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German Pages 210 [212] Year 2000
Eva-Maria Schwickert Feminismus und Gerechtigkeit
Eva-Maria Schwickert
Feminismus und Gerechtigkeit • ·
Uber eine Ethik von Verantwortung und Diskurs
Akademie Verlag
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Schwickert, Eva-Maria: Feminismus und Gerechtigkeit : über eine Ethik von Verantwortung und Diskurs / Eva-Maria Schwickert. - Berlin : Akad. Verl., 2000 Zugl.: Berlin, Freie Univ., Diss., 1999 ISBN 3-05-003537-4 © Akademie Verlag GmbH, Berlin 2000 Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN / ISO 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Einbandgestaltung: Günter Schorcht, Schildow Druck: GAM MEDIA, Berlin Bindung: N. Klotz, Jettingen-Scheppach Printed in the Federal Republic of Germany
Meinen Eltern in Dankbarkeit gewidmet
Inhalt
Inhalt
5
Vorwort
9
Einleitung
11
Deontologische und teleologische Moralbegründung
13
Problemaufriss und Gang der Untersuchung
19
TEIL I: VERGLEICH DER ENTWICKLUNGSTHEORIEN KOHLBERGS UND GILLIGANS
27
1
Lawrence Kohlberg: Stufentheorie der Gerechtigkeitsethik
27
2
Carol Gilligan: Care-Ethik
44
2.1
Das Stufenmodell der Fürsorgeethik
55
2.2
Kritik des Gerechtigkeitsverständnisses Gilligans
58
3
Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Fürsorge- und Gerechtigkeitsethik
61
3.1
Gemeinsamkeiten zwischen Fürsorge- und Gerechtigkeitsethik
61
3.1.1
Naturalistischer Fehlschluss der Fürsorgeethik
62
3.2
Unterschiede zwischen Fürsorge- und Gerechtigkeitsethik
64
3.2.1
Kontextualistische Moralbegründung
65
3.2.2 3.2.2.1 3.2.2.2
Gefühle Motivation durch Gefühle Einfühlungsvermögen und Anteilnahme
65 65 71
3.2.3
Verbundenheit
72
3.2.4
Verantwortung der Handlungsfolgen
72
6
Inhalt
4
Überprüfung der Zwei-Moralen-These
74
4.1
Empirische Überprüfung der Zwei-Moralen-These
74
4.2
Argumentative Überprüfung der Zwei-Moralen-These
85
4.2.1
Kritik der Zwei-Moralen-These
87
5
Universalistische Ethik der Gerechtigkeit und Fürsorge
89
TEIL II: ETHISCHE URTEILSKOMPETENZ: PSYCHOLOGISCHE E R K L Ä R U N G - PHILOSOPHISCHE BEGRÜNDUNG
93
6
Von der Identitäts- zur Komplementaritätsthese
95
6.1
Kritik der Komplementaritätsthese
97
7
Reichweite und Grenzen rekonstruktiver Wissenschaft
8
Letztbegründung oder faktische Alternativenlosigkeit? Zum Verhältnis von Formal- und Transzendentalpragmatik
8.1
101
103
Infallible Argumentationsvoraussetzungen und fallible Rekonstruktionen?
104
8.2
Argumentationstheorie versus Geltungsreflexion
106
9
Die Notwendigkeit transzendentaler Normenbegründung
108
10
Argumentieren: Metapraxis des Denkens und Forschens
112
10.1
Die Prinzipien vom zu vermeidenden Widerspruch und vom
10.2
ausgeschlossenen Dritten (tertium non datur)
112
Wertneutralität empirischer Sozialwissenschaften?
116
TEIL III: ENTWICKLUNGSPSYCHOLOGIE UND HERMENEUTIK
119
11
Methodenwahl in Abhängigkeit vom Vorverständnis
121
12
Transzendentalpragmatische Interpretation der Hermeneutik
123
13
Von der semantischen zur pragmatischen Theorie der Bedeutung
126
13.1
Geltungslogische Grenzen der Pragmatisierung von Sinn
127
13.2
Transzendentalisierung der Frage nach dem Sinnverstehen
129
13.3
Apriori der Sinnkonstitution
129
13.4
Apriori der Geltungsrechtfertigung
131
14
Von der Transzendentalpragmatik zur Ethik
134
7 15
Objektivität der praktischen und theoretischen Wissenschaften
138
16
Die kritisch-methodische Funktion des hermeneutischen Zirkels
140
TEIL IV: DISKURSETHISCHE ERWEITERUNG DER GERECHTIGKEITSETHIK
143
17
Was leistet die Dilemma-Methode?
143
18
Vier mögliche Bedeutungen der Fürsorge bei Gilligan
147
18.1
Einzelfallgerechtigkeit
148
18.2
Situationsangemessenheit
149
18.3 18.3.1
Folgenverantwortung Exkurs: Moralischer Rigorismus der kantischen Ethik
153 155
18.3.2
Transzendentalpragmatische Korrektur
158
18.4
Performanz
160
19
Zweistufige Architektonik der Diskursethik
163
20
Trägt die Diskursethik den vier Fürsorgeaspekten Gilligans Rechnung?
168
21
Drei Stufen transzendentalpragmatischer Normenbegründung
176
22
Postkonventioneller Verantwortungsuniversalismus: Stufe 7 und 8
184
23
Gilligans Fürsorgeethik zwischen postkonventioneller Gesinnungsund Verantwortungsethik
188
Deontologische und teleologische Sollgeltung der Ethik
190
24
Literaturverzeichnis
193
Personenregister
209
Vorwort
Die vorliegende Untersuchung ist eine geringfügig überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Sommersemester 1999 vom Fachbereich Philosophie- und Geisteswissenschaften der Freien Universität Berlin angenommen wurde. Für die wissenschaftliche Betreuung möchte ich mich sehr herzlich bei Prof. Dr. Dietrich Böhler, FU Berlin, und Prof. Dr. Herta Nagl-Docekal, Universität Wien, bedanken. Die Orientierung und ständig neue Herausforderung meines Denkens verdanke ich Prof. Dr. Karl-Otto Apel und der durch ihn begründeten Transzendentalpragmatik. Carol Gilligans feministische Kritik der Gerechtigkeitsethik beschäftigt mich seit gut zehn Jahren. Erstmalig kam ich mit diesem Thema in Berührung durch das Frauenstudien- und Weiterbildungsprojekt an der Universität des Saarlandes. Es folgten 1989 ein Vortrag im Rahmen einer Frauenringvorlesung des Philosophischen Instituts der FU Berlin, ein vom Berliner Senat für Frauen, Jugend und Familie gewährtes Stipendium, dessen Resultat 1992 durch die Zentraleinrichtung zur Förderung von Frauenstudien und Frauenforschung an der FU Berlin veröffentlicht wurde, 1994 ein Vortrag im Rahmen des XVI. Deutschen Kongresses für Philosophie in Berlin und 1996 ein Vortrag im Rahmen der Jahrestagung der Societas Ethica. Die vorliegende Arbeit verfolgt die Absicht, Gilligans Kritik der Gerechtigkeitsethik und ihre fürsorgeethische Alternative kritisch zu würdigen. Während ich ehedem darum bemüht war, die von Gilligan behauptete Notwendigkeit der Fürsorgeethik auf ihr verkürztes Gerechtigkeitsverständnis zurückzuführen und ihre moralische Berechtigung zurückzuweisen, geht es mir heute mehr darum, die Intention der Gerechtigkeitskritik zu verteidigen und sie im Rahmen einer Erweiterung der Stufentheorie Kohlbergs zur Geltung zu bringen. Wie aus der Darstellung der Entstehungsgeschichte der vorliegenden Untersuchung hervorgeht, ist ihr Resultat das Ergebnis eines intellektuellen Reifungsprozesses, der in Auseinandersetzung mit der wohlwollenden Kritik von Kollegen und Freunden entstanden ist. Daher möchte ich mich an dieser Stelle ganz herzlich bei Gisela Raupach-Strey, Barbara Strobel, Horst Gronke, Henning Moritz und Sigolf Axmann bedanken. Die Verbindung zum Akademie Verlag verdanke ich der Aufgeschlossenheit von Mischka Dammaschke.
Berlin, im Mai 2000
Eva-Maria Schwickert
Einleitung
Die vorliegende Untersuchung rekonstruiert die Kontroverse um die Geschlechtsabhängigkeit der Moral. Die Diskussion wurde ausgelöst durch die Kritik der amerikanischen Entwicklungspsychologin Carol Gilligan an dem von Lawrence Kohlberg ausgearbeiteten Stufenmodell der Entwicklung des ethischen Urteilsvermögens. Die von Kohlberg als moralische Reife definierte Gerechtigkeit wird von seiner ehemaligen Assistentin Gilligan kritisiert: Die Gerechtigkeit bringe lediglich das männliche Verständnis von Moral auf den Begriff und müsse daher um die typisch weiblichen Fürsorgeaspekte ergänzt werden. Im Mittelpunkt meiner Untersuchung steht die Frage, ( 1.) ob und inwieweit Gilligans Kritik berechtigt ist und (2.) in welcher Form sie Berücksichtigung finden sollte. Die Untersuchung kommt zu folgendem Ergebnis: Obschon die Kritik Gilligans zum Großteil einem verkürzten Verständnis der Gerechtigkeit aufruht, vermag sie auf ein verantwortungsethisches Defizit der Stufentheorie Kohlbergs aufmerksam zu machen. Dieses Defizit kann durch die transzendentalpragmatische Fundierung der Gerechtigkeitsethik korrigiert werden. Die sinnkritische Ausschöpfung der vollen Bedeutung der Gerechtigkeit erweitert das lediglich prinzipienorientierte Verständnis derselben. Sie offenbart neben der deontologischen auch eine teleologische Sollgeltung des Gerechtigkeitsprinzips. Die Pflicht zur diskursiven Rechtfertigung des Handelns impliziert die Pflicht, überhaupt moralisch zu handeln und sich für die Herbeiführung von Bedingungen einzusetzen, die ein menschenwürdiges und ethischer Rechtfertigung fähiges Leben zulassen. Zu diesen Bedingungen zähle ich nicht nur eine rechtsstaatlichen Grundsätzen genügende politische Ordnung, sondern auch die Existenz sozial intakter Gemeinschaften. Unter rechtsstaatlichen Handlungsbedingungen ist es überhaupt erst zumutbar, Interessenkonflikte gewaltfrei zu lösen und die strategische Verfolgung der eigenen Interessen zugunsten ihrer diskursiven Legitimation zurückzustellen. Moralisches Handeln wird aber nicht nur durch Rechtssicherheit ermöglicht. Es bedarf darüber hinaus einer ethischen1, nämlich direkt wertorientierten Motivation. Dies zeigt sich besonders in SituaAn dieser Stelle ist nicht das moderne Verständnis von Ethik i.S. einer metamoralischen bzw. moraltheoretischen Untersuchung angesprochen, sondern die aristotelische Bedeutung von Ethik als einer Analyse dessen, was wir unter einem guten bzw. werterfüllten Leben verstehen. Seit dem 20. Jhd., z.B. der 1963 erschienenen Analytischen Ethik von William Frankena, wird dem Begriff der aristotelischen Ethik der Begriff der kantischen Pflichtenethik gegenübergestellt. Die aristotelische Lehre vom guten Leben spricht Empfehlungen aus und erteilt Ratschläge. Damit steht sie im
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Einleitung
tionen fehlender Rechtsstaatlichkeit. Gerade in solchen Situationen kommt es darauf an, trotz des Risikos eigener Verluste, moralische Verantwortung - nicht nur vor den Gesetzen, sondern auch für die Gesetze - zu übernehmen. Um ein solches Handeln zu motivieren, bedarf es sozial intakter Gemeinschaften. Die Erfahrung von Wertorientierungen ermöglicht die Entwicklung individueller Werthaltungen. Diese erhöhen ihrerseits die Bereitschaft zur Übernahme moralischer Verantwortung. Das Prinzip der Gerechtigkeit ist nicht nur deontologisch, sondern auch in einem teleologischen Sinne verpflichtend. Die teleologische Bedeutung besteht darin, für die Ausbildung zunehmend herrschaftsfreier und verständigungsorientierter Verhältnisse zu sorgen. Die deontologische Sollgeltung des Gerechtigkeitsprinzips ist nicht auf die Funktion eines Legitimationskriteriums beschränkt. Sie ist nicht lediglich kognitiver Art, sondern unmittelbar verpflichtend. Wer die Gültigkeit dieses Prinzips einsieht, ist aufgefordert, entsprechend zu handeln. In Abwandlung der gegen Piaton gerichteten These des Aristoteles, dass nicht der Tugend Wesen zu wissen, höchst wertvoll sei, sondern zu erkennen, wodurch sie entstehe, denn „wir wollen nicht wissen, was Tapferkeit ist, sondern wollen tapfer sein und nicht was Gerechtigkeit ist, sondern gerecht sein" 2 , behaupte ich, dass beides normativ verbindlich ist: sowohl die Versenkung in die fragliche Idee der Tugend 3 (die Begründung der Richtigkeit moralischer Normen) als auch die Pflicht, entsprechend den als moralisch richtig begründeten Normen zu handeln. Dies aber ist nur möglich, wenn die gesellschaftlichen Verhältnisse mitbedacht und entsprechend gestaltet werden.
2 3
Widerspruch zu dem Typus einer kantischen Pflichtenethik, deren Moralprinzip (kategorischer Imperativ) universalistisch verbindlich sein soll. Die kantische Sollensethik ist im Vergleich zur aristotelischen Strebensethik auf die ethische Rechtfertigung des Handelns konzentriert. Hier geht es nicht um den Aufweis einer die Natur des Menschen vervollkommnenden Lebensführung, sondern um die Begründung eines für alle verpflichtenden Sollens. Aristoteles EE, 1216b6 Vgl. Aristoteles NE, I, 1096a28; II, 1105a26
Deontologische und teleologische Moralbegründung
Die Unterscheidung zwischen der Gerechtigkeits- und der Fürsorgeethik ähnelt der zwischen einer deontologisch (von griech. tò déon - das Erforderliche, die Pflicht) und einer teleologisch (von griech. telos - Ziel, Zweck) begründeten Ethik. Deontologische Normen-Ethiken fragen nach dem, was intersubjektiv verbindlich ist, d.h. nach einem Sollen (Prinzip), das von allen gleichermaßen anerkannt werden kann. Wert- und Strebens-Ethiken, einschließlich des Utilitarismus, suchen zu bestimmen, was gut ist, d.h. sie fragen nach deijenigen Lebensform, die wir für uns (oder andere für sich) realisieren wollen. Sollensethiken beanspruchen normative Verbindlichkeit. Wertethiken hingegen haben nur Empfehlungscharakter, da die Werte tendenziell empirisch, nämlich in Abhängigkeit vom kontingenten Wollen einer Gruppe bzw. der Menschheit als ganzer, begründet werden. Die Fürsorgeethik wird dem Typus einer teleologischen und die Gerechtigkeitsethik dem einer deontologischen Ethik zugeordnet. So begründen beispielsweise Anette Baier, Martha Nußbaum und Herlinde Pauer-Studer die in ihrem Sinne feministische Ethik durch das telos des guten, nämlich bindungsorientierten und verantwortungsbewußten Lebens.1 Die vorliegende Untersuchung hingegen stützt - in Übereinstimmung mit der Gerechtigkeitsethik Kohlbergs - die Sollgeltung moralischer Normen auf die vernunftexplikative Begründung der Ethik durch Kant (und Rawls)2. Den Begriff Ethik verwende ich im Sinne einer Theorie über den Gegenstandsbereich der Moral. In diesem Verwendungszusammenhang bezeichnet Ethik die Meta- bzw. Reflexionsebene der Moral. Sie untersucht die Angemessenheit moralischer Begriffe und begründet Kriterien normativer Gültigkeit. Zentrale Begriffe der teleologischen Ethik sind Wohlwollen, Tugend, Menschenliebe und jüngst auch Verantwortung (Jonas); zentrale Begriffe der deontologischen Ethik sind Menschenwürde, Autonomie, Gerechtigkeit und ebenfalls Verantwortung (Apel). Der von beiden Ethiken gebrauchte Begriff der Verantwortung verweist auf die auch in der vorliegenden Untersuchung angestrebte Vermittlung der beiden Ethiken unter dem gemeinsamen Dach der Verantwortung.
Baier 1994, Pauer-Studer 1996, Nußbaum 1999 Während sich Kohlberg noch mit dem Anspruch der Begründung einer universalistischen Moral auf Rawls beruft, hat dieser den universalistischen Anspruch seiner Theorie der Gerechtigkeit mittlerweile zurückgenommen. (Vgl. Rawls 1985, 225)
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Deontologische und teleologische Moralbegründung
Die historische Dimension der Auseinandersetzung zwischen deontologischer und teleologischer Ethik geht zurück bis in die griechische Antike. Aristoteles kritisierte Piatons Idee des Guten, und später kritisierte Hegel in ähnlicher Intention die formale Prinzipienethik Kants. In beiden Fällen wird das gesellschaftlich Gute (gutes Leben - Aristoteles) gegen die Idee des Guten an sich (Piaton), die hegelsche Sittlichkeit (Lebenswelt) gegen die kantische Moralität (Vernunftmoral) ausgespielt. 3 In den siebziger Jahren erhielt die Kontroverse zwischen deontologischer und teleologischer Ethik mit dem Erscheinen von J. Rawls' Theorie der Gerechtigkeit neue Nahrung. Die Diskussion um den Geltungsgrund (Ilting) und die Reichweite moralischer Normen entbrannte mit neuer Vehemenz zuerst in den USA. In Deutschland gruppierte sich diese Diskussion um die Begriffe Neoaristotelismus und Kantianismus4 und mündete Anfang der neunziger Jahre in die Wiederholung der US-amerikanischen Debatte zwischen Kommunitaristen und Liberalen. 5 Der Punkt, an dem sich die Geister scheiden, ist die Frage nach der normativen Priorität entweder des Richtigen oder des Guten. William Frankena führt die Begründungsmuster auf zwei unterschiedliche Moralprinzipien zurück. „Es gibt mindestens zwei grundlegende, voneinander unabhängige Prinzipien der Moral, das Prinzip der Wohltätigkeit oder Nützlichkeit, das eine Maximierung der Summe des Guten in der Welt (d.h. genauer des Übergewichts von Gutem gegenüber Schlechtem) fordert, und das Prinzip der Gerechtigkeit", d.h. „den Gesichtspunkt der Gleichheit". 6 In jüngster Zeit mehren sich die Versuche, die beiden Ethiktypen miteinander zu verbinden. Zu den prominentesten Versuchen dieser Art zählt etwa Tugendhats Vermittlungsversuch einer neokontraktualistisch (Habermas)7 begründeten Moral der gegenseitigen Achtung. 8 Pauer-Studer startet einen ähnlichen Versuch mit umgekehrter Akzentu-
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8
Vgl. Kuhlmann 1986 Vgl. Kuhlmann (Hg.) 1986 Vgl. Honneth (Hg.) 1993; Forst 1994; Pauer-Studer 1996 Frankena 1963, 61 Habermas kritisiert an Tugendhats Vermittlungsversuch, dass er daran kranke, die moralisch richtige universalistische Intuition durch die kontraktual isti sehe Begründung derselben zu unterlaufen. „Wenn aber jeder jederzeit aus seiner egozentrischen Perspektive darüber befinden kann, ob es sich für ihn lohnt, sich überhaupt auf Moral einzulassen, verlieren die innerhalb des moralischen Sprachspiels möglichen Züge ihre kategorische Verbindlichkeit." (Habermas 1998, 182, Anm. 7) Tugendhat selbst distanziert sich in seinem Aufsatz Zum Begriff und zur Begründung der Moral vom Kontraktualismus als einem „Moralsubstitut". Ihm zufolge muß der Kontraktualismus „nicht nur auf moralische Wertungen (...) und eine spezifisch moralische Motivation verzichten, er ist auch nicht an und für sich egalitär und universell."(329) Letztlich laufe die vertragliche Begründung der Moral lediglich auf Konventionen hinaus. Um diesen Relativismus zu vermeiden, kombiniert Tugendhat die kontraktualistische Moralbegründung mit „einem natürlichen, rationalen Interesse, das besteht, sofern man überhaupt an einem Miteinander interessiert ist".(327) Die Pointe dieser Voraussetzung besteht darin, dass die Vertragsnormen nicht lediglich gewünscht werden, so wie man ein günstiges Tauschgeschäft wünscht, sondern dass sie quasi alternativenlos gewünscht werden, insofern sie die moralische Identität eines Menschen begründen. „Die Moral der universellen Achtung ist" - nach Tugendhat - „nur ein praktischer Vorschlag, und was es heißt, daß wir diesen zugleich als eine wechselseitige Forderung ansehen, ist nur zu klären, indem angegeben wird, was alles von ihm für uns abhängt(Htn. Verf.). (Tugenhat 1992a, 333) Vermutlich hat die Formulierung „was alles von ihmför uns abhängt" Habermas dazu bewogen, Tugendhats Moral der universellen Achtung dem
15 ierung. An Tugendhats Moralbegründung kritisiert sie, dass dieser das Gute letztendlich mit dem Kantischen Sollen zusammenfallen lasse9, und stellt dem eine Minimaltheorie des Guten als einen teleologischen Vermittlungsversuch gegenüber. In diesem Modell gelten moralische Pflichten lediglich hypothetisch, nämlich insofern sie sich „als notwendig zur Realisierung bestimmter allgemein einsichtiger Zielsetzungen begründen lassen."10 Die vorliegende Aufarbeitung der Kontroverse zwischen Kohlberg und Gilligan befürwortet eine umgekehrte Vermittlung. Das Ergänzungsverhältnis wird deontologisch, vernunftreflexiv und nicht empirisch, begründet. Zunächst müssen beide Ethiktypen begrifflich strikt auseinandergehalten werden, damit der Unterschied hinsichtlich ihres normativen Selbstverständnisses und Begründungsanspruchs deutlich wird. Betrachtet man die Bezugsgrößen, Vernunft einerseits und Ziel- bzw. Zweckorientierung andererseits, als konkurrierende Geltungsgründe, dann schließen sie sich gegenseitig aus. Beide Ethiktypen lassen sich allerdings in der Weise zusammenfuhren, dass nur die Verfolgung solcher Ziele legitim ist, die nicht gegen diskursiv begründete Normen verstoßen. In dieser Interpretation markieren beide Ethiktypen ein Bedingungsverhältnis. Die deontologische Ethik steckt den normativen Rahmen ab, innerhalb dessen die teleologische Ethik die Vorzugswürdigkeit bestimmter Tugenden und Werte begründet. Als teleologisches Argument zählt z.B. der Grund, dass bestimmte Ziele für den Bestand der Gemeinschaft notwendig und für die Mehrung des Guten in der Gemeinschaft nützlich sind. Gegen die von Pauer-Studer geltend gemachte Priorisierung der teleologischen Ethikbegründung spricht, dass dieses Modell die normative Gültigkeit des Konsenskriteriums seiner legitimatorischen Bedeutung enthebt und bis zur normativen Bedeutungslosigkeit heruntertransformiert. Begriffe wie das „Allgemeinwohl" lassen zwei Deutungen zu. Entweder wird die Gültigkeit des Konsenskriteriums unbegründeterweise vorausgesetzt, das würde allerdings den Rahmen einer teleologischen Ethik sprengen, oder seine legitimatorische Bedeutung wird schlicht geleugnet. Letztlich unterstellt die Auszeichnung von Gemeinwohlstandards die zweite Variante. Sie nimmt nicht die Konsensfähigkeit, sondern das empirische Wollen als Kriterium für normative Gültigkeit. Unterstellt wird die Annahme, dass bestimmte Allgemeinwohlstandards allen zum Vorteil gereichen und sich deshalb ein jeder bereit findet, die Verfolgung dieser Standards vertraglich zu vereinbaren. Die Reduktion der Legitimation moralischer Normen auf das utilitaristische Kriterium, ob sie allen zum Vorteil gereichen und die Reduktion des Konsenskriteriums auf die Bestimmung der für die Erreichung guter Zwecke jeweils geeigneten Mittel, leugnet die Bedeutung der Begründung von Normen. Die Autonomie1 ' der Begründung wird sowohl durch die Vorgabe empirisch gewollter (erstrebter)
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Kontraktualismus zuzuordnen. Letztlich scheint doch (nur) der Nutzen die Sollgeltung der Vertragsnormen zu begründen. Vgl. Pauer-Studer 1996, 175 ff, 248, 256 Pauer-Studer 1996, 14 Der Begriff 'Autonomie' bedeutet im Hinblick auf das Begründungsverfahren bzw. die Begründungsleistung, dass allein das bessere Argument, d.h. das Argument, das universalistisch
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Deontologische und teleologische Moralbegründung
Zwecke als auch durch die Definition der Vernunft im Sinne einer Zweck-MittelRationalität von vornherein unterbunden. In einem teleologisch begründeten Vermittlungsmodell verliert die diskursive Begründung von Normen ihre moralische Bedeutung. Sie wird überflüssig. Normen werden nicht wirklich begründet, sondern bestenfalls vereinbart. Eine Vermittlung von teleologischer und deontologischer Ethik findet nicht statt. Umgekehrt ist dies nicht der Fall. Die deontologische Begründung des Prinzips der Gerechtigkeit und die durch dieses Prinzip definierten Grenzen begründen überhaupt erst die Pflicht zur argumentativen Rechtfertigung all derjenigen Handlungsziele, die andere Menschen in Mitleidenschaft ziehen. Das Prinzip der Gerechtigkeit definiert ein Veto, für genau den Fall, in dem die gleiche Freiheit der Anderen, ihre Handlungsziele selbst zu bestimmen, eingeschränkt werden würde. Die durch das Konsensprinzip begründete Pflicht zur argumentativen Rechtfertigung des Handelns garantiert die gleichwertige Berücksichtigung der Interessen und Handlungsziele eines jeden Einzelnen. Die Rechtfertigungspflicht verhindert nicht die freie Bestimmung des individuellen Glücks, etwa durch die Bindung an basale Wertungen (Ch. Taylor) oder Allgemeinwohlstandards, sondern sie begründet überhaupt erste die ethische Pflicht zur Freistellung der individuellen Glücksbestimmung. Die Freiheit der individuellen Glücksbestimmung wird durch das Konsensprinzip zwar eingeschränkt, aber allein diese Einschränkung respektiert und ermöglicht die Anerkennung der Freiheit eines jeden Einzelnen. Jegliche Einschränkung der individuellen Freiheit ist rechtfertigungspflichtig. In genealogischer Hinsicht ist das Bedingungsverhältnis von deontologischer und teleologischer Ethik allerdings umgekehrt. Die Erfahrung intakter Sozialbeziehungen und eines auf gegenseitige Achtung und Rücksichtnahme gegründeten Wertempfindens' 2 ist in zeitlicher Hinsicht vorrangig. Beides sind lebensweltliche Voraussetzung-en, die bereits gegeben sein müssen, damit der Einzelne seine argumentative Kompetenz und Autonomie überhaupt erst entwickeln kann. Erst nachdem er diese Kompetenzen erworben hat, kann er die logische Priorität konkurrierender Ansprüche beurteilen bzw. begründen. Das genealogische Prius bestimmter Werterfahrungen ist jedoch nicht im Sinne eines Arguments zu werten, das die normative Priorität des Konsenskriteriums zu widerlegen im Stande wäre. Auch Gilligan bewegt sich, indem sie sich bemüht, gute Gründe für die Vorrangigkeit der Fürsorgemoral anzuführen, von vornherein auf der metamoralischen Ebene. Indem sie argumentiert, gibt sie zu erkennen, dass auch sie die normative Gültigkeit des Konsenskriteriums bereits anerkennt. Kohlberg weiß um die metamoralische (=ethische) Bedeutung des Gerechtigkeitsprinzips als eines postkonventionellen und selbstreflexiven Prinzips. Dessen Vorrangigkeit resultiert nicht aus der Faktizität eines gerechtigkeitsorientierten Urteilens, sondern aus der Möglichkeit seiner rationalen Begründung. „I make no direct claims about the ultimate aims of people, about the good life, or about other problems that a teleo-
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zustimmungsfahig ist, zählt und nicht irgendwelche, für die Erreichung variierender Zwecksetzungen geeignete Mittel. Das Wertempfinden ist freilich beeinflußt durch Werthaltungen.
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logical theory must handle. These are problems beyond the scope of the sphere of morality or moral principles, which I define as principles of choice for resolving conflicts of obligation. (...) Only a philosophical formalist who views morality as an autonomous domain, with its own criteria of adequacy or rationality, is likely to evaluate moral arguments by moral criteria rather than by philosophical criteria of rationality imported from nonmoral domains." 13
Kohlberg 1971, in Kohlberg 1981, 169. Im folgenden zitiert als Kohlberg 1981.
Problemaufriss und Gang der Untersuchung
Die Untersuchung ist in vier größere Blöcke unterteilt. In Teil I werden die konkurrierenden Entwicklungsstufenmodelle einander gegenübergestellt; in Teil II und III werden die methodologischen Voraussetzungen einer wechselseitigen Stützung von entwicklungspsychologischer und philosophischer Moraltheorie analysiert; und in Teil IV wird Kohlbergs Entwicklungsstufenmodell mit Hilfe der in Teil II und III ermittelten Erkenntnisse differenziert und schließlich erweitert. Teil I stellt Kohlbergs Stufenmodell der Gerechtigkeitsethik und Gilligans Stufenmodell der Fürsorgeethik vor. Der entscheidende Unterschied ist der, dass Kohlberg die höchste Stufe der Entwicklung des ethischen Urteilsvermögens nicht empirisch, sondern deontologisch (vernunftexplikativ) begründet und Gilligan den umgekehrten Weg einschlägt. Die deontologische Begründung der Stufe 6 als der Bezugsgröße des ethischen Urteilsvermögens fasst Kohlberg wie folgt zusammen: „At stage 6, the sense of justice becomes clearly focused on the rights of humanity independent of civil society, and these rights are recognized as having a positive basis in respect for the equal worth of human beings as ends in themselves. This implies that ( 1 ) civil rights represents the basic ends of humans to be respected, (2) equality of opportunity means a fundamental treatment of all people as of equal basic worth, and (3) contractual relations are not just agreements, but the fundamental form of a community of ends in themselves as defined by trust."' Im Gegensatz dazu gründet Gilligan die Sollgeltung der Fürsorgeorientierung einerseits auf die faktisch fürsorglichen Urteile ihrer Probandinnen und Probanden (naturalistischer Fehlschluss) und andererseits teleologisch, durch die Orientierung am Wert eines Lebens in wechselseitiger Verbundenheit. Im Unterschied zur Gerechtigkeit nennt sie folgende Definitionsmerkmale der Fürsorgeethik: Kontextualität des Urteils, Motivation durch Gefühle, Orientierung am Wert der Verbundenheit und Verantwortung der Handlungsfolgen. Die Ansprüche eines sowohl kontextangemessenen als auch folgenverantworteten Handelns erhebt Gilligan zu Recht. Allerdings sind beide Kriterien, entgegen ihrer Annahme, in der normativen Sollgeltung des Gerechtigkeitsprinzips enthalten und bedürfen folglich keiner Begründung durch ein ergänzendes Moralprinzip. Die Motivation Kohlberg 1981, 167
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Problemaufriss und Gang der Untersuchung
durch Gefühle und die Orientierung an bestimmten Werten lassen sich jedoch nicht im Sinne eines Prinzips verstehen, das geeignet wäre, die Legitimität von Handlungen zu begründen. Gefühls- und wertorientierte Handlungen sind nur insoweit gerechtfertigt, als sie der Sollgeltung des Prinzips der Gerechtigkeit (Kohlberg) bzw. des Konsenses (Apel/Habermas) nicht widersprechen. Gilligans Behauptung der parallelen Gültigkeit einer männlich gerechtigkeitsorientierten und einer weiblich fürsorgeorientierten Ethik kann, folgt man den empirischen Kontrolluntersuchungen, weder empirisch noch begrifflich bestätigt werden. Diese Aussage nimmt das Ergebnis der vorliegenden Untersuchung vorweg. Einerseits sind Gilligans Daten auf ihr durch die empirischen Kontrolluntersuchungen bestätigtes Maß zurückzufuhren, andererseits ist ihre moraltheoretische Behauptung, die These von der parallelen Gültigkeit zweier Ethiken, von Widersprüchen zu befreien und dementsprechend abzuschwächen. Dergestalt korrigiert, muss der Anspruch zweier geschlechtsgebunden unterschiedlicher, aber in moralischer Hinsicht gleich gültiger Ethiken zurückgewiesen werden. Bestand hat lediglich die moderatere Forderung einer komplementären Ergänzung von Gerechtigkeits- und Fürsorgeethik. Diese Ergänzungsbehauptung wird in Teil IV kritisch untersucht und bestätigt. Teil II gilt der methodologischen Reflexion der theoretischen Grundlagen der Moralentwicklungstheorie. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob überhaupt und in welcher Form eine Zusammenarbeit von psychologischer und philosophischer Moraltheorie möglich ist. Eine direkte, arbeitsteilige Zusammenarbeit muss aus Gründen der methodischen Eigenständigkeit beider Wissenschaften ausgeschlossen werden. Aufgabe der Psychologie ist die Beschreibung und rekonstruktiv verstehende Erklärung der Ontogenese der ethischen Urteilskompetenz, und Aufgabe der Philosophie ist die Begründung des normativen Prinzips der Ethik. Das entwicklungspsychologisch rekonstruierte Urteilsvermögen kann allerdings nur mit Bezugnahme auf ein philosophisch begründetes Prinzip der Ethik bewertet werden. Obschon eine methodische Zusammenarbeit zwischen entwicklungspsychologischer Rekonstruktion und philosophischer Begründung der ethischen Urteilskompetenz ausgeschlossen werden muss, ist eine wechselseitige Stützung beider Ethik-Begriffe unter der Voraussetzung möglich, dass die Autonomie sowohl des entwicklungspsychologischen Rekonstruktionsverfahrens als auch des philosophischen, sich reflexiv vergewissernden, Begründungsverfahrens gewährleistet wird. Diese indirekte Stützung nennt Apel „gutartige Version der naturalistic fallacy" 2 . Die gutartige Version einer wechselseitigen Stützung von Sein (faktischer Urteilskompetenz) und Sollen (Gerechtigkeitsprinzip) liegt vor, wenn sich die Rekonstruktion der faktisch ethischen Urteilskompetenz einerseits und die Begründung des Prinzips der Ethik andererseits nicht widersprechen und sich sogar wechselseitig erklären. Die Operation des Rollentauschs z.B. veranschaulicht die Bedeutung des kategorischen Imperativs. Auch die von der philosophischen Ethik geforderte und als zunehmend moralisch bewertete Ausweitung des Personenkreises, vor dem Geltungsansprüche zu rechtfertigen sind, muss im entwick2
Apel 1986a, 309
21 lungspsychologisch begründeten Stufenmodell ebenfalls als Fortschritt und nicht als Rückschritt erkennbar sein. Sollten sich der normativ gültige Ethikbegriff einerseits und die faktische Urteilskompetenz andererseits nicht entsprechen oder gar als unvereinbar darstellen, ist dies als Fehleranzeige zu werten und sollte zum Anlass genommen werden, beide Theorien zu überprüfen. Die behauptete Notwendigkeit einer philosophisch autonomen Moralbegründung wird am Beispiel der Auseinandersetzung zwischen Formal- (Habermas) und Transzendentalpragmatik (Apel) verdeutlicht. Habermas will die formalpragmatisch begründete Diskursethik, deren Diskursprinzip dem Gerechtigkeitsprinzip Kohlbergs weitgehend entspricht, offen halten für die Bewahrheitung durch die empirischen Wissenschaften. Die gewünschte Offenheit widerspricht jedoch dem von ihm selbst erhobenen Geltungsanspruch für den Diskursgrundsatz. Die universalistische Reichweite seines Geltungsanspruchs nimmt er in dem Maße zurück, in dem er die formalpragmatische Begründung des Diskursprinzips auf die Faktizität und die Kontingenz von Sprachspielen stützt.3 Dieser Widerspruch muss als Widerlegung der These von der empirischen Bewährung der Ethik gewertet werden. Die Notwendigkeit einer jeweils autonomen Rekonstruktion bzw. Begründung der Ethik von Psychologie und Philosophie bedeutet für die Entwicklungspsychologen, dass sie sich zwar einerseits den Ethikbegriff von der Philosophie vorgeben lassen müssen, andererseits aber die Beschreibung der Daten gerade nicht von einem empiriefremden Bewertungsmaßstab abhängig machen dürfen. Die Entwicklungspsychologen übernehmen sowohl hermeneutische als auch empirische Aufgaben. Je nach Fragestellung, ob sie als empirisch-analysierende Sozialwissenschaftler nach den Kriterien der faktischen Anerkennung moralischer Geltungsansprüche oder als Hermeneuten nach dem Sinn eines bestimmten moralischen Geltungsanspruchs fragen, müssen sie ihre Methode verändern. Das Sinnverstehen verlangt eine performative Einstellung der Interpreten als Diskursteilnehmer, und die Beschreibung faktischer Urteilsmaßstäbe fordert eine „bloß" theoretisch-objektivierende Einstellung. Als Interpreten können die Sozialwissenschaftler dem hermeneutischen Zirkel nicht entgehen. Sie können sich der im Objektbereich vorgefundenen Sprache nicht wie eines neutralen Instruments bedienen, sondern sie müssen sich vor der Theoriebildung Rechenschaft ablegen über das kommunikative Alltagswissen und seine sinnhaften Strukturen. Andernfalls kann das Verstehen von Sinnansprüchen und damit auch die Rekonstruktion faktisch erhobener Geltungsansprüche nicht gelingen. Gilligans Vorwurf, die Dilemma-Fragen Kohlbergs seien suggestiv und nähmen das gewünschte Ergebnis bereits vorweg, bestätigt die Zirkularität allen Verstehens. Der Rückgriff auf ein allgemeines Vorwissen ist nicht nur nicht zu vermeiden, sondern notwendig. Die Entwicklungspsychologen müssen den Moralbegriff, dessen Kenntnis sie - gestützt auf die Annahme des historischen Faktums der Rationalitätsentwicklung - nachzuweisen suchen, von vornherein als normative Bezugsgröße (telos und Bewertungsgrundlage) verwen-
Auch Kuhlmann kritisiert an Habermasens formalpragmatisch-empirischer Moralbegründung, dass dieser durch die Berufung auf empirisch kontingente Sprachspielpraxen den Anspruch auf intersubjektive Gültigkeit nicht aufrechterhalten könne. (Vgl. Kuhlmann 1992a, 188/89)
22
Problemaufriss und Gang der Untersuchung
den. Die Bezugsgröße grenzt den zu erfragenden Objektbereich ein. Sie bestimmt mit der Auswahl der Daten auch die Auswahl der Dilemma-Fragen. Dies ändert nichts an der Tatsache, dass die Entwicklungspsychologen in ihrer empirischen Arbeit aufgefordert sind, die ethischen Urteile ihrer Probanden werturteilsfrei zu beschreiben. Die Beschreibung bewegt sich auf der propositionalen Ebene. Ihr Ergebnis ist am Anspruch propositionaler Wahrheit zu messen. Der Rückgriff auf einen von der Philosophie bereits begründeten, normativ gültigen Moralbegriff ermöglicht es den Psychologen, die ethische Urteilskompetenz ihrer Probanden zu rekonstruieren, ohne dabei das Postulat der Wertneutralität zu verletzen. Denn der philosophisch begründete Ethikbegriff, aber nicht die faktische Urteilskompetenz der Probanden, definiert das normative Prinzip der Ethik. Die Fähigkeit der Begründung dieses Prinzips bezeichnet den Abschluss und folglich die höchste Stufe der Entwicklung der ethischen Urteilskompetenz. Der normative Gehalt des Prinzips, das die höchste Entwicklungsstufe definiert, fungiert als Bewertungsgrundlage für die Entwicklung der ethischen Urteilskompetenz. Die Bewertung erfolgt durch die Messung des Abstands zwischen dem faktisch geäußerten Urteil einerseits und der Normvorgabe durch das die höchste Stufe der ethischen Urteilskompetenz definierende Prinzip der Ethik. Je näher die Urteile bzw. die das Urteil begründenden Kriterien an das die höchste Kompetenzstufe auszeichnende Gerechtigkeitsprinzip heranreichen, desto besser sind sie ethisch gerechtfertigt und umgekehrt. Gilligans Forderung, die Probanden4 nicht durch Fragen zu beeinflussen, sondern frei über moralische Probleme berichten zu lassen, ist, so unvoreingenommen sie scheint, methodisch nicht korrekt. Die empirische Herangehensweise setzt voraus, dass die faktischen Moralurteile Auskunft geben über die Verbindlichkeit des sie begründenden Prinzips. Dies wäre aber nur dann der Fall, wenn die faktische Handlungsorientierung selbst als Grund für die moralische Verbindlichkeit der zugrundeliegenden Kriterien zählen könnte. Dies setzt Gilligan voraus. Aufgrund dieser Voraussetzung glaubt sie sich berechtigt, den End- bzw. Reifepunkt der Entwicklung des ethischen Urteilsvermögens je nach faktischer, männlicher oder weiblicher, Bevorzugung definieren und auswechseln zu können. Wenn aber die faktische Handlungsorientierung selbst als Grund für ihre Legitimität ausgewiesen wird, dann ist dies eine unzulässige und daher fehlerhafte Ableitung von einem empirisch gegebenen Sein auf ein normativ verpflichtendes Sollen. Die Missachtung des naturalistischen Fehlschlussarguments verwickelt Gilligan in einen doppelten Widerspruch: (1) den logischen Widerspruch der Behauptung zweier Ethiken, die sich selbst widerlegt, da ihre Wahrheit die Gültigkeit eines übergeordneten Prinzips der Ethik voraussetzt, das seinerseits einen und nicht zwei ethische Gültigkeitskriterien definiert und (2) den performativen Widerspruch der Bestreitung der universalistischen Gültigkeit einer Ethik bei gleichzeitiger Inanspruchnahme derselben im Akt des Bestreitens.
Die männliche Form der Substantive steht stellvertretend für beide Geschlechter, 'Probanden' stellvertretend für Probandinnen und Probanden', bis auf die Fälle, in denen explizit nur ein Geschlecht angesprochen wird.
23 Die Widersprüche zeigen, dass die Gültigkeit der Ethik grundsätzlich nicht empirisch begründet werden kann, sondern einzig durch die Aufdeckung und Rekonstruktion des aktuell - auch von Gilligan - erhobenen moralischen Geltungsanspruchs erschlossen werden kann. Das argumentationsreflexiv aufgedeckte Prinzip der Ethik bedarf keiner empirischen Bewahrheitung. Der hermeneutische Zirkel schließt sich nicht erst, wie Habermas postuliert, auf metatheoretischer Ebene durch die Bestätigung (den Erklärungswert) der philosophischen Ethik im Verwendungszusammenhang der deskriptiven Theorie, sondern bereits auf der normativen Ebene. Nicht die faktische Inanspruchnahme von Argumentationsregeln, bzw. die Alternativenlosigkeit zu diesen Argumentationsregeln (Habermas), begründet ihre ethische Gültigkeit, sondern der Nachweis ihrer argumentativen Unhintergehbarkeit (Apel). Teil III: Die indirekte Arbeitsteilung zwischen der autonomen Beschreibung und der davon unabhängigen Begründung ethischer Urteilskriterien setzt voraus, dass es prinzipiell möglich ist, nicht nur den Sinn (die Intention) einer Äußerung zu verstehen, sondern auch ihre Bedeutung richtig zu beurteilen. Die Möglichkeit objektiven Verstehens wird durch die transzendentalpragmatische Explikation der Hermeneutik begründet. Das Ergebnis dieser Explikation des Verstehens ist die Offenlegung zweier für den Prozess des Verstehens konstitutiver Bedingungen, das Apriori der Sinnkonstitution und das Apriori der Geltungsrechtfertigung. Heidegger und Wittgenstein gelten nach transzendentalpragmatischer Lesart als Wegbereiter dieser Erkenntnis. Sie begründen ihre Kritik an der nominalistischen Sprachauffassung der traditionellen Ontologie und Metaphysik durch den Verweis auf das bereits mit dem Erlernen einer Sprache erworbene Weltvorverständnis. Dieses Vorverständnis deuten sie - entgegen der hier vertretenen Auffassung - nicht als Beweis, sondern als Widerlegung der Möglichkeit objektiven Verstehens. Transzendentalisiert man ihre Frage nach den lebensweltlich-anthropologischen Bedingungen des Verstehens und fragt nach den Bedingungen der Möglichkeit des Verstehens überhaupt, verdeutlicht dies einerseits die Notwendigkeit (Unverzichtbarkeit) des lebensweltlich bedingten Vorwissens (neu zu verstehender Sinn muss auf bereits verstandenen Sinn bezogen werden), andererseits aber auch die kriteriologische Unzulänglichkeit desselben. Die Frage nach der Möglichkeit nicht nur des unspezifischen Verstehens von Sinn, sondern auch des spezifischen, nämlich richtigen Verstehens der Bedeutung macht darauf aufmerksam, dass die Sprache neben dem lebensweltlich inhaltlichen Vorwissen auch ein kriteriologisches Vorwissen bereithält. Alle kompetenten Sprecher wissen intuitiv, wie Geltungsansprüche rational einzulösen sind. Dieses intuitive Wissen (know how) kann als Argumentationswissen (know that) rekonstruiert werden. Die Kenntnis von Argumentationsregeln versetzt alle kompetenten Sprecher in die Lage zu wissen, dass die Gültigkeit konkurrierender Sinnansprüche einzig nach Maßgabe ihrer Konsensfähigkeit beurteilt werden kann. In Teil IV wird das Ethikverständnis Gilligans in verantwortungsethischer Hinsicht konkretisiert und zugespitzt. Die Ausarbeitung ihres Anliegens und der Vergleich mit Kohlbergs Ethik bestätigen eine gesinnungsethische Verkürzung der Gerechtigkeitse-
24
Problemaufriss und Gang der Untersuchung
thik, die in wesentlich abgeschwächter Form auch noch bei Habermas vorliegt. Habermas weist Gilligans Kritik mit dem Argument zurück, sie unterscheide nicht hinreichend zwischen der Begründung und der Anwendung moralischer Normen im Kontext einer konkreten Situation. Diese Kritik ist jedoch, unabhängig davon, ob sie auf Gilligans Argumentation zutrifft oder nicht, selbst nicht konsistent. Denn die Unterscheidung zwischen Begründungs- und Anwendungsdiskursen relativiert das Kriterium der Konsensfahigkeit. Welchen Sinn hätte die konsensuelle Begründung von Normen, wenn die so begründeten Normen im Zuge ihrer Anwendung im Kontext einer bestimmten Situation durch nicht konsensuell begründete Normen eingeschränkt und korrigiert werden dürften? Bereits die Forderung, situationsangemessene und nicht abstrakte Normen zu begründen, unterstellt die Gültigkeit eines übergeordneten Prinzips der Ethik, das die Notwendigkeit der Situationsangemessenheit nicht in Ergänzung zu dem Prinzip der Ethik, sondern in Folge dieses Legitimationsprinzips begründet. Das Prinzip der Ethik ist Ausdruck der Metaebene der Normenbegründung. Konkrete Normen werden nach Maßgabe dieses Prinzips immer nur mit- und nicht ohne Bezugnahme auf eine konkrete Situation begründet. Das Bild der Anwendung abstrakt begründeter Normen auf konkrete Handlungssituationen ist schief. Es relativiert die normative Bedeutung des Prinzips der Gerechtigkeit. Allein dieses Prinzip kann, dies zeigt Teil IV der vorliegenden Untersuchung, ohne Situationsbezug, nämlich strikt argumentationsreflexiv, begründet werden. Der reflexive Aufweis der normativen Gültigkeit dieses Prinzips muss der Begründung situationsangemessener Normen vorausgehen. Denn die normative Gültigkeit kontextspezifischer Normen kann erst im Lichte dieses Prinzips beurteilt werden. Die gesinnungsethisch verkürzte Deutung der Gerechtigkeit im Sinne eines bloßen Legitimationsprinzips, das im Zuge seiner 'Anwendung' auf bestimmte Situationen zusätzlicher Anwendungskriterien bedürfe, wird in Ergänzung zu dem bereits durch Habermas erweiterten 7-Stufen-Modell durch eine achte Stufe (mein Vorschlag) behoben. Mit der achten Stufe reziproker Verantwortungsübernahme ist der Anspruch verbunden, das verantwortungsethische Defizit Kohlbergs zu korrigieren und den Einwänden Gilligans, so weit sie berechtigt sind, Rechnung zu tragen. Versteht man die auf Stufe 6 geforderte Reziprozität des ethischen Urteilens nicht nur im Sinne eines Gültigkeitskriteriums, sondern auch im Sinne einer Handlungsverpflichtung, dann wird deutlich, dass nicht nur einzelne Handlungen und ihre Folgen verantwortet werden müssen, sondern dass wir grundsätzlich immer auch verpflichtet sind, unsere Handlungsbedingungen so zu gestalten, dass moralisches Handeln zumutbar (erleichtert) wird. Auswahl des Untersuchungsgegenstands: Der argumentative Charakter der Untersuchung erfordert eine gezielte Auswahl sowohl des zu untersuchenden Gegenstandsbereichs als auch der Untersuchungsmethode. Es erschien mir wichtiger, Kohlberg und Gilligan ausführlich zu Wort kommen zu lassen als die Vielzahl ihrer Rezensenten. Eine pointierte und übersichtliche Darstellung der vorwiegend feministischen Rezeption Gilligans findet sich in dem bereits erwähnten Buch Das Andere der Gerechtigkeit von H. Pauer-Studer.
25 Eine philosophische Untersuchung sollte m.E. auf die Vorstellung empirischer Kontrolluntersuchungen nicht verzichten. Die Ergebnisse der empirischen Forschung sind zwar nicht in der Lage, eine genuin philosophische Fragestellung zu beantworten, aber sie helfen, sich über die Grenzen des Gegenstandsbereichs, der tatsächlich in Frage steht, Klarheit zu verschaffen. Mein vordringlichstes Interesse gilt der Offenlegung der deontologischen und teleologischen Hintergrundannahmen der Kohlberg/Gilligan-Kontroverse. M.E. lässt sich die deontologische Ethik im Rahmen der Transzendentalpragmatik so begründen, dass auch dem Anliegen der teleologischen Ethik Rechnung getragen werden kann. Die Darstellung der Transzendentalpragmatik nimmt daher einen großen Raum ein. Sie klärt die wissenschaftstheoretischen und methodologischen Voraussetzungen der Kohlberg/Gilligan-Kontroverse und begründet die Möglichkeit einer übergeordneten (metamoralischen) Ethik. Diese Ethik vermag sowohl dem Anliegen der Gerechtigkeitsethik Kohlbergs als auch dem der Fürsorgeethik Gilligans gerecht zu werden. Zum Schluß sei noch auf die im Ergebnis dieser Untersuchung postulierte Stufe 8 der ethischen Urteilskompetenz hingewiesen, die sich aus verantwortungsethischen Gründen als notwendig erweist. Sie reagiert auf die in der Lebenswelt gegebenen Einschränkungen der kommunikativen Freiheit. Diese Einschränkungen zwingen uns, nicht ausschließlich kommunikativ, sondern auch strategisch zu handeln. Art und Umfang des strategischen Handelns müssen ihrerseits rechtfertigungsfahig sein. Eine Ursache des in der Lebenswelt mitunter vorherrschenden strategischen Handelns sind die systemfunktionalen Sachzwänge von Wirtschaft, Politik und Recht. Ich möchte betonen, dass die vorliegende Untersuchung auf die ontogenetische Entwicklung der individuellen Urteilskompetenz konzentriert ist. Aus diesem Grund wurde auf eine Analyse des systemischen Zwangscharakters dieser eigenlogisch strukturierten Medien verzichtet. Das in Form der Stufe 8 charakterisierte verantwortungsethische Problem unserer Zeit besteht gerade darin, die systemische Rationalität der Subsyteme mit der kommunikativen Rationalität ethischer Rechtfertigung derart zu vermitteln, dass nicht weniger, sondern mehr kommunikative Rationalität ermöglicht wird.
TEIL I: VERGLEICH DER ENTWICKLUNGSTHEORIEN KOHLBERGS UND GILLIGANS
1
Lawrence Kohlberg: Stufentheorie der Gerechtigkeitsethik
In Anlehnung an Jean Piagets Theorie der moralischen Entwicklung von Kindern 1 entwickelte Lawrence Kohlberg unter Miteinbeziehung der Untersuchungen Erik Eriksons über die Moralentwicklung bei Erwachsenen 2 ein Stufenmodell, das die ontogenetische Entwicklung des ethischen Urteilsvermögens von Heranwachsenden rekonstruiert. Kohlberg baute die ursprüngliche Theorie Piagets mit ihrer globalen Trendaussage „von der Heteronomie zur Autonomie" zu einem 6-Stufen-Modell aus, das die Entwicklung des ethischen Urteilsvermögens in kognitiv-struktureller Hinsicht erklärt. Dieses Modell entwarf er anhand der Auswertung von Interviewserien zu moralischen Konfliktsituationen, wie dem berühmten Heinz-Dilemma, das hier in verkürzter Form wiedergegeben wird.3 Eine todkranke Frau litt an einer besonderen Krebsart. Es gab nur ein Medikament, das nach Ansicht der Ärzte ihr Leben hätte retten können. Der Stadtapotheker hatte es kurz zuvor entdeckt. Obwohl das Medikament schon in der Herstellung sehr teuer war, verlangte der Apotheker ein Vielfaches seiner eigenen Kosten. Heinz, der Ehemann der kranken Frau, borgte von all seinen Bekannten Geld, brachte aber nur die Hälfte des Preises zusammen. Nach ergebnislosen Verhandlungen brach Heinz in die Apotheke ein und stahl das Medikament fur seine Frau. An eine solche Vorgabe schließen sich Fragen an: Hätte Heinz das Medikament stehlen sollen? Warum? Was ist schlimmer, jemanden sterben zu lassen oder zu stehlen? Warum? Hätte ein Ehemann einen triftigen Grund zu stehlen, auch wenn er seine Frau nicht liebt? Wäre es genauso gerechtfertigt, für einen Fremden wie für die eigene Frau zu stehlen? Warum? Angenommen, Heinz stiehlt das Medikament für ein Haustier, das er sehr gern hat, wäre es gerechtfertigt für ein solches Tier zu stehlen? Heinz stiehlt das Medikament und wird festgenommen: Soll der Richter ihn verurteilen? Warum? Der Richter überlegt sich, Heinz ohne Strafe frei zu lassen. Was könnten die Gründe sein?
' 2 3
Vgl. Piaget 1932 Vgl. Erikson 1950 Ungekürzt in: Kohlberg 1995, Anhang, 4 9 5 - ^ 9 8
Vergleich der Entwicklungstheorien
28
Wenn man einmal daran denkt, dass wir alle in einer Gesellschaft zusammenleben, welche Gründe hätte der Richter dann, Heinz zu verurteilen? Kohlberg interessiert sich weniger für die Lösung des jeweiligen Problems, als vielmehr für die Begründung der vorgeschlagenen Lösung. Er differenziert 6 Stadien der Entwicklung, die auf drei Niveaustufen angesiedelt sind. Die Niveaus wiederum unterscheiden sich dadurch, dass jeweils spezifische Orientierungspunkte bei der Lösungssuche bevorzugt werden.
Stufenschema der Entwicklung des ethischen Urteilsvermögens nach L. Kohlberg 4
Í
Vorkonventionelle
1
„Orientierung an Bestrafung und Gehorsam"
2
„Naiv egoistische Orientierung an
Stufe
Gegenseitigkeit" 4II Konventionelle Stufe
1. Reifungskrise 3
4-
„Orientierung am Idealtypus des guten Jungen"
4
„Orientierung an der Aufrechterhaltung von Autorität und sozialer Ordnung"
4 III Nachkonventionelle
2. Reifungskrise 5
X
„Legalistische Vertragsorientierung"
Stufe 6
„Orientierung am Gewissen oder an Prinzipien"
Kohlberg beansprucht für die von ihm ausgearbeitete Entwicklungsskala, dass sie von unten (Stufe 1) nach oben (Stufe 6) fortschreitet, d.h. dass der Entwicklungsprozess gerichtet und unumkehrbar ist.5 Mit zunehmender Reife bewegt sich die Urteilsfähigkeit 4
5
Das Schema ist entnommen aus Apel/Böhler/Rebel (Hg.) (1984), 71. Vgl. auch Kohlberg 1974, 60/61; Habermas 1973 198ff; Habermas 1976, 75ff; Habermas 1983, 176f; Habermas 1984, 220. Die These von der Gerichtetheit, Universalität und Irreversibilität wurde deskriptiv und experimentell belegt: deskriptiv durch sogenannte Längsschnittstudien, bei denen dieselben Personen in einem Abstand von zwei oder mehr Jahren regelmäßig befragt wurden. Experimentell erfolgt der Nachweis durch die Konfrontation der Versuchspersonen mit Argumentationsmustern strukturell höherer oder auch niedrigerer Entwicklungsstufen. Die Probanden sollen, der Theorie folgend, sich gegebenenfalls die nächst höhere Argumentationsstufe zu eigen machen und nicht zwei Stufen auf einmal nehmen bzw. eine überspringen können. Dieser Erwartung liegt die Überlegung zugrunde, dass eine höhere Entwicklung nur dann verstanden werden kann, wenn sie dem eigenen Entwicklungsniveau nicht zu
Lawrence Kohlberg: Stufentheorie der Gerechtigkeitsethik
29
der Jugendlichen auf der Skala nach oben, wobei einschränkend hinzugefügt werden muss, dass nicht alle Menschen die höchste Stufe erreichen. „Auf dem präkonventionellen Niveau befinden sich die meisten Kinder unter neun Jahren, einige Heranwachsende und wenige Erwachsene. Die Mehrzahl der Jugendlichen und Erwachsenen in den meisten Gesellschaften bewegt sich auf dem konventionellen Niveau. Nur eine Minderheit von Erwachsenen erreicht das postkonventionelle Niveau, und dies gewöhnlich erst nach einem Alter von 20 Jahren."6 „Kohlberg begreift den Übergang von einer Stufe zur nächsten als Lernen. Moralische Entwicklung bedeutet, dass ein Heranwachsender (...) die konsensuelle Beilegung von moralisch relevanten Handlungskonflikten besser lösen kann als vorher. Dabei versteht der Heranwachsende seine eigene moralische Entwicklung als Lernprozess. Auf der jeweils höheren Stufe muß er nämlich erklären können, inwiefern die moralischen Urteile, die er auf der vorangegangenen als richtig angesehen hatte, falsch waren."7 Die Entwicklung soll zudem universell sein, d.h. in sehr unterschiedlichen Sozialisationsmilieus, über kulturelle Grenzen hinweg und bei Frauen wie Männern in gleicher Weise eintreten.1* Gegen relativistische Bedenken der Art,andere Länder andere Sitten' beansprucht Kohlberg, dass sich die mögliche Varianz kultureller Inhalte auf die universale Form des moralischen Urteilens in Gestalt der Reziprozität, der wechselseitigen Rollenübernahme, zurückführen lässt. Die Ausgestaltung der reziproken Perspektivenübemahme wird von Stufe zu Stufe abstrakter, wodurch es den Heranwachsenden gelingt, immer umfassendere Urteile zu begründen. Eine Rückwärtsentwicklung wird nicht erwartet und wenn sie dennoch auftritt, etwa aufgrund eines Unfalls oder einer einschneidenden Veränderung des Sozialisationsmilieus, ist sie als Regression einzustufen. 9 Bezugsgröße (Maßeinheit) und
6 7 K
weit vorausgreift. Ein dreijähriges Kind kann z.B. einen vorgegebenen Passivsatz noch nicht korrekt wiedergeben, weil ihm die entsprechenden Satzstrukturmodelle noch fehlen. Die Längsschnittstudien wurden im wesentlichen von anderen Wissenschaftlern bestätigt, die experimentellen Nachweise sind noch umstritten. Im allgemeinen ist es eher schwierig, durch Konfrontation mit strukturell höheren oder niedrigeren Argumentationsmustern überhaupt eine Veränderung bei der Versuchsperson zu bewirken, was aber der Theorie auch nicht widerspricht. Colby/Kohlberg 1978, 356 Habermas 1983a, 136 Damit ist nicht behauptet, dass die Stufenentwicklung unabhängig von der jeweiligen Kultur bzw. dem Sozialisationsmilieu eintritt. Die Stufe, die j e m a n d erreicht, ist im Gegenteil ganz wesentlich mitbestimmt durch den kulturspezifischen und schichtspezifischen Sozialisationsprozeß. Die Gesellschaft bietet die Gelegenheit zur Übernahme sozialer Rollen. Das Kind verfugt sozusagen über die Anlage eines kognitiv-strukturellen Denkvermögens, das dann entwickelt wird, wenn die U m g e b u n g in kultureller Hinsicht entsprechend entwickelte Sozialisationsmuster anbietet, die kopiert, eingeübt und befürwortet werden können. Beobachtete Regressionen von jungen Erwachsenen, die am Ende der High School schon auf Stufe 4 und 5 argumentierten, als Studienanfänger aber wieder auf Denkformen der Stufe 2 zurückgriffen und gegen Ende ihres Studiums das prinzipienorientierte Urteilsniveau der Stufe 5 (in mehr oder weniger stabilisierter Form) erreichten, erklärt Kohlberg als funktionalen Fortschritt beim Übergang vom konventionellen Denken der Stufen 3 und 4 zum postkonventionellen Denken von 5 und 6. Es sei nur natürlich und in funktionaler Hinsicht eine notwendige Voraussetzung, dass die Studenten in der Phase der radikalen Infragestellung aller Konventionen aus Mangel an inhaltlichen Alternativen zunächst auf die egoistisch-instrumentelle Moralbegründung des Stufe-2-Denkens zurückgriffen bevor sie eine neue Identität entwickelten und sich bewußt an selbst gewählte und moralisch
30
Vergleich der Entwicklungstheorien
gleichzeitig höchster Wert (Zielpunkt) der Entwicklung der ethischen Urteilsfähigkeit ist die Gerechtigkeit, deren Bedeutung Kohlberg als Gleichheit und Gegenseitigkeit im Sinne von Unparteilichkeit und Fairness definiert. „At all stages, the fundamental content of obligation, the fundamental norm of relationship between people is justice: that is reciprocity and equality." 10 Nach Kohlberg bezeichnen die Stufen der ethischen Entwicklung „sukzessive Formen der Reziprozität (Gegenseitigkeit), deren jede differenzierter und verallgemeinerter als die vorangehende ist"." Er fasst die Stufen wie folgt zusammen: „Die primitivste Form der Reziprozität und Gleichheit ist jene, die auf Macht und Bestrafung basiert, d.h. die Reziprozität von Gehorsam und Freiheit von Bestrafung. Darauf folgt (Stufe 2) der buchstäbliche Austausch. Dann folgt die Erkenntnis (Stufe 3), dass familiäre und andere positive soziale Beziehungen Systeme der Reziprozität sind, die auf Dankbarkeit und auf der reziproken Einhaltung der Erwartungen zweier Sozialpartner beruhen. Auf Stufe 4 entwickelt sich dies zu einem Verständnis der Sozialordnung, bei dem die Erwartungen durch Arbeit und Konformität erfüllt werden und bei dem Versprechen und Vertrag eingehalten werden müssen. Auf Stufe 5 wird das Verständnis der Sozialordnung zu einer Auffassung vom flexiblen Sozialvertrag oder -abkommen zwischen freien und gleichen Individuen - immer noch eine Form der Reziprozität (und Gleichheit). Auf Stufe 6 werden moralische Prinzipien als universelle Prinzipien der reziproken Rollenübernahme formuliert, z.B. (...) der kategorische Imperativ: Handle so, wie du handeln würdest, nachdem du erwogen hast, wie jedermann handeln würde (besser: „sollte"; K.-O. Apel), wenn er in der Situation wäre." 12 Ausführlich lassen sich die Stufen in Anwendung auf das Heinz-Dilemma wie folgt charakterisieren: 13 Stufe 1 Bei Kindern der präkonventionellen Stufe 1 ist die Reziprozitätsstruktur des Denkens noch nicht entwickelt. Entsprechend stellt sich Gerechtigkeit noch nicht dar als Reziprozität des Austausche von Leistungen und Gegenleistungen, sondern als eine Sozialordnung, in der Kinder den Erwachsenen bzw. Schwache den Starken Gehorsam schulden. Charakteristisch für Stufe 1 ist die Orientierung an physischen Konsequenzen. Ob eine Handlung gut oder böse ist, wird danach beurteilt, ob sie Lust oder Unlust bringt. Dies hängt nicht unwesentlich davon ab, ob die Handlung belohnt oder bestraft wird.
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begründete Prinzipien bänden. Der strukturelle Rückschritt sei daher in funktionaler Hinsicht als Fortschritt auf dem Weg der Entwicklung des prinzipienorientierten Denkens zu werten. Kohlberg kennzeichnet die Übergangsphase vom konventionellen zum postkonventionellen Denken daher auch als Skeptizismus und Relativismus und ordnet ihr eine eigene Niveaustufe, die Stufe 4 1/2 zu. (Vgl. Kohlberg 1973a, 8 1 - 1 2 2 ) Kohlberg 1981, 166 Kohlberg 1974, 100 Apel 1984b, 62 zitiert Kohlberg 1974, 100 Vgl. Montada 1987, Kohlberg 1981, Apel 1986a.
Lawrence Kohlberg: Stufentheorie der Gerechtigkeitsethik
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Die Autorität der Erwachsenen wird noch ohne Einschränkung anerkannt. Tommy, zehn Jahre alt, beurteilt das Heinz-Dilemma folgendermaßen: „Heinz sollte nicht stehlen. Er sollte das Medikament kaufen. Wenn er das Medikament stiehlt, könnte er ins Gefängnis kommen und müßte das Medikament dann doch zurückgeben." 14 Stufe 2 Charakteristisch für Niveaustufe 2 ist eine instrumentelle Orientierung an den eigenen Bedürfnissen. Zwar orientiert sich das Kind schon an einer als Fairneß charakterisierbaren Gegenseitigkeit. Den Ausschlag geben aber noch nicht allgemeine Gerechtigkeitsprinzipien, sondern die eigenen Interessen, etwa nach der Maxime >eine Hand wäscht die andere< oder >kratzt du mir den Rücken, kratz ich dir den Rückenreversible role taking< in einer idealen Kommunikationsgemeinschaft hinführen." 18 Zusammenfassend gestaltet sich das Verhältnis zwischen psychologischer Erklärung und philosophischer Begründung des ethischen Urteilsvermögens wie folgt: Die psychologische Rekonstruktion und die philosophische Begründung sind hinsichtlich ihrer Methoden strikt auseinander zu halten. Als apriorische Wissenschaft bemüht sich die Philosophie um die rationale Rekonstruktion der normativen Gültigkeitsbedingungen des Denkens und (ethischen) Urteilens. Als empirische Wissenschaft kommt der Entwicklungspsychologie die Aufgabe zu, die Operation des (ethischen) Urteilens kausal-analytisch zu beschreiben und zu erklären. Daher ist es weder möglich, die philosophische Ethikbegründung durch die empirische Ermittlung der faktischen Urteilskompetenz zu ersetzen, noch ist es möglich, dass eine Ergebnis durch das andere zu korrigieren. Dieser Anspruch muss auf das Maß einer lediglich indirekten wechselseitigen Bestätigung von Moralpsychologie und Moralphilosophie zurückgenommen werden. Um diesen reduzierten Anspruch sinnvoll vertreten bzw. aufrechterhalten zu können, muss allerdings vorausgesetzt sein, dass die jeweiligen Wissenschaftsmethoden streng auseinandergehalten werden.
16 17
Habermas 1983,46 Vgl. Kohlberg 1981, 102 Apel 1988,355
TEIL III: ENTWICKLUNGSPSYCHOLOGIE UND HERMENEUTIK
Die Parallelisierung zweier gleich gültiger Ethiken verweist nicht „nur" auf die Unhintergehbarkeit einer rationalen Begründung eines ethischen Gütigkeitskriterium, sondern sie führt uns ebenso vor Augen, dass das Verstehen und Interpretieren von Texten sich nicht von selbst versteht. Die Konkurrenz zweier ethischer Entwicklungs-theorien deutet daraufhin, dass der Erfolg bzw. das Gelingen des Verstehens nicht von vornherein ausgemacht ist. Die scheinbar selbstverständlichste Sache der Welt, dass wir in der Lage sind zu verstehen, was man uns sagt, scheint angesichts der zwei unterschiedlichen Interpretationsergebnisse von Kohlberg und Gilligan so selbstverständlich nicht zu sein. Obschon das Verstehen in der Regel gelingt, andernfalls würden wir unseren Alltag nicht bewältigen können, lassen die zwei unterschiedlichen Interpretationen der Moralentwicklung vermuten, dass die Methode des Verstehens durch die Person bzw. die Erfahrungen des Interpreten oder der Interpretin beeinflusst wird. Die unterschiedlichen Interpretationen derselben Daten verweisen auf Probleme, die sich bei der Auswertung nicht nur von Interviewantworten, sondern ganz allgemein beim Verstehen und Interpretieren von Texten oder Aussagen einstellen. Die Verdopplung der Entwicklungslogik wirft nicht nur die Frage auf, wessen Interpretation zutreffender ist, die von Gilligan oder Kohlberg, sondern auch die Frage, ob es aufgrund der Standortgebundenheit der Interpreten überhaupt möglich ist, etwas richtig zu verstehen. Es sieht so aus, als führte die Situation, in der sich Gilligan und Kohlberg befinden, zu erheblichen Differenzen in der Wahrnehmung der ethischen Argumentation ihrer Probanden und Probandinnen. Auffallend ist, dass Kohlberg als Mann die ihm vorliegenden Daten im Sinne der Gerechtigkeitsorientierung, und dass Gilligan als Frau dieselben Daten im Sinne der Fürsorgeorientierung interpretiert. Die Übereinstimmung dieser Zuordnung mit der symbolischen Geschlechterordnung könnte die Vermutung aufkommen lassen, dass die Verbindung Kohlberg/Gerechtigkeit und Gilligan/Fürsorge in Abhängigkeit vom Geschlecht nicht nur der Befragten (dies wird von den meisten Kontrolluntersuchungen bestritten), sondern auch der Interpreten zustande gekommen ist. Die umgekehrte Zuordnung, Frau/Gerechtigkeit und Mann/Fürsorge, würde der symbolischen (M. Friedman) und auch der faktisch moralischen Arbeitsteilung der Geschlechter (F. Haug) widersprechen.
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Entwicklungspsychologie und Hermeneutik
Teilt man Gilligans These zweier geschlechtsabhängig gültiger Ethiken, ist es naheliegend, auch die Möglichkeit des Verstehens in Abhängigkeit vom Geschlecht zu sehen. Aus der Perspektive einer geschlechtsgebunden unterschiedlichen ethischen Urteilskompetenz stellt sich die Frage, ob wir uns als Frauen und Männer über die unterschiedlichen Bewertungen moralischer Phänomene überhaupt mit Allgemeingültigkeitsanspruch verständigen können. Die Antwort ist in der Fragestellung selbst bereits vorweggenommen. Die Frage nach der Standortgebundenheit des Interpreten bzw. der Interpretin zeigt, dass wir uns prinzipiell zutrauen, diese Frage zu beantworten. Den Nachweis einer standortbedingten Beeinflussung oder auch Nicht-Beeinflussung der Interpretation kann nur erbringen, wer grundsätzlich dazu in der Lage ist, den „objektiven" Standpunkt eines - bildlich gesprochen - außenstehenden Dritten (ideal observer, Α. Smith) zu antizipieren.1 Analog zu der Frage nach der Geschlechtsgebundenheit der Ethik, die allein durch Bezugnahme auf einen übergeordneten, nicht geschlechtsgebundenen, sondern allgemeingültigen Ethikbegriff beantwortet werden kann, verhält es sich mit der Frage nach der Geschlechtsgebundenheit des Verstehens. Sinnvoll ist bereits die Fragestellung nur unter der Bedingung, dass die Möglichkeit des objektiven Verstehens nicht gleichzeitig bestritten wird. Der Sinnanspruch der Frage nach der Möglichkeit objektiven Verstehens unterstellt die Möglichkeit einer positiven Beantwortung dieser Frage. Wer dies bestreitet, nimmt für seine Argumentation dennoch in Anspruch, dass sie von allen verstanden und beurteilt werden kann und widerspricht sich damit selbst. Die Selbstwidersprüchlichkeit führt aber dazu, dass das Bestreiten als Argument nicht verstanden und folglich auch nicht berücksichtigt werden kann. Die Idee des objektiven Verstehens wird häufig im Bild des außenstehenden Dritten zum Ausdruck gebracht. Dieses Bild gilt es im folgenden zu dechiffrieren. Ich werde zeigen, dass die Metapher des außenstehenden Dritten rekonstruiert werden kann als regulative Idee eines immer schon antizipierten Konsenses zwischen Autor und Interpret.
Der Begriff 'Antizipation' ist hier geeigneter als der Begriff'Einnahme', weil es faktisch nie gelingen wird, den eigenen Horizont gänzlich zu distanzieren. Das entscheidende ist, dass der Interpret seinen Horizont distanziert und in Frage stellt, um ihn mit allen anderen Horizonten zu vergleichen. Dieser Vergleich kann einzig nach Maßgabe eines argumentativen Konsenses entschieden werden.
Methodenwahl in Abhängigkeit vom Vorverständnis
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Methodenwahl in Abhängigkeit vom Vorverständnis
Wie alle hermeneutischen Wissenschaften steht auch die Entwicklungspsychologie vor dem Problem, dass sie es „bereits auf der Ebene der Erzeugung von Daten mit Interpretationsproblemen zu tun" 2 hat. Die von Kohlbergs Theorie unterstellte irreversible Reihenfolge (Sequenz) und wertmäßige Differenz (Hierarchie) der Stufen z.B. ist von vornherein, gemäß ihrer ontogenetischen Bedingtheit, als interkulturell und geschlechtsunabhängig gedacht. Die Dilemmamethode Kohlbergs zielt entsprechend auf die Erfragung eines universalistisch gültigen Ethikbegriffs. Dies ist insofern berechtigt, als allein ein universalistisches Ethikverständnis vereinbar ist mit den universalistischen Geltungsansprüchen, die die Probanden und Probandinnen selbst für ihre jeweilige Dilemmabeurteilung erheben. Für Gilligans Entwurf einer sich stufenartig entwickelnden Fürsorgeethik müsste eigentlich formal das gleiche gelten. Allerdings soll hier die mit der Annahme von Entwicklungsstufen eigentlich unterstellte kulturübergreifende Invarianz der ethischen Entwicklung vor der Geschlechtergrenze halt machen. Gilligan setzt voraus, dass die Ethik in der Form an das Geschlecht bzw. die Geschlechtsrolle (die im Einzelfall auch vom „anderen" Geschlecht übernommen werden kann) gebunden ist, dass die Geschlechter in der Regel unterschiedliche Orientierungen bevorzugen. Um einen empirischen Nachweis dafür zu erbringen, dass sich die beiden geschlechtsgebundenen Ethiken als kohärente Systeme voneinander unterscheiden, ändert sie die von Kohlberg benutzte Fragemethode. Anstatt auf hypothetisch konstruierte Dilemma-Geschichten, bezieht sie ihre Fragen auf sogenannte real-life Dilemmata 3 , d.h. auf Situationen, in denen die Probandinnen tatsächlich über wichtige Weichenstellungen in ihrem Leben entscheiden; 4 und anstatt die Fragen auf ein bestimmtes Merkmal zuzuschneiden, lässt sie die Probandinnen frei erzählen. Ausgehend von der Hypothese eines geschlechtsgebundenen Moralverständnisses nimmt sie an, dass die Perspektive der anderen Ethik deutlicher hervortritt, wenn die Formulierung der Interviewfragen nicht bereits auf die Erfragung eines männlich prinzipialistischen Ethikbegriffs zugeschnitten wird. Die Offenheit der Interviewfragen impliziert jedoch mitnichten die von Gilligan prätendierte Offenheit für unterschiedliche Gültigkeitskriterien. Im Gegenteil: Gilligan setzt die Gültigkeit der Fürsorge - in bewusster Entgegensetzung zu Kohlbergs Prinzip der Gerechtigkeit - bereits als ethische Bezugsgröße voraus. Sie beurteilt die Daten/Interviewantworten danach, inwieweit sie Fürsorgeerwägungen enthalten oder nicht. Von Auslegungsoffenheit kann hier keine Rede sein, da die Gültigkeit der Fürsorgeori-
Habermas 1983, 51, Anm. 8 Zur methodischen Einführung und Rechtfertigung der real-life Dilemmata vgl. Gilligan 1982, 125, 135; Gilligan/Murphy 1980 Zur Kritik des hypothetischen Charakters der Dilemmageschichten vgl. Gilligan 1982, 125 und Gilligan 1977a, 168 f.
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Entwicklungspsychologie und Hermeneutik
entierung nicht erst erwiesen, sondern bereits unterstellt wird und die Bewertung der Daten anleitet. Umgekehrt unterstellt auch Kohlberg das Prinzip der Gerechtigkeit als ethische Bezugsgröße. Dies ist aber insoweit berechtigt, als er sich die ethische Bewertung desselben von der Philosophie vorgeben lässt und damit sicherstellt, dass die Gültigkeit der Gerechtigkeit als Prinzip rational ausgewiesen ist und nicht in Widerspruch steht zu dem universalistischen Geltungsanspruch ethischer Urteile. Ungeachtet des postulierten Unterschieds zwischen der philosophischen Begründung und der entwicklungspsychologischen Erklärung der ethischen Urteilskompetenz hat es die Entwicklungspsychologie bereits auf der Ebene der Erzeugung von Daten mit Interpretationsproblemen zu tun. Die unterschiedlichen Befragungsmethoden, Kohlbergs hypothetische Dilemma-Geschichten und Gilligans real-life Dilemmata, erwecken den Eindruck, als würde das aneignungsinteressierte Vorverständnis der Entwicklungspsychologen die Wahl der Methode bestimmen und als würden die so ermittelten Daten das aneignungsinteressierte Vorverständnis der Entwicklungspsychologen erneut bestätigen. Der Eindruck, demzufolge die Entwicklungspsychologen genau die Ergebnisse aus den Interviewantworten ihrer Probanden herauslesen, die sie vorher selbst als Vorverständnis an die Daten herangetragen haben, verweist auf die methodologische Schwierigkeit allen Verstehens, den hermeneutischen Zirkel. Unabhängig von derjenigen normativen Theorie, die bereits in die Beschreibung der höchsten Stufe des ethischen Urteilsvermögens eingeht, lässt sich nicht einmal der Objektbereich ethischer Urteile abgrenzen. 5 Der Entwicklungspsychologe muss sich folglich, so wie es Kohlberg getan hat, einen bereits auf nicht-empirische Weise begründeten Ethikbegriff vorgeben lassen, der als Bezugsgröße die Auswahl der Daten sowie die Befragungsmethode anleitet und als Bewertungsmaßstab den ethischen Reifegrad der unterschiedlich komplexen Antworten bestimmt. Woher aber erhalten Hermeneuten und Philosophen Kenntnis von der richtigen ethischen Bezugsgröße? Um dies herauszufinden, werde ich im folgenden die transzendentalpragmatische Interpretation der Hermeneutik vorstellen. Mit ihrer Hilfe soll dargelegt werden, dass und wie der hermeneutische Zirkel durchschritten werden muss, um zu einem kriteriologisch richtigen und intersubjektiv gültigen Verstehen zu gelangen.
Vgl. Habermas 1988b, 80
Transzendentalpragmatische Interpretation der Hermeneutik
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Transzendentalpragmatische Interpretation der Hermeneutik
Apels Transzendentalpragmatik, die er seit Anfang der 60er Jahre als Rekonstruktion und in kritischer Auseinandersetzung mit Heidegger und Wittgenstein gewonnen hat,' ging von zentralen Einsichten beider aus: 1 ) Der Verlagerung des Verstehensproblems vom Gegenstand ins Subjekt, dem Verstehen als unmittelbarem Selbstverständnis des Daseins und der öffentlichen Ausgelegtheit des Daseins im vorontologischen Selbstverständnis des Subjekts (Heidegger)2; 2) der sozialen Dimension und Sprachgebundenheit der Vernunft, dem Institutionscharakter der Sprache und dem Verständnis von Sprachspielen als Einheiten aus Lebensformen und Gebrauchsregeln (Wittgenstein). 3 Auf die durch die Sprache immer schon gegebene Verwobenheit in die Horizonte der Lebenswelt haben, freilich als Antwort auf unterschiedliche Fragen und mit völlig unterschiedlichen Schlussfolgerungen, 4 vor allem Heidegger (Erschlossenheit des Daseins) 5 und der späte Wittgenstein (Verwobenheit von Sprachspielen und Lebensformen) aufmerksam gemacht. 6 Wittgenstein kommt das Verdienst zu, auf die pragmatische Dimension von Sprache (Gebrauchstheorie der Bedeutung) aufmerksam gemacht zu haben, während Heidegger die geschichtliche Situiertheit des Verstehens als einer Seinsweise des menschlichen Daseins herausgestellt hat. Konsens besteht darüber, dass das Verstehen abhängig ist von kontingenten Hintergrundvoraussetzung-en der Lebenswelt (Husserl), dem vorsprachlichen Sinn- und Verweisungszusammenhang einer Traditionsgemeinschaft. Heidegger wirft der klassischen Ontologie und Metaphysik vor, sie täusche sich über sich selbst. Sie spreche unterschiedslos vom Sein wie vom Seienden, vom Dasein der Dinge in der gleichen Weise wie vom Sein des Menschen. Das Dasein des Menschen ist
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Vgl. Apel 1973, Bd. 1, Teil II: Hermeneutik und Sinnkritik Vgl. Apel 1973, Bd. 1 , 2 7 7 Vgl. Apel 1973, Bd. 1 , 3 5 8 ff Wittgenstein folgend muß sich die Philosophie sämtlicher Aussagen, die nicht verifizierbar sind, enthalten. Gegenstand vernünftiger Sätze sind allein die in der Welt vorhandenen Dinge und Tatsachen. Dies führt ihn dazu, mit den Begriffen Bewusstsein und Subjekt beinahe die ganze Bandbreite der klassisch-abendländischen Philosophiegeschichte aus dem Bereich der neuen, wissenschaftlichen Kriterien genügenden Philosophie zu verbannen. Heidegger wirft der klassischen Ontologie und Metaphysik vor, dass sie nicht das bezeichnet, was sie vorgibt zu bezeichnen, das Sein. Aus der Seinsvergessenheit der klassischen Ontologie zieht er in Sein und Zeit im Vergleich zu Wittgenstein den umgekehrten Schluss. Er wendet sich dem Subjekt zu und entwirft eine von metaphysischen Selbstmissverständnissen gereinigte neue Ontologie. Mit Hilfe der Alltagssprache versucht er die vergegenständlichende Sprache der traditionellen Ontologie und Metaphysik zu unterlaufen und ein ursprüngliches Seinsverständnis zur Sprache zu bringen. (Vgl. Gerhardt 1 9 7 5 , 4 0 - 6 3 ) Vgl. Heidegger 1927, 310 ff; sowie Gadamer 1960, 250 ff Zu dem etwas ungewöhnlichen und sicher auch eigenwilligen Vergleich zwischen der Philosophie Heideggers und Wittgensteins aus transzendentalpragmatischer Sicht vgl. Apel, Wittgenstein und Heidegger: Die Frage nach dem Sinn von Sein und der Sinnlosigkeitsverdacht gegen alle Metaphysik, in: Apel 1976, B d . l , 2 2 5 f f
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Entwicklungspsychologie und Hermeneutik
aber ein zeitliches Sein (Vorlauf zum Tode) und kein gegenständliches. Zudem ist das Dasein ein seinsverstehendes Sein, das dem Seienden als das dieses verstehende Sein immer schon vorweg ist. Die zeitliche Bedingtheit des Daseins bedingt zugleich die Modi der Erkenntnis, des zukunftsbezogenen, die Gegenwart transzendierenden Verstehensentwurfs, der Phantasie, der gegenwartsbezogenen Sinneswahrnehmung und der gewesenheitsbezogenen Erinnerung. Die Nichtbeachtung der ontologischen Differenz, der zwei verschiedenen Weisen des In-der-Welt-Seins, führt zur Verkennung von beidem. Das Seiende wird ausschließlich als Vorhandenes (und nicht als Zuhandenes) in den Blick genommen und damit seines alltäglichen Bewandtniszusammenhangs, dem Worum-willen der jeweiligen „Sorge" des In-der-Welt-Seins, beraubt und das Sein erscheint als ungeschichtliches Ding, dessen synthetisierende Fähigkeit, den einzelnen Dingen in der Welt auf dem Verstehenshintergrund ihrer Bewandtnis Bedeutung abzugewinnen, übersehen wird. 8 In Konsequenz dessen versucht Heidegger eine Theorie über das menschliche Dasein (Existenzphilosophie) zu entwickeln, die den Unterschied zwischen der Existenz des Menschen und der Vorhandenheit der Dinge ständig im Bewusstsein hält. Zu diesem Zweck greift Heidegger auf das Verfahren der geisteswissenschaftlichen Hermeneutik zurück. Er radikalisiert die hermeneutische Idee in existenzialontologischem Sinne. Seine Daseinsanalyse setzt an beim Selbstverständnis des verstehenden Subjekts, deutet das Verstehen aber nicht psychologisch, sondern als Grundform (Existenzial) der menschlichen Existenz. Als Existenzial ist das verstehende Sein eine Vorstruktur des In-der-Welt-Seins, die jedem Akt des Verstehens eines Textes oder einer Äußerung vorangeht. Zu den unhintergehbaren Voraussetzungen des Verstehens gehören z.B. die Sprache und ein sprachlich artikuliertes bzw. strukturiertes Weltvorverständnis, das Heidegger im Begriff der immer schon (apriorisches Perfekt) Erschlossenheit bzw. Ausgelegtheit der Welt zum Ausdruck zu bringen sucht. Die wissenschaftstheoretische Relevanz der von Heidegger eingeleiteten existenzialontologischen Radikalisierung der Hermeneutik sieht Apel in der Überwindung der Idee des Verstehens als einer Konkurrenz-Methode zur kausalanalytischen Erklärung des Verhaltens als wissenschaftlicher Beantwortung der Warum-Frage. Das Verstehen habe vor Heidegger lediglich die Funktion einer die Motivationsstruktur der Subjekte aufklärenden Hilfsmethode als Teil der Verhaltens-Erklärung insgesamt gehabt. Heidegger habe erkannt, dass das Verstehen als Weise des In-der-Welt-Seins bereits für die Konstitution von Erfahrungsdaten und somit für die Beantwortung der Was-Frage 9 in der Erkenntnistheorie vorausgesetzt werden muss. 10 7 8
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Vgl. Apel, 1973 Bd. 1 , 2 5 Vgl. Apel, Wittgenstein und Heidegger. Kritische Wiederholung und Ergänzung eines Vergleichs, in: Apel 1998, 459-505, hier 4 7 2 ff Die Epistemologie wissenschaftlicher Erklärungen war bis dato davon ausgegangen, dass die Beantwortung der Warum-Frage die der Was-Frage voraussetzt. Bevor erklärt werden kann, warum eine Person so handelt, wie sie handelt, muß geklärt werden, als was sie die Situation, in der sie handelt, wahrnimmt. Wenn nun das Verstehen als Vorstruktur des In-der-Welt-Seins den Gegenstand der Wahrnehmung immer schon mit beeinflußt, dann folgt daraus, dass der Interpret nicht nur hinsichtlich der Beantwortung der Warum-Frage, d.h. der Einschätzung der Situation, auf die
Transzendentalpragmatische Interpretation der Hermeneutik
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Wittgenstein gewinnt seinen Begriff des Sprachspiels durch den Vergleich der die Alltagspraxis begleitenden Umgangssprache mit Spielen, vom Schach- bis zum Fußballspiel. Für die umgangssprachlich geregelte Alltagspraxis wie für die Spiele gilt, dass sie Funktionszusammenhänge von der Art einer Institution sind. Man versteht sich auf sie. Ein Sprachspiel verstehen heißt, nicht nur verstehen, was das gesprochene oder geschriebene Wort meint; es heißt ebenso, sich auf etwas verstehen, z.B. bestimmte Verrichtungen können, bestimmte Erfahrungen haben, die für das zurechtkommende Bescheidwissen einschlägig sind. Die Sinnlosigkeit des methodischen Solipsismus der traditionellen Erkenntnistheorie, derzufolge ein isoliertes Subjekt, das seine nur ihm zugänglichen Empfindungen, wie z.B. Schmerzen, mit dem entsprechenden Namen versieht, veranschaulicht Wittgenstein im Käfergleichnis. Er fordert seine Leser auf anzunehmen,, jemand hätte eine Schachtel, darin wäre etwas, was wir ,Käfer' nennen. Niemand kann je in die Schachtel des Anderen schauen; und jeder sagt, er wisse nur vom Anblick seines Käfers, was ein Käfer ist. - Da könnte es ja sein, dass jeder ein anderes Ding in der Schachtel hätte. Ja man könne sich vorstellen, dass sich ein solches Ding fortwährend verändert."' 1 Die Widersinnigkeit der Annahme einer Privatsprache liegt hier auf der Hand. Sie erklärt sich nach Wittgenstein durch die sprachlich artikulierte Form unserer Empfindungen. Er fährt fort: „Aber wenn nun das Wort, Käfer' dieser Leute doch einen Gebrauch hätte? So wäre er nicht der der Bezeichnung eines Dings. Das Ding in der Schachtel gehört überhaupt nicht zum Sprachspiel; auch nicht einmal durch ein Etwas; denn die Schachtel könnte auch leer sein. - Nein, durch dieses Ding in der Schachtel kann ,gekürzt' werden; es hebt sich weg, was immer es ist. Das heißt: Wenn man die Grammatik des Ausdrucks der Empfindung nach dem Muster von Gegenstand und Bezeichnung konstruiert, dann fällt der Gegenstand als irrelevant aus der Betrachtung heraus." 12 Ohne Bindung an das intersubjektive Medium der Sprache, d.h. ohne Bindung an äußere Kriterien wie das Schmerzbenehmen und daran anknüpfende öffentliche Wörter der Sprache, will Wittgenstein sagen, könnte der Mensch seine Empfindungen weder identifizieren noch als solche wiedererkennen.
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Perspektive des Autors zurückgreifen muß, sondern bereits im Zuge der Wahrnehmung und Beschreibung derselben, d.h. hinsichtlich der Was-Frage. Bereits für die Situationswahrnehmung gilt, dass der Interpret seine Datenauswahl nicht ohne weiteres auf den Autor übertragen darf, sondern versuchen muß, mit ihm ins Gespräch zu kommen oder, wenn das nicht möglich ist, die Situationswahrnehmung des Autors zunächst immanent zu erschließen. „Schon der Was-Gehalt, die Bedeutung einer Handlung (...) ist von den pragmatischen Aspekten des Zielbezugs, des Situationsbezugs, des Anspruchs sowie der Einbettung in einen normativ bedeutsamen Sinnzusammenhang abhängig." (Böhler 1985, 146) Vgl. Apel 1973, Bd. 1 , 2 6 Wittgenstein 1953, § 293 Wittgenstein 1953, § 293
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Entwicklungspsychologie und Hermeneutik
Von der semantischen zur pragmatischen Theorie der Bedeutung
Den öffentlichen Charakter der Sinnkonstitution erklärt Wittgenstein durch eine neue Bedeutungstheorie. Er ersetzt die Annahme einer rein gegenständlichen (semantischen) duch eine handlungsorientierte (pragmatische) Theorie der Bedeutung. Ihr zufolge muss, wer etwas zu verstehen geben will, ebenso wie derjenige, der das Gemeinte verstehen will, dazu in der Lage sein, Worte richtig zu verwenden, d.h. er muss die Wortgebrauchsregeln einer gemeinsamen Sprache kennen. Auf die Frage, was es bedeutet einer Regel zu folgen, antwortet Wittgenstein: „Ist, was wir ,einer Regel folgen' nennen, etwas, was nur ein Mensch, nur einmal im Leben tun könnte?1 Wittgenstein ist nicht dieser Meinung und er begründet seine Auffassung wie folgt: „Es kann nicht ein einziges Mal nur eine Mitteilung gemacht, ein Befehl gegeben oder verstanden worden sein, etc. - Einer Regel folgen, eine Mitteilung machen, einen Befehl geben, eine Schachpartie spielen sind Gepflogenheiten (Gebräuche, Institutionen). Einen Satz verstehen, heißt, eine Sprache verstehen. Eine Sprache verstehen, heißt, eine Technik beherrschen."2 Auf den durch das Bild des Regelbefolgens suggerierten instrumentalistischen und ungeschichtlichen Charakter der Sprachauffassung Wittgensteins kann ich an dieser Stelle nicht näher eingehen. Der Vergleich der Methode des Verstehens mit einer Technik der Regelbefolgung suggeriert sowohl eine problemlose Handhabung als auch eine Genauigkeit des Verstehens nach dem Vorbild naturwissenschaftlicher Erkenntnis, die dem besonderen Gegenstand der hermeneutischen Wissenschaften gerade nicht gerecht wird. Sie übersieht „den geschichtlichen Situationsbezug allen Redens und Handelns und die daraus resultierende Vermittlung des als Gepflogenheit etablierten Allgemeinen mit dem Besonderen der erfahrenen Situation".3 Was das Privatsprachenargument an dieser Stelle verdeutlichen soll, steckt weniger im technischen, sondern im öffentlichen Aspekt des Regelbefolgens. Apel zufolge verweist die Öffentlichkeit der Sprache, in der Terminologie Heideggers die Vorstruktur des Man, bereits - auch wenn Wittgenstein sich das in dieser Konsequenz nicht klar gemacht habe - auf zwei grundsätzliche Unterschiede des hermeneutischen Verstehens im Gegensatz zum bloßen Erklären von Naturvorgängen. Erstens wird darauf verwiesen, „dass die Regel des zu verstehenden Verhaltens im Kontext einer gesellschaftlichen Lebensform, die zugleich ein Sprachspiel ist, intersubjektiv kontrollierbar sein muss, und zweitens dass der Interpret des regelgeleiteten Verhaltens an diesem Sprachspiel prinzipiell muss teilnehmen können."4 Die transzendentalpragmatische Pointe des Wittgensteinschen Privatsprachenarguments besteht in dem Nachweis der durch die Öffentlichkeit (Regelhaftigkeit) der Sprache gegebenen Möglichkeit intersubjektiven Verste-
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Wittgenstein 1953, § 199 Wittgenstein 1953, § 199 Böhler 1985, 213, 220-23 Apel 1973, Bd. 1 , 2 6 6
Von der semantischen zur pragmatischen Theorie der Bedeutung
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hens und Überprüfens von Geltungsansprüchen. Weder kann einer allein im Rahmen einer Privatsprache die Bedeutung von etwas verstehen, noch kann einer allein im Rahmen einer Privatsprache seinen Argumenten Geltung verschaffen.5 Im Gegensatz zu dieser weit über Wittgenstein hinausgehenden Interpretation kennzeichnet die Rückbindung des Verstehens an die Verhaltenspraxis, die Lebensformen, Gepflogenheiten und Institutionen einer Gesellschaft, zunächst einmal nur die Eigenart der hermeneutischen im Vergleich zu allen nicht hermeneutischen Wissenschaften, ihre historische Situiertheit. Da die Hintergrundvoraussetzungen im ganzen nicht unter die objektivierende Kontrolle des verstehenden Subjekts zu bringen sind, teilen Heidegger und Wittgenstein auch die Einsicht in die Unvermeidlichkeit des horizontgebundenen je anders Verstehens. Inwieweit aber hilft uns die Kenntnis des jeder Erkenntnis vorausgehenden Hintergrundwissens einer Sprach- und Lebensgemeinschaft weiter bei der Beantwortung der Frage nach der Möglichkeit eines horizontübergreifenden und in diesem Sinne objektiv gültigen Verstehens?
13.1
Geltungslogische Grenzen der Pragmatisierung von Sinn
Als im geschichtlichen Kontext agierende verstehen Frauen und Männer je nach Verweisungszusammenhang (Epoche, Kultur und evtl. auch Geschlechtsrollen) kaum eine Situation gleich, sondern immer perspektivisch unterschiedlich. Die Unvermeidlichkeit des situationsbedingten Anders-Verstehens herausgearbeitet und damit den besonderen Gegenstand des hermeneutischen Verstehens im Unterschied zu einer kausalanalytischen Erklärung verdeutlicht zu haben, ist Heideggers Verdienst. Das situationsbedingte Anders-Verstehen ist aber in Apels Worten nur eine temporal-ontologische und nicht eine geltungstheoretische Vorbedingung des Verstehens. Auch das von Wittgenstein geltend gemachte Vorverständigtsein durch die Kenntnis der Wortverwendungsregeln einer geschichtlichen Sprachgemeinschaft ist zwar eine notwendige Bedingung des Verstehens, nicht aber eine hinreichende. Das inhaltliche Vorverständnis der Lebenswelt enthält kein Kriterium, anhand dessen beurteilt werden kann, ob etwas richtig oder falsch verstanden wurde. Wie können wir aber feststellen, welches der ungezählten Sprachspiele auf die Situation, in der eine bestimmte Äußerung erfolgte, tatsächlich passt? Wittgensteins Lösung, derzufolge Familienähnlichkeiten zwischen den einzelnen Sprachspielen und Wortverwendungsregeln aufzusuchen sind, reicht zur Beantwortung der hier gestellten Frage nicht hin. Dies zeigt nicht zuletzt auch seine zwar konsequente, in gewisser Weise aber selbstwidersprüchliche Enthaltsamkeit in bezug auf die Gültigkeit seiner eigenen Sprachspielanalysen. Wir konnten doch immerhin feststellen, dass Wittgensteins Theorie über das Wesen der Wortbedeutung, die nicht vorgängig be-
Vgl. Böhler 1995, 149
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Entwicklungspsychologie und Hermeneutik
stimmt werden kann, weil sie sich ausschließlich in der jeweiligen Verwendung im Sprach- und Situationskontext zeigt, etwas Wahres trifft. In den Philosophischen Untersuchungen leugnet Wittgenstein den Anspruch, mit seinen sinnkritischen Sprachspielanalysen etwas allgemeingültig Verifizierbares über die Sprache, die Bedeutung oder das Sinnverstehen im allgemeinen ausgesagt zu haben. Stattdessen gesteht er seinen Untersuchungen lediglich eine therapeutische Funktion zu, nämlich einem unruhigen Fragegeist (sich selbst) dazu zu verhelfen, wenn schon keine letztgültigen Antworten zu finden, so doch wenigstens zur Ruhe zu kommen. Er hofft, durch das Aufzeigen der Sinnlosigkeit der vermeintlich metaphysischen Fragen, die Sinnlosigkeit der Beantwortung dieser Fragen erweisen zu können. Diese Hoffnung aber trügt und Wittgenstein verwickelt seine Argumentation dadurch in unnötige Widersprüche. Indem er leugnet, für seine Thesen Wahrheit zu beanspruchen, entzieht er seinen Einsichten die Geltungsgrundlage. Wenn er im letzten Hauptsatz des Tractatus bemerkt, „wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen" 6 , ist dies im Vergleich zu seinem Tun, dem Aufstellen und Widerlegen von Behauptungen, nichts anderes als ein performativer Selbstwiderspruch. Performativ, d.h. durch sein Argumentationshandeln in Form von Sprachspielanalysen, stellt er Behauptungen auf und gibt damit deren Wahrheit zur Überprüfung frei, und propositional nimmt er den faktisch bereits erhobenen Wahrheitsanspruch zurück, indem er die grundsätzliche Nichtfalsifizierbarkeit (Sinnlosigkeit) seiner Sätze behauptet. Er erhebt einen Wahrheitsanspruch für die These der Nichtwahrheitsfáhigkeit nicht-empirischer (bzw. nicht rein logisch verifizierbarer) Sätze. Da nun die These der Nichtwahrheitsfahigkeit nicht-empirischer Sätze selbst zu den nicht-empirischen Sätzen gehört, beansprucht Wittgenstein Wahrheit für einen Satz, dessen Wahrheitsfahigkeit dieser Satz gerade bestreitet. Der Widerspruch zwischen dem, was Wittgenstein in seinem Tun (Philosophieren) in Anspruch nimmt und dem, was er glaubt verifizieren zu können, zeigt nach Apel, dass die Berücksichtigung der praktischen Lebensformen in der Grundkonzeption des Sprachspiels mehr impliziert als die in der Gebrauchstheorie explizierte Pragmatisierung der Sinnkriterien des Sprachgebrauchs. Sie stellt darüber hinaus auch die Orientierung der traditionellen Sprachphilosophie (einschließlich der Wittgensteins) an einer ausschließlich deskriptiven SprachfUnktion in Frage.7 Der Modus eines Satzes, der als Behauptung, Befehl, Frage; aber auch: Indikativ, Konjunktiv, Optativ, Irrealis formuliert wird, bringt die Verflechtung des Sprachgebrauchs mit dem Situationsbezug der Lebensform im Sprachspiel zum Ausdruck.* Der Schlüssel zum Richtig-Verstehen liegt nach Apel in diesen selbstrückbezüglichen performativen Satzteilen. Im Begleitwissen darüber, wie mit bestimmten Sätzen
7
*
Wittgenstein 1 9 2 1 , 6 . 5 4 Fragen und Befehle sind nach Apel ihrem Sinn nach nicht auf Tatsachenfeststellungen zu reduzieren, „auch nicht in dem Sinne, dass man - wie Frege und Wittgenstein selbst im Tractatus - von der Behauptung der Tatsache das Zeigen des Sachverhalts unterscheidet und letzteren als modalitätsneutralen Sinngehalt auch in Befehls- und Fragesätzen wiederfinden möchte." (Apel 1973, Bd. 1 , 3 6 0 ) Vgl. Apel 1973, Bd. 1 , 3 6 0
Von der semantischen zur pragmatischen Theorie der Bedeutung
129
umgegangen werden muss, damit sie als Behauptung, Frage, Appell oder anderes verstanden und beurteilt werden können, scheint sich eine Antwort auf die Verifizierbarkeit nicht-empirischer Sätze anzudeuten.
13.2
Transzendentalisierung der Frage nach dem Sinnverstehen
Das von Heidegger und Wittgenstein aufgezeigte Vorwissen betrifft das Apriori der faktischen Sinnkonstitution in der geschichtlich pragmatischen Dimension. Die transzendentale Frage nach der Gültigkeit (anstelle der lebensweltlichen Voraussetzungen) des Sinnverstehens haben Heidegger und Wittgenstein sich nicht gestellt. Für Heidegger erschöpft sich das Verstehen in einer seinsgeschichtlichen Sinnentbergung. 9 Für Wittgenstein erschöpft sich das Verstehen in der mit der Umgangssprache erworbenen Technik der situationsangemessenen Regelbefolgung. Die Übereinstimmung mit den faktischen Gepflogenheiten einer Gemeinschaft ist das einzige Kriterium, das über richtige oder falsche Regelanwendungen entscheidet. Dass dies nicht hinreicht, wird deutlich, wenn wir uns fragen, „ob die eruierten Gepflogenheiten wirklich die Kriterien oder die einzigen Kriterien gewesen sind, nach denen die Akteure selbst die Lage verstanden, beurteilt und gehandelt haben". 10 Für Heidegger und Wittgenstein scheint sich mit der Erkenntnis des situationsabhängigen Je-Anders-Verstehens die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit eines intersubjektiv gültigen Verstehens erübrigt zu haben. Die von Heidegger durch die Unterscheidung zwischen Sein und Seiendem (ontologische Differenz) und Wittgenstein durch die Unterscheidung zwischen dem, was sich sagen lässt und dem, was sich bloß zeigt, angedachte Frage nach der Objektivität möglicher Erfahrung nehmen beide zurück auf den Boden der in ihren Augen erkennbaren Tatsachen. Die Beantwortung dieser Frage wird durch die Explikation der lebensweltlichen (Wittgenstein) und der ontologischen (Heidegger) Hintergrundvoraussetzungen der Verstehenssituation abgebogen. Die transzendentalen Voraussetzungen des eigenen Denkens werden übersehen, denn sie gehören gerade nicht zur Vorstruktur des alltäglichen In-der-Welt-seins - im Sinne Heideggers - und zu den Lebensformen des späten Wittgenstein, sondern zur Vorstruktur jener Reflexion auf die Vorstruktur des alltäglichen In-der-Welt-seins. Dies ist die Vorstruktur des Denkens als eines stillen Argumentierens.
9 10
Vgl. Tugendhat 1979, 225 ff Böhler 1985, 153
130 13.3
Entwicklungspsychologie und Hermeneutik
Apriori der Sinnkonstitution
An dieser Stelle können wir festhalten, dass allein die Kenntnis der Wortgebrauchsregeln, die man als Mitglied einer geschichtlichen Sprach- und Kulturgemeinschaft und der darin sedimentierten Weltansicht1 ' zu beherrschen gelernt hat, als temporal ontologische Vorbedingung des Verstehens lediglich eine Realisierungsbedingung des Verstehens darstellt. Die sprachliche Form der Erschlossenheit von Sinn ermöglicht sowohl das Meinen (Bedeutung zuschreiben) als auch das Verstehen der Meinung (die Rekonstruktion dieses Zuschreibungsprozesses), da beides nicht einer privaten Intuition, sondern einer öffentlich bekannten Sprachspielregel folgt. Das durch Spracherwerb angeeignete Vorverständnis eines Sinnzusammenhangs ist jedoch nur eine notwendige, aber noch nicht eine hinreichende Bedingung des Verstehens.12 Notwendig, insofern wir überhaupt nur verstehen können, indem wir das neu zu Verstehende auf altbekannte Sinnzusammenhänge beziehen und nicht hinreichend, da wir kein Kriterium haben, das es uns erlaubte, konkurrierende Interpretationen miteinander zu vergleichen. Das semantisch-pragmatische Vorverständnis ist ebenso gut eine Bedingung des Richtig- wie auch des Falsch-Verstehens. Für sich alleine genommen gibt es keinerlei Auskunft über die Gültigkeit des Verstandenen. Böhler nennt das Sinnverstehen „Verstehen in einem unspezifischen Sinn". Es bedeutet, etwas semantisch und pragmatisch in irgendeiner Weise als etwas Bestimmtes aufzufassen. „Und zwar semantisch, indem es der Interpret,,regelbefolgendes' Mitglied einer Sprachgemeinschaft, in konsistenter und damit verständlicher Rede als etwas so und so Beschaffenes charakterisiert, zu dem er sich-pragmatisch - als besonderer Vertreter einer Lebenswelt bzw. Kultur auf die eine oder die andere Weise verhalten und woran er ein gewisses Interesse nehmen kann."13 Nur insofern sie an den öffentlichen Wortgebrauchsregeln einer Sprach- und Handlungsgemeinschaft teilhaben, können Interpreten (wie Probanden) bestimmte elementare Ereignisse als Situationen identifizieren, die für sie selbst etwas bedeuten. Würden die Interpreten es allerdings bei dieser ersten, noch unkritischen Deutung eines Satzes im Kontext des vertrauten Sinnhorizonts bewenden lassen, könnte dies dazu führen, dass sie den Sinnanspruch des Textes/der Äußerung in seiner/ihrer kontextspezifischen Bedeutung gerade nicht verstehen. Deutet aber nicht die Tatsache, dass wir in der Lage sind zu beurteilen, ob etwas falsch verstanden wurde, auf einen zusätzlichen Vorrat an kriteriologischem Wissen? Es scheint so, dass wir alles, was wir verstehen, immer schon auf die Idee des RichtigVerstehens beziehen. Wir können überhaupt nicht verstehen, ohne das zu Verstehende auf die Idee der intersubjektiven Wahrheitsfähigkeit zu beziehen bzw. es an ihr zu messen. Daraus folgt, dass das Argumentationswissen, über das wir als Mitglieder einer Sprachgemeinschaft immer schon verfügen, den Sinnhorizont unserer Kulturgemeinschaft transzendiert. Das Wissen, das wir als Angehörige einer faktischen Sprach- und
" 12 13
Böhler 1995, 149 Vgl. Apel 1 9 9 8 , 5 7 9 Böhler 1998, 146
Von der semantischen zur pragmatischen Theorie der Bedeutung
131
Kulturgemeinschaft erworben haben, beinhaltet neben dem kontextspezifischen auch ein horizontübergreifendes apriorisches Wissen. Wir wissen, was es bedeutet, etwas zu verstehen und etwas zu verstehen zu geben. Um dieses Wissen erschließen zu können, muss die Frage nach den ontologischen Voraussetzungen des unspezifischen Verstehens radikalisiert werden durch die transzendentale Frage nach den Bedingungen der Gültigkeit des spezifischen Verstehens. Was also ist die Bedingung der Möglichkeit des Richtig-Verstehens?
13.4
Apriori der Geltungsrechtfertigung
Die transzendentale Frage nach der Möglichkeit eines intersubjektiv gültigen Verstehens beantwortet die Transzendentalpragmatik folgendermaßen: Der Pragmatisierung von Sinn im Rahmen einer geschichtlich kontingenten Sprachgemeinschaft entspricht die Pragmatisierung von Geltung im Rahmen einer idealen, von realen Handlungszwängen entlasteten Sprach- und Argumentationsgemeinschaft. Die in einer konkreten Sprach- und Kulturgemeinschaft angeeignete Sprachkompetenz, das Argumentationswissen, beinhaltet nicht nur ein inhaltliches Vorverständnis des jeweils eigenen Sinnund Erfahrungshorizontes, auf den alles neu zu Verstehende bezogen wird, sondern auch ein Wissen davon, was es überhaupt bedeutet, etwas zu verstehen. Die Wortgebrauchsregeln einer geschichtlichen, mithin faktischen Sprachgemeinschaft sind immer auch schon Wortgebrauchsregeln einer unbegrenzten, konsensorientierten und insofern idealen Argumentationsgemeinschaft. Um etwas mitteilen, verstehen und überprüfen zu können, müssen wir die Wortgebrauchsregeln einer faktischen Sprachgemeinschaft beherrschen. Diese Regelkenntnis erstreckt sich aber nicht nur auf den inhaltlichsemantischen Sinnhorizont einer kulturell sedimentierten Sprachgemeinschaft. Der pragmatische (Handlungs-) Charakter der Wortgebrauchsregeln deutet auf eine allgemeine, den Horizont einer bestimmten Sprachgemeinschaft überschreitende, dialogpragmatische bzw. argumentative Kompetenz. Die Vorstruktur des Verstehens enthält nach Böhler ein dreifach apriorisches Wissen, das wir mit dem Erlernen einer Sprache erwerben. Wir wissen um die Bedingungen der Möglichkeit des Zuschreibens/Verstehens von Sinn (Sinnbedingungen) (I), wir wissen um den Richtigkeitsanspruch des Verstehens (II), und wir wissen um die Bedingungen der Gültigkeit (Einlösungsbedingungen) des Richtigkeitsanspruchs (III). I.
Als kompetente Sprecher verfügen wir neben dem inhaltlich semantischen Vorwissen auch über ein logisches und pragmatisches Vorwissen. Die allgemeinen Schlüssigkeitsregeln und die pragmatischen Dialogregeln gelten nicht nur in einer, sondern prinzipiell in allen Sprachgemeinschaften. Bedingung der Möglichkeit des Sinnverstehens ist zunächst die Verständlichkeit (Verstehbarkeit) von Sinneinheiten. Der Interpret muss über ein Vorwissen von Regelhaftigkeit und Konsistenz
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Entwicklungspsychologie und Hermeneutik
verfügen.14 Dieses Vorwissen versetzt den Interpreten in die Lage, einen bestimmten Sinnzusammenhang regelmäßig als etwas von einer bestimmten Art zu identifizieren, und den Autor bzw. Sprecher in die Lage, regelmäßig einen Sinnzusammenhang herzustellen und als solchen verständlich zu machen. Das Konsistenzkriterium ist Bestandteil der gemeinsamen Sprachkompetenz. Es gilt in gleicher Weise für Interpreten und Autoren. „Etwas-mit-Hilfe-des-Konsistenzkriteriums-als etwasBestimmtes-Verstehen"15 ist die erste Sinnbeding-ung des Verstehens. II. Die zweite Sinnbedingung des Verstehens ist das Wissen um das „Apriori des Geltungsanspruchs".16 Dieser Begriff soll darauf aufmerksam machen, dass wir nicht verstehen können ohne zu beanspruchen, etwas richtig zu verstehen. „Jedes Verstehen will ein ,Jiichtig-Ver stehen" sein und kann nichts anderes sein wollen."17 Die Sinnhaftigkeit einer Aussage bzw. Interpretation besteht in ihrem Richtigkeitsanspruch. Auch der Richtigkeitsanspruch transzendiert die Grenzen einer faktischen (realen) Sprach- und Kulturgemeinschaft. III. Die dritte transzendentale Bedingung des Verstehens ist das Wissen um das Apriori der Geltungsansprüche. Jede sprachliche und nicht-sprachliche Äußerung, über die sich reden lässt, ist mit einem Geltungsanspruch (Wahrheit, Richtigkeit, Authentizität) verbunden. Dies ist der Anspruch, das Gesagte nicht nur den Angehörigen der eigenen Sprachgemeinschaft, sondern prinzipiell jedem, der sich bemüht, verständlich machen und seinen Geltungsanspruch begründen zu können. Die transzendentale Bedingung für die Gültigkeit des Gemeinten/V erstandenen ist seine Verständlichkeit und diskursive Prüfbarkeit (Einlösbarkeit). Die dialog-pragmatische Struktur der Sprache bringt es mit sich, dass wir nicht sprechen können, ohne implizit oder explizit Geltungsansprüche zu erheben. Gleichzeitig gibt uns die Sprache die Mittel an die Hand, um die Gültigkeit, d.h. die Anerkennungswürdigkeit der Geltungsansprüche aus Gründen; beurteilen zu können. Verstehen impliziert nicht nur das Erfassen des gemeinten Sinns, den jemand zu verstehen geben will, sondern auch die gegenwartsbezogene Aneignung desselben. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben: Ein rein lebensweltlich immanentes Aufschließen von Sinn nicht ohne Bezugnahme auf die Bedeutung für den Interpreten und die Bedeutung für den Interpreten nicht ohne Bezugnahme auf den Sinn des Interpretandums. Eine bloß immanente Verständigung ohne Aneignung wäre, wenn es sie denn gäbe, leer, ein folgenloses Unterfangen ohne Bedeutung für den Interpreten; und eine Aneignung ohne kritische Verständigung über den Sinn des Anzueignenden bliebe blind für das Mitgeteilte und käme einer Selbstbestätigung gleich, insofern nichts Neues und Fremdes aufgenommen werden würde.1 * Es kommt also darauf an, Interpret und Autor miteinander ins Gespräch zu bringen. Es gilt die Gründe zu beurteilen, die der Sprecher für die Wahr14 15 16 17 18
Vgl. Böhler 1998, 145 Böhler 1998, 149 Böhler 1998, 146 Böhler 1998, 146 Vgl. Böhler 1 9 8 4 , 3 4 2
Von der semantischen zur pragmatischen Theorie der Bedeutung
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heit bzw. die Richtigkeit seiner Aussage geltend macht. Der Sinn einer Proposition ist von dem mit ihr verbundenen Geltungsanspruch abhängig. Hermeneutik ist im Idealfall die methodische Herbeiführung, Einrichtung und Durchführung eines kritischen Dialogs zwischen Autor und Interpret nach Maßgabe eines rein argumentativ begründeten Konsenses. Die eingangs gestellte Frage nach einem Vorrat an apriorischem Wissen, dass es uns erlaubt, etwas immer besser und tiefer zu verstehen, kann nun wie folgt beantwortet werden. Dieses Wissen ist Teil unseres Argumentationswissens und besteht aus dem (mindestens) doppelt apriorischen Wissen erstens, wie Geltungsansprüche erhoben und eingelöst werden, dem „geltungslogischen Kommunikationsapriori" 19 , und zweitens, wie man überhaupt etwas versteht, indem man nämlich das neu zu Verstehende auf bereits Verstandenes bezieht und vergleicht. Dies nennt Böhler das, Apnori der sprachlichen Sinnkonstitution in der geschichtlich pragmatischen Dimension" 20 des Denkens.
19 20
Vgl. Böhler 1 9 8 4 , 3 4 2 - 4 4 Böhler 1995, 149
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Entwicklungspsychologie und Hermeneutik
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Von der Transzendentalpragmatik zur Ethik
Die Tatsache, dass sich das Denken im Dialog mit anderen Menschen entwickelt und konkretisiert, verdeutlicht, warum der Schlüssel zum Verständnis objektiver (i.S. von intersubjektiver) Gültigkeit im Verhältnis des performativen zum propositionalen Satzteil zu suchen ist. In dem meist unausgesprochenen, nur mitgedachten performativen Satzteil, der vor der eigentlichen Aussage, der Proposition steht, gibt der Sprecher zu erkennen, wie er seine Aussage verstanden wissen will, als Anfrage, Befehl, Vorwurf, Versprechen, Meinungsäußerung usw.1 Im performativen Satzteil definiert er seine Beziehung zu seinen Gesprächspartnern (Subjekt-Subjekt) im Hinblick auf die Möglichkeit der diskursiven Überprüfung seiner Aussage über etwas in der Welt (Objekt).2 Behauptungen spielen hier insofern eine besondere Rolle, als der Sprecher für die Aussage, die er als Behauptung vorträgt, explizit intersubjektive Gültigkeit beansprucht.3 „Die Formel: ,Ich behaupte hiermit, dass χ sich so verhält', kann nicht anders verstanden werden als: ,Ich behaupte hiermit gegenüber jedermann, dass χ sich so und so verhält und erkläre mich bereit, meine Behauptung auch gegenüber jedermann zu verteidigen.' Irgendwelche Einschränkungen hinsichtlich des Kreises derer, gegenüber denen der Geltungsanspruch erhoben wird, wären in Wahrheit Einschränkungen des Wahrheitsanspruchs selbst (...)."4 Der im performativen Satzteil erhobene Anspruch auf die
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3
44
In der Unterscheidung des performativen und propositionalen Satzteils wird die Selbstriickbezüglichkeit der Sprache deutlich. Sprache kommt nicht nur vor als Instanz zur Übermittlung von Bedeutungen, sondern sie thematisiert sich gleichsam selbst. Im performativen Teil eines Satzes gibt der Sprecher zu verstehen, wie er den Inhalt des nachfolgenden Satzes (Proposition) verstanden wissen will. Er thematisiert die Verwendungsweise seines Satzes. Diese doppelte Funktion der Sprache, die zugleich als Medium der Beziehung auf Realität und als Thema vorkommt, hat Habermas mit dem Begriff der performativ-propositionalen Doppelstruktur des Sprechaktes bezeichnet. Vgl. Habermas 1976a, in: ders. 1984, 353-440, hier404ff Zur dreidimensionalen Semiotik der Transzendentalpragmatik vgl. Apel 1988a; Böhler 1985, 360ff Die Wahrheitsbedingungen des propositionalen Teilsatzes stellen nach Apel einen Spezialfall der Gültigkeitsbedingungen dar, die ein Sprecher mit einem kompletten Doppelstruktursatz beansprucht einlösen zu können. Das Besondere assertorischer Sätze besteht darin, dass sie, zumindest oberflächlich betrachtet, den Eindruck erwecken, als würden hier der illokutionär erhobene und der propositional erhobene Geltungsanspruch zusammenfallen, als seien die allgemeinen Akzeptabilitätsbedingungen identisch mit ihrer Teilmenge, den besonderen Wahrheitsbedingungen. „Wenn die behauptete Proposition als wahr erwiesen wird, kann auch der vorgetragene Geltungsanspruch des Sprechaktes als eingelöst betrachtet werden." Im Unterschied dazu scheint es offensichtlich zu sein, dass der Adressat von nicht-assertorischen Sprechakten, wie z.B. Befehlen, Bitten, Versprechen ..., immer schon mehr verstanden haben muß, als zu wissen, unter welchen Bedingungen ein Satz wahr ist. Er muß die allgemeinen Akzeptabilitätsbedingungen kennen, unter denen die im performativen Satzteil zusätzlich beanspruchten Geltungsansprüche eingelöst werden können. Genau besehen versteht aber auch der Adressat von assertorischen Sätzen mehr als bloß das Erheben eines Wahrheitsanspruchs. Er versteht ebenso, dass der Sprecher, der etwas als wahr behauptet, sich dazu berechtigt glaubt und an die Adressaten das Ansinnen stellt, dass sie seine Behauptung entweder als wahr akzeptieren oder mit Gründen bestreiten. (Vgl. Apel 1987b, 51 ff, hier 6 1 )
Kuhlmann 1980, 301; Vgl. auch Böhler 1984, 343
Von der Transzendentalpragmatik zur Ethik
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universalistische Gültigkeit der behaupteten Proposition (inhaltlichen Aussage) setzt die Unterscheidung zwischen einer bloß partikularen und einer universalen Geltungsgegenseitigkeit voraus. Als Teilnehmer einer realen Kommunikationsgemeinschaft nehmen wir immer schon Bezug auf die unbegrenzte ideale Kommunikationsgemeinschaft. 5 Die ideale Argumentationsgemeinschaft i.S.v. Peirce ist die unbegrenzte Gemeinschaft derer, mit denen wir argumentieren könnten. 6 Der Geltungsanspruch eines Arguments ist damit notwendig auf einen Konsens unter idealen Bedingungen ausgerichtet, d.h. auf einen Konsens, „der bei bestmöglichen Kommunikations- und Forschungsbedingungen unter prinzipiell allen sinnvoll Argumentierenden erzielt werden würde, so dass kein sinnvoller und sachgemäßer Einwand ausgeschlossen bliebe, und der Gegenstand dieses Konsensus als schlechthin wahr zu gelten hätte." 7 Ein solcher Konsens würde nur dann zustande kommen, wenn allein das bessere Argument zählte.8 Der Unterschied zwischen realer und idealer Argumentationsgemeinschaft ist analog zu dem zwischen dem faktisch Anerkannten und dem eigentlich Anerkennungswürdigen. Ohne diese Unterscheidung verfugten wir über keinen normativen Begriff von Gültigkeit, sondern nur über einen beschreibenden Begriff des faktisch Geltenden. Wir wären nicht in der Lage, das ethische Urteilsvermögen des konventionellen Entwicklungsstadiums als konventionell zu charakterisieren und es von dem postkonventionellen Urteilsvermögen zu unterscheiden. Im Horizont einer ausschließlich realen Kommunikationsgemeinschaft, die es so nicht gibt, wäre es auch nicht möglich, durch Kritik des konventionellen Moralbewusstseins einen Fortschritt im Verstehen des Moralischen zu erreichen. Die Konsensorientierung der Sprache ist jedoch nicht nur epistemischer, sondern auch moralischer Natur. Mit dem Anspruch auf intersubjektive Gültigkeit weckt der Proponent die ihn selbst bindende Erwartung, diesen Gültigkeitsanspruch einzulösen. 9 Er gibt zu verstehen, dass er bereit ist, seinen Geltungsanspruch einzulösen und allein durch Argumente (Autonomieregel)10 zu verteidigen. Ein Geltungsanspruch ist nur dann gut begründet, wenn kein Argument übergangen wird und kein Argument gegen ihn spricht. Dies bedeutet, dass alle möglichen Argumentationspartner in gleichberechtigter Weise am Diskurs teilnehmen können müssen. Wer immer etwas behauptet, definiert seine Beziehung zu allen möglichen Dialogpartnern als Beziehung zwischen gleichberechtigten Kommunikationspartnern. " H i e r mündet die Transzendentalpragmatik (Argumentationsreflexion) in die Ethik. „Der Übergang besteht in nichts anderem als der 5
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Vgl. Apel 1973, Bd. 2, 358-435, hier 401-405 u. 429-431; Böhler 1982, 104-118; ders. 1 9 8 4 , 3 4 2 345; Brunkhorst 1993, 342-358; Habermas 1984, 174-183; Kuhlmann 1985, 36 Vgl. Peirce, Schriften 1, 1967, 257-262; und Apel, Einführung zu: Peirce, in: Peirce, Schriften 1, 1967, 117-128 Böhler 1995, 149 Habermas hat die Konsensorientierung der Sprache in die griffige Formel vom .zwanglosen Zwang des besseren Arguments' gebracht. Würde jemand seiner Einlösungsverpflichtung im Fall einer Prüfung nicht nachkommen (können), würde er entweder seine Glaubwürdigkeit oder sein Ansehen als rational denkender Mensch verlieren. Zur Autonomieregel vgl. Böhler 1982, 101/02; Böhler 1985, 375 ff Vgl. Habermas 1984, 177/78
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Entwicklungspsychologie und Hermeneutik
Anwendung des allgemeinen Geltungskriteriums, der rein argumentativen Konsensfahigkeit unter idealen Bedingungen auf praxisbezogenes Urteilen." 12 Die gleichberechtigte Einbeziehung aller Kommunikationspartner ergibt sich folgerichtig aus dem Anspruch, die Wahrheit einer These vor dem Forum einer unbegrenzten Gemeinschaft erweisen zu können. Der Status der Unhintergehbarkeit der Konsensnorm, der Gleichberechtigung und anderer Präsuppositionen des Argumentierens' 3 wird sichtbar, wenn die Sprachspielpraxen nicht aus der vergegenständlichenden Betrachtung des Wissenschaftlers, sondern von innen, aus der performativen Perspektive eines Argumentationsteilnehmers eingesehen und rekonstruiert werden. Wir können einem Zweifler zeigen, dass er selbst, indem er zweifelt, immer schon voraussetzt, dass sein Zweifel gut begründet ist und gegebenenfalls vor dem Forum einer unbegrenzten Argumentationsgemeinschaft Bestand haben würde. Die Reflexion auf die argumentierenderweise aktuell in Anspruch genommenen Voraussetzungen zeigt, dass, wer die Gültigkeit der Existenzial- und Regelpräsuppositionen bestreitet, sich durch den Akt des Bestreitens in einen Selbstwiderspruch verwickelt. So ist z.B. der Befehl „Komm her!" sinnlos, wenn neben dem Sprecher nicht noch eine zweite Person anwesend ist, die diesen Befehl hören und ihm Folge leisten kann. Apel illustriert die Sinnkritik gern am Beispiel der Frage nach der Existenz der Aussenwelt.14 Die Frage „Ist etwa alles nur ein Traum?" kann nur verstanden werden, wenn genau dies nicht vorausgesetzt wird. Der Satz „Vielleicht träume ich" ist sogar selbstwidersprüchlich, da er als ernsthafte Frage, auf die eine Antwort erwartet werden könnte, gerade nicht funktionierte, wenn er geträumt werden würde.15 Auch die feministische Vernunftkritik bedient sich inzwischen sinnkritischer Argumente. „Die weit verbreitete Auffassung", so R. Hagengruber, „in der Vernunfttradition lägen die Ursachen des Ausschlusses von Frauen sowie die Fehler der Wissenschaft begründet, läßt sich leicht als Widerspruch in sich selbst ausweisen. Denn was will diese Behauptung anderes bezeugen, als dass es bessere und richtigere, mit einem Wort vernünftigere Einsichten gibt, als die herrschenden Überzeugungen." 16 12
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Böhler 1 9 8 2 , 9 9 Zu den Bedingungen der Möglichkeit des Argumentierens zählen auch die Existenz einer Argumentationsgemeinschaft, die Anerkennung bestimmter moralischer Normen wie des Lügenverbots, die wechselseitige Anerkennung der Argumentationspartner nicht nur als gleichberechtigte, sondern auch als zurechnungsfähige und aufrichtige Personen, das Verbot der Einschränkung nicht nur des Teilnehmerkreises, sondern auch der zu behandelnden Themen. Alle Bedürfnisse können zum virtuellen Anliegen der Argumentationsgemeinschaft gemacht werden. Sie sind anzuerkennen, sofern sie durch Argumente gerechtfertigt werden können. (Vgl. Kuhlmann 1980, 300/01) Vgl. Apel 1 9 9 8 , 4 6 7 In Über Gewißheit stellt Wittgenstein fest: „Das Argument, 'Vielleicht träume ich', ist darum sinnlos, weil dann eben auch die Äußerung geträumt ist, ja auch das, dass diese Worte eine Bedeutung haben." (Vgl. Wittgenstein 1969, § 383). Die Ursache für die hier von Wittgenstein vorgeführte Selbstaufhebung des Sprachspiels sieht Apel in einem performativen Selbstwiderspruch begründet. Vgl. Apel 1 9 9 8 , 4 6 7 Hagengruber 1998, 14
Von der Transzendentalpragmatik zur Ethik
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Der Nachweis performativer Widersprüche erweist die Letztgültigkeit der Präsuppositionen des Argumentierens. Immer dann, wenn sich ein performativer Widerspruch einstellt, können wir davon ausgehen, dass es sich bei dem, was geleugnet wird, um letztgültige Argumentationsvoraussetzungen handelt. Die Präsuppositionen enthalten nicht nur notwendige Existenz- und logische Bedingungen des Argumentierens, sondern immer auch schon anerkannte Normen, „die sich von dem traditionsbedingten Weltvorverständnis und dem sozialen Einverständnis unterscheiden, gleichwohl aber neben diesem Faktizitätsapriori auch immer schon von jedem endlichen Menschen anerkannt sind."' 7 Was man als sinnvoll Argumentierender nicht bestreiten kann, das kann überhaupt nicht und von niemandem bestritten werden.
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Apel 1 9 9 8 , 5 9 9
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Entwicklungspsychologie und Hermeneutik
Objektivität der praktischen und theoretischen Wissenschaften
Seit seiner Einführung durch Habermas ist es allgemein üblich, die reflexive Überprüfung der Geltungsfähigkeit von Aussagen in einer handlungsentlasteten Argumentation der Betroffenen untereinander ,Diskurs' zu nennen. ' Vom einfachen Diskurs, der die Geltungsfähigkeit von Aussagen überprüft, ist der philosophische oder argumentationsreflexive Diskurs zu unterscheiden, der die Geltungsfähigkeit von Aussagen über Aussagen, d.h. die Gültigkeitsbedingungen des Überprüfens von Aussagen bzw. des Denkens überhaupt untersucht. 2 Durch das reflexive Verfahren der Selbstvergewisserung (Rekonstruktion) der Gültigkeitsbedingungen des Argumentierens kommt die Reflexion über das Denken (das Sprechen über Sprache; der Metadiskurs über Sach-Diskurse) zu seinem definitiven Ende. Sie deckt das in allem Argumentieren performativ mitgängige Wissen der Nichthintergehbarkeit des Argumentierens und seiner Präsuppositionen auf. Die Unhintergehbarkeit des Argumentierens und seiner Präsuppositionen für jede Form von Reflexion kann, so Apel, allenfalls noch psychologisch hinterfragt, nicht aber geltungstheoretisch widerlegt werden. 3 Die Letztgültigkeit der Argumentationsvoraussetzungen begründet die Möglichkeit intersubjektiv gültiger Erkenntnis 4 und damit auch die Objektivität nicht nur der praktischen (hermeneutischen), sondern auch der theoretischen Wissenschaften. Am normativen Ideal der Konsensbildung erweist sich die intersubjektive Gültigkeit jeder denkbaren philosophischen und wissenschaftlichen Theoriebildung. Die Objektivität des Verstehens kristallisiert sich, Habermas zufolge, nicht mehr in der Gegebenheit (Existenz) eines feststehenden Sinns, der entweder im Bewusstsein des Subjekts vorliegt (wie in der intentionalistischen Bedeutungstheorie 5 ) oder durch den logisch richtigen Zeichengebrauch (wie in der formalsemantischen Bedeutungs-theorie6) oder den intersubjektiven Gebrauch von Sprache (wie in gebrauchstheoretischen Ansätzen7) zum Ausdruck gebracht wird, sondern als regulative Idee im Sinne des postulierten Einverständnisses eines ins Unendliche reichenden Interpretationsgeschehens. Vgl. Habermas 1971, Einleitung zur Neuausgabe, 10; Habermas 1979 Zur Unterscheidung verschiedener Diskurstypen vgl. Böhler 1984, 313-355, hier 329-333 und Böhler/Gronke 1994, Sp. 809 ff Vgl. Apel 1 9 9 8 , 5 9 9 Zum normativen Begriff von Erkenntnis vgl. Habermas 1984, 174-182 In der intentionalistischen Bedeutungstheorie entlehnt die Sprache ihre Bedeutung ausschließlich den Intentionen der zwecktätigen Sprachbenutzer. Vgl. Habermas 1988, 108 Aus Sicht der formalsemantischen Bedeutungstheorie bezieht sich Gültigkeit ausschließlich auf das Verhältnis von Sprache und objektiver Welt. Gültigkeit ist in dieser Theorie gleichbedeutend mit Aussagenwahrheit und bleibt auf die Ebene der tatsachenfeststellenden Rede beschränkt. Vgl. Habermas 1988, 76 Bedeutung und Geltung eines sprachlichen Ausdrucks konstituieren sich im gebrauchstheoretischen Ansatz ausschließlich aus der Perspektive ihres Gebrauchs in einer Sprachgemeinschaft - ohne Bezugnahme auf die Intentionen der Subjekte oder die Tatsachen in der objektiven Welt. Vgl. Habermas 1988, 77
Objektivität der praktischen und theoretischen Wissenschaften
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Dies bedeutet, dass kein Interpretationsprozess jemals definitiv zum Abschluss gebracht werden kann, dergestalt, dass eine Interpretation als die einzig richtige (objektive) ausgewiesen werden könnte. Aber der Konsens fungiert im Sinne einer regulativen Idee, als Maßstab, dessen Antizipation den diskursiven Prozess des Verstehens anleitet und das zu Verstehende hinsichtlich seiner Konsensfahigkeit bewertet. Die Idee des Konsenses ermöglicht die Unterscheidung zwischen richtigem und falschem Verstehen. Sie garantiert die zunehmende Richtigkeit bzw. den Fortschritt im Verstehen.
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Teil III: Entwicklungspsychologie und Hermeneutik
Die kritisch-methodische Funktion des hermeneutischen Zirkels1
Der Lehre vom hermeneutischen Zirkel zufolge sind wir in der Lage, durch die Methode der „in einem scheinbaren Kreise"2 verfahrenden Interpretation von Texten zu einem immer tieferen i.S.v. objektiveren Verständnis derselben zu gelangen. Die Idee eines möglichen Fortschritts im Verstehen dürfen wir uns nicht im Sinne einer Angleichung der Sinnansprüche (Horizontverschmelzung) von Autor und Interpret vorstellen, sondern als Annäherung an die regulative Idee einer diskursiven Überprüfung des Geltungsanspruchs des Interpretandums. Die Tatsache, dass alle kompetenten Sprecher immer schon wissen, wie Geltungsansprüche einzulösen sind,3 - nämlich durch einen unter idealen Argumentationsbedingungen herbeizuführenden Konsens über den Sinnund Geltungsanspruch einer Äußerung - , begründet die Möglichkeit eines Fortschritts im Verstehen. Das hermeneutische Wissen, dass wir als Argumentierende gleichsam eine doppelte Rolle spielen, sowohl die eines Mitglieds einer realen und historisch kontingenten Kommunikationsgemeinschaft als auch die eines Mitglieds der idealen, unbegrenzten und rein argumentativen Kommunikationsgemeinschaft, rechtfertigt die Möglichkeit eines zunehmend besseren i.S.v. tieferen Verstehens. Dies ändert nichts an der hermeneutisch schwierigen Situation unseres lebensweltlichen Vorverständigtseins. Wir können nicht verstehen, ohne bereits vorverständigt zu sein. Die Möglichkeit eines voraussetzungslosen Verstehens ist uns nicht gegeben. Der Sinnhorizont einer faktischen Sprachgemeinschaft bietet ein Repertoire an Deutungsund Bewertungsmustern. Ohne diesen Sinnvorrat wäre es nicht möglich, überhaupt irgend etwas zu verstehen. Das Vorverständnis ist gleichermaßen eine notwendige Bedingung des Richtig- wie des Falsch-Verstehens. Die Sinnkonstitution kann aufgrund der Partikularität einer faktischen Kommunikationsgemeinschaft nicht frei von Vorurteilen sein. Gleichzeitig ist das Vorverständnis aber auch eine transzendental notwendige Bedingung der Sinnkonstitution und damit des Verstehens überhaupt. Es wäre kontraproduktiv, den Zirkel vermeiden oder umgehen zu wollen, (abgesehen davon, dass dies auch nicht möglich ist) und etwa die Rolle eines über den Dingen stehenden Interpreten einnehmen zu wollen. Wir können aufgrund unserer Mitgliedschaft in einer faktischen Sprachgemeinschaft nicht ohne Voraussetzungen, gleichsam ganz von vorne, verstehen. Dies zwingt uns aber nicht, die Idee des Richtigverstehens aufzugeben oder ihre Gültigkeit zu bestreiten, wohl aber zwingt uns diese Erkenntnis, das jeweils eigene Vorver-
Der Titel dieses Kapitels ist entnommen aus Böhler 1985, 143 Schleiermacher benutzt den Ausdruck „scheinbarer Kreis", um deutlich zu machen, dass es sich beim hermeneutischen Zirkel nicht um einen wirklichen Kreis, aus dem es kein Entrinnen im Sinne eines Fortschritts im Verstehen gibt, es sich also beim hermeneutischen Zirkel nicht um ein fehlerhaftes und daher sinnloses Verfahren handelt, sondern um ein im Bild einer Spirale zu fassendes immer mehr i.S.v. tiefer Verstehen. (Vgl. Schleiermacher 1 9 7 7 , 9 7 ) „Freilich liegt es in der Natur von Geltungsansprüchen, daß sie eingelöst werden können und wodurch sie eingelöst werden können, das macht gerade ihren Sinn aus." (Habermas 1984, 159)
16 Die kritisch-methodische Funktion des hermeneutischen Zirkels
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ständnis (inklusive Bewertungshorizont) offenzulegen und in Auseinandersetzung mit den Sinn- und Geltungsansprüchen der Interpretanda zur Disposition zu stellen. Die Frage, wie der hermeneutische Zirkel zu vermeiden sei, ist, dies hat schon Heidegger erkannt, falsch gestellt. „Das Entscheidende ist nicht, aus dem Zirkel heraus-, sondern in ihn nach der rechten Weise hineinzukommen. (...) In ihm verbirgt sich eine positive Möglichkeit ursprünglichsten Erkennens." 4 Wie aber ist es möglich, in der rechten Weise in den Zirkel hineinzukommen? Im Sinne der philosophischen Hermeneutik kommt es darauf an, den zu erschließenden Text nicht zu objektivieren in dem Sinne, dass der Interpret zu erklären sucht, welche Vorausannahmen bzw. Einflüsse dazu geführt haben, dass der Autor schließlich diese und nicht eine andere Ethikauffassung vertritt, sondern es kommt darauf an, zu dem Geltungsanspruch dieser Ethikauffassung wertend Stellung zu nehmen. Für den Hermeneuten bedeutet dies, dass er seine überlegene Stellung als Beobachter preisgibt und selbst in die Verhandlungen über den Sinn und die Gültigkeit von Äußerungen eintritt. Er akzeptiert grundsätzlich für sich den gleichen Status wie für diejenigen, deren Äußerungen er verstehen will.5 Um sich darüber klar zu werden, auf welche Normen und Werte (Überzeugungen, Konventionen, Dispositionen, Gefühle ...) die Autoren sich stützen, müssen die Hermeneuten zu ergründen suchen, warum diese sich berechtigt fühlen, bestimmte Behauptungen als wahr anzunehmen, bestimmte Werte und Normen als richtig anzuerkennen, und bestimmte Erlebnisse als wahrhaftig zuzuschreiben.6 Wie sollen sie aber beurteilen, ob die von den Autoren genannten Gründe „für die Empfehlung von Normen und Werten" (ebenso wie für „die Behauptung von Tatsachen" und die „Äußerung von Wünschen und Gefühlen" 7 ) tatsächlich vernünftig sind oder nur für vernünftig gehalten werden? Die Qualität (Rationalität) der Gründe 8 können sie nur in dem Maße verstehen, in dem sie wertend Stellung nehmen und sie als gute oder schlechte Gründe akzeptieren. „Die Interpreten können nicht umhin, beim Verstehen, und das impliziert eben auch: bei der Bewertung von Gründen, Rationalitätsstandards in Anspruch zu nehmen, also Standards, die sie selbst als für alle Parteien verbindlich betrachten (,..)." 9 Dies zwingt sie dazu, einerseits ihr Vorverständnis aktiv einzusetzen und als Bewertungsgrundlage in Anspruch zu nehmen und andererseits sich belehren zu lassen, wenn
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Heidegger 1927, 152/53 Vgl., Habermas 1980, hier 35 Vgl. Habermas 1 9 8 3 , 3 9 Habermas 1 9 8 3 , 3 9 Gründe sind das und nur das, was verallgemeinerbar ist. Private Gründe kann es ebenso wenig geben wie eine private Sprache. Deshalb ist ein Grund dann und nur dann ein Grund, „wenn er für eine jede oder einen jeden ein Grund sein könnte, in einer ähnlichen Situation etwas ähnliches zu erwägen oder zu tun wie diejenige oder derjenige, der ihn zuerst hatte." (Brunkhorst 1993, 348/49) Habermas 1983,40. Für die universalistische Gültigkeit dieser Kriterien sprechen die Tatsachen, dass wir nicht daran zweifeln, gültige von ungültigen Aussagen oder richtige von falschen Normen unterscheiden zu können und dass wir unsere Urteile faktisch mit universalistischem Geltungsanspruch vertreten.
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Teil III: Entwicklungspsychologie und Hermeneutik
die besseren Argumente für den Sinnanspruch des Autors sprechen. Die konsensorientierte Interpretation ist zwar faktisch nur schwer und niemals vollständig erreichbar, aber sie ist in kriteriologischer Hinsicht die einzige Möglichkeit, auf dem Weg eines fortschreitenden Interpretationsprozesses voranzukommen. Nur so ist es schließlich möglich, Aussagen und Texte nicht nur immanent, sondern auch kritisch und unter Umständen sogar besser zu verstehen als die Autoren selbst. 10 Das Konsenskriterium fordert nicht die Ausblendung, sondern die Offenlegung und die gleichberechtigte Berücksichtigung geschlechtsabhängiger Aneignungsinteressen und Weitüberzeugungen. Objektivität in dem hier vorgestellten Sinn argumentativer Konsenswürdigkeit ist nicht gleichbedeutend mit Wertneutralität.11 Im Gegenteil: Wertungen sollen offengelegt, argumentativ überprüft und mithin auch neu bewertet werden. Objektivität bedeutet hier vielmehr Rationalität. Es gilt, die Wertüberzeugungen bestmöglich, nämlich konsensuell zu beurteilen. Das Postulat diskursiven Verstehens impliziert die Einhaltung dialogischer, d.h. in hohem Maße ethischer Forderungen. Die Nichteinhaltung dieser Normen, wie z.B. der Norm, alle Sinnansprüche in gleichberechtigter Weise zu berücksichtigen und entsprechend ihrer Konsensfahigkeit zu bewerten, würde die angestrebte Objektivität nicht nur der hermeneutischen, sondern aller Wissenschaften (denn keine Wissenschaft kann auf die diskursive Verständigung über konkurrierende Wahrheitsansprüche verzichten) von vornherein verhindern.
Der Satz, es gelte einen Schriftsteller besser zu verstehen als er sich selbst versteht, stammt ursprünglich von Schleiermacher. Dieser Satz ist seither immer wiederholt worden. In seinen wechselnden Interpretationen zeichnet sich nach Gadamer die gesamte Geschichte der neueren Hermeneutik ab. (Vgl. Gadamer I960, 180 ff) Die Gleichsetzung von Objektivität und Wertneutralität kritisiert schon Sandra Harding in ihrem Buch Feministische Wissenschaftstheorie. Wie Harding richtig bemerkt, kann die Rekonstruktion bestimmter Wertüberzeugungen als „konstituierende Vorbedingung einer Reformulierung von Objektivität angesehen werden." (Harding 1990,272). Hier mündet, wie Nagl-Docekal feststellt, „die Wissenschaftstheorie (...) in die Debatte zur Begründung normativer Aussagen." (Nagl-Docekal 1996a, 175-77) Diese Überlegung hat Harding jedoch nicht weiter verfolgt. Hätte sie zu begründen versucht, warum die Rekonstruktion bestimmter Wertüberzeugungen als „konstituierende Vorbedingung einer Reformulierung von Objektivität angesehen werden" muss, hätte sie entdecken können, dass sie selbst, indem sie Anspruch auf die Objektivität wissenschaftlicher Aussagen erhebt, eine Ethik der Gleichberechtigung voraussetzt. Der Objektivitätsanspruch wissenschaftlicher Aussagen setzt voraus, dass eine Theorie nur dann objektiv gültig ist, wenn sie von prinzipiell jedem, der sich darum bemüht, eingesehen werden und mit guten Gründen verteidigt werden kann. Der Wissenschaftler setzt voraus, dass er die Pflicht hat, objektiv zu verfahren und erwartet dies reziprok von jedem, der beansprucht, wissenschaftlich tätig zu sein und der seine Forschungsergebnisse mit einem Wahrheitsanspruch versieht. Dieser Anspruch impliziert die wechselseitige Verpflichtung, in einen Dialog über die jeweiligen Forschungsergebnisse einzutreten und ihre Objektivität anhand des Kriteriums der Konsensfähigkeit zu begründen.
TEIL IV: DISKURSETHISCHE ERWEITERUNG DER GERECHTIGKEITSETHIK
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Was leistet die Dilemma-Methode?
Hypothetische Dilemmata, so Gilligan, „sind nützlich für die Destillation und Verfeinerung objektiver Prinzipien der Gerechtigkeit und zur Messung der formalen Logik der Gleichberechtigung und Wechselseitigkeit." 1 Die hypothetische Form der DilemmaGeschichten sei jedoch unzureichend. Um das spezifisch weibliche Urteilsvermögen verdeutlichen zu können, sei es notwendig, das Dilemma in seiner kontextbezogenen Besonderheit zu rekonstruieren. Dies ermögliche „ein Verständnis von Ursache und Wirkung, welches das Einfühlungsvermögen und die Toleranz mobilisiert, durch die sich die Moralurteile von Frauen (...) auszeichnen." 2 Frauen wollen, so Gilligans These, über die Umstände abstrakter DilemmaGeschichten besser informiert werden. 3 Sie haben Schwierigkeiten, sich auf abstrakte Fallbeispiele einzulassen. Frauen betrachten Heinzens Entschluss zum Diebstahl „nicht im Hinblick auf die logische Priorität des Lebens gegenüber dem Eigentum, die ihn rechtfertigt, sondern vielmehr mit Blick auf die tatsächlichen Konsequenzen, die dieser Akt für einen Mann von begrenzten Mitteln und geringer gesellschaftlicher Macht haben würde. Im Lichte der wahrscheinlichen Folgen betrachtet - seine Frau gestorben oder Heinz im Gefängnis, gezeichnet von den Schrecken dieser Erfahrung, kompromittiert durch die Straftat - , verändert sich das Dilemma als solches." 4 Der Sinn der Dilemmamethode besteht nach Gilligan nicht lediglich in der empirischen Bestätigung der prinzipienethischen Urteilskompetenz, sondern auch in der Überprüfung des Legitimitätsanspruchs dieser Prinzipien anhand ihrer Orientierungskraft für die Lösung nicht hypothetischer, sondern realer Konfliktsituationen. Ihrer Meinung nach erschöpft sich das ethische Urteilsvermögen nicht im Wissen um die Gültigkeit moralischer Prinzipien. In Kohlbergs Darstellung der Gerechtigkeitsethik vermisst sie das Wissen um die Notwendigkeit (Pflicht) der Übernahme von Verantwortung auch für die Folgen des Handelns in einer amoralischen Welt. Heinzens Entschluss zum Dieb1
Gilligan 1982, 125
2
Gilligan 1982, 125
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Vgl. Gilligan 1982, 125
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Gilligan 1982, 126
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Diskursethische Erweiterung der Gerechtigkeitsethik
stahl sei zwar durch die logische Priorität des Lebens gegenüber dem Eigentum gerechtfertigt,5 da alle Parteien: Ehefrau, Heinz und Apotheker, diese Gewichtung mit guten Gründen akzeptieren können, nicht aber die umgekehrte Rangfolge. Dennoch qualifiziere allein die Kenntnis moralischer Prinzipien das Urteilsvermögen einer Person noch nicht als ethisch ausgereift. Die höchste Stufe der Entwicklung des ethischen Urteilsvermögens sei nicht nur durch die Kenntnis des Reziprozitätsprinzips ausgezeichnet, sondern auch durch das Wissen um die Pflicht der Verantwortung der Folgen des Handelns. In der konkreten Entscheidungssituation erweise sich die lediglich prinzipiengeleitete Urteilskompetenz als ergänzungsbedürftig. Der „Blick auf die tatsächlichen Konsequenzen, die dieser Akt (der Einbruch, Verf.) für einen Mann von begrenzten Mitteln und geringer gesellschaftlicher Macht haben würde", 6 lenke „das Augenmerk von der Logik auf die Folgen einer Entscheidung." 7 Gilligan stellt den hypothetischen Dilemma-Geschichten die real-life Dilemmamethode gegenüber. Diese Interviewmethode besteht darin, möglichst wenige Fragen vorzugeben. Die Probanden werden aufgefordert, über Probleme aus ihrem Leben zu sprechen, die sie selbst als moralisch relevant einstufen. Mit der real-life Dilemmamethode verfolgt Gilligan zwei Ziele: (1) die Vermeidung suggestiv beeinflussender Dilemmafragen und (2) die Erfragung von Prinzipien, die geeignet sind, das Handeln nicht nur ethisch, hinsichtlich seiner moralischen Richtigkeit, sondern auch verantwortungsethisch, hinsichtlich seiner Befolgungsgültigkeit, zu überprüfen. Für Kohlberg sind die hypothetischen Dilemmageschichten lediglich von heuristischer Bedeutung. Er interessiert sich ausschließlich für die prinzipienorientierte Urteilskompetenz seiner Probanden und nicht für die Lösung realer Konfliktsituationen. Die Heinz-Geschichte liefert ihm gleichsam nur das Material, das, konfrontiert mit dem moralisch intuitiven Wissen (know how) des Probanden, zu einem immer präziseren Verständnis (Auslegung) dieses Wissens beitragen soll. Habermas verteidigt den hypothetischen Charakter von Kohlbergs Dilemmageschichten gegen die Kritik Gilligans. „Wir können nicht", so Habermas, „in einem Zuge Normen begründen und konkrete Handlungen rechtfertigen. In Begründungsdiskursen nehmen wir auf die Konstellation einzelner Situationen nur in exemplarischer Weise Bezug, um die Anwendungsbedingungen einer Norm anhand von Beispielen zu illustrieren."8 Hier geht es „nicht um die richtige Entscheidung eines konkreten Falls, der in einer bestimmten Situation verschiedene Handlungsalternativen zuläßt, sondern um die Gültigkeit von Normen, die einer solchen Entscheidung zugrundegelegt werden." 9 Gegen die hypothetische Dilemma-Methode spricht allerdings die von Gilligan geltend gemachte Verantwortung moralischen Handelns vor dem Hintergrund realer Handlungsbedingungen. Zwar eignen sich die spärlichen Hintergrundinformationen der hy3 6 7 8 9
V g l . Gilligan 1982, 126 Gilligan 1982, 126 Gilligan 1982, 125 Habermas 1988b, 9 5 Habermas 1988b, 9 5
Was leistet die Dilemma-Methode?
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pothetischen Dilemma-Geschichten dafür, die Aufmerksamkeit der Probanden auf nichts anderes als die konfligierenden Werte zu konzentrieren, sie eigenen sich jedoch nicht für die Rekonstruktion realer Dilemmalösungen, in denen nicht nur konfligierende Werte eine Rolle spielen, sondern auch Entscheidungen getroffen und verantwortet werden müssen. Die Unterscheidung zwischen hypothetischen und realen DilemmaSituationen ist nicht gleichbedeutend mit dem von Habermas geltend gemachten Unterschied zwischen der Begründung moralischer Normen einerseits und der Anwendung dieser Normen im Kontext realer Konfliktsituationen andererseits. Diese Unterscheidung ist der Natur moralischer Konfliktsituationen nicht angemessen. Sie vermittelt den Eindruck, als sei die Begründung moralischer Normen eine Sache und die Anwendung dieser Normen im Kontext realer Situationen eine andere, moralfremde Sache. Entgegen Habermas vertrete ich die Meinung, dass alle Normen, die nicht Metanormen des Diskurses sind, immer nur im Kontext und mit Bezug auf reale Konfliktsituationen und deren Lösung unter strategischen Handlungsbedingungen begründet werden können. Es macht keinen Sinn, Normen mit Blick auf eine rein rationale Modellsituation zu begründen. Normen sollen das Handeln unter realen, nicht rein verständigungsorientierten, sondern strategischen Handlungsbedingungen orientieren. Die Begründung situationsbezogener Normen ist deshalb nicht weniger rational, sondern mehr rational als die Begründung situationsenthobener Normen. 10 Sie zwingt zur Antizipation realer und nicht idealer Handlungsbedingungen. Man ist gezwungen, das möglicherweise strategische Handeln der Interaktionspartner nicht auszublenden, sondern bewusst zu unterstellen und sich entsprechend zu wappnen. Letztlich läuft die Begründung situationsbezogener Normen auf die Einbeziehung strategischer Überlegungen hinaus. Aber auch das die Gültigkeit dieser Normen begründende Kriterium kann legitimerweise nur die Konsensfahigkeit und nicht ein anderes Kriterium sein. Die Differenz zwischen der hypothetischen und der real-life Dilemmamethode bringt den Unterschied zwischen einer rein verständigungsorientierten Modellsituation, in der die Menschen nicht auf Kompromisse und strategische Überlegungen angewiesen sind, und einer realen Konfliktsituation zum Ausdruck. Letztere bedarf zwar auch und in keiner Weise weniger einer ethischen Beurteilung, aber im Kontext real-strategischer Handlungsbedingungen verdient nur diejenige Konfliktlösung das Prädikat ethisch (gerechtfertigt), die ihren Subjekten nicht eine einseitige Normenbefolgung zumutet. Es muss erlaubt sein, sich gegen die Nichtbefolgung moralischer Normen durch andere zu schützen. Die Pflicht zur Befolgung moralischer Normen muss unter den Vorbehalt der reziproken Normenbefolgung gestellt werden. Wenn dies nicht gewährleistet ist, wäre es unverantwortlich, ungebremst moralisch zu handeln. Das Wissen um die strategische Bedingtheit allen Handelns verpflichtet, die in Frage stehende Handlungsnorm auch unter moralstrategischen Gesichtspunkten zu legitimieren. In hypothetischen Dilemma-Geschichten wird der Proband unausgesprochen aufgefordert zu unterstellen, dass alle Beteiligten sich ebenfalls auf eine moralische Beurteilung dieser Modellsituation einlassen und ausschließlich konsensfahige Gültigkeitsan10
Vgl. Benhabib 1 9 8 9 , 4 7 8
146
Diskursethische Erweiterung der Gerechtigkeitsethik
spräche anerkennen. Dies darf im realen Leben jedoch gerade nicht unterstellt werden. In realen Dilemma-Situationen liegen in der Regel strategische Handlungsbedingungen vor. Zur Erfassung der höchsten Stufe der ethischen Urteilskompetenz ist die real-life Methode m. E. besser geeignet. Die Beurteilung realer Konfliktsituationen bietet die Chance, beide Aspekte zu erfragen, die Kenntnis des Reziprozitätsprinzips und die Pflicht, dieses Prinzip unter real-strategischen Handlungsbedingungen so zur Geltung zu bringen, dass die Folgen der in Frage stehenden Handlung auch unter diesen Bedingungen konsensfähig sein würden. Beide Dilemmamethoden, die hypothetische ebenso wie die reale Methode, erfüllen den Zweck der mäeutischen Rekonstruktion ethischer Urteilsmaßstäbe.11 Zur Erfragung des ausschließlich prinzipienethischen Urteilsvermögens sind hypothetische DilemmaGeschichten besser geeignet, und für die Erfragung des auch moralstrategische Überlegungen einschließenden Urteilsvermögens sind reale Dilemma-Situationen besser geeignet. Da eine Kombination der beiden Befragungsmethoden sich wechselseitig ausschließt, empfiehlt sich die reale Dilemmamethode, denn sie ermöglicht beides, die Selbstvergewisserung des prinzipienethischen Kriteriums der verallgemeinerten Gegenseitigkeit (Konsensprinzip) und die strategische Transformation und Befolgung dieses Prinzips im Kontext real-strategischer Handlungsbedingungen. Je näher die Beschreibung der Konfliktsituation an die Lebenswelt der Befragten heranreicht, desto mehr wird ihr moral-strategisches Urteilsvermögen aktiviert. Zum gewünschten Erfolg kann aber auch die real-life Methode - entgegen der Annahme Gilligans - nur dann führen, wenn Fragen gestellt werden, die auf das bereits als gültig unterstellte Reziprozitätsprinzip zielen. Ohne Kenntnis und Anerkennung der universalistischen Gültigkeit dieses Prinzips würden die Entwicklungspsychologen weder wissen, wonach sie suchen (sollen), noch wären sie in der Lage, die jeweiligen Antworten in Form einer Stufenabfolge zu bewerten.
Auch Habermas charakterisiert die Dilemma-Methode als „mäeutische Befragungsmethode", die dem Zweck dient, das intuitive moralische Wissen der Probanden auf den Begriff zu bringen. (Vgl. Habermas 1976a, 376)
Vier mögliche Bedeutungen der Fürsorge bei Gilligan
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Vier mögliche Bedeutungen der Fürsorge bei Gilligan
Gilligan stützt ihre Kritik an Kohlbergs Dilemma-Geschichten und den Niveaustufen moralischer Urteilskompetenz auf vier Argumentationszüge, die alle in je spezifischer Weise auf den Begriff der Fürsorge zurückgreifen. Wenn ich recht sehe, bringt sie vier mögliche, ineinander verschränkte Bedeutungsebenen des Begriffs der Fürsorge zur Geltung. Für Gilligan steht die Fürsorge in einem gleichberechtigten Verhältnis zur Gerechtigkeit. Zunächst spricht sie von zwei gleichwertigen Moralen, später von zwei gleichwertigen Moralorientierungen. In ihrer Interpretation stehen die Begriffe Fürsorge und Gerechtigkeit als konträre Pole in einem komplementären Ergänzungsverhältnis. „Das Fehlerrisiko bei Gerechtigkeitsurteilen besteht in deren latentem Egozentrismus, in der Neigung, die eigene Perspektive mit einem objektiven Standpunkt oder der Wahrheit zu verwechseln, sowie in der Versuchung, andere auf die eigenen Kriterien festzulegen, indem man sich selbst an ihre Stelle setzt. Das Fehlerrisiko bei Fürsorge-Urteilen besteht in der Neigung, zu vergessen, daß man eigene Kriterien hat und sich so weit auf die Perspektive des anderen einzulassen, daß man sich selbst als selbstlos begreift und sich nach den Kriterien der anderen definiert." 1 Streng genommen kann die Fürsorge jedoch nicht als Prinzip angesehen werden, denn sie stellt nicht selbst ein Kriterium für die ethische Rechtfertigung von Handlungsoptionen zur Verfügung. Die Fürsorge ist entweder i. S. einer wohlwollenden Einstellung oder i. S. einer guten, wie z.B. einer helfenden und unterstützenden, Handlung zu verstehen. Handlungen der Hilfeleistung sind jedoch nicht generell verpflichtend. Sie sind nur unter bestimmten Bedingungen und in bestimmten Kontexten geboten. Sie dürfen z.B. nicht gegen den erklärten Willen (die Autonomie) der Betroffenen geleistet werden und müssen prinzipiell konsensfahig sein. Bei Kindern, die selbst noch nicht entscheiden können, wann sie die Hilfe anderer benötigen, wird die Notwendigkeit der Hilfeleistung berechtigterweise unterstellt, so dass man hier von einer permanenten, allerdings nicht kriterienlosen Pflicht zur Hilfeleistung sprechen kann. Das Maß an Hilfeleistung wird durch die sich entwickelnde Autonomie des Heranwachsenden bestimmt. Je mehr ein Kind dazu in der Lage ist, sich selbst zu bestimmen, desto weniger bedarf es der stellvertretenden Wahrnehmung seiner Interessen durch die Erziehungsberechtigten. Wird dieses Verhältnis nicht berücksichtigt und ein Kind, obschon es dazu in der Lage wäre, sich selbst zu helfen, genötigt, sich helfen zu lassen, sprechen wir von einer ethisch ungerechtfertigten Bevormundung. Anders verhält es sich mit der Fürsorge i. S. einer wohlwollenden Haltung bzw. Grundeinstellung gegenüber Mensch und Tier. Wenn es, wie hier behauptet, moralische Pflicht ist, Konflikte nach Maßgabe der Konsensfähigkeit der jeweiligen Ansprüche zu lösen, dann setzt dies eine wohlwollende Prüfung aller Bedürfnisse voraus. Um die Bedürfnisse der Anderen in ihrer Bedeutung für den Einzelnen richtig verstehen (erGilligan 1991, 97; Vgl. auch Gilligan 1982, 33
148
Diskursethische Erweiterung der Gerechtigkeitsethik
messen) zu können, ist eine wohlwollende Grundhaltung und ein gewisses Maß an Einfühlungsvermögen unverzichtbar. Im folgenden werden die vier möglichen Bedeutungen der Fürsorge bei Gilligan vorgestellt.
18.1
Einzelfallgerechtigkeit
Ungeachtet der Entgegensetzung von Gerechtigkeit und Fürsorge lässt sich ein wesentlicher Aspekt des Fürsorgebegriffs als das Bemühen um Einzelfallgerechtigkeit verstehen. Genau besehen steht nämlich die Fürsorgeethik nicht wirklich in Konkurrenz zur Gerechtigkeitsethik. Die abstrakte Konstruktion der Dilemmageschichten, die fehlenden Hintergrundinformationen und die Verweigerung zusätzlicher Informationen auf Nachfrage der Probanden interpretiert Gilligan dahingehend, dass die Gerechtigkeitsethik gebiete, alle Einzelfalle ohne Differenzierung gleich zu beurteilen. Durch die Auswahl abstrakter Dilemmageschichten, so die Kritik Gilligans, verfehle Kohlberg die normative Bedeutung der Einzelfallgerechtigkeit. Die Einzelfallgerechtigkeit gebiete, den Bedürfnissen und Interessen jeder einzelnen Person in ihrer jeweils besonderen Situation gerecht zu werden. Da die Gerechtigkeitsethik dies aufgrund ihres Gebots, alle Individuen gemäß der Norm einer substanziell allgemein-menschlichen Gleichheit zu beurteilen, nicht leisten könne, müsse sie durch eine Fürsorgeethik ergänzt werden. Eine fürsorgliche Einstellung und Haltung zu den Mitmenschen sei geeignet, die - durch die Abstraktheit des Gerechtigkeitsprinzips bedingte, fehlende Kontextualität abzugleichen. Das Prinzip 2 der Fürsorge soll die Gerechtigkeitsethik auf eine Weise kompensieren, die den individuellen Bedürfnissen jeder einzelnen Person in ihrer besonderen Situation gerecht zu werden vermag. Dies offenbart jedoch: Die Kompensationsforderung erfolgt im Namen der Gerechtigkeitsethik. Gilligan bestreitet nicht die Sollgeltung des Prinzips der Gerechtigkeit, die moralische Pflicht, die Bedürfnisse und Interessen aller Personen unter der Perspektive eines gerechten Ausgleichs in der jeweiligen Situation zu berücksichtigen. Indem sie die unzureichende Umsetzung des Prinzips der Gerechtigkeit vor dem Hintergrund hypothetischer Dilemma-Geschichten beklagt, unterstellt sie, ohne es zu bemerken, die normative Gültigkeit dieses Prinzips. Gegen Gilligans Forderung muss allerdings einschränkend daraufhingewiesen werden, dass der normative Sinn der Einzelfallgerechtigkeit im Gleichheitsgebot seine legitime Grenze findet. Dem Gleichheitsgebot zufolge ist den Interessen und Bedürfnissen Einzelner lediglich insoweit zu entsprechen, als dies die gleichberechtigte Befriedigung der Interessen und Bedürfnisse aller anderen nicht ausschließt. Aus diesem Grunde ist es auch nicht möglich, den Interessen und Bedürfnissen jedes Individuums in ihrer je-
Genau besehen handelt es sich bei der Fürsorge nicht um ein Prinzip. Vgl. die einleitende Bemerkung zu Teil IV dieser Untersuchung.
Vier mögliche Bedeutungen der Fürsorge bei Gilligan
149
weiligen Einzigartigkeit vollständig gerecht zu werden, was z.B. von Derrida geltend gemacht wird. Die Berücksichtigung der besonderen Interessen des konkreten Anderen ist nur möglich in Relation zu dem Prototyp des generalisierten Anderen. 3 Der Prototyp des generalisierten Anderen ist eine notwendige Bedingung sowohl zur Feststellung als auch zur ethischen Beurteilung individueller Ansprüche.
18.2
Situationsangemessenheit
Gilligan stützt ihre Kritik an der Abstraktheit der Dilemmageschichten auch auf die mangelnde Situationsangemessenheit moralischer Normen. „Die Psychologie der Frauen (...) verrät eine kontextbezogenere Art des Urteilens (...)."4 Die Abstraktheit der Dilemma-Geschichten begünstige die situationsunabhängige Begründung von Normen. Die so begründeten Normen seien so allgemein, dass sie unterschiedslos aufjede Situation Anwendung fänden. Solch generalisierte Normen, wie z.B. die Norm „Du sollst nicht lügen", hülfen in der konkreten Entscheidungssituation jedoch nicht weiter. Im Falle ihrer kontextblinden Anwendung (Oktroyierung) könnten sie sogar zu neuem Unrecht führen. Eine prinzipienorientierte Entweder-Oder-Lösung von DilemmaSituationen laufe Gefahr, in der konkreten Situation neue Verletzungen hervorzurufen.5 So offensichtlich berechtigt diese Kritik an einer generalisierenden Anwendung allgemeiner Normen ist, so wenig berechtigt ist es dennoch, die Kritik auf das Prinzip der Gerechtigkeit als solches zu beziehen. Gilligan legt ihrer Beurteilung ein verkürztes Verständnis moralischer Orientierungen zugrunde - und zwar nicht nur der Gerechtigkeit, sondern auch der Fürsorge in ihrer kompensatorischen Funktion. Sie missversteht das Gerechtigkeitsprinzip i. S. der rigoristischen Norm der unterschiedslosen Gleichbehandlung von Personen. Damit verkehrt und verengt sie seine normative Bedeutung. Das Prinzip der Gerechtigkeit fordert nicht, Ungleiches gleich zu behandeln. Es verlangt vielmehr die gleichberechtigte Berücksichtigung ungleicher Voraussetzungen. Es fordert nicht, natürliche Ungleichheiten zu negieren, sondern sie als solche zu benennen und zu einem vernünftigen Ausgleich zu bringen. Auch Gilligans Verständnis der Fürsorge scheint verkürzt. Sie macht sich nicht hinreichend klar, dass die von ihr geforderte Kompensation der Gerechtigkeits- durch die Fürsorgeethik die Sollgeltung des Gerechtigkeitsprinzips nicht relativiert, sondern selbst in Anspruch nimmt. Ihre verkürzte Interpretation der Fürsorge^//*;/: zeigt sich in dem Anliegen, die durch die Gleichbehandlung der Geschlechter verursachte Ungerechtigkeit lediglich ausgleichen zu wollen. Tatsächlich ist die Ergänzungsforderung nicht durch ein eigenständiges Fürsorgeprinzip, sondern durch das Prinzip der Gerechtigkeit legitimiert. In Gilligans Modell der Kompensation von Gerechtigkeits- und Fürsorgeorientierung soll die Fürsorgeethik die Fehler der Gerechtigkeit und die Gerechtigkeitsethik die Feh3 4 5
Vgl. Mead 1934, 31 Gilligan 1 9 8 2 , 3 3 Vgl. Gilligan 1982, 126-131
150
Diskursethische Erweiterung der Gerechtigkeitsethik
1er der Fürsorgeethik ausgleichen. Die kompensatorische Wirkung soll dadurch erreicht werden, dass sich zwei gleich gültige Ethiken gegenseitig ergänzen und begrenzen. Die Fürsorgeethik als eine die Fehler der Gerechtigkeitsethik kompensierende Ethik erhält aber ihre Berechtigung nicht in Ergänzung zum, sondern durch die normative Sollgeltung des Prinzips der Gerechtigkeit. Auf der Grundlage der Anerkennung der Sollgeltung dieses Prinzips klagt Gilligan weitere Differenzierungen ein. Der geltungslogische Status der Fürsorgeethik ist ein aus der Gerechtigkeitsethik abgeleiteter bzw. durch diese begründeter Status. Da Gilligan beide Ethiken jedoch auf einer Stufe ansiedelt, verwickelt sich ihre Argumentation in Widersprüche. Diese Widersprüche resultieren aus der unhinterfragten Unterstellung zweier in gleicher Weise gültiger Ethiken. Die Kritik der fehlenden Situationsangemessenheit der ausschließlich an Prinzipien orientierten Dilemma-Beurteilung der Stufe 6 fußt aber nicht nur auf einem verkürzten Verständnis der Gerechtigkeits- und der Fürsorgeethik. Wenn dem so wäre, könnte sie leicht zurückgewiesen werden. Ungeachtet dieser Engführung ist Gilligans Kritik an der Gerechtigkeitsethik auch ein Stück weit berechtigt. Die Gründe für diese Berechtigung bringt sie selbst allerdings nicht explizit zur Sprache. Ihre Kritik an Kohlbergs Interpretation der Gerechtigkeitsethik ist in zweierlei Hinsicht gerechtfertigt, hinsichtlich der mangelnden Kontextberücksichtigung und hinsichtlich der fehlenden Folgenverantwortung. Aufgrund ihres verkürzten Verständnisses des Gerechtigkeitsprinzips übersieht sie aber die eigentliche Ursache für die nicht vollständige Explikation der Gerechtigkeitsethik. Auch Kohlberg verkürzt die Rekonstruktion des ethischen auf die Explikation des prinzipienethischen Urteilsvermögens. Obschon die höchste Entwicklungsstufe der Gerechtigkeitsethik das Wissen um die Notwendigkeit der Begründung situationsangemessener Normen einschließen soll, übersieht seine kommunikationsvergessene Darstellung des Urteilsvermögens auf Stufe 6 ( 1 ) die für jedes Urteilen konstitutive Bedingung der intersubjektiven Verständigung und (2) die für die ethische Bewertung der Angemessenheit einer Norm/Handlung ebenfalls konstitutive Berücksichtigung der Handlungsfolgen. Auch Gilligans Kritik an der Gerechtigkeitsethik ist nicht frei von einer kommunikationsvergessenen Engführung. Sie wendet sich gegen den universalistischen Anspruch des Prinzips der verallgemeinerten Gegenseitigkeit, das für alle Menschen und in allen Situationen gleichermaßen gelten soll, weil sie davon ausgeht, dass nur diejenigen Normen allgemeine Zustimmung finden, die so allgemein (generell) sind, dass sie ohne Verständigung über ihren der jeweiligen Situation angemessenen Sinn auf alle Situationen passen. Gilligan missversteht den Legitimationstest der Universalisierung (Konsensfahigkeit) im Sinne einer bloßen Generalisierung. Unter Generalisierung verstehe ich die unzulässige Übertragung der begrenzten Gültigkeit einer kulturell interpretierten Norm auf prinzipiell alle Kontexte. Durch die monologische Vorgehensweise wird die normative Gültigkeit der zu überprüfenden bereits Norm unterstellt und gerade nicht überprüft.
Vier mögliche Bedeutungen der Fürsorge bei Gilligan
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Den Grund für die Allgemeingültigkeit einer Norm sieht Gilligan nicht in der intersubjektiven Zustimmungswürdigkeit derselben, sondern in ihrer Allgemeinheit. Von einer sehr allgemein gehaltenen und von situativen Bedingungen absehenden Norm, wie z.B. dem Diebstahlverbot, erwartet sie, dass sie zum allgemeinen Gesetz erklärt werden kann, da sie in jedermanns Vorteilsinteresse liegt. In diesem Modell der Normenbegründung überprüft das einsame Subjekt, ob es sich vorstellen kann, dass die in Frage stehende Norm für alle gelten soll. Eine solche Überprüfung ist nicht auf die Verständigung und die Argumentation mit anderen angewiesen. Sie setzt bestimmte, kulturell interpretierte Grundbedürfnisse voraus und schließt von der vermeintlichen Allgemeinheit dieser Bedürfnisse (dem Sein) auf die Allgemeingültigkeit von Normen, die diese Bedürfnisse schützen (das Sollen). Dies sei hier an einem Beispiel erläutert: am Beispiel von Hegels Kritik an Kants Begründung des Rechts auf Eigentum. Hegel beklagt die Inhaltsleere und damit das rationale Orientierungsdefizit des kategorischen Imperativs.6 Die so geprüften Normen seien nicht, wie beansprucht, universalistisch begründet, sondern sie repräsentierten im Grunde ein bestimmtes Wertebewusstsein. Mit dieser Kritik bezieht sich Hegel auf die von Kant in der Kritik der praktischen Vernunft erörterte Frage, ob es erlaubt sei, zum Zwecke der Vergrößerung des eigenen Vermögens, ein anvertrautes Verwahrgut (Depositum), dessen Eigentümer gestorben ist, nicht zurückzugeben. In Anwendung des kategorischen Imperativs beansprucht Kant, ein solches Ansinnen verbieten zu müssen. „Ein solches Gesetz würde sich selbst vernichten, weil es machen würde, dass es gar kein Depositum gäbe."7 Nach Hegel läuft die Verallgemeinerung des Ansinnens, das Depositum nicht zurückzugeben, auf den formallogischen Widerspruch hinaus, Eigentum soll sein und zugleich nicht sein. Eine Depositumregelung würde - zum Gesetz erhoben - einerseits die Anerkennung von privatem Eigentum unterstellen, andererseits aber die Anerkennung von privatem Eigentum bestreiten. Denn die Leugnung der Rückgabepflicht würde - zum Gesetz erhoben - nicht nur das Privateigentum anderer, sondern auch das des prüfenden Subjektes selbst in Abrede stellen. Die eigentlich ethische Frage, ob Eigentum sein soll oder nicht, werde durch den Nachweis dieses formallogischen Widerspruchs aber gerade nicht beantwortet. Kant setze die Wertung, dass die Einrichtung von Privateigentum einem allgemein menschlichen Interesse folge und von allen gewünscht werde, unhinterfragt voraus. Erst unter dieser Voraussetzung würde die Aneignung eines herrenlosen Depositums, würde sie zum Gesetz erhoben, zu einem Widerspruch führen mit der unterstellten, quasi naturgese/zlichenAnnahme, dass die Einrichtung des Privateigentums von allen Menschen gewollt werde. Hegels Kritik ist berechtigt. Sie lässt sich jedoch dadurch relativieren, dass die als gültig unterstellten Normen und Werte einer diskursiven Prüfung unterzogen werden.
6 7
Vgl. Hegel 1802/03 434 ff. Vgl. auch Apel 1984, 613 ff Kant 1785/86, A 4 9
152
Diskursethische Erweiterung der Gerechtigkeitsethik
Im Gegensatz zu der von Hegel angemahnten Verständigung über die Priorität bestimmter Werte überlässt Kant die Prüfung der Zustimmungswürdigkeit dieser Werte (durch den kategorischen Imperativ) dem einsamen Subjekt. Eine Verständigung mit anderen sieht er nicht vor. Die Resultate der monologischen Überprüfung durch das einsame Subjekt sind jedoch nicht das, was sie zu sein vorgeben, nämlich Resultate einer Überprüfung der Universalisierungsfáhigkeit dieser Werte. Die Normen, die Kant als verallgemeinerungsfahig vorstellt, repräsentieren lediglich sein eigenes Wertebewusstsein. Die Diskursethik beansprucht, die monologisch verkürzte Interpretation der Universalisierung durch die Einrichtung von Diskursen korrigieren zu können, an denen alle von der in Frage stehenden Norm Betroffenen teilnehmen sollen. „An die Stelle der - nach Kant vom einzelnen zu wollenden - Gesetzestauglichkeit der Handlungsmaximen tritt die - von allen einzelnen als verbindlich zu akzeptierende, aber tunlichst im realen Diskurs approximativ zu realisierende, regulative Idee der Konsensfähigkeit aller gültigen Normen fiir alle Betroffenen."8 Auch Kohlbergs Definition der Stufe 6 enthält noch Spuren der solipsistisch verkürzten Interpretation der Verallgemeinerung. Stufe 6 beschreibt er als Prüfung durch selbstgewählte Prinzipien. Von diesen Prinzipien nimmt das Subjekt an, dass sie universalisierbar sind, insofern ihre Generalisierung sich nicht selbst verbietet. Das Reziprozitätsprinzip der Stufe 6 wird von Kohlberg - in Anlehnung an Mead und Rawls - auch in dem Bild der wechselseitigen Rollenübernahme beschrieben. Jeder soll sich in die Position (Lage) aller anderen hineinversetzen. Dadurch werde gewährleistet, dass die Normenbegründung von Seiten aller, d. h. aus der Position des generalisierten Anderen, erfolge. In beiden Charakterisierungen der Stufe 6 ist die dialogpragmatische Transformation der Vernunft aber noch nicht hinreichend berücksichtigt. Durch die monologische Anwendung des kategorischen Imperativs bzw. des Prinzips der verallgemeinerten Gegenseitigkeit wird nicht die Konsensfahigkeit einer Norm, sondern die Allgemeinheit basaler Wertungen überprüft. Auch die Spezifizierung der monologischen Prüfung durch das Verfahren des wechselseitigen Rollentauschs kann, wenn dies nicht explizit ausgeschlossen wird, im Sinne eines monologischen Gedankenexperiments missverstanden werden. Wird der Rollentausch als optische Perspektivenübernahme vorgestellt, ist eine Verständigung über Bedürfnisinterpretationen und deren diskursive Legitimation nicht Inbegriffen. Um dies auszuschließen, kommt es darauf an, die Unverzichtbarkeit der Kommunikation zu verdeutlichen. Verständigung und diskursive Rechtfertigung müssen als Bedingungen sine qua non der Universalisierungsüberprüfung verdeutlicht werden. Gilligans Vorwurf einer unzureichenden Situationsangemessenheit der in Kohlbergs Modell prinzipienethisch und solipsistisch begründeten Normen erweist sich als berechtigt. Den Grund dieser Engführung vermutet sie jedoch an der falschen Stelle. Ihre pauschale Kritik an der Gerechtigkeitsethik verstellt ihr den Blick auf die kriteriologische (Habermas) bzw. normativ-verpflichtende (Apel) Pointe der Universalisierung. 8
Apel 1996a, 336. Vgl. Habermas 1976, 84/85; Apel 1984, 613 ff; Apel 1988, 219
Vier mögliche Bedeutungen der Fürsorge bei Gilligan
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Die in Kohlbergs Stufe 6 angelegte Verkürzung des Prinzips der Ethik hat Habermas dazu bewogen, das 6-Stufen-Modell Kohlbergs durch die Einführung einer eigenständigen siebenten Entwicklungsstufe des moralischen Urteilens zu ergänzen. Auf Stufe 7, so Habermas, „ist das Prinzip der Rechtfertigung von Normen nicht mehr der monologisch anwendbare Grundsatz der Verallgemeinerungsfähigkeit, sondern das gemeinschaftlich verfolgte Verfahren der diskursiven Einlösung von Geltungsansprüchen." 9 Im praktischen Diskurs soll zunächst durch Verständigung untereinander der Sinn der Bedürfnisse und Interessen der Betroffenen ermittelt werden. Erst wenn die jeweiligen Sinnansprüche hinreichend geklärt sind, können die Geltungsansprüche diskursiv überprüft werden. Diese Prozesse greifen ineinander über. Sie sind nicht im Sinne einer zeitlichen Reihenfolge zu verstehen.10 Wichtig ist, dass das Kriterium für die Gültigkeit einer Norm nicht länger im Sinne einer lediglich vom Subjekt zu antizipierenden Generalisierung verstanden wird. Da Gilligan die Überprüfung der Konsensfahigkeit - wie Kohlberg - monologisch denkt, identifiziert sie das Prinzip der verallgemeinerten Gegenseitigkeit unmittelbar mit der Oktroyierung allgemeiner und abstrakter Normen. Wer dem Gerechtigkeits-prinzip folgt, ist in ihren Augen nicht verpflichtet, sich zusammen mit allen anderen Normadressaten über die Bedeutung der in Frage stehenden Bedürfnisse zu verständigen und deren Anspruchsberechtigung im Diskurs zu überprüfen. Da sie das Gerechtigkeitsprinzip tendenziell im Sinne der Norm versteht, Ungleiches, wie etwa die Geschlechter, unterschiedslos gleich zu behandeln, geht sie davon aus, dass die Oktroyierung des Gerechtigkeitsprinzips zwangsläufig zu neuem Unrecht führt. Dabei übersieht sie, dass der ganze Sinn des Gerechtigkeitsprinzips auf das genaue Gegenteil, nämlich die gleichberechtigte Berücksichtigung der Interessen und Bedürfnisse jedes Einzelnen in seiner konkreten Situation zielt. Freilich legt Kohlberg selbst dieses Missverständnis nahe: einerseits durch die solipsistische Charakterisierung der Stufe 6 und andererseits durch die Abstraktheit der Dilemma-Geschichten.
18.3
Folgenverantwortung
Ein wesentlicher Grund dafür, der Gerechtigkeitsethik eine Fürsorgeethik an die Seite zu stellen, besteht für Gilligan in der unzureichenden Berücksichtigung der Folgen moralischen Handelns durch die Gerechtigkeitsethik. „Während die Rechte-Konzeption der Moral, die Kohlbergs auf Prinzipien gegründete Stufe (fünftes und sechstes Stadium) auszeichnet, darauf abzielt, eine objektiv faire oder gerechte Lösung moralischer Dilemmas zu erreichen, auf die sich alle rationalen Wesen einigen könnten, konzentriert sich die Verantwortungskonzeption stattdessen auf die Begrenztheit jeder spezifischen Lösung und zeigt die noch verbleibenden Konflikte auf." 11
9 10 11
Vgl. Habermas 1976, 84/85 Vgl. Buck/Böhler 1984, 298 Gilligan 1 9 8 2 , 3 3
154
Diskursethische Erweiterung der Gerechtigkeitsethik
Betrachten wir zunächst die Rolle der Folgenverantwortung in Kohlbergs Modell. Offensichtlich zielt seine Befragungsmethode nicht auf die Ermittlung und Beschreibung der Folgen einer Handlung. Kohlberg will nicht in Erfahrung zu bringen, was die Probanden tun würden, wenn sie gezwungen wären, unter den Bedingungen, in die Heinz verstrickt ist, zu handeln. Ihm geht es nicht darum, das in der DilemmaGeschichte dargestellte Problem einer im Kontext realer Ungleichheitsverhältnisse zumutbaren Lösung zuzuführen. Kohlbergs primäres Interesse gilt der Erfragung deqenigen Kriterien und Maßstäbe, nach deren Maßgabe die Probanden nicht nur das HeinzDilemma, sondern prinzipiell alle moralischen Probleme ethisch beurteilen. Gilligans Interesse aber geht weiter. Sie interessiert sich nicht nur für die Aufklärung moralischer Prinzipien, sondern auch für die Begründung einer in der jeweiligen Situation gerechtfertigten Handlungsentscheidung. Von einem ethischen Prinzip, das handlungsleitend sein soll, erwartet sie zu Recht, dass es auch für die Lösung konkreter Konflikte geeignet ist. Von der Tauglichkeit für die Bewältigung konkreter Situationen verspricht sie sich Rückschlüsse auf die Gültigkeit des zugrundegelegten Prinzips. Da sich die Gerechtigkeitsorientierung in Kohlbergs Darstellung als rigoris-tisch erweist, ist sie in Gilligans Augen als Moralprinzip nicht hinreichend geeignet. Die Gerechtigkeitsethik ist nicht umfassend genug. Sie thematisiert gleichsam nur die Hälfte des moralischen Sollens. Um die genannten Mängel abzugleichen, fordert Gilligan die Ergänzung der Gerechtigkeits- durch die Fürsorgeethik. Es ist richtig, dass Kohlberg mit der abstrakten Dilemmamethode ausschließlich das ideal-ethische, nicht aber das real-verantwortungsethische Urteilsvermögen seiner Probanden mobilisiert. Die im Kontext real-strategischer Handlungsbedingungen ethisch gebotene Verantwortung der Folgen nimmt er nicht in den Blick. Offensichtlich erachtet er die in einer Modellsituation unter idealen Bedingungen rechtfertigungsfahigen Handlungsoptionen auch im Kontext realer Konfliktsituationen als verbindlich. Jedenfalls nennt er kein Kriterium für die unter realen Handlungsbedingungen notwendige Folgenverantwortung. Dies vermittelt den Eindruck, als sei Kohlberg der Meinung, die Folgen Verantwortung gehöre nicht wirklich zur Ethik und könne getrost der Urteilskraft und der lebensweltlich fundierten sittlichen Einsicht (griech., phronesis = praktische Klugheit) des Subjekts überlassen werden. Dies wirft jedoch die Frage auf, ob die Einsicht in die normative Gültigkeit des Gerechtigkeitsprinzips nicht auch die Einsicht impliziert, die als gerecht legitimierten Interessen gegebenenfalls schützen zu müssen. Impliziert nicht die Sollgeltung der Gerechtigkeit gleichursprünglich die normative Gültigkeit der Verantwortung? Aufgrund dieser Überlegung spricht einiges für die Notwendigkeit einer - von Gilligan geforderten - kompensierenden Ethik. Wenn jedoch die Gerechtigkeit tatsächlich der richtige Kandidat für das Prinzip der Ethik ist, dann darf die Fürsorgeethik, die ja die Fehler der Gerechtigkeitsethik ausgleichen soll, nicht in Ergänzung zu ihr begründet werden. Dies würde nicht nur die Gültigkeit der Gerechtigkeitsethik, sondern auch die der kompensierenden Fürsorgeethik in Frage stellen. Dass Gilligan die Berücksichtigung der Folgen des Handelns einklagt, zeigt, dass sie das Gerechtigkeitsprinzip tatsächlich nicht in Frage stellt. Sie nimmt es vielmehr selbst in Anspruch. Indem sie gegen die Nichtberücksichtigung der Handlungsfolgen oppo-
Vier mögliche Bedeutungen der Fürsorge bei Gilligan
155
niert, beruft sie sich auf die normative Gültigkeit des Gerechtigkeitsprinzips. Ihre Ergänzungsforderung fußt auf der unterstellten Pflicht, auch und gerade im Kontext realstrategischer Handlungsbedingungen gerechte Problemlösungen herbeizuführen. Die Nichtberücksichtung der strategischen Tatsachen wäre grob fahrlässig. 18.3.1
Exkurs: Moralischer Rigorismus der kantischen Ethik
In der Schrift Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügenn diskutiert Kant die Frage, ob es erlaubt sein soll, aus Menschenliebe zu lügen.13 Ein Hausherr (Verf.), von einem Mörder befragt, ob sich sein potentielles Opfer in seinem Haus befindet, sieht sich vor die Entscheidung gestellt, zu lügen oder wahrhaftig den Aufenthaltsort mitzuteilen. Er weiß, dass er, indem er die Wahrheit sagt, das Leben des potentiellen Opfers unmittelbar gefährdet. Kant gibt dennoch die Anweisung, nicht zu lügen. Er begründet die unnachlassliche Pflicht der Wahrhaftigkeit damit, dass, gesetzt den Fall, die Lüge würde zum allgemeinen Gesetz erhoben, „Aussagen (Deklarationen) überhaupt keinen Glauben finden, mithin auch alle Rechte, die auf Verträge gegründet werden, wegfallen und ihre Kraft einbüßen (...)"14 würden. Warum hält Kant, wissend, dass in dieser Situation die Wahrhaftigkeit die Tötung eines Menschen wahrscheinlicher macht, gleichwohl an der kategorischen Pflicht der Wahrhaftigkeit fest?15 Den entscheidenden Grund finden wir nicht in diesem Aufsatz, in dem moralische und juristische Argumentationen ineinander greifen, sondern in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Dort geht es ihm um den Nachweis der unbedingten Geltung des kategorischen Imperativs. „Man muß wollen können, daß eine Maxime unserer Handlung zum allgemeinen Gesetz werde. Dies ist der Kanon der moralischen Beurteilung überhaupt."16 Kant nennt vier Beispiele' 7 , in jeweils einem Wort zusammengefasst, das Selbstmord-, das Versprechens-, das Talent- und das Hilfeleistungsbeispiel. Is Er glaubt, aus der Anwendung des kategorischen Imperativs auf diese Beispielsituationen unmittelbar und uneingeschränkt gültige Normen ableiten zu können.
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Kant 1797/98, A 301 ff Vgl. auch Kap. 10.1 der vorliegenden Untersuchung Kant, 1797/98, A 304 Vgl. auch Kapitel 20 der vorliegenden Untersuchung Kant 1785/86, B A 57 Eine ausfuhrliche Besprechung der vier Anwendungsbeispiele des kategorischen Imperativs aus philosophisch-praktischer und juristischer Sicht findet sich in: Schnoor 1986, 124-199 Das Selbstmord- und das Talentbeispiel können nicht überzeugen. Entgegen seinem Anliegen einer deontologischen Begründung der Ethik stützt Kant diese Beispiele auf einen teleologischen Naturbegriff. Der Selbstmord und die Vernachlässigung der eigenen Talente sollen verboten sein, weil die Verallgemeinerung dieser Handlungen dem Naturgesetz widerstreite. Ein solcher Widerspruch stellt sich aber nur dann ein, wenn ein Naturgesetz des Lebenswillens und der Selbstvervollkommnung vorausgesetzt wird. In beiden Fällen unterstellt Kant einen teleologischen Naturbegriff und erhebt dieses Sein zum Maßstab für das Sollen. Damit fällt er hinter das Niveau einer rein deontologischen Begründung der Ethik zurück.
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Diskursethische Erweiterung der Gerechtigkeitsethik
Im Versprechens-Beispiel stellt Kant die Frage, ob es in einer Situation der Geldnot erlaubt sei, ein lügenhaftes Versprechen abzugeben, in der Hoffnung, jemanden dazu bewegen zu können, Geld zu borgen. Wie im Mörder-Beispiel die Lüge, verurteilt Kant in diesem Beispiel das lügenhafte Versprechen. Die Pflicht, die Wahrheit zu sagen, ist im Vergleich zu der lediglich verdienstlichen Pflicht, Notleidenden - wie dem bedrohten Opfer - zu helfen, unnachlasslich. Ausnahmen gegenüber einem unnachlasslichen Gebot sind prinzipiell unzulässig. Die Priorität der unnachlasslichen Pflicht der Wahrhaftigkeit gegenüber der bloß nachlasslichen, verdienstlichen Pflicht der Hilfeleistung ist vorgegeben. Sie besteht unabhängig von der jeweiligen Situation, in der beide Handlungsoptionen möglich sind. Die kategorische Pflicht der Wahrhaftigkeit begründet Kant durch folgende Überlegung: Ein lügenhaftes Versprechen würde, zum allgemeinen Gesetz erhoben, den intendierten Zweck, das Glaubenmachen anderer, verfehlen und sich selbst aufheben. Diese Begründung ist aber noch nicht im eigentlichen Sinne deontologisch. Sie rekurriert lediglich auf ein teleologisches (zweckrationales) Argument, dass nämlich niemand wollen kann, dass die Lüge zum allgemeinen Gesetz werde, weil sonst der Zweck, den man mit einer Lüge verfolgt, vereitelt werden würde, weil niemand mehr einem Versprechen Glauben schenken würde. „Denn die Allgemeinheit eines Gesetz-es, daß jeder, nachdem er in Not zu sein glaubt, versprechen könne, was ihm einfallt, mit dem Vorsatz, es nicht zu halten, würde das Versprechen und den Zweck, den man damit haben mag, selbst unmöglich machen, indem niemand glauben würde, daß ihm was versprochen sei, sondern über alle solche Äußerung als eitles Vorgehen lachen würde." 19 Diese Begründung verfehlt die sprachpragmatische Pointe der von Kant selbst eingeklagten Widerspruchsfreiheit von Normen, deren Übertretung wir, zum allgemeinen Gesetz erhoben, nicht lediglich nicht sollen wollen können, sondern nicht einmal widerspruchsfrei sollen denken können. „Einige Handlungen sind so beschaffen, daß ihre Maxime ohne Widerspruch nicht einmal als allgemeines Naturgesetz gedacht werden kann; weit gefehlt, daß man noch wollen könne, es sollte ein solches werden (...) Man sieht leicht: daß die erstere der strengen oder engeren (unnachlaßlichen) Pflicht, die zweite nur der weiteren (verdienstlichen) Pflicht widerstreite (...)."20 Im Mörder-Beispiel macht Kant von der Pointe seiner eigenen Unterscheidung zwischen negativen (unnachlasslichen) und positiven (bloß verdienstlichen) Pflichten, d.h. zwischen einem in engerem Sinne sprachpragmatischen Selbstwiderspruch im Denken und einem in weiterem Sinne subsidiären Selbstwiderspruch im Wollen noch keinen hinreichenden Gebrauch. Die sinnkritisch aufweisbare Notwendigkeit der Widerspruchsfreiheit zwischen dem in einem Normvorschlag explizit ausgedrückten Inhalt und den zumeist implizit vorausgesetzten Sinnbedingungen der Rede, in der der Normvorschlag geäußert wird, ist in dieser Rechtfertigung des Wahrhaftigkeitsgebots noch nicht hinreichend sichtbar. In der Begründung des Verbots der Lüge deutet Kant lediglich an, dass die Behauptung einer 19 20
Kant 1785/86, B A 55 Kant 1785/86, B A 58
Vier mögliche Bedeutungen der Fürsorge bei Gilligan
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allgemeinen Erlaubnis zu lügen in Widerspruch steht zu dem, was man mit der Behauptung bereits notwendigerweise akzeptiert hat. Der Geltungsanspruch des über die Erlaubtheit der Lüge geführten Diskurses, der zu einem begründeten Ergebnis führen soll, setzt die Wahrheitsfähigkeit der in diesem Diskurs geäußerten Aussagen immer schon voraus. Die Bestreitung der Notwendigkeit (Unhintergehbarkeit) dieser Voraussetzung wäre selbstwidersprüchlich. Jemand, der einen Geltungsanspruch erhebt und etwas behauptet oder verspricht, unterstellt die Wahrheitsfahigkeit und Verständlichkeit seiner Behauptung bzw. seines Versprechens. Wenn dieser Jemand aber gleichzeitig bestreitet, dass der mit seiner Behauptung bzw. durch sein Versprechen erhobene Geltungsanspruch eingelöst werden kann, da er ja die Gültigkeit lügenhafter Versprechen behauptet, widerspricht er sich selbst. Er erhebt einen Wahrheitsanspruch für die nicht verstehbare und daher auch nicht wahrheitsfahige Behauptung, Versprechen seien auch unter dem Vorbehalt ihrer Nichteinlösung verständlich und gültig. Sein Versprechen ist als Versprechen, für das die Geltungsansprüche der Verstehbarkeit und der Wahrheitsfahigkeit erhoben werden, nicht mehr zu verstehen. Die Notwendigkeit der Widerspruchsfreiheit (Konsistenz) zwischen dem Sinn- und Gültigkeitsanspruch einer Aussage einerseits und dem Inhalt dieser Aussage andererseits hat Kant noch nicht hinreichend deutlich herausgearbeitet. Allerdings hat er das Konsistenzpostulat durch die Forderung, einen Selbstwiderspruch im Denken (transzendentalpragmatisch rekonstruiert handelt es sich im Mörder-Beispiel um den Widerspruch zwischen den Sinn und Gültigkeitsbedingungen des Diskurses über die Erlaubtheit eines Lügengesetzes und dem Inhalt dieses Lügengesetzes) strenger zu bewerten als einen Selbstwiderspruch im Wollen, bereits geltend gemacht. Ein performativer Selbstwiderspruch zwischen den Sinn- und Gültigkeitsbedingungen einer Aussage (der Wahrhaftigkeit, Wahrheit, Richtigkeit und Verständlichkeit) und dem Inhalt dieser Aussage indiziert die Nichtgültigkeit der ihre eigenen Gültigkeitsbedingungen bestreitenden Aussage. Kant unterläuft nun allerdings der Fehler, dass er die unbedingte Gültigkeit des Wahrhaftigkeitsgebots nicht auf den verständigungsorientierten (nicht-strategischen) Diskurs beschränkt, sondern sie, ohne Vermittlung mit dem Kontext, kategorisch auf reale Diskursveranstaltungen, die immer auch unter strategischen Handlungsbedingungen stattfinden, überträgt. Diese undifferenzierte und - je nach Kontext (MörderBeispiel) - neue Verletzungen hervorrufende, idealisierende Anwendung vermeintlich durch den kategorischen Imperativ legitimierter Normen, empfinden wir als zu starr und blind hinsichtlich der Folgenverantwortung. Im Unterschied zum Wahrhaftigkeitsgebot ist nach Kant die Verallgemeinerung der Maxime der Verweigerung von Hilfeleistung zwar nicht wünschenswert, „könnten der Fälle sich doch manche eräugnen, wo er anderer Liebe und Teilnehmung bedarf' 21 , aber auch nicht im strengen Sinne selbstwidersprüchlich. Daher ist die Hilfeleistung zwar geboten, aber sie ist eine lediglich verdienstliche und nicht eine unnachlassliche Pflicht. Aus diesem Grunde ist für Kant die Pflicht der Hilfeleistung im Konflikt mit der Pflicht der Wahrhaftigkeit nachrangig. 21
Kant 1785/86, B A 56/57
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Diskursethische Erweiterung der Gerechtigkeitsethik
Warum aber ist die Nachordnung der Hilfeleistung im Mörder-Beispiel nicht überzeugend? Warum empfinden wir diese Lösung als unmenschlich und verantwortungslos? 18.3.2
Transzendentalpragmatische Korrektur
Kant vernachlässigt die Berücksichtigung der Handlungsfolgen, und dies im wesentlichen aus zwei Gründen: Erstens rechnet er die Folgen immer nur der Subjektseite zu, und zweitens nimmt er die jeweils konkrete Situation nicht in den Blick. Da er die Folgen aus der Perspektive der autonomen Moralbegründung eines autarken Subjekts betrachtet, versteht er unter Folgen in erster Linie Folgen für das Subjekt. Das Subjekt soll sich in seinen moralischen Entscheidungen nicht durch mögliche Erfolge oder Misserfolge korrumpieren lassen. Der gewichtigere Grund für die Ausblendung der Handlungsfolgen ist jedoch die bewusstseinstheoretische Verkürzung der Vernunft auf ihren Gebrauch durch ein einsames Subjekt. Das Subjekt soll ohne Kommunikation mit anderen die Verallgemeinerbarkeit von Maximen überprüfen können. Die monologische Überprüfung aus der Perspektive des Subjekts führt - beabsichtigt oder nicht - zu einer Verfälschung des Prüfverfahrens. Die Überprüfung der moralischen Richtigkeit (Gültigkeit) einer Norm degeneriert zur Überprüfung der Generalisierungsfähigkeit einer bereits als gültig unterstellten Norm. Während der monologischen Überprüfung der Verallgemeinerungsfahigkeit einer Maxime findet keine Verständigung statt. Die Bedürfnisse der Anderen werden nicht diskursiv ermittelt. Die richtige Interpretation dieser Bedürfnisse wird schlicht unterstellt. Dies führt zu einer dreifachen Verkürzung ( 1 ) der Nichtberücksichtigung kultur- und kontextabhängig unterschiedlicher Bedürfnisinterpretationen, (2) der Nichteinlösung einer wirklich argumentativen Überprüfung und Gewichtung der in Frage stehenden Ansprüche und (3) der Ausblendung der jedem Individuum in unterschiedlicher Art und Weise entstehenden Handlungsfolgen. Die Defizite einer bewusstseinsphilosophischen Ethik sind durch die kommunikative Ethik, die Habermas in Form einer siebenten Stufe des ethischen Urteilsvermögens auf den Begriff bringt, weitestgehend korrigierbar. Danach sollen alle Subjekte in realen Diskursen ihre Gewissensentscheidungen wechselseitig voreinander rechtfertigen, wobei die für jeden Einzelnen entstehenden und von ihm in den Diskurs eingebrachten Folgen zu berücksichtigen sind. Im Mörder-Beispiel würde vor allem das legitime Überlebensinteresse des potentiellen Opfers zum Gegenstand des Diskurses. In real durchzuführenden Diskursen treten mit den Bedürfnissen der Anderen gleichzeitig auch die für die Anderen (und für das Selbst) entstehenden Handlungsfolgen in den Blick. In Anlehnung an die Prinzipienethik Kants konzentriert sich Kohlberg bei der Konzeptualisierung der Entwicklungsstufen des ethischen Urteilvermögens auf das Wissen
Vier mögliche Bedeutungen der Fürsorge bei Gilligan
159
um die Verbindlichkeit des Gerechtigkeitsprinzips. Zwar weist er teilweise zu Recht daraufhin, dass der Gebrauch, den Kant in seinem Mörder-Beispiel vom kategorischen Imperativ macht, diesen der Tendenz nach auf den „Typus eines common-sensePrinzips der Gesetzeskonservierung der Stufe 4 herabsetzt - nach dem Muster: die Universalisierung des Lügens im Dienste guter Zwecke würde das Gesetz des Nichtlügens aufheben." 22 Andererseits überträgt er aber selbst das Prinzip, einen Menschen (genauer: „die Menschheit in einer Person") niemals bloß als Mittel zu behandeln, sondern immer ,nur' als Selbstzweckwesen zu achten, 23 in idealisierender Weise auch auf den prospektiven Mörder. Die Anwendung dieses Prinzips auf den Fall des Mörders soll sogar den Universalisierbarkeitsvorrang des Verbots der Instrumentalisierung im Vergleich mit der situationsabhängigen Norm des Lügenverbots erweisen. 24 Vor dem Hintergrund dieser Engfiihrung des Universalisierungsprinzips beklagt Gilligan die fehlende Folgenverantwortung zu Recht. Sie glaubt allerdings, dieses Defizit der Gerechtigkeitsethik durch die Fürsorgeethik ausgleichen und beheben zu können. Das Heinz-Dilemma stellt sich ihr aus der Fürsorgeperspektive, die sie auch als VerantHwta«g.sperspektive charakterisiert, komplizierter dar. „Heinz' Entschluß zum Diebstahl wird nicht im Hinblick auf die logische Priorität des Lebens gegenüber dem Eigentum, die ihn rechtfertigt, betrachtet, sondern vielmehr im Hinblick auf die Konsequenzen, die dieser Akt für einen Mann von begrenzten Mitteln und geringer gesellschaftlicher Macht haben würde." 25 „Im Lichte der wahrscheinlichen Folgen betrachtet - seine Frau gestorben oder Heinz im Gefängnis (...) verändert sich das Dilemma als solches." 26 „Die Moralität von Heinzens Diebstahl steht angesichts der Umstände, die ihn möglich machten, außer Frage. Zu hinterfragen ist seine Bereitschaft, für seine Frau einzutreten, um an ihrer Stelle das Opfer der Ausbeutung durch eine Gesellschaft zu werden, die die Verantwortungslosigkeit des Apothekers hervorbringt und legitimiert." 27 Teilte man Gilligans Ansicht, dann könnte man mit Bezug auf das Mörder-Beispiel Kants etwa folgendermaßen argumentieren: Gesetzt den Fall, der Hausherr würde sich, um das Leben des Freundes zu retten, für die Lüge entscheiden, dann stünde die Moralität seines Handelns außer Frage. Zu hinterfragen - aber in welcher Hinsicht ? - wäre vielmehr seine Bereitschaft, für das Opfer einzutreten und dabei in Kauf zu nehmen, eventuell selbst Opfer zu werden. In realen Situationen ist es unverantwortlich davon auszugehen, dass die möglichen Kosubjekte ihrer besseren Einsicht folgen und sich durchgängig moralisch verhalten. Der Hausherr muss sogar davon ausgehen, dass der Mörder sich an gar keine moralische Norm gebunden fühlt. In einer solchen Situation wäre es doppelt unverantwortlich, die 22 23 24
25 26 27
Apel 1988, 328/29 mit Bezug auf Kohlberg 1971, 165 Vgl. Kant 1785/86, B A 74/75 Ich möchte nicht bestreiten, dass nicht letztlich auch der Mörder noch als Mensch (Selbstzweck) geachtet werden muss. Allerdings muss diese Achtung in der Situation einer nicht reziproken Normenbefolgung im Interesse der Durchsetzung ethisch gerechtfertigter Ansprüche vorübergehend, d.h., solange bis sich der Mörder eines besseren besonnen hat, suspendiert werden. Gilligan 1982, 126 Gilligan 1982, 126 Gilligan 1982, 128
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Diskursethische Erweiterung der Gerechtigkeitsethik
Wahrheit zu sagen: unverantwortlich gegenüber anderen, wie dem prospektiven Opfer, und unverantwortlich gegenüber allen möglicherweise Betroffenen, denn jeder - auch der Hausherr - kann Opfer werden. Im vorliegenden Mörderbeispiel würde die konsequente Achtung des Lügenverbots den Zweck dieses Verbots, andere davor zu schützen, als Mittel - und nicht als Selbstzweck - missbraucht zu werden, konterkarieren. Um dies zu verhindern, sind wir verpflichtet, Gegenmaßnahmen zu ergreifen.2" Dies ist jedoch nicht so zu verstehen, als würde hier gefordert, dem strategischen Handeln Tür und Tor zu öffnen. Sieht sich der Aktor aufgrund des strategischen Handelns seiner Kosubjekte zu Gegenmaßnahmen gezwungen, ist er verpflichtet, auch seine Gegenmaßnahmen ethisch zu rechtfertigen. Auch in diesem Falle entscheidet die Konsensfahigkeit der Gegenmaßnahme über ihre ethische Berechtigung. Wenn, wie in der genannten Situation, die Möglichkeit der realen Konsensbildung nicht gegeben ist, muss der Aktor sein Handeln dennoch anhand der idealiter antizipierten Konsensfáhigkeit legitimieren. Das Prinzip der rein argumentativen Überprüfung der Konsensfähigkeit einer Norm impliziert z.B. die Verpflichtung, kein Interesse (auch nicht die Interessen des potentiellen Mörders) zu übergehen und in unzumutbarer Weise zu verletzen. Entschlösse sich der Hausherr, das Leben seines Freundes durch die Tötung des prospektiven Mörders zu schützen, würde er seine Mittelwahl nicht rechtfertigen können. Denn es ist davon auszugehen, dass das Leben des Freundes durch eine weniger schwerwiegende Normverletzung, wie z.B. eine Lüge, gerettet werden kann. Der prinzipienethische Rigorismus Kants kann durch die Berücksichtigung der Differenz zwischen der kontrafaktisch zu antizipierenden und der in praktischen Diskursen zu erbringenden Rechtfertigung vermieden werden. Im Falle einer nicht-reziproken, einseitigen Normenbefolgung ist es dem Aktor nicht nur erlaubt, sondern er ist dazu verpflichtet, konsensfähige Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Art und Umfang der Gegenmaßnahmen sind anhand ihrer Konsensfahigkeit zu legitimieren.
18.4
Performanz
Die Kritik an der Abstraktheit der Dilemma-Geschichten Kohlbergs verweist nicht zuletzt auch auf die Erwartung Gilligans, von der Dilemma-Methode nicht nur auf die ethische Kompetenz ihrer Probandinnen, sondern auch auf deren Performanz rückschließen zu können. Den Begriff Performanz gebrauche ich hier im Sinne einer , Alltagskompetenz', d h. der Fähigkeit, ethische und außerethische, wie z. B. psychologische Kriterien miteinander kombinieren zu können. Die Gültigkeit der „objektiven Prinzipien der Gerechtigkeit und die formale Logik der Gleichberechtigung"29 setzt Gilligan
2ti 29
Vgl. Kettner 1992 Gilligan 1988, 125
Vier mögliche Bedeutungen der Fürsorge bei Gilligan
161
als selbstverständlich voraus. Sie anerkennt die Höherbewertung des Lebens im Vergleich zum Recht auf Privateigentum. Dennoch erscheint ihr diese Gewichtung für die konkrete Situation des Heinz zu allgemein, ihre Befolgung unzumutbar. Gilligan zufolge bedarf die Anwendung abstrakt moralischer Prinzipien im Kontext realer Konfliktsituationen neben der Kompensation durch die Fürsorge (der Berücksichtigung situativer Handlungsbedingungen und der Folgen des Handelns) auch einer spezifisch moralischen Anwendungskompetenz seitens der Handelnden. Durch eine solche Kompetenz zeichnen sich - ihrer Analyse zufolge - insbesondere die moralischen Urteile von Frauen aus. Frauen seien in der Regel toleranter und einfühlsamer als Männer. Männliche Probanden ließen beide Einstellungen eher vermissen. Wegen dieses signifikanten Unterschieds erweise sich die hypothetische Dilemma-Methode Kohlbergs für die Feststellung des Urteilsniveaus von Frauen als eher ungeeignet. An ihre Stelle tritt bei Gilligan die real-life Methode. Die Performanz, die Gilligan ebenfalls im Zusammenhang mit dem Begriff der Fürsorge geltend macht, unterscheidet sich von der durch Kohlberg erfragten Kompetenz. Es ist eine Sache, Normen im Kontext einer konkreten Situation zu legitimieren, eine andere Sache, die für diesen Kontext gültige Norm psychologisch feinfühlig zur Anwendung zu bringen. Um letzteres leisten zu können, sind ein gewisses Maß an Einfühlungsvermögen und die wohlwollende und tolerante Berücksichtigung subjektiver Befindlichkeiten unabdingbar. Die Kenntnis ethischer Gültigkeitskriterien, die Kohlberg erfragt, muss der Performanz, die Gilligan ans Tageslicht zu befördern sucht, aber auch nicht notwendig widersprechen. Im Gegenteil: Das Performanzniveau steht in Wechselwirkung mit der jeweiligen Kompetenzstufe. Eine Norm lässt sich um so besser begründen, je differenzierter und wohlwollender die Situationsanalyse durchgeführt wird. Ohne Einfühlungsvermögen ist es nicht möglich, die subjektive Bedeutung von Bedürfnissen richtig einzuschätzen. 30 Dennoch gilt auch für die Performanz i. S. der praktischen Klugheit, dass sie keinen konkurrierenden Moralstandpunkt definiert. Einfühlungsvermögen und Wohlwollen sind keine Prinzipien, sondern Einstellungen. Als Bedingungen des richtigen Verstehens definieren sie keine konkurrierende Ethik, sondern Realisierungsbedingungen der Gerechtigkeitsethik. Schließlich charakterisiert Gilligan auch die Toleranz als eine sittliche Grundhaltung. Die Urteile von Frauen sollen sich durch Toleranz hinsichtlich anders lautender Urteile auszeichnen. In Gilligans Darstellung ist die Toleranz allerdings weniger das Resultat Dies herausgearbeitet zu haben ist das Verdienst von Susan Moller Okin. (Vgl. Moller Okin 1993) Moller Okin sieht sich in Verteidigung der Idee der Unparteilichkeit in Rawls Theorie der Gerechtigkeit dazu genötigt, die von Rawls selbst bestrittenen, aber denknotwendigen Voraussetzungen der original position herauszuarbeiten. Zu diesen Voraussetzungen zählt sie die anteilnehmende Einstellung/Haltung der Personen, die unter dem Schleier des Nichtwissens gerechte Grundsätze wählen sollen. Nur unter dieser Voraussetzung führt, Moller Okin folgend, die Wahl unter dem Schleier des Nichtwissens zur Aufstellung tatsächlich gerechter Grundsätze. M.E. kann aber auch die Einfiihlsamkeit der Diskurspartner die bereits erwähnte Begründungsschwäche des Kontraktualismus nicht kompensieren. Zu begründen wäre, warum sich Rawls verpflichtet fühlt, seine original position so zu konzipieren, dass die Vertragspartner notwendigerweise gerechte und nicht ungerechte Grundsätze wählen.
162
Diskursethische Erweiterung der Gerechtigkeitsethik
von Einsicht, sondern mehr dem weiblichen Zögern geschuldet, ein als richtig anerkanntes Urteil durchzusetzen und dabei Menschen, die durch die ethisch richtige Problemlösung Einschränkungen hinnehmen müssen, zu verletzen. Die kriteriologische Bedeutung der Toleranz kommt in Gilligans Darstellung zu kurz. Toleranz ist doch aber nur gegenüber denjenigen Personen zu erbringen, die selbst tolerant handeln. Wird die Reziprozität der Toleranzbefolgung berücksichtigt, ist auch das Gebot der Toleranz eine von der Gerechtigkeitsethik geforderte und gerade nicht in Abrede gestellte Norm. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die mit dem Begriff der Fürsorge intendierten Anforderungen an die Ethik zwar berechtigt sind. Aber sie stehen - entgegen der Einschätzung Gilligans - nicht in Widerspruch zur Gerechtigkeitsethik. Wird der normative Sinn des Prinzips der Gerechtigkeit vollständig ausgeschöpft, lassen sich Gilligans Mónita in die Gerechtigkeitsethik integrieren und in diesem Zusammenhang widerspruchsfrei begründen. In jüngerer Zeit wurden von Seiten der Diskursethik mehrere Versuche unternommen, die Dimensionen der Fürsorge und Verantwortung in ihre Architektonik aufzunehmen.
Zweistufige Architektonik der Diskursethik
19
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Zweistufige Architektonik der Diskursethik
Einigkeit besteht unter den Vertretern der Diskursethik hinsichtlich der Notwendigkeit eines zweistufigen Normenbegründungsverfahrens. Die Notwendigkeit dieser Unterscheidung folgt aus der Einsicht in den Unterschied zwischen der verständigungsorientierten Struktur (Gesetzmäßigkeit) des Argumentierens einerseits und dem verhandlungsorientierten Charakter realer Diskursveranstaltungen andererseits. Die Angewiesenheit der Sprache auf Intersubjektivität verdeutlicht auf einen Blick, dass es nicht möglich sein kann, die Anwendung des kategorischen Imperativs im Gedankenexperiment vorwegzunehmen. Aus alleine vom Subjekt, ohne Verständigung mit anderen, monologisch generalisierten Normen können keine situationsspezifisch gültigen Normen abgeleitet werden. Der dialogische Charakter der Sprache offenbart die epistemische und zugleich ethische Unzulänglichkeit des solipsistischen Universalisierungsverfahrens. Die Überprüfung der Verallgemeinerbarkeit (m)einer Maxime ist, wie gezeigt, ohne Verständigung mit den Betroffenen ungültig. Wird sie dennoch ersatzweise im Gedankenexperiment vorweggenommen, wird tatsächlich nicht die Universalisierungsfähigkeit (allgemeine Gültigkeit), sondern die Generalisierbarkeit, die Möglichkeit eine kontextübergreifenden Formulierung und In-Kraft-Setzung einer bereits als gültig unterstellten Norm überprüft. Unter Gültigkeit verstehe ich die Anerkennungswürdigkeit aus Gründen; unter Geltung das faktische In-Kraft-Sein (Gelten) einer Norm. Wer im Gedankenexperiment antizipiert, welche Maximen als Gesetz anerkannt werden können und welche Maximen sich nicht dazu eigen, unterstellt die Allgemeingültigkeit kulturell interpretierter und bewerteter Bedürfnisse. Die Konsensfahigkeit der in Frage stehenden Geltungsansprüche wird auf diese Weise aber gerade nicht überprüft, sondern ungeprüft vorausgesetzt. Um diesen auch von Kant übersehenen substantialistischen Fehlschluss zu vermeiden, unterteilt die Diskursethik das Verfahren der Normenbegründung in zwei Schritte. Im ersten Schritt wird die intersubjektive Gültigkeit (Unhintergehbarkeit) des Diskursgrundsatzes (i.e. Konsensprinzips) begründet und erst im zweiten Schritt die Gültigkeit materialer Normen, die immer nur in bezug auf einen bestimmten Situationstyp1 legitimiert werden können. Die erste Stufe des Begründungsverfahrens ist die der Argumentationsreflexion. Ihr Ergebnis ist der Nachweis der Unhintergehbarkeit der konsensual-kommunikativen Grundnorm (Apel)2 bzw. des Diskursgrundsatzes (Habermas)3. Dieser Aufweis ist das Geschäft der Philosophen. Die Grundnorm bzw. der Diskursgrundsatz ist nicht selbst eine Norm, sondern eine normativ gehaltvolle Metanorm. Erst anhand dieser Metanorm (Habermas) bzw. des Prinzips der Ethik (Apel) können konkrete, auf einen bestimmten Situationstyp zugeschnittene Normen begründet werden. In diesem Punkt stimmen Apel 1 2 3
Vgl. Niquet 1996 Vgl. A p e l l 984, 1 2 9 , 6 1 9 Vgl. Habermas 1983b, 107
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Diskursethische Erweiterung der Gerechtigkeitsethik
und Habermas weitgehend überein. Eine Differenz besteht hinsichtlich des normativen Anspruchs des Diskursgrundsatzes. Habermas versteht den Diskursgrundsatz nicht im Sinne eines Moralprinzips, sondern ausschließlich eines Legitimationskriteriums. Wenn die Richtigkeit von Normen in Frage steht, dann sollen wir deren Gültigkeit nach Maßgabe der Konsensfáhigkeit und nicht eines anderen Kriteriums beurteilen. Apel zufolge sind wir aber nicht nur verpflichtet, die Legitimität unseres Handelns vermittels des Diskursgrundsatzes zu überprüfen, sondern wir sind aufgefordert, prinzipiell moralisch zu handeln. 4 Ihm zufolge haben wir mit dem Diskursgrundsatz nicht lediglich ein Set von Argumentationsregeln (Verfahrensregeln)5 anerkannt, wie z. B. die Regel, andere ausreden zu lassen, alle anzuhören, uns verständlich auszudrücken und ausschließlich die besseren Argumente anzuerkennen. Diese Regeln sind selbst durch das Konsensprinzip, und das bedeutet die Achtung der prinzipiellen Gleichberechtigung (Autonomie) und gleichen Mitverantwortung aller potentiellen Diskurspartner, begründet.6 Diese Achtung verpflichtet auch dazu, die Kommunikationsfahigkeit aller Mitmenschen nach Möglichkeit zu fordern. Die Begründung situationsangemessener Normen erfolgt erst in einem zweiten Begründungsschritt. Sie obliegt den jeweils Betroffenen selbst. Da es im zweiten Begründungsschritt um die argumentative Begründung und Rechtfertigung konkreter Geltungsansprüche geht, wird das Verfahren auch praktischer Diskurs genannt. Der praktische Diskurs bedarf eines vorausgehenden theoretischen Diskurses, in dem zunächst die Handlungssituation zu analysieren ist. Praktische Fragen der Art: „Was sollen wir tun?" können nicht gelöst werden, ohne vorausgehende Situationsanalyse. Aus diesem Grunde differenziert Böhler die zweite Stufe der Begründung von Situationsnormen in drei bzw. sogar vier Begründungsschritte 7 : 2.1. den praktisch sinnexplikativen Diskurs zur dialogischen Verständigung (hermeneutisches Verstehen und selbstkritisches Interpretieren) über den konkreten Sinn der Zielorientierungen und lebenspraktischen Ansprüche möglichst aller Betroffenen; 2.2. den theoretischen Diskurs („Ist es wahr, dass χ Ρ ?") zur Analyse und angemessenen Beschreibung der Situation einschließlich der zu erwartenden Folgen verschiedener Handlungsalternativen, auf die die zu begründende Norm eine Antwort darstellen soll;8 2.3. den praktischen Diskurs zur Überprüfung der Konsensfähigkeit der so zum allgemeinen Verständnis gebrachten Interessen und Bedürfnisse aller möglichen Betroffenen und den 2.4. pragmatischen Diskurs zur Verständigung über notwendige Diskursbeschränkungen, wie ζ. B. revidierbare Mehrheitsbeschlüsse und spezielle Inkraftsetzungsverfahren. 4 5 6 7 K
Vgl. Apel 1998, 759 ff, 771 Vgl. Apel 1998, 771, 787, 798, 811 Vgl. Apel 1998, 738 Vgl. Böhler 1984, in: Apel/Böhler/Rebel (Hg.) ( 1984), 326, 857, 870 und 1057/58 Gedacht ist hier an die Erstellung von Gutachten und Gegengutachten.
Zweistufige Architektonik der Diskursethik
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Alle Diskurstypen sind nach Maßgabe der durch den Diskursgrundsatz bezeichneten Regel diskursiver Konsensbildung durchzuführen. Gilligan kennzeichnet den Übergang vom konventionellen zum postkonventionellen Urteilsniveau als „Übergang vom Guten zum Wahren". 9 Damit bringt sie - analog zu den von Böhler unterschiedenen Diskurstypen - zum Ausdruck, dass, bevor über die Richtigkeit einer Handlung in einer bestimmten Situation entschieden werden kann, die Wahrheit der Situationsbeschreibung und die Wahrhaftigkeit sich selbst und den eigenen Bedürfnissen gegenüber genauestens zu analysieren sind.10 Die konkrete Entscheidungsbegründung bedarf folglich auch der Klärung der beiden anderen von Habermas unterschiedenen Geltungsansprüche, der Wahrheit der zugrundeliegenden Situationsanalyse und der Wahrhaftigkeit der Geltungsansprüche. Diese Differenziertheit verdankt Gilligan dem Einsatz realer Dilemma-Situationen. Es leuchtet unmittelbar ein, dass, wenn Frauen in der konkreten Situation einer möglichen Schwangerschaftsunterbrechung unter Zeitdruck über Lebenschancen entscheiden müssen, alle Geltungsebenen gleichzeitig aufbrechen: nicht nur der unmittelbare Wertkonflikt, sondern auch die Situationsdeutung einschließlich der Selbst- und Fremdwahrnehmung. Sowohl Apel als auch Habermas lassen es jedoch nicht bei dem zweistufigen Verfahren der Normenbegründung bewenden. Habermas erweitert die zweistufige Normenbegründung durch den Aspekt der Normenanwendung, und Apel konkretisiert den normativen Sinn des Diskursgrundsatzes durch die Formulierung zweier Ergänzungsprinzipien. Den Grund für die Notwendigkeit einer Ergänzung des zweistufigen Normenbegründungsverfahrens sieht Habermas in einer ohne diese Erweiterung unangemessenen Übertragung moralischer Prinzipien auf die Subsysteme von Recht, Politik und Wirtschaft 1 1 und Apel in einer unzureichenden Verantwortung der Handlungsfolgen. Habermas zufolge zählt im Rahmen der Anwendungsdiskurse eine ganz andere Kategorie von Gründen, einerseits die institutionalisierten Verfahren von Recht, Politik und Wirtschaft und andererseits die Urteilskraft und praktische Klugheit des Subjekts., A n wendungsdiskurse", schreibt Habermas, „erfordern andere Informationen und andere Grundsätze." 12 „Um die Richtigkeit singulärer Urteile zu garantieren, muß ein weiteres Prinzip hinzukommen. Ein unparteilicher Richter13 muß abwägen, welche der konkurrierenden Handlungsnormen - deren Gültigkeit im voraus festgestellt worden ist - einem konkreten Fall am angemessensten ist, sofern alle relevanten Merkmale der gegebenen Konstellation ihrem Gewicht entsprechend in die Situationsbeschreibung einge9 10 1
'
12
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Gilligan 1988, 104 Gilligan 1982, 181, 106/107, 115 Zur Auseinandersetzung von Habermas mit Wellmer über die Bedeutung von Anwendungsdiskursen vgl. Habermas 1991a, 137 Habermas 1988b, 95 In Faktizität und Geltung versteht Habermas das Diskursprinzip als wertneutrales Prinzip, das nur die Möglichkeit der unparteilichen Begründung von Normen überhaupt erklärt, aber keinerlei moralische Pflichten, wie die Anerkennung der Gleichberechtigung und der gleichen Mitverantwortung, begründet. Vgl. Habermas 1992, 138; kritisch dazu Apel 1998, 737
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Diskursethische Erweiterung der Gerechtigkeitsethik
gangen sind. Hier kommt also das Prinzip der Angemessenheit und das der Erschöpfung aller relevanten Kontextmerkmale ins Spiel."14 Nach Apel bedarf die Begründung von , Anwendungsnormen'jedoch keines anderen als des Konsensprinzips. Dies schließt nicht aus, dass bei der Begründung situationsangemessener Normen im praktischen Diskurs auf die Situationskenntnis und das Expertenwissen Einzelner zurückgegriffen wird, aber auch diese Entscheidung muss durch Konsens legitimierbar sein.15 Eine weitere Differenz besteht hinsichtlich der Folgenverantwortung. In Apels Darstellung stellt sich das Problem der Folgenverantwortung nicht erst auf der zweiten Stufe der Normenbegründung - wie für Habermas - , sondern bereits auf der ersten. Die Notwendigkeit der Folgenverantwortung erhellt aus dem reflexiven Wissen des Menschen um seine - idealtypisch - doppelte Mitgliedschaft in zweierlei Kommunikationszusammenhängen. 16 Sofern der Mensch denkt, bewegt er sich in einer handlungsentlasteten, ausschließlich verständigungsorientierten 17 und insofern idealen Kommunikationsgemeinschaft. Als Teilnehmer realer Diskursveranstaltungen bewegt er sich jedoch in einem weiten Feld, das vom Argumentieren bis hin zum strategischen Kampf um Lebenschancen reicht. Das reflexive Wissen um diese Differenz und der dem Denken innewohnende Anspruch auf universalistische Gültigkeit nötigen das Subjekt, die reale Kommunikationsgemeinschaft der idealen zunehmend anzugleichen.'* Diese Verpflichtung expliziert Apel in Form zweier Ergänzungsprinzipien, dem Prinzip, die bereits existierenden Bedingungen konsensualer Kommunikation zu erhalten, und dem Prinzip, diese Bedingungen, wo sie noch nicht gegeben sind, herbeizuführen und ständig zu verbessern. 19 Die ersten zwei Schritte der Normenbegründung repräsentieren den Begründungsteil A und die beiden Ergänzungsprinzipien den sogenannten Begründungsteil Β der Ethik.20 Beide Differenzierungen, sowohl Habermasens Unterscheidung zwischen der Begründung und der situationsspezifischen Anwendung von Normen als auch Apels Unterscheidung zwischen dem Moralprinzip und seinen Ergänzungsprinzipien, verweisen auf Unklarheiten. Offensichtlich weist die Diskursethik hinsichtlich ihrer Anwendung noch größere Unterschiede auf als den zwischen der formalpragmatischen Begründung des Diskursgrundsatzes einerseits und der transzendentalpragmatischen Begründung dieses Grundsatzes andererseits. Die Begründung situationsangemessener Handlungs-
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16 17 1S 19 20
Habermas 1988b, 96 Vgl. Apel 1990, 12. Inwieweit die sittliche Klugheit bei der Begründung von Handlungsentscheidungen berücksichtigt werden soll, muß durch Konsens entschieden werden. Die sittliche Klugheit ist nach Maßgabe des Konsensprinzips und nicht das Konsensprinzip nach Maßgabe der sittlichen Klugheit zu rechtfertigen. Vgl. Apel 1 9 9 8 , 2 7 5 , 793 ff Zur Definition der idealen Sprechsituation vgl. Habermas 1991 a, 161, 163/64 Vgl. Apel 1988, 144 ff Vgl. Apel 1973, Bd. 2, 431; ders. 1984, 630 ff; ders. 1988, 149 ff Zur Unterscheidung zwischen Teil A und Β der Diskursethik vgl. Apel 1988, 103ff, 140, 4 6 0
Zweistufige Architektonik der Diskursethik
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weisen scheint schwieriger als der Aufweis der universalistischen Gültigkeit des Diskursgrundsatzes. 21
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Vgl. A p e l l 984a, 124
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Diskursethische Erweiterung der Gerechtigkeitsethik
Trägt die Diskursethik den vier Fürsorgeaspekten Gilligans Rechnung?
Habermasens Unterscheidung zwischen der Begründung und der Anwendung von Normen bietet keine hinreichende Handhabe für die Integration der Fürsorge- und Verantwortungsdimension. Der Universalisierungsgrundsatz gibt zwar eine Anleitung zur Begründung folgenverantworteter Normen, indem auch die diskursive Berücksichtigung der Folgen und Nebenwirkungen der Anwendung diskursiv gerechtfertigter Normen, geboten ist, aber diese Begründungsanleitung unterstellt ideale Verhältnisse, in denen moralische Normen von allen befolgt werden.1 Dies verdeutlicht Apel, indem er den von Habermas aufgestellten Universalisierungsgrundsatz U 2 im Sinne einer Handlungsnorm umformuliert. Uh lautet: „Handle nur nach der Maxime, von der Du aufgrund realer Verständigung mit den Betroffenen bzw. ihren Anwälten oder ersatzweise - aufgrund eines entsprechenden Gedankenexperiments, unterstellen kannst, dass die Folgen und Nebenwirkungen, die sich aus ihrer allgemeinen Befolgung für die Befriedigung der Interessen jedes einzelnen Betroffenen voraussichtlich ergeben, in einem realen Diskurs zwanglos akzeptiert werden können." 3 Die in U zum Ausdruck gebrachte idealisierende Unterstellung kommunikativer Handlungsbedingungen wird deutlicher in der von A. Pieper vorgeschlagenen Kurzfassung von U: „Handle so, als ob du Mitglied einer idealen Kommunikationsgemeinschaft wärest."4 Offensichtlich in der Formulierung A. Piepers, aber auch in der von Habermas, ist die Übertragung der Verhältnisse der idealen Sprechsituation auf die realen Handlungsbedingungen der Lebenswelt. Wenn nur die Folgen geprüft werden, die sich ergeben, wenn alle entsprechend U handeln, wird ein wesentliches Problem der Folgenverantwortung ausgeblendet. Dieses Problem resultiert aus dem Umstand, dass wir uns im realen Leben im allgemeinen nicht moralisch verhalten und auch nicht immer moralisch verhalten dürfen. Denn jeder muss damit rechnen, selbst nicht moralisch behandelt zu werden. Ein vorbehaltlos moralisches Verhalten wäre angesichts der Notwendigkeit des im realen Leben auch strategischen Handelns fahrlässig. Gegen die Einschränkung der Ethik auf die Begründung durch U macht Apel das von Max Weber herausgearbeitete Problem des Verantwortungspolitikers geltend. Dieser würde sich im Interesse der ihm anvertrauten Regierung schuldig machen, würde er sein Handeln ausschließlich nach ethisch gerechtfertigten Prinzipien ausrichten. Er müsse vielmehr voraussetzen, dass die anderen Regierenden im Interesse ihres Landes versu' 2 3 4
Vgl. Niquet 1 9 9 6 , 4 6 U wird im nächsten Kapitel eingeführt. Apel 1988, 123. Vgl. Apel 1988, 127, 129, 132, 138, 143-146, 358 Pieper 1985, 171
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chen würden, sich auf Kosten seines Landes Vorteile zu verschaffen, wo immer er die Gelegenheit dazu einräume. 5 Habermasens Universalisierungsgrundsatz bietet gegen diese Option keinen Schutz. Wer sein Handeln ausschließlich an U orientierte, würde grob fahrlässig handeln. Mit dieser Kritik Apels an dem geltungstheoretisch idealisierenden Gebrauch von U stimmt Gilligans Kritik an Kohlbergs prinzipienethischer Verengung der Gerechtigkeitsethik weitgehend überein. Das Defizit einer Prinzipienmoral besteht in ihrer gesinnungsethischen Verkürzung. Diese Verkürzung will Gilligan durch die Fürsorgeethik kompensieren. Die Fürsorgeethik ist hinsichtlich ihrer Intention und Bedeutung eine Verantwortungsethik. Gemäß der Fürsorgeethik steht „die Moralität von Heinzens Diebstahl angesichts der Umstände, die ihn möglich machten, außer Frage. Zu hinterfragen ist seine Bereitschaft, für seine Frau einzutreten, um an ihrer Stelle das Opfer der Ausbeutung durch eine Gesellschaft zu werden, die die Verantwortungslosigkeit des Apothekers hervorbringt und legitimiert."6 Aus Heinzens Perspektive löst die Erkenntnis, „Leben geht vor Eigentum", zwar das im engeren Sinne erkenntnistheoretische Moralproblem, bereitet ihm aber gleichzeitig das weitergehende Problem der moralischen Folgenverantwortung. Ist allein er für die Rettung des Lebens seiner Frau verantwortlich? Dürfen wir ihm diese Verantwortung aufbürden? Ist es nicht unzumutbar angesichts der Folgen, die ihm, vorausgesetzt, die Rechtsordnung sieht für einen solchen Fall noch keine Ausnahmeregelung vor, entstehen können? Muss eine Ethik aber nicht gerade in solchen Fällen helfen, in denen die Verhältnisse noch nicht so sind, wie sie sein sollen und die Einzelnen in viel größerem Maße gefordert sind, als es unter rechtsstaatlichen Verhältnissen der Fall ist? Im Mörderbeispiel kann der Hausherr zwar damit rechnen, durch eine Lüge die Gefahr vom Opfer abzuwenden, er muss aber gleichzeitig damit rechnen, dass er sich durch diese Lüge selbst gefährdet. Das hier angesprochene Problem der Zumutbarkeitsverantwortung wird sowohl von Habermas im Rahmen der Unterscheidung zwischen der Begründung und der Anwendung moralischer Normen als auch von Apel in Gestalt der beiden Ergänzungsprinzipien nur unzureichend berücksichtigt. In der Habermasschen Variante der Diskursethik begründet der Universalisierungsgrundsatz, angewandt auf das Mörder-Beispiel, die Pflicht, das Opfer nicht zu verraten und gegebenenfalls zu lügen. Denn allein diese Handlungsweise ist für rational Argumentierende, die sich auch in die Situation des potentiellen Opfers imaginieren, konsensfahig. Obschon im Rahmen der diskursiven Überprüfung der Lügenmaxime auch die dem Hausherrn entstehenden Folgekosten konsensfähig sein müssen, zeugt gerade diese Forderung von einer wenig realistischen Situationswahmehmung. Denn sie unterstellt die Bereitschaft aller, ihre Interessen offenzulegen, eine einvernehmliche Konfliktlösung anzustreben und diese Konfliktlösung auch zu befolgen. Diese Einstellung ist im realen Leben aber gerade nicht gegeben und wäre auch nicht zu verantworten. 3 6
Vgl. Apel 1 9 8 8 , 3 6 2 Gilligan 1982, 128
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Selbstverständlich müssen auch die Folgen und Nebenwirkungen ethisch gerechtfertigt werden, man darf aber weder erwarten noch fordern, dass die Beteiligten ausschließlich wahrhaftig sind, ehrlich argumentieren und dadurch ihre Interessen dem strategischen Handeln anderer schutzlos preisgeben. Die Konsensverpflichtung darf in der realen Welt nur im Sinne eines regulativen Prinzips verstanden werden. Rechtfertigbar ist ζ. B. die Faustregel „soviel Konsens wie möglich und soviel Strategie wie nötig" (Apel). In dem Maße, wie die Kosubjekte moralische Normen nicht befolgen, muss auch das Subjekt strategisch handeln. Die Folgen einer nicht-reziproken Normenbefolgung - der Hausherr lügt, um das Leben des Opfers zu retten und der Mörder vergilt die Lüge, indem er ihn an des Freundes Stelle tötet - werden im Rahmen der Habermasschen Universalisierungsprüfung nicht bedacht. Habermas sucht das Problem der Folgenverantwortung durch die Unterscheidung von Begründungs- und Anwendungsdiskursen zu lösen. Klaus Günther, der die Habermassche Variante der Diskursethik teilt und sie im Bereich der Anwendungsdiskurse weiterentwickelt, führt Kants rigoristische Lösung des Mörder-Beispiels auf die fehlende Unterscheidung von Begründungs- und Anwendungsdiskursen zurück. Günther führt aus, dass derjenige, der „einen Unschuldigen an seine böswilligen Verfolger verrät, weil er sich nicht einer Lüge schuldig machen will, alle Aspekte dieser Situation ausblendet, die nichts mit seiner Absicht zu lügen zu tun haben. Diese Absicht ist die einzig relevante Tatsache, die er auswählt." 7 Verantwortlich für die rigoristische Lösung Kants ist demnach eine reduzierte (unvollständige) Auswahl der für die Situationsanalyse relevanten Merkmale. Diese Interpretation enthält freilich ihrerseits eine reduzierte Auswahl der für Kants Normenbegründung relevanten Merkmale. Wie bereits referiert, 8 sind es im wesentlichen zwei zusammenhängende Überlegungen, die nach Kant seine Lösung des Konflikts rechtfertigen: ( 1 ) Die Überlegung, dass die Rechtfertigung eines allgemeinen Lügengesetzes (lügenhaften Versprechens) im strengen Sinne selbstwidersprüchlich wäre und (2) die Überlegung, dass die Anerkennung eines allgemeinen Lügengesetzes, wenn es denn funktionierte, in einem weiteren Sinne nicht wünschenswert wäre. 1) Transzendentalpragmatisch betrachtet, ist eine Verteidigung der Lüge in engerem Sinne selbstwidersprüchlich. Die Aussage, ein allgemeines Lügengesetz könne widerspruchsfrei gedacht werden, widerspricht dem für diese Behauptung (Proposition) erhobenen Geltungsanspruch, wahr zu sein. Deqenige, der behauptet, es sei denkmöglich, je nach Bedarf zu lügen, kann für den Wahrheitsanspruch seiner These nicht mehr einstehen. Genau besehen, gibt und leugnet er zugleich das Versprechen, den Wahrheitsanspruch seiner These einzulösen. Er behauptet, die Wahrheit zu sagen oder auch zu lügen, und beansprucht gleichzeitig, verstanden und in seinem Wahrheitsanspruch bestätigt zu werden. Mit dieser sinnwidrigen Behauptung widerspricht er sich selbst. Seine Behauptung kann nicht mehr im Sinne einer Behauptung, für die ein Wahrheitsanspruch erhoben wird, verstanden werden. 7 8
Günther 1988, 13 Vgl. 18.3.1. Exkurs: Moralischer Rigorismus der kantischen Ethik, 155-58
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2) Die zweite Überlegung, mit der Kant das Verbot der Lüge bzw. die Pflicht zur Wahrheit verteidigt, ist, wie bereits erwähnt, nur in einem weiteren Sinne selbstwidersprüchlich. Ein allgemeines Lügengesetz widerspräche sich selbst. Es wäre nicht wünschenswert, insofern es den Zweck, der mit einer Lüge verfolgt wird, das Glaubenmachen bzw. die Täuschung anderer, vereiteln würde. Denn niemand würde mehr den Worten eines Anderen Glauben schenken. So argumentiert Kant in Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen. Die Erlaubnis der Lüge hätte zur Folge, „dass Aussagen (Deklarationen) überhaupt keinen Glauben finden, mithin auch alle Rechte, die auf Verträgen gegründet werden, wegfallen und ihre Kraft einbüßen; welches ein Unrecht ist, das der Menschheit überhaupt zugefügt wird." 9 Die Lüge, zum allgemeinen Gesetz erhoben, würde die Grundlage aller Verträge, das Vertrauen in die Wahrhaftigkeit (Aufrichtigkeit) Kommunikationspartner zerstören. Die Ursache für Kants Gesinnungsrigorismus liegt demnach weniger in einer verkürzten, unvollständigen oder gar parteilichen Situationsanalyse. Sie ist vielmehr darauf zurückzufuhren, dass Kant die Normen, die unter rein verständigungsorientierten Bedingungen rechtfertigungsfähig sind, wie ζ. B. die Norm der Wahrhaftigkeit, ohne strategische Vermittlung als verbindlich für das Handeln in der realen Lebenswelt vorschreibt. Diese mangelnde Differenzierung ist dem nicht zustimmungswürdigen Grund geschuldet, dass Kant die Gegenseitigkeit von Pflichten und Rechten nicht bereits als sinnkonstitutiv für den Begriff der Pflicht ansieht. Die Reziprozität von Rechten und Pflichten berücksichtigt er erst auf der Ebene des Rechts (Verträge würden hinfällig). Es ist aber bereits der Sinnanspruch einer ethischen Rechtfertigung, der nur verständlich ist unter der Voraussetzung der Wechselseitigkeit von Rechten und Pflichten. Wird die Reziprozität nur empirisch und nicht auch semantisch mitgedacht, ist es nicht möglich, die Bedeutung des Begriffs der Pflicht richtig zu verstehen. Eine moralische Pflicht kann dann allenfalls i. S. einer Pflicht (Selbstverpflichtung) vor Gott, der unsere Geschicke lenkt und den Gang der Geschichte allein verantwortet, oder vor dem Gewissen verstanden werden, nicht jedoch i. S. des einander wechselseitig Verpflichtet-Seins. Auf die Wechselseitigkeit (Reziprozität) wurde Kant durch B. Constant aufmerksam gemacht. Constant stellt fest: „Der Begriff von Pflicht ist unzertrennbar von dem Begriff des Rechts. Eine Pflicht ist, was bei einem Wesen den Rechten eines anderen entspricht. Da, wo es keine Rechte gibt, gibt es keine Pflichten. Die Wahrheit zu sagen, ist also eine Pflicht; aber nur gegen denjenigen, welcher ein Recht auf die Wahrheit hat. Kein Mensch aber hat Recht auf eine Wahrheit, die anderen schadet." 10 Demnach ist niemand gegenüber einer anderen Person verpflichtet, solange die andere Person sich nicht auch ihm gegenüber verpflichtet. Im Mörderbeispiel ist der Hausherr gegenüber dem Mörder, der erklärtermaßen moralische Pflichten nicht anerkennt, nicht verpflichtet, jedenfalls solange nicht, bis der Mörder seine Absichten ändert.
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Kant 1797, A 304, 305 Zitiert nach Kant 1797, A 301, 302, 303
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Bei seiner, im Gegensatz zu der von Constant, rigoristischen Beurteilung des MörderBeispiels geht Kant davon aus, dass der Begriff der moralischen Pflicht dieser Reziprozität nicht bedarf. Pflichten sind Selbstverpflichtungen - Pflichten vor Gott oder dem Gewissen. Ihre Gültigkeit ist nicht abhängig von der Wechselseitigkeit der Verpflichtung. Kant setzt - dem Zeitgeist der Aufklärung folgend - voraus, dass jeder einsehen kann, dass er sein Handeln nach moralischen Normen ausrichten muss. Jeder, der guten Willens ist, unterstellt sein Handeln einer Prüfung durch den kategorischen Imperativ und setzt voraus, dass alle anderen ebenfalls so verfahren sollen. Würden alle Menschen die als richtig anerkannten Normen auch tatsächlich befolgen, wozu sie moralisch verpflichtet sind, würde die Notwendigkeit entfallen, sich vor den Machenschaften derer, die moralische Normen nicht befolgen, zu schützen. Der Mörder würde erkennen, dass er moralisch verpflichtet ist, von seinem Vorhaben abzulassen. Würde er tatsächlich davon ablassen, könnte der Hausherr gegenüber dem Mörder wahrhaftig sein, ohne um das Leben seines Schützlings fürchten zu müssen. Kant brauchte die Allgemeingültigkeit des Wahrhaftigkeitsgebots nicht zu verteidigen, da sie nicht prinzipiell in Frage gestellt sein würde. Die Tatsache, dass Kant uns überhaupt mit dem Mörderproblem konfrontiert, zeigt aber auch, dass er offensichtlich nicht unterstellt, alle Menschen seien guten Willens und handelten gemäß ihrer ethischen Einsicht. Zumindest für den potentiellen Mörder gilt, dass er offensichtlich nicht gewillt ist, sein Handeln einer ethischen Prüfung zu unterziehen. Um so weniger begründet ist es, dass Kant auch in diesem Fall an der unbedingten Gültigkeit des Gebots, die Wahrheit zu sagen, festhält. Rechtfertigen lässt sich dieser Rigorismus wohl nicht, aber er lässt sich erklären. Kants Überlegung ist m.E. die folgende: Er unterstellt, dass jeder, auch der Mörder, wenn er sich nur die moralische Frage stellt, einsehen kann, wozu er verpflichtet ist. In allen Situationen müssen sich die Konfliktparteien mit Hilfe des kategorischen Imperativs klarmachen, wozu sie selbst (und nicht die anderen) verpflichtet sind. Im Rahmen dieser Prüfung darf sich niemand von irgendwelchen Annahmen beirren lassen, die nicht ihn selbst betreffen und die er aus diesem Grunde weder verantworten kann noch zu verantworten hat. Die Trägheit, Unfähigkeit oder der böse Wille anderer zählen nicht als Gründe für die Relativierung der eigenen Pflichten. Die Berücksichtigung aller möglichen Folgen würde die Gefahr bergen, sich mit dem Verweis auf die Versäumnisse anderer eigener Pflichten zu entledigen. Dies kann nicht der Sinn und Zweck einer ethischen Prüfung sein. Jeder soll sein Handeln überprüfen. Alsdann wird er erkennen, dass die Lüge, würde sie zum allgemeinen Gesetz erhoben, weder widerspruchsfrei gedacht noch gewollt werden kann. Habermas versucht, der von Kant durch die Einbeziehung der Folgen befürchteten Relativierung moralischer Pflichten durch die Unterscheidung zwischen Begründungsund Anwendungsdiskursen zu begegnen. Diese Unterscheidung soll es ermöglichen, an der Begründung universalistisch gültiger Normen festzuhalten, ohne auf die situationsangemessene Anwendung (Interpretation) dieser Nonnen verzichten zu müssen.
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Auf diesem Weg folgt ihm Klaus Günther. In Begründungsdiskursen, vermutet Günther, lasse sich wahrscheinlich schnell ein Einverständnis darüber herstellen, dass die Norm „Du sollst nicht lügen" von allen akzeptiert werden könnte. Es lasse sich jedoch nicht herausfinden, ob ζ. B. die Berücksichtigung anderer Normen - wie deijenigen, dass man unschuldig Verfolgte vor dem zu erwartenden Übel bewahren sollte, wenn dies ohne Gefahr für den Handelnden möglich ist - , andere Handlungen ergäben. In Begründungsdiskursen sei auch nicht feststellbar, welche der beiden Normen, die Wahrheit zu sagen oder im Dienste des Helfens zu lügen, in dieser Situation vorzuziehen sei.11 Es lasse sich „keine Auskunft über das Problem gewinnen, ob die vorgeschlagene Norm angesichts aller Tatsachen der besonderen Situation auch angemessen (Herv. Verf.)" ist.12 Anwendungsdiskurse sollen sich von Begründungsdiskursen durch den vorausgesetzten Gleichheitsanspruch unterscheiden. „Angemessenheitsargumentationen beginnen regelmäßig damit, dass die von den ursprünglich anwendbaren Normen vorausgesetzten Umstände in dieser konkreten Situation SI nicht vorliegen."13 Der Gleichheitsanspruch (die Gleichheit der Umstände), „der in Begründungsdiskursen nötig war, um von den Differenzen verschiedener Anwendungssituationen zu abstrahieren,14" soll im Zuge der Anwendungsdiskurse durch die Berücksichtigung aller Situationsmerkmale ersetzt werden. Statt der Gleichheit gelte es in Angemessenheitsdiskursen, eine Relevanzentscheidung zwischen kollidierenden Normen im Lichte der vollständigen Situationsbeschreibung zu rechtfertigen. Zu diesem Zweck rekurriert Günther auf das formale Kriterium der Kohärenz. Eine Norm lasse sich genau dann unter Berücksichtigung aller Umstände anwenden, wenn sie mit der Anwendung aller anderen Normen in einer Situation und allen in einer Situation möglichen Bedeutungen vereinbar ist.'5 Das formale Kriterium der Kohärenz von Normen bietet jedoch keinen ausreichenden Ersatz für eine konsensorientierte Begründung von Normen, deren Befolgung unter real-strategischen Bedingungen verantwortet werden muß. Nicht die Kohärenz der Normen „Du sollst nicht lügen" und der Norm „Bewahre unschuldig Verfolgte vor dem zu erwartenden Übel" (Habermas, Günther) begründet im Mörder-Beispiel eine moralisch gerechtfertigte Handlungsentscheidung, sondern die Berücksichtigung der Gegenseitigkeitsbedeutung des Begriffs der Pflicht. In einer Situation, in der ein Mörder gewillt ist zu morden und sich durch keinerlei ethische Einsichten von seinem Vorhaben abbringen lässt, kann man nicht ernsthaft unterstellen, dass hier eine Pflicht zur Wahrheit bestünde, die in Konflikt geraten könnte mit der Hilfeleistungspflicht. Nein, der Mörder hat, solange er sich nicht auf eine ethische Überprüfung seines Handelns besinnt, sein Recht auf Wahrheit verwirkt. Die vollständige Berücksichtigung aller Situationsmerkmale ist von Anfang an, d.h. schon im Begründungsdiskurs und nicht erst in Anwendungsdiskursen, (die überflüssig 11 12 13 14 15
Vgl. Günther 1988, 13 Günther 1988, 13 Günther 1 9 8 8 , 2 5 9 Günther 1988, 259 Vgl. Günther 1 9 8 8 , 3 0 4
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werden, wenn man die Reziprozität des Pflichtbegriffs von vornherein mitdenkt) in Form eines den praktischen Diskurs begleitenden theoretischen Diskurses16 zu gewährleisten. Der theoretische Diskurs über die Beschaffenheit von Situationen schützt vor sachlich falschen und perspektivischen Situationseinschätzungen. Das Problem der strategischen Folgenverantwortung bleibt aber bestehen. Diese Begründungsleistung kann durch keine noch so differenzierte Situationsanalyse ersetzt werden. Das Problem der Folgenverantwortung ist nicht bedingt durch eine „mangelnde Sorgfalt bei der Berücksichtigung relevanter Tatsachen, eine fehlende Sensibilität für die besonderen Umstände und ein unzureichendes Gespür für die angesichts der besonderen Lage angemessene Handlungsweise"17, sondern durch das von Weber angesprochene Problem der notwendigerweise strategischen Erfolgsverantwortung. Stellt man die reziproke Bedeutung des Begriffs der Pflicht in Rechnung, entfällt die Notwendigkeit, den vermeintlichen Rigorismus der Begründungsdiskurse durch spezielle Anwendungsbzw. Folgenverantwortungsdiskurse abzugleichen. Niquet nennt das durch Kants Mörder-Beispiel aufgeworfene Problem der Folgenverantwortung reziproke Folgenverantwortung.'8 Dieses Problem wird von Kant, Kohlberg und Habermas entweder ganz übersehen oder in unzureichender Weise thematisiert. In ihrer Explikation der Gerechtigkeitsethik sucht man vergeblich nach einem Prinzip, das es erlaubte, im Dienste der Moral strategisch zu handeln und die kontramoralischen Verhaltensweisen anderer abzuwehren oder durch ein moral-strategisches Verhalten zu neutralisieren.19 In Apels Architektonik der Diskursethik lässt sich die Idee einer Einheit von Gerechtigkeit und Fürsorge/Verantwortung besser integrieren. Allerdings ist seine Unterscheidung zwischen den Teilen A und Β der Diskursethik nicht unumstritten.20 Apels Charakterisierung von Teil Β als Ergänzungsteil zu Teil A erweckt den Eindruck, als sei die in Teil Β entfaltete teleologische Verantwortungsperspektive etwas neu Hinzukommendes, gewissermaßen „Das Andere der Gerechtigkeit" (Honneth21, Pauer-Studer22), das nicht schon im Gerechtigkeitsprinzip enthalten wäre. Dies wirft, analog zu Gilligans Forderung, der Gerechtigkeitsethik eine Fürsorgeethik an die Seite zu stellen, die Frage auf, nach Maßgabe welchen Prinzips beide Teile der Ethik miteinander verbunden sind. Apels Formulierung, dass erst die Herstellung der „Anwendungsbedingungen der Diskursethik" (durch die Befolgung der Ergänzungsprinzipien) moralisches Handeln zumutbar mache, wirft die gleiche Frage auf. Nach Maßgabe welchen Prinzips ist die Befolgung moralisch gerechtfertigter Normen zumutbar?
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Böhler differenziert das Verfahren der Normenbegründung im praktischen Diskurs durch die Unterscheidung praktischer, theoretischer, sinnexplikativer und pragmatischer Diskurse. Vgl. Böhler, in: Apel/Böhler/Rebel (Hg.) 1984, 600 ff, 1057; Böhler/Gronke 1994, Sp. 809 ff Günther 1988, 14 Vgl. Niquet 1996, 4 7 f f Vgl. Apel 1984a, 128; Apel 1984c, 66-100; Apel 1995 Vgl. Böhler 1999; Gronke 1993, 290; Gronke 1999a, 20 Vgl. Honneth 1994 Vgl. Pauer-Studer 1996
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Um diese Frage beantworten zu können, scheint eine Differenzierung der Architektonik der Diskursethik Apels erforderlich. Unter variierender Aufnahme jüngerer Korrekturvorschläge 23 schlage ich vor, drei Stufen transzendentalpragmatischer Normenbegründung zu unterscheiden.
Vgl. zuletzt Böhler 1998; Niquet 1996, 43, 46
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Drei Stufen transzendentalpragmatischer Normenbegründung
Stufe 1: Die erste Stufe der Letztbegründung 1 ist reflexiv. Sie beruht auf der Selbstreflexion des argumentativen Diskurses. 2 Hier geht es um die Aufdeckung des ethischen Wissens, über das wir als kompetente Sprecher immer schon verfugen. Die Argumentationsreflexion erweist den Diskursgrundsatz bzw. die Grundnorm argumentativer Konsensbildung als unhintergehbare Sinn- und Gültigkeitsbedingung des Argumentierens 3 . Apel hat bisher der Formulierung des Moralprinzips wenig Bedeutung beigemessen. Meist stützt er sich auf den von Habermas formulierten Diskursgrundsatz: 4 Dieser besagt, „dass nur diejenigen Normen Geltung beanspruchen dürfen, die die Zustimmung aller Betroffenen als Teilnehmer eines praktischen Diskurses finden (oder finden könnten)."5 In Anlehnung an eine Formulierung Kuhlmanns lautet die Grundnorm abgekürzt wie folgt: „Bemühe dich argumentativ (und nicht strategisch) um eine für alle Betroffenen konsensfahige Lösung moralischer Konflikte." 6 Eine differenziertere Formulierung schlägt Böhler vor: „Verhalte Dich so, dass Deiner Behauptung/Deiner Tat alle auf Grund von sinnvollen, situationsbezogenen und wohl informierten Argumenten zustimmen würden (so dass kein sinnvolles sachliches Argument damit unvereinbar wäre, sondern ein begründeter Konsens in der unbegrenzten Argumentationsgemeinschaft dafür zu erwarten ist)."7 Diese Formulierung hat m.E. den Vorteil, den Blick direkt auf die Handlungsweise zu lenken. Sie beugt dem Missverständnis vor, dass es sich hier lediglich um einen Grundsatz für Argumentationen handelt. Mit diesem Prinzip beansprucht die Diskursethik, die Gültigkeitsbedingungen des Denkens auf den Begriff gebracht zu haben. Als Verfahrensnorm hat die Grundnorm einen metaethischen Stellenwert. Sie beschreibt das Procedere, nachdem verfahren werden muss, wenn ein Gültigkeitsanspruch überprüft werden soll. Als Grundnorm hat der
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Habermas verwahrt sich mit dem Begriff der Formalpragmatik gegen das in seinen Augen fundamentalistische Ansinnen der Transzendentalpragmatik. (Vgl. Habermas 1983a, 129f und Habermas 1983, 9 f, 105ff) Vgl. Apel 1984, bes. 621 Das Prinzip der verallgemeinerten Gegenseitigkeit wird auch als conditio sine qua non des dialogformigen Denkens charakterisiert. Vgl. Apel 1988, Sachregister. Im Rahmen der Definition des Moralprinzips verweist Apel auf die Begriffe Diskursprinzip und Universalisierungsgrundsatz. Habermas 1983b, 103 Ausführlicher heißt es bei Kuhlmann 1984, 602: „Wenn wir an der Lösung eines praktischen Problems ernsthaft interessiert sind, eines Problems, in dem es um die Berechtigung von Handlungsnormen, Zielen, Bedürfnissen, Interessen geht, und dies insbesondere im Falle des Konflikts zwischen Ansprüchen verschiedener Beteiligter, dann müssen wir uns um eine Lösung bemühen, der jeder irgendwie Betroffene zustimmen könnte: wir müssen uns um einen vernünftigen Konsens bemühen." Böhler 1998, 163
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Diskursgrundsatz einen ethischen Gehalt. Diesen expliziert Apel in den Begriffen „Gleichberechtigung" und „gleiche Mitverantwortung". 8 Jeder, der ernsthaft danach fragt, ob er moralische Pflichten hat, kann sich, so der Anspruch Apels, diese Frage selbst beantworten. Wenn er sich das vor Augen führt, was er selbst, indem er diese Frage aufwirft, auf der Ebene des Diskurses bei sich und seinen Diskurspartnern voraussetzt, erkennt er die primordiale Gleichberechtigung und gleiche Mitverantwortung aller möglichen Diskurspartner und Diskurspartnerinnen an. Das Wissen um das Spannungsverhältnis zwischen den kommunikativen (verständigungsorientierten) Diskursbedingungen einerseits und den strategischen Erfolgsbedingungen der Lebenswelt andererseits beinhaltet die Verpflichtung, diese Kluft abzubauen und die realen-, in Richtung zunehmend verständigungsorientierter, Handlungsbedingungen weiterzuentwickeln. In Reaktion auf die oben genannte Kritik der Ergänzungsprinzipien als neu hinzukommender und möglicherweise gerechtigkeitsfremder Prinzipien stellt Apel in jüngster Zeit zunehmend heraus, dass die Ergänzungsprinzipien bereits in der Sollgeltung des Konsensprinzips enthalten sind. Stufe 2: Konkrete, eine bestimmte Situation beantwortende Normen werden erst in einem zweiten Verfahrensschritt begründet. Ihre Begründung erfolgt entsprechend dem durch den Diskursgrundsatz vorgegebenen Procedere. Dieses schreibt vor, dass die Gültigkeit von Normvorschlägen allenfalls ersatzweise im Gedankenexperiment, nach Möglichkeit aber in tatsächlich durchzuführenden Diskursen, zu überprüfen ist. Die Universalisierbarkeit kann nicht von einem einsamen Subjekt überprüft werden. Dies würde zu dem bereits angesprochenen substantialistischen Fehlschluss führen. Das Subjekt würde nicht die Konsensfähigkeit einer Norm überprüfen. Es würde vielmehr die Normen, die im Horizont der jeweils eigenen Lebenswelt gültig sind, generalisieren. Wird das Vorverständnis der Subjekte nicht hinterfragt, sondern als Bewertungshorizont vorausgesetzt, dann könnte sich die Geschlechterdifferenz in der Tat bemerkbar machen. Der im Gedankenexperiment antizipierte Verallgemeinerungstest könnte - je nach dem, ob er von einer Frau oder einem Mann durchgeführt wird - aufgrund der geschlechtstypisch unterschiedlichen Bewertung von z.B. Autonomie und Verbundenheit unterschiedliche Normen als gültig ausweisen. Die Begründung situationsbezogener und damit fallibler Normen erfolgt in real durchzuführenden praktischen Diskursen. „Inhaltliche Normen sind im praktischen Diskurs mit allen Betroffenen zu ermitteln, - sei es, dass der Diskurs tatsächlich stattfinden kann, - sei es, dass die Ansprüche der nicht Anwesenden (z.B. nachfolgende Generationen) advokatorisch vertreten werden müssen,
Vgl. Apel 1994a, 42; Apel 1996a, 336; Apel 1998, 602ff, 798f, 807-813
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sei es, dass ein einzelner im Gedankenexperiment die mögliche Konsensfáhigkeit antizipieren muß."9
Entsprechend den von Habermas unterschiedenen Geltungsansprüchen (wobei der Anspruch auf Verständlichkeit für diesen Zweck vernachlässigt werden kann), differenzieren Böhler und Gronke drei verschiedene Diskurstypen, 10 theoretische, praktische und expressive Diskurse. In theoretischen Diskursen (1) wird ermittelt, ob die Aussagen über das Vorliegen bestimmter Sachverhalte wahr sind. Die hier zu erstellende Situationsanalyse ist bei Habermas und Günther Bestandteil der Anwendungsdiskurse. In praktischen Diskursen (2) wird die Richtigkeit von Normen begründet. Praktische Diskurse können in situativ-pragmatische, kritisch-praktische und je nach Gegenstandsbereich noch einmal in moralische, juridische und politische Diskurse unterteilt werden. Die Aufgabe situativ-pragmatischer Diskurse ist die von Habermas und Günther geltend gemachte Begründung situationsangemessener Normen, und die Aufgabe kritischpraktischer Diskurse ist die Begründung moralisch richtiger Normen, wobei diese wiederum hinsichtlich ihrer Verbindlichkeit in normative und wertethische Diskurse unterteilt werden können. Schließlich ist es die Aufgabe expressiver Diskurse (3), die Wahrhaftigkeit expressiver Äußerungen über die Befindlichkeit, die Bedürfnisse und die Gefühle jeder bzw. jedes Einzelnen zu ermitteln. Die Zumutbarkeit der Befolgung moralischer Normen soll in verantwortungsethischen Diskursen überprüft werden, die allerdings noch nicht im Sinne einer eigenen Begründungsstufe verstanden, sondern als ein Typ der praktischen Diskurse (2) vorgestellt werden. Die so begründeten Normen berücksichtigen jedoch lediglich die Folgen und Nebenwirkungen moralischer Normenbefolgung, die sich einstellen würden, wenn moralische Normen wechselseitig von allen Beteiligten befolgt werden würden. Die Folgen, die sich ergeben, wenn - um bei Kants Mörder-Beispiel zu bleiben - der Hausherr lügt, um das Leben des Freundes zu retten, der Mörder aber für diese Handlung kein Verständnis aufbringt und sich z.B. am Hausherrn für diese Lüge rächt, werden im Rahmen der bislang unterschiedenen Begründungsstufen noch nicht bedacht. Im Rahmen der genannten zwei Begründungsstufen wird noch in idealisierender Weise vorausgesetzt, dass die durch U begründeten Normen von allen befolgt werden können, ohne dass jemandem unzumutbare Folgekosten entstehen.
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Apel 1 9 8 4 , 6 2 1 Böhler/Gronke 1994
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Stufe 3: Auf Stufe drei des diskursethischen Moralbegründungsverfahrens geht es nicht mehr nur um die Begründung von Normen, sondern um die Begründung konkreter Handlungsentscheidungen und -Strategien. Die Begründung moralischer Normen nach Maßgabe des Universalisierungsgrundsatzes übersieht das Problem der Zumutbarkeitsverantwortung." Dies zeigt sich, wenn man sich klarmacht, dass unter normalen (realen) Umständen niemand erwartet, dass moralische Normen von allen befolgt werden. Wenn sich ethisch gerechtfertigte Normen im Kontext moralstrategischer Handlungsbedingungen bewähren müssen, kommt eine neue Dimension der Zumutbarkeitsverantwortung ins Spiel, die von der Folgenverantwortung durch den Universalisierungsgrundsatz nicht berücksichtigt wird. Niquet zufolge hat Habermas sein Moralprinzip „ohne jede Bezugnahme auf den Begriff der Verantwortung formuliert."12 U müsse umformuliert werden, wenn vorausgesetzt wird, dass U nicht nur ein geltungstheoretisches Kriterium, sondern eine Handlungsaufforderung darstellt, nämlich dergestalt, dass die durch U begründeten Normen zu befolgen sind. Richtig müsste U' lauten: „Eine Moralnorm Ν ist gültig, wenn die Folgen und Nebenwirkungen, die sich für die Befriedigung der Interessen eines jeden Einzelnen voraussichtlich ergeben würden, wenn Ν allgemein befolgt würde (Herv. Verf.), von allen zwanglos akzeptiert werden können."13 Aber auch U' ist noch nicht hinreichend. U' definiert nämlich ein Befolgungssollen, das lediglich in dem Sinne gültig ist, dass jeder Ν befolgen sollte, unter der Bedingung, daß Ν allgemein befolgt würde. Keineswegs aber ergebe sich allein aus U' die Verpflichtung, Ν grundsätzlich zu befolgen. Wenn sich abzeichne, dass die allgemeine Befolgung von Ν nicht gegeben sei, die Unterstellung der allgemeinen Befolgung von Ν empirisch nicht wahr sei, müsse die in U' definierte Gültigkeit eingeschränkt werden. U' begründete Normen sind Niquet zufolge lediglich akzeptanz-, nicht aber befolgungsgültig. Sie gelten nur in dem Sinne, dass ihre allgemeine Befolgung, wenn sie denn gegeben wäre, die rationale Zustimmung aller verdiente, nicht aber auch in solchen Situationen, in denen die allgemeine Normenbefolgung tatsächlich nicht gegeben ist. Was aber ist in den Fällen zu tun, in denen die allgemeine Normenbefolgung nicht unterstellt werden darf? An welchen Prinzipien können wir unser Handeln in solchen Fällen ausrichten? Muss der Hausherr lügen oder soll er den Mörder sogar mit Gewalt aufhalten? Für die Situation einer nicht reziproken Normenbefolgung definiert Niquet eine Folgenorm N': „N' heißt befolgungsgültig (nicht nur akzeptanzgültig, Verf.), wenn die subjunktiv unterstellte allgemeine Befolgung von N' in der realen, faktischen Handlungswelt aller voraussichtlich Betroffenen empirisch wahr ist."14 11 12 13 14
Vgl. Niquet 1996 Niquet 1 9 9 6 , 4 4 Niquet 1 9 9 6 , 4 5 Niquet 1 9 9 6 , 4 7
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Die Bedingung der Befolgungsuniversalisierung stellt die allgemeine Reziprozität des Handelns bzw. die bereits von Benjamin Constant geltend gemachte Reziprozität der Pflicht in Rechnung. Wenn man die Reziprozität berücksichtigt, wird sofort klar, daß wir grundsätzlich nicht davon ausgehen dürfen, dass Normen allgemein befolgt werden oder - wie Niquet sagt - , dass „in dieser Welt die Befolgungsuniversalität von Ν rational einkonstruiert" 15 wäre. Was aber ist zu tun, wenn die Bedingung der reziproken Normenbefolgung empirisch nicht gegeben bzw. wahr ist? Ist es nicht so, dass in solchen Situationen überhaupt keine Verpflichtung mehr besteht und dem strategischen Handeln keine Grenzen gesetzt werden sollten? Aufgrund der faktisch nicht-reziproken Normenbefolgung besteht in einer solchen Situation, die gewissermaßen die Normalsituation des Alltags darstellt, die Verpflichtung, dem Konsensprinzip, lediglich in den Grenzen, die durch die Selbstbehauptung legitimer Eigen- und Schutzinteressen gegeben sind, zu entsprechen. Für die Situation der nichtreziproken Normenbefolgung empfiehlt Apel eine Groborientierung, nämlich die Faustformel „So wenig Strategie als nötig und so viel Kommunikation als möglich". Ähnlich äußert sich Niquet. Für die Situation der nichtreziproken Normenbefolgung macht er das Prinzip der Verhältnismäßigkeit geltend. Die Interessen der Diskursverweigerer müssen advokatorisch vertreten werden. Die Bedürfnisse jedes einzelnen aktual Betroffenen, einschließlich der Interessen der Nichtbefolger moralischer Normen, sollen im voraussichtlich geringst möglichen Umfang beschädigt oder verletzt werden. Gemäß der Darstellung von Niquet sind Folgenormen in zweifacher Weise durch die Sollgeltung von U vermittelt bzw. auf U bezogen: Erstens sind sie gefordert, „wenn sich entsprechende U-gültige Normen als nichtbefolgungsverantwortbar im Sinne des empirischen Scheiterns der in sie eingebauten Klausel allgemeiner Reziprozität herausgestellt haben", 16 und zweitens unterliegen die „nach einer Folgenorm Handelnden, zusätzlich zu den angegebenen Bedingungen und Restriktionen, der moralischen Verpflichtung, in ihrem (und durch ihr) So-Handeln auf die Realisierung eines Zustands hinzuwirken, der die N ' entsprechende U-gültige Norm Ν (oder Gruppe von U-gültigen Normen Ni...N„) in der faktischen Welt realer Handlungskontexte befolgungsverantwortbar macht. " 17 Die Verpflichtung, „auf einen Weltzustand hinzuwirken, in dem die in Ν eingelassene Bedingung allgemeiner Reziprozität hinreichend erfüllt ist," resultiert aus dem Wissen, dass die Befolgung U-gültiger Normen aufgrund der nicht gegebenen Reziprozitätsbedingungen des empirischen Handelns zwar suspendiert werden müsse, aber ihre Sollgeltung darüber nicht aufgehoben sei.
15 16 17
Niquet 1 9 9 6 , 4 7 Niquet 1 9 9 6 , 5 3 Niquet 1996, 53
Drei Stufen transzendentalpragmatischer Normenbegründung
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Das komplizierte Verhältnis von Folgen- und Zumutbarkeitsverantwortung fasst Niquet in Form eines „in sich komplexen Prinzips der Befolgungs-Gültigkeit von Moralnormen" 18 zusammen. Dieses Prinzip kleidet er in die Norm: „Befolge als Handlungssubjekt in der realen Lebenswelt W (der allgemeine Reziprozität moralischen Verhaltens nicht rational einkonstruiert ist) nur solche Moralnormen, die Du in praktischen Diskursen als in W befolgungsgültig verantworten kannst." 19 Wenn, wie im Mörder-Beispiel, die reziproke Folgenverantwortung empirisch nicht gegeben ist, ist die Pflicht, das Leben zu retten, zwar weiterhin akzeptanz-, aber nicht mehr ohne Einschränkung befolgungsgültig. Der Hausherr darf aber seinerseits auch nicht einfach morden. Er ist wie alle anderen, die von der Situation Kenntnis erhalten, verpflichtet, nach Mitteln und Wegen zu suchen, das Leben des bedrohten Opfers zu retten, ohne dabei ein anderes Leben zu gefährden. Er darf nur solche Mittel anwenden, die die Interessen aller Betroffenen im geringst möglichen Umfang verletzen.
Im Vergleich zu Habermasens Anwendungsdiskursen und zu Apels Ergänzungsprinzipien bietet die reziproke Folgenverantwortung folgende Vorteile: 1. Sie enttabuisiert die ethische Notwendigkeit strategischen Handelns und schafft durch die Unterscheidung zwischen Akzeptanz- und Befolgungsgültigkeit die unabdingbare Voraussetzung eines ethisch zumutbaren Handelns in der realen Welt. 2.
Sie verdeutlicht, dass die universalistische Gültigkeit U-begründeter Normen nicht aufgehoben, sondern lediglich suspendiert werden muß. Die Folgenverantwortung ist durch die Sollgeltung des Konsenssprinzips legitimiert und bedarf keiner zusätzlichen Legitimation durch ein Ergänzungs- oder Anwendungsprinzip. Als Bestandteil der Sollgeltung des Konsensprinzips ist die Folgenverantwortung in keiner Weise nachgeordnet, sondern in gleicher Weise verbindlich.
3. Das Problem der Folgenverantwortung muss weder auf Einzelne abgewälzt, noch den Systemimperativen von Recht, Politik und Wirtschaft überlassen werden. Die primordiale 20 (ursprüngliche) Mitverantwortung sprengt den durch A. Gehlen definierten Begriff der individuell zurechenbaren Verantwortung. Auf postkonventioneller Ebene wird die Verantwortung nicht mehr institutionell zugewiesen und abgerechnet. Als diskursfahige Menschen sind wir alle mitverantwortlich für die solidarische Lösung von Problemen.
18 19 20
Niquet 1996,52 Niquet 1996, 56 Vgl. Apel 1998a
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Diskursethische Erweiterung der Gerechtigkeitsethik
4. Ein vierter Vorteil der reziproken Folgenverantwortung zeigt sich in unbekannten Situationen, in denen die Orientierung an Normen und die Anwendung dieser Normen durch Urteilskraft und Lebensklugheit nicht weiterhilft.21 Zu solchen Situationen zählen insbesondere neuartige Herausforderungen durch die technologische Zivilisation, wie z.B. die Gentechnologie. Entscheidungen, die etwa die Veränderung des menschlichen Erbguts betreffen, sind im Rückgriff auf die Pflicht der Gleichberechtigung und gleichen Mitverantwortung zu legitimieren. Daraus folgt, daß alle Handlungen zu unterlassen sind, die die Möglichkeit zukünftiger Verantwortungsübernahme einschränken.
Zusammenfassend seien hier die drei Stufen der transzendentalpragmatischen Moralbegründung noch einmal im Überblick dargestellt. 1. Die transzendentalpragmatische Begründung (Aufdeckung) der Grundnorm verständigungsorientierter Konsensbildung. Im Kontext der Begründung einer konkreten Handlungsentscheidung erhält die Grundnorm die Bedeutung einer Handlungsnorm. In Anlehnung an die Explikationen Böhlers und Niquets schlage ich folgende Formulierung vor: „Handle so, dass alle den Folgen Deiner Behauptung/Deiner Tat unter der subjunktiven (engl, conditional) Voraussetzung reziproker Normenbefolgung auf Grund von sinnvollen, situationsbezogenen und wohl informierten Argumenten zustimmen können."
2. Die diskursive Begründung situationsangemessener und akzeptanzgültiger Normen: Die diskursive Begründung von im situativen Kontext akzeptanzgültigen Normen kann in folgender Norm zum Ausdruck gebracht werden: „Handle nach der Norm, die in einem gemäß der Grundnorm durchgeführten praktischen Diskurs konsensfahig ist unter der Voraussetzung, dass die subjunktiv unterstellte allgemeine Befolgung von Ν in der realen Handlungswelt aller voraussichtlich Betroffenen empirisch wahr ist, d.h. unter der einschränkenden Bedingung, dass die im Diskurs begründeten Normen von allen befolgt werden."
Auch Günther sieht in der Veränderungsgeschwindigkeit der Moderne ein zusätzliches Orientierungsproblem, dass weder von der aristotelischen phronesis noch durch verallgemeinerbare Handlungsorientierungen adäquat bewältigt werden kann. Er wertet die „strukturelle Unbestimmtheit von Anwendungssituationen" allerdings, abweichend von dem hier vorgestellten Dreistufenmodell der diskursethischen Begründung moralischer Normen, als Grund für die Einrichtung spezieller Anwendungsdiskurse. (Vgl. Günther 1988, 18/19)
Drei Stufen transzendentalpragmatischer Normenbegründung
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3. Die diskursive Begründung moralstrategisch verantworteter und in diesem Sinne befolgungsgültiger Normen. In der Situation der faktisch nicht reziproken Normenbefolgung zählt nicht mehr die Akzeptanz-, sondern die Befolgungsgültigkeit einer Norm. Die Zumutbarkeitsbedingung der Normbefolgung in der realen Welt verdeutlicht Niquet in der Form des Prinzips der reziproken Folgenverantwortung: ,ßefolge als Handlungssubjekt in der realen Lebenswelt W (der allgemeine Reziprozität moralischen Verhaltens nicht rational hineinkonstruiert ist) nur solche Moralnormen, die Du in praktischen Diskursen als in W befolgungsgültig verantworten kannst". 22
22
Niquet 1996, 56
184
22
Diskursethische Erweiterung der Gerechtigkeitsethik
Postkonventioneller Verantwortungsuniversalismus: Stufe 7 und 8
Die Stufen 5 und 6 der moralischen Entwicklung nach Kohlberg sind noch nicht sprachpragmatisch, sondern im Paradigma der Bewusstseinsphilosophie formuliert. Moralischer Bezugspunkt ist noch nicht die ideale Kommunikationsgewe/wsc/jo/?, sondern das einsam denkende Subjekt. In diesem Sinne können die Stufen 5 und 6 als solipsistisch-postkonventionelle Stufen charakterisiert werden. Ebene der solipsistisch-postkonventionellen Moral:
Stufe 5: „Legalistische Vertragsorientierung"
Stufe 6: „Orientierung am Gewissen oder an Prinzipien" Kategorischer Imperativ
Um das solipsistische Verständnis der Stufen 5 und 6 zu verdeutlichen, wird ihre Charakterisierung durch Kohlberg noch einmal kritisch beleuchtet. Ein Grund für die Ausblendung der Handlungsfolgen ist die bewusstseinstheoretische Verkürzung der Vernunft auf ihren Gebrauch durch ein einsames Subjekt. Während der Überprüfung der Geltungsfähigkeit einer Maxime findet keine Verständigung statt. Die Bedürfnisse der Anderen werden nicht diskursiv ermittelt. Die richtige Interpretation dieser Bedürfnisse wird schlicht unterstellt. Das Subjekt soll ohne Kommunikation mit anderen die Verallgemeinerbarkeit von Maximen überprüfen. Die monologische Überprüfung aus der Perspektive des Subjekts führt - beabsichtigt oder nicht - zu einer Verfälschung des Prüfverfahrens. Die Überprüfung der moralischen Richtigkeit (Gültigkeit) einer Norm degeneriert zur Überprüfung der Generalisierungsfähigkeit einer bereits als gültig unterstellten Norm. Dies führt zu einer dreifachen Verkürzung 1. der Nichtberücksichtigung kultur- und kontextabhängig unterschiedlicher Bedürfnisinterpretationen, 2. der Nichteinlösung der argumentativen Überprüfung und Gewichtung der in Frage stehenden Ansprüche und 3. der Ausblendung der j edem Individuum in unterschiedlicher Art und Weise entstehenden Handlungsfolgen.
Postkonventioneller Verantwortungsuniversalismus: Stufe 7 und 8
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Ebene der reziprok-postkonventionellen Moral: Habermas korrigiert die gesinnungsethische Verkürzung des Universalisierungsverfahrens der Stufe 6 und ersetzt die solipsistische Gewissensüberprüfiing durch den praktischen Diskurs der Stufe 7.
Stufe 7: „Interaktiver Universalismus" (Habermas)1 Kommunikative Bedürfnisermittlung und diskursive Folgenverantwortung
Die Ergänzung durch die Ethik der kommunikativen Bedürfnisinterpretation der Stufe 7 bietet vier Vorteile: 1. Alle Subjekte ermitteln zunächst den Sinn der angemeldeten Ansprüche und verständigen sich sodann über dessen Bedeutung. Dies verhindert die ungeprüfte Unterstellung bereits interpretierter und bloß im Horizont der eigenen Wertegemeinschaft geteilter Bedürfnisinterpretationen. Die Ansprüche werden quasi von Ideologismen befreit. 2. Alle Subjekte rechtfertigen in realen Diskursen ihre Gewissensentscheidungen wechselseitig voreinander. 3. Bei der Überprüfung der Anspruchsberechtigung zählt einzig das bessere Argument. 4. In realen Diskursen treten mit den Anderen gleichzeitig auch die für die Anderen (und nicht nur für das Selbst) entstehenden Handlungsfolgen in den Blick. Dennoch greift auch die Stufe 7 in verantwortungsethischer Hinsicht zu kurz. Die Begründung moralischer Normen nach Maßgabe des Universalisierungsgrundsatzes übersieht das Problem der Zumutbarkeitsverantwortung} Die fehlende Überprüfung der Reziprozität der empirischen Normenbefolgung führt zur Begründung von Normen, deren Befolgung unzumutbar sein kann, in den Worten Niquets akzeptanz-, aber nicht befolgungsgültig sein kann. Die ausschließlich konsensorientierte Begründung von Normen, ungeachtet der Tatsache, ob auch das jeweilige Gegenüber diese Normen befolgt, kommt einer schutzlosen Preisgabe der eigenen und der Interessen Dritter (Schutzbefohlener) gleich. Apel zufolge ist ein verantwortlich Handelnder „nicht nur ausnahmsweise, sondern im Prinzip zu einer Einstellung verpflichtet, die im Verkehr mit anderen Menschen nicht nur diskursiv-kommunikative Methoden der Konfliktregelung vorsieht, sondern auch die - schon von Kant explizit verbotenen - Methoden der strategischen Instrumentalisierung der anderen Menschen (...)." Dies zeigt sich, wenn man sich klar macht, 1 2
Habermas 1976,83 Vgl. Niquet: 1996
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Diskursethische Erweiterung der Gerechtigkeitsethik
dass unter normalen Umständen ,jeder von uns täglich genötigt ist, (...) in mehr oder weniger krasser Form gegen das Prinzip einer universalistischen Diskursethik zu verstoßen, um nicht unverantwortlich zu handeln". 3 Auf der Ebene einer post-Kohlbergschen Verantwortungsethik gelte es, sich klar zu machen, „dass in Teil A der Ethik die Prinzipien dessen, was eigentlich sein sollte, unter radikaler Abstraktion von der Geschichte ermittelt werden." 4 Es gelte in Rechnung zu stellen, dass das Niveau der individuellen Moralentwicklung angewiesen ist auf das Entwicklungsniveau der gesamtgesellschaftlichen Verkehrsformen. Zu jeder ontogenetischen Stufe der moralischen Kompetenz muss die entsprechende Stufe der soziokulturellen Anwendungsbedingungen hinzugedacht werden. 5 Daraus zieht Apel den Schluß, dass das „ideale Diskursprinzip durch das regulative Prinzip einer moralischen Strategie der langfristigen progressiven Realisierung der Anwendungsbedingungen des Diskurses"6 ergänzt werden müsse. Die Dimension der geschichtlichen Zumutbarkeitsverantwortung (Apel) und die der reziproken Normenbefolgung (Niquet), die annähernd das Gleiche bezeichnen, werden auf Stufe 7 noch nicht hinreichend berücksichtigt. Der Universalisierungsgrundsatz U fordert, auch in der Wirklichkeit so zu handeln, als ob es die Differenz zwischen den strategischen Handlungsbedingungen der realen und den rein verständigungsorientierten Bedingungen der idealen Diskursgemeinschaft nicht gäbe. Diese Voraussetzung gleicht in der Darstellung Apels einer Stunde Null bzw. einem Neuanfang in der Geschichte und ist entsprechend realitätsfremd. Deshalb schlage ich vor, die von Habermas elaborierte Stufe 7 um eine weitere Stufe der Entwicklung des ethischen Urteilsvermögens zu ergänzen. Stufe 8 soll die Dimension der geschichtlichen und reziproken Zumutbarkeitsverantwortung zum Ausdruck bringen.
Stufe 8: „Verantwortungsethischer Universalismus" (Apel) Moralstrategisch reziproke Zumutbarkeitsverantwortung (Niquet) Stufe 8 überprüft die Zumutbarkeit der Befolgung moralischer Normen anhand der Erfüllung des Prinzips der reziproken Normenbefolgung. Dies sprengt den gesinnungsethischen Rigorismus der Vorgängerstufen und verdeutlicht neben der deontologischen auch die teleologische Bedeutung des Moralprinzips, die Verantwortung nicht nur vor der idealen Kommunikationsgemeinschaft, sondern auch gegenüber den Schutz- und
3 4 5 6
Apel 1 9 8 8 , 4 6 4 Apel 1 9 8 8 , 4 6 5 Vgl. A p e l l 988, 459 Apel 1988, 466. Die durch die Erfahrung der doppelten Mitgliedschaft in der idealen wie in der realen Argumentationsgemeinschaft aufgegebene Verpflichtung charakterisiert Apel als „moralische Pflicht an der Mitarbeit der progressiven Reduzierung der Differenz zwischen der antizipierten Idealität (der Diskursbedingungen, Verf.) und ihrer vorgegebenen Realität." (Vgl. Apel 1 9 8 8 , 4 6 7 )
Postkonventioneller Verantwortungsuniversalismus: Stufe 7 und 8
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Verantwortungspflichten der Mitglieder der realen Kommunikationsgemeinschaften und gegenüber dem historischen Stand der Entwicklung der kommunikativen Freiheit. Die geforderte moralische Langzeitstrategie ist im Sinne Apels keine contradictio in adjecto. Sie entspricht auch nicht einer „Selbstaufhebung des Diskursprinzips" 7 , sondern sie bringt das durch die Geschichte aufgegebene telos des Diskursgrundsatzes auf den Begriff. Das regulative Prinzip der langfristigen, progressiven Realisierung der Anwendungsbedingungen des Diskursprinzips schließt im Unterschied zu diesem selbst zweckrational-strategisches Handeln in Bezug auf Menschen nicht aus. Dies bedeutet jedoch nicht, dass das strategische Handeln keiner moralischen Orientierung unterworfen werden muss. Es untersteht „dem Maßstab einer übergeordneten regulativen Strategie, die a priori auf (...) das Ziel der langfristigen Selbstaufhebung der Notwendigkeit strategischen Handelns im Sinne einer nicht-diskursiven Interessendurchsetzung zugunsten der alleinigen Befolgung des idealen Diskursprinzips der Konfliktregelung" 8 bezogen ist. Exkurs: Dies ist m.E. auch der einzig legitime Grund für die Einführung von Quotierungsmaßnahmen. Allein die langfristige Selbstaufhebung der Notwendigkeit, einzelne Männer aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit benachteiligen zu müssen, ist als Grund für die Rechtfertigung von Quotierungsmaßnahmen universalistisch geltungsfähig. Die Benachteiligung von Männern ist so lange gefordert und legitim, bis sich die Verhältnisse in dieser Weise normalisiert haben, dass Frauen nicht mehr als Gruppe durch mehr oder weniger verdeckte Ausschlusskriterien benachteiligt werden. 9 Weder der Rachegedanke, die Vergeltung des Unrechts an Frauen durch neues Unrecht, das nun der Gruppe der Männer zugefügt wird, noch das Kriterium der ausgleichenden Gerechtigkeit im Sinne einer Entschädigung für eine jahrhundertelang währende Benachteiligung reichen hin, um die vorübergehende Suspendierung des Gleichheitsgebots zu rechtfertigen. Die Suspendierung lässt sich einzig im Lichte der zustimmungswürdigen Pflicht rechtfertigen, den sukzessiven Abbau geschlechtshierarchisch ungerechter Verhältnisse voranzutreiben.
7 8 9
Apel 1 9 8 8 , 4 6 3 Apel 1 9 8 8 , 4 6 7 / 6 8 Vgl. Berghahn/Beer 1996
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Diskursethische Erweiterung der Gerechtigkeitsethik
Gilligans Fürsorgeethik zwischen postkonventioneller Gesinnungs- und Verantwortungsethik
Aus der Perspektive der Stufe 8 ist Gilligans Kritik an der prinzipienethisch verkürzten Gerechtigkeitsethik Kohlbergs gerechtfertigt. Insoweit sie jedoch ihre Kritik durch die Höherbewertung der Stufe-3-Moral im Vergleich zu den Nachfolgestufen begründet, verfährt sie regressiv. Die durch persönliche Bindungen, Gefühle und Abhängigkeiten definierte Kleingruppenmoral der Stufe 3 kann lediglich als Rückfall in eine partikularistische Gruppenmoral gewertet werden. Die ausschlaggebenden Kriterien der Stufe 3 sind Gehorsam und Loyalität gegenüber der sozialen Nahgruppe bzw. Eingliederung in diese.1 Das Hin und Her zwischen Gilligans postkonventionell vorpreschendem Verantwortungspathos einerseits und ihrem Festhalten an den durch konventionelle Bindungen und Abhängigkeiten erwachsenen Werten andererseits zeigt eine gewisse Analogie zur Krisenstufe 41/2. Diese Stufe markiert den noch unsicheren und tentativ nach beiden Seiten ausgreifenden Übergang von der konventionellen zur postkonventionellen Moral. Stufe-4'/ 2 -Antworten sind durch einen extremen ethischen Relativismus und Individualismus gekennzeichnet. 2 Moralische Pflichten an sich werden geleugnet, Verbindlichkeiten nur unter Bezugnahme auf bestimmte Wünsche und Bedürfnisse zugestanden. Schließlich wird behauptet, moralische Regeln seien nur dann gut, wenn sie dem Selbstinteresse des Subjekts dienen. 3 Stufe 4V2 ist ein Übergangsstadium und kennzeichnet einen aus dem Gleichgewicht geratenen Zustand. Dieser Übergang vom konventionellen zum postkonventionellen oder auch vom gegenständlichen zum reflexiven Denken ist Apel zufolge, versteht man ihn nicht bloß onto-, sondern auch phylogenetisch, selbst ein Ausdruck der Aufklärungsphilosophie. In dieser Entwicklungsphase wird, betrachtet man ihre positiven Leistungen, sozusagen die Spreu vom Weizen getrennt. Es wird all das, was sich nicht als Bestandteil der internen Entwicklungsgeschichte der Ethik der verallgemeinerten Gegenseitigkeit rekonstruieren lässt, zu Recht als bloß konventionell bzw. funktional im Dienste der Interessen der Herrschenden (Männer) kritisiert. Apel bezeichnet die durch die Sophisten repräsentierte griechische Aufklärung und die durch Nietzsche und seine poststrukturalistischen Anhänger repräsentierte neuzeitliche Aufklärung als typische 4'/ 2 -Phasen. Solche Übergangsphasen münden, wenn sie positiv verlaufen, in die Ausbildung des postkonventionellen, selbstreflexiven Denkens. Wenn die Entwicklung jedoch negativ verläuft, wird sozusagen das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. In diesem Fall wird die berechtigte Kritik an bloß vorgetäuschten Rationalitätsansprüchen bis zur vollständigen Preisgabe aller, einschließlich der die Kritik selbst
Die in Kap. 1 charakterisierte Kompetenz der Stufe 3 im Sinne der idealen Gegenseitigkeit, andere so zu behandeln, wie man selbst gerne behandelt werden möchte (Goldene Regel), steht nicht in Widerspruch zu der Begrenzung auf die faktischen Wertorientierungen der Kleingruppe. Vgl. Bahners 1992 Vgl. Kohlberg 1973, in: Kohlberg 1995, 99 ff
Fürsorgeethik zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik
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tragenden Rationalitätsansprüche überzogen. 4 Eine solche Überdehnung äußert sich in performativen Selbstwidersprüchen. Es wird so heftig kritisiert, dass selbst der Rationalitätsanspruch der Kritik geleugnet oder gar nicht erst erhoben wird. Auf diese Weise überzogen, kann die Kritik nicht mehr als Kritik verstanden werden, sondern bestenfalls als Meinungsäußerung. Gilligans Argumente gegen die prinzipienethische Verkürzung der Entwicklungsstufen des ethischen Urteilsvermögens markieren m.E. eine ähnliche Übergangsphase auf höherem Niveau. Einerseits betont sie mit Emphase und mit Recht, dass durch Kohlbergs Konzentration auf das ethische Legitimationskriterium der Gerechtigkeit die „Anwendungsperspektive" gar nicht in den Blick kommt. Eine Prinzipienethik erscheint ihr aufgrund der fehlenden Einsicht in die ethische Pflicht der Folgenverantwortung gerade nicht geeignet, den höchsten Punkt der Entwicklung des ethischen Urteilsvermögens zu definieren. Andererseits gesteht sie die Prinzipienorientierung eher beiläufig zu, so dass der Eindruck entsteht, als wäre sie zugunsten der Orientierungen an den Werten der Anteilnahme und Verbundenheit bereit, auf die Autonomie und den Universalismus der Urteilsbegründung zu verzichten. Die Spuren des Relativismus definieren geradezu das Unterscheidungsmerkmal des von Gilligan und Murphy vertretenen postkonventionellen kontextuellen Relativismus im Gegensatz zum Universalismus der Gerechtigkeitsethik. Im postkonventionellen kontextuellen Relativismus dominiert das „Wie" einer Handlungsweise das „Ob" der Begründung der richtigen Handlungsweise.5 „The criterion for the adequacy ofmoral principles changes from the objectiv truth to the best fit".6 Wird die Konsensfähigkeit zugunsten einer Anpassungsleistung der zu begründenden Norm an das Kontextübliche übergangen, lässt sich das jedoch nicht als Fortschritt, sondern lediglich als Rückschritt in der Entwicklung des ethischen Urteilsvermögens verstehen. Aufgrund des gerichteten Entwicklungsverlaufs kann die postkonventionelle Verantwortungsethik, wenn es sich tatsächlich um eine solche handelt, die Prinzipienorientierung nicht ausschließen. Auf der Grundlage der Verantwortungsethik der Stufe 8 ist das Subjekt vielmehr in die Lage, die Gesinnungsethik der Stufen 6 und 7 als unzureichend zu kritisieren und sie in korrigierter Form zu integrieren. Das ethische Urteilsvermögen der Stufe 8 impliziert die Pflicht zur solidarischen Mitverantwortung der Folgen des individuellen ebenso wie des kollektiven Handelns. Die Konsenspflicht wird dadurch in keiner Weise ungültig. Es verhält sich vielmehr so, dass sie die Folgenverantwortung inhaltlich orientiert. Legitime Selbstbehauptungsinteressen dürfen nur in dem Maße geschützt und verteidigt werden, indem sie zur Bewahrung und Verbesserung solcher Bedingungen beitragen, die eine konsensuelle Lösung von Problemen ermöglichen.
4 5 6
Vgl. Apel 1995, 24 ff Vgl. Günther 1988, 194 Murphy/Gilligan 1980, 83
190
24
Diskursethische Erweiterung der Gerechtigkeitsethik
Deontologische und teleologische Sollgeltung der Ethik
Auf der Ebene der postkonventionellen Verantwortungsethik ist die Trennung zwischen dem konsensual-kommunikativen und dem strategischen Handeln sowie die zwischen einer deontologischen und einer teleologischen Ethik nicht mehr aufrechtzuerhalten. Beide idealtypisch unterschiedenen Ethiken müssen vielmehr miteinander vermittelt werden. Bei dieser Vermittlung kommt alles darauf an, dass ihre Unterscheidung nicht zurückgenommen wird, sondern die Voraussetzung bildet, auf deren begrifflicher Grundlage eine Vermittlung angestrebt werden sollte. Die Grundnorm konsensualer Normenbegründung erhält im Rahmen der Begründung situationsangemessener Handlungsnormen und -Strategien einen teleologischen Stellenwert. Dieses telos ist nicht i.S. einer spekulativen Geschichtsphilosophie zu verstehen. Die Ethik soll nicht durch das Wissen um den notwendigen Gang der Geschichte ersetzt und langfristig überflüssig werden. Das diskursethische telos ist ein „Telos der Beseitigung der Hindernisse, die der Anwendung des reinen Diskursprinzips im Wege stehen." 1 Traditionelle und naturwüchsige Institutionen sollen sukzessive durch solche ersetzt werden, die der durch den Universalisierungsgrundsatz U geforderten Metainstitution des argumentativen Diskurses Rechnung tragen. Die angestrebte Vermittlung führt die Unterscheidung zwischen einer Ethik des guten Lebens (eudaimonia) und einer Ethik der Gerechtigkeit nicht wieder- z.B. im Sinne der platonischen Staatsutopie2 - zusammen. Die Dimension der Zumutbarkeitsverantwortung ist zwar auch teleologisch, aber nicht am telos des guten Lebens - im Sinne der Uniformierung individueller Lebensstile - orientiert. Das Grundprinzip der Diskursethik impliziert nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Dem gleichen Recht auf die individuelle Realisierung des guten Lebens entspricht die gleiche Pflicht, sich um die Realisierung diskursermöglichender Verhältnisse zu bemühen. Das Recht auf Selbstverwirklichung ist „in dem Maße a priori anerkannt, als die Realisierung mit der Universalisierung der Gegenseitigkeitsansprüche und Pflichten vereinbar ist."3 Daher gilt es, „Normen zu begründen, welche die für alle verbindlichen und einschränkenden Bedingungen (constraints) für die Realisierung des guten und glücklichen Lebens festlegen." 4 Die Einschränkung der individuellen Freiheit durch ethisch legitimierte Rechtsnormen ist für die Realisierung des guten Lebens unabdingbar. Allein die permanente Neubegründung rechtsstaatlicher Prinzipien und Normen vermag die Freiheit der individuellen Lebensgestaltung zu sichern. Die individuelle 1 2
3 4
Apel 1988, 147 Der Verweis auf die platonische Staatsphilosophie soll verdeutlichen, dass die hier angestrebte Vermittlung zwischen deontologischer und teleologischer Sollgeltung der Ethik nicht das Ziel verfolgt, den Pluralismus wieder rückgängig zu machen. Die Realisierung inhaltlich konkreter Lebensentwürfe soll gerade nicht als für alle verbindlich festgeschrieben, sondern freigestellt werden. Apel 1 9 8 8 , 4 6 2 Apel 1988, 147
Deontologische und teleologische Sollgeltung der Ethik
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Selbstverwirklichung „im Sinne des >guten Lebens< ist also durch das Prinzip (der Ethik, Verf.) nicht vorprogrammiert, sondern als komplementäre Aufgabe der einzelnen (in einem gewissen Sinne auch der kollektiven Lebensformen) freigegeben."5 Die universalistische Sollgeltung des Diskursprinzips verhindert nicht, sondern sie ermöglicht den Pluralismus. Diskursermöglichende Verhältnisse und Verkehrsformen sind Garanten dafür, dass die Bestimmung des individuellen Glücks in den Grenzen, die durch die Anerkennung der Würde und der Autonomie einer jeden Person gesteckt sind, erfolgen kann. Die Reife des ethischen Urteilsvermögens zeigt sich nicht allein in der Kenntnis moralischer Prinzipien, sondern auch im Bewusstsein moralischer Verantwortung. Das Kriterium moralischer Verantwortung ist das der reziproken Befolgung zustimmungswürdiger Normen. Dieses Kriterium relativiert weder die ethische Gültigkeit des Konsensprinzips, noch korrigiert es dessen Anwendung im Sinne der aristotelischen Billigkeit, eines Ausgleichs der Differenz zwischen allgemeinem Prinzip und konkreter Einzelfallnorm. Die reziproke Normenbefolgung muss vielmehr als Explikation der teleologischen Sollgeltung des Konsensprinzips verstanden werden. Die Konsensfahigkeit legitimiert nicht nur die Handlung als solche, sondern auch die Folgenverantwortung. Die teleologische und die deontologische Sollgeltung des Prinzips der Ethik sind gleich ursprünglich und in gleicher Weise, nämlich ohne Einschränkung, verbindlich. Die Pflicht der solidarischen Mitverantwortung der Folgen menschlichen Handelns muß nicht erst qua gesellschaftlicher Rollenzuteilung (Gehlen) oder willentlicher Zustimmung (Tugendhat) in Geltung gesetzt werden. Durch die Fähigkeit des Argumentierens sind wir über die Grenzen kultureller Wertsetzungen hinaus zur ethischen Rechtfertigung aller durch uns beeinflussbaren Handlungen und Handlungsfolgen verpflichtet. Die umfassende Sollgeltung des Prinzips der Ethik fasst Apel in den Begriffen Gleichberechtigung und gleiche Mitverantwortung. Die universalistische Gültigkeit dieses erweiterten Prinzips der Ethik erhellt aus der Selbstreflexion des primordialen (ursprünglichen) Diskurses. Diese erweist das Prinzip der Gleichberechtigung und der gleichen Mitverantwortung als unhintergehbare und daher letztgültige Bedingungen des Argumentierens. Diese Orientierung ist ohne Unterschied für beide Geschlechter verbindlich. Frauen und Männer sind somit in gleicher Weise verantwortlich für die gerechte und solidarische Lösung moralischer Probleme.
Apel 1988, 462
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(1992) Philosophische Aufsätze, Frankfurt/M: Suhrkamp (stw 1017, 1992) (1992a) Zum Begriff und zur Begründung von Moral, in: Tugendhat (1992), 315-333
-
( 1993) Vorlesungen über Ethik, Frankfurt/M: Suhrkamp (stw 1100)
Vuillemin, Jules (1982) On Lying: Kant and Benjamin Constant, in: Geismann/Oberer (Hg.) (1986), 103-117 Wagner, Hans (1978) Kant gegen ,ein vermeintes Recht, aus Menschenliebe zu lügen', in: G. Geismann/H. Oberer (Hg.) (1986), 95-102 Walker, Lawrence J. (1984) Geschlechtsunterschiede in der Entwicklung des moralischen Urteils, in: Nunner-Winkler, (Hg.) (1991), 109-120 (Original 1984) -
(1986) Cognitive Process in Moral Development, in: Sapp (Hg.) (1986), 109-145
Weber, Max (1919) Politik als Beruf, in: Weber (1973), 167-185 -
( 1973) Soziologie. Universalgeschichtliche Analysen. Politik, hg. v. Johannes Winckelmann, Stuttgart: Kröner, 5. Überab. Aufl. 1973 (KTA 229)
Wellmer, Albrecht (1995) Zur Kritik der hermeneutischen Vernunft, in: Demmerling/Gabriel/Rentsch (Hg.) (1995), 123-156 Wittgenstein, Ludwig (1921) Tractatus logico-philosophicus, Frankfurt/M: Suhrkamp 1963 (es 12) (1953) Philosophische Untersuchungen, Frankfurt/M: Suhrkamp, 1980 (stw 203) (1969) Über Gewißheit, hg. von G.E.M. Anscombe und G.H. von Wright, Frankfurt/M: Suhrkamp (BS 250), 15.-16. Tsd. 1982 Young, Iris M. (1990) Impartiality and the Civic Public. Some Implications of Feminist Critiques of Moral and Political Theory, in: dies., Throwing Like a Girl and Other Essays in Feminist Philosophy ans Social Theory, Bloomington/lndianapolis: Indiana Univ. Press 1990, 92-113
Personenregister
Althof, Wolfgang Apel, Karl-Otto
44, 55, 56, 74-76, 85 13, 20-23, 30, 67, 97,
Haan, Nora Habermas, Jürgen
100-108, 123-136,152,
49, 52, 59, 70, 95-109,
163-166, 174-188 Aristoteles
65 14, 15, 20-29, 34, 45,
12, 14, 112-114
113,
116,
117,
122,
134,
135,
140-146, Baier , Anette
145
Böhler, Dietrich
28, 104-112, 125-140,
Hegel, GWF
153, 164, 165, 174-181
Heidegger, Martin
110, 135, 141
153,
14, 151 23, 123, 124, 127, 129, 141
Höffe, Otfried Chodorow, Nancy
138,
152,
163-178, 184-186
13
Benhabib, Seyla
Brunkhorst, Hauke
121,
109, 110
50, 51
Constant, Benjamin
171, 172, 181
Dilthey, Wilhelm
197
Döbert, Rainer
Iking, Karl-Heinz Kant, Immanuel
77-83
14 13, 38, 41, 42, 49, 58, 64, 70, 78,
79, 114,
1 15, 151,
155-159,
163, 171-174, 81, 185 Edelstein , Wolfgang
31
Kersting, Wolfgang
68-71
Kettner, Matthias Freud, Sigmund Gadamer, Hans-Georg
44, 45
Kohlberg, Lawrence.... 1 1-59, 65, 67-73, 80,
123, 142
93-102, 116-122, 144,
Garz, Detlef Gilligan, Carol
160, 181
74-76
148, 152-154,158-161,
9, 11, 19-27, 47-78,
174, 184, 188
83-94, 120-122, 143, 144-169, 174, 188, 189 Gronke, Horst
104,
107,
112,
138,
174,
178,
Kuhlmann, Wolfgang.. 14, 21, 38, 105, 106, 108, 112,
174, 178 Günther, Klaus
170, 173,
113, 134,
135, 136, 176
181, 182, 189
Maihofer, Andrea Mead, George Herbert Moller Okin, Susan
47 58, 149, 152 7 1 , 9 0 , 161
210
Personenregister
Montada, Leo
30-33
Peirce, Charles Sanders Piaget, Jean
Nagl-Docekal, Herta
51, 52, 57-59, 142
Niquet, Marcel
163, 168, 174,
Noddings, Nel
59, 66
117 Rawls, John
13, 14, 41, 42, 58, 67, 68, 71, 89, 97, 108,
3 1 , 3 2 , 74-88
O'Neill, Onora
205
Oerter, Rolf. Oser, Leo
27, 31, 44, 54, 67, 82,
175,
179, 180, 183, 186 Nunner-Winkler, Gertrud
193
152, 161 Schopenhauer, Arthur
206
204, 205 44, 55, 56, 76, 85
Schreiner, Günter
198, 206
69
Tugendhat, Ernst
14, 38, 68, 129
Pateman, Carol
Pauer-Studer, Herlinde 13-15, 25, 65-70, 83, 89, 90, 174
Wittgenstein, Ludwig
109, 123-129, 136