedeutungszuschreibung zur Meinungsfreiheit wird eine Bipolarität der Meinungsfreiheit im System der wehrhaften Demokratie deutlich: Sie ist für das System notwendige Voraussetzung und Gefahr zugleich (demokratietheoretisches Paradoxon). Diese Bipolarität entspringt dem Begründungsansatz der Meinungsfreiheit vor allem auch durch das Bundesverfassungsgericht (demokratisch-funktionaler Ansatz). Die Darstellungen komplettieren das Spannungsbild der Meinungsäußerungsverbote. Die Meinungsfreiheit spielt auf beiden Seiten der Medaille „fdG“ eine Rolle: Historisch nachvollziehbar ist sie Garant der Grundordnung geworden; insofern kommt ihr eine überindividuelle, staatstheoretische Bedeutung zu. Nunmehr lässt sich vor den Feststellungen zur wehrhaften Demokratie aber auch erahnen, dass sie eine Gefahr für die fdG darstellen könnte. Welche Konsequenzen lassen sich also aus der Einordnung ziehen? Bislang können noch keine Aussagen zur Funktionalität der untersuchten Meinungsäußerungsverbote im System wehrhafter Demokratie getroffen werden. Festgestellt wurde soweit allein, dass es sich bei den untersuchten Meinungsäußerungsdelikten um Instrumente wehrhafter Demokratie handelt. Ob und wie diese Verbote geeignet sind, Gefahren für die fdG abzuwehren, ist in einem nächsten Schritt zu klären. Dazu ist zunächst zu untersuchen, ob Meinungsäußerungen der vorliegenden Art überhaupt eine Gefahr für die fdG darstellen können (Abschnitt G.III.). In einem weiteren Schritt ist sodann zu prüfen, ob die konkreten, hier untersuchten Meinungsäußerungsdelikte eine Gefahr für die fdG und die Meinungsfreiheit darstellen (Abschnitt G.IV.).

VII. Begriffsbestimmung: „Wehrhafte“ oder „streitbare“ Demokratie? Das Konzept wird – wenngleich nicht ausdrücklich im GG genannt – sowohl als „streitbare“ als auch als „wehrhafte“ Demokratie bezeichnet.359 Im englischen Sprachraum wird gemeinhin von „militant democracy“ gesprochen (s. o.).360 Fraglich ist, welcher dieser Begriff das Konzept genauer beschreibt.

359  Vgl. aber zu den weiteren bekannten Begriffsbezeichnungen, etwa „befestigt“, „kämpferisch“ (Jesse, Demokratie in Deutschland, 2008, S. 320), „wachsam“ oder „militant“ (Jesse, in: Backes / Jesse, Gefährdungen der Freiheit, 2006, S. 499 und bei Jaschke, TD 2004, 109 (113 f.); Becker, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts VII, 1992, § 167 Rn. 3). Dazu auch Jesse, Streitbare Demokratie, 1980, S. 20 f., der davon abrät die Begriffe „militant“ und „kämpferisch“ zu benutzen, da diese dem liberalen Charakter des Staates nicht gerecht würden. 360  Vgl. auch Flümann, Streitbare Demokratie, 2015, S. 93.

186

E. Demokratietheoretische Grundlagen und Begründungsfragen

Gemeinhin werden diese Begriffe synonym verwendet.361 In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist vorwiegend der Begriff „streitbare Demokratie“362 zu finden, jedoch hat das Gericht auch den Begriff „wehrhafte Demokratie“ verwendet.363 Eine einheitliche Bezeichnung kann in der Rechtsprechung damit zwar nicht festgestellt werden, jedoch eine Tendenz zur Verwendung des Begriffs „streitbare Demokratie“. Eine genauere Bezeichnung des Konzeptes ist allerdings im Begriff „wehrhafte Demokratie“ zu sehen – insofern ist Schliesky zuzustimmen.364 Dieser führt zutreffend aus, dass der Begriff „wehrhafte Demokratie“ den konzeptionellen Kern genauer darlegt, da er die Abwehr demokratiefeindlicher Bestrebungen verdeutlicht.365 Der Begriff „streitbar“ hingegen ist mehrdeutig und könnte auch verstanden werden als eine Demokratie, die die Kritik an der Staatsordnung womöglich gar fördert. Schliesky versteht den Begriff als „Streit mit den Feinden der Demokratie“366, wobei auch dieses Verständnis dem Kern des Konzeptes nicht gerecht wird. Dies gilt insbesondere mit Blick auf das Äquivalent der sogenannten „militant democracy“.367 Die „Streitbar361  Eine synonyme Verwendung findet sich etwa in: BVerfGE 39, 334 (369) = BVerfG, Beschl. v. 22.5.1975  – 2 BvL 13 / 73, NJW 1975, 1641 (1647 / 1651). Auch werden andere Synonyme verwendet, wie etwa „militant“ oder „kämpferisch“, vgl. Jesse, Demokratie in Deutschland, 2008, S. 320. 362  Der Begriff der „streitbaren Demokratie“ kann wohl auf Karl Mannheim zurückgeführt werden in Mannheim, Diagnose unserer Zeit, 1951. So zumindest Lameyer, Streitbare Demokratie, 1978, Fn. 1 auf S. 13. 363  Der Begriff der „streitbaren Demokratie“ taucht u. a. in folgenden Entscheidungen des BVerfG auf: BVerfGE 134, 141 (179) = BVerfG, Urt. v. 17.9.2013 – 2 BvR 2436 / 10, 2 BvE 6 / 08, NVwZ 2013, 1468 (1472); BVerfG, Urt. v. 15.12.1970  – 2 BvF 1 / 69, 2 BvR 629 / 68, 308 / 69, NJW 1971, 275 (277 / 283 / 284); BVerfGE 28, 37 (49) = BVerfG, Beschl. v. 18.2.1970  – 2 BvR 531 / 68, NJW 1970, 1268 (1269); BVerfGE 5, 85 (139) = BVerfG, Urt. v. 17.8.1956  – 1 BvB 2 / 51, NJW 1956, 1393 (1397). Der Begriff „wehrhafte Demokratie“ hingegen in folgender Entscheidung, in der aber beide Begriffe auch (synonym) verwendet werden: BVerfGE 39, 334 (369) = BVerfG, Beschl. v. 22.5.1975  – 2 BvL 13 / 73, NJW 1975, 1641 (1647 / 1651). Nebeneinander werden die Begriffe vom BVerfG verwendet in, BVerfG, Beschl. v. 24.3.2001 – 1 BvQ 13 / 01, NJW 2001, 2069 (2070): „[…] Ausdruck einer wehrhaften und streitbaren Demokratie.“ 364  Schliesky, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts XII, 3. Aufl. 2014, § 277 Rn. 15. Ähnlich auch Becker, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts VII, 1992, § 167 Rn. 3. Anderer Auffassung ist Lameyer, Streitbare Demokratie, 1978, S. 13, der durchgehend den Begriff der „streitbaren Demokratie“ verwendet. 365  Schliesky, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts XII, 3. Aufl. 2014, § 277 Rn. 15. 366  Schliesky, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts XII, 3. Aufl. 2014, § 277 Rn. 15. 367  Schliesky, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts XII, 3. Aufl. 2014, § 277 Rn. 15.



VIII. Ergebnis und Anschlussfragen187

keit“ im Sinne einer Kampfbereitschaft ist zudem einem eher veralteten Begriffsverständnis zuzuordnen, während heutzutage unter „streitbar“ vielmehr eine kritische Auseinandersetzung verstanden wird.368 Auch andere Vertreter der Lehre, etwa Bulla, haben die Unstimmigkeiten des Begriffes „streitbare Demokratie“ festgestellt, aus Gründen der Gebräuchlichkeit auf eine präzisere Terminologie aber verzichtet.369

VIII. Ergebnis und Anschlussfragen Mittels der vorstehenden historischen und theoretischen Darstellungen wurde nachgezeichnet, wie sich der verfassungsgebende Wille zur wehrhaften Demokratie ableitet und entwickelt hat. 1. Die WRV als liberale Demokratiekonzeption Ausgangspunkt der Untersuchung und verfassungshistorischer Anknüpfungspunkt für die Wehrhaftigkeitskonzeption des GG ist die liberale, wertrelativistische WRV der Weimarer Republik. Der Weimarer Fokus auf das negative Freiheitsspektrum politischer Teilhaberechte (bzw.: status libertatis) wie der Meinungsfreiheit bei gleichzeitiger politischer Indifferenz auch gegenüber den Feinden der Freiheit hat nach Auffassung der Verfassunggeber des GG sowie eines bedeutenden Teils der frühen bundesrepublikanischen Wissenschaft dazu geführt, dass die nationalsozialistische Schreckensherrschaft unter Zuhilfenahme der sogenannten „Legalitätsstrategie“ überhaupt erst zur Entstehung gelangen konnte. Verfassungsfeindliche Ziele waren mangels Wertgebundenheit der WRV bereits rechtlich-konzeptionell nicht möglich, sodass allein bestimmte politische Methoden – insbesondere Gewalt – abgewehrt werden konnten. Diese verfassungsrechtliche Konzeption sollte in „antithetischer Dialektik“370 zum autoritär veranlagten, monarchistischen Obrigkeitsstaat sicherstellen, dass (staatliche) Ideologien verfassungsrechtlich nicht verfestigt und dadurch demokratische Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse behindert oder beschränkt werden.

368  Vgl. dazu die Bedeutungsübersicht zum Begriff „streitbar“ im Duden. Abrufbar unter zuletzt besucht am 20.09.18. 369  Bulla, AöR 1973, 340 (342). 370  Leibholz, Auflösung der liberalen Demokratie, 1933, S. 22. Vgl. dazu auch Bonn, Zur Krise der Demokratie: Politische Schriften, 1919–1932, 2015, S. 201, 206.

188

E. Demokratietheoretische Grundlagen und Begründungsfragen

2. Militante Demokratie Parallel zur zunehmenden Bedrohung der WRV und der Weimarer Repu­ blik insgesamt durch demokratiefeindliche Kräfte wie der NSDAP haben sich seit 1918 Konzeptionen einer wehrhaften Demokratie, genauer einer militanten Demokratie herausgebildet. Mit der Entwicklung eines solchen „Militanz“-Konzeptes sollte die freiheitliche Demokratie zumindest für politische Krisenzeiten mit Instrumenten ausgestattet werden, die eine Abwehr demokratiefeindlicher Angriffe ermöglichten. Die verschiedenen Wehrhaftigkeitskonzepte konnten sich zwar in der Weimarer Republik nicht durchsetzen, sind aber Anknüpfungspunkte für Untersuchungen des GG. 3. Grundgesetzliche Wehrhaftigkeit Aus den Überlegungen zur Militanz bzw. Wehrhaftigkeit einer Demokratie wurde mit dem GG unter dem Eindruck der vergangenen nationalsozialistischen Schreckensherrschaft „reflexhafte“ verfassungsrechtliche Wirklichkeit. Grundannahme der Verfassunggebung des GG war, dass die NS-Herrschaft überhaupt erst durch die Abwehrschwäche der WRV ermöglicht wurde. Entsprechende Gegenmaßnahmen wurden verfassungsrechtlich kodifiziert und in der Folge von Rechtsprechung und Literatur zum Verfassungsprinzip erhoben. Im Mittelpunkt verfassungsrechtlicher Maßnahmen zur „Wehrhaftmachung“ des GG steht die Wertgebundenheit (Art. 79 Abs. 3 GG). Schutzobjekt der wehrhaften Demokratie ist nicht die Wertordnung des Art. 79 Abs. 3 GG, sondern die fdG als Teilmenge des Art. 79 Abs. 3 GG. Verfassungsrechtlich kodifizierte Instrumente der wehrhaften Demokratie finden sich unter anderem in der Normtrias der Art. 9 Abs. 2, 18 und 21 Abs. 2 GG. Wehrhaft ist die Demokratie in zwei Richtungen, nämlich gegen Missbrauch „von oben“ und „von unten“. Die Beschneidung politischer Freiheitsrechte fällt in die Gefahrenabwehr „von unten“. Bevorzugte Wirkrichtung der wehrhaften Demokratie ist die Prävention und Vorverlagerung von Abwehr-Maßnahmen in das Vorfeld konkreter Gefahrenanknüpfungen. Das Grundgesetz ist damit nicht ein international austauschbares Grundlagenwerk moderner Demokratien, sondern vielmehr ein umfassend durch deutsche Geschichte geprägtes Verfassungssystem, das ohne historische Rückschauen nicht verstanden werden kann. 4. Lehren aus Weimar Des Weiteren wurde die Grundannahme der Verfassunggeber des GG, der Wertrelativismus sowie die daraus resultierende Abwehrschwäche der WRV seien Voraussetzung für die NS-Machtergreifung, einer kritischen Analyse



VIII. Ergebnis und Anschlussfragen189

unterzogen. Ziel dieser Analyse war, eine weitergehende Aussage darüber zu treffen, ob es sich bei der Wehrhaftigkeit des GG um eine historisch schlüssige Konsequenz zur Abwehr demokratiefeindlicher Angriffe handelt. Historisch relevante Erkenntnisse zur Beantwortung dieser Frage sind insbesondere, dass die NS-Machtergreifung in einer nur wenig demokratieverwurzelten Gesellschaft geschah – Demokratie war weder eine populäre noch eine von der Bevölkerung umfassend verstandene Idee. Darüber hinaus gab es keine zivilgesellschaftliche Konsentierung zum Umgang mit dem Ersten Weltkrieg oder der resultierten Kriegsniederlage, was zu erheblichen innenwie auch außenpolitischen Spannungen und gewaltsamen politischen Auseinandersetzungen führte. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde durch die innenpolitischen Zerrüttungen in großem Maße begünstigt. Die Nationalsozialisten verfuhren zudem nach einer grotesk-opportunen Doppelstrategie unter dem Euphemismus „Legalitätstaktik“, indem sie in opportunen Kontexten vorgaben, der Verfassung gegenüber loyal zu sein, tatsächlich aber von intrinsischer Demokratieverachtung getrieben waren und allein die politische und institutionelle Destabilisierung der Weimarer Republik vorantrieben. Von einer „Legalität“ der Machtergreifung kann auch im Lichte der abwehrschwachen WRV nicht gesprochen werden, da unter anderem Gewalt, Zwang und Einschüchterungen von den Nationalsozialisten auch im parlamentarischen Kontext ebenso wie formelle und materielle Verfassungsverstöße vielfältig zur Machtkonsolidierung eingesetzt wurden – es handelte sich demnach um eine „pseudolegale“ Machtergreifung. Schutzmechanismen der WRV wurden, obwohl es sie gab, aufgrund der mangelnden Demokratieverwurzelung in der Bevölkerung nicht oder nur unzureichend durchgesetzt. Festgestellt wurde deshalb, dass das monokausale Verständnis einer nationalsozialistischen Machtergreifung schlichtweg zu kurz greift. In der Konsequenz ist auch die Grundannahme der Verfassunggeber zur wehrhaften Demokratie als nur bedingt weitsichtig einzuschätzen. Die Wehrhaftigkeitskonzeption lässt eine hinreichende Würdigung zivilgesellschaftlicher Demokratieverwurzelung für das Staatsfunktionieren vermissen. 5. Kritik und Krise der wehrhaften Demokratie Eine verfassungsrechtliche Unterbetonung zivilgesellschaftlicher Verantwortung für die Demokratieverteidigung ist sodann auch maßgebender Kritikpunkt des Wehrhaftigkeitskonzeptes. Vor allem in Zeiten politischen Friedens ist zivilgesellschaftliches Verantwortungsbewusstsein wichtiger Stabilitätsfaktor für effektiven und nachhaltigen Demokratieschutz, womit insbesondere der staatliche Gestaltungsauftrag in den Fokus der wehrhaften Demokratie rücken muss. Die Verabsolutierung einer Wertordnung ist für eben dieses zivilgesellschaftliche Eintreten jedoch gefährlich, da es die Kon-

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E. Demokratietheoretische Grundlagen und Begründungsfragen

sentierung abseits staatlich-autoritärer Schutzmechanismen überflüssig macht – an die Stelle zivilgesellschaftlichen Verantwortungsbewusstseins könnte so Obrigkeitsdenken treten. Ein Weg zur Bewahrung des zivilgesellschaftlichen Konsenscharakters der fdG wäre, zumindest im Rahmen einer Verfassungneugebung gemäß Art. 146 GG die Wertordnung zur Disposition zu stellen. Auch ist das Entstehen einer Abwehr-Ideologie bzw. eines binären Freund-Feind-Schemas zu verhindern, um die demokratisch-funktionale Bestimmung insbesondere des geistig-politischen Diskurses zu wahren. Weiteres Problem der Wertgebundenheit liegt in der Unbestimmtheit derselben bei gleichzeitiger Deutungshoheit vor allem des BVerfG. Nach alledem bleibt zu konstatieren, dass die Überbetonung staatlichen Demokratieschutzes bei gleichzeitiger Unterbetonung zivilgesellschaftlichen Verantwortungsbewusstseins für die Abwehr demokratiefeindlicher Angriffe ein signifikantes Risiko für das Funktionieren einer freiheitlichen Demokratie darstellt. 6. Meinungsäußerungsdelikte als Instrumente wehrhafter Demokratie Schließlich wurde gezeigt: Die untersuchten Meinungsäußerungsdelikte – mithin solche zum Schutz der fdG – fügen sich in das grundgesetzliche Wehrhaftigkeitskonzept. Das Instrumentarium der wehrhaften Demokratie ist nicht verfassungsrechtlich abschließend enumeriert, sondern als ein Sammelprinzip zu verstehen. Als Instrumente im weiteren Sinne können deshalb die fraglichen Strafnormen identifiziert werden, die die fdG schützen. Auch das Wesensmerkmal „Vorverlagerung des Demokratieschutzes“ findet sich in den Strafverboten, da es sich bei diesen um abstrakte Gefährdungsdelikte handelt – eine Anknüpfung an konkrete Gefährdungslagen wird mithin nicht gefordert. 7. Zusammenfassung Gezeigt wurde, dass Demokratie angreifbar ist. Diese auch den Feinden der Demokratie ohne jede Regulierung zu überlassen, wäre „fahrlässig“. Die Weimarer Republik veranschaulicht insofern, welche Missbrauchsmöglichkeiten eine liberale Demokratie ihren Feinden eröffnet. Schlüssige Konsequenz ist deshalb, eine Demokratie wehrhaft zu gestalten. Diese Erkenntnis darf allerdings in ihrer rechtlichen Konsequenz nicht überbewertet werden. Nicht vergessen werden darf, welche Rollen zivilgesellschaftliche Demokratieverwurzelung und Verantwortungsbewusstsein für den Erhalt der Demokratie spielen. Auch insofern veranschaulicht die Weimarer Republik, dass totalitäre Machtergreifungen einer breiten Unterstützung in der Bevölkerung bedürfen, die nicht ausschließlich durch autoritären Zwang verordnet werden kann. Kann aber der Wille zur Unfreiheit nicht staatlich verordnet werden,



VIII. Ergebnis und Anschlussfragen191

kann ebenso wenig der Wille zur Freiheit staatlich verordnet werden. Diese Erkenntnis spiegelt sich nur teilweise im Wehrhaftigkeitskonzept des Grundgesetzes. Das Freiheitssystem ist weitläufigen Beschneidungen zum Schutz des gleichen Freiheitssystems unterworfen, die mitunter als Missverhältnis zwischen institutionalisierten und zivilgesellschaftlichen Schutzmechanismen verstanden werden können. Das Kernelement der wehrhaften Demokratie – die fdG – ist ihrerseits Quelle zahlreicher Freiheitsgefährdungen. Zu denken ist insoweit an die Verabsolutierung von Werten, die Diskontinuität demokratischer Legitimation und der Vorverlagerung des Demokratieschutzes in den geistig bleibenden politischen Bereich. Das Wehrhaftigkeitskonzept des Grundgesetzes ist damit inkonsistent. Eine erste Konsequenz für die Anwendung wehrhafter Instrumentarien ist, dass das Erkennen einer Bedrohung für die fdG nicht zu reflexhaften und ausufernden Abwehrmaßnahmen des Staates führen darf – einem solchen Reagieren liegt regelmäßig ein unterkomplexes Demokratieverständnis zugrunde. Im Folgenden ist daran anknüpfend zu untersuchen, ob die Meinungsäußerungsdelikte zusätzliche Inkonsistenzen und Gefahren eröffnen oder es sich bei diesen um solche Instrumente wehrhafter Demokratie handelt, die in konsistenter Weise die demokratietheoretische Entscheidung für die Wehrhaftigkeit in die Praxis tragen. Im Detail ist dabei zu untersuchen, welche Gefahren von der Meinungsfreiheit für die fdG und – da die Meinungsfreiheit auch Bestandteil der fdG ist – welche Gefahren für die fdG durch den staatlichen Eingriff in die Meinungsfreiheit ausgehen. Zu konstatieren ist insoweit aber bereits, dass sich die Schwächen der grundgesetzlichen Wehrhaftigkeitskonzeption zu einem brüchigen Fundament für weitreichende Freiheitsbeschneidungen summieren (können).

F. Die Meinungsäußerung als Gefahr für die Demokratie: Interdisziplinäre Vorüberlegungen zur Wirkweise und zum Gefahrenpotential von Sprache Festgestellt wurde, dass es sich bei den untersuchten Meinungsäußerungsdelikten um Instrumente der wehrhaften Demokratie handelt. In den Untersuchungen der Abschnitte C. bis E. wurde das Spannungsverhältnis seziert, das sich auf der einen Seite durch die individuelle und überindividuelle Bedeutung der Meinungsfreiheit (C.) und auf der anderen Seite durch Eingriffe in diese Freiheit (D.) offenbart. In einem weiteren Schritt wurde insbesondere aus demokratietheoretischer Sicht das Konzept der wehrhaften Demokratie erörtert und herausgearbeitet, dass auch die untersuchten Meinungsäußerungsverbote zum Schutz der fdG als Instrumente der wehrhaften Demokratie (im weiteren Sinne) eingeordnet werden können (E.). Fraglich ist insoweit jedoch, ob die Meinungsfreiheit überhaupt eine Gefahr darstellt, vor der die fdG zu schützen ist. Regelmäßig wird diese Frage mit der Bemerkung abgetan, dass die Annahme einer Gefahrenlosigkeit naiv wäre.1 Bei dieser Bemerkung soll es vorliegend nicht bleiben. Vielmehr ist zu untersuchen, ob Gefahren fernab „bloß gefühlter“ Bedrohungen feststellbar sind – im Bereich geistiger Wirkungen ein schwieriges Unterfangen. Bevor im Abschnitt G. die von den §§ 83, 86, 86a und 90a StGB ausgehenden Gefahren für die fdG analysiert werden, sollen zunächst aus interdisziplinärer Sicht Vorüberlegungen für die Untersuchung angestellt werden: Aus empirischer und linguistischer Sicht stellt sich dabei die Frage, ob Sprache als wichtigste Ausdrucksform der Meinungsfreiheit gefährlich sein kann und ob Sprache – aus pragmalinguistischer Perspektive – gar Handlungscharakter hat. Arbeitshypothese für diese interdisziplinären Vorüberlegungen soll sein: „Der Spruch: Wenn Worte töten können, ist längst aus dem Irrealis in den Indikativ geholt worden: Worte können töten und es ist einzig und allein eine Gewissensfrage, ob man Sprache in Bereiche entgleiten läßt, wo sie mörderisch wird.“2

Es stellt sich mit Böll also die Frage, ob – überspitzt und als extreme Erscheinungsform – Worte töten können. Es ist zu untersuchen, wie Sprache wirken kann und damit, welche Gefahren von ihr ausgehen können. 1  In Anlehnung an die Eingangsfeststellung von Masing, JZ 2012, 585: „Freiheit ist gefährlich.“ (a. a. O., 585). 2  Böll, Sprachspiegel 1959, 161 (162).



I. Sprache und Gewalt in empirischer Darstellung193

I. Sprache und Gewalt in empirischer Darstellung Post verba verbera?3 Kann eine bloße Meinungsäußerung ohne individuelle, direktive Funktionalität4 Gewalt auslösen? Lässt sich diese Gewaltverursachung empirisch darstellen? Historische Anknüpfungspunkte für diese Untersuchung finden sich etwa in der Folge des Attentats auf den Legationssekretär Ernst Eduard vom Rath im Jahre 1938, das vom NS-Staat propagandistisch dazu genutzt wurde, die sogenannten Novemberpogrome von 1938 zu instigieren.5, 6 Noch eindrück­ licher und vor allem empirisch erschlossener ist jedoch die propagandistische „Förderung“ des Völkermordes an die Tutsi in Ruanda im Jahre 1994.7 Eine besondere Rolle spielte dabei das Wirken des Radiosenders Radio-Télévision Libre des Mille Collines (RTLM), der im Vorfeld der genoziden Handlungen durch gezielte Agitationen und Emotionalisierungen die geistige Haltung der Bevölkerungsgruppe der („loyalen“) Hutu auf die Ermordung einer ganzen Bevölkerungsgruppe vorzubereiten versuchte.8 3  Übersetzung: „Von Worten kommt es oft zu Schlägen.“, nach Kudla, Lexikon der lateinischen Zitate, 2016, Zitat Nr. 3403. 4  Individuelle, direktive Funktionalität i. S. d. der Sprechakttheorie: Nicht im Vordergrund sollen also solche Meinungsäußerungen stehen, die polyfunktional Expressiva als auch Direktiva sind und interpersonal ablaufen, also etwa eine tatbestandliche Anstiftung zur Gewalttat. Vgl. dazu Abschnitt F.II.2. 5  Vgl. zur Vorgeschichte der Novemberprogrome und der propagandistischen Strategie neben vielen anderen etwa Hermann, Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 2008, 603 (613 ff.). 6  Vgl. für ein weiteres historisches Beispiel aus der NS-Herrschaft das Verfahren gegen Julius Streicher vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Nürnberg, dazu: Internationaler Militärgerichtshof Nürnberg (Hrsg.), Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg, Nürnberg 1947, Bd. 1, S. 340 ff., online abrufbar unter zuletzt besucht am 20.09.18. 7  Relevante Studien sind v. a.: Yanagizawa-Drott, The Quarterly Journal of Economics 2014, 1947; Straus, POLITICS & SOCIETY 2007, 609. Auch als empirische (v. a. qualitative Datenerhebungen in Form von Interviews etc.) Grundlage relevant, aber populärwissenschaftlich angelegt: Hatzfeld, Machete Season, 7. Aufl. 2005. 8  Vgl. die Feststellungen des International Criminal Tribunal for Rwanda (ICTR) im Verfahren gegen Georges Riggiu, der als belgischer Staatsangehöriger für RTLM als Moderator arbeitete, sich an diesen Agitationen beteiligte und vom ICTR u. a. wegen direkter und öffentlicher Anstiftung zum Genozid zu 12 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde („direct and public incitement to commit Genocide“), Case No. ICTR97-32-I, Rz. 44 ff. u. IV. (Verdict). Vgl. insoweit auch die Verweise des ICTR auf das Urteil im Verfahren gegen Julius Streicher vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Nürnberg. Vgl. ferner auch die Überlegungen von Frère, Global Media and Communication 2009, 327 aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht.

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F. Die Meinungsäußerung als Gefahr für die Demokratie

In einer Studie von Yanagizawa-Drott aus dem Jahre 2014 wird untersucht, welcher Einfluss dem Wirken von RTLM auf die Gewaltausbrüche zugerechnet werden kann.9 Von außerordentlicher Bedeutung für die mediale Beeinflussung der Bevölkerung war RTLM bereits deshalb, weil in Ruanda im Jahre 1994 aufgrund einer sehr geringen Alphabetisierungsquote und dem geringen Zugang zu (den zumindest damals teuren) Fernsehgeräten medialer Konsum ganz überwiegend durch den Hörfunk, also auch das Radio stattfand.10 Im Wesentlichen zieht Yanagizawa-Drott für die quantitative Datenerhebung einerseits zur Messung der Gewaltbeteiligungen räumlich und zeitlich determinierte Verurteilungszahlen heran; andererseits nutzt er Datenerhebungen zur Sendereichweite des RTLM.11 Ein mehrstufiger Abgleich dieser Daten lässt Yanagizawa-Drott schließlich zu folgendem Ergebnis kommen: Die statistische Auswertung lege nahe, dass insgesamt etwa 10 % der Teilnahmen an den genoziden Gewalttaten durch die Tutsi-feindliche Propaganda des RTLM verursacht wurden.12 Diese Untersuchung ist jedoch nicht unumstritten.13 Zu beachten ist insoweit nämlich, dass eine zeitliche und räumliche Übereinstimmung der Sendezeiten und des Einzugsbereiches der Propagandasendungen einerseits und der Gewalthandlungen andererseits nicht schon unwiderlegbar beweist, dass die Agitationen (mit-)ursachlich für die Straftaten wurden; empirisch liegen zunächst nur Korrelationen vor. Straus kritisierte deshalb bereits in einer früheren Studie die These, dass eine einseitige agitatorische Beeinflussung der Bevölkerung Gewalttaten durch (Teile der) Bevölkerung verursacht habe.14 Anzunehmen ist aber auch nach Straus, dass Agitationen wie in Ruanda die Gewaltgeneigtheit zumindest erhöhen und verstärken sowie einzelne Gewalttaten möglicherweise auch verursachen.15 9  Yanagizawa-Drott,

The Quarterly Journal of Economics 2014, 1947. The Quarterly Journal of Economics 2014, 1947 (1948). 11  Yanagizawa-Drott, The Quarterly Journal of Economics 2014, 1947 (1959 ff., 1961 ff.). 12  Yanagizawa-Drott, The Quarterly Journal of Economics 2014, 1947 (1950, 1989). Im Weiteren differenziert Yanagizawa-Drott nach Gewalttaten durch militärische Gruppen und bewaffnete Gruppen, die ihm zufolge sogar zu einem noch höheren Anteil durch die Propaganda des RTLM verursacht wurden (S. 1989). 13  Dazu Sponholz, Hate Speech in den Massenmedien, 2018, S. 39. 14  Vgl. etwa Straus, der mittels Zeitabgleiches, Ausstrahlungsbereiches und Interviews mit Tätern die These in Zweifel zieht, die Propaganda von RTLM sei maßgebend für den Genozid mitursächlich: Straus, POLITICS & SOCIETY 2007, 609. 15  Straus, POLITICS & SOCIETY 2007, 609 (631): „Based on these findings, it is plausible to hypothesize that radio had conditional and marginal effects. Radio did not cause the genocide or have direct, massive effects. Rather, radio emboldened hard-liners and reinforced face-to-face mobilization, which helped those who advocated violence assert dominance and carry out the genocide.“ Ferner: „In sum, to 10  Yanagizawa-Drott,



II. Pragmalinguistische Analyse: Meinungsäußerungen als Sprechakte195

Trotz der berechtigten Bedenken von Straus zeigen sich mit Blick auf die historischen Beispiele aber die von Meinungsäußerungen – im Stile der Vorfeldagitation – ausgehenden Gefahren. Diese Gefahren sind auch für den Schutz der fdG relevant: Historisch, wenngleich nicht kausal, lässt sich der Einfluss propagandistischer Emotionalisierungen auf Schutzgutsverletzungen nachvollziehen. Durch die NS-Propagandamaschinerie bis hin zur Agita­ tionsarbeit des RTML in Ruanda wurden Gewalttaten gesellschaftlicher Akzeptanz eröffnet, also normalisiert und legitimiert, und letztlich auch zur Realität.16 Solche Meinungsäußerungen können mithin auch im Bereich der Vorfeldagitation die Gewaltgeneigtheit und das Gefahrenpotential von Schutzgutsverletzungen erhöhen. Dies gilt auch für das Schutzgut der fdG, das bei Aufhetzung gegen eben diese Ordnung erhöhte Gefahr läuft, durch konkrete Angriffe auf Institutionen oder Personen (als Vertreter der Institutionen) beeinträchtigt zu werden.

II. Pragmalinguistische Analyse: Meinungsäußerungen als Sprechakte Hinzukommend zur empirischen Analyse soll aus sprachwissenschaftlicher Sicht eine Annäherung an die Frage versucht werden, wie Sprache nicht nur als Zeichensystem an sich funktioniert, sondern in den Kontexten ihrer Verwendung wirkt. Diese Erkenntnisse zur Wirkweise der Sprache sollen als ein weiterer Anhaltspunkt für die Gefahrenallokation dienen. Gemeinhin wird das bloße Sprechen (oder, vgl. die Ausführungen zu den Ausdrucksformen der Meinungsfreiheit, das Schreiben etc.) von der Handlung bzw. der „Tat“17 abgegrenzt. Eine Gleichsetzung ist im Alltagsverständnis selten – „eine klare claim that RTLM had no effect would be to overstate the case, just as to claim radio caused the genocide is overly simplistic and empirically unsupportable.“ (a. a. O., S. 632). 16  Zu bedenken ist insoweit aber auch, dass die Publizität von Meinungsäußerungen heute eine andere ist; die Weite der Internetkommunikation erschwert eine zentral gesteuerte, einseitige propagandistische Beeinflussung erheblich. Anders verhält es sich bei frei gewählter propagandistischer Beeinflussung, indem bei Nachrichtenkonsum v. a. in sozialen Netzwerken durch Präferenz-Einstellungen lediglich Informationen bestimmter Medien zugelassen werden. Der Unterschied liegt insofern im Detail „zentral gesteuert“. Vgl. nur wie trotz durch die Internetkommunikation verfügbarer Meinungspluralität bestimmte politische Gruppen etwa in den USA oder in Deutschland es schaffen, Misstrauen gegenüber Medien aufzubauen (Stichwort: „Lügenpresse“) und dadurch ihre politische Anhängerschaft zur Meinungsbildung aus einseitig unterrichteten Informationsquellen bewegen und einen Meinungsmonismus prägen. 17  „Tat“ im nicht-strafrechtlichen Sinne, vgl. dazu die Bedeutungsübersicht (1.a.) im Duden zur „Tat, die“: „etwas, was jemand tut, getan hat; Handlung“ abrufbar unter zuletzt besucht am 20.09.18.

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F. Die Meinungsäußerung als Gefahr für die Demokratie

Demarkationslinie“ zwischen Sprache und Handlung wird vermutet;18 Dikta wie „Keine Worte, sondern Taten.“ oder „Taten sagen mehr als Worte.“ sind verbreitet.19 In diesem Verständnis existiert Sprache als eine Art objektivabstraktes Gebilde. Können Worte aber Handlungen sein? Sprachwissenschaftlicher Anknüpfungspunkt für diese Vorüberlegungen ist mit der Sprechakttheorie (Speech Act Theory) ein Teilbereich der linguistischen Pragmatik, zurückgehend auf John L. Austin und John Searle.20 Die Sprechakttheorie untersucht „das Handeln mit und in Sprache“21; ihr zufolge ist eine Äußerung oder, allgemeiner, Sprache stets auch Handlung.22 Die sprachwissenschaftliche Unterfütterung der Untersuchung soll verhindern, dass die Gefahrenzurechnungen im Ungefähren bleiben. Die Sprechakttheorie als in der Linguistik verbreitete Ansicht dient der Systematisierung und Strukturierung der hier untersuchten Sprache – den Meinungsäußerungen. Sie hilft, „Sprache“ für die weitere Untersuchung zu operationalisieren. Zu beachten ist insoweit, dass eine sprachwissenschaftliche Untersuchung in aller Tiefe aufgrund der Komplexität der linguistischen Pragmatik in der vorliegenden Arbeit nicht geleistet werden kann – die Darstellungen sind als Überblick der sprachwissenschaftlichen Zusammenhänge zu verstehen. Sie dienen als Anknüpfungspunkt und Eindruck der Wirkweise von Sprache. Um eine abschließende linguistische Untersuchung handelt es sich dabei nicht. Ferner gilt zu beachten, dass die Untersuchung sich auf die Wirkweise von Sprache reduziert. Sie erstreckt sich nicht auf die Wirkweisen anderer, ebenfalls von der Meinungsfreiheit erfasster Ausdrucksformen.23 18  Vgl. dazu Krämer, Gewalt der Sprache – Sprache der Gewalt, 2004, S. 5. Zitat a. a. O. 19  Vgl. dazu auch Pafel, in: Meibauer u. a., Einführung in die germanistische Linguistik, 3. Aufl. 2015, S. 233. 20  Vgl. dazu das Grundlagenwerk von Austin, How to do things with words, 1962 und Searle, Speech Acts, 1969. Vgl. ferner die Einführung bei Pafel, in: Meibauer u. a., Einführung in die germanistische Linguistik, 3. Aufl. 2015, S. 233 ff. und den ausführlicheren Überblick der Theorienentwicklung bei Collavin, in: Bublitz / Norrick, Foundations of Pragmatics, 2011, S. 373 ff. 21  Felder, in: Felder / Vogel, Handbuch Sprache im Recht, 2017, S. 49. 22  Austin, How to do things with words, 1962, S. 55 ff., 67 ff. Dazu auch Searle, Speech Acts, 1969, S. 16. Vgl. aber auch bereits die einflussreichen Ausführungen von Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, 4. Aufl. 2008 (Erstausgabe 1953), § 43: „Man kann für eine große Klasse von Fällen der Benützung des Wortes „Bedeutung“ – wenn auch nicht für alle Fälle seiner Benützung – dieses Wort so erklären: Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache.“ (Betonung wurde nicht vom Autor hinzugefügt.) In neuerer Wissenschaft, sogar der Kognitionslinguistik, hat sich dieses Axiom ebenfalls durchgesetzt, vgl. etwa Schwarz-Friesel, Sprache und Emotion, 2. Aufl. 2013, S. 22. 23  Vgl. zu den neben der Sprache ebenfalls von der Meinungsfreiheit erfassten Ausdrucksformen oben unter Abschnitt D.VII.1.



II. Pragmalinguistische Analyse: Meinungsäußerungen als Sprechakte197

1. Sprechakttheorie (Speech Act Theory) nach Austin und Searle Am Anfang der Überlegungen Austins zur Sprechakttheorie stand die grobe Unterscheidung zwischen „performativen“ und „konstativen Äußerungen“: Performative stellen dabei nicht nur eine Äußerung dar, sondern zugleich auch eine Handlung, während Konstative eine Äußerung ohne Handlung darstellen, also etwa „einen wahren oder falschen Bericht über etwas.“24 Diese Zweiteilung in „Äußerung als Handlung“ und „Äußerung ohne Handlungscharakter“ lässt sich bei genauerem Hinsehen allerdings nicht aufrecht erhalten, da auch eine konstative Äußerung so paraphrasiert werden kann, dass es sich um eine performative Äußerung handelt. Die Konstative „Das Schiff hieß Lord Nelson.“ kann paraphrasiert werden in: „Ich behaupte, das Schiff hieß Lord Nelson.“25 Die Handlung wird nach dieser Paraphrasierung im (performativen) Verb sichtbar; sie liegt in der Behauptung. In der weiteren Entwicklung der Sprechakttheorie wurde die Unterscheidung zwischen Konstative und Performative deshalb aufgegeben, da jede Äußerung, jedes Sprechen – auch augenscheinliche Konstative – Handlung, also performativ ist.26 Die Unterscheidung, die nunmehr vorgenommen wird, ist eine solche zwischen expliziten und impliziten Performativen – sie liegt darin, ob die Handlung in der Sprache ausdrücklich oder nicht ausdrücklich wird.27

24  Pafel, in: Meibauer u. a., Einführung in die germanistische Linguistik, 3. Aufl. 2015, S. 234. Pafel verdeutlicht die performative Äußerung mit dem Beispiel „Ich taufe dieses Schiff hiermit auf den Namen Lord Nelson.“ und die konstative Äußerung mit dem Beispiel „Das Schiff hieß Lord Nelson.“ Zitate a. a. O. (Hervorhebung wurde nicht durch den Autor hinzugefügt.). 25  Vgl. die Bsp. bei Pafel, in: Meibauer u. a., Einführung in die germanistische Linguistik, 3. Aufl. 2015, S. 236. 26  Austin, How to do things with words, 1962, S. 55 ff., 67 ff. Dazu auch Searle, Speech Acts, 1969, S. 16: „speaking a language is performing speech acts, acts such as making statements, giving commands, asking questions, making promises, and so on“ oder (S. 22): „speaking a language is engaging in a rule-governed form of behavior“; ferner Hamel, Strafen als Sprechakt, 2009, S. 42; Pafel, in: Meibauer u. a., Einführung in die germanistische Linguistik, 3. Aufl. 2015, S. 236; Finkbeiner, Einführung in die Pragmatik, 2015, S. 13; Collavin, in: Bublitz / Norrick, Foundations of Pragmatics, 2011, S. 373: „In a nutshell, speech act theory advances the fundamental claim that speech is a form of action rather than a device for describing the world.“ Vgl. auch die späteren Ausführungen von Searle dazu, wie Sprache soziale Wirk­ lichkeit konstituiert, in Searle, Making the Social World, 2011. 27  Austin, How to do things with words, 1962, S. 32. Vgl. ferner Pafel, in: Meibauer u. a., Einführung in die germanistische Linguistik, 3. Aufl. 2015, S. 236; Finkbeiner, Einführung in die Pragmatik, 2015, S. 13: Explizit performative Äußerungen liegen danach vor, wenn „mit der [Äußerung] die vollzogene Sprechhandlung zugleich bezeichnet wird.“

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F. Die Meinungsäußerung als Gefahr für die Demokratie

Nach Etablierung der Sprache als Handlung wird in der Sprechakttheorie nach neuerer Auffassung Searles der Sprechakt als solcher unterteilt in einen Äußerungsakt (utterance act), einen propositionalen Akt (propositional act), einen illokutionären Akt (illocutionary act) sowie einen perlokutionären Akt (perlocutionary act).28 Der Äußerungsakt selbst spielt für die vorliegende Untersuchung keine bzw. nur eine geringe Rolle, da es sich dabei (nur) um phonetische, grammatische und semantische Aspekte handelt.29 Relevant für die vorliegende Untersuchung sind hingegen propositionaler, illokutionärer und perlokutionärer Akt, da diese sowohl über kommunikative Funktion als auch Wirkung Auskunft geben. Der propositionale Akt (propositional act) setzt sich zusammen aus Referenz- und Prädiktionsakt (reference und predication).30 Die Referenz ist zu verstehen als Bezugnahme auf bestimmte Objekte; die Prädiktion hingegen als Zuordnung von Eigenschaften zum Objekt.31 Der illokutionäre Akt ist von zentraler Bedeutung für den Sprechakt und die Kommunikation insgesamt, da in diesem Akt durch den Sprecher der Äußerung eine Bestimmung beigeordnet wird.32 Die Illokution stellt also dar, was der sich Äußernde mit seiner Äußerung eigentlich „tun will“.33 Denkbar ist etwa die Einordnung der Äußerung als Warnung, Drohung, Bitte usw., d. h. der Sprecher will warnen, drohen oder bitten.34 Indikatoren wie Satzart, Modus und Intonation ermöglichen, den Sprecherwillen zu ermitteln.35 Insofern wird auch der Unterschied zum propositionalen Akt deutlich: Dieser referiert zwar auf ein Objekt (Referenz) und ordnet diesem auch eine Eigenschaft zu (Prädiktion), doch bleibt zunächst unklar, was der Sprecher eigentlich tun will. Denkbar ist deshalb, dass bei gleichbleibendem propositionalen Gehalt die Sprechakte durch unterschiedliche illokutionäre Kräfte eine jeweils andere Bedeutung bekommen.36 Der perlokutionäre Akt stellt 28  In Abweichung zu Austins Konzept setzt Searle einen Äußerungsakt (utterance act) und einen propositionalen Akt (propositional acts) voraus, vgl. Searle, Speech Acts, 1969, S. 24. Wie bei Austin hingegen gestaltet sich das Konzept von Searle bezüglich illokutionären und perlokutionären Akt, vgl. Searle, Speech Acts, 1969, S. 25. 29  Vgl. Searle, Speech Acts, 1969 S. 24 zur Natur des Äußerungsakts sowie des propositionalen Akts. 30  Searle, Speech Acts, 1969, S. 24 f., 26 ff. 31  Searle, Speech Acts, 1969, S. 24 f. 32  Deutlich dazu: Ehrhardt / Heringer, Pragmatik, 2011, S. 61. Primär aber Searle, Speech Acts, 1969, S. 23, 29 ff., 54 ff. 33  Ehrhardt / Heringer, Pragmatik, 2011, S. 61. 34  Searle, Speech Acts, 1969, S. 23, 66. 35  Ehrhardt / Heringer, Pragmatik, 2011, S. 61. 36  Vgl. dazu etwa das Bsp. bei Hamel, Strafen als Sprechakt, 2009, S. 44: „a) Bruno ist fleißig. b) Ist Bruno fleißig? c) Bruno, sei fleißig! d) Ach wäre Bruno doch fleißig! Die Äußerungen a) bis d) besitzen zwar ganz unterschiedliche illokutionäre



II. Pragmalinguistische Analyse: Meinungsäußerungen als Sprechakte199

die (unmittelbaren) Effekte bzw. Auswirkungen auf das Handeln, Denken, die Gefühle etc. der Adressaten bzw. Hörer dar, die der Sprechakt hat, etwa eine Verunsicherung, Beruhigung oder Überzeugung des Äußerungsempfängers.37 Wesen der Perlokution ist damit, „den Zustand der Welt zu verändern oder eine anstehende Veränderung zu verhindern“38, also den Adressaten beispielsweise zu bestimmten Gedanken oder Gefühlen veranlasst zu haben.39 Zu beachten ist insoweit, dass der perlokutionäre Akt auch fehlschlagen kann: Will der sich Äußernde den Äußerungsempfänger verunsichern, lässt dieser sich durch den Sprechakt aber nicht verunsichern, ist die Perlokution nicht erfolgreich bzw. fehlgeschlagen – ein Fehlschlag ist also gegeben, wenn der Hörer nicht reagiert.40 Zu beachten ist dabei allerdings, dass die perlokutionären Effekte keineswegs vom Sprecher beabsichtigt sein müssen, sondern auch unbeabsichtigte Folge sein können – sie hängen maßgeblich von den begleitenden, etwa sozialen Strukturen bzw. Umständen ab.41 Insoweit unterscheiden sich auch Illokution und Perlokution: Die Effekte auf den Hörer können über das bloße Verstehen des illokutionären Aktes hinausgehen.42 Die Vorhersehbarkeit eines perlokutionären Effektes hängt indes davon ab, wie stark der Sprechakt „institutionell abgesichert ist (wie etwa Tauf-, Heirats- oder Kaufsituation).“43 2. Taxonomie illokutionärer Akte nach Searle im Lichte der Meinungsfreiheit Für die pragmalinguistische Einordnung der Meinungsäußerung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 GG ist die Taxonomierung anhand der Illokution prädestiniert: Im Fokus der verfassungsrechtlichen Qualifizierung einer Äußerung als Meinungsäußerung steht der Sprecher und der vom Sprecher intendierte Äußerungszweck – die Illokution als Teil des Sprechakts stellt genau diesen Aspekt dar, nämlich was der Sprecher „tun will“. Kräfte […], der propositionale Gehalt bleibt jedoch gleich: in allen Fällen ist nämlich von Bruno und seinem Fleiß die Rede.“ 37  Searle, Speech Acts, 1969, S. 25. Vgl. auch Topczewska, in: Bonacchi, Verbale Aggression, 2017, S. 38; Liedtke, Moderne Pragmatik, 2016, S. 52 und Hamel, Strafen als Sprechakt, 2009, S. 48. 38  Vgl. dazu auch Ehrhardt / Heringer, Pragmatik, 2011, S. 60. 39  Vgl. auch Austin, How to do things with words, 1962, S. 12: „to say something is to do something“. Ferner: Liedtke, Moderne Pragmatik, 2016, S. 52. 40  Ehrhardt / Heringer, Pragmatik, 2011, S. 60 und Topczewska, in: Bonacchi, Verbale Aggression, 2017, S. 38. 41  Dazu: Hamel, Strafen als Sprechakt, 2009, S. 48. 42  Topczewska, in: Bonacchi, Verbale Aggression, 2017, S. 38. 43  Topczewska, in: Bonacchi, Verbale Aggression, 2017, S. 41.

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Searle hat die Sprechakte anhand des illokutionären Akts kategorisiert, um insbesondere Auskunft über das Verhältnis zwischen Wort und Welt zu geben: Die Illokution kann danach in Direktiva (directives), Kommissiva (commissives), Deklarativa (declarations), Expressiva (expressives) sowie Repräsentativa (representatives) unterteilt werden.44 Direktiva liegen vor, wenn der Sprecher durch Wünschen oder Wollen (als psychischer Zustand) auf ein im propositionalen Akt angegebenes Handeln des Adressaten abzielt (illokutionärer Zweck) – den Adressaten mithin zum Handeln verpflichtet oder auffordert (Aufforderungshandlungen).45 Die Welt soll der Proposition entsprechen (Welt-auf-Wort-Ausrichtung), weshalb in der Proposition eine vom Adressaten ausführbare, denklogisch in der Zukunft liegende Handlung46 angegeben werden muss; prototypisch für Direktiva sind Verben wie „bitten“, „auffordern“, „befehlen“.47 Unter Kommissiva wird verstanden, dass der Sprecher eine bestimmte Absicht (psychischer Zustand) für die Zukunft zum Ausdruck bringt („selbstverpflichtende Sprecherhandlungen“48 als illokutionärer Zweck) – sich also auf ein im propositionalen Akt angegebenes, vom Sprecher ausführbares Verhalten49 festlegt (Welt-auf-Wort-Ausrichtung); prototypische Verben sind „versprechen“, „ankündigen“ oder auch „drohen“.50 Deklarativa liegen vor, wenn der Sprecher mit (erfolgreichem) 44  Searle, A Taxonomy of Illocutionary Acts, 1975, S. 354 ff., 358. Vgl. aber auch die von Searle kritisierte, sehr heterogene, da nicht nur nach Illokution vorgenommene Taxonomie nach Austin, How to do things with words, 1962, S. 150, der seinerseits unterscheidet nach „(1) Verdictives. (2) Exercitives. (3) Commissives. (4) Behabitives […] (5) Expositives.“ Dazu auch die Einschätzung von Liedtke, Moderne Pragmatik, 2016, S. 58. Ferner gilt zu beachten, dass auch andere Autoren neben Searle eine solche Taxonomierung vorgenommen haben, die Taxonomie nach Searle aber nach wie vor am einflussreichsten ist, dazu der (teilw. kritische, zumind. bei Collavin) Überblick bei Collavin, in: Bublitz / Norrick, Foundations of Pragmatics, 2011, S. 373 (386 f., 390 f.) und ausführlicher bei Hamel, Strafen als Sprechakt, 2009, S.  49 ff. 45  Searle, A Taxonomy of Illocutionary Acts, 1975, S. 355. Vgl. auch Felder, in: Felder / Vogel, Handbuch Sprache im Recht, 2017, S. 51 und Liedtke, Moderne Pragmatik, 2016, S. 60. 46  Denkbar sind auch andere Aktivitäten des Adressaten, etwa mentaler Natur, dazu: Liedtke, Moderne Pragmatik, 2016, S. 60. 47  Searle, A Taxonomy of Illocutionary Acts, 1975, S. 355 f. Weitere Bsp. für prototypische Verben sind: drängen, herausfordern, betteln – vgl. Gichuhi Kimotho /  Nyaga, Advances in Language and Literary Studies 2016, 189 (194). 48  Felder, in: Felder / Vogel, Handbuch Sprache im Recht, 2017, S. 52. 49  Auch insoweit ist das Verhalten nicht auf Handlung im engen Sinne reduziert, sondern erfasst auch „andere kontrollierbare Aktivität[en]“, Liedtke, Moderne Pragmatik, 2016, S. 61. 50  Searle, A Taxonomy of Illocutionary Acts, 1975, S. 356. Dazu auch Liedtke, Moderne Pragmatik, 2016, S. 61.



II. Pragmalinguistische Analyse: Meinungsäußerungen als Sprechakte201

Vollzug des Sprechaktes erreicht, dass die Proposition mit der Welt korrespondiert (illokutionärer Zweck), etwa bei Ernennungen, Heirat, Taufen, Kündigungen, Rücktrittserklärungen oder Kriegserklärungen – durch die Deklarativa wird mithin ein Zustand geschaffen.51 Expressiva sind anzunehmen, wenn der Sprecher einen (beliebigen) psychischen Zustand (z. B.: Gefühle, Absichten, Bewertungen etc.52) gerichtet auf die durch Proposition deutlich gewordene Sachlage ausdrückt („illocu­ tionary point“53 bzw. illokutionärer Zweck); prototypisch sind etwa „danken“, „bereuen“, „gutheißen“, „befürworten“ oder „entschuldigen“.54 Einen anderen illokutionären Zweck als den Ausdruck eines psychischen Zustands gibt es insofern nicht.55 Für die Expressiva lässt sich keine spezifische Anpassungsrichtung („no direction of fit“) ausmachen, da diese weder eine Wort-auf-Welt- noch eine Welt-auf-Wort-Ausrichtung aufweisen.56 Der Sprecher versucht also nicht, die Welt seinen Worten anzupassen noch seine Worte der Welt anzupassen.57 Die Wahrheit der Proposition ist vorausgesetzt58 und wird nicht, wie etwa bei den Repräsentativa (dazu sogleich), behauptet oder festgestellt. Der Rechtslinguist Felder nimmt an, dass in die Sprachhandlungsklasse der Expressiva „Meinungsäußerungen und Beurteilungen jeglicher Art […] fallen“59. Lässt sich diese Annahme Felders bestätigen? Eine Meinung im verfassungsrechtlichen Sinne ist geprägt durch die „subjektive Beziehung [des Sprechers] […] zum Inhalt seiner Aussage“60 bzw. zum „Gegenstand seiner 51  Searle, A Taxonomy of Illocutionary Acts, 1975, S. 357. Zitat auf S. 358 ff. Vgl. ferner Felder, in: Felder / Vogel, Handbuch Sprache im Recht, 2017, S. 51; Liedtke, Moderne Pragmatik, 2016, S. 62. Bei den Deklarativa ist die Anpassungsrichtung in beide Richtungen (Wort auf Welt – Welt auf Wort) denkbar, vgl. Hamel, Strafen als Sprechakt, 2009, S. 51. 52  Felder, in: Felder / Vogel, Handbuch Sprache im Recht, 2017, S. 51. Hamel, Strafen als Sprechakt, 2009, S. 50 sieht hier „zumeist emotive Zustände des Sprechers“ ausgedrückt. 53  Searle, A Taxonomy of Illocutionary Acts, 1975, S. 356. 54  Searle, A Taxonomy of Illocutionary Acts, 1975, S. 356 f. Dazu auch: Liedtke, Moderne Pragmatik, 2016, S. 61. Vgl. auch Gichuhi Kimotho / Nyaga, Advances in Language and Literary Studies 2016, 189 (194), die im Rahmen ihrer (empirischen) Untersuchung sog. Hate Speech in Online-Netzwerken für Expressiva u. a. folgende Verben ausmachen: kritisieren, verspotten, verachten, erniedrigen, abweisen etc. 55  Liedtke, Moderne Pragmatik, 2016, S. 61. 56  Searle, A Taxonomy of Illocutionary Acts, 1975, S. 357. Zitat auf S. 356. 57  Searle, A Taxonomy of Illocutionary Acts, 1975, S. 357. 58  Searle, A Taxonomy of Illocutionary Acts, 1975, S. 357. 59  Felder, in: Felder / Vogel, Handbuch Sprache im Recht, 2017, S. 51. 60  BVerfGE 124, 300 (320) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08, NJW 2010, 47 (48). Vgl. dazu bereits Abschnitt C.II.2.a).

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Äußerung“61. Der Inhalt bzw. Gegenstand der Aussage im verfassungsrechtlichen Sinne lässt sich dabei beschreiben als „Verhältnisse[..], Ereignisse[..], Ideen oder Personen“62. Die subjektive Beziehung des Sprechers lässt sich auch beschreiben als „persönliche Auffassung“63, geprägt durch Elemente „der Stellungnahme und des Dafürhaltens“64. Der verfassungsrechtlich bestimmte Aussageinhalt bzw. -gegenstand lässt sich nach der Sprechakttheorie als Proposition bzw. propositionaler Akt einordnen; mithin als Referenz auf bestimmte Objekte bei gleichzeitiger Zuordnung von Eigenschaften zum bestimmten Objekt (Prädiktion). Die subjektive Beziehung hingegen, also etwa das Dafür- oder Dagegenhalten, stellt sich als für die Expressiva prototypischer Ausdruck eines auf die Proposition bezogenen psychischen Zustandes dar. Meinungsäußerungen ebenso wie Expressiva zeichnen sich also dadurch aus, dass die Wahrheit der Proposition nicht etwa behauptet oder festgestellt, sondern vorausgesetzt wird. Die verfassungsrechtlich determinierten Meinungsäußerungen sind damit als Expressiva einzuordnen. Repräsentativa (auch: Assertiva) sind gegeben, wenn der Sprecher sich (unterschiedlich stark65) darauf festlegt, dass die Proposition des Sprechaktes wahr ist bzw. wahr sein soll (illokutionärer Zweck).66 Der psychische Zustand, der mit dieser Sprachhandlungskategorie ausgedrückt wird und sich auf die Proposition bezieht, ist Glaube („belief“) oder Festlegung („com­ mitment“).67 Um wahr zu sein, muss die Proposition der Welt entsprechen, sodass eine Wort-auf-Welt-Ausrichtung gegeben ist; prototypisch für Repräsentativa sind Verben wie „behaupten“, „feststellen“, „mitteilen“.68 Repräsentativa lassen sich also in den Kategorien „wahr“ und „falsch“ messen.69 Die Erläuterungen der Repräsentativa erinnern mithin an Tatsachenbehauptungen im verfassungsrechtlichen Sinne. Nach allgemeiner, verfassungsrechtlicher Auffassung handelt es sich bei Tatsachenbehauptungen nicht um Meinungen, da diese anders als Letztgenannte in den Kategorien „wahr“ und „unwahr“ eingeordnet werden können und damit beweisbar sind.70 Auch

61  Grimm,

NJW 1995, 1697 (1698). NJW 1995, 1697 (1698). 63  Grimm, NJW 1995, 1697 (1698). 64  BVerfGE 124, 300 (320) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08, NJW 2010, 47 (48). 65  Dazu Hamel, Strafen als Sprechakt, 2009, S. 50. 66  Searle, A Taxonomy of Illocutionary Acts, 1975, S. 354. Dazu mit Blick auf den Rechtskontext: Felder, in: Felder / Vogel, Handbuch Sprache im Recht, 2017, S. 51 und ferner Liedtke, Moderne Pragmatik, 2016, S. 60. 67  Searle, A Taxonomy of Illocutionary Acts, 1975, S. 354. 68  Felder, in: Felder / Vogel, Handbuch Sprache im Recht, 2017, S. 51. 69  Searle, A Taxonomy of Illocutionary Acts, 1975, S. 354. 62  Grimm,



II. Pragmalinguistische Analyse: Meinungsäußerungen als Sprechakte203

lässt sich bereits aus dem Begriff „Tatsachenbehauptung“ das performative Verb „behaupten“ ableiten – mithin ein für Repräsentativa prototypisches Verb. Die im Kontext der Meinungsfreiheit ebenfalls relevanten Tatsachenbehauptungen können linguistisch damit als Repräsentativa eingeordnet werden. Sprechakte sind – zumindest unter dem Aspekt der Illokution – allerdings nicht zwingend monofunktional. „Polyfunktionalität“71 ist gegeben, wenn mit einer Äußerung mehrere Sprachhandlungen vollzogen werden.72 Vorstellbar ist insofern, dass Expressiva – mithin originäre Meinungsäußerungen – mit Direktiva zusammenfallen. Für die Qualifizierung eines polyfunktionalen Sprechakts als Meinungsäußerung relevant ist einerseits, welche Illokution im Vordergrund steht und andererseits, inwiefern sich der expressive Gehalt extrahieren lässt, ohne seine eigenständige Bedeutung und seinen Sinn zu verlieren. In Rechtsprechung und Literatur ist etwa die Ermittlung des Schutzniveaus bei Vermischung von Expressiva (Meinungsäußerungen) und Repräsentativa (Tatsachenbehauptungen) relevant: Nach Auffassung des BVerfG kommt es bei der Abgrenzung darauf an, den Schwerpunkt der ­Äußerung zu identifizieren.73 Bei der Schwerpunktuntersuchung muss der „Gesamtzusammenhang dieser Äußerung“ beachtet werden, da eine „isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils […] den Anforderungen an eine zuverlässige Sinnermittlung […] nicht gerecht“ wird.74 Sind die Tatsachenbehauptung und die Meinung miteinander verbunden, darf eine Trennung dieser Äußerungsteile nicht zur Sinnverfälschung führen.75 Unter dieser Prämisse gilt deshalb, dass bei einer möglichen Trennung nur unter Sinnverfälschung „die Äußerung […] insgesamt als Meinungsäußerung angesehen werden [muss], weil andernfalls eine wesentliche Verkürzung des Grundrechtsschutzes droht[..] […].“76 Ein ähnlicher Ansatz dürfte sich für den Fall 70  BVerfGE 90, 241 (247) = BVerfG, Beschl. v. 13.4.1994  – 1 BvR 23 / 94, NJW 1994, 1779 (1779). Vgl. dazu oben unter Abschnitt C.II.2.b). 71  So Holly, Politikersprache, 1990, S. 54 f., der eine „grundsätzliche Polyfunktionalität sprachlicher Äußerungen“ annimmt – es gelte „für die Sprache wie für sonstige Handlungen und Symbole, daß gleichzeitig auf verschiedenen Ebenen verschiedene Bedeutungen im Spiel sein können.“ (S. 55). Vgl. zur Polyfunktionalität eines Sprechaktes das Bsp. bei Schwarz-Friesel, Sprache und Emotion, 2. Aufl. 2013, S. 28. 72  Dazu Felder, in: Felder / Vogel, Handbuch Sprache im Recht, 2017, S. 53. 73  BVerfG, Beschl. v. 29.6.2016 – 1 BvR 2732 / 15, BeckRS 2016, 49397, Rn. 12. 74  Zitate: BVerfG, Beschl. v. 29.6.2016  – 1 BvR 2732 / 15, BeckRS 2016, 49397, Rn. 12. 75  BVerfG, Beschl. v. 29.6.2016 – 1 BvR 2732 / 15, BeckRS 2016, 49397, Rn. 12. 76  Zuletzt: BVerfG, Beschl. v. 29.6.2016 – 1 BvR 2732 / 15, BeckRS 2016, 49397, Rn. 12. Vgl. auch BVerfGE 90, 241 (248) = BVerfG, Beschl. v. 13.4.1994 – 1 BvR 23 / 94, NJW 1994, 1779 (1781); BVerfGE 61, 1 (9) = BVerfG, Beschl. v. 22.6.1982 – 1 BvR 1376 / 79, NJW 1983, 1415 (1416).

204

F. Die Meinungsäußerung als Gefahr für die Demokratie

mit Direktiva vermischter Expressiva empfehlen: Herauszuarbeiten ist insofern der Äußerungsschwerpunkt und darüber hinaus, ob der expressive Gehalt bei einer Trennung sinnerhaltend bestehen bleiben könnte. Zusammenfassen lässt sich damit: Die Sprachhandlungsklassen Expressiva sowie Repräsentativa sind für die Meinungsfreiheit von besonderer Relevanz. Expressiva sind prototypische Meinungsäußerungen, wohingegen Repräsentativa als Tatsachenbehauptungen erkannt werden können. Die vom BVerfG vorgenommene Unterscheidung zwischen Meinungsäußerungen und Tatsachenbehauptungen lässt sich pragmalinguistisch damit nachvollziehen. Die Taxonomierung gibt ferner Einblicke in die Wirkweisen der Sprachhandlungsklassen. Hervorzuheben ist, dass Expressiva keine Anpassungsrichtung aufweisen – also weder Wort-auf-Welt- noch Welt-auf-Wort-Ausrichtungen aufzeigen. Ziel der Expressiva ist gerade nicht – anders als etwa die Direktiva – die Welt an die Proposition anzupassen. Auch versucht der Sprecher nicht, seine Worte der Welt anzupassen. Im Gegensatz dazu weisen Repräsentativa eine klare Anpassungsrichtung auf: Mit ihnen versucht der Sprecher, sein Wort auf die Welt auszurichten – er legt sich mithin darauf fest, dass die Proposition wahr ist. 3. Eingriffsfreier Bereich der Meinungsfreiheit im Lichte der Taxonomie illokutionärer Akte Gezeigt wurde, dass das BVerfG in seiner Rechtsprechung einen eingriffsfreien Bereich der Meinungsfreiheit etabliert hat, nämlich für solche Meinungsäußerungen, die in einer „rein geistige[n] Sphäre des Für-richtig-Haltens“ verbleiben.77 Mit dieser Einschränkung der Eingriffsmöglichkeiten in die Meinungsfreiheit soll verhindert werden, dass bloße Gesinnungen zur Engriffsdisposition des Gesetzgebers stehen. Die eingriffsfreie Sphäre wird nach Auffassung des Gerichts dann verlassen, wenn Meinungsäußerungen in die „Sphäre der Äußerlichkeit“ vordringen, also „mittelbar auf Realwirkungen angelegt sind und etwa in Form von Appellen zum Rechtsbruch, aggressiven Emotionalisierungen oder der Herabsetzung von Hemmschwellen rechtsgutsgefährdende Folgen unmittelbar auslösen können.“78 Gleiches soll für solche Meinungsäußerungen gelten, die Handlungsbereitschaft auslösen oder Dritte einschüchtern – mithin „Realwirkungen“ verursachen können.79 77  BVerfGE NJW 2010, 47 78  BVerfGE NJW 2010, 47 79  BVerfGE NJW 2010, 47

124, (51). 124, (52). 124, (53).

300 (330) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08, Vgl. dazu auch Abschnitt C.II.2.c)cc). 300 (332) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08, 300 (332) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08,



II. Pragmalinguistische Analyse: Meinungsäußerungen als Sprechakte205

Bereits dargestellt wurde in diesem Zusammenhang80, dass es sich bei der Schaffung eines eingriffsfreien Bereiches um eine äußerst unbestimmte, „schwammige“ Grenzziehung handelt, die dem Gesetzgeber signifikanten Ermessensspielraum zukommen lässt. Wie aber ist diese gerichtliche Grenzziehung vor dem Hintergrund der sprachwissenschaftlichen Erkenntnisse zu beurteilen? Gibt es unter Beachtung der Taxonomie der Sprechakttheorie nach Searle überhaupt einen rein geistig bleibenden Bereich in Abgrenzung einer „Sphäre der Äußerlichkeit“? In welchen Fällen wäre anzunehmen, dass eine Äußerung keine Außenwirkung hat? Betrachtet man die Anpassungsrichtung der Sprachhandlungsklassen, ist für die prototypische Meinungsäußerung, mithin die Expressiva, zu konstatieren: Eine Ausrichtung auf die Anpassung der Welt an das Wort gibt es für diese Sprechakte gerade nicht („no direction of fit“). Die „Sphäre der Äußerlichkeit“ besteht für Expressiva vor allem darin, überhaupt wahrgenommen zu werden. Die Außenwirksamkeit dieser Sprachhandlungsklasse liegt mangels spezifischer Wirk-Ausrichtung in der bloßen Wahrnehmung durch Dritte, nicht aber in der Auslösung von „Realwirkungen“ etc. Auch die Überzeugung des Hörers ist nicht Zweck der Äußerung, da anderenfalls stets ein Fehlschlag für den Fall anzunehmen wäre, in dem der Hörer nicht überzeugt wurde – vordergründiger Zweck der Meinungsäußerung ist deshalb die Wahrnehmung durch Dritte. Betrachtet man jedoch die Ausführungen des BVerfG zum eingriffsfreien Bereich der Meinungsfreiheit, wird die verfassungsrechtliche Definition der Meinungsäußerung implizit um Facetten an­ derer Sprachhandlungsklassen erweitert. Anders ist die beispielhafte Veranschaulichung der Außenwirksamkeit (bspw. „Realwirkungen“, Appelle zum Rechtsbruch, Herabsetzungen von Hemmschwellen) nicht zu erklären. Spricht das BVerfG von „Appellen zum Rechtsbruch“, sind damit nicht etwa Expressiva erfasst, sondern Direktiva – mithin solche Sprechakte, die auf ein Handeln des Adressaten gerichtet sind (Welt-auf-Wort-Ausrichtung). Die Folgen (konkret: Erfolg oder Misserfolg) von Direktiva wären im perlokutionären Akt zu messen. Bloße, monofunktionale Direktiva können mangels expressiven Gehalts aber nicht ohne Weiteres als Meinungsäußerungen erkannt werden. Jedenfalls wird deutlich, dass der eingriffsfähige Bereich der Meinungsfreiheit insbesondere solche Sprechakte erfasst, die nicht (nur) Expressiva – mithin originäre Meinungsäußerungen – sind. Der expressive Gehalt der vom BVerfG anvisierten Sprechakte wird damit regelmäßig ergänzt etwa um direktive Funktionsgehalte. Es werden vor allem polyfunktionale Sprechakte vom BVerfG für eingriffsfähig erklärt. Wären die Wesensmerkmale der Direktiva aber Grundlage der verfassungsrechtlichen Definition einer Meinungsäußerung, müsste diese Definition ergänzt werden um das Er80  Vgl.

dazu Abschnitt C.II.2.c)cc).

206

F. Die Meinungsäußerung als Gefahr für die Demokratie

fordernis einer Welt-auf-Wort-Ausrichtung. Weitaus besser bestimmbar wäre die Außenwirksamkeit deshalb anhand des Kriteriums „Wahrnehmbarkeit durch Dritte“. Dieses Kriterium würde auch der für Meinungsäußerungen prototypischen Sprachhandlungsklasse der Expressiva entsprechen, da diese mangels Wirk-Ausrichtung regelmäßig nur diese eine, klar bestimmbare Wirkung haben. Die Überprüfung der Rechtsprechung des BVerfG zur Eingriffsfreiheit anhand der Taxonomie illokutionärer Akte lässt einige Inkonsistenzen in der verfassungsrechtlichen Konzeption der Meinungsfreiheit zu Tage treten. Insbesondere ist unklar, warum das BVerfG ausgerechnet solche Äußerungen zu eingriffsfähigen Meinungsäußerungen erklärt, die in ihrer Funktionalität (bzw. in ihrem illokutionären Zweck) nicht ohne Weiteres als Meinungsäußerung qualifiziert werden können. Deutlich wird, dass das gerichtliche Verständnis der Funktionalität von Sprache nicht klar strukturiert ist und allenfalls auf Mutmaßungen basiert. 4. Zwischenergebnis Anhand der Sprechakttheorie lässt sich der Handlungscharakter der Sprache nachvollziehen. Das alltägliche Vorverständnis – mithin die intuitive Unterscheidung zwischen „Worten“ und „Taten“ – ist aus pragmalinguistischer Sicht widerlegt. Für die Analyse „Meinungsäußerungen als Gefahr für die Demokratie“ vervollständigt sich mit dieser Einordnung das Bild: Bereits die empirische Darstellung legt nahe, dass Sprache nicht in einen resonanzlosen, allenfalls geistig wirkenden Raum abgegeben wird, sondern durchaus Realwirkungen zur Folge hat, wenngleich diese Wirkungen mangels erlebter Unmittelbarkeit der Sprecher und sogar der Hörer häufig verkannt werden. In einer Zusammenschau wird jedenfalls deutlich, dass durch Sprache gehandelt wird und dass dieses Handeln – wenn auch nur unter großem empirischen Aufwand messbar – nicht allein geistige Auswirkungen hat. Mit Hilfe der Taxonomierung illokutionärer Akte wurden Meinungsäußerungen (und auch Tatsachenbehauptungen) für die weitere Untersuchung operationalisiert. Die Sprachhandlungsklasse der Expressiva stellt sich als Prototyp der Meinungsäußerung dar: Der Sprecher drückt einen psychischen Zustand aus, der auf die mit dem propositionalen Akt verdeutlichte Sachlage, deren Wahrheit vorausgesetzt und nicht etwa behauptet wird, gerichtet ist. Für die Expressiva ist jedoch keine spezifische Anpassungsrichtung auszumachen – der illokutionäre Akt besteht allein im Ausdruck des psychischen Zustands, nicht aber in der Anpassung der Welt an die gesprochenen Worte oder vice versa. Diese pragmalinguistische Beschreibung der Expressiva deckt sich mit der verfassungsrechtlichen, insbesondere der bundesverfas-



III. Verbale Aggression und verbale Gewalt aus pragmalinguistischer Sicht207

sungsgerichtlichen Bestimmung der Meinungsäußerung: Konstituierend ist insofern die „subjektive Beziehung [des Sprechers] […] zum Inhalt seiner Aussage“81 – dabei handelt es sich um eine anders formulierte Beschreibung der Expressiva. Tatsachenbehauptungen im verfassungsrechtlichen Sinne stimmen überein mit der Sprachhandlungsklasse der Repräsentativa: Illoku­ tionärer Akt ist die Festlegung des Sprechers darauf, dass die Proposition wahr ist; prototypisch ist für Repräsentativa das performative Verb „behaupten“. Heranziehen lässt sich diese Taxonomie insbesondere bei der Analyse polyfunktionaler Sprechakte, also solcher, die neben einem expressiven Gehalt auch Elemente der Repräsentativa oder der Direktiva aufweisen. Für die Qualifizierung einer Äußerung als Meinungsäußerung ist insofern relevant – ebenso wie bei der in der Rechtsprechung umfassend behandelten Trennung von Meinungsäußerungen und Tatsachenbehauptungen –, welcher illokutionäre Akt im Vordergrund steht und ob sich der expressive Gehalt ohne Sinnverfälschung und Bedeutungsverlust extrahieren lässt. Schließlich wurden unter Zuhilfenahme pragmalinguistischer Erkenntnisse Inkonsistenzen in der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zum eingriffsfreien Bereich der Meinungsfreiheit aufgedeckt: Festgestellt wurde, dass die Außenwirkung der für die Meinungsfreiheit einschlägigen Sprachhandlungsklasse – die Expressiva – in der bloßen Wahrnehmung durch Dritte liegen sollte. Die Bestimmung der Außenwirkung durch das BVerfG hingegen zielt auf andere Sprachhandlungsklassen ab, etwa die Direktiva („Appelle zum Rechtsbruch“) – also solche, die in monofunktionaler Verwendung gerade keine Meinungsäußerung darstellen. Damit erklärt das BVerfG vor allem polyfunktionale Sprechakte für eingriffsfähig. Vorliegend wird aus Gründen der Konsistenz sowie zum Zweck der Rechtsbestimmtheit vertreten, dass die Außenwirkung von Meinungsäußerungen und damit die Eingriffsfähigkeit anhand des Merkmals „Wahrnehmbarkeit durch Dritte“ bestimmt werden sollte.

III. Verbale Aggression und verbale Gewalt aus pragmalinguistischer Sicht Im Abschnitt F.II.1. wurde der Handlungscharakter der Sprache dargestellt; es gilt: Jedes Sprechen ist ein Handeln. In diesem Abschnitt soll als Vorüberlegung für die spätere Gefahrenallokation im Abschnitt G. untersucht werden, ob und wie Sprache in einer Interaktion als verbale Aggression oder gar als 81  BVerfGE 124, 300 (320) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08, NJW 2010, 47 (48). Vgl. dazu auch Abschnitt C.II.2a).

208

F. Die Meinungsäußerung als Gefahr für die Demokratie

verbale Gewalt eingesetzt werden kann. Gemeinhin wird Sprache nämlich als Gegensatz zur Gewalt verstanden.82 Als Forschungsgegenstand der Sprachwissenschaft hat sich – trotz praktisch großer Bedeutung83 – jedoch erst in den letzten Jahren der „aggressive Sprechakt“ herausgebildet.84 Auch bekannt sind diese Forschungen unter dem Titel „Sprache als Waffe“85 und in einer Unterteilung als „verbale Aggression“ und „verbale Gewalt“86. Nachfolgend soll geklärt werden, was unter verbaler Aggression und unter verbaler Gewalt verstanden wird (bzw. verstanden werden kann). Sollte es gelingen, Sprache selbst als Aggression oder Gewalt zu identifizieren, wäre dies ein Anhaltspunkt für die Gefährlichkeit von Sprache und auch Meinungsäußerungen. 1. Verbale Aggression: Definition und Funktionen Für die verbale Aggression87 ist nach Havryliv der illokutionäre Akt entscheidendes Identifikationsmerkmal.88 Ihr zufolge handelt es sich bei solchen Aggressionen (bzw. aggressiven Sprechakten) in Anlehnung an die Searlesche Taxonomie um Expressiva, „mit denen die schimpfende Person ihre negativen Gefühle ausdrückt“89.90 Ein Adressat ist insoweit nicht zwingend 82  Krämer, Gewalt der Sprache – Sprache der Gewalt, 2004, S. 4. Vgl. aber auch den frühen Ansatz bei Müller-Dietz, in: Herren, FS Würtenberger, 1977, S. 167 zur „verbalen Gewalt“, die dieser verstanden hat als eine Art Propagierung physischer Gewalt. Im StGB sind Müller-Dietz zufolge u. a. die §§ 26, 30, 111 und 130 StGB zur „verbalen Gewalt“ zu zählen (tiefergehend a. a. O. ab S. 172). 83  Dazu Havryliv, Verbale Aggression: Formen und Funktionen, 2009, S. 17 und Kiener, Das Wort als Waffe, 1983, S. 295. 84  Dazu Bonacchi, in: Bonacchi, Verbale Aggression, 2017, S. 3; Havryliv, Linguistik online 2017, 27 (29); Schwarz-Friesel, Sprache und Emotion, 2. Aufl. 2013, S.  1 ff. 85  So etwa bei Schwarz-Friesel, Sprache und Emotion, 2. Aufl. 2013, S. 330; Krämer, Gewalt der Sprache – Sprache der Gewalt, 2004, S. 4; Kiener, Das Wort als Waffe, 1983. 86  Diese Unterteilung findet sich etwa bei Havryliv, Linguistik online 2017, 27 (42). 87  Theoretische Grundlagen zur Frage, was Aggressionen eigentlich sind, finden sich bei Havryliv, Verbale Aggression: Formen und Funktionen, 2009, S. 19 ff. 88  Havryliv, Linguistik online 2017, 27 (43). Auch bei anderen Autoren wird die Illokution beachtet, allerdings wird der Perlokution eine größere Rolle zugedacht als bei Havryliv, vgl. etwa Kiener, Das Wort als Waffe, 1983, S. 16 ff. 89  Havryliv, Linguistik online 2017, 27 (43). Vgl. auch Fiehler, Kommunikation und Emotion, 1990, S. 20, der darauf hinweist, dass der Sprachhandlungsklasse Expressiva „Emotionen inhärent“ sind. 90  Anderer Ansatz bei Topczewska, in: Bonacchi, Verbale Aggression, 2017, S. 35, die unter einem aggressiven Sprechakt einen solchen versteht, der „von zumindest



III. Verbale Aggression und verbale Gewalt aus pragmalinguistischer Sicht209

erforderlich – denkbar ist die verbale Aggression etwa in Form eines nichtpersonenbezogenen Fluches, mit dem der Sprecher sich emotional „abreagieren“ will.91 Havryliv hat verschiedene Funktionen der verbalen Aggression herausgearbeitet.92 Eine ihr zufolge signifikante Funktion ist der Abbau negativer Emotionen, zum Beispiel indem eine Situation durch Flüche thematisiert wird.93 Gleiches gilt für die Beleidigung einer anderen Person, wobei für den Sprecher der Emotionsabbau und nicht der perlokutionäre Effekt „Kränkung“ des Adressaten im Vordergrund steht.94 Kiener geht sogar davon aus, dass physische Auseinandersetzungen durch verbale Aggressionen „ersetzt“ bzw. verhindert werden können.95 Havryliv hat durch empirische Analysen zeigen können, dass das „Abreagieren negativer Emotionen“ mit bis zu 73 % im Fokus der befragten Sprecher stand, während lediglich 11 % der Befragten eine Beleidung des Adressaten – mithin einen erfolgreichen perlokutionären Akt – anvisierten.96 Weitere von Havryliv beschriebene Funktionen der verbalen Aggression sind: Sprecher versuchen sich mittels verbaler Aggression als rechtschaffen, „abgebrüht“ etc. darzustellen (Selbstdarstellungsfunktion); Änderung von Situationen oder Verhalten Dritter; Bewältigung von Angst, indem Personen etc. abgewertet werden; Selbstverteidigung, indem bedrohliche Personen eingeschüchtert werden; Demonstration von Macht, indem gezeigt wird, dass eine besondere soziale Stellung Tabubruch „gestattet“; Ausdruck von Hilflosigkeit, Schwäche, Kontrollverlust, wenn andere kommunikative Versuche erfolglos sind; Demonstration von Gruppenzugehörigkeit, Stärkung von Gemeinschaftsgefühl; Abbau von Stress; Verständigung über gemeinsame einem der Teilnehmer der kommunikativen Interaktion (Sprecher, Adressat bzw. beobachtender Teilnehmer) als aggressiv empfunden wird […].“ (a. a. O.) Ein ähnlicher und von Havryliv abweichender Ansatz findet sich bei Schumann, Zeitschrift für Phonetik, Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung 1990, 259 (260), die für die Beschimpfung die Absicht des Sprechers voraussetzt, dass durch die Äußerung eine andere Person herabgesetzt wird. Auch Kiener setzt anders als Havryliv für die Aggression sowohl Sprecher („Angreifer“) als auch Adressaten („Opfer“) voraus, vgl. Kiener, Das Wort als Waffe, 1983, S. 17 (Zitate a. a. O.). Havryliv ist jedoch zuzustimmen, dass ein Effekt bei einem Adressaten für den aggressiven Sprachakt nicht zwingend erforderlich ist, da – wie ihre Studien belegen – eine verbale Aggression auch allein dem Zweck dienen kann (und sogar häufig dient), negative Emotionen abzubauen, vgl. die Tabellen 3 u. 4 bei Havryliv, Linguistik online 2017, 27 (30). 91  Havryliv, Linguistik online 2017, 27 (30, 43). 92  Havryliv, Linguistik online 2017, 27 (30 ff.). 93  Havryliv, Linguistik online 2017, 27 (30). 94  Havryliv, Linguistik online 2017, 27 (30). 95  Kiener, Das Wort als Waffe, 1983, S. 295. 96  Havryliv, Linguistik online 2017, 27 (30).

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F. Die Meinungsäußerung als Gefahr für die Demokratie

Werte, Aufmunterung bzw. Trost durch Solidarisierung (verbale Aggression gegen Dritte); Betonung der Ernsthaftigkeit; verbale Autoaggression als „Verstärker“ einer Entschuldigung.97 Andere verbale Aggressionen können etwa fiktiv sein, zum Beispiel wenn im Freundeskreis gescherzt wird – Äußerungsakt und Proposition entsprechen zwar einer „echten“ verbalen Aggression, allerdings mangelt es sowohl am entsprechenden illokutionären Zweck als auch dem perlokutionären Effekt.98 2. Verbale Gewalt: Definition und Wirkungen Gewalt kann verstanden werden als Amts- oder Verfügungsgewalt („potestas“), ebenso aber als Verletzung („violentia“).99 Vorliegend wird der Begriff „Gewalt“ im Sinne einer psychischen Verletzung genutzt.100 Anders als bei der verbalen Aggression steht bei der verbalen Gewalt der perlokutionäre Akt, insbesondere der perlokutionäre Effekt im Vordergrund der Betrachtung.101 Zentral ist damit nicht der Sprecher (oder der „bloße“ Zuhörer), sondern der Adressat.102 Dabei kommt es nicht nur darauf an, ob der Adressat die Äußerung wahrnimmt; vielmehr stellt sich die Frage: Wie empfindet der Adressat die sprachliche Äußerung?103 Verbale Gewalt kann dann angenommen werden, wenn beispielsweise die perlokutionären Effekte „Kränkung“ oder „Beleidigung“ eintreten.104 Deutlich wird damit, dass sprachliche Gewalt nicht zwingend auf eine verbale Aggression angewiesen ist: Wird etwa eine unwahre Tatsachenbehauptung getätigt und wird diese vom Adressaten entsprechend wahrgenommen, kann diese Äußerung auch dann als verbale Gewalt gelten, wenn der Sprecher keinen übereinstimmenden illoku97  Havryliv, Linguistik online 2017, 27 (37 ff.). Siehe auch Fiehler, Kommunikation und Emotion, 1990, S. 96 ff., der die Verbalisierung von Emotionen untersucht. 98  Havryliv, Linguistik online 2017, 27 (32). Die Autorin spricht von der Lokution und nicht dem Äußerungsakt, da sie Austins Konzeption eines Sprechaktes anhängt; vorliegend wird allerdings mit der Konzeption von Searle gearbeitet. 99  Vgl. Krämer, Gewalt der Sprache – Sprache der Gewalt, 2004, S. 6. Und darüber hinaus die Bedeutungsübersichten 1. und 2.b. im Duden, „Gewalt, die“, abrufbar unter , zuletzt besucht am 20.09.18. Vgl. aber auch die Ausführungen zum Gewaltbegriff im Abschnitt D.VII.1. 100  So auch Krämer, Gewalt der Sprache – Sprache der Gewalt, 2004, S. 6. Vgl. aber auch die umfassende Diskussion darüber, wie sich der Begriff „Gewalt“ mit Blick auf Sprechakte verhält bei Butler, Excitable Speech, 1997, insb. ab S. 4. 101  Havryliv, Linguistik online 2017, 27 (43). 102  Havryliv, Linguistik online 2017, 27 (43). 103  Havryliv, Linguistik online 2017, 27 (43). 104  Havryliv, Linguistik online 2017, 27 (43). Vgl. auch Fiehler, Kommunikation und Emotion, 1990, S. 20, der darauf hinweist, dass Emotionen als perlokutionäre Effekte insb. bei Beschimpfungen etc. auftreten können.



III. Verbale Aggression und verbale Gewalt aus pragmalinguistischer Sicht211

tionären Zweck aufweist.105 Ein Zusammentreffen der verbalen Aggression und der verbalen Gewalt ist dann gegeben, wenn der Sprecher die Absicht verfolgt, den Adressaten zu kränken (illokutionärer Zweck) und dieser durch die Äußerung tatsächlich gekränkt wird (perlokutionärer Effekt).106 Da anders als im Rahmen der verbalen Aggression hier nicht der illoku­ tionäre Akt (und v. a. Zweck) im Vordergrund steht, kann weniger von Funktionen als von Wirkungen der verbalen Gewalt gesprochen werden. Damit stellt sich die Frage: Wie wirkt verbale Gewalt? Krämer hat herausgearbeitet, dass verbale Gewalt in der Regel einen Verstummungseffekt hat; Diskurs bzw. die Gesprächsfortsetzung wird durch verbale Gewalt unterbunden.107 Mitunter provoziert verbale Gewalt aber auch physische, non-verbale Gewalt des Adressaten (oder möglicherweise auch eines nicht-adressierten Hörers), sodass das „Medium der Sprache“ entfällt.108 Eine Ursache für diesen Verstummungseffekt ist, dass verbale Gewalt zwischen dem Sprecher und dem Adressaten Ungleichheit schafft, indem der Adressat im Verhältnis zum Sprecher (und vor allem der sozialen Stellung des Sprechers) herabgesetzt wird.109 Darüber hinaus stellt verbale Gewalt (insb. in Form der Diskriminierung) auch „einen Akt der Segregation und Ausschließung“ dar, indem durch Sprache die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft abgesprochen wird.110 Zu denken ist aus pragmalinguistischer Sicht vor allem an die Sprachhandlungsklasse der Deklarativa, etwa wenn Menschen mit nicht-weißer Hautfarbe verboten wird, bestimmte Sitzplätze in öffentlichen Verkehrsmitteln einzunehmen.111 Eine weitere Wirkung der verähnlich Havryliv, Linguistik online 2017, 27 (43). Havryliv, Linguistik online 2017, 27 (43). 107  Krämer, Gewalt der Sprache – Sprache der Gewalt, 2004, S. 9. „Verstummungseffekte“ als Wirkung bestimmter Sprechakte werden allerdings nicht nur in der Linguistik erörtert, sondern etwa auch in der Philosophie, vgl. m. w. N. Stanley, Propaganda, 4. Aufl. 2017, S. 37 („certain kinds of speech are silencing“) (Betonung wurde nicht vom Autor hinzugefügt.). 108  Krämer, Gewalt der Sprache – Sprache der Gewalt, 2004, S. 9 f. Zitat auf S. 10. Denkbar ist eine dergestalte Reaktion insbesondere bei Menschen, die ihrerseits an „unzureichender sprachlicher Geschicklichkeit“ leiden und sich eher physischer Abwehr behelfen, vgl. dazu Havryliv, Verbale Aggression: Formen und Funktionen, 2009, S. 21. 109  Krämer, Gewalt der Sprache – Sprache der Gewalt, 2004, S. 10. S. dazu auch MacKinnon, Nur Worte, 1994, S. 17: „Gesellschaftliche Ungleichheit wird wesentlich durch Worte und Bilder hergestellt und durchgesetzt – das heißt: getan. […] Jede Erhöhung und Erniedrigung wird durch bedeutungsvolle Symbole und kommunikative Handlungen erreicht, wobei sie zu sagen heißt, sie zu tun.“ (Betonung wurde nicht vom Autor hinzugefügt.). 110  Krämer, Gewalt der Sprache – Sprache der Gewalt, 2004, S. 10. 111  In Anlehnung an den „Fall Rosa Parks“. Vgl. dazu aber auch die Beispiele bei MacKinnon, Nur Worte, 1994, S. 17: „Rassentrennung kann nicht stattfinden, ohne 105  Vgl.

106  Ähnlich

212

F. Die Meinungsäußerung als Gefahr für die Demokratie

balen Gewalt, beispielsweise durch die „Verunglimpfung des Eigennamens“, ist die Infragestellung oder Aberkennung des „Personseins“ des Adressaten – auch insofern führt diese Gewalt zur Ausgrenzung und Herabsetzung.112 3. Schutzfähigkeit verbaler Aggression und Gewalt durch Art. 5 Abs. 1 GG Die verbale Aggression wird regelmäßig als Meinungsäußerung zu qualifizieren sein: Der Ausdruck negativer Gefühle durch Sprache bzw. eine Äußerung wird in verfassungsrechtlicher Terminologie häufig als ein stellungnehmendes Element, mithin ein „Dagegenhalten“ zu erkennen sein.113 Dies gilt unabhängig davon, ob sich die ausgedrückten negativen Gefühle auf eine Person, Situation etc. beziehen, solange der Sprecher eine „subjektive Beziehung […] zum Inhalt seiner Aussage“ aufweist.114 Unerheblich ist insoweit, was der Sprecher mit der Äußerung erreichen will – eine Meinungsäußerung ist zum Beispiel gegeben, wenn der Sprecher sich lediglich emotional abreagieren will oder auch wenn der Sprecher Macht demonstrieren will. Die Unterscheidung zwischen verbaler Aggression und verbaler Gewalt spielt für die Qualifizierung einer Äußerung als Meinungsäußerung keine Rolle. Die Schutzbereichseröffnung des Art. 5 Abs. 1 GG hängt nicht von einem bestimmten perlokutionären Effekt ab – es ist für diese Eröffnung unerheblich, ob bei dem Adressaten eine bestimmte Wirkung eintritt oder nicht eintritt. Denkbar ist also verbale Gewalt durch eine unwahre Tatsachenbehauptung, die nicht vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit erfasst ist.115 daß jemand zu irgendeinem Zeitpunkt ‚Raus hier‘ oder ‚Du gehörst hier nicht hin‘ sagt.“ (Betonung wurde nicht vom Autor hinzugefügt.). 112  Krämer, Gewalt der Sprache – Sprache der Gewalt, 2004, S. 11. 113  Vgl. dazu etwa BVerfGE 124, 300 (320) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009 – 1  BvR 2150 / 08, NJW 2010, 47 (48). Zitat a. a. O. Siehe ferner auch bereits Abschnitt C.II.2.a). 114  BVerfGE 124, 300 (320) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08, NJW 2010, 47 (48). Vgl. dazu auch Epping, Grundrechte, 6. Aufl. 2015, S. 103 f. Rn. 213; Bethge, in: Sachs GG, 7. Aufl. 2014, Art. 5 Rn. 25; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG (Bd. 1), 3. Aufl. 2013, Art. 5 I, II Rn. 62; Wendt, in: v. Münch / Kunig GG, 6. Aufl. 2012, Art. 5 Rn. 8; Jestaedt, in: Merten / Papier, Handbuch d. Grundrechte IV: Einzelgrundrechte I, 2011, § 102 Rn. 34; zur Entstehung einer Meinung: SchmidtJortzig, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts VII, 3. Aufl. 2009, § 162 Rn. 20. Kritik an diesem Begriff der „echten Meinungsäußerung“ findet sich bei Hochhuth, Die Meinungsfreiheit im System des Grundgesetzes, 2007, etwa S. 14, 344. 115  BVerfGE 90, 241 (247 f.) = BVerfG, Beschl. v. 13.4.1994  – 1 BvR 23 / 94, NJW 1994, 1779 (1779). Tiefergehend zur Frage, ob Art. 5 Abs. 1 GG unwahre Tatsachenbehauptungen erfasst, vgl. Abschnitt C.II.2.b).



III. Verbale Aggression und verbale Gewalt aus pragmalinguistischer Sicht213

Relevant ist der perlokutionäre Effekt auf einer anderen Ebene, nämlich der Eingriffs- und vor allem Rechtfertigungsebene: Wird durch die Äußerung der Adressat gekränkt, steht in einer Grundrechtsabwägung der Meinungsfreiheit der Ehrschutz des Adressaten116 gegenüber. Die verbale Aggression lässt sich strafrechtlich nicht ohne Weiteres verorten, ist sie doch vielgesichtig denkbar. Die verbale Gewalt hingegen findet sich in einschlägigen strafrechtlichen Kodifizierungen: Zu denken ist insoweit insbesondere an die Beleidigungsdelikte der §§ 185 ff. StGB. Regelmäßig nicht als verbale Gewalt, aber doch als verbale Aggression wird die Verunglimpfung im Sinne des § 90a Abs. 1 StGB zu erkennen sein. Ein perlokutionärer Effekt bei dem Adressaten ist in diesen Fällen nicht denkbar, da dieser – mithin „der Staat“ – kein „personales Wesen“ ist, ihm damit kein Ehrschutz zukommen kann.117 Der Staat kann nicht gekränkt oder beleidigt sein, da dieser nicht zur Gefühlsregung fähig ist. Anders verhält es sich nur bei personalen Vertretern des Staates, also etwa Beamten in ihrer Funktion als Staatsvertreter. Diese jedoch sind nicht Adressat einer Verunglimpfung gemäß § 90a Abs. 1 StGB. 4. (Verfassungsrechtlich anvisierter) Diskurs, verbale Aggression und verbale Gewalt Welche Auswirkungen können verbale Aggressionen und Gewalt abseits der bloßen Schutzbereichseröffnung im System der Meinungsfreiheit haben? Ausgangs- und zugleich Zielpunkt der verfassungsrechtlichen Vorstellung von Diskurs im Rahmen des Art. 5 Abs. 1 GG ist „die ständige geistige Auseinandersetzung, […] [der] Kampf der Meinungen“118 – die Meinungsfreiheit soll für geistige Auseinandersetzungen die Möglichkeit zur Beteiligung sicherstellen. Auf diese Weise sollen Bürger die politische-soziale Ordnung gestalten können und dadurch ihre Funktion als Teil des Souveräns verwirklichen.119 Gezeigt wurde, dass insbesondere die verbale Gewalt einen Verstummungseffekt auf Adressaten hat – Diskurs ist damit nicht (mehr) möglich. 116  Dazu:

„Recht der persönlichen Ehre“, Art. 5 Abs. 2 GG. Frage (mit ablehnender Antwort), ob dem Staat Ehrschutz zukommt: BVerfG, Beschl. v. 28.11.2011 – 1 BvR 917 / 09, NJW 2012, 1273 (1274). Vgl. auch Steinmetz, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 90a Rn. 1. 118  BVerfGE 7, 198 (208) = BVerfG, Urt. v. 15.1.1958  – 1 BvR 400 / 57, NJW 1958, 257 (258). Vgl. einstimmend in der Lit. etwa Badura, in: Bundesamt für Verfassungsschutz (Hrsg.), Verfassungsschutz in der Demokratie, 1990, S. 39. 119  Dazu n.a. Casper, ZRP 2002, 214 (217); Dreier, JZ 1994, 741 (741). Siehe dazu bereits Abschnitt C.II.3.b). 117  Zur

214

F. Die Meinungsäußerung als Gefahr für die Demokratie

Gleiches gilt, wenn die verbale Gewalt eine non-verbale Gewaltreaktion des Adressaten verursacht. Auch in diesem Fall ist ein Diskurs nicht mehr denkbar, es gilt insoweit: Post verba verbera. Insbesondere auch die Schaffung von Ungleichheit etwa durch Herabsetzung eines Diskursteilnehmers kann Unterbrechungen oder Destabilisierungen des Diskurses verursachen.120 Neben der Verstummung oder der Unterbrechung ist möglich, dass verbale Gewalt gar eine Ausschlusswirkung für Diskursteilnehmer hat, indem diese beispielsweise durch rassistische Herabwürdigungen segregiert und der (Diskurs-)Gemeinschaft verwiesen werden. Schwieriger bestimmen lassen sich Auswirkungen der verbalen Aggression, da der Betrachtungsfokus nicht darauf gerichtet ist, wie diese wirken, sondern welche funktionale Bestimmung diese haben. Versucht der Sprecher sich mittels verbaler Aggression emotional abzureagieren oder Stress abzubauen, kann dieses Handeln im Erfolgsfall für den Diskurs produktiv sein. Die emotionale Entspannung fördert die Sachlichkeit des Diskurses und stellt so sicher, dass die geistige Auseinandersetzung erhalten und fortgeführt wird. Probates Mittel der Verständigung im Diskurs – also etwa eines Dafürhaltens – könnte die verbale Aggression zu folgenden Zwecken sein: Demon­ stration von Gruppenzugehörigkeit, Stärkung des Gemeinschaftsgefühls, Verständigung über gemeinsame Werte, Solidarisierung, Betonung der Ernsthaftigkeit. Dient die verbale Aggression hingegen der Machtdemonstration oder Selbstverteidigung, ist ein produktiver Beitrag zum Diskurs nicht zu erwarten – im Erfolgsfall der verbalen Aggression ist vielmehr zu erwarten, dass Ungleichheit zwischen Sprecher und Adressat (und sonstige Hörer) geschaffen wird. 5. Zwischenergebnis Die Analyse hat gezeigt, dass der Forschungsgegenstand „verbale Aggression, verbale Gewalt“ nicht ein pauschales Urteil dergestalt erlaubt, diese Sprachphänomene stellten stets eine Gefahr für Diskursteilnehmer und den Diskurs selbst dar. Die differenzierte Betrachtung hat gezeigt, dass verbale Aggressionen durchaus produktiv sein können – etwa zum Abbau negativer Emotionen, zum Aufzeigen von Missständen oder dem „Ziehen von Grenzen“.121 120  Vgl. insoweit auch den Ansatz von Habermas und seine Ausführungen zur idealen Sprechsituation und zum defizienten Diskurs: Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Band I, 1988; ders., Theorie des kommunikativen Handelns, Band II, 1988. Konkret zur Diskurstheorie in der deliberativen Demokratie ders., Faktizität und Geltung, 1998, S. 349 ff. 121  Havryliv, Linguistik online 2017, 27 (35). Der Begriff der „produktiven Aggression“ lässt sich zurückführen auf die Studien von Bach / Goldberg, Keine Angst vor Aggression, 17. Aufl. 2003, die einen (v. a. gruppentherapeutischen) Ansatz ent-



IV. Ergebnis215

Deutlich wird insofern die „emotive Funktion der Sprache“.122 Anders verhält es sich mit Blick auf das Phänomen „verbale Gewalt“. Diese stellt in der Regel eine Gefahr für den Diskurs dar, insbesondere durch die Schaffung von Ungleichheit und resultierende Verstummungseffekte – sie schafft damit einen defizienten Diskurs, der im Konflikt zur verfassungsrechtlichen Vorstellung von Diskurs steht. Auch gezeigt wurde aber, dass es sich bei verbaler Gewalt nicht um Meinungsäußerungen im Sinne des Art. 5 Abs. 1 GG handeln muss; das Schlagwort „verbale Gewalt“ indiziert damit keineswegs den Schutz durch die Meinungsfreiheit. Für die verbale Aggression nach hier vertretener Konzeption gilt hingegen, dass der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG regelmäßig zu eröffnen ist. Insgesamt wurde mit diesen Überlegungen der Gefahrenallokation zur Meinungsfreiheit eine neue Dimension hinzugefügt: Verursachen Meinungsäußerungen die perlokutionären Effekte „Kränkung“, „Beleidigung“ etc., besteht für den Diskurs „Verstummungsgefahr“ – das grundrechtstheoretische Ziel der „ständige[n] geistige[n] Auseinandersetzung, […] [der] Kampf der Meinungen“123 lässt sich im Falle der Gefahrenrealisierung nicht mehr erreichen. Anschlussüberlegungen dazu könnten sein, wie sich der defiziente Modus eines Diskurses verhindern lässt; denkbar ist – etwa im Rahmen des sich aus dem Wehrhaftigkeitskonzept des GG ergebenden Gestaltungsauftrages – die Schaffung (öffentlicher) Räume für ideale Sprechsituationen bzw. Diskurse.124

IV. Ergebnis Die empirische Analyse legt nahe, dass zwischen Sprache und Gewalt ein enger Zusammenhang bestehen kann. Damit lässt sich empirisch darstellen, dass Sprache sehr wahrscheinlich zu Gewalthandlungen führen kann. Diese empirischen Darstellungen fügen sich in eine Debatte, in der von Sprache ausgehende Gefahren ohne wissenschaftlich fundierte Anhaltspunkte vermuwickelt haben, durch das „Ausleben“ von Aggressionen psychische Erkranken (etwa Depressionen (S. 76) oder Selbsthass (S. 80)) zu behandeln. Bach / Goldberg sehen unterdrückte Aggressionen als (mit-)ursächlich für eine Vielzahl von Erkrankungen, so etwa der katatonischen Schizophrenie (S. 83 f.), sexuelle Impotenz und Frigidität (S. 87) etc. Weitere Beispiele dazu ab S. 84. 122  Havryliv, Linguistik online 2017, 27 (35). Zitat a. a. O. 123  BVerfGE 7, 198 (208) = BVerfG, Urt. v. 15.1.1958  – 1 BvR 400 / 57, NJW 1958, 257 (258). Vgl. einstimmend in der Lit. etwa Badura, in: Bundesamt für Verfassungsschutz (Hrsg.), Verfassungsschutz in der Demokratie, 1990, S. 39. 124  Etwa nach dem Vorbild der Diskurstheorie von Habermas, vgl. dazu bereits Fn. 1023. Vgl. auch Krämer, Gewalt der Sprache – Sprache der Gewalt, 2004, S. 10; Havryliv, Linguistik online 2017, 27 (42, 44).

216

F. Die Meinungsäußerung als Gefahr für die Demokratie

tet werden. Sie verdeutlichen auf einer wissenschaftlichen Grundlage die Gefährlichkeit von Sprache. Pragmalinguistisch gilt zudem, dass das Sprechen in Akten stattfindet und diese ein Handeln darstellen, sodass der alltagsverständlichen Unterscheidung zwischen „Worten und Taten“ nicht entsprochen werden kann. Damit wird einmal mehr deutlich, dass Sprache nicht nur in einen resonanzlosen, abstrakten und nur geistig wirkenden Raum dringt. Gezeigt wurde außerdem, dass (sprachliche, nicht gestische) Meinungsäußerungen als Expressiva eingeordnet werden können, die für sich genommen keine Anpassungsrichtung aufweisen. Eine Analyse der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung insbesondere zum eingriffsfreien Bereich der Meinungsfreiheit hat ferner Inkonsistenzen aufgedeckt: Eingriffsfähig sollen danach weniger monofunktionale, rein expressive Sprachhandlungen sein, sondern polyfunktionale, insbesondere direktive und kommissive Sprachhandlungen. Aus Gründen der Bestimmtheit und Konsistenz wurde für die Eingriffsfähigkeit das Kriterium „Wahrnehmbarkeit durch Dritte“ vorgeschlagen. Auch in der Linguistik wird Sprache vermehrt als „verbale Aggression“ oder gar „verbale Gewalt“ erforscht, wobei die negative Konnotation der Begriffe „Aggression“ und „Gewalt“ irreführend sein kann: Die verbale Aggression kann für den Sprecher etwa für das emotionale Abreagieren produktiv sein und damit auch den freien Diskurs (als verfassungsrechtliches Ziel der Meinungsfreiheit) fördern. Die verbale Gewalt hingegen zeitigt deutliches Gefahrenpotential für den Diskurs, da sie in der Regel zur Verstummung der Diskursteilnehmer führt; sie widerläuft damit dem grundrechtstheoretischen Zweck bzw. Ziel der Meinungsfreiheit.

G. Meinungsäußerungsdelikte im Lichte der Untersuchung Der Begriff der Freiheit ist grundsätzlich positiv konnotiert. Mit Freiheit wird gemeinhin die Abwesenheit von Zwang, Verpflichtung oder Last verbunden ebenso wie die Anwesenheit von Unabhängigkeit und Unbeschränktheit.1 Im Kontrast zu dieser positiven Begriffsbedeutung stellt Masing 2012 die These auf: „Wenn Freiheit Freiheit ist, ist rechtlich nicht gewährleistet, daß sie – zumal als gleichberechtigte Freiheit aller – schließlich zum Guten führt.“2

Am Beispiel der Meinungsfreiheit und der fdG ist nachfolgend zu untersuchen, inwieweit sich diese These verifizieren lässt. Erste Anhaltspunkte für die Gefährlichkeit der Meinungsfreiheit wurden bereits im vorangegangenen Abschnitt interdisziplinärer Vorüberlegungen herausgearbeitet. In diesem Untersuchungsabschnitt werden etwaige von der Meinungsfreiheit ausgehende Gefahren für die fdG alloziert. Diese Untersuchungsaufgabe stellt sich, da der Schutz der fdG durch Meinungsäußerungsverbote voraussetzt, dass die Meinungsfreiheit überhaupt eine Gefahr für die fdG darstellen kann. Es reicht für den (Straf-)Gesetzgeber nämlich nicht aus, lediglich ein Schutzgut zu benennen – vielmehr müssen die verbotenen Handlungen, hier die Meinungsäußerungen, einen „hinreichend engen Rechtsgutsbezug aufwei­ sen.“3 Dies gilt für das Schutzgut „fdG“ umso mehr, da es sich dabei um ein kollektives Schutzgut handelt, dessen Beeinträchtigung anders als ein Individualschutzgut nur schwer messbar ist.4 Auch vor dem Hintergrund des Wehrhaftigkeitskonzepts dürfen Strafverbote zum Schutz der fdG nicht auf bloße Zurechnungsvermutungen gestützt werden, da eine allzu wehrhafte Demokratie schnell zur Gefahr für eben diese Grundordnung werden kann.5

1  Vgl. nur die Bedeutungsübersicht zu „Freiheit, die“ in Duden, online abrufbar unter zuletzt besucht am 20.09.18. 2  Masing, JZ 2012, 585 (585). 3  Hefendehl, in: Hoyer, FS Schroeder, 2006, S. 453 (473) (Betonung wurde nicht vom Autor hinzugefügt.); vgl. auch ähnlich Kett-Straub, NStZ 2011, 601 (602) und Hassemer, NStZ 1989, 553 (557). Ferner Dagasan, Das Ansehen des Staates im türkischen und deutschen Strafrecht, 2015, S. 190, der darauf hinweist, dass insbesondere bei Staatsschutzdelikten der staatliche Strafanspruch zurückhaltend einzusetzen ist. 4  Ähnlich Hefendehl, in: Hoyer, FS Schroeder, 2006, S. 453 (473). 5  Vgl. nur den zwar reißerischen, aber anschaulichen Ausruf „Freiheit – zu Tode geschützt!“ bei Albrecht, NJ 2001, 626.

218

G. Meinungsäußerungsdelikte im Lichte der Untersuchung

Ferner soll beantwortet werden, ob die untersuchten Meinungsäußerungsverbote zum Schutz der fdG dem Bedeutungsspektrum der Meinungsfreiheit gerecht werden und zugleich ein wirkungsvolles Instrument der wehrhaften Demokratie sind. Am Beispiel der §§ 83, 86, 86a sowie 90a StGB ist also zu prüfen, ob der Schutz der fdG einerseits und die Funktionalität der Meinungsfreiheit andererseits gewahrt sind und sich in demokratietheoretisch konsistenter Weise ineinander fügen. Die widerstreitenden Interessen sind dafür so libertär wie möglich und nur so freiheitsbeschneidend wie nötig in Einklang zu bringen. Sind die Gefahren der vorliegend untersuchten, strafbewehrten Meinungsäußerungen zusammengetragen, stellt sich abschließend mit Mill zur Meinungsfreiheit die Frage: „Because it may be used erroneously, are men to be told that they ought not to use it at all?“6

Dieser Abschnitt ist unterteilt in eine verfassungsrechtliche Einordnung der Untersuchung (I. und II.). Sodann folgt die Gefahrenallokation unter III. und IV. In einer Gesamtschau werden die Ergebnisse zusammengetragen und ausgewertet (V. und VI.).

I. Verfassungsrechtliche Einordnung der Untersuchung und daraus abgeleitete Fragestellungen Zunächst ist die nachfolgende Untersuchung in einem verfassungsrechtlichen Kontext einzuordnen, um etwa für eine Verfassungsmäßigkeitsprüfung einen konkreten Anknüpfungspunkt zu bieten. Gezeigt wurde im Abschnitt C.II.2.c)cc), dass das BVerfG für die Meinungsfreiheit einen eingriffsfreien Bereich etabliert hat, der sich auf solche Meinungsäußerungen erstreckt, die in einer „rein geistige[n] Sphäre des Für-richtig-Haltens“ verbleiben – entsprechende Äußerungen stehen nicht ­ zur Ein­griffsdisposition des Gesetzgebers.7 Für die fraglichen Meinungsäußerungsdelikte ist damit in einem ersten Schritt zu prüfen, ob sie im Lichte der Rechtsprechung des BVerfG überhaupt eingriffsfähig sind. Die weitere Untersuchung – mithin die Gefahrenanalyse der Meinungsäußerungen und der Meinungsäußerungsverbote – ist in einer Verfassungsmäßigkeitsprüfung (konkret: Verhältnismäßigkeitsprüfung) der relevanten Strafgesetze auf der Ebene „Eignung zu einem legitimen Zweck“ angesiedelt, sodass sich die Darstellungen auf diesen Teil der Verhältnismäßigkeit beschränken: Zunächst bedarf es für den verfassungsrechtlich gerechtfertigten, 6  Mill,

On liberty, The Second Edition 1859, S. 36. 124, 300 (330) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08, NJW 2010, 47 (51). 7  BVerfGE



I. Verfassungsrechtliche Einordnung und daraus abgeleitete Fragestellungen219

verhältnismäßigen Eingriff in die Meinungsfreiheit eines legitimen Schutzzwecks.8 Ein solcher Schutzzweck „ist grundsätzlich jedes öffentliche Interesse, das verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossen ist.“9 Der Eingriff darf nicht zur „Aufhebung des in dem jeweiligen Grundrecht enthaltenen Freiheitsprinzips als solchen“10 führen. Überprüft und tariert wird dieses Prinzip mittels Wechselwirkungslehre unter der Prämisse, dass die Meinungsfreiheit durch den Eingriff nicht in ihrem „substanziellen Gehalt“ unterminiert werden darf.11 Darüber hinaus muss die gesetzgeberische Maßnahme auch geeignet sein, dem legitimen Schutzzweck zu dienen. Zu beachten ist insoweit zwar die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers12, doch kann es an einer Eignung zu einem legitimen Zweck auch dann fehlen, wenn vom fraglichen Verhalten bereits gar keine nicht unerhebliche Gefahr für den Schutzzweck ausgeht. Auf dieser verfassungsdogmatischen Ebene ist die nachfolgende Prüfung angesiedelt mit der Frage, ob von der Meinungsfreiheit überhaupt eine (nicht unerhebliche) Gefahr für die fdG ausgeht und ferner, ob bei Bestehen einer Gefahr die durch den Eingriff in die Meinungsfreiheit verursachten Gefahren für die Grundordnung nicht sogar noch erheblicher sind. Diese verfassungsrechtlichen Anknüpfungspunkte lassen sich unterteilen in folgende Fragen: 1. Handelt es sich bei den verbotenen Handlungen im Lichte der Rechtsprechung des BVerfG um rein geistig bleibende oder um eingriffsfähige Meinungsäußerungen mit Außenwirksamkeit? (Zusätzlich: Wie ist diese Einordnung aus pragmalinguistischer Sicht zu bewerten?) (vgl. G.II.) 2. Inwiefern sind diese Meinungsäußerungen für die fdG gefährlich? (vgl. G.III.) 3. Ist das Meinungsäußerungsverbot für die fdG gefährlich? (vgl. G.IV.)

8  BVerfGE 124, 300 (331 f.) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08, NJW 2010, 47 (52). 9  BVerfGE 124, 300 (331) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08, NJW 2010, 47 (52). 10  BVerfGE 124, 300 (331) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08, NJW 2010, 47 (52). 11  BVerfGE 124, 300 (332) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08, NJW 2010, 47 (52). 12  Vgl. etwa BVerfGE 77, 84 (106) = BVerfG, Beschl. v. 6.10.1987 – 1 BvR 1086 / 82 u. a., NJW 1988, 1195 (1196): Das BVerfG spricht dem Gesetzgeber  – im fraglichen Sachverhalt im Bereich der Arbeitsmarktpolitik etc. – einen Einschätzungsund Prognosevorrang ein. Vgl. mit einem Plädoyer für eine weite Einschätzungsprärogative bei Strafgesetzen unter Berücksichtigung des Ultima-Ratio-Prinzips Brähler, in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 269 ff., 289.

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G. Meinungsäußerungsdelikte im Lichte der Untersuchung

Mit diesen Fragestellungen werden keine abschließenden Antworten zur Verfassungsmäßigkeit der Normen gegeben. Vielmehr handelt es sich um eine isolierte Betrachtung der Meinungsfreiheit und des Schutzguts „fdG“. Sowohl weitere betroffene Grundrechte als auch weitere Schutzgüter könnten im Rahmen einer Verfassungsmäßigkeitsprüfung relevant sein – werden vorliegend aber ohne Beachtung bleiben.

II. Zur Eingriffsfähigkeit und Außenwirksamkeit der Meinungsäußerungen 1. § 83 StGB Zunächst stellt sich aus bundesverfassungsgerichtlicher Perspektive die Frage, ob es sich bei der hier relevanten Tathandlung gemäß § 83 StGB (konkret: Agitation beziehungsweise Propaganda in Wort, Schrift und Bild) um bloß geistig bleibende Meinungsäußerungen handelt oder ob diese eine Außenwirkung entfalten. Das Tathandeln ist den Handlungen nach § 81 und § 82 StGB vorgelagert, die jeweils die Tatmittel „Gewalt“ und „Drohung mit Gewalt“ aufgreifen. Damit wird auch deutlich, dass die Agitation auf „Realwirkungen“13 ausgerichtet ist – allerdings diesen weit vorgelagert, da es sich um eine Vor-Vorfeld-Kriminalisierung14 handelt. Die Agitation muss zwar keine konkrete Gefahr darstellen, doch nach einer Ansicht eine gewisse beziehungsweise objektive Gefährlichkeit und nach anderer Auffassung Erheblichkeit im Sinne gewisser zeitlicher oder sachlicher Nähe zum Unternehmen aufweisen.15 Nach den vom BVerfG aufgestellten Grundsätzen muss deshalb gelten, dass der agitierende Täter nicht lediglich auf einer „rein geistige[n] Sphäre des Für-richtig-Haltens“16 verbleibt. Vielmehr handelt es sich bei dem tatbestandlichen Verhalten um eine erkennbare Gefährdungslage, da es – typisch für Agitationen – auf aggressive Emotionalisierungen setzt und dadurch zumindest mittelbar auf die Auslösung von „Realwirkungen“ gerichtet ist.17 Auch wenn die vom BVerfG gezogene Grenze zwischen 13  Zu beachten ist insoweit, dass sich die bundesverfassungsgerichtliche Einteilung in „Realwirkungen“ mit dem Handlungscharakter der Sprechakte nur schwer in Einklang bringen lässt. 14  Unter Strafe steht gem. § 83 StGB die Vorbereitung der Unternehmen nach §§ 81, 82 StGB. Damit ist auch die Vorbereitung („Vor-“) des Versuchs („Vorfeld“) strafbar. Vgl. dazu Abschnitt D.III. 15  Siehe zum Streit Abschnitt D.III.2. 16  BVerfGE 124, 300 (330) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08, NJW 2010, 47 (51). 17  BVerfGE 124, 300 (332) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08, NJW 2010, 47 (51 f.).



II. Zur Eingriffsfähigkeit und Außenwirksamkeit der Meinungsäußerungen221

in geistigen Sphären verbleibenden Meinungsäußerungen und solchen mit Außenwirkung schwer bestimmbar ist, handelt es sich bei der Tathandlung „Agitation“ um den vom Gericht beschriebenen Standardfall einer außenwirksamen Meinungsäußerung. Pragmalinguistisch können die tatbestandlichen Agitationen nicht der rein expressiven Sprachhandlungsklasse zugeordnet werden. Zwar weisen Agitationen einen deutlich werdenden expressiven Gehalt auf, da es sich dabei um das Gutheißen (Ausdruck eines psychischen Zustandes; illokutionärer Zweck) eines hochverräterischen Unternehmens (propositionaler Akt) bei gleichzeitiger Ablehnung (ebenfalls illokutionärer Zweck) der verfassungsmäßigen Ordnung etc. (propositionaler Akt) handelt. Die tatbestandlich vorausgesetzte räumliche und zeitliche Nähe zum sowie die Ausrichtung auf das Unternehmen verdeutlichen aber, dass die Agitation im Unterschied zu „reinen“ Expressiva sehr wohl eine spezifische Anpassungsrichtung aufweist. Diese Anpassungsrichtung kann etwa den Direktiva entsprechen: Die Hörer sollen entsprechend der Proposition handeln (illokutionärer Zweck) – die Welt soll also der Proposition angepasst werden (Welt-auf-Wort-Ausrichtung). Denkbar ist ferner, dass der expressive Gehalt durch einen kommissiven Gehalt ergänzt wird, indem der Sprecher sich auf ein zukünftiges Verhalten festlegt, also zum Beispiel verspricht oder droht. Auch für die Kommissiva ist eine Welt-auf-Wort-Ausrichtung auszumachen. Deutlich wird erneut, dass der vom BVerfG etablierte, eingriffsfähige Bereich der Meinungsfreiheit nicht vordergründig monofunktionale Expressiva bzw. Meinungsäußerungen anvisiert, sondern vielmehr polyfunktionale Sprechakte, die insbesondere durch direktive oder kommissive Gehalte geprägt sind. Für die tatbestandliche Agitation kann die Eingriffsfähigkeit deshalb ohne das vorliegend favorisierte Kriterium der „Wahrnehmbarkeit durch Dritte“ bejaht werden. 2. § 86 StGB Im Mittelpunkt der Tathandlungen nach § 86 Abs. 1 StGB stehen Propagandamittel. Diese zeichnen sich aus durch „eine ‚aktiv kämpferische, aggressive Tendenz‘ gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung […].“18 Propagandamittel sind damit – wie auch die tatbestandliche Agitation gemäß § 83 StGB – im bundesverfassungsgerichtlichen Verständnis geradezu prädestiniert, Außenwirksamkeit zu entfalten. Das Bundesverfassungsgericht hat Meinungsäußerungen, die durch „aggressive Emotionalisie18  BGHSt 23, 64 (72) = BGH, Urt. v. 23.7.1969  – 3 StR 326 / 68, NJW 1969, 1970 (1972), m. w. N. auf die Rspr. des BverfG a. a. O.

222

G. Meinungsäußerungsdelikte im Lichte der Untersuchung

rungen […] rechtsgutsgefährdende Folgen unmittelbar auslösen können“, als typischerweise außenwirksam beschrieben.19 Problematisch könnte sein, dass es sich – ein Zu-eigen-Machen ist nicht erforderlich – bei § 86 StGB nicht um ein persönliches Äußerungsdelikt handelt, sondern um ein Verbreitungsdelikt. Relevant im Rahmen der vorliegenden Untersuchung sind aber nur solche Begehungen von § 86 StGB, die zugleich auch eine Meinungsäußerung darstellen – eine weitergehende Problematisierung hat deshalb vorliegend nicht zu erfolgen.20 Pragmalinguistisch ergibt sich ein der Agitation im Sinne des § 83 StGB sehr ähnliches Bild. Auch die Propaganda gemäß § 86 StGB weist aufgrund der tatbestandlich vorausgesetzten „aktiv kämpferischen, aggressiven Tendenz“21 eine nicht-expressive, spezifische Anpassungsrichtung auf: Das „aktive Kämpfen“ für eine verfassungswidrige Organisation kann unter den Direktiva eingeordnet werden, also als Anpassung der Welt an die Proposition der Propaganda, da der Sprecher nicht lediglich einen sich auf die Proposition beziehenden psychologischen Zustand ausdrücken will (Expressiva). Wie im Rahmen des § 83 StGB kann die Propaganda je nach konkreter Ausgestaltung auch als Kommissiva ausgelegt werden, wenn der Sprecher sich auf künftiges Verhalten festlegt, womit ebenfalls eine für reine Expressiva untypische, spezifische Anpassungsrichtung gegeben wäre (Welt-aufWort-Ausrichtung). Wie bei der Agitation handelt es sich bei der Propaganda um einen polyfunktionalen Sprechakt, der zwar meinungsäußerungstypischen, nämlich expressiven, aber insbesondere auch direktiven und kommissiven Gehalt aufweist. 3. § 86a StGB Die Wertungen zur Außenwirksamkeit der Tathandlungen gemäß § 86 StGB können mit Blick auf § 86a StGB nicht ohne Weiteres übernommen werden, da nicht die Verbreitung von Propagandamitteln, sondern die Verwendung verfassungsfeindlicher Kennzeichen im Mittelpunkt steht. Bei Kennzeichen im Sinne des § 86a Abs. 1 StGB handelt es sich um „Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen“ etc., die sich die verfassungsfeindlichen Organisationen durch einen Autorisierungsakt zu eigen gemacht haben und die in der Folge als geistig-politische Zugehörigkeit der symbolhaften Identifikation mit der Organisation oder der Propaganda der Organisation die19  BVerfGE 124, 300 (332) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08, NJW 2010, 47 (52). 20  Davon kann bei der Tatbegehung gem. § 86 StGB regelmäßig ausgegangen werden, vgl. dazu die Ausführungen im Abschnitt D.IV.2. 21  Vgl. oben unter Abschnitt D.IV.2.



II. Zur Eingriffsfähigkeit und Außenwirksamkeit der Meinungsäußerungen223

nen.22 Solche Kennzeichen weisen anders als Propaganda nicht zwingend „aktiv kämpferische, aggressive Tendenz“ auf, da ihnen bereits kein argumentativer Charakter zukommt. Sie sind häufig und insbesondere bei relativer Unbekanntheit der Kennzeichen nicht geeignet, ohne weitere Erklärungen aggressive Emotionalisierungen auszulösen. Etwas anderes kann nur für solche Kennzeichen gelten, die einen hohen Bekanntheitsgrad aufweisen und eine gemeinhin bekannte Symbolisierung schwerster Gewaltverbrechen darstellen.23 Eine solche Bekanntheit und Symbolisierung ist tatbestandlich jedoch nicht vorausgesetzt.24 Das BVerfG hat einen eingriffsfreien Bereich für solche Meinungsäußerungen etabliert, die in einer „rein geistige[n] Sphäre des Für-richtig-Haltens“ verbleiben, um Gesinnungseingriffe zu verhindern.25 Diese geistige Sphäre wird erst verlassen bei erkennbarer Veranlagung von Gefährdungslagen oder „Rechtsgutsverletzungen“, also etwa bei mittelbarer Ausrichtung auf Realwirkungen etc., indem appelliert oder emotionalisiert wird.26 Handelt es sich um das Kennzeichen einer Organisation im Sinne der Norm, ist diese nur in einschlägigen Kreisen bekannt und symbolisiert das Kennzeichen etwa nicht schwerste Gewaltverbrechen, handelt es sich bei der Verwendung regelmäßig um den bloßen Ausdruck eines „Für-richtig-Haltens“ – eine Außenwirksamkeit im Sinne des BVerfG ist damit nicht zu erwarten.27 In konsequenter Anwendung der Rechtsprechung des BVerfG würde es sich damit bei tatbestandlicher Kennzeichenverwendung regelmäßig – sofern das Kennzeichen relativ unbekannt ist und den beschriebenen Symbolgehalt aufweist – um Meinungsäußerungen des eingriffsfreien Bereichs handeln. Etwas anderes würde nur bei Anwendung des vorliegend favorisierten Kriteriums „Wahrnehmbarkeit durch Dritte“ gelten: In diesen Fällen wäre bei tatbestandlicher Kennzeichenverwendung stets eine Eingriffsfähigkeit anzunehmen. 22  Vgl. u.  a. BGHSt 52, 364 (371 f.) = BGH, Beschl. v. 1.10.2008 – 3 StR 164 / 08, NJW 2009, 928 (929 / 930). Steinmetz, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 86a Rn. 5; Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 86a Rn. 7. 23  Bsp.: Hakenkreuz, doppelte Sigrune (Kennzeichen der SS) als Symbolisierung der NS-Gewaltherrschaft. Weitere Kennzeichen-Bsp. bei Reuter, Verbotene Symbole, 2005, S.  285 ff. 24  Der Gehalt der Symbolisierung ist jedoch eingrenzbar, da die Vereinigungsbzw. Parteiverbote und damit die Verbotsgründe auf die Art. 9 Abs. 2, 21 Abs. 2 GG zurückführbar sind. 25  BVerfGE 124, 300 (330) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08, NJW 2010, 47 (51). 26  BVerfGE 124, 300 (332) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08, NJW 2010, 47 (52). 27  Zu bedenken ist, dass selbst die bekenntnishafte Verwendung tatbestandlich nicht vorausgesetzt ist.

224

G. Meinungsäußerungsdelikte im Lichte der Untersuchung

Pragmalinguistisch handelt es sich anders als bei der Agitation (§ 83 StGB) oder Propaganda (§ 86 StGB) bei der tatbestandlichen Kennzeichenverwendung im Sinne des § 86a StGB regelmäßig um reine Expressiva, da sie zunächst nur einen auf eine Proposition gerichteten Ausdruck eines psychischen Zustands darstellen: Die durch die Proposition verdeutlichte Sachlage (Existenz der verfassungswidrigen Organisation) wird befürwortet (illokutionärer Zweck).28 Zwar ist mangels tatbestandlicher Voraussetzung einer bekenntnishaften Verwendung selbst der expressive Gehalt nicht zwingend, doch wird er regelmäßig anzunehmen sein.29 Ein direktiver oder kommissiver Gehalt hingegen wird dem Sprechakt nur selten innnewohnen. Die (bekenntnishafte) tatbestandliche Kennzeichenverwendung wird deshalb in der Regel als monofunktionaler, rein expressiver Sprechakt zu erkennen sein – mithin als Meinungsäußerung im engeren Sinne. Deutlich werden insoweit die Schwächen der Rechtsprechung des BVerfG zum eingriffsfreien Bereich: Die Außenwirksamkeit der Expressiva besteht nämlich darin, überhaupt wahrgenommen zu werden. Eingriffsfähig ist eine Meinungsäußerung nach Ansicht des BVerfG erst dann, wenn zum expressiven Gehalt Facetten anderer Sprachhandlungsklassen hinzukommen. Diese Ungenauigkeit ist vorliegend dadurch gelöst, dass die Eingriffsfähigkeit am Kriterium „Wahrnehmbarkeit durch Dritte“ festgemacht wird. 4. § 90a StGB Für die Frage der Außenwirksamkeit ist zu unterscheiden nach den Absätzen 1 und 2 des § 90a StGB. Die Beschimpfung (Abs. 1 Nr. 1) zeichnet sich durch besondere Rohheit im Ausdruck aus und liegt vor, wenn beispielsweise schimpfliches Verhalten vorgeworfen wird. Das böswillige Verächtlichmachen (Abs. 1 Nr. 1) liegt vor, wenn aus Niedertracht, Feindseligkeit oder Verwerflichkeit (Böswilligkeit) heraus Angriffsobjekte als unwert oder unwürdig dargestellt werden, wobei eine hohe Verwirklichungshürde zu beachten ist. Selbst der Aufruf zum gewaltfreien Umsturz der bestehenden staatlichen Ordnung soll danach nicht erfasst sein. Die Verunglimpfung (Abs. 1 Nr. 2) darf nur dann bejaht werden, wenn eine Missachtung oder ehrangreifende Verächtlichmachung kundgetan wird, die über auch polemische oder reißerische Kritik hinausgeht.30

28  Im

Detail zu den Expressiva vgl. Abschnitt F.II.2. warum die Verwendung regelm. bekenntnishaft erfolgt: Abschnitt D.V.2. 30  Vgl. zu alledem oben unter Abschnitt D.VI. und D.VI. 29  S. dazu,



II. Zur Eingriffsfähigkeit und Außenwirksamkeit der Meinungsäußerungen225

Wie aber sind diese Tathandlungen mit Blick auf den eingriffsfreien Bereich der Meinungsfreiheit zu bewerten? Handelt es sich dabei um Meinungsäußerungen mit Außenwirkung oder verbleiben diese in einer „rein geistige[n] Sphäre des Für-richtig-Haltens“31? Da es sich bei den Tathandlungen um intensive Ausdrücke psychischer Zustände handelt, kann jedenfalls von einer gewissen Emotionalisierung auch der Hörer ausgegangen werden; doch kann auch von einer „aggressiven Emotionalisierung“ im Sinne des BVerfG ausgegangen werden? Feststellen lässt sich insoweit, dass die Tathandlungen weder „mittelbar auf Realwirkungen“ noch als „Appelle zum Rechtsbruch“ erkannt werden können.32 Ob die tatbestandlichen Äußerungen Handlungsbereitschaft Dritter, also der Hörer auslösen, lässt sich für die Tathandlung nicht pauschal festlegen. Denkbar sind tatbestandliche Meinungsäußerungen, die Hörer etwa einschüchtern oder handeln lassen – ebenso denkbar sind aber auch tatbestandliche Meinungsäußerungen die keine der­ artigen (perlokutionären) Effekte auslösen. Es zeigt sich einmal mehr: Die Kriterien des BVerfG sind in ihrer Unbestimmtheit zumindest im vorliegenden Fall nahezu unbrauchbar. Es handelt sich um „kautschukartige“ Abgrenzungskriterien, die die Etablierung eines eingriffsfreien Bereiches eher erschweren als erleichtern. Eine klare Einschätzung lässt sich für die Tathandlungen des § 90a Abs. 1 StGB anhand dieser Kriterien nicht treffen. Auch insoweit ist die Sphäre der Äußerlichkeit mit dem hier favorisierten Kriterium der „Wahrnehmbarkeit durch Dritte“ zu etablieren und zu bejahen. Pragmalinguistisch verhalten sich die Tathandlungen des § 90a Abs. 1 StGB wie die Kennzeichenverwendungen im Sinne des § 86a StGB: Die tatbestandlichen Meinungsäußerungen sind als Expressiva einzuordnen, weshalb sich insoweit wieder die problematische Erörterung der Außenwirksamkeit stellt.33 Problematisch stellt sich ebenfalls die Ermittlung der Außenwirkung von Meinungsäußerungen im Sinne des § 90a Abs. 2 StGB dar. Relevante Tathandlungen sind das Entfernen, Zerstören, Beschädigen, Unbrauchbar- und Unkenntlich-Machen sowie der beschimpfende Unfug. Dabei werden nicht pauschal alle in Betracht kommenden Tathandlungen analysiert, sondern nur solche, die als Meinungsäußerungen eingeordnet wurden.34 Das tatbestandliche „Entfernen“, das unter Voraussetzung eines stellungnehmenden Elements 31  BVerfGE 124, 300 (330) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009  – 1 BvR 2150 / 08, NJW 2010, 47 (51). 32  Vgl. für die Kriterien BVerfGE 124, 300 (332) = BVerfG, Beschl. v. 4.11. 2009 – 1 BvR 2150 / 08, NJW 2010, 47 (52). 33  Vgl. dazu näher die Ausführungen im Abschnitt F.II.2. 34  Vgl. zur Einordnung der Tathandlungen als Meinungsäußerungen Abschnitt D. VI. und D.VII.

226

G. Meinungsäußerungsdelikte im Lichte der Untersuchung

als Meinungsäußerung erkannt werden kann, muss gegen oder ohne den Willen des Gewahrsamsinhabers erfolgen. Für den Gewahrsamsinhaber folgt daraus zumindest eine psychische Drucksituation, der im Lichte der Rechtsprechung des BVerfG als „Einschüchterung“ oder vergleichbare Wirkung bei dem Gewahrsamsinhaber Außenwirksamkeit „attestiert“ werden kann.35 Etwas anderes gilt für die tatbestandliche Beschädigung oder Zerstörung, die nur dann vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG erfasst ist, wenn sie auf Schutzgegenstände des Täters bezogen ist.36 Eine Zwangswirkung oder psychische Drucksituation für Dritte ergibt sich – anders als bei der tatbestandlichen Entfernung – insoweit nicht. Die Außenwirksamkeit ist damit wie bei den Tathandlungen des Absatz 1 im Lichte der BVerfG-Rechtsprechung nur schwierig zu bestimmen. Aus diesem Grund ist auch hier das Kriterium „Wahrnehmbarkeit durch Dritte“ vorzugswürdig. Für das Unkenntlichmachen und den beschimpfenden Unfug im Sinne des Absatz 2 gilt das zum „Entfernen“ Gesagte, sofern der Gegenstand im Eigentum eines Dritten steht: Eine Außenwirksamkeit ist aufgrund einer psychischen Drucksituation beim Eigentümer anzunehmen. Handelt es sich um Eigentum des Täters, ist die Frage zur Außenwirksamkeit wie im Rahmen der Beschädigung oder Zerstörung zu behandeln.

III. Die Meinungsfreiheit als Gefahr für die fdG Im Folgenden wird anhand der §§ 8337, 86, 86a (Abs. 1 Nr. 1) und 90a StGB als Teil der Gefahrenallokation untersucht, welche Gefahren von der Meinungsfreiheit für die fdG ausgehen. Für den strafgesetzlichen Schutz ist nämlich erforderlich, dass überhaupt eine Gefahr gegeben ist und diese einen (hinreichend) engen Bezug zum Schutzgut aufweist.38 1. Unberechenbarkeit als Gefahr Grundsätzlich birgt jede Freiheit, auch die Meinungsfreiheit, folgende Eigenschaft: Sie ist in ihrer konkreten Ausgestaltung unvorhersehbar, nicht plan- oder kalkulierbar.39 Mitunter wird insoweit auch von einer „Diffusität 35  Vgl. dazu BVerfGE 124, 300 (332) = BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009 – 1 BvR 2150 / 08, NJW 2010, 47 (53). 36  Vgl. Abschnitt D.VII.2. 37  In der Tathandlungsvariante „Agitation“. 38  Vgl. dazu n.a. Hefendehl, in: Hoyer, FS Schroeder, 2006, S. 453 (473). 39  Zur Unvorhersehbarkeit als Risiko der Meinungsfreiheit vgl. auch Masing, JZ 2012, 585.



III. Die Meinungsfreiheit als Gefahr für die fdG227

und Beliebigkeit individueller Freiheitsbetätigungen“40 gesprochen. Dies gilt auch für die tatbestandlichen Äußerungen der §§ 83, 86, 86a, 90a StGB. Handelt es sich bei der Unberechenbarkeit aber überhaupt um eine Gefahr? Für ein organisiertes und geplantes Staatssystem sind Unwägbarkeiten in der Gestalt unvorhersehbarer Meinungsäußerungen nicht immer kanalisieroder nutzbar, sodass die ungehinderte Freiheitsausübung das reibungslose Staatsfunktionieren beeinträchtigen kann. Gesetzgeberische Reaktion auf derartige Unwägbarkeiten ist die Vorverlagerung von Strafbarkeiten vor eigentliche Rechtsverletzungen oder konkrete Gefahren solcher Verletzungen, um das vermutete Risiko etwa eines Hochverrates (§ 83 StGB) zu verringern (sog. Risikostrafrecht).41 Dies gilt auch für die Verbreitung von Propaganda im Sinne des § 86 StGB, da deren Wirkungen nicht vorherseh- und kontrollierbar sind.42 Deutlich wird insoweit, dass die grundgesetzliche Wehrhaftigkeit und die untersuchten Normen als entsprechende Instrumente nicht als Krisenkonzept angelegt sind.43 Zwar ist die fdG-Verteidigung im Einzelnen umso dringender, je bedrohter die Demokratie gesamtgesellschaftlich ist. Grundsätzlich gilt in Anbetracht der unterschiedlichen Bedrohungslagen, dass möglichst flexibel und situativ angepasst zu verteidigen ist, doch macht die Unberechenbarkeit der Freiheitsausübung deutlich, dass mitunter schnelle Verteidigungsmaßnahmen geboten sind. Die untersuchten Normen stellen sicher, dass in politischen Krisen und Zeiten besonderer Demokratiegefährdung ebenso wie in Zeiten politischen Friedens Angriffe auf die fdG abgewehrt werden können. Die Freiheitsausübung bewegt sich außerhalb naturwissenschaftlicher Gesetzmäßigkeiten – stellt also eine schwer oder gar nicht kalkulierbare Determinante in der politischen Öffentlichkeit dar. Doch gilt zu bedenken, dass die Unberechenbarkeit einer Meinungsäußerung kein Alleinstellungsmerkmal des Freiheitsrechts aus Art. 5 Abs. 1 GG ist: Selbst naturwissenschaftlich nachvollziehbare Phänomene sind mitunter nur begrenzt vorhersehbar. Die Unberechenbarkeit der Freiheitsausübung ist vielmehr Wesenselement der Freiheit. Die Gewährleistung insbesondere von politischen Freiheiten ist mit Blick auf die Unberechenbarkeit gegenbildliches Kernstück der Demokratie zum Totalitarismus. Im Totalitarismus wird Unberechenbarkeit minimiert, indem eigenverantwortliche Freiheitsausübung kollektiviert und durch Ideo-

40  Dreier,

RW 2010, 11 (14). zu den Anliegen des Risikostrafrechts Brunhöber, in: Puschke / Singelnstein, Der Staat und die Sicherheitsgesellschaft, 2018, S. 204. 42  So etwa Stegbauer, Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, 2000, S. 43 f. mit Blick auf § 86 StGB. 43  Vgl. dazu Abschnitt E.V.1. 41  Vgl.

228

G. Meinungsäußerungsdelikte im Lichte der Untersuchung

logisierung ersetzt wird. Demokratie hingegen ist ein Wagnis.44 Freiheitsgewährleistung bei gleichzeitiger Sicherstellung der Berechenbarkeit der Freiheitsausübung schließen sich mithin denklogisch aus – eine spezifisch der Meinungsfreiheit innewohnende und auf diese Freiheit begrenzte Gefahr kann nicht erkannt werden. Darüber hinaus wird das Staatsfunktionieren trotz der Unberechenbarkeit von Meinungsäußerungen durch verfassungsrechtliche Institutionen zur Kanalisierung der Freiheitsausübung sichergestellt, allen voran gemäß Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG durch die Wahl des Deutschen Bundestages. Dabei handelt es sich – ebenso wie etwa bei Landtagsoder Kommunalwahlen – um Ausdrucksmöglichkeiten für Meinungen. Diese Mittel der plebiszitären Mitwirkung sind für den Einzelnen aber nur selten wahrnehmbar, da zwischen den einzelnen Wahlen mitunter mehrere Jahre vergehen können. Umso wichtiger daher, dass auch abseits dieser plebiszitären Beteiligungen dem Einzelnen durch eine freie Meinungsäußerung Einflussnahme möglich ist.45 Sich tagesaktuell verändernde Meinungsbilder der Bevölkerung „bedrohen“ nicht das Staatsfunktionieren und ein im Wahlausgang unplanbarer Meinungsausdruck ist mithin Wesenselement der freiheitlichen Demokratie. 2. Freiheit für Feinde der Freiheit Es stellt sich die Frage, welche Gefahren von der Meinungsfreiheit in den Händen derer ausgehen, die die Freiheit insgesamt und konkret die fdG bekämpfen. Freiheitsfeinden kann die Meinungsfreiheit dienlich werden, indem die fdG in Abrede gestellt und andere, beispielsweise diktatorische oder autoritäre Staatssysteme wie auch direkt-demokratische Systeme „unter starker Führung“46 goutiert werden. Diesem Nutzen für Freiheitsfeinde bei gleichzeitiger Gefahr für die fdG wurde vor, während und unmittelbar nach der NS-Herrschaft in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts besondere Aufmerksamkeit zuteil. Warnungen in der Literatur mehrten sich – so etwa der amerikanische Soziologe Hankins im Oktober 1938: etwa Dreier, RW 2010, 11 (18). Dagasan, Das Ansehen des Staates im türkischen und deutschen Strafrecht, 2015, S. 267 f. 46  Diese Forderung nach direkt-demokratischen Staatssystemen „unter starker Führung“ bei gleichzeitiger Geringschätzung von Pluralismus, Minderheitenrechten etc. wird mithin unter dem Stichwort „Querfront“ diskutiert und bezieht sich vor ­allem auf das politische Spektrum einer „neuen Rechten“. Die Herausbildung einer Querfront unter „Anleitung“ von Medien wie „Compact“, „KenFM“ oder Plattformen wie „Pegida“ wird u. a. von Wolfgang Storz in einer Studie der Otto-Brenner-Stiftung besprochen: Storz, „Querfront“ – Karriere eines politisch-publizistischen Netzwerks, OBS Arbeitspapier 18 (2015). 44  Dazu

45  Ähnlich



III. Die Meinungsfreiheit als Gefahr für die fdG229 „The faith of democracy in the unrestricted right of propaganda opens the way for the betrayal of democracy itself.“47

Auch Cushman warnte in Ansehung der desaströsen Auswirkungen der NS-Herrschaft später, im Jahre 1944 vor den Gefahren der Freiheit in den Händen der Freiheitsfeinde: „[…] [O]ur principles of constitutional democracy and civil liberty have meaning and reality and value only among people who understand and appreciate them.“48

Derartige Überzeugungen fanden später Eingang in das Wehrhaftigkeitskonzept des GG.49 Dass es sich bei der „Demokratieverachtung“ aber nicht nur um eine historische Erkenntnis handelt, sondern bis heute Verwurzelung in westlich-demokratisch zivilisierter, konkret deutscher Gesellschaft findet, lässt sich in diversen Studien nachzeichnen und anhand verschiedener politischer Bewegungen beobachten.50 Vor diesem Hintergrund gilt, dass die Freiheitsausübung auf Sicherheit angewiesen ist: Meinungsfreiheit ohne Sicherheit kann nicht existieren. Um die Freiheit auch des Einzelnen zu schützen, muss deshalb in die Freiheit des freiheitsfeindlichen Einzelnen eingegriffen werden.51 Diese Warnungen und darauf basierte Kriminalisierungen dürfen sich allerdings nicht auf bloße Gefahrenvermutungen stützen. § 83 StGB als VorVorfeld-Kriminalisierung muss aufgrund einer Vielzahl rechtsstaatlicher Bedenken eine Ausnahme bleiben – zu denken ist insoweit an die Unbestimmtheit des Verbots, die Strafbarkeitsanknüpfung an ubiquitäre Handlungen sowie die Verlagerung strafrechtlicher Maßnahmen in den präventivrechtlichen beziehungsweise klassisch-polizeirechtlichen Bereich.52 Es bedarf hinreichend konkreter, darstellbarer Gefahrenzusammenhänge.53 Ließe sich eine 47  Hankins, Bulletin of the American Association of University Professors 1938, 497 (498). Vgl. auch die ungenaue Übersetzung bei Astrow, Grenzen der Freiheit in der Demokratie, 1940, S. 34, der seinerseits nach Hans Ris zitiert und „betrayal“ als „Zerstörung der Demokratie selber“ auslegt, wobei „Verrat“ dem Original von Hankins näher kommt. Dazu auch Boventer, Grenzen politischer Freiheit, 1985, S. 45, der seinerseits auf die Kettenzitierung von Astrow Bezug nimmt. 48  Cushman, The American Political Science Review 1944, 1 (16). 49  Vgl. dazu umfangreich die Abschnitte E.I.-E.III. 50  Vgl. bspw. die genannte Studie von Storz, „Querfront“ – Karriere eines politisch-publizistischen Netzwerks, OBS Arbeitspapier 18 (2015). Ebenso: Politische Parteien wie die NPD, der vom BVerfG Verfassungsfeindlichkeit bei gleichzeitiger „Bedeutungslosigkeit“ attestiert wurde, vgl. BVerfGE 144, 20 = BVerfG, Urt. v. 17.1.2017 – 2 BvB 1 / 13, NJW 2017, 611. 51  Ähnlich bei Bulla, AöR 1973, 340 (351). 52  Zum Ausnahmecharakter solcher Vorbereitungsstrafbarkeiten: Hennke, ZStW 1954, 390 (401 f.). 53  Vgl. dazu auch Hennke, ZStW 1954, 390 (401 f.).

230

G. Meinungsäußerungsdelikte im Lichte der Untersuchung

Gefahr nicht darstellen, stünden äquivalent dazu Kriminalisierungen zu befürchten, die nicht an von Handlungen ausgehende Gefahren anknüpfen, sondern allein an innenliegende, von potentiellen Tätern ausgehende Gefahren („Tätergefährlichkeit“).54 Gezeigt wurde in empirischer Darstellung, dass Sprache – immerhin wichtigste Ausdrucksform der Meinungsfreiheit55 – in engem Zusammenhang mit Gewalthandlungen durch die Hörer stehen kann.56 Empirisch darstellbar ist ferner ein enger Zusammenhang zwischen Sprache (insbesondere in Form der sogenannten Hate Speech) und psychischen Problemen oder autoaggressiven Handlungen der Adressaten.57 Gefahrenvermutungen von Kommentatoren wie Hankins oder Chushman werden durch empirisch darstellbare Zusammenhänge erhärtet: Sprache „verpufft“ nicht im stets geistig bleibenden, resonanzlosen Raum, sondern kann weitreichende Wirkungen haben. Die Wirkmacht der Sprache lässt sich auch aus pragmalinguistischer Sicht mit der Erkenntnis untermalen: Sprache ist Handeln! Nutzen Feinde der fdG diese Wirkmacht der Sprache, etwa in Form der tatbestandlichen Agitation des § 83 StGB, können deshalb ernstliche Gefahren für die Grundordnung zu befürchten sein. Dies gilt umso mehr, wenn Ziel der Agitation ist, die fdG (bzw. die verfassungsmäßige Ordnung) in einem weiteren Schritt (vgl. dazu die §§ 81, 82 StGB) mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu beschneiden oder gänzlich abzuschaffen. Die Gewaltorientierung der Agitation ist tatbestandlich bereits vorausgesetzt – die empirisch dargestellten Gewaltzusammenhänge damit von einiger Relevanz für die Gefährlichkeit der tatbestandlichen Meinungsäußerung. Mit Blick auf die §§ 86, 86a und 90a StGB lässt sich eine solche Gewaltnähe tatbestandlicher Meinungsäußerungen al-

54  Ähnlich Hennke, ZStW 1954, 390 (402). Zu den Risiken einer auf den Täter „als Gefahrenquelle“ abstellenden Vorfeldkriminalisierung vgl. auch Jakobs, ZStW 1985, 751 (752 ff.), u. a. der Uferlosigkeit solcher Kriminalisierungen. 55  Vgl. aber zu anderen, weniger im Vordergrund stehenden, von Art. 5 Abs. 1 GG erfassten Ausdrucksformen der Meinungsfreiheit Abschnitt D.VII.1. 56  Vgl. dazu Abschnitt F.I. 57  Vgl. für eine Übersicht empirischer Abhandlungen im Untersuchungskontext „Hate Speech“ Sponholz, Hate Speech in den Massenmedien, 2018, S. 32 ff., die vorliegend auch als Anhaltspunkt der Untersuchungen herangezogen wurde. Vgl. zudem die Untersuchungen von Müller-Dietz, in: Herren, FS Würtenberger, 1977, S. 167, der zu diesem Zeitpunkt monierte, es gäbe keine empirischen Anhaltspunkte zu „möglichen, wahrscheinlichen oder realen Auswirkungen ‚verbaler Gewalt‘“ (S. 184). Dass Meinungsäußerungen gefährlich sein können und etwa auch psychische Schäden verursachen können, wird in der Rechtswissenschaft häufig ohne empirische Grundlage angenommen, vgl. etwa Bull, in: Badura / Dreier, FS 50 Jahre BVerfG, Bd. 2, 2001, S. 163 (169) oder Schmitt Glaeser, JZ 1983, 95 (99) mit Blick auf die Lehren aus der Weimarer Republik.



III. Die Meinungsfreiheit als Gefahr für die fdG231

lerdings nicht feststellen, sodass diese Normen ein insoweit geringeres Bedrohungspotential aufweisen.58 Insbesondere für die Tathandlungen der §§ 86 und 86a StGB lassen sich indes empirische Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen Sprache und Ausgrenzung etc. heranziehen: Danach zeigt sich ein Zusammenhang zwischen Entäußerungen etwa diskriminierender oder rassistischer Art und gesellschaftlicher Ausgrenzung, Isolation und Vorurteilsbildung, also einstellungs- und verhaltensbezogenen Änderungen.59 Grundsätzlich könnten auch empirische Zusammenhänge zwischen der sogenannten „Hate Speech“ und psychischen Leiden der Adressaten herangezogen werden,60 allerdings wären 58  Beachte: Tathandlungen i. S. d. § 90a Abs. 2 StGB, die als Gewalthandlungen zu erkennen sind, sind nach hier vertretener Ansicht nicht vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit erfasst. Vgl. ferner zur Gewaltlosigkeit als „Trennlinie“ der Normen (§ 83 StGB auf der einen Seite und § 86, 86a und 90a StGB auf der anderen Seite) Deiters, in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 295. 59  Beachtenswert in diesem Zusammenhang sind u. a. folgende Studien, die einen engen Zusammenhang zwischen negativer Berichterstattung über religiöse Minderheiten (konkret: Islam), Ethnophaulismen etc. auf der einen Seite und Vorurteilsbildung, Xenophobie, Ausgrenzung von Immigranten etc. auf der anderen Seite nahelegen: Eyssel / Geschke / Frindte, Journal of Media Psychology 2015, 190 – zur Def. von Islamophobie u. „negativer Berichterstattung“ S. 192, zu den Ergebnissen S.  196 ff.; Frindte / Schurz / Roth, in: Halm / Meyer, Islam und die deutsche Gesellschaft, 2013, S. 119 (137 f., 140 f.) zeigen, dass negative Berichterstattungen, Debatten anlässlich einer Buchveröffentlichung (konkret: T. Sarrazin, „Deutschland schafft sich ab“, 2010) bei Betroffenen zum Gefühl der Ausgrenzung sowie zu Vorurteilen führen; vgl. auch die Studie zu Ethnophaulismen und Ausgrenzung von Immigranten bei Mullen / Rice, Personality and Social Psychology Bulletin 2003, 1056, die ebenfalls einen Zusammenhang nahelegen; vgl. ferner die Studie von Gilliam Jr. / Iyengar, American Journal of Political Science 2000, 560, die einen Zusammenhang zwischen (tendenziöser) TV-Berichterstattung und Vorurteilen, Fehlvorstellungen untersuchen und erkennen. 60  Relevante Studien dazu: Schlack / Rüdel / Karger / Hölling, Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 2013, 755 zu den Auswirkungen „psychischer Gewalt“ (Viktimisierung durch Beleidigungen, Beschimpfungen etc., S. 756) mit dem Ergebnis: „Gewalterfahrungen sind ein oft einschneidendes, mitunter schicksalbestimmendes Gesundheits- und Lebensrisiko“ (S. 763); Harris u. a., Social Science & Medicine 2006, 1428 zu den Auswirkungen rassistischer Diskriminierungen mit dem Erg., dass die Wahrscheinlichkeiten geringerer körperlicher, mentaler Gesundheit u. Funktionsfähigkeit ebenso wie Tabakkonsum mit Erfahrung rassistischer Diskriminierungen – auch und v. a. in Form verbaler Attacken – steigen (S. 1435); Bennett u. a., American Journal of Public Health 2005, 238 zum Zusammenhang zwischen „ethnic or racial harassment“ und Tabakkonsum; Mullen / Smyth, Psychosomatic Medicine 2004, 343 zum Zusammenhang zw. Ethnophaulismen ggü. Immigranten und Suizid-Wahrscheinlichkeiten mit dem Erg.: „[..] the use of hate speech may substantively contribute to mortality rates of the targets of hate speech.“ (S. 347); Eisenberg / Neumark-Sztainer / Story, Archives of Pediatrics & Adolescent Medicine 2003, 733 dazu, dass „weight-based teasing“ mit geringer Köperzufrieden-

232

G. Meinungsäußerungsdelikte im Lichte der Untersuchung

damit nicht die Tathandlungssituationen der §§ 86, 86a und 90a StGB erfasst: Anders als in den angeführten Studien handelt es sich bei den Tathandlungen nicht um direkte Ansprachen Einzelner, etwa um persönliche, rassistisch motivierte verbale Attacken. Derart gelagerte Sprachhandlungen sind überdies bereits von anderen Verboten erfasst, etwa den §§ 130, 185 ff. StGB, die andere Schutzzwecke als die fdG anvisieren. Zu bedenken ist für diese Meinungsäußerungen neben den dargestellten Gefahren, dass illokutionärer Zweck einer gegen die fdG gerichteten Meinungsäußerung regelmäßig die argumentative Überzeugung demokratieverwurzelter Meinungsträger sein wird.61 Ist die Äußerung im demokratischen Prozess erfolgreich62, d. h. hat sich eine fdG-feindliche Mehrheit herausgebildet, sind auch demokratische und rechtsstaatliche Institutionen gefährdet.63 Gibt es nämlich einen mehrheitlichen Willen zur Abschaffung der einzelnen fdG-Bestandteile, steigt die Gefahr für ein Versagen verfassungsrechtlicher Garantien und Sicherungssysteme. Die Aufhebung etwa politischer Freiheitsrechte steht in diesem Fall zu befürchten, wenn auch der „Überzeugungsprozess“ bis dahin legal und demokratisch ablief. Ferner gilt für diese Gefahrenzuordnung zu beachten, dass eine Ordnungsänderung oder gar -abschaffung im Sinne des § 81 StGB irreversibel sein könnte.64 Mit einer solchen Änderung würde womöglich auch einhergehen, dass das geltende Strafrecht unter dem Grundgesetz nicht mehr zur Anwendung käme – ein präventives Eingreifen wäre demnach frühzeitig geboten.65

heit, geringem Selbstbewusstsein, einem hohen Aufkommen depressiver Symptome, Suizidgedanken u. gar Suizidversuchen der Opfer im Zusammenhang steht (S. 735); Leets, Journal of Social Issues 2002, 341 dazu, wie „Hate Speech“ (Def. auf S. 341) auf direkte Adressaten wirkt mit dem Erg., dass v. a. langfristig die Konsequenzen der Betroffenen einstellungs- (43 %) oder verhaltensbezogen (12 %) sind (S. 351). 61  Wie bereits im Rahmen der Außenwirksamkeit zur tatbestandlichen Agitation des § 83 StGB gezeigt wurde, handelt es sich dabei regelmäßig um einen polyfunk­ tionalen Sprachakt, der nicht nur für Meinungsäußerungen prototypischen expressiven Gehalt aufweist, sondern zusätzlich direktiven oder kommissiven Gehalt und damit auch eine Anpassungsrichtung (Welt-auf-Wort-Ausrichtung). 62  Aus pragmalinguistischer Sicht zu messen im perlokutionären Akt: Wurde der Hörer überzeugt? 63  Vgl. auch Boventer, Grenzen politischer Freiheit, 1985, S. 241: „Die politische Minderheit wird Sklave des Diktums der Mehrheit. Die Minderheit besitzt keine Rechte mehr, um sich gegen diesen Entzug ihrer Grundrechte in irgendeiner legalen Form zu wehren. Ironischerweise stützt sich eine solche politische Mehrheit auf das demokratisch verbürgte Mehrheits- und Minderheitsprinzip, um es im nächsten Schritt abzuschaffen.“ 64  Vgl. dazu auch Deiters, in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 301. 65  Dazu auch Reuter, Verbotene Symbole, 2005, S. 31.



III. Die Meinungsfreiheit als Gefahr für die fdG233

3. Organisationsbezug als Gefahr Eine besondere Gefahrenlage könnte von Meinungsäußerungen bei Vorliegen eines Organisationsbezugs ausgehen, da in diesen Fällen Effekte der Gefahrenmultiplikation zu befürchten sind. Im Folgenden ist für die §§ 83, 86, 86a und 90a StGB im Einzelnen zu analysieren, ob ein solcher Bezug gegeben ist und wenn ja, ob und wie dieser gefahrbegründend oder -erhöhend ist. a) § 83 StGB Im Rahmen des § 83 StGB ist weniger von einem Organisation- als von einem Unternehmensbezug zu sprechen: Die Vorbereitungshandlungen gemäß § 83 StGB müssen auf ein bestimmtes, im Sinne der §§ 81, 82 StGB hochverräterisches Unternehmen gerichtet sein, das in seinen Umrissen zum Tatzeitpunkt bereits festliegt – der Täter muss also eine zumindest grobe Vorstellung vom zeitlichen, örtlichen und modalen Ablauf des Unternehmens haben.66 Der Tatbestand ist damit nicht bereits bei Verbreitung abstrakter Umsturzgedanken verwirklicht.67 Ferner müssen die Vorbereitungshandlungen eine „gewisse Gefährlichkeit“68 oder „objektive Gefährlichkeit“69 in dem Sinne aufweisen, dass sie sich zur Verwirklichung des hochverräterischen Unternehmens eignen.70 Die tatbestandlich vorausgesetzte Nähe zum hochverräterischen Unternehmen bedeutet zudem auch „Gewaltnähe“, da sowohl § 81 als auch § 82 StGB „mit Gewalt oder durch Drohung von Gewalt“ verwirklicht werden. Fraglich ist jedoch, ob diese Nähe zum Unternehmen ausreicht, um eine hinreichend konkrete Gefahr für die fdG ausmachen zu können.71 Die Agitation soll Zustimmung und damit Legitimität für das hochverräterische Unternehmen schaffen. Auch ein Vergleich zu anderen gemäß § 83 StGB strafbaren Fallgruppen – etwa das „Beschaffen oder Bereitstellen von Waffen“72 – unter66  Vgl. u. a. Lampe / Hegmann, in: MüKo StGB (Bd.  3), 3. Aufl. 2017, § 83 Rn. 4; Fischer StGB, 64. Aufl. 2017. Vgl. ferner Abschnitt D.III.2. 67  Vgl. Fischer StGB, 64. Aufl. 2017, § 80a Rn. 2; Zöller, in: SK-StGB, 8. Aufl. (148. Lfg.) 2014, § 83 Rn. 5. 68  So die Wortwahl von v. Heintschel-Heinegg, in: BeckOK StGB, 39. Edition 2018, § 83 Rn. 9. 69  So die Wortwahl von Kühl, in: Lackner / Kühl StGB, 29. Aufl. 2018, § 83 Rn. 3. 70  Nach a. A. von u. a. Lampe / Hegmann, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 83 Rn. 5 müssen die Vorbereitungshandlungen erheblich sein, also eine gewisse zeitliche oder sachliche Nähe zum Unternehmen aufweisen. 71  Gegen die Annahme einer hinreichenden Gefahr ist (wohl) Deiters, in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 291 (307 f.) zu verstehen. 72  von Heintschel-Heinegg, in: BeckOK StGB, 39. Edition 2018, § 83 Rn. 8.1.

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G. Meinungsäußerungsdelikte im Lichte der Untersuchung

streicht den organisatorischen Bezug der Propaganda. Die Agitation ist nach Konzeption des Strafverbots nicht als weitgehend resonanzloser Debattenbeitrag zu denken, sondern als zur Erreichung des hochverräterischen Unternehmens relevanter, organisatorischer Schritt. Dass auch „bloße“ Agitationen wirkungsvolle Handlungen sein können, haben die empirischen und pragmalinguistischen Untersuchungen im Abschnitt F. gezeigt. Insbesondere die empirischen Analysen des Völkermordes in Ruanda im Jahre 1994 legen die Vermutung nahe, dass die gezielte Aufwiegelung und Agitation im Vorfeld von Gewaltakten zumindest die Gewaltgeneigtheit der Rezipienten erhöhen kann, wenn nicht gar Gewalt verursachen kann. Es wurde konstatiert, dass Vorfeldagitationen das Gefahrenpotential von Schutzgutsverletzungen erhöhen können. Übertragbar sind diese Erkenntnisse auf die tatbestandliche Agitation des § 83 StGB insoweit, als dass das vorbereitete hochverräterische Unternehmen seinerseits mittels „Gewalt oder […] Drohung von Gewalt“ (§§ 81, 82 StGB) verwirklicht wird. Die Agitation kann damit bei Vorliegen der tatbestandlichen Nähe zum Unternehmen gefahrbegründende oder -erhöhende Wirkung haben. b) § 86 StGB Die Tathandhandlungen des § 86 Abs. 1 Nr. 1–3 StGB weisen wie auch § 83 StGB einen Organisationsbezug auf, weshalb § 86 StGB als mittelbares Organisationsdelikt eingeordnet wird.73 Der Unrechtsgehalt der Tathandlungen aus § 86 StGB (und auch § 86a StGB) ergibt sich nicht bereits aus der „bloßen“ individuellen politischen Betätigung des Täters, sondern aus dem Organisationsbezug dieser Betätigung.74 Die Strafbegründung für das organisationsbezogene Tätigwerden im Sinne der §§ 86, 86a StGB ist akzessorisch zum vorausgehenden Vereinigungsverbot gemäß Art. 9 Abs. 2 GG beziehungsweise Parteiverbot gemäß Art. 21 Abs. 2 GG.75 Diese Strafverbote dienen der repressiven Verstärkung und einfachgesetzlichen Sicherstellung entsprechender Vereinigungsverbote oder Parteiverbote.76 Der Organisations73  So auch die gesetzgeberische Einschätzung in BT-Drucks. 4 / 3250, S. 207. Vgl. auch Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 86 Rn. 2; Steinmetz, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 86 Rn. 2. Zum Organisa­ tionsbezug der §§ 84 bis 86a StGB s. auch Becker, BLJ 2012, 113 (115); Reuter, Verbotene Symbole, 2005, S. 29. A. A. Stegbauer, Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, 2000, S. 47. 74  So auch Becker, BLJ 2012, 113 (115); Karsai, ZStW 2007, 1037 (1046). 75  Das gilt auch für § 86a StGB – dazu sogleich. 76  Vgl. dazu Deiters, in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 291 (320). Auch insoweit wird die Funktion des Strafverbotes als Instrument wehrhafter Demokratie deutlich, vgl. dazu BVerfGE 80, 244 (253) = BVerfG, Beschl. v. 1990 – 2 BvL 4 / 87,



III. Die Meinungsfreiheit als Gefahr für die fdG235

bezug ist bei Auslegung der Normen stets einzubeziehen, da auch die verfassungsfeindliche Rede grundsätzlich im System des GG möglich sein muss.77 Der Bezug zu verfassungswidrigen Organisationen lässt indes gruppendynamische Effekte befürchten, die die Wirkung der tatbestandlichen Verwendung oder Verbreitung verstärken.78 Die freie Verbreitung oder Verwendung könnte dazu führen, dass wahrnehmende Dritte dieser Tathandlungen sich geistig mit den Inhalten oder Zielen der verfassungswidrigen Organisationen identifizieren oder solidarisieren und so dem „Kampf“ gegen die Grundordnung Vorschub leisten.79 Überdies erhöhen (ehemals existierende) organisatorische Strukturen die Wahrscheinlichkeit einer inhaltlichen Durchdringung der Propaganda, indem „alte Kontakte“ der verfassungswidrigen Organisation reaktiviert und zur Verbreitung genutzt werden. Es kann zudem davon ausgegangen werden, dass verfassungswidrige Vereinigungen häufig auch nach ihrem Verbot noch überbleibende organisatorische Strukturen aufweisen.80 Paeffgen spricht mit Blick auf den Organisationsbezug von Quantität, die dem propagandistischen Handeln in der Konsequenz eine andere, (wohl) gefährlichere Qualität verleiht.81 Neben der Möglichkeit größerer Durchdringung steht außerdem zu befürchten, dass der Organisationsbezug zu einem „Wiederau­ fleben“82 der verfassungswidrigen Organisation führt – auch insofern würden sich die propagandistischen Effekte multiplizieren. Die Gefährlichkeit der Propaganda ist damit eng mit den Gefahren verbunden, die von den verfassungswidrigen Organisationen als solche ausgehen (bzw. ausgingen).

NJW 1990, 37 (38): „[…] enthält Art. 9 II GG ein Instrument des ‚präventiven Verfassungsschutzes‘ […] und ist, ebenso wie Art. 21 II und Art. 18 GG, Ausdruck des Bekenntnisses des Grundgesetzes zu einer ‚streitbaren Demokratie‘ […].“ s. zur Einordnung der Strafverbote als Instrumente wehrhafter Demokratie auch Abschnitt E. VI.2. 77  Dazu Becker, BLJ 2012, 113 (115). 78  Ähnlich bei Karsai, ZStW 2007, 1037 (1047). 79  Ähnlich: Stegbauer, Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, 2000, S. 43. 80  Vgl. dazu bspw. den Verfassungsschutzbericht 2017 des Bundesamtes für Verfassungsschutz, hrsg. vom Bundesministerium des Innern, S. 57, wonach die im Jahre 2000 verbotene Organisation „Combat 18“ trotz Verbots wieder aktiv ist und Gefährdungspotential aufweist. Gleiches gilt für die Organisation „Blood & Honour“, die ebenfalls 2000 verboten wurde und organisatorisch mit Combat 18 verbunden ist. 81  Vgl. etwa Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 86 Rn. 2. 82  Das „Wiederaufleben“ als Gefahr ist auch dringender als die Gefahr der Verbreitung in den Bevölkerungsteilen, die nicht dem (weiten) Kreis der verfassungswidrigen Organisation entspringen, da „unbeteiligte“ Rezipienten für die propagandistischen Inhalte weniger anfällig sein dürften. Vgl. zu den Wirkungsfaktoren auch Giehring, StV 1985, 30 (32).

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G. Meinungsäußerungsdelikte im Lichte der Untersuchung

Der Tatbestand des § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB „bricht“ jedoch mit dieser Struktur, indem die (enge) Anknüpfung an eine Organisation wegfällt und das Verbot die Anknüpfung an „Bestrebungen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation“ ausreichen lässt.83 Der Organisationsbezug ist damit weniger einschlägig als in den Begehungsvarianten der Nr. 1 bis 3, da die in Nr. 4 anvisierten Organisationen vorkonstitutionell verboten wurden – mithin seit 1945 nicht mehr existieren.84 Anders als bei den nach Art. 9 Abs. 2, 21 Abs. 2 GG verbotenen Organisationen oder Parteien ist aufgrund personeller und infrastruktureller Diskontinuität sowie bloßen Zeitablaufs das Überbleiben organisatorischer Reststrukturen für diese vorkonstitutionellen Organisationen nur schwer denkbar. Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass keine echte Gefahr der Wiederbelebung der vorkonstitutionellen Organisationen besteht – aufgegriffen werden heute in (rechts-)extremistischen Kreisen vor allem ideologische Inhalte dieser Organisationen.85 Strafbarkeitsanknüpfung ist damit nicht die jeweilige verbotene Organisation, sondern ihre verfassungsfeindlichen Inhalte.86 Durch diesen Bruch mit der Struktur als Organisationsdelikt wird das Verbot in Nr. 4 mitunter als Gesinnungsstrafrecht betrachtet.87 Jedenfalls entfällt in der Tathandlungsvariante des § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB die Verstärkung der Gefahr für die fdG durch den Organisationsbezug, während die Gefahr für die Meinungsfreiheit durch das Verbot gleichbleibend ist. Die Gefahrenallokation ist für diesen Tatbestand deshalb anders zu gewichten als für die übrigen Tatbestände des § 86 StGB. c) § 86a StGB § 86a StGB soll verhindern, dass die verfassungswidrigen Organisationen und deren Ziele durch die Kennzeichenverwendung „wiederbelebt“ wer83  Backes, Rechtsstaatsgefährdungsdelikte und Grundgesetz, 1970, S. 198 und in jüngerer Zeit etwa Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 86 Rn. 22. 84  Als Rechtsgrundlage der vorkonstitutionellen Verbote vgl. das Kontrollratsgesetz (Nr. 2) des Alliierten Kontrollrates vom 10.10.1945. Mit dem Verbot in § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB sollte verhindert werden, dass ähnliche politische Bestrebungen wie in der Weimarer Republik sich in der BRD ausbreiten können, vgl. dazu Deiters, in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 324. 85  Ähnlich: Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 86 Rn. 22. 86  Vgl. dazu Lüttger, JR 1969, 121 (129), der bereits 1969 den Zeitabstand der „seit 23 Jahren ausgelöschten“ (a. a. O.) Organisationen als Indikator für eine Strafbarkeitsanknüpfung nur an die nationalsozialistische Ideologie sah. Auch Becker, BLJ 2012, 113 (116), der i. E. jedoch die „Anwendung der §§ 86, 86a auf Propaganda und Kennzeichen der ‚rechten Szene‘ im Ergebnis für nicht verzichtbar“ hält. 87  Vgl. Backes, Rechtsstaatsgefährdungsdelikte und Grundgesetz, 1970, S. 198.



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den.88 Es handelt sich bei dem Verbot damit (zunächst) – wie auch bei § 86 StGB – um ein Delikt mit (mittelbarem) Organisationsbezug.89 Das organisierte Vorgehen gegen die fdG stelle insofern den „materiellen Unrechtskern“ des § 86a StGB dar.90 Die Gewöhnung und die Assoziation mit entsprechenden Ideologien oder Ideen durch öffentliche Präsenz der Kennzeichen könnte nämlich dazu führen, dass entsprechendes Gedankengut die Gesellschaft leichter durchdringt.91 Auch soll in der (politischen) Öffentlichkeit nicht der Eindruck entstehen, verbotene Organisationen würden fortbestehen oder in ihrem Fortbestehen gar geduldet.92 Ebenso soll der Eindruck verhindert werden, die Betätigung für die verfassungswidrige Organisation sei ohne Risiko möglich.93 Uninformierte Beobachter könnten aus der unregulierten Verwendung solcher Kennzeichen schließen, die verfassungswidrigen Organisationen seien ungefährlich. Insbesondere in nicht-politischen, alltäglichen Situationen bestehe die Gefahr, dass durch die Verwendung der Kennzeichen ideologisch auf den unbefangenen Betrachter Einfluss genommen wird, etwa bei grundsätzlich positiv konnotierten Handlungen wie dem Versenden einer Postkarte, die aber mit verfassungswidrigen Kennzeichen bedruckt ist.94 Hörnle führt ferner aus, die Kennzeichen könnten – auch bei relativer Unbekanntheit der Zeichen – „Zusammengehörigkeitsgefühle stärken“, gemeinsame Überzeugungen symbolisieren und sichtbar machen, Erkennbarkeit innerhalb entsprechender Gruppen erhöhen sowie Abgrenzung von anderen Gruppen erleichtern.95 Das Verbot erschwere damit, die Bestre-

88  BVerfG,

Beschl. v. 1.6.2006 – 1 BvR 150 / 03, NJW 2006, 3050 (3051). auch Kühl, in: Lackner / Kühl StGB, 29. Aufl. 2018, § 86a Rn. 1; Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 86a Rn. 2; Reuter, Verbotene Symbole, 2005, S. 29. Zu den Gründen gegen die Einordnung als „mittelbares Organisationsdelikt“ s. sogleich. 90  Becker, BLJ 2012, 113 (116) zufolge gilt dies für die §§ 84 bis 86a StGB. Zitat a. a. O. 91  Vgl. Deiters, in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 291 (323) und kritisch Kett-Straub, NStZ 2011, 601 (603): „Niemand glaubt ernsthaft, dass von einem Hakenkreuz, das ein Strafgefangener auf den Handrücken tätowiert hat oder das jemand ‚infantil auf einen Bierdeckel kritzelt‘ […], eine Gefahr für die Demokratie ausgeht […].“ 92  OLG München, Beschl. v. 7.8.2007  – 4 St RR 142 / 06, NStZ 2007, 97 (98); Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 86a Rn. 2; Steinmetz, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 86a Rn. 1. 93  Steinmetz, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 86a Rn. 1. 94  OLG München, Beschl. v. 7.8.2007  – 4 St RR 142 / 06, NStZ 2007, 97 (98), das die Gefahr einer ideologischen Beeinflussung bei Verwendung einer u. a. mit einem Portrait von Adolf Hitler bedruckten Postkarte sah. 95  Hörnle, NStZ 2002, 113 (114). Zitat a. a. O. So etwa auch Schroeder, in: Herzog / Neumann, FS Hassemer, 2010, S. 617 (619). 89  Dazu

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G. Meinungsäußerungsdelikte im Lichte der Untersuchung

bungen der Organisationen fortzusetzen.96 Die Verbannung aus dem öffent­ lichen politischen Leben und damit die Errichtung eines „kommunikative[n] […] Tabu[s]“ soll auch nach Ansicht des BVerfG eine Wiederbelebung der Organisationen verhindern.97 Mit Klett-Straub ist dem allerdings entgegenzuhalten, dass Zusammengehörigkeitsgefühle, die Erkennbarkeit der Gruppenzugehörigkeit und andere gruppendynamische Effekte auch durch solche Kennzeichen bzw. Symbole erreicht werden können, die nicht verboten sind.98 § 86a StGB unterbindet damit gruppendynamische Effekte in vorbestimmter Gestalt, kann aber nicht verhindern, dass durch die Verwendung von (nicht-verbotenen) Kennzeichen gruppendynamische Effekte erzeugt werden.99 Überdies muss die tatbestandliche Verwendung weder organisationsbezogen noch bekenntnishaft erfolgen.100 Wie aber soll das „infantile Kritzeln einer Swastika“ durch einen Abiturienten der Wiederbelebung einer verfassungswidrigen Organisation Vorschub leisten?101 Dass diese Tathandlungen die Fortexistenz einer solchen Organisation befördern ist umso unwahrscheinlicher, wenn die Kennzeichen bekenntnisfrei und nicht organisationsbezogen verwendet werden – Zusammengehörigkeitsgefühle und Gruppenzugehörigkeit werden durch die bekenntnisfreie Verwendung nicht gefördert.102 Im Gegenteil könnten ideologisch verwurzelte Zuschauer die bekenntnisfreie Verwendung „ihrer“ Kennzeichen durch Personen, die keiner der fraglichen Organisationen auch nur ideologisch nahe stehen, als Entwertung der Kennzeichen verstehen. Der Organisation wäre damit nicht geholfen, sondern vielmehr geschadet. Zudem ist zu bedenken, dass bloße Kennzeichen selbst keine Überzeugungskraft für Dritte haben: Sie verbildlichen zwar Ideologien oder Ideen, überzeugen mangels argumentativer, selbsterklärender Begründung, Stichhaltigkeit, Logik etc. aber nicht.103 Schließlich ist zweifelhaft, wie „hilfreich“ die Tathandlungen des § 86a StGB für den Wiederaufbau verbotener Organisationen tat96  Hörnle,

NStZ 2002, 113 (114). Beschl. v. 1.6.2006  – 1 BvR 150 / 03, NJW 2006, 3050 (3051); BGHSt 54, 61 (65) = BGH, Urt. v. 13.8.2009 – 3 StR 228 / 09, NJW 2010, 163 (164); OLG München, Beschl. v. 7.8.2007  – 4 St RR 142 / 06, NStZ 2007, 97 (97). Dazu auch Steinmetz, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 86a Rn. 1. 98  Kett-Straub, NStZ 2011, 601 (603). 99  Ähnlich Kett-Straub, NStZ 2011, 601 (603). 100  BGH, Urt. v. 29.5.1970  – 3 StR 2 / 70 I, NJW 1970, 1693 (1693). Vgl. dazu auch Abschnitt D.V.2. 101  Vgl. ein ähnliches Beispiel von Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 86a Rn. 14. 102  Vgl. dazu Becker, BLJ 2012, 113 (117), der eine teleologische Reduktion des Tatbestandes für solche Fälle vorschlägt, in denen die Kennzeichen von Einzelpersonen außerhalb fraglicher organisatorischer Strukturen verwendet werden. 103  Ähnlich Kett-Straub, NStZ 2011, 601 (603). 97  BVerfG,



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sächlich sind und damit auch, wie gefährlich derartige Tathandlungen für die fdG sind. Die Tathandlungen kommen dem Ziel eines solchen Wiederaufbaus allenfalls mittelbar zugute. Von der Verwendung verfassungswidriger Kennzeichen hin zum Wiederaufleben der fraglichen Organisationen ist eine Vielzahl von Zwischenschritten erforderlich, sodass der Zurechnungszusammenhang zwischen Verwendung und Wiederaufleben nur schwierig begründet werden kann. Tatbestandlich ist nicht vorausgesetzt – anders als etwa gemäß § 83 StGB – dass die Kennzeichenverwendung in gewisser Nähe zum Wiederaufleben der Organisation steht. Zu bedenken ist darüber hinaus, dass die Fortführung einer verbotenen Partei (§ 84 StGB) und der Verstoß gegen ein Vereinigungsverbot (§ 85 StGB) – jeweils als abstrakte Gefährdungsdelikte ausgestaltet104 – ohnehin strafrechtlich verboten sind. Da gemäß §§ 84 Abs. 1 S. 2, 85 Abs. 1 S. 2 StGB auch der Versuch einer solchen Fortführung oder Aufrechterhaltung strafbar ist, ist auch diese Strafbarkeitsanknüpfung einer Schutzgutsverletzung105 weit vorgelagert. Der Schutzgutsverletzung noch weiter vorgelagert sind jedoch die Tathandlungen im Sinne des § 86a StGB, da diese noch im Vorfeld der Tathandlungen der §§ 84, 85 StGB liegen.106 Der eigentlichen Schutzgutsverletzung derart weit vorgelagert erscheint unwahrscheinlich, dass die Tathandlungen im Sinne des § 86a StGB ein Wiederaufleben der fraglichen Organisationen bewirken könnten. Die Strafbarkeitsanknüpfung bewegt sich vielmehr im Bereich vager Gefahrenvermutungen.107 Umso weiter die Strafbarkeitsanknüpfung dem Vollendungserfolg jedoch vorgelagert ist, desto stärker wird das strafrechtlich relevante Verhalten in den Bereich der subjektiven Tatseite gedrängt – Gesinnungsstrafrecht droht.108 Ein anderes Ergebnis kann sich auch nicht aus der im Vergleich zu den §§ 84 f. StGB praktisch größeren Relevanz des § 86a StGB ergeben109 – dass es sich bei den Tathandlungen des § 86a StGB im extremistischen poli104  BGH,

Urt. v. 10.3.2006 – 3 StR 245 / 04, NStZ 2006, 356 (357). Schutzgutsverletzung im Rahmen der Untersuchung können Begehungsvarianten des Hochverrats gegen den Bund (§ 81 StGB) gelten. Nicht alle Begehungsvarianten des § 81 StGB können als unmittelbare Schutzgutsverletzung erkannt werden, da es sich bei dem Hochverrat um ein Unternehmensdelikt handelt. 106  Vgl. in diesem Zusammenhang als Vorstellungshilfe auch das „Schalen-Modell“ von Basten, Von der Reform des politischen Strafrechts bis zu den Anti-TerrorGesetzen, 1983, ab S. 76, wonach sich die Vorverlagerungen als erste und zweite Schale um die eigentliche Schutzgutsverletzung legen. 107  Vgl. dazu auch Reuter, Verbotene Symbole, 2005, S. 32, der darauf hinweist, dass die Eingriffsintensität steigt, umso abstrakter die kriminalisierte Gefährdungssituation ist. Mit Steigerung des Abtraktionsgrades der Gefährdungslage bedürfe es also größerer Legitimationsanstrengungen der Kriminalisierung. 108  Vgl. v. a. mit Blick auf § 83 StGB Hennke, ZStW 1954, 390 (391 f.). 109  Becker, BLJ 2012, 113 (116). 105  Als

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G. Meinungsäußerungsdelikte im Lichte der Untersuchung

tischen Bereich um typische Ausdrucksweisen handelt, begründet für sich kein Unrecht. Die vom BVerfG etablierte Idee eines kommunikativen Tabus verfängt ebenfalls nicht, da die Verweisung in § 86a Abs. 3 StGB auf Abs. 3 des § 86 StGB deutlich macht, dass entsprechende Kennzeichen nicht gänzlich aus dem öffentlichen Raum herausgehalten werden sollen, sondern lediglich bei Verwendung ohne hinreichende Distanzierung vom symbolischen Gehalt.110 Das Verbot in § 86a StGB bewirkt damit gerade nicht, dass die Darstellung der Kennzeichen in der Öffentlichkeit „tabu“ ist.111 d) § 90a StGB In § 90a StGB wird ein struktureller Unterschied zu den Delikten aus den §§ 83, 86, 86a StGB deutlich: Der Täter handelt gemäß § 90a StGB ohne Organisationsbezug.112 Das tatbestandliche Handeln ist vielmehr als individuelle politische Betätigung zu erkennen.113 Strafbegründendes Unrecht ist die bloße Verunglimpfung, nicht aber eine etwaig mitverwirklichte Förderung einer Organisation. Als Individualdelikt ohne Organisationsbezug sind die Tathandlungen des § 90a StGB insoweit nicht geeignet, eine Gefahr für die fdG darzustellen.114 4. Gefahr für das Ansehen des Staates als Gefahr für die fdG (§ 90a StGB)? Eine von den als Meinungsäußerungen „identifizierten“ Tathandlungen des § 90a StGB115 spezifisch ausgehende Gefahr für die fdG könnte sich daraus ergeben, dass die Farben, Flagge, Wappen oder die Hymne der Bundesrepublik dazu dienen (sollen), Identität und Solidarität mit den Prinzipien dieser Grundordnung zu schaffen. Mitunter wird davon gesprochen, dass durch das Verbot das „Staatsgefühl“ geschützt und die „Staatsgesinnung“ der Bevölke110  Vgl. dazu Abschnitt D.V.2. Nicht erforderlich ist für die Tatbestandsverwirk­ lichung, dass der Täter das Kennzeichen „bekenntnishaft“ verwendet. Allerdings soll nach Ansicht d. BGH auch kein tatbestandliches Verwenden gegeben sein, wenn das Kennzeichen „dem Schutzzweck des § 86 a StGB ersichtlich nicht zuwiderläuft“, wobei nicht ausreichen soll, dass der Verwendung „lediglich […] werbender Charakter fehlt“, BGHSt 28, 394 (396) = BGH, Urt. v. 25.4.1979 – 3 StR 89 / 79, NJW 1979, 1555 (1555). 111  So auch Kett-Straub, NStZ 2011, 601 (603 f.). 112  Vgl. zu diesem Charakteristikum Reuter, Verbotene Symbole, 2005, S. 28; Grünwald, KJ 1979, 291 (296). 113  Deiters, in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 291 (310 ff.). 114  Auf eben dieser Grundlage sieht Becker, BLJ 2012, 113 (117) keine Gefahr. 115  Vgl. dazu die Analysen im Abschnitt D.VI.2. und D.VII.2.



III. Die Meinungsfreiheit als Gefahr für die fdG241

rung gestärkt würde; den Symbolen würde damit eine integrative Funktion zukommen.116 Die tatbestandliche Verunglimpfung könnte das Gefühl der Identität oder Solidarität nachhaltig beeinträchtigen und damit auch Gefahr sein.117 Es könnte anzunehmen sein, dass im Falle tatbestandlicher Meinungsäußerungen die Bevölkerung das Vertrauen in den Staat und seine Symbole verliert, „ein Klima der Nichtbeachtung“ entsteht und sich in der Bevölkerung Verdrossenheit ebenso wie Resignation ausbreiten oder verstärken.118 Für den Einzelnen, der sich mit Staat und Verfassung identifiziert, könnten tatbestandliche Verunglimpfungen gar zur „Kränkung“ führen und andere psychologische, negativ zu bewertende Zustandsänderungen auslösen.119 Insbesondere in Zeiten politischer Krise dürfen Roggemann zufolge der Staat und seine Symbole nicht schutzlos gestellt sein, da Symbole in dieser Zeit in besonderem Maße Orientierungs- und auch Integrationsfunktionen haben.120 Die Bundesrepublik sei auf eine „innere[..] Zustimmung ih­ rer Bürger“ angewiesen und damit auch „auf ein Mindestmaß an Achtung dieser Bürger ihr gegenüber“; durch tatbestandliche Äußerungen im Sinne des § 90a StGB würde das „Mindestmaß an Achtung […] auf lange Sicht ausgehöhlt und untergraben“.121 Schroeder schlussfolgert deshalb, „Angriffe auf diese Zustimmung [seien] bereits einem Angriff auf die Existenz der Demokratie gleich.“122 Gefährlich sei aber nicht nur der durch Verunglimpfungen verursachte Zustimmungsschwund, sondern darüber hinaus die Abstumpfung bzw. die Abnahme der „Sensibilität“ der Bevölkerung in der 116  Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder StGB, 29. Aufl. 2014, § 90a Rn. 1 (Zitate a. a. O.). s.  auch Burkiczak, JR 2005, 50 (50); Würtenberger, JR 1979, 309 (311), der das „Staatsgefühl der Bürger“ als „Wertgefühl und Wertbewußtsein“ erklärt, die durch die Symbole verkörpert werden (Zitate a. a. O.). 117  Vgl. dazu auch BVerfG, Beschl. v. 7.3.1990  – 1 BvR 266 / 86, 1 BvR 913 / 87, NJW 1990, 1982 (1983): „Als freiheitlicher Staat ist die Bundesrepublik […] auf die Identifikation ihrer Bürger mit den in der Flagge versinnbildlichten Grundwerten angewiesen. Die […] Staatsfarben […] stehen für die freiheitliche demokratische Grundordnung.“ 118  Laufhütte / Kuschel, in: LK StGB (Bd. 4), 12. Aufl. 2007, § 90a Rn. 1 (Zitat a. a. O.); Burkiczak, JR 2005, 50 (51); Würtenberger, JR 1979, 309 (313); Schroeder, JZ 1979, 89 (90). 119  So Schroeder, JZ 1979, 89 (90). Vgl. zu möglichen (psychologischen) Auswirkungen von Sprache auf Rezipienten die Ausführungen im Abschnitt F.I.1. 120  Mit Verweis auf die Weimarer Republik und die Herausforderungen der Wiedervereinigung Roggemann, JZ 1992, 934 (936). 121  Alle Zitate: BGH, Beschl. v. 1.4.1998  – 3 StR 54 / 98, NStZ 1998, 408. Vgl. auch Ermert, Extremismus im Strafrecht, 2007, S. 108, der von einer „Aushöhlung“ der Ordnung und ihrer Prinzipien spricht. Würtenberger, JR 1979, 309 (313) spricht von einer „für die staatliche Existenz unerläßlichen Loyalität der Bürger.“ 122  Schroeder, JZ 1979, 89 (90). So auch im Anschluss an Schroeder bei Würtenberger, JR 1979, 309 (311).

242

G. Meinungsäußerungsdelikte im Lichte der Untersuchung

Wahrnehmung anderer Gefahren für die fdG.123 Insbesondere in der Aufarbeitung des NS-Regimes sollte strafrechtlicher Schutz vor Verunglimpfung des Staates eine Rolle spielen, wie aus dem frühen Entwurf zu einem entsprechenden Strafverbot (§ 99 Erstes StrÄndG-E) hervorgeht: „Die demokratische Grundordnung ist noch nicht als Selbstverständlichkeit in die Vorstellungswelt aller deutschen Staatsbürger eingegangen. Sie ist noch Angriffen aus dem Lager der unbelehrbaren verbrecherischen Anhänger der nationalsozialistischen Ideologie ausgesetzt. […] Es bedarf daher spezialisierter Staatsschutzbestimmungen […] gegen die Verächtlichmachung von Staatsorganen und gegen die Staatsverleumdung […].“124, 125

Das Bundesverfassungsgericht stellte ebenfalls fest: „Zweck dieser Sinnbilder ist es, an das Staatsgefühl der Bürger zu appellieren […].“126 Der Schutz dieser Symbole gebiete sich deshalb schon aufgrund des Wehrhaftigkeitskonzeptes des GG.127 Zu bedenken ist allerdings, dass die Festlegung bestimmter identitärer Symbole wie etwa Flaggen oder Wappen ein stetes Element totalitärer Staaten ist, um Herrschaftsansprüche (und auch: Ausschließlichkeitsansprüche) sichtbar und zur Pflicht zu machen.128 Auch die dem Symbolschutz nahestehende Mystifizierung des Staates ist überwiegend in totalitären Staaten anzutreffen.129 Zur vollen Wirkungskraft erwächst der Symbolschutz zudem erst dann, wenn die Symbole heftigen Anwürfen ausgesetzt sind. In Zeiten heftig ausfallender, etwa als tatbestandliche Verunglimpfung erkennbarer (Staats-) Kritik besteht aber die hohe Wahrscheinlichkeit, dass Unzufriedenheitsbekundungen auf breiter Basis in der Bevölkerung stehen – der Dialog zwischen Volksvertretung und Volk ist in diesen Situationen zur Konfliktlösung angezeigt. Auch können Verunglimpfungen im Sinne des § 90a StGB als verbale Aggressionen durchaus produktiv sein – mithin relevanten Nutzen 123  Schroeder,

JZ 1979, 89 (90). Zitat a. a. O. 1 / 1307, S. 28. Vgl. dazu ferner die Ausführungen bei Dagasan, Das Ansehen des Staates im türkischen und deutschen Strafrecht, 2015, 193 f. Auch Würtenberger, JR 1979, 309 (313) zieht eine Parallele zur Weimarer Republik. 125  Zu denken ist insoweit auch an die grundgesetzliche Wehrhaftigkeit als Krisenkonzept, vgl. dazu die Kritik im Abschnitt E.V.1. 126  BVerfG, Beschl. v. 7.3.1990  – 1 BvR 266 / 86, 1 BvR 913 / 87, NJW 1990, 1982 (1983). So auch Würtenberger, JR 1979, 309 (311). 127  M. w. N. Burkiczak, JR 2005, 50 (51). 128  Häberle, Nationalflaggen, 2008, S. 216. Ähnlich kann Schroeder, Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht, 1970, S. 476 verstanden werden. 129  Zur Entmystifizierung des demokratischen Staates Paeffgen, in: Kindhäuser /  Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 90a Rn. 2. Vgl. dazu auch Beck, Unrechtsbegründung und Vorfeldkriminalisierung, 1992, S. 143, der mit Blick auf § 90b StGB ausführt: „Für eine freiheitsgesetzliche Strafrechtskonzeption ist ein kommunikativer Götzendienst nicht akzeptabel.“ 124  BT-Drucks.



III. Die Meinungsfreiheit als Gefahr für die fdG243

entfalten: Studien haben gezeigt, dass die verbale Aggression überwiegend dem „Abreagieren negativer Emotionen“ dient.130 Negativwirkungen der im Abschnitt F.III.2.131 untersuchten Art sind bei Tathandlungen gemäß § 90a StGB überdies nicht zu befürchten, da der Staat selbst mangels grundrechtlich geschützter Ehre132 nicht kränkbar ist. Der Achtungsanspruch des Staates darf im Konflikt demnach nicht zur Verstummung führen, weshalb (strafrechtlich durchgesetzte) Idealisierungen und Totalisierungen zu vermeiden sind.133 Unter diesem Aspekt erscheint das (strafrechtliche) Verunglimpfungsverbot dieser Symbole zum Schutz der fdG zunächst kontradiktorisch, da diese Grundordnung als „Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft“ die völlige Abkehr von der totalitären (NS-)Herrschaft anvisiert.134 Klarer und deutlicher wird dieses Anliegen erst, wenn untersucht wird, was die Symbole in § 90a Abs. 1 Nr. 2 StGB schützen: Anders als in einer totalitären Herrschaft verkörpern Flagge, Wappen etc. in demokratischen Verfassungsstaaten nicht den Nationalstaat, sondern die Verfassung als solche.135 Die Symbole, allen voran die (National-) Flagge, sollen „freiheitliche Konsensquelle für den Bürger“ sein; von einem „Verfassungspatriotismus“ ist dabei die Rede.136 Sie sollen nicht Ausdruck „staatlich verordneter Ideologie oder totalitärem Nationalismus“137 sein, sondern eben der Verfassungsgrundsätze respektive der Prinzipien der fdG. Dieses („neue“) Symbolverständnis ist auch Ausfluss der wehrhaften Demokratie, die nicht den Staat als solchen zu schützen versucht, sondern eben die Demokratie in ihrer (konkreten) Ausgestaltung.138 Die Frage jedoch bleibt: Ist das Strafrecht geeignet, durch das Verunglimpfungsverbot dieser Identität und Solidarität besonderen Ausdruck zu verlei130  Vgl.

dazu Abschnitt F.III.1. dazu v. a. auch Fn. 60 im Abschnitt G.III.2. 132  Ablehnend zum Ehrschutz des Staates: BVerfG, Beschl. v. 28.11.2011 – 1 BvR 917 / 09, NJW 2012, 1273 (1274). Vgl. ferner die Diskussion im Abschnitt  D. VI.1. 133  Ähnlich Beck, Unrechtsbegründung und Vorfeldkriminalisierung, 1992, S. 143. 134  Vgl. auch die weitergehende Untersuchung bei Dürig / Klein, in: Maunz / Dürig, GG, 83. EL 2018, Art. 18 Rn. 61 ff. 135  Häberle, Nationalflaggen, 2008, S. 216. 136  Beide Zitate: Häberle, Nationalflaggen, 2008, S. 216. (Betonung wurde nicht vom Autor hinzugefügt.) Vgl. dazu etwa auch Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder StGB, 29. Aufl. 2014, § 90a Rn. 1. 137  Häberle, Nationalflaggen, 2008, S. 217. 138  Vgl. dazu auch Scherb, Der Bürger in der Streitbaren Demokratie, 2008, S. 20, der ausführt, dass die Wehrhaftigkeit des GG nicht den Schutz des Staates anvisiert, sondern den Schutz der konsentierten Werte. S. dazu auch Flümann, Streitbare Demokratie, 2015, S. 111: „Streitbare Demokratie ist nicht Staatsschutz.“ 131  Vgl.

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G. Meinungsäußerungsdelikte im Lichte der Untersuchung

hen oder stellt es nicht sogar eine Gefahr für die zu schützende Grundordnung dar, einer pluralistischen Gesellschaft verunglimpfende Kritik zu erlassen beziehungsweise vorzuenthalten? Kritisch ist anzumerken, dass dieser Gefahrenzuschreibung letztlich eine bloße Vermutung dergestalt zugrunde liegt, die durch § 90a Abs. 1 Nr. 2 StGB geschützten Symbole würden Identität stiften, die für das Vertrauen und die Verwurzelung der Bevölkerung in die Grundordnung erforderlich seien und den Erhalt der Grundordnung fördern würden. In den vergangenen Jahren – insbesondere seit Beginn der sogenannten GIDA-Bewegung mit dem „Vorreiter“ PEGIDA e. V.139 – könnte sich der Symbolgehalt von Flagge, Wappen und Hymne nämlich geändert haben. So werden bei den regelmäßigen PEGIDA-Demonstrationen die Nationalflagge als auch das Philippuskreuz in den Nationalfarben (nach Gestaltung von Josef Wirmer) in großer Zahl verwendet.140 In Anbetracht dieser symbolischen Aufladung könnte anzunehmen sein, dass die Nationalfarben und die Flagge etc. nicht nur Identität mit der fdG bedeuten, sondern in (öffentlichkeitswirksamen) politischen Kreisen auch Identität mit völkischem Denken und rassistischer Weltsicht.141 Der strafrechtliche Schutz dieser Symbole bedeutet damit nicht zwingend eine Manifestierung oder Stärkung der Identität mit der Grundordnung, sondern kann durchaus auch dieser Ordnung feindlich gesinnten Gruppen zugute kommen. Darüber hinaus offenbart dieses Phänomen auch, dass sich der Bedeutungsgehalt der Symbole ändern kann – ein Prozess, der sich durch das „statische Schwert“ des Strafrechts kaum aufhalten lassen dürfte. Derartige Symbole sind ungeeignet, losgelöst von gesellschaftlichen Spannungen und Entwicklungen einen stets konsistenten, positiv konnotierten Wertkanon zu repräsentieren und zu vermitteln.142 Während sich der Bedeutungsgehalt der 139  Vgl. dazu etwa den Verfassungsschutzbericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz 2016, S. 67 ff. Das BfV führt zwar aus, dass „keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Bestrebung“ der GIDABewegung vorliegen, diese aber „ideologische Anknüpfungspunkte für Rechtsextremisten“ biete (S. 67). Vgl. auch die viel ausführlichere Untersuchung zu PEGIDA und rechtsextremistische Anknüpfungspunkte (S. 80 ff.), Demokratiekritik (S. 106 ff.) oder Autoritarismus (S.  122 ff.) Vorländer / Herold / Schäller, PEGIDA, 2016. 140  Vgl. dazu nur n.a. Hebel, SPIEGEL ONLINE, Symbolik bei Demos: Warum bei Pegida die Kreuz-Fahne weht, 2015, abrufbar unter zuletzt besucht am 20.09.18. 141  Ähnlich Vormbaum, GA 2016, 609 (621). Vgl. etwa auch zum Bedeutungswandel der dritten Strophe des „Liedes der Deutschen“, die ursprünglich die Einigung des im 19. Jahrhunderts zersplitterten Deutschlands vorantreiben sollte, später aber im NS-Regime die noch heute bekannte Bedeutung erlangte, s. dazu m. w. N. und tiefergehend Klein, ZRP 2016, 12. 142  Beck, Unrechtsbegründung und Vorfeldkriminalisierung, 1992, S. 143.



III. Die Meinungsfreiheit als Gefahr für die fdG245

Symbole ändert, bleibt der strafrechtliche Schutz unverändert. Auf diese Weise könnte der Symbolschutz entgegen gesetzgeberischer Intentionen zur Gefahr für die fdG werden. Soweit der Gesetzgeber § 90a StGB als Mittel zum Schutz vor nationalsozialistischer Ideologie nach dem Ende der NS-Herrschaft angedacht hat,143 kann ebenfalls mit einer historischen Anleihe die begrenzte Wirkungsfähigkeit solcher Strafverbote nachgewiesen werden: Vorgängernorm des § 90a StGB war § 8 des Republikschutzgesetzes der Weimarer Republik, der allerdings erhebliche Vollzugsdefizite aufwies.144 Es hat sich in der Weimarer Republik gezeigt, dass ein Strafgesetz ungeeignet ist, das Ansehen des Staates zu schützen und die „Loyalität der Bürger“ strafgesetzlich zu erzwingen.145 Es ist nicht ersichtlich, warum in der Bundesrepublik Identität und Integrität mittels Verbot besser geschützt werden kann. Auch hinsichtlich des „Ansehens des Staates“ als Schutzzweck der Norm ergeben sich Bedenken: Es könnte anzunehmen sein, dass dem Ansehen einer auf freie Meinungsbildungsprozesse vertrauenden Demokratie durch strafrechtliche Eingriffe in diese Prozesse eher geschadet wird.146 Das Ansehen des auf der fdG basierenden Staates und damit auch die „Loyalität des Bürgers“147 zum Staat speisen sich aus dem Umgang mit den Werten dieser Grundordnung. Ein allzu nachlässiger Umgang mit der Meinungsfreiheit – immerhin konstituierender Bestandteil der fdG – durch unbestimmte Strafverbote könnte dem Ansehen des Staates größeren Schaden zufügen als die tatbestandliche Verunglimpfung des Staates.148 Meinungsäußerungsverbote könnten größeres Vertrauen in den Staat und seine Institutionen ausdrücken als in den Bürger und seine demokratische Verwurzelung beziehungsweise seine politische Vernunft. Eine freiheitliche demokratische Ordnung lebt auch in Zeiten der Krise von Widerspruch und Kritik, sodass solche Normen in der Krise ein Versagen der Demokratie begünstigen könnten.149 Zu denken ist insoweit auch an die Konzeption der Meinungsfreiheit als „Marketplace 143  Vgl.

BT-Drucks. 1 / 1307, S. 28. Gusy, Weimar – die wehrlose Republik?, 1991, S. 369 und im Detail unter Abschnitt E.IV. 145  So auch Backes, Rechtsstaatsgefährdungsdelikte und Grundgesetz, 1970, S.  181 f. 146  Ähnlich Dagasan, Das Ansehen des Staates im türkischen und deutschen Strafrecht, 2015, S. 271; dazu, warum „Machtkritik“ erforderlich ist Bölke, NJW 2004, 2352 (2353); Bemmann, Meinungsfreiheit und Strafrecht, 1981, S. 19; Krutzki, KJ 1980, 294 (301 f.). 147  Würtenberger, JR 1979, 309 (313). 148  Ähnlich dazu Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 90a Rn. 2. 149  Grünwald, KJ 1979, 291 (298). 144  Vgl.

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G. Meinungsäußerungsdelikte im Lichte der Untersuchung

of Ideas“: Die argumentative Auseinandersetzung im Wettbewerb der Ideen – dazu gehört auch die argumentative Abwehr von Verunglimpfungen – ist Garant für eine gesellschaftliche Konsentierung von Werten. Deutlich wird an dieser Stelle auch die Ideologieanfälligkeit der Wertbindung an die fdG, wenn wie im Rahmen des § 90a StGB zivilgesellschaftlicher Konsentierung von Werten („Anerkennung des Staates bzw. der fdG“) durch Strafverbote erheblicher Nachdruck verliehen wird.150 Darüber hinaus werden Meinungsextreme häufig ohnehin durch (gesellschaftliche) Tabuisierungen aus dem öffentlichen Diskurs verbannt. Die „Loyalität des Bürgers“ und das Vertrauen der Bevölkerung in die fdG werden jedoch Schaden nehmen, wenn das Bezugsobjekt „Staat“ den selbstgesetzten Anforderungen der fdG nicht mehr genügt. Im Gegenzug ist nicht zu erwarten, dass Strafnormen wie § 90a StGB ein einmal verlorenes Vertrauen der Bevölkerung wiederherzustellen vermögen.151 Auch droht eine „metaphysische Überhöhung des Staates“ und eine gewisse Gefahr der Immunisierung gegen Kritik, wenn das Ansehen des Staates gar strafrechtlichen Schutz erfährt.152 Mit einer allzu ausufernden Strafbarkeit von Machtkritik könnte die Meinungsfreiheit in einer ihrer Kernaufgaben erheblich behindert werden, nämlich der Kontrolle des Staates – als Machtkontrolle zudem auch ein Wesenszug der fdG. Ebenso wenig ist § 90a StGB geeignet, die von Schroeder erwähnte Sensibilität der Bevölkerung für Gefahren für die fdG zu bewahren, da der Strafprozess kaum Erklärungen dazu bietet, warum die Verunglimpfung überhaupt eine Gefahr darstellt – eine inhaltliche Auseinandersetzung fehlt insoweit.153 Im Ergebnis zeigt sich, dass bei Annahme einer Gefährdung des Staatsansehens und damit der fdG das Strafrecht kein geeignetes Mittel ist, um diese Gefahren zu neutralisieren. Einerseits lässt sich nicht restlos klären, ob die Verunglimpfung von Symbolen im Sinne des § 90a StGB überhaupt gefährlich ist für die fdG oder aber in offener, freier und durch Art. 5 Abs. 1 GG gewährleisteter Debatte ein hinzunehmender Ausdruck von Staatskritik ist. 150  Vgl.

zur Ideologieanfälligkeit der fdG Abschnitt E.V.3. etwa Vormbaum, GA 2016, 609 (620) mit Verweis auf Volk, JR 1984, 441 (445), der das Spannungsverhältnis zwischen Kunstfreiheit und § 90a StGB bespricht: „Der in sich gefestigte Staat kann aggressive Kunst [vorliegend: tatbestand­ liche Meinungsäußerungen] gelassen hinnehmen; er braucht den Strafschutz nicht. Und dem labilen, bereits erschütterten Staat hilft die Strafnorm nicht (mehr).“ (Volk a. a. O.). 152  Cobler, in: Kienzle / Mende, Zensur in der BRD, 1980, S. 80 (84), Zitat a. a. O. Vgl. ferner den Überblick zum Staat als „Überwert“ bei Backes, Rechtsstaatsgefährdungsdelikte und Grundgesetz, 1970, S. 182 f. S. auch mit Blick auf § 86 StGB Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 86 Rn. 5, der Äußerungsverboten zum Schutz etwa der fdG ausstellt, „kein Ausweis demokratischen Selbstbewusstseins“ (Zitat a. a. O.) zu sein. 153  Insofern ist Krutzki, KJ 1980, 294 (300) zuzustimmen. 151  Ähnlich



IV. Meinungsäußerungsverbot als Gefahr für Meinungsfreiheit und fdG247

Darüber hinaus wurde gezeigt, dass die fraglichen Symbole aufgrund ihres dynamischen Bedeutungsgehalts nur in engen Grenzen geeignet sind, überhaupt für die fdG relevante Integrität und Identität zu schaffen. Auch steht die Idealisierung und Totalisierung von Staatssymbolen im Konflikt mit dem Staatsentwurf der fdG. Strafverbote der untersuchten Art sind überdies nicht geeignet, die Loyalität des Bürgers zum Staat zu erzeugen oder zu wahren, wie ein Blick in die Geschichte des Weimarer Republikschutzgesetzes zeigt. Es steht gar zu befürchten, dass der strafrechtliche Schutz der Staatssymbole für die fdG schädlich ist, indem dieser Schutz die Loyalität und Identität schwächt.

IV. Das Meinungsäußerungsverbot als Gefahr für Meinungsfreiheit und fdG Als Eingangsthese für die Analyse der von Meinungsäußerungsverboten ausgehenden Gefahren für die fdG kann folgender Ausspruch Hufens herangezogen werden: „Zu viel Schutz kann die Freiheit selbst gefährden.“154

Noch drastischer formuliert etwa Deiters, Instrumente zum Schutz der fdG könnten „pervertiert“ und gegen eben diese Grundordnung eingesetzt werden.155 Es stellt sich somit die Frage, ob durch die untersuchten Strafnormen ein Schutzniveau errichtet wird, das seinerseits für die fdG gefährlich ist. In einer Gesamtschau sind deshalb die von den §§ 83, 86, 86a und 90a StGB ausgehenden Gefahren für die fdG zusammenzutragen, um bestimmen zu können, ob diese Meinungsäußerungsverbote Gefahren für die fdG etablieren, die von den verbotenen Meinungsäußerungen ausgehende Gefahren gar übertreffen. 1. Abschreckungseffekte (Chilling Effect) Eine von den Verboten der §§ 83, 86, 86a, 90a StGB im Speziellen wie auch von Meinungsäußerungsverboten im Allgemeinen ausgehende Gefahr könnte der sogenannte Chilling Effect156 sein – also ein von Verboten ausge154  Hufen,

in: Kaspar / Schoen / Schumann / Winkler, FS Falter, 2009, S. 101 (102). in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 291 (311). Zitat a. a. O. 156  Dieser Begriff ist der US-amerikanischen Rechtsprechung entnommen, hat aber auch Eingang in den hiesigen Rechtsraum gefunden. Vgl. dazu nur EGMR, Urt. v. 27.3.1996  – 17488 / 90, BeckRS 2012, 18728 (Nr. 39)  – GOODWIN v. THE ­UNITED KINGDOM und ferner auch zusammenfassend Rühl, Tatsachen – Interpretationen – Wertungen, 1998, S. 65 (Fn. 6). 155  Deiters,

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G. Meinungsäußerungsdelikte im Lichte der Untersuchung

hender Abschreckungseffekt, der zu Anpassungen, Veränderungen oder Beschränkungen im Meinungsäußerungsverhalten führt.157 Mill hat die Gefahren des Chilling Effects folgendermaßen beschrieben: „The greatest harm done is to those who are not heretics, and whose whole mental development is cramped, and their reason cowed, by the fear of heresy.“158

Dieser mögliche Abschreckungseffekt könnte sich auf verschiedenen Ebenen der Strafverfolgung ergeben. Zunächst aber könnte der Chilling Effekt der Strafverfolgung noch vorgelagert einsetzen, indem die bloße Existenz von Meinungsäußerungsdelikten zu einer diffusen Angst innerhalb der Bevölkerung führt, aufgrund eigener Äußerungen der Strafverfolgung zum Opfer zu fallen: Meinungsäußerungsdelikte sind unbestimmt159 und können aufgrund dieser Unbestimmtheit zu einer Verunsicherung der Bevölkerung da­ rüber führen, was denn nun eigentlich strafbar sei. Auch die Wechselwirkungslehre ist symptomatisch für die schwierige Abgrenzung strafbarer von nicht strafbaren Äußerungen. Es handelt sich insgesamt um einen Abwägungsprozess, der häufig im Ergebnis schwierig vorhersehbar ist.160 Der Grenzverlauf zwischen straflosen und schon strafbaren Äußerungen ist selbst für den geschulten Ermittler, Staatsanwalt und letztlich für den Strafrichter oft nur schwer auszumachen. Aus Furcht vor möglichen Konsequenzen könnten in der Folge Äußerungen unterlassen werden, die zwar die Schwelle zur Strafbarkeit nicht überschreiten, aus vorweggenommener Angst und Unsicherheit aber vorsichtshalber nicht gesprochen werden.161 Dieses Vermeidungsverhalten ist einerseits in der (nicht strafverfolgten) Bevölkerung zu befürchten, andererseits aber gerade auch durch strafverfolgungstypische Stigmatisierungen bei Beschuldigten eines Meinungsäußerungsdeliktes – 157  Vgl. dazu auführlich und kritisch die (rechtsvergleichenden) Ausführungen von Staben, Der Abschreckungseffekt auf die Grundrechtsausübung, 2016, etwa zur Rolle des Chilling Effects in der Rspr. des BVerfG ab S. 14. 158  Mill, On liberty, The Second Edition 1859, S. 61. In heutiger Literatur etwa Dagasan, Das Ansehen des Staates im türkischen und deutschen Strafrecht, 2015, S.  271 f.; Leggewie / Meier, Blätter für deutsche und internationale Politik 2012, 63 (70); Albrecht, KritV 1988, 182 (201). 159  Vgl. Grünwald, KJ 1979, 291 (293). Dazu im Detail sogleich unter Abschnitt G.IV.2. 160  Findeisen / Hoepner / Zünkler, ZRP 1991, 245 (248). Vgl. zur Wechselwirkungslehre die Ausführungen im Abschnitt C.II.2.c)bb). 161  Vgl. dazu auch den Fall Buback-Nachruf in der Darstellung von Bemmann. Dieser legt dar, wie von Bürgern erfahrene Widrigkeiten im Strafverfahren wegen eines mutmaßlichen Meinungsäußerungsdeliktes selbt bei Freisprüchen zur (zukünftigen) Selbstzensur in Furcht vor weiterer Strafverfolgung führen können, Bemmann, Meinungsfreiheit und Strafrecht, 1981, S. 14 f. S. auch Cobler, in: Kienzle / Mende, Zensur in der BRD, 1980, S. 80 mit Verweis auf Heinrich Heine, der vor der „Angst vor dem eigenen Wort“ warnte. Vgl. am Rande Grünwald, KJ 1979, 291 (292).



IV. Meinungsäußerungsverbot als Gefahr für Meinungsfreiheit und fdG249

selbst im Falle der Einstellung des Ermittlungsverfahrens oder eines späteren Freispruchs. Bereits das bloße Ermittlungsverfahren entfaltet häufig einen Abschreckungseffekt.162, 163 Den Meinungsäußerungsdelikten kommt mithin eine Art symbolischer Wirkung für die Bevölkerung zu, ganz im Sinne eines „Das könnte strafbar sein – ich sage es lieber nicht.“164 Findeisen et al. haben dieses Phänomen als „Selbstzensur“ beschrieben, die die „Freiheit mehr beschränkt, als es ein staatlicher Zensor täte.“165 Ein weiterer Aspekt „angstinduzierten“ Vermeidungsverhaltens findet sich mit Blick auf die (vielleicht auch gewinnerzielungsorientierte) Veröffentlichung von Meinungen etwa in (Sach-)Büchern: Die Furcht vor Strafverfolgung könnte sich auf weitere Personen als nur den Meinungsäußernden erstrecken, beispielsweise Verleger und Redakteure. Das Vermeidungsverhalten könnte damit weitaus größere Kreise ziehen als zunächst angenommen in Anbetracht nur des sich Äußernden. Meinungsäußerungsverbote könnten aufgrund ihrer Symbolwirkung angstinduziertes Vermeidungsverhalten auslösen, ohne dass die Strafnormen jemals kriminalistische Bedeutung – sei es durch die bloße Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens – erfahren. Derartige Abschreckungseffekte lassen sich an kriminalstatistischen Erhebungen wie der Polizeilichen Kriminalstatistik oder der Strafverfolgungsstatistik deshalb auch nicht ablesen, da sie der Strafverfolgung noch vorgelagert sind. Ferner ist zu beachten, dass es nicht zwingend der Verurteilung bedarf, um Abschreckung zu erzeugen. Auch die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens kann einen Chilling Effect auf den Beschuldigten sowie auch sein Umfeld haben. Handelt es sich um öffentlichkeitswirksame Ermittlungsverfahren wie 162  Dencker fordert aufgrund dieser (möglicherweise) „rechtlich unerwünschten Fernwirkungen“, dass bereits die Strafverfolgungsbehörden etwa bei der Einleitung und der damit verbundenen Bekanntgabe eines Ermittlungsverfahrens mögliche grundrechtliche Interferenzen mit der Meinungsfreiheit prüfen, vgl. Dencker, StV 1987, 117 (120). 163  Zu beachten ist auch, dass bei Meinungsäußerungsdelikten Ermittlungsverfahren häufig eingestellt werden. Vgl. dazu nur die empirische Untersuchung des Bundestages im Rahmen der Abschaffung der §§ 88a, 130a StGB a. F. im Jahre 1981. BT-Drucks. 9 / 135, S. 3: „So sei zwar eine erhebliche Anzahl von Ermittlungsverfahren durchgeführt worden, die mit Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmen verbunden gewesen seien und dadurch zu großer Unruhe bei den Betroffenen geführt hätten. Diese Verfahren hätten jedoch überwiegend ohne Ergebnis wieder eingestellt werden müssen, weil entweder das Privileg des § 86 Abs. 3 des Strafgesetzbuchs gegriffen habe oder den Betroffenen nicht habe nachgewiesen werden können, daß sie den Inhalt kannten oder gar billigten.“ 164  Vgl. dazu auch Krutzki, KJ 1980, 294 (300) mit Blick auf § 90a StGB, der befürchtet, dass entsprechende Strafprozesse „geeignet [sind], den Bürger daran zweifeln zu lassen, ob der Staat das Grundrecht auf Meinungsfreiheit respektiert.“ 165  Findeisen / Hoepner / Zünkler, ZRP 1991, 245 (246).

250

G. Meinungsäußerungsdelikte im Lichte der Untersuchung

etwa im Falle des „Schmähgedichtes“ von Jan Böhmermann, kann diese Abschreckung durch die mediale Aufmerksamkeit auch erheblich größer sein.166 Eine ungleich geringere Rolle dürfte das Ermittlungsergebnis spielen, da mediale Sensationen häufig schnell abklingen und schon nach wenigen Tagen der Berichterstattung in Anbetracht abnehmenden Sensationscharakters weitaus weniger Menschen erreichen.167 In kollektiver Erinnerung bleiben deshalb vor allem die Ermittlungsverfahren als solche, also die Mitteilung an die Bevölkerung: „Das könnte strafbar sein.“168 Der Einschüchterungseffekt könnte sich außerdem – wenn nicht schon aus der bloßen Strafandrohung selbst – daraus ergeben, dass im Ermittlungsverfahren strafprozessuale Maßnahmen gegen Beschuldigte möglich sind, die eine geradezu repressive Wirkung auf diese haben.169 Die Abwägung des Betroffenen zwischen der freien Meinungsäußerung und damit verbunden einer weiteren Selbstbelastung im laufenden Ermittlungsverfahren oder der Inkaufnahme weiterer repressiver strafprozessualer Maßnahmen dürfte regelmäßig zuungunsten der Meinungsfreiheit ausfallen. Insoweit besteht die Missbrauchsgefahr, Ermittlungsverfahren als politisches Mittel zu instrumentalisieren, um einschüchternde Effekte zu erzielen – ohne dass es eines strafgerichtlichen Hauptverfahrens bedürfte. Kommt es schließlich zur Verurteilung, muss auch die Abschreckungswirkung des Urteils bedacht werden. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 1976 erkannt, dass durch strafgerichtliche Urteile nicht nur in die individuelle Meinungsfreiheit eingegriffen wird, sondern darüber hinaus „würden die negativen Auswirkungen auf die generelle Ausübung der Meinungsfreiheit 166  Vgl. neben der umfangreichen Berichterstattung zur Causa Böhmermann nur überblicksartig: „Schmähgedicht auf Erdogan: Staatsaffäre Böhmermann – die Fakten“ zuletzt besucht am 20.09.18. 167  Vgl. dazu auch Bemmann, Meinungsfreiheit und Strafrecht, 1981, S. 15 mit Blick auf den sog. Buback-Nachruf. 168  I.R.d. Buback-Nachrufs Bemmann, Meinungsfreiheit und Strafrecht, 1981, S. 15: „[…] Anklageerhebungen und die anfänglichen Verurteilungen […] ein starkes Echo fanden, wohingegen über die späteren Freisprüche nur selten, dann auch knapp […] berichtet wurde. Dadurch ist bei den Bürgern der Eindruck entstanden und zumeist erhalten geblieben, die Verlautbarung […] sei bei Strafe verboten. […] Es herrscht nach wie vor die Vorstellung […] namentlich Äußerungen einer scharfen Kritik an gewissen Zuständen im Staate, würden von den Strafverfolgungsbehörden und Strafverfolgungsorganen nicht geduldet. Also hält man lieber seinen Mund.“ (Betonung wurde vom Autor hinzugefügt.). 169  Vgl. nur die – zugegeben bei § 83 StGB nur eingeschränkt anwendbaren – Zwangsmaßnahmen zur Sicherung von Strafverfahren gem. §§ 94 bis 111p StPO. Solche Maßnahmen könnten nachhaltigen Eindruck und auch eine einschüchternde Wirkung auf die Betroffenen ausüben.



IV. Meinungsäußerungsverbot als Gefahr für Meinungsfreiheit und fdG251

von erheblicher Tragweite sein […]. Denn ein solches Vorgehen staatlicher Gewalt würde, nicht zuletzt wegen seiner einschüchternden Wirkung, freie Rede, freie Information und freie Meinungsbildung empfindlich berühren und damit die Meinungsfreiheit in ihrer Substanz treffen.“170 Die Überlegungen zum Chilling Effect gelten umso mehr, als dass in der Bevölkerung ohnehin Vorbehalte über die tatsächliche Reichweite der Meinungsfreiheit herrschen. Das John Stuart Mill Institut erhebt jährlich den sogenannten „Freiheitsindex Deutschland“. Im „Freiheitsindex 2017“ hat das Mill-Institut festgestellt, dass lediglich 63 % der Befragten das Gefühl haben „heute in Deutschland […] [ihre] politische Meinung frei sagen“ zu können.171 25 % der Befragten hatten sogar das Gefühl, bei politischen Meinungsäußerungen „besser vorsichtig sein“ zu müssen.172 2016 hatten sogar nur 57 % der Befragten das Gefühl, politische Meinungen frei äußern zu können.173 Stellt man diese Erhebungen den Untersuchungsergebnissen von 1990 gegenüber, ergibt sich ein geradezu dramatischer Vertrauensverlust in der Bevölkerung: Im Jahr 1990 nahmen noch 78 % der Befragten an, ihre politische Meinung frei äußern zu können.174 Aus diesen Untersuchungen zum „Freiheitsindex“ lässt sich zwar kein kausaler Zusammenhang zwischen den die fdG schützenden Meinungsäußerungsdelikte und der gefühlt gering ausgeprägten Meinungsfreiheit schließen. Andere Faktoren wie etwa die mediale Beeinflussung oder gesellschaftlich geprägte Tabus könnten ebenso ursächlich für dieses Untersuchungsergebnis sein.175 Dennoch gibt diese ­ Untersuchung Anhaltspunkte darauf, dass Abschreckungseffekte sowie Vermeidungsverhalten existieren. Es kann angenommen werden, dass Meinungs­ äußerungsdelikte solche Effekte verstärken oder auch überhaupt erst verur­

170  BVerfG, Beschl. v. 7.12.1976  – 1 BvR 460 / 72, NJW 1977, 799. Zuletzt etwa in BVerfGE 114, 339 (349 f.) = BVerfG, 25.10.2005  – 1 BvR 1696 / 98, NJW 2006, 207 (209). 171  Ackermann (Hrsg.), Freiheitsindex Deutschland 2017, Mill-Institut, Ergebnisdossier, S. 19. Vgl. auch das Stimmungsbild nach einer Studie von Statista, wonach sich 34,1 % der 14–35 Jährigen in Deutschland in ihrer Meinungsfreiheit eingeschränkt sehen, wobei 57 % derjenigen, die sich eingeschränkt fühlen, die „deutsche Regierung und offizielle Stellen“ als Verursacher dieser Einschränkungen sehen, dazu Grieß, auf Statista vom 12.04.2016, abrufbar unter zuletzt besucht am 20.09.18. 172  Ackermann (Hrsg.), Freiheitsindex Deutschland 2017, Mill-Institut, Ergebnisdossier, S. 19. 173  Ackermann (Hrsg.), Freiheitsindex Deutschland 2017, Mill-Institut, Ergebnisdossier, S. 19. 174  Petersen / Roessing, in: Ackermann, Freiheitsindex Deutschland 2017, S. 20. 175  So etwa Petersen / Roessing, in: Ackermann, Freiheitsindex Deutschland 2017, S.  21 f.

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G. Meinungsäußerungsdelikte im Lichte der Untersuchung

sachen. Sichere Aussagen zur Kausalität lassen sich dazu jedoch nicht treffen; es bleibt bei der Vermutung von Ursachenzusammenhängen. 2. Unbestimmtheit der Meinungsäußerungsdelikte als Gefahrenquelle: Chilling Effect und politische Instrumentalisierung Als besondere Gefahr für die Meinungsfreiheit könnte sich die Unbestimmtheit der untersuchten Delikte im Speziellen und der Meinungsäußerungsdelikte im Allgemeinen (etwa: §§ 185 ff. StGB) darstellen. Dabei handelt es sich um Bedenken, die bereits in der frühen Bundesrepublik mit Blick auf die Staatsschutzdelikte laut wurden.176 Zudem setzt sich mit der Unbestimmtheit der fraglichen Delikte die Unbestimmtheit des Schutzobjektes „fdG“ aus dem Wehrhaftigkeitskonzept fort, die sich bereits im demokratietheoretischen Konstrukt als problematisch darstellte.177 Das Erfordernis der Bestimmtheit ist verfassungsrechtlicher Natur. Das BVerfG hat mit Blick auf Art. 103 Abs. 2 GG festgestellt: „Jedermann soll vorhersehen können, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist.“178

Problematisch könnte vorliegend sein, dass sich insbesondere aufgrund der Wechselwirkungslehre Abwägungen im Ergebnis nur schwer vorhersehen lassen – eine klare Grenzziehung zwischen strafbaren und nicht-strafbaren Meinungsäußerungen könnte so schwierig sein, dass auf Einzelfallwürdigungen zurückzugreifen ist.179 a) § 83 StGB Speziell mit Blick auf § 83 StGB ist zu bedenken, dass folgende Grenze nur schwer zu ziehen und in beträchtlichem Maße von der richterlichen Würdigung unter besonderer Beachtung der Wechselwirkungslehre abhängig ist: Auf der einen Seite steht die straffreie Machtkritik bei ungefährer Vorstellung oder Anvisierung eines Umsturzes, der noch nicht die tatbestandliche Bestimmtheit erreicht hat; auf der anderen Seite stehen bereits strafbare Vorbereitungshandlungen in Form der Agitation. Die Wechselwirkungslehre – eizum historischen Kontext m. w. N. Schiffers, VfZ 1990, 589 (600). zur Kritik an die Unbestimmtheit des Schutzobjektes „fdG“ Abschnitt C. III. und E.III.2. 178  BVerfGE 126, 170 (195) = BVerfG, Beschl. v. 23.6.2010  – 2 BvR 2559 / 08 u. a., NJW 2010, 3209 (3210). 179  Ähnlich Dagasan, Das Ansehen des Staates im türkischen und deutschen Strafrecht, 2015, S. 267. 176  Vgl. 177  Vgl.



IV. Meinungsäußerungsverbot als Gefahr für Meinungsfreiheit und fdG253

gentlich der Stärkung der Meinungsfreiheit zugedacht – wird für den Betroffenen das Maß an Unvorhersehbarkeit beziehungsweise Unbestimmtheit der Strafbarkeitsgrenze noch erhöhen, da es den Abwägungsprozess verkompliziert und damit die Absehbarkeit des Abwägungsergebnisses verringert.180 Diese Unbestimmtheit strafbaren Verhaltens könnte in einschlägigen machtkritischen Kreisen zu einer beträchtlichen Selbstzensur in Erwartung oder Befürchtung der Strafverfolgung führen.181 Durch die sehr weit vorgelagerte Kriminalisierung der Agitation könnte die Selbstzensur sogar noch verstärkt werden. Auch die Regelung des § 83a Abs. 2 StGB – die „tätige Reue“ – vermag Abschreckungseffekte aufgrund der tatbestandlichen Unbestimmtheit nicht zu mildern; im Gegenteil wird die Unbestimmtheit des Verbots aus § 83 StGB erhöht, wenn dem Gericht ein derart weitreichendes Ermessen an die Hand gegeben wird, gar von Strafe abzusehen – der mögliche Strafrahmen für die Tathandlung nach § 83 StGB reicht nämlich von Straflosigkeit hin zur Freiheitsstrafe bis zu 10 Jahren (Abs. 1).182, 183 Das Verbot des § 83 StGB ist deshalb in besonderem Maße prädestiniert, einen Chilling Effect auszulösen. Neben den Gefahren eines Abschreckungseffekts eröffnet die Unbestimmtheit des Strafverbots die Gefahr des Missbrauchs und der politischen Instrumentalisierung.184 Gerichte können in der Anwendung der Normen politisch opportun oder mit politischer Agenda handeln – eine solche Normanwendung und Einflussnahme würde jedoch in erheblichen Konflikt mit der verfassungsrechtlichen Konzeption eines Diskurses geraten.

180  Deiters, in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 315. Zur schwierigen Vorhersehbarkeit der Abwägung auch Bull, in: Badura / Dreier, FS 50 Jahre BVerfG, Bd. 2, 2001, S. 163 (170). 181  Vgl. dazu auch Grünwald, KJ 1979, 291 (293). 182  Ähnlich Hefendehl, in: Hoyer, FS Schroeder, 2006, S. 453 (463). 183  Umstritten ist allerdings, ob die Unbestimmtheit des § 83a StGB auch Verfassungswidrigkeit (Art. 103 Abs. 2 GG) der Norm nach sich zieht, da diese nicht strafbegründend ist (die Strafbegründung ergibt sich aus den §§ 81–83 StGB). Deiters, in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 291 (298 f.) sieht die Verfassungswidrigkeit wg. Unbestimmtheit aber richtigerweise darin, dass es nicht in der Hand der Gerichte liegen darf zu entscheiden, „welches Verhalten Strafe verdient“ (S. 299). Konsequenz der Verfassungswidrigkeit soll Deiters zufolge aber nicht zu Lasten des Täters in einer Nichtanwendung der Norm liegen, sondern in obligatorischer Straflosigkeit bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 83a StGB. 184  Vgl. ähnlich mit Blick auf §§ 81–83 StGB: Hefendehl, in: Hoyer, FS Schroe­ der, 2006, S. 453 (745).

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G. Meinungsäußerungsdelikte im Lichte der Untersuchung

b) §§ 86, 86a StGB Auch hinsichtlich der §§ 86, 86a StGB stellt sich die Frage der Bestimmtheit (dazu: Art. 103 Abs. 2 GG).185 Insbesondere mit Blick auf § 86 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 ebenso wie § 86a Abs. 2 S. 2 StGB ergibt sich (erneut) das Problem unbestimmter Tatbestandsmerkmale: Diese Unbestimmtheit könnte in den Händen der Rechtsanwender – konkret der Gerichte – dazu führen, dass Strafbarkeiten je nach politischem Ermessen stärker und schwächer, in jedem Fall aber nicht konsistent und nicht vorhersehbar ausfallen.186 Zu beachten ist dabei, dass vor allem auch öffentlichkeitswirksame Verfahren häufig politisch umfassend kommentiert, kritisiert oder gewünscht werden, sodass die Gerichte bei tatbestandlicher Unbestimmtheit aufgrund der weiten Auslegungsmöglichkeiten dem politischen Druck in opportuner Weise erliegen könnten.187 Für Strafandrohungen im stark politisierten, zumeist extremistischen Bereich wie den §§ 86, 86a StGB könnten damit (auch Veränderungen unterliegende) Mehrheitsüberzeugungen zumindest mittelbar die Strafbarkeit einzelner Verhaltensweisen mitbestimmen. Das Zusammentreffen dieser Umstände – (zumindest unterschwellige) politische Beeinflussbarkeit der Rechtsanwendung bei Eingriffen in stark politisierte Meinungskreise – stellt eine Gefahr für die Meinungsfreiheit dar, da diese Eingriffe eben nicht nur an die Gefährlichkeit der Meinungsäußerungen geknüpft sein könnten, sondern an den geistigen Kern der Äußerungen. Daneben gilt wie auch für § 83 StGB, dass die tatbestandliche Unbestimmtheit zur Abschreckung (Chilling Effect) führt und so zum Ablassen von (noch) nicht strafbaren Meinungsäußerungen führen könnte.188

etwa die kritische Untersuchung bei Kett-Straub, NStZ 2011, 601 (602). ganz allgemein zum Zusammenhang zwischen politischer Einflussnahme und unbestimmten Tatbeständen Marxen, KritV 1990, 287 (290 f.). Aufgegriffen wurden diese Überlegungen auch von Reuter, Verbotene Symbole, 2005, S. 32 f. Kritisch mit Blick auf die Strafbarkeit „gleichartiger Verhaltensweisen“ Köhne, ZRP 2009, 87. 187  Dazu Marxen, KritV 1990, 287 (291): „Das Verbundsystem [meint i. E. die Unbestimmtheit der Tatbestände] lädt förmlich ein zum Durchgriff auf die Rechtsprechung.“ Vgl. dazu auch die sehr deutliche Kritik von Bertram, NJW 2002, 111 (112): „Der tiefere Grund eines unausweichlichen Unbehagens liegt darin, dass unser politisches Strafrecht […] sich stets erneut in viel zu weiten, wuchernden Tatbeständen verheddert und seine überspannte Weite durch eine fragwürdige Klausel wie […] § 86 III StGB wieder zu begrenzen sucht. Aber diese Beschränkung […] ist […] höchst subjektiv und fast beliebig. Der Gesetzgeber schiebt seiner Justiz ein diffuses und von ihr durchaus unerbetenes Auslegungsermessen zu: nicht aus übergroßem Vertrauen in die Gerichte, sondern aus eigener Unsicherheit und Angst vor öffentlichen Angriffen.“ Zusammenfassend ebenfalls Reuter, Verbotene Symbole, 2005, S. 32 f. 188  Dazu m. w. N. Reuter, Verbotene Symbole, 2005, S. 35. 185  s.

186  Vgl.



IV. Meinungsäußerungsverbot als Gefahr für Meinungsfreiheit und fdG255

c) § 90a StGB Die Bestimmtheit des § 90a StGB bereitet – gar als „hochgradig undeutliche Vorschrift“189 verrufen – ähnliche Probleme wie die der §§ 83, 86, 86a StGB.190 Im Rahmen des § 90a StGB steht die Strafbarkeit durch die schwierige Abgrenzung nicht strafbarer polemischer Äußerungen von bereits strafbaren Verunglimpfungen in hohem Maße zur Disposition der Gerichte.191 Mit dem gesteigerten Maß an Unbestimmtheit ist zudem eine (für die Meinungsfreiheit gefährliche) Wirkungssteigerung des Chilling Effects zu befürchten. Umso unvorhersehbarer beziehungsweise schwieriger für den Einzelnen die Strafbarkeit zu bestimmen ist, desto wahrscheinlicher, dass der Einzelne schon aufgrund der bloßen Strafandrohung auch nicht strafbare Meinungsäußerungen unterlassen wird. § 90a StGB etabliert durch den Mangel klarer Kriterien zur Abgrenzung strafbarer von nicht-strafbaren Meinungsäußerungen einen Graubereich, der sich als allgemeine Abschreckung vom Gebrauch des Freiheitsrechts auswirken kann.192 Die durch die Unbestimmtheit große Entscheidungsmacht in den Händen der Gerichte begründet eine weitere Gefahr für die Meinungsfreiheit und vor allem -vielfalt: Da die Grenzen zwischen noch strafloser und schon strafbarer Kritik gleitend und damit schwer feststellbar sind, könnte die Urteilsfindung im äußerst politisierten Bereich der Machtkritik (bewusst oder unbewusst) von politischen Mehr- oder Minderheitsüberzeugungen oder auch den Einzelüberzeugungen der Richter beeinflusst oder angepasst sein.193 Eine solche politische Beeinflussung wird den Gerichten häufig selbst nicht gewahr und noch schwieriger nachzuweisen sein, doch können „gefällige“ Aburteilungen 189  Paeffgen,

Rn. 2.

in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 90a

190  Vgl. zur Unbestimmtheit etwa Vormbaum, GA 2016, 609 (616); am Rande nur bei Zechlin, NJW 1984, 1091 (1093); Krutzki, KJ 1980, 294 (300, 314); Grünwald, KJ 1979, 291 (297); Backes, Rechtsstaatsgefährdungsdelikte und Grundgesetz, 1970, S. 182. 191  Zu beachten ist jedoch, dass die Rspr. etwa mit Blick auf die „böswillige Verächtlichmachung“ eine hohe „Eingangshürde“ für die Strafbarkeit geschaffen hat, indem sie feststellte, dass selbst dann keine strafbare Äußerung gegeben ist, wenn zu einem gewaltfreien Umsturz der bestehenden staatlichen Ordnung aufgerufen wird, vgl. BGH, Beschl. v. 7.2.2002 – 3 StR 446 / 01, NStZ 2002, 592 (593). 192  So mit Blick auf den Beschuldigten Vormbaum, GA 2016, 609 (617). Vgl. auch Bemmann, Meinungsfreiheit und Strafrecht, 1981, S. 19. 193  Für Aburteilungen (nur) nach § 90a StGB gibt es zwar keine umfangreiche Dokumentation der (politischen) Urteilsbeeinflussung bei sehr unbestimmten Meinungsäußerungsdelikten, aber beispielhaft sei auf die Dokumentation zur Strafbarkeit des sog. Buback-Nachrufes verwiesen, der zu einer Vielzahl sehr unterschiedlicher Verurteilungen im ganzen Land geführt hat. Vgl. dazu Ahrens / Mückenberger, KJ 1978, 280.

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G. Meinungsäußerungsdelikte im Lichte der Untersuchung

in der Rezeption durch die Bevölkerung den Eindruck erwünschter und unerwünschter Meinungen erwecken.194 Wie schwierig die Abgrenzungsfrage polemischer, noch straffreier Kritik von bereits strafbarer Verunglimpfung ist, zeigt sich bereits anhand der Frage, ob die Bezeichnung der Flagge als „schwarz-rot-senf“ eine strafbare Äußerung gemäß § 90a StGB ist – diese Frage musste vom Bundesverfassungsgericht geklärt werden.195 Dieser Eindruck könnte einerseits zur Abschreckung von politischer Partizipation durch (öffentliche) Meinungsäußerungen führen als auch zum Vertrauensverlust in die gesellschaftliche Pluralität – auch das ein Prinzip der fdG. Zu bedenken ist ferner, dass eine derart langwierige, gerichtliche Klärung von Abgrenzungsfragen wie im „schwarz-rot-senf“-Verfahren eine erhebliche psychische (und auch finanzielle) Belastung für Betroffene darstellt und dadurch stark abschreckende Wirkung haben kann. Cobler zeichnet mit Blick auf die durch tatbestandliche Unbestimmtheit eröffneten Missbrauchsmöglichkeiten ein gar drastisches Bild: „Der ‚ertappte‘ Staat rächt sich, indem er in die Rolle des Verfolgten schlüpft.“196

Damit lässt sich konstatieren, dass diese schwierige Grenzziehung gerade im Bereich politischer Kritik an staatlichen Einrichtungen missbräuchlicher Rechtsanwendung zur Unterdrückung „unangenehmer“ Kritiker zugute kommt.197 d) Zwischenergebnis Aus der tatbestandlichen Unbestimmtheit ergibt sich zusammenfassend insbesondere die Gefahr einer Risikoverschiebung „von unten nach oben“. Mit dem Verbot von Meinungen soll das Risiko „Bürger gegen Staat“ verringert werden; gleichzeitig wird aber das Risiko „Staat gegen den Bürger“ erhöht.198 Die Missbrauchsgefahr liegt vor allem bei der Rechtsanwen­ 194  Vgl. nur die Fallsammlung bei Cobler, in: Kienzle / Mende, Zensur in der BRD, 1980, S. 80 (84 ff.). Vor allem in den Urteilsbegründungen werden politische Haltungen der Gerichte deutlich, vgl. S. 86 a. a. O. 195  BVerfG, Beschl. v. 15.9.2008 – 1 BvR 1565 / 05, NJW 2009, 908. 196  Cobler, in: Kienzle / Mende, Zensur in der BRD, 1980, S. 80 (84). Vgl. dazu auch Krutzki, KJ 1980, 294 (300). 197  Vgl. zur Kritik auch Paeffgen, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen StGB, 5. Aufl. 2017, § 90a Rn. 13. 198  Die Unterscheidung in Gefahren „von oben“ und „von unten“ findet sich auch etwa bei Schliesky, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts XII, 3. Aufl. 2014, § 277 Rn. 25; Becker, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch d. Staatsrechts VII, 1992, § 167 Rn. 18 und Bulla, AöR 1973, 340 (350). Zu den Gefahren des Staatsschutzstrafrechts insgesamt auch Čopić, Grundgesetz und politisches Strafrecht neuer Art, 1967, S.  13 ff.



IV. Meinungsäußerungsverbot als Gefahr für Meinungsfreiheit und fdG257

dung,199 beispielsweise wenn sich Richter – beeinflusst durch mediale Berichterstattung – dem aktuellen politischen Klima beugen und entsprechend der Mehrheitsüberzeugungen aburteilen. 3. Märtyrertum, Legendenbildung und ungewollte Aufmerksamkeit Vor allem im vom Autoritätsdenken geprägten, rechtsradikalen Meinungsspektrum200 besteht die Gefahr, dass bei Kriminalisierung und entsprechender Verurteilung Märtyrertum entsteht.201 Die Verurteilung aufgrund der tatbestandlichen Meinungsäußerungen (vorliegend: §§ 83, 86, 86a, 90a StGB) könnte in durch von Heldenverehrung geprägten Kreisen zu einer Heroisierung auch des Straftäters und damit gar zur Verstärkung des Meinungsbildes führen. Es ist etwa bei Verurteilung nach § 86a StGB eine Art Mystifizierung und Dämonisierung zu befürchten, die auf entsprechende Meinungsträger anziehende Kraft entfalten kann – das Verbot verursacht dann eine Aufwertung der Kennzeichen.202 Gleiches gilt für das Verbot aus § 90a StGB: Verurteilte oder strafverfolgte Täter nach § 90a StGB könnten sich im Kreise ihres politischen Wirkens als Märtyrer idolisieren (lassen), sodass die Strafbarkeit und daraus folgende Verurteilung letztlich solche politischen Kreise (ideologisch, nicht personell) stärkt, die in Feindschaft zur fdG stehen.203 Das Märtyrertum könnte die „Attraktivität“ politischer Kreise fördern, insbesondere für durch autoritäre Unterwürfigkeit auffallende Persönlichkeiten204, die diesem „Idealbild“ nachhängen. Durch die Kriminalisierung wird mithin sichergestellt, dass die betroffenen Kennzeichen ihre provozierende Wirkung ähnlich Deiters, in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 291 (311). insbesondere relevant mit Blick auf § 86 Abs. 1 (Nr. 4) StGB, aber auch § 86a StGB. Die hohe praktische Relevanz solcher Propagandadelikte wird etwa im Verfassungsschutzbericht 2017 des Bundesamtes für Verfassungsschutz, hrsg. vom Bundesministerium des Innern, S. 24 deutlich, das auf die PKS des BKA für die §§ 86, 86a StGB zurückgreift und verdeutlicht, dass ein Großteil dieser Straftaten von Anhängern des rechtsextremistischen Spektrums begangen wird. 201  Vgl. etwa mit Blick auf § 90a StGB Vormbaum, JR 2009, 127 (128); Weimann, NJ 1998, 522 (523); knapp dazu Jahn, KJ 1988, 329 (340). Vgl. dazu auch die Warnungen von Reuter, Verbotene Symbole, 2005, S. 34; Cobler, KJ 1985, 159 (167 f.). Mit Blick v. a. auf § 130 StGB aber auch sonst unter dem Stichwort „rassistische Hetze“ Cremer, ZRP 2017, 151 (153). Vgl. dazu auch Leggewie / Meier, Republikschutz, 1995, S. 150 f. mit Blick auf § 130 StGB als Art innerer Dialog vom Verbot Betroffener: „Dieser Staat verbietet uns, dieses oder jenes zu behaupten, aber fragen wird man ja wohl noch dürfen!“ 202  So etwa Fischer StGB, 64. Aufl. 2017, § 86a Rn. 2b; Kett-Straub, NStZ 2011, 601 (603), die gar von einer „Verkörperung des Bösen“ spricht (a. a. O.). 203  Vgl. auch dazu Weimann, NJ 1998, 522 (523). 204  Vgl. übersichtsartig zur sog. autoritären Persönlichkeit Six, in: Bierhoff / Frey, Handbuch der Sozialpsychologie und Kommunikationspsychologie, 2006, S. 63 ff. 199  Vgl.

200  Insoweit

258

G. Meinungsäußerungsdelikte im Lichte der Untersuchung

nicht verlieren und damit als – wenn auch extremes – politisches Mittel wirkungsvoll bleiben.205 Der Schutz der fdG könnte dadurch konterkariert werden, da die bloße Verdrängung des gefährlichen Meinungsspektrums aus der Öffentlichkeit die Gefahr nicht bannt, sondern im Falle der Legendenbildung die nunmehr öffentlich nicht mehr wahrnehmbare Gefahr verstärken könnte. Bevor aber durch Verurteilungen Meinungsspektren in den Untergrund gedrängt werden – sofern dies nicht bereits durch Strafandrohung geschehen ist – bieten die (öffentlichen) gerichtlichen Hauptverhandlungen eine Bühne zur Darstellung eben dieser Meinungsbilder. Auch das stellt eher eine Gefahr dar für die Grundordnung, die eigentlich durch entsprechende Verbote vor entsprechenden Meinungsäußerungen geschützt werden soll.206 Hinzukommt insbesondere bei Beteiligung prominenter Personen eine mediale Aufmerksamkeit auch für die strafbaren Äußerungen, die dem gesetzgeberischen Zweck der Unterbindung zuwiderläuft. Die Dokumentation in strafgericht­ lichen Urteilen sowie mediale Berichterstattungen „stellen sicher“, dass strafbare Äußerungen auch lange nach Beendigung eines gerichtlichen Verfahrens replizierbar sind. Die „gefährliche“ Äußerung bleibt damit öffentlich – eine argumentative Abwehr in der Öffentlichkeit hingegen ist aufgrund der Strafverfolgung nicht erforderlich. Das Verbot von Propaganda könnte – zumindest für einschlägige extremistische Kreise – ein noch stärkeres Argument sein als die Propaganda selbst. Das bloße Strafverbot und damit der Verzicht auf den argumentativen Umgang in freier Debatte mit der Propaganda kann für die Täter ein Ausdruck von „Hilflosigkeit“ des Staates bedeuten und als „Aufgeben“ im Angesicht der eigenen (scheinbaren) „argumentativen Überlegenheit“ wahrgenommen werden.207 Da durch das Durchgreifen mittels Verbot überflüssig wird, die Vorzüge der freiheitlichen demokratischen Grundordnung argumentativ zu verteidigen, wird auf die Möglichkeit verzichtet, etwa Propaganda zu dekonstruieren. Vormbaum bringt mit Blick auf § 90a StGB insoweit die Befürchtung auf den Punkt, „das Strafrecht [erweist] der Demokratie hier sogar einen Bärendienst“, indem der Täter „sich durch den sowieso schon verhassten Staat seiner Grundrechte beraubt sieht.“208 205  Fischer

(603).

StGB, 64. Aufl. 2017, § 86a Rn. 2b; Kett-Straub, NStZ 2011, 601

206  Vgl. Preisner, NJW 2009, 897 (898), die darauf hinweist, dass der lange Instanzenzug zur Frage, ob „schwarz-rot-senf“ eine Verunglimpfung i. S. d. § 90a StGB ist, Formen und Kontexte der Verunglimpfung überhaupt erst in das Bewusstsein der Bevölkerung gebracht hat. Auch unter diesem Gesichtspunkt bringt die Strafverfolgung und -aburteilung ungewollte Aufmerksamkeit mit sich, die im Bereich der Äußerungsdelikte jeweils nicht-strafbare und vom Gesetzgeber nicht intendierte „Tatwiederholung“ mit sich bringt. 207  Ähnlich: Deiters, in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 324. 208  Vormbaum, JR 2009, 127 (128).



IV. Meinungsäußerungsverbot als Gefahr für Meinungsfreiheit und fdG259

4. Verdrängung in den Untergrund Eine weitere von Meinungsäußerungsverboten, konkret auch den §§ 83, 86, 86a und 90a StGB ausgehende Gefahr für die fdG könnte darin liegen, dass entsprechende Kommunikation „in den Untergrund“ gedrängt und damit jeder öffentlich-diskursiven Korrektur und Kontrolle entzogen wird.209 Die Verdrängung solcher Kommunikationen ist eine direkte Folge des „kommu­ nikative[n][..] Tabu[s]“, das das BVerfG etwa mit Blick auf § 86a StGB beschrieben hat.210 Problematisch ist dabei, dass der Austausch solcher verbotener Meinungsäußerungen in einem nicht-öffentlichen Bereich Gegenargumenten nicht geöffnet ist – sowohl mangels Gelegenheit als auch mangels Notwendigkeit.211 Der Grundordnung widersprechende Wertungen können sich so schneller und einfacher verfestigen und bei entsprechend fortsetzender Radikalisierung zu mitunter gefährlichen, unmittelbar schutzgutsverletzenden Wirkungen führen, denn: „Extremistische Orientierungen lassen sich nicht verbieten.“212 Bleibt jedoch diesen Meinungsäußerungen Raum auch im öffentlichen Diskurs, sind sie zunächst leichter zu entdecken und darüber hinaus einfacher zu widerlegen.213 Der öffentliche Diskurs dürfte zudem demokratiestärkenden Einfluss nehmen auf solche Personen, die dem unterdrückten, demokratiefeindlichen Meinungsspektrum (ideologisch) zwar nahe stehen, aber (noch) eine Demokratieüberzeugung aufweisen.214 Wenn man fdG-feindliche Auffassungen der Debatte entzieht, wird es den entsprechenden Meinungsträgern mangels ausreichender Gegenargumente schwerfallen,

209  Vgl. etwa mit Blick auf die Strafbarkeiten nach § 130 Abs. 3, 4 StGB: Salomon, ZRP 2012, 48 (50). Bereits 1944 zu der Frage im Umgang mit den Freiheitsrechten in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg: Cushman, The American Political Science Review 1944, 1 (17). 210  BVerfG, Beschl. v. 1.6.2006 – 1 BvR 150 / 03, NJW 2006, 3050 (3051). 211  Dazu Cushman, The American Political Science Review 1944, 1 (17): „History is full of examples which show that if a minority has virility enough to be an actual danger to the majority, governmental action outlawing it or forbidding it to function in public often makes it more dangerous by forcing it to resort to concealment and subterfuge.“ 212  Jaschke, TD 2004, 109 (120). 213  Vgl. in Anlehnung daran auch den Beschl. zu jugendgefährdenden Schriften, BVerfGE 90, 1 (21) = BVerfG, Beschl. v. 11.1.1994  – 1 BvR 434 / 87, NJW 1994, 1781 (1784): „Die Vermittlung des historischen Geschehens und die kritische Auseinandersetzung mit abweichenden Meinungen können die Jugend sehr viel wirksamer vor Anfälligkeit für verzerrende Geschichtsdarstellungen schützen als eine Indizierung, die solchen Meinungen sogar eine unberechtigte Anziehungskraft verleihen könnte.“ 214  Ähnlich Weckenbrock, Die streitbare Demokratie auf dem Prüfstand, 2009, S. 73.

260

G. Meinungsäußerungsdelikte im Lichte der Untersuchung

sich von ihrer Verfassungsfeindschaft zu lösen.215 Eine diskursive Verteidigung der fdG ist nicht mehr erforderlich, wenn schon durch Meinungsäußerungsverbote ein solcher Diskurs überflüssig gemacht wird. Ähnliches gilt für das Verbot der in § 86a StGB genannten Kennzeichen: Mit der bloßen Verdrängung derartiger Symbole aus dem öffentlichen Raum ist nicht zu erwarten, dass damit auch korrespondierende Ideen oder Ideologien verdrängt sind. Klett-Straub zieht insofern Parallelen zur DDR, in der Kennzeichen des NS-Systems äußerst konsequent aus der Öffentlichkeit verbannt wurden. Eine geistig-kritische Auseinandersetzung mit dem NSSystem fand aber zugleich nicht statt, was entsprechendes Gedankengut nicht etwa hat verdrängen können, sondern sich bis heute neben anderen Faktoren in einer starken rechtsextremistischen Szene auf dem ehemaligen Gebiet der DDR auswirkt.216 Durch die untersuchten Strafverbote sind Stigmatisierungen (etwa extremistischer) Meinungsträger zu befürchten, insbesondere, wenn diese staatlichen Eingriffe allenfalls symbolischen Charakter zur „Inszenierung politischer Stärke“ haben.217 Diese geht oft einher mit sozialer und gesellschaftlicher Ausgrenzung.218 Die Verdrängung aus der Öffentlichkeit durch Kriminalisierung kann außerdem zur Verschärfung der in extremistischen Kreisen häufig anzutreffenden, emotional-aggressiven Aufgeladenheit der Meinungsträger führen, da etwa die Propaganda (§ 86 StGB) nicht in einer argumentativen Auseinandersetzung dekonstruiert wird.219 Sie führt in der Tendenz ebenfalls dazu, Meinungsbilder zu manifestieren und Radikalisierungen zu beschleunigen. Vertretern dieses Meinungsspektrums wird durch die Verdrängung in den Untergrund und die damit zusammenhängende soziale Stigmatisierung und Ausgrenzung umso schwerer fallen, aus diesem politischen Spektrum auszubrechen. Eine durch Verfemungsstrategie ausgelöste Stigma215  Vgl. dazu Mill, On liberty, The Second Edition 1859, S. 39: „Wrong opinions and practices gradually yield to fact and argument: but facts and arguments, to produce any effect on the mind, must be brought before it.“ 216  Kett-Straub, NStZ 2011, 601 (603 f.). 217  Jaschke, TD 2004, 109 (120). Zitat a. a. O. Auch Leggewie / Meier, Blätter für deutsche und internationale Politik 2012, 63 (70), wenn auch mit Bezug auf den eigentlich noch „schwächeren“ Eingriff durch die Arbeit des institutionellen Verfassungsschutzes – ähnlich auch in Leggewie / Meier, Republikschutz, 1995, S. 210; Krutzki, KJ 1980, 294 (313). 218  Zu beachten ist insoweit aber, dass eine Stigmatisierung vor allem im extremistischen Bereich mitunter nicht auf den strafrechtlichen Eingriff zur Stigmatisierung angewiesen ist: „Wer dem demokratischen Verfassungsstaat aggressiv den Kampf ansagt, gerät in ein Sektierdasein, isoliert sich nahezu selbst im jeweiligen ‚Lager‘.“, Jesse, Diktaturen in Deutschland, 2008, S. 223. 219  Ähnlich Jahn, KJ 1988, 329 (340).



IV. Meinungsäußerungsverbot als Gefahr für Meinungsfreiheit und fdG261

tisierung kann damit so gefährlich sein wie das bloße Ignorieren demokratiefeindlicher Meinungsäußerungen.220 Es steht schließlich zu befürchten, dass mit dem Verbot von Meinungsäußerungen diese nicht etwa eliminiert werden, sondern lediglich in anderer Form auftreten – also etwa in getarnter beziehungsweise adaptierter Form.221 Die Tarnung macht es dem Äußerungsempfänger in der Regel jedoch noch schwerer, den wahren Äußerungsgehalt zu dekodieren und entsprechende Gegenpositionen zu entwickeln. Deutlich wird diese Tarnung bereits heute dadurch, dass demokratiefeindliche Meinungsspektren sich in der Öffentlichkeit häufig durch eine „politische Mimikry“ auszeichnen.222 5. Strafverbote als propagandistische Meinungsverstärker Dass Propaganda (bzw. Demagogie) eine Gefahr für Demokratien darstellen kann, ist bereits seit Aristoteles überliefert: „In democracies the principal cause of revolutions is the insolence of demagogues […].“223

Es stellt sich damit die Frage, wie in einer Demokratie mit Propaganda umzugehen ist. Insbesondere ist zu klären, ob Strafverbote – zu denken ist vor allem an § 86 StGB – die Wirkung von Propaganda gar verstärken können.224 Vorab ist dazu zu untersuchen, wie Propaganda überhaupt funktioniert: Propaganda wird in wertneutraler Weise verstanden als „systematische Verbreitung politischer, weltanschaulicher o. ä. Ideen und Meinungen mit dem Ziel, das allgemeine Bewusstsein in bestimmter Weise zu beeinflus­ sen“225. Der Begriff ist aufgrund historischer Last heutzutage jedoch pejo­ rativ geprägt. Insbesondere ihre Rolle während des NS-Regimes als Herrschafts- und Unterdrückungstrategie hat zur pejorativen Konnotation in der 220  Weckenbrock,

Die streitbare Demokratie auf dem Prüfstand, 2009, S. 71. The American Political Science Review 1944, 1 (17). Vgl. auch schon Mill, On liberty, The Second Edition 1859, S. 59. 222  Jesse, Demokratie in Deutschland, 2008, S. 341 (Zitat a.  a. O.). Jesse führt aus, dass es bereits herausfordernd sein kann, solche „getarnten“ Meinungen in der Öffentlichkeit aufzuspüren. Ähnlich Jaschke, TD 2004, 109 (120). Dazu auch kurz Weckenbrock, Die streitbare Demokratie auf dem Prüfstand, 2009, S. 72. 223  Aristoteles, Politics (Übersetzung von H. Rackham), 1959, Buch 5, Kapitel 4, S. 397. Ähnliche Warnungen existieren auch heute noch, allen voran Stanley, der in der Propaganda „a serious threat to democracy“ (S. 34) sieht, da diese liberale Demokratien destabilisiere (S. 29), Stanley, Propaganda, 4. Aufl. 2017. 224  So Deiters, in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 291 (324). 225  Bedeutungsübersicht (Nr. 1) für „Propaganda, die“ im Duden. Abrufbar unter zuletzt besucht am 20.09.18. 221  Cushman,

262

G. Meinungsäußerungsdelikte im Lichte der Untersuchung

Gegenwart geführt.226 Im heutigen Sinne wird Propaganda deshalb als „Manipulation des rationalen Willens“ verstanden, um Debatten zu unterdrücken bzw. unterbinden.227 Stanley führt weiter aus: „It [Propaganda] attempts to unify opinion without attempting to appeal to our rational will at all. It bypasses any sense of autonomous decision.“228

Dies geschehe etwa dadurch, dass Propaganda Emotionen zu erreichen versucht, die von Ideen losgelöst sind.229 Neben der „Unterdrückung“ von Debatten kann ein weiterer Effekt propagandistischer Eingriffe sein, dass Handlungsvarianten bzw. Optionen unvernünftigerweise nicht berücksichtigt werden, obwohl diese zu berücksichtigen wären („propaganda as biased speech“).230 Geht Deiters also recht in seiner Annahme, das strafrechtliche Verbot von Propaganda würde diese eher noch verstärken als schwächen, indem der Eindruck entsteht, „der Staat wisse sich argumentativ nicht zur Wehr zu setzen und müsse deshalb zu repressiven Mitteln greifen“?231 Wichtigster Mechanismus der Propaganda ist die Manipulation der Ratio, indem die (propagandistische) Meinungsbildung durch das überwiegende Ansprechen von Emotionen erreicht wird. Die propagandistisch gebildete Meinung ist damit nicht sachlich-logisch, sondern ganz vorwiegend emotional begründet. Mit dem bloßen Verbot sind propagandistische Inhalte nicht widerlegt: Es findet keine sachlich-logische Auseinandersetzung mit der Propaganda statt; das Strafverbot spricht den Täter nicht auf einer rationalen Ebene an. Vielmehr wird die Auseinandersetzung durch Errichtung des Kommunikationstabus unterbrochen oder gar beendet. Zu bedenken ist auch, dass es aufgrund großen Zeitabstands zwischen strafbarer Äußerung und dem 226  Vgl. zur Sprache im Allgemeinen und zur Propaganda als politisches Mittel im NS-System vor allem das (autobiografische) Werk von Klemperer, LTI, 20. Aufl. 2005. S. zur pejorativen Konnotation der Propaganda im Englischen v. a. Stanley, Propaganda, 4. Aufl. 2017, S. 38. 227  Freie Übersetzung von Stanley, Propaganda, 4. Aufl. 2017, S. 48, im Original: „manipulation of the rational will to close off debate.“ 228  Stanley, Propaganda, 4. Aufl. 2017, S. 49. 229  Stanley, Propaganda, 4. Aufl. 2017, S. 48. 230  Stanley, Propaganda, 4. Aufl. 2017, S. 49. Zitat a. a. O. 231  Deiters, in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 291 (324). Derartige Bedenken gibt es aber nicht nur hinsichtlich § 86 StGB, sondern etwa auch § 90a StGB, so führt Krutzki, KJ 1980, 294 (300) zum § 90a StGB etwa aus: „Der „Täter“ wird regelmäßig in seiner Verurteilung nur eine Bestätigung dafür erblicken können, daß er mit seinen wertenden Äußerungen über die Bundesrepublik oder ihre Verfassung recht hatte. […] Die Überzeugungswirkung für den „Täter“ ist damit gleich null, die Abschreckungswirkung sehr gering.“ S. dazu auch Dagasan, Das Ansehen des Staates im türkischen und deutschen Strafrecht, 2015, S. 271.



IV. Meinungsäußerungsverbot als Gefahr für Meinungsfreiheit und fdG263

folgenden Strafprozess an Unmittelbarkeit im „Diskurs“ fehlt; der Täter wird bereits aufgrund des großen zeitlichen Abstands die Verurteilung nicht als inhaltlich-geistige Auseinandersetzung mit seiner Äußerung verstehen.232 Es ist sowohl dem Täter als auch dem Rezipienten der Propaganda mangels „argumentativer Gegenwehr“ nicht möglich, die propagandistisch gebildete Meinung zu widerlegen. Durch Propaganda geschaffene Meinungsbilder bleiben bestehen, wenngleich sie auch mit dem Stigma „verboten“ belegt sind. Das Verbot selbst drückt durch den Verzicht auf die Debatte Skeptizismus gegenüber diskursiver Produktivität aus und erzeugt emotionale Reak­ tionen (Verärgerung, Wut, Angst), nicht aber zwingend ein Umdenken oder gar Verständnis.233 Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass Bürger mit fdG-feindlicher Gesinnung durch die strafrechtliche Verfolgung ihrer Meinungsäußerungen mit dem Staat und mit der Grundordnung versöhnt werden können.234 Einzig die weitere Verbreitung der Propaganda wird mit dem Strafverbot verhindert; für bereits vermitteltes Gedankengut stellt das Verbot hingegen keine Abhilfe. Darüber hinaus können Strafverbote für propagandistische, fdG-feindliche Inhalte meinungsverstärkend wirken, indem sie ideologietypische Freund-Feind-Schemata verstärken. Die Verbote fügen sich damit in die vom Wehrhaftigkeitskonzept ausgelöste binäre Unterscheidung in „Verfassungsfreund und -feind“, die sich abseits des Schmittschen Topos des Politischen235 als Gefahr darstellt, da sie durch das bloße Vorhandensein eines Feindbildes Identität und ideologische Plausibilität schafft („dialektische Abhängigkeit vom Feind“236).237 Die Beschneidung von Freiheitsrechten könnte damit als Schwäche eines Systems verstanden werden, das gerade die Freiheitsgewährleistung als Vorteil gegenüber totalitären Staaten ausstellt.238 Im Ergebnis kann der Verzicht auf die argumentative Abwehr von Ideologie damit eine Gefahr für die fdG darstellen.

mit Blick auf § 90a StGB Krutzki, KJ 1980, 294 (300). aber zur „diskursiven Selbstheilungskraft“ Cushman, The American Political Science Review 1944, 1 (18). 234  Ähnlich: Grünwald, KJ 1979, 291 (297). 235  Vgl. Schmitt, Der Begriff des Politischen, Neuauflage 1963, S. 67: „Die Höhepunkte der großen Politik sind zugleich die Augenblicke, in denen der Feind in konkreter Deutlichkeit als Feind erblickt wird.“ 236  Mayer, in: Bracher / Jacobsen / Kronenberg / Spatz, Festschrift Funke, 2009, S. 34. 237  Vgl. dazu auch die Ausführungen im Abschnitt E.V.5. 238  Cushman, The American Political Science Review 1944, 1 (14). 232  So

233  Vgl.

264

G. Meinungsäußerungsdelikte im Lichte der Untersuchung

V. Ergebnis der Gefahrenallokation Wie stehen sich die allozierten Gefahren gegenüber? Welche Gefahren überwiegen, welche sind zu vernachlässigen? In einem finalen Schritt wird gewichtet, wie sich die von der Meinungsfreiheit ausgehenden Gefahren zu den von Meinungsäußerungsverboten ausgehenden Gefahren verhalten – mithin, in welchem Verhältnis sie stehen und ob vom Gesetzgeber zutreffende Gefahrenanalysen vorgenommen wurden. 1. Zur Meinungsfreiheit als Gefahr Die Unberechenbarkeit der Meinungsfreiheit ist durchaus anzuerkennen als Gefahr für die fdG, wenngleich es sich dabei um eine zu vernachlässigende Gefahr handelt. Fehlende Plan- und Kalkulierbarkeit ist ein Wesenselement der Freiheit; die Inkaufnahme dieser Gefahr ist gegenbildlich zum totalitären Staatshandeln und allgemeines „Geschäftsrisiko“ des freiheitlichen Staates. Die Freiheit in den Händen der Freiheitsfeinde wurde in Folge der Weimarer Republik und der NS-Gewaltherrschaft als besonders gewichtige, der Freiheit inhärente Gefahr ausgemacht. Noch heute spielen diese Überlegungen eine tragende Rolle in der Verteidigung der fdG, insbesondere im Wehrhaftigkeitskonzept des GG. Dass diese Gefahrenzuschreibung nicht nur auf Vermutungen gestützt ist, zeigt eine interdisziplinäre Analyse. Pragmalinguistisch lässt sich zunächst der Handlungscharakter der Sprache erklären: Das „Wort“ ist nicht von der „Tat“ verschieden. Empirisch lässt sich überdies darstellen, dass Sprache in engem Zusammenhang mit Gewalthandlungen stehen kann. Kommt es also zu Gewaltaufforderungen und entsprechenden Aufhetzungen, lässt sich empirisch ein Anstieg folgender Gewalthandlungen nachvollziehen. Die Wirkmacht der Sprache in den Händen der Freiheitsfeinde wird somit deutlich. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch die Irreversibilität von Umstürzen. Als einzige der untersuchten Strafverbote weist allerdings § 83 StGB eine relevante Gewaltorientierung auf, während die §§ 86, 86a und 90a StGB eine solche Gewaltnähe – etwa als direktes Aufhetzen zur Gewalt – missen lassen. Die Aufforderung zu Gewalttaten ist überdies anderweitig unter Strafe gestellt (§§ 26, 111 StGB), sodass Strafbarkeitslücken bei Streichung der Normen nicht zu befürchten wären. Eine besondere Gefahr für die fdG kann sich aus dem Organisationsbezug von Meinungsäußerungen ergeben, da insofern Gefahrenmultiplikationen möglich sind. § 83 StGB etwa ist bezogen auf ein bestimmtes Unternehmen, das seinerseits mit Gewalt oder durch Drohung von Gewalt verwirklicht wird. Empi-



V. Ergebnis der Gefahrenallokation265

risch lässt sich darstellen, dass Agitationen im Vorfeld gewalttätiger Unternehmen die Gewaltgeneigtheit zumindest erhöhen können. Der Unternehmensbezug des § 83 StGB hat deshalb gefahrerhöhende Wirkung. § 86 StGB weist strafbegründenden Organisationsbezug auf und ist als mittelbares Organisationsdelikt einzuordnen. Die Verbreitung der entsprechenden Propaganda könnte dazu führen, dass Dritte sich nicht nur mit den Inhalten, sondern auch mit der entsprechenden Organisation identifizieren. Alte Strukturen der verfassungswidrigen Organisation könnten „wiederbelebt“ werden und zur Multiplikation der Propagandaeffekte führen. Zu beachten ist allerdings, dass ein vergleichbarer Organisationsbezug nicht für die Tathandlungen im Sinne des § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB gegeben ist: Strafbar ist insoweit nämlich die Anknüpfung an Organisationen, die seit 1945 nicht mehr existieren – also an solche, deren Wiederbelebung aufgrund personeller und infrastruktureller Diskontinuität ebenso wie aufgrund großen Zeitabstands kaum denkbar ist. Strafbarkeitsanknüpfung ist insoweit nicht die Organisation, sondern der korrespondierende Inhalt (Stichwort: „Gesinnungsstrafrecht“). Wie auch § 86 StGB soll § 86a StGB als mittelbares Organisationsdelikt dazu dienen, die Wiederbelebung verfassungswidriger Organisationen zu verhindern. Gefahren liegen der Rechtsprechung und Literatur zufolge darin, dass durch Präsenz der Zeichen entsprechende Gedanken die Gesellschaft durchdringen könnten, der öffentliche Eindruck einer Duldung entstehe, Gefahrlosigkeit der Organisationen suggeriert würde und insbesondere, dass Gruppendynamiken (Zusammengehörigkeitsgefühle, Erkennbarkeit und Abgrenzung) erhalten blieben. Es wurde allerdings gezeigt, dass diese Gefahrenzuschreibungen nicht durchdringen. Gruppendynamische Effekte können auch durch nicht verbotene Kennzeichen erhalten werden; bekenntnislose und nicht organisationsbezogene Kennzeichenverwendungen können verfassungswidrige Organisationen kaum wiederbeleben; Dritte können mangels argumentativer Darlegung durch die Kennzeichenverwendung nicht von einer Organisation überzeugt werden; von der Kennzeichenverwendung hin zur Wiederbelebung ist eine Vielzahl von Zwischenschritten erforderlich, sodass ein signifikantes Moment der Mittelbarkeit (Stichwort: Vor-Vorfeldkriminalisierung) hinzutritt. Die Tathandlungen des § 90a StGB weisen indes keinen Organisationsbezug auf; es handelt sich um individuelles politisches Handeln. Eine spezifisch von den Tathandlungen des § 90a StGB ausgehende Gefahr für das Ansehen des Staates lässt sich indes nicht erhärten. In Rechtsprechung und Literatur wird vertreten, der Schutz sei für Identität, Integrität, innere Zustimmung und Loyalität der Bürger zum Staat erforderlich. Die Wirkfähigkeit dieses Schutzes ist aber bereits aufgrund der Nähe zu totalitä-

266

G. Meinungsäußerungsdelikte im Lichte der Untersuchung

ren Herrschaftsmethoden zweifelhaft. Achtungsansprüche des Staates dürfen durch Verabsolutierungen und Idealisierungen nicht zur Verstummung des Volkes insbesondere in politischen Krisen führen. Ferner ist zu bedenken, dass die geschützten Symbole ihrerseits einem stetigen Bedeutungswandel unterliegen, der durch statische Strafnormen nicht abgebildet wird und letztlich fdG-feindliche Gruppierungen bevorteilen kann. Auch ein Vergleich mit dem als Vorgängernorm geltenden § 8 Republikschutzgesetz der Weimarer Republik macht deutlich, dass die „Loyalität der Bürger“ zum Staat nicht erzwungen werden kann. Schließlich ist § 90a StGB als sich nur schwer in die fdG einfügendes Verbot geeignet, dem Ansehen durch den allzu nachlässigen Umgang mit Freiheitsrechten und damit der Loyalität und Identität der Bürger Schaden zuzufügen. 2. Zu den Meinungsäußerungsverboten als Gefahr Eine erhebliche, von den untersuchten Meinungsäußerungsdelikten ausgehende Gefahr ist die der Abschreckung (Chilling Effect). Die tatbestandliche Unbestimmtheit ebenso wie die unter anderem der Wechselwirkungslehre geschuldeten Abwägungsschwierigkeiten führen zu diffuser Angst vor Strafverfolgung und damit der Nicht-Wahrnehmung des Freiheitsrechts aus Art. 5 Abs. 1 GG – Selbstzensur der Bürger ist zu befürchten. Derartige Effekte lassen sich an kriminalstatistischen Erhebungen wie der Polizeilichen Kriminalstatistik oder der Strafverfolgungsstatistik nicht ablesen, da sie der Strafverfolgung noch vorgelagert sind. Ferner hat die Strafverfolgung selbst einen Chilling Effect, der über die Abschreckung vom bloßen tatbestandlichen Verhalten hinausgeht. Mediale Inszenierungen der Ermittlungen haben zwar oft noch Sensationscharakter, strafgerichtliche Verurteilungen – also auch Freisprüche – erreichen in ihrer medialen Wirkung nach Abklingen des Sensationscharakters aber oft weit weniger Menschen. Es bleibt in der Bevölkerung unabhängig vom Ausgang des Verfahrens der Eindruck bestehen, Meinungsäußerungen ähnlicher Art könnten strafbar sein; Effekte der Selbstzensur werden so verstärkt. Schließlich wird auch für den mutmaßlichen Täter unter dem Eindruck strafprozessualer Repressalien im Ermittlungsverfahren die Abwägung zur Wahrnehmung politischer Freiheitsrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG zulasten der Meinungsfreiheit ausfallen, um weiteren, möglicherweise auch nur vorgestellten strafrechtlichen Konsequenzen vorzukommen. Die den Meinungsäußerungsdelikten wesensimmanente Unbestimmtheit stellt sich als gewichtige Gefahr für die Meinungsfreiheit und damit die fdG dar. Dies gilt umso mehr, als dass bei Anwendung von in die Meinungsfreiheit eingreifenden Strafnormen die Wechselwirkungslehre zu beachten ist, die die Unvorhersehbarkeit von Auslegungsergebnissen erhöht. Für alle untersuchten Normen wurde die Gefahr ausgemacht, dass die Unbestimmtheit



V. Ergebnis der Gefahrenallokation267

zur Selbstzensur und Abschreckungseffekten führen kann. Darüber hinaus erwächst aus der Unbestimmtheit die Missbrauchsgefahr in der Rechtsanwendung, etwa durch politisch opportune Aburteilungen in Abhängigkeit vom öffentlichen Meinungsklima. Daraus ergibt sich vor allem für politisierte Kreise die signifikante Gefahr einer Abschreckung von der Freiheitsrechtewahrnehmung. Für die Regulierung der Grundrechtewahrnehmung insbesondere in extremistischen Kreisen ergibt sich überdies die Gefahr der Märtyrerbildung. Verurteilungen wegen Meinungsäußerungen können in einschlägigen politischen Kreisen zur Heroisierung des Täters und Attraktivitätssteigerung der extremistischen Interessenvertretungen führen. Gemäß §§ 83, 86, 86a oder 90a StGB Verurteilte können sich in entsprechenden Kreisen als „politische Widerstandskämpfer“ gerieren, die gar staatliche Repressalien für die Verbreitung „ihrer Wahrheit“ in Kauf nehmen. Die Strafverfolgung kann auf Täterseite überdies als Hilflosigkeit des Staates in Anbetracht der „Richtigkeit“ der verfolgten Meinungsäußerungen inszeniert werden. Auch sind Mystifizierungen oder Dämonisierungen und damit verbunden Aufwertungen von Kennzeichen (§ 86a StGB) zu befürchten. Ferner wird durch die Kriminalisierung der Kennzeichenverwendung sichergestellt, dass diese Zeichen ihre Provokationswirkung nicht verlieren und dadurch politisch wirkungsvoll bleiben. Die Strafverfolgung, insbesondere das gerichtliche Verfahren, wie auch die mediale Berichterstattung erzeugen ferner die Gefahr einer „Bühnenbildung“: Durch die öffentliche Aufmerksamkeit ist es möglich, den Wirkungsgrad der Meinungsäußerungen zu erhöhen. Die Dokumentation der Äußerungen in Gerichtsunterlagen sowie Presseerzeugnissen macht die Meinungsäußerungen zudem auch in Zukunft ohne Zutun des Täters replizier- und abrufbar. Durch die untersuchten Strafverbote werden einschlägige Meinungsspektren zudem in den „Untergrund“ verdrängt, weshalb die argumentative Gegenwehr in öffentlicher Debatte mangels Gelegenheit und Notwendigkeit erheblich erschwert wird. Gefährliche Fernwirkungen wie etwa fortschreitende Radikalisierung der vom Strafverbot Betroffenen, politische Mimikry sowie Stigmatisierung und damit verbunden gesellschaftliche Ausgrenzung sind zu befürchten. Schließlich wurde gezeigt, dass Strafverbote von Meinungsäußerungen der Wirkweise von Propaganda zugute kommen: Propaganda funktioniert durch das überwiegende Ansprechen von Emotionen, weniger durch sachlich-logische Begründungen. Wird die Verbreitung von Propaganda strafverfolgt, wird zwar die geistige Auseinandersetzung durch Errichtung eines Kommunikationstabus unterbrochen bzw. beendet, doch wird sowohl für Täter als auch Rezipienten der propagandistische Inhalt nicht auf einer sachlich-logi-

268

G. Meinungsäußerungsdelikte im Lichte der Untersuchung

schen Ebene widerlegt. Vielmehr erzeugt das Verbot emotionale Reaktionen, die weder zum Umdenken noch zum Verständnis führen, sondern das fdGfeindliche Meinungsbild regelmäßig sogar noch verstärken. 3. Zwischenergebnis Die Gefahrenallokation hat gezeigt, dass viele der von der Meinungsfreiheit ausgehenden Gefahren für die fdG im Ungefähren bleiben und sich als bloße Gefahrenvermutungen darstellen, während die von Meinungsäußerungsverboten ausgehenden Gefahren mitunter sehr konkret darstellbar sind. Es ist zwar deutlich geworden, dass Meinungsäußerungen gefährlich sein können. Allerdings gehen von Meinungsäußerungsverboten ebenfalls erhebliche Gefahren für die fdG aus. In einer Gesamtschau ist zu konstatieren, dass ein strafrechtliches Verbot einer Meinungsäußerung zum Schutze der fdG erhebliche Gefahren für die fdG verursacht, die mitunter gar weit überwiegen können. Im Folgenden ist deshalb zu analysieren, welche konkreten Konsequenzen für die einzelnen Normen gezogen werden können.

VI. Konsequenzen für die untersuchten Meinungsäußerungsdelikte Welche Konsequenzen sind für die vorliegend untersuchten Strafnormen zu ziehen? Zeichnet sich für die einzelnen Strafnormen ein klares oder ein eher unklares Gefahrenverhältnis ab? Wie wirkungsvoll sind die Strafverbote darin, Gefahren von der fdG abzuwenden ohne gleichzeitig neue, womöglich schwerer wiegende Gefahren für die fdG zu verursachen? Im Folgenden werden diese Fragen anhand der untersuchten Strafnormen in einer Gesamtschau der allozierten Gefahren beantwortet. Zu beachten ist dabei, dass die Aussagekraft der Gefahrenabwägung auf die isolierte Betrachtung des Zusammenspiels zwischen Meinungsfreiheit und fdG beschränkt ist. Die isolierte Analyse gibt keinen komprehensiven Aufschluss über die Verfassungsmäßigkeit oder Strafwürdigkeit der Normen, sondern beantwortet allein die Frage, ob die untersuchten Meinungsäußerungsverbote wirkungsvolle Instrumente wehrhafter Demokratie sind. Andere Aspekte – etwa der Schutz des Gedankens der Völkerverständigung durch § 86 StGB239 oder der Schutz des politischen Friedens durch § 86a StGB240 auf der einen Seite und Eingriffe in die Kunstfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 3 GG auf der anderen Seite – müssten für die Frage der Verfassungsmäßigkeit in die Betrachtung mit aufgenommen werden, wurden vorliegend aber nicht analysiert. 239  Steinmetz, 240  Str.,

in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 86 Rn. 1. vgl. Steinmetz, in: MüKo StGB (Bd. 3), 3. Aufl. 2017, § 86a Rn. 1.



VI. Konsequenzen für die untersuchten Meinungsäußerungsdelikte269

1. § 83 StGB Herausstehende Gefahr, die von der tatbestandlichen Agitation im Sinne des § 83 StGB für die fdG ausgeht, liegt im Organisations- bzw. Unternehmensbezug des Tathandelns. Die tatbestandlich vorausgesetzte Nähe zum Unternehmen ebenso wie die Gewaltorientierung des Unternehmens („mit Gewalt oder durch Drohung von Gewalt“, §§ 81, 82 StGB) wirken dabei gefahrerhöhend. Bei der Agitation handelt es sich um einen für hochverräterische Unternehmen relevanten Organisationsschritt. Dass Agitationen im Vorfeld gewalttätiger Unternehmen die Gewaltgeneigtheit erhöhen, konnte auch anhand der empirischen Untersuchung gezeigt werden. Das Gefahrenpotential für die fdG wird zudem dadurch gesteigert, dass Umstürze der gemäß § 83 StGB anvisierten Art regelmäßig irreversibel sein dürften. Kein besonderes Gewicht kommt indes der Gefahr „Unberechenbarkeit der Freiheitsausübung“ zu, da es sich dabei um ein Wesensmerkmal jeder Freiheitsausübung handelt. Ihr kann im Rahmen der Meinungsfreiheit kein darüber hinausgehendes, besonders zu beachtendes Gefahrenpotential zugesprochen werden. Vom Verbot der Agitation gemäß § 83 StGB gehen jedoch auch gewichtige Gefahren für die fdG aus. Weitreichende Abschreckungseffekte in einem politisierten Kreis sind zu befürchten. Verstärkt werden diese Effekte durch die Unbestimmtheit der Norm, die überdies auch missbräuchliche Rechtsanwendung und Unterdrückung ermöglicht. An der Effektivität des Verbots bestehen überdies Zweifel, da zu befürchten ist, dass Täter in einschlägigen Kreisen durch die Strafverfolgung und Verurteilung Märtyrerstatus erhalten. Ebenso erschwert die Verdrängung derartiger Agitationen in den Untergrund die Überwachung und die nachhaltige Gegenwirkung, etwa durch argumentatives Gegenhalten. Die Gegenüberstellung der Gefahren ergibt kein eindeutiges Bild. Im Ergebnis ist aber vertretbar, aufgrund der Gewaltorientierung und Unternehmensbezogenheit die von der Agitation ausgehenden Gefahren für die fdG höher zu gewichten. Insofern ist bei der Rechtsanwendung sicherzustellen, dass die Bestimmtheit des Unternehmens eng ausgelegt und angewendet wird, um einen allzu ausufernden Eingriff in die Meinungsfreiheit zu verhindern. Ein Restrisiko ausufernder Einschränkung dieser Freiheit bleibt freilich bestehen, da das Merkmal „Bestimmtheit“ in sich stark auslegungsbedürftig ist und damit dem Missbrauch zugängliche Stellschraube der Eingriffsweite ist. Nachlässigkeiten in der Tatbestandsauslegung führen zur Gefahrenverschiebung – vom Verbot gingen dann größere Gefahren für die fdG aus als von der verbotenen Agitation selbst. Aus diesem Grund ist de lege ferenda auch das Tatbestandsmerkmal „vorbereiten“ um eine konkrete Auflistung

270

G. Meinungsäußerungsdelikte im Lichte der Untersuchung

darunter zu fassender Handlungen zu ergänzen.241 Vertretbar ist dabei im Lichte der Meinungsfreiheit, die Agitation in diesen Katalog aufzunehmen. § 83 StGB in der Tathandlungsvariante „Agitation“ stellt im Lichte der Meinungsfreiheit damit ein (noch) wirksames Instrument der wehrhaften Demokratie dar. 2. § 86 StGB Wie auch im Rahmen des § 83 StGB stellt sich der Organisationsbezug der tatbestandlichen Verbreitung von Propaganda gemäß § 86 Abs. 1 Nr. 1–3 StGB – ebenfalls mittelbares Organisationsdelikt – als herausstehende Gefahr für die fdG dar. Nicht strafbegründend ist insofern eine individuelle politische Betätigung, sondern das organisationsbezogene Tathandeln. Durch die tatbestandliche Verbreitung ist eine „Wiederbelebung“ der fdG-feindlichen, verfassungswidrigen Organisation zu befürchten, indem Dritte durch die Propaganda beeinflusst oder überzeugt werden sowie ehemals existierende Organisationsstrukturen und ehemalige Mitglieder reaktiviert werden. Die Gefährlichkeit der Propaganda für die fdG leitet sich damit zu signifikanten Teilen aus dem Organisationsbezug ab, der als Gefahren-Multiplikator wirkt. Die sich aus dem Organisationsbezug ergebende Gefahr ist jedoch nicht bei Tathandlungen im Sinne des § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB gegeben, da die anvisierten Organisationen seit 1945 nicht mehr existieren und darüber hinaus durch bloßen Zeitablauf personell als auch strukturell nicht mehr anknüpfungsfähig sind. Eine Wiederbelebungsgefahr dieser Organisationen besteht somit nicht, sodass sich aus dem Organisationsbezug des § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB keine herausstehende Gefahr für die fdG ergibt. Ferner stellt die Unberechenbarkeit des Tathandelns ein für die Freiheitsausübung typisches und wesensimmanentes Risiko dar, das in einer Gefahrenabwägung nicht zu sehr gewichtet werden darf. Empirische Untersuchungen (Abschnitt G. III.2.242) konnten für § 86 StGB ebenso wie für § 86a StGB nur begrenzt nutzbar gemacht werden, da vor allem die Untersuchungen zwischen der sogenannten „Hate Speech“ und psychischen Leiden nicht den Tathandlungssituationen der Verbote entsprechen. Es lässt sich deshalb allenfalls ein Zusammenhang ausmachen zwischen tatbestandsmäßigen Äußerungen und gesellschaftlicher Ausgrenzung, Vorurteilsbildung etc.243 Zusammenzufassen ist insoweit, dass insbesondere der Organisationsbezug die von der Meinungs241  So auch Deiters, in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 291 (326), der das Tatbestandsmerkmal „durch einen Katalog besonders gefährlicher Vorbereitungshandlungen“ ersetzen will. 242  Vgl. dazu v. a. Fn. 60 im Abschnitt G.III.2. 243  Vgl. dazu im Abschnitt G.III.2. v. a. Fn. 59.



VI. Konsequenzen für die untersuchten Meinungsäußerungsdelikte271

freiheit erfasste Tathandlung zu einem gefährlichen Instrument für die Feinde der fdG werden lässt. Auf der anderen Seite verursacht die Kriminalisierung von Meinungsäußerungen im Sinne des § 86 StGB eine Reihe von Gefahren für die fdG. Wie auch im Rahmen des § 83 StGB sind signifikante Abschreckungseffekte im Vorfeld der Strafverfolgung und der Strafverfolgung selbst zu erwarten. Die Entstehungsgefahr von Märtyrertum durch Strafverfolgung und strafgerichtliche Verurteilungen spielt mit Blick auf die Tathandlungen des § 86 StGB eine besondere Rolle, da diese überwiegend in politisch (rechts-)extremistischen, für Heroisierungen anfälligen Kreisen begangen werden. Heldenverehrungen stehen dem Schutzanliegen des § 86 StGB jedoch entgegen, da dadurch eine Attraktivitätssteigerung der einschlägigen Organisationen ebenso wie eine Verstärkung politischer Botschaften zu erwarten ist. Weiterer Effekt der Kriminalisierung ist die Verdrängung der Meinungsbilder in einen „Untergrund“, der jeder öffentlich-diskursiven Korrektur entzogen ist. Stigmatisierungen und Radikalisierungen durch Verurteilungen erhöhen überdies die Wahrscheinlichkeit, dass extremistische Meinungsträger einer fdG-feindlichen „Gesinnung treu bleiben“ – Freund-Feind-Schemata werden auf diese Weise verfestigt. Für die Tathandlungen des § 86 StGB besonders relevant ist überdies das Wechselverhältnis von Propaganda und Strafverboten: Da Propaganda Emotionen und weniger die Logik oder den Sachverstand anvisiert, kann das „bloße“ Strafverbot gar meinungsverstärkend wirken, indem propagandistische Inhalte nicht etwa sachlich-logisch widerlegt werden, sondern ohne inhaltliche Dekonstruktion unterbunden werden. Die Gefahrenallokation ergibt ein noch undeutlicheres Bild als für § 83 StGB. Im Mittelpunkt der von den Tathandlungen (§ 86 Abs. 1 Nr. 1–3 StGB) ausgehenden Gefahren für die fdG stehen der Organisationsbezug und damit verknüpfte Gefahrenverstärkungen. Ebenso groß sind aber die vom Verbot ausgehenden Gefahren für die fdG. Da sich ein klares Bild insofern nicht ergibt, ist dem Gesetzgeber in dieser Entscheidung Ermessen einzuräumen.244 Etwas anderes gilt jedoch für die Tathandlung im Sinne des § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB, da sich insofern ein deutliches Abwägungsbild darstellt. Aus dem Organisationsbezug der Tathandlung ergibt sich keine Gefahrenverstärkung; die vom Verbot ausgehenden Gefahren für die fdG überwiegen deutlich. Das Verbot in § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB ist damit kein wirkungsvolles Instrument wehrhafter Demokratie. Im Gegenteil: Das Verbot stellt eine Gefahr für die Meinungsfreiheit und die fdG dar, die es eigentlich zu schützen

244  Zu bedenken ist aber: In die gesetzgeberische Abwägung müssten Abwägungen zu weiteren möglichen Schutzgütern einbezogen werden. Vorliegend findet eine isolierte Analyse im Lichte der Meinungsfreiheit statt.

272

G. Meinungsäußerungsdelikte im Lichte der Untersuchung

gedacht ist. Unter dem Aspekt der Meinungsfreiheit ist deshalb eine Streichung der Tathandlungsvariante aus § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB zu empfehlen. 3. § 86a StGB Für § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB wird der Organisationsbezug zwar regelmäßig als gefahrbegründend angeführt, doch wurde in der Analyse gezeigt, dass die tatbestandliche Kennzeichenverwendung keinen hinreichenden Organisationsbezug aufweist. Zwar wird in der Literatur angeführt, das Verbot würde wie auch § 86 StGB eine „Wiederbelebung“ der verfassungswidrigen Organisationen verhindern, doch wurde gezeigt, dass diese Gefahrenzuschreibung nicht verfängt. Aufgrund der Vielzahl von Zwischenschritten einer tatbestandlichen Kennzeichenverwendung hin zur „Wiederbelebung“ ergibt sich ein großes, geradezu unüberschaubares Moment der Mittelbarkeit – es ist insofern kaum vorstellbar, wie bekenntnisfreie und nicht organisationsbezogene Tatbegehungen zur „Wiederbelebung“ führen sollen. Kennzeichen selbst sind überdies aus sich heraus nicht argumentativ, sondern bloßes Symbol einer Zustimmung; die Überzeugung Dritter ist somit nicht zu befürchten. Gruppendynamische Effekte sind zwar gefährlich, werden durch das Verbot jedoch nicht verhindert, sondern allenfalls auf nicht verbotene Zeichen umgelegt. Auch wird durch das Kennzeichenverbot kein „kommunikatives Tabu“ errichtet, wie mit Blick auf § 86a Abs. 3 StGB in Verbindung mit § 86 Abs. 3 StGB deutlich wird.245 Im Übrigen ergeben sich keine gewichtigen Unterschiede zur Gefahrenallokation im Rahmen des § 86 StGB. Insbesondere die vom Verbot ausgehenden Gefahren für die fdG sind weitgehend übertragbar: Entstehung von Märtyrertum, Verdrängung in den Untergrund und damit verknüpfte Stigmatisierungen wie auch Radikalisierungen sind ebenso zu befürchten wie Abschreckungseffekte. In einer Gesamtschau ergibt sich damit aber ein weitaus deutlicheres Abwägungsbild als im Rahmen der §§ 83, 86 StGB: Die vom Verbot der Meinungsäußerungen im Sinne des § 86a StGB ausgehenden Gefahren für die fdG überwiegen in signifikantem Maße die Gefahren, die von den verbotenen Meinungsäußerungen für die fdG ausgehen. Als Instrument wehrhafter Demokratie im vorliegenden Untersuchungszuschnitt ist § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB deshalb unwirksam. Im Lichte der Untersuchungsaspekte empfiehlt sich de lege ferenda die Streichung des § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB.

245  Vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 1.6.2006  – 1 BvR 150 / 03, NJW 2006, 3050 (3051).



VI. Konsequenzen für die untersuchten Meinungsäußerungsdelikte273

4. § 90a StGB Für die §§ 83, 86 StGB hat sich der Unternehmens- bzw. Organisationsbezug als herausgehobenes, gefahrbegründendes Merkmal der Tathandlungen dargestellt. Für § 86a StGB hat sich der Organisationsbezug als zumindest vorgeschobenes, letztlich nicht haltbares Gefahrenmerkmal herausgestellt. § 90a StGB weist allerdings einen strukturellen Unterschied zu diesen Delikten auf: Ein Organisationsbezug ist nicht gegeben – vielmehr handelt es sich bei den Tathandlungen des § 90a StGB um individuelle politische Betätigungen. Die Tathandlungen lassen sich nicht als organisiert-konzeptuelles Vorgehen gegen die fdG einordnen; eine Gefahr für die fdG ergibt sich insofern nicht. Untersucht wurde auch, ob sich eine besondere Gefahr für die fdG daraus ergeben könnte, dass die Tathandlungen des § 90a StGB sich gegen das „Ansehen des Staates“ richten. Gezeigt wurde jedoch, dass sich Identität, Integrität, innere Zustimmung und Loyalität zum Staat nicht durch den strafrechtlichen Symbolschutz erzeugen oder bewahren lassen. Die strafrechtliche Durchsetzung eines staatlichen Achtungsanspruchs kann vielmehr kontradiktorisch wirken und zur Verstummung in politischen Debatten führen. Die Bedeutungsgehalte der geschützten Symbole sind in der öffentlichen Wahrnehmung dynamisch und stetig neuen Interpretationen ausgesetzt – statische Strafverbote sind bereits deshalb kein wirkungsvoller Schutz. Historische Versuche eines Symbolschutzes haben sich ebenfalls als wirkungslos erwiesen. Schließlich ist sogar zu befürchten, dass die Loyalität des Bürgers zum Staat durch derartige Strafverbote Schaden nimmt, da sie einer freiheitlichen Grundordnung wesensfremd sind. Eine etwaige, von Meinungsäußerungen ausgehende Gefahr für das Ansehen des Staates und damit die fdG kann deshalb zumindest mit strafrechtlichen Mitteln nicht wirkungsvoll bekämpft werden. Auf der anderen Seite gehen signifikante Gefahren vom Strafverbot des § 90a StGB für die Meinungsfreiheit und die fdG aus. Insbesondere die Unbestimmtheit der Norm und damit verknüpfte Abschreckungseffekte wiegen im politisch sensiblen Bereich der Herrschafts- und Staatskritik schwer. Die Abgrenzung polemischer, noch straffreier Kritik von bereits strafbarer Verunglimpfung kann im Einzelfall erhebliche Schwierigkeiten aufwerfen und zur Abschreckung der Rechtewahrnehmung führen. Auch ergeben sich signifikante Missbrauchsmöglichkeiten in der Rechtsanwendung, die gezielt gegen politische Gruppen genutzt werden könnten. Zu bedenken sind auch Gefahren wie die der Märtyrerbildung, Verdrängung in den „Untergrund“ als auch die Meinungsverstärkung durch Strafverfolgung im politischen Bereich.

274

G. Meinungsäußerungsdelikte im Lichte der Untersuchung

Für die Gefahrenallokation ergibt sich damit ein eindeutiges Bild: Die vom Verbot des § 90a StGB ausgehenden Gefahren für die fdG überwiegen die von den anvisierten Meinungsäußerungen ausgehenden Gefahren deutlich. § 90a StGB kann im Lichte des vorliegenden Untersuchungszuschnitts als für die fdG gefährliches, kontraproduktives Instrument wehrhafter Demokratie beschrieben werden. Aus Perspektive eines wirksamen Schutzes der fdG empfiehlt sich insoweit die Streichung des § 90a StGB. Aufgrund des spe­ ziellen Untersuchungszuschnitts sind andere Schutzzwecke und Gefahrenabwägungen der Norm dabei aber außer Acht gelassen.

H. Gesamtergebnis In Anknüpfung an die eingangs gestellte Frage1 – „Meinungsfreiheit für die Feinde der Freiheit?“ – wurde in dieser Arbeit gezeigt: Auch Freiheitsfeinde kommen nach grundgesetzlicher Verfassung in den Genuss des politischen Freiheitsrechts. Insoweit wurde deutlich: „Grundrechtsschutz für die Gegner von Freiheit ist auch Grundrechtsschutz für die Verfechter der Freiheit.“2

Die jakobinische Devise („Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit.“) lässt sich in dieser Pauschalität nicht mit dem Grundgesetz in Einklang bringen.3 Weitaus schwieriger stellte sich die konkretere Frage dar, wie viel Meinungsfreiheit für die Feinde der Freiheit zu gewährleisten ist.

I. Zur grundgesetzlichen Konzeption der Meinungsfreiheit Es wurde gezeigt, dass der Meinungsfreiheit nach grundgesetzlicher Konzeption eine Doppelfunktion zukommt, die historisch abgeleitet ist. Auf individueller Ebene gewährleistet die Freiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG Selbstbestimmung und -verwirklichung; auf überindividueller Ebene stellt sich die Meinungsfreiheit als Kernwerkzeug des demokratischen Prozesses dar. Im Mittelpunkt der Untersuchung stand der demokratisch-funktionale Ansatz – mithin die Schutzpflicht des Staates, die Konstituierungswirkung der Meinungsfreiheit zum Schutz der fdG zur vollen Entfaltung zu bringen. Historisch und auch in der Rechtsprechung des BVerfG lässt sich nachvollziehen, dass der demokratisch-funktionale Ansatz der Meinungsfreiheit in liberaler Demokratietradition steht: Wesensmerkmale dieser Freiheit sind deshalb „ständige geistige Auseinandersetzung[en]“4, Meinungskämpfe und schließlich ein Marktmodell, das durch freien Wettbewerb die Herausbildung der „besten“ Ideen und Gedanken garantiert.

1  Vgl.

dazu die Einleitung. NJW 2004, 2777 (2782). 3  So auch Jesse, Demokratie in Deutschland, 2008, S. 319. 4  BVerfGE 7, 198 (208) = BVerfG, Urt. v. 15.1.1958  – 1 BvR 400 / 57, NJW 1958, 257 (258). 2  Hoffmann-Riem,

276

H. Gesamtergebnis

II. Zur wehrhaften Demokratie Als Kontrast zur liberalen Grundrechtstradition der Meinungsfreiheit stellt sich das Wehrhaftigkeitskonzept des GG dar. Grundannahme dieses Konzepts wehrhafter Demokratie ist, dass die strikt liberale, wertrelativistische Verfasstheit der WRV (mit-)ursächlich für die Abwehrschwäche der Weimarer Republik gegenüber demokratiefeindlichen Bewegungen und damit auch für die NS-Machtergreifung war. Als gegenbildliche Demokratiekonzeption zur WRV findet sich deshalb im GG eine Wertgebundenheit als Grundstein der Wehrhaftigkeit. Im Mittelpunkt der Wehrhaftigkeit steht die fdG – sie ist Schutzobjekt der verfassungs- und einfachgesetzlichen Instrumentarien der wehrhaften Demokratie. Die vorliegend untersuchten §§ 83, 86, 86a und 90a StGB sind ebenfalls dem Katalog der Wehrhaftigkeitsinstrumente zuzuordnen. Auch Instrument der Wehrhaftigkeit ist indes der Gestaltungsauftrag des Staates zur Sicherstellung der Demokratieverwurzelung im Volk. Aktiviert werden diese Instrumente durch Verfassungsfeindlichkeit und nicht – wie ehemals in der Weimarer Republik – durch verfassungswidrige politische Methoden. Gezeigt wurde aber auch: Die Grundannahmen des Wehrhaftigkeitskonzepts sind kritisch zu überprüfen, um auf fehlerhaften Ursachen- und Gefahrenanalysen basierende „Verteidigungsexzesse“ zu verhindern.5 Das grundgesetzliche Wehrhaftigkeitskonzept weist sowohl in der Begründungsannahme als auch in der konkreten Konzeption erhebliche Inkonsistenzen und Pro­ bleme auf: Wertrelativismus und Abwehrschwäche der WRV waren nicht maßgebend für die NS-Machtergreifung, sondern spielten eine allenfalls begünstigende, jedenfalls aber untergeordnete Rolle. Weit wichtiger für den „Erfolg“ der NS-Machtergreifung stellte sich die fehlende Demokratieverwurzelung in der Weimarer Bevölkerung dar. Das Wehrhaftigkeitskonzept ist damit – zumindest im Lichte des monokausalen Legitimationsansatzes der (vor allem frühen) Rechtsprechung und Staatsrechtslehre – keine zwingende und vor allem keine konsistente Lehre aus Weimar. Darüber hinaus wurden Schwächen in der konkreten Wehrhaftigkeitskonzeption aufgetan: Dazu gehört die problematische Verabsolutierung der Wertordnung, der etwa mit einer Disponibilität des Art. 79 Abs. 3 GG im Rahmen einer Verfassungneugebung gemäß Art. 146 GG entgegengewirkt werden könnte. Der Bedeutungsgehalt der fdG – immerhin Schutzobjekt im Wehrhaftigkeitssystem – ist äußerst unbestimmt und damit Einfallstor für wertrelativistische Auslegungen. 5  Vgl. dazu bereits Čopić, Grundgesetz und politisches Strafrecht neuer Art, 1967, S. 3, der annahm, dass der „exzessive Verfassungsschutz des GG […] auf einer fehlerhaften Einschätzung seiner Erfolgschancen und seiner realen Auswirkungen“ beruht.



III. Zu den Gefahren der Meinungsfreiheit277

Insbesondere strafgesetzliche Instrumente wehrhafter Demokratie sind zu statisch, um auf von politischen Krisen abhängige Bedrohungslagen zu reagieren. In Zeiten politischen Friedens sollte deshalb der Gestaltungsauftrag im Vordergrund der Wehrhaftigkeit stehen. Diese Schwächen sind indes nicht geeignet, dem Wehrhaftigkeitskonzept die „Daseinsberechtigung“ abzusprechen: Eine Unterhöhlung der Demokratie wird durch die Wertgebundenheit und die verfassungs- wie auch einfachgesetzlichen Ausprägungen grundsätzlich abgewehrt. Allerdings muss einer Überbetonung allzu repressiver Wehrhaftigkeit mit bloßen Gefahrenvermutungen zum Schutz der demokratischen Kernfunktionen – dazu gehört die Meinungsfreiheit – unbedingt entgegengewirkt werden. Im Kontext der historischen Ereignisse, insbesondere der NSHerrschaft, wurde nämlich nicht allein die Erkenntnis gewonnen, die fdG pauschal gegen Angriffe „von unten“ schützen zu müssen, sondern vor allem auch gegen den Missbrauch von Macht und Institutionen – also gegen Angriffe „von oben“. Die Notwendigkeit einer Risikoverschiebung „von unten nach oben“ ist damit nicht zwingende Folge des Wehrhaftigkeitskonzeptes. Wie Bulla dazu feststellte, gilt: „Dem GG liegt nun einmal die Erkenntnis zugrunde, daß die freiheitlich demokratische Grundordnung in gleicher Weise von ‚oben‘ und ‚unten‘ bedroht ist.“6

Die zivilgesellschaftliche Verantwortung für die Demokratieverteidigung darf deshalb nicht unterbetont werden. Auch gilt selbst in einer wertgebundenen, wehrhaften Demokratie: „Will eine Mehrheit die Demokratie abschaffen, kann eine Mehrheit die Demokratie auch abschaffen.“7 Der Gestaltungsauftrag des Staates zur Abwehr von Demokratiegefährdungen muss deshalb stärker in den Mittelpunkt staatlichen Handelns gerückt werden.

III. Zu den Gefahren der Meinungsfreiheit Im weiteren Verlauf wurde analysiert, inwiefern Meinungsäußerungen bzw. die Meinungsfreiheit für die fdG überhaupt gefährlich sein können. Das Schutzobjekt „fdG“ darf trotz seiner hohen Bedeutung nicht den unkritischen Reflex des Gesetzgebers auslösen, zum Schutz der fdG in die Meinungsfreiheit einzugreifen, da eine allzu starke Ausprägung der wehrhaften Demokratie in Gestalt von Meinungsäußerungsverboten den Konstituierungscharakter der Meinungsfreiheit unterminieren und damit selbst zur Gefahr für die fdG werden kann.8 Die Eingriffshürde ist sehr hoch; gesetzgeberisches Handeln 6  V. a. Bulla, AöR 1973, 340 (353, oben). Vgl. aber auch Thiel, in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 129 und Klein, in: VVDStRL 37, 1979, S. 54. 7  Eigenzitat, vgl. Abschnitt E.V.7. 8  Vgl. dazu ähnliche Anmerkungen von Casper, ZRP 2002, 214 (217).

278

H. Gesamtergebnis

darf sich nicht auf bloße Zurechnungsvermutungen stützen und dabei im Ungefähren bleiben. Es bedarf vielmehr einer spezifischen Gefahrenallokation, um – trotz Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers – die Eignung zu einem legitimen Zweck zu begründen. Es kann insofern nicht ausreichen, auf die Vermutung einer generellen Gefährlichkeit bestimmter Meinungsäußerungen zu verweisen; vielmehr müssen Gefahrenzusammenhänge nachweisbar sein. Anhand empirischer Untersuchungen lässt sich darstellen, dass ein enger Zusammenhang zwischen sprachlichen Äußerungen und psychischen Leiden, Stigmatisierungen und damit verbunden sozialer Ausgrenzung sowie gar Gewalt bestehen kann.9 Sprache kann aber auch eine emotive Funktion haben und für den Sprecher produktiv sein, indem etwa negative Emotionen abgebaut oder Missstände aufgezeigt werden. Führt die Sprache beim Hörer jedoch beispielsweise zur Kränkung (Stichwort: verbale Gewalt), kann Sprache zur Verstummung und Ungleichheit in der Kommunikation führen. Untersuchungen dieser Art legen nahe, dass Sprache äußerst wirkmächtig sein kann. Im Rahmen der pragmalinguistischen Analyse hat sich dieser Eindruck verstärkt: Deutlich wurde insofern der Handlungscharakter von Sprache – die alltagsverständliche, intuitive Unterscheidung zwischen „Worten“ und „Taten“ ist somit hinfällig. In der Gefahrenallokation wurde in einem ersten Schritt ermittelt, welche Gefahren von den Tathandlungen bzw. Meinungsäußerungen der §§ 83, 86, 86a und 90a StGB für die fdG ausgehen. In einem zweiten Schritt wurden die Gefahren analysiert, die vom Verbot dieser Meinungsäußerungen für die fdG ausgehen. Ziel dieser Gefahrenallokation war, Aussagen zur Wirksamkeit und Funktionalität der untersuchten Meinungsäußerungsdelikte als In­ strumente wehrhafter Demokratie zu treffen. Die Gefahrenanalyse hat im ersten Schritt ergeben: Die Freiheitsausübung ist unberechenbar. Diese Unkalkulier- und Unplanbarkeit stellt sich als von der Meinungsfreiheit ausgehende Gefahr dar, ist zugleich aber jeder Freiheit wesensimmanent und damit hinzunehmendes „Geschäftsrisiko“ des freiheitlich ausgerichteten Staates. Alle untersuchten Tathandlungen stellen überdies in den Händen von Freiheitsfeinden grundsätzlich eine Gefahr für den Bestand der fdG dar; insofern ist an die interdisziplinär herausgearbeitete „Wirkmacht“ von Sprache zu denken. Der Organisationsbezug als gefahrerhöhendes oder gar -begründendes Merkmal ließ sich allerdings nur mit Blick auf die §§ 83 und 86 StGB (mit Ausnahme von § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB) erhärten. Für § 86a StGB erwies sich der Organisationsbezug hingegen als Gefahrenzurechnung, die im Ergebnis nicht durchdringen konnte. Für § 90a 9  Vgl.

dazu Abschnitt F.I. sowie Abschnitt G.III.2., insb. Fn. 59 sowie Fn. 60.



III. Zu den Gefahren der Meinungsfreiheit279

StGB ergibt sich gar kein Organisationsbezug. Für die spezifisch den Tathandlungen des § 90a StGB zugerechnete Gefahr für das Ansehen des Staates erwies sich die Kriminalisierung überdies als wirkungslos und mitunter sogar kontraproduktiv. Auf der anderen Seite wurden gewichtige, von den Meinungsäußerungsverboten ausgehende Gefahren für die fdG ausgemacht. Tatbestandliche Unbestimmtheit, Wechselwirkungslehre, mediale Inszenierungen und repressive Strafverfolgungsmaßnahmen können erhebliche Abschreckungseffekte auf die Freiheitsrechtewahrnehmung haben – besonders schwer wiegt im Bereich politischer Teilhabe dabei die Gefahr der Selbstzensur. Die Unbestimmtheit der untersuchten Delikte eröffnet zudem Missbrauchsgefahren in der Rechtsanwendung. Strafverfolgungen und strafgerichtliche Verurteilungen können in extremistischen Kreisen meinungsverstärkend wirken, indem etwa Legenden- und Märtyrerbildung befördert werden. Der Verzicht auf argumentatives „Gegenhalten“ und der Rückzug auf Verstummung durch Strafverbot können für die angesprochenen politischen Kreise als „Hilflosigkeit“ des Staates in Anbetracht extremistischer „Wahrheiten“ verstanden werden – extremistische Meinungsbilder können auf diese Weise verstärkt werden. Kriminalisierungen stellen die Provokationswirkung und damit auch politische Wirkkraft der untersuchten Meinungsäußerungen sicher, während durch das argumentative Dagegenhalten im freien und öffentlichen Diskurs „Verstummungseffekte“ ohne strafrechtliche Freiheitsverkürzungen erreicht werden könnten. Strafbare Handlungen im Sinne der untersuchten Delikte können zum politischen Kalkül werden und Strafprozesse als „Bühne“ politischer Darstellungen missbraucht werden. Verurteilungen führen zur Stigmatisierung und Verdrängung in den „politischen Untergrund“, wodurch ein Fortschreiten von Radikalisierung und gesellschaftlicher Ausgrenzung ebenso wie politische Mimikry zu befürchten sind. Ergebnis der Gefahrenallokation war, dass die von den Verboten ausgehenden Gefahren für die fdG die von den verbotenen Äußerungen ausgehenden Gefahren deutlich überwiegen. Keine wirkungsvollen Instrumente wehrhafter Demokratie sind daher die §§ 86 Abs. 1 Nr. 4, 86a Abs. 1 Nr. 1, 90a StGB. Im Lichte des Untersuchungszuschnitts sind sie abzuschaffen.10 §§ 83 und 86 (ohne Abs. 1 Nr. 4) StGB stellen in ihrer Funktionalität als Instrumente 10  Dabei werden keine Aussagen zur Verfassungsmäßigkeit getroffen, sondern allein zur Funktionalität der Meinungsäußerungsdelikte als Instrumente wehrhafter Demokratie. Die bloße Legalitätsebene – also die Kategorien formeller und materieller Verfassungsmäßigkeit – waren nicht Gegenstand der Arbeit. Die verfassungsrechtsdogmatische Einbettung der Untersuchung als „Eignung zum legitimen Zweck“ dient nur einer ersten Einordnung. De lege ferenda-Überlegungen sind damit keine Aussagen zur Verfassungswidrigkeit der Normen.

280

H. Gesamtergebnis

wehrhafter Demokratie kein eindeutiges Bild dar. Im Ergebnis ist deshalb für beide Verbote vertretbar, die von den Tathandlungen ausgehenden Gefahren höher zu gewichten als die jeweils von den Verboten ausgehenden Gefahren. Eine Abschaffung der Normen ist damit zwar nicht angezeigt, allerdings sind für § 83 StGB de lege ferenda Nachbesserungen zur Erhöhung der Bestimmtheit zu fordern: Ein Katalog der strafbaren Vorbereitungshandlungen einschließlich der Tathandlungsvariante „Agitation“ ist zu kodifizieren.

IV. Schluss und Ausblick Deutlich wurde in der grundrechtstheoretischen Konzeption der Meinungsfreiheit auf der einen Seite und dem Wehrhaftigkeitskonzept auf der anderen Seite folgender Konflikt: Während die Meinungsfreiheit in einer liberalen Grundrechtstradition steht, weist das Wehrhaftigkeitskonzept aufgrund seiner Wertbindung eine demokratietheoretische Ausrichtung gegen den strikten Liberalismus auf und ist damit grundsätzlich illiberaler Natur. Wichtiges Element der überindividuellen Funktion der Meinungsfreiheit ist die „Auslese“ auf dem Meinungsmarkt – die „ständige geistige Auseinandersetzung, […] [der] Kampf der Meinungen“11. In einer wertrelativistischen, strikt liberalen Demokratie läge der (politischen) Debatte damit das Axiom zugrunde, dass jede Minoritäten-Meinung „wahr“ sein könnte – eine deutliche Absetzung vom Absolutismus,12 aber auch von der wehrhaften Demokratie. Insbesondere der Schutz der fdG durch Strafverbote stellt sich auf dem „Meinungsmarkt“ gewissermaßen als Verabsolutierung von Ideen bzw. „Wahrheiten“ dar, obwohl nach liberaler Verfasstheit gilt, dass sich Ideen erst im freien Diskurs aufgrund ihrer Überzeugungskraft durchsetzen.13 Der Schutz der fdG ist eine Art Fremdkörper im strikten Liberalismus, da per Strafgesetz „Wahrheiten“ beziehungsweise „beste Ideen“ manifestiert werden. Vor diesem Hintergrund scheint die in der Verfassungsrechtslehre und -rechtsprechung übliche Bedeutungszuschreibung irreführend, wonach die Meinungsfreiheit „schlechthin konstituierende“ Wichtigkeit für die fdG hat, 11  BVerfGE 7, 198 (208) = BVerfG, Urt. v. 15.1.1958  – 1 BvR 400 / 57, NJW 1958, 257 (258). Zitate a. a. O. 12  Vgl. dazu Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, 1920, S. 36: „Die für die Demokratie so charakteristische Herrschaft der Majorität unterscheidet sich von jeder anderen Herrschaft dadurch, daß sie eine Opposition – die Minorität – ihrem innersten Wesen nach nicht nur begrifflich voraussetzt, sondern auch politisch anerkennt und in den Grund- und Freiheitsrechten, im Prinzipe der Proportionalität schützt.“ 13  Nach strikt liberaler Auffassung wäre im Falle verabsolutierter Ideen von einem „dead dogma, not a living truth“ zu sprechen, vgl. Mill, On liberty, The Second Edition 1859, S. 64.



IV. Schluss und Ausblick281

gleichzeitig aber auf Grundlage bloßer Gefahrenvermutungen umfangreich eingeschränkt wird. Vollständig auflösen lässt sich dieses Paradoxon nicht; die Gewährleistung der Meinungsfreiheit und die fdG stehen vielmehr in einem Verhältnis „prinzipielle[r] Polarität“14.15 Allerdings ist eine spezifische Gefahrenanalyse ein erster und wichtiger Schritt, dieses Spannungsverhältnis zu „entschärfen“ – floskelhafte Bekenntnisse zum Meinungsliberalismus genügen insofern nicht.16 Ein „Zuviel“ der Wehrhaftigkeit ist zum Schutz des demokratischen Prozesses unbedingt zu verhindern. Die vorliegende Analyse hat deutlich gemacht, dass ein signifikanter Teil der untersuchten Verbote zum Schutz der fdG nicht oder nur bedingt geeignet sind. Die Streichung dieser Verbote wäre Konsequenz eines komprehensiven Wehrhaftigkeitsverständnisses, das sich nicht nur auf bloße Gefahrenvermutungen stützt, sondern auch die Schwächen und Gefahren des Konzeptes in den Blick nimmt. Zugleich wäre damit dem Bedeutungsspek­ trum der Meinungsfreiheit in größerem Maße entsprochen. Es bedarf bei der Gesetzgebung größter Vorsicht – symbolische, aktionistische oder reflexhafte Gesetzgebungen verbieten sich in diesem grundrechtssensiblen Bereich. Rechtsstaatliche Grundsätze dürfen nicht dem Schutz des Rechtsstaates zum Opfer fallen – glaubwürdiger Schutz ist nur bei gleichzeitiger Wahrung des Rechtsstaates möglich. Eine auf falschen Gefahrenzurechnungen basierende wehrhafte Demokratie, die zusätzlich zu ausgeprägt und in ihrer grundrechtslimitierenden Funktion überbetont wird, kann ihre Funktion der („nachhaltigen“) Freiheitsgewährleistung nicht mehr erfüllen.17 Einem durch Streichung der Normen entstehenden „Verteidigungsvakuum“ könnte überdies mit einer umfassenderen Wahrnehmung des Gestaltungsauftrages – ebenfalls Instrument wehrhafter Demokratie – entgegengewirkt werden. Im Mittelpunkt dieser Gestaltung müsste die Förderung zivilgesellschaftlicher Verantwortung stehen, die für die Demokratieverteidigung wichtiger Stabilitätsfaktor ist. Sprachkompetenz stellt sich dabei als wichtiger Homogenitätsfaktor in der Demokratie dar.18 Auftrag des Staates ist deshalb 14  Scherb,

Der Bürger in der Streitbaren Demokratie, 2008, S. 21. dazu auch, allgemeiner mit Blick auf die pluralistische Gesellschaftsordnung: Tillmanns, in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 31: „Der pluralistische Staat ist […] aus sich heraus latent instabil.“ 16  Etwa BVerfG, Beschl. v. 24.3.2001  – 1 BvQ 13 / 01, NJW 2001, 2069 (2070): „Die plurale Demokratie des Grundgesetzes vertraut auf die Fähigkeit der Gesamtheit der Bürger, sich mit Kritik an der Verfassung auseinander zu setzen und sie dadurch abzuwehren.“ 17  Ähnlich Thiel, in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 22. 18  Dreier, RW 2010, 11 (33) in Anlehnung an Kelsen. 15  Vgl.

282

H. Gesamtergebnis

die Sicherstellung umfassender Sprachkompetenz nicht nur in der schulischen Ausbildung, sondern auch abseits klassischer Schulbildung. Dies gilt insbesondere für Bürger mit Migrationshintergrund und Bürger mit mangelnder Sprachkompetenz im Deutschen. In der klassischen Schullaufbahn ist ferner die Demokratiebildung, insbesondere die Vermittlung der fdG, verstärkt in den Fokus zu nehmen.19, 20 Auch bedarf es einer Ausbildung der Bürger – bestenfalls beginnend mit der Schulbildung – in Sachen argumentativer Techniken („Wie diskutiere ich?“). Das Wissen und Verständnis um die Funktionen der Sprache und Rhetorik wird in Debatten helfen, die Anliegen anderer Debattanten schneller zu erkennen und besser einzuordnen. Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang etwa, dass die verbale Aggression „produktiv“ sein kann und häufig auch ist, indem Sprecher sich emotional abreagieren (statt mittels physischer Aggression).21 Haben gegenüberstehende Debattanten ein Grundverständnis von der Funktionalität der Sprache, können sie derartige Sprachhandlungen besser einordnen und gegebenenfalls auch argumentativ abwehren, bevor der Diskurs in einen defizienten Modus „abgleitet“, es mithin zu Verstummungseffekten oder schlimmstenfalls gar physischer Gewalt kommt. Auch das Erkennen und der Umgang etwa mit propagandistischen Manipulationstechniken gehört in das Argumentations­ repertoire eines mündigen Bürgers. Gestalterisch könnten öffentliche Räume, etwa moderierte Foren für Debatten und Dialog geschaffen werden, um diese zivilgesellschaftliche Verantwortungswahrnehmung zu erleichtern. Mediatoren und Moderatoren könnten überdies Debatten in sozialen Netzwerken unter Beachtung und Vermittlung der fdG anleiten. Der Staat kann darüber hinaus mittels Berichterstattung, Faktenüberprüfungen usw. entsprechenden Feindbildern und Meinungen entgegenwirken.22 Der kurze Abriss gestalterischer Maßnahmen zur Verhinderung eines „Verteidigungsvakuums“ zeigt: Das Feld der Wehrhaftigkeitsmaßnahmen zur Stärkung zivilgesellschaftlicher Demokratieverteidigung ist groß und sollte in Konsequenz der vorliegenden Untersuchung vermehrt in den Fokus legislativen Handelns treten.

19  Zu

GG.

beachten ist insofern die Länderkompetenz in Bildungssachen, vgl. Art. 30

20  Auch dazu: Dreier, RW 2010, 11 (38) und abweichend mit Blick auf das In­ strument „Strafverbot“, im Grunde aber auch für eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit Hufen, in: Kaspar / Schoen / Schumann / Winkler, FS Falter, 2009, S. 101 (112). 21  Vgl. dazu die Ausführungen im Abschnitt F.III.1. 22  Krutzki, KJ 1980, 294 (300).

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304 Literaturverzeichnis Zieschang, Frank, Die Gefährdungsdelikte, Berlin 1998. Zoepfl, Heinrich, Grundsätze des Allgemeinen und des Constitutionell-Monarchischen Staatsrechts, mit besonderer Rücksicht auf das gemeingültige Recht in Deutschland nebst einem kurzen Abrisse des deutschen Bundesrechtes und den Grundgesetzen des deutschen Bundes als Anhang, 3. Aufl., Heidelberg 1846.

Stichwortverzeichnis Abschreckungseffekte  247, 249, 251, 253, 269, 271–273, 279 Bedeutungsspektrum  20, 23, 37, 51, 59, 66, 67, 218, 281 Demokratische Legitimation  67, 153, 165 Eingriffsfreier Bereich  49, 204 Expressiva  193, 200–208, 216, 221, 222, 224, 225 Feinde der Freiheit  17, 18, 228, 275 Gefahrenallokation  22, 171, 195, 207, 215, 218, 226, 236, 264, 268, 271, 272, 274, 278, 279 Homogenität  134, 172 Ideologie  35, 36, 67, 125, 148, 154, 157, 160–162, 167–171, 177, 190, 236, 242, 243, 245, 263, 296 Illokutionärer Zweck  200, 201, 202, 211, 221, 224, 232 Instrumentalisierung  252, 253 Instrumente wehrhafter Demokratie  118, 140, 142, 156, 171, 180, 182, 185, 190, 191, 235, 268, 277, 278, 279 Kerndilemma  17, 18 Liberale Demokratie  118, 119, 125, 149, 190 NS-Herrschaft  35, 62, 67, 132, 166, 188, 193, 228, 229, 245, 277

Organisationsbezug  233, 234, 236, 237, 240, 264, 265, 270, 271, 272, 273, 278 Paradoxon  17, 19, 20, 68, 88, 94, 118, 123, 133, 134, 179, 185, 281 Pluralität  54, 162, 256 Schutzgut  18, 20, 44, 47, 68–70, 74, 76, 82, 87–89, 92–94, 99, 110, 113, 117, 181, 195, 217, 226 Selbstzensur  248, 249, 253, 266, 267, 279 Tatsachenbehauptung  38, 40–43, 203, 210, 212 Taxonomie  199, 200, 204–208 Überindividuelle Freiheitsgewährleistungen  51 Verbale Aggression  199, 207, 208, 211, 285, 290, 302 Verfassungsfeind  168, 170 Vorfeldkriminalisierung  50, 72, 74, 181, 230, 242, 243, 245, 265, 284 Wechselwirkungslehre  47, 48, 66, 98, 101, 219, 248, 252, 266, 279 Wehrhaftigkeitskonzept  19, 21, 118, 125, 129, 130, 131, 132, 142, 143, 147, 155, 156, 157, 158, 159, 161, 164, 174, 177, 178, 179, 180, 184, 190, 191, 215, 229, 252, 263, 264, 276, 280 Weimarer Reichsverfassung  16, 21, 33, 120, 121, 124, 128, 145, 146, 147, 289 Wertkonsens  165, 166, 167