Flöte und Schwert. Krishna und Kali. Visionen des Schönen und des Schrecklichen in der altindischen Mythologie

Krishna und Kali: Zwei der am höchsten verehrten und vieldeutigsten Gottheiten des Hinduismus werden in diesem Buch lebe

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German Pages 214 Year 1979

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FLÖTE und SCHWERT

David R. Kinsley

Flöte und

Schwert Kri?tza und Käli Usionen des Schönen und des Schrecklichen in der altindischen Mythologie

Erste Auflage 1979. Titel des Originals: »The Sword and the Flute«. Copyright © 1975 by The Regents of the University of Califomia. Einzig berechtigte Obertragung aus dem Amerikanischen von Harald Senger. Schutzumschlaggestaltung von Herbert Joos. Copyright © 1979 by Scherz Verlag Bern, München, Wien für Otto Wilhelm Barth Verlag. Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Funk, Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger jeder Art und auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

INHALT

Vorwort

7

TEIL I DIE FLÖTE: KRI$NAS FEST DER FREUDE 1.

Kapitel

Einführung Kri�r:ia und die »Kri�r:ias« Das Göttliche Kind: Die spontane und ungestüme Natur Gottes Kri�r:ias Spiel mit den Dämonen: Kampf als Scherz Die Verkörperung von Schönheit und Anmut Der Ruf von Kri�r:ias Flöte Der Göttliche Liebende 2.

13 19 23 31 35 46 54

Kapitel

Einführung Bhakti: Vom Gott zum Liebenden Änanda: Die dem Göttlichen innewohnende Glückseligkeit Lzlä: Der Göttliche Spieler

71 73 82 90 5

TEIL II DAS SCHWERT: KÄLI, GÖTTIN DES TODES 3. Kapitel

Einführung Die Vorgeschichte Käli's Käli' im Mahäbhärata Käli' im Dev1-mähätmya Die Frühgeschichte Käli's in den purä,_ws und Dramen Käli's regionale Verbreitung Käli's Verbindung mit Siva Käli' und der tantrische Held Käli' und ihre Verehrung in Bengalen Zusammenfassung

99

105

107 109

112

114

119

127 132 144

4. Kapitel

Einführung Käli' als Mahämäyä Käli' als prakriti und du�kha Käli' als Zeit Konfrontation mit dem Tod und dessen Annahme: Käli's Gnade Käli's »Zähmung«

146

153

158

161 164

169

Flöte und Schwert: Zusammenschau

174

Anmerkungen

1.85

VORWORT

Im September 1968 kam ich in die von Menschen wim­ melnde Stadt Calcutta, um Nachforschungen über die bengalischen Vai�i:i.avas anzustellen, jene besonders en­ thusiastischen Anbeter Kti�i:i.as. Diese Untersuchung war ein Teil meiner Doktorarbeit, die das Spiel als einen Aus­ druck des Göttlichen in der hinduistischen Tradition zum Thema hatte. Kti�i:i.a schien mir der vollkommene mytho­ logische Ausdruck dieser Idee zu sein, und mit einiger Ungeduld hoffte ich zu sehen, wie sich Kti�i:i.a in kulti­ scher Umgebung selbst offenbart. Ich war nach Indien gekommen, um noch tiefer in die wunderbare Welt des flötespielenden Herrn von Vtindävana einzutauchen. Aber in den Monaten September, Oktober und No­ vember werden in Bengalen die großen Feste gefeiert, und gerade jene Gottheiten, denen die dramatischsten, prächtigsten und stürmischsten Feste zustehen, sind Göt­ tinen, im besonderen Durgä und Käli', die völlig anders auftreten als Ktiima. Zuerst verblüffte mich die Durgä­ Püjä, das fröhlichste aller bengalischen Feste zu Ehren des Sieges der furchterregenden Kampfesgöttin über den kos­ mischen Büffel-Dämon. Fast einen Monat später wurde ich von der Käli'-Püjä überwältigt, einer wilden Feier für eine schreckliche weibliche Macht, die sich auf Leichen­ verbrennungsplätzen aufhält und bei dieser Gelegenheit

7

dort öffentlich verehrt wird. Am letzten Tag der Käli­ Püjä luden mich einige junge Männer ein, sie zum Ufer des Hoogly-Flusses zu begleiten, denn dort wurden die Bilder der Käli, die gerade für diese Feste gemacht worden waren, ins trübe Wasser geworfen. In einem offenen Lastwagen machten wir uns auf den Weg zum Fluß; das Bild Kälis, festgebunden am hinteren Teil der Fahrerka­ bine, blickte nach rückwärts. Ungefähr zwanzig von uns standen auf der Ladefläche des Lastwagens und bemühten sich, so gut es ging, ihr Gleichgewicht auf dem schlin­ gernden Fahrzeug zu halten. Plötzlich bremste der Fah­ rer, um irgendeinem Hindernis auszuweichen, und ich wurde nach vorne in die Arme der Mutter Käli geworfen. Unser erstes gewaltsames Zusammentreffen brach einen ihrer Arme (ich kann mich nicht mehr erinnern, welcher der vier es war). Bestürzt nahm ich an, etwas besonders Schlimmes angerichtet zu haben, indem ich das Bild der Göttin beschädigt hatte. Aber meine freundlichen Beglei­ ter versicherten mir, daß ich keinen Schaden angerichtet hatte. Denn schon bevor sie die Statue auf den Lastwagen brachten, hatten sie in einem Ritual ihr Leben beendet. Sie war also nichts mehr als ein Stück Ton. Ich war er­ leichtert. Am nächsten Tag jedoch holte ich mir eine un­ angenehme Erkältung, die mehrere Wochen dauerte. Wo ist Ki;i�I_la? fragte ich mich. Auf der Suche nach dem Paradies hatte ich etwas völlig anderes gefunden. Ki;i�I_la war natürlich allezeit da, so wunderschön und behexend wie ich es erwartete. Aber jene ersten Monate in Calcutta schärften mir auf dramati­ sche Weise ein, daß sich für die Bengalis zumindest das Göttliche sowohl in schrecklichen als auch in erhabenen Formen offenbart. Dieses Buch, in dem ich mich mit zwei so deutlich verschiedenen hinduistischen Erscheinungs8

formen des Göttlichen beschäftigte, ist deshalb kein Zu­ fall. Denn während jenes erinnerungsreichen Jahres in Calcutta begann ich mich mit der Geschichte und dem Kult Käli's zu beschäftigen, während ich gleichzeitig meine Untersuchung über Kri�:t:ia abschloß. Vielleicht verehrte ich das Wesen, dem ich so unzeremoniell auf der Ladefläche eines Lastwagens begegnet war, auf eine merkwürdig gelehrte Weise, indem ich erkannte, daß Kri�:t:ias Flöte und auch Kalis Schwert viele Wahrheiten der religiösen Tradition der Hindus versinnbildlichen. Vielleicht liegt sogar die endgültige Wahrheit dieser Tra­ dition in der unvorstellbaren Verbindung dieser beiden. Ich habe mein Buch nicht mit einem Index versehen, denn das Inhaltsverzeichnis zeigt deutlich und mit einiger Ausführlichkeit den Umfang des Buches: seine beiden Teile und die Unterteilung der Kapitel durch die den In­ halt verdeutlichenden Überschriften. So bedeutende Be­ griffe wie änanda, filä und prakriti können in diesen Un­ tertiteln ausfindig gemacht werden, und es erschien mir sinnlos, Kri�:t:ia oder Käli' oder Namen wie Balaräma oder Rämprasäd in einem Index aufzuführen.

9

TEIL I

DIE FLÖTE: KB.ISNAS FEST DER FREUDE

1.

KAPITEL

Einführung Blaue Lotusblüten Blumen überall Und schwarze Kokilas singen König der Jahreszeiten, Frühling ist gekommen Und ungestüm voller Begehren Schwirrt die Biene zu ihrem Geliebten. Vögel fliegen in der Luft Und Kuhhirtinnen Lachen sich an K�i�i:i.a betrat Den großen Hain.'

»Mit schrecklichem Gesicht und fürchterlichem Ausse­ hen erscheint Käli, die Entsetzliche. Mit vier Armen, ge­ schmückt mit Totenschädeln, mit wirrem Haar, hält sie in ihreri linken Händen einen frisch abgetrennten Men­ schenkopf und ein blutverschmiertes Opferschwert. Ihre rechten Hände haben Gesten, die Furchtlosigkeit und gleichzeitig Versicherung und Gnade bedeuten. Ihren Hals schmückt eine Girlande aus blutigen Menschenköp­ fen, an ihren Ohren baumeln zwei abgeschnittene Köpfe, ein Band aus abgetrennten menschlichen Händen bildet ihren Gürtel; sie ist dunkelhäutig und nackt. Furchtbare 13

Hauzähne, pralle, hervorstehende Brüste, ein Lächeln auf ihren blutig glänzenden Lippen: das ist Käli, deren La­ chen uns schaudern läßt. Ihr langes, wirres Haar hängt an ihrer linken Seite herunter, ihre drei roten Augen blen­ den wie die aufgehende Sonne, so lebt sie auf Verbren­ nungsplätzen, umgeben von schreienden Schakalen. Sie steht auf Siva, der totengleich unter ihr liegt.« 2 Der Mensch hat sich das Göttliche auf unglaublich ver­ schiedene und gegensätzliche Weise anschaulich ge­ macht; es hat sich sowohl in erhabenen als auch in schrecklichen Erscheinungsformen offenbart - in gnädi­ gen, gütigen und mitleidsvollen Wesen und in Angst er­ regenden, strafenden und zornvollen Gottheiten. Es hat sich offenbart oder wurde von den Menschen in männli­ chen, weiblichen, zweigeschlechtigen, androgynen, tieri­ schen, pflanzlichen oder geographischen Erscheinungs­ formen geschaut. Das Göttliche, so wie es sich dem Men­ schen zeigte oder von ihm erfahren wurde, hat immer dazu geneigt, zu überraschen, zu erfreuen und zu betäu­ ben, sich des Menschen in Ekstase zu bemächtigen oder ihn durch Angst und Furcht zu überwältigen. Die religiöse Tradition der Hindus bietet uns eine Ver­ sammlung von göttlichen Wesen, wie sie in dieser Viel­ zahl und Verschiedenheit kaum in einem anderen religiö­ sen Erbe der Menschheit zu finden sein dürfte. Der Pan­ theon der Hindus schließt sanfte, bezaubernde Gottheiten ein, wie Lak�mi und Pärvati, weltabgewandte, asketische Götter, z. B. Siva; königliche, aktive Götter, die sich daran beteiligen, das Gleichgewicht zwischen Gut und Böse zu bewahren, wie Vi�i:iu und seine Inkarnationen; trunken machende und schöne Götter, wie Kti�i:ia; und fürchterliche, schreckenerregende Gottheiten, wie Käli.

Weiterhin gibt es unzählige regionale und lokale Götter und Untergötter, einige legen theriomorphe Verkleidun­ gen an, und andere Götter und Göttinnen stehen in erster Linie mit Bergen, Flüssen, Städten und Wallfahrtsorten in Beziehung. Durch den Umfang und die Vielfalt des Hindu-Panthe­ ons sind die angeblichen Verteidiger der hinduistischen Tradition, denen es widerstrebt, den Hinduismus als »po­ lytheistisch« zu bezeichnen, in Verlegenheit geraten. Die­ selben Schwierigkeiten bereitet die hinduistische Götter­ welt ordnungsliebenden, gelehrsamen Geistern, denen es kaum gelingt, Ordnungsschemata für die Vielzahl der hinduistischen Götter, Untergötter und übernatürlichen Wesen zu entwickeln. Diese Probleme (die sicherlich nicht von allen empfunden werden) sind völlig unbegrün­ det. Gerade diese Mannigfaltigkeit und die Größe des Hindu-Pantheons sind vielmehr beredte Zeugen für die Tatsache, daß für den Hindu das Göttliche nicht einge­ grenzt werden kann. Das Göttliche hat sich im Hinduis­ mus folgerichtig als das erwiesen, was über die begrenzte menschliche Welt hinausgeht; als das, was die menschli­ che Einbildungskraft in schier unglaublicher und außer­ ordentlicher Weise entzündet - als einen Versuch, die Fülle des Göttlichen zu erkennen. Dieser Arbeit geht es nicht darum, ein dem hinduisti­ schen Pantheon zugrunde liegendes System zu erkunden; sie versucht nicht, den Begriff »Polytheismus« im hindu­ istischen Zusammenhang zurückzuweisen, zu bekräfti­ gen, zu rechtfertigen oder zu verdammen. Sie zielt eher darauf ab, Bilder zu verdeutlichen, die der Mythologie und dem Kult zweier besonders volkstümlicher Hindu­ Gottheiten zugrunde liegen - dem Gott K,;-i�l').a und der Göttin Käli. Die Studie übernimmt damit den Versuch,

einen Eindruck von der Tiefe, der Verflochtenheit und der unerschöpflichen Natur der hinduistischen Auffassung des Göttlichen, des Heiligen oder des schlechthin »Ande­ ren« zu vermitteln. Sie unterstreicht die Tatsache, daß sich der Mensch in der hinduistischen Tradition einer göttlichen Ebene der Wirklichkeit geöffnet hat, die ihn sowohl betäuben als auch erschrecken kann. Sie versucht weiterhin zu zeigen, daß das Göttliche - in seinem erha­ benen wie auch in seinem furchterregenden Aspekt - für denjenigen, der es erkennt, im endgültigen Sinne glei­ chermaßen erlösend ist. Gewisse methodologische Voraussetzungen sollten am Anfang deutlich gemacht werden. Die wichtigste Voraus­ setzung ist die Überzeugung, daß religiöse Erscheinungs­ formen am besten innerhalb ihres eigenen Bezugsrah­ mens verstanden werden können. Es ist klar, daß keine ausschließlich religiöse Gegebenheit existiert, denn jedes religiöse Phänomen ist genauso ein soziales, psychologi­ sches und historisches Faktum. Dies hat seine Ursache darin, daß jedes religiöse letztlich auch ein menschliches Phänomen ist, das soziale, psychische und historische Ebenen beinhaltet. Das ist alles recht einleuchtend. Nicht so einleuchtend ist vielleicht, daß religiöse Gegebenheiten Anspruch darauf haben, mit religiösen Begriffen unter­ sucht zu werden. Sie verdienen es, als das interpretiert zu werden, was sie zu sein vorgeben: als Verkörperungen (oder Offenbarungen) des Heiligen. Natürlich ist der Mensch ein soziales, ökonomisches und geschichtliches, aber dennoch ebenso ein religiöses Wesen - ein Wesen, das schon immer deutlich gemacht hat, daß es den Bezug zu einer »anderen« Ebene der Wirklichkeit herstellen muß, wenn es wirklich menschlich sein will. Religion be­ friedigt soziale und psychische Bedürfnisse und erfüllt

bestimmte soziale und psychische Aufgaben; ebenso deutlich wird sie von historischen Begebenheiten beein­ flußt. Aber die Religion nimmt für sich auch in An­ spruch, diese »horizontalen« Wirkungskräfte zu über­ schreiten; sie behauptet sogar, diesen Ebenen der Wirk­ lichkeit zugrunde zu liegen. Religion darf und sollte in ihrem eigenen Bezugsrahmen als bedeutungsvoll erkannt werden. Das Studium der Religionen ist zuerst und im besonderen ein Erforschen des religiösen Menschen, also eine Untersuchung der Dimension des Menschlichen, die jener schon immer als höchste Realität und höchste Menschlichkeit verstanden wissen wollte. Aber wie untersucht man religiöse Gegebenheiten als solche? Dies ist keine einfache Frage, und sie fordert eine umfassende Antwort. Wenn man die Religion in ihrem eigenen Bezugsrahmen erforschen will, darf man zu aller­ erst nicht die »horizontalen« Einflüsse unbeachtet lassen; denn um religiöse Dinge zu verstehen, muß man sich mit ihrem Umfeld vertraut machen und sich der kulturellen Umwelt des zu untersuchenden Phänomens öffnen. Aber noch wichtiger ist es, den visionären Aspekt eines religiö­ sen Phänomens zu erkennen, der es erst als eine religiöse Angelegenheit ausweist.3 Man muß also den Bereich jen­ seits der manchmal offenkundigen sozialen, psychischen oder ökonomischen Bedeutung betreten, um zu erfassen, was diese Sache für den religiösen Menschen bedeutet, was sie dem Menschen über eine »andere« Ebene des Heiligen mitteilt. Dies mag eine gewisse Naivität verlan­ gen, die Bereitwilligkeit, den Möglichkeiten außerhalb des Gewöhnlichen offen zu bleiben, über das Außerge­ wöhnliche zu staunen und sich an ihm zu erfreuen - eine Bereitwilligkeit vielleicht, zu wünschen, es wäre so. Man könnte auch sagen, daß Objektivität gefordert ist, denn

dieses Vorgehen verbietet es, ein Phänomen auf hand­ lichere Ursache- und Wirkung-Interpretationen zu ver­ kürzen. Keine Möglichkeit darf ausgeschlossen werden; eine Offenheit für eine Ebene der Wirklichkeit wird ge­ fordert, die von dem Erklärenden in seinem eigenen Le­ ben vielleicht nicht erfahren wird. Eine zweite Voraussetzung folgt aus der ersten. Für die Beschäftigung mit Ki;i�i:ia und Käli, mit ihrer Mythologie und ihrem Kult, benötigen wir für unsere Interpretatio­ nen Leitlinien, die wir aus der religiösen Tradition gewin­ nen, der sie zugehören. Ki;i�i:ia und Käli sind hinduisti­ sche Götter und verkörpern deshalb unzweifelhaft Wahr­ heiten, die mit anderen Wahrheiten dieser Tradition in bestimmter Weise in Beziehung stehen oder gar eins sind. Sie sind sehr volkstümliche Gottheiten, besonders in Ben­ galen. Diese Volkstümlichkeit weist weiter darauf hin, daß sie trotz ihrer Erscheinungsformen - insbesondere bei Käli - keine Abirrungen der Tradition sind, sondern viel eher Charakteristika oder auch Ausschmückungen gewisser grundlegender Wahrheiten der hinduistischen Religion und Philosophie darstellen. Es ist meine Über­ zeugung, daß uns beide Gottheiten - auf dramatische Weise - zentrale Themen des Hinduismus übermitteln, daß sie Aspekte der ursprünglichen Sicht der Wirklichkeit scharf ausprägen, die die Hindu-Tradition vor Tausenden vor Jahren erahnte, und die ihr heute noch zugrunde liegt und ihre Richtung bestimmt. Diese Untersuchung ver­ sucht zu zeigen, in welcher Weise Ki;-ig1.a und Käli diese ursprüngliche Schau offenbaren und an ihr teilhaben. Diese Studie beschäftigt sich nicht in erster Linie mit einem historischen Abriß der Entwicklung des Kultes um Ki;i�i:ia und Käli, denn gerade in bezug auf Ki;i�i:ia wurde diese Aufgabe schon von anderen in angemessener Weise 18

unternommen.4 Für Käli wählte ich deshalb ein etwas geschichtlicheres Vorgehen, weil über sie bisher fast überhaupt nichts verfaßt wurde - in erster Linie jedoch ist meine Arbeit phänomenologisch. Sie versucht, die zu un­ tersuchenden Phänomene einander gleichzusetzen, um so zu einer Schau der Wirklichkeit zu gelangen, wie sie sich in den beiden Gottheiten schon immer ausdrückt. Das heißt nicht, daß sie die Möglichkeit der Änderungen im Kult von Ki;i�I).a und Käli übersieht, die von .geschichtli­ chen Entwicklungen herrühren. Es ist offensichtlich, daß solch ein Wechsel stattgefunden hat - daß beide Gotthei­ ten sich recht gründlich änderten, besonders in ihren Er­ scheinungsformen und ihrer Wesensart. Aber dieser Wechsel wird in dieser Arbeit in erster Linie als eine Wandlung verstanden, vielleicht als eine Verdeutlichung der ursprünglichen Visionen, die den beiden Gottheiten zugrunde liegen. Ich versuche nicht, Ki;i�I).a und Käli zu verstehen, indem ich historische Fakten anhäufe: viel­ mehr geht es mir darum, »angesichts« dieser beiden We­ sen - die sich natürlich in der Geschichte offenbarten Hinweise auf die transzendente Wirklichkeit in der spiri­ tuellen Tradition der Hindus zu erkennen. Sehr unwis­ senschaftlich ausgedrückt: ich bemühe mich, Ki;i�I).a und Käli zu verstehen, indem ich versuche, Kälis Schwert zu sehen und Ki;i�I).as Flöte zu lauschen.

Er lebt als ein jugendlicher Kuhhirte in einem idyllischen Hain - so beschreiben die Hindus einen ihrer bevorzugten Götter, der auf dem ganzen Subkontinent verehrt wird. Er ist ein außerordentlich schöner Gott, der all jene in

seinen Bann zieht, die ihn sehen oder seine Flöte hören. In Vollmondnächten im Herbst versammelt der Ruf sei­ ner Flöte seine geliebten Begleiterinnen, die dann mit ihm tanzen, singen, scherzen und sich am Liebesspiel er­ freuen. Mit Pfauenfedern gekrönt, von wunderschöner, blauer Hautfarbe, aber ein unverbesserlicher Taugenichts, das ist K:ri�Q.a, der Liebling der hinduistischen Verehrung. Die Beziehung der hinduistischen Tradition zu K:ri�I).a war verschiedenartig und vielschichtig und hat seit mehr als 2000 Jahren angehalten. Am Anfang zeigt sich K:ri�Q.a in erster Linie als ein Lehrer, Ratgeber und Freund. In einem der großen indischen Epen, dem Mahäbhärata, steht er im Mittelpunkt - er ist der Verbündete der PäQ.­ gava-Brüder in ihrem Kampf um die Wiedererlangung der Herrschaft, die ihnen von den Kauravas genommen wurde. Während des gesamten gewaltigen Epos ist er den fünf kriegerischen Brüdern immer nahe, um sie zu bera­ ten und zu trösten, als ihr Bevollmächtigter zu handeln und in kritischen Augenblicken in das Geschehen einzu­ greifen, um seinen Freunden schließlich zum Sieg zu ver­ helfen. Sein berühmtestes und dramatischstes Eingreifen wird in der Bhagavadgztä, das »Lied des Erhabenen«, be­ sungen. Hier offenbart er sich als ein avatära von Vi�Q.u, also eine Verkörperung - oder »Herabkunft« - des höch­ sten Gottes, dessen göttliche Aufgabe darin bestand, den Sieg der gerechten PäQ.gavas zu sichern. In diesem Lied zeigt er sich auch als ein geschickter Lehrer, der der hin­ duistischen Tradition für alle kommenden Jahrtausende einen glänzenden Abriß ihrer am meisten geschätzten Lehren hinterließ. Als Arjunas Wagenlenker - einer be­ scheidenen Rolle, die der späteren als Kuhhirte gleicht erweist sich K:ri�I).a in der Gitä als ein göttliches Wesen, würdig der hingebungsvollen und anbetenden Liebe. 20

Nicht lange nach der endgültigen Bearbeitung des Mahäbhärata (ungefähr um 400 n. Chr.) - und vielleicht diese begleitend - fand sich eine ausführliche Biographie K:ri�IJas im Harivainsa (der Lebensgeschichte von Hari, d. i. Kri�IJa), einem Text, der als Anhang zum Mahäbhärata gedacht war. Vielleicht zum ersten Mal werden im Hari­ vainsa die Einzelheiten von Kri�IJas Geburt aufgeführt und von seiner Kindheit, die er in einer Gemeinschaft von Kuhhirten verbrachte.5 Es erzählt uns von seiner wunder­ baren Flucht aus der Gewalt seines niederträchtigen On­ kels Karhsa, von seiner Adoption durch seine Pflegeeltern Nanda und Yasodä, seinen Streichen als Kind, seinen Spielen als Heranwachsender und seinen Liebesspielen mit den gopis (Kuhhirtinnen). Diese Geschichten führten schließlich zu einer Veränderung in der Beziehung zwi­ schen Kri�I)a und der Hindu-Tradition, denn die nachfol­ genden Generationen verliebten sich in die Jugend des Kuhhirten, in seine unglückliche Kindheit und in seine leidenschaftlichen Beziehungen zu den gopis. Der Kri�IJa des Epos - der treue Freund, politische Ratgeber und Leh­ rer - wurde zwar nicht völlig vergessen, aber die spätere Tradition ließ sich in erster Linie von dem heiteren und wilden Kind in Vrindävana in den Bann schlagen und war in ihn so vernarrt, wie Eltern in ihre Kinder oder eine Frau in ihren Geliebten. Die Geschichte von Kri�IJas Verweilen in Vrindävana wird in den ½�tzu-, Bhägavata-, Padma- und Brahma­ vaivarta-purätzas in zunehmender Ausführlichkeit wie­ dererzählt. Mit dem Auftreten von Rädhä, der bevorzug­ ten Geliebten Kri�IJas, in Jayadevas Gitägovinda (im 12. Jh.) gewinnt die Liebesgeschichte zwischen Kri�IJa und den gopis an Tiefe und Vielschichtigkeit. Rädhä wird von nun an eine Hauptfigur in der gläubigen Hingabe, der 21

Theologie, der Philosophie und der Dichtkunst der Vai�­ i:iavas. Denn in ihr spiegelt sich die rasende, ekstatische Antwort der hinduistischen Tradition auf das Göttliche, das in dem göttlichen Jüngling Kti�i:ia erahnt wurde. Rädhä verkörpert auf wundervolle Weise den trunken machenden, leidenschaftlichen, verlangenden, glückseli­ gen göttlichen »Wahnsinn«. In Kti�i:ias Mythologie und Kult wird sie zum höchsten Ausdruck für prema: die selbstlose, leidenschaftliche Liebe zum Geliebten, den Höhepunkt der Hingabe an das Göttliche. Es wäre eine Übertreibung zu behaupten, es gäbe mehr als einen Kti�i:ia- einen ausschließlich menschlichen Held (im Mahäbhärata), eine göttliche Inkarnation (in der Bhagavadgztä) und den höchsten Gott, der sich in der Gestalt des jugendlichen Kuhhirten offenbart (in der nachfolgenden Tradition). Genauso wäre es eine übertrie­ bene Vereinfachung, nach rein euhemeristischen Maßstä­ ben zu deuten. 6 Offenkundig ist jedoch, daß die hinduisti­ sche Tradition schon von einem sehr frühen Zeitpunkt ab, die Kindheit und seine Jugend - seine Tändeleien in Vraja und V tindävana - für den erhabensten Aspekt seiner Le­ bensgeschichte oder seiner Offenbarung hielten. Die reli­ giöse Tradition der Hindus kennt nur einen Kti�i:ia, den ewigen Gott, der sich auf so unterschiedliche Weise offen­ bart hat ; aber sie hat ganz offensichtlich Vorlieben für einzelne Aspekte von Kti�i:ia gezeigt. In meinem Buch konzentriere ich mich also auf die Kindheit und die Ju­ gend Ki;-i�I).as und versuche, die Wahrheiten, die sich in dem geliebten jugendlichen Kuhhirten ausdrücken, zu unterscheiden und zu verdeutlichen, ohne seine Kindheit zu vernachlässigen. Denn das wäre eine Mißachtung der Lehre der Tradition. Aber Kti�:r:ias Aufenthalt in Vtindä­ vana wird der Brennpunkt dieser Studie sein, denn, so 22

bekräftigte es die Tradition immer wieder, in V i;indävana hat sich die Offenbarung des Göttlichen am vollkommen­ sten vollzogen.7 Das Göttliche Kind: Die spontane und ungestüme Natur Gottes Seine immerwährende Jugend ist vielleicht das hervorste­ chendste Merkmal des Kuhhirten Ki;i�JJ.a, und die Liebe zu ihm entzündete sich an dieser Eigenschaft: an Ki;i�JJ.a als ewigem Kind, dem zeitlosen Heranwachsenden und Jüngling, dessen ungehemmte Scherze und wilde Freu­ dentänze Zeugnis ablegen von etwas Wesentlichem im jenseitigen Bereich des Göttlichen. 8 Was offenbaren uns die Jugend Kti�JJ.as und seine Vergnügungen von der hin­ duistischen Sicht des Göttlichen ? Vor allem die Freiheit und die Spontaneität des Göttlichen. In der Gestalt eines Kindes oder vielmehr als ein Kind handelt Ki;i�JJ.a in vollkommener Spontaneität. Er tollt mit Balaräma, seinem älteren Bruder, im Dorf der Kuh­ hirten, er spielt mit seinem Schatten, kugelt sich im Staub, tanzt, um seine Armbänder und Spangen klingen zu lassen, ißt Schmutz trotz Mutters Warnung, lacht mit sich selbst oder versinkt still in seinen eigenen Phanta­ sien. Ki;i�JJ.a, das Kind, verbringt seine Zeit im Spiel, jeder Grille folgend, handelt ohne jegliche Planung und erfreut die gesamte Dorfgemeinschaft. Einige Beschreibungen des kindlichen Gottes mögen etwas von der Freiheit und Spontaneität vermitteln, die sich in dieser Menschwer­ dung Gottes offenbaren.

23

»Kähn (Kpg1a) krabbelt voller Freude in Nandas goldenen Garten, der mit Edelsteinen geschmückt ist, er will sein eigenes Bild erhaschen. Seinen Schatten betrachtend, versucht er zuweilen, ihn mit den Hän­ den zu fassen. Er lacht fröhlich, und seine beiden Baby-Zähne glänzen ; er möchte das Spiegelbild greifen. Die lustigen Spiele Kp�r:ias betrachtend, ruft Yasodä wieder und wieder nach Nanda. Dann, Ki;i�r:ia in den Falten ihres Gewandes verbergend, beginnt sie, ihn zu stillen, sagt Sürdäs. « 9

»Das Kind Gopälä tanzt bezaubernd, und alle Frauen aus V raja schlagen mit ihren Händen den Takt und rufen : >Schön, oh, so wunderschön !< Nanda, Sunanda, Yasodä und Rohii:ti betrachten voller Freude das Antlitz des Kna­ ben. Die roten Augenwinkel sind mit Collyrium getönt, und seine Zähne blitzen, wenn er lächelt.« 10 »Im Aussehen einem fünfjährigen Kinde gleich, tobt der Zauberer (der Junge K:ri�i:ta) durch den Hof. (Dort gibt es) süße Milch und Butter, (die er) ißt und sich ins Gesicht schmiert. Oh, dieser anmutige und schwebende Tanz des bezaubernden Gopälä . . . ! Geschwind sind seine Schritte, die Glocken an seinem Gürtel klingeln und eine Girlande von wilden Blumen bekränzt (seinen Hals) . . . .Jetzt geht er auf den Zehenspitzen, dann kugelt er sich auf dem Boden : jetzt ist er vergnügt und dann ärger­ lich. « 11 Die Freiheit und Spontaneität des Kindes K:ri�i:ta zeigen sich am deutlichsten in seinen Späßen. Seine Begierde nach Butter und Süßigkeiten ist unstillbar, dauernd streicht er umher, um welche zu stehlen, und gewinnt dadurch den Ruf, ein unverbesserlicher Butterdieb zu

sein. Im Bhägavata-puräna, wo Kri�:r:i.a anscheinend zum ersten Mal die » Würde« eines Butterdiebes erlangt, be­ klagt sich eine der gopi-Frauen bei Yasodä. über Kri�:r:i.as Streiche. Sie klagt ihn an, Kälber loszubinden, über Schelte zu lachen, in seiner Gier nach Butter Töpfe zu zerbrechen, Kleinkinder zum Weinen zu bringen und seine Bedürfnisse in gerade gesäuberten Häusern zu ver­ richten. Und obwohl Kp�Q.a all diese Dinge vollbringt, so fährt die Frau fort zu klagen, verhält er sich in der Nähe seiner Mutter wie ein vollkommener und gehorsamer Knabe. 1 2 Jiva Gosvä.min erzählt uns im Gopälacampü (16. Jh. n. Chr.), daß Kri�:r:i.a und Balarä.ma vorgeben, ihrer Mutter zu gehorchen, aber sobald sie nicht mehr in Sicht­ weite sind, tun sie, was ihnen gefällt1 3 - auch das Hari­ vamsa weiß ähnliches zu berichten. »Und so spielten sie wie Jungen. . . . Während sie so spielten, glichen sie der Sonne und dem Mond am Him­ mel, von ihren Strahlen durchdrungen. Jeden Ort suchten sie auf - ihre Arme glichen den Schlangen -, und sie erschienen wie zwei stolze, junge, staubbedeckte Elefan­ ten. . . . Manchmal krochen sie auf ihren Knien in Kuh­ ställe und trieben hier ihre Scherze, von Kopf bis Fuß mit Kuhdung beschmiert. Dann fügten sie den Bewohnern von Vraja Schaden zu, und ihre Verwandten erfreuten sich an dem Gelächter der beiden Knaben. . . . Sie waren immer zu Scherzen aufgelegt und ungezogen und be­ trachteten ganz Vraja als ihren Spielplatz. Und Nanda konnte ihrer nicht Herr werden.« 1 4 Besonders auffällig an diesen Schilderungen ist, daß Kri�:r:i.as Streiche, seine Wildheit und seine Mißachtung der Sitten nicht entschuldigt werden. Die Autoren billi-

gen offensichtlich seine Untaten und genießen es, sie be­ sonders herauszustellen und bis in die Einzelheiten aus­ zumalen, denn mit der Spontaneität und der Freiheit des Göttlichen stehen sie in vollkommenem Einklang. Ki;-i�r:ias Verhalten - seine Gleichgültigkeit gegenüber Normen - ist das eines Kindes. Die Scherze eines Kindes und sein schlechtes Benehmen im allgemeinen bedeuten noch keinen Aufstand, denn seine Handlungen sind nur wenig - wenn überhaupt - durchdacht. Das Kind hat sich noch keine sozialen Regeln angeeignet und ist deshalb von ihnen noch nicht eingeengt. Es verhält sich spontan und ungestüm, ohne sich um »Du sollst« und »Du mußt« zu bekümmern. Dem Kind geht es nur darum, unterhal­ ten zu werden oder sich selbst zu vergnügen, und wenn diesem Vorhaben elterliche oder soziale Regelungen im Wege stehen, so geht das Kind durch die Wand und bricht sie ohne Zögern. Das Kind hat die Freiheit, jedem Trieb nachzugeben, in jeglicher Handlung seiner innersten Na­ tur Ausdruck zu verleihen. Im Kind Ki;-i�r:ia drückt sich also die von allen Bedin­ gungen freie Natur des Göttlichen aus, denn Gott, ge­ nauso wie das Kind (in diesem Fall : als ein Kind), gehören einer Welt jenseits von sozialen und moralischen Regeln an, einer Welt, die durch ihre Vollkommenheit jede Ar­ beit überflüssig macht. Sich als Kind zu verkörpern, ist für das Göttliche außerordentlich geeignet, denn beide verhalten sich auf ähnliche Weise. Jeder lebt in einem freudvollen Bereich, angefüllt mit kraftvoller, ungebun­ dener, unberechenbarer Aktivität; zwecklos zwar, aber dennoch bedeutsam, phantasievoll und wertvoll, deshalb kreativ. Im Spiel kann sich der Geist austoben ; die Phan­ tasie hat die Freiheit zu bezaubern und zu siegen. Ist die Welt der Notwendigkeiten erst einmal zurückgelassen,

dann gewinnt die Phantasie die Oberhand, erpicht darauf, eine Welt zu erschaffen, die keine Grenzen kennt. So spielen Kinder und so handeln Götter. Das Kind Ki;i�Q.a wird also in Indien keinesfalls als eine unvollständige, geringere Manifestation des Göttlichen betrachtet, son­ dern in ihm stellt sich komprimiert das Wesen und die Aktivität des Göttlichen dar. Als Jüngling wird Ki;i�Q.a dann zum Führer einer aus­ gelassenen Gruppe von jungen Kuhhirten. Die meiste Zeit verbringen sie in den Wäldern von V i;indävana, ah­ men Tiere nach und spielen miteinander. Nicht länger an ihre Eltern gebunden, schaffen sie sich ihre eigene Welt ­ und Ki;i�Q.a führt ihr Spiel an. »Sie rannten mit den Schatten der Laufvögel um die Wette . . . . Mit jungen Affen kletterten sie in den Zwei­ gen der Bäume. . . . Und mit den hüpfenden Fröschen stürzten sie sich in den Fluß. . . . Einige lachten über ihre eigenen Spiegelbilder und verhöhnten das Echo ihrer ei­ genen Stimmen.« 1 5 Jiva Gosvämin erzählt uns von ihrem »Lärm und Ge­ töse«, von ihrem Verhalten, »den Wilden, die ziellos um­ herlaufen«, gleich. 1 6 Selten kamen sie zur Rune, denn Ruhe und Schweigen entspricht nicht dem Wesen der Jugend. Ihr Körper und ihr Geist fließen über an Energie und Begeisterung, deren natürlicher Ausdruck ihr lär­ mendes, ungestümes Spiel ist. Die folgenden Textstellen verdeutlichen diese unbezähmbare Ruhelosigkeit, die sich in ihren Spielen ausdrückt. »Im Wald begannen einige der jungen Kuhhirten - wie junge Elefanten, die von ihren Ketten befreit wurden - zu

tanzen, singen, lachen und akrobatische Kunststücke vor­ zuführen ; andere wiederum kugelten sich in ihrer Glück­ seligkeit einfach auf dem Boden. Einige dieser Jungen scherzten und andere gaben sich verschiedenen Spielen hin.« 1 7 »Ki;i�Q.a und Balaräma - ihre Köpfe waren so glänzend schwarz wie die federn von Krähen - vertrieben sich ihre Zeit mit Rennen, Springen und Hüpfen ; sie schlugen ihre Arme mit den Händen, sie zogen sich und kämpften mit­ einander.« 18 Das Spiel des Jugendlichen gleicht dem des Kindes, oft­ mals ist es nicht davon zu unterscheiden. Mögen auch die Spiele abwechslungsreicher und vielschichtiger werden, so durchdringt sie doch beide der gleiche sorglose Geist. Besonders hervorzuheben ist die Wildheit des jugendli­ chen Ki;i�Q.a - einige Beschreibungen von Ki;i�Q.a und sei­ nen Freunden ähneln denen einer Horde von wilden jun­ gen Tieren. Johlend toben sie durch den Wald, ahmen sogar die Tiere nach und tummeln sich mit ihnen. Ihre Spiele sind leichtsinnig und vergnügt, ausgelassen und frei. Im Harivainsa wird Ki;i�Q.as Treiben mit »dem Feuer auf einem Verbrennungsplatz« 1 9 verglichen, so züngelnd und lodernd, so kraftvoll und launisch. 2° Ki;i�Q.as Prahle­ rei, Dreistigkeit und Unbezähmbarkeit läßt die Welt um ihn herum vor Lebendigkeit überschäumen. Sein jugend­ liches Spiel erhellt die Welt um ihn wie ein loderndes Feuer die Dunkelheit. Die Scherze Ki;i�I).as und seiner Be­ gleiter, ihr Toben und die Unordnung, die sie hinterlas­ sen, gleichen dem Wind, der mit den Bäumen sein Spiel treibt. Dies ist eine Beschreibung jenes anderen Bereichs, wo die Dinge so sind, wie sie sein sollen, wo das Leben in

Freude und ungehindert seinen Lauf nimmt, wo auf die Zukunft kein Gedanke verschwendet wird, ja, nicht ein­ mal verschwendet zu werden braucht, wo Leben jeden Augenblick bis zur Neige ausgekostet wird. Kti�Q.as ver­ spielter Bereich versinnbildlicht eine himmlische Welt der Götter und die göttliche Aktivität in all ihrer ungezügel­ ten Frische und Erregung. Der glückliche Jüngling ver­ körpert durch sein immerwährendes Spiel die Spontanei­ tät und die Freiheit des Göttlichen auf eine für Hindu­ Götter einzigartige Weise. Im Kind-Gott Kti�Q.a offenbart sich nicht nur die spon­ tane und ungestüme Natur des Göttlichen, sondern ebenso deutlich seine Zugänglichkeit. Im besonderen als Kind (aber auch als Jüngling und Liebender) soll man Kti�Q.a lieben und ihn verwöhnen; mit der Vertrautheit, mit der sich Eltern ihren Kindern nähern, soll man ihm begegnen. Indem sich Gott als ein Kind manifestiert, lädt er die Menschen ein, alle Förmlichkeit und jeden unange­ messenen Respekt beiseitezuschieben, und in aller Offen­ heit zu ihm zu kommen, sich in völliger Vertrautheit an ihm zu erfreuen. Der anbetungswürdige, wunderschöne Knabe, geliebt von allen Menschen in V tindävana und von der gesamten hinduistischen Tradition, verlangt keine Unterwerfung, keinen Prunk und keine Verehrung, wenn man sich ihm nähert. Seine Einfachheit, seine kind­ liche Spontaneität und sein Liebreiz ermutigen zu einem innigen elterlichen Eingehen, so wie es Nanda, Yasodä und die in ihn vernarrten Bewohner des ländlichen Vtin­ dävana zeigten. Einen dritten Aspekt des Göttlichen, den der kindliche Gott andeutet, könnte man als eine transzendente Abge­ schlossenheit von der Welt bezeichnen, die ihren Ur­ sprung in Gottes vollkommener Selbst-Versunkenheit

und seinem gänzlichen Selbst-Entzücken hat. Gott in der Gestalt eines Säuglings oder Kindes regiert die Welt nicht von einem majestätischen Thron herab, sondern zeigt we­ nig oder gar kein Interesse an ihrer Erhaltung. Völlig versunken lebt er in stetigem Selbst-Genuß. Die Welt ist sein Spielfeld oder sein Spielzeug - er erfreut sich an ihr, aber fühlt sich nicht verantwortlich für sie. Der blinde Dichter Sürdäs verdeutlicht dies in einem Gedicht. »Seinen Fuß mit den Händen umfassend lutscht Gopäl an seiner Zehe. Versunken in sein glückliches Spiel liegt er allein in seiner Wiege. Siva beginnt sich zu sorgen, und Brahma wird nachdenklich. Der Banyan-Baum hat Meereshöhe erreicht. Die Dikpatis treiben ihre Elefanten zusammen, denn sie glauben, daß sich die Wolken von Pralaya (der kosmischen Auflösung) am Him­ mel zusammenballen. Die Weisen fühlen Furcht in ihren Herzen, die Erde bebt und die Schlange Se�a öffnet ihre Haube voller Angst. Die Leute von Braj verstehen nicht, was vor sich geht. Sürdäs sagt: er wisse, was geschehen wird und mache sich deshalb Sorgen. « 21

Gott in der Gestalt des Säuglings Ki;i�i:i.a ist so in sein eigenes Spiel vertieft, daß die Welt beginnt, in Unord­ nung zu geraten. Dieser Säugling - also Gott - richtet sein ganzes Treiben ausschließlich darauf, sich selbst zu vergnügen, ohne auch nur einen Gedanken auf die Welt zu verschwenden. Ohne Verantwortungsgefühl für die Aufrechterhaltung der Weltordnung tut er nur das, was ihm gefällt. Der kindliche Gott kennt weder Arbeit noch Verantwortung und verbringt völlig in sich versunken seine Zeit mit Spielen, ganz gleich, ob Welten und Uni­ versum - obwohl im absoluten Sinn abhängig vom kindli­ chen Gott - kommen und gehen, die großen Götter sich sorgen, die Wasser der kosmischen Auslöschung sich aus30

breiten oder die Erde bebt. Das Kind Kri�1,1a in seiner Abgeschiedenheit und Versunkenheit ist ein Zeuge der göttlichen Freiheit und Spontaneität, die die Ordnung der Welt übersteigen. Er verkörpert die innerste Natur des Göttlichen: Selbst-Genuß. Kri$,;tas Spiel mit den Dämonen: Kampf als Scherz

Von Zeit zu Zeit bedrohen Dämonen den sorglosen Auf­ enthalt Kri�1,1as in Vrindävana. Sein böser Onkel Kamsa sandte sie ihm, denn er hatte erfahren, wo sich der Knabe aufhielt, und ihm war vorhergesagt worden, daß Kri�1,1a seinen Untergang herbeiführen würde. Aber sorgloses Spiel und Selbst-Genuß sind die einzigen »Aufgaben« Kri�1,1as in Vrindävana, und die Schrecken erregenden Dä­ monen, die ihn töten sollen, sind nicht nur unfähig, das zaubermächtige Kind zu besiegen, sondern können nicht einmal sein tolles Treiben unterbrechen. Sie werden ein­ fach zu einer neuen Quelle der Unterhaltung für Kri�1,1a. Sie können dem Vergleich mit ihm nicht standhalten, und er verfügt über sie, als ob alles ein Spiel wäre. Er tötet diese machtvollen Wesen gleichsam als einen Teil seiner täglichen Streiche. Jedesmal, wenn ein Dämon im idylli­ schen Vrindävana auftaucht, fertigt er ihn mit Leichtig­ keit und mit spielerischen Ideen ab. Zuerst sandte Kamsa die Dämonin Pütanä, die sich Kri�1,1a als wunderschöne Frau näherte. Sie schwärmte für den Säugling und fragte seine Mutter, ob sie ihm nicht die Brust reichen dürfe. Als ihr Yasodä dieses Vorrecht einräumt, vergiftet Pii.tanä ihre Brustwarzen, um Krig1.a zu töten. Aber das Gift erweist sich als unwirksam, der kleine Kri�1,1a dreht den Spieß um und saugt der Dämonin 31

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das Leben aus. Das nächste Opfer ist der Dämon Trina­ varta. Von Karilsa gesandt, erscheint er in der Form eines ungestümen Wirbelwindes und reißt das Kind in die Lüfte. Aber KP!?Qa macht sich so schwer, daß ihn der Dämon kaum noch in der Höhe halten kann. Schließlich ­ vom Tragen des Kindes fast völlig erschöpft - versucht er, seine Last fallen zu lassen. Aber Kti!?Qa hält sich hartnäk­ kig am Hals des Dämonen fest, so daß Trinavarta ermattet wie ein Fels zu Boden fällt und dort zerschmettert. Kri�Qa besiegt den Dämon Batäsura, der in der Gestalt eines Kalbes auftaucht, indem er ihn am Schwanze packt und an einen Baum wirft. 24 Als der Dämon Vakäsura, der sich in einen riesigen Kranich verwandelt, Kti!?Qa ver­ schluckt, wird der Knabe so heiß, daß der große Vogel ihn wieder ausspucken muß. Sofort greift Kti!?Qa den Dämon an und »(reißt) ihn mit Leichtigkeit wie einen Zweig in Stücke«. 25 Aghäsura, der jüngere Bruder von Pütanä und Batäsura, nimmt die Gestalt einer gewaltigen Schlange an und legt sich mit geöffnetem Maul auf den Boden. Sein Maul ist so groß, daß es die Erde bedeckt und bis zum Himmel reicht. Seine Giftzähne gleichen den Gipfeln der Berge. Da die Kuhjungen den Unhold für die über Vrin­ dävana herrschende Gottheit halten, betreten sie furcht­ los seinen Rachen und werden von ihm verschluckt. Kti!?Qa rettet seine Freunde, indem er sich auch hinunter­ schlucken läßt, sich im Leib der Schlange dann aber so vergrößert, daß sie zerplatzt. 26 Den Dämon Dhenuka in der Gestalt eines riesengroßen Esels tötet Balaräma ; als Dhenukas Verwandte in den Hain kommen, um seinen Tod zu rächen, beschäftigen sich die beiden Brüder ganz nebenbei mit ihnen. 23

J2

»Ki;i�r:ia und Balaräma packen diese angreifenden Esel in vollkommener Lässigkeit bei den Hinterbeinen und schla­ gen sie gegen die Palmen. Darauf war der Boden des Wal­ des mit Kokosnüssen, Palmzweigen und den toten Kör­ pern der Daityas (Dhenuka und seine Verwandten) be­ deckt wie das mit Wolken bedeckte Himmelszelt. « 2 7 Nicht einmal die herumliegenden Leichen der Esel darf die idyllische Schönheit von Vi;indävana beeinträchtigen. Denn der Dichter vergleicht ja ziemlich unpassend diesen Anblick mit einem Himmel voller Wolken ! Und der kleingehackte Leichnam des Scheusals Pütanä verbreitet den süßen Duft von Sandelholz, als er von den Bewoh­ nern von Vi;indävana verbrannt wird; schon die Berüh­ rung Pütanäs mit Ki;i�r:ia erlöste die Dämonin.28 Zurück zu weiteren Eroberungen Ki;i�r:ias : Er demütigt den mürrischen Indra. Als dieser einen Wolkenbruch auf Vi;indävana niederprasseln läßt, um sich für die Mißach­ tung, die die Kuhhirten ihm gegenüber an den Tag legten, zu rächen, bewahrt Ki;i�r:ia die Leute von Vi;indävana vor Schaden. Mit seinem kleinen Finger hält er den Berg Go­ vardhana für sieben Tage wie einen riesigen Regenschirm in die Höhe.2 9 Auch der Dämon Ari�ta, verkleidet als ein Stier, dessen Schritte die Erde beben lassen, ist kein Geg­ ner für Ki;i�r:ia. »Ki;i�r:ia rührte sich nicht von seinem Platz, sondern er­ wartete den baldigen Angriff des Stieres mit einem ver­ gnügten und spöttischen Lächeln auf dem Angesicht. Mit einem Mal sprang er auf ihn, packte ihn an den Hörnern genauso hätte es ein Alligator gemacht - und drückte mit den Knien seine Seiten zusammen . « 30

.3.3

Und so wird Ari�ta zu Tode gequetscht. Der asura Kesi in der Gestalt eines mächtigen Pferdes - er ist so geschwind wie der Geist und schreckt mit seinem Wiehern alle Wel­ ten - wird von Kri�i:i.a einfach durch die Luft geschleudert. Aus der Bewußtlosigkeit erwacht, greift der einfältige Kesi sofort wieder an. Diesmal stößt Kri�i:i.a seinen Arm in das Maul des Dämonen und vergrößert seinen Um­ fang, bis er daran erstickt. 3 1 In seiner wahrscheinlich berühmtesten »Schlacht« in Vrindävana besiegt Kri�i:i.a schließlich die vielköpfige Schlange Kaliya. Sie lebt in einem nahen Fluß, dessen Wasser sie vergiftete und so den Tod vieler Tiere verur­ sachte. Kri�i:i.a betritt den Schauplatz, überblickt die Si­ tuation, klettert auf einen Baum und springt in das ver­ giftete Wasser ; sofort lockt er durch sein Schwimmen und Spielen das Untier heran. Wutentbrannt erhebt sich Kaliya von ihrem Lager unter der Wasseroberfläche - und der Kampf beginnt. Zuerst scheint Kaliya die Oberhand zu gewinnen: sie umfaßt Kri�i:i.a mit ihrem Körper und hält ihn fest - aber dieser treibt nur ein Späßchen mit ihr. Kri�i:i.a befreit sich aus der Umklammerung und beginnt, den Dämon zu umkreisen, bis dieser seine Köpfe vor lau­ ter Erschöpfung kaum noch aufrecht zu halten vermag. Kri�i:i.a packt die Gelegenheit beim Schopf, hüpft auf die Köpfe der Schlange und beginnt zu tanzen. Er trampelt so lange auf ihren Köpfen herum, bis sich jene geschlagen gibt, böse zugerichtet und blutüberströmt, und Kri�Q.a um Gnade anfleht. Auf Bitten von Kaliyas Frauen schenkt Kri�i:i.a ihr das Leben und verbannt sie auf eine Insel im Ozean. 3 2 Der mächtige Kri�i:i.a in der Gestalt eines Kindes ist offensichtlich unbesiegbar, und seine Kämpfe mit Dämo­ nen und Ungeheuern stellen niemals eine ernsthafte Be34

drohung für ihn dar. Er scheint sich während dieser Ge­ fechte nie anzustrengen, sondern spielt eher mit seinen Widersachern. Für ihn sind diese »Schlachten« eine an­ dere Art des Spielens (lilä), eine andere Möglichkeit, sich selbst zu genießen. In V rindaväna kümmert sich Kri�r:ia nicht um die Pflichten der Welt, zu denen der Sieg über Dämonen gehört. Von ihnen herausgefordert, wird er sich nicht untreu, sondern besiegt sie auf spielerische Weise. Der große Spieler läßt sich nicht von seinem Spiel ablenken.

Die Verkörperung von Schönheit und Anmut Ein anderes und sichtbares Merkmal des Kuhhirten Kri�r:ia ist seine unübertreffliche Schönheit. Sie wird nicht nur Kri�r:ia allein zugeschrieben, denn viele indische Göt­ ter sind für ihre Schönheit und ihre Anmut bekannt aber Kri�r:ia übertrifft sie alle. Er verkörpert jene über­ weltliche Anmut, jene staunend machende göttliche Schönheit, die unsere normale Welt übersteigt und alle, die ihrer gewahr werden, in ihren Bann zieht. Jede Pore seines Körpers ist unübertroffen schön und voller Reize, seine Stimme voller Wohlklang und seine Rede so geist­ reich wie keine andere. »Die Rede des Herrn ist auch liebreizend und voll süßem Scherz. Aber das Unheil, das sie anrichtet, ist unaus­ sprechbar. Denn ihre Süße zieht alle Mädchen der Welt in ihren Bann und hält sie gefangen. Ihre Macht ist so groß, daß die Ohren es kaum ertragen.« 33 35

Unübertroffen ist auch sein Wohlgeruch. Eines Tages, als K:ri�i:ta im Wald von seinen Gefährten getrennt wurde, fanden sie ihn ohne Schwierigkeiten wieder, indem sie nur seinem betörenden, unwiderstehlichen Duft folgten. »Wie die Bienen vom Duft der Blumen wurden sie vom Wohlgeruch K:ri�i:tas angezogen und liefen in Scharen zu ihm und berührten ihn.« 34 Selbst seine Nägel werden in den Vai�i:tava-Schriften erwähnt und gepriesen . »Und die weißen Fingernägel des Herrn sind den Monden gleich. Stimmt der Herr seine Flöte an, tanzen kleine Monde auf den Löchern der Flöte, und es scheint, als ob die Töne von den wunderschönen Nägeln des Herrn und nicht von der Flöte herrühren. Und seine Fußnägel gleichen ebenfalls Monden. Sie scheinen zu tanzen, wenn der Herr geht, und die klingen­ den Geräusche, die seine Fußketten erzeugen, tönen wie Lieder, die von den mondgleichen Fußnägeln gesungen werden.« 35 K:ri�i:tas Aussehen im allgemeinen und jedes seiner einzel­ nen Merkmale werden in einer endlosen Reihe von Dich­ tungen beschrieben. Nur seine Gestalt zu sehen, bringt Erlösung, und sie wird deshalb in fast jedem Vai�i:tava­ K:ri�i:ta-Text heraufbeschworen. Immer und immer wie­ der lesen wir von seiner leuchtenden dunklen Hautfarbe, seinen großen dunklen Augen, seinem schwarz gelockten Haar, seinen schimmernden weißen Zähnen und seinen vollen Lippen. Die Verehrer K:ri�i:tas erkennen im Bilde ihres blauen Herrn die Quintessenz der göttlichen Schön­ heit. Das Brahma-vaivarta-purär:,a, ein ziemlich spätes Werk der Vai�i:tavas, beschreibt das blendende Licht, das von K:ri�i:ta ausgeht und von Mystikern und Yogins ver-

ehrt wird. Aber seine Anbeter erkennen in diesem blen­ denden Licht das sogar noch strahlendere und erlösende Bild ihres Lieblings. »Aber die Vai�I).avas verehren das unbeschreibbare, lieb­ reizende Bild Ki;-i�Qas im Zentrum dieses Lichts. Er ist so blau wie der Himmel; seine Augen gleichen Lotusblu­ men; sein Gesicht ist so anmutig wie der herbstliche Voll­ mond ; seine Lippen sind wie bimbas ; das Schimmern seiner Zähne übertrifft den Glanz aller Perlen; ein sanftes Lächeln umspielt seine Lippen. Er hält eine Flöte in seiner Hand. . . . Er ist in gelbe Gewänder gekleidet.« 3 6 Die Anhänger Ki;-i�I).as verehren in dem bezaubernden jungen Kuhhirten von Vi;-indävana, dem lebhaften, über­ schäumenden, graziösen Jüngling nicht nur eine Form des Göttlichen. Dieser dunkelhäutige Jüngling in gelben Ge­ wändern, gekrönt mit einer Pfauenfeder, ist das Göttliche in seiner unverfälschten Form und seiner innersten Natur (svabhäva). Deshalb ist der Jüngling so absolut unwider­ stehlich, geradezu hypnotisierend in seinem Aussehen. Die berühmte Dichterin des 16. Jh., Miräbäi, eine leiden­ schaftliche Anbeterin Ki;-i�Qas, den sie als ihren Gatten bezeichnete, übermittelt uns die Anziehungskraft Ki;-i�I).as in wunderschönen Bildern. » Wie im Sommer der Garten so treibt mein Geist Knos­ pen und blüht ; und der Name jeder Blume ist immer Ki;-i�i:ia. Wie ein Schmetterling im Sonnenschein - strah­ lend von Licht - durch den blauen Himmel schwebt, so tanze ich. In den goldenen Hallen von Brindaban tanze ich vor Ki;-i�Qa, an dessen Augenbrauen Tilakam glänzt. Heiliger Ki;-i�I).a. Von meinen Lippen reiße ich den 37

Schleier und meine sehnenden Brüste biete ich dir dar; in Liebe entflammt tanze ich im Licht des Gesegneten K:r;-i�1_1.a !« 37 Fast alle Vai�1_1.ava-K:r;-i�1_1.a-Werke gleichen sich in dieser Hinsicht. Jedes schwärmt für die körperliche Erscheinung K:r;-i�1_1.as und bezeugt ihre erlösende Kraft. Alle Gläubigen haben nur ein endgültiges Ziel : so lange sie leben, eine Vision von K:r;-i�1_1.a zu erhaschen oder nach dem Tode mit ihm im himmlischen V:r;-indävana zu verweilen. Die Hal­ tung der Gläubigen sollte so sein wie die jener gop"i , die den Schöpfer verfluchte, ihr Augenlider gegeben zu ha­ ben, die sie hindern, K:r;-i�1_1.a ständig zu sehen. 3 8 K:r;-i�:r:i.as Schönheit umfaßt nicht nur seine eigene Er­ scheinung, sondern auch seinen Aufenthaltsort (dhäman) und jene, die mit ihm leben (im besonderen die Kuhhirten in V :r;-indävana). Sie sind ein Teil seiner Natur und vermit­ teln uns deshalb die Schönheit, Anmut und den Zauber des dunkelhäutigen Gottes . Für die Gläubigen K:r;-i�:r:i.as ist V:r;-indävana das endgültige Ziel all ihres spirituellen Stre­ bens. Obwohl V:r;-indävana in den frühen Vai�:r:i.ava-Schrif­ ten wie dem Harivamsa, dem Vi?,:zu-purä,:za und dem Bhägavata-purä,:za nur als der zeitweilige Aufenthaltsort K:r;-i�:r:i.as während seiner Jugend angesehen wird, wurde es zur Zeit des Brahma-vaivarta-purä,:za mit dem höchsten Himmel gleichgesetzt.3 9 Jenseits Sivas Berg Kailasa, jen­ seits des fernen Platzes, wo Brahma in Abgeschiedenheit meditiert, selbst jenseits Vi�r:i-us himmlischen Vaikur:i-tha, außerhalb unserer Vorstellung, im Raum schwebend durch den Willen K:r;-i�:r:i.as - dort ist der höchste Himmel, und er ist völlig eins mit dem über alle Maßen herrlichen, idyllischen Waldstädtchen V:r;-indävana. Genauso wie K:r;-i�:r:i.a in der Form des wunderschönen jugendlichen

Kuhhirten die Stellung des höchsten Gottes, des Erhabe­ nen, erlangte, so verwandelte sich der weltliche Ort seiner Vergnügungen, das bescheidene Vrindävana, in den höchsten Himmel. »Inmitten sphärischen Lichtes . . . ausgehend vom Körper des Mächtigen Wesens (Kri�Q.as) findet sich eine Gegend, genannt Goloka oder Kuh-Welt. Viereckig, verborgen und ausgebreitet über ein Gebiet von 9 x 100 ooo ooo lakh von Meilen, ist sie so lieblich und rund wie der Mond, erbaut mit vielen wertvollen Edelsteinen und in der leere schwebend durch den Willen Gottes - ohne jegliche Stütze. Sie liegt 50 x 100 ooo ooo Yojans über VaikuQ.tha und ist voller Kühe, Kuhhirten, Kuhhirtinnen und Kalpa-Bäumen, wimmelnd von himmlischen Kühen, die jeglichen Wunsch erfüllen; geschmückt mit der Sphäre des Rasa . . . und umgeben von der Wildnis von Vrindä-Vanä; umflossen von Fluß Virajä; geschmückt mit den hundert Gipfeln der Sata-Sringa-Berge und mit unzähligen Herrenhäusern.« 40 Weil Kri�Q.as himmlischer Vergnügungspark identisch ist mit dem Schauplatz seines Aufenthaltes auf Erden, setzen sich seine Freuden dort immerwährend fort. In jenem höchsten Himmel spielt Kri�Q.a als ein Kind, stiehlt er Butter, tollt mit seinen jungen Freunden umher, bläst seine Flöte und tändelt mit den gopis. Alles, was sich in Vrindävana auf Erden abspielt, ist nur ein Spiegelbild des­ sen, was andauernd im himmlischen Vrindävana ge­ schieht. Die Übertragung der ländlichen Umgebung in die erhabenste göttliche Ebene unterstreicht die Tatsache, daß für die Anhänger Kri�Q.as das Göttliche eins ist mit Schönheit und Anmut, denn das himmlische Vrindävana 39

offenbart sich voller natürlicher Schönheit und eleganter Anmut. Auch die Himmel der anderen hinduistischen Götter sind liebliche Orte - überreich bevölkert mit Gruppen von apsarases, siddhas und gandharvas, jenen lieblichen, gra­ ziösen Wesen, die singen, tanzen und die Gottheit unter­ halten. Obwohl im himmlischen Vrindävana jene Wesen nicht existieren, vermindert sich seine Schönheit nicht, denn an diesem zauberhaften Platz verweilen Tausende von jungen Kuhhirten und Kuhhirtinnen, die dieselben Aufgaben erfüllen. Andere Götter und himmlische We­ sen erscheinen nur zu besonderen Gelegenheiten in Vrin­ dävana - sie betrachten und preisen Kri�i:ias Kämpfe mit den Dämonen, sie erfreuen sich an seinem rasa-Tanz mit den gopis, oder sie antworten seiner Flöte - die gopas und gopis aber sind die wichtigsten Hüter von Kfi�i:ias Ver­ gnügungen. Sie sind es in erster Linie, die sie in Gang halten und an ihnen teilnehmen. Sie singen, tanzen, spie­ len und ergötzen sich in erotischen Tandeleien - so wie es die himmlischen Nymphen tun. Tatsächlich sind jene ein­ fachen Leute, wie sie die pura,:zas beschreiben, die himm­ lischen Nymphen in Kri�i:ias Himmel. »Kri�i:ia sang anmutig vertonte Gedichte und tanzte mit den scherzenden und lustigen Frauen von Vräja. Als er begann, mit Rädhä zu tanzen, huben Lalitä und andere sakhis (Freundinen und Begleiterinnen von Rädhä und Kri�i:ia) zu singen an, Chitra und einige Frauen klatschten

im Takt, und Brida und andere schauten zu und begutach­ teten die Schönheit der Lieder und Tanze. Die übrigen Frauen sangen und spielten auf Harfen und anderen In­ strumenten, die Tanzer schützend umkreisend. Die Klänge der Harfen, Gongs, Flöten, Trommeln und die

Stimmen der Frauen tönten harmonisch zusammen. Die Frauen schlugen mit ihren Füßen den Takt; all ihre Bewe­ gungen standen in vollkommenem Einklang mit der Mu­ sik - dort in jenem Hain, wo Kti�r;ta sich vergnügte.« 41 Die frühen purä ,:zas der Vai�r:iavas schildern die gopis als Bauersfrauen, die auf dem Land leben, Kühe hüten und Butter rühren. In der späteren Vai�r:iava-Kti�r:ia-Literatur, z. B. im Brahma-vaivarta-purä,:za und in der Govinda­ liläm rita, sind die meisten ihrer rohen Kanten abgeschlif­ fen. Zuallererst sind sie Kti�r:ias Gespielinnen, und ihre hauptsächliche Aufgabe ist es, ihn zu unterhalten und von ihm unterhalten zu werden. Sie entwickelten sich zu seinen vollendeten Konkubinen, die im Singen und Tan­ zen alle anderen übertreffen. »Diejenigen, die bisher auf Harfen und Flöten spielten, begannen nun zu singen und sorgten so für die musikali­ sche Untermalung des Tanzes. Jene Frauen, die bisher getrommelt hatten, gesellten sich zu den Tanzern und tanzten mit großem Vergnügen. Völlig im Tanzen und Singen versunken lösten sich ihre Haare und Kleider; Kti�r:ia brach den Tanz ab und brachte sie wieder in Ord­ nung. Und wieder sangen die Frauen, keine Tonart aus­ lassend, reine und vermischte rägas, Tausende von Lie­ dern im klassischen und volkstümlichen Stil. Ihre Lieder, von Gongs begleitet, klangen wie das tiefe Donnern der Wolken zur Regenzeit. . . . Der männliche Tanzer war Kti�r:ia, und die Tanzerinnen waren die lieblichen Frauen aus Vräja. Im Zusammenklang ihrer Armbänder, Fuß­ spangen und Ohrringe erfuhren sie höchstes musikali­ sches Glück. Als sie tanzten, sangen die Frauen; die Hal­ tung ihrer Hände drückte ihre Stimmung aus, ihre Lotus41

füße schlugen den Takt, ihre Körper bebten, während sie tanzten, und ihre Augen folgten Kri�r:ia. Ihr Glück, in Kri�r:ias Nähe zu sein, spiegelte sich in seinem Antlitz wider, was sie wiederum beflügelte. « 42 Im Brahma-vaivarta-purä,:za werden die Männer und die Kinder der gopis selten erwähnt. Die gopis arbeiten nie­ mals, sie begleiten Rädhä zu ihrem Stelldichein oder un­ terhalten Kri�r:ia und tummeln sich mit ihm. »Nachdem die Milchmädchen mit Hari in der Sphäre des Rasa gespielt hatten, scherzten sie mit ihm wiederum bei verschiedenen Gelegenheiten und an unterschiedlichen Orten - an einem lieblichen, einsamen Platz in einem Hain voller Blumen, am Ufer eines Flusses, in einer Berg­ höhle, auf einem Verbrennungsplatz, im Wald des heili­ gen Feigenbaumes, in V rindävana, im lieblichen Wald der Kadam und im Wald von Nim. « 43 Die gopis führen Spiele auf und erweisen sich als vollen­ dete Darstellerinnen ; insbesondere lieben sie es, Rädhä und Kri�r:ia nachzuahmen. »Einige Mädchen mit Krügen auf dem Kopf tanzten, an­ dere waren als Mann gekleidet, und wieder andere spiel­ ten die Rolle von Heldinnen, die von den Männern um­ worben wurden. Einige nahmen das Aussehen von Rädhä an und andere das von K�i!?Qa. Einige vergnügten sich miteinander, andere wiederum umarmten ihre Begleite­ rinnen oder spielten. « 44 Obwohl die gopis keine übernatürlichen Wesen sind, die, den apsarases und siddhäs gleich, durch die Lüfte fliegen, 42

so ähneln sie ihnen doch in fast jeder Hinsicht. In diesen späten Vai�r:iava-Ki;i�r:ia-Werken sind die gopzs nicht mehr die einfachen Landfrauen, die voller Freude tagtäglich ihre häuslichen Pflichten erfüllen, sondern die begabten und schelmischen Gespielinnen Ki;i�r:ias, die seinen Hirn mel mit Anmut und Schönheit schmücken. Ein anderer Aspekt Vi;indävanas, der die Anmut und die Harmonie der Welt Ki;i�r:ias betont, ist die Beliebtheit des Tanzes. Dies wurde schon aus vielen bisher zitierten Stellen ersichtlich, aber ich möchte auf Ki;i�r:ia als Tänzer und auf die Bedeutung des Tanzes in seinem Bereich be­ sonders eingehen. Ki;i�r:ia tanzt rhythmisch, wenn er als Kind im Hof seiner Mutter spielt, er tanzt im Wald mit seinen jungen Begleitern, er besiegt die Schlange Kaliya, indem er auf ihren Köpfen tanzt, er tanzt mit Rädhä und mit allen gopzs den Tanz des räsa. In seinem Tanz zeigt sich Ki;i�r:ias vollkommener Zauber und seine unübertrof­ fene Anmut. In den purä,:zas und den späteren Vai�r:iava­ Ki;i�r:ia-Werken ist ihm keines der scharfen, sarkastischen Merkmale des epischen Beraters und Politikers mehr zu eigen. Sein Benehmen ist nicht mehr eindrucksvoll wegen seines Adels, sondern sanft in seiner Schönheit. Seine Gestalt ist anmutig und seine Bewegungen fließend ; und jeden Augenblick offenbart er dies im Tanz. »Syama, ein junger Prinz, der das Spiel des räsa ge­ nießt, (tanzt) mit einer Schar von Jungfrauen. Schnell sind seine Schritte, entzückend die Bewegungen seines Körpers und bezaubernd ist die Musik. Lauten und andere Instrumente bilden die Begleitung. Wundervoll erklingen die Trommeln (mridanga) - tätä, thai thai, thai. Mit sei­ nen lieblichen Fußspangen läßt Kanu eine bezaubernde Musik erschallen, und er singt eine schöne Melodie voller Takt und Harmonie.« 45 43

Als die Verkörperung von Anmut und Freude sind jede seiner Gebärden und all seine Bewegungen rhythmisch und harmonisch. Die Däna-keli-kaurnudi beschreibt ihn als denjenigen, »der vom Gipfel des Berges hernieder steigt, um (die gopis zu treffen und) andauernd zu tan­ zen.« 46 In der Tat sagen einige Vai�Q.ava-Dichter, die Be­ wegungen der Bewohner von V :r;-indävana seien so anmu­ tig wie beim Tanz und ihre Stimmen so melodiös, daß ihre Sprache den Liedern gleiche. »Ein wohlklingendes Lied ist die natürliche Sprache der Leute hier, und ihre natürliche Haltung ist der Tanz.« 47 In jenem himmlischen Paradies K:r;-i�Q.as verlieren Handlungen wie Gehen und Sprechen ihren alltäglichen Sinn und verwandeln sich in Tanz und Gesang, denn dort, wo K:r;-i�1;ta sich aufhält, ist nichts gewöhnlich, nichts grob, nichts schamlos. V :r;-indävana schließlich, als K:r;-i�Q.as Aufenthaltsort, of­ fenbart seine unwiderstehliche Schönheit durch seine ei­ gene natürliche, außergewöhnliche Pracht, die die Vai�1;tava-Dichter unermüdlich beschreiben. Ja, sogar lange Abhandlungen entstanden einzig und allein, um die Schönheiten von V :r;-indävana zu preisen und seine Identi­ tät mit dem höchsten Himmel aufzuzeigen. Besonders Prabodhänanda Sarasvati liebte es, V:r;-indävana zu be­ schreiben und setzte sich die Aufgabe, zehntausend Verse über dieses einzige Thema zu verfassen.48 »Die Flora von V:r;-indävana entzückte mich, jene seltsa­ men und doch so wunderschönen verschiedenen Bäume und Früchte und Blumen tragenden Schlingpflanzen ; verzückt lauschte ich den vor Glückseligkeit trunkenen Liedern von lieblichen Pfauen, Papageien und anderen Vögeln; Teiche, umgeben von grünen Lauben, und die Berge und Flüsse bezauberten mich. Auch die goldenen

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Felder von V �"indävana nahmen mich gefangen, denn die Erde hier besteht aus Kristallen und Edelsteinen aller Ar­ ten, die Bäume und Pflanzen sind überladen mit Blumen und Früchten, Glückseligkeit verbreitend, Vögel singen die süßesten Lieder des Sämaveda, die Wasser der Flüsse, Seen und Teiche sind voller räsa des unbefleckten Be­ wußtseins. Laßt meinen Geist darüber nachsinnen ! In V :i;indävana gleichen die Blätter Smaragden, die Blumen Diamanten, die Sprößlinge und Früchte Rubinen, wäh­ rend die Bäume malerisch in Blüte stehen - unablässig Honig ausschüttend -, und die Blüten sind mit großen schwarzen Bienen bedeckt, glänzenden blauen Edelstei­ nen gleich.« 49 Und so weiter und so weiter . . . In V:i;indävana scheint die Natur selbst, trunken von K:i;i�r:i.a, in Glückseligkeit zu schwelgen, und sie wiederum verzaubert alle Bewohner. Niemand kennt dort Hitze oder Kälte - während der un­ erträglichen Hitze des Sommers schwingt im Waldstädt­ chen weiterhin der Frühling das Zepter. 50 Selbst von Na­ tur aus feindliche Tiere sind hier freundlich zueinander. 5 Und schließlich: Niemand kennt in V:i;indävana Alter und Tod. 1

»V:i;indävana, die Heimstatt seiner Liebesspiele, ist jen­ seits jeglicher Beschreibung; es leuchtet in seinem eige­ nen, innewohnenden Glanz, und seine Natur ist Liebe und Freude. Dort herrscht das Glück, und in jenem Land der unbegrenzten Seligkeit gibt es weder Alter noch Tod noch Schmerz. Hier spielt K:i;i�r:i.a seine reizvollen Liebes­ spiele, ohne je zu enden.« 5 2

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Kri�I).a und seine Begleiter sind für immer jung, und die Natur zermürbt sie nicht, sondern äußert ihre Freude durch jugendliche Stärke. Das endlose Rad von Leben und Tod dreht sich nicht in Kri�I).as Himmel. Es hat ein für allemal aufgehört, sich zu bewegen, um sich allein am Leben zu ergötzen - von Kri�I).as bezaubernder Gegen­ wart sozusagen in Trance versetzt. Der Ruf von Kri?,:zas Flöte Kri�I).as Flöte ist eine Erweiterung seiner Schönheit, denn sie verbreitet nicht nur die wundervollsten Töne, die man sich vorstellen kann, sondern vermittelt auch das Wesen der trunken machenden Natur Kri�I).as. Obwohl er ebenso ein Meister des Gesangs ist, so ist es doch der Ton seiner Flöte, nicht seine Stimme, der in ganz Vrindävana wider­ hallt und alle herbeiruft, sich zu ihm zu gesellen. Die Flöte ist vielleicht das einfachste Musikinstrument - nur ein hohler Stab -, und gerade dies erlaubt Kri�I).a, sich so unverfälscht wie nur irgend möglich auszudrük­ ken. Die Flöte verbreitet einen klaren, einfachen Klang, der sowohl sehr melancholisch als auch von mitreißender Lebendigkeit sein kann. Ob traurig oder fröhlich, ihr rei­ ner Klang scheint seinen Ursprung jenseits des gewöhnli­ chen Getöses zu haben. Inmitten all der Laute der faden Welt strahlt der süße und reine Klang der Flöte, insbeson­ dere der Kri�r:tas, ohne an einem bestimmten Ort zu ver­ weilen. Jener Bereich des Überflusses und der Glückselig­ keit, über den Kri�I).a herrscht, ist ihre Heimstatt. 53 Der Klang von Kri�I).as Flöte ist mehr als nur Melodie, er ist eine Aufforderung, ein Ruf, zu ihm zu kommen. Er ruft die Seelen der Menschen zurück zu ihrem Herrn.

»Die Flöte ist ein Zeichen Ktigtas anziehender Macht . . . . In einem Teil seines Göttlichen Spieles entfaltet es sich in die Verschiedenartigkeit, die die Vielzahl der indi­ viduellen Seelen enthält; aber als ein Teil des gleichen Spieles ruft er die Seelen wieder zurück zu seinem eige­ nen Selbst.« 54 Die Ausstrahlung dieses Rufs - im Einklang mit der Natur Kti�J.Jas - ist unwiderstehlich und bezaubernd. In diesem Gedicht wird ihr Entzücken verbreitender Klang das »Alles-durchdringende Netz« genannt, von dem keine Person und kein Ding unberührt bleibt : »> . . . Die Pfeife (auf der er spielt) ist in ihrem Wesen widersprüchlich, und alle Welt kennt sie als das »Alles­ durchdringende Netz«: von Känu gespielt, ist sie über­ mütig und grausam und für die Mädchen wahrhaftig ein verhexter Irrgarten, weder Fehler noch Tugenden oder Zeit und Pflichten interessieren sie.< Der Herr von Räya Vasanta ist ein Magier: Kann er andere auch nur be­ achten? « 55

Der Ruf seiner Flöte ist anarchisch und bricht alle Wider­ stände, ja, er verhöhnt sie sogar, und es ist am besten, ihre überwältigende Macht an einigen Beispielen zu ver­ deutlichen. Die Vai�J.Java-Werke und Gedichte beschrei­ ben besonders gerne die Wirkung, die Kti�i:ias Flöte auf die gopis ausübt; sind sie doch alle verheiratet, aber völlig machtlos, diesem Ruf zu widerstehen. Ein berühmter Ab­ schnitt aus dem Bhägavata-purä1;ta zeigt dies ganz deut­ lich. »Der Freund der Lilien (der Mond) steigt in vollem Glanz am Himmel auf, dem Gesichte von (Lakshmi) gleich - so 47

rot wie frischer Safran - und überflutet und verfärbt die Haine mit seinem sanften Licht - während Kri�Qa dies alles sah, ließ er seine Flöte erklingen, als wollte er die Herzen der Frauen mit wunderschönen Augen gefangen­ nehmen. Als die zarten Frauen von Braja diese Musik hörten eine Musik, die Begierde und Verlangen erzeugte - waren ihre Herzen Kri�Qa völlig untertan. Ohne sich unterein­ ander von ihren jeweiligen Absichten in Kenntnis zu set­ zen, hasteten sie (die gop,s) zu dem Platz, wo sich ihr Liebling gerade aufhielt. Ihre Ohrringe klapperten, so sehr waren sie in Eile ! Einige Frauen, die gerade ihre Kühe melkten, verließen sie ängstlich, ohne es beendet zu haben. Andere liefen fort, obwohl sie Milch auf der Feu­ erstelle hatten, ohne das Aufkochen abzuwarten. Andere wiederum flogen zu ihm (Kri�t:ta), ohne den Teig, den sie gerade buken, aus dem Ofen zu nehmen. Einige verteilten gerade das Essen in ihrer Familie, andere stillten ihre Babies, aßen oder schminkten sich, wuschen sich oder färbten ihre Augen mit collyrium. All diese Gop1s eilten zu Kri�Q.a in solcher Eile, daß sie ihre Kleider und Schmuckstücke verloren.« 56 Die Gztägovinda beschreibt die Macht von Kri�Q.as Flöte in ähnlicher Weise: »Höre die rasend-machende Melodie der Flöte Des Feindes von Madhu In der Luft tanzen ; er fesselt die freien Mädchen und bestrickt sie mit seinem Zauber.« 57

Der bengalische Dichter Govinda-däsa beschreibt, wie hilflos die gop,s sind, wenn sie Kri�Q.as Flöte hören, und erinnert an die Stelle im Bhägavata-purä,:ia.

»Der Mond (scheint) an herbstlichem Himmel; ein sanf­ tes Lüftchen (weht), die Waldungen sind von Duft der Blumen durchdrungen; mallikä-, mälati- und yüthi-Blu­ men {stehen) in voller Blüte und betrügen die Bienen. Von solch nächtlicher Schönheit überwältigt, trunken vom Zauber der Liebe, hebt Syä.ma an, die fünfte Note {pancama täna) zu spielen, die die Herzen von keuschen Mädchen stiehlt. Die gop"is hören sie, und ihr Herz quillt über von Liebe. Im Geiste bringen sie sich (K:,;i�i:ia) dar und eilen zu ihm, angelockt von der leidenschaftlichen Melodie seiner Flöte. Sie vergessen ihr Heim, sie verges­ sen ihren Körper, (einige haben) nur ein Auge mit colly­ rium bemalt, andere nur einen Arm mit Armreifen ge­ schmückt oder tragen nur einen einzigen Ohrring, und die Knoten ihrer Gürtel sind offen. Die Mädchen rennen so schnell, daß Kleider und Gürtel sich (von ihrem Kör­ per) lösen und ihre Haarknoten am Rücken baumeln. Als sich dann die Freundinnen treffen, nehmen sie keinerlei Notiz voneinander. Auf diese Weise kamen sie zum Mond von Gokula (K:,;i�i:ia). So singt Govinda-däsa. « 5 8 Ein anderes Lieblingsthema der Vai�i:iava-Dichter ist die sogar noch drastischere Wirkung der Flöte auf Rädhä. Der bengalische Dichter des 17. Jh., Vräja-kisora, erzählt, die Flöte hätte Rädhä. so sehr verwirrt, daß sie sich nicht an­ gemessen anziehen konnte. »Rädhä zog sich gerade an (um auszugehen), als die Flöte anhub, ohne Pause zu singen. (Rädhäs) Herz erfüllte sich mit Liebe: sie verlor jegliche Gewalt über ihre Handlun­ gen. Obwohl sie ihr Haar schon geknotet hatte, kämmte sie es noch einmal; sie band ihr Blumengebinde um ihr Bein; sie geriet völlig außer Rand und Band. Ihre Füße

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bemalte sie mit collyrium und ihre Augen mit roter Farbe. Sie drückte näga-latä in ihre Ohrmuscheln, den Gürtel legte sie um ihren Hals, und ihr Halsband um die Hüfte, ihre Fußspangen band sie um ihre Handgelenke und die Armbänder um ihre Knöchel. In solchem Maße trunken rannte Räi schnell davon. Warum ist dieser grau­ same Weg noch nicht zu Ende ? Vräja-kisora singt : (schließlich) endete der Weg, und sie erreichte Nidhuvana jubelnd vor Freude.« 59 Die beiden folgenden Gedichte zeigen die geradezu ge­ walttätige Macht der Flöte. Rädhä wird »zu Boden gewor­ fen«, und die Frauen werden an den Haaren in den Wald geschleift. » Es erklang der erste Ton seiner Flöte zerstört war das Löwentor der Achtung vor den Älteren, zerstört war die Tür des dharma, verloren war der behütete Schatz meiner Sittsamkeit, wie von einem Blitz getroffen, sank ich zu Boden. Oh, ja, sein dunkler Körper, in der tribhanga-Haltung ruhend,6o schoß den Pfeil, der mich durchbohrte ; ehrlos - der Familie verloren, meiner Heimat in Vräja verloren. Nur mein Leben blieb mir - und selbst mein Leben ist einem Hauche gleich, der mich verläßt. So sagt Jagadänanda-däsa. « 61 » Wie kann ich seine unbarmherzige Flöte beschreiben, die tugendhafte Frauen aus ihren Häusern zieht und sie bei den Haaren zu Syäm schleift, genauso wie Hunger und Durst das Reh in die Schlinge treibt ?

Keusche Frauen vergessen ihre Gatten, Weise vergessen ihre Weisheit, und der Efeu löst sich von den Bäumen, wenn diese Musik erklingt. Wie kann dann ein einfaches Milchmädchen diesem Ruf widerstehen? Chandidäsa sagt, Kälä, der Puppenspieler, führt den Tanz. «62

Ki;i�i:ias Flötenruf kümmert sich nicht um diese Welt und deren Sozial- und Sittengesetze; er überfällt die Men­ schen und kann nicht verleugnet werden; er kommt von einer anderen Welt, wo unsere Moral und unser Verhal­ ten keinen Platz haben. Nichts in dieser Welt kann Rädhä und die gopzs abhalten, diesem Ruf zu antworten.63 Die Flöte ruft sie zu einer Welt voller hinreißender Schönheit, ungestümer Feste und ausgelassener Spiele, die die ge­ wöhnliche Welt schal, langweilig und ermüdend erschei­ nen lassen. Selbst die Götter müssen den Klang von Ki;i�i:ias Flöte zur Kenntnis nehmen. Ihre himmlischen Bereiche er­ scheinen leblos, verglichen mit Ki;i�i:ias köstlichem Vi;in­ dävana, und deshalb zieht der Ruf von Ki;i�i:ias Flöte die Himmlischen ebenso unwiderstehlich in seinen Bann. Die himmlischen Mädchen »verlieren alle Geduld und werden unvernünftig« 64 ; die Götter »verlieren ihr Bewußtsein, wenn sie jenen harmonischen Tonfolgen zuhören (und) senken ihre Köpfe und konzentrieren ihre Herzen, um der Musik besser folgen zu können.« 65 »Plötzlich verbreitete sich der Klang seiner Flöte in alle Winkel; er erstaunte die Wolken, wie ein Wunder schlug er ein in den Herzen von Tumburu und anderen gandhar ­ vas, er rief »Halt« zu den Herzen von Sananda und ande­ ren Weisen, die in ihre Meditation versunken waren. Er 51

verblüffte den Herrn Brahma und vermehrte den Jubel des Königs Vali. Und nicht zuletzt verwirrte er die Gedan­ ken von Ananta, dem König der Schlangen (der uranfäng­ lichen Grundlage des Universums, auf der Vi�r;iu während der langen kosmischen Nacht schlummert} , in liebende Verblendung; wahrhaftig, er durchdrang alles bis zum tiefsten Grund aller Schöpfung.« 66 »Der süße Klang, den seine Flöte hervorbringt, ist erha­ ben und mächtig. Er verbreitet sich dem Blitze gleich in alle Himmelsrichtungen. Er durchdringt die gesamte Schöpfung und erreicht den höchsten Himmel, den alle als Vaikur:itha kennen. Von diesem Himmel antwortet er mit fürchterlicher, alles erschütternder Macht und durchdringt alle Ohren der Schöpfung und entzückt sie.« 67 Der Klang der Flöte Ki;i�r;ias ist nicht von dieser Welt; seine Schwingungen erfüllen die Himmel und lenken selbst die Götter von ihren üblichen Beschäftigungen ab. Auch die Natur bleibt nicht unberührt - spielt Ki;i�r:ia seine Flöte, dann vergießen der Fluß und das Schilfrohr, wo die Flöte wuchs, Tränen der Entzückung.68 Wenn die Wolken seine Flöte hören, dann schweben sie über ihm, um ihm Schatten zu gewähren und ihn mit kühlenden Tropfen frischen Wassers zu benetzen. 69 Flüsse verlangsa­ men ihren Lauf, wenn sie seine Flöte hören und lassen Lotusblumen für ihn wachsen. 70 Das Reh im Wald hört seine Flöte und unterbricht seinen Lauf, Ohren gespitzt, aufmerksam und bewegungslos.71 Die gesamte Schöpfung ist in diesen Klang versunken. »Als mein Dunkelhäutiger die Flöte an die Lippen setzte, wurden die Weisen in ihrer Ekstase gestört, die

Wagen der Götter hielten an, und ihre Gattinnen erstarr­ ten zu Statuen. Die Planeten und Sterne verließen ihre Plätze nicht - festgehalten von diesem Klang. Freude stieg auf, und alles Unbewegliche auf Wasser und Erde bewegte sich, um das Lied der Venu (Flöte) zu hören. Aus den Steinen sprudelten Quellen hervor, und jene süßen Lie­ der bezauberten die göttlichen Sänger. Die Vögel und Tiere wurden still und vergaßen ihr Fressen, tranken keine Milch und verloren jegliche Geduld. Die Bäume und Schlingpflanzen wurden ruhelos, brachten neue Blät­ ter hervor und scheuten sich, in seiner Nähe zu sein. Diejenigen Pflanzen, die gerade Knospen trieben, als das Schaudern der Freude ansetzte, vergossen Tränen der Liebe. Der ruhelose Wind beruhigte sich, und die Wasser des Flusses konnten nicht fließen.72 Selbst Kti�Q.a ist gegen den Klang seiner Flöte nicht ge­ feit : In diesem Gedicht von Sürdäs ist K{i�Q.a trunken, bezaubert und entzückt von seinem eigenen unwidersteh­ lichen Ruf. »Der Flöte ist es geglückt. Sie behält alles für sich und beraubt uns Des Nektars von Haris Lippen. Nandas Sohn (Ki;i�i:ia) steht unter dem Einfluß ihres Klangs. Sie hat ihn behext. Belebtes und Unbelebtes, Bewegliches und Unbewegliches, ja, selbst der Gott der Liebe sind in ihrem Zauber gefangen. Sie verwirrte alle, auch jene, die nur schwerlich zu stören. Das Milchmädchen sagt, der Herr, die Krone der Weisen,

sei in ihre Hände gefallen.« 73

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Durch seine Flöte erfüllt Kti�i:i.a sich selbst und das ge­ samte Universum mit Glückseligkeit. Jeder und jedes wird durch ihn von seiner normalen Tatigkeit abgelenkt und in einen ekstatischen Rausch versetzt. Seine Flöte läßt die gesamte Schöpfung bis in ihre Grundfesten hin­ ein vor Entzücken beben. Die Naturgesetze stürzen wie Felsen, die Bäume antworten seinem Ruf, und die Sterne verlassen ihre Bahnen. Der Klang seiner Flöte setzt den mechanischen, gewöhnlichen Tatigkeiten der Menschen und den vorhersehbaren Bewegungen der Natur ein jähes Ende. Seine Musik zerbirst mit aller Gewalt über dieser Erde und dieser Gesellschaft, so daß alles andere verges­ sen werden muß. Jetzt ist es Zeit, so verkündet sie, in seine Symphonie der Freude einzustimmen, in den Wal­ dem herumzutollen, im Spiel herumzujagen und jeden Traum zu verwirklichen, den man in Kri�:r:i.as Welt der unbegrenzten Möglichkeiten jemals geträumt hat. Kri�i:i.as Flöte spornt die Welt an zu tanzen und sich im wogenden Rhythmus zu verlieren. Sie lädt die Menschen ein, zu dem sorglosen, spielerischen Zustand seiner Ju­ gend zurückzukehren. Sie verlangt nichts anderes, als Unterwerfung unter ihre rasende Klangfolge und begei­ sterte Teilnahme an ihrer magischen Welt. Kri�i:i.a ist der Meister aller Magier, der Herrscher über ein Märchen­ land, und sein Zauberstab ist die Flöte. Der Göttliche Liebende

Der bezaubernde, jugendliche Gott, der alle durch seine Schönheit in Entzücken versetzt und alle Schöpfung mit dem Klang seiner Flöte verführt, ist der Held der Liebes­ ti/ä von Vrindävana, des Mittelpunkts des Kri�i:i.a-Kultes. 54

Auch andere Hindu-Götter schwelgen in den Ablenkun­ gen der Liebe und in erotischen Tandeleien, aber Krig1a überragt sie alle als der Göttliche Liebende. In seiner Liebe zu Rädhä und den gopis verleiht er der reizvollen und vielschichtigen Natur der Beziehung zwischen Gott und Mensch Ausdruck, die sich in ekstatischer Anbetung offenbart. Die Liebesbeziehungen Krig1as lassen sich im allge­ meinen folgendermaßen beschreiben: zum einen in Be­ ziehung zu Rädhä allein oder zu einer bestimmten gopi oder in Beziehung zu den gopis insgesamt. Der erste Ty­ pus ist persönlicher und vielschichtiger, mit vielen ver­ schiedenen Stimmungen und Situationen, der zweite da­ gegen wird in den verschiedenen Vai�Q.ava-Texten immer gleichartig beschrieben: ausgelassen, fröhlich und über­ mütig. Ein wiederholt auftauchendes Merkmal der Liebe zwi­ schen Rädhä und Kri�Q.a, ja, jeder Liebe im allgemeinen, ist ihr Schauplatz abseits der Welt, in einer idealen Welt, die die gewöhnliche scheut. 74 Sie lieben sich innerhalb eines magischen Kreises, wo sich alles, was sie sehen, tun und sind, verwandelt. Ihre gesamte Beziehung entfaltet sich innerhalb der idyllischen Lauben von V rindävana, fern und außerhalb der Welt mit ihren sozialen Pflichten und traditionellen Werbungen. Sie ist spielerisch, manch­ mal vergnüglich und immer vertraulich. Sie wird als eine ideale Beziehung zwischen Mensch und Gott beschrieben - wie im Paradies vor dem Sündenfall. Jede Nuance, jede Stimmung und jede kleinste Begebenheit wird von den Gläubigen und den Vai�Q.ava-Texten geschätzt und geliebt. Vor dem Erwachen der Liebe, oder der Stimmung der ersten Liebe (pürva-räga), zeigt Rädhä ein belustigendes 55

Gehabe - eine Mischung aus Mädchen und Frau, aus Neugier und Schüchternheit; noch nicht Frau, und doch nicht mehr Mädchen. Kichert sie in einem Moment wie ein junges Mädchen, so versinkt sie im nächsten in Schwermut. Ihre naive, mädchenhafte Frechheit und ihre frauliche Zurückhaltung geben ihr einen unwiderstehli­ chen Zauber - lieblich und amüsant zur gleichen Zeit. Die Vai�i;tava-Dichter lieben es ganz besonders, sie zu be­ schreiben. »Das Mädchen und die Frau verbunden in einem Wesen ; das Mädchen hebt seine Haare in die Höhe, die Frau läßt sie herunterfallen, um ihre Brüste zu bedecken ; das Mädchen entblößt seine Arme, seine langen Beine - unschuldig und kühn ; die Frau hüllt sich sittsam in ihren Schal, ihr offener Blick ein wenig verhüllt. Ruhelose Füße, ein rosiger Glanz auf den jungen Brüsten, verraten die Rastlosigkeit ihres Herzens: hinter ihren geschlossenen Augen erwacht Käma (der Gott der Liebe), geboren aus der Vorstellung, der Gott. Vidyäpati sagt: Krig1a, Bräutigam, sei geduldig, sie wird zu Dir geführt werden.« 75

Ebenso spielerisch in diesem frühen Stadium der Liebe ist Rädhäs Scheu, unüberlegt und doch genau geplant. Eine Freundin brachte sie zu Ki;i�i;ta, und sie wird gleich zum ersten Mal mit ihm allein bleiben. »Sie berührte den Saum des Saris ihrer Freundin, aufgeregt und ängstlich, sie saß ganz hart am Rande von Kri�i:ias Bett, und als ihre Freundin ging, wollte auch sie fort -

Ki;i�i:ia aber, voller Verlangen, versperrte ihr den Weg. Er war betört, sie verwirrt ; er war geschickt, sie naiv. Er streckte seine Hand aus um sie zu berühren; sie stieß sie schnell beiseite. Er schaute ihr in die Augen, sie füllten sich mit Tränen. Er preßte sie an sich, sie bebte am ganzen Körper und verbarg ihr Gesicht vor seinen Küssen mit dem Saum ihres Saris. Dann legte sie sich nieder, ängstlich, wunderschön wie eine Puppe ; sie schwebte wie eine Biene um einen Lotus in einem Gemälde. Govinda-däsa sagt: Deswegen, trunken in der Quelle ihrer Schönheit, wandelte sich Ki;i�i:ias Verlangen. « 76

Hier ist Rädhäs Schüchternheit natürlich; im folgenden Gedicht dagegen weist sie ihr Vermittler an, Schüchtern­ heit als ein Mittel im Spiel der Liebe anzuwenden : »Zuerst wirst du dein Haar schmücken und (deinen Körper) mit (Sandal)creme einreiben, dann deine unruhigen Augen mit collyrium bemalen. Deinen gesamten Körper wirst du mit Tüchern verhüllen. Halte dich entfernt von ihm, so daß er (von ganzem Herzen) verlangt, bei dir zu sein. 0 Jungfrau, nach außen hin wirst du dich als schüchtern erweisen, doch deine Seitenblicke werden Begierde in ihm wachrufen. Eine deiner Brüste wirst du verhüllen, die andere wirst du entblößen. Jeden Augenblick wirst du den Knoten deines unteren Gewandes fester ziehen. Du wirst dich ärgerlich zeigen und (ihm) dann ein wenig Liebe schenken. Du wirst deine Gefühle zurückhalten, so daß er immer und immer wieder kommen muß. 0 Jungfrau, welche weiteren Einweisungen in die Wissenschaft der Liebe soll ich dir geben ? Verlangen selbst wird dein Führer werden und wird dir alles sagen: so spricht Vidyäpati.« 77

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Das Wesen der Liebe - oder genauer der Werbung - als ein Spiel wird hier ganz deutlich. Schüchternheit und spöttische Ablehnung erhöhen den Zweifel, wer wohl »gewinnen« wird. Dadurch gelingt es Rädhä, Ki;-ig1as Ge­ fühle ans Licht zu bringen, bevor sie sich ihm wirklich darbringt. Sie zwingt Ktig1a dadurch, sich als erster zu offenbaren. Neckische Streitereien und Ausbrüche von Gereiztheit durchziehen das Liebesspiel von Rädhä und Kti�r:ta und geben ihrer Liebelei einen gewissen frivolen Zauber. Ein gutes Beispiel ist der folgende Abschnitt aus dem Brahma-vaivarta-purä,:za : »Der Fachmann Kti�r:ta entblößt Rädhä spielerisch ihrer Kleider und Schmuckstücke; und Rädhä entkleidet ihn seines Kopfschmuckes und seines Gewandes. Da beide dieses Spiel beherrschten, erwuchs keinem von ihnen Schmerz. Kti�r:ta entwand ihren Händen den Spiegel; sie entreißt ihm seine melodische Flöte. Rädhä entzückte den Geist Kti�r:tas, und Kti�r:ta bezauberte ihr Herz. Als dieser Kampf der Liebe beendet war, gab die schrägblickende Rädhä ihm seine Flöte zurück; Kti�r:ta gab ihr den Spiegel und den Lotus, ihre Spielzeuge, wieder, knotete ihr Haar und zeichnete ihre Stirn mit Zinnoberrot.« 78 Von Zeit zu Zeit zeigt einer von beiden einen Anflug von Groll oder heuchelt Gleichgültigkeit. Im folgenden Ge­ dicht spricht Rädhä mit finsterer Miene zu einem Boten Kri!?Q.as, einer alten Frau, verärgert über Ki;-i!?Q.a, der es für nötig hält, einen Vermittler zu gebrauchen : »Von dem Augenblick an, an dem sich unsere Blicke kreuzten, wuchs unser Verlangen. Nicht er allein war der Verlangende, nicht ich allein war die Begehrte: die Leidenschaft vermischte unsere Herzen in ihrem Mörser.

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0 Freundin, vergiß nicht, in Kri�i:ta die Erinnerung wachzurufen, wie es damals war. Ja, zu dieser Zeit benötigten wir keinen Boten, da suchten wir nur unsere Lippen für unsere Liebe. Der Gott der Liebe selbst vereinigte uns, jener mit den fünf Pfeilen . . . Aber jetzt hat sich mein göttlicher Liebender neue Manieren ange­ wöhnt, Jetzt schickt er dich, den Herold seiner Gleichgültigkeit ! Auf diese Art, mit zunehmendem Ärger, einem König gleich, singt der Dichter Rämänanda Räy.« 79

Und in diesem Gedicht hat Rädhäs Groll einen Punkt erreicht, wo sie in ihrem Schmollen K:ri�Q.as Bitten ver­ höhnt und ihn gebieterisch des Weges schickt : »Die Abdrücke von Fingernägeln sind auf deiner Brust und mein Herz brennt. Die Farbe der Augen einer anderen auf deinen Lippen verdüstert mein Gesicht. Ich wache die ganze Nacht ; deine Augen sind rot, warum bittest du mich dann, Kän, und sagst mir, daß wir beide ein Herz und eine Seele sind ? Du kommst mit Scherzen auf der Zunge, während ich in Tränen ausbrechen möchte. ,Nur unsere Körper sind getrennt !, Aber der meine ist hell, und deiner ist dunkel. So geh - sagt Govinda-däsa.« Bo

Die Aussöhnungen, die solchen Streitigkeiten und Anflü­ gen von Groll immer folgen, sind häufig spaßhafter Na­ tur und zeigen, daß der frühere Ärger nur gespielt war. »Angekommen, öffnete Madhava die Tür des Zimmers, in dem sich Rädhä ausruhte.

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Müde und deswegen ärgerlich blickte sie (ihn) mit einem unterdrück­ tem Lächeln an ; (ihr Gesicht) glich dem wachsenden Halbmond (am Firmament). Rädhä begann sich zu beklagen und sprach zu Madhava : Wer übertrifft mich an Jugend, Schönheit, Verwirklichung oder in irgendeiner anderen Eigenschaft ? Welches Mädchen ist vollkomme­ ner als ich ? »Ich verspätete mich in Mathura.« Warum sandtest du dann keinen Boten ? » Ich traf dort einige Händler und schlief dann ein. « Dein Geist ist launisch: er ist nicht stetig: du bist nicht ernsthaft. Sie warf ihm Seitenblicke zu, und leise lächelnd (sagte sie), dein Körper ist selbst innen schwarz. Vidyäpati spricht.« 81

Im folgenden Abschnitt aus der Rasikapriyä versöhnt sich Rädhä von sich aus auf gewundenen und entzücken­ den Pfaden : »Rädhä kam lächelnd zu Ki;-i�Q.a und sang ihm eine Lie­ besgeschichte. Daraufhin bat sie ihn, ihr die Bedeutung einiger Abschnitte dieser Geschichte zu erläutern: das gleichzeitige Genießen des Nektars aus dem Mund der beiden Liebenden, und von anderen Teilen des Körpers, die darauf Liebesbisse und -kratzer zu erdulden hatten. Ihn in ihre Umarmung einschließend fragte sie auch noch auf Ehrenwort, auf welche Weise sich die Liebenden in dieser Geschichte umarmten. So setzte Rädhä ihrem Streit mit Ki;-i�Q.a heute selbst ein Ende.« 82 Die Liebesgeschichte zwischen Rädhä und Kri�Q.a ist vol­ ler Lachen und Scherzen, die ihr einen Duft von Heiter­ keit verleihen. »In jenem bezaubernden Garten am Ya­ munä, wo der Südwind blies, dort scherzten und sprachen sie vertraulich miteinander und vergnügten sich.« 83 Diese 60

Helligkeit beherrscht ihre Liebe bis zur fast völligen Aus­ schaltung der schwülen, bedrückenden Aspekte. Der Bit­ terkeit von gegenseitigen Beschuldigungen, Schuld oder Verletzungen des anderen wird es niemals gestattet, ihre Beziehung zu färben. Es ist, als ob diese lautere Liebe nichts zu tun hätte mit jener Welt der Bosheit und der Eifersucht. In diesem magischen Kreis sind alle Dinge hell und heiter. Ärger und Groll währen nur kurz und dienen nur dazu, die Glückseligkeit der Versöhnung zu steigern. Keiner der beiden Liebenden ist auf Dauer verletzt. Auch ihrer Zwiesprache unterliegt jener lichte und spielerische Ton der Beziehung. Besonders K:ri�i:t.a verkör­ pert den geschickten, sportlichen jungen Mann, dessen Stärke die humorvolle Unterhaltung ist. Die Dramen der bengalischen Vai�r:iavas, die K:ri�r:ia schildern, zeigen dies deutlich. Während die Dramen häufig auf Moralpredigten zurückgreifen, um die Überlegenheit von bhakti zu zei­ gen, genießen sie es, K:ri�I)a als einen witzigen Helden darzustellen, der seine Zeit damit verbringt, seine Freunde zu unterhalten, die gop""is zu ärgern _und an der Nase herumzuführen und sich mit Rädhä zu necken. 84 Die Spielereien und Neckereien in der Liebesbeziehung zwischen K:ri�I)a und Rädhä unterstreichen die Tatsache, daß sich ihre Liebe in einer Welt abspielt, die weit ent­ fernt ist von der rohen Welt voller Arbeit und quälenden Pflichten. Und innerhalb dieses berückenden Bereiches ihrer Liebe findet jeder, insbesondere Rädhä, eine neue Freiheit. Durch diese Liebe kann sie schließlich ihre tief­ sten Gefühle ausdrücken und sich in der Vertrautheit mit K:ri�I)a ihr Verlangen und ihre geheimsten Träume er­ füllen.

»Die liebliche Rädhä saß auf (K:i;i�Q.as) Schoß. Die zwei (Liebenden) waren in ihre jugendliche Frische vertieft; rasend vor Liebe umarmten sie sich gegenseitig, so wie eine goldene Schlingpflanze sich um einen tamäla-Baum rankt. Ihre Augen flackerten im ekstatischen Liebes­ rausch. . . . Ihre Lieblichkeit spiegelte sich auf beider Au­ gen wider, und der Mond verschwand bei ihrem Anblick vom Himmel. (K:i;i�Q.as) Hände bedeckten die beiden gol­ denen Becher (Rädhäs Brüste). lachend sprachen sie von ihren geheimen Gefühlen.« 85 Vidyäpati vergleicht im folgenden Gedicht die Fesseln der Liebe mit einem Netz, aber in diesem Netz findet Räd­ hä ihre Freiheit : »Als ich mich dem Lager nähere, Lächelt er und betrachtet mich. Blumen-Pfeile erfüllen die Welt. Das Vergnügen der Liebe, Ihre Glut und das Behagen, das sie schenkt, Sind unbeschreiblich, mein Freund, Und wenn ich mich ihm hingebe, Ist seine Freude unendlich . Mich meines Kleides entledigend, Greift er nach meinem Blumengebinde. Mein niedergeschlagener Geist Wird von allen Grenzen befreit, Obwohl mein Leben gefangen ist Im Netz seiner Liebe. Er trinkt von meinen Lippen.

Mit bebendem Herzen Entkleidet er mich . Ich verliere meinen Körper, Wenn er mich berührt ; Ich will mich vergewissern, Doch vertraue seiner Liebe.

So spricht Vidyäpati: Der Süße des Honigs gleich Sind die Worte eines liebenden Mädchens.« 86

Die Flut der Gefühle, die die beiden Liebenden überwäl­ tigt - mögen sie sich nah sein oder fern - ist ein volks­ tümliches Thema der Vai�I)ava-Literatur. Die Dichter lie­ ben es, den verwirrten Geisteszustand Rädhäs zu be­ schreiben, ihre sich schnell ändernden Stimmungen oder ihr hoffnungslos eindeutiges Verhalten, wenn sie sich be­ müht, diskret zu sein. In der Rasikapriyä spricht Kesav Däs von vibhrama-bhäva, oder Aufregung, als eines der äußeren Anzeichen von Liebe. Als Beispiel beschreibt er den Zustand Rädhäs, wenn sie die Flöte Ki;-i�IJas hört. Sie bindet ihr Halsband um ihre Hüfte, ihre Ohrringe an ihre Hände und verliert jegliche Gewalt über ihre Sinne. Und sobald Ki;-i�I)a Rädhä erblickt, spuckt er den Betel in seine Hände und beginnt, auf einem Lotus zu kauen. 87 Den Höhepunkt ihrer Gefühle erreichen die Liebenden, wenn sie, völlig miteinander verschmolzen, ihre Liebe in den Lauben von V i;-indävana genießen. Dann kennen sie keine Scham mehr, sie verhalten sich leidenschaftlich, rasend und trunken, völlig eingeschlossen in ihre eigene beson­ dere Welt. Im folgenden Gedicht verliert Rädhä alle Scheu und übernimmt die aktive Rolle im Liebesspiel : » Ihre großen Locken sind zerzaust; sie ist die Göttin der Liebe, ihre Verkörperung und Herabkunft. Beider Leiden­ schaft ist keiner Begrenzung unterworfen. So handelt das Mädchen wie ein Mann. . . . Ihre Vasen-gleichen Brüste sind nach unten gewandt, als ob der Gott der Liebe den Liebesnektar ausschenkt. Auf ihnen ruhen die Hände des zärtlichsten (Liebenden), so wie cakraväkas auf Lotusblu-

men sitzen würden. Die Reifen und Glocken klingeln, als ob der Gott der Liebe ein Band der Freude gezogen hätte.« 88 Im nächsten Gedicht verliert Rädhä alle Sittsamkeit, wenn sie Krigia nur erblickt - so versunken ist sie in ihn, daß sie in allem nur Kri�I)a erkennt. »Sie sah ihn, und ihre Augen entflohen (ihrem Gesicht) : es schien, als ob der Lotus die Sonne abgeworfen hatte und weglief. Der Mond und die Lilie begegneten einander. Ich könnte den Ausdruck der Liebe durch ein Kunststück verbergen. 0 Herrin, ich sah Madhava heute. Ihre Bedeutung aufgebend, verschwand meine Scham. Der Knoten meines Untergewandes löste sich und es fiel zu Boden. Ich verbarg meinen Körper unter meinem Körper. Selbst mein eigenes Herz schien im Körper einer anderen zu pochen. überall sah ich K,;-i�i:ia und K,;-i�i:ia allein. So spricht Vidyäpati.« 89

Die Liebenden sind so voneinander gefangen genommen, daß sie dem gewöhnlichen Leben kaum gewachsen sind. Die Rasikapriyä beschreibt Rädhäs verwirrten und abwe­ senden Geisteszustand : »Sie starrt wie verschreckt ; ihr Herz klopft heftig, und sieht sie ihren eigenen Schatten, so verliert sie sich in Gedanken. Ihre Antworten passen nicht zu den Fragen; getrennt von ihm ist sie ein völlig verwandeltes Wesen. . . . In solcher Weise verwirrt, kümmert sie weder ihr Schleier noch ihre Kleider oder ihr Schmuck.« 90

Im folgenden finden wir eine Beschreibung von Ki;i�Qas Geisteszustand, und jener ist genauso offenkundig beein­ flußt wie der Rädhäs - das Göttliche ist also genauso hoffnungslos und hilflos in diese göttlich-menschliche Liebesbeziehung hineingezogen.Rädhäs Freundin spricht zu ihr, kurz nachdem sie Ki;i�l)a gesehen hatte : »Tränen in den Augen und verstört blickt er umher, auf einmal starrt er wie gebannt und läuft dann schnell da­ von. Ständig ist er in Gedanken versunken - sein Geist ist verstört, das Blut in seinen Adern kocht. Manchmal lacht er, manchmal weint er. Mit Angst in den Gliedern und mit aufgeregten Gedanken eilte ich zu dir, um dich von seinem Zustand zu unterrichten. Er spricht so wirr, daß ich fürchte, das Geheimnis seiner Liebe zu dir wird nicht geheim bleiben.« 91 Der Bereich, in dem sich die Liebesbeziehung zwischen Rädhä und Ki;i�l)a abspielt, ist ein Bereich der Freude. Ihre Liebe ist ein herrliches Fest, das es Rädhä ermög­ licht, vollkommen in jene außerordentliche, jenseitige Welt des Göttlichen einzutauchen, - eine Welt, die eins ist mit der Glückseligkeit. Rädhä singt: »Der Mond schien auf mich herab, das Gesicht meines Geliebten. 0 Nacht der Freude ! Freude durchdringt alle Dinge. Mein Leben : Freude, meine Jugend: Erfüllung. Heute ist mein Haus wieder Heimat, heute ist mein Körper mein Körper.

Der Schicksalsgott lächelt mich an. Jeglicher Zweifel verflogen. Laß die Nachtigallen singen, dann, laß Myriaden von Monden aufsteigen, laß die fünf Pfeile Kämas zu fünftausend werden und laß den Südwind sanft, ganz sanft wehen ; denn jetzt ist mein Körper bedeutungsvoll in der Gegenwart meines Geliebten. Vidyäpati sagt, Dein Glück ist groß: das Wiedererwachen der Liebe sei gesegnet.« 92

Die Freude des Liebespaares ist auch die Freude der goprs in Vrindävana. Wenn wir uns der zweiten Art der Liebes­ spiele Kti�i:,.as zuwenden, so finden wir hier die Hauptper­ son in Kri�i:,.a als dem Leiter eines rauschenden Festes der Liebe. Er facht es an, führt es, genießt es und ist bei weitem der vollkommenste dabei. Mit seiner Flöte ruft er die Frauen von V rindävana zu seiner abgeschlossenen Welt, wo allein Rausch und Übermut, Freude und ausge­ lassene Vergnügungen herrschen. Besonders das Brahma-vaivarta-purä,:ra erfreut sich daran, die Vergnü­ gungen Kri�i:,.as mit hunderten von goprs im Hain von V rindävana zu beschreiben. »Einige der Kuhhirtinnen . . . raubten im Spaß Kri�i:,.a die Flöte, dann zogen sie ihm sein gelbes Gewand aus. Einige leidenschaftliche Mädchen entkleideten ihn völlig, ent­ wanden ihm sein gelbes Kleid und gaben es ihm dann im Scherz wieder zurück. . . . Einige zeigten ihm absichtlich ihre lächelnden, dem Monde gleichen Gesichter, ihre vol­ len Brüste und reizenden Hüften . . . . Einige packten sei­ nen Haarschopf und krönten ihn mit einem Pfauengefie-

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der; andere schmückten seinen Kopf mit einem Blumen­ gewinde, und andere fächelten dem Herrn ihrer Leben mit weißen chowries Kühlung zu. . . . Einige tanzten und sangen mit Kti�Q.a in ihrer Mitte; andere zwangen ihn zu tanzen. Auch Kti�Q.a entkleidete hin und wieder im Spaß eine gopi; war sie dann nackt, gab er ihr die Kleider wie­ der zurück.« 93 Der Text fährt fort, eine immer wilder werdende Szene zu beschreiben, in der sich die gopis in ihrer Ekstase all ihrer Kleider entledigen. Und Kti�Q.a, umgeben von all diesen leidenschaftlichen Frauen, liebkost sie alle und schenkt jeder seine Liebe. Auf dem Höhepunkt ihrer Liebesfeier erscheinen selbst die Götter, um zuzuschauen. 94 Der Go­ vinda-tilämrita beschreibt genauso deutlich wie das Brahma-vaivarta-purä,:za die Liebesspiele Kti�Q.as mit den gopis. »Kti�Q.a tanzte. Er unterbrach und bewunderte die Mäd­ chen. Einige küßte er auf die Wangen und Lippen, andere betrachtete er mit Verlangen und streichelte die Brüste einiger gopis, mit seinen Nägeln ein Zeichen hinterlas­ send. In diesem Spiel des räsa hat er Geschlechtsverkehr mit Rädhä und anderen, und hatte somit Verkehr mit sich selbst.« 95 Der letzte Satz dieses Abschnittes weist auf eine beson­ dere Lehre der bengalischen Vai�Q�vas hin, die die gopis mit Kti�Qas eigenen saktis (aktiven Erscheinungsformen) gleichsetzen. Im Liebesspiel mit ihnen genießt er sich des­ halb selbst. Die Govinda-lilämrita verdeutlicht dies an anderer Stelle: sie vergleicht Kti�Q.as Spiele mit den gopis mit einem Jungen, der mit seinem Spiegelbild spielt.

»Ki;i�f,la ließ auf diese Weise seine eigenen Gattinnen, die lieblichen Frauen von Vräja, singen und tanzen, und auch sie machten ihn tanzen und singen - niemand übertraf ihn darin. Er pries sie, und sie priesen ihn. Er spielte wie �in Kind mit seinem Spiegelbild. « 96 Das ausgelassene Treiben Ki;i�f,las und der gopzs setzt sich in den Wassern der Jumna fort und deutet eine Atmo­ sphäre des Karnevals an. »Ki;i�f,la . . . bespritzte Rädhäs Körper mit Wasser. Auch Rädhä begoß . . . den Körper des leidenschaftlichen Ki;i�l)a. Hari entriß Rädhä die Kleider. . . . Dann zerriß er ihr Blumengebinde und lockerte ihren Haarknoten. . . . Nachdem Ki;i�f,la die nackte, schamrote Rädhä den gopzs gezeigt hatte, warf er sie in hohem Bogen ins Wasser. Rädhä stand hastig wieder auf, packte Ki;i�f,la mit all ihrer Kraft, entwand ihm ärgerlich seine Flöte, warf sie durch die Luft, ergriff sein gelbes Gewand, zerriß die Girlande aus wilden Blumen und bespritzte ihn immer wieder mit Wasser. . . . Auf diese Weise spielten die imaginären Er­ scheinungen des Herrn glücleigene
Äu­ ßerungru­ higen< Erscheinungsformen des Absoluten zugrunde liegt), daß sich das Göttliche niemals durch die Ge­ schichte, Natur oder die Schöpfung-Bewahrung-Zerstö­ rung der Welt offenbart. In Wirklichkeit handelt Kri�i:i.a in Vrindävana überhaupt nicht - er ist einfach. Vom Standpunkt der bengalischen Vai�i:i.ava-Theologie oder ei­ nes gläubigen Anhängers Kri�i:i.as, des Kuhhirten, stellt er sich in Vrindävana nur dar. Er erfüllt keine Aufgabe, sucht nicht nach Ansehen oder Macht - er überflutet sich einfach selbst. Er stellt sich mehr zur Schau, als daß er sich offenbarte. Seine Handlungen erfüllen keinen ent­ scheidenden historischen, moralischen oder kosmischen Sinn. Er hebt gleichsam den Schleier von seinem inner­ sten Wesen, das sich als Selbst-Genuß enthüllt; uninter­ essiert und weitab von der Welt, völlig versunken in seine eigene blendende Schönheit. Die innerste Natur des Gött­ lichen >strengt sich anernsthaftWirtschaft< bedarf dieser Oberflüs­ sigkeiten nicht. Die Handlungen der Götter (als Spiel)

sind nicht launisch, sondern transzendent in ihrer Erha­ benheit. Lilä beschreibt die göttliche Aktivität noch auf eine zweite Weise: Die Götter als Spieler handeln spontan, nicht voraussagbar und manchmal ungestüm. Spielen heißt ungezwungen und bedingungslos sein, Handlungen auszuführen, die in sich befriedigend sind : singen, tanzen und lachen. Im Spiel verläßt man die gewöhnliche Welt der Langeweile, um einen besonderen, magischen Bereich zu betreten, wo man sich dem überflüssigen hingibt ziellos und anmutig zugleich. Als Spieler offenbaren sich die Götter als reizende, freudige und anmutige Wesen, die durch ihre völlig spontanen, unbeschränkten Handlungen ihrer transzendenten Vollkommenheit und Freiheit Aus­ druck verleihen. Und keine Hindu-Gottheit verkörpert diesen Aspekt vollendeter als der Kuhhirte Ktig1.a.34 Durch all das, was bisher schon über Kri�r:i.a gesagt wurde, dürfte deutlich geworden sein, daß sein ganzes Leben unter den Kuhhirten von Vtindävana Spiel ist. Als Kind tollen er und Balaräma in dem Dorf der Kuhhirten herum, wälzen sich im Sand, tanzen und lachen zum Ent­ zücken ihrer Eltern. Kti�r:i.a verkörpert die transzendente Freiheit und Spontaneität des Göttlichen, indem er im Dorf herumtobt, völlig unbeeindruckt von sozialen oder elterlichen Beschränkungen. Er bindet Kühe los, stiehlt Butter und Süßigkeiten und weckt schlafende Säuglinge auf ; niemand kann ihn einschränken, niemand übertrifft ihn im Spiel. Als Jüngling, umgeben von einer Schar von jungen Kuhhirten, werden seine Spiele wilder : Er rennt, hüpft und springt durch die Wälder von Vrindävana und läßt damit der nicht zu unterdrückenden, anarchischen, ungestümen Begeisterung der Jugend freien Lauf. Er­ scheinen Dämonen, um seine magische Welt des Spieles 91

zu stören, so verwandelt er selbst den Kampf mit ihnen in ein Spiel ; nicht für eine Sekunde wird er ernsthaft, sein Spiel drückt sich dann nur auf andere Weise aus, als spie­ lerischer Wettkampf. Karneval herrscht in den Lauben von V�"indävana und an den Ufern und Wassern des Jumna-Flusses, wenn Ki;i�i:ia und die gop1s sich lieben. Durch sein Toben, Tanzen und Lieben stachelt Kti�i:ia die goprs an, sich dem Rausch hinzugeben und die Welt der sozialen Verpflichtungen zurückzulassen. Die Moralge­ setze der öden Welt sind in Kti�i:ias magischem Bereich außer Kraft gesetzt. Inmitten des idyllischen, magischen Kreises der Liebe ist das Außergewöhnliche normal, Frei­ heit und Freude regieren in Ki;i�i:ias Garten von Eden. Als Antwort auf den unwiderstehlichen Ruf seiner Flöte ver­ lassen die goprs ihre Gatten und Kinder und eilen in den Wald, um bei ihrem Liebling zu sein. Selbst die Götter können dem Ruf nicht wiederstehen und werden nach Vi;indävana gezogen. Die Natur blüht, erschauert und fei­ ert, vernimmt sie den trunken machenden Klang. Vi;indä­ vana, das Heiligtum der romantischen und erotischen . Liebelei, wird von Aufruhr und Ausgelassenheit durchzo­ gen. Vergessen und überschritten ist die alltägliche Welt ­ die Begleiterinnen Ki;i�i:ias verweilen in Glückseligkeit. Kti�i:ias Aufenthalt in Vi;indävana dient keinem >Zweck