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German Pages 132 Year 2015
Joachim Zischke
Fenster
Ein Bildlesebuch
D i a l o g u s
Joachim Zischke
Fenster Ein Bildlesebuch
D i a l o g u s
Inhalt Motivisch 8 Vom Drinnen und Draußen 11 Die Frau am Fenster 19 Sehnsucht 20 Im Zeitfenster 24
Ländlich 33 Liebste Tante! 34 Fortschritt 44 Toms Reichtum 48
Städtisch 54 Briefe aus Paris 56 Lebensessenz 60 Im Atelier 63 Das Fenster zum Hof 64 Kater Murr und Achilles 75 Schaufenster der Träume 76 Im Laden 84 Symmetrie des Ausblicks 87 Die zwei ungleichen Brüder 91
Großstädtisch 98 Ville Contemporaire 101 Spiegelfenster 109
Gedanklich 114 Die Fensterschau Über den Autor Über das Buch
121 126 127
Motivisch Das Fenster ist einem Auge des Hauses, das Auge einem Fenster des Leibs ähnlich. Grimmsches Wörterbuch
Vom Drinnen und Draußen
L
icht, Luft, Lärm - nicht nur,
Sturz, Rahmen und Flügel in keine
auch Düfte, Klänge, Stimmen
vorwiegende Richtung.
und Farben dringen durch
An einem Tag öffnet sich das
das Fenster in den Raum hinein.
Fenster
Das Fenster ist durchlässig und
erlaubt ihm das flüchtige oder beab-
empfänglich: Wie ein Film nimmt
sichtigte Hineinsehen, Hineinhören
es Bewegungen, Stimmungen und
und Wahrnehmen. An einem ande-
Impressionen auf, leitet sie weiter
ren Tag gestattet es dem Innenste-
nach drinnen, bis auf die Netzhaut
henden das Hinaussehen, Beobach-
des schauenden Auges, in das Ohr,
ten, Mithören und Teilnehmen am
das lauscht oder auf die Haut des
Geschehen auf der Straße, im Hin-
menschlichen Körpers.
terhof, am Himmel.
dem
Außenstehenden,
Ist ein Flügel geöffnet, strömen
Das Fenster filtert und vermit-
Wärme und Wind, Kälte und Regen
telt passiv zwischen dem grenzen-
nach innen. Fest verschlossen, hält
los bewegten Draußen und dem
das Fenster die Naturelemente fern,
begrenzten, häufig statisch ablau-
bewahrt
Wort,
fenden Leben des Drinnen. Das
schützt das Private, bildet einen
Fenster dient als Kommunikator,
Rückzugsort, von dem aus man
ohne selbst zu kommunizieren. Es
sehen und beobachten kann, ohne
nimmt auf, behält doch nichts. Es
selbst sichtbar zu sein.
trennt und vereint zugleich.
das
gesprochene
Das Fenster ist also eine zweiwegige,
janusköpfige
Sache,
Das Fenster, im Altgermanischen
die
„Wind-Auge“ und im Althochdeut-
Grenze zwischen dem Innen und
schen „Augentor“ bezeichnet, nützte
Außen eines Raums bestimmend.
seit alters her als Symbol für das
Dabei blickt das fünffach geglie-
Himmlische, das Leben und den
derte Gefüge aus Brüstung, Laibung,
Tod. Der Volksglaube verstand das
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Fenster als eine Schwelle, über wel-
konzentrierend den Blick und ver-
che der Tod ins Haus kommt. Gleich-
stärkte somit die Empfindungen des
sam sollte die Seele den Leichnam
Gesehenen.
durch das Fenster verlassen, wes-
Die „eingerahmte Landschaft“ bot
halb sofort beim Eintreten des Todes
für die Romantiker das Bekannte
das „Flugloch der Seele“ geöffnet
und Unbekannte, die Geborgenheit
werden musste.
und das Wilde. Dieses sehnsüchtige
In der Epoche des Humanismus,
Getriebensein schuf einen genuss-
zu Beginn der Renaissance, verfasste
vollen, wenn auch erfüllungslosen
Leon Battista Alberti das Theorie-
Zustand. Was durch das Fenster
traktat De Pictura (Über die Malerei,
erlebbar wurde, war „die immer tie-
1435), in dem er die Metapher vom
fere Trennung zwischen dem Sub-
Bild als einem offenen Fenster zur
jektiven und dem Objektiven, dem
Welt beschrieb. In den Mittelpunkt
Ich und der Welt, dem Geschaffe-
des Interesses rückten seither die
nen und dem Gegebenen – kurz,
Eigenschaften des Fensters, wie Flä-
zwischen Kultur und Natur“ (Pierre
chigkeit, Rahmen und rasterartige
Schneider in seinem Buch Matisse).
Durchläs-
Heute erscheint uns das Fenster
sigkeit des Lichts, Transparenz und
als Hightech-Bauelement reduziert
das Spiegelungsvermögen des Gla-
auf Funktionalität und das Erfül-
ses. Die dreidimensionale Wirklich-
len von energetischen Normen und
keit der Welt wurde auf die zweidi-
Sicherheitsbedingungen. Wenn dem
mensionale Ebene des Bildes transfe-
Diktat der Effizienz folgend selbst
riert. Das Fenstermotiv erlaubte nun
das Öffnen des Fensters geopfert
auch Reflexionen über die Vorgänge
werden soll, ist es nur ein kleiner
des Sehens und über die Frage, was
Schritt, die dann unbeweglichen
ein Bild sei.
Fensterflächen
Gliederung, ebenso wie
zu
Projektionsflä-
In der Romantik verwoben Dich-
chen unserer zunehmend virtuell
ter und Maler das Fenster mit
gestalteten Welt zu machen. Aus
einer Sehnsucht nach Ferne, Liebe,
einem Windauge wird ein Starrauge.
Natur und Reisen in unerforschte Gebiete. Der Fensterrahmen lenkte
12
D
ie Ansichten und Muster von Fenstern, welche dieses Buch vorstellt, können die
spannungsreichen Wirkungen von Innen und Außen, Licht und Schat-
ten, Rahmen und Glas nur unvollständig erfassen und wiedergeben. Zu vielfältig und vielschichtig haben sich die Bedeutung und Funktionalität im Laufe der Zeit entwickelt. Dieses Buch möchte einladen: zum bewussten Entdecken von Fenstern und zum vergnüglichen Hinein- und Hinaussehen
Wer doch einmal die Geschichte des Fensters schrieb – dieses wunderlichen Rahmens unseres häuslichen Daseins, vielleicht sein eigentliches Maaß, ein Fenster voll, immer wieder ein vollgeschöpftes Fenster, mehr haben wir nicht von der Welt; und wie bestimmt die Form unseres jeweiligen Fensters die Art unseres Gemüths: das Fenster des Gefangenen, die croiseé eines Palastes, die Schiffsluke, die Mansarde, die Fensterrose der Kathedrale –: sind das nicht ebensoviel Hoffnungen, Aussichten, Erhebungen und Zukünfte unseres Wesens? Rainer Maria Rilke Brief an Nanny Wunderly-Volkart, 27. August 1920
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An Bettine. Liebes Mädchen! Hier ohne Dich zu wohnen, wenn ich das aushalte, so darf ich mich meiner Stärke rühmen. – Ach, wo ist‘s in der Welt wieder so schön, als hier in diesem Frühling hoch in den Lüften zu schweben, dem Himmel so nah, daß jedes der sechs Fenster meiner Stube eine prächtige Landschaft unter Rahm und Glas bringt. Nur das Große der Stadt berührt mich; die Türme sehen mir in die Fenster, und die Stadtuhren sind meine Wanduhren, ich kann nichts tun, als an Dich denken, Dein Bild hinhalten. Der Frühling flieht von meilenweiten Bergen über die blühenden Felder und den sanften Strom und die klingenden, singenden, schwingenden Wälder her zu mir; und bringt Blumendüfte, Farben und Klänge mit, all herein zu den sechs Fenstern, und da halte ich Dein Bild in die Mitte, daß es der Reichtum der Jugend umwalle. Ach, warum bist Du nicht da? Clemens Brentano Jugendbrief an Bettina von Armin. Aus: Clemens Brentanos Frühlingskranz
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Caspar David Friedrich: Frau am Fenster (1822)
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Die Frau am Fenster
D
as Sujet „Frau am Fens-
Bild könnten wir als Symbol zwi-
ter“ ist ein allbekanntes
schen Gegenwart und Vergangen-
Bild. In den Kunstschät-
heit, auch zwischen dem Diesseits
zen des alten Babylons (und auch
und Jenseits verstehen. Der hohe
von Zypern) finden wir das Thema
Raum, nur durch eine in dunklem
in Verbindung mit einem Frucht-
Grünbraun
barkeitskult
welche
sche angedeutet, verweist auf das
sich dadurch zu sakralen Freuden-
gegenwärtige Leben. Der Blick geht
häusern wandeln. Mit auffallendem
hinüber zur Vergangenheit oder
Kopfschmuck versehen, zeigen sich
dem Tod entgegen; beide scheinen
Tempeldienerinnen am Fenster, um
inmitten hellgrüner Pappeln verbor-
den Männern auf der Strasse ihre
gen. Zwischen diesen beiden Positio-
„Dienstbereitschaft“ unter dem Pat-
nen ragt die Mastspitze eines Fracht-
ronat der Liebesgöttin anzuzeigen.
kahns auf, lässt den im Bild unsicht-
in
Tempeln,
gehaltenen
Fensterni-
William Shakespeare schuf in sei-
baren Fluss nur erahnen. Der Fluss
ner Tragödie Romeo und Julia die
markiert die ungewiss verlaufende
berühmte Balkonszene, die Begeg-
Trennlinie unserer Lebenszeit.
nung zwischen Romeo und Julia im Garten der Capulets. Von einem Balkon ist in Shakespeares Werk allerdings keine Rede; Julia erscheint „above at a window“, welches August Wilhelm Schlegel richtig mit „oben an einem Fenster“ übersetzte. Caspar David Friedrichs bekanntes Gemälde Frau am Fenster von 1822 lässt sich hier einbringen. Das
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Sehnsucht Es schienen so golden die Sterne, Am Fenster ich einsam stand Und hörte aus weiter Ferne Ein Posthorn im stillen Land. Das Herz mir im Leib entbrennte, Da hab ich mir heimlich gedacht: Ach, wer da mitreisen könnte In der prächtigen Sommernacht! Zwei junge Gesellen gingen Vorüber am Bergeshang, Ich hörte im Wandern sie singen Die stille Gegend entlang: Von schwindelnden Felsenschlüften, Wo die Wälder rauschen so sacht, Von Quellen, die von den Klüften Sich stürzen in die Waldesnacht. Sie sangen von Marmorbildern, Von Gärten, die überm Gestein In dämmernden Lauben verwildern, Palästen im Mondenschein, Wo die Mädchen am Fenster lauschen, Wann der Lauten Klang erwacht Und die Brunnen verschlafen rauschen In der prächtigen Sommernacht. Joseph von Eichendorff (1834)
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Im Zeitfenster
D
ie zyklischen Wiederholun-
Turmuhren, mit den nach allen
gen der Natur, der Wechsel
Himmelsrichtungen weisenden Zif-
der Gestirne, die Regen-
fernscheiben,
den
Stunden-
und
und Trockenzeiten, der Umlauf der
Minutenzeigern sowie den weit hin
Erde um die Sonne, der Rhythmus
hörbaren Glockenschlägen, gaben
des
pflanzlichen
ein Maß an, das sich für Arbeit und
Wachstums – all das bestimmte
Handel als eine verbindliche Orien-
die Lebens- und Arbeitsrhythmen
tierung nutzen ließ.
tierischen
und
der Menschen in früheren Zeiten.
Heute erfahren wir das unaufhalt-
Homer, der angenommene Autor von
same Verdichten des Zeittaktes. Die
Ilias und Odyssee, rechnete nach
digitalisierte
Morgenröten. In der Zeit des Julius
funktioniert bereits im Sekunden-
Cäsars galten Nachtwachen als Zeit-
takt. Indem wir versuchen, durch
einheit. Die ägyptischen Stunden-
neue
wachen sind ein Ritual stündlicher
mehr Zeit einzusparen, schmälern
Rezitationen und Kulthandlungen.
wir in Wirklichkeit die uns verblei-
Im Orient bestimmte der Lauf der
bende Zeit. Je mehr Zeit wir (ver)pla-
Sonne während des Tages die Bewäs-
nen, umso geringer wird der Gestal-
serungsphasen in der Oase. Auch
tungsrahmen für unser Zeitfenster,
die christlichen Mönche richteten
das Leben.
ihre Gebetszeiten weitgehend am
Nonstop-Gesellschaft
Effizienzmethoden
immer
Die Zeit gehört nicht uns. Wir können Zeit weder besitzen, noch
Lauf der Sonne aus. Die Erfindung der mechanischen
kaufen, weder verkaufen, noch ver-
Uhr ermöglichte es, das Zeitfens-
schenken. Selbst wenn wir unsere
ter, die Zeitspanne zwischen Arbei-
Zeit randvoll ausfüllen könnten –
ten und Ruhen, zwischen Tun und
wäre es dann eine erfüllte Zeit?
Nichtstun, unabhängig von naturnahen Ereignissen zu bestimmen.
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Lebte Gott auf dieser Welt, so schlügen ihm die Menschen alle Fenster ein. Hebräisches Sprichwort
Der gegenwärtige Augenblick ist das Fenster, durch das Gott in das Haus meines Lebens schaut. Meister Eckhart
Der christliche Glaube ist eine großartige Kathedrale mit göttlich bebilderten Fenstern. Steht man draußen, sieht man keine himmlische Herrlichkeit, noch kann man sich überhaupt eine vorstellen; steht man in ihr, enthüllt jeder Lichtstrahl eine Harmonie unaussprechlichen Glanzes. Nathaniel Hawthorne
Ländlich Die Welt ist nicht größer als das Fenster, das du ihr öffnest. Sprichwort
Liebste Tante! Also, nachdem die Nanda in Gießen ausgestiegen war, fuhr ich mutterselig allein im selben Abtheil weiter bis Northeim, ohne von der Hitze belästigt zu werden. Dann mußt ich mich allerdings zwischen Bauern und schwitzenden Harzpilgern durchdrängeln, wie ein Hausknecht, um am Schalter mein Billet zu erwischen; eine Thätigkeit, die mich beschämte. Schon lange zogen drohende Wolken am Himmel herauf; aber erst, als ich trocken in der Pfarre zu Hattorf saß, ging das Blitzen, Donnern und Regnen los. Es schlug auch sofort in ein Bauernhaus ein; doch gab es nur kurzen Rumor, denn das Feuer wurde schnell gelöscht. Leben Sie wohl, liebste Tante! Ich denke gern an Sie und die Ihrigen. Herzliche Grüße an Alle von Ihrem alten getreuen Onkel Wilhelm Wilhelm Busch Gesammelte Werke. Brief an Johanna Keßler, 7. Juni 1900.
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Friedrich ließ sich sein Mittagsmahl ganz allein in einem Sommerhäuschen bereiten, das am Abhange des Berges stand. Er machte alle Fenster weit auf, so dass die Luft überall durchstrich und er von allen Seiten die Landschaft und den blauen Himmel sah. Kühler Wein und hell geschliffene Gläser blinkten von dem Tische. Er trank seinen fernen Freunden und seiner Rosa in Gedanken zu. Dann stellte er sich ans Fenster. Man sah von dort weit in das Gebirge. Ein Strom ging in der Tiefe, an welchem eine hell glänzende Landstraße hinablief. Die heißen Sonnenstrahlen schillerten über dem Tale, die ganze Gegend lag unten in schwüler Ruhe. Draußen vor der offenen Tür spielte und sang der Harfenist immerfort. Friedrich sah den Wolken nach, die nach jenen Gegenden hinaussegelten, die er selber auch bald begrüßen sollte. „O Leben und Reisen, wie bist du schön!“ rief er freudig, zog dann seinen Diamant vom Finger und zeichnete den Namen Rosa in die Fensterscheibe. Josef von Eichendorff Ahnung und Gegenwart
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In der Provinz ersetzt das Fenster Theater und Spaziergänge. Gustave Flaubert
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„Wie hat es Ihnen in dieser Gesellschaft gefallen?“ „Sehr wohl, beinah so sehr wie auf meiner Kammer.“ Georg Christoph Lichtenberg
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Fortschritt
Der Fortschritt hält die Menschen buchstäblich auseinander. Der kleine Schalter am Bahnhof oder auf der Bank machte es dem Angestellten möglich, mit dem Kollegen zu tuscheln und das karge Geheimnis mit ihm zu teilen; die Glasfenster moderner Büros, die Riesensäle, in denen zahllose Angestellte gemeinsam Platz finden und vom Publikum wie von den Managern leicht zu überwachen sind, gestatten keine Privatunterhaltungen und Idyllen mehr. Auch auf Ämtern ist der Steuerzahler nun vor Zeitvergeudung des Besoldeten geschützt. Sie sind im Kollektiv isoliert. Theodor W. Adorno, Max Horkheimer Dialektik der Aufklärung, Philosophische Fragmente
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Ob man mit einer Leiter, einem Seil oder einer Treppe auf das Dach des Hauses gelangt, ist nicht wichtig. Ebenso ist es mit den Religionen. Hindu-Weisheit
Toms Reichtum
Am frühen Nachmittag wälzte sich Tom, der am Morgen noch ein mit Armut geschlagener Knabe war, buchstäblich im Reichtum. Er besaß einen fast neuen Drachen, eine tote Ratte mit einem Stück Schnur zum Herumschwingen daran, zwölf Murmeln, das Bruchstück einer Mundharmonika, ein Stück Glas von einer blauen Flasche zum Durchschauen, ein Blasrohr, einen Schlüssel, mit dem man nichts aufschließen konnte, ein Stückchen Kreide, einen Glasstöpsel von einer Wasserkaraffe, einen Zinnsoldaten, ein paar Kaulquappen, sechs Feuersalamander, ein Kätzchen mit einem blinden Auge, eine Türklinke aus Messing, ein Hundehalsband ohne Hund, einen Messergriff, vier Orangenschalen und ein altes morsches Stück eines Fensterrahmens. Mark Twain Tom Sawyer
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Vergeben und vergessen heißt, gemachte kostbare Erfahrungen zum Fenster hinauswerfen. Arthur Schopenhauer
Früher schauten die Schriftsteller durch das Fenster in den Salon, jetzt schauen sie durch das Schlüsselloch in das Schlafzimmer. John Steinbeck
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Der Faule stirbt vor Hunger, während sein Essen im Fenster steht. Aus Arabien
Städtisch Wie stickig! So öffnet doch die Fenster, mögen die da draußen es auch zu spüren bekommen. Stanislaw ]erzy Lec
Briefe aus Paris
Wenn ich das Fenster öffne, so sehe
Menschen, denen nichts gleichgülti-
ich nichts, als die blasse, matte,
ger ist, als ihres Gleichen; ehe man
fade Stadt, mit ihren hohen, grauen
eine Erscheinung erfasst hat, ist sie
Schieferdächern und ihren unge-
schon von zehn anderen verdrängt;
stalteten Schornsteinen, ein wenig
dabei knüpft man sich an keinen,
von den Thuillerien, und lauter
keiner knüpft sich an uns; man
Menschen, die man vergisst, wenn
grüßt einander höflich, aber das
sie um die Ecke sind. Noch kenne
Herz ist hier so unbrauchbar, wir
ich wenige von ihnen, ich liebe
eine Lunge an unter der luftleeren
noch keinen, und weiß nicht, ob ich
Campane, und wenn ihm einmal
einen lieben werde. Denn in den
ein Gefühl entschlüpft, so verhallt
Hauptstädten sind die Menschen zu
es, wie ein Flötenton im Orkan.
gewitzigt, um offen, zu zierlich, um wahr zu sein. Schauspieler sind sie,
Heinrich von Kleist
die einander wechselseitig betrügen
Brief an Caroline von Schlieben,
und dabei thun, als ob sie es nicht
Paris, 18. Juli 1801
merkten. Man geht kalt aneinander vorüber; man windet sich in den Straßen durch einen Haufen von
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Kleiner waren beide als mein jet-
tisch sitzend, vor mir habe, nicht
ziges Zimmer, das eigentlich groß
nur Rahmen, sondern auch ihrer-
ist, nur sehr niedrig, und sie hatten
seits wieder Augen sind, die in mein
vor ihm die Weite des Blickes vor-
Leben herein offenstehen, – dann
aus, die Ferne vor den Fenstern; das
ist es manchmal kaum zu ertragen.
war neben aller Reinheit beinahe das Überredendste für mich, denn,
Rainer Maria Rilke
mag mein Hotel noch so viel Fehler
Brief an Clara Rilke-Westhoff,
haben, sein größter ist für mich
Paris, 28. September 1902
diese enge Gasse mit den Fenstern vis-à-vis, mit den vielen eingerahmten fremden Lebensmomenten, deren Zeuge man fortwährend zu sein gezwungen wird; gerade in den Augenblicken, da man den Blick nach Fernen hebt, Engen begegnend, die bange machen. Und wenn man auch noch denkt, dass alle diese 12 Fenster, die ich, an meinem Schreib-
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Lebensessenz
Nicht einem Strome, einem Wasserfalle gleicht hier das Leben; es fließt nicht, es stürzt mit betäubendem Geräusch. Die Zeit wird nicht mit tausend Liebkosungen abgeschmeichelt, und der Hunger ist der einzige Zeiger, welcher die Zahl der verbrauchten Stunden ehrlich angibt. Wer lange leben will, der bleibe in Deutschland, besuche im Sommer die Bäder und lese im Winter die Protokolle der Ständeversammlungen. Wer aber Herz genug hat, die Breite des Lebens seiner Länge vorzuziehen, der komme nach Paris. Jeder Gedanke blühet hier schnell zur Empfindung hinauf, jede Empfindung reift schnell zum Genusse hinan; Geist, Herz
und Sinn suchen und finden sich – keine Mauer einer traurigen Psychologie hält sie getrennt. Wenn man in Deutschland das Leben destillieren muß, um zu etwas Feurigem, Erquicklichem zu kommen, muß man es hier mit Wasser verdünnen, es für den täglichen Gebrauch trinkbar zu machen. Paris ist der Telegraph der Vergangenheit, das Mikroskop der Gegenwart und das Fernrohr der Zukunft. Es ist ein Register der Weltgeschichte, und man braucht bloß die alphabetische Ordnung zu kennen, um alles aufzufinden. Es ist schwer hier, dumm zu bleiben, denn habe der Geist auch keine eigenen Flügel, er wird von andern emporgetragen. Doch verzweifle darum keiner, der Beharrlichkeit gelingt alles. Ludwig Börne Schilderungen aus Paris
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Im Atelier Das Atelier war erfüllt von starkem Rosenduft.
ungemähte Gras suchten oder mit zäher Beharr-
Wenn der leichte Sommerwind die Bäume im
lichkeit um die goldbestäubten Trichter des
Garten draußen bewegte, drang durch die offene
wuchernden Geißblatts kreisten, ließ die Stille
Tür der schwere Geruch des Flieders oder der
noch drückender erscheinen. Das dumpfe Brau-
zartere Duft der Rotdornblüten. Lord Henry Wot-
sen Londons wirkte wie die Basstöne einer fernen
ton lag auf einem Diwan mit persischen Sattel-
Orgel. In der Mitte des Raumes lehnte auf einer
taschen und rauchte, wie gewöhnlich, unzählige
aufrechten Staffelei das lebensgroße Bild eines
Zigaretten. Von seiner Ecke aus konnte er gerade
ganz außerordentlich schönen Jünglings. Vor
noch den Schimmer der honigsüßen und honig-
der Staffelei saß, ein paar Schritte weit entfernt
farbenen Goldregenblüten sehen, deren zitternde
der Maler Basil Hallward, dessen plötzliches
Zweige kaum noch die Last ihrer flammenden
Verschwinden vor einigen Jahren so viel Aufse-
Schönheit zu tragen schienen; dann und wann
hen gemacht und zu so vielen merkwürdigen
grüßten auch durch die langen Seidenvorhänge,
Vermutungen Anlass gegeben hatte. Während
die vor das große Fenster gezogen waren, phan-
der Maler die graziöse und anmutige Gestalt
tastische Schatten vorbeifliegender Vögel. Das
betrachtete, schien ein heiteres Lächeln über
gab einen Augenblick eine japanische Stimmung
sein Gesicht zu gehen und dort zu verweilen.
und ließ den Liegenden an die Maler von Tokio denken mit den wie aus blassem Bernstein
Oscar Wilde
geschnitzten Gesichtern, die mit den Mitteln
Das Bildnis des Dorian Gray
einer Kunst, die nur unbeweglich sein kann, die Empfindung von Schnelligkeit und Bewegung hervorzubringen suchen. Das dumpfe Summen der Bienen, die ihren Weg durch das hohe,
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Das Fenster zum Hof
Der Fotograf Jeff kann sein New
Lars Thorwald sich seiner Ehefrau
Yorker Appartement nicht verlas-
entledigt hat – und zwar durch
sen, weil er ein gebrochenes Bein
Mord. Während Jeff Lisa von der
hat. Er verbringt daher die meiste
Mordtheorie überzeugen kann,
Zeit am Fenster und beobachtet
lässt sich sein Freund von der New
seine Nachbarn. Abwechslung in
Yorker Polizei nicht dafür erwär-
Jeffs Alltag bringen zwei Frauen:
men. Doch Jeff will den Mord
die resolute Krankenschwester
nachweisen und gerät dadurch in
Stella und die schöne, aus der New
einen dramatischen Showdown in
Yorker High Society stammende
seinem eigenen Appartement.
Lisa Fremont, die gerne Jeffs Ehefrau werden würde. Jeff beob-
Spielfilm, 1954
achtet, dass seine Nachbarin von
Regie: Alfed Hitchcock
gegenüber, Mrs. Thorwald, nachdem sie einige Zeit krank im Bett gelegen hatte, plötzlich spurlos verschwunden zu sein scheint. Aufgrund seiner Beobachtungen kommt Jeff zu dem Schluss, dass
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Dürftigkeit öffnet Augen, die Reichtum verschlossen hat. Giovanni Boccaccio
Es ist eine Regel der Klugen, die Dinge zu verlassen, ehe sie uns verlassen. Baltasar Gracián
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Am Seil hält man den Elefant, das rasche Roß am Zügel, die Frauen nur am Herzensband, sonst wachsen ihnen Flügel. Shûdraka
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Casa Milà
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Kater Murr und Achilles Achilles war eigentlich ein gemeiner Fleischer-
uns als Ruhestörern Tod und Verderben. Da er
hund, stand aber in Diensten als Hofhund, und
aber seiner Unbehilflichkeit halber nicht einmal
der Herr, bei dem er in Dienst getreten, hatte
auf den Boden, geschweige denn auf das Dach
ihn, um sein Attachement an das Haus zu
kommen konnte, so machten wir uns aus seinen
befestigen, anketten lassen, so daß er nur des
Drohungen auch nicht das allermindeste, son-
Nachts frei umherlaufen konnte. Mancher von
dern trieben unser Wesen so nach- wie vorher.
uns bedauerte ihn sehr, trotz seines unleidlichen Wesens, er aber ließ sich den Verlust seiner Freiheit gar nicht zu Herzen gehen, da er töricht
E.T.A. Hoffmann Lebensansichten des Katers Murr
genug war, zu vermeinen, die schwer lastende Kette gereiche ihm zur Ehre und Zierde. Achilles fand sich nun zu seinem nicht geringen Verdruß durch unsere Konvivia in der Nacht, wenn er umherlaufen und das Haus beschützen sollte gegen jede Unbill, im Schlafe gestört und drohte
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Schaufenster der Träume
D
as kelt
Schaufenster sich,
verdun-
verliert
seine
Kontur und seinen Zweck.
Einst das Medium, die Sehnsüchte, Träume und Wünsche von Millionen zu wecken, dümpelt das Schaufenster heute eher als Warenlager dahin. Blicke ich im Vorübergehen in das Schaufenster eines Juweliers, reiht sich meist langweilig Uhr an Uhr, Ring an Ring. Dekoration bedeutet ausschmücken, verschönern. Doch welcher Kaufmann dekoriert noch Schaufenster? Und weiter gefragt: Wer bummelt oder flaniert heute durch Straßen und Gassen, den Blick neugierig schweifend von einem Fenster zum nächsten? Das elektronische Schaufenster, das uns im Sitzen und Liegen, bei jedem Wetter und zu jeder Tages- und Nachtzeit bequem die Welt der Dinge präsentiert, verdrängt das Schönste: die Freude am spontanen Entdecken.
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Würzburg, den ich weiß nicht wievielten. Auf einmal ist alles heiter, beschwingt, vergnügt – die Läden blitzen, wir trinken mit Maß und Ziel, ich pfeife schon frühmorgens in der Badewanne. Wir werden noch aus dem Hotel fliegen – das tut kein verheirateter Mann. Auf der schönen Mainbrücke steht ein Nepomuk – wir gehen hin und legen ihm einen Glückspfennig zu Füßen, um die Ehrlichkeit des Heiligen und der Bevölkerung zu prüfen. Morgen wollen wir nachsehen ... (Wir sehen aber nicht nach, und nun liegt der Pfennig wohl heute noch da.) Die Prinzessin lugt schelmisch in die Schaufenster und unterhält sich auffallend viel über Damenwäsche, Kombinations, seidene Strümpfe ... Der schönste Schmuck für einen weißen Frauenhals ist ein Geizkragen. Kurt Tucholsky Das Wirtshaus im Spessart
Manchmal gehe ich an kleinen Läden vorbei, in der Rue de Seine etwa: Händler mit Altsachen oder kleine Buch-Antiquare oder Kupferstichverkäufer mit ganz, ganz vollen Schaufenstern. Nie tritt jemand ein bei ihnen, sie machen offenbar keine Geschäfte: aber man sieht hinein, und sie sitzen und lesen, unbesorgt (und sind doch nicht reich); sorgen nicht um morgen, ängstigen sich nicht um ein Gelingen, haben einen Hund, der vor ihnen sitzt, gut aufgelegt, oder eine Katze, die die Stille um sie noch größer macht, indem sie die Bücherreihen entlangstreicht, als wischte sie die Namen von den Rücken. Ach, wenn das genügte: Ich wünschte manchmal, mir so ein volles Schaufenster zu kaufen und mich mit einem Hund darunterzusetzen für zwanzig Jahre. Rainer Maria Rilke Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge
Die Menschen gehen einkaufen wie zum Fischen; sie wollen sehen, wie groß der Fisch ist, den sie mit dem kleinsten Köder fangen können. Henry Ward Beeche
Wenn du einkaufen gehst, benutze deine Augen, nicht deine Ohren. Aus Tschechien
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Im Laden Ehe man einen Laden betritt, ent-
zum Kaufen zu animiren sucht.
schließe man sich, ob man wirklich
Aufdringlich sollte er indessen
kaufen will, im andern Falle sage
nie werden. Dieses gilt besonders
man offen, daß man nur etwas zur
für die Commis voyageurs, denen
Ansicht wünsche, den Preis erfah-
mancher durch Verleugnen, Ver-
ren wolle u.s.w. Nicht aber lasse
stecken u.s.w. zu entgehen sucht.
man sich immer und immer wieder
Für den Käufer bemerke ich, daß
neue Waaren vorlegen, nehme die
er ruhig zu warten hat, wenn der
Geduld und Zeit des Verkäufers
Verkäufer eben mit einem andern
über Gebühr in Anspruch und gehe
Kunden beschäftigt ist, nicht aber
dann fort, ohne etwas zu nehmen.
diesen zur Seite und sich vor-
Es kann gewiß vorkommen, daß wir
drängen muß. Verläßt der Vorher-
den Artikel, den wir suchen, nicht
gekommene den Laden, hat der
finden. Ein Wort der Entschuldi-
Wartende zu beanspruchen, dann
gung ist da freundlich. Ebenso soll
sofort bedient zu werden und darf
aber auch der Verkäufer freundlich
der Kaufmann nicht einen später
bleiben und mit Aufmerksam-
eingetretenen, vielleicht vorneh-
keit einen Kunden bedienen, der
meren Kunden, ihm vorziehen.
nur wenig nimmt, oder dem das Anna Kistner
nicht paßt, was man ihm vorlegt.
Schicklichkeitsregeln für das
Dem Kaufmann ist es nicht zu verdenken, wenn er durch Anpreisen seiner Waare das Publikum
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bürgerliche Leben, 1886
Symmetrie des Ausblicks
Nicht Regelmäßigkeit und Symmetrie sind für das gegenwärtige Schönheitsempfinden charakteristisch, sondern gerade Unbestimmtheit, Ereignis und Atmosphäre. Gernot Böhme
Die Worte sind nur das Äußere der Gedanken. Es ist töricht, wenn man nur das Äußere ansehen wollte und darüber die Gedanken vernachlässigte. Lü Bu We
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Die zwei ungleichen Brüder
Es waren einmal zwei Brüder, die lebten vor langer Zeit und in einer Gegend weit weg von hier. Sie waren geizig und stritten und zankten sich, sobald sie sich trafen. Eines Tages machten die Brüder die Erbschaft eines kleinen Hauses auf dem Land. Keiner der beiden wollte auf seinen Anteil verzichten, und in dem Haus zusammen wohnen, das wollten sie schon gar nicht. Also teilten sie das Haus. Damit jedermann sogleich sehen konnte, wo der eine und wo der andere Bruder wohnt, entschlossen sie sich, das Haus auf der einen Seite in Rot und auf der anderen Seite in Blau anzumalen. Erst wollten sie auch das Rohr zweigeteilt anmalen. Da jedoch keiner von beiden ein geschickter Handwerker war, gab der rote Bruder völlig unerwartet nach. Er hatte jedoch nur deshalb nachgegeben, weil er sich insgeheim darüber freute, dass sein blauer Bruder auch noch die Farbe für seinen Teil des Rohrs bezahlen musste. Paul Plumboom Ausgefallene Einfälle
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Die Frauen im vorgerückten Alter und der Fürst Potemkin haben schon immer gewusst, dass die Fassade wichtiger ist als die Konstruktion. Anton Pawlowitsch Tschechow
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Die Krähen behaupten, eine einzige Krähe könnte den Himmel zerstören. Das ist zweifellos, beweist aber nichts gegen den Himmel, denn Himmel bedeutet eben: Unmöglichkeit von Krähen. Franz Kafka
Tarabas bemerkte bald zu seinem
Dingen schicksalhafte Bedeutung
Schrecken, daß er im Begriffe war,
zuzutrauen. Er begann, Laternen
sich wieder der Bar zu nähern. Nun
und Pflastersteine zu zählen, die
kehrte er um, bog um die Ecke,
kleinen, viereckigen Netzlöcher
verlor sich in einer Seitenstraße,
der Kanalgitter, die geschlossenen
war überzeugt, daß er die linke
und die offenen Fenster dieser
Richtung einhalten müsse, und
und jener Häuser und die Zahl
erkannte ein paar Sekunden hie-
seiner eigenen Schritte von einem
rauf, daß er im Rechteck herum-
bestimmten Punkt der Straße aus
gegangen war und sich nun zum
bis zum nächsten Übergang.
zweitenmal in der Nähe der Bar befand. Unterdessen hielt er, wie
Josef Roth
es seine Art war, Ausschau nach
TARABAS – Ein Gast auf dieser Erde
einem der Zeichen, die Glück oder Unheil bringen konnten, einem Schimmel, einer Nonne, einem rothaarigen Menschen, einem rothaarigen Juden, einer Greisin, einem Buckligen. Da sich kein einziges Zeichen begab, beschloß er, anderen
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Großstädtisch Zeige mir wie du baust und ich sage dir, wer du bist. Christian Morgenstern
Ville Contemporaire
D
ie Vision des Stararchitekten Le Corbusier im Jahr 1922: Vierundzwanzig Hochhäu-
ser mit jeweils sechzig Geschossen, symmetrisch aufgestellt auf Pilotis genannten Säulen, auf einer Fläche von ungefähr 2,4 mal 1,5 Kilometern. Hier läuft alles zusammen: Arbeit, Befehlsgewalt, Wohnen. In jedem Hochhaus arbeiten zwischen zehnund fünfzigtausend Menschen. Das Gehirn der Stadt, das Gehirn des Landes. Die Zwischenräume der im weiten Abstand stehenden Gebäude füllen ausgedehnte Parks und grüne Freiflächen. Bäume schließen das Blickfeld, wollen der einem menschlichen Maß sehr fernen Stadt einen Maßstab vermitteln und bilden mit ihren Umrissen einen Kontrast zu den Bauwerken. Schaut man aus dem Fenster eines Büros, sieht das Auge nur den Himmel, die weitgedehnten Grünflächen und, in der Ferne, die Wolkenkratzer der Stadt. Das Projekt wurde nicht realisiert. Glück oder Unglück?
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Spiegelfenster
Das eigentliche Wunder ist die Geburt der Seele einer Stadt. Als Massenseele von ganz neuer Art, deren letzte Gründe für uns ein ewiges Geheimnis bleiben werden, sondert sie sich plötzlich ab aus dem allgemeinen Seelentum ihrer Kultur. Ist sie erwacht, so bildet sie sich einen sichtbaren Leib. Aus der dörflichen Sammlung von Gehöften, von denen jedes seine eigene Geschichte hat, entsteht ein Ganzes. Und dieses Ganze lebt, atmet, wächst, erhält ein Antlitz und eine innere Form und Geschichte. Von nun ist außer dem einzelnen Hause, dem Tempel, dem Dom, dem Palast auch das Stadtbild als Einheit der Gegenstand einer Formensprache und Stilgeschichte, welche den ganzen Lebenslauf einer Kultur begleitet. Oswald Spengler Der Untergang des Abendlandes
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Gedanklich Viele Lehren sind wie eine Fensterscheibe. Durch sie sehen wir die Wahrheit, aber sie trennt uns von der Wirklichkeit. Khalil Gibran
Leben: das, was sich allein entwickelt, wenn wir es lassen. Kunst: das, was nur durch unser Zutun entsteht. Lebenskunst: die Balance von Tun und Lassen. Angela Roethe
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Den Mond im Fenster hat der Dieb zurückgelassen. Ryôkan
Herbstabend, auf diesem Weg geht niemand. Bashô
Nur der Mond und ich sind geblieben – auf der Brücke im kalten Wind. Kikusha-ni
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Die Fensterschau
Der bleiche Heinrich ging vorbei, Schön Hedwig lag am Fenster. Sie sprach halblaut: Gott steh mir bei, Der unten schaut bleich wie Gespenster! Der unten erhebt sein Aug in die Höh, Hinschmachtend nach Hedewigs Fenster. Schön Hedwig ergriff es wie Liebesweh, Auch sie ward bleich wie Gespenster. Schön Hedwig stand nun mit Liebesharm Tagtäglich lauernd am Fenster. Bald aber lag sie in Heinrichs Arm, Allnächtlich zur Zeit der Gespenster. Heinrich Heine Buch der Lieder
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Luft und Licht sind die Liebhaber der Blumen, aber das Licht ist der Begünstigte. Zum Licht wenden sie sich, verschwindet es, so rollen sie ihre Blätter zusammen und schlafen in der Umarmung der Luft ein. Hans Christian Andersen
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Über den Autor Joachim Zischke ist 1953 in Freiburg im Breisgau geboren. Seine Ausbildung in kaufmännischen und
betriebswirtschaftlichen
Fachrichtungen
durchlief er in Melbourne, Hamburg und London. Sein erstes Buch, Das Desktop Publishing Buch, erschienen 1987, war auch das erste über dieses Fachgebiet im deutschprachigen Raum und wurde in mehrere Sprachen übersetzt. Joachim Zischke beschäftigt sich heute als Autor und Berater mit den Themen Ideen, Innovation, Wissenstransfer und visueller Weinsensorik. Er lebt und arbeitet an der Deutschen Weinstraße.
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Über das Buch Dieses Buch wurde in den Schriften Optima, Lucida Bright und Weidemann von Joachim Zischke gesetzt. Fotografen der Plattform www. morguefile.com recherchierten an weltweiten Orten. Das Buch wurde mithilfe von Elektrizität aus nachhaltigen Quellen hergestellt. Bild- und Textauswahl, Ausstattung und Typografie von Joachim Zischke.
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© 2015 Joachim Zischke. Bad Dürkheim Dialogus Autorverlag dialogus.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Autors unzulässig. Das gilt vor allem für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. ISBN 978-3-925187-05-6 | 1005 | 1