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German Pages 112 [122] Year 2014
∂ Praxis
Farbe Entwurfsgrundlagen Planungsstrategien Visuelle Kommunikation
Axel Buether
Edition Detail
Autor Axel Buether, Prof. Dr.-Ing. Bergische Universität Wuppertal, Didaktik der visuellen Kommunikation; Vorstandsvorsitzender des Deutschen Farbenzentrums e.V.
Co-Autoren Anke Augsburg, Dipl.-Des. Dipl.-Ing. Thomas Danzl, Prof. Dr. phil. Dott. Andreas Kalweit, Prof. Dipl.-Ing. (FH) Dipl.-Des. AnneMarie Neser, Dr.-Ing. M.A. Timo Rieke, Verw.-Prof., Dipl.-Des. Lino Sibillano, Kunsthistoriker M.A. Axel Venn, Prof. Dipl.-Des. Marcella Wenger-Di Gabriele, Dipl.-Farbgestalterin HF Stefanie Wettstein, Dr. phil., Kunsthistorikerin M.A.
Verlag Redaktion und Lektorat: Steffi Lenzen (Projektleitung); Kirsten Rachowiak (Fachlektorat); Samay Claro, Sophie Karst, Florian Köhler, Nicola Kollmann, Eva Schönbrunner Zeichnungen: Ralph Donhauser, Emese M. Köszegi, Nicola Kollmann, Simon Kramer Herstellung / DTP: Simone Soesters Reproduktion: ludwig:media, Zell am See Druck und Bindung: Kessler Druck + Medien, Bobingen
Ein Fachbuch aus der Redaktion ∂ Institut für internationale Architektur-Dokumentation GmbH & Co. KG, München Hackerbrücke 6, 80335 München www.detail.de Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werks oder von Teilen dieses Werks ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. © 2014, erste Auflage ISBN: 978-3-920034-96-6 (Print) ISBN: 978-3-95553-183-6 (E-Book) ISBN: 978-3-95553-188-1 (Bundle)
∂ Praxis Farbe
Inhalt
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Einführung
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Materialität und Technologie
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Entwurfsgrundlagen Farbsysteme – illustrieren, vergleichen, kommunizieren Konzeptarbeit mit Farbe im Raum Farbkonzepte Gestalten von Raumatmosphären – Grundlagen zur Gestaltung mit Licht
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Farbraum Stadt – Farbraum Land
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Farbe in der Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft Die Farbigkeit der Architektur im 20. Jahrhundert. Erkennen. Verstehen. Erhalten. Architekturfarbigkeit der 1970er-Jahre in Berlin und Zürich – zur Geschichte der Farbkultur für den Umgang mit Farbe in Gegenwart und Zukunft Von der klassischen Moderne zur Farbgestaltung der Gegenwart
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Projektbeispiele Museum Brandhorst in München (D) Universitätsgebäude in Paris (F) Jüdisches Gemeindezentrum in Mainz (D) Realschule in Eching (D) Blumenmarkt in Barcelona (E) Museum und Kulturzentrum in Aomori (J) Sozialer Wohnungsbau in Paris (F) Kindergarten in Monthey (CH) Neues Stadtzentrum Barking (GB)
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Anhang Autoren Literatur Hersteller und Firmen Bildnachweis Sachregister
Die Funktion der Farbe – Einführung in die Farbtheorie und Begriffsklärung Axel Buether
Farbe ist ein Phänomen und zugleich Medium der visuellen Wahrnehmung und Kommunikation. Farbe leuchtet und Licht färbt Als Phänomen [1] prägt Farbe das anschauliche Erlebnis des menschlichen Seins in der Umwelt, während sie als Medium auf inhaltliche Bedeutungen, emotionale Stimmungen und funktionale Zusammenhänge verweist. Als Lichtfarbe erscheint sie dem Betrachter atmosphärisch aufgelöst, als Körperfarbe wirkt sie gestaltbildend und materialisierend. Den Gegenpol des farbigen Lichts bildet die Dunkelheit, deren Einfluss auf die Ästhetik und Funktion der Erscheinungswelt sich am räumlichen Spiel der Schatten zeigt. Die vielschichtigen Empfindungen der Farbe resultieren aus den Wechselwirkungen des Lichts mit dem gesamten Organismus. Farbe und Licht bilden zwei Seiten des gleichen Phänomens, da Farbe leuchtet und Licht färbt. Farben prägen das klimatisch und topografisch differenzierte Erscheinungsbild des Naturraums. Sie ermöglichen diversen Lebensformen artspezifische Formen der Orientierung und Kommunikation und sie bilden Identität. Diese biologischen Funktionen prägen nicht nur den Naturraum, sondern auch die Ästhetik des Kulturraums, der die Formen der visuellen Kommunikation des Menschen zur Anschauung bringt. Das Ausdrucks- und Vermittlungspotenzial der Farbe entfaltet sich mit der kulturellen Entwicklung von Individuen und Gesellschaften, findet Ausdruck in allen Lebensäußerungen, in Worten, Bildern, Objekten, Räumen und Performances. Für die ästhetische Gestaltung der Umwelt ist Farbe das wichtigste Entwurfswerkzeug, da sich die abstrakten Liniengefüge der Planungsphase in den atmosphärisch und stofflich geprägten Erscheinungsformen gebauter Räume konkretisieren. Die gesamte materielle
Kultur ist nach den biologischen Prinzipien der visuellen Wahrnehmung gestaltet, da der Mensch den Artefakten ihren Verwendungszweck ansehen muss, damit er sich daran orientieren, diese in Gebrauch nehmen oder sich vor ihnen schützen kann. Eine unverzichtbare Funktion der Farbe ist die Orientierung, da die räumliche Auflösung aller materiellen Strukturen mit jeder differenzierbaren Helligkeitsnuance und jedem wahrnehmbaren Farbton exponentiell zunimmt. Dieses Prinzip lässt sich an den Pixelbelegungen eines digitalen Bilds nachvollziehen. Ganze Bildebenen verschwinden oder tauchen auf, verschieben sich oder gehen neue Beziehungen ein, wenn Farbe und Helligkeit manipuliert werden. Die Trennung des Farbspektrums in Bunt- und Unbuntfarben folgt der Arbeitsweise des visuellen Systems, das die Buntheit und Helligkeit von Licht- und Körperfarben getrennt verarbeitet. Durch Übung der Farbwahrnehmung lassen sich die unbunten Anteile eines Farbtons erkennen und einer Grautonstufe im Spektrum zwischen Schwarz und Weiß zuordnen. Ebenso lassen sich die bunten Anteile reinen Farben oder Farbmischungen zuordnen, deren Systematik die Verarbeitung visueller Signale im Gehirn widerspiegelt, wie an anderer Stelle erläutert (siehe S.12ff.). Reine Schwarz-, Weiß- und Grautöne kommen in der Natur nur selten vor, da organische und anorganische Materialien aufgrund ihres Entstehungsprozesses immer farbige Teilchen einschließen. Die Ästhetik der Unbuntfarben gründet sich auf die Abstraktionsvorgänge bildnerischer Kulturtechniken, bei denen Informationen durch Linien sowie graduelle Abstufungen zwischen hell und dunkel erzeugt werden. Druckerschwarz und Papierweiß dominieren heute nicht nur die Text- und Bildproduktion, sondern über die industrielle Färbung von Werkstoffen
das Erscheinungsbild des gesamten Kulturraums. Die hierfür am häufigsten verwendeten reinen Unbuntpigmente sind das kristalline Titanweiß und der druckerschwarze Ruß, der als Nebenprodukt von Verbrennungsvorgängen auf nahezu reinen Kohlenstoff reduziert ist. Zusammen machen die beiden biologisch unbedeutenden Unbuntfarben rund zwei Drittel der weltweiten Pigmentproduktion aus [2], was Auswirkungen auf das Erscheinungsbild der Erde hat, die sich inzwischen vom Weltraum aus beobachten lassen. Der grundlegende Unterschied zwischen dem Natur- und Kulturraum lässt sich daher gleichermaßen an Formen und Farben erkennen. Durch die Reduktion des Spektrums auf die Unbuntfarben verschiebt sich die Wahrnehmung der Umwelt, da einige Informationsebenen wie Licht und Schatten stärker hervortreten, während andere vollständig verschwinden. Durch den Verzicht auf Buntfarben steigert sich die Wahrnehmung der Kanten und Volumen von Gebäuden und Objekten in dem Maß, wie die Oberfläche an Bedeutung verliert. Längen, Breiten, Tiefen, Proportionen und Fügungen treten durch die Betonung der Umgrenzungslinien in den Vordergrund der Wahrnehmung. Informationen über die Tageszeit, Stimmung, Atmosphäre, Materialität und Haptik verlieren durch den Abstraktionsvorgang der Buntfarbigkeit an Bedeutung und werden zum Hintergrund. Farbe, die auf diese Weise ihre Aussage verliert und nur noch als Füllmaterial linearer Strukturen eingesetzt wird, gerät leicht zur Dekoration. Das Maß der Buntheit verschiebt den Fokus der Objekt- und Raumwahrnehmung, weshalb im Gestaltungsprozess von Architektur und Design Farben stets zweckgerichtet eingesetzt werden sollten. Zu viele Farben, oder genauer: farblich codierte Informationen können ebenso desorientierend wirken wie zu wenige. 7
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Farbgestaltung ist visuelle Kommunikation. Das richtige Maß an Buntheit pendelt sich nach den Gesetzen der Evolution ganz von selbst ein, weshalb alle Farben in Flora und Fauna exakt so sind, wie es für den Erhalt der Lebensformen notwendig und angemessen ist. Stark buntfarbige Lebensräume wie Korallenriffe oder Blumenfelder sind ebenso Teil komplexer Kommunikationssysteme wie Vögel, Insekten und andere polychrom gefärbte Lebensformen. Sobald sich etwas am Gleichgewicht der Naturfarbigkeit verändert, führt das zu Anpassungen oder zum Verschwinden der betroffenen Lebensformen. So ist der Fortbestand von über 60 % aller Pflanzenarten der Erde auf eine Bestäubung durch Bienen angewiesen, die sich im Fernbereich am spezifischen Farbspektrum der Blüten orientieren [3]. Mit der Gestaltung des Kulturraums grenzt sich die menschliche Spezies eindeutig vom Erscheinungsbild des Naturraums ab. Die Farbigkeit der Städte, Bauten, Innenräume, Gebrauchsgegenstände und Kunstwerke kündet von neuen Funktionen, die das Zusammenleben von modernen Gesellschaften prägen. Durch die kulturelle Evolution des Menschen haben sich viele Anforderungen an die farbliche Codierung der Umwelt gewandelt. Die Bewertung von Geschmack und Nährwert der Nahrung, von Form und Haptik der Oberflächen, von Atmosphäre und Geborgenheit der Lebensräume erfolgt nach wie vor auf der Grundlage ihres farblich codierten Erscheinungsbildes. Hinzugekommen sind die kulturell codierten Oberflächenfarben unzähliger Produkte, Verpackungen, Accessoires, Interieurs und Fassaden, welche die evolutionären Wahrnehmungs- und Orientierungsmechanismen bis heute maßgeblich verändert haben [4]. Während die Farben der Natur etwa 13 bis 20 Millionen Spezies Orientierung bieten, dienen die Farben des Kulturraums den kommunika8
tiven Bedürfnissen einer einzigen Art [5]. Die farbliche Gestaltung des Kulturraums erfolgte bis zur Bildung moderner Gesellschaften weitgehend durch die Verwendung und Anwendung regionaler Ressourcen und Technologien [6]. Importe von Baumaterialien, Werk- und Farbstoffen waren extrem aufwendig und konnten nur bei bedeutenden Bauvorhaben, Produkten und Kunstwerken eingesetzt werden. Die Farbigkeit des historisch gewachsenen Kulturraums spiegelt ökonomische Prozesse wider und dient dem biologischen Zweck der Repräsentation, die das Sozialverhalten innerhalb einer Spezies steuert. Farb- und Formcodes ermöglichen die gesellschaftliche Differenzierung von Öffentlichkeit und Privatheit, Armut und Reichtum, Religiosität und Profanität, Ländlichkeit und Urbanität. Im Verlauf der Kulturgeschichte hat sich hierdurch ein regional differenziertes weltumspannendes Farbcodierungssystem gebildet, über die sich gesellschaftliche Identität wahrnehmen, gestalten und vermitteln lässt. Mit der Industrialisierung vollzog sich ein tief greifender Wandel der Produktions-, Transport- und Kommunikationsbedingungen. Die globale Verwendung moderner Baustoffe und Technologien führt zu einer zunehmenden Vereinheitlichung des Erscheinungsbilds der Siedungsräume des Menschen. Der hierdurch bewirkte Identitätsverlust fordert eine Neuorientierung, die gestalterisch planerische Berufe und politische Entscheidungsträger vor große Herausforderungen stellt und verantwortungsvolles Handeln fordert. Das richtige Maß der Farbgestaltung, die immer eine farbliche Codierung ist, muss im Entwurfsprozess stets neu im Kontext der Anwendungssituation und Aufgabe ausgehandelt werden, damit Orientierung erhalten, erzeugt, bleibt oder verbessert wird. Physikalische, chemische, neurobiologische, psychologische, philoso-
Farbe als reine Form im Bild: Homage to the Square von Josef Albers, 6 Serigrafien, Siebdruck, 1965 Farbe als Vermittler inhaltlicher Bedeutung im Bild: Maisons à l’Estaque von Paul Cézanne, Ölgemälde, um 1885 Schemazeichnung zur Verteilung der Sehzellen in der Netzhaut. Wenn der Blick den Punkt im Zentrum fixiert, erscheinen alle Buchstaben in gleicher Auflösung.
phische, semiotische, kulturhistorische, soziologische und anwendungspraktische Erkenntnisse können dabei Hilfestellung leisten. Dennoch gibt es keine Berechnungsmethode, kein Beschreibungsmodell und kein Planungsverfahren, mit denen sich die vielschichtigen Wirkungen von Farbe im Raum vollständig erfassen lassen. Farbe wird zum Entwurfswerkzeug, wenn sich Gestalter, Planer und Entscheidungsträger von konventionellen Bewertungen wie »schön« und »hässlich« lösen und sich stattdessen mit den kommunikativen Funktionen der Farbwahrnehmung und Farbgestaltung auseinandersetzen. Farbe als Medium der visuellen Wahrnehmung Sobald der Mensch seine Augen öffnet, treten die etwa 120 bis 250 Millionen Sehzellen beider Augen in permanenten Informationsaustausch mit der Umwelt. Nicht einmal 5 % können das Spektrum des Lichts in Farbsignale verwandeln, und dennoch bestimmen diese die Form der visuellen Wahrnehmung. Dass der Mensch im gesamten Blickfeld dennoch eine farbige, scharf konturierte Umwelt sieht, folgt aus den Verarbeitungsprozessen im Gehirn, deren Verständnis für die Erklärung von visueller Wahrnehmung und Kommunikation unverzichtbar ist. Im Wahrnehmungsprozess stellt der Betrachter durch seine Blickbewegungen Fragen an das farbige Erscheinungsbild der Umwelt und sucht hierdurch zugleich nach Antworten. Über Blickgesten fragt ein Betrachter, um was es sich handelt, wo etwas ist, woher etwas kommt und wohin es gehen wird, was etwas getan hat, tut und tun wird. Dieser Frage- und Antwortprozess bestimmt die Gegenstandsbildung im Prozess der visuellen Wahrnehmung. Was nicht hinterfragt wird, ob über Worte, Blicke oder bildnerische Darstellungen,
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bleibt im Hintergrund der Wahrnehmung und wird nicht gesehen. Dieser Sachverhalt gilt für die bildende Kunst, die längst eine professionelle Vermittlung betreibt, wie für die Wahrnehmung des architektonischen Raums. Sinn und Bedeutung von Räumen, Bildern und Texten sind durch die Existenz eines kulturell determinierten Sprachraums objektiv vorhanden und müssen dennoch subjektiv erschlossen werden. Der Umfang, die inhaltliche Qualität und die Bewertung der Antworten werden durch das Aufmerksamkeitsverhalten und die Vorerfahrungen des Betrachters bestimmt. Das Sehen beinhaltet die kognitive Verarbeitung visueller Raumdaten, die objektiv ausschließlich als Farbimpulse der Netzhaut vorhanden sind. Bedeutungen und Sinnzusammenhänge muss sich das Subjekt über seine Vorerfahrungen im Kontext der Verwendungssituation eigenständig erschließen. Farbe ist daher das Medium der visuellen Wahrnehmung. Aus diesem Grund ist der Mensch in der Regel weniger an der Farbe selbst, sondern an den hierüber möglichen Deutungen der Inhalte interessiert. Anschaulich verstehbar wird dieser Unterschied anhand der Gegenüberstellung von abstrakter und konkreter Malerei, wo Farbe als reine Form oder Vermittler inhaltlicher Bedeutung angewendet wird (Abb. 1, 2). In Architektur und Design wird Farbe in vergleichbarer Weise eingesetzt, da sie als reine Form oder Vermittler von Inhalt wirksam werden kann. Die ganzheitliche Betrachtung der Umweltwahrnehmung erklärt die Komplexität der visuellen Kommunikation zwischen Experten und Laien, Planern und Nutzern, Einheimischen und Fremden, zwischen Menschen mit unterschiedlichsten Sozialisierungen, Altersstufen, Bildungshintergründen. Die Wahrnehmung und Wirkung von Farben lässt sich daher nur in Bezug auf den soziokulturellen Entwicklungshintergrund der Zielgruppe
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planen, die als Individuen, Gruppen, Milieus oder Gesellschaften in den Entwurfsprozess einbezogen werden können. Physiologisch betrachtet lässt sich der Frage- und Antwortprozess der visuellen Kommunikation an den Informationsflüssen im Wahrnehmungssystem ablesen, da mehr sensomotorische Daten vom Gehirn zu den Augenmuskeln gelangen als umgekehrt. Nur wer aktiv beobachtet und die Umwelt mit aufmerksamem Blick erforscht, kann aus der Verteilung farblicher Pixel im Gesichtsfeld komplexe inhaltliche Zusammenhänge konstruieren. Zugleich verkürzt sich dieser Vorgang durch stetige Übung, da das Gehirn unwillkürlich Methoden entwickelt, die wichtigen Fragen zu stellen, indem es den Blick zu den bedeutsamen Stellen im Blickfeld lenkt. Gleich der Spitze seines Zeigefingers im Tastvorgang bewegt der Beobachter seinen Blick permanent über das zeiträumlich strukturierte Netz farblich codierter Flächen und zeichnet Buchstaben, Formen und Räume. Der inhaltliche Zusammenhang und die Funktion gebauter Räume erklärt sich daher nicht aus dem, was der Planer zeichnet, sondern aus dem, was ein Beobachter daraus im Vorgang der Wahrnehmung konstruiert. Nicht der Zeichenstift, sondern die Blickführung entlang der Farbflächen im Gesichtsfeld entscheidet über die Ästhetik der Erscheinung, welche durch die Wahrnehmung der inhaltlichen und emotionalen Funktion aller Teile untereinander und im Bezug zum Ganzen geprägt wird. Die Form folgt der Farbe
Während die Blickführung auf der Zeichnung durch die Linie gesteuert wird, folgt diese im gebauten Raum der Farbe. Die Orientierungsbewegungen der Augen im Blickfeld lassen sich über mobile und stationäre Eye-Tracking-Verfahren erfassen, die den Neuro- und Kommunikationswis-
senschaften die systematische Erforschung der visuellen Wahrnehmung und Kommunikation ermöglichen. Im Bereich von Marketing und Werbung haben sich in den letzten Jahren neben umfangreichen psychologischen Studien zum Nutzerverhalten auch leistungsfähige Anwendungen für die Praxis entwickelt. In Architektur, Kunst und Design hat die Nutzung der Blickmessung gerade erst begonnen, wozu mobile Eye-TrackingSysteme beitragen. Über Blickmessungen lässt sich zeigen, wie sich ein spezifischer Beobachter Bilder, Objekte und Räume erschließt, da sich die zeitliche Abfolge der Fixationen oder Ruhemomente des Auges erfassen lässt, in denen Informationen wahrgenommen werden können. Umso länger die Verweildauer der Augen, je intensiver erfolgt die Auseinandersetzung mit Form und Inhalt der Farbkomposition. Plandarstellungen, Zeichnungen, Grafiken, Malereien, Fotos, Filme, Skulpturen, Performances und Architektur werden unterschiedlich wahrgenommen. Die Lesbarkeit von Inhalt und Funktion wechselt mit der Darstellungsform, was den Planer zur Auswahl der Technik und medienspezifischer Reduktion zwingt. Jede Veränderung der farblichen Codierung oder Kontraste kann die Blickbewegungen und damit den Deutungsvorgang beeinflussen. Die Entscheidung, welche Oberflächenfarben an welcher Stelle des Entwurfs zum Einsatz kommen, sollte sich daher weniger auf subjektive Meinungen, als auf erprobtes Wissen über das Blickverhalten der Nutzer oder Zielgruppe stützen. Orientierung im Raum ist kein Zufallsprodukt, sondern das Ergebnis verständlich gestalteter Botschaften. Die Blickbewegung eines Beobachters orientiert sich unwillkürlich an den bedeutsamsten Raumdaten, über die er seine Orientierung in der Umwelt herstellt und aufrechterhält. An dieser Stelle sollen die formalen Wir9
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kungen der Farbe behandelt werden, da sie sich aus der Physiologie des Wahrnehmungssystems herleiten und exemplarisch erklären lassen. Visuelle Wahrnehmung beginnt immer mit der Herstellung von Orientierung im Raum, wozu die Lage der inhaltlich bedeutsamen Elemente zur Lichtquelle, zur topografischen Bezugsebene und zum Betrachter bestimmt werden muss. Orientierung wird daher vom Gehirn nur insoweit hergestellt, wie Inhalte gedeutet und in einem bereits bekannten räumlichen Bezugssystem verortet werden können. Hieraus wird deutlich, warum und wann Menschen Probleme mit ihrer räumlichen Orientierung bekommen. Große Infrastrukturen wie Bahnhöfe und Flughäfen können ungeübte Nutzer daher ebenso verwirren wie zersiedelte oder monoton gestaltete Vorstädte oder fremde Kulturräume. Das räumliche Bezugssystem im Gedächtnis des Betrachters besteht nicht nur aus prägnanten Farbmerkmalen, sondern weit mehr aus Form- und Bewegungscodierungen, die jedoch ebenfalls über Farbcodes wahrgenommen werden, wenn auf Berührung verzichtet werden muss [7]. Farbe gewinnt an Bedeutung, je größer der räumliche Maßstab wird und je weniger alle anderen Sinne zur Orientierung beitragen können. Die Grammatik des Sehens
Die Blickerfassung belegt die Notwendigkeit der Komposition aller bedeutsamen Einzelelemente im Gesichtsfeld zu einem verständlich wahrnehmbaren Sinnganzen. Da immer nur zwei Grad des Blickfelds fixiert und bewusst gesehen werden können, bildet der gesamte Rest in diesem Moment den Hintergrund der Wahrnehmungssituation. Dieser ist nicht nur atmosphärisch bedeutsam, sondern leitet den Blick zum nächsten bedeutsamen Ziel im Blickfeld. Oft erfolgt keine 10
Das Hermann-Gitter: Die Kreuzungspunkte erscheinen im Blickzentrum weiß und in der Peripherie schwarz, was den Einfluss von Interesse und Aufmerksamkeit auf die Farb- und Formwahrnehmung veranschaulicht.
Fixierung der Elemente, wofür eine Verweildauer von etwa einer Sekunde notwendig ist, sondern nur ein gestreifter Blick, weshalb viele Elemente nicht bewusst wahrgenommen werden, obgleich sie vom impliziten Gedächtnis ausgewertet sind. Die sogenannten Sinnestäuschungen und Effekte bieten reichhaltiges Anschauungsmaterial zur Arbeitsweise des visuellen Wahrnehmungssystems, die gerade in den Grenzbereichen deutlich erkennbar ist (Abb. 4) [8]. Die periphere Wahrnehmung genügt, um wichtige innen- und außenräumliche Bezugselemente wie Himmel, Topografie, Wälder oder Gebäude, Wand, Decke, Boden, Türen oder Bewegungskorridore zu erkennen. Einzelformen verschmelzen zu größeren Formzusammenhängen, wenn keine ausreichenden farblichen Differenzierungen vorhanden sind, da die peripheren Regionen der Netzhaut kaum Details erkennen. Aus diesem Grund kann der Mensch seinen Weg durch Natur- und Stadträume finden, ohne viele Elemente zu erkennen oder sich zu erinnern. Farbe kann Dinge in den Vordergrund der Wahrnehmung rücken oder im Hintergrund belassen. Sie hat damit entscheidenden Einfluss auf die Erinnerungskultur oder die visuelle Bildung, auf alle visuell codierten Informationen, die Menschen von Bildern, Objekten und Räumen im Gedächtnis behalten. Anhand farblicher Differenzierungen stellt das Gehirn in wenigen Sekunden Orientierung her. Die bewusste Wahrnehmung aller inhaltlichen und funktionalen Bezüge im Raum fordert dagegen genaue Beobachtung und erheblich mehr Betrachtungszeit als der reine Orientierungsvorgang. Sehen und Erinnerung folgen der Vergegenwärtigung oder Explikation der impliziten Informationen im peripheren Teil des Gesichtsfelds. Die dafür notwendige Zeit investiert ein Mensch in der Regel nur dann, wenn er sich für die
Deutung der visuellen Informationen interessiert oder emotional angesprochen fühlt [9]. Farbe erzeugt Aufmerksamkeit und Interesse an der Wahrnehmungssituation, ein Effekt, der sich bis zur Faszination steigern lässt. Wer sich von den Farben des Natur- oder Kulturraums begeistern lässt und staunend davor innehält, nimmt die damit verbundenen Orte, Inhalte und Ereignisse intensiver, zusammenhängender und detailreicher wahr und behält diese zudem nachhaltiger in Erinnerung. Umweltwahrnehmung versus Plandarstellung
Für Planer und Nutzer hingegen können Fehleinschätzungen der Farbwahrnehmung große Schwierigkeiten verursachen, da sich diese erst beim Übergang zwischen Zeichnung und Realisierung erkennen lassen. Während in malerischen oder plastischen Darstellungstechniken Farbmaterialien transformiert werden, bis die gewollten Formzusammenhänge erreicht sind, kehrt sich das Funktionsprinzip der visuellen Wahrnehmung in der Linien- oder Planzeichnung um. Durch die Beschränkung der Darstellung auf Licht und Schatten oder die tastbaren Kontrastgrenzen von Körpern und Räumen treten Formzusammenhänge stärker hervor und gewinnen an Bedeutung. Dieser Abstraktionsprozess kennzeichnet alle Methoden bildnerischer Gestaltung, die der Aufmerksamkeitssteuerung auf medienspezifische Weise dienen. Sobald Räume nach Entwurfszeichnungen in die Realität umgesetzt werden, verschiebt sich die Wahrnehmung von der Linie zur Fläche. Geometrische und freie Liniendarstellungen basieren auf großen Abstraktionsleistungen des Gehirns, da der Zeichner hierbei von Geometrie und Perspektive der Umgrenzungslinien ausgeht. Die Kontrastwirkungen der Licht- und Körperfarben werden bewusst vernachlässigt, damit
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die konstruktiven Zusammenhänge des Bildraums klarer zutage treten. Das konstruktive Zeichnen erfordert einen intensiven Lernprozess des Gehirns, in dem sich die motorische Leistung der Handbewegung simultan zu den kognitiven Leistungen der visuellen Wahrnehmung steigert. Kontrastgrenzen sind nicht automatisch Linien, sondern werden durch Abstraktion von Farbinformation im Prozess der Umweltwahrnehmung sichtbar, vorstellbar und darstellbar. Nur ein Bruchteil der Grenzen kontrastierender Farbflächen wird in Linienzeichnungen dargestellt. Konkrete Kenntnisse und Fertigkeiten zur Darstellung der Abstraktionsvorgänge zwischen Farbe und Form bestimmen die Bildung zeichnerischer Kompetenz. Das anschauliche Denken und Entwerfen über Skizzen und Linienzeichnungen ist eine Tätigkeit, die Laien ebenso schwerfällt wie das Lesen von Plänen. Der Erwerb von zeichnerischer Kompetenz bedeutet jedoch nicht, dass die Umsetzung der Planung in die Realität des gebauten Raums gleichermaßen mitgedacht werden kann und jeder Linie im Entwurfsprozess bereits gedanklich innewohnt (Abb. 5, 6). Die differenzierte Planung von Atmosphären und Materialfarben bestimmt die Wahrnehmung von Licht und Schatten, von Tiefe und Oberfläche, von Nähe und Ferne, von Körper und Raum. Die Raumwahrnehmung der Umwelt wird von so vielen Faktoren beeinflusst, dass sie sich nur sehr eingeschränkt mittels Rendering-Programmen simulieren lässt. Jeder Wechsel des Maßstabs, der Lichtverhältnisse und Umgebungsfarben verändert die Wirkungen der Licht- und Körperfarben, was maßgebliche Konsequenzen auf die Form- und Raumwahrnehmung hat. Das abstrakte Liniengefüge der Zeichnung konkretisiert sich nach den Regeln der Farbwahrnehmung.
Die Räumlichkeit der Netzhautprojektion
Der erste physische Kontakt zwischen der Umweltstrahlung und dem Körper ereignet sich an der Hornhaut des Auges, wo das Licht gebrochen und über die kreisförmige Pupillenöffnung in der Iris und die Linse auf die Netzhaut geleitet wird. Die Iris dient der Adaption der Pupillenöffnung an die energetischen Verhältnisse der Umwelt, da sie wie eine intelligente, muskulär gesteuerte »Blende« funktioniert und die »Belichtung« der Netzhaut regelt. Sie begrenzt die Ausdehnung und den Raumwinkel der eintretenden Strahlenbündel, was die Hellig-
Louis I. Kahn bei der Erstellung von Entwurfsskizzen zum Fisher House, Hatboro, Pennsylvania (USA) 1961 Die atmosphärischen Wirkungen aller Oberflächenfarben im Wohnraum des Fisher House zeigen die Anforderungen an das Erfahrungswissen und das Vorstellungsvermögen des Planers in der Entwurfsphase.
keit, die Schärfentiefe und die Vignettierung (die Abschattung zum Bildrand) der Netzhautprojektion steuert. Die Bedeutung der Begriffe lässt sich anhand der Optik einer Kamera nachvollziehen, da sich alle Parameter durch Verschiebung von Blendenöffnung und Brennweite steuern lassen. Die Lichtempfindlichkeit der sensorischen Elemente wird ständig angepasst, was dem Gehirn die für einen Weißabgleich notwendigen Informationen zur Farbtemperatur der Lichtquelle übermittelt. Aufgrund dieser sensuellen Informationen kann das Gehirn alle Kontrastverhältnisse der Netzhautprojektion
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oberer Lidheber Trochlea oberer schräger Augenmuskel oberer gerader Augenmuskel innerer gerader Augenmuskel
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äußerer gerader Augenmuskel unterer gerader Augenmuskel 7
unterer schräger Augenmuskel
nachsteuern und einen gleichmäßigen Wahrnehmungseindruck erzeugen, was als Farbkonstanz bezeichnet wird. Werden zwei gleiche Farbtöne durch den Wechsel der Lichtquelle plötzlich als verschieden wahrgenommen, kommt es zum Effekt der Metamerie. Die Öffnungsweite der Iris (Blende), die Drehrichtungen beider Augen zueinander (Vergenzen) und zum Blickpunkt (Fokussierung) sowie die Krümmung der Linse (Schärfentiefe) werden durch die komplexe Zusammenarbeit der Augenmuskeln vom Gehirn gesteuert (Abb. 7). Über diese sensomotorischen Signale erhält das Gehirn ausreichende Tiefeninformationen für die räumliche Interpretation der Farbsignale aus der Netzhautprojektion [10]. Aufgrund dieser muskulär erzeugten Verräumlichung der Farbinformationen kann ein Betrachter in der Regel sehr gut zwischen der Realität des gebauten Raums und seines eigenen Bildes unterscheiden. Durch die Kreuzung der einfallenden Strahlen vor der Projektionsfläche der Netzhaut bildet sich dort eine kopfstehende Projektion des Gesichtsfelds ab, da die Optik des Auges wie eine Camera obscura [11] funktioniert. Wer daraus schließt, das an dieser Stelle ein »Wahrnehmungsbild« entsteht, befindet sich mit seinem Wissen auf dem Stand von René Descartes, der die Auffassung eines mechanisch funktionierenden Organismus vor 400 Jahren in die Wissenschaft eingeführt hat [12]. Der optische Prozess bildet einen integralen Bestandteil der organischen und kommunikativen Prozesse, deren Bedeutung für die visuelle Wahrnehmung in den nächsten Abschnitten herausgearbeitet wird. Sehzellen und Kontrastprinzip
Die Netzhaut arbeitet wie ein Energiesensor und -wandler, von dem die auftreffende elektromagnetische Strahlung über einen fotochemischen Prozess in nervliche Erregungsmuster gewandelt wird. 12
Die Lichtmenge eines Photons genügt, um eines der 60 bis 125 Millionen helligkeitssensitiven Stäbchen der Netzhaut eines Auges zu aktivieren, während die 3,2 bis 6,5 Millionen farbsensitiven Zapfen die 200-fache Energiemenge benötigen. Die abweichende Anzahl der Sehzellen bildet die Ursache der individuell unterschiedlichen räumlichen Auflösung des Wahrnehmungsraums, die bei Sehtests in Prozent ausgedrückt wird [13]. Aufgrund der hohen Reaktionsschwelle der farbsensitiven Zapfen nimmt der Mensch seine Umwelt nur bei ausreichendem Tages- oder Kunstlicht in voller farblicher und räumlicher Auflösung wahr. In den Dämmerungsphasen verschwinden aus dem gleichen Grund regelmäßig zuerst die rotorangen und schließlich die violettblauen Bereiche des Spektrums. Dass die Welt noch einmal intensiv rotorange erscheint, bevor die Kühle der Abend- und Morgendämmerung sichtbar wird, liegt an der Verkürzung der Strecke, die das Licht bei horizontaler Blickrichtung durch die Atmosphäre zurücklegen muss. Die Teilchenstruktur der Atmosphäre sorgt durch Reflexion und Absorption von Teilen des Lichtspektrums auch für die cyanblaue oder weißlichgraue Färbung des Himmels oder die weiteren Verdichtungen der weiß leuchtenden und grau verschatteten Wolkenformationen. Die Farbwahrnehmung resultiert aus der nervlichen Verschaltung von drei unterschiedlichen Zapfentypen, die auf den kurzwelligen, mittleren und langwelligen Anteil des spektralen Lichts reagieren [14]. Das Prinzip der lateralen Hemmung, welches das Umfeld einer Reizquelle zugunsten des Signals im Zentrum hemmt, stärkt die Farbkontrastbildung und hierüber die Gestaltwahrnehmung. Die orangeroten, grüngelben und violettblauen Farbsignale bekommt der Mensch nicht direkt zu sehen, da sie zuvor von den
Die optischen Verhältnisse im Auge werden vom Gehirn über die Augenmuskeln gesteuert. Dadurch lassen sich Tiefenrelationen, Lichtverhältnisse, Bewegungsintentionen und Verhaltensmuster ermitteln. Es entwickelt sich ein kybernetischer Prozess im Gehirn, da die Farbsignale der Netzhaut den Blickbewegungen folgen und diese zugleich steuern.
nachgeschalteten Ganglienzellen der Netzhaut ausgewertet, gewandelt und zum Gehirn gesendet werden. Sehbahnen und Grundfarbprinzip
Die drei Sehbahnen zwischen Auge und Gehirn werden als Rot-Grün-Kanal, als Blau-Gelb-Kanal und als Hell-DunkelKanal bezeichnet, da alle Helligkeits- und Farbsignale dem Prinzip größtmöglicher Kontrastbildung folgend vorstrukturiert werden. Diese Komplementärkontraste legen daher zugleich die Grundfarbsignale Schwarz, Weiß, Rot, Grün, Blau und Gelb fest, deren anteilige Mischung alle weiteren Farbtöne erzeugt. Die Zusammensetzung der Grundfarben und Mischfarben des wahrnehmbaren Spektrums resultiert daher aus der Spezifik der Rezeptortypen und Verarbeitungsmechanismen. Komplementärfarbige Nachbilder entstehen, weil die fotochemische Aktivität der Rezeptoren in Abhängigkeit von der Intensität des Lichtreizes noch eine Zeitspanne anhält. Die Helligkeit einer Farbe bezeichnet die Intensität der Lichtempfindung, die Zapfen und Stäbchen gleichermaßen registrieren. Sie lässt sich getrennt von der Buntheit des Spektrums und der Sättigung eines Farbtons wahrnehmen. Die lichtempfindlichen Stäbchen reagieren ausschließlich auf Licht im mittleren grünen Wellenlängenbereich, das der Mensch nur deshalb als Helligkeit wahrnimmt, weil keine nervliche Verschaltung erfolgt. Buntheit wird erst durch den Vergleich unterschiedlicher Signale wahrnehmbar. Die stärkste Form der Helligkeit ist mit dem gleißend weißen Lichterlebnis der Blendung verknüpft, während die Zwischenstufen der Dämmerung bis zur vollständigen Dunkelheit als Schwärzung oder Trübung empfunden werden. Die größtmögliche räumliche Auflösung der Farben des Gesichtsfelds resultiert aus dem Abstand der Empfindungsbereiche aller Rezeptortypen, während die Qualität
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Empfindlichkeit
Zapfen Photorezeptoren
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Das Spektrum der drei Zapfentypen überlagert sich im mittleren grünen Bereich, in dem der Mensch die meisten Farben unterscheiden kann, während der rote und blaue Bereich wesentlich weniger Farbtöne umfasst. Die Farbsignale werden nach dem Gegenfarbprinzip strukturiert und über den Hell-Dunkel-, Rot-Grün- und Blau-GelbKanal zum Gehirn geleitet.
der Auflösung von der Überlagerung aller Frequenzbereiche erzeugt wird. Der Erregungsbereich aller Zapfen überlagert sich im mittleren Wellenlängenbereich des Spektrums (Abb. 8). Auch hieran wird die biologische Funktion der Farbe erkennbar, da sich das visuelle Wahrnehmungssystem in einem pflanzlich geprägten Umfeld entwickelt hat, für das eine hohe räumliche Auflösung im grünen Spektrum überlebensnotwendig war. Der räumlich weit schwächer aufgelöste rote Bereich fördert dagegen die Wahrnehmung bedeutsamer Einzelereignisse wie menschliche Emotionen, den Reifegrad von Früchten oder die Frische von Fleisch. Die Zusammensetzung des Spektrums und die Prägnanz einzelner Farbtöne bilden daher kein Zufallsprodukt, sondern zeigen das Prinzip der Evolution. Von der Farbwahrnehmung zur visuellen Kommunikation
Aktuelle Forschungsergebnisse der Neurowissenschaften zeigen, dass die Verarbeitung visueller Informationen etwa 60 % aller Tätigkeiten der Großhirnrinde in Anspruch nimmt [15]. Die Wahrnehmung gebauter Räume wird daher entscheidend von der Farbe bestimmt, deren anschauliches Erscheinungsbild dem Menschen mehr Informationen vermittelt als alle anderen Sinneswahrnehmungen zusammen. Das soll die Leistung der anderen Sinne nicht herabsetzen, da die Berührung, das Betreten, der Geruch und Klang von Architektur wesentlich zum ganzheitlichen Raumerlebnis beitragen. Dennoch wird der visuelle Sinn nicht ohne Grund als Leitsinn des Menschen bezeichnet, da das Gehirn aus der Anordnung und dem Wechsel farblich codierter Netzhautsignale eine Metarepräsentation der Umwelt konstruiert. Farben verweisen auf haptische, auditive, vestibuläre, gustatorische, kinästhetische
retinale Ganglienzellen LGN-Zellen
1 L+M »Helligkeit« 0,1 L-M »rot-grün« 0,01
S-(L+M) »blau-gelb«
400
500
600 700 Wellenlänge
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Erfahrungen, weshalb Menschen mehr oder weniger gut sehen können, wie sich etwas anfühlt, etwas schmeckt, riecht oder klingt, wie sich etwas bewegt, ob etwas im Gleichgewicht ist. Erstaunlich differenziert funktioniert die Vernetzung von visuellen, haptischen und kinästhetischen Erfahrungen. Daher kann der Mensch nach einer Zeitspanne multisensueller Erfahrungsbildung vollständig darauf vertrauen, dass der Bewegungsraum vor seinem Schritt zurückweicht, während der Tastraum bei jedem Zugriff tatsächlich vorhanden ist. Die sogenannten Wahrnehmungseffekte [16] oder Sinnestäuschungen verweisen auf Grenzbereiche der visuellen Wahrnehmung, während das Überleben der menschlichen Spezies den Erfolg dieses Prinzips belegt. Im Wahrnehmungsprozess gelangen die Farbsignale über die drei Gegenfarbkanäle von den Augen zum Stammhirn, wo sie mit den gleichzeitig eintreffenden Daten der anderen Sinne abgeglichen und emotional vorbewertet werden. Aus diesem Grund kann der Mensch Farben niemals emotionsfrei wahrnehmen, ganz gleich, ob es sich um atmosphärische Erscheinungen oder konkrete Gegenstände handelt [17]. Atmosphärenwechsel oder prägnante Farbereignisse stimmen den Betrachter im Bruchteil einer Sekunde auf das kommende Erlebnis ein, indem sie vitale Körperfunktionen verändern wie die Hormonproduktion, den Blutzuckerspiegel oder die Atmung. Der Anblick einer blutroten Erscheinung zieht den Blick daher unwillkürlich auf sich und führt zu einem Anstieg der Körperaktivitäten, bevor der Betrachter wahrnimmt, worum es sich handelt. Diese unwillkürlichen emotional gesteuerten Reaktionen auf Farben lassen sich auf einen evolutionär bedeutsamen Sachverhalt zurückführen. Überlebenswichtige Körperfunktionen werden durch Farbreize unwillkür-
lich in Sekundenbuchteilen aktiviert, während visuelle Wahrnehmung in Zeiträumen von Sekunden und Minuten stattfindet. Werbung und Marketing nutzen diese sogenannten Schlüsselreize längst professionell, um die Aufmerksamkeit und Stimmung potenzieller Zielgruppen zu manipulieren. In Architektur und Design werden Schlüsselreize u. a. bei Farbleitsystemen eingesetzt, wo sie Menschen warnen und von ungewollten Handlungen abhalten wollen. Niemand läuft ohne Zögern ins Dunkel. Der Blick richtet sich bei jedem Menschen unwillkürlich auf das Rot. Farbe und Gedächtnis
Nach der Vorbewertung werden die Signale im visuellen Cortex weiterverarbeitet und über zwei Hauptverarbeitungsströme zum Gedächtnis gesendet. Der zum deklarativen Gedächtnis verlaufende »Wo-und-wie-Strom« dient der Bewegungs-, Handlungs-, Orts- und Positionswahrnehmung, während der zum semantischen Gedächtnis verlaufende »WasStrom« die Wahrnehmung von Bedeutung evoziert [18]. Diese Gedächtnisstruktur des anschaulich erworbenen und gespeicherten Wissens gleicht damit der Semantik und Syntax der Wortsprache, die dem Menschen eine auditive Form der Weltwahrnehmung und -beschreibung ermöglicht. Während die verbale Form der Wahrnehmung über Laute erfolgt, die ein Hörer aus dem hörbaren Spektrum selektiert und zu sinnvollen Ganzheiten verknüpft, erfolgt die visuelle Wahrnehmung nach dem gleichen Prinzip über Farben. Das Selektionsprinzip folgt der Bedeutung, die ein Betrachter dem Wahrnehmungsereignis in Bezug auf seine im Gedächtnis gespeicherten Vorerfahrungen zumisst. Visuelle Wahrnehmung ist daher subjektiv, wo sie Einzelerfahrungen widerspiegelt, und objektiv, wo sie gesellschaftlich akzeptiertes Wissen 13
Die Funktion der Farbe
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9 Tarnung und Integration als Bestandteil der Farbensprache des Chamäleons 10 Abschreckung und Attraktion als Bestandteil der Farbensprache des Chamäleons 11 Farbe als Vermittler regionaler Idenität, Provinz Fujian, China 12 Farbe als Vermittler globaler Idenität, Skyline Shanghai mit Blick von der Uferpromenade »Bund« über den Huang Pu Fluss auf das Finanzzentrum Pudong am westlichen Flussufer.
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und empirisch nachvollziehbare Beobachtungen erfasst. Die Verknüpfung von Lauten in Form von Worten und Sätzen oder von Farben in Form von Bildelementen und Bildern sowie von Mischformen beider Kommunikationsmedien in Form von Schriften und Grafiken bilden das Ergebnis kultureller Evolution. Der Kontext der Wahrnehmungssituation bestimmt die Interpretation der Raumdaten, die fast immer mehrdeutig sind. In der Wortsprache sind diese situativ bedingten Unterscheidungen als Denotationen (Hauptbedeutungen) und Konnotationen (Nebenbedeutungen) gekennzeichnet. Ein Farbcode kann daher viele Bedeutungen besitzen und dennoch richtig verstanden werden. So verweist die Gesichtsrötung auf spezifische Erregungszustände, die Gefühle wie Scham, Wut, Begehren, Kampfbereitschaft, Interesse oder Ablehnung signalisieren können. Ohne den Bezug zur Verwendungssituation ist ein Farbcode nicht eindeutig bestimmt. Das gilt ebenso für die Raumwahrnehmung, weshalb ein Gebäude durch seine Farbigkeit an einem Ort stimmig erscheinen und an anderen völlig deplatziert wirken kann. Die Ablesbarkeit der Funktion kann sich durch farbliche Veränderungen am baulichen Kontext ebenso ändern wie die Qualitäten der Nutzung. Farbensprache – die Funktion der Farbe in der Biologie Die Sinnesempfindungen der Farbe, die der Mensch besonders intensiv bei starken atmosphärischen Erscheinungen wie z. B. einem Sonnenuntergang spüren und erleben kann, bereichern das Dasein, aber sie erhalten es nicht in existenzieller Hinsicht. Die Farben der Natur bilden ein universales Codesystem, das viele lebende Organismen für die Vermittlung von Botschaften nutzen, die dem Erhalt ihrer Spezies dienen. Längst nicht jede Botschaft ist an den Menschen 14
adressiert, weshalb die Ästhetik der Umwelt oft als verschwenderische Vielfalt wahrgenommen wird, deren ornamentale Schönheit Bewunderung und Faszination auslöst. Hierdurch entgehen dem Blick die vielfältigen visuellen Kommunikationsformen, die zwischen den Angehörigen einer Spezies stattfinden oder symbiotische Lebensweisen begründen. So nutzen Pflanzen die Farbstoffe ihrer Blüten und Blätter gezielt für die Kommunikation mit Insekten und Tieren, die von der Spezifik der Farbtöne und Kombinationen angelockt werden, um die Bestäubung und Verbreitung der Samen zu gewährleisten. Neben dem Gebrauch von Farbe als Lockmittel oder Mittel der Abschreckung, das in Flora und Fauna häufig zu beobachten ist, kennt die Natur das Prinzip der Camouflage, also die Tarnung oder Täuschung. Besonders auffällig zeigt sich der Verständigungsprozess beim Chamäleon, das seine Körperfarbe zweckgerichtet wechseln kann (Abb. 9, 10). Der höchste Grad an Veränderung lässt sich jedoch nicht bei der Anpassung der Körperfarbe an den Hintergrund feststellen, sondern bei der Kommunikation innerhalb einer Spezies. Ein Chamäleon ist in der Lage, durch den Wechsel seiner Körperfarbe differenzierte Botschaften an seine Artgenossen zu senden. Die verwendeten Farbcodes vermitteln Handlungsintentionen wie Kampfbereitschaft, Unterwerfung und Paarungsinteresse. Darüber hinaus werden auch Antworten auf empfangene Botschaften gesendet, da sich bei einem Chamäleon anhand der Hautfarbe feststellen lässt, ob eine Aufforderung zur Paarung erfolgreich war oder nicht. Damit der Austausch von Botschaften nicht die Aufmerksamkeit von Feinden erregt, vollzieht sich dieser in so kurzen Intervallen, dass er für diese oft gar nicht erkennbar ist, weshalb diese kommunikativen Fähigkeiten auch erst kürzlich entdeckt wurden [19].
An diesem Beispiel wird die Funktion der Farbe in der Biologie erkennbar, deren kommunikatives Potenzial der Mensch in allen bildnerischen, plastischen und räumlichen Kulturtechniken zur Informationsgestaltung nutzt. Architektur und Design sind Gegenstand visueller Kommunikation, sei es in der rückblickenden Deutung der Kulturwissenschaften oder der Gestaltung von Gegenwart und Zukunft. Farbensprache als Vermittler von Kultur Der kulturelle Evolutionsprozess der Farbwahrnehmung und Farbensprache lässt sich an der Ästhetik [20] und Funktion der Medien und Technologien ablesen. Bilder, Objekte, gebaute Räume und Performances wie auch die technologischen Entwicklungen der Informations-, Lern-, Planungs-, Navigationsund Kommunikationssysteme moderner Gesellschaften veranschaulichen den qualitativen Leistungssprung bei der Verarbeitung von Farbcodes im Gehirn. Die Ästhetik der soziokulturell gestalteten Umwelt dient nicht einer abstrakten Vorstellung von Schönheit, sondern der Kommunikation von Gedanken, Gefühlen und Handlungsmöglichkeiten. Die Farbmutationen in der Natur lassen ein schöpferisches Prinzip erkennen, da sich Lebewesen jeder Art über geänderte Farbcodes bisher unbekannte Kommunikationspartner, Verbreitungswege und Lebensräume erschließen. Eine innovative Farbgestaltung erschließt neue Anwendungsmöglichkeiten und fördert die Weiterentwicklung von Ästhetik und visueller Wahrnehmung. Die Farben jeder Blumenwiese zeigen die Regel und das freie Spiel mit Farbcodes. Ästhetisch ist daher nicht nur das Zweckmäßige, sondern auch das Experimentelle der visuellen Kultur, insoweit die unverständlichen Farbcodes den Betrachter anspre-
Die Funktion der Farbe
chen und zur gedanklichen, emotionalen oder praktischen Weiterentwicklung herausfordern [21]. Das Erscheinungsbild der Siedlungsräume, Gebäude und Infrastrukturen spiegelt die Funktion von Gesellschaft auf anschauliche Weise wider, was einen entscheidenden Beitrag zur kulturellen Evolution der menschlichen Spezies darstellt. Für die visuelle Wahrnehmung funktioniert der Kulturraum wie ein »anschaulicher Gedächtnisspeicher« [22], dessen formale Strukturen und inhaltliche Bedeutungen einen generationsübergreifenden Wissenstransfer gewährleisten. Über die Vermittlungsfunktion der Wortsprache hinaus erschließen sich die Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens aus dem Gebrauch von Gebäuden, Straßen und Plätzen, deren Funktionen auf anschauliche Weise ablesbar sind. Anschauliches Lernen bildet die Grundlage für die 11 Rekonstruktion von Gesellschaft durch die Archäologie, für das Verständnis der Gegenwart, wie für die Planung der Zukunft. Stadträume sind unerschöpfliche Lernräume. Die Kultivierung der Farbensprache durch die Farbcodes von Kleidung, Produkten, Interieurs, Gebäuden und Städten schafft Identität und bietet Orientierung in einer immer komplexeren Welt. Durch den konventionellen Gebrauch von Farbcodes lassen sich Lebensalter, Geschlecht, Kulturzugehörigkeit, Sozialisierung von Menschen wie auch Epoche, Quartierbildung, Regionalisierung von Orten am Erscheinungsbild ablesen (Abb. 11, 12). Mit der Entwicklung der visuellen Orientierungsfähigkeiten erwirbt der Mensch zugleich grundlegende Kenntnisse der Farbensprache seines Kulturraums, die er fortan wie seine »Muttersprache« deutet und verwendet. Während Stadtbewohner kulturspezifische Farbcodes urbaner Räume mit hoher Selbstverständlichkeit erkennen und nutzen, wirken mannig12 15
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13 Die Makrostruktur der Farbe lässt das Lavaux Vinorama aus der Entfernung als Monolith mit ornamentierter Oberfläche erscheinen. Weinmuseum Lavaux Vinorama, Rivaz (CH) 2010, Fournier-Maccagnan
faltige Farbcodes ländlicher Regionen für sie wie eine Fremdsprache. Der erste Aufenthalt am Meer, in den Bergen oder in der Wüste ermöglicht dem Stadtbewohner eine völlig neuartige Wahrnehmung des Phänomens Farbe, die ihm jedoch kaum Orientierung bietet. Für einheimische Bewohner besitzen Farben und ihre Veränderungen Zeichenbedeutung, die z. B. auf Unterwasserströmungen, unpassierbare Pfade, essbare Früchte, plötzliche Temperaturwechsel und Unwetter verweisen. Die Farbcodes von Landschaften und Siedlungsräumen, die sich zu ortsspezifischen Atmosphären verdichten, erzeugen einen intuitiv wahrnehmbaren Farbraum, der das Bild einer Farbheimat prägt [23]. Die reduzierteste Form dieser Identifikation zeigt sich in den Farbcodes von Nationalflaggen, Vereinen sowie bei folkloristischen Elementen in Architektur, Design und Handwerkskunst [24]. Die Bestimmung der räumlich ausgedehntes-
ten Form erfolgt durch die geografisch und klimatisch bestimmten Atmosphären, die Färbungen von Flora und Fauna und die verbauten, verformten und verbildlichten Naturmaterialien der Region [25]. Die Lesbarkeit und die Deutung von Inhalt und Funktion werden erschwert, verfälscht oder verhindert, wenn sich die Farbgestaltung allein auf formale Wirkungen fokussiert. Die Eigenfarbe von Werkstoffen wie auch die Farben von Beschichtungen und Bekleidungen verweisen auf die Materialsubstanz, den Herstellungsprozess und den Verwendungszweck. Die Ästhetik einer Farbgestaltung dient daher primär der Kennzeichnung von Inhalt und Gebrauchszweck einer Sache wie auch der Schaffung von Identität und Repräsentation. Die Auswirkungen der Globalisierung sind nirgendwo so anschaulich wie in der Farbigkeit der Kulturräume, deren regionale Identität einer vereinheitlichenden Farbensprache weicht, mit der sich gesellschaftlicher
Wandel verknüpft. Farbe und Inhalt bilden eine Einheit, weshalb die Transformation des Erscheinungsbilds von Kulturräumen auch kein neuartiges Phänomen ist. Noch heute lassen sich die Ausdehnungen vergangener Imperien an der einheitlichen Farben- und Formensprache erkennen, die als sichtbare Markierungen der Einflusssphäre errichtet und genutzt wurden. Pigmente und Baustoffe verweisen darüber hinaus auf technologische Errungenschaften, religiöse und profane Symbolsysteme, Sitten, Gebräuche und Handelswege. Ob der Verlust von Farbensprachen ganzer Regionen ein ebenso unausweichlicher Preis gesellschaftlichen Wandels wie die Reduktion der Artenvielfalt ist, soll hier nicht diskutiert werden. Wann die Bewahrung eines kulturellen Erbes und die Pflege eines Erscheinungsbilds von Regionen angemessen ist und wo sich Raum für neue Ideen eröffnet, lässt sich nur im gesellschaftlichen Diskurs lösen, der in jedem Fall neu geführt werden muss [26]. Farbe – Musik – Ästhetik Die Gemeinsamkeiten zwischen Musik und Ästhetik haben von der Antike bis heute eine ungemein produktive Form der Auseinandersetzung angeregt, die vom Ordnungssystem der Harmonie [27] bis zum multimedialen Erlebnis zeitbasierter Medien [28] führt. Töne, Klänge, Rhythmen, Obertöne, Schwebungen bzw. Transparenzen, Dissonanzen und Harmonien werden über das Medium Schall hörbar und über das Medium Farbe sichtbar. Die hier thematisierten Ordnungsprinzipien werden in Wissenschaften, Musik und bildender Kunst erforscht. Im Prinzip lässt sich jedes Phänomen nach seinen formalen Qualitäten befragen, während die inhaltlichen Zusammenhänge ausgeblendet werden, wodurch die strukturellen Elemente in den Vordergrund der Wahrnehmung rücken. Im Pro-
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14 Die Mikrostruktur erzeugt ein unverwechselbares Muster, das aus transparenten und opaken Bereichen besteht, die nur im Nahbereich wahrnehmbar sind. Weinmuseum Lavaux Vinorama, Rivaz (CH) 2010, Fournier-Maccagnan 15 Vom Inneren des Lavaux Vinorama aus betrachtet erscheint die umgebende Landschaft wie ein Pixelbild.
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zess der visuellen Wahrnehmung erfolgt die formale Verknüpfung aller Elemente zueinander und zu einem Ganzen durch die Farbstrukturen von Licht, Material und Atmosphäre. Die Ästhetik der Architektur wird von der Anordnung und Fügung der Räume und Formen bestimmt, dem Rhythmus der Öffnungen und den Oberflächenstrukturen des Materials. Die visuelle Wahrnehmung von Architektur ist auf die Bewegung des Menschen im Raum ausgerichtet, weniger auf fortlaufende Berührungen als auf einen kontinuierlichen Wechsel von Oberflächenfarben und Atmosphären. Was ein Beobachter anschaulich wahrnehmen kann, entfaltet eine Wirkung, wird erlebbar und benutzbar. Alles andere bleibt wirkungslose Intention des Verfassers. Architektur wird statisch durch das Baumaterial, dessen ruhende und lastende Schwere daher von einem Liniensystem beschrieben und geplant werden kann. Pläne, Zeichnungen, Fotos von Gebäuden und Objekten sind momenthafte Ausschnitte eines fortlaufenden Geschehens, dessen dynamisch wechselnde Perspektiven sich für den Betrachter über Perspektiv- und Atmosphärenwechsel in Raum und Zeit entfalten. Das Spannungsfeld von Ordnung und Dynamik hat dazu geführt, dass Architektur immer wieder als »erstarrte« oder »gefrorene« Musik wahrgenommen und seit mehr als 200 Jahren auch beschrieben wird [29]. Die biologische Ursache für die produktiven Wechselwirkungen von Musik und Ästhetik lässt sich auf die Arbeitsweise der beteiligten Wahrnehmungssysteme zurückführen. Die Hörzellen der Ohren werden durch auditive Wahrnehmung von Schallereignissen zu sinnesspezifischen Schwingungsmustern angeregt, deren Formeigenschaften vom Gehirn interpretiert werden. Gleiches gilt für die Sehzellen der Netzhaut, die im Prozess der visuellen Wahr- 15
nehmung zu ständig neuen Aktivitätsmustern angeregt werden. Die Dynamik der Blickbewegungen in der Zeit und der Rhythmus der Farbstrukturen erzeugen die Farbkomposition. Selbst wenn die Umweltsituation zeitlich unverändert bleibt, wählt der Betrachter Farbtöne im Blickfeld aus und fasst sie durch Bewegungsmuster der Augen zu neuen Ganzheiten zusammen. Er kann der Farbkomposition des Gestalters folgen, sofern er sie erkennt, oder zu eigenen Deutungen der formalen Struktur gelangen. Die Suchbewegungen der Körper- und Blickbewegungen im architektonischen Raum, des Pinsels auf der Fläche, des Meißels im Stein, der Foto- oder Filmkamera im Bild bestimmen das ästhetische Erleben der Umwelt. Ohne die Strukturierung der Farben im Blickfeld, die Schaffung von weichen und harten Übergängen, von Rhythmen und Betonungen würde der Betrachter einen einzigen Farbton wahrnehmen, der dem Blick keinen Anhalt bie-
tet und dem Körper nichts entgegenstellt. Die minimalistische Ästhetik einer raumfüllenden, strukturlosen Farbe gleicht der eines kontinuierlichen Tons in der Musik. Mikro- und Makrostruktur der Farbe
Die Ästhetik des Naturraums wird auf der Makroebene des Gesichtsfelds und der Mikroebene der Oberflächenstrukturen von harmonisch wirkenden Farbkompositionen und Farbklängen bestimmt. Die biologische Ursache für diese intuitive Bewertung bildet die evolutionäre Anpassung des visuellen Wahrnehmungssystems an das Erscheinungsbild der Umwelt, dessen Mikro- und Makrostrukturen formale und inhaltliche Bezüge aufweisen. Die Mikrostruktur der Natur setzt sich gleich den Tonschwingungen einer Saite aus einem Grundton und vielen Obertönen zusammen, deren Verhältnisse sich in der Makrostruktur wiederfinden lassen. Mineralische Pigmente bestehen aus Mischungen komplementärfarbener
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Kristalle, die mit bloßem Auge kaum erkennbar sind. Dennoch lässt sich eine einzigartige Farbtiefe und Brillanz wahrnehmen, da die unzähligen Kristallkörper vom Licht durchdrungen werden und die Oberflächenstruktur nach vielfachen Spiegelungen von innen heraus leuchten lassen [30]. Neben ihrer Zusammensetzung auf der Teilchenebene weisen die Farboberflächen von Naturmaterialien charakteristische Oberflächenstrukturen auf, deren vielfältige Farbtonnuancen ihre Wahrnehmung bestimmen. Diese harmonische Einheit in der Vielfalt bewirkt einen inneren Zusammenhang zwischen dem Ganzen und seinen Details, der sich bis in die Makroebene fortsetzt. Ein Blick über die Wüste zeigt die innere Harmonie [31] zwischen den farblichen Detailwirkungen der Sandkörner, ihrer Wellenstruktur und dem Ganzen als windgeformter Dünenlandschaft. Die Makrostruktur der Farbe bildet sich durch die in sich stimmige Anordnung der Teile zu einer aus sich selbst heraus verständlichen Gesamtkomposition. Jeder Farbton erzeugt proportionale Beziehungen zu gleichen, ähnlichen oder kontrastierenden Flächen im Gesichtsfeld, aus denen sich rhythmisierende Gliederungen, hervortretende Gestalten oder neue formale Ganzheiten bilden. Innere Stimmigkeit lässt sich nicht auf die formalästhetische Ebene der Farberscheinung reduzieren, sondern sie umfasst den inhaltlichen Zusammenhang. Nimmt die Ästhetik der Erscheinung keinen Bezug auf den Inhalt, resultieren daraus Fehlwahrnehmungen, die den Betrachter je nach Kontext zu kreativen Leistungen oder sinnlosen Handlungen animieren können. Das Studium der Natur führt zu den biologischen Grundlagen der Farbwahrnehmung, was nicht bedeutet, dass sich diese Regeln für die Gestaltung des Kulturraums gleichermaßen eignen. Wichtiger ist es daher, dass sich Planer im 18
Entwurfsprozess mit allen Wirkungsebenen der Farbe vom Ganzen bis ins Detail auseinandersetzen und eine gestalterische Position entwickeln, die ästhetische Qualität durch variantenreiche Vielfalt und innere Stimmigkeit erzeugt. Für anspruchsvolle Grafiker ist es z. B. selbstverständlich, dass ihre Arbeit nicht mit der Bildbearbeitung endet, sondern sich über die Auswahl zwischen Tausenden von Papierarten [32] und verschiedenste Drucktechniken bis zum fertigen Druckerzeugnis erstreckt. Durch eine Anpassung der Mikrostruktur von Papieren lässt sich das Erscheinungsbild von Druckfarben maßgeblich verändern, was die Betonung der inhaltlichen Aussage beeinflussen kann. Auch in der Produkt- und Raumgestaltung von Architektur, Innenarchitektur und Design gewinnt die Suche nach innovativen Materialien, Werkstoffen und Verarbeitungstechnologien zunehmend an Bedeutung [33]. Jedes Teilchen ist gleichermaßen statisch wirksames Material sowie ästhetisch wirksames Farbpigment. Sobald ein Teilchen der Mikrostruktur an die Oberfläche kommt, wird es zum »Botschafter des Lichts« und vermittelt dem Betrachter Informationen, welche die inhaltlichen und emotionalen Wirkungen der Makrostruktur verändern (Abb. 13 –15, S. 16f.). Farbe als Entwurfswerkzeug Parallel zur Entwicklung der Moderne hat sich eine aus vielen Gründen problematische Trennung des gestalterischen Berufsfelds in einen planerisch-konzeptionellen und einen handwerklich-ausführenden Teil durchgesetzt. Daher können sich heute nur noch wenige Architekten und Designer bei ihrer Entwurfsarbeit auf eigene handwerkliche Erfahrungen stützen, was für die visuelle Gestaltung der materiellen Kultur unerlässlich ist. Farbe wird jedoch erst dann zu einem modernen Entwurfswerkzeug, wenn Planer über
umfassende theoretische Kenntnisse verfügen, die sie vor dem Hintergrund eigener praktischer Erfahrungen anwenden können. Während sich die Bauhauspädagogik im Bereich Farbe [34] auf ein Fundament praktischer Fertigkeiten und theoretischer Kenntnisse gründen konnte, setzte sich mit der Hochschule für Gestaltung Ulm die Verschiebung der Gestalterausbildung auf wissenschaftliche, technologische und methodologische Strategien durch [35]. Das neu geschaffene Fach »Visuelle Gestaltung« beinhaltete Film und Fotografie, Grafikdesign und Typografie und wurde in der Folgezeit als »Visuelle Kommunikation« auf Produktdesign, Architektur, Stadtplanung und Kunst ausgedehnt. Farbe bildete als Medium visueller Gestaltung neben Form und Schrift einen integralen Bestandteil visueller Kommunikation. Das semiotisch fundierte Wissensgebiet hat sich bis heute nur im Bereich der visuellen Gestaltung von Bildmedien durchgesetzt, wovon zahlreiche anwendungspraktische Tätigkeiten profitieren. Professionelle Bildproduzenten aus den Bereichen Grafik, Illustration, Druck, Internet und Film kennen die formalen und inhaltlichen Wirkungen der Farben und können diese auf Grundlage anwendungspraktischer Kenntnisse zielgerichtet und effizient zur Vermittlung von Botschaften einsetzen. Studienrichtungen wie »Kommunikationsdesign« oder »Informationsdesign« bieten die noch immer ungenutzte Chance zur ganzheitlichen Auseinandersetzung mit visueller Gestaltung und Kommunikation in Bild, Plastik, Performance und Raum [36]. In Architektur und Stadtplanung erfolgte eine Verwissenschaftlichung der Ausbildung im Bereich der Technik, weshalb sich der Fächerkanon auf ingenieurwissenschaftliche Themen ausrichtet. Folgerichtig treten die kommunikativen Aspekte des gebauten Raums in den Hintergrund,
Die Funktion der Farbe
16 Ersatz der Funktion traditioneller Architekturfarbigkeit durch Orientierungs- und Leitsysteme, Otl Aichers visuelles Kommunikationskonzept für das Erscheinungsbild der XX. Olympischen Spiele, München 1972.
weshalb sich Farbe nicht strategisch als Entwurfswerkzeug für die visuelle Vermittlung der inhaltlichen und funktionalen Bedeutungen einsetzen lässt. Wie die technologischen müssen auch die vielschichtigen kommunikativen Wirkungen der Farbe im gesamten Entwurfs-, Planungs- und Umsetzungsprozess mitgedacht werden. Dafür muss Farbe zuerst einmal eine ganzheitliche Wahrnehmung ihrer Funktion als linien-, flächen-, körperund raumbildendes Element, als emotionalisierendes Kommunikationsmedium, als identifikationsbildendes Orientierungssystem, als visuell-haptische Oberflächenqualität wie auch als atmosphärische Lichtqualität erfahren. Die kommunikationswissenschaftliche, kulturhistorische, naturwissenschaftliche, technologische, ästhetische und anwendungspraktische Auseinandersetzung mit Farbe sollte daher in allen Bildungseinrichtungen von Handwerk, Technik, Design, Kunst und Architektur erfolgen. Niemand kann sich der Auseinandersetzung mit Farbe entziehen, denn sinngemäß gilt das Axiom von Paul Watzlawick auch für das Medium der visuellen Gestaltung und Kommunikation: Man kann nicht nicht farbig gestalten [37]. Anmerkungen: [1] lat. phaenomenon heißt dt. Erscheinung, Lufterscheinung; griech. phainein heißt dt. sichtbar machen, sehen lassen. Kluge, Friedrich: Etymologisches Wörterbuch der Deutschen Sprache. Berlin 2002 unter dem Stichwort phaenomenon [2] Winkler, Jochen: Titandioxid. Hannover 2003 [3] Untersuchungen zur Farbwahrnehmung von Bienen: Neumeyer, Christa; Dyer, A. G.: Simultaneous and successive colour discrimination in the honeybee (Apis mellifera). In: Journal of Comparative Physiology A, Juni 2005, Band 191, Ausgabe 6, S. 547– 557. Weitere Publikationen am Institut für Zoologie der Johannes Gutenberg Universität Mainz, http://www.bio.uni-mainz.de/zoo/abt3/102.php. Stand 18.07.2013 [4] Es gibt zahlreiche Nachweise zu den Wechselwirkungen von Farben mit Geruchs- und Geschmackswahrnehmungen, jedoch kein Übersichtswerk, weshalb hier eine kleine Auswahl angeführt ist: Gottfried, Jay A.; Dolan, Raymond J.: The nose smells what the eye sees: crossmodal
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visual facilitation of human olfactory percepments. In: Neuron, Band 39, Juli 17, 2003, S. 375 – 386 Piqueras-Fiszman, Betina; Spence, Charles: The Influence of the Color of the Cup on Consumers’ Perception of a Hot Beverage. In: Journal of Sensory Studies, Band 27, Ausgabe 5, Oktober 2012, S. 324 – 331 Watson, Robert T.: Global Biodiversity Assessment. Summary for Policy-Makers. Cambridge 2011 Häberle, Christoph Johannes: Farben in Europa. Zur Entwicklung individueller und kollektiver Farbpräferenzen, Dissertation, Bergische Universität Wuppertal 1999, Download-Publikation unter http: //elpub.bib.uni-wuppertal.de /edocs/dokumente/ fb05/diss1999/haeberle/. Stand 17.07.2013 Siehe dazu den Vergleich der Raumwahrnehmung und Raumvorstellung von blinden und sehfähigen Menschen. In: Buether, Axel: Die Bildung der räumlich-visuellen Kompetenz. Neurobiologische Grundlagen für die methodische Förderung der anschaulichen Wahrnehmung, Vorstellung und Darstellung im Gestaltungs- und Kommunikationsprozess, Schriftenreihe der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Nr. 23. Halle 2010, S. 183 – 230 Weiterführende Literatur zum Thema der visuellen Wahrnehmungstäuschungen: Nänni, Jürg: Visuelle Wahrnehmung. Sulgen /Zürich 2008 Roth, Gerhard: Fühlen, Denken, Handeln. Wie das Gehirn unser Verhalten steuert. Frankfurt am Main 2003, S. 94ff. Roth, Gerhard: Aus Sicht des Gehirns. Frankfurt am Main 2003, S. 87ff. Mühlendyck, Hermann; Rüssmann, Walter: Augenbewegung und visuelle Wahrnehmung. Stuttgart 1990 Breidbach, Olaf; Klinger, Kerrin; Müller, Matthias: Camera Obscura. Die Dunkelkammer in ihrer historischen Entwicklung. Stuttgart 2013 Damasio, Antonio R.: Descartes’ Irrtum. Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn. München 1997 (3. Auflage) Die in Fachpublikationen häufig differierenden Angaben über die Anzahl der Sehzellen in der Netzhaut des Menschen folgen aus den immer genaueren Messverfahren. Die im Artikel verwendeten Angaben zu diesem Sachverhalt stützen sich daher auf die aktuelle Publikation. http://www.retinascience.de/krank_kell/anatomie_physiologie.html, verantwortet von Professor Dr. Ulrich Kellner, Zentrum für seltene Netzhauterkrankungen am Augenzentrum Siegburg. Stand 18.07.2013 Wird vereinfacht auch als RGB-Modus gleich dem additiven Verfahren der Farbmischung am Monitor bezeichnet. Angaben zur Gehirnleistungen siehe Gegenfurtner, Karl R.: Gehirn und Wahrnehmung. Eine Einführung. Frankfurt am Main 2005 Nänni, Jürg: Visuelle Wahrnehmung. Sulgen / Zürich 2008 Hansen, Thorsten u.a.: Memory modulates color appearance. In: Nature Neuroscience, Band 9, Nummer 11, November 2006, S. 1367–1368. In einem Feldversuch sollten Probanden das Bild
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einer Banane am Bildschirm in einen neutralen Grauton ändern. Die Mehrzahl der Ergebnisse zeigte Farbverschiebungen bis weit in den komplementären blauen Bereich hinein. Ein reines Graustufenbild wirkte hingegen gelblich. Mehr Informationen zum visuellen Cortex wie Anm. 7 und Karl R. Gegenfurtner & Lindsay T. Sharpe: Color Vision. Cambridge 1999 Stuart-Fox, Devi; Moussalli, Adnan (2008): Selection for Social Signalling Drives the Evolution of Chameleon Colour Change. http:// www.plosbiology.org/article/info:doi/10.1371/ journal.pbio.0060025. Stand 17.07.2013 griech. aisthetikos heißt dt. das Wahrnehmbare, wie Anm. 1. Erst viel später, ab 1735, von Alexander Gottlieb Baumgarten als Parallelwissenschaft zur Logik zur Erforschung und Beschreibung der Gesetzmäßigkeiten des Schönen begründet. Sein Werk Aesthetica erschien von 1750 bis 1958. Buether, Axel: Wege zur kreativen Gestaltung. Methoden und Übungen. Leipzig 2013 Weidenmann, Bernd: Handbuch Kreativität. Stuttgart 2010 wie Anm. 7 wie Anm. 6 Schawelka, Karl: Farbe. Warum wir sie sehen, wie wir sie sehen. Weimar 2007 wie Anm. 6 siehe »Farbraum Stadt – Farbraum Land«, S. 61ff. sowie »Die Farbigkeit der Architektur im 20. Jahrhundert«, S. 71ff. und »Architekturfarbigkeit der 1970er-Jahre in Berlin und Zürich«, S. 81ff. Schwarz, Andreas: Die Lehren von der Farbenharmonie. Göttingen /Zürich 1999 Zeitbasierte Medien sind u. a. Film, Fernsehen, Interaction Design, 2D- und 3D-Animation. Erste Erwähnung von Friedrich Schlegel 1803, weitere von Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Arthur Schopenhauer, Johann Wolfgang von Goethe; weiterführende Literatur: Pascha, Khaled Saleh: Gefrorene Musik. Das Verhältnis von Architektur und Musik in der ästhetischen Theorie, Dissertation. Berlin 2004 Muntwyler, Stefan: Farbpigmente, Farbstoffe, Farbgeschichten. Winterthur 2011 Harmonie: Übereinstimmung, Wohlklang, Fügung, wie Anm. 1, S. 393 Die Messe Paperworld Frankfurt 2014 mit der Ankündigung von 2967 Ausstellern bietet Einblick in das Thema. siehe »Materialität und Technologie«, S. 21ff. Düchting, Hajo: Farbe am Bauhaus. Synthese und Synästhesie. Berlin 1996 Seeling, Hartmut: Geschichte der Hochschule für Gestaltung Ulm 1953–1968. Ein Beitrag zur Entwicklung ihres Programms und der Arbeiten im Bereich der Visuellen Kommunikation, Dissertation. Köln 1985 weiterführende Literatur: wie Anm. 7 Frei nach dem Axiom von Paul Watzlawick »Man kann nicht nicht kommunizieren«. In: Watzlawick, Paul; Beavin, Janet H.; Jackson, Don D.: Menschliche Kommunikation. Bern 1969, S. 53
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Materialität und Technologie Andreas Kalweit
Die Umwelt, insbesondere die Objekte, die den Menschen umgeben, werden mit den naturgegebenen Sinnen wie Tasten, Riechen, Schmecken, Hören und Sehen wahrgenommen. Architekten, Planer und Gestalter haben schon längst die vielseitigen Facetten der Wahrnehmung und der damit verbunden Gestaltungsmöglichkeiten für sich nutzbar gemacht und verführen Tag für Tag – mal mehr und mal weniger – mit ihren Ideen und prägen mittlerweile alle Bereiche des Alltags. Manchmal wird es dem Verbraucher aber auch zu bunt, wenn die Objekte und Produkte ihre Versprechen nicht einlösen und vorzeitig kaputtgehen, nach kurzer Zeit unansehnlich sind oder sich einfach als unpraktisch erweisen. Diese Defizite werden entweder durch mangelnde Fachkenntnis der Umsetzbarkeit der Ideen verursacht oder bewusst durch geplanten vorzeitigen Verschleiß in Form von Obsoleszenzen von Herstellern indiziert. Farbe ist überall Die Abnutzung durch Gebrauch ist einerseits durchaus ärgerlich, wenn abgeplatzter Chrom den darunterliegenden Kunststoff zum Vorschein bringt, die Kleidung nach dem ersten Waschen ihre Farbe verliert oder Kunststoffoberflächen verkratzen, verdrecken und benutzt aussehen – sprich: der Lack ab ist. Bei vielen Objekten wie beispielsweise Jeans, manchen Holzmöbeln, Alukoffern oder Cortenstahlfassaden (Abb. 1) sind Gebrauchsbzw. Alterungsspuren jedoch akzeptiert oder sogar vorzeitig erwünscht. Sie subsumieren sich in den letzten Jahren unter dem Begriff »Vintage Design« und verleihen den Dingen ihre individuelle Note. Manches Sneakermodell entwickelt z. B. seine Patina – wie bei der Freiheitsstatue in New York – erst im Lauf der Zeit durch den individuellen Gebrauch, dem partiellen Abrieb und der Freilegung darunterliegender Farbschichten.
Für nachhaltig gutes Aussehen sind demnach viele Aspekte zu beachten. Deshalb sollen hier die den Objekten innewohnenden Eigenschaften, speziell die Farben und Oberflächen, im Mittelpunkt stehen. Die Wahrnehmung der Farbigkeit von Objekten kann erfolgen, wenn das Objekt Licht aussendet oder Licht reflektiert. Jedes Objekt, jedes Material hat unterschiedliche Fähigkeiten, Licht mehr oder weniger zu reflektieren bzw. zu absorbieren und offenbart sich in einer spezifischen Farbe und Erscheinung. Somit begegnet dem Betrachter Farbe – ob bunt oder unbunt – nahezu überall! Er kann zwar nicht 16,7 Millionen Farben, wie Monitorhersteller suggerieren, wahrnehmen, aber für die Unterscheidung von ein paar Millionen Farben im Hinblick auf Intensität, Helligkeit und Buntheit – je nach Lichtbedingung – reicht es dennoch. Objektiv lassen sich Farben unter gleichbleibend bestimmten Bedingungen sicherlich messen und vergleichen. Subjektive Farbempfindung und individuelle Umgebungsbedingungen erschweren diese Vergleichbarkeit und machen die Arbeit von Gestaltern umso anspruchsvoller. Architekten, Designer oder Künstler nehmen Farbe nicht nur wahr, sondern nutzen sie als Medium, um die Umwelt zu gestalten: Sie streichen Wände, färben Stoffe, lackieren Möbel, beschichten Tischplatten, verlegen Teppiche, fliesen Böden, beleuchten Räume, kleben Dekore. Sie geben den Objekten auf vielfältige Art und Weise ein Erscheinungsbild. Die ästhetische Bedeutung von Farben spiegelt sich u. a. in der unermesslichen Vielfalt von Objekten und Produkten wider, die den Menschen in seinem Alltag umgeben und unterliegt von jeher einem ständigen Wandel. Farbe hat durchaus viele Erwartungen und Funktionen zu erfüllen. Sicherheits-
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rostende Fassade aus Cortenstahl, Gebäude in Gorredijk (NL) 2008, Sluijmer en van Leeuwen
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Materialität und Technologie
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relevante Aspekte können durch eine gezielte Farbwahl die Wahrnehmung psychologisch beeinflussen, z. B. bei der Gestaltung von Warnhinweisen für Gefahrenbereiche durch signalisierende Farben, deren Aufmerksamkeit erregende Bedeutung der Mensch erlernt hat. Neben diesen optischen Funktionen sollen Farben aber auch andere Eigenschaften besitzen, z. B. dauerhaft, abriebfest oder UV-stabil sein. Auch bezüglich der Verarbeitung sind beispielsweise Streichfähigkeit, Umweltverträglichkeit oder Wasserlöslichkeit von Bedeutung. Im Kern soll es hier also nicht um die Farbe an sich und die Gestaltung mit ihr gehen, sondern vielmehr darum, wie Farbigkeit durch Materialien und Fertigungsverfahren generiert, beeinflusst und verändert werden kann. Die Farbigkeit – oder begrifflich etwas weiter gefasst: die Oberflächenerscheinung – gibt Aufschluss über weitere Eigenschaften des Objekts. Dies zeigen die drei folgenden Beispiele: Ein Blick in die Innenräume heutiger Autos offenbart die hohe Kunst der Gestalter und Ingenieure und den Stand der Technologien, die möglich sind. Automotive Designer präsentieren die Hochwertigkeit ihrer Produkte nicht nur mittels ansprechender Optik, sondern auch durch spezielle Gerüche, haptische und klangliche Eigenschaften der verwendeten Materialien, um einen möglichst markanten psychologischen Eindruck zu bewirken. Die Qualität eines Handgriffs oder Stellhebels in der Türinnenverkleidung wird durch Anfassen letztendlich durch geeignete Beschichtungen spürbar. Die sich samtig anfühlende, champagnerfarbene Beschichtung der Griffflächen aus Kunststoff muss besonders hohe Ansprüche erfüllen, und so manche Softtouch-Oberfläche hat sich durch Handschweiß und 22
den häufigen Gebrauch bald vom Untergrund verabschiedet und das hochwertige Image im wahrsten Sinn des Worts angekratzt. Im Bad wird das Wohlbefinden ebenfalls stark von dem haptischen Erlebnis beeinflusst, da der Nutzer direkt über die Haut mit der Badkeramik, den Griffen und Handläufen in Berührung kommt. Hier finden sich angenehm aussehende und anfühlende hygienische Materialien wie Keramiken, aber auch natürliche Werkstoffe und verchromte Objekte. Irritierend kann da der Griff nach dem chrombeschichteten Wannenhandlauf aus Kunststoff sein, da sich die Wärme der Handfläche sehr schnell auf den Griff überträgt – anders als bei einem aus Metall – und er sofort als »Plastikgriff« identifiziert wird. Instinktiv ereilt den Nutzer beim Abstützen in der Badewanne ein Hauch von Unbehagen, ob dieser Handlauf sich als haltbar erweisen wird. Für den Fall, dass ein Werkstoff nicht alle erwünschten Eigenschaften aufweisen kann, lassen sich unterschiedliche Materialien mit speziellen Eigenschaften miteinander zu sogenannten Verbundwerkstoffen kombinieren. Harzgebundene Mineralien bieten beispielsweise vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten in Bereichen, wo Ästhetik, verbunden mit Hygieneanforderungen, Hitze- und Schlagbeständigkeit, gefordert ist, wie in Laboren, Krankenhäusern, Sanitär- und Gastronomiebereichen. Der Werkstoff lässt sich komplett durchfärben, individuell gießen und als Plattenmaterialien fugenlos einsetzen. Je nach Hersteller sind umfangreiche Farbpaletten erhältlich, und der Werkstoff wirkt aufgrund seiner mineralischen Anteile und Durchfärbung – ähnlich den Natursteinen – sehr hochwertig und authentisch. Zudem lassen sich Kratzer oder ausgebrochene
Stücke hervorragend reparieren, sodass der Werkstoff für langlebige, robuste Einrichtungen gut geeignet ist. Je nach Farbton ist er sogar durchaus »patinafähig« (Abb. 3). Um eine anschauliche Orientierung in der Material- und Technologievielfalt der Farbgestaltung geben zu können, lohnt sich ein Blick über die Architektur hinaus in die Produktwelt. Planern und Architekten stehen eine nahezu unüberschaubare Vielzahl an Materialien und Fertigungsmöglichkeiten zur Verfügung, die für die Gebäude, deren Einrichtung und Ausstattung verwendet werden können. Etablierte Pioniere in der Architektur, wie Le Corbusier, Ludwig Mies van der Rohe oder Norman Foster überraschten uns nicht nur mit ihren Bauten, sondern lieferten auch Ideen und Designs für Möbel, Leuchten und Armaturen. Diese interdisziplinäre Denkweise bietet das Potenzial, Technologien anderer Bereiche für die Architektur nutzbar zu machen. Bestes Beispiel hierfür ist die Verwendung von Hochleistungstextilien in der Architektur oder jüngste Entwicklungen, bewohnbare Gebäude mittels generativer Fertigungsverfahren zu »drucken«. Deshalb bietet dieser Überblick – speziell für die Möglichkeiten der Farbgebung – nicht nur Beispiele aus der Architektur, sondern auch aus der Produktwelt. Farbe als Material Materialien bringen ihre eigene Farbe mit! Farbe ist vom Material – sowohl als Oberflächenmaterial als auch als Vollmaterial – nicht wegzudenken. Doch worin besteht der Unterschied zwischen Oberfläche und Vollmaterial für Planer und Gestalter? Ist Vollmaterial wertvoller als eine Oberflächenbeschichtung? Generell sind Beschichtungen dann sinnvoll, wenn aus funktionalen Gründen (z. B.
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Farbe ist überall: hier das Pumpwerk Schönhauserstraße am Rheinufer, Köln (D) 2008, Kaspar Kraemer Architekten Durchgefärbter acrylgebundener Mineralwerkstoff ist im Objekt- und Wohnbereich vielseitig einsetzbar. Effektlacke für Skibrillen sind äußerst beanspruchbar. Sessel aus Schaumstoff mit gummielastischer Lackierung 45
aufgrund von Ästhetik, Gewicht, Haltbarkeit) andere als dem Material des Objekts innewohnende Eigenschaften gewünscht oder notwendig sind. Betrachtet man die reine Wertigkeit von Materialien, dann ist natürlich eine dünne Goldbeschichtung nicht ansatzweise wertvoller als massives Gold, aber immerhin wertvoller als eine goldfarbene Lackierung. Der Unterschied zur Lackierung ist bei der Betrachtung durchaus erkennbar, doch ob es sich um ein Vollmaterial oder eine Goldbeschichtung handelt, kann in der Regel nur ein Fachmann beurteilen. Eine sichtbare Nachahmung eines Materials wird allgemein eher geringer geschätzt als ein echtes Material. In der Designgeschichte gibt es viele Beispiele, bei denen Formen, Muster oder Materialien für die Gestaltung von Objekten nachgeahmt wurden, um den Zugang zu neuen Technologien zu erleichtern. Dass die ersten Automobile aussahen wie Postkutschen oder Werkzeugmaschinen wie Wohnzimmerkommoden sind beste Beispiele hierfür. Erst später wurden eigenständige Formensprachen entwickelt. Auch heute erfolgt im Zuge der Entwicklung eine Anwendung von noch immer bekannten oder althergebrachten Gestaltungsmerkmalen auf neue Technologien, wie beispielsweise die Schreibtischmetapher bei Bildschirmoberflächen. Interessant ist derzeit die Entwicklung von hochwertigen sogenannten Designbelägen für Fußböden, die eine Vielzahl von Oberflächen wie Holz, Marmor und Granit in sehr hoher Qualität nachahmen, mit herkömmlichem PVC oder Laminat nicht mehr vergleichbar sind und mittlerweile eine hohe Akzeptanz erfahren. Galt das Imitat früher eher als eine Art Makel, so bezogen sich die Vorbehalte in der Regel auf ästhetische Merkmale. In Zeiten der Ressourcenverknappung und Umweltprobleme geht es heutzutage aber nicht mehr primär nur um die ästhetische Qua-
lität, sondern um weiter reichende Kriterien, die zur Akzeptanz von Objekten und Produkten führt. Der »ökologische Fußabdruck« von Objekten und der bewusste Umgang mit unserer Umwelt bestimmen zunehmend den Wert eines Objekts. Somit geht es also nicht nur um das Material an sich, sondern darum, wie und mit welchem Aufwand und Umfang es sich einsetzen bzw. entsorgen lässt. Das zeigt, dass es zu der eingangs gestellten Frage – Oberfläche oder Vollmaterial? – keine eindeutige Antwort gibt bzw. diese nicht relevant für den Einsatz ist. Vielmehr ist für Planer und Gestalter die umfassende Kenntnis zahlreicher Materialien und Verarbeitungsverfahren hilfreich, die im Folgenden vorgestellt werden. Aus Sicht der Materialtechnologie kann das Färben von Materialien direkt oder indirekt durch chemische Reaktionen erfolgen. Im Gegensatz zum direkten Färbeverfahren entwickeln sich die Farben bei indirekten Verfahren erst während des Aufbringens farbgebender Substanzen. Die DIN 55 944 unterscheidet Farbmittel in Farbstoffe und Pigmente. Farbstoffe – natürliche als auch synthetische – sind in der Regel lösliche Färbemittel im Gegensatz zu Pigmenten, die aus unlöslichen Farbpartikeln bis zu eine Größe von wenigen mikro- bzw. Nanometern bestehen. Die Palette der Pigmente reicht von Schwarz-, Weiß-, vielfältigen Farb- bis hin zu Effektpigmenten mit Metallic- und Leuchteigenschaften. Stoffe, Papiere und Ledermaterialien werden in der Regel mit Farbstoffen gefärbt, da sie aufgrund ihrer Löslichkeit in die Oberflächenstrukturen eindringen können und anschließend trocknen. Das Färben von Kunststoffen und Lacken hingegen erfolgt überwiegend mit Pigmenten, da sowohl die Lacke als auch die Kunststoffe als Bindemittel dienen und somit
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preiswerter und lichtbeständiger sind. Metalle, wie z. B. Aluminium, können elektrolytisch oder absorptiv in unterschiedlichen Farben so eingefärbt werden, dass sie eine sehr widerstandsfähige Oberfläche erhalten. Es stehen vielfältige Farbstoffe und Farbpigmente zur Verfügung, die für die unterschiedlichen Werkstoffe und Anwendungsmöglichkeiten geeignet sind. Die Möglichkeiten der Farbvarianz hängen unmittelbar von der Verarbeitung und den Materialien ab. Farbig beschichtete Materialien Farbige Beschichtungen sind – wie beschrieben – dann sinnvoll, wenn das Material ästhetischen oder funktionalen Anforderungen nicht genügt. Ihr unschlagbarer Vorteil liegt in den vielseitigen Beschichtungsmöglichkeiten und Anwendungen: dehnbare Lacke für die Beschichtung von gummielastischen Kunststoffen (Abb. 4 und 5), abriebfeste HPL-Beschichtungen in vielfältigen Farben für Möbeloberflächen oder wasseroder schmutzabweisende Oberflächen durch spezielle Nanobeschichtungen. Beschädigte Oberflächen hingegen können sehr schnell den Eindruck minderwertigen Materials entstehen lassen, vor allem, wenn unter einer Chromoberfläche ein billig aussehender Kunststoff anstelle von Metall sichtbar wird. Ein probates Mittel kann hier die farbige Abstimmung des Trägermaterials mit der Oberfläche sein, um Kratzer somit bestenfalls optisch zu kaschieren. Beschichten durch Lacke und Farben
Die Vielzahl der Lacke haben die unterschiedlichsten Namen, die beispielsweise Aufschluss über die Verwendung (Malerund Künstlerfarben, Fassaden- und Bodenlacke), die Zusammensetzung (Kunstharz- und Nitrolacke, Bitumen- und 23
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Polyesterharzlacke) oder das Verfahren (Tauch- oder Einbrennlacke) geben. Je nach Zusammensetzung der Farben und Lacke können die Eigenschaften wie Verarbeitbarkeit, Oberflächenstrukturbildung, Widerstandsfähigkeit oder Farbeständigkeit beeinflusst werden. Eine Übersicht aller Lacke würde den Umfang dieses Beitrags weit überschreiten. Dennoch seien einige von ihnen vorgestellt, um einen Einblick in deren Vielfältigkeit zu geben: Leimfarben Leimfarben gehören zu den ältesten Färbemitteln und sind umweltfreundlich und wirken sich sehr gut – besonders in Verbindung mit Lehmwänden – auf das Raumklima aus. Sie reagieren empfindlich auf die Einwirkung von Nässe und sind daher nicht für den Außenbereich geeignet. Leimfarben sind dennoch für den Bad- oder Küchenbereich verwendbar, da sie Wasserdampf aufnehmen und nach einiger Zeit wieder abgeben können. Sie lassen sich sehr gut mehrmals überstreichen, sind geruchsneutral, wenig umweltbelastend und preisgünstig. Ferner können sie ohne Einschränkungen auf allen mineralischen Untergründen, Papier, Tapeten und Holz im Innenbereich bei geringer Beanspruchung verwendet und in vielen Farbvarianzen angemischt werden. Wegen der guten Entfernbarkeit vor Neuanstrichen eignen sie sich besonders gut für Stuckarbeiten. Kalkfarben Sie gehören zu den Mineralfarben und weisen eine geringe Bindungsfähigkeit von Pigmenten auf, daher lassen sich nur Pastelltöne anmischen. Kalkfarben sind schwierig zu verarbeiten, ihr Auftrag erfolgt in der Regel in mehreren Schichten, was die Anwendung relativ teuer macht. Sie eignen sich für geringe Beanspruchungen auf Putz, Beton und Faser24
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zement vorwiegend im Innenbereich und wirken durch ihre basische Struktur pilztötend. Kalkfarben sind nach ökologischen Gesichtspunkten sehr zu empfehlen, sie sind gesundheitlich unbedenklich und zeigen eine außerordentliche Leuchtkraft. Silikatfarben Sie bestehen aus Bindemitteln, Farbpigmenten, Füllstoffen und Wasser und gehören ebenfalls zu den Mineralfarben. Sie bilden keine Farbbeschichtung, sondern reagieren ausschließlich mit mineralischen Untergründen, weshalb sie auch nur für diese geeignet sind. Da sie langlebig und witterungsbeständig sind, finden sie hauptsächlich für Fassaden Verwendung. Silikatfarben sind aufwendig in der Verarbeitung und relativ teuer. Acrylfarben Sie existieren sowohl lösungsmittel- als auch wasserbasiert, wobei die Letzteren wesentlich umweltverträglicher und geruchsärmer als die lösungsmittelhaltigen Farben sind. Sie finden im Handwerk und in der Industrie wegen ihrer leichten Verarbeitbarkeit sehr häufig Anwendung und eignen sich für Holz-, Kunststoff- und Metalloberflächen. Im Fachhandel sind sowohl fertige als auch nach Kundenwunsch anmischbare Gebinde in unterschiedlichsten Farbtönen erhältlich. Kunstharzdispersionsfarben Sie bieten einen großen Gestaltungsspielraum, sind umweltverträglich und besonders bei Wandbeschichtungen stark verbreitet. Daher zählen sie zu den meistverwendeten Farben und Lacken. Als Bindemittel dienen in der Regel wassergebundene Harze. In den letzten Jahren bieten insbesondere Baumärkte den kundenorientierten Direktservice an, Kunstharzdispersionsfarben nach vielfältig abgestuften Nuancen anzumischen.
Lasuren Lasuren sind sehr dünnflüssig, können so besonders gut in poröse Strukturoberfläche eindringen und eignen sich daher gut für Imprägnierungen und als Oberflächenschutz. Lasierte Holzoberflächen behalten aufgrund ihrer Offenporigkeit ihren natürlichen Charakter. Lasuren bilden wegen ihrer geringen Pigmentierung eine transparente oder semitransparente Schicht und lassen ein mehr oder weniger intensives Durchscheinen des Untergrunds zu. Für Innenanwendungen werden überwiegend wasserverdünnbare Lasuren verwendet. Silikonharzfarben und -lacke Silikonharzfarben bzw. -putze (Abb. 6) sind Beschichtungen auf Basis einer Kombination aus zwei Bindemitteln – der Polymerdispersion und der SiliconharzEmulsion. Baubeschichtungen auf Siliconharz-Basis zeichnen sich durch eine hohe Wasserdampfdurchlässigkeit kombiniert mit niedriger Wasseraufnahme aus. Sie eignen sich hervorragend für mineralische Untergründe, insbesondere für stark witterungsausgesetzte Außenfassaden. Je nach Zusammensetzung können sie mit hohem Silikatanteil feuchtigkeitsdurchlässig bzw. mit hohem Kunstharzanteil eine hohe Festigkeit, dafür aber eine geringere Dampfdurchlässigkeit aufweisen. Im Gegensatz zu Silikonharzfarben werden Silikonharzlacke hauptsächlich durch Silikonharze gebunden und sind wegen ihrer besonders hohen Hitze- und Witterungsbeständigkeit für Ofenbeschichtungen und Haushaltsherde geeignet. Polyurethanharze Diese hochwertigen Reaktionslacke, auch bekannt unter den Namen DD-Lacke, sind sowohl als lösungsmittelhaltige Zweials auch wasserlösliche Einkomponentengebinde im Handel erhältlich. Sie eignen
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Silikonharzfarben sind besonders gut geeignet sowohl für Alt- als auch für Neubaufassaden. Aufgrund ihrer Beständigkeit gegen Witterung, Pilzund Algenbefall und ihres Abperleffekts schützen sie die wertvolle Bausubstanz. farbig beschichtete Stahlprofile, Hotel am Flughafen Berlin Brandenburg Willy Brandt, Berlin (D) 2012, PETERSENARCHITEKTEN Grundierung von Autokarosserien mittels elektrostatischer Tauchlackierverfahren pulverbeschichtete MDF-Platten
sich gut für besonders stark beanspruchte Oberflächen aus Metall, Beton oder Holz, wie beispielsweise Fußböden oder Bootsrümpfe. Aufgrund ihrer geringen Dampfdurchlässigkeit lassen sie sich nur sehr eingeschränkt für mineralische Untergründe verwenden. Pulverlacke Pulverlacke werden mit thermoplastischen oder duroplastischen Kunststoffen gebunden. Es gibt unterschiedlichste Technologien, das Farbpulver aufzubringen und mittels Aufschmelzen bzw. Aushärtung dauerhaft mit dem Untergrund zu verbinden. Das Pulver wird in einem vorgeschalteten Prozess speziell im Hinblick auf die optischen und mechanischen Anforderungen hergestellt (Abb. 7). Die Auswahl an Pigmenten richtet sich zum einen nach den Anforderungen des Verarbeitungsverfahrens, zum anderen nach dem Aufwand der Pulverherstellung und ist daher gegebenenfalls aus wirtschaftlichen Gründen etwas eingeschränkt. Pulverbeschichtungen sind sehr haltbar und finden Anwendung bei Möbeln, Fahrradrahmen, Haushaltsgeräten oder Fassadenverkleidungen. Aufbringen von Lacken und Farben
Für die vielfältigen Lacke und Farben bieten sich unterschiedliche Verarbeitungsmethoden an. Rollen und Pinseln Lacke und Farben können mit einem Pinsel oder einer Rolle – in der Regel manuell – aufgetragen werden. Spezielle Zusätze und Lösemittel beeinflussen die Verarbeitungseigenschaften wesentlich und ermöglichen einen gleichmäßigen Farbfilmauftrag, tropfenfreies Überkopfarbeiten oder eine geringe Neigung zur Nasenbildung.
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Verputzen Das Aufbringen zähflüssiger, pastöser Farbmassen oder Putze kann durch Verputzen erfolgen, entweder mit einem Spachtel oder mittels Aufspritzen. Besonders saugfähige Untergründe sollten vorher angefeuchtet werden, damit der Putz eine gute Haftung eingehen kann und nicht vorzeitig abbindet. Spritzlackieren Neben den genannten Streich- und Rollverfahren gehören die Spritzverfahren zu den gebräuchlichsten und sehr effektiven Lackierverfahren für flächige und ebene Oberflächen. Bei kleinteiligen komplexen Bauteilen mit vielen Durchbrüchen bleibt bei herkömmlichen Spritzlackierungen nur ein geringer Farbanteil haften, die Lackverluste (Overspray) können bis zu 90 % betragen. Bei elektrisch leitenden Oberflächen kann dieser Effekt durch elektrostatische Aufladung des Bauteils und des Lacks auf bis zu 15 % Lackverlust gesenkt werden. Elektrostatisches Spritzlackieren Das Prinzip der elektrostatischen Lackierung ist nicht nur für Spritzverfahren, z. B. für Fahrradrahmen, Felgen und Gehäuse, geeignet, sondern auch für Tauchlackierverfahren (Abb. 8). Sie findet ebenfalls bei Autokarosserien Anwendung und gewährleistet das feste Anhaften des Lacks in schwer zugänglichen Bereichen. Einbrenn- und Pulverlackieren Spezielle Lacke können anschließend auch durch eine Wärmebehandlung zur Steigerung der Widerstandfähigkeit eingebrannt werden. Besonders strapazierfähige und widerstandsfähige Farbschichten lassen sich mithilfe von Pulverbeschichtungsverfahren erzielen (Abb. 9). Hierbei erfolgt der Auftrag von Pulverfarben mit kunststoffbasierenden, duroplastischen oder thermoplastischen
Bindemitteln. Dann härten die Farben aufgrund einer chemischer Reaktion oder Abkühlung nach einer vorherigen Aufschmelzung aus. Wirbelsinternverfahren Nach einem ähnlichen Prinzip werden bei dem sogenannten Wirbelsinterverfahren Bauteile oberhalb der Schmelztemperatur des thermoplastischen Pulverlacks erwärmt und in eine geschlossene Kammer mit umherwirbelndem Kunststoffpulver bewegt. Das Pulver schmilzt auf der Bauteiloberfläche und bildet so einen festen Kunststoffüberzug. Die Drahtkörbe für die Geschirraufbewahrung in Spülmaschinen oder Drahtzäune werden beispielsweise auf diese Art beschichtet. Emaillieren Äußerst harte und kratzfeste und witterungsbeständige Beschichtungen sind mit dem Emaillierverfahren möglich. Pulverisiertes Glas wird mit Wasser gemischt und auf eine Oberfläche in mehreren Schichten aufgetragen, getrocknet und anschließend bei Temperaturen über 800 °C zu einer glasartigen Emailleschicht gebrannt. Aufgrund der hohen Verfahrenstemperaturen kommen in der Regel nur Metalle mit einem höheren Schmelzpunkt zur Anwendung, wie beispielsweise bei Badewannen, Kochtöpfen oder Backblechen. Mit den beschriebenen Verfahren können monochrome und gleichmäßige Beschichtungen aufgetragen werden. Um dekorative und bildhafte Oberflächen herzustellen, eignen sich beispielsweise der Siebdruck, der Wassertransferdruck oder der Tampondruck. Siebdrucken Beim Siebdruckverfahren wird mittels eines breiten Spachtels, dem Rakel, pastöse Farbe durch ein feines Gewebe 25
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auf die zu bedruckende Oberfläche gedrückt. Das Gewebe ist durch belichtungstechnische Präparierung im Bereich der nicht zu bedruckenden Fläche farbundurchlässig. So lassen sich feinste Muster und Schriften und Verläufe realisieren. Die Druckauflösung richtet sich nach der Maschenweite des Gewebes und liegt bisher noch unterhalb der des Offsetdrucks. Mit diesem Verfahren können in der Regel alle festen Werkstoffe bedruckt werden, wie z. B. Getränkedosen, Werbeschilder, Verkehrsschilder, Produktbeschriftungen, Bekleidungsstoffe und Glasfassaden. Wassertransferdrucken Äußerst faszinierend ist das Wassertransferdruckverfahren, mit welchem dreidimensional verformte Oberflächen mit Holz-, Karbon- oder Designdekor detailgenau bedruckt werden können. Das Verfahren ist verblüffend einfach: Es wird eine im Offsetverfahren bedruckte, wasserlösliche Transferfolie auf eine Wasseroberfläche gelegt. Die Transferfolie löst sich nach dem Besprühen eines aktivierenden Mittels auf, sodass die Farbpartikel auf der Wasseroberfläche schwimmen. Anschließend taucht man das dreidimensionale Bauteil vorsichtig in das Wasserbad, bis sich die Farbschicht komplett um das Bauteil gelegt hat. Zum Schluss wird das Bauteil gereinigt und die Oberfläche mit Klarlack fixiert. Tampondrucken Der Tampondruck ist eines der bedeutendsten Bedruckungsverfahren für vielseitige Werkstoffe und Anwendungen. Der Druck erfolgt durch einen weichen Silikonstempel (Silikontampon) (Abb. 10), der die aufgenommene Farbe auch auf dreidimensional verformte Oberflächen übertragen kann. Klassische Anwendungen sind Beschriftungen auf Elektro-, Sport- und Haushaltsgeräten. 26
Beflocken Ein besonderes haptisches Erlebnis lässt sich durch das Beflocken der Oberfläche erzielen (Abb. 11). Ähnlich wie beim Pulverbeschichten trägt man feinste Fasern (z. B. Polyamidfasern) mittels elektromagnetischer Felder senkrecht auf eine mit einer Klebeschicht versehene Oberfläche auf. Die Länge der Faser bestimmt die Dicke der samtartigen Schicht, die auf der Oberfläche entsteht. Die weiche Oberfläche weist zudem eine schalldämmende Wirkung auf und eignet sich auch für Trennwände im Innenbereich. Bedampfen und Abscheiden Besonders dünne Metallschichten lassen sich je nach Anwendung mit dem PVDund CVD-Verfahren aufbringen. Hierbei werden Metalldämpfe unter Vakuum bzw. mittels chemischer Reaktion auf der Oberfläche abgeschieden. Neben metallischen oder keramischen Werstoffen lassen sich auch Kunststoffe für Leuchtenreflektoren oder Gehäuseteile mit elektromagnetisch abschirmenden Oberflächen beschichten. Im Gegensatz zu farbauftragenden Verfahren für das Aufbringen von Beschriftungen und Motiven kann mittels Lasertechnologie aufgetragene Farbe gezielt partiell abgetragen werden, damit die darunterliegende Farbe oder das hinterleuchtete Material zum Vorschein kommt. Dieses Verfahren kommt häufig im Automobil- und Konsumgüterbereich zum Einsatz. Beschichten von Materialien mit farbigen Platten- und Folienwerkstoffen Im Gegensatz zu farblich scheinbar beliebig variierbaren Lacken und Farben ist die Farbvielfalt bei Beschichtungsplatten und -folien eher eingeschränkt. Das liegt u. a. daran, dass für diese Werkstoffe als Beschichtungsmaterial in unterschied-
Tampondruck auf Bedienoberflächen beflockte MDF-Platte 3D-Furnier Schichtholz mit metallischer Profilummantelung farbige, lichtdurchlässige Polycarbonat-Platten, PGE-Arena, Danzig (PL) 2011, RKW Rhode Kellermann Wawrowsky, in Zusammenarbeit mit RKW Polska und HPP Hentrich Petschnigg & Partner
lichen Formaten und Stärken in wirtschaftlich sinnvollen Mengen eine Vorfertigung erfolgen muss und sich daher die Varianz auf die häufig nachgefragten Werkstoffprodukte beschränkt. Die Hersteller bieten eine große Bandbreite an Beschichtungsplatten und -folien aus unterschiedlichen Materialien mit spezifischen Eigenschaften an. Sie werden in der Regel mit dem Untergrund verklebt. Die Beschichtung von Möbeloberflächen erfolgt häufig mit widerstandsfähigen Schichtstoffplatten aus Kunststoff (z. B. HPL, High Pressure Laminate) oder dekorativen Holzfurnieren mittels Verklebung. Die Farbpaletten bei den Schichtstoffplatten sind aufgrund der großen Verbreitung sehr umfangreich und orientieren sich mitunter an gebräuchlichen Farbsystemen wie RAL, HKS, NCS oder Pantone. Zudem sind zahlreiche Muster und Strukturierungen erhältlich. Insbesonders im Bereich der Verbundwerkstoffe lassen sich unterschiedliche Materialien vielfältig mit neuen Werkstoffen kombinieren. So werden beispielsweise Holzprofile mit Metallfolien ummantelt (Abb. 13), Kunststofffolien mit Aluminiumblechen zu Schichtverbünden für Verkleidungen oder Displays verarbeitet oder Plattenmaterialien mit in transparentem Kunststoff eingegossenen Grashalmen, Blumen, Kieselsteinen oder bedruckten Textilien für dekorative Anwendungen im Interieurbereich angeboten. Auch dreidimensional verformte Oberflächen lassen sich mit Beschichtungswerkstoffen versehen. So werden z. B. Automobile mit warm umformbaren, bedruckten Folien faltenfrei beklebt. Es gibt sogar speziell präparierte Echtholzfurniere für Möbel oder geschwungene Wandvertäfelungen, die eine mehrdimensionale Verformung zulassen.
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Mit dem Inmold-Decoration-Verfahren können bedruckte oder mit einer speziellen Oberflächenoptik strukturierte Folien mit Kunststoff in einer Spritzgussmaschine hinterspritzt werden. Die vorgestellten Beschichtungsverfahren zeigen zwar die Vielfalt der Gestaltungsmöglichkeiten, sind aber nicht generell funktional sinnvoll und wirtschaftlich durchführbar. Hier bieten sich alternativ durchgefärbte Werkstoffe an. Ein- bzw. Durchfärben von Werkstoffen Das Objekt besteht aus einem homogen durchgefärbten Material, wie z. B. bei farbig eingefärbten MDF-Platten, Kunststoffen oder Mineralwerkstoffen. Der Vorteil des Durchfärbens besteht darin, dass sich die Materialien in der Regel beliebig bearbeiten lassen, ohne dass die Schnittflächen anschließend beschichtet werden
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müssen (durch Farbe oder Umleimer). Aus Wirtschaftlichkeitsaspekten stehen für handelsüblich durchgefärbte Werkstoffe je nach Hersteller jedoch nur eingeschränkte Farbpaletten zur Verfügung, da die Bereitstellung einer großen Farbvielfalt sehr kostenintensiv ist. Allerdings lassen sich aufgrund der spezifischen Materialeigenschaften nicht alle Werkstoffe gleich gut einfärben. PU-Schäume werden wegen ihrer mangelnden UVStabilität in der Regel schwarz eingefärbt oder naturbelassen mit Farbwerkstoffen beschichtet, z. B. durch Lackieren. Je nach spezifischem Material geschieht das Einfärben auf sehr unterschiedliche Art und Weise und soll im Folgendem näher betrachtet werden. Färben von Kunststoffen
Kunststoffe kommen in nahezu allen Bereichen des Alltags vor und sind aufgrund ihrer Vielseitigkeit der bevorzugte
Werkstoff in der Massenproduktion. Spritzgusstechnologien ermöglichen die Produktion fertiger Bauteile in einem Arbeitsschritt und mit äußerst hoher Oberflächenabbildungsgenauigkeit. Das direkte Einfärben macht zusätzliche Beschichtungsschritte überflüssig. Die wirtschaftlichste und sinnvollste Methode des Einfärbens von Kunststoffen geschieht mittels sogenannter Masterbatches (vorgefertigte, granulierte, flüssige oder trockene Farbmischungen), die auch bei kleinen Produktionsmengen eingesetzt werden können. Neue Technologien bieten die Möglichkeit, niedrig dosierte Flüssigfarben dem bereits aufgeschmolzenen Kunststoff beizumischen, was die Einfärbung deutlich effektiver und damit kostengünstiger macht. Je nach Kunststoff lässt sich annähernd jede Farbnuance mit unterschiedlichen optischen Effekten realisieren. Für die Bestimmung der Farbtöne sind Referenzwerte aus den verschiedenen Farbsystemen, wie z. B. RAL, Pantone oder NCS, sinnvoll (siehe »Farbsysteme«, S. 33ff.). Kunststoffhersteller bieten oftmals auch eigene, fein abgestufte Farbmuster an. Aus ökonomischen Gründen kann es sinnvoll sein, sich im Handel bereits existierender Farbpaletten zu bedienen. Färben von Textilien
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Textilien können sowohl aus natürlichen als auch synthetischen Fasern bestehen, ihre Anzahl ist bezüglich ihres Ausgangsmaterials sehr umfassend. Daher gilt für die Wahl der Farbmöglichkeiten bei synthetischen Fasern das Gleiche wie bei den Kunststoffen. Ungefärbte textile Gewebe oder Stoffe können je nach Faserwerkstoff und Anwendung vielfältig eingefärbt werden. Hierzu stehen unterschiedliche Färbeverfahren (Küpen-, Beizen-, Reaktiv-, Dispersions- oder Direktfärbung) zur Verfügung. Die Farbvarianz und -intensität ist wesentlich vom Faser27
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material, den Farbstoffen und dem Färbeverfahren abhängig. Dies gilt gleichermaßen für Papiere. Textilien und Papiere sind zudem prädestiniert für diverse Bedruckungs- und Lackierverfahren. Sie bieten beispielsweise für Tapeten oder textile Messebausysteme umfangreiche Gestaltungsmöglichkeiten. Deutlich eingeschränkter sind die Möglichkeiten der ein- bzw. Durchfärbung bei Metallen, Keramiken, Gläsern oder Hölzern. Die Anzahl der möglichen Farben ist aufgrund der jeweiligen Verfahren auf einige wenige beschränkt. Färben von Metallen
Metalle lassen sich in der Regel nicht mit Färbemitteln durchfärben, dafür aber sehr widerstandfähig unter Beibehaltung des metallischen Charakters beschichten im Gegensatz zu lackierten Metalloberflächen, deren besondere Optik des Metalls nahezu verloren geht. Aluminium, Magnesium oder Titan können durch Anodisieren mit farbigen Oxidschichten versehen werden, speziell für Aluminium ist das Verfahren auch als Eloxieren bekannt (Abb. 16).
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Färben von Keramiken
Eine farbige Beschichtung keramischer Werkstoffe erfolgt überwiegend vor bzw. nach dem Brand. Die Farbvarianz nimmt mit der Höhe der für die jeweilige Anwendung erforderlichen Brenntemperatur ab. Färben mineralischer Werkstoffe
Mineralische Werkstoffe, wie z. B. Beton oder polymergebundene Mineralien oder sogar Holzwerkstoffe wie die Mitteldichten Faserplatten (MDF), lassen sich hingegen gut durchfärben. Durchgefärbte Werkstoffe haben dort ihre Berechtigung, wo sich kostenintensive Beschichtungen generell einsparen lassen, das Material durch Abnutzung oder Kratzer seine optische Wertigkeit nicht verliert oder Beschichtungen nicht dauerhaft aufgebracht werden können. Oberflächenstrukturierte Materialien Oberflächenstrukturen beeinflussen und verändern in hohem Maß den Farbeindruck. Nasse Oberflächen, wie z. B. bei einem feuchten Textilstoff oder bei mineralischen Werkstoffen, zeigen dies anschaulich. Susanne Happel und Frederik Molenschot aus den Niederlanden setzten diesen Effekt poetisch durch speziell be-
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schichtete Betonfliesen um, die bei Nässe ornamentale Muster zum Vorschein bringen (Abb. 18). Äußerst populär sind derzeit matte, widerstandsfähige Oberflächen. Sie finden Anwendung auf Möbeln, Autos oder Skihelmen und weisen eine weiche, stoffliche Anmutung auf (Abb. 19 a). Besonders eindrucksvoll zeigt sich ein partiell geätzter Beton. Seine gemusterte Oberfläche sieht nicht nur samtig aus, sondern fühlt sich auch so an. Bei der Herstellung von Kunststoffbauteilen bestehen vielfältige gestalterische Möglichkeiten, die Oberflächen mit Strukturen zu versehen. Die reliefartigen Oberflächen, wie z. B. Ledernarbungen oder Bürststrukturen, werden direkt in die Spritzgusswerkzeuge durch Ätzen oder Laserstrukturieren eingebracht. Die unterschiedlichsten Strukturen sind somit in hohen Stückzahlen reproduzierbar. Farbig hinterleuchtete oder selbst leuchtende Materialien Die Farbigkeit von transluzenten oder transparenten Werkstoffen lässt sich
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15 mit Pigmenten eingefärbter Sichtbeton, Bodega Antión, La Rioja (E) 2008, Jesús Marino Pascual y Asociados 16 farbige Lamellenfassade eines sanierten Warenhauses, Duisburg (D) 2010, Sprenger von der Lippe Architekten 17 leuchtende Folien (organische LEDs oder OLEDs) 18 Betonfliesen zeigen unter Einwirkung von Nässe ornamentale Strukturen. 19 Beton erhält durch Ätzen unterschiedliche Oberflächen a samtige Oberfläche b textilstoffähnliche Oberfläche 20 strukturierte Fassade am Neumarkt in Dresden (D) 2011, Arbeitsgemeinschaft Böttcher und Dähne Architekten 21 Sichtbeton mit einer Lorbeerstruktur, Sporthalle, St. Gallen (CH) 2011, Lauener Baer Architekten
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durch Licht zusätzlich modulieren, sei es durch An- oder Hinterleuchten. Leuchtkästen für Werbe- und Anzeigetafeln sind aufgrund ihrer Strahlkraft besonders auffallend. Durch moderne Drucktechniken sind in den letzten Jahren hinterleuchtete Textilien im Messebau, dekorative Verglasungen in der Architektur oder temperatur- und lichtsensitive Lacke für Printmedien und Thermoanzeigen sehr beliebt. Die Entwicklung neuer Materialien und Herstellungsverfahren ermöglicht äußerst interessante, marktreife Innovationen, wie leuchtende Tapeten, durchsichtigen, mit Glasfasern durchsetzten Beton oder elektrisch leitfähige und veränderbare Lacke. Der bisherige Überblick zeigt, dass Farben sich nicht beliebig in gleichbleibender Erscheinung auf alle Materialien übertragen lassen. Dies hat zur Konsequenz, dass Gestalter Wissen über die Zusammenhänge von Materialien, deren Verarbeitung und Einflüssen während der Fertigung besitzen müssen. Dieses Know-how ist die Voraussetzung für die Realisierung eines Entwurfs in der geforderten Farbigkeit. Farbe als Prozess – Customization in der Massenproduktion Seit einigen Jahren setzen sich zunehmend neue Fertigungstechnologien durch, die eine individuelle Gestaltung in der Serien- bzw. Massenproduktion zulassen und sich unter dem Begriff »Mass Customization« subsumieren. Dies bietet auch für die Farbgebung gänzlich neue Möglichkeiten. Zu den bekanntesten Technologien gehören die generativen Verfahren. Im Gegensatz zu Fertigungsverfahren, wie beispielsweise dem Spritzguss- oder Druckgussverfahren, bei denen für jedes zu produzierende Bauteil ein kostenintensives Werkzeug erstellt werden muss,
basieren die generativen Verfahren lediglich auf dreidimensionalen Daten, die Bauteile unmittelbar, werkzeuglos und schichtweise sehr präzise aufbauen. Die Potenziale der generativen Verfahren liegen darin, kleinere Stückzahlen von Bauteilen komplexerer Geometrie seriell wirtschaftlich herstellen zu können, Indivi- 18 dualisierung in der seriellen Herstellung zu implementieren und bei speziellen Verfahren, wie z. B. beim Lasersintern, gegebenenfalls Material während der Produktion einzusparen, da kein Abfallmaterial entsteht bzw. das nicht benötigte Material wieder dem Produktionsprozess direkt zugeführt werden kann. Vor wenigen Jahren waren diese soge- 19a nannten Rapid-Prototyping-Technologien nur einem kleinen Anwenderkreis vertraut, was sich derzeit rapide ändert. Mittlerweile dienen diese industriellen Verfahren für die individuelle Produktion von Implantaten, Zahnersatz und Schmuck. Sie halten sogar Einzug in die privaten Haushalte mit mittlerweile relativ erschwinglichen 3D-Druckern. Die Realisierung von maß19b geschneiderten Produkten in kleinen wie großen Stückzahlen ist nicht nur ein Milliardengeschäft, sondern trägt auch das Potenzial einer grundlegenden Umwälzung unserer industriellen Fertigung in sich. Zum einen lassen sich Kundenwünsche gezielter aufnehmen, und zum anderen kann jeder, der einen 3D-Drucker besitzt, Produkte »produzieren«. Aufgrund der vergleichsweise 20 hohen aufzuwendenden Energie während der Herstellung werden für die Massenproduktion die generativen Verfahren sicher nicht die herkömmlichen Fertigungsverfahren ablösen können. Neben den erwähnten generativen Verfahren eignen sich aber auch konventionelle Verfahren wie beispielsweise Digitaldruck oder Laserschneidverfahren für den Einsatz von Mass Customization. 21 29
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Diese Entwicklungen sind für professionelle Gestalter besonders interessant und herausfordernd und werfen viele Fragen auf: Wie können sich Marken und Hersteller im Markt positionieren, wenn der Kunde mitgestalten kann? Inwieweit haben Gestalter noch Einfluss auf die Produkte? Helfen diese Technologien, nachhaltig mit Ressourcen umzugehen? Die Beantwortung dieser Fragen wird zukünftige Produktentwicklungsprozesse beeinflussen. Im Folgenden sollen einige Beispiele zur gegenwärtigen Anwendung von Mass Customization aufgeführt werden: Ist es in der Automobilindustrie schon lange möglich, sein Auto vielseitig zu konfigurieren, bietet inzwischen auch ein Sportartikelhersteller individuelle Gestaltungsmöglichkeiten in seinem Webauftritt an, den eigenen Schuh in verschiedenen Farben und Designs zu kreieren. Hier können verschiedene Layer, Farben und Muster zusammengestellt werden, und der Schuh wird nach den eigenen Vorstellungen des Kunden produziert. Im Interieurbereich kreiert der italienische Designer Sergio Perrero auf der Basis von gebrauchten Materialien, wie z. B. Textilien oder Hölzern, für einen renommierten Schichtstoffhersteller exklusive und einzigartige Dekore (Abb. 22). Auch in den Druckbranche haben sich mittlerweile viele Anbieter und Hersteller auf die individuelle Erstellung von Artikeln eingestellt und ihre Prozesse und Abläufe daraufhin weiterentwickelt. Die 2D-Druckverfahren sind nicht neu, allerdings die Möglichkeit, eigene Designs auszuwählen oder selber zu erstellen: Über Webauftritte lassen sich eigene Bilder, Fotos oder Grafiken hochladen, um sein individuellen T-Shirts, Schürzen, Taschen oder Tassen in Kleinserien drucken zu lassen. 30
Ferner gibt es die Möglichkeit, Musikplayer, Mobiltelefone oder andere Endgeräte mit selbst gestalteten Folien zu bekleben. Über einen Webauftritt lassen sich für eine große Auswahl handelsüblicher Geräte sowohl unzählige Designs auswählen und modifizieren, als auch eigene Ideen mit einem einfach und intuitiv zu bedienenden Grafiktool erstellen. Die Formate werden auf das ausgewählte Gerät angepasst und nach Fertigstellung in einer ansprechenden Versandverpackung zugeschickt. Einige Hersteller und Dienstleister haben sich auf die Kreation von Tapeten und Wandgestaltung spezialisiert und bieten ein umfangreiches Archiv großformatiger Fotos und Muster an. Ein Hersteller ermöglicht beispielsweise ein Hochladen eigener Designs. Mithilfe eines »Tapetenrechners« kann die Aufteilung der Motive auf den Wänden genau berechnet und zugeschnitten werden. Mit der Weiterentwicklung des RapidPrototyping-Verfahrens wächst zugleich der Markt für Anbieter bzw. Dienstleister, die 3D-Drucke für Prototypen, Lampenschirme, medizinische Anwendungen, Schmuck bis hin zu diversen Miniaturspielereien herstellen. Die Auswahl an »druckbaren« Materialien, Farben und Fertigungsprozessen nimmt stetig zu. Diese Anwendungen sind dann wirtschaftlich interessant, wenn sie im Vergleich zu etablierten Verfahren die Produktion von neuen Produkten kostenbewusst ermöglichen. Beim 3D-Printing-Verfahren, einem generativen Verfahren, wird analog zum verbreiteten 2D-Drucker, ein Tintenstrahldruckkopf eingesetzt. Bei 3D-Druckern kommt hingegen ein spezielles Pulver mit einem farbigen Bindemittel zum Einsatz, das 3D-Objekte schichtweise aufbaut.
Ein Hersteller bietet mit seinem Slogan »3D Print Your World« dreidimensionale, farbig gedruckte Landkarten an (Abb. 24). Ort und Maßstab kann der Nutzer frei bestimmen. 3D-Printing ist besonders für Stadtplaner, Architekten oder Museen interessant, da die Modelle und Prototypen durch den Farbdruck sehr anschaulich und schnell herzustellen sind. Neuste Entwicklungen versuchen, generative Verfahren über den Modellbau hinaus auf reale Gebäude anzuwenden. Die Entwicklung von Prototypen erfolgt derzeit. Es entstehen außerdem zurzeit viele Ideen, um die Individualisierung für seriell hergestellte Produkte zu realisieren. Ein Hersteller für Klinker und Dachziegel bietet beispielsweise die Herstellung von Mauerziegeln nach Kundenwunsch an. Er begleitet den Kunden von der Idee bis zum fertigen Ziegel (Abb. 25). Inspirationen des Kunden lassen sich semantisch formal und farblich in einem individuellen Ziegel umsetzen und verleihen dem Bau seinen außergewöhnlichen Charakter. Der Grad der Individualisierbarkeit variiert bei den bisher vorgestellten Beispielen auf unterschiedliche Art und Weise. Die Einflussnahme des Designers in formale, funktionale und ästhetische Ausprägungen während des Entstehungsprozesses eines Produkts hängt demnach unmittelbar von dem Freiheitsgrad ab, den er dem Anwender zugesteht. Wie an den Beispielen zu sehen, gibt es von der Auswahl vorgefertigter Designs bis zur gänzlichen Entscheidungsfreiheit durch den Kunden alle Varianten. Sie werden letztlich, wie bei allen anderen Verfahren auch, durch die verwendeten Materialien und Fertigungsmöglichkeiten bestimmt.
Materialität und Technologie
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Daher obliegt es dem Designer, die Potenziale dieser Fertigungsprozesse gestaltbar zu machen. Qualität und Nachhaltigkeit von Farbe Farben beeinflussen neben vielen anderen Faktoren die wahrgenommene Qualität eines Produkts. Sie ist kulturell determiniert und zudem abhängig von den sich wandelnden Präferenzen des Betrachters. Die Art, ein Produkt zu betrachten, steht somit in einem unmittelbaren Bezug zu der jeweiligen Zeit und den subjektiven Gefühls- und Deutungsprozessen des Betrachters. Jeder Entwurf hat zudem spezifische Rahmenbedingungen, die ihm zugrunde liegen. Sie beeinflussen die Höhe der Produktionsstückzahl, die Entwicklungsarbeit, die Materialwahl, die Fertigungsmöglichkeiten und berücksichtigen den Kenntnisstand der potenziellen Nutzer. Konnte man in den 1970er-Jahren in vielerlei Hinsicht noch »aus dem Vollen schöpfen«, sind heute in Zeiten von Ressourcenverknappung nachhaltige Lösungen in allen Bereichen mehr denn je erforderlich. Die Entscheidung, ob ein Vollholz, eine Beschichtung aus Holz oder holzimitierender Werkstoff bei einer Autoinnenverkleidung oder einem Fußboden zum Einsatz kommt, hängt von verschiedenen abzuwägenden Kriterien ab und lässt sich nicht allgemeingültig festlegen. Die Definition dieser Kriterien erfolgt in einem Anforderungsprofil und gibt beispielsweise Auskunft über Verarbeitbarkeit, Umweltverträglichkeit, Witterungsund Alterungsbeständigkeit, Produktlebenserwartung, Recycelbarkeit und Wirtschaftlichkeit. Ein Fußboden für einen Messestand hat gänzlich andere Anforderungen zu erfüllen als der für eine Eigentumswohnung. Zudem gilt es, eventuell vorherrschende Konnotationen zu Materialien – »Holz ist gut, Kunststoffe sind schlecht« – zu
22 berücksichtigen oder auch zu überdenken. Je nach Zielgruppe können unter23 schiedliche Informationen über bestimm24 te Materialien kursieren und die Kaufentscheidung der Kunden maßgeblich 25 beeinflussen. Besteht ein Objekt beispielsweise aus nachhaltig deklarierten Kunststoffen, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass es auch nachhaltig ist. Manche ökologischen Kunststoffe sind aufgrund ihrer Ökobilanz durchaus zweifelhaft oder nur unter speziellen Umgebungsbedingungen abbaubar und verrotten weder im Kompost noch in der Erde – wie der Konsument vielleicht vermuten könnte. Das Wissen über Kunststoffe aus nachwachsenden oder ökologisch recycelbaren Rohstoffen kann nicht unbedingt bei jedem Nutzer vorausgesetzt werden. 24 Inwieweit diese auch wirklich nachhaltig oder recycelfähig sind – was Hersteller gerne versprechen – vermag nur eine »ganzheitliche« Betrachtung über den gesamten Produktlebenszyklus von der Entstehung bis zur Wiederverwertung oder Entsorgung zu geben.
Dekore mit individuellen Designs, Living Collection Sergio Perrero Legnorosso Hardcover in unterschiedlichen Designs für Mobiltelefone und Tabletcomputer Mit dem 3D-Printing lassen sich farbige 3D-Landkarten erstellen. Entwurfsprozess von der individuellen Idee bis zum fertigen Ziegel
Im Sinn von Nachhaltigkeit ist es unerlässlich, die Einstellung zu den unzählig existierenden Materialien und Fertigungsmöglichkeiten zu überprüfen und sich darum zu kümmern, welcher Materialeinsatz, welche Beschichtung an welcher Stelle wichtig und welche Fertigungsstrategie sinnvoll ist: Der Lack sollte schließlich nicht abblättern und beständig gegen äußere Einflüsse sein – gleichzeitig aber unproblematisch wiederverwertbar und umweltschonend entsorgbar sein. Entscheidungskompetenz ist besonders bei komplexen Zusammenhängen für Gestalter eng mit Verantwortung verbunden und erfordert ein hohes Maß an Recherchekompetenz und Dialogfähigkeit, um ästhetische oder funktionale Lösungen zu finden und Ressourcen nachhaltig zu nutzen, anstatt sie zu verbrauchen. 25 31
Farbsysteme – illustrieren, vergleichen, kommunizieren Axel Venn
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beschäftigte sich in seinem Werk Meteorologika mit den Farben und Kontrasten des Lichts: über Naturbeobachtungen der Farben am Tag, vom weißen Mittag bis zum späten Nachmittag und vom Abendrot bis zum Purpurviolett und zur Schwärze der Nacht [1]. Er erkannte beispielsweise, dass bunte Stickereien bei hellem Sonnenlicht anders wirkten als in fahlem Öllicht. Farbe ist nicht gleich Farbe, sondern Farbe ist abhängig vom Licht. Rot wirkt vor einem weißen Hintergrund anders als vor einem grünen Hintergrund. Platons (um 427 – 347 v. Chr.) Erklärung der Farben beruhte auf der Vorstellung, dass das Sehen über einen Lichtstrahl, der vom Auge ausging, erfolge [2]. Der Glanz der Flächen war für ihn gleichwertig neben der Farbe selbst. Aristoteles und Platon waren sich bewusst, dass hinter den Farben Harmonie und geheimnisvolle Dissonanzen verborgen waren. Der Weg zur naturwissenschaftlichen Erkenntnis war ihnen verwehrt. Farben wurden von Aristoteles als reale Eigenschaften von Materialien und Körpern und nicht als Empfindungen wahrgenommen.
Warum wir heute Farbsysteme für eine Vielzahl handwerklicher, kreativer, medien- und marketingspezifischer Berufe für unerlässlich halten, hängt mit der Vernetzung der Aufgabengebiete, der Internationalisierung und der Komplexität von Produkt- und steigendem Wertanspruch zusammen. So muss das Automobilinterieur gleichtonig auf fünf oder sechs Materialtypen abgestimmt sein, oder die Gebäudeausstattung eines Krankenhauses folgt einer ästhetischen, heil- und pflegeorientierten Farbkonzeption. Beide Aufgaben verlangen nach klar beschriebenen und eindeutig kommunizierbaren Definitonen.
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Ordnung und Ortung Das von Werner Spillmann herausgegebene Buch Farb-Systeme 1611– 2007 stellt 68 verschiedene Farbordnungskonzepte in Form von Farbsystemen und Farbsammlungen vor [4]. Der Wunsch, eine möglichst systematische Ordnung und somit eine Verortung der Farbvielfalt zu entwickeln, kann man als die wesentlichen historischen Hintergründe einer umfassenden Visualisierung bezeichnen. Je nach Nutzenoption war es den Systemerfindern und Farbsammlern wichtig, eine
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Reflexion
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RAL DESIGN System NAVIGATION (CIELab)
Am Anfang einer exakten – nach heutigen Begriffen wissenschaftlichen – und systematischen Suche nach einer Erkenntnis über die Lichtfarbe steht am ehesten Sir Isaac Newton (1642 –1726). Er erkannte, dass die Farben des Lichts nicht gefärbt sind, sondern in ihnen eine »gewisse Kraft und Fähigkeit liege, die Empfindung dieser oder jener Farbe zu erregen« [3]. Mithilfe seiner Experimente bewies er, dass sich das Licht in Spektralfarben zerlegen lässt und wieder zusammengeführt weißes Licht ergibt: additive Farbmischung, im Gegensatz hierzu steht die subtraktive Farbmischung.
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Sinn und Ursprung Die Idee, Farben in einem philosophischen Diskurs zu erklären und in einem Kanon von Regeln und Gesetzmäßigkeiten einzufangen, bestand bereits in der Antike. Im Folgenden wird gezeigt, dass die Wissenschaft und die Farbphilosophie am Anfang der Erkenntnis stehen, denn eine stabile Definition dessen, was der Mensch betrachtet, ist weder objektivierbar noch vergleichbar. Bereits Aristoteles (384 – 322 v. Chr.)
360° Farbenkreis: Der Buntheitsgrad der Farben ist auf der Außenachse (dem Farbenkreis) am Größten. Er bildet die »Äquatorlinie« des Farbaufbaus. Die RAL-Farbtonkarte 040: in empfindungsmäßigen gleichen Schrittfolgen zeigen die Farbtonkarten aus dem insgesamt 360° umfassenden Farbenkreis, Helligkeitswerte, die Buntheit und die Grauwertachse.
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Buntheit
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Farbsysteme
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möglichst praxisbezogene Farbreihe zu vermitteln, die es Malern, Architekten, Designern, Druckern etc. ermöglichte, einen wiederauffindbaren Platz seiner von ihm geschätzten Nuancen als Mustervorlage zu haben. Ein Verlassen dieser Vorgehensweise beruht beispielsweise auf Bevorzugungen von bestimmten Farbschwerpunkten, z. B. breiteren Gelb-GrünFarbfeldern und infolge dessen schmaleren Blau-Rot-Farbvorkommen. Häufig sind dafür auch landschaftliche oder bestimmte Naturvorlieben der Autoren verantwortlich oder zweckgebundene Besonderheiten, die beispielsweise Anlehnungen an florale Kolorits als programmtypisch definieren. Die Essenz jeden Farbsystems, das gilt in gleicher Weise für den Theoretiker wie für den Praktiker, beruht auf der Erfordernis, eine präzise empfindungsgemäße Gleichabständigkeit von Farbton zu Farbton innerhalb des dargestellten gesamten Spektrums von üblicherweise rund 1600 bis 2000 Einzeltönen zur Verfügung zu haben (z. B. beim Munsell-Farbsystem) (Abb. 1 und 2, S. 33). Es lassen sich so im Fall fehlender Nuancen einfach Feinnuancierungen mittig zwischen den vorhandenen Tönen definieren. Ausschließlich gleichabständige Systeme können das hervorragend, die anderen kaum. Solche Systeme, die dies zulassen, sind die wissenschaftlich und praxisbezogen brauchbarsten. Dazu gehören speziell jene, die rein von einer subtraktiven Farbmischung ausgehen: Magenta, Cyan und Gelb. Nur dieses Prinzip bewirkt eine gleichmäßige Verteilungsstruktur. Um es anschaulich zu sagen: Sobald die Prinzipien der additiven mit der subtraktiven Farbmischung verknüpft werden, also Rot, Grün und Blau der additiven Farbmischung (Lichtfarben) mit Magenta, Cyan und Gelb (Körperfarben), entstehen empfindungsgemäße Ungleichgewichte 34
Der Farbfächer »Farben der Gesundheit« ist das Ergebnis einer Farbrecherche, die sich mit den semantischen Profilen der Farben beschäftigte. Die 120 wichtigsten Töne werden chromatisch und nach häufigstem Vorkommen vorgestellt. Der schematische Systemaufbau. Die 1625 Farbtöne des RAL-Design-Systems sind nach den Eigenschaften Buntton (hue = H, Helligkeit) (lightness = L) und (Chroma = C) geordnet. Der asymmetrische Aufbau ist deutlich erkennbar. Die Weiß-Grauschwarz-Achse verläuft mittig von Nord nach Süd. Der Farbenkreis bildet den Äquator mit seinen reinsten, ungetrübten Farbtönen. NCS Doppelkegel. Im NCS-Farbsystem stehen sechs Farbtöne: Weiß und Schwarz an der Spitze des Doppelkegels; Grün, Rot, Gelb und Blau stehen sich gegenüber.
im Farbenkreis. Der Gelb-Rot-BlauBereich ist kleiner als der Blau-GrünGelb-Bereich. Systeme und Klienten Schaut man sich einmal bei Kongressen über das Thema Farbe um, ob in Zürich, Taipeh, Schanghai, Berlin oder in Newcastle, wird auch optisch erkennbar, dass Farbe eine bunte Angelegenheit ist. Farben sind für viele Disziplinen und Berufsgruppen relevant geworden. Die folgende Aufzählung ist nicht nomenklatorisch geordnet, denn alle Berufsgruppen sind und halten sich für wichtig. Auf Farbkongressen findet man Physiologen, Psychologen, Chemiker, Physiker, Farbmetriker, Marketingfachleute, Farbtechniker und Lichtforscher jeder Art, Künstler, Pädagogen, Ärzte, Designer, Architekten, Maler, Handwerker, Mediengestalter, Fotografen, Filmleute, Farbarchäologen, Farbscouts, Buchautoren, Fabrikanten, Manufakteure, Historiker, Journalisten, Esoteriker, Heilpraktiker, Lichttherapeuten, Kosmetiker, Haarstylisten und Modemacher.
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Die Liste wächst jedes Jahr um neue weitere Gruppen und Untergruppen vom Tattoostecher bis zum Lebensmittelfarbdesigner (Abb. 4). Sie alle benötigen Farben als Aktionstool und Verständigungsmittel. Farbsysteme erleichtern die Kommunikation und bieten der farbforschenden Wissenschaft, der Industrie und dem Handel die Möglichkeit, Farbtönen in der bildtechnischen Wiedergabe eine exakte Definition, unabhängig von der medialen Qualität, zu geben. Die weltweit grassierende Wissensproduktion und eine mit ihr einhergehende Sammel-Wiedergabe-Problematik benötigen national und weltweit agierende Systeme und Standards. Supranational agierende Farbsystemunternehmen bieten ihre Hilfe an und verstehen sich als Dienstleister für Farbdefinition und Farbtransfer. Zu diesem Zweck haben sie je nach definierter Aufgabenstellung Farbsysteme und Farbsammlungen für ihre Zielgruppen entwickelt.
Farbsysteme
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Beispiele für semantische Farbprofile und semiotische Zeichen. »Schräg« besitzt eine definierte Farbskala. Die Farbwerte sind mit Farbcodes versehen. Interessant sind die häufiger vorkommenden Schräglagen: von links unten nach rechts oben. a Mehr als 50 % der Schrägen haben eine Lieblingsneigung, die unserer Kultur entspringt. Rechtshändler zeichnen oft Schrägen von links unten nach rechts oben. b Die Tortengrafik zeigt, dass die Fantasie mit
dem »Schrägen« wohl eine Menge an mystischen lila-, viola- und purpurhaltigen Tönen verbindet. c Die Balkengrafik präsentiert die Töne aus der Tortengrafik in chromatischer Reihung. d Schräg ist schräg: Fünfundzwanzig Mal europäisch von links unten nach rechts oben, zweimal amerikanisch von links oben nach rechts unten und einmal gekreuzt. Achten Sie einmal auf deutsche und amerikanische Krawattenträger.
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zeigt seine Stärken in der thematischenund praxisnahen Vielseitigkeit.
Farbsysteme mit unterschiedlicher Programmatik RAL-Designsystem (Abb. 3)
• basiert auf physikalisch-physiologischen Erkenntnissen • baut auf den drei Grundfarben Gelb, Magenta und Cyan auf (subtraktive Farbmischung) • Farbraum: asymmetrisch • Ordnungskriterien: Buntton H (hue), Hellbezugswert L (lightness), Buntheit C (chroma) • Basisfarben: 39 (Bunttonebenen) • 1625 Farben insgesamt • seit 1993 auf dem Markt, vorwiegend verbreitet in Europa und Asien für die Bereiche Produkt- und Flächendesign, Architektur, Innenarchitektur, Industrie, Handel, Wissenschaft, Kunst und Kommunikation • Stärken: präzises System mit besten Gleichabständigkeitswerten • Hohe Nutzen- und Designfunktionen eines Systems definieren sich durch eine umfassende möglichst lückenlose Nuancenverteilung. Ein Farbsystem
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NCS (Natural Color System)
• basiert auf physiologischen Erkenntnissen des Farbsehens • baut auf den sechs Grundfarben Gelb, Rot, Blau, Grün, Schwarz, Weiß auf • Basisfarben: 40 • Farbanzahl: 1950 • Farbraum: Doppelkegel (Abb. 5) • Ordnungskriterien: Schwarzanteil S (in %), Buntanteil C (in %), Buntton • Farben aus 40 Bunttonebenen • besonders verbreitet in Nordeuropa für die Bereiche Architektur, Innenarchitektur, Industrie, Produktdesign, Handel, Handwerk • stark im Bereich Gelbgrün, hohe Bandbreite von Naturfarben, große Verbreitung in den deutschsprachigen Ländern und in Skandinavien Munsell Color Order System
• basiert auf empfindungsgemäßer Farbbeurteilung
• baut auf den fünf Grundfarben Gelb, Rot, Magenta, Blau, Grün auf • Farbraum: asymmetrisch • Farbanzahl: 1600 und 1181 Pastelle • Basisfarben: 40 • Ordnungskriterien: Buntton (hue), Helligkeit (value), Buntheit (chroma) • Glanzfarben, Mattfarben, Lebensmittelfarben • verbreitet speziell in den USA und Japan für die Bereiche Industrie, Design, Architektur, Kunst, Produktdesign, Archäologie, Geologie, Elektround Lebensmittelindustrie • Forschung, die Präzision erfordern. Insofern ist die umfangreiche Farbskala von 2800 Nuancen hilfreich. • Spezialfarben und Sonderkollektionen für Lebensmittel (z. B. USDA-Pommesfrites-Farbkarte für einen bestimmten Bräunungsgrad). Verschiedene Farbregister und Farbsammlungen Farbregister orientieren sich am praktischen Einsatz unabhängig einer syste-
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mischen Ordnung. Im Gegensatz zu wissenschaftlichen Farbsystemen sind einzelne Farbbereiche nuancenreicher abgestuft, andere dagegen lückenhaft. Farbregister sind zumeist trendorientierte Hilfsmittel. Pantone
• basiert auf erfahrungsgemäßem Farbpräferenzverhalten • Farbraum: zylindrisch • Ordnungskriterien: Buntton (colour), Sättigung (saturation), Helligkeit (lightness) • Einsatz im Textilbereich • Farbanzahl - Druck und Papier: 1341 Töne - Textil: 1932 Töne • Farbfächer: sechs Mischtöne für als Basis für Druckfarben bestehend aus Yellow, Orange, Magenta, Cyan, Green, Black zur Erzielung feinster (im Vierfarbendruck nicht bestehende Printskala für hochwertige Farbwiedergaben für den Offsetdruck. • Zusätzliche Kollektionen für Sonder-, Effekt-, Metallicfarben • Stärken: besonders gut geeignet für die Bereiche Trend, Interieur- und FashionAusstattungen und die Innenausstattung von Verkehrsmitteln – vom PKW oder Passagierflugzeug bis hin zum Kreuzfahrtschiff. RAL CLASSIC
• freie Sammlung im industriellen Bereich gebräuchlichster Farben • Farbtöne: 213 • aufgrund seines außerordentlich langen Bestehens (seit etwa 85 Jahren) weltweit eingesetzt für die Bereiche Architektur, Stahlbau, Produktdesign, Maschinenbau • Seezeichenfarben mit wasserstabilen und umweltschonenden Spezialrezepturen für Bojen • Stärken: älteste Farbsammlung der 36
ein gemeinsames, codiertes Farbfeld hilft als Hinweisgeber für Gestaltungsoptionen zu den Begriffen »Schräg«, »Nonkonformistisch«, »Krass« und »Frech« Die Farbinterpretationen spiegeln das semantische Profil zu »Puristisch« wider. Sie sind der Ausgangpunkt einer beispielhaften Interiorszene für das Hotelzimmer. Farbergebnisse von zwölf Probanden zu den Farbbegriffen »Abendrot«, »Zwiebelrot« und »Caput mortuum«, die sie malen sollten. Die Grenzen der Definierbarkeit werden offenbar. Linguistik ist kein Farbmaßstab, sondern, wenn es hochkommt, ein passabler Annäherungswert a Abendrot b Zwiebelrot c Caput mortuum (Totenkopf-Farbe)
Welt, international normiert und rezeptiert HKS
• freie Sammlung gebräuchlichster Farben für die Bereiche Druck und Grafik • Farbanzahl: 3520 • Basisfarben: 88 • verschiedene Farbtöne für verschiedene Papierqualitäten • in Europa verbreitet in den Printmedien • Häufig liegen Rezepturen für diese Farben auch im industriellen Bereich für Lacke und Anstrichfarben vor. • Stärken: hohe Anwendungskapazität für den Druckbereich, weltweites Gebrauchstool
Ungefähre oder die jeweils nach Zeit und Ort changierenden Maßeinheiten erlauben keine allgemeingültige Objektivierung, weder der Wahrnehmung noch der Realität. Insbesondere die individualisierten Merkmale der privaten und beruflichen Umgebung mussten spätestens zur Zeit des industriellen Aufbruchs mit stabilen Normen versehen werden. Das Abrücken von alten Maßen, Gewichten und der postulierten neuen Norm der dezimalen Gewichts- und Maßeinheiten brachten revolutionäre Fortschrittsschübe in die beginnende Internationalisierung des Verständigungswillens und des Wissenstransfers.
Verschiedene Sammlungen
• freie Sammlung von Farben für die Bereiche Architektur und Renovierung von Außenfassaden und Räumen nach denkmalpflegerischen Gesichtspunkten • angelehnt an arrivierte Farbsysteme • Kollektionen von Silikonharz- und Silikatbeschichtungsfarben und weiteren Materialbasen • verbreitet für die Bereiche Architektur, Innenarchitektur, Fassaden-, Wandund Innenraumgestaltung und Denkmalpflege • Stärken: arrivierte technische und Naturressourcen bestimmen Merkmale: Designer- und Architekten- bzw. Autoren- oder Firmen-Farbprogramme mit teils historischen, teils zukunftsorientierten Hintergründen Vom Sinn und Nutzen der Systeme Systeme bringen ähnlich wie Maßeinheiten von Längen, Gewichten, Formaten, Füllmengen und allen mathematischen, physikalischen und chemischen Formeln Ordnung in die Erfahrungs- und Vorstellungswelt des Menschen. Maßeinheiten bilden das wissenschaftsnormierte Fundament einer vermessenen Welt. Das
Es sollte rund ein Jahrhundert dauern, ehe die Wissenschaft nach dem von Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich von Schiller und Philipp Otto Runge begonnenen Experimenten zur Farbsystematik in den 1920er-Jahren in praktikable Bahnen gelenkt und umgesetzt wurden. Die Wahrnehmungsbereiche von Zeit, Raum, Länge und Breite, der Gravitation, der Akustik der Olfaktorik und des Gustometrischen sowie der neuesten somatosensorischen Erfahrungen sind individuell geprägt. Der Kern der Wahrnehmung ist nicht das Resultat einer realitätsnahen Erkenntnis, sondern stets das Ergebnis einer »verlässlichen« empfindungs- und gefühlsnahen Wahrhaftigkeit. Es gibt so wenig das absolute Gehör wie die absolute olfaktorische Wiedererkennung oder das sichere Gravitationsmaß, auch keine nur annähernd exakte »innere Uhr« oder eine präzise Geschwindigkeitsschätzung oder ein exaktes Farbgedächtnis. Allen diesen Wahrnehmungskategorien haftet das Manko einer forensischen Stolperfalle an. Die Behauptung zu vertreten, dass das Ergebnis von Wahrnehmung im Zwei-
Farbsysteme
9a
b
felsfall eher auf Täuschung beruhe, als der Realität zuzuordnen sei, wird, was die Erkenntnisse der Farbwahrnehmung betrifft, notorisch anzutreffen sein. Schon C. G. Jung erkannte, dass Bewusstsein und Handeln von Empfindungen (hell/dunkel, kalt/warm), darauf folgenden Gefühlen (angenehm bis unangenehm) und danach von intuitiven Erfahrungswerten bestimmt sind. Wesentliche Handlungs- und Verhaltensmerkmale werden also über Empfindungen initiiert. Die Neurowissenschaft begründet diesen Bezug mit der einfach klingenden Erklärung, dass der Verlass auf Vernunft oder mathematisch erkennbare Sachbezüge logikzentrierte Handlungsmuster häufig scheitern ließe: Schließlich sind es in erster Linie Gefühle gewesen, die die
Menschen durch die Fährnisse der Hunderttausende von Jahren währenden Prozesse der Entwicklung des Homo sapiens ganz passabel über die Runden gebracht haben. Dem älteren Gefühlsmodell geben wir in aller Regel bis heute den Vorrang vor logischen Begründungskautelen. Systeme und Erkenntnisgewinnung Erfahrungs- und Wahrnehmungssysteme sind am Scheitelpunkt von Effizienz und Ineffizienz angesiedelt. Um mit den immer akkurater definierten Ansprüchen nach Feinstdifferenzierung und weiterer Erfahrungs- und Erkenntnisgewinnung einigermaßen zurechtzukommen, benötigt der Mensch zur Präzisionsoptimierung Sehund weitere Wahrnehmungshilfen, um das Mikroskopische und Makroskopische, das Heißeste und Kälteste, Schräge und Nonkonformistische zu erkennen und zu ver-
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mitteln. Unerlässlich sind Farbsysteme zur Weitergabe recherchierter semantischsemiotischer Profile. Sie verhelfen, den Ergebnissen zu einer wissenschaftlichen Basis. (Abb. 6, 7 und 10). Beschreibende, vergleichende Typisierungen von Farbtönen reichen nicht aus, um eine auch nur ungefähre objektivierbare Definition von ihnen zu vermitteln. Axel Buether beschreibt in seiner Dissertation Die Bildung der räumlich-visuellen Kompetenz [5] allein 435 Rotfarbtöne von Abendrot bis Zwiebelrot (Abb. 9). Einige wenige farbaffine Profis werden bei diesen zwei Farbnamen oder dem farbhistorischen Begriff »Caput mortuum« eine treffende Zuordnung geben können. Sie bleibt stets individuell, instabil und vage, wie dies die zwölf Ergebnisse zeigen. Die malerische Interpretation und die hier erfolgten RAL-definierten Codes geben weitere Aufklärung.
10 Zum Charme des Puristischen benötigt man ein paar gelbe Farbtupfer. Unpoetisch ausgedrückt: Was sind 110 92 05, 000 85 00, 050 50 20, 000 20 00, 100 60 10 ohne 080 80 60?
Anmerkungen: [1] Aristoteles, 384 – 322, Veröffentlichung im Organon, Topica (dialektische Schlüsse) [2] Platon, ca. 427– 347, In: De meteorologica, Timaios, 30. Kapitel, Erklärung der Farben [3] Spillmann, Werner (Hrsg.): Farb-Systeme 1611– 2007. Basel 2009, S. 16 [4] ebd. [5] Buether, Axel: Die Bildung der räumlich-visuellen Kompetenz: neurobiologische Grundlagen für die methodische Förderung der anschaulichen Wahrnehmung, Vorstellung und Darstellung im Gestaltungs- und Kommunikationsprozess. Dissertation, Schriftenreihe Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle, Band 23. Halle (Saale) 2010
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Konzeptarbeit mit Farbe im Raum Marcella Wenger-Di Gabriele
Meistens gehen der Arbeit an einem Farbkonzept für einen Raum vielfältig gewachsene Erwartungen des Auftraggebers voraus. Angesichts von unzähligen verfügbaren Denkkonserven, Kommerzund Trenddiktaten beruft man sich bei Farbentscheidungen oft auf Ideen, welche als pauschal gültige Ideale etabliert sind. In kryptisch neuzeitliche Worthülsen wie »new classic«, »metropolitan«, »urban« usw. verpackt wird Individualität dann freiwillig dem Mainstream geopfert. Es ist allen Aufträgen gemein, dass sie in guter Absicht erteilt werden. Man will gefallen – sich selbst oder anderen. Man sucht etwas Neues oder mindestens etwas anderes, verspricht sich Wirkung, will repräsentieren, locken und verlocken. Man verspricht sich sogar Heilung, wovon auch immer, denn die Suche nach unterschiedlichsten Wegen zum Wohlergehen des Menschen ist im Umgang mit Farben eines der zentralen Themen der vergangenen 50 bis 60 Jahre. So wurden Erkenntnisse aus empirischen Versuchen um die psychologische Wirkung der Farben wirkungsvoll verbreitet, ebenso Weisheiten aus fernen Kulturen. Beide sind in lukrativen Schnellkursen unter die Leute gebracht worden, reduziert auf populärwissenschaftliche Einheiten. Sozusagen
als Krönung der zahlreichen Heilsversprechen sind psychologische wie physiologische Wirkungen bestimmter Farbtöne und Anstrichstoffe heute mit dem nicht geschützten Vermerk »wissenschaftlich geprüft« versehen. Wo aber Wirkungen von Farbtönen zielgerichtet kommuniziert werden, verunsichern Nebenwirkungen ebenso. Darum ist es zur bewährten Strategie geworden, sich bei gestalterischen Farbentscheiden auf Farbsysteme zu berufen, in denen sich das vermeintliche Spektrum von Möglichkeiten in einer überschaubaren Ordnung zeigt und Codierungen als Garantie für ein gutes Gelingen dienen. Dabei sind diese codierten Ordnungen in erster Linie Hilfsmittel zur Kommunikation von Farben und nicht Gestaltungsmittel per se. Sowohl Hersteller als auch Gestaltende berufen sich mitunter auch auf Farbkollektionen von berühmten Vorbildern, um Konzepte oder Produktlinien zu legitimieren. Für Prestige oder mindestens für Aufsehen durch Andersartigkeit um der Andersartigkeit willen sorgen außerdem exzentrische künstlerische Farbkonzepte, welche dann wiederum als Kopiervorlagen für manch ratloses Hausgemüt herhalten. Farbästhetik Bei der konzeptionellen Arbeit mit Farbe spielt der einzelne Farbton eine untergeordnete Rolle, denn vergleichbar mit der Musik lassen sich Qualität und Angemessenheit eines Tons erst erkennen und erleben, wenn er in eine thematische Komposition integriert ist. So ist eine gelbe Wand alleine nicht mehr als eine gelbe Wand, solange sie nicht als Teil einer ganzen Raum bildenden Einheit nachvollziehbar und sinnvoll eingebettet ist. Die Wirkung dieser gelben Fläche kann einerseits jemanden je nach individueller Prägung abstoßen oder befremden, andererseits aber im gesamten Kontext
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so berühren, dass persönliche Vorlieben zweitrangig oder auch vergessen werden. Diese Tatsache ist im Laborversuch nachvollziehbar, indem einige Flächen in einem Raum in sich polychrom gestaltet werden. Das Nebeneinander unterschiedlichster Farben kann vielfältige räumliche oder dynamische Wirkungen erzeugen. Je nach Komposition entstehen zwischen disharmonischen Nachbarschaften Vibrationen, bei starken Hell-Dunkel-Kontrasten Rhythmen oder bei fließenden Abstufungen wellenartige Schwingungen. Es bilden sich im übertragenen Sinn also Klangteppiche, die mit unbegrenzt möglichen Wirkungen berühren. »Farbrausch« – eine polychrome raumgreifende Installation Alle bekannten Farbsysteme und -ordnungen, von Wilhelm Ostwald (1853 –1932) bis zu den heute gebräuchlichen Farbsystemen, strukturieren die Welt der Farben zu einem mehr oder weniger geschlossenen Ganzen, das in seiner konsequenten Logik den Anspruch zu erheben scheint, den gesamten Farbkosmos zu erfassen. Die daraus resultierenden Ordnungen werden in der Praxis oft als absolute Wahrheit verstanden, denn sie lassen sich codieren, sind berechenbar und allgemein zugänglich. Doch diesen vermeintlich allumfassenden Ordnungen fällt einerseits das reiche Farbspektrum der Bunt-Bunt-Mischungen und Komplementär-Mischungen zum Opfer, und andererseits verhindert die aufgeräumte Anordnung ein vielfältiges oder sogar zufälliges Nebeneinander. Die limitierende Ordnung von Farbsystemen, die zugleich eine ästhetische Begrenzung bedeutet, sollte mit dem Projekt »Farbrausch« (Abb. 1) gesprengt werden mit dem Ziel, die ästhetischen Facetten zu erforschen, welche zum Aus-
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»Farbrausch«. Die räumliche Wirkung ist betörend, es entsteht ein Farbraum, der geordnet scheint, obwohl er chaotisch ist. »Farbrausch«. Harte Rhythmen von Hell-DunkelKontrasten, wellenartige Bewegungen bei Reihen mit ähnlichen Bunt- oder Grauanteilen, Vor- oder Zurückspringen je nach Farbton, Helligkeit oder Nachbarschaft, kontrastreiche und zurückhaltende Klänge, horizontale und vertikale Bezüge, Flimmern bei disharmonischen Farb-Nachbarschaften. Fokussiert sich der Betrachter auf ein spezifisches Farbthema, z. B. Rosa, dann wirken die Rosafarben als Gruppe und werden zu Protagonisten im Konzert. Im Lauf der Zeit scheinen sie sich zu vermehren.
druck kommen, wenn das überschaubare Spektrum der Farbsysteme durch verloren gegangene Bunt-Bunt- und Komplementär-Mischungen erweitert wird, und wenn die Anordnung nicht als zielgerichtete Komposition, sondern als ein Aufeinandertreffen von unterschiedlichen Geräuschen verstanden wird. Der »Farbrausch« wurde als schöpferischer Beitrag zum künstlerischen und wissenschaftlichen Diskurs über Farbsysteme, Farbordnungen und Farbkompositionen konzipiert. Als einzige Methode sollte bis zum Schluss ausschließlich Empirie zur Anwendung kommen, und zwar in Form eines begehbaren Farbraums, der dem Prinzip des Chaos folgt. Es sollten Farbnachbarschaften und -bezüge entstehen, die weder einem Ordnungssystem noch ästhetischen Konventionen folgen aus der Überzeugung heraus, dass das Ungeordnete die Unvollständigkeit eines jeden Systems unterstreicht und sich das Wesen einer jeden Farbe in den unendlichen Bezugsmöglichkeiten zu anderen Farben immer wieder neu manifestiert. Im Rahmen einer Übung am Haus der Farbe, der Höheren Fachschule für Farbgestaltung in Zürich, stellten Studierende, ausgehend von drei individuell gewählten Farben, eigene Farbkollektionen her und fertigten von jedem Farbton zusätzlich eine Karte für die Installation »Farbrausch« an. Im Durchschnitt mischten 17 Studierende je über 300 Farben. Daraus entstand eine Sammlung von mehr als 5500 einzigartigen Farbkarten, welche sorgfältig in Kisten gestapelt wurden. Die Architektur der Innenräume vom Haus der Farbe eignet sich in geradezu idealer Weise für die Installation. So befindet sich im Herzen der als Schule umgebauten Industrie-
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anlage unter einem Oberlicht eine Halle, an welche ein von Glas abgeschirmtes Atelier angrenzt. Das Maß der ostseitigen Atelierwand wurde an die gegenüberliegende Wand in der Halle übertragen, wodurch sich dann der statische Rahmen mit der dazwischen liegenden spiegelnden Projektionsscheibe als vielversprechende Ausgangslage anbot. Die Farbkarten wurden in stundenlanger Arbeit so gemischt, bis jegliche Ordnung und Reihenfolgen, sogenannte Farbnester, aufgelöst waren. Dann wurden die Farbkarten von oben nach unten an die Wände genagelt und zudem auf Bodenund Tischflächen ausgelegt. Die geplante Unordnung kam in eindrücklicher Art und Weise zum Tragen. Überraschend ungewöhnliche und unterschiedliche Farbwelten dynamisierten die Flächen. Beim verweilenden Betrachten zeigten sich betörende Phänomene. Harte Rhythmen – vertikale Bezüge, weiche horizontale Wellen ablösend –, kontrastreiche und zurückhaltende Klänge. Keine Farbe am falschen Ort, keine zu viel, keine unnötig. Die Frage des Gefallens unterlag dieser ästhetischen Ausdruckskraft. Es zeigte sich diskussionslos, dass einzelne Farben an sich weder schön noch hässlich, sondern einfach unschuldig sind und immer kontext- und nicht subjektbezogen zu beurteilen sind. Der empirisch entwickelte offene Farbraum, dem nicht eine Ordnung, sondern das Chaos zugrunde liegt, zeigt keine Ordnung, sondern Bezüge. Unzählige einzigartige Geräusche, Klänge und Rhythmen bilden einen in sich bewegten Farbenteppich (Abb. 2). Fröhliche Farben – eine ernste Sache Was als unterhaltende, endlos variable Klaviatur der Farben in Erscheinung tritt, kann ratlos und rastlos machen, denn in der gleichzeitigen Präsenz von so vielen Farbtönen, wie sie am Beispiel der Installation »Farbrausch« zu sehen sind,
berühren zahllose Phänomene des Farbensehens simultan und berauschen die Sinne. Der Ruf nach Regelwerken und Rezepten wird somit als ein logischer Reflex auf die farbliche Überfülle verständlich. In systematischen Farbordnungen erscheint die Welt der Farben stimmig, übersichtlich und logisch aufgereiht wie die Tonfolge eines gut gestimmten Klaviers. So wie Ungeübte am Piano den Flohwalzer klimpern oder Tonleitern anschlagen, so orientieren sie sich bei der Wahl von Farbtönen innerhalb einer Farbordnung nach Farbverläufen oder aktuellen Moden und suchen instinktiv etwas subjektiv Gefallendes. Nur selten trauen sich ungeübte Musikinteressierte, vor Publikum zu singen oder zu musizieren. Beim Umgang mit Farbe dagegen werden Laien aller Bevölkerungs- und Berufssparten angesichts der vielen verfügbaren Farbtöne jedoch selten vom Mut verlassen und trauen der Öffentlichkeit bizarrste Kreationen zu, die im Gegensatz zu akustischen Misstönen nicht verklingen. Wie permanente Paukenschläge oder schrille synthetische Störgeräusche drängen sich so gestaltete Objekte aus dem Kontext, verstärken ungefragt den Geräuschpegel und werden im schlimmsten Fall zu guter Letzt wegen ihrer Prägnanz zu Vorbildern. Der architektonische und landschaftliche Kontext ist jedoch mit einer permanenten sinnlichen Komposition zu vergleichen, in die es mit sorgfältig konzipierten Farbund Materialentscheiden angemessen einzustimmen gilt. So betrachtet wird deutlich, dass Lieblingsfarben oder subjektives Gefallen zwar durchaus einfließen können, aber letztlich nicht alleine tonangebend sein sollten. Die Bedeutung der individuellen Lieblingsfarbe(n) muss bei der gestalterischen Konzeptarbeit kritisch überprüft werden. Bekanntlich ist es die Rarität der Dinge – 39
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oder bei Farbkompositionen die Quantität einer Farbe, welche ihre Begehrlichkeit steigert. Wird nun eine Lieblingsfarbe vorschnell als zweckerfüllendes Mittel plakativ zum Hauptthema einer Gestaltung gemacht, verblasst ihr Reiz im eigenen Überangebot. Statt also die Fassaden eines Hauses blau zu streichen, könnten z. B. blaue Untersichten in rückversetzten Loggien als Akzente im Außenraum oder ein blaues Zimmer im Innenraum dieses Haus viel mehr verzaubern, weil sich das gewünschte Blau erst auf den zweiten Blick offenbart. Betont bunte Farben, wie Edelsteine in Kompositionen eingebettet und dosiert, wirken exklusiv, wohingegen betont bunte Farben im Überfluss zum Billigen und Aufdringlichen neigen. Farbenfundus als Inspiration Wer die Schönheit der Farben sinnlich erleben und begreifen will, losgelöst vom Wissen über mögliche banale, eklige, traurige oder gar böse Zusammenhänge, muss vielfältige ästhetische Phänomene
mit Empathie betrachten. So liegt beispielsweise die Ästhetik der Farbe frischen Bluts nicht im Blut selbst, also in der Realität, in dem, was der Betrachter weiß und damit assoziiert, sondern im visuellen Eindruck facettenreicher Glanzgrade, vielfältiger Farbqualitäten und Farbnuancen sowie in der geschmeidigen Oberfläche mit organischen Strukturen, die er rein visuell wahrnimmt. Es kann und soll gelingen, ästhetische Eindrücke von Gedanken und Assoziationen loszulösen und sie in thematisch neuen Kontexten wertefrei einzusetzen und zu vermitteln. Es sind also Glanzgrade und geschmeidige, weiche Anmutungen, wie sie sich durch aufwendige, wertvolle Lacktechniken erreichen lassen, sowie vielfältige Farbqualitäten und Farbnuancen, um die es letztlich geht. So werden Inspirationen transformiert und können sich, in einen sinnvollen Zusammenhang gebracht und zielgerichtet kommuniziert, in Farb- und Materialkompositionen wiederfinden.
Als Farbgestalter kommt man häufig in die Situation, bestehende farbige Oberflächen in ein neues Farbkonzept zu integrieren. Besonders reizvoll ist die Aufgabe, einer Farbe, die »verleidet« oder nicht mehr »in Mode« ist, zu neuem Ansehen zu verhelfen. Dann lohnt es sich, genau hinzuschauen und mit dem Farbthema zu experimentieren, um unlieben Assoziationen und negativen Klischees entgegenzuwirken. So kann z. B. eine farbige Oberfläche in Nachbarschaft mit kräftigen Farben durch Reflexionen zart und bunt nuanciert erscheinen und somit eine neue Wertung erhalten (Abb. 5). Der professionelle Umgang mit Farbe erfordert demnach vielfältige Farberfahrung und einen reichen persönlichen Fundus an Farbtönen, Materialien und Oberflächen. Wie die Bibliothek eines Architekten oder das »Musée imaginaire« eines Kunsthistorikers bilden die Archivschachteln, Skizzenbücher und Auslagen des Farbgestalters die persönliche Wunderkammer, auf deren Basis einzigartige Farbkonzepte entstehen können (Abb. 3 und 4). Analyse anstatt Rezept Am Anfang jedes Auftrags ist vieles unbekannt – neue Herausforderungen lassen einen immer wieder sozusagen als »Anfänger« beginnen. Angesichts der teilweise berechtigten Skepsis von Baufachleuten gegenüber der Farbgestaltung gilt es, diese als Dienstleistung jenseits von starren Ideologien glaubwürdig zu erklären. Es ist also eine Grundvoraussetzung, sich auf die jeweils vielseitigen Gegebenheiten und Rahmenbedingungen eines Auftrags ernsthaft einzulassen und die Gesamtheit aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten – sowohl mit Blick auf die Architektur, die Licht- und Raumsituation als auch aus der Sicht des Auftraggebers. Es schadet nie, die Perspektive zu wechseln, sich
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Farb- und Oberflächenfundus, Sammelgut des Alltags als Inspiration für Farbgestaltung – eine Fülle von Farben, Effekten und Oberflächen Inspiration als Methode: Wenn es gelingt, anstelle von »Militärgrün« »Grüne Erde« zu sehen und anstatt »Plastikblümchenrosa« »Puder« oder »Himmelrot« können ausgehend von Alltagsgegenständen inspirierte und raffinierte Farbpaletten für die Anwendung am Bau entwickelt werden. Farbe im Kontext a Eine ungeliebte oder vermeintlich langweilige
Farbe kann durch das Hinzufügen anderer Farben eine neue Bedeutung erhalten. b Auf der gegenüberliegenden Seite im Skizzenbuch wurde je eine Buntfarbe aufgestrichen. c An diesem Modell kann die Thematik der Farbabstrahlung beobachtet werden. Die immer gleiche Senffarbe erhält aufgrund des jeweiligen Gegenübers vielfältige Nuancierungen. Durch die Reflexionen wirkt der Übergang vom stark Bunten zum effektiv Unbunten sanft.
also etwa in einem Altenheim in ein Bett zu legen, um sich tatsächlich in den beschränkten visuellen Radius von bettlägerigen Menschen hineinzuversetzen oder sich beispielsweise in einem Krankenhaus zu den Patienten in den Aufenthaltsraum zu gesellen, um beim Verweilen in spontanen Gesprächen aufschlussreiche Informationen und authentische Eindrücke zu Raumwirkung und Raumfunktion aufzuschnappen. Hier fließt zudem die persönliche Lebenserfahrung eines Farbgestalters in die professionelle Arbeit ein. Wo solche spezifischen Erfahrungen und notwendiges Wissen fehlen, wird sorgfältig recherchiert und bei Fachpersonen Unterstützung gesucht. Wünsche des Auftraggebers in Bezug auf Stimmungen, Wirkungen und Funktionen bilden einen wesentlichen Teil der anfänglichen Analyse, wobei in der Gewichtung – ähnlich wie beim Arzt – zwischen Diagnose und entsprechender Therapie unterschieden werden muss. So wie also Bauchschmerzen nicht zwingend eine Blinddarmentzündung und Operation bedeuten, heißt »freundlich« nicht zwingend »hell und sonnig«, also »gelb«. Hie und da eignet sich dieser Vergleich bei Auftraggebern als Beispiel, damit sie verstehen, dass Farbentscheide als Therapie betrachtet immer erst nach der Diagnose, sprich Analyse, erfolgen sollten. Nach der untersuchenden Auseinandersetzung erfolgt eine schriftliche Analyse, die mit einem nachvollziehbaren Fazit endet. Aus diesem Schluss ist eine gestalterische Notwendigkeit ableitbar, die als Ziel formuliert zu einem ersten Konsens führen kann. In den Phasen der Analyse und der Absichtserklärung sind Farben, sofern sie nicht im Bestand oder im Kontext zentral sind, noch kein Thema. Innere Bilder, spontane Ideen oder thematische Gestaltungsansätze, die während dieser Zeit entstehen, können skizziert
oder mittels Assemblagen visualisiert sein, sollten aber nicht unüberlegt einem Auftraggeber gezeigt werden, denn Bilder sind, einmal im Kopf festgesetzt, nur schwer zu verändern. Die für ein Konzept entscheidenden Farbmuster werden in der Praxis oft und sinnvollerweise handgemischt und der Farbklang des Ganzen präzise austariert. Obwohl sich Handmischungen nur selten exakt codieren lassen, eignen sich zur Kommunikation mit dem Auftraggeber und mit dem ausführenden Handwerker, um Missverständnisse zu vermeiden, die allgemein gebräuchlichen Farbbezeichnungen wie diejenigen des Natural Color Systems (NCS) oder das RAL-System. Ferner kommen als wesentliche ästhetische Dimensionen die Beschreibung der gewünschten Anmutung, z. B. tuchmatt, hochglänzend, seidenmatt, fein oder grob, sowie die Definition der Verarbeitungstechnik hinsichtlich erwünschter Werkzeugspuren an den Oberflächen hinzu.
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Kommunikation Aus dem Anspruch, dem Auftraggeber nicht primär zu geben, was er möchte, sondern das, was er benötigt, erwachsen mitunter langwierige Prozesse, die zu einer gestalterischen Antwort auf das in der Analyse eruierte Notwendige führen. Als nützlich erweisen sich in der Kommunikation die Darlegung übergeordneter Wirkungen und Metaphern aus Kunst, Literatur, Musik und Kultur – oder hin und wieder auch ganz einfach Beispiele und/oder Erfahrungen aus dem Alltag. Zur erzählten Geschichte gehören spezifisch entwickelte Farbklänge, damit dem Auftraggeber die inneren Bilder des Gestalters so vermittelt werden, dass er eigene Vorstellungen entwickelt und sich dann entsprechend mit dem Farbkonzept identifizieren kann. Innere Bilder von Raumstimmungen empfindet der Mensch
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Seniorenwohnungen »Lenggen«, Langnau im Emmental (CH) 2006, Jörg + Sturm Architekten Bei der Gestaltung eines Korridors in einer Seniorenresidenz gelang es, die Auftraggeber mittels einer humorvollen Kommunikationsstrategie von einer paradoxen, die Überlänge des Raums betonenden Gestaltung, zu überzeugen.
räumlich, wogegen er bildhaft dargestellte Räume als Raumbilder liest und wertet. Deshalb eignet sich die mündliche und visuell abstrahierte Darlegung eines rudimentären Farbentwurfs besser als jedes zweidimensionale Bildwerk. Ziel ist die Identifikation des Auftraggebers mit der erläuterten und visualisierten Gestaltungsabsicht, also ein Konsens, auf den man sich später bei gestalterischen Detailfragen wechselseitig berufen kann. Definitive Farbbestimmungen sind in situationsgerechtem Kontext und unter Berücksichtigung von örtlichem Licht und Schatten vorzunehmen. So kann den zu erwartenden Absorptionen und Reflexionen Rechnung getragen werden. Sowohl nach Farbcodes definierte Anstrichfarben sowie nach Handmischungen erfolgte Bemusterungen müssen vor Ort unbedingt immer eine Prüfung erfahren – einerseits hinsichtlich ihrer Farbe, andererseits vor allem in Bezug auf die Anmutung der Oberflächen, die wesentlich von Werkzeugspuren geprägt sind. Die sorgfältige und professionelle Umsetzung einer Konzeptidee ist nicht nur eine gestalterische, sondern zu einem großen Teil eine kommunikative Herausforderung, die diplomatisches Geschick erfordert. Die Gesprächspartner sind ebenso unterschiedlich wie die jeweilige Sprache, die sie sprechen: der Architekt, der Handwerker, der Auftraggeber und viele mehr. Gelegentlich führt die Vermittlung zu sprachlicher Akrobatik und löst sich nicht selten in Humor. Dieser ist jedoch erfahrungsgemäß ein Symptom der Zielnähe, überspielt er doch auf charmante Weise eine Art Kapitulation und offenbart die Lust auf unerwartete Lösungen. Diese Situation zeigt sich beispielhaft an einem 30 m langen Durchgangsraum im Untergeschoss einer Seniorenresidenz (Abb. 6). Er dient den Bewohnern als 42
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Zugang zu Gemeinschaftsräumen im benachbarten Altenheim, und der Auftrag des Farbgestalters war, dem Maler den geeigneten Weißton mitzuteilen, damit er streichen könne. Die Lust an der gestalterischen Vision des Überzeichnens der eindrücklichen Länge des Korridors führte anstelle einer Garagenatmosphäre jedoch zu einer einmaligen und allseits als positiv empfundenen Lösung. Eigentlich hätte der Diagnose »lang« die naheliegende Therapie des Rhythmisierens, um den Weg zu verkürzen, entsprochen. Gewählt wurde jedoch die paradoxe Intervention, den Weg zu verlängern, um die Senioren eher am Ziel ankommen zu lassen, als sie es erwartet hätten. Die Gestaltung bewirkt eine Empfindung der Beschleunigung. Die Essenz einer derartigen Intervention ist letztlich ein Glück, das durch die Stimmigkeit beeindruckt. Es wird über ästhetische Konventionen hinaus einer bestimmten Situation und einem speziellen Ort gerecht und berührt die Menschen. Sorgfalt erfordert Zeit Es sind unterschiedliche Wege und Mittel, die Farbgestalter in Kooperation mit Bauherren und Architekten zu guten Gestaltungen von Architektur führen können. Die nachfolgende Auflistung beschreibt einige Planungsschritte, die bereits in Angeboten genannt werden sollten, um die umsichtige Vorgehensweise und den Nutzen für den Auftraggeber transparent zu machen. Ziel des ersten Schritts ist, eine Kernaussage zur Idee der Farbgestaltung zu formulieren. Grundlage dafür ist eine sorgfältige Situations- und Objektanalyse, aus der sich die Konzeptidee entwickelt. Ein Text für den Auftraggeber beschreibt die Schlüsse aus der Analyse, die Idee und die daraus abgeleitete Gestaltungsabsicht. Im zweiten Schritt entsteht ein Grobkon-
zept mit möglichen Varianten. Hierbei kommen Farbmuster und Materialisierungsvorschläge zum Einsatz, ebenso die Vorstellung von rudimentär visualisierten Umsetzungsvarianten. Erste Präsentationen und Besprechungen mit Planern und dem Auftraggeber dienen der Konsensfindung. Wenn der Entscheidungsträger aus einem Gremium besteht, bildet die protokollarisch festgehaltene Zustimmung einen Anker, auf den man sich berufen kann, wenn in späteren Phasen subjektiv begründete Gegenargumente den Kern der gestalterischen Absicht zu schwächen drohen. Der dritte Schritt sieht ein Feinkonzept inklusive eines detaillierten Farb- und Materialplans vor. Möglichst großflächige Bemusterungen vor Ort sind bei Farbund Materialdefinitionen hilfreich, meistens in Kooperation mit Handwerkern und Produktherstellern und in enger Absprache mit dem Architekten. Zuletzt dient die Ausführungsbegleitung der gestalterischen Qualitätssicherung, die im besten Fall zu einer ganzheitlich stimmigen Güte führt. Entscheidend ist letztlich die Fortführung einer anspruchsvollen Baukultur, die einer ästhetischen und substanziellen Wertschöpfung bedarf. Dies kann es aber in der gebauten Umgebung nur dann geben, wenn wir nicht schnell das Schöne suchen, sondern interdisziplinär und behutsam eine gute Qualität des Werks anstreben. Entscheidungsträger dürfen deshalb nicht blind vertrauen, und wenn wir von Baukultur reden, dann kann Zeit nicht Geld sein. Die wirklichen Meister des Handwerks sollen nicht nur erwünscht, sondern gefragt sein. Sinnund sachgemäße Farb- und Materialgestaltungen sind hierbei als integrativer und wertschöpfender Bestandteil des Neubauens und des Bauens im Bestand notwendiger denn je.
Farbkonzepte Timo Rieke
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Aus technischer Sicht ist die Verwendung von Farbe heute keine besondere Herausforderung mehr. Während in früheren Jahrhunderten natürliche Pigmente und Bindemittel der Wahl der Farbe automatisch Grenzen gesetzt haben, erscheint die heutige Verwendung von Farbe und Material grenzenlos. Es stehen Töne aus 2000-teiligen Farbfächern zur Auswahl, und ehrgeizige Farbordnungssysteme decken möglichst das komplette Spektrum der wahrnehmbaren Farbtöne ab. Während Farbe in früheren Jahrhunderten teuer und besonders gesättigte Farben selten waren, ist sie heute ein relativ preiswertes Gestaltungsmittel und in den meisten Fällen einfach zu verarbeiten. War Farbe früher ein Teil der Natur und der Dinge, hat sie im Lauf der Jahrhunderte ihre Bindung zu Material und Oberfläche verloren und ist heute beinahe universell einsetzbar. Die Freiheit der Farbe Mit der Erfindung kostengünstiger synthetischer Farbstoffe ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und der damit einhergehenden Möglichkeit, beinahe jedes Material in jeder Farbe zu gestalten, entstand erstmals auch für breite Bevölkerungsschichten die Freiheit, zu entscheiden, welche Farben für bestimmte Zwecke verwendbar sind. Aus jeder Form der Wahl ergibt sich zwangsläufig die Frage nach Verantwortung und Begründbarkeit. Wer heute mit Gestaltungsarbeiten betraut ist, steht vor der Entscheidung, entweder Farbe zu vermeiden, aus dem Gefühl heraus auszuwählen oder sie bewusst im Hinblick auf den Kontext und die Strategie einzusetzen. Die Regeln der Farbe Wenn Farbe aus technischer Sicht universell verwendbar ist, so bestimmt noch immer die Art und Weise der menschlichen Wahrnehmung ihre Bedeutungs-
colorierte Bleistiftzeichnung oh, mummy’ pink blanket von Anne-Lise Coste, 2003
ebenen. So lassen sich aus den Regeln der Wahrnehmung grundsätzliche Regeln zur Verwendung von Farbe herausfiltern. Farbkonzepte bestimmen also die allgemeine Verständlichkeit einer Gestaltung in Bezug zur menschlichen Wahrnehmung im persönlichen und gesellschaftlichen Bereich. Leider gibt es zur Einordnung des Begriffs »Farbkonzept« keine allgemein zugängliche oder bekannte Quelle. Farbkonzepte scheinen sich bisher einer systematischen Einordnung zu entziehen und nur einem Kreis von Profis geläufig zu sein. Dabei stellt die allgemeine Definition grundsätzlicher Regeln einen besonderen Bedarf dar. Einerseits ist die enorme Wirkung der Farbe auf die Qualität einer Gestaltung bekannt, und andererseits fehlen Begründungsstrategien zur Vermittlung qualitativ hochwertiger Farbgestaltungen. Wie also können Farbkonzepte definiert werden? Farbe als Kommunikation Im Designprozess werden Farbkonzepte meist anhand von Moodboards, Farbund Materialcollagen, stofflichen Mustern und sprachlichen Bedeutungszuweisungen sowie Modellen und dreidimensionalen Darstellungen visualisiert. Die Basis bilden intuitive Experimente sowie empirische Untersuchungen und deren Überprüfung nach den Regeln der Wahrnehmung, der Relevanz und der emotionalen und kulturellen Verständlichkeit im Hinblick auf Milieus und Zielgruppen. Um einen bestimmten Zweck zu erfüllen, braucht jeder Raum und jedes Objekt eine Festlegung auf Farbe und Materialität in Zusammenhang mit seiner technischen Funktion sowie seiner sensuellen Erscheinung und kulturellen Bedeutung. Farbkonzepte analysieren und erfassen diese vielfältigen Zusammenhänge, formulieren sie strategisch und verorten eine
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Gestaltung sowohl funktional als auch sensuell und kulturell. Ein Farbkonzept ist in diesem Sinn ein interdisziplinäres Kommunikationskonzept für ein Objekt, um eine nonverbale Kommunikation verständlich zu führen. Die Herstellung von Verständlichkeit setzt dabei für den Designer ein breites gesellschaftliches Wissen voraus, um sicherzugehen, dass die Kommunikation auch das erfüllt, was sie soll, nämlich einen bestimmten Raum zu öffnen, in dem sich alle Beteiligten eines definierten Kontexts verstehen. Die Aufgabe von Farbgestaltern ist es, mithilfe von Farbe, Fläche, Form und Material diese Räume, auch im übertragenen Sinn, zu füllen. Die Herausforderung eines Farbkonzepts besteht darin, alle die Sinneswahrnehmungen betreffenden Signalebenen der Farbe kontrolliert zu erfassen und in einem definierten Rahmen wirkungsorientiert anzuwenden. Die Bedeutung einer Farbe ist dabei nur durch ihre Kombination mit anderen Farben und bestimmten Materialien sowie in ihrem örtlichen und inhaltlichen Kontext zu bestimmen. In diesem Zusammenhang ist die Stimmigkeit einer farbigen Botschaft im Hinblick auf kollektive Prägungen, Sehgewohnheiten und Eigenarten der menschlichen Wahrnehmung der Startpunkt für eine Farbgestaltung. Ein Farbkonzept definiert also innerhalb einer Planungsaufgabe den Bezug des Menschen zum Planungsobjekt. Farbe in Verbindung mit der richtigen Form, dem richtigen Raum, der richtigen Belichtung, den richtigen Materialien und passenden strukturellen Anordnungen kann völlig unterschiedliche Harmonien erzeugen, einen Resonanzraum für Emotionen bilden und Spannungsfelder entstehen lassen. Farbkonzepte unterscheiden zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit, 43
Konzeptionelles Farbdesign
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Harmonie und Differenz, Stillstand und Vibration oder Vergangenheit und Zukunft. Die Unterscheidung trifft insbesondere dann zu, wenn sie bewusst angewendet und zum integralen Bestandteil einer Planungsaufgabe wird. Methoden der Farbgestaltung Die Methoden, ein begründbares Farbkonzept zu entwerfen, basieren auf wissenschaftlichen Erkenntnissen unterschiedlichster Herkunft. Farbkonzepte berücksichtigen dabei sowohl technische Komponenten, Fakten der Ingenieurwissenschaft und Tendenzen des Markts als auch historische Entwicklungen, soziologische Phänomene und psychologische Faktoren. Sie lassen sich unter Anwendung gestalterischer und wissenschaftlicher Methoden in Farbkollektionen, Zukunftsszenarien und Farbmasterplänen abbilden und bewerten. Die genaue Kenntnis von Materialeigenschaften, Verarbeitungsmethoden und Innovationen erleichtert die Gestaltung stimmiger und zukunftsorientierter Farbkonzepte. Die folgende Einordnung dient als Angebot, strategisch, bewusst und verantwortlich mit Farbe zu arbeiten. Sie bietet keine Rezepte, aber entscheidende Grundregeln zur Verwendung von Farbe in allen möglichen Gestaltungsdisziplinen. Zur Veranschaulichung der verschiedenen Funktionsebenen von Farbkonzepten eignet sich die folgende Ordnung als elementare Begründungsstrategie: • optisches Farbkonzept, • sensuell-haptisches Farbkonzept, • anekdotisch-ikonisches Farbkonzept, • systemisches Farbkonzept. Obwohl relativ trennungsscharf in ihrer Unterscheidung, wirken die ersten drei Farbkonzepte in den meisten Fällen überlappend und bilden Bestandteile des systemischen Farbkonzepts. Die Beurtei44
lung der Relevanz jeder der vier Ebenen für eine Farbgestaltung ist elementar und richtet sich nach der Art und Weise der Gestaltung, gewünschter Funktion oder verbundenem Zweck. Um einen Überblick der unterschiedlichen Wirkungsweisen von Farbkonzepten zu erhalten, sollte man jede Gestaltungsaufgabe unter Berücksichtigung der vier Farbkonzepte wie folgt analysieren: • optisch: visuelle Reize erzeugen – hervorheben, verstecken und unterscheiden • sensuell-haptisch: körperliches Gefühl hervorrufen – Farbe, Form, Textur • anekdotisch-ikonisch: Geschichten erzählen – Erinnerungen ansprechen – Farbszenarien – Verortung, formale Ordnung, Licht, Transparenz, Überlagerung, Abstraktion • systemisch: Masterplan – Integration, Experiment – Gesamtatmosphäre Das optische Farbkonzept
Das optische Farbkonzept ist das grundlegende Farbkonzept, weil es auf visuellen Phänomenen und elementaren Sehgewohnheiten basiert, die in den meisten Fällen affektiv und unbewusst erfolgen. Ziel des optischen Farbkonzepts ist es, funktionell zu unterscheiden, hervorzuheben oder zu verstecken, Räumlichkeit zu schaffen oder den Eindruck von Nähe oder Entfernung zu erzeugen. Es legt also fest, welche Elemente einer Gestaltung Aufmerksamkeit erzeugen und welche in den Hintergrund treten sollen. Die Prinzipien dahinter lassen sich mit einigen Aspekten der bekannten Farbkontraste erklären. Ein systemisches Farbkonzept arbeitet bewusst mit diesen Bedingungen und stellt damit sicher, dass der Betrachter eine Botschaft decodieren und verstehen kann. Die meisten Aspekte des optischen Farbkonzepts sind auf eine schnelle Wahrnehmbarkeit und funktionale Unterscheidungsfähigkeit ausge-
richtet und vermitteln Sicherheit und Orientierung in einer multisensuellen Welt. Optische Farbkonzepte finden besonders dann Anwendung, wenn es um Fernwirkung und das schnelle Erfassen von Informationen geht. Fußgängerzonen, Supermärkte und Flughäfen sind in den meisten Fällen optisch besonders gestaltet, um Passanten, Käufern oder Reisenden die Orientierung so leicht wie möglich zu machen, befinden sich aber gerade deshalb in einem Wettstreit um visuelle Vorherrschaft. Das betrifft Schilder, Markierungen und Leitsysteme jeder Art, aber auch entscheidende Aspekte von Corporate Identities wie Corporate Colors, Fernwirkungen von Zeitschriftentiteln und Verpackungen, Interfaces, Menüführungen und Leuchtreklame, den Mode- und Möbelbereich, Shopgestaltung, Architektur und Stadtplanung. Die Farbe folgt der Funktion Der rote Knopf an der zur MP3-Jukebox umgebauten Kompaktanlage von Dieter Rams ist das einfachste Beispiel für ein optisches Farbkonzept. Das wichtigste funktionale Element der Anlage unterscheidet sich deutlich von der Farbgebung seines Umfelds. Das Rot des An-Schalters wird zum funktional-technischen Signal, das sich intuitiv verstehen lässt. Das Farbkonzept ist fokussiert und funktional begründbar. Dieses Prinzip ist selbstverständlich auf alle anderen Arten der Gestaltung übertragbar. So lassen sich beispielsweise Elektrokabel farblich eindeutig kennzeichnen oder verschiedene Telefonanbieter zielsicher voneinander unterscheiden. Beim Centre Georges Pompidou in Paris sind eindeutige Funktionen der Architektur wie ein technischer Farbcode an der Fassade ablesbar (Abb. 2). Ergonomische Erfordernisse von Produkten oder etwa in der Raumgestaltung von Krankenhäusern lassen sich ebenso mit einfachen Farb-
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kontrasten beschreiben, um z. B. Wegeführungen zu kennzeichnen, funktionale Räume zusammenzufassen oder zu trennen und Besonderheiten hervorzuheben. Spiel mit Sehgewohnheiten Die grundlegenden Farbkontraste bilden in der Kunst und der Architektur oft farbige Raumsequenzen, die sich mit dem Spiel von hinten und vorne, transparenter Überlagerung und Schichtung sowie simultaner Farbwirkung auseinandersetzen. Farbe wird zu einem eigenen Gestaltungsaspekt, indem ihre faszinierende optische Wirkung herausgehoben und konkret gezeigt wird. In diesem Sinn erinnert das Museum Brandhorst in München (Abb. 3) oder andere Bauten des Architekturbüros Sauerbruch Hutton an die Farbkompositionsübungen der Künstler Josef Albers, Imi Knoebel oder Bridget Riley. Farbe wird zu einem Spiel mit den Sinnen, einem Spiel mit einfachen Sehgewohnheiten und optischen Phänomenen. Verhindern und verstecken Während es auf der einen Seite um Hervorhebung geht, spielt auf der anderen Seite das Verstecken und Camouflieren eine ähnliche Rolle. Insbesondere beim Militär finden sich unzählige Beispiele, in denen ein optisches Farbkonzept versucht, Menschen, Fahrzeuge und Kampfgeräte zu verstecken und somit für den Gegner unsichtbar zu machen. Vergleichbares ist auch bei häuslichen Anwendungen und räumlichen Konzepten möglich, mit denen sich unwichtige oder störende Elemente mithilfe einer farblichen Anpassung visuell verstecken lassen, wie z. B. Tapetentüren, aber auch technische Geräte oder Unterschiede in Material und Oberfläche. So können in der geschickten Kombination von Verstecken und Hervorheben transparente Funktionalitäten entstehen, die allein über farbliche Differenzierung abgebildet sind.
technisch-funktionaler Farbcode, Centre Georges Pompidou, Paris (F) 1977, Renzo Piano und Richard Rogers optisches Farbkonzept, Ausschnitt der Fassade, Museum Brandhorst, München (D) 2009, Sauerbruch Hutton Your rainbow panorama, Installation von Olafur Eliasson, Aarhus (DK) 2011 Was du liebst, bringt dich auch zum Weinen, Installation von Tobias Rehberger, 53. Biennale, Venedig (I) 2009
Faszinierende Optik Über das Spiel mit optischen Phänomenen lassen sich Farbkonzepte schaffen, die eine natürliche Faszination ausüben, weil sie die menschliche Wahrnehmung verdeutlichen. Der Künstler Olafur Eliasson etwa thematisiert in seinen Gestaltungen die Beziehung des Menschen mit Farbe und Licht. So wirkt sein Farbring, eine begehbare Lichtinstallation in Form eines Rundwegs, in Aarhus wie ein transparenter, visueller Filter, den der Mensch aufgrund seiner eigenen Bewegung verändern kann. Hier dient die farbliche Gestaltung unter anderem dazu, das Verhältnis des Menschen zur Umwelt zu veranschaulichen (Abb. 4). Einen ähnlichen, wenn auch radikaleren Dialog zwischen dem Menschen und seiner optischen Wahrnehmung provoziert der Künstler Tobias Rehberger mit seinen dekonstruierten Installationen, indem er die Einordnung von objekthafter Räumlichkeit unmöglich macht (Abb. 5).
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näher und lebendiger als ungesättigte Farben, die unbeweglich und starr wirken. Eine Modulation zu Grau nimmt der Farbe ihre Beweglichkeit und Aktivität. Ungesättigte Farben eignen sich hervorragend als Hintergrund, hochgesättigte Farben in geringer Quantität als Auszeichnung und Akzent, da sie dem Betrachter immer näher erscheinen als unbunte Farben und gewissermaßen auf ihn zulaufen. Die Anwendung des Kalt-Warm-Kontrasts sagt ebenfalls viel über die Nähe oder die Entfernung eines Objekts aus. Warme Farbtöne scheinen dem Betrachter sehr viel näher und aktiver als kalte Töne zu sein, die eher als Hintergrund interpretiert werden. Rot als Körperfarbe scheint regelmäßig schneller und aktiver als Blau zu sein. Auf den Menschen bezogen – insbesondere bei Lichtfarben – wirkt Rot allerdings wärmer und daher unter bestimmten Voraussetzungen wohliger und gewissermaßen beruhigender als manches Blau (siehe »Abgleich von Tages- und Kunstlicht«, S. 56).
Farbkonstraste Die Methoden, ein optisches Farbkonzept zu gestalten, sind also vielfältig, basieren aber meist auf der grundlegenden Wirkung der bekannten Farbkontraste (die nichts anderes zeigen als die Art und Weise der visuellen Wahrnehmung), optischer Illusionen und visueller Sehgewohnheiten. Farbzusammenstellungen mithilfe von Farbkarten, -folien oder -tools zum Legen von Kombinationen und Kontrasten, sind eine gute Methode, um die elementaren optischen Wirkungen von Farbe innerhalb kurzer Zeit zu testen, experimentell auszuprobieren sowie gezielt anzuwenden. Die Analyse des räumlichen Kontexts ist dabei elementar und definiert die Planungsaufgabe.
Das sensuell-haptische Farbkonzept
Der Bunt-Unbunt-Kontrast definiert die Strahlkraft oder Sättigung eines Farbtons. Hochgesättigte Farben scheinen uns
»Begreift man, dass die Interpretation des Seheindrucks zu einem Großteil auf körperlichen Erfahrungen beruht, so werden Gestaltungselemente wie Farbe
Der Hell-Dunkel-Kontrast zeigt die menschliche Fähigkeit, Helligkeitsdifferenzen wahrzunehmen und entsprechend zu interpretieren. Die Anwendung verschiedener Helligkeiten lässt den Betrachter Dichte, Räumlichkeit, Nähe und Entfernung definieren. Schattenmodulationen schaffen ein natürlich erscheinendes, räumliches Umfeld, wohingegen eine schattenlose Gestaltung künstlich und flach erscheint. Dunkle Farben wirken schwerer und räumlich horizontaler als helle Farben, die leicht und vertikal anmuten.
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Konzeptionelles Farbdesign
transparent fein leicht
undurchsichtig grob schwer
warm trocken weich
kalt
jung
alt
schnell
langsam
hart
aufrecht
liegend sachlich
feucht
zerbrechlich
stabil
ausgebeult
flach
verspielt
oben
unten
rund
spitz
anregend
beruhigend
heiter
düster
haftend
rutschig
ausufernd
geradlinig
frisch
verbraucht
weiblich
männlich
b süss
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Spielelemente einer auf Bewegungsdynamik und unmittelbarem Gefühl beruhenden Welt.« [1] Während optische Farbkonzepte vornehmlich die Unterschiedlichkeit, Wichtigkeit und Position eines Objekts über die menschlichen Fernsinne (Sehen und Hören) markieren, betrifft der zweite entscheidende Faktor eines Farbkonzepts die Erzeugung von Empathie und persönlicher Nachvollziehbarkeit einer Gestaltung über die direkt körperlich empfindenden Nahsinne (Fühlen, Riechen, Schmecken). Farbe ist Inhalt, nicht Oberfläche Ziel des sensuell-haptischen Farbkonzepts ist es, die gewohnheitsmäßige Vernetzung aller Sinne aufzugreifen und deren unterschiedliche Bedeutungsebenen zusammenzubringen. Das kann gelingen, weil Farbe bestimmte Erwartungen an körperliche Gefühle weckt.
sauer
Farben wirken rau oder glatt, weich oder hart, spitz oder rund, schwer oder leicht, flach oder räumlich. Um Farbbedeutungen zu verstehen, ist es also hilfreich, das Sehen als eine Form des Fühlens, aber auch des Hörens und des Riechens auf Entfernung zu begreifen. Farbkonzepte müssen also gefühlte Strukturen und Objekteigenschaften, ja sogar räumliche, akustische und olfaktorische Bedeutungen herausfiltern und berücksichtigen. Auch in der bildenden Kunst dient Farbe dazu, den Eindruck von Materialität, Räumlichkeit und Haptik zu verändern. Farbe als emotionaler Raum Ein gutes sensuell-haptisches Farbkonzept kann die Sinne des Menschen stimulieren und die besondere emotionale Beziehung von ihm zu seiner Umgebung hervorheben und stärken. Gestalter
Punkte groß
Punkte klein
Farbanmutung / Befragungsergebnis
Farbanmutung/Befragungsergebnis
verlogen c laut
ehrlich leise
konstruieren objekthafte Räumlichkeit über die Definition von Licht und Schatten, legen Schwere und Leichtigkeit über Helligkeiten fest, beeinflussen Dynamik, Geschwindigkeit und Lautstärke über aktive oder ruhende Farben und definieren Nähe und Entfernung über Sättigungen. Die körperlichen Faktoren der Farbe können in ein dreidimensionales Farbsystem übersetzt werden, das zwischen Helligkeiten (schwer/leicht, unten / oben), Sättigungen (nah /entfernt, bewegt/ unbewegt) und Farbtonunterschieden (kalt /warm, spitz /rund) unterscheidet. Die drei optischen Variablen eines Farbsystems verweisen also systematisch auf bekannte Sehgewohnheiten und Gefühle körperlicher Art (Abb. 6 und 7). Integration von Farbe und Struktur Besonders gute Möglichkeiten der gezielten sensuell-haptischen Gestaltung betreffen jede Art von Objekten und Materialien, deren Oberflächenstruktur und Farbe künstlich erzeugt sind. Künstliche Materialien können in ihrer Oberflächenbeschaffenheit die Bedeutung einer Farbe hervorheben und erzeugen im Idealfall eine einheitliche Bedeutungsebene im Spannungsfeld von Farbe, Form und Struktur. Ein sensuell-haptisches Farbkonzept wird daher besonders bei der Gestaltung von Textilien und Oberflächenbeschichtungen, aber auch von dreidimensionalen Produkten und komplexen atmosphärischen Räumen angewandt. So erzeugen haptische Strukturen selbst bei einfarbigen Objekten Spannung, sensibilisieren das Gefühl und erhöhen so ihre emotionale Bedeutung. Der Industriedesigner Naoto Fukasawa definiert die Bedeutungsebenen seiner Verpackungsserie Juice Skin, die in der Ausstellung Haptic 2004 in Tokio zu sehen war, über die gezielte haptische Gestaltung in Verbindung mit einem
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Konzeptionelles Farbdesign
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Assoziationen übertragen in ein Farbsystem a Helligkeit b kalt / warm c Sättigung Oberflächenstrukturen rufen unterschiedliche Farbassoziationen hervor: Ergebnisse der empirischen Haptic Visuals Studie. Verpackungsserie Juice Skins, 2004, Naoto Fukusawa Mona Lisa remixed, 2009, Gary Andrew Clarke
bestimmten Inhalt und einer bestimmten Farbe (Abb. 8). So wird diese Inszenierung zum Prototyp für eine syntaktisch angewandte, vernetzte Farbatmosphäre, in der alle gestalterischen Elemente aufeinander abgestimmt und in ihrer Bedeutung schnell zu entschlüsseln sind. Die emotionale Bedeutung dieser Art von Gestaltung hebt sich signifikant über die rein optische Wirkung hinaus und erzeugt ein sensuell-haptisch geprägtes FarbMaterial-Konzept, das Vertrauen in Produkte schaffen kann, indem es Bedeutungsebenen gezielt aufeinander bezieht und so für ein Gefühl von Klarheit und Orientierung sorgt. Farbwirkung empirisch überprüfen Empirische Untersuchungen in Kombination mit einer experimentellen Herangehensweise sind der beste Weg, die Zusammenhänge von Farbe, Form und Struktur herauszufiltern. Da es sich um Effekte handelt, die alle Menschen ähnlich wahrnehmen, bieten sie einen guten Anhaltspunkt für ein verständliches Farbkonzept. Intuition kann hier viel helfen, da der Mensch über Bewertungsmechanismen der Zusammenhänge von Farbe und Struktur in seinem Inneren verfügt. Bei Planungsaufgaben erfordert eine empirische Überprüfung allerdings ein großes Maß an Erfahrung. Um Fehler oder Missdeutungen zu vermeiden, sollten alle verwendeten Farben auf ihre haptischsensuelle Wirkung hin überprüft werden. Das anekdotisch-ikonische Farbkonzept
Nachdem das haptisch-sensuelle Farbkonzept vorwiegend den Bezug des Menschen zu seinen Objekten bestimmt, liefert das anekdotisch-ikonische eine überlagerte Bedeutungsebene, die auf Metaphern und Zitaten natürlicher und kultureller Faktoren beruht. Anekdotische Farbkonzepte ergeben sich aus der strategischen Anwendung von Sehgewohn-
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heiten kultureller und gesellschaftlicher Art. Dabei werden in vielen Fällen solche Zitate verwendet, die der Betrachter eines Kulturkreises ohne Weiteres bewusst oder unbewusst entschlüsseln kann. Allgemein bekannte Gegebenheiten oder Szenarien können in ihrer Verwendung als Zitat eine Atmosphäre in einen Raum transportieren. Dabei entstehen Bezüge zu Geschichte und Gesellschaft oder ortsgebundenen Farbszenarien zwischen Natur und Megacitys, Urwald und Park, Wildnis und Wohnzimmer. Der Künstler Michael Lin verändert beispielsweise in seinen Installationen die Wirkung von Räumen mit anekdotischen Farben und Mustern auf eine besonders einfache, eindrückliche Art. Farbszenarien Das anekdotisch-ikonische Farbkonzept kommt insbesondere dann zum Einsatz, wenn Räume, Produkte oder zweidimensionale Gestaltungen an einen bestimmten Kontext erinnern sollen. Ziel ist die Definition bekannter Farbszenarien und deren Transport oder Übertragung auf objekthafte Gestaltungen. Selbst abstrakte Farbtonzusammenstellungen erinnern an natürliche Szenarien und Atmosphären. Ein Farbmilieu »Natur« funktioniert als Zitat in einer Bürolandschaft, Farbszenarien vergangener Epochen und Stile können zielgerichtet nachempfunden und zu Metaphern für vergangene Zeiten werden. Auf Basis der Vergangenheit und der Gegenwartsbetrachtung kann ein Farbkonzept die neuesten modischen Entwicklungen abbilden und zukünftige Farbszenarien schaffen. Ausgangspunkt für ein anekdotischikonisches Farbkonzept können etwa Farbstimmungen unterschiedlicher Landschaften sein, aber auch Farbe und Form von Schlüsselwerken der Kunst, der Unterhaltungskultur sowie anderer Modeerscheinungen und tech-
nischer Entwicklungen. In jeder Stadt gibt es kulturell geprägte Milieus von der Kleingartensiedlung bis hin zu orientalischen Märkten, die ein einzigartiges farbliches Gebilde darstellen. Zwischen dem nordfriesischen Wattenmeer und tropischen Stränden liegen farbliche Welten, die über geschickte Modulation von Farbe, Verschattung und Aufhellung, Transparenz und Komposition Stimmungen erzeugen können, die emotional berühren. Anekdotisch-ikonische Farbkonzepte können sowohl natürliche als auch künstliche Szenarien imitieren. Natürliche Szenarien zeichnen sich durch ausgeprägte Helligkeitsmodulationen und eine herabgesetzte Sättigung innerhalb eingeschränkter Farbtonbereiche aus, wohingegen künstliche Szenarien vorwiegend hochgesättigte, leuchtende Farben aus möglichst unterschiedlichen Farbtonbereichen ohne Helligkeitsmodulationen und Sättigungsunterschiede verwenden. Künstliche Farbszenarien wirken dadurch häufig zweidimensional und grafisch. Natürliche Farbszenarien wirken meist über Komplementär- und Kalt-Warm-Kontraste in geringer Quantität besonders angenehm und stimmig. Farbe und Abstraktion Dass direkte, bildliche Zitate nicht unbedingt erforderlich sind, zeigt ein Bild von Gary Andrew Clarke, das die Farbigkeit der weltbekannten Mona Lisa in 140 Punkten abbildet und trotzdem leicht als solches erkennbar bleibt (Abb. 9). Das Beispiel zeigt eindrücklich die anekdotisch-ikonische Wirkung von vereinfachten, abstrakten Farbzusammenstellungen. Die Frage, welches Zitat für eine Farbgestaltung richtig ist, lässt sich allerdings nur über den Kontext und die Funktion der Objekte und Räume definieren. 47
Konzeptionelles Farbdesign
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10 Santa Caterina Market Renovation, Barcelona (E) 2005, Miralles Tagliabue a Entwurfsskizze b Umsetzung 11 Farbe definiert und kennzeichnet Bedeutungsebenen, Entwurf von Petra Blaisse für die Zentralbibliothek in Seattle (USA) 2004, OMA 12 Übersetzung von Musik in Farbe, Wohnhaus »Klavier«, Schiedam (NL) 2007, Architectenbureau K2 13 Das Designbüro Raw Color veranschaulicht die ganzheitliche Prägung von Farbatmosphären. Natürliche Farben und Transparenzen zeigen das Zusammenwirken von Farbe und die Faszination von Licht und Verhüllung. Eindhoven (NL) 2010 14 experimentelle Farb- und Materialstudie a Studio Besau Marguerre b Hella Jongerius, 2013
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Das Architekturbüro Mirailles Tagliabue EMBT in Barcelona etwa transportierte das dortige Markttreiben und seine Umgebung in einer definierten Pixelstruktur in 67 Farben auf das Dach der Markthalle und lud so den Ort anekdotisch auf (Abb. 10). Rem Koolhaas definierte mit Petra Blaisse bestimmte Zonen der öffentlichen Zentralbibliothek in Seattle über Zitate natürlicher Abbildungen und kennzeichnete somit zugleich verschiedene Nutzungsordnungen durch gezielte Differenzierung in Farbe und Form (Abb. 11). Das Architectenbureau K2 aus Amsterdam entwarf für einen Wohnkomplex in Schiedam einen Farbcode, der sich aus der synästhetischen Übertragung eines Musikstücks auf die gerasterte Fassade ergab (Abb. 12). Colorhunting Bekannte sowie neue Farbszenarien lassen sich empirisch gut über Scoutings mittels Fotografien und Farbproben sowie die abstrakte Übertragung abbilden. Ebenso liefern ikonische Bilder und Vorstellungen oder historische Farbszenarien eine gute Gelegenheit, deren emotionale Assoziation in einen Raum oder auf ein Produkt zu übertragen. Die Methoden der Vergangenheits- und Gegenwartsbetrachtungen spielen hierbei eine wichtige Rolle und sind die Basis für zyklische Trends und zukünftige Entwicklungen bei Farbe und Material. Je bekannter und idealtypischer die Vorbilder sind, desto »energetischer« erfolgt ihr Aufnahme. Das systemische Farbkonzept
»Bedeutung wird nicht im Gehirn in unserem Kopf erzeugt, aber in den Gehirnen, die über unseren ganzen Körper verteilt sind, und in all den Erinnerungen, die sie enthalten.« [2] Das Ziel des systemischen Farbkonzepts ist es, bestimmte Gesamtatmosphären abzubilden und gestalterisch zu füllen. 48
Der Pavillon 21 Mini Opera Space in München des Architekturbüros Coop Himmelb(l)au vereint die drei Aspekte eines Farbkonzepts auf einfache Art und Weise. Der rote Bereich, auf dem das Gebäude zu stehen scheint, bildet einen optisch auffälligen Untergrund. Er kennzeichnet eine Zwischen- und Verweilzone, ist zugleich ein kulturelles Zitat des »roten Teppichs« und sensuell gesehen in seiner weichen Materialität ein körperliches Signal zur aktiven, haptischen Entschleunigung und Sensibilisierung.
Kupfer in seinen experimentellen Projekten mit Hitze und Mustern und schafft so faszinierend farbige und dabei materialgerechte Produkte (Abb. 14 a). Vermehrt setzen große Industriekonzerne auf kleine experimentelle Designbüros und schaffen so flexible Farbszenarien als Basis für ihre Kollektionen, die offen sind für das Spiel mit der Farbe, dem Material und der Emotion.
Ein systemisches Farbkonzept wendet optische, sensuelle und kulturelle Aspekte aufeinander bezogen an. Je besser die drei Ebenen miteinander verwoben sind, desto besser und verständlicher erscheint das Konzept. Durch die Anwendung der Methoden der drei Farbkonzepte können alle Aspekte einer Gestaltung modular kategorisiert und angewendet werden. Farbdesigner entwickeln sich zu Bedeutungs- und MoodManagern, wenn sie in der Lage sind, Optik, sensuelles Empfinden und kognitive Beurteilung zu einer Gesamterfahrung zusammenzubringen, die relevant und sinnvoll ist. Dabei bereichern Experimente die systemische Herangehensweise und ermöglichen neue flexible Lösungen um die sensuelle und kulturelle Essenz der Farbe.
Farbmasterpläne Ein Farbmasterplan ist eine übergeordnete Farb- und Oberflächenkollektion, die größtmögliche Flexibilität bietet und die Gesamtkollektion zusammenhält, indem er den Rahmen bestimmt, in dem farbliche Entwicklungen stattfinden können. Er hat zudem den Vorteil, dass die Farben optimal miteinander kombinierbar sind. Das Ziel systemischer Farbkonzepte für Produkte oder Architektur ist es, Farbund Materialkonzepte zu entwickeln, die einen eigenen identifizierbaren Raum schaffen. Die Farb- und Oberflächenbibliotheken beispielsweise, die Hella Jongerius für Industriekunden gestaltet, werden so zur farbigen Leitlinie, die eine gewachsene Gesamtkollektion als zusammengehöriges Ganzes darzustellen vermag und gleichzeitig auf aktuelle Trends eingehen kann (Abb. 14 b). Diese Annäherung zwischen Kunst und Design dient der Emotionalisierung der Produkte.
Experimentelle Farbe Experimente mit Farbe lassen Neues entstehen und ermöglichen die Erweiterung unseres Spektrums an Farbwahrnehmungen auf eine sensible, sensuelle und kulturelle Art. Das Designbüro Raw Color aus Eindhoven experimentiert mit den natürlichen Farbigkeiten pflanzlicher Pigmente, gestaltet mit lichtempfindlichen Textilien und additiven, textilen Transparenzen (Abb. 13). Das Studio Besau Marguerre aus Hamburg behandelt rohes
Einige bekannte Hersteller im Designbereich schaffen heute über Aufträge an verschiedene und ausgesuchte Gestalter ein farbiges Universum, das eine spezifische, designorientierte Zielgruppe anspricht. Die formale Gestaltung ist meist äußerst einfach und definiert sich vor allem über die emotionale und spielerische Verwendung von Farbe und Linie, zwischen Verläufen, Blocks, Rauten, Grids und Triangulierungen, die an aktuelle Verwendungen einer generativen
Konzeptionelles Farbdesign
F = S 0520 -Y90R G = S 5540-G10Y A = S 0550-G90Y B = S 4020 -Y30R
NCS-Farbsystem: C = S 0530-B D = S 3060 -Y30R E = S 2060-G30Y
G E A
G F
E
D
D G A
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E G
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G C A
B
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G G G
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C B E
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D C
G F
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Nordfassade
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Gestaltung in der Architektur mit CADAnwendungen, Processing oder Grasshopper erinnern. Damit schaffen sie ein systemisches Farbkonzept, das auf allen Ebenen arbeitet und deren Einzelteile flexibel kombinierbar sind. Auf ähnliche Weise berücksichtigen Farbmasterpläne für Städte die Bedeutung jedes einzelnen Gebäudes in einem Stadtquartier, aber auch die städtische Gesamtwirkung.
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D G A
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F
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C A
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Südfassade b
Sinne sensibel ansprechen kann und kulturelle Visionen zulässt. Aufgrund der universellen Anwendbarkeit von Farbe und individuellen Einzelproduktion können Farbkonzepte heute und in Zukunft mehr denn je auf die individuellen Bedürfnisse eines Auftraggebers zugeschnitten sein. Digitale Vorlagenherstellung, Digitaldruck, Lasergravur und Laserschnitt sowie 3D-Druck eröffnen Möglichkeiten, die eine strategische Verwendung von Farbe und Form erfordern. Während früher gezielt ausgerichtete Produktkollektionen der Designabteilungen von Herstellern angeboten wurden, ist die Demokratisierung von Design heute ein Faktor, der begründbare, übergreifende und flexible Farbkonzepte erfordert.
Farbe ist nicht gleich Buntheit Die Anwendung sensueller und metaphorischer Aspekte erhöht den Wert einer Gestaltung, indem sie einen Bezug zum Menschen, zur Gesellschaft und zur Kultur schafft. Die baumarktübliche Gestaltung mit optischen Farbkonzepten hingegen vergisst die emotionale und kulturelle Wirkung von Farbe und führt zu einer Verarmung der Farbwelt, in der alles Auffällige und besonders Dekorative bevorzugt wird. Die starke Sättigung üblicher Produkte oder auch Häuserfassaden zeugt meist von Künstlichkeit und geringer Sensibilität. Nachdem basale Funktionalarchitektur oder größtmöglicher Ausdruck jahrelang das Stadtbild – insbesondere in Deutschland – bestimmt haben, braucht es einen entscheidenden Schritt in Richtung Ehrlichkeit und Eleganz, der alle
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Stadt, der Menschen und der Dinge. Mit Farbe übertragen wir Erfahrungen und Atmosphären auf ein Objekt. Der Philosoph Slavoj Žižek proklamiert, dass wir Klischees brauchen, um uns in der Gesellschaft zu verorten und zu orientieren. In diesem Sinn brauchen wir also neue Klischees, um der gewünschten Zukunft eine Möglichkeit zu bieten. Trendagenturen, aber auch Architekten und Designer sind letztlich damit beschäftigt, aus den alten Klischees neue zu entwickeln und sie am Markt zu etablieren. Es liegt an uns, zu entscheiden, welche Klischees das sind. Anmerkungen: [1] Rieke, Timo: haptic visuals – Oberfläche und Struktur – Farbe und ihre Beziehung zur Tastwahrnehmung. Frammersbach 2008 [2] Ken’ya Hara, Jahrgang 1958, japanischer Grafiker, Gestalter und Kurator
Ausblick Heute ist mehr denn je rückhaltlose Emotionalität gegenüber den Dingen nötig sowie übergreifende Sensibilität gegenüber der Farbe und dem Material. Wer selbst Farbe fühlt, kann auch anderen Menschen dieses Gefühl vermitteln. Begründet werden kann dies durch genaues Hinschauen, durch intelligenten, syntaktischen Einsatz, durch Verbindungen in die Geschichte und Kultur, durch das Beobachten der Natur, der
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Gestalten von Raumatmosphären – Grundlagen zur Gestaltung mit Licht
SEHLEIS TU N G
Beleuchtungsniveau
VIS
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Lichtrichtung
Lichtfarbe
harmonische Helligkeitsverteilung
Farbwiedergabe
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Raumgestaltung mit Licht und Farbe Licht und Farbe sind wesentliche Gestaltungsmittel bei der Raumplanung, die bestenfalls Hand in Hand erfolgen. Angewandt auf die Wirkung von Farbe im Raum ist der Umgang mit Licht entscheidend, da es mit seinen ihm innewohnenden Eigenschaften Farbigkeit befördern oder aber umgekehrt, sie verfälscht und unangenehm erscheinen lassen kann. Grundregeln zur Gestaltung mit Licht: • Licht ist ein Medium, das nicht sichtbar ist, sondern sichtbar macht. 50
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Licht ist nicht greifbar. Es ist kein Werkstoff, aber ein vitales Medium zum Bauen. Der Lauf der Sonne bringt Schatten zum Wandern und unverrückbare Bauwerke scheinbar in Bewegung. Raumhelligkeit ist das Überlagern und Durchdringen unendlich oft gespiegelter, gebrochener und verfärbter Lichtstrahlen. Was wir sehen, ist das Resultat ihrer Wandlung auf den raumbegrenzenden Flächen und Objekten. Ein Bauwerk lebt nicht allein von seiner Gestalt, sondern immer auch von seiner Wirkung im Zusammenspiel mit Licht. Wie sich ein Mensch an einem Ort fühlt, ist von mehreren verschiedenen olfaktorischen Eigenschaften abhängig. Folgendes Zitat von Pablo Buonocore beschreibt das sehr treffend: »[...] dass das Licht in der Architektur nie isoliert betrachtet werden kann. Vielmehr ist es die Komposition von Licht, Farben, Geräuschen, Haptik, Raumtemperatur, Feuchtigkeit und Gerüchen, die eine architektonische Gegebenheit ausmacht. Letztlich ist es aber immer der Mensch mit seiner momentanen Gefühlslage und seinem subjektiven Empfinden, der sein Urteil über die Architektur abgibt. Das Zusammenspiel einer ausgewogenen Aktivierung aller Sinne und die Stimulation unser alltäglichen Bedürfnisse sind entscheidend für die Bildung interessanter Architektur«. [1]
RT
gute Beleuchtung
FO
N IE UELLES A MB
Blendungsbegrenzung
Schattigkeit
M
Anke Augsburg
HK
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Gütemerkmale der Beleuchtung: Je nach Nutzung und Erscheinungsbild eines Raums, kommt den Gütemerkmalen unterschiedliche Gewichtung zu, und bestimmte Bereiche werden bevorzugt beeinflusst. Unterscheidung von Lichtdesign und Lichtplanung: rein ästhetische und lichttechnische, sowie planerische und praxisbezogene Begriffe, die bei einer Beleuchtungsplanung zur Anwendung kommen. für den Menschen sichtbarer Bereich des Lichtspektrums Lichtreflexe von Kristallen in Regenbogenfarben
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• Zum Licht gehören Schatten, Halbdunkel und Kontrast, um Raum oder Objekte zu gestalten und Oberflächenfarben zum Leben zu erwecken. • Licht und Farbe gehören untrennbar zusammen. • Die Qualität von Wahrnehmung und gutem Sehen sind das Ergebnis guter Beleuchtung. • Sehkomfort drückt sich über blendfreies und reflexblendungsfreies Licht aus. • Licht auf vertikalen Flächen bildet architektonische Räume stärker als Licht auf horizontalen Flächen. • Eine Leuchte ist in erster Linie ein Instrument für einen spezifischen Anwendungszweck und zunächst erst nachrangig ein ästhetischer Gegenstand. • Um einen Raum zu beleuchten und zu inszenieren, sollte vorerst in Lichtqualitäten gedacht werden, nicht in »schönen Leuchtenformen« und Normen. • Eine wesentliche Rolle spielt der Einklang von Raum, Farbe und Licht.
• Die Grundlage für die Findung eines annehmbaren Gesamtkonzepts bleibt immer die Analyse von Nutzung und Funktion des Orts einerseits und die Gesamterscheinung der Architektur andererseits. • Wichtig bleibt, ein Gespür dafür zu entwickeln, was der Kern, das bestimmende Element eines Entwurfs bzw. eines Gebäudes, ist, um diesen durch die Lichtplanung zu stärken. Die Kernidee des Beleuchtungskonzepts darf auch in einem integralen Planungsprozess mit vielen Beteiligten bis zum Schluss nicht verloren gehen.
Lichtdesign
Lichtplanung
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Raumstrukturen folgen Dimensionen verdeutlichen Raumbegrenzung betonen Blicke leiten Helligkeitsverläufe zulassen Licht- und Schattenspiele Dynamik des Lichts Szenenwechsel Stimmungswechsel Farbwechsel Lichteffekte Strukturen sichtbar machen Materialien dominieren lassen Kostbarkeiten zum Funkeln bringen Wirkung dramatisieren Sichtbezüge herstellen Fernwirkung erhöhen durch Spiegelung optisch erweitern nach außen erstrahlen Raumtiefen definieren Kontrast im Gegenlicht weiche Raumhelligkeit
Wie denkt ein Lichtdesigner?
Der Lichtdesigner oder Lichtplaner versteht Licht als Medium, das den ausgewählten Ort mit all seinen Objekten und seiner farbigen Anmutung in besonderer Weise zum Leben erweckt. Er erschafft Lichtstimmungen und bringt die Erscheinung des Orts in Einklang mit seiner Nutzung. Er sieht den Raum vorerst rein
Lichtrichtung Lichtverteilung Lichtfarbe /Farbwiedergabe Farbmischung Modellsimulation Visualisierung Lichtlenkung Sonnenschutz konservatorische Aspekte Abstimmung mit Denkmalschutz Lichtmanagementsysteme Leuchtenpositionen Leuchtenspezifizierung Beleuchtungspläne Lichtberechnung Sonderleuchtenanwendung Detailzeichnungen Energiebudget /Nachhaltigkeit Leistungsverzeichnis Spezifikationsdokument / Wartung
Gestalten von Raumatmosphären
sichtbarer Bereich
Gammastrahlung Röntgenstrahlung
Infrarot Wärmestrahlung
Höhenstrahlung
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1 Ultraviolett
10-6
10-9
Wellenlänge (nm) 1012
1015
Mikrowellen Radar, Fernseh-, Radiowellen
380 nm 3
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Telefon Wechselstrom
780 nm 1 nm = 10-9 m
atmosphärisch und frei von Beleuchtungskörpern. Er baut gedanklich Raumatmosphären aus mit Licht betonten Flächen und Schattenbereichen zusammen. Er lässt Leuchten an geeigneten Stellen als dekoratives Element zu, versteckt aber ansonsten gerne technische Leuchten in architektonischen Bauteilen. Er schreibt Lichtszenen, die entsprechend der jeweiligen Nutzung und über den Tageslauf hinweg abgerufen werden können. Kriterien der Lichtgestaltung
Bei der Erarbeitung eines Beleuchtungskonzepts werden Beleuchtungsschwerpunkte so gesetzt und Leuchten mit ihren Leuchtmitteln so ausgewählt, positioniert und geregelt, dass optimales Sehen und eine angenehme Stimmung für die jeweilige Nutzungsanforderung bestmöglich geschaffen werden. Das heißt, dass Licht nicht nur am rechten Ort und zur rechten Zeit in genügender Qualität und Intensität vorhanden sein muss, sondern sich über die Schaffung einer angenehmen Lichtatmosphäre, ein »allgemeines Wohlbefinden« definiert. Darüber hinaus ist es notwenig, Kriterien wie harmonische Helligkeitsverteilung, Begrenzungen von Direktoder Reflexblendung, gute Kontrastwiedergabe, Lichteinfallsrichtung, Lichtfarbe und nicht zuletzt die Frage nach der Wirtschaftlichkeit miteinander in Einklang zu bringen. Die Beachtung dieser Kriterien ist die Grundlage für eine gute Beleuchtung (Abb. 1). Lichtdesign und Lichtplanung sind Begriffe, die sich im täglichen Gebrauch recht unscharf voneinander abgrenzen, für die Erarbeitung eines Beleuchtungskonzepts sogar ganz miteinander verschmelzen und gemeinsam angewendet werden müssen. Grundsätzlich lassen sie sich jedoch sehr klar trennen und inhaltlich verschiedenen Stichworten zuordnen (Abb. 2). Bestimmte Aspekte lassen sich dabei eher einer ästhetischen Qualität
zuordnen, andere sind rein technischer Natur. Für ein gelungenes Ergebnis ist weder das eine, noch das andere verzichtbar. Nur in einer technisch detaillierten Planung, können alle im Entwurf angedachten Wünsche und Vorstellungen der Projektbeteiligten berücksichtigt werden. Europäische Norm zur Beleuchtung von Arbeitsstätten In Richtlinien und Normen zur Beleuchtung erfolgt in der Regel die Formulierung von Mindestanforderungen an die Güte des Lichts für bestimmte Beleuchtungssituationen. Der jeweils aktuelle Stand der Technik ist ausschlaggebend dafür, welche Mindestgüte einzuhalten ist. DIN EN 12 464 und die Arbeitsstättenrichtlinie müssen grundlegend immer angewendet werden. Begründete Ausnahmen sind jedoch zugelassen (es gibt z. B. denkmalgeschützte Objekte oder Bereiche in einem Museum, die eine konsequente Anwendung der Norm nicht zulassen). Licht als Materie verstehen und anwenden Sicher ist das Thema Beleuchtung sehr komplex, und weil Licht eben nicht greifbar ist, oft auch schwer nachvollziehbar. Der erste Schritt, bewusster mit Beleuchtung umzugehen, sollte sein, sich überall umzuschauen und darauf zu achten: • Warum wird dieser architektonische Raum auf diese Weise wahrgenommen? • Kommt seine Farbigkeit gut zur Geltung? • Sind die Dinge in dem Raum sehr gut oder nur verfälscht zu erkennen? • Sagt die räumliche Atmosphäre generell zu? Selbst wenn es schwerfällt, innerhalb kurzer Zeit alle Faktoren lichttechnisch zu bewerten, schult es das Auge und das Empfinden von Lichtatmosphären – ganz unabhängig davon, ob es sich um ein Büro, ein Museum oder um private Wohnräume handelt.
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Wechselwirkung von Licht und Oberflächenfarben Licht und Farbe gehören untrennbar zusammen. Farb- und Materialoberflächen kommen nur im »richtigen Licht« zur Geltung. Wenn die Wechselwirkungen von Licht und Oberflächenfarben bekannt sind, lässt sich ihre Erscheinung bewusster und eindrucksvoller gestalten. Dennoch ist es häufig notwendig, die gewünschte Wirkung vorab an einem Modell oder sogar 1:1 anhand eines Mock-ups zu überprüfen. Der Gestalter kann so eher auf ein unerwartetes Ergebnis reagieren, das von seinen Entwurfsvorstellung abweicht: beispielsweise wenn ein feiner, transluzenter Vorhang schwer und stumpf, eine große blaue Wandfläche am Ende des Raums schwarz oder eine hölzerne Schranktür mit feinem Lack grau wirkt. Die visuelle Wahrnehmung
Bei der Planung der visuellen Umwelt, müssen sowohl die rein physikalischen Eigenschaften des Lichts als auch das wahrnehmungspsychologische Wechselspiel zwischen Lichtquelle, Objekt und wahrgenommenem Gegenstand in der jeweiligen Situation berücksichtigt werden. »Licht« physikalisch betrachtet Im Alltag wird mit »Licht« das sichtbare Licht bezeichnet. In den meisten Zusammenhängen wird es vor allem unter physikalischen Aspekten als der sichtbare Teil elektromagnetischer Strahlung betrachtet, der aus schwingenden Energiequanten besteht. Verschiedene Theorien zur Beschreibung der Eigenschaften von Licht ergänzen sich. Seit Sir Isaak Newton (1642–1726) ist bekannt, dass sich weißes Licht aus einzelnen Spektralfarben zusammensetzt. Anhand seines Korpuskularmodells hat er nachgewiesen, dass sich Energieteilchen (Photonen) mit Lichtgeschwindigkeit 51
Gestalten von Raumatmosphären
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1A 1B 2A 2B 3 4
Ra 90 –100 Ra 80 –89 Ra 70 –79 Ra 60 –69 Ra 40 –59 Ra 20 –39
Reflexion Absorption Transmission
5
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geradlinig von der Lichtquelle aus verbreiten. Newton verstand Licht als eine Art Hagelschauer kleiner Energiekügelchen, die sich wie die Teilchen verhalten. Seine Theorie erklärt jedoch nicht, wie sich Licht durch Materie, z. B. bei Lichtbrechungen in Wasser oder Glas, fortpflanzt. Das zur gleichen Zeit von Christiaan Huygens (1629 –1695) entwickelte Wellenmodell geht bei Licht von elektromagnetischen Schwingungen aus, die von einer Quelle stammen. Er konnte damit das erklären, was Newtons Modell nicht konnte: die Eigenschaften wie Lichtfarbe, Interferenzfähigkeit, Beugung und Polarisation. Augustin Jean Fresnel (1788 –1827) hat 1822 schließlich herausgefunden, dass jede Spektralfarbe einer ganz bestimmten Wellenlänge entspricht. Zu jeder Wellenlänge gehört ein bestimmter Farbeindruck, der vom kurzwelligen Violett über Blau, Blaugrün, Grün, Grüngelb, Gelb, Orange bis zum langwelligen Rot reicht. Das Spektrum des Tageslichts bildet dabei kontinuierliche Übergänge. Die faszinierenden Farbverläufe eines Regenbogens zeigen die Zerlegung des weißen Lichts in seine Spektralfarben. Das sichtbare Licht reicht von 380 bis 780 nm (Abb. 3, S. 51). Farben oder farbige Gegenstände werden vom menschlichen Auge nur dann farbig wahrgenommen, wenn im Spektrum der Lichtquelle diese Farben enthalten sind. Beispielsweise sieht eine rote Wand in monochromatischem Licht einer NAVLampe (nur ein Ausschlag im Spektrum) fälschlicherweise gelblich aus. Die an das sichtbare Licht oberhalb und unterhalb angrenzende, aber für das menschliche Auge nicht sichtbare Infrarot- und Ultraviolettstrahlung gilt gemeinsam mit dem sichtbaren Licht als optische Strahlung. Sie kann, je nach Dauer ihrer Einwirkung, Materialien und Lebewesen aber auch negativ beeinflussen. Gegen-
stände, wie z. B. Stoff, Leder, Papier oder Elfenbein, sollten vor ihr geschützt sein, weil sie ausbleichen, sich trüben oder sogar spröde werden können. Treffen Lichtstrahlen auf ein Material, erfolgt je nach Oberfläche eine Reflektion, eine Absorption oder Transmission, also ein Durchlassen der Lichtstrahlen.
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»Licht« physiologisch betrachtet Der Mensch orientiert sich im Unterschied zu vielen anderen Lebewesen vorrangig visuell. Mehr als drei viertel aller Informationen, die er aufnimmt, lassen sich auf seine Sehwahrnehmung zurückführen. Ohne Licht wäre das Sehen für ihn unmöglich. Erst die besondere Konstitution des menschlichen Auges ermöglicht jedoch die Wahrnehmung von Licht und Farbe. Licht ist – unter physiologischen Gesichtspunkten betrachtet – ein Wahrnehmungsreiz auf der Netzhaut und damit die zur Erregung einer Hellempfindung des menschlichen Sehorgans geeignete elektromagnetische Strahlung. Das menschliche Auge reagiert sehr anpassungsfähig auf unterschiedlichste Lichtsituationen. Sein optischer Teil lässt sich mit einer Lochkamera vergleichen, die bestimmte Strahlungen aufnimmt und neuronal auf der Netzhaut als Projektionsfläche abbildet. Die Netzhaut verfügt insgesamt über ca. 130 Millionen Sehzellen. Die meisten von ihnen, die sogenannten Stäbchen, sind für das Helligkeitssehen sowie für die Bewegungswahrnehmung zuständig und reagieren auf das Farbsehen relativ unempfindlich. Ihre spektrale Gesamtempfindlichkeit liegt bei 507 nm. Nur etwa sieben Millionen Zapfen sind dagegen für das Farbensehen verantwortlich. Ihre maximale spektrale Gesamtempfindlichkeit liegt bei 555 nm. Die Fähigkeit des Auges, sich an höhere oder niedrigere Leuchtdichteniveaus anzupassen, wird als Adaptation bezeichnet. Das Auge benötigt nur kurze Zeit, um
Stufeneinteilung der Farbwiedergabe unterschiedlche Wege des Lichts Reflexion von Lichtstrahlen a gerichtete Reflexion: Das einfallende Licht wird an eine hochglänzende Oberfläche gerichtet zurückgeworfen. Der Reflexionswinkel ist gleich dem Einstrahlwinkel. Wenn Licht auf einen Spiegel trifft, reflektiert dieser sämtliche Lichtstrahlen. Die Glanzwahrnehmung ist umso ausgeprägter, je gerichteter das Licht reflektiert wird. b gestreute Reflexion: Bei der gestreuten (auch diffusen) Reflexion werden die Lichtstrahlen von matten oder angerauten Oberflächen in alle Richtungen gleichmäßig zurückgeworfen. c gemischte Reflexion: Sehr raue Oberflächen werfen Lichtstrahlen ungleichmäßig in alle Richtungen zurück.
sich an die Helligkeit eines Raums zu gewöhnen, wenn der Betrachter aus einem dunklen in einen hellen Raum geht. In umgekehrter Richtung benötigt das Auge jedoch fast eine halbe Stunde. Die wichtigsten physikalischen Lichtphänomene
Zu den wichtigsten physikalischen Lichtphänomenen gehören: • Lichtfarbe und Farbwiedergabe • Reflexion und Absorption • Transmission und Lichtbrechung • Lichtrichtung und Schattigkeit • farbiges Licht • subtraktive und additive Farbmischung Lichtfarbe und Farbwiedergabe Lichtfarbe ist der Farbeindruck von Licht, der direkt von einer selbst leuchtenden Lichtquelle stammt. Der zugehörige Farbreiz beruht auf der spektralen Zusammensetzung dieser Strahlung. Zum richtigen Erkennen einer »Körperfarbe« ist weißes Licht günstig. Die Bezeichnung »Lichtfarbe« wird zur Charakterisierung von Leuchtmitteln benutzt und wie folgt angegeben: warmweiß (ww) < 3300 Kelvin [K] neutralweiß (nw) 3300 K ≤ 5000 K tageslichtweiß (tw) 5000 K ≤ Tcp Ein Planckscher Strahler, auch Schwarzer Strahler genannt, ist ein idealisierter Körper, der eine auf ihn treffende elektromagnetische Strahlung bei jeder Wellenlänge vollständig absorbiert. Die Farbtemperatur, gemessen in Kevin, ist diejenige Temperatur, die ein Planckscher Strahler besitzen muss, um eine ähnliche Lichtfarbe anzunehmen. Die Lichtfarbe wirkt direkt auf das zentrale Nervensystem des Menschen. Die Tageszeit und die Tätigkeit definieren die Anforderungen an die Farbtemperatur, die Farbtemperatur hingegen beeinflusst die Wahrnehmung. So verleiht ein kühleres Licht am Arbeitsplatz beispielsweise
Gestalten von Raumatmosphären
θi
θr
7a
7b
7c
mehr Energie, weil der bläuliche Lichtanteil motivierend wirkt. In Wohnräumen wird am Abend ein eher warmes, gedimmtes Licht als angenehm empfunden. Dieses lässt sich – abgesehen von natürlichem Kerzenschein – immer noch mit am besten mit einer klassischen Glühlampe oder Halogenglühlampe erzeugen. Beim Dimmen der Lampen bzw. Temperaturstrahler wird die Farbtemperatur herabgesetzt, z. B. von 3000 auf 2300 K. Alle warmen Töne in der Umgebung erscheinen dann noch wärmer. Allerdings würde eine blaue Wand dagegen in diesem Licht schwarz erscheinen, weil der blaue Lichtanteil zu stark gemindert ist.
terung mit verschiedenen Lichtquellen und mit diversen Farblichttönen stattfinden. Dies erleichtert die Entscheidung für einen passenden Farblichtton enorm. Die jeweiligen Farblichttöne können die Erscheinung von Gebäudestrukturen von weich bis klar und kantig oder sogar geheimnisvoll zurückgezogen verändern. Dementsprechend sollte die Betrachtung von Mustern und Farboberflächen immer in dem Licht erfolgen, in dem sie später angewendet werden.
Wand absorbiert viel mehr Lichtstrahlen als eine helle (Abb. 4).
Die Farbwiedergabe ist ein Qualitätsmerkmal von Lichtquellen. Sie beschreibt die möglichst gleichmäßige Aufteilung in die verschiedenen Spektralfarben für eine gute Wiedergabe der Farbe bis hin zur verfälschten Erscheinung. Die korrekte Farbwahrnehmung unter künstlichem Licht ist und bleibt eine der wichtigsten Aufgaben bei der Beleuchtungsplanung. Der Farbeindruck wird durch die Wechselwirkung zwischen der Farboberfläche der betrachteten Gegenstände, also deren spektralen Reflexionsgraden, und der spektralen Zusammensetzung des Lichts, welches auf sie trifft, bestimmt. Der Farbwiedergabeindex (Ra) einer Lichtquelle kennzeichnet das Maß der Übereinstimmung der Oberflächenfarbe mit ihrem Aussehen unter der jeweiligen Bezugslichtquelle. Eine Lichtquelle mit einem Farbwiedergabeindex von 100 lässt alle Farben optimal erscheinen. Je niedriger der Wert ist, umso weniger gut werden die Farben wiedergegeben (Abb. 5). Um die genaue Wirkung einer Lichtfarbe letztendlich bestimmen zu können, und um zu überprüfen, ob sie zur beleuchteten Oberfläche passt, sollte eine Bemus-
Unterschiedliche Wege des Lichtstrahls Lichtstrahlen können sich kreuzen, ohne sich zu stören. Ihre Lichtwege sind umkehrbar. Bei dem Auftreffen des Lichtstrahls auf eine Oberfläche kann er teilweise reflektiert, absorbiert oder durch die Fläche transmittiert werden. Unter Reflexion ist das Zurückwerfen von Lichtstrahlen zu verstehen, z. B. über einen Spiegel, unter Absorption die Aufnahme der Energie von Lichtstrahlen, z. B. von dunklen Flächen, und Transmission meint das Durchlassen von Lichtstrahlen, wobei es zu Lichtbrechungen kommt (Abb. 6). Reflexion und Absorption Fällt Licht auf einen lichtundurchlässigen Körper, so wird ein Teil des Lichts reflektiert, ein anderer Teil absorbiert. Das Auge sieht den Körper in der Mischfarbe des reflektierten Lichts. Beleuchtet man z. B. eine gelbe Wandfläche mit weißem Licht, so erfolgt durch die Wandfläche eine Absorption der farbigen Anteile außer Gelb. Gelbes Licht wird von ihr reflektiert. Dieses reflektierte Licht gelangt in das Auge, welches das Gelb als Körperfarbe dieser Wandfläche wahrnimmt. Ein Körper, der das gesamte Licht, das auf ihn fällt, absorbiert, erscheint schwarz. Ein Körper, mit weißem Licht beleuchtet, reflektiert alle Spektralfarben gleich stark und erscheint weiß. Die Energie des Lichts wird in Wärme umgewandelt. Ein dunkle
Reflexionslicht Als Reflexionslicht wird in der Lichtplanung der Anteil des Lichts bezeichnet, das die den Raum begrenzenden Flächen zurückwerfen und das den Raum mit erhellt. Bei der Lichtberechnung sind die Reflexionsgrade der Oberflächen ausschlaggebend für das Ergebnis und vor allem für den Wert der Beleuchtungsstärke. Eine weiße Decke reflektiert das Licht fast vollständig, eine sehr dunkle Wand dagegen so gut wie gar nicht. Bei der Wahl der Farbigkeit von Raumoberflächen sollte deshalb auf den Wert des Reflexionsgrads geachtet werden. Von ihm hängt die Anzahl der Leuchten, die Wattagen (elektrische Leistung) ihrer Leuchtmittel sowie die Anordnungen von Beleuchtungskörpern und infolgedessen die Anpassung der Gestaltung des architektonischen Deckenbilds ab (Abb. 7). Transmission und Lichtbrechung Wenn Licht auf die Grenzfläche zweier Stoffe auftrifft und hindurchgelangen kann, verändert sich an der Grenze beider Stoffe seine Richtung. Zum Beispiel bewegt sich das Licht in Glas langsamer als in Luft. Die Lichtstrahlen werden gebrochen und abgelenkt, z. B. blaues Licht stärker als rotes. Senkrecht auftreffendes Licht ändert seine Richtung dagegen nicht. Fällt Licht auf ein lichtdurchlässiges Raumelement, wird ein Teil des Lichts reflektiert, ein Teil absorbiert und ein Teil hindurchgelassen. In welcher Farbe das Auge dann den betreffenden Körper sieht, ist abhängig davon, ob es nur den reflektierten Anteil des Lichts bei der Draufsicht oder nur den hindurchgelassenen Anteil des Lichts bei der Durchsicht betrachtet. Das Auge nimmt jeweils die Mischfarbe wahr, die sich aus den 53
Gestalten von Raumatmosphären
8 leicht durchleuchtende holzfurnierte Leuchtenschirme, Eingangsbereich der Deutschen Werkstätten Hellerau (D) 2009, Entwurf und Lichtplanung: Anke Augsburg Licht 9 Farbiges Licht färbt vor einem hellen Untergrund die gesamte unmittelbare Umgebung ein. Temporäres Projekt Schwimm-Stadion. Schneller. Höher. Weiter. von KunstRäume e.V., Leipzig (D) 2009, Lichtplanung: Anke Augsburg Licht 10 Ein durchleuchteter bläulicher Stufenbelag wirkt leicht und überträgt diese Wirkung auf die Besucher. Treppenaufgang im Deutschen Uhrenmuseum Glashütte (D) 2008. Ausstellungsgestaltung: Atelier Brückner; Lichtplanung: Anke Augsburg Licht 11 farbige Schatten in Komplementärfarben, Studie zur Diplomarbeit Drin im Drumherum, Burg Giebichenstein, Halle an der Saale (D) 2006 12 Farbtonverschiebungen von neun NCS-Farben mit sieben Lichtquellen, Farb-Lichtstudio Zürich aus dem Hochparterre. Ergebnisse einer visu-
9
8
reflektierten bzw. hindurchgelassenen Anteilen des Lichts ergibt. Daher kann ein lichtdurchlässiger Körper in der Draufsicht eine andere Farbe als in der Durchsicht haben (Abb. 8).
bringen alle Spektralfarben auf Wänden, Boden und Raumelementen zum Vorschein (Abb. 4, S. 51). Lichtrichtung und Schattigkeit Gerichtetes Licht bringt ausgeprägte Schatten und eine starke Modellierung mit sich, wodurch Formen und Oberflächenstrukturen eine deutliche Betonung erhalten. Schlagschatten können Details verdecken oder sogar deutlicher als das Objekt selbst viel stärker hervortreten lassen. Licht mit gerichteten und diffusen Anteilen bringt weicher verlaufende Schatten hervor. Formen und Oberflächenstrukturen sind gut zu erkennen, es gibt keine störenden Schlagschatten. Unter rein diffusem Licht entstehen keine Schlagschatten bzw. der Fachmann spricht eher von einer Schattenlosigkeit im Raum. Formen und Oberflächenstrukturen sind nur schwer zu unterscheiden. Sie lassen den gesamten Raum gleichmäßig erscheinen.
Selbst leuchtende Flächen Wie hell eine Fläche letztendlich strahlt bzw. zur Wirkung kommt hängt von zwei Faktoren ab: von der Intensität der Lichtquelle und der Lichtdurchlässigkeit des Materials. Angegeben wird der Wert der Lichtdurchlässigkeit als Transmissionsgrad. Je höher dieser Wert, d. h. je lichtdurchlässiger das Material ist, und umso höher die Lichtintensität der Lichtquelle ausgewählt wird, umso heller erstrahlt die Fläche selbst. Auch hier verfärben sich bei farbigen Materialien die Lichtstrahlen (Abb. 10). Besonders schön sind z. B. Effekte, die bei der Lichtbrechung an geschliffenen Glassteinen entstehen. Sie spielen nicht nur bei Kronleuchtern eine Rolle. Wenn Sonnenstrahlen der noch relativ tief stehende Morgensonne, die auf einen ins Fenster eingebrachten Glasbehang aus geschliffenen Glasstücken fallen, kommt es zu farbigen Lichteffekten, die sich im ganzen Innenraum verteilen. Die Glasstücke brechen das Sonnenlicht und
Farbiges Licht Wird ein Körper nicht mit weißem, sondern mit farbigem Licht beleuchtet, dann sieht das Auge ebenfalls wieder den Körper in der Mischfarbe des von ihm reflektierten bzw. hindurchgelassenen Lichts (Abb. 9).
11
10
54
Die Schatten von farbigem Licht erscheinen in der jeweiligen Komplementärfarbe (Abb. 11). So wirken Objekte und Farboberflächen im Raum je nach Art der Beleuchtung bzw. Farbe des Lichts völlig unterschiedlich. Farbiges Licht kann der Betonung für die Gestaltung von Orten dienen. In der Architekturbeleuchtung werden seit längerer Zeit zunehmend Elemente aus dem Bereich der Bühnenbeleuchtung übernommen. Die Inszenierung bestimmter Raumbereiche mit farbigem Licht und der dazugehörigen Schatten in der jeweiligen Komplementärfarbe, wechselnde Fassadenbespielungen in Farblicht etc. kommen in den öffentlichen Bereichen immer mehr vor. Bei der Gestaltung mit farbigem Licht bzw. dem Einsatz von Anlagen mit RGBFarblichtwechsel ist es unter Umständen sinnvoll, sich auf wenige Farben zu beschränken und auf einen gleichmäßigen, durchlaufenden Farblichtwechsel zu verzichten. Die heutigen Steueranlagen (z. B. DALI, DMX) lassen viele Möglichkeiten zu. Es können vorab bestimmte Farbzusammenstellungen programmiert und damit angewendet werden. Subtraktive und additive Farbmischung Bei der subtraktiven Farbmischung wird Licht verschiedener Farbe durch Farbfilter ausgeblendet oder durch Pigmente absorbiert und damit ebenfalls vom ursprünglich vorhandenen Licht subtrahiert. Das restliche Licht bildet bei Überlagerung eine Mischfarbe. Alle Farben des Farbkreises erhält man durch Mischung der drei Grundfarben Gelb, Magenta (Purpur) und Cyan (Blaugrün). Die Mischung aller drei Grundfarben mit gleicher Intensität ergibt Schwarz. Farben, die sich im Farbkreis gegenüberliegen, ergeben bei subtraktiver Mischung ebenfalls Schwarz. Angewendet wird die subtraktive Farbmischung z. B. bei der Farbfotografie und der Malerei. Bei der
Gestalten von Raumatmosphären
ellen Beurteilung von pulverbeschichteten Metallplatten. Die linke senkrechte Reihe gibt den Referenzfarbton gemäß dem NCS-System für jeden beurteilten Farbton an. Die Abweichung unter Einfluss der Lichtquellen wurde immer von zwei Personen gleichzeitig visuell beurteilt und mit den NCS-Farbtönen unter Tageslicht (ca. 5000 – 6000 K) verglichen. So verändern sich die Farbtöne, je nachdem, mit welcher Lichtquelle sie beleuchtet werden. Für den Versuch wurden die kalten Lichtquellen auf 110 lx /5000 K, die warmen Lichtquellen inklusive Halogen auf 110 lx/2800 K justiert. Bei den LEDs handelt es sich um LED-Lines WBA (White, Blue, Amber) und LED-Module RGBA (Red, Green, Blue, Amber). Die Metallplatten wurden mit Abstand zur Lichtquelle von 90 cm, und einem Lichteinfallswinkel von 45° montiert. 13 Farbwiedergabespektren (a, b = kontinuierlich; c – f = diskontinuierlich; relative Intensität bezogen auf den Lichtstrom der Lampe)
additiven Farbmischung wird Licht verschiedener Lichtfarben auf eine Stelle gelenkt und dort überlagert. Die Grundfarben der additiven Farbmischung sind Rot, Grün und Blau. Bei gleicher Intensität ergibt sich (fast rein) weißes Licht.
NCSFarbton
Fluoreszenz kalt
S 3500-N
LED-WBA kalt
LED-RGBA kalt
Fluoreszenz warm
LED-WBA warm
LED-RGBA warm
Halogen
S 1502-G50Y S 0530-R40B S 0510-R30B S 1020-Y10R
S 3010-Y90R
S 0520-R30B
S 1020-Y10R
S 0500-N
S 0502-G50Y S 0540-R30B S 0510-R30B S 0520-Y10R
S 1005-Y90R
S 0520-R40B
S 1010-Y10R
S 1565-B
S 0540-B10G S 2040-R60B S 0540-R90B S 2020-B70G S 0520-R60B S 1040-R90B
S 1020-B30G
S 3060-R70B
S 2060-R80B S 3050-R60B S 2060-R70B S 2040-R50B S 2050-R50B S 2050-R60B
S 3030-R50B
Arten der Lichterzeugung
S 1575-R10B S 0550-R
S 0540-R30B S 1060-R10B S 1080-Y80R
S 2060-Y80R
S 1070-R
S 0585-Y70R
12 Tageslicht (hoher Blauanteil) relative Intensität
relative Intensität
Glühlampe (hoher Rotanteil) 1,0 0,8 0,6 0,4 0,2
1,0 0,8 0,6 0,4 0,2
0,0
0,0 400 450
a
500 550 600 650 700 750 Wellenlänge [nm]
400 450 b
Leuchtstofflampe (warmweiß 3000 K, Ra = 83) 1,0 0,8 0,6 0,4
500 550 600 650 700 750 Wellenlänge [nm]
Leuchtstofflampe (warmweiß 3000 K, Ra = 93) relative Intensität
relative Intensität
Die Kenntnis der verschiedenen Arten der Lichterzeugung trägt dazu bei, Beleuchtungsaufgaben optimaler zu lösen. Lampensysteme wandeln Energie in sichtbares Licht um. Je nach Umwandlungsart unterscheiden sich Lichtquellen in chemische (z. B. Gaslampe) und elektrische Energieumwandler. Es gibt drei Arten der Lichterzeugung (Abb. 13): • Temperaturstrahler (z. B. Glühlampen oder Halogenglühlampen), mit kontinuierlichem Spektrum (komplette Breite des elektromagentischen Wellenspektrums und sehr guter Farbwiedergabe). • Entladungslampen (z. B. Leuchtstofflampen, Energiesparlampen, Metallhalogendampf- oder Natriumdampf-Hochdrucklampen), mit diskontinuierlichem Spektrum (Linien- oder Bandenspektrum). • Lumineszenzstrahler (z. B. LEDs, organische Leuchtdioden), mit diskontinuierlichem Spektrum.
1,0 0,8 0,6 0,4
Einfluss lichttechnischer Eigenschaften unter0,2
schiedlicher Lichtquellen auf Farboberflächen
0,0
0,0 400 450
c
500 550 600 650 700 750 Wellenlänge [nm]
400 450 d
1,0 0,8 0,6 0,4 0,2
1,0 0,8 0,6 0,4 0,2
0,0
0,0 400 450
13 e
500 550 600 650 700 750 Wellenlänge [nm]
LED (warmweiß 3000 K, Ra = 85) relative Intensität
LED (warmweiß 3000 K, Ra = 66) relative Intensität
Die unterschiedlichen Leuchtmittel mit ihren jeweiligen Lichtfarben und Farbwiedergabeeigenschaften beeinflussen die Wiedergabe von Oberflächenfarben ganz entscheidend. Eine Versuchsreihe vom Farb-Licht Zentrum der Züricher Hochschule der Künste zeigt dies sehr deutlich (Abb. 12). Werden die einzelnen physikalischen Phänomene und Zusammenhänge von Licht und Farbe beim Raumentwurf berücksichtigt, ist das die Grundlage für die Entstehung von anspruchsvollen Innenräumen mit angenehmer Atmosphäre.
0,2
500 550 600 650 700 750 Wellenlänge [nm]
400 450 f
500 550 600 650 700 750 Wellenlänge [nm]
55
Gestalten von Raumatmosphären
14 a
b
Ein Lichtkonzept entwickeln So wie der Architekt angesichts einer bestimmten vorgegebenen Raumstruktur Raumabfolgen und die Zuordnung von Bewegungsflächen für Menschen, die sich in den Räumen aufhalten, in Bezug auf Bewegungsabläufe optimiert, genauso lässt der Lichtgestalter mit Licht die Atmosphäre in Räumen heiter oder edel erscheinen. Und ebenso kann ein Lichtkonzept einen (Farb-)Raum in seiner Wirkung völlig verändern. Die gelungene Lichtplanung realisiert eine gewünschte Raumatmosphäre oder impliziert einen Wechsel verschiedener Raumatmosphären. Eine gute Lichtgestaltung orientiert sich an den Vorgaben des Orts und an den Wünschen der Menschen, die sich dort bewegen. In der Praxis hat sich ein schrittweises Vorgehen, beginnend bei der Analyse über die Qualitätsdefinition bis zur Festschreibung individueller Zielvorstellungen, bewährt: Analyse des Orts und seiner Nutzung
Zu Planungsbeginn erfolgt wie üblich eine Festschreibung der Anforderungen und des räumlichen Kontexts, die je nach Planungsaufgabe deutlich variieren können. Je nach Gebäudetyp und Nutzung sind verschiedene Herangehensweisen sinnvoll. Geht es um das große Ganze oder um den zielgerichteten Blick auf Details? Steht beispielsweise die Architektur des Gebäudes bzw. der Raumeindruck insgesamt im Vordergrund, oder liegt der Fokus eher auf kleineren Objekten im Raum? Handelt es sich z. B. um die Präsentation von wertvollen Ausstellungsstücken, deren Details eine wichtige Rolle spielen, sollte ihre Betonung erfolgen und der architektonische Raum eher in den Hintergrund treten. Wünsche der Beteiligten Wie lautet die Aufgabenstellung an die Lichtplanung unter Berücksichtigung der 56
Anforderungen an die jeweilige Nutzung? Hierbei gilt es, die Vorstellungen des Bauherrn und des Nutzers, des Architekten und des Innenarchitekten voll und ganz zu berücksichtigen. Analyse des Tageslichteinfalls Um den Bedarf an künstlichem Licht zu ermitteln, sollte eine individuelle Analyse des Tageslichteinfalls erfolgen: Wie stark verändert der Lauf der Sonne, das Wetter und die jeweilige Jahreszeit die Wandlung des Raums mit seiner Farbigkeit über den gesamten Tag hinweg? Wie richtet sich das Gebäude/der Raum zu den Himmelsrichtungen aus? Von welcher Seite erfolgt der Lichteinfall? Sind Oberlichter oder indirekter Lichteinfall (z. B. durch Sheds) vorhanden oder gewünscht? Abgleich von Tages- und Kunstlicht Um bei einer Lichtplanung Tages- und Kunstlicht harmonisch in Einklang zu bringen, sollte man zunächst die reine Tageslichtsituation eines Raums betrachten. Sie liefert erste Hinweise über eine Lichtatmosphäre im Raum. Relevant für die Planung ist darüber hinaus die Frage, wann der Raum für welche Zwecke genutzt wird. Kann direktes Sonnenlicht bis in die Tiefe des Raums einfallen, oder ist die Atmosphäre im Innenraum eher von reinem Nordlicht geprägt? Zwischen diesen beiden Extremen liegen diverse Abstufungen, und in den meisten Fällen liegt eine Mischlichtsituation vor. Tageslicht weist ein kontinuierliches Farbspektrum auf (siehe »›Licht‹ physikalisch betrachtet«, S. 51f.), daher wird es als sehr angenehm wahrgenommen. Tatsächlich wirkt Tageslicht – außer am frühen Morgen oder am Abend – eher kühl, es kann bis zu 6000 bis 10 000 K aufweisen. Farbige Oberflächen erscheinen unverfälscht, aber mit »kühleren« Noten. Bläuliche Farbtöne können bei-
spielsweise am Tag viel prachtvoller wirken als rötliche Töne (Abb. 14). Gestalterische Qualität Je nachdem, zu welchem Zeitpunkt ein Lichtplaner in die Entwurfsplanung eines Architekten oder Innenarchitekten integriert wird, ergeben sich für die geplante Raumatmosphäre unterschiedliche Potenziale: Welcher Einfluss auf den Entwurf und die Farb- und Raumgestaltung mit Licht ist noch möglich? Die Beleuchtung nicht additiv zu sehen, sondern in die Architektur zu integrieren, ist oft ein lohnender Ansatz. Deshalb ist es in bestimmten Fällen unerlässlich, in die bauliche Struktur einzugreifen, z. B. durch den Bau von Lichtvouten, Kanten und anderen Aussparungen, um Beleuchtungskörper versteckt anbringen zu können. Entscheidend ist ferner die Auswahl von Baumaterialien und Oberflächenfarben (siehe »Wechselwirkung von Licht und Oberflächenfarben«, S. 51ff.). Orientierung mithilfe von Licht Je nach Gebäudetypologie bedarf es einer guten Orientierung des Besuchers. Sie kann zum einen allein durch die Lichtführung (z. B. eine vertikale Betonung ist stärker als eine horizontale) und zum anderen durch leuchtende Leit- und Orientierungssysteme beeinflusst werden. Lichtszenen zuordnen Wie bei einer Komposition erfolgt eine feine Abstimmung von Lichtszenen mit der jeweiligen Tageszeit und den verschiedenen Anforderungen der Nutzer für die Programmierung. Die Raumatmosphäre wird damit ganz bewusst verändert. Wie viele verschiedene Lichtszenen angemessen sind, analysiert der Lichtgestalter. Lichtgestalterischer Ansatz
Für einen Entwurf ist zunächst ein »lichtgestalterischer Ansatz« erforderlich,
Gestalten von Raumatmosphären
d. h. die Suche nach einer individuellen Gestaltungsidee mit Licht. Dabei geht es darum, völlig frei zu versuchen, sich eine oder mehrere passende Lichtatmosphären gedanklich vorzustellen und zu überlegen, wie diese Gestaltungsidee – allein mit Licht – den Raum in all seiner Farbigkeit zur bestmöglichen Wirkung bringen könnte. Diese Kernidee eines Entwurfs macht die Qualität einer guten Lichtplanung aus. Insofern birgt ein lichtgestalterischer Ansatz die Idee einer angestrebten Raumatmosphäre in sich – oder auch einen Wechsel von mehreren verschiedenen Raumatmosphären. Im besten Fall geht die Erarbeitung eines Raumentwurfs durch den Architekten daher von Beginn an mit der Farb- und Lichtgestaltung einher, was in der Regel zu einer hohen Nachhaltigkeit und langfristigen Zufriedenheit führt. Lichtschwerpunkte bestimmen
Es müssen des Weiteren Lichtschwerpunkte entsprechend der Raumabfolgen ermittelt werden: • In welchen Bereich erfolgt eine Betonung mit Licht, oder welcher Bereich benötigt eine ganz spezielle Lichtsituation? • Ist eine eher vertikale oder horizontale Betonung in diesem Bereich angemessen oder unverzichtbar? • Wo und wie lässt sich die Grundbeleuchtung mit der Akzentbeleuchtung kombinieren? • Wo gliedert sich der Raum nach hellen und dunkleren, nach stark farbigen oder neutralen Bereichen? • Wo ist viel Reflexionslicht zu erwarten und erhellt den Raum zusätzlich? Diese Vorplanung erfolgt normalerweise noch skizzenhaft (Abb. 16 a, S. 58). Festlegung der Leuchtenpositionen
Um den lichtgestalterischen Ansatz so präzise wie nur möglich umsetzen zu kön-
14 Vergleich von Tageslicht- und Kunstlichtsituation, Schlosskirche in Augustusburg (D) 2011, Lichtplanung: Anke Augsburg Licht a unter Tageslichteinfall, Altarbild als bedeutendes Kunstwerk mit neutralweißem Licht betont b Schlosskirche in Augustusburg am Abend, zur »Blauen Stunde« mit gedimmten, warmtonigem Kunstlicht betont 15 Gemälde mit unterschiedlichen Beleuchtungssituationen a seitliches Licht: unangenehme Glanzreflexe b Ausleuchtung im »Museumswinkel« von 30°: Details und Farben sind gut zu erkennen
nen, müssen die technischen Leuchten genau den Lichtschwerpunkten in ihrer jeweiligen Ausformung (breit und weich, diffus oder gebündelt, akzentuiert oder Streiflicht etc.) zugeordnet werden. Wie Oberflächen wirken, hat immer etwas mit der Positionierung der Lichtquellen und der Blickrichtung des Betrachters zu tun. Ein und dieselbe Oberfläche kann aus einem nur leicht veränderten Winkel der Lichtquelle völlig anders wirken, d. h. die richtige Leuchtenposition entscheidet über die Erscheinung von Oberflächen in Farbe, Glanz und Struktur (Abb. 15 a). Bei der Ausleuchtung von Gemälden z. B. gilt der »Museumswinkel« von 30° als fast ideal. Auch bei anderen Anwendungen für vertikale Betonungen erweist sich dieser Winkel als sinnvoll. Sind Leuchten in diesem Winkel, d. h. mit dem richtigen Wandabstand von 1:3 (Raumhöhe geteilt durch drei entspricht dem Wandabstand der Leuchten) positioniert, entstehen keine unangenehmen Blendreflexe auf glatten oder glänzenden Oberflächen, Details und Farben sind uneingeschränkt zu erkennen (Abb. 15 b). Erfolgt die Beleuchtung von Exponaten frontal, bleiben feine Details für das Auge des Betrachters verborgen. Befindet sich die Beleuchtung jedoch in der richtigen Position, erhalten Farben Leuchtkraft, und Objekte gewinnen an Lebendigkeit.
a
Zwischen der Anwendung von objektnahem Streiflicht und rein diffusem Licht auf weiter entfernten Wandoberflächen gibt es einige Zwischenstufen. Ein Vergleich beider Extreme zeigt deutlich, wie unterschiedlich sich das Erscheinungsbild von Oberflächen beeinflussen lässt. Um Streiflicht zu erzeugen, erfolgt eine Platzierung der Lichtquelle nahe der Oberfläche mit eng gebündeltem Licht. So kommen Oberflächenstrukturen sehr gut zur Geltung. Erst der Wechsel von 15 b 57
Gestalten von Raumatmosphären
b
16 a
Licht und Schatten arbeitet feine Strukturen heraus, die wiederum bei diffusem Licht aus der Ferne nicht zu erkennen wären. Es gibt aber auch Fälle, bei denen Streiflicht Unebenheiten unangenehm hervorbringt. Dann ist ein weiches, diffuses Licht empfehlenswert wie meist bei historischen Bauten. Dort darf der Anblick von z. B. feinen Wandmalereien nicht von schattigen Fehlstellen gestört werden (Abb. 16 b). Lichtrichtung und Lichtverteilung Um erste Anhaltspunkte für die lichttechnischen Eigenschaften einer Leuchte zu erhalten, eignen sich folgende Untersuchungen bzw. die Bestimmung nachfolgender Punkte. Damit lässt sich die große Auswahl von Leuchten schon im ersten Schritt einschränken, bevor im zweiten Schritt die Auswahl der Leuchtmittel erfolgt: • Wo soll das Zentrum des Lichtkegels liegen (horizontal und vertikal betrachtet)? • Welche Lichtverteilung sollten die Leuchten aufweisen (von eng bis breit strahlend)? • Welche Intensität soll das Licht aufweisen (gleichbleibend oder veränderlich)? • Soll auch farbiges Licht zur Anwendung kommen, d. h. ist farbiges Licht wünschenswert oder eher unpassend? Auswahl von Leuchten und Leuchtmitteln unter lichttechnischen Gesichtspunkten
Nach der umfassenden Analyse und der Planung einer Beleuchtungssituation erfolgen Überlegungen zu den passenden Leuchten. Dabei wird zwischen rein technischen und rein dekorativen Leuchten unterschieden. Grundsätzlich sollte gelten, die Leuchten nicht ausschließlich nach ihrer Gestaltung auszuwählen, sondern primär auf die »inneren Werte« zu achten. Für die Planung von Beleuchtungsanlagen sind Parameter ausschlaggebend wie: 58
• der Lichtstrom: Lichtleistung einer Lampe, in Lumen (lm) gemessen, • die Lichtstärke: Teil des Lichtstroms, der in eine bestimmt Richtung strahlt, in Candela (cd) gemessen, • die Beleuchtungsstärke: Beleuchtungsniveau auf einer Fläche, in Lux (lx) gemessen, • die Leuchtdichte: Helligkeitseindruck einer beleuchteten oder selbst leuchtenden Fläche im Auge, in cd/m2 gemessen. Die Leuchten entsprechen im besten Fall mit ihren lichttechnischen Eigenschaften genau den gewünschten Anwendungen. Der Reflektor ist so ausgebildet, dass das Licht, möglichst mit wenig Verlust (entspricht hohem Leuchtenbetriebswirkungsgrad) gezielt gelenkt werden kann. Es gibt für gängige Anwendungen entwickelte Standardprodukte oder die Möglichkeit, eine Sonderleuchte für einen bestimmten Anwendungszweck anfertigen zu lassen. Die Entblendung von Leuchten ist in allen Bereichen mehr oder weniger von Bedeutung. Eine Blendbegrenzung erfolgt zum einen über die richtige Anordnung der Leuchten zum Betrachter, und zum anderen können auch zusätzliche Aufsätze aufgebracht werden, die jedoch eine Verkleinerung des Ausstrahlwinkels und die Minderung der Lichtintensität bewirken. Mithilfe der gängigen Lichtberechungsprogramme (Relux, Dialux) lässt sich der UGR-Wert konkret berechnen. Auswahl von Leuchten, Leuchtenfunktionen und Leuchtmitteln Aus dem Kapitel »Wechselwirkung von Licht und Oberflächenfarben« (siehe S. 51ff.) erfolgt die Erkenntnis, dass das Empfinden besonders getrübt wird, wenn die verwendeten Leuchtmittel mit niedrigeren Farbwiedergabeeigenschaften, also mit Fehlstellen im Spektrum, verwen-
det wurden. Leuchtstofflampenlicht oder innovative LED-Leuchten führen oft zu unbefriedigenden Ergebnissen. Grundsätzlich sind diese jedoch auch mit sehr guter Farbwiedergabe erhältlich und führen dann in der Regel auch zu angenehmen Lichtsituationen. Insbesondere dem Laien fällt es schwer, diese Qualitätsmerkmale zu unterscheiden. Und da der Markt von vielen »Billigprodukten« überschwemmt wird, bietet sich selbst für den Fachmann ein weites Feld, das immer wieder hinterfragt werden muss, ganz besonders bei der Anwendung von LED-Technik. Die Verwendung von Leuchtmitteln mit sehr guten Farbwiedergabeeigenschaften sollte immer angestrebt werden, allerdings gibt es durchaus Anwendungen, bei denen auch ein geminderter Farbwiedergabeindex akzeptabel ist. Die Firmen geben in ihren Katalogen zum Teil Hinweise wie »höherer Ra auf Anfrage«, die man in Anspruch nehmen sollte. Abb. 18 enthält einen Überblick von Leuchtmitteln mit Angaben zur Lichtausbeute, Lebensdauer, Farbwiedergabe, Vorschalttechnik und gängige Einsatzbereiche.
16 Haupttreppenhaus des Landgerichts, Halle an der Saale (D) 2012, Lichtplanung: Anke Augsburg Licht a skizzenhafte Darstellung der Lichtschwerpunkte b kombinierte Anwendung von diffusem Licht auf Wandmalereien und akzentuiertem Licht auf Treppenstufen 17 Wechsel einer Tages- zu einer Nachtszene, LVB-Service-Center, Leipzig (D) 2012, Innenarchitektur: Steinert und Bitterling; Lichtplanung: Anke Augsburg Licht a Tageslichtszene b Nachtlichtszene 18 Leuchtmittelvergleich
Gestalten von Raumatmosphären
17a
b
rhythmisch bestimmt und für die Programmierung hinterlegt. Für unterschiedliche Tätigkeiten und unterschiedliche Tageszeiten an ein und demselben Ort sind auch unterschiedliche Lichtstimmungen erforderlich. Mit mehreren Lichtszenen lassen sich die Innenräume in ihrer architektonischen als auch atmosphärischen Wirkung positiv manipulieren. Der Raum wird heller oder dunkler, der Raum wird unterschiedlich gegliedert, bestimmte Bereiche betont, farbige Flächen treten vor oder zurück, verändern ihre Farbigkeit, Objekte im Raum treten aus dem Schatten hervor
Lichtszenen schreiben
In der Beleuchtungsplanung erfolgt eine Zusammenfassung von Leuchten in verschiedene Schaltgruppen, aber diese sind nicht zu verwechseln mit Lichtszenen. Lichtszenen sind nutzungsbezogene und stimmungsbildende Voreinstellungen. Verschiedene Lichtstimmungen für ein und den selben Ort ergeben sich aus dem Zusammenspiel von ausgewählten Leuchten oder Leuchtengruppen mit aufeinander abgestimmten Lichtstärken. Sie werden zu- und abgeschaltet, gedimmt, in ihrer Lichtfarbe, wenn möglich, reguliert, oder farbdynamisch und zeitlich Lichtquelle
Lichtausbeute [lm/W]
übliche Lebensdauer [h]
Spektrum
Farbwiedergabe Ra
oder nehmen sich in dunkleren Zonen eher zurück. Hinterlegte Lichtszenen können per Knopfdruck dank moderner Technik ganz einfach abrufen werden. Ein Wechsel von kühleren Lichtfarben über den Tag bis hin zu warmen Farbtönen am Abend erfolgt häufig. Lohnenswert ist es immer, sich zu überlegen, ob es eine reduzierte Nachtszene geben sollte (Abb. 17).
Anmerkung: [1] Buonocore, Pablo: Die Bedeutung des Tageslichts im Wandel der Zeit. In: DETAIL 04/2004, S. 301
Vorschaltgerät und Regelbarkeit
Einsatzbereiche / Bemerkung
Allgebrauchsglühlampe
10
1000
kontinuierlich ww
100
dimmbar
nur Sonderanwendungen in kleinen Leistungen wie Backofen
Halogenglühlampe
20
2000
kontinuierlich ww
100
dimmbar
für Akzentuierung
Leuchtstofflampe mit VVG
80
8000
diskontinuierlich ww, nw, tw
60 – 90
verlustarmes Vorschaltgerät (VVG) in extremen Temperaturbereichen nicht dimmbar
Leuchtstofflampe mit EVG
bis 100
12 000 und mehr
diskontinuierlich ww, nw, tw
60 – 90
elektrisches Vorschaltgerät (EVG) dimmbar von 3 –100 %
allgemeine wirtschaftliche Beleuchtung in allen Bereichen
Kompaktleuchtstofflampe (Energiesparlampe) mit EVG
bis 70
8000
diskontinuierlich ww, nw, tw
60 – 90
intergriertes und externes EVG manchmal begrenzt dimmbar
Akzentuierung, kleine Räume
Quecksilberdampf Hochdrucklampe
50
10 000
diskontinuierlich nw, tw
unter 80
Vorschaltgerät nicht dimmbar
zu ineffizient und zu schlechte Farbwiedergabe, nicht mehr einsetzbar
Halogen MetalldampfHochdrucklampe
90
10 000
diskontinuierlich ww, nw, tw
60 – 90
Vorschaltgerät Zündgerät nicht dimmbar
für Anstrahlungen und große Räume / Hallen
Na Hochdrucklampe
120
12 000
diskontinuierlich ww, nw
60 – 90
Vorschaltgerät Zündgerät nicht dimmbar
für Anstrahlungen und große Räume / Hallen, wegen gelber Lichtfarbe nicht überall geeignet
LED (Hochleistungssystem)
bis 100
bis 50 000
diskontinuierlich ww, nw, tw
60 – 90
Vorschaltgerät gut schalt- und dimmbar
für normale Bereiche
50
6000
diskontinuierlich ww, nw, tw
60 – 80
Vorschaltgerät gut schalt- und dimmbar
noch zu kostenintensiv
OLED (weiß)
18 ww = warmweiß
nw = neutralweiß
tw = tageslichtweiß
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Farbraum Stadt – Farbraum Land Beratungs- und Planungsinstrumente für Farbe im öffentlichen Raum Lino Sibillano, Stefanie Wettstein
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Der Umgang mit Farbe sowohl im städtischen als auch im ländlichen Kontext war wohl noch nie so herausfordernd und anspruchsvoll wie in unserer Zeit. Die Geschichte der Farbe in der Architektur ist immer zugleich eine Geschichte der Technik und des Handwerks, und die jeweiligen Farbigkeiten sind mindestens so sehr von den zur Verfügung stehenden Materialien und technischen Möglichkeiten wie von einem bestimmten Zeitgeschmack bestimmt worden. Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts stand für die farbliche Gestaltung von Fassaden nur eine schmale Material- und Farbpalette zur Verfügung, ökonomische Faktoren schränkten in der Alltagsarchitektur das Farbspektrum zusätzlich ein. Der von Generation zu Generation tradierte Umgang mit Farbe und Material trug ebenfalls zu einer Kontinuität in der Farbgebung der Architektur bei. Außerdem regelten ungeschriebene Gesetze den Umgang mit und das Verhalten im öffentlichen Raum, architektonische und farbliche Extravaganzen waren aus sozialen und wirtschaftlichen Gründen nur einer kleinen privilegierten Schicht vorbehalten. Diese technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Faktoren führten bis weit ins 20. Jahrhundert hinein auch ohne große Reglementierung zu einheitlichen und stimmigen Farbigkeiten von Städten und Dörfern, die in der Regel zusätzlich vom Kolorit lokaler Materialien geprägt waren. Heute sind nicht nur die technischen Möglichkeiten immens erweitert, wodurch nun in der Fassadengestaltung fast unendlich viele Farben zur Verfügung stehen. Der Mensch ist mit einer liberaleren, komplexeren gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Realität konfrontiert, die von globalen Märkten, Trends und einem ausgeprägten Wunsch nach Individualität gekennzeichnet ist. Hierbei geht oftmals
Farbporträt Augustinergasse, Zürich (siehe Abb. links: Häuserzeile Augustinergasse)
der Blick für den übergeordneten Kontext und die Gemeinschaft sowie für lokale Farbtraditionen verloren. Der Umgang mit Farbe in der Architektur regelt sich in der gegenwärtigen Zeit also nicht mehr von selbst. Es kommen aber noch weitere Faktoren hinzu, die einen qualitätvollen Umgang mit Farbe erschweren. Insbesondere haben das technische und handwerkliche Können und die Sensibilität im Umgang mit Farbe oft nicht mit der Erweiterung der Farbpalette Schritt halten können. Ein Blick auf die Lehrpläne für angehende Handwerker und Architekten genügt, um festzustellen, dass farbgestalterische Aspekte meist nur marginal vermittelt werden. Dies hat zur Folge, dass Farbgebungen oft mithilfe von digitalen Hilfsmitteln und anhand von produktspezifischen Kollektionen oder standardisierten Farbkarten wie NCS und RAL geplant werden. Farbentscheide erfolgen daher oft innerhalb von gegebenen Farbwelten mit einem ihr spezifischen Kolorit und entkoppelt von einem unmittelbaren Farbkontext. Überlegungen zur materiellen und handwerklichen Umsetzung des jeweiligen Farbtons treten dabei ebenfalls stark in den Hintergrund. Paradoxerweise sehen wir uns neben der Erweiterung der Farbpalette mit einer starken Tendenz zur Standardisierung der farbgebenden Produkte konfrontiert, was auch mit einer Abnahme der handwerklichen Kompetenzen einhergeht. Besonders ausgeprägt zeigt sich die Problematik heute bei energetischen Sanierungen von Altbauten. Im Zug dieser Maßnahmen verschwinden oft zeittypische Farbigkeiten, Materialien und Oberflächenstrukturen hinter normierten Wärmeverbundsystemen mit meist dünnschichtigem Putz auf organischer Basis. Man kann sagen, dass die Differenzie-
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rung von Materialien, Oberflächenstrukturen und Verarbeitungstechniken durch eine Erweiterung der Farbpalette abgelöst wurde. In jüngster Zeit führte dies häufig zu einer Diskrepanz zwischen Architektursprache, Material und Farbigkeit. Historische Charakteristiken gehen verloren, und der Lebensraum, ob Stadt oder Land, droht an farbenfroher Buntheit zu gewinnen, aber an ästhetischer Vielfalt und Differenziertheit zu verlieren. Aktuell liegt ein Großteil der Verantwortung für die Farbkultur im öffentlichen Raum bei den Behörden. Sie benötigen deshalb sachliche Grundlagen und übergeordnete städtebauliche Farbstrategien, um fundierte und nachhaltige Entscheide fällen zu können. So lässt sich vermeiden, dass bei Bewilligungsverfahren Diskussionen über Farbe emotional geführt und die behördlichen Entscheide als willkürlich wahrgenommen werden. Maßnahmen zur Förderung von qualitätvollen Farbentscheiden
Folgende Maßnahmen können von behördlicher Seite aus erfolgen, um die Qualität von Farbgebungen im öffentlichen Raum zu steigern: Bereitstellung von Planungsgrundlagen und Arbeitswerkzeugen Eine Grundvoraussetzung für das Fällen von differenzierten und kontextbezogenen Farbentscheiden ist das Vorhandensein von ortspezifischen Farbstudien und Farbstrategien sowie von Arbeitswerkzeugen, wie Farbkarten, Farbfächern, Materialmustern und Leitfäden, die deren Umsetzung unterstützen. Sensibilisierung der Öffentlichkeit Eine weitere Voraussetzung für eine positive Entwicklung der Farbigkeit im öffentlichen Raum ist eine anhaltende und wirksame Sensibilisierung der Bevölkerung. 61
Stadt + Land
2
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Ausstellungen, Vorträge, Broschüren und Führungen sollen den Bewohnern die Thematik nahebringen und den unmittelbaren Lebensraum besonders berücksichtigen. So ist es möglich, über das Thema Farbe die Identifikation mit dem Umfeld zu fördern und das Verantwortungsgefühl der Bürger für den öffentlichen Raum zu stärken. Einbezug von Farbspezialisten Entscheidend für einen differenzierten und qualitätvollen Umgang mit Farbe und Materialien ist, dass einschlägig ausgebildete Fachleute in Entscheidungsgremien und Planungsteams vertreten sind. Einrichtung einer Fachstelle Um den Bauherren, Planern und Handwerkern seitens der Stadt oder Kommune eine spezifische Beratung und Unterstützung anzubieten, eignet sich eine regionale Fachstelle für Farbe im öffentlichen Raum, die als niederschwellige und unabhängige Anlaufstelle agiert. Sie kann neben der Beratung zudem Aktivitäten organisieren, die sich sowohl an Fachleute als auch an eine breite Öffentlichkeit richten und damit eine nachhaltige und kontinuierliche Auseinandersetzung mit dem Thema Farbe am Bau gewährleisten. Außerdem kann die Fachstelle Informationsmaterial und Arbeitsinstrumente erarbeiten und für die Vermittlung und Verbreitung derselben sorgen. Farbkultur als gesamtgesellschaftliche Verantwortung
Es ist sinnvoll, eine »Farbkultur« anzuerkennen und deren qualitätvolle Pflege und Weiterentwicklung weiterhin in einem gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang zu sehen, damit die Maßnahmen nachhaltig und differenziert greifen. Eine breit abgestützte Förderung der Farbkultur ist somit nicht alleine durch die Behörden zu bewerkstelligen. Dafür benötigt 62
Ausgangspunkt aller Farbstudien vom Haus der Farbe sind Farbabnahmen in den jeweiligen Ortschaften bzw. Regionen. Die Farben werden sodann im Atelier nachgemischt, vor Ort überprüft und ggf. korrigiert und ergänzt. Aus diesem Farbenfundus und aufgrund weiterführender Recherchen entstehen maßgeschneiderte Arbeits- und Planungsinstrumente wie Farbkarten, Farbfächer oder Mustersammlungen, die den jeweiligen Bedürfnissen und Zielsetzungen angepasst sind.
man das Zusammenwirken der verschiedenen am Bau beteiligten Akteure, die im Rahmen ihrer Kompetenzen Mitverantwortung übernehmen. Berufsverbände Für eine qualitätvolle Farbgestaltung unserer Lebensräume sind nicht nur sensible Bauherren und umsichtige Behörden gefragt, sondern vor allem auch geschulte Fachleute für Farbgestaltung und versierte Handwerker, die ihre Kompetenzen mit hoher Professionalität in die Umsetzung einbringen. Die notwendigen Fachkompetenzen zu vermitteln und die Leidenschaft zu wecken und zu nähren, ist eine Aufgabe der beruflichen Grundund Weiterbildung im Baubereich. Die Verantwortung dafür liegt weitgehend in der Hand der verschiedenen Berufsverbände. Diese sind gefordert, theoretisches und praktisches Wissen auch unabhängig von auf dem Markt angebotenen Materialien zu vermitteln. Weiterbildungen sollen Handwerkern und Planern zudem die Möglichkeit bieten, allgemeine und farbspezifische gestalterische Aspekte zu vertiefen und sich zu spezialisieren. Mit den Ausbildungen zum Gestalter im Handwerk und zum Farbgestalter wurden bereits erste Schritte in diese Richtung unternommen. Nun gilt es, die Thematik der Farbgestaltung noch stärker in der Berufspraxis am Bau zu verankern. Handwerker Für die Umsetzung von differenzierten Farbkonzepten sind fachlich versierte und gestalterisch sensible Handwerker unentbehrlich. Sie sollten den Umgang mit modernen, aber auch mit traditionellen Materialien und Techniken beherrschen und über die Eigenschaften der jeweiligen Materialien fundiert Bescheid wissen. Außerdem benötigen sie einen allgemeinen Farbensinn und überdurchschnittliche Kenntnisse über Farbkultur sowie die
Bereitschaft, nach individuellen handwerklichen Lösungen zu suchen. Gleichzeitig sollten sie darauf bestehen, großflächige Muster anzufertigen, die nicht nur zur Beratung des Bauherrn dienen, sondern insbesondere für die Feinabstimmung des Farbklangs und für das Abklären von technischen Fragen. Da Erfahrungswissen im Handwerk von großer Bedeutung ist, ist die Weitergabe von handwerklichem Wissen und Können im Betrieb und auf den Baustellen unentbehrlich für das Tradieren einer hohen Handwerkskultur. Jeder erfahrene Handwerker sollte daher den Nachwuchs aktiv fördern. Farbgestalter und Architekten Farbgestalter oder Architekten sind verpflichtet, sorgfältige und kontextbezogene Farbgestaltungen zu entwickeln. Farbplanerische Instrumente, wie sie Behörden oder die Industrie zur Verfügung stellen, geben lediglich Anhaltspunkte für eigene Recherchen und Entwürfe vor. Der funktionierende Dialog zwischen den Behörden, den Planern und den ausführenden Handwerkern bleibt eine wichtige Voraussetzung für optimale, situationsgebundene Lösungen, die sowohl in gestalterischer als auch technischer Hinsicht zufriedenstellen. Industrie Auch die Industrie trägt eine gesellschaftliche Verantwortung und ist in der Pflicht, eine Produktpalette anzubieten, die ästhetisch differenzierte und technisch nachhaltige Farbgestaltungen ermöglicht und gleichzeitig eine qualitätvolle Pflege historischer Bausubstanz und traditioneller Handwerkstechniken erlaubt. Damit einhergeht eine transparente und eindeutige Deklaration der Zusammensetzung der erhältlichen Materialien, womit die Industrie Planer und Handwerker als kom-
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petente und eigenverantwortliche Partner anerkennt. Denn ein fundiertes Wissen über die verarbeiteten Materialien ist eine Grundvoraussetzung für die sorgfältige und nachhaltige handwerkliche Umsetzung eines Farbentwurfs. Hauseigentümer Wer ein Haus besitzt, trägt ein Stück Verantwortung für den öffentlichen Raum und die Baukultur mit. Bei der farblichen Erneuerung und Gestaltung von Fassaden ist es umso wichtiger, diese Verantwortung wahrzunehmen. Bauherren sollten sich also ausreichend Zeit nehmen, die Eigenschaften und Qualitäten ihres Hauses und dessen Kontext zu erkunden und eine sorgfältige, professionelle Farbgebung anzustreben, indem sie sich von den Behörden und von Fachleuten beraten lassen. Außerdem sollten sie bei der Wahl der Materialien und Techniken kompetente Handwerker hinzuziehen und eine nachhaltige Umsetzung verlangen, die selbst nach vielen Jahren noch Freude macht. Eine umsichtige Qualitätssicherung nimmt also alle Verantwortlichen in die Pflicht, bietet gleichzeitig aber auch für alle Beteiligten Unterstützung und Freiraum, als eigenverantwortliche und mündige Bürger zu agieren. So gilt es also nicht, in erster Linie farbliche Entgleisungen zu verhindern und Farbgebung zu reglementieren, sondern qualitätvolle Farbentscheide zu ermöglichen. Dazu dient die Entwicklung unterschiedlicher, nutzerspezifischer Instrumente. In einzelnen Städten wurden tatsächlich Fachstellen für Farbe in der Stadt eingerichtet, die Behörden bei der Formulierung von ortspezifischen Farbstrategien sowie bei der Entwicklung von maßgeschneiderten Planungs- und Beratungsinstrumenten unterstützen.
Entstehung des Züricher Farbfächers: Rund 20 Studierende der Höheren Fachschule für Farbgestaltung erfassten in der Stadt Zürich das Spektrum der Fassadenfarben. In den verschiedenen Stadtquartieren sammelten sie mehr als 800 Farben von Fassaden und mischten sie nach. Dann wurden diese auf 115 Farben reduziert, die anschließend zur flächendeckenden Erfassung und statistischen Auswertung der Fassadenfarbigkeit dienten. 3
Die am Haus der Farbe, einer unabhängigen Fachschule für Farbgestaltung in Zürich, situierte Fachstelle verfolgt anders als andere ähnliche Einrichtungen nicht den Weg der Reglementierung in Form von oft üblichen Farbleitplänen, sondern vertritt mit Überzeugung die Haltung der gesamtgesellschaftlichen Sensibilisierung und der fachlichen Befähigung. Es sollen weder Vorschriften gemacht, noch fertige Rezepte geliefert werden. Vielmehr setzt man auf das Bereitstellen von soliden und ortspezifischen Planungsgrundlagen, die beim Fällen von differenzierten Farbentscheiden und bei sachlichen Diskussionen nachhaltig dienlich sind. Dieses Vorgehen fördert den öffentlichen Diskurs zur Thematik und zeigt das Potenzial einer sorgfältigen Farbplanung auf. Im Folgenden zeigen zwei vom Haus der Farbe realisierte Projekte exemplarisch auf, wie sich derartige Planungs- und Beratungsinstrumente für den städtischen sowie den ländlichen und historischen Kontext entwickeln und einsetzen lassen. Farbraum Stadt Eine Studie zur Farbigkeit der Stadt Zürich Das Projekt »Farbraum Stadt« wurde 2005 vom Baukollegium der Stadt Zürich, einem international besetzten Beratungsgremium des Amts für Städtebau, initiiert [1]. Das Kollegium äußerte den Wunsch nach soliden Grundlagen, um Farbentscheide möglichst objektiv und kontextbezogen beurteilen zu können. Aus der Überzeugung heraus, dass sich die Farbigkeit von einem komplexen und dynamischen Farbraum wie demjenigen einer Großstadt nicht durch normierende, in einem bestimmten Zeitpunkt gefällte Farbvorschriften in seiner Qualität sichern lässt, hat sich die Stadt Zürich gegen die Erarbeitung eines »Plan Couleur« entschieden. Vielmehr setzte sie auf die
Bereitstellung von spezifischen Planungswerkzeugen für Farbe, die Erarbeitung von Kriterien und auf die Sensibilisierung der Bevölkerung. Es ist eine Haltung, die auch der politischen Kultur der in der Schweiz gepflegten direkten Demokratie Rechnung trägt. Dies war ein neues, modellhaftes Vorgehen, bei dem weniger ein Idealbild oder eine historische Farbigkeit, sondern der aktuelle Bestand mit all seinen Stärken und Schwächen dem Diskurs zugrunde gelegt wurde. So regte das Baukollegium eine vertiefte Untersuchung der Gesamtfarbigkeit von Zürich an. Dafür wurde die Kooperation mit dem Haus der Farbe gesucht, das die Untersuchung leitete und in einem interdisziplinären Team von Fachleuten aus den Bereichen Geisteswissenschaft, Architektur, Farbgestaltung, Kunst und Handwerk durchführte [2]. Für dieses neuartige Unterfangen mussten zuerst spezifische Methoden und Werkzeuge entwickelt werden, die eine differenzierte Erhebung und Darstellung des Züricher Farbraums ermöglichten. Zum Einsatz kamen verschiedene Instrumente wie Farbabnahmen mit unterschiedlicher Eindringtiefe, Bemusterungen, Fotografien, Videos, Beschriebe und Befragungen (Abb. 3). Um die vielfältigen Faktoren, die den Farbraum einer Stadt mitbestimmen, erfassen zu können, erfolgte die Untersuchung aus sechs verschiedenen, sich ergänzenden Blickwinkeln. Der Blick auf die Stadt: das Farb- und Materialprofil der Stadt Zürich und ihrer Quartiere
In einem ersten Schritt wurden die Fassadenfarbigkeit (eine Hauptfarbe und eine Nebenfarbe) sowie das Fassadenmaterial von jedem einzelnen Gebäude der Stadt Zürich erfasst. Die Herausforderung bestand vor allem darin, ein Erhebungsinstrument zu entwickeln, 63
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Farbraum Stadt. Box ZRH: Die drei Bestandteile der Box ZRH (Buch, Plan, 96 Farbporträts) sind als sich ergänzende Planungs- und Beratungsinstrumente für Farbentscheide im städtischen Raum im Allgemeinen und für Zürich im Speziellen konzipiert. Farbraum Stadt. Box ZRH, Plan: In einer flächendeckenden Erhebung der Architekturfarbigkeit wurden neben den Fassadenfarben auch deren Materialisierung und die Farben des Sonnenschutzes erfasst. Der Plan zeigt die Fassadenfarbe der Rund 41 000 erfassten Gebäude der Stadt Zürich. Jeder Farbpunkt steht für ein Gebäude und ist proportional zu dessen Größe dargestellt. Farbraum Stadt. Box ZRH: Grafische Darstellung des Grundkolorits (entspricht 66 % des gesamten Gebäudebestands) der Stadt Zürich in Bezug auf
das statistische Aussagen zulässt, ohne dass dabei die Farbenvielfalt verflacht wird. Dafür wurde ein für Zürich spezifischer Farbfächer erarbeitet, der eine reduzierte Anzahl von Farben beinhaltet und trotzdem die Zuweisung jeder Fassadenfarbe zu einer dieser Farben zuließ (Abb. 3, S. 63). Die 115 Farben des Züricher Farbfächers, der lediglich als Erhebungsinstrument dient, wurden wiederum in zwölf Familien gruppiert: Gelb, Orange, Rot, Rosa/Lila, Blau, Grün, erdiges Grün, Ocker, Beige, Braun, Grau und Weiß. Zudem wurde jeder einzelnen der 115 Farben Qualitäten wie Markanz, Buntheits- und Helligkeitsgrad zugewiesen. Die Zuordnung erfolgte entlang einer auf Erfahrung begründeten, architekturspezifischen Skala. Diese Einstufung der 115 Farben ermöglichte, vom einzelnen Farbton losgelöst Aussagen über Farbeigenschaften zu formulieren, die für das Erscheinungs-
die Hauptfarben (linke Buchseite, 1. Spalte) und die Nebenfarben (rechte Buchseite, 1. Spalte). Das Grundkolorit der Hauptfarben setzt sich aus lediglich 21 Farben des Züricher Farbfächers zusammen, wobei die unbunten Farbfamilien Beige (35 %), Weiß (23 %) und Grau (10 %) am stärksten vertreten sind. Nur 12 % der Züricher Bauten haben eine bunte Fassadenfarbe. Das Grundkolorit der Nebenfarben (rechte Buchseite) setzt sich aus 25 Farben des Züricher Farbfächers zusammen. Die Nebenfarben sind von den ebenfalls unbunten Farbfamilien Grau (39 %), Beige (15 %) und Braun (13 %) geprägt. Im Vergleich zu den Hauptfarben sind die Nebenfarben also nicht bunter, wie man erwarten würde, sondern dunkler mit einer verstärkten Präsenz der Farbfamilien Grau und Braun. Ebenfalls dargestellt ist das Grundkolorit der bunten und markanten Haupt- bzw. Nebenfarben.
bild von urbanen Räumen ebenso charakteristisch sind. Gesammelt wurden die Daten von rund 41 000 Gebäuden, wobei neben der Farbigkeit und Materialität der Hauptund Nebenfarbe der Fassaden auch die Farbigkeit und Art des Sonnenschutzes sowie die Dachform (Giebeldach oder Flachdach) und die Anzahl der Geschosse festgehalten wurden. Die Anbindung der Datenbank an das Geografische Informationssystem (GIS) der Stadt Zürich ermöglichte es außerdem, die Farbdaten mit zusätzlichen Gebäudedaten wie Baujahr, Sanierungsjahr, Nutzung und Gebäudefläche zu verknüpfen. Diese umfangreiche Datensammlung bildete die Grundlage, um charakteristische Farbidentitäten zu eruieren und differenzierte Farbprofile zu beschreiben und zu visualisieren. Eine mögliche Form der Auswertung dieser Datensammlung ist ein einge-
färbter Plan der Stadt Zürich (Abb. 5). Die aus der Studie hervorgegangene Veröffentlichung »Farbraum Stadt: Box ZRH« (Abb. 4) [3] vertieft und kommentiert die folgenden wesentlichen Aspekte: • Grundkolorit der Stadt Zürich (Hauptfarben und Nebenfarben) (Abb. 6), • Farbe und Art des Sonnenschutzes (Fensterläden, Stores), • Farbkombinationen (Hauptfarbe / Nebenfarbe, Hauptfarbe /Sonnenschutz, Hauptfarbe /Nebenfarbe / Sonnenschutz), • Farbe und urbaner Kontext (Straße, Platz, Siedlung, Grünraum), • Farbe und Gebäudenutzung (Wohnen, Verwaltung, Handel, Industrie- und Gewerbebauten, Gastronomie), • Quartierfarbigkeiten (Grundkolorit, Farbspektrum, helle Bauten, bunte Bauten, markante Bauten, Materialprofil), • Farb- und Materialentwicklung im 20. Jahrhundert. Der Blick aufs Einzelobjekt: Farbporträts von farbgestalterisch wertvollen Bauten
In Ergänzung zur flächendeckenden Gebäudeerfassung, die den städtebaulichen Maßstab berücksichtigt, richtete sich in einem zweiten Schritt der Blick auf das Einzelobjekt. Dieser fokussierte Blick erlaubte es, entlang der ausgewählten Bauten einzelne Qualitätskriterien für die Oberflächengestaltung am Bau herauszukristallisieren und zu illustrieren. Im Team wurde eine abstrahierte und zugleich ausdrucksstarke Darstellungsweise entwickelt, die es ermöglicht, nicht nur den Farbklang, sondern auch die Farbkomposition des Gebäudes auf einen Blick zu erfassen und mit derjenigen von anderen Gebäuden zu vergleichen. Entstanden sind über 100 handgemalte Farbporträts, die jeweils aufgrund sorgfältiger Farbabnahmen vor Ort sämtliche
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Farben der Außenhülle des jeweiligen Gebäudes wiedergeben. Pro Bau oder Baukomplex wurde eine DIN A4 große Musterkarte erstellt, welche die Originalfarbigkeit eines Gebäudes oder einer Gebäudegruppe in proportional verteilten Farbflächen darstellt.
Der tastende Blick: eine Sammlung von Oberflächenmustern
Aus dem Wissen heraus, dass die Materialisierung die Wirkung und Qualität eines Farbtons wesentlich beeinflusst und die Charakteristik eines Farbraums mitprägt, wurde im Rahmen des Projekts »Farbraum Stadt« im Haus der Farbe eine Materialwerkstatt eingerichtet, in der eine gestalterisch orientierte Materialforschung stattfindet. Die generierten Erkenntnisse fließen in den Aufbau einer Mustersammlung von Architekturoberflächen ein, die Bestandteil des Forschungsprojekts »Oberflächengestaltung am Bau« ist. Im Projekt wird die Realisierung von Oberflächen als Zusammenspiel von technischen, handwerklichen, phänomenologischen, gestalterischen und ästhetischen Aspekten untersucht und dargestellt. Inspirierende Muster und kompakt aufgearbeitete Grundlagen in Form eines digitalen Handbuchs und eine mobile Werkstatt sollen eine differenzierte Gestaltung sowie effizi-
Neben dem qualitätvollen Umgang mit Farbe waren weitere Eigenschaften, die wichtige Aspekte der Farbgestaltung darstellen, für die Auswahl der Bauten für die Farbporträts ausschlaggebend. So wurden diese einem oder mehreren der folgenden Themenfelder zugeordnet: dunkle Bauten, bunte Bauten, Epochenfarbigkeit, Ensemblequalität, städtebauliche Qualität, Materialqualität, unscheinbar schön, in Würde gealtert und gelungene Erneuerung. Einzelne Essays im Buch diskutieren diese Aspekte anhand der ausgewählten Bauten sowie deren Farbporträts und ermöglichen damit eine vertiefte Auseinandersetzung mit der jeweiligen Thematik. 96 Porträts sind als hochwertige Farbreproduktionen im Siebenfarbendruck in die »Box ZRH« integriert (Abb. 7, S. 66). Jede Karte ist auf der Rückseite mit einer Fotografie, einem Steckbrief des Gebäudes sowie mit einer Würdigung von dessen Farb- und Materialgestaltung versehen (Abb. 8, S. 66). Eine Legende gibt zudem Auskunft über die Materialität der wichtigsten Fassadenfarben des Objekts, sodass neben dem Farbklang auch der Materialklang nachvollziehbar ist. So dienen die handlichen Karten als Werkzeug und Inspirationsquelle für Farbentscheide im Detail und für die Komposition von Farbklängen. Zudem laden sie dazu ein, die dargestellten Objekte vor Ort zu entdecken und allgemein mit einem sensibilisierten Blick für Farben, Materialien und Oberflächenqualitäten durch die Straßen der Stadt zu flanieren.
ente Realisierung von Oberflächen ermöglichen und in Zukunft Lücken in der Bildungslandschaft schließen. Der zeitspezifische Blick: ein Epochenfächer mit 100 Architekturfarben des 20. Jahrhunderts
Im Rahmen des Projekts wurden ausgehend von den Farbporträts der Züricher Bauten, die über eine historische Farbigkeit verfügen, epochentypische Farbigkeiten eruiert und charakterisiert. Das Essay »Farbepochen der Architektur im 20. Jahrhundert« [4] beschreibt und analysiert die epochentypischen Kolorits und diskutiert diese in ihrem architektur- und kulturhistorischen Zusammenhang. Als Unterstützung für die praktische Arbeit wurden 100 epochentypische Farben in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Zentralstelle für Baurationalisierung (CRB) und dem dort integrierten Colour Centre Schweiz (NCS) zu einem NCS-Farbtonfächer zusammengetragen. Da jede ausgewählte Farbe von einem konkreten
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Farbporträt der »Box ZRH« stammt, kann sie zugleich im Kontext des jeweiligen Farb- und Materialklangs betrachtet werden (Abb. 9). Der intuitive Blick: Farbbefragung von Passanten
Jede Stadt hat ihr Farbimage und wird mit bestimmten Farben assoziiert. In Form einer Passantenbefragung wurde das Farbbild Zürichs in der Vorstellung ihrer Bewohner ermittelt und der Frage nachgegangen, welche Elemente für das Entstehen dieses intuitiven Farbbildes ausschlaggebend sind. Die Ergebnisse der Befragung wurden in einem weiteren Schritt mit den statistischen Werten der flächendeckenden Erhebung verglichen, um Differenzen und Übereinstimmungen zwischen »realem« und imaginiertem Farbbild zu analysieren. Interessanterweise assoziierte die Mehrzahl der Befragten Zürich mit der Farbe Blau, der Farbe des Züricher Wappens, seiner charakteristischen Straßenbahnen und des Zürichsees. An zweiter Stelle stand die Farbe Grün, die Farbe der Parks und umliegenden Wälder. Erst an dritter Stelle wurde die Farbe Grau als typische Züricher Farbe erwähnt. Das Farbimage der Stadt wird also weniger durch dessen Architektur als durch andere charakteristische Identifikationsmomente geprägt. Zudem ist die Architekturfarbigkeit Zürichs nicht mehrheitlich Grau, wie die Befragten annahmen, sondern Beige. Die Befragung hat außerdem gezeigt, dass in der Bevölkerung nur ein geringes Bewusstsein für die Farbigkeit der Architektur vorhanden ist und Farbwünsche eher emotional und unreflektiert geäußert werden. Der bewegte Blick: Videos von Zwischenräumen, mobilen und dynamischen Farbelementen
Wie eingangs erwähnt und wie auch die Befragungen gezeigt haben, wird das 66
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Kolorit von Stadträumen nicht nur von deren architektonischen Strukturen bestimmt. Darum wurden die Analyse und die Diskussion der statischen Farbelemente durch eine weitere Untersuchungsmethode ergänzt. Gewählt wurde die Form der dokumentarisch-künstlerischen Videoarbeit [5]. Thematisiert und illustriert werden hierbei Farbelemente, welche die Atmosphäre und Stimmung im Stadtraum mitprägen. Es wurden ausgewählte Zwischenräume wie Grünanlagen, Straßenzüge und Plätze mit ihren spezifischen Farbigkeiten gefilmt. Mobile, temporäre Farbeingriffe wie Verkehr, Menschen, Werbung sowie natürliche Faktoren wie Wetter, Jahresund Tageszeiten wurden ebenso festgehalten. So ist dieses bewegte Bildmaterial als Erweiterung der statistischen Daten zu lesen, das den Stadtraum als komplexen Farbraum erfahrbar macht. Drei Kurzvideos befassen sich mit den Farben Grau, Blau und Grün, die von den befragten Passanten zu den drei typischen Farben von Zürich erkoren wurden. Die Videos sind somit zugleich ein augenzwinkernder Kommentar zum Farbimage der Limmatstadt. Die sechs beschriebenen Blickwinkel des Forschungsprojekts verstehen sich als einander ergänzende, kommentierende Wahrnehmungs- und Darstellungsweisen, die in der Gesamtschau ein möglichst differenziertes und vielschichtiges Bild des Farbraums Stadt vermitteln. Insofern bilden die Ergebnisse der einzelnen Teilbereiche ein zusammenhängendes Gesamtpaket an Daten und Werkzeugen, die immer in diesem Gesamtkontext gelesen und angewendet werden sollten. Denn nur so lassen sich differenzierte und umsichtige Farbentscheide fällen, welche die Komplexität des Phänomens Farbe im städtischen Raum berücksichtigen und für eine leben-
dige, vielfältige und qualitätvolle Gestaltung der Stadt sorgen. Damit alle Entscheidungsträger die erarbeiteten Grundlagen und Instrumente differenziert und qualitätvoll in der Praxis einsetzen können, wurden begleitend dazu Qualitätskriterien formuliert sowie mögliche Strategien und Maßnahmen zu deren Umsetzung aufgezeigt. Um eine breite Öffentlichkeit zu erreichen, wurde die Veröffentlichung von »Farbraum Stadt. Box ZRH« von einer Ausstellung begleitet. Zehn Qualitätskriterien für Farbentscheide in Zürich Aufgrund der in der zuvor erläuterten Studie eruierten Stärken und Schwächen des Züricher Farbraums wurden zehn Qualitätskriterien formuliert, die als Basis für künftige Farbentscheide in Zürich dienen können: • Grundsätzlich ist ein professioneller und differenzierter Umgang mit Farbe und Materialien anzustreben, dem sowohl eine gestalterische Versiertheit als auch eine handwerkliche Kunstfertigkeit zugrunde liegen. • Jede neue Farbgebung sollte dazu beitragen, die bestehende Qualität der Farbigkeit der Stadt zu erhalten oder zu steigern. • Farbgestaltung soll als Mittel der städtebaulichen Planung dienen, um den städtischen Raum zu strukturieren und aufzuwerten. • Bestehende Farb- und Materialcharakteristiken von Quartieren oder einzelnen Gebieten sind zu stärken. Auf diesem Weg kann über Farbe und Material eine positive Identitätsbildung erfolgen. • Farbe soll die Zugehörigkeit der einzelnen Quartiere und deren Bewohner zum gesamten Stadtraum unterstreichen und der Ab- und Ausgrenzung von sozialen Gruppierungen entgegenwirken.
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Farbraum Stadt. Box ZRH, Farbporträts: Handgemalte Farbporträts von ausgewählten Bauten zeigen den gesamten Farbklang eines Gebäudes. 96 Farbporträts sind als hochwertige 7-FarbenDrucke in der Box ZRH in Form von losen Farbkarten enthalten. Hier abgebildet ist das Farbporträt vom Schulhaus Ahorn, das für die beiden Themen Ensemblequalität und Gelungene Erneuerung ausgewählt wurde. Die rechte Bildhälfte stellt den Altbau von Albert Heinrich Steiner (1946 –1946) dar, die linke Bildhälfte zeigt die Farben des Anbaus von Patrick Gmür Architekten (1999).
• Qualitätvolle und epochenspezifische Farbigkeiten und Materialisierungen sind weitgehend zu erhalten, denn sie helfen, Stadtentwicklung ablesbar zu machen und fördern die ästhetische Vielfalt des Stadtraums. • Die Aufwertung des Züricher Farbraums ist nicht in einer gesteigerten Buntheit oder im Forcieren neuer Materialien zu suchen, sondern in der Wertschätzung und Optimierung des Bestehenden. So soll innerhalb der Farbwelt des heutigen Grundkolorits und auf der Basis der vorhandenen, von Putz geprägten Materialität eine möglichst große Vielfalt und Differenziertheit der Farbklänge und Oberflächenstrukturen erreicht werden. Die meisterhaft gespielten, subtilen Töne könnten in Zukunft ein Markenzeichen der Stadt Zürich sein. • Farben, die sich vom Grundkolorit der Stadt absetzen, haben eine besondere Präsenz im Stadtraum. Daher sollte ihr Einsatz bewusst und städtebaulich sinnvoll geplant werden. Arbeitet ein Konzept mit bunten oder markanten Farben, dann ist ein professioneller, besonders sorgfältiger Umgang zu fordern und zu fördern. • Neben der Wahl eines angemessenen Farbtons sind ein qualitätvoller Materialeinsatz und eine sorgfältige handwerkliche Ausführung anzustreben. Dabei sollten Alterung und Pflege der eingesetzten Materialien und Techniken von Anfang an diskutiert und bewertet werden. • Die beratenden Behörden sollen auf Basis der erarbeiteten Erkenntnisse und Qualitätskriterien und mithilfe der entwickelten Werkzeuge situativ und individuell entscheiden und dabei auch Spielraum für neue Entwicklungen und Experimente zulassen. Diese sind gezielt und gewinnbringend im städtischen Raum zu platzieren.
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Farbraum Stadt. Box ZRH, Rückseite des Farbporträts: Eine Legende auf der Rückseite der Karte zeigt auf, um welches Bauteil und welche Materialität es sich bei den dargestellten Farben jeweils handelt. Zudem findet man auf jeder Karte eine Fotografie und einen Steckbrief des Baus sowie eine Würdigung der Farbgestaltung. Farbraum Stadt, Epochenfächer 100: Der im Rahmen des Projekts entwickelte NCS-Fächer enthält 100 epochentypische Architekturfarben aus der Zeit zwischen 1900 und 2010 und zeigt das jeweils zeittypische Kolorit der einzelnen Dekaden des 20. Jahrhunderts. 9
Farbraum Land Eine Studie zur Farbkultur im Thurgau Der ländliche, in der Ostschweiz liegende Kanton Thurgau schöpft seine Identität primär aus der Schönheit einer locker besiedelten Kulturlandschaft und dem hohen Anteil an historischer Bausubstanz. Doch wie viele ländliche Regionen befindet sich auch der Thurgau im Umbruch. Eine rege Bautätigkeit an den Siedlungsrändern und in den Ortskernen verschiebt die Gewichtung zwischen modernen und traditionellen Bauten und greift immer mehr in die Landschaft ein. Wichtige identitätsstiftende regionale Qualitäten der Baukultur drohen dabei verloren zu gehen. Die Denkmalpflege im Thurgau hat erkannt, dass in dieser Entwicklung der Umgang mit Farbigkeiten und Materialien eine zentrale Rolle spielt und dass in der Ortsbildpflege farbspezifische Planungsund Beratungsgrundlagen notwendig sind. Vorausschauend beauftragte sie 2012 eine Studie zur Farbkultur im Thurgau, die den Gemeinden des Kantons als Grundlage und Anregung dienen soll, um weitere Planungs- und Beratungsinstrumente zu entwickeln [6]. Das übergeordnete Ziel der Studie war, Wege aufzuzeigen, wie sich die Qualität von Farb- und Materialgebung in der Architektur unter Berücksichtigung regionaler und historischer Eigenheiten erhalten und weiterentwickeln lässt. Um eine ausreichende Eindringtiefe und Differenziertheit der Studie zu gewährleisten, wurde im Gegensatz zum Züricher Projekt »Farbraum Stadt« beschlossen, prototypisch vorzugehen. Es wurden fünf für den Thurgau typische Siedlungssituationen eruiert, von denen das jeweilige Kolorit untersucht und in Form von exemplarischen Farbkarten dargestellt wurde. Ein interdisziplinäres Team aus den Fachgebieten Kunstgeschichte, Farbgestaltung, Restaurierung und Handwerk analysierte in Zusammenarbeit mit der Denk-
malpflege im Thurgau den Farbraum dieser fünf Ortschaften. In jeder Farbkarte wurde ein für den Ort typischer Farb- und Materialaspekt vertieft, sodass die Farbkarten verschiedene relevante Aspekte für die Farbgestaltung im historisch ländlichen Kontext aufzeigen und sich gegenseitig ergänzen: • Farbkarte Steckborn – Farbklänge von verputzten Häusern in einer Kleinstadt mit historischem Kern (Abb. 10, S. 68) • Farbkarte Lustdorf – Materialien und Alterung der traditionellen Alltagsarchitektur in einem ländlichen Dorf • Farbkarte Zihlschlacht – Farbenvielfalt trotz gegebener Farbtradition in einer von Fachwerkbauten geprägten Siedlung • Farbkarte Ottenberg – Bauen in der Landschaft (Abb.11, S. 68) • Farbstudie Münchwilen – Farbe als Instrument der Ortsgestaltung in einem Dorf mit dem Charakter eines Vororts mit Industrie und Gewerbe Entstehung und Anwendung der Farbkarten Die Farbkarten sind primär aufgrund einer sorgfältigen Analyse des jeweiligen Kolorits entstanden. In einem ersten Schritt wurden vor Ort Farben gesammelt, die für das spezifische historische Umfeld charakteristisch sind. Sie bildeten gemeinsam mit einer allgemeinen Untersuchung des jeweiligen Siedlungsraums die Basis für die Entwicklung der Farbkarten. In einem zweiten Schritt wurde der nachgemischte Farbenfundus unter denkmalpflegerischen sowie farbgestalterischen und städtebaulichen Überlegungen optimiert und erweitert. Zusätzlich erfolgten Literatur- und Archivrecherchen sowie Interviews mit Fachleuten. So war die Entwicklung einer breiten Farbpalette möglich, die dem historischen Charakter des Orts verpflichtet bleibt, ohne sich den heutigen technischen Möglichkeiten und Wünschen 67
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10 Farbkultur im Thurgau, Farbkarte Steckborn: Die Farbkarte zeigt die charakteristische Farbigkeit der einzelnen Gebäudeteile (von unten nach oben: Sockel, Türlaibung, Türblatt, Fassade, Fensterlaibung, Fensterrahmen, Fensterladen, nochmals Fassade, Dachuntersicht, Dach) der typischen drei- bis vierstöckigen Giebelhäuser von Steckborn, die sich entlang von Straßen und Gassen sowie rund um Plätze aneinanderreihen. Diese enge Reihung der Häuser und das Zusammenspiel zwischen der gedämpften Buntheit der traditionellerweise mineralisch verputzten Fassaden und den vielfältigen Farbakzenten der in Ölfarbe gestrichenen Bauteile aus Holz prägen den Farbraum im historischen Stadtkern der Kleinstadt. Konzeption und Gestaltung der Farbkarte: Marcella Wenger-Di Gabriele.
11 Farbkultur im Thurgau, Farbkarte Ottenberg, Herbst: In der Farbkarte Ottenberg wurde das Zusammenspiel zwischen Architektur- und Naturfarben im Lauf der vier Jahreszeiten untersucht. Daraus wurden Farbkriterien für das Bauen in der Landschaft erarbeitet und in einer dreidimensionalen Farbkarte dargestellt. Simulationen am Modell zeigten u.a. auf, dass die Architekturfarbigkeit nicht mit den Farben der Natur konkurrieren sollte und ein respektvolles Miteinander farblich gesamtheitlich gestalteter Häusergruppen anzustreben ist. Konzeption und Gestaltung der Farbkarte: Marcella Wenger-Di Gabriele. 12 Farbkultur im Thurgau, Erklärung von Farbbegriffen und Farbqualitäten: Um eine differenzierte Wahrnehmung der Farbkarten zu unterstützen, wurden in der Studie grundlegende Farbbegriffe und Farbqualitäten in Bezug auf den Architektur-
kontext anhand von Farbmustern erklärt. Die hier abgebildete Darstellung zeigt auf, dass bestimmte Farben in einem historischen, von Erd- und Steinfarbigkeit geprägten Kolorit als Fremdkörper wahrgenommen werden, weil sie beispielsweise zu kühl oder zu »süß« wirken. 13 Farbkultur im Thurgau, Materialmuster: Da die technische und handwerkliche Umsetzung gerade im historischen Kontext von zentraler Bedeutung ist, wurden im Projekt ebenfalls relevante materialtechnische Aspekte erläutert und bemustert. Dies auch mit der Absicht, für die ästhetischen Charakteristiken von verschiedenen Oberflächenbearbeitungen zu sensibilisieren. Hier abgebildet ist eine Musterreihe mit möglichen Holzanstrichen im Außenbereich in einem für das Thurgauer Fachwerk charakteristischen Rot. Herstellung der Muster: Matteo Laffranchi.
Mit der für jeden Siedlungstyp spezifischen Komposition bringen die Farbkarten außerdem das ausgewogene Zusammenspiel der Farbigkeit von einzelnen Bauelemente und Materialien zum Ausdruck und geben Auskunft über die mengenmäßige Verteilung der jeweiligen Farben. Anhand der Farbkarten lässt sich also nachvollziehen, welche Farbqualitäten in größeren Mengen einzusetzen und welche eher als Akzente im Farbklang zu verstehen sind. Gleichzeitig wurden zu jeder Farbkarte spezifische Empfehlungen für die praktische Umsetzung formuliert.
Die Farbkarten zeigen jedoch nicht nur die Stimmigkeit, sondern auch das labile Gleichgewicht der jeweiligen Farbräume auf. Vor ihrem Hintergrund wird schnell sichtbar, ob ein vorgesehener Farbton sich ins Kolorit einfügt oder ob er z. B. zu bunt, zu hell oder zu dunkel ist. Die Farbkarten liefern so erste Anhaltspunkte für die detaillierte Farbgestaltung eines einzelnen Bauwerks wie auch für das Erstellen von Farbkonzepten für Gebäudegruppen. Sie sind ein Inspirations-, Sensibilisierungs- und zugleich Leitinstrument, das als Diskussionsbasis dienen kann und angemessene sowie qualitätvolle Farb- und Materialentscheide unterstützen soll. Die Farbkarten stellen also für die exemplarisch untersuchten Siedlungen Grundlagen für künftige Farbentscheide bereit und zeigen mögliche Wege im Umgang mit Farbe auf. Auf Grundlage der erarbeiteten Materialien lassen sich nach Bedarf weitere farbplanerische Instrumente wie Fächer, Farb- und Materialsammlungen, Merkblätter etc. entwickeln. Doch auch derartige Instrumente ersetzen nicht die fachkundige farbgestalterische sowie denkmalpflegerische Beratung und Planung, die sich dadurch aber auf einer soliden und breiten Basis abstützen. Aufgrund ihrer ortsspezifischen Besonderheiten lassen sich die Farbkarten nicht direkt auf andere Orte übertragen. Denn jeder Ort hat seine eigene Farbidentität und andere räumlichen Eigenschaften, die es durch eine Untersuchung vor Ort sorgfältig herauszuschälen gilt. Zudem macht eine eigens für eine Ortschaft hergestellte Farbkarte auf die Wichtigkeit der Thematik und auf bestehende Qualitäten im Ort aufmerksam. Dies unterstützt die Identifikation der Bevölkerung mit ihrem Wohnort, was zu einem bewussteren und sensibleren Umgang mit Farbe und dem öffentlichen Raum führen kann. Die Studie zu Münchwilen zeigt schließlich auf, dass
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zu verschließen. Dann wurden die Farbkarten einer Überprüfung vor Ort unterzogen, um den Bezug zur räumlichen Realität zu gewährleisten. Die Farbkarten sind weder als Farbleitplan noch als Sammlung einzelner Farbmuster konzipiert, sondern beschreiben als Gesamtkomposition das Kolorit der jeweiligen Siedlungstypologie in Bezug auf Farbton, Helligkeits- und Buntheitsgrad. Diese Gesamtschau ermöglicht, in die unterschiedlichen Farbwelten mit ihren feinen Nuancierungen einzutauchen und sie in ihren Qualitäten und Eigenheiten zu erfassen.
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Strategien im Umgang mit Farbe durchaus zur Förderung der Ortsbildqualität und zur Bildung einer Ortsidentität führen können.
chenfremden Fachleuten besetzt sind, ist die Sensibilisierung der Bauherrschaften und der allgemeinen Öffentlichkeit für die Pflege einer regionalen Farb- und Baukultur von großer Bedeutung. So wird die Studie von einer Wanderausstellung begleitet, die den Einbezug von visuellen, taktilen und auditiven Kommunikationsmitteln ermöglicht. Sie erlauben eine vielfältige Vermittlung der Inhalte, womit auch ein breiteres Publikum angesprochen werden kann. Außerdem lassen sich in einer Ausstellung vor allem sinnlich erfahrbare und materialtechnische Aspekte besser als in einer Publikation zeigen. Ein Rahmenprogramm für die unterschiedlichen Zielgruppen in Form von Führungen, Referaten und Workshops erweitert zusätzlich die Möglichkeiten der Vermittlung.
Weitere Aspekte für die Pflege und Gestaltung der Thurgauer Farbkultur Die Studie hat Eigenschaften einer Thurgauer Farbkultur zutage gebracht, die aus einer lange tradierten Bau- und Handwerkskultur erwachsen sind. Diese Farbkultur zeichnet sich durch einen kontextspezifischen und soliden Umgang mit Farbe aus, der das Entstehen von ebenso stimmigen wie charakteristischen Farbwellen ermöglicht. Was die untersuchten Farbräume miteinander verbindet, ist weniger die übergeordnete Thurgauer Farbpalette als vielmehr eine gemeinsame Haltung gegenüber dem Umgang mit Farbe und Materialien am Bau. Diese Haltung hat stets sowohl den unmittelbaren räumlichen Kontext als auch den historischen Hintergrund und den Gedanken der gemeinschaftlichen Verantwortung für den öffentlichen Raum im Auge. Gleichzeitig wird die Farbigkeit wesentlich durch eine nachhaltige Materialwahl und sorgfältige handwerkliche Ausführung mitbestimmt, wobei die Farbgestaltung mit der Architektur eine konstruktive wie ästhetische Einheit bildet. Deshalb wurden in der Studie neben farbspezifischen Eigenschaften wie Farbton, Farbklang, Farbästhetik und Farbtradition auch materialtechnische und ästhetische Aspekte im Umgang mit historischen und neuzeitlichen Anstrichen erörtert und bemustert (Abb. 12, 13). Dadurch soll die Kommunikation zwischen Planern, Handwerkern und Auftraggebern erleichtert sowie ein traditions- und qualitätsbewusstes Handwerk gefördert werden. Insbesondere im ländlichen Kontext, in dem der Anteil an Eigenheimen relativ hoch ist und Baugremien oft von bran-
Die beiden hier vorgestellten Projekte »Farbraum Stadt« und »Farbkultur im Thurgau« bestätigen, dass der Aspekt der Farbe und Oberflächengestaltung in der Architektur sowohl im städtischen als auch im ländlichen Kontext ein wesentlicher Bestandteil von Baukultur im Allgemeinen ist. Eine qualitätvolle Farbkultur ist das Ergebnis eines kontinuierlichen gemeinschaftlichen und weitsichtigen Agierens einer Gesellschaft. Jeder ist im Rahmen seines Wirkungskreises und seiner Entscheidungsbefugnisse dazu aufgefordert, Qualitäten zu fördern, die nicht partikulären Interessen und individuellen Vorlieben folgen, sondern die Realisierung eines mit Sorgfalt gestalteten, qualitativ hochstehenden Lebensraums für alle anstreben.
Anmerkungen: [1] hrsg. von Jürg Rehsteiner, Lino Sibillano Stefanie Wettstein. Farbraum Stadt: Box ZRH. Eine Untersuchung und ein Arbeitswerkzeug zu Farbe in der Stadt. Zürich 2010 [2] Das Haus der Farbe mit Sitz in Zürich und einem Werkraum in Berlin ist eine Schule für Handwerk und Gestaltung, die Farbe, Handwerk, Technik und Design als übergreifende Fachbereiche vereint. Die hier vermittelte praxisorientierte Arbeitsweise schafft Synergien mit Innovationspotenzial zwischen Forschung, Bildung und Beratung. So ist das Haus der Farbe für alle am Bau beteiligten Akteure nicht nur ein Ort des Lernens, der Begegnung, des Austauschs und der Inspiration, sondern auch ein Ort, an dem projektbezogen technisch handwerklich solide und gestalterisch hochwertige Lösungen entwickelt werden. Weitere Informationen unter www.hausderfarbe.ch. [3] wie Anm. [1] [4] hrsg. von Jürg Rehsteiner, Lino Sibillano Stefanie Wettstein. Farbraum Stadt: Box ZRH. Eine Untersuchung und ein Arbeitswerkzeug zu Farbe in der Stadt. Zürich 2010, S. 120 –129. [5] Die Videos wurden vom Künstler Eric Dettwiler erstellt und sind auf der Website www.farbraumstadt.ch zu sehen. [6] Lino Sibillano und Stefanie Wettstein: Farbkultur im Thurgau pflegen und gestalten, hrsg. vom Amt für Denkmalpflege des Kantons Thurgau, Band 15. Basel 2013
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Die Farbigkeit der Architektur im 20. Jahrhundert. Erkennen. Verstehen. Erhalten. Der denkmalpflegerische Umgang mit Architekturoberflächen des 20. Jahrhunderts und die restauratorische Untersuchung, Erhaltung und Rekonstruktion (material-)farbiger Bauten Thomas Danzl
Der Umgang mit der »Farbigkeit der Architektur« und der »Architekturoberfläche« [1] mag auf den ersten Blick als ein gut erforschtes Teilgebiet der Architektur-, Kunst- und Technikgeschichte angesehen werden – eine Wahrnehmung, die wohl weniger in phänomenologischer, jedoch in ideengeschichtlicher Hinsicht bestätigt werden kann. Bislang liegen allerdings kaum belastbare und allgemein zugängliche naturwissenschaftliche Reihenuntersuchungen zu historischen Architekturoberflächen gleich weder Epoche vor. Die Renaissance antiker Werktechniken im 19. Jahrhundert
Doppelhaus in der Weißenhofsiedlung Stuttgart (D)1927, Le Corbusier und Pierre Jeanneret. Teil der Werkbundausstellung »Die Wohnung« in Stuttgart-Weißenhof, seit 1958 unter Denkmalschutz, 1981–1987 Sanierung der Weißenhofsiedlung durch die Staatliche Hochbauverwaltung Stuttgart, 2003 – 2005 Sanierung durch die Wüstenrot Stiftung
Mit der Geburt der Archäologie als moderne Wissenschaft in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bot die theoretische Auseinandersetzung mit der Farbigkeit antiker Tempel und Bildwerke Anlass, diese Erkenntnisse schöpferisch für die zeitgenössische Baupraxis des Klassizismus zu nutzen. Dieses Studium antiker, mittelalterlicher und neuzeitlicher Quellen gab nicht zuletzt den Anstoß, sich auch materialkundlich mit historischen Maltechniken sowie mit Mal- und den entsprechenden Trägermaterialien auseinanderzusetzen und diese im Lauf des 19. Jahrhunderts zunehmend auf Grundlage naturwissenschaftlicher Untersuchungen mit mehr oder minder großem Erfolg nachzustellen. Der Versuch, Bautechniken des Altertums, wie etwa die Freskotechnik oder das »opus caementitium« (Gussbeton) wiederzubeleben, scheiterte sowohl an der korrekten Auswertung schriftlicher Quellen als auch an der naturwissenschaftlich korrekten Bewertung originaler Befunde. So können die Erfindung des sogenannten Roman Cementes, des Portlandzements und verschiedene enkaustische Verfahren wie letztlich auch die Wasserglastechnik (Stereochromie) als Nebenprodukte dieser Forschungen angesehen werden, die
im Zuge der Industrialisierung und der damit einhergehenden Umweltbelastung (nicht nur für den Menschen, sondern auch für die Fassaden der Gebäude) ihren Siegeszug begannen und bis weit in das 20. Jahrhundert hinein bedeutsam blieben. Der Polychromiestreit und die Folgen
Die Rezeption einer farbigen Architektur der Antike für die Baupraxis des 19. Jahrhunderts, wie sie vor allem Leo von Klenze, Jacob Ignaz Hittorf und Gottfried Semper befürworteten, beschwor bekanntlich einen regelrechten Streit, den sogenannten Polychromiestreit herauf, der die Architektenschaft in Verfechter einer »weißen« bzw. »farbigen« Antike spaltete. Die Mitte des 19. Jahrhunderts im Nachgang zum Polychromiestreit erfolgte Polarisierung zwischen Vertretern der »Materialechtheit« und einer »farbigen Architektur« sollte sich in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts noch auf die historisch-kritische Rezeption mittelalterlicher Architekturfarbigkeit in der sich gerade etablierenden staatlichen Denkmalpflege ambivalent auswirken: Zwar wurde die monumentale Wandmalerei – wie allgemein Dekorationsmalereien – zunehmend als integraler Bestandteil mittelalterlicher Architektur anerkannt und in die neogotische Gestaltungspraxis übernommen, farbige Flächenanstriche vor allem auf Naturstein wurden jedoch bis weit in das 20. Jahrhundert hinein, trotz gegenteiliger Befunde, als nicht materialgerecht ignoriert. Das im 19. Jahrhundert aufgestellte ahistorische Postulat der Materialechtheit bzw. Materialgerechtigkeit in der Architektur war auch für die verschiedenen Strömungen im 20. Jahrhundert in unterschiedlichem Maß bindend. Insbesondere die Schüler des Architekten und Hochschullehrers Carl Schäfer 71
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(1844– 1908) wie Hermann Muthesius, Hans Poelzig, Paul Schmitthenner und Fritz Schumacher traten für einen »Materialstil« ein, der die Eigenfarbigkeit von Putz, Natur- und Backstein und später auch von Beton als Grundelemente farbiger Gestaltung hervorhob. Nach dem von Bruno Taut und Jakobus Göttel bei der Tagung des Deutschen Werkbunds 1919 lancierten »Aufruf zum Farbigen Bauen« sollten schließlich die Grenzen zwischen »Material- und Farbenfarbigkeit« in den Strömungen der 1920er-Jahre – im »Expressionismus« und in der »Neuen Sachlichkeit wie am Bauhaus in Weimar und Dessau« – nahezu aufgelöst werden (Abb. 1). Erst das wegweisende Schaffen eines »Neoklassizisten« wie Ludwig Mies van der Rohe und die Wirkmächtigkeit des International Style ließen ab etwa 1930 bis weit in die 1950er-Jahre hinein die Materialgerechtigkeit wieder in den Vordergrund treten. Die Materialfarbe und die Farbenfarbe
Insofern liegt es für die Beschreibung und zum Verständnis farbiger Architektur nahe, Bezug auf die von Arthur Ruegg vorgenommene Unterscheidung in »Materialfarbe« und andererseits »Farbenfarbe« zu nehmen [2]. Die »Materialfarbe« kann dabei sowohl als »Strukturfarbe«, etwa im Fall materialsichtig bzw. materialfarbig belassener, tragender Bauteile z. B. aus Stein, Kunststein oder Beton, wie auch als eine Form der Verkleidung oder Inkrustation (z. B. Putz, Stuck, Vorsatzbeton, Stein-, Keramikoder Glasplatten etc.) verstanden werden. Daneben spielt die Materialfarbe von Glas, Metall und sogenannter Ersatzbaustoffe eine durchaus gleichberechtigte Rolle. Die »Farbenfarbe« schließt hingegen die monumentale Wandmalerei im Innen- wie Außenbereich sowie die anstrichtechnische Behandlung von Oberflächen ein (Abb. 2). 72
zu rehabilitieren, so kann für die 1980erund 1990er-Jahre ein vor allem nach der Wiedervereinigung stetig anwachsendes Interesse für die Bauten der »klassischen Moderne« beobachtet werden, dem seit der Jahrtausendwende eine Beschäftigung mit den Kontinuitäten und Diskontinuitäten der Architekturmoderne im Dritten Reich und der DDR folgte.
Der Eigenwert der Farbe und die Rolle der Denkmalpflege
Erst die Reformbewegungen der »Moderne« in der Architektur des 20. Jahrhunderts sorgten für eine Rehabilitierung des Eigenwerts der Farbe in der zeitgenössischen Architektur, die durch die Fortschritte in der industriellen Farbenund Putzherstellung und durch eine damit einhergehende Normierung und Qualitätssicherung begünstigt wurde: Farben werden – wie etwa in ihrer Anwendung an den Bauhausbauten in Weimar und Dessau – als physiologisch wie psychologisch selbstständig wirkende Flächenwerte verstanden, die in der Lage sind, die Erscheinung von Architektur wie ihrer Architekturoberfläche zu modifizieren, zu ignorieren und im Sinn eines Gesamtkunstwerks die Wirkung auf den Betrachter zu steigern (Abb. 3). Nahezu das gesamte 20. Jahrhundert ist trotz seiner politischen wie soziokulturellen Verwerfungen durch eine kontinuierliche Standardisierung und Ausdifferenzierung organischer wie anorganischer Baustoffe gekennzeichnet, die ab den 1970er-Jahren eine fast völlige Verdrängung »historischer« Baustoffe, wie z. B. Lehm und Reinkalkputze mit regionalen Zuschlägen bzw. Bindemitteln wie Leinöl aus der Baupraxis bedingten. Die »Postmoderne« der 1980er-Jahre ermöglichte schließlich im Rahmen der Ökologie- und Denkmalschutzbewegung den Fortbestand wie die Wiederentdeckung historischer Werktechniken und -stoffe für die gegenwärtige (Neu-)Baupraxis und Denkmalpflege. Es ist daher nur folgerichtig, die historisierte Architektur der »Moderne« gleichermaßen zum Gegenstand des Forschungs- und Erhaltungsinteresse werden zu lassen. Galt es in den 1970er-Jahren zunächst, die feinen Unterschiede einer material- wie farbenfarbigen Architektur des Jugendstils (Abb. 4) und dann die der Gründerzeit
Bauhausgebäude (Detail der Fassade), Dessau (D) 1926, Walter Gropius. Links: steinmetzmäßig überarbeiteter Stampfbeton. Rechts oben: in Freskotechnik ausgeführter Kalkanstrich. Rechts unten: gekratzter Edelputz, sogenannter Terranova, ursprünglich mit Schiefermehl grau eingefärbt und mit Muskovitglimmer versetzt. Bauhausgebäude, Dessau (D) 1926, Walter Gropius. Haupttreppenhaus im Werkstattgebäude, Treppenabsatz zum 2. Obergeschoss. Materialfarbe: Terrazzoboden, Glas, Metall. Farbenfarbe: Flächenanstrich in Leim- bzw. Ölfarbe (Heizkörper, Türblätter und -rahmen). Die Normierungs- und Qualitätssicherungsbestrebungen in der Farbenindustrie zogen zahlreiche Publikationen für Handwerker und Architekten nach sich.
Denkmalpflege und Restaurierung nach 1975
Die Denkmalschutzgesetzgebungen und der damit verbundene erweiterte Denkmalpflegebegriff seit dem europäischen Denkmaljahr 1975 ermöglichte in den ehemals beiden deutschen Staaten durch die Schaffung von Hochschulausbildungen für Restauratoren (in Dresden ab 1974 und in Stuttgart ab 1977) die Professionalisierung und Akademisierung dieses Berufszweigs [3]. Die Denkmalpflege und Restaurierung sind als angewandte Wissenschaften im 21. Jahrhundert nicht
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nur an einer ganzheitlichen Wahrnehmung aller das Denkmal konstituierenden Materialien interessiert, sondern legen diese als »conditio sine qua non« für eine authentische Erhaltung fest. Die Entwicklungsgeschichte beider Disziplinen zeigt zugleich auf, wie spät in Bezug auf den Erhalt von Architekturoberflächen ihre wesentlichen Instrumentarien – etwa die Bauaufnahme verbunden mit einer stratigrafischen Befunderhebung von Putzen und Farbe sowie deren naturwissenschaftliche Untersuchung und Auswertung – Eingang in eine heute idealerweise als interdisziplinär aufzufassende Erhaltungspraxis fanden. Der erreichte hohe Grad an Spezialisierung in den Berufen der Denkmalpflege im deutschsprachigen Raum setzte im vergangenen Jahrzehnt auf diesem Gebiet ohne Zweifel europa-, ja sogar weltweit Maßstäbe. Zur Begriffsbestimmung
Insofern muss es nicht verwundern, dass sich Restaurierungswissenschaftler zunehmend für den Begriff »Architekturoberfläche« verwenden und sich gegen den Begriff »Architekturfarbigkeit« [4] aussprechen, wie er noch 1974/75 von Friedrich Kobler und Manfred Koller definiert wurde und bis heute vielfach Anwendung findet, nämlich »als dem Ergebnis aller Bestrebungen, die architektonische Struktur eines Bauwerkes mittels seiner farbigen Erscheinung zur Geltung zu bringen. Dabei spielt es keine Rolle, ob die F.[arbigkeit] auf eine bereits gegebene architektonische Gliederung gelegt wird oder eine solche schafft bzw. ergänzt. Auch ist es gleichgültig, wodurch die farbige Gliederung erfolgt, etwa durch verschiedenfarbiges Baumaterial, Bemalung, Putz. […] die Struktur der Materialoberfläche, die durch besondere Arten der Verglasung verfärbende Wirkung des Lichtes; die Ausstattung […]« [5]. Gerade im konservatorischen Umgang
Mietshaus, Leopoldstraße 77, München (D) 1902, Martin Dülfer, Zustand vor der wiederholten Instandsetzung 2013. Bis 1906 Wohnhaus des Architekten. Herausragendes Beispiel für die Verwendung unterschiedlichster Putz- und Stucktechniken wie Kammzug, Riffelputz, Putzschnitt, Putzrelief und Stuck. Über eine ursprüngliche Verwendung materialfarbiger Putze bzw. einer Teilpolychromie kann hier nur spekuliert werden.
mit Bauten des 20. Jahrhunderts greift diese Definition zu kurz, da sie die Farbigkeit dieser Architektur auf einen optischen Reiz reduziert und damit notgedrungen die Ganzheitlichkeit der Farbwirkung durch das Zusammenspiel von Trägerstruktur und Trägermaterial mit dem Farbmaterial vernachlässigt. Erst die frühzeitige interdisziplinäre Zusammenarbeit von Restauratoren, Materialkundlern und Architekten beim Erkennen, Beschreiben, Bewerten und schließlich Erhalten aller Architekturoberflächen wird die ihnen innewohnenden Farbqualitäten vollumfänglich zum Tragen bringen können. Die Konservierung der Moderne
Die Arbeiten am Dessauer Meisterhaus Kandinsky-Klee von 1998 bis 2000 können rückblickend als Beginn eines Paradigmenwechsels im konservatorischen Umgang mit Architekturoberflächen des 20. Jahrhunderts angesehen werden [6]. Die für die Befunderhebung, Konservierung bzw. Restaurierung und anschließende materialidentische Rekonstruktion maßgeblichen Parameter wurden methodisch in Rückgriff auf die Terminologie von László Moholy-Nagy abgeleitet. Ihr zufolge wird die Farbe der Architektur als Material begriffen, das durch unterschiedliche Kombination und Konzentration ihrer Bestandteile – Pigmente, Bindemittel und Zuschlagstoffe – mit der ihr eigenen Struktur zu einem eigenständigen Bildmedium wird. Durch die Oberflächenbeschaffenheit oder Textur der Untergründe, durch die Deckkraft und den Glanzgrad der Farbe sowie nicht zuletzt durch die Werkspur des Farbauftrags bzw. der Faktur können so letztlich zahllose Gestaltungsvarianten entstehen [7] (Abb. 5b, S. 74). Diese Qualitäten der Farbe wurden zunächst von Restauratoren sondiert, anschließend mithilfe von gezielten materialkundlichen Untersuchungen mikrochemisch analysiert
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und schließlich durch experimentelle handwerkliche Nachstellung der Mischverhältnisse in ihrer ursprünglichen Wirksamkeit weitgehend rekonstruiert. So musste z. B. durch den Abgleich mikrochemischer Analysen von Bindemitteln, Pigmenten, Zusatzstoffen und sogenannter Farbschnitte die aus dem Werkprozess und Schichtenaufbau resultierende wahrscheinlichste Oberflächenqualität (deckend, lasierend, matt, glänzend etc.) gefolgert und experimentell nachvollzogen werden (Abb. 5c, S. 75). Wenn man das Thema der Erhaltung historischer Architekturoberflächen im Jahrzehnt nach der deutschen Wiedervereinigung angesichts der Fülle an authentisch erhaltener, aber konservatorisch stark gefährdeter Architekturoberflächen als Gebot der Stunde definieren wollte, so gelang wohl mit der Tagung »Historische Architekturoberfläche. Kalk-Putz-Farbe« im Jahr 2002 vom Deutschen Nationalkomitee des Internationalen Rats für Denkmalpflege (ICOMOS) eine Zusammenfassung jahrzehntlanger Erfahrungen mehrerer Generationen von Spezialisten aus Ost und West, das als Standardwerk zum Thema betrachtet werden kann. Ivo Hammer plädiert darin u. a. auf Grundlage der zuvor geschilderten kunst- und denkmaltheoretischen Entwicklung der Begriffe »Architekturfarbigkeit« und »Architekturoberfläche« eindringlich für den Gebrauch des Letzteren, da nur dieser der Erkenntnis und Erhaltung der Materialität von Denkmalen vollumfänglich gerecht werde [8]. Zur denkmalpflegerischen und restauratorischen Praxis der Konservierung, Restaurierung und Rekonstruktion von Architekturoberflächen des 20. Jahrhunderts in Mitteleuropa Wenngleich die Konservierungsmöglichkeit an Bauten der Moderne aus restauratorischer Sicht heute unzweifelhaft gege73
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ben ist, stellen wachsender Investitionsdruck, steigende Ansprüche gegenüber der Nutzung und die damit einhergehenden Modernisierungsbemühungen eine zunehmende substanzielle Gefahr bei einer größeren Anzahl von gleichermaßen bedeutenden, aber weniger bekannten Bauten dar. Die Eigentümerinteressen gegenüber den Aspekten von Funktionalität, Reparaturaufwand und Angleichung an die bestehenden Normen (Trittschall- und Wärmedämmschutz) bzw. der Behebung technischer Mängel (z. B. Sanierung von Stahlbetonkonstruktionen) lassen eine Instandsetzung oder Teilerneuerung heute noch in viel zu seltenen Fällen als Diskussionsgrundlage zu. Dabei ist schon aus Gründen der Ressourcenschonung eine intersubjektive Bewertung des Bestands hinsichtlich seiner Wiederverwendbarkeit bzw. Konservierungsmöglichkeit wünschenswert, von der damit verbundenen Bewahrung authentischer Oberflächeninformationen und ihrer ästhetischen Relevanz ganz zu schweigen. Konservierung, Reparatur, Instandsetzung, Rekonstruktion, Pflege
Die nach wie vor postulierte und weitverbreiteten Meinung, die Moderne sei nicht
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konservierbar, weil die Baumaterialien, aus denen sie besteht, nicht mehr zu beschaffen sind und in jedem Fall eine unzumutbare wirtschaftliche Belastung und funktionale Einschränkung mit ihrer Erhaltung verbunden sei, muss eine Relativierung angesichts der immer zahlreicheren, erfolgreich abgeschlossenen Beispiele von Instandsetzungen erfahren. Die im vergangenen Jahrzehnt gemachten Erfahrungen im Umgang mit Bauten der Moderne zeigen zugegebenermaßen eine methodische Vielfalt auf, die vielleicht außerhalb der Fachwelt nicht immer leicht vermittelbar erscheinen mag, die jedoch ein generelles Umdenken befördert hat. Neben der in der Vergangenheit vorherrschenden Totalsanierung, die oft den gänzlichen Austausch originaler Bauteile und die Zerstörung insbesondere von Architekturoberflächen bedingte – und damit im günstigsten Fall in einer originalähnlichen Rekonstruktion mündeten –, lassen sich zunehmend Ansätze einer Reparatur- und Pflegepraxis feststellen, die in den Publikationen der Wüstenrot Stiftung seit dem Jahr 2000 vorbildlich dokumentiert sind [9]. Interdisziplinarität bei der Projektierung
Damit die Beschäftigung mit den Oberflächen nicht in Oberflächlichkeiten ausartet, muss ein entsprechend ausgebildeter Restaurator rechtzeitig in den Planungsprozess einbezogen werden und im interdisziplinären Dialog mit Tragwerkstechnikern, Architekten, Bauforschern und Materialkundlern eine Bestandserfassung erarbeiten, die die verschiedenen angesprochenen Themenbereiche in ihrer Schadensdynamik und Schadensrelevanz beschreiben und in der Folge in einem gemeinsamen Maßnahmenkatalog und in die Leistungsverzeichnisse für die Ausschreibung Eingang finden. Dieser Vorlauf ermöglicht die gleichzeitige Sicherung von Farb-
a Bauhausgebäude, Dessau (D) 1926, Walter Gropius. Vestibül im Werkstattgebäude. b Vestibül im Werkstattgebäude. Matte wie glänzende Oberflächen der farbigen Flächengestaltung ergänzen die Materialfarbigkeit von Glas, Metall und Terrazzoböden. c Dokumentation der Farbschichtabfolgen im Vestibül mithilfe von Querschliffen Farbtonkarten mit händisch ausgeführten Farbaufstrichen stellten frühe Handreichungen für das Handwerk zur Beratung, Planung und Qualitätssicherung dar. Mischtabelle »Farbig getöntes Weiss/ Bronzen«, Tafel 7 aus: Baumanns neue Farbtonkarte, 1912.
schichten und Putzpaketen, die als Primärdokumente etwa in einem Bauteiloder Materialarchiv vorgehalten werden sollen. Es ist auch der Zeitpunkt, an dem über objektverträgliche Nutzungskonzepte diskutiert und Strategien entwickelt werden können, die gleichzeitig den Erhalt von originaler Bausubstanz und die Anpassung an notwendige Nutzungskonzepte ermöglichen. Eine Rekonstruktion von eventuell bauzeitlichen Farbkonzepten oder Oberflächen ist nicht zwingend nötig, aber gegebenenfalls im Rahmen der Auswertung restauratorischer Vorarbeiten ein denkmalpflegerisches Ziel. Konservierung – Restaurierung – Rekonstruktion?
Oft lassen sich jedoch konservatorische, restauratorische und rekonstruktive Bestrebungen nicht so ohne Weiteres voneinander trennen. Die Auseinandersetzung der Architekturmoderne mit den Aspekten ihrer Materialeigenschaften, ihrer Wirkung in der Architektur und in ihrer bisweilen handwerklichen Perfektion und materiellen Qualität lassen heute noch vor allem folgende Grundprobleme im Vorfeld einer Maßnahmenplanung erwachsen: Schon die allgemeine Kenntnis um die verwendeten Materialien, um ihre Materialeigenschaften und um ihr Alterungsverhalten ist noch vergleichsweise gering, wenngleich vieles aus Sekundärquellen (z. B. Pläne, Entwürfe, Skizzen, Fotos, Materialangaben, Bearbeiter) überliefert, aber quellenkritisch und am konkreten Baubefund, also dem Primärdokument, auf seine Aussagekraft hin überprüft werden muss. Andererseits ermöglicht die Bestimmung der ursprünglichen wie der Materialeigenschaften im gealterten Zustand die verträgliche Anpassung von Reparatur- und Ergänzungsmaterialien (Abb. 6). Dieser Abgleich mit den tatsächlich verwendeten Materialien und den damit rea-
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lisierten Konzepten steht bei Gebäuden des 20. Jahrhunderts noch weitgehend aus. Die Sicherheit, die sich vielerorts im Umgang mit Bauten etwa der Gründerzeit oder älterer Epochen entwickelt hat, beruht auf der Kenntnis der über lange Zeiträume hinweg verwendeten und in ihrer Verträglichkeit untereinander objektiv bewertbaren und bereits bewerteten Materialien. Wie die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, wird der oft substanzvernichtende Umgang mit moderner Architektur einen solchen Erkenntniszuwachs hier wahrscheinlich jedoch im Kern ersticken.
Projektpartnern ein Konsens bezüglich der Kartierungsmethoden und ihrer Bearbeitungstiefe erarbeitet werden. Die Konzeptfindung
Erst die Interpretation aller gesammelten Daten, ihrer historischen, technologischen Grundlagen und der ermittelten Schadensursachen und Schadensbilder kann in ein gestuftes Modell von Maßnahmenvorschlägen münden, die neben den dringend vorzunehmenden konservatorischen Eingriffen Modelle einer eventuell wünschenswerten ästhetischen Präsentation beinhalten. Dieses Konzept sollte die
Grundlage eines Stufenplans sein, der für alle Projektbeteiligten eine Grundlage bildet, aber gleichzeitig eine gewissen Flexibilität aufweist, um während des Bauprozesses auftretende neue Erkenntnisse einarbeiten und darauf positiv reagieren zu können. Als Diskussionsgrundlage sollte durch einen Handwerker und/oder Restaurator über verschiedene repräsentative Bauteile hinweg eine Musterarbeit bzw. Musterachse erstellt werden, die eventuelle technische, methodische und ästhetische Mängel aufzeigen hilft und als Nebeneffekt eine belastbare Kostenschätzung ermöglicht.
Untersuchung und Dokumentation
Es ist aber eine denkmalpflegerische Binsenweisheit, dass die Erhaltung, Pflege Befundfoto Befunderläuterung und gegebenenfalls Wiederherstellung neben der Beseitigung bautechnisch mikroskopische Ansicht (40-fache Vergrößerung) des Querschliffs einer Materialprobe aus dem Ixel schädlicher und ästhetisch störender zwischen Laibung und Sturz der Türöffnung; Materialveränderungen die Kenntnis der ehemals verwendeten Materialien für Schichtenfolge: deren Erhaltung voraussetzt. Deshalb Kalkmörtel (bauzeitlich) T Glättschicht Weiß 1 ist der ideelle und materielle Bestand Anstrich (nicht wl, sm) Schwarz 2 zu untersuchen, zu identifizieren und zu Glattschicht Weiß 3 Anstrich (nicht wl) Weiß 4 dokumentieren – wobei neben der histoLasur, Politur (nicht wl, g) weißlich 5 rischen Forschung auch die Erfassung Schwarz 6 Anstrich (nicht wl, m) schriftlicher und visueller Quellen sowie das Sammeln von Informationen, die am Objekt selbst dokumentierbar sind, gleiches Gewicht haben. Bei den technischen Untersuchungen stehen die mikroskopische Ansicht (85-fache Vergrößerung) visuelle Betrachtung, also die Phänomeeiner Materialprobe aus dem Ixel zwischen Laibung und Sturz der Türöffnung; nologie, und ihre Dokumentation im Vordergrund. Diese werden im Bedarfsfall Schichtenfolge: durch geeignete optische Hilfsmittel wie Kalkmörtel (bauzeitlich) T Streiflicht, UV-Licht, Lupen und MikroGlättschicht Weiß 1 Anstrich (nicht wl, sm) Schwarz 2 skope erweitert bzw. durch vertiefende Weiß 3 Glattschicht bauphysikalische Untersuchungen, ProWeiß 4 Anstrich (nicht wl) benentnahmen und mikroskopische weißlich 5 Lasur, Politur (nicht wl, g) Untersuchungen von Quer- und Dünnschliffen, Analysen von Pigmenten, Bindemitteln und Schadensfaktoren qualifiziert. Über die Methoden der Dokumentation sollte im Vorfeld mit den beteiligten 5 c wl = wasserlöslich, m = matt, sm = seidenmatt, g = glänzend 75
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Haus Atlantis, Bremen (D) 1930/31, Bernhard Hoetger. Farbrekonstruktion im Treppenhaus von 1988 ohne Anspruch auf materialidentische Wiedergabe der Träger- und Farbqualitäten: Materialfarbe (glasierter Klinker, Metall, Glasbausteine) und inkrustierte Natursteinplatten in Verbindung mit Flächenfarben. 8 a, b Meisterhaus Muche/Schlemmer, Dessau (D) 1925/26, Walter Gropius. Seit 1974 unter Denkmalschutz; 1996 UNESCO-Welterbe; 1998 – 2002 Vorbereitende Untersuchungen mit Recherchen, Analysen und Gutachten unter bauhistorischen sowie technologischen Aspekten zur Erforschung des Gebäudes, Planung und Ausführung der Sanierung. 2002 Eröffnung als Ausstellungs- und Veranstaltungsort.
7 Ästhetische Präsentation und Prävention
Die Entwicklung einer oder mehrerer objekt- und materialverträglicher Pufferoder Verschleißschichten in Form von Japanpapierkaschierung, Makulatur-, Putz- und Anstrichschichten zum Schutz von historischen Befunden im Innen- wie Außenbereich ist im Vorfeld der Maßnahme zu fordern. Erschwerend kommt bei der farbtheoretischen Grundlage vieler Farbkonzepte der Moderne hinzu, dass es keine »neutralen« Farb- oder Fehlstellenbehandlungen geben kann! Oft genug lassen die geringen Malschichtfragmente einen vollständigen Erkenntnisgewinn nur über die experimentelle Rekonstruktion zu, die immer nur eine mehr oder weniger geglückte weitgehende Annäherung an die ursprünglich verfolgte sein kann. Ist die Rekonstruktion einer Raumfarbe aufgrund fehlender baufester Trägermaterialien, d. h. neben Putzoberflächen vor allem Sockel- und Bilderleisten, Türblätter, Fensterrahmen sowie Einbauelementen etc., nicht möglich (welche Toleranzbereiche gibt es?), ist dies ein Verlust der ideellen Einheit – eine Tatsache, die aber als solche erst einmal festgestellt und abgewogen werden muss. (Abb. 7). Im Zweifelsfall muss auf eine unvollständige Rekonstruktion oder eine Teilpräsentation – auch bauzeitlicher Flächen – verzichtet werden, um nicht in einen Synkretismus aus gealterten, handwerklich ungenügend bearbeiteten Trägerschichten und rekonstruierten neuwertigen Farbschichten eine Ästhetisierung des Banalen zu betreiben, die ohne Zweifel im Widerspruch zu den ursprünglichen Intentionen steht. Die nach Möglichkeit in materialidentischer bzw. materialverträglicher Weise vorzunehmende Ergänzung oder Neuschaffung von Oberflächen mit den ermittelten historischen Verarbeitungstechniken erlaubt eine weitgehende Authentizität des umgesetzten Befunds auch und 76
gerade wegen der zu erwartenden materialimmanenten Alterung. Nicht zuletzt sind bei sämtlichen Maßnahmen Vorkehrungen für eine nachhaltige Pflege des Bestands an originaler Oberfläche und eine mehrmalige Wiederbearbeitbarkeit rekonstruierter Oberflächen nach einer entsprechend aufzubereitenden Dokumentationsgrundlagen zu gewährleisten. Nach Abschluss der Konservierungsund Restaurierungsmaßnahme sollte auf den erarbeiteten Erkenntnissen aufbauend eine entsprechende Nachsorge- und Wartungsplanung erfolgen. Fazit Das »Dilemma der Moderne in der Denkmalpflege« stellt sich zweifellos in den miteinander konkurrierenden Polen des Substanzwerts und des Schauwerts dar. Das erwähnte Gegensatzpaar lässt sich auch mit den Begriffen »Substanzerhalt« und »Rekonstruktion« paraphrasieren. Wie erläutert kann aber auch eine zunächst paradox anmutende Synthese versucht werden, die die konservatorischen bzw. restauratorischen Grundlagen, Methoden und Techniken einer »substanzerhaltenden Rekonstruktion« in sich vereint. Die Übergänge zwischen Stadien der Konservierung, Instandsetzung und Reparatur bis zum Materialaustausch und zur teilweisen oder vollständigen Wiederherstellung »ex novo« sind bekanntlich auf jeder Denkmalbaustelle fließend. Die Akzeptanz dieser Maßnahmen steigt und fällt mit der tatsächlichen oder vermeintlichen Kenntnis um das Verlorene und den davon abgeleiteten Ansprüchen an das Ergebnis einer Rekonstruktion. Es dürfte zunächst entscheidend sein, dass bei jeder Ergänzung bzw. Rekonstruktion eine materialästhetische Kohärenz der ursprünglich verwendeten Materialien zu wahren und, nur wo nötig, wiederherzustellen ist. Unweigerlich
knüpft sich daran die Frage nach der fachlichen Kompetenz und der davon abgeleiteten Deutungshoheit der am Wiederherstellungsprozess Beteiligten – Eigentümer, Denkmalpfleger, Architekten, Bauforschern, Restauratoren und Handwerker, um nur die wichtigsten zu nennen – und schließlich die Frage nach den damit unweigerlich verbundenen gruppendynamischen Prozessen an, die sich – im wahrsten Sinn des Worts – »maßgeblich« in der Qualität des Ergebnisses niederschlagen. Der von Denkmalpflegern und Restauratoren geteilte Wunsch einer »Nachschöpfung« oder »Neuschöpfung« in Form einer materialidentischen Rekonstruktion eines oft genug nur in geringen Fragmenten greifbaren Originals geht, um ehrlich zu sein, immer noch viel zu häufig in Haftungsfragen, Kompetenzgerangel und subjektiven Einflussnahmen von unterschiedlichen Seiten unter, weshalb das Ergebnis in vielen Fällen schonungslos als »Zufallsprodukt« bezeichnet werden muss. Die damit in Gang gesetzte Kette der Verluste an historischer Information wird so bei jedem neuen Eingriff fortgesetzt und etwaige Defizite an technischem Können der Ausführenden zusätzlich verstärkt. Um der Gefahr des drohenden Substanzund damit dem Wissensverlust entgegenzuwirken, haben Denkmalpfleger, Bauforscher und Restauratoren seit den 1970er-Jahren Konzepte und Methoden entwickelt, um das Ziel einer substanzschonenden Wiederherstellung bereits verlorener Zustände »auf dem Papier« oder digital und, wo vertretbar, am Bau zu erreichen. Natürlich wird die Rekonstruktion heute als zeitgebundene und damit korrigierbare Hypothese und Interpretation definiert und gleichzeitig mit der Notwendigkeit einer Wiedergewinnung verlorenen Wissens und dem Versuch einer kritischen Überlieferung verbunden. Zwei
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Stoßrichtungen scheinen für die Rekonstruktion von Architekturoberflächen entscheidend zu sein: die Notwendigkeit der Festlegung einer konservatorisch vertretbaren wie auf andere Fälle übertragbaren Strategie für eine mit dem Originalfragment verträgliche wie materialidentische Rekonstruktion, die soweit als möglich auch reversibel sein sollte. Dies nicht zuletzt, um später Nachuntersuchungen unter konzeptionell anders strukturierten und gerätetechnisch verbesserten Untersuchungsbedingungen vornehmen zu können und um schließlich neue Hypo-
thesen der Rekonstruktion bei einer wiederholten Instandsetzung umsetzen zu können. Die Qualität der so konservierten und analog zur Struktur, Textur und Faktur des Bestands ergänzten und wiederhergestellten Architekturoberfläche sollte darüber hinaus dem Betrachter eine plausible Wahrnehmung der rekonstruierten Oberflächeneigenschaften besonders im Alterungsprozess ermöglichen. Will man Putze und Anstriche nach Hammer [10] als »interface« oder als »Informationsschnittstelle« zum Betrachter definieren,
so tragen diese somit in erster Linie als »Benutzeroberfläche« mit ihren Material-, Werk- und Altersspuren auch zur »Wahrhaftigkeit« einer Rekonstruktion bei. Das Surrogat, die vielleicht täuschend echte »Nachempfindung«, die eine »Anmutung« der Oberflächeneigenschaften des Vorbilds ohne dessen material- und werktechnischen Qualitäten aufgreift, wird spätestens auf den zweiten Blick, dann, wenn es um das »Auseinanderaltern« oder »anders geartete Altern geht«, entlarvt, was zu einer umso größeren »Enttäuschung« des Betrachters beiträgt.
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9b Konservieren statt restaurieren?
Im Gegensatz zu den hier ausgiebig erläuterten Aspekten von Qualitätsansprüchen an Untersuchung, Konservierung bzw. Restaurierung und schließlich Rekonstruktion von Farbkonzepten der Moderne sei an dieser Stelle aber auch auf eine gleichermaßen zu bedenkende denkmalpflegerische Methode verwiesen: der Konservierung des vorgefundenen oder »Ist-Zustands«, von »gewachsenen Zuständen« sowie von »Zeitspuren«. Anlässlich der Instandsetzung des Dessauer Meisterhauses Muche /Schlemmer (Abb. 8 a, b, S. 77) zeigte die Diskussion um die mögliche Präsentation diachroner historischer Zeitschichten bzw. das Belassen von Um- und Überformen, welche die Rezeption der Bauhausbauten im Dritten Reich hätten dokumentieren sollen, die Grenzen des praktisch Umsetz- und Darstellbaren auf, wie auch die (noch?) mangelnde Akzeptanz und Toleranz der (Fach-)Öffentlichkeit [11]. Auch die seit 2006 geführte Diskussion um die »städtebauliche Reparatur« bzw. das »Schließen« der durch die Zerstörung der Villa Gropius und der Meisterhaushälfte Moholy-Nagy entstandenen »städtebaulichen Lücke« durch ihre Rekonstruktion kann in diesem Zusammenhang – trotz des durchaus gelungenen Siegerentwurfs von Bruno Fioretti Marquez Architekten – nur als verpasste Gelegenheit verstanden werden. Mit dem Erhalt des sogenannten Hauses Emmer, dem banalen Beispiel des mit einem Satteldach gedeckten »deutschen Musterhauses«, erbaut auf dem bis auf das Kellergeschoss zerstörten Villa Gropius, hätte die einmalige denkmalpflegerische Gelegenheit bestanden, neben den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs ein Dokument der Kontinuität und Diskontinuität des Bauhauserbes in der jungen DDR am Originalstandort durch reine Konservierung des überkom78
menen Zustands zu erreichen [12]. Die Tilgung von Geschichtsspuren bei gleichzeitig materialähnlichen oder materialidentischen Rekonstruktionen, die durchaus den konservatorischen Anforderungen in Bezug auf das Original weitestgehend gerecht werden, scheint vor allem bei der im März 2012 abgeschlossenen Instandsetzung des Hauses Tugend hat in Brünn einen neuen Höhepunkt erreicht zu haben (Abb. 9 a, b). Die vollständige Rekonstruktion des verlorenen wie des in Museen und Privatbesitz befindlichen Mobiliars und der Neuwert der Oberflächen suggeriert einen Zustand, den die Familie Tugendhat vermutlich bei ihrem Einzug in das Haus vorgefunden hat. Die Geschichte von Flucht und Emigration der Familie, von Plünderung, Teilzerstörung und Umnutzung des Hauses wird hingegen zur Fußnote degradiert. Als bestürzend erwies sich in den zuvor genannten denkmalpflegerischen Diskussionen, dass vor allem die Jahre während des Zweiten Weltkriegs (1933 –1945) sowie die Nachkriegszeit (1945 –1961) noch unzureichend im Blickfeld systematischer mal- und materialtechnischer wie restaurierungsgeschichtlicher Forschungen zu stehen scheinen. Heute, nach nahezu 20 Jahren Beschäftigung und Erfahrungen mit einer möglichen und langzeiterprobten »Konservierung der Moderne«, lässt sich aber dennoch der schon 1997 bei der gleichnamigen ICOMOS-Tagung in Leipzig von HPC Weidner formulierte kategorische Imperativ mit Fug und Recht erneut vortragen: »Denkmale der Moderne sind zu behandeln wie jedes andere Denkmal auch.« [13] (Abb. 10) Anmerkungen: [1] bzw. »Farbige Architektur«, »Architekturfarbigkeit«, »Polychrome Architektur«, »Architekturpolychromie«, »Farbiges Bauen« etc. [2] Rüegg, Arthur: Farbkonzepte und Farbskalen in der Moderne /Colour Concepts and Colour Scales
in Modernism. In: Daidalos, 1994, Nr. 51, S. 66 –77 [3] Promotionsrecht besteht in Dresden, München und Stuttgart: Hochschule für Bildende Künste Dresden, Studiengang Kunsttechnologie, Konservierung und Restaurierung von Kunst- und Kulturgut; Technische Universität München, Lehrstuhl für Restaurierung, Kunsttechnologie und Konservierungswissenschaft; Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart; Im Folgenden Studiengänge ohne Promotionsrecht: Fachhochschule Erfurt, Fachbereich Konservierung und Restaurierung; HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Fachhochschule Hildesheim /Holzminden /Göttingen, Fakultät Erhaltung von Kulturgut, entstanden aus dem Fachbereich Konservierung und Restaurierung; Fachhochschule Köln, Institut für Restaurierungs- und Konservierungswissenschaft; Fachhochschule Potsdam, Fachbereich Architektur und Städtebau/Studiengang Restaurierung [4] Kobler, Friedrich; Koller, Manfred: Farbigkeit der Architektur. In: Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte, Band VII, Lieferung 1974 /75, Spalte 274 – 275 [5] ebd., Spalte 275 [6] Stiftung Bauhaus Dessau (Hrsg.): Umgang mit Bauten der Klassischen Moderne 2: Sanierung von Oberflächen, Beiträge des Kolloquiums am 15. Dezember 2000. Dessau 2001 [7] Danzl, Thomas: Rekonstruktion versus Konservierung? Zum restauratorischen Umgang mit historischen Putzen und Farbanstrichen an den Bauhausbauten in Dessau. In: Denkmalpflege in Sachsen-Anhalt, 7. Jg., 1999, Heft 1, S. 100 –112; ders.: Restaurator und Denkmalpfleger – Zusammenarbeit bei der Sicherung von Architekturoberflächen. In: 70. Tag für Denkmalpflege. Vom Nutzen und Nachteil der Denkmalpflege für das Leben, Fachtagung Denkmalbestand und Denkmalbetreuung. Jahrestagung der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in der Bundesrepublik Deutschland vom 17. – 21. Juni 2002 in Wiesbaden, Arbeitshefte des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen, Band 4. Stuttgart 2003, S. 137–140; ders.: Zur Konservierung, Restaurierung und Rekonstruktion von Architekturoberflächen am Doppelhaus der Bauhausmeister Georg Muche und Oskar Schlemmer in Dessau. In: Gebeßler, August (Hrsg.): Gropius. Meisterhaus Muche / Schlemmer. Die Geschichte einer Instandsetzung, Reihe »Baudenkmale der Moderne« der Wüstenrot Stiftung. Stuttgart 2003, S. 152 –182 [8] Hammer, Ivo: Bedeutung historischer Fassadenputze und denkmalpflegerische Konsequenzen. Zur Erhaltung der Materialität von Architekturoberfläche (mit Bibliografie und Liste von Konservierungsarbeiten). In: Pursche, Jürgen (Hrsg.): Historische Architekturoberflächen. Kalk – Putz – Farbe / Historical Architectural Surfaces. Lime – Plaster – Colour (Internationale Fachtagung des Deutschen Nationalkomitees von ICOMOS und des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege, München 20. – 22. November 2002, Hefte des Deutschen Nationalkomitees XXXIX). München 2004, S. 183 [9] Wüstenrot Stiftung (Hrsg.): Häuser der frühen Moderne. Ein Netzwerk allgemein zugänglicher Baudenkmale. Ludwigsburg 2007
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9 a Villa Tugendhat, Brünn (CZ) 1928 –1930, Ludwig Mies van der Rohe b Perfekter, vielleicht zu perfekter Zustand des restaurierten Innenraums der Villa. 10 Liederhalle, Stuttgart (D) 1955/56, Adolf Abel und Rolf Gutbrod. Südwest-Ansicht des Mozartsaals vom Berliner Platz aus. Im Sinn des organischen Bauens (nach Hugo Häring) sollten sich die Fassadenmaterialien (Quarzit, Marmor, Klinker) der Komposition von Blasius Spreng ästhetisch voll entfalten können und dennoch in ein großes Ganzes einfügen. Die einfühlsame, den »Alters- wie Kunstwert« achtende Instandsetzung vor allem der Sichtbetonoberflächen (1987–1990) kann als wegweisend gelten.
Huse, Norbert (Hrsg.): Mendelsohn. Der Einsteinturm. Die Geschichte einer Instandsetzung, Reihe »Baudenkmale der Moderne« der Wüstenrot Stiftung. Stuttgart 2000 Burkhardt, Berthold (Hrsg.): Scharoun. Haus Schminke. Die Geschichte einer Instandsetzung, Reihe »Baudenkmale der Moderne« der Wüstenrot Stiftung. Stuttgart 2002 Gebeßler, August (Hrsg.): Gropius. Meisterhaus Muche/Schlemmer. Die Geschichte einer Instandsetzung, Reihe »Baudenkmale der Moderne« der Wüstenrot Stiftung. Stuttgart 2003 Adlbert, Georg: Le Corbusier/ Pierre Jeanneret. Doppelhaus der Weißenhofsiedlung Stuttgart. Die Geschichte einer Instandsetzung, Reihe »Baudenkmale der Moderne« der Wüstenrot Stiftung. Stuttgart 2006 Wüstenrot Stiftung (Hrsg.): Weißenhof Museum im Haus Corbusier/Weißenhof Museum in the Le Corbusier House. Ludwigsburg /Zürich 2008
Markgraf, Monika; Oelker, Simone; Schwarting, Andreas (hrsg. von der Wüstenrot Stiftung): Denkmalpflege der Moderne. Konzepte für ein junges Architekturerbe. Stuttgart 2011 Adlbert, Georg: Der Kanzlerbungalow. Erhaltung, Instandsetzung, Neunutzung. Ludwigsburg / Zürich 2010 [10] wie Anm. 8 [11] Gebeßler, August: Zur Auseinandersetzung um ein Instandsetzungskonzept. In: Gebeßler, August (Hrsg.): Gropius. Meisterhaus Muche / Schlemmer. Die Geschichte einer Instandsetzung, Reihe »Baudenkmale der Moderne« der Wüstenrot Stiftung. Stuttgart 2003, S. 85 – 99 [12] Markgraf, Monika: Rekonstruktion? Das GropiusHaus in Dessau. Vortrag anlässlich des Symposiums »Nachdenken über Denkmalpflege (Teil 6)«: »Denkmale nach unserem Bild? Zu Theorie und Kritik von Rekonstruktion«, Bauhaus Dessau, 31.03.2007, veröffentlicht in: www.kunstexte.de
(e-journal on Visual and Art History), 3/2007. edoc.hu-berlin.de/kunsttexte/2007-3/markgrafmonika-6/PDF/markgraf, Stand 14.06.2013; Schwarting, Andreas: Aura und Reproduktion. Anmerkungen zum Haus Gropius in Dessau, veröffentlicht in: www.kunstexte.de (e-journal on Visual and Art History), 3 /2007. edoc.hu-berlin. de/kunsttexte /2007-3/schwarting andreas -5 / PDF/schwarting, Stand 14.06.2013 [13] Weidner, HPC: Bauten der Moderne der Zwanziger Jahre in Sachsen-Anhalt. In: Konservierung der Moderne?/Conservation of Modern Architecture? Über den Umgang mit den Zeugnissen der Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts (Eine Tagung des Deutschen Nationalkomitees von ICOMOS mit der denkmal ’96, der europäischen Messe für Denkmalpflege und Stadterneuerung, Leipzig 31.10. – 02.11.1996), ICOMOS-Hefte des Deutschen Nationalkomitees XXIV. München 1998, S. 115 –121
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Architekturfarbigkeit der 1970er-Jahre in Berlin und Zürich – zur Geschichte der Farbkultur für den Umgang mit Farbe in Gegenwart und Zukunft
AnneMarie Neser
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Architektur nimmt Bedürfnisse der Gesellschaft nach Möglichkeit unmittelbar auf. Sie reagiert auf aktuelle Erfordernisse ebenso wie auf Schwierigkeiten oder Missstände. Ähnlich verhält es sich mit der Architekturfarbigkeit. Die Erforschung der Architekturpolychromie etablierte sich in den 1960- und 1970er-Jahren. Dabei handelte es sich um eine Wiederaufnahme des Farbdiskurses, der bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts erfolgt war, verbunden mit städtebaulichen und politischen Debatten und einem Nachdenken über das Verhältnis von Architektur und Geschichte. Das Ende der 1960er-Jahre wie auch der Anfang der 1970er-Jahre gelten als durchweg sehr bewegte Zeit: Vietnamkrieg, Studentenrevolten, Mondlandung und Ölkrise sind nur wenige Schlaglichter, die diese Auf- und Umbruchszeit kennzeichnen. Sehnsüchte nach einer offeneren Gesellschaft, nach grundlegenden Veränderungen prägten das Alltagsgeschehen. Passend dazu schwappte aus den USA und Großbritannien eine Pop-Art-Welle nach Mitteleuropa – eine Alles-ist-möglich-Haltung, die aus dem Alltäglichen das Fantasievolle machte und das Experimentelle suchte. Ein neuer Sinn für Farbe, farbliche Intensitäten und
Atmosphären verlangte nach Form, etwa in den farbgewaltigen Wohnwelten des dänischen Designers Verner Panton, der aus Dralonfasern aufsehenerregende Zukunftsvisionen kreierte [1]. Neue Produktionsweisen, technische Möglichkeiten wurden erforscht und gegebenenfalls experimentell eingegliedert, alternative Materialanwendungen erkundet, ihr Potenzial ausgelotet. Insbesondere die Architektur der 1970er-Jahre gibt diesbezüglich beredt Auskunft. Bebauungen wurden im Innern und Äußeren durch den Einsatz von Farbe bereichert. Auf Basis dieser Mixturen entstand eine ganz spezielle Melange, die wiederum Ausdruck einer epochentypischen Farbigkeit war. Verschiedene Zeiträume bilden je eigene Farbidentitäten aus und visualisieren in der Stadt oder auf dem Land architekturgeschichtliche Zyklen, welche die Stadtlandschaft durch ihre Farbigkeit formen und stadtspezifische Atmosphären schaffen [2]. Sie sind ein wesentlicher Beitrag zu den unterschiedlichen Charakteren der Städte [3]. Der Architekturhistoriker Julius Posener thematisierte in seinen Vorlesungen immer wieder das genaue Hinsehen und forderte stets eine individuelle Wachheit gegenüber dem Gegenstand ein [4].
Diese individuelle Wachheit setzt ein Vertrauen in die eigenen Sinnesorgane voraus. Die Wahrnehmung ist keineswegs frei, sie wird von Systemen gelenkt, die auf vorgeprägtem Wissen basieren und den Erwartungshorizont konstituieren. Das Beobachtungsfeld ist im Vorhinein begrenzt und abgesteckt. Der Mensch sieht, was ihm bekannt ist und was er erwartet. Eine veränderte Wertung oder auch Würdigung einer bekannten Situation ist erst möglich, wenn die Begrenztheit der eigenen Beobachtungsgabe bewusst gemacht und die Wahrnehmung für eine Erweiterung geöffnet wird. Neben der Betrachtung spielt folglich das Thema Bewertung eine Rolle. Jede Entscheidung zum Erhalt eines Bauwerks basiert auf gesellschaftlichen Vereinbarungen. Es stellt sich beharrlich und unaufhörlich immer wieder die Frage, welche Bedeutung das Bauwerk für die Gegenwart hat. Sie entscheidet sich in der Rezeption – und hier findet ein Wechselbad von Wertungen und Neubewertungen statt. Was beispielsweise ein Baudenkmal ausmacht, beruht auf einer Verständigung darüber, was im gesellschaftlichen Gedächtnis bewahrt werden soll. Besonders prekär ist dies im Hinblick auf die Erhaltung der Architekturobjekte der
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Finanzamt in Berlin-Reinickendorf (D) 1974, Rainer Gerhard Rümmler Eingangsbereich und Poststelle im Erdgeschoss des Finanzamts Der Fahrstuhl lädt ein zum Entdecken des Gebäudes. Das nächste Stockwerk bevorzugt Grün. Symbolfiguren weisen den Weg zum Sanitärbereich. wegweisende Ecksituation im Flurbereich
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Vorgängergeneration. Hier tritt oftmals ein Generationenkonflikt auf. Trotz aller Verfahren und Schutzbestimmungen wird häufig relativ schnell entschieden, ein Gebäude abzureißen oder grundlegend umzugestalten, und dies, ohne das Objekt einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Vielleicht sind es die wirtschaftlichen und auch ökologischen Gesichtspunkte, die inzwischen vorrangig positioniert sind. Meist fehlt es an der Kenntnis und vor allem an der Zeit, ein Verständnis für das jeweilige Objekt und den Ort zu entwickeln. Doch das genaue Hinsehen eröffnet immer wieder Möglichkeiten, Auffassungen zu überprüfen, infrage zu stellen, gegebenenfalls zu revidieren und den Blick für neue Aspekte der visuellen Erfahrung zu öffnen, etwa die Vielfalt und Differenziertheit von Oberflächen oder das Spiel des Lichts. Das bedeutet, eben nicht in die Falle der selektiven Wahrnehmung zu gehen, sondern sich unvoreingenommen auf das Objekt einzulassen, es exakt visuell zu erforschen: nicht nur bei Farbe und Architektur ein reizvolles und manchmal auch sehr überraschendes Unterfangen. Es kann gelingen, die Variationsbreite des Stadtraums zu erweitern: Vielfalt und
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nicht Eintönigkeit, Ablesbarkeit der städtischen Entwicklung und nicht Gleichmachung. Dies hat nichts mit Gefallen oder Vorlieben zu tun, sondern mit einer grundsätzlichen Akzeptanz unterschiedlicher Haltungen zur Geschichte, zum Stadt- und/oder Landschaftsraum. Selbst wenn es vielleicht manchmal schwerfällt, eine bestimmte Form oder Gestaltung eines Gebäudes zu akzeptieren, so sollte der Fokus doch immer darauf gerichtet sein, dass dies unter Umständen ein typischer Vertreter einer bestimmten Epoche ist und damit Träger bedeutsamer Informationswerte [5]. Nur im Zusammenspiel aller Komponenten wird das Bauwerk gut funktionieren. Werden einzelne Teile verändert, verliert das Gesamtbild seine durchkomponierte Wirkung. Dieser Beitrag legt den Fokus auf die Architektur der 1970er-Jahre. Die Bauten stehen mittlerweile kurz vor der Instandsetzung und Modernisierung, oder es droht sogar der Verlust durch Abriss. Die Erfahrung zeigt, dass Sanierungsmaßnahmen vielfach zum Verlust wesentlicher Details führen, etwa der typischen Farbgebung, die zwischenzeitlich oftmals fremd und unverständlich geworden ist. Doch an dieser Stelle ist Vorsicht gebo-
ten, denn die Farbigkeit ist konstitutiver Bestandteil der Architektur, und ihr Verlust kann die Gesamtwirkung des Gebäudes nachhaltig beeinträchtigen. Orientiert man sich am Zeitgeschmack und legt ein aktualisiertes Farbgewand über das Gebäude, wird die Ästhetik der Entstehungszeit entscheidend gestört. Farbe funktioniert im Kontext, ein gelungenes Farbkonzept erweitert und deutet die Architektur, verleiht ihr eine zusätzliche inhaltliche Ebene. Sie ist ein Grundstoff des architektonischen Entwurfs [6]. Ganz im Unterschied zu den inzwischen kanonisierten Bauten der 1920er-Jahre, etwa denen eines Bruno Taut oder Le Corbusier, gibt es gegenwärtig nur einen kleinen Zirkel von Fachleuten, der sich um ein breiteres Verständnis für die Bauten der 1970er-Jahre und ihre Gestaltung bemüht und der für künftige Baumaßnahmen entsprechende Planungsgrundlagen schafft. Sich diesen Bauten unvoreingenommen betrachtend zuzuwenden, sie aufmerksam zu erfassen, sich auf die Fülle an Details einzulassen und das Potenzial des Bauwerks zu erschließen – dies geschieht im Folgenden exemplarisch an zwei beredten Beispielen aus Berlin und Zürich.
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7 Stattliche Sitznischen strukturieren den Raum. 8 Treppenhaus mit farblich betonter Materialvielfalt 9 Treppenaufgang: Sichtbeton, Holz und Kunststein im Einklang 10 Berufsschule für Detailhandel an der Zürcher Niklasstraße (CH)1973, Esther und Rudolf Guyer 11 Haupteingang der Berufsschule außen 12 Fassade der Berufsschule mit Fluchttreppenhaus
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Berlin, Finanzamt Reinickendorf – die Überraschung in Abstufungen Kompakt ineinander verschachtelte Rechtecke, an manchen Kanten weich abgerundet, an anderen scharf konturiert. Horizontale Schichtungen, vertikale Streifen, das Ganze acht Stockwerke hoch. Ganz oben prangt in gelbstichigem Orange und aus der Ferne gut sichtbar die Hausnummer »208« (Abb. 1, S. 80). Darunter Fassadenflächen in Braun, Anthrazit und Beige. An den Schmalseiten Rundtürme mit applizierten rechteckigen Flächen in Hellbeige, Fenster beherbergend. Das Braun elegant um die Türme gelegt, Anthrazit und Beige abwechselnd über die Fläche verteilt. Ein Orangeton feingliedrig aufgereiht an den Fensterbändern, auch an notwendigen Lüftungsrohren oder Zugangstüren. Betritt man das Gebäude, steigert sich der Farbeindruck. Die Rezeption in knalligem Rot, direkt daneben eine leuchtend gelbe Eingangstür zum Poststellenbereich (Abb. 2, S. 80). Das Türblatt mit rot-schwarzen Ornamenten wie Graffitiarbeiten des früh verstorbenen Künstlers Keith Haring (Abb. 2, S. 80). Signalhaft in Rot getaucht lockt der Fahrstuhl zur Erkundung höher gelegener Stockwerke. Achtungsgebietende weiße Pfeile be-
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zeichnen die jeweilige Fahrtrichtung (Abb. 3, S. 81). Auf einer Etage angekommen führen Wiederholungen der Pop-Art-Türen der Poststelle in vielfarbige Erschließungsräume. Etagenweise variiert wird ein klares Grün mit Sonnengelb und roten Akzentuierungen oder ein Rot mit einem Mittelblau und grünen Detailflächen; die Farbflächen sind durch schwarze Begleitstreifen voneinander getrennt (Abb. 4, S. 81). Zwischen gelben Wänden platzierte rote oder schwarze Türblätter mit lebensgroßen menschlichen Symbolfiguren in Weiß beschildern Sanitärbereiche (Abb. 5, S. 81). Weitere grafische Elemente beleben die Wände: achteckige Hinweistafeln, Beschriftungen, Pfeile. Vielfach tauchen runde Formen auf, die von farbigen Wandflächen umflossen werden. Die Farbkraft der sich anschließenden Büroflure erscheint beruhigt, wenn auch grafisch belebt (Abb. 6, S. 81). Ein heller Sandton für die Wände, ein darüberliegender gelber Wandstreifen dient zugleich als Wegweiser. Das Gelb kehrt in den Türrahmen wieder, die Türblätter selbst tragen die jeweilige Geschossfarbe des Erschließungsraums, also ein Blau oder ein Grün. Kontrastierend abgesetzt sind die Türbeschläge. Es entfaltet sich
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ein Kosmos, der zunächst den Eindruck des Ungeregelten, des Rauschhaften, des Farbgewaltigen provoziert. Die Innenräume dieses Finanzamts überwältigen den überraschten Besucher mit ihrer Farbkraft. Der aufmerksame Gast wird zur Entdeckung verführt, zum Blick um die nächste Ecke verlockt. Ganz oben befindet sich die Kantine, unverkennbar beschriftet in Schwarz auf Gelb. Im Speiseraum geben ein kraftvolles Ockergelb und Braun die Tonlage vor. Das Ockergelb umzieht die Wände und den Rahmen des ausgeklügelten Deckenkonstrukts. Diesem Farbton antwortet bestimmend ein Braun. Vier voluminöse Sitznischen, die in den Raum eingreifen, unterteilen den Saal (Abb. 7). Orangefarbene Hängeleuchten, über den Tischen platziert, erscheinen wie von der Decke fallende Erhellungen des Arbeitsalltags. Sie separieren und akzentuieren die Raumeinschnitte und lassen im Verbund mit Sitznischen Assoziationen an ein Schiffsdeck aufkommen. Wieder im Treppenhaus herrscht eine Farbruhe mit präziser Intensität: fein gearbeiteter Rauputz an den Wänden, Kunststein auf dem Fußboden und ein Sichtbetongeländer mit einem Handlauf aus edlem Holz (Abb. 8). Dies eingebunden in einen Farbverlauf
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aus Braun, Grau, Schwarz und einem sandfarbenen warmen Grünton. Der Kühle des Sichtbetons und des Kunststeins antwortet der intensive Sandton der Wandflächen wie auch die haptisch spürbare Wärme des hölzernen Handlaufs (Abb. 9). Die Sinne können vorübergehend innehalten. Sich zwischen den Stockwerken zu bewegen, heißt auch, sich fallen zu lassen, jedoch ohne die Orientierung zu verlieren. Rote Hinweisschilder mit leuchtend gelben Zahlen liefern unverkennbar die notwendige Information. Zürich, Berufsschule für Detailhandel im Quartier Unterstrass Eine klar strukturierte Baumasse mit streng vertikaler Gliederung liegt direkt an der verkehrsreichen Niklausstraße (Abb. 10). Senkrechte Fassadenelemente führen vom Erdgeschoss bis zum Dach. Sie unterteilen die Fassade in asymmetrische Feldstreifen, die wiederum stockwerksweise horizontal gegliedert sind. Der markante sechsgeschossige Klassentrakt wird ergänzt von niedrigeren Gebäudeteilen mit Sonderräumen und der Turnhalle. Esther und Rudolf Guyer, die Architekten des von 1971 bis 1973 errichteten Schulgebäudes, verwende-
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ten für diesen Bau speziell entwickelte Betonelemente, die mit ihrer Materialität zugleich die Oberfläche bestimmen (Abb. 11). An den Fassaden vorherrschend ist der Farbton des Sichtbetons ergänzt von den dunkler getönten Schrägen der Waschbetonbrüstungen (Abb. 12). Das Fluchttreppenhaus, das sich an der Giebelwand emporwindet, fügt ein warm gestimmtes Mittelbraun der Farbpalette hinzu. Der Materialfarbigkeit des Betons begegnen unterschiedliche Nuancen von Orangetönen, etwa als lasiert aufgetragener Farbstreifen an den Fassaden oder an Bauteilen wie Fenstern, Türen, auch Regenrinnen, Jalousien, Hinweisschildern und Außenleuchten. Die Ästhetik der vorfabrizierten Bauteile wird im Innern durch die zusätzliche Verwendung des Materials Kunststoff bereichert und zugleich kontrastiert, eingesetzt an Lampen, Vitrinen, Schautafeln, Wandbrunnen, Pausendächern und Schulmöbeln. Der kantigen Sichtbarkeit der Betonfertigteile werden vielfache Rundungen des Interieurs entgegengesetzt. Rohre in Orange separieren sich von der Decke, umrahmen Hinweisschilder oder Spiegelflächen. Auf den Fluren wird das Orange ergänzt von Gelb, Rot und Grün im Unter-
geschoss (Abb. 13, S. 84). Manchmal als charakterfester Streifen auf die Betonwand gesetzt, ein anderes Mal zum Rahmen der Tür oder als Auszeichnung von Signets und Hinweisschildern (Abb. 14, S. 84). Bauteile aus Kunststoff und Kunststein bilden immer wieder eine Gegenstimme zum Sichtbeton. Das umfassende Gestaltungskonzept hat der Schweizer Grafiker Hansruedi Scheller für das Büro Guyer entwickelt, eine unaufgeregte, wohlproportionierte Durchmischung von Gebrauchsgrafik und Kunst (Abb. 15, S. 84). Der Kontrapunkt der Rundungen wird auch im Außenbereich weiterverfolgt: in den weiten Schwüngen der Sitzbereiche und Treppengeländer, den gepflasterten Wegtrassen bis hin zum vollendeten Rund der Fluchttreppe. Die Betrachtung ausweiten – Sammeln von Spuren Das Finanzamt in Berlin-Reinickendorf und die Schule für Detailhandel in Zürich sind charakteristische Vertreter der 1970er-Jahre-Architektur mit zeittypischen Gestaltungsmerkmalen hinsichtlich Material und Farbigkeit. Die Gesamtkomposition der Bauten funktioniert im Zusammenwirken aller Komponenten. Schon geringfügige Umgestaltungen
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Architekturfarbigkeit der 1970er-Jahre
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13 grafische Wandgestaltung im Flurbereich der Schule 14 Farbe als Blickfang für die Tür zum Schulraum 15 grafische Wandgestaltung im Flurbereich 16 ehemaliger Transitübergang und Alliiertenkontrollpunkt Checkpoint Bravo in Berlin-Dreilinden (D) 1972, Rainer Rümmler und Hans Joachim Schröder 17 Eingangspavillon des U-Bahnhofs Fehrbelliner Platz in Berlin (D)1972, Rainer G. Rümmler 18 Ansicht des Restaurants »Bierpinsel« in Berlin (D) 1976, Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte
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beeinträchtigen das Erscheinungsbild. Beide Bauten offenbaren das Erfassen der Atmosphäre eines bewegten Jahrzehnts auf eine eigene Art und Weise. Die bei den Bauten teilweise sehr intensiv eingesetzte Farbigkeit basierte nicht zuletzt auf zahlreichen industriellen Neuentwicklungen. Zahlreiche Architekten reagierten darauf mit Experimentierfreudigkeit durch Verwendung neuer Materialien. Verführt zum Zeigen und Enthüllen legte man die Tragwerke und Versorgungssysteme frei. Ein berühmtes Beispiel dafür ist das Centre Georges Pompidou (1971–1977) in Paris, bei dem die Archi-
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tekten Renzo Piano und Richard Rogers die Ästhetik der nach außen verlegten technischen Konstruktion zugleich auch farblich präsentierten [8] (Abb. 2, S. 44). Das Finanzamt in Reinickendorf entspricht dem Stil seiner Zeit, besonders im Hinblick auf das farbenprächtige Arrangement im Innern. Das Gebäude wurde von 1970 bis 1974 von dem Architekten und Leiter der Entwurfsabteilung des Berliner Senats Rainer Gerhard Rümmler erbaut [9]. Im Rahmen seiner über mehrere Jahrzehnte währenden Tätigkeit entwarf er mehr als 150 Bauwerke. Dazu zählt beispielsweise der
1972 fertiggestellte Alliiertenkontrollpunkt Checkpoint Bravo (heute Raststätte Dreilinden) im Südwesten Berlins (Abb. 16). Das Fassadenrot wird ergänzt von blauen, gelben und grauen Akzenten, ein imposantes Pop-Art-Merkzeichen am ehemaligen Transitübergang. Ebenso der nach Fertigstellung kontrovers diskutierte und bis heute Aufmerksamkeit hervorrufende U-Bahnhof Fehrbelliner Platz in BerlinWilmersdorf (Abb. 17). Der in organischen Formen geschwungene Eingangspavillon steht mit seinem auffallenden und markanten Rot in anregendem Kontrast zur Strenge der den Platz begrenzenden Verwaltungsbauten der Gründerzeit und der Nazizeit. Schweifen die Gedanken weiter durch Berlin, so kommen verwandte Haltungen anderer Architekten in den Sinn. Es fällt der U-Bahnhof Schloßstraße in BerlinSteglitz auf, der von Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte 1974 gestaltet wurde [10]. Neben einer zeittypischen Formensprache stechen die verwendeten kraftvollen Bunttöne ins Auge: Blau, rot und gelb gefärbte Wand- und Deckenelemente charakterisieren die Bahnsteige in Verbindung mit Sichtbeton. Gleich benachbart das futuristische Wahrzeichen der Schloßstraße, das mit dem Spitznamen »Bierpinsel« leben muss (Abb. 18). Das auf einem schlanken Sockel ruhende Restaurant wurde ebenfalls von dem Architektenpaar Schüler und Schüler-Witte entworfen und in den Jahren von 1972 bis 1976 errichtet. Der auskragende, polygonale Turmaufbau, mit roten Stahlblechpaneelen verkleidet, kontrastiert zum naturgrauen Betonfuß. Nach einer farblichen »Überarbeitung« durch Graffitikünstler im Jahr 2010 soll das Restaurant nun wieder seine ursprüngliche karminrote Farbe zurückerhalten. Gestalterisch ebenfalls ein Kind seiner Zeit und aufgrund gegenwärtiger Schwierigkeiten in aller Munde: der Drive-
Architekturfarbigkeit der 1970er-Jahre
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in-Flughafen Berlin-Tegel. Gerkan, Marg und Partner hatten 1974 einen gut organisierten sechseckigen Infrastrukturring geplant. Die Fassade gliederten ganz à jour orangebraune Aluminiumpaneele, im Innern wurden zeitgemäß senfgelbe Sitzgruppen auf braunem Klinkerboden arrangiert [11]. Einer übergroßen Pop-Art-Skulptur ähnlich zieht ein Bauwerk am Landwehrkanal im Berliner Tiergarten die Aufmerksamkeit auf sich: der Umlaufkanal der ehemaligen Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffbau (Abb. 19, S. 86). Das Bauwerk, oder vielleicht besser gesagt: die auffallende Maschine, wurde zwischen 1968 und 1975 von Ludwig Leo konstruiert [12]. Die äußere Form ist aus der Aufgabe entwickelt, die bestimmenden Bauteile sind farblich inszeniert; im oben aufsitzenden Gebäudeteil finden die Strömungsexperimente statt, im darunter platzierten Rohr sitzt eine Turbine, die den Wasserkreislauf antreibt. Die gewaltige Röhre wurde in kräftigem Rosa gestrichen, das darüber sitzende kantige Laborgebäude in sattem Blau. Dieser Klang aus zwei Farben wird ergänzt von schwarz gerahmten Fensterbändern und einem grün gestrichenen Schornstein. Der übliche Erwartungen sprengende Bruch zwischen Farbeinsatz und Aufgabe weckt Neugierde und macht Lust, sich dem Bauwerk zu nähern und gründlich zu erkunden, was dahintersteckt. Unerwartete und aus dem Stadtraum hervorstechende skulpturale Großformen sind auch in Zürich zu entdecken. Direkt an der Autobahnauffahrt gelegen hat der Schweizer Architekt Theo Hotz zwischen 1972 und 1978 das Fernmeldezentrum Herdern erbaut (Abb. 20, S. 86). Vor der kompakten und streng funktional gegliederten Aluminiumfassade positionierte er überdimensionierte Lüftungsrohre in Orange und Gelb, deren Gestaltung sogleich eine gedankliche Verknüpfung
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zu Lüftungsrohren alter Dampfschiffe herstellen. Die in unterschiedliche Richtungen geneigten Röhren wirken wie Kundschafter oder stille Zeugen des brausenden Autoverkehrs. Folgt man in Zürich weiter den Spuren der 1970er-Jahre, stößt man auf das 2011 umfassend wieder instand gesetzte Sozialzentrum Dorflinde in Zürich-Oerlikon. Es ist mit seinen verputzten Bauten in Gelb, Orange und Braun ein Beispiel für eine repräsentative Zentrumsüberbauung aus den 1970er-Jahren. Das Ensemble wurde von 1973 bis 1977 von den Architekten Marc Funk und Hans Ulrich Fuhrimann erbaut und zeigt charakteristische Merkmale der 1970er-Jahre Architektur, neben der auffälligen Farbigkeit etwa die nachdrückliche Zurschaustellung der Bauteile. Bei der Sanierung der Geschossüberbauung wurde die äußere typische Gestaltung der Bauten beibehalten, die ursprünglichen Farben verstärkt. Architekten wie auch die am Bau beteiligten Künstler haben bei der Instandsetzung den Bezug zur Entstehungszeit des Bauensembles bewusst wiederbelebt [11]. Innerhalb der 1977 erbauten Siedlung Buchholz im Zürcher Quartier Witikon wird der Farbe ebenfalls ein besonderer gestalterischer Stellenwert zugemessen (Abb. 21, S. 87). Einfallsreich sind die nahezu identischen Einfamilienreihenhäuser in der Buchzelgstraße mit metallverkleideten Fassadenteilen in den Farben Blau, Grün, Gelb, Orange oder Rot belebt. Jeder Hausbesitzer konnte aus der RAL-Farbenpalette eine Farbe auswählen. So entstand durch die gewissermaßen regellose Mischung ein die gesamte Siedlung durchziehender kontrastreicher Farbverlauf. Umgeben vom Grün der Anpflanzungen entstehen je nach Jahreszeit verschiedenartige reizvolle Farbklänge. Noch ein letztes Beispiel der 1970er-Jahre-Architektur sei mit dem Kindergarten an der Sihlweidstraße
in Zürich-Leimbach erwähnt. Dem Verkehr abgewandt und betont geschützt in einer Senke unterhalb der Straße gelegen ist der Bau im Jahr 1975 von den Architekten Hans Müller und Peter Nietlispach errichtet worden. Das formale Spiel zwischen Rundungen und klaren kubischen Formen wird farblich bekräftigt. Ein hellbeiger Fassadenfarbton arrangiert sich mit einem frischen Olivgrün, das unterhalb der Dachlinie und den Fensterbrüstungen aufgetragen ist und den eingeschossigen Flachbau umgibt. Einzig im Zugangsbereich setzt Orange kontrastreiche Akzente und offenbart auf diese Weise zugleich den Zweck des Gebäudes (Abb. 22, S. 87). Farbe leitet und offenbart Zusammenhänge Die Verwendung von Farbe unterstützt die Erkennbarkeit der Funktionalität der Bauten. So wirken etwa die Räume bei Rainer Gerhard Rümmler wie auch Esther und Rudolf Guyer einladend, auch unterhaltsam und überraschend. Die Bauten zeichnen sich durch eine neue Opulenz der Farbverwendung aus: die Besonderheit der Farbe im Innen und Außen, das gekonnte Verschmelzen von Farbe und Form, die nicht ausschmücken wollen, sondern sich gegenseitig bedingen. Farbe ist kein oberflächlicher Auftrag, man kann sie nicht abwaschen ohne Verlust. Farbe modelliert, formt, separiert, klärt und führt. An diesen Orten fühlt sich der Besucher willkommen, biegt neugierig ein in die von Farbe durchströmten Räume und Flure und erhält wie nebenbei zweckmäßige Informationen, die der Orientierung dienen. Funktionale Konsequenz wird verknüpft mit Offenheit, Heiterkeit und Lebensfreude, eine Begrifflichkeit, die bereits bei der Farbenwelle der 1920er-Jahre häufig angeführt wurde. Letztlich war es nach dem Zweiten Weltkrieg auch wieder ein klares Bekenntnis 85
Architekturfarbigkeit der 1970er-Jahre
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19 Umlaufkanal der ehemaligen Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffbau in Berlin (D) 1975, Ludwig Leo 20 Fernmeldezentrum in Zürich-Herdern (CH) 1978, Theo Hotz 21 Eingangsbereich des Kindergartens in der Zürcher Sihlweidstraße (CH)1975, Hans Müller und Peter Nietlispach 22 Fassadengestaltung in der Siedlung Buchholz in Zürich (CH) 1977
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zur Farbe, dem dann kurze Zeit später die Postmodernde gefolgt war. Die Wahrnehmung einmal auf diese Objekte ausrichten, die ansonsten zum Alltag gehören, Bauten, an denen wir täglich vorbeigehen oder sie sogar häufig nutzen – ohne sie jemals genau anzusehen. Oftmals sind es nur farbliche Impressionen, Sinneseindrücke, die in Erinnerung bleiben. Diese Bauten ins Zentrum des Interesses zu rücken, sie exakt zu beobachten, ihre Aussagen zu erproben, die Atmosphären zu erkunden, ist Anlass dieses Beitrags. Die ausgewählten Beispiele stehen exemplarisch für eine reflektierte Wahrnehmung, die ebenso auf heutige Architekturbetrachtungen übertragbar ist. Mit ihrer Form und Ausgestaltung verweisen die Bauwerke auf den übergeordneten Zusammenhang. Abstrahiert sind hier die wesentlichen gesellschaftlichen Themen artikuliert. Jede Generation wird diesen Code unterschiedlich lesen und zu anderen Ergebnissen und Schlussfolgerungen kommen. Private und öffentliche Räume formen den Organismus Stadt, sie basieren auf Vielfalt, Originalität und Qualität. Das Bild der Stadt wird durch die Facette der dezidierten Betrachtung bereichert. Vorhandene gestalterische Qualitäten können erhalten und bestärkt werden. In der Berufsschule für Detailhandel in Zürich dient die Farbe als Kontrapunkt zur Redlichkeit des Sichtbetons. Die Konstruktion bestimmt weiterhin die Form, doch die Rückführung der Architektur auf elementare Formen wird durch den Farbeinsatz aufgelockert und begegnet so der Gefahr der Gleichförmigkeit moderner Betonarchitektur. In mancher Hinsicht nicht unähnlich den Bestrebungen der 1920er-Jahre, etwa denen eines Bruno Taut, der seine formal standardisierten Bauten mit dem Einsatz von Farbe individualisierte. Aldo Rossi bediente sich im Berliner Quartier Schützenstraße der 86
Farbe zur Strukturierung des Raums wie auch zur Unterteilung der Baumassen der gründerzeitlichen Blockstruktur. Auf die traditionellen Baustrukturen der Stadt Rücksicht nehmend und unter Einbeziehung der vorhandenen Altbausubstanz, wurde zwischen 1994 und 1997 ein zerstörter Baublock im ehemaligen Ostberlin rekonstruiert. Intensive Rot- und Grüntöne leuchten aus dem städtischen Dickicht hervor und erforschen mit ihrer zeitgemäßen Farbigkeit die Architektursprache der Vergangenheit [14]. Ausblick in die Gegenwart »So wie wir schreiben, bauen wir auch: um Zeugnis von dem abzulegen, was uns wichtig ist.«[15] In diesem Satz fasst der Philosoph Alain de Botton lapidar zusammen, weshalb eben auch der ideelle Gehalt, den Gebäude transportieren, von großer Bedeutung ist. Schönheit oder Rationalität sind eben nicht ausreichend, um Wohlbehagen und Sicherheit zu schenken. Hoffnungen auf Veränderung und Aufbruch in der Gesellschaft sind der Architektur der 1970er-Jahre anzusehen. Es gab eine große Bereitschaft, sich dem Unbekannten zuzuwenden, das Experiment zu wagen und nicht Standards und Regeln den Vorrang zu gewähren. Die Bauten bringen eindrucksvoll den spezifischen Gestaltungswillen dieser Dekade zum Ausdruck. Es spricht für ihre Qualität und letzten Endes für die Architekten und Grafiker, die sie erdacht und konzipiert hatten. Die in der Architektur zum Ausdruck kommende Courage bleibt ein wichtiger Hinweis für die nächstfolgende Generation. Unterschiedliche Epochen bilden eigenständige Farbidentitäten aus, wodurch der städtische Raum ein Farbenraum unterschiedlicher Ausprägung wird. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verwachsen ineinander und bereichern sich. Ähnlich dem größeren Gefüge Stadt, Dorf
oder Kulturlandschaft, in das sie eingebunden sind, bewegt sich die Farbigkeit zwischen einer tradierten Beständigkeit und einer innovativen Dynamik. Überlieferte Farbkonventionen, deren Bindung an Boden und Landschaft unverkennbar sind, werden begleitet von wechselnden Moden, die Teil unserer Geistesgeschichte sind. Sie kreisen um regionale Verfügbarkeit, um technische Innovationen, um Tradition und Traditionsbruch ebenso wie gesellschaftliche Konventionen [16]. Die Farbvielfalt der Stadt erzählt etwas über das Selbstverständnis ihrer Bewohner, visualisiert die Rücksichtnahme auf Strukturen der Vergangenheit, trägt zur Lesbarkeit des Stadtgefüges bei und offenbart den Versuch, den Zeitströmungen gerecht zu werden (siehe auch »Farbraum Stadt – Farbraum Land«, S. 61ff.). In denkmalpflegerischer Hinsicht sind nicht nur Farbkonzepte von Interesse, sondern auch das Wissen um Herstellung und Verarbeitungstechniken (siehe auch »Materialität und Technologie«, S. 21ff.). Architektur ist Form gewordene Gesellschaft, sie bietet Schutz und Heimat. Sie schafft Bewegungsräume, Blickrichtungen, kommuniziert gesellschaftliche Bedingtheiten, auch Ungleichheiten. Und sie wurde Gestalt zu einem Zeitpunkt, der vielleicht Jahrzehnte oder Jahrhunderte zurückliegt, und ist damit ein beredter Zeitzeuge. Sich einlassen, die Anregungen aufnehmen, sich selbst auf den Weg machen. Zum Anfang bedarf es nicht viel mehr als ein klein wenig des kostbaren Guts Zeit. Gibt man der Betrachtung Raum, dann werden sehr bald Verständnis und Wertschätzung folgen. Entscheidend für diese baulichen Zeugen ist, dass sie in der ursprünglichen Nutzung verbleiben. Eine Musealisierung, wie jüngst mit einem Relikt des berühmten Verlagshauses des Magazins Der Spiegel in Hamburg von Verner Panton geschehen, ist nicht sinn-
Architekturfarbigkeit der 1970er-Jahre
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voll und auch nicht nötig. Ganz im Gegenteil: In naher Zukunft werden mehr und mehr Bauten der 1970er-Jahre restauriert – Wahrzeichen einer eigentlich noch sehr nahen und doch auch schon ziemlich fernen Zeit. Anmerkungen: [1] vgl. Vegesack, Alexander von; Remmele, Mathias (Hrsg.): Verner Panton. Das Gesamtwerk. Weil am Rhein 2000 [2] vgl. Neser, AnneMarie: Geschichten von Farbe in der Stadt. In: Farbraum Stadt: Box ZRH. Eine Untersuchung und ein Arbeitswerkzeug zur Farbe in der Stadt, hrsg. von Rehsteiner, Jürg; Sibillano, Lino; Wettstein, Stefanie, Zürich / Leipzig 2010, S. 15 – 23 [3] vgl. Löw, Martina: Soziologie der Städte. Frankfurt am Main 2010, S. 9–23 [4] vgl. Kuhnert, Nikolaus: Ngo, Anh-Linh: Architekturgeschichte als Gesellschaftsgeschichte. In: Arch+ Jg. 46/2013, Heft 210, S. 2 – 3 [5] vgl. Hammer, Ivo: Die malträtierte Haut. Anmerkungen zur Behandlung verputzter Architekturoberflächen in der Denkmalpflege. In: Beiträge zur Erhaltung von Kunstwerken 7, hrsg. vom Restauratorenfachverband e. V. unter Mitwirkung der Hochschule für Bildende Künste Dresden und des Restauratorenverbandes Sachsen e. V. Berlin 1997 [6] vgl. Philipp, Klaus; Jan, Stemshorn, Max (Hrsg.): Die Farbe Weiß. Farbenrausch und Farbverzicht in der Architektur. Berlin 2003, S. 40ff. Hier sind neben anderen vor allem Bruno Taut und Le Cor-
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busier zu nennen, die dem Thema Farbe in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts maßgeblich Gewicht verliehen haben. zum Gesamtwerk des Architekturbüros Guyer: Ineichen, Hannes (Hrsg.): Rudolf + Esther Guyer. Bauten und Projekte 1953 – 2001. Monografien Schweizer Architekten und Architektinnen, Schriftenreihe Band 4, Buch 1. Sulgen 2002 vgl. Fils, Alexander: Das Centre Pompidou in Paris. Idee, Baugeschichte, Funktion. München 1980 Der Nachlass Rainer Gerhard Rümmlers befindet sich im Landesarchiv Berlin: E Rep. 300 –70 (Karten) Die Berlinische Galerie verwahrt seit Oktober 2010 die Werksammlung (Pläne, Skizzen, Modelle, Fotografien, Archivalien) des Architektenpaars Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte. Blick ins Innere des Flughafens Berlin-Tegel. In: Bauwelt Jg. 103/2012, Heft 22, S. 31 vgl. Harbusch, Gregor: Architekt Ludwig Leo. Bauen im Westberlin der 1960er-Jahre, Dissertationsprojekt seit 2009 an der ETH Zürich vgl. TEC21, Nr. 3 – 4, 13. Januar 2012. Beilage der Architekturzeitschrift: Dossier Dorflinde Oerlikon Abbildungen bei Imhof, Michael; Krempel, Leon: Berlin. Neue Architektur. Führer zu den Bauten von 1989 bis heute. Petersberg 2011, S. 74 –75; Redecke, Sebastian: Die Verführung. Das Quartier Schützenstraße in Berlin-Mitte. In: Bauwelt, Heft 7, 1988, S. 314 – 317 Botton, Alain de: Glück und Architektur. Von der Kunst, daheim zu Hause zu sein. Frankfurt am Main 2008, S. 123 vgl. Haupt, Isabel: Farben der Stadt, Architekturfarbigkeit, Stadtbild, Farbidentitäten. Basel 2012
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Von der klassischen Moderne zur Farbgestaltung der Gegenwart
Axel Buether
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Viele Klassiker des Neuen Bauens zeigen einen radikal neuen und zugleich kenntnisreichen Umgang mit Farbe im Raum, über den die Gestaltungsprinzipien der Moderne erkennbar werden. Das von den Anforderungen moderner Gesellschaften, von industriellen Baustoffen und Technologien geprägte Erscheinungsbild stilbildender Bauten und Siedlungen der Moderne zeigt, wie Farbe und Form bereits im Entwurfsprozess als Einheit geplant wurden. Die Kontrolle der atmosphärischen, tektonischen und semiotischen Wirkungen aller Körper und Oberflächen im Licht, gründet auf der symbiotischen Entwicklung der Farbenund Formensprache des architektonischen Raums. Die zeitlose Ästhetik der Moderne wird bis heute vom »Anschaulichen Denken« geprägt, das nicht mehr kulturhistorisch abgeleiteten Prinzipien wie Stilen und Ordnungsprinzipien folgt, sondern Funktionen definiert, die dem Nutzer über die visuelle Gestaltung des architektonischen Raums kommuniziert werden (siehe »Architekturfarbigkeit der 1970er-Jahre«, S. 80ff.). Das äußere Erscheinungsbild von Architektur löst sich von den Idealen der Vergangenheit und konzentriert sich auf Inhalte, die sich aus den gesellschaftlichen Themen der jeweiligen Zeit generieren. Die Farbe der Architektur wird zum Zeitzeugnis, zum Spiegelbild ihrer Zeit, wenn sie nicht mehr nach Schönheit, sondern nach Wahrhaftigkeit strebt [1]. Die Farben- und Formenlehre am Bauhaus belegt den Wandel vom kunsthandwerklichen zum anschaulichen Denken, der sich auf systematische Auseinandersetzungen mit dem gesellschaftlichen Fortschritt in Theorie und Praxis gründet [2]. Mit der Ulmer Hochschule für Gestaltung setzte sich das zentrale Bildungsanliegen der Moderne im gesamten Feld gestalterischer Bildung durch, weshalb Entwerfen heute als forschende Methode zur aktiven 88
Mitgestaltung von Gesellschaft vermittelt wird [3]. Dass visuelle Wahrnehmung über Bilder, Objekte und Räume den Menschen bildet, ist nicht neu. Visuelle Kommunikation und Gestaltung legitimieren sich in der Moderne nicht mehr durch historischen Bezüge, sondern über die Relevanz ihrer Aussagen für die Gegenwart und die Zukunft. Der Bauhausmeister Josef Albers lehrte auch als Gastdozent in Ulm und veröffentlichte 1963 seine bis heute einzigartig gebliebenen didaktischen Materialien zur Farbenlehre in seinem Werk Interaction of Color [4]. Farbe wird von ihm nicht mehr nach dekorativen Gesichtspunkten, sondern auf Grundlage ihrer räumlichen Wirkungen eingesetzt. Die im Bereich der Allgemeinbildung aufgrund ihrer leichten Zugänglichkeit populärere Farbenlehre des Bauhausmeisters Josef Itten besteht dagegen im Wesentlichen aus einer Systematisierung längst bekannter Farbkontraste. Hinzu kommen einige der bereits von Johann Wolfgang von Goethe thematisierten psychologischen Wirkungen der Farbe, die er zum ersten Mal auf gestalterische Problemstellungen überträgt [5]. Dass der Formensprache bei der Gestaltung moderner Gesellschaften eine zentrale Bedeutung zukommt, lässt sich an zahlreichen Publikationen erkennen, in denen die Prinzipien des modernen Bauens herausgearbeitet und stetig aktualisiert wurden [6]. Durch die Fokussierung auf den Gestaltbildungprozess verliert die Farbe an Bedeutung und fehlt in Gestaltungslehren für Architekten schließlich ganz [7]. Die Farbensprache der Moderne wurde bis heute niemals umfassend aufgearbeitet und aktualisiert, obwohl es beispielhafte Monografien gibt, die den differenzierten und kenntnisreichen Umgang wichtiger Vertreter des Neuen Bauens mit der Farbe zeigen [8]. In dieser Publikation kann und soll das nicht nachgeholt werden. Dennoch lohnt
sich ein kurzer Blick in die Farbensprache der Moderne, die bei allen Klassikern des Neuen Bauens untrennbar mit der Formensprache verknüpft ist. Diese Einheit wird heute bei der Restaurierung denkmalgeschützter Bauten sorgfältig wiederhergestellt, da die authentische Rekonstruktion der Materialfarbigkeit von großer Bedeutung für das Verständnis der Moderne ist (siehe »Die Farbigkeit der Architektur im 20. Jahrhundert«, S. 71ff.). Nachstehend sind einige ausgewählte deutlich erkennbare Gestaltungsprinzipien der Moderne beschrieben, in denen Farbe und Form gleichberechtigt und synergetisch als Entwurfswerkzeuge eingesetzt werden. Die Gegenüberstellung von Klassikern der Moderne mit aktuellen Bauwerken soll den Leser zu eigenen Überlegungen anregen, wie die Prinzipien moderner Farbgestaltung zeitgemäß aktualisiert und systematisch weiterentwickelt werden können. Das Abstraktionsprinzip Die abstrakte oder gegenstandslose Form der Kunst entwickelte sich mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts parallel in Malerei, Plastik, Musik und Architektur. Jahrhundertelang geltende ästhetische Ordnungen wurden infrage gestellt. Jazz und Zwölftonmusik, geometrische Abstraktionen des menschlichen Körpers oder Linien- und Farbflächenkompositionen kennzeichnen die oft interdizipinäre Suche der Avantgarde nach neuen Ausdrucksformen. Mit dieser Bewegung ging die Entwicklung neuer Strukturprinzipien einher, was die Aufgabe der bis dahin geltenden Harmonielehre bewirkte und die Entwicklung atonaler und expressiver Mittel förderte. Die sogenannte Befreiung der Farbe war mit der Aufgabe ihrer inhaltlichen Bindung an symbolische Aussagen verknüpft. Sie wurde nicht mehr ikonografisch eingesetzt, sondern frei auf der Fläche, im Objekt und Raum komponiert.
Von der klassischen Moderne zur Farbgestaltung der Gegenwart
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Vom abstrakten Prinzip des Konstruktivismus erfolgte ein weiterer logischer Schritt zur Preisgabe des orthogonalen Rasters und des horizontalen Bezugssystems der Architektur. Aus der Verdrehung der Linie um einen beliebigen Bezugspunkt oder dem Versatz des Rasters folgte die Dekonstruktion des Bildraums, eine Erweiterung des Abstraktionsprinzips, das in der Folge auf Objekte und Räume übertragen wurde. Das Gleichgewichtsprinzip der Architektur war aufgehoben, wozu auch neue Werkstoffe wie der Stahlbeton beitrugen. Die Kraftlinien der Statik wurden für den Betrachter unsichtbar im Beton geführt, wodurch das bis dahin visuell nachvollziehbare System der Lastabtragung aufgehoben wurde. Architektur wurde zum dreidimensionalen Bildraum, in dem alles vorstellbar und mit moderner Technik vieles realisierbar ist. Das Haus Schröder in Utrecht (Abb. 2) von Gerrit Rietveld zeigt einen abstrakten Umgang mit Farbe, der Parallelen zur Malerei von Piet Mondrian (Abb. 1), zum Konstruktivismus und zur konkreten Kunst aufweist. Rietveld hat dafür ein Gefüge aus farblich differenzierten Linien und Flächenelementen vom Bild über das Objekt in den Raum komponiert, das als Entwurfsprinzip bis heute Anwendung in
Baukunst, Malerei und Grafik findet. Die Architektur der letzten Jahrzehnte zeigt vielfältige Beispiele für konstruktiv und dekonstruktiv entwickelte Raumkompositionen aus farbigen Flächen und Linienelementen, bei denen das Abstraktionsprinzip zur Anwendung kam. Der CAD-Entwurf am Computer, bei dem heute beliebige mathematische Operationen durchgeführt, mit Bildelementen komponiert und bis zur Umsetzung weiterentwickelt werden können, hat entscheidend zur weltweiten Verbreitung dieses Prinzips beigetragen. Ein aktuelles Beispiel für eine zeitgemäße Weiterentwicklung des Abstraktionsprinzips ist das Unilever-Haus in Hamburg von Behnisch Architekten (Abb. 3). Das Innen-außen-Prinzip Der Gegensatz von innen und außen zeigt die unterschiedlichen Anforderungen an gebaute Räume, die Witterungen trotzen, Botschaften repräsentieren und Geborgenheit vermitteln sollen. Einschnitte in die Außenhülle, die das Innere freilegen und einen spannungsvollen Gegensatz erzeugen, kennzeichnen ein neues Formprinzip der Moderne, das erst über farbliche Kontraste ablesbar wird. Ohne farbliche Markierungen verstärken
die Einschnitte im Baukörper lediglich die skulpturale Wirkung der Masse, da die hierdurch hergestellten Öffnungen unmissverständlich der Außenhaut angehören. Wie beim menschlichen Körper wird der Übergang vom Außen zum Innen durch eindeutige Farbwechsel charakterisiert. Die buntfarbig gezeichneten Einschnitte im Baukörper des Le-Corbusier-Hauses in der Weißenhofsiedlung in Stuttgart (Abb. 4) deuten den spannungsvollen Gegensatz zwischen dem klaren Volumen des Außenraums mit dem atmosphärisch differenzierten Innenraum an. Bei den Unités d’Habitation nimmt er das Prinzip auf, indem er die Uniformität der sogenannten Wohnmaschine in Kontrast zur Individualität der Bewohner stellt. Einschnitte in die monolithische betongraue Form bringen die innere polychrome Farbklaviatur zum Vorschein. Das Team von Collaborative Architects aus Mumbai, Indien, übernimmt dieses Prinzip bei der von ihnen entworfenen LDT Primary School (Abb. 5). Hier wird besonders deutlich erkennbar, dass Einschnitte im Baukörper vor allem aufgrund ihrer Farbigkeit dem Innen- oder Außenraum zugeordnet sind. Das Innen-außen-Prinzip funktioniert auch dort, wo keine Fenster zu sehen sind.
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Piet Mondrian, Tableau I, mit Schwarz, Rot, Gelb, Blau und Hellblau, 1921, Öl auf Leinwand Innenraum des Schröder-Hauses in Utrecht (NL)1924, Gerrit Rietveld Unilever-Haus in Hamburg (D) 2009, Behnisch Architekten Weißenhofsiedlung, Haus Le Corbusier in Stuttgart (D) 1927, Le Corbusier JDT Primary School in Kerala (IND) 2012, Collaborative Architects
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Von der klassischen Moderne zur Farbgestaltung der Gegenwart
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Das skulpturale Prinzip Die spannungsvolle Inszenierung der skulpturalen Wirkung von Bauten im Naturraum ist eines der ältesten Prinzipien der Architektur, wovon die ägyptischen Pyramiden oder die Akropolis noch heute Zeugnis ablegen. Formen und Farben stehen in starken Kontrast zur umgebenden Landschaft, da beide Phänomene die kulturbildende Tätigkeit des Menschen zum Ausdruck bringen, der Materialien nach artspezifischen Bedürfnissen formt und färbt. Die Geometrie kubischer Formen kann ebenso ausdrucksstark sein wie die Dynamik organischer Skulpturen. Auf der Ebene der Farbe lässt sich dieses Prinzip am konsequentesten durch Weiß, Schwarz oder Mischungen von Grau zum Ausdruck bringen. Die heute synthetisch erzeugten Pigmente kommen in der Natur selten vor, weshalb sie den gesellschaftlich bedingten Formwillen des Menschen am eindeutigsten kommunizieren, betrachtet man die Artefakte im Kontext der Naturfarbigkeit. Adalberto Libera setzte die tektonische Wirkung der Farbe gezielt für die skulpturale Wirkung der Villa Malaparte in den Naturraum von Capri ein (Abb. 6). Er inszenierte die Wirkungen seines Gebäu-
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des, das die Naturschönheit im romantischen Sinn transzendiert. Das Prinzip, welches sich bei jedem weißen Kubus inmitten einer grünen Wiese wiederholt, wird bei der Villa Malaparte durch dessen Rotfärbung abgeschwächt. Die Betonung der skulpturalen Wirkung von Architektur durch die Farbe Weiß tritt bei der Villa Savoye von Le Corbusier oder dem Museu de Arte Contemporânea de Niterói von Oscar Niemeyer klar zu Tage. In diesem Sinn lässt sich auch das Kunsthaus Graz von Peter Cook verstehen, dessen skulpturale Wirkung sich gleichermaßen durch die organische Form und den Kontrast der blau glänzenden Oberfläche zu den roten Ziegeldächern entwickelt (Abb. 7). Das Hüllprinzip Das Einwickeln oder Umhüllen von besonders schützenswerten Materialien kennzeichnet ein Formprinzip, das für den Betrachter über die Kontrastwirkung der Oberflächenfarben erkennbar ist. Wie ein besonders wertvolles Instrument wird das Interior durch eine selbst tragende Hülle geschützt, was sich im Innenraum durch eine farbliche Kennzeichnung von Einbauten, durch die Betonung der Fuge oder Kontraste der Oberflächen kenn-
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zeichnen lässt. Im Außenraum wird das Etui- oder Hüllprinzip sichtbar, wenn tragende Konstruktionen durch Wandsegmente, Fensteranlagen oder Einbaumöbel ausgefacht sind. Ohne die farblich codierte Trennung des Umhüllenden vom Umhüllten verschmelzen die Schichten zu einem Ganzen, was die Ablesbarkeit des Formprinzips erschwert oder verhindert. Die Auseinandersetzung mit der visuellen Wirkung von Oberflächenstrukturen ist für die Wahrnehmung dieses Gestaltungsprinzips von entscheidender Bedeutung. Die Haptik der Farbigkeit von synthetischen und organischen Materialien und Beschichtungen ermöglicht dem Betrachter eine Unterscheidung zwischen den schutzbietenden konstruktiven Elementen und den zu schützenden Teilen des Ausbaus. Der moderne Mensch schafft sich einen tragenden Hüllraum, den er flexibel auskleidet oder in dem er sich nach wechselnden Anforderungen einrichtet. Haptisch angenehme Materialien, wie Holz oder Textilien, erfolgen vornehmlich dort verwendet, wo Berührungen stattfinden, während konstruktive Teile unbekleidet bleiben und in ihrer statischen Funktion sichtbar sind. Der TWA-Terminal zeigt anschaulich das Gestaltungsprinzip, das Eero Saarinen
Von der klassischen Moderne zur Farbgestaltung der Gegenwart
6 Villa Malaparte auf Capri (I) 1940, Adalberto Libera 7 Kunsthaus in Graz (A) 2003, Peter Cook 8 House Esherick in Philadelphia (USA) 1961, Louis I. Kahn 9 Wohnungen für Betagte in Chur-Masans (CH) 1993, Peter Zumthor 10 Waldsiedlung (Onkel Toms Hütte) in Berlin (D) 1932, Bruno Taut 11 Siedlung Borneo-Sporenburg in Amsterdam (NL) 1996, West 8 10
bis zum Möbelentwurf seines Tulip Chairs durchhielt. Die intensiven roten Farben der textilen Bekleidungsschicht bilden einen starken Kontrast zum ungesättigten Sichtbeton der Raumplastik oder dem durchgefärbten weißen Kunststoff der Möbel. Das Teatro Popular de Niterói von Oscar Niemeyer besteht aus einem bandförmigen Betonrahmen, der von einem eindeutig zum Innenraum gehörenden Wandelement abgeschlossen ist. Beim Esherick House in Philadelphia lässt sich das Etuiprinzip in Reinform beobachten, da Louis I. Kahn die hölzerne Möblierung und Bekleidung des Innenraums bis in die Fassade hinein fortführt, die hierdurch selbst zum benutzbaren Möbel wird (Abb. 8). Die Gebäudehülle bildet den schützenden Rahmen für Fassadenmöbel, die von innen als Fenster, Schrank oder Sitzbank Verwendung finden. Aktuelle Beispiele für die Nutzung dieses Prinzips sind die Wohnungen für Betagte in Chur-Masans von Peter Zumthor (Abb. 9) oder die Villa Dupli.Casa von Jürgen Mayer H. Architects in der Nähe von Ludwigsburg. Das Harmonieprinzip Farbe lässt sich für Gliederungen und Rhythmisierungen großer Formen einsetzen, wie sie an Fassaden auftreten, hinter denen sich Abfolgen ähnlicher Nutzungen befinden. Während die gleichartige Art der Nutzung von der Großform bestimmt wird, entfaltet sich die Individualität der Nutzer über den Rhythmus von Farbtönen und Farbklängen, deren kompositive Anordnung die Wirkung des Ganzen bestimmt. Farbe wirkt hier als Geste, die betont und verbindet sowie unterdrückt, zurücknimmt und trennt. Die kommunikativen und ästhetischen Bedürfnisse der Nutzer nach Orientierung und Repräsentation lassen sich über Variationen der Oberflächenfarben erfüllen, die auf der Formebene nachvollzogen oder
überspielt werden können. Wie in der Musik jedes Instrument eine Stimme bildet, die Melodie und Rhythmus entwickeln kann, lassen sich Form und Farbe als eigenständige Gestaltungsebenen nutzen. Die Harmonie bildet das übergreifende Gestaltungsprinzip, das die eigenständigen Ebenen von Form und Farbe zusammenhält. Ein gutes Anschauungsbeispiel für das Harmonieprinzip bietet die Stadt Venedig, deren Bauten im Raster der Kanäle strengen rhythmischen Prinzipien folgen, während die Farbgestaltung, der auch das Ornament angehört, die Melodie erzeugt. Die ornamentale Farbgestaltung ist keine überflüssige Dekoration, sondern übernimmt eine wichtige Funktion. Die farbliche Gliederung und ornamentale Differenzierung der Bauten erfüllt repräsentative Zwecke und schafft hierdurch zugleich Orientierung und Identität im öffentlichen Raum. Die repräsentative Farbgebung setzte sich bis 1562 bei den Gondeln fort, wonach ein Verbot den Gebrauch der Fortbewegungsmittel als Statussymbole beendete. Damals wie heute erfüllen die schwarzen Gondeln ihren primären Zweck, doch bieten sie dem Betrachter darüber hinaus kaum Anhaltspunkte für die Deutung der Identi-
tät ihrer Eigentümer. Während der Mangel an repräsentativen Eigenschaften für die individuelle Nutzung von Gebrauchsgegenständen verhältnismäßig unproblematisch ist, bewirkt er im Stadtraum eine deutliche Einschränkung der Orientierungsmöglichkeiten und den Verlust von Identität. Die Stadt Venedig ist nie so weit gegangen, eine Gestaltungssatzung zur Vereinheitlichung der Fassaden zu erlassen. Die Auswirkungen einer farblich undifferenzierten oder willkürlichen Gestaltung zeigen sich erstmalig in den Vorstadtsiedlungen und Stadtgründungen der Nachkriegsmoderne, wo industrielle Baumethoden konsequent realisiert wurden. Bruno Taut war sich der Funktion der Farbe bewusst und hat diese gezielt zur Rhythmisierung seiner Siedlungsbauten eingesetzt. Die malerische Farbgestaltung der heute denkmalgeschützten Waldsiedlung (Onkel Toms Hütte) in Berlin-Zehlendorf hat seinerzeit vehemente Proteste ausgelöst und wirkt noch heute polarisierend (Abb. 10). Das musische Spiel der Farbklänge zitiert prägnante Farbtöne aus dem umgebenden Naturraum und schafft hierdurch Orte unverwechselbarer Identität, die Bewohnern und Besuchern gleichermaßen Orien-
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tierung bieten. Der Anstrich erfüllt den Zweck der Repräsentation und taugt dennoch nicht zum Statussymbol, da er das Prinzip der Reihung offenlegt, das sich hinter der Fassade verbirgt. Wo immer sich viele identische Nutzungseinheiten aneinanderreihen, bietet die farbliche Gliederung ein leistungsfähiges Entwurfswerkzeug, mit dem sich Individualität und Orientierung ohne funktionale Kompromisse herstellen lässt. Wie das rhythmisierende Prinzip auf zeitgemäße Weise zur Individualisierung der Form eingesetzt werden kann, zeigt die Siedlung Borneo-Sporenburg in Amsterdam (Abb. 11, S. 91). Das minimalistische Prinzip Der Begriff Minimalismus hält in die Bewegungen von Kunst, Design und Architektur der 1960er-Jahre Einzug. Der minimalistische Gebrauch der Farbenund Formensprache bildet dagegen ein zeitloses Prinzip kultureller Entwicklung, das die Suche nach dem Wesentlichen, dem unverzichtbaren Kern visueller Botschaften, kennzeichnet. Der Verzicht auf Verzierungen, Ausschmückungen wie Aphorismen, Metaphern und Ornamenten gehört zu den wiederkehrenden Gestaltungsprinzipien in der Wort- und Bildsprache ebenso wie im architektonischen Raum. In der Rhetorik wird als Dekorum bezeichnet, was sich ziemt oder einer Sache angemessen ist. Das richtige Maß an Formen und Farben ist daher relativ und in jedem Einzelfall an den Verwendungszweck gebunden. Der Betrachter erhält genau dann die richtige Menge an Informationen über die Farb- und Formgestaltung der Umwelt, wenn er sich die mit seiner Herstellung und seinem Gebrauch verbundene Botschaft erschließen kann. Doch ebenso wenig, wie es »den Betrachter« gibt, lässt sich eine allgemeine Botschaft definieren. Das Minimum an visueller Information 92
geht mit der inhaltlichen Reduktion und exakten Spezifikation der Botschaft einher. Das minimalistische Prinzip lässt sich daher einfacher bei Kunstwerken und Designobjekten anwenden, deren Gebrauchszweck sich eher an spezifische Nutzergruppen wendet als bei Werken der Architektur. Der Gebrauchszweck von Gebäuden unterliegt dem zeitlichen und räumlichen Wandel von Gesellschaften. Architektur muss daher zu einem gewissen Grad wandlungsfähig sein, wenn sie auf Nachhaltigkeit angelegt ist und wechselnde Nutzungen ermöglichen soll. Kunst hingegen soll das aufgrund ihres Anspruchs an Authentizität und Originalität gerade nicht leisten. Form und Farbe müssen über Generationen und Kulturen hinweg möglichst unverfälscht erhalten bleiben, was in der Architektur zu Spannungen führt, da sie als Gebrauchsgegenstand genutzt wird und dennoch Baukunst sein kann. Nicht umsonst wird Minimalismus immer dann zu einer zweckmäßigen Gestaltungsstrategie, wenn sich die Funktion deutlich eingrenzen lässt, wie beim Barcelona-Pavillon von Ludwig Mies van der Rohe, der selbst zum Exponat wurde (Abb. 12). Die minimalistische Anwendung der Farbe wird hier deutlich erkennbar, da die Oberflächenbehandlung und Eigenfarbigkeit der Naturmaterialien ebenso zur Raumwirkung beitragen wie die offene Komposition der Formen. Zwischen den Naturmaterialien Travertin und Wasser entwickelt sich aufgrund der wellenförmig erscheinenden Oberfläche eine starke Beziehung, die in den Spiegelungen deutlich erkennbar ist. Während der Serpentinit seine schmückende Wirkung im Außenraum entfaltet, bildet der textil anmutende Onyxmarmor das Zentrum des offenen Gebäudes, wodurch Mies van der Rohe eine sublime Form der Abgrenzung zwischen innen und außen einführt. Bei der Therme in Vals von Peter
Zumthor lässt sich ein vergleichbar minimalistischer Umgang mit Farbe und Form feststellen, da das gesamte Objekt aus einem einzigen Steinblock zu bestehen scheint (Abb. 13). Der Gebrauchszweck ist dem Objekt einbeschrieben. Das Formenspiel der Wasseroberflächen spiegelt die Materialfarbigkeit der umgrenzenden Raumelemente, die allein durch das Spiel von Licht und Schatten modifiziert werden. Die gleiche minimalistische Konsequenz zeigen seine Kapelle des heiligen Benedikt in Sumvitg oder das Kunsthaus Bregenz. Das atmosphärische Prinzip Die für jedes Leben auf der Erde ursächliche Strahlungsenergie der Sonne ist nicht sichtbar, bis sie auf die Partikel der Lufthülle trifft und diese zu einem atmosphärischen Leuchten anregt. Die Atmosphäre wird dem Menschen im Wandel von Licht und Wetter zugleich körperlich spürbar, da sie die Erscheinungswelt bis zum Horizont umfließt und die Lungen mit Atemluft durchdringt. In Abhängigkeit zur Feuchtigkeit und Temperatur der Luftpartikel verdichten sich Atmosphären zu Farbräumen aus Regen, Schnee, Nebel, Dunst und Wolken, die das gesamte Erscheinungsbild des Natur- und Kulturraums maßgeblich verändern. Der regulierende Einfluss auf das Sonnenlicht wirkt auf die Stoffwechselprozesse im menschlichen Körper und steuert den Aktivitätsrhythmus im Verlauf der Tagesund Jahreszeiten. Selbst geringfügige Veränderungen der Atmosphäre sind für den Menschen über emotionale und motivationale Reaktionen spürbar, da rechtzeitige Wahrnehmungen von Wetteränderungen und intuitive Verhaltensanpassungen lange Zeit überlebensnotwendige Reaktionen waren. Diese intuitiven Reaktionen auf Atmosphärenwechsel spielen bei der Wahrnehmung von architektonischen Räumen eine entscheidende
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Rolle, weshalb die Inszenierung von Raum durch Licht zum Gestaltungsprinzip werden kann. Der atmosphärische Hintergrund gebauter Räume kann vom Cyanblau sonniger Tage über weiße bis graue Wolkenformationen und eine magentafarbene Dämmerung bis zum lichtlosen Schwarz der Nacht wechseln. Körperfarben verändern sich mit jedem Atmosphärenwechsel, weshalb die Bestimmung der Eigenfarbe von Materialien nur durch Setzungen möglich wird, die festgelegen, bei welchem Licht ein Gegenstand »normal« erscheint. Für die Gestaltung von Architektur lässt sich dieser Normfall nicht annehmen, da er in Realität so gut wie nie zu beobachten ist. Daher wirken weiß gekalkte Gebäude vor der hoch stehenden Sonne des azurblauen Himmels am Mittelmeer völlig anders als im Norden, wo die Grundfarbe des Himmels über weite Teile des Jahres von trüben Grautönen bestimmt wird. Diese grundlegenden lichtbedingten Unterschiede setzen sich im Inneren von Gebäuden fort, was den Einfluss von Atmosphären auf die regional differenzierte Entwicklung der Farbkulturen verdeutlicht. Ein globaler Blick auf die unterschiedliche Weiterentwicklung moderner Architektur zeigt den Einfluss des Lichts auf Entwurf und Baukultur. Das atmosphärische Prinzip gründet sich auf ein tief greifendes Verständnis der situationsgebundenen Wechselwirkungen von Farbe, Licht und Raum, die bei jedem Projekt über Modellstudien untersucht und beurteilt werden müssen. Im Mittelpunkt steht nicht die Nutzung, sondern der Nutzer, dessen Erleben und Verhalten im architektonischen Raum maßgeblich von der Wirkung von Atmosphären bestimmt wird. Atmosphären bilden einen festen Bestandteil visueller Gestaltung, von der Bildproduktion über Theater und Film bis zur Architektur. Die besondere Bauauf-
gabe bildet immer noch die religiöse Kultstätte. Darüber hinaus lässt sich die Aufenthalts- und Erlebnisqualität aller gebauten Räume durch eine systematische Gestaltung von Atmosphären verbessern. Die tektonische Wirkung von Architektur entsteht durch die Gestaltung der Licht- und Körperfarben sowie der Schatten, welche sich durch die Beziehung aller raumerzeugenden Bauteile und ihrer Öffnungen zur Sonne bilden. Wie bei einer gotischen Kathedrale ergießt sich vielfarbiges Licht in den Innenraum der Kapelle Notre-Dame-duHaut in Ronchamp von Le Corbusier (Abb. 14). Durch die Anordnung und Größe der tiefen Laibungen zahlreicher Fensteröffnungen wirken diese wie eine Farbklaviatur, deren atmosphärisches Licht den halb dunklen Sakralraum zum Klingen bringt. Die Nutzung des atmosphärischen Prinzips in der Moderne erfolgt im Einklang mit dem gewählten Formprinzip, ob skulptural wie bei Le Corbusier, kubisch wie bei Tadao Andos Kirche des Lichts in Ibaraki, fraktal wie bei Gottfried Böhms Kirche Maria Königin des Friedens in Velbert-Neviges oder abstrakt wie bei Steven Holls Kapelle St. Ignatius in Seattle (Abb. 15). Auch profane Bauten werden durch die systematische Gestaltung von Atmosphären zu modernen Kultstätten wie Hans Scharouns Philharmonie in Berlin, Zaha Hadids Guangzhou Opera House oder Santiago Calatravas Ciudad de las Artes y de las Ciencias in Valencia. Fazit Strategien einer konsequenten Farbgestaltung lassen sich bei allen bedeutsamen Werken der Architekturgeschichte entdecken, wo sie die Wahrnehmung der Ästhetik und Funktion gebauter Räume entscheidend prägen. Dass Farbe im Einklang mit der Form systematisch als Entwurfswerkzeug zur Gestaltung von
Bildern, Objekten und Räumen eingesetzt wird, ist sicher keine Entdeckung der Moderne. Dennoch wurden in der Phase des Neuen Bauens interessante und oft auch zeitlos wirkende Prinzipien zur Farb- und Formgestaltung entwickelt, die Ästhetik und Funktion moderner Architektur und Interieurs bis heute prägen. Alle hier gezeigten Gestaltungsprinzipien der Moderne belegen eine symbiotische Anwendung von Farbe und Formen im Raum, die von Beginn an mit kommunikativen Absichten, ästhetischen Wirkungen und technologischen Möglichkeiten verknüpft war. Anmerkungen: [1] Arnheim, Rudolf: Anschauliches Denken. Köln 1969 [2] Düchting, Hajo: Farbe am Bauhaus. Berlin 1996 [3] Krampen, Martin; Hörmann, Günter: Die Hochschule für Gestaltung Ulm – Anfänge eines Projektes der radikalen Moderne. Berlin 2003 [4] Albers, Josef: Interaction of Color. Princeton 2009 [5] Itten, Johannes: Die Kunst der Farbe. Ravensburg 2000 von Goethe, Johann Wolfgang: Zur Farbenlehre. Stuttgart 2003 [6] Kister, Johannes: Körper- und Raumkomposition. Köln 2001 [7] Fonatti, Franco: Elementare Gestaltungsprinzipien in der Architektur. Wien 1982 [8] Rüegg, Arthur (Hrsg.): Le Corbusier. Polychromie architecturale. Farbenklaviaturen von 1931 und 1959. Basel 2006
12 Pavillon in Barcelona (E) 1929, Ludwig Mies van der Rohe 13 Therme in Vals (CH) 1996, Peter Zumthor 14 Kapelle Notre-Dame-du-Haut in Ronchamp (F) 1955, Le Corbusier 15 Kapelle St. Ignatius in Seattle (USA) 1997, Steven Holl
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Projektbeispiele
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Museum Brandhorst in München (D) Sauerbruch Hutton, Berlin Ingenieurbüro Fink, Berlin
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Universitätsgebäude in Paris (F) Périphériques architectes, Paris OTH Bâtiments, Paris
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Jüdisches Gemeindezentrum in Mainz (D) Manuel Herz Architekten, Basel Arup, Düsseldorf
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Realschule in Eching (D) Diezinger & Kramer, Eichstätt Ostermair + Pollich, Freising
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Blumenmarkt in Barcelona (E) WMA – Willy Müller, Barcelona Area 5, Barcelona
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Museum und Kulturzentrum in Aomori (J) molo design, Vancouver Frank la Rivière Architects, Tokio d/dt Arch, Tokio Kanebako Structural Engineers, Tokio
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Sozialer Wohnungsbau in Paris (F) Hamonic + Masson, Paris SIBAT, Paris
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Kindergarten in Monthey (CH) Bonnard Woeffray architectes, Monthey Kurmann & Cretton SA, Monthey
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Neues Stadtzentrum Barking (GB) Allford Hall Monaghan Morris (AHMM), London Buro Happold, London; Beattie Watkinson, London
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Museum Brandhorst in München (D) 2
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Architekten:
Sauerbruch Hutton, Berlin Matthias Sauerbruch, Louisa Hutton, Juan Lucas Young Tragwerksplaner: Ingenieurbüro Fink, Berlin
Vier Jahrzehnte lang hatten Udo und Anette Brandhorst Kunst aus dem 20. und dem frühen 21. Jahrhundert zusammengetragen, bis sie ihre etwa 700 Werke umfassende Sammlung in eine Stiftung umwandelten und schließlich dem Land Bayern als unbegrenzte Dauerleihgabe zur Verfügung stellten. Um die Kunstwerke einem breiten Publikum zugänglich zu machen, wurde ein ursprünglich für die Erweiterung der Pinakothek der Moderne vorgesehenes Grundstück dem Museumsneubau gewidmet. Von außen prägt die Textur der Fassadenbekleidung aus verschiedenfarbig glasierten Keramikstäben den dreigeschossigen, kubischen Baukörper, der das lang gezogene Grundstück unter maximaler Ausnutzung der baurechtlichen Möglichkeiten füllt. Die Farbkontraste der in unterschiedlich hellen Gruppen angeordneten Stäbe akzentuieren die Fassaden und verleihen ihnen eine weiche, vielschichtige Wirkung. Ein horizontales Fensterband auf mittlerer Höhe mit ausgeklappten Lichtlenkelementen und eine begehbare Gitterrostfläche über dem Untergeschoss lassen bereits ahnen, dass das Museum bezüglich der Lichtführung im Inneren Besonderes zu bieten hat, und tatsächlich werden durch raffinierte räumliche Verschränkung alle Ebenen mit Tageslicht versorgt. Die Ausstellungssäle konzipierten die Architekten als Folge klassischer, ruhiger Räume ähnlichen Typs, aber unterschiedlicher Größe und Proportion – kleinere im Erdgeschoss, größere im Obergeschoss. Tageslichtdecken aus transluzenten Folien sorgen für gleichmäßige Lichtverteilung in den Räumen. Im Erdgeschoss wird das Zenitlicht über äußere Lichtlenkelemente und hyperbolische Decken in die Räume geführt.
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Lageplan Maßstab 1:10 000 Schnitt Maßstab 1:1000 Vertikalschnitt Maßstab 1:20
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Ausführungsbeispiele Museum Brandhorst in München (D)
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Alte Pinakothek Neue Pinakothek Pinakothek der Moderne Museum Brandhorst Akustikplatte Gipskarton 10 mm Mineralfaserdämmung 30 mm Aluminiumprofil fi 60/30 mm Blendschutzrollo motorisch verstellbar Sonnenschutzjalousie motorisch verstellbar Isolierverglasung ESG 6 + SZR 10 + Float 4 + SZR 8 + VSG 12 mm Isolierverglasung ESG 4 + Lichtlenkprismen Acrylglas im SZR 10 + VSG 8 mm Stahlkonsole Bekleidung Keramik-Hohlprofile 40/40/9 mm, Aluminiumblech perforiert 2 mm, Akustikvlies Unterkonstruktion Aluminium, Wärmedämmung Mineralfaser 120 mm, Stahlbeton 250 mm Wandheizungssystem mit Vormauerung 150 mm Innenputz 15 mm
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Universitätsgebäude in Paris (F)
1
Architekten:
Périphériques architectes, Paris Emanuelle Marin, Anne-Françoise Jumeau, David Trottin Mitarbeiter: Stéphane Razafindralambo, Sébastien Truchot Tragwerksplaner: OTH Bâtiments, Paris
Das Gebäude des Jussieu-Campus nahe des historischen Zentrums von Paris ergänzt die Universitätsbauten, die der Architekt Édouard Albert in den 1960erJahren für 45 000 Studenten und Forscher über einem streng orthogonalen Raster errichtete. Die Architekten führen das System des Bestands weiter und variieren es zugleich. Anstelle eines einzigen Innenhofs besitzt der Neubau zwei, wovon einer mit ETFE-Folienkissen überdeckt ist. Dieses Atrium bündelt die Zirkulation und bildet einen vertikalen räumlichen Schwerpunkt im Gebäude. Von der Straße aus führt die Eingangsebene als mehrfach geknickte Rampe in fließender Bewegung in die Halle. Über Rolltreppen und Brücken in den Obergeschossen kann die Halle durchquert werden. Eine kräftige, je nach Nutzung unterschiedliche, monochrome Farbgebung der Erschließungszonen erleichtert die Orientierung. Großformatige Betonfertigteilelemente als Brüstungen an Treppen und umlaufende Galerien prägen die räumliche Wirkung der Halle und stehen in ihrer Schwere und Sprödigkeit im Kontrast zur leichten Fassadenbekleidung des Gebäudes. Diese besteht aus in unterschiedlichem Muster perforierten Aluminiumpaneelen, die das Tageslicht filtern. Lageplan Maßstab 1:7500 Grundrisse Maßstab 1:1500 Schnitt Maßstab 1:750 Vertikalschnitt • Horizontalschnitt Maßstab 1:20 Ansicht Fertigteil Maßstab 1:100 1 2 3
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Plateau Bestand (Édouard Albert) Hof Atrium
Eingangsgeschoss
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3. OG
Ausführungsbeispiele Universitätsgebäude in Paris (F)
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4 Fase umlaufend 5/5 mm 5 Fertigteil Stahlbeton B 40 in glatter geschliffener Stahlform gegossen Oberfläche zum Atrium naturfarben glatt Oberfläche zur Galerie farbbeschichtet 120 mm 6 Epoxidharzbeschichtung eingefärbt Stahlbeton 200 mm 7 Leuchtkörper abgehängt 8 Schraubhülse Stahl für Transport, nach Montage verspachtelt 9 Randaussparung nach Montage mit Vergussmörtel gefüllt 10 Fugenversiegelung dauerelastisch schwarz
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Jüdisches Gemeindezentrum in Mainz (D)
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6 Architekten: Mitarbeiter:
Manuel Herz Architekten, Basel Elitsa Lacaze, Hania Michalska, Michael Scheuvens, Peter Sandmann, Cornelia Redeker, Sven Röttger, Sonja Starke Tragwerksplaner: Arup, Düsseldorf
Im gründerzeitlichen Wohnviertel der Mainzer Neustadt schimmert ein ungewöhnliches, skulpturales Gebäude durch die dichten Alleebäume: das jüdische Gemeindezentrum, errichtet am Ort der einstigen Hauptsynagoge, die 1938 in der Pogromnacht zerstört wurde. Als dem Straßenverlauf folgendes, mehrfach abknickendes Band antwortet der Neubau auf die Blockrandbebauung. Zugleich entsteht ein öffentlicher Vorplatz vor der Synagoge, die als höchste Auffaltung des Bandes den Baukörper im Osten abschließt. Die expressive Silhouette ist inspiriert vom Schriftzug »Keduscha«, dem hebräischen Wort für Erhöhen oder Segnen. Die Schrift wird hier buchstäblich zum raumbildenden Element und versinnbildlicht so die große Bedeutung des geschriebenen Worts in der Geschichte des Judentums. Neben der Form ist die irisierende Fassade aus dunkelgrünen Keramikelementen das Charakteristikum des Gebäudes. In konzentrischen Mustern um die Fensteröffnungen angeordnet, verleihen die im Querschnitt dreieckigen Elemente den Wandflächen eine perspektivische, dreidimensionale Wirkung, sie täuschen sogar das Auge: Manche Fassadenpartien wirken geneigt, obwohl sie lotrecht sind. Die handglasierte Keramikverkleidung überrascht mit einer Vielzahl von Schattierungen, je nach Lichteinfall und Standort reichen die Farbtöne von fast Schwarz bis zu spiegelndem Silber. Das Grundelement entwickelte der Architekt gemeinsam mit dem Keramikexperten Niels Dietrich und dem Keramikhersteller. Das Profil ist ein stranggepresstes Formteil, das mit unterschiedlichen Längen und Gehrungswinkeln an die Geometrien angepasst ist. Mittels rückseitig aufgeklebten Aluminiumhaltern wurden die Elemente einzeln auf der Unterkonstruktion befestigt. Im Nut- und Feder-Prinzip nach detaillierten Verlegeplänen montiert, bekleiden sie die Längsseiten des Bauwerks, während an den Schmalseiten die Zinkblechbahnen der Dachfläche weitergeführt sind.
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Ausführungsbeispiele Jüdisches Gemeindezentrum in Mainz (D)
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Grundriss • Schnitt Maßstab 1:1000 Vertikalschnitt Maßstab 1:20 Keramikelement Maßstab 1:5
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A
Eingang Foyer Synagoge Veranstaltungssaal Küche Jugendraum Kindergarten Garten/Innenhof Dachaufbau: Zinkblech 1 mm, Trennlage Schalung 24 mm, Kantholz 140/80 mm dazwischen Wärmedämmung 140 mm Abdichtung kaschierte Bitumenbahn Bitumenvoranstrich Decke Stahlbeton 250 mm Gipsputz 20 mm Wandaufbau: Keramikelement Dreieckhohlprofil teilweise massiv, handglasiert 150/95 mm, befestigt mit Aluminiumhaltern an C-Schiene Aluminium 30/60 mm, Hinterlüftung 35 mm Schlagregenschutz Kunststofffolie diffusionsoffen, Aluminiumprofil ∑ 40/60/3 mm Aluminiumrohr | 120/120/4 mm dazwischen Wärmedämmung Polystyrol 140 mm Stahlbeton 250 mm, Gipsputz 20 mm Aluminiumblech pulverbeschichtet 2 mm Sicherheitsglas in Aluminiumrahmen Bodenaufbau: Parkett Heizestrich 60 mm, Trennlage Wärmedämmung Polystyrol 80 mm Abdichtung Decke Stahlbeton 300 mm Gipsputz 20 mm
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Realschule in Eching (D)
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Architekten: Mitarbeiter:
Diezinger & Kramer, Eichstätt Johannes Schulz-Hess (Projektleitung), Diana Hollacher, Markus Knaller, Marcel Wendlik Tragwerksplaner: Ostermair + Pollich, Freising
Die für etwa 1000 Schüler konzipierte Realschule liegt am Rand von Eching, einer Gemeinde im Norden Münchens. Aufgrund seiner etwas stiefmütterlichen Lage zwischen S-Bahn und einem Wohngebiet weitab vom Ortskern gestalteten die Architekten den Neubau als autarken, urbanen Ort mit enger Verzahnung zum Außenraum. Die mehrfach rechtwinklig abgeknickte Grundrissfigur wirkt wie ein Ensemble aus mehreren Gebäuden und lässt zwei eingefasste Höfe entstehen – einen Vorplatz und einen Pausenhof –, die sich jeweils zur offenen Seite hin durch Stufen abgrenzen. Die zentrale
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Pausenhalle verbindet beide Höfe und erfüllt als Mittelpunkt der Schule verschiedene Funktionen: Aufenthalts- und Veranstaltungsraum, Foyer, Treffpunkt und Verteiler. Die räumliche Durchdringung der Halle mit den beiden Obergeschossen schafft in Verbindung mit dem großflächigen Oberlicht eine offene, großzügige Atmosphäre. Von der Halle aus werden sämtliche Schulbereiche wie Verwaltung, Sporthalle, Klassen- und Fachräume über kurze Wege erschlossen. Die angegliederte Sporthalle ist um ein Geschoss abgesenkt, um eine für den Ort angemessene Maßstäblichkeit zu errei-
chen. Die Klassenzimmer orientieren sich primär nach Süden, wohingegen die Fachunterrichtsräume nach Westen und Norden weisen, um diffuses Licht zu erhalten. Die Flure in diesen Bereichen sind mit Vor- und Rücksprüngen plastisch ausgebildet, sodass sie in den Pausen als Aufenthaltsbereiche genutzt werden können. Das Erscheinungsbild des Schulhauses wird vor allem durch die auffallend rosa bzw. gelbgrün verputzten Fassadenflächen geprägt. Diese Farbigkeit setzt sich innen im Bodenbelag fort und taucht die anderen konsequent in Weiß gehaltenen Flächen in ein weiches Licht.
Ausführungsbeispiele Realschule in Eching (D)
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2. OG
Lageplan Maßstab 1:5000 Grundriss Maßstab 1:1500 Vertikalschnitt Maßstab 1:20
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Hauptzugang Sporthalle Pausenhof Fachunterrichtsraum Klassenzimmer
6 Kiesschüttung 50 mm Abdichtung Edelstahlblech rollennahtgeschweißt 0,4 mm Wärmedämmung EPS 120 mm Dampfsperre Bitumenschweißbahn 4 mm Bitumenvoranstrich Stahlbeton im Gefälle 260 mm Akustikdecke abgehängt 7 Wärmedämmverbundsystem 110 mm Stahlbetonwand 250 mm 8 Betonfertigteil mit thermisch getrenntem Bewehrungsanschluss 9 Hohlraum seitlich geschlossen 10 Blende Aluminiumblech 4 mm 11 Schiebefenster isolierverglast 12 Kassette Aluminiumblech 2 mm 13 Bodenbelag 2,5 mm Zementestrich 60 mm, Trennlage PE-Folie Trittschalldämmung 40 mm, Trennlage PE-Folie Stahlbetondecke 260 mm, Akustikdecke 14 Seilführung Sonnenschutz eingebohrt
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Blumenmarkt in Barcelona (E)
Architekten: WMA – Willy Müller, Barcelona Tragwerksplaner: Area 5, Barcelona
Der neue Blumenmarkt liegt in unmittelbarer Nähe des Flughafens von Barcelona. Entdeckt man ihn aus der Luft, erkennt man die unregelmäßig angeordneten dunklen Streifen aus Zinkblech, die verschieden große Felder abgrenzen. Die Assoziation an Getreidefelder ist gewollt, auch die bunten Farbstreifen entlang des Ortgangs sollen an Blumen erinnern. Unter den expressiven Faltungen des Dachs verbergen sich Eingänge, Ladezonen und Parkbuchten. Das Dach fungiert als verbindendes Element für drei konzeptionell verschiedene Märkte im Inneren.
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Sie unterscheiden sich entsprechend ihrer Nutzung im Hinblick auf Logistik sowie gestalterischer und technischer Ausstattung. So ist der Teil für Schnittblumen mit Kühlkammern ausgestattet, deren Temperaturen konstant zwischen zwei und 15 °C geregelt werden können. Weil die Blumen innerhalb von drei Tagen verkauft sein müssen, ist in diesem Bereich der Durchsatz am größten. Daher ist hier eine großzügige Zone für Anlieferung angeordnet. Auf der anderen Seite des Markts werden Topfpflanzen gehandelt. Da deren Verkaufszeitraum 15 Tage beträgt, ist dieser Bereich nicht nur als
Verkaufs-, sondern gleichzeitig als Lagerfläche oder Gewächshaus konzipiert. Der rund 4000 m2 große, beheizbare Industrieboden und das passive Kühlsystem, das auch die Luftfeuchte reguliert, sorgen für Temperaturen zwischen 15 °C und 26 °C. Zwischen diesen beiden Bereichen liegt der Markt für Pflanzenzubehör, Accessoires und Trockenblumen. Hier waren große Flächen für Lagerhaltung erforderlich. Wegen der erhöhten Brandlasten mussten verschärfte Brandschutzmaßnahmen umgesetzt werden. Erfahrungswerte hierfür lieferte der Vorgängerbau, der 2001 abgebrannt ist.
Ausführungsbeispiele Blumenmarkt in Barcelona (E)
Lageplan Maßstab 1:7000 Schnitte • Grundrisse Maßstab 1:2000 1 2 3 4 5
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Eingang Tickets Ladezone Schnittblumen Trockenblumen, Pflanzenzubehör Accessoires Topfpflanzen Logistik Floristenschule Gastronomie Direktion Besprechungsraum Großhandelsverband Floristenverband Mehrzweckraum
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Museum und Kulturzentrum in Aomori (J)
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molo design, Vancouver Stephanie Forsythe, Todd MacAllen Frank la Rivière Architects, Tokio Frank la Rivière d/dt Arch, Tokio, Yasuo Nakata Tragwerksplaner: Kanebako Structural Engineers, Tokio
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Wie ein farbiger Vorhang verhüllen rote Stahlbänder das Nebuta-Museum in der nordjapanischen Hafenstadt Aomori. Dahinter verbergen sich Ausstellungshalle, Theater, Proberäume und Restaurant. Das Kulturzentrum widmet sich dem Nebuta-Matsuri-Fest, einem der größten Festivals in Japan. Auf großen Festwagen werden die Nebuta – handgefertigte, farbenprächtige, von innen beleuchtete Figuren aus Papier, die Kriegshelden, Tiere und Dämonen darstellen – durch die Stadt gezogen. Ein 1:50-Modell aus Papier diente als Vorlage für die Fassade, bestehend aus 748 roten Bändern, die maßstäblich in Stahl übertragen wurden. Jedes einzelne Band wurde individuell mithilfe einer speziell entwickelten Maschine gebogen. Durch die unterschiedlichen Formen wirken manche Fassadenabschnitte geschlossen, während andere durchlässig erscheinen und Blickbezüge nach außen ermöglichen. Die einzelnen Bänder sind im oberen Bereich parallel zum Dachrand ausgerichtet und fächern sich zum unteren Ende in unterschiedlichen Winkeln auf, abhängig vom Einfall des Sonnenlichts im Tagesverlauf. Zwischen diesen Fixpunkten sind die Bänder um die eigene Achse verdreht, wobei manche durch eine zusätzliche Biegung zur Seite Öffnungen schaffen. Zugleich demonstrieren sie die Leichtigkeit des Materials, indem sie wie vom Wind bewegt wirken. Die 12 m hohen, 30 cm breiten und 9 mm dicken Stahlbänder sind von oben abgehängt und an drei weiteren Punkten flexibel fixiert, um thermische Ausdehnung und Biegung durch Windlasten aufnehmen zu können. Mit der Fassadenhülle entsteht ein umlaufender Zwischenraum, der auf die traditionelle japanische »engawa«, die Veranda, anspielt. Er bildet die Schwelle für den Übergang von der Gegenwart in die Welt der Geschichten und Mythen der Nebuta.
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Architekten:
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Ausführungsbeispiele Museum und Kulturzentrum in Aomori (J)
Grundrisse Maßstab 1:1250 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
Eingang Eingangshalle Museumsshop Restaurant /Café Ausstellungshalle Engawa Proberaum Künstlerwohnung Verwaltung Ausstellung Foyer Theater Information Mehrzweckraum Luftraum Galerie
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Vertikalschnitt Horizontalschnitt Maßstab 1:20
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17 Band Stahlblech verzinkt beschichtet lackiert 12 000/300/9 mm, Kanten gefast zur Vermeidung von Windgeräuschen 18 Paneel Aluminium 1 mm C-Profil Stahl 100/50/2 mm 19 Dichtungsbahn Wärmedämmung 50 mm Trapezblech 75 mm Stahlträger IPE 500 20 Verstärkungsrippe Flachstahl geschweißt verzinkt beschichtet 6 mm
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Befestigungsplatte Flachstahl 9 mm Stahlprofil fi 150/75/9 mm Stahlprofil ∑ 150/100/12 mm Stahlprofil Å 148/100/6 mm Langloch zur flexiblen Befestigung Stahlprofil Å 100/100/6 mm Kalziumsilikatplatte abgehängt wasserfest beschichtet gestrichen 8 mm 28 Stahlprofil Å 200/100/6 mm Lochung Ø 80 mm zur Entwässerung 29 Druckstab 2≈ Stahlprofil } 100/50/6 mm 30 Stahlprofil ∑ 130/130/12 mm
b 28
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30 25
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Sozialer Wohnungsbau in Paris (F)
Architekten:
Hamonic + Masson, Paris Gaelle Hamonic, Jean-Christophe Masson Mitarbeiter: Marie-Agnès de Bailliencourt Tragwerksplaner: SIBAT, Paris
Im Zuge der Umstrukturierung eines großen Häuserblocks zwischen Gare deLyon und Seine sollte auch der Innenhof nachverdichtet und aufgewertet werden. Zwei turmartige Baukörper mit 62 Sozialwohnungen ersetzen nun Zeilenbauten aus den 1950er-Jahren. Die bis zu 16-geschossige Blockrandbebauung schirmt den Hof von der stark befahrenen Uferstraße ab und verleiht ihm eine überraschend ruhige Atmosphäre, die der Entwurf mit großen Balkonen nutzt. Als umlaufende Bänder umspielen sie die neun und zwölf Stockwerke hohen Gebäude und beleben mit variantenreicher Gestaltung das Fassadenbild: Etagenweise wechseln sich brüstungshohe Geländer und geschosshohe Elemente aus Lamellen, Glaspaneelen und Edelstahlnetzen ab. Weitere Akzente setzen die Nordfassaden mit partiell grünen Metallverkleidungen und die grün lasierten Betonbrüstungen des niedrigeren Turms. Die unterschiedlichen Zuschnitte der Balkone und ihre Schichtung lösen den Gebäudeumriss auf und überspielen das Bauvolumen. Obwohl die übereinanderliegenden Wohnungen gleich sind, wirken sie durch die differenziert gestalteten Balkone individuell. Von fast allen Wohnund Schlafräumen führen Fenstertüren hinaus zu den großen privaten Freibereichen, die je nach Stockwerk wie Aussichtsplattformen oder hinter den Glaselementen wie geschützte Loggien wirken. Durch die filigrane vorgelagerte Hülle wird diese Heterogenität jedoch gut überspielt. Den Eindruck der Leichtigkeit und Durchlässigkeit der beiden Baukörper verstärken die spiegelnden Oberflächen, die das Tageslicht tief in die Wohnungen reflektieren. Die Fassaden sind mit Trapezprofilen verkleidet – auch hier etagenweise alternierend aus hochglänzendem Edelstahl und mattem Aluminium. Ebenfalls leicht reflektierend sind die silberfarben lasierten Untersichten der Balkone. 108
Ausführungsbeispiele Sozialer Wohnungsbau in Paris (F)
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B Lageplan Maßstab 1:2500 Grundrisse • Schnitt Maßstab 1:750 A 12-geschossiger Baukörper B 9-geschossiger Baukörper
A
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Baukörper A Vertikalschnitt Maßstab 1:20
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2
1 Dichtungsbahn mit integrierten Dünnschichtsolarzellen 4,6 mm, Wärmedämmung 160 mm, Dampfsperre 5 mm, Stahlbetondecke im Gefälle 2 Trapezblech Edelstahl blankgeglüht hochglänzend 20 –75 mm, Hinterlüftung 20 mm, Wärmedämmung wasserabweisend 175 mm, Stahlbeton 180 mm, Putz 15 mm 3 Trapezblech Aluminium pulverbeschichtet 20 –75 mm 4 Aluminiumblech pulverbeschichtet 3 mm 5 Absturzsicherung VSG-Festverglasung mit einlaminierter grüner PVB-Folie 11 mm in Stahlrahmen 6 PU-Kunstharzbeschichtung silberfarben wasserabweisend, Stahlbeton-Fertigteilplatte 235 mm, Unterseite Lasur silberfarben 7 Bewehrungsanschluss wärmegedämmt 8 Edelstahlblech blankgeglüht hochglänzend 2 mm 9 Pfosten Stahlprofil silbergrau einbrennlackiert ¡ 60/15 mm, Handlauf Stahlprofil ¡ 60/10 mm, Stahlstab Ø 16 mm 10 Isolierverglasung in Kunststoffrahmen
3 5
4
6
7
2 8 10 9
8
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Kindergarten in Monthey (CH)
Architekten:
Bonnard Woeffray architectes, Monthey Mitarbeiter: Nuno Ferreira Tragwerksplaner: Kurmann & Cretton SA, Monthey
Der neue Kindergarten von Monthey in der Nähe des Genfer Sees befindet sich im Stadtpark Cinquantoux anstelle einer ehemaligen Villa. Das nahezu organische Gebäudevolumen mit seiner heterogenen leicht geneigten Dachlandschaft integriert sich gut in die umgebenden Baumgruppen. Die polychrom gestreifte Fassade aus vertikalen Holzlatten in leuchtendem Pink, Orange, Rot und Grün setzt einen farbigen Akzent und entführt den Ankommenden in die Welt der Kinder. Über zwei Etagen verteilt, besteht die Institution aus sechs separaten Einheiten und bietet Platz für ca. 180 Kinder. Jede Einheit ist unterteilt in einen Bereich für Aktivität und einen für Ruhe, die durch einen Kern aus Waschraum und Toiletten getrennt werden. Die Farbigkeit der Gebäudehülle setzt sich im Inneren fort, wobei hier jede Einheit ihren eigenen Farbton besitzt, der ihr einen unverwechselbaren Charakter verleiht. Die monochrom eingefärbten Decken und Böden erzeugen eine rhythmische Abfolge und kontrastieren mit dem rohen Sichtmauerwerk der Wände. Großzügige Fensteröffnungen sorgen für lichtdurchflutete Räume und bieten durch ihre Vielfalt an unterschiedlichen Positionen jeder Altersgruppe die Möglichkeit eines Ausblicks ins Grün des Parks.
Grundrisse Maßstab 1:500 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
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Foyer Kinderwagen Sekretariat Büro Besprechung Speisesaal Küche Terrasse Lager Gruppenraum Waschraum /WC Ruhe-/Schlafraum
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EG
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Ausführungsbeispiele Kindergarten in Monthey (CH)
Horizontalschnitt • Vertikalschnitt Maßstab 1:20
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13 Dachabdichtung Wärmedämmung Schaumglas 200 mm Stahlbetondecke 200 mm 14 Holzschalung vertikal 200/20 mm, farbige Polyurethanbeschichtung Konterlattung horizontal 45/30 mm, Windsperre Wärmedämmumg Mineralwolle 80 + 80 mm Ziegelmauerwerk 175 mm 15 Festverglasung ESG 4 mm + SZR 16 mm + ESG 4 mm in Holzrahmen 16 Lochblech Aluminium 3 mm, beigefarben pulverbeschichtet 17 Bodenbelag Linoleum 3 mm Zementestrich 77 mm Trittschalldämmung 20 mm, Trennlage Stahlbeton 250 mm 18 Öffnungsflügel Isolierverglasung ESG 4 mm + SZR 16 mm + ESG 4 mm 13
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Neues Stadtzentrum Barking (GB) 3 2 1 4 5
6
Architekten:
Allford Hall Monaghan Morris (AHMM), London Tragwerksplaner: Buro Happold, London Beattie Watkinson, London
Die Revitalisierung des östlich von London gelegenen Stadtzentrums von Barking stellt eine der bedeutendsten Sanierungsprojekte Großbritanniens der letzten Jahre dar. Der Masterplan wurde über einen Zeitraum von neun Jahren in zwei Bauphasen realisiert. In der ersten Phase wurde die existierende Bücherei aus den 1970er-Jahren saniert und um eine Kunstgalerie und Konferenzräume erweitert. Zusätzlich ergänzt anstelle der ehemaligen Ropework-Fabrik ein sechsgeschossiges angegliedertes Wohngebäude das Ensemble, welches 246 Ein- und ZweiZimmer-Wohnungen enthält. Phase zwei beinhaltet die Realisierung eines 66-Betten-Hotels, eines Einkaufzentrums, eines Fahrradparkhauses und der drei Wohngebäude Bath House, Lemonade Building und Axe Street. Als Treffpunkt und Mitte des neuen Stadtzentrums dient ein öffentlicher Platz mit einem park-ähnlichen Arboretum. Alle Gebäude des Komplexes, so unterschiedlich und individuell sie auch in Gestaltung und Form sind, verbindet eine gemeinsame Farbpalette, die aus zwei Quellen schöpft. Zum einen aus dem Arboretum, dessen Farbspektrum sich aus den verschiedenen Farben der Blätter zusammensetzt, die je nach Jahreszeit variieren. Als weitere Inspiration dient das gelb-grün gestreifte Logo der ehemaligen Limonadenfabrik R Whites. Die uniforme braune Ziegelfassade des Bath House wird durch die in Herbstfarben wie Ocker oder Purpur getauchten Balkone akzentuiert. Das Rope Works über der Bibliothek nimmt indessen die frühlingshafte Farbpalette auf. Seine kompakten Balkone sind in Lindgrün bis leuchtend Gelb gestrichen. Dieses Spektrum greift auch der 17-geschossige Wohnturm Lemonade Building auf. Die Loggien sind gebäudeseits mit farbigen Paneelen in Grün und Gelb verkleidet und kontrastieren mit der Ziegelfassade in zurückhaltendem Beige. 112
8
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Ausführungsbeispiele Neues Stadtzentrum Barking (GB)
Lageplan Maßstab 1:2000 Ansicht Nord ohne Maßstab Detailschnitt Fassade Bath House 1 2 3 4 5 6 7 8
Maßstab 1:20
Arboretum Wohngebäude Bath House Wohngebäude Piano Works Wohnhochhaus Lemonade Bibliothek und Wohngebäude Rope Works Bildungszentrum Fahrradunterstand Wohngebäude Axe Street
9
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9 Abdeckblech Aluminium 10 Blendmauerwerk Ziegelstein braun 102 mm, Typ Ibstock Cheddar, hinterlüftet, spezielle Fuge alle 4 Steine, Unterkonstruktion Edelstahl Wärmedämmung 50 mm Faserzementplatte 10 mm Wärmedämmung 100 mm 11 Fenstertür: Isolierverglasung in Kombinationsrahmen außen Aluminium pulverbeschichtet, innen Holz 12 Geländer Flachstahl verzinkt, pulverbeschichtet 10/40 mm, 13 Balkonbelag Nadelholzdielen gerillt 144 /27 mm 14 Aluminiumblech auf Trägerplatte Faserzement 12,5 mm 15 Unterkonstruktion Stahlrahmen verzinkt 180 mm 16 Gipskartonständerwand 2≈ 12,5 mm
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16
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Anhang
Literatur
Autoren Axel Buether Handwerksausbildung zum Steinmetz; Studium der Architektur mit anschließender Promotion im Grenzbereich von Neuropsychologie und Gestaltung zum Thema »Semiotik des Anschauungsraums«; Projekte aus Architektur, Design und Medienkunst; 2006 Wahl zum Vorsitzenden des Deutschen Farbenzentrums e. V. – Zentralinstitut für Farbe in Wissenschaft und Gestaltung, das seit 50 Jahren als interdisziplinäre Vereinigung internationale Fachkonferenzen ausrichtet, Wettbewerbe durchführt und Bildung vermittelt; 2006 –2012 Professur an der Burg Giebichenstein Kun sthochschule Halle (Saale) im Lehrgebiet »Farbe Licht Raum«; 2012 Ablehnung des Rufs an die Hochschule Hannover für das Lehrgebiet »Kreativität und Wahrnehmungspsychologie«; seit 2012 Professor an der Bergischen Universität Wuppertal für das Lehrgebiet »Didaktik der Visuellen Kommunikation«. Anke Augsburg 1990 –1996 Designstudium mit Schwerpunkt Plastik an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle (Saale); anschließend Ingenieurstudium für LightingDesign an der Hochschule für Angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim /Holzminden /Göttingen (HAWK); seit 2005 eigenes Büro für Lichtdesign und Lichtplanung in Leipzig (www.lichtarchitekten.com). Thomas Danzl Ausbildung zum Kirchenmaler; Studium der Kunstgeschichte und Geschichte an der Universität Florenz; berufliche Weiterbildung am ICCROM in Rom und am Opificio delle Pietre Dure in Florenz; Fortführung des Studiums mit Schwerpunkt Konservierung und Denkmalpflege an der Universität Udine; 1994 –1997 Promotion in Kunstgeschichte und Geschichte in Regensburg; 1998 – 2006 Leiter der Abteilung Restaurierung am Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie in Sachsen-Anhalt; 2006 – 2008 Leiter der Restaurierwerkstätten des österreichischen Bundesdenkmalamts; 2007 Bestellung zum Honorarprofessor und 2009 Berufung zum ordentlichen Professor an die Hochschule für Bildende Künste Dresden; Leitung der Fachklasse für Kunsttechnologie, Konservierung und Restaurierung von Wandmalerei und Architekturfarbigkeit. Andreas Kalweit Maschinenbaustudium an der Hochschule Niederrhein; Studium Industrial Design an der Universität GH Essen; seit 1998 als Mitbegründer einer Agentur erfolgreich im Industrie- und Corporatedesign für namhafte, international agierende Unternehmen tätig; Lehrauftrag an der Bergischen Universität Wuppertal; mit seiner Doppelqualifikation als Maschinenbauingenieur und diplomierter Industrial Designer arbeitet er an der Schnittstelle zwischen Design und Engineering für die Industrie und in der Forschung; seine Arbeitsschwerpunkte liegen sowohl in den Fertigungs- und Materialtechnologie als auch in der Konstruktionstechnik und -systematik im Industrial Design. AnneMarie Neser Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Politischen Wissenschaften in Heidelberg und Berlin (M.A.); Dissertation an der Universität der Künste Berlin (Architektur) bei Prof. Dr. Johann Friedrich Geist; Leiterin des Werkraum Berlin und Dozentin am Haus der Farbe Zürich sowie der FH Potsdam; Kuratoriumsmitglied des Deutschen Farbenzentrums; freiberufliche Tätigkeit, u. a. als bauhistorische Gutachterin, Autorin, Unternehmensberaterin.
114
Timo Rieke 1995 –1998 Studium der Sozialwissenschaften an der Georg-August-Universität Göttingen; 1998 Wechsel an die Fakultät Gestaltung der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim /Holzminden /Göttingen (HAWK); 2003 Diplom als Farbdesigner und Eröffnung eines eigenen Ateliers in Hannover mit den Schwerpunkten Grundlagenforschung Farbe, Color Consulting, Oberflächengestaltung und Grafikdesign; 2006 Umzug des Ateliers nach Wien; seit 2011 Lehrauftrag für Farbdesign an der HAWK mit den Schwerpunkten Grundlehre, Produktfarbigkeit und Farbenplanung; 2012 Gründung des interdisziplinären Visual Haptics Labs in Hamburg. Lino Sibillano Studium der Kunstgeschichte, Theater- und Musikwissenschaft an den Universitäten Zürich und Bern; 1998 –2001 Assistent am Collegium Helveticum, einem Laboratorium für Transdisziplinarität der ETH Zürich (u. a. Betreuung des Artist-in-ResidenceProgramms); aus dieser Erfahrung heraus 2004 gemeinsam mit Darko Senekovic Gründung von PROJEKT ART+, einem Labor für disziplinen- und kulturenübergreifende künstlerische Zusammenarbeit; aus dieser Initiative ist die virtuelle Plattform www.citysharing entstanden; seit 2001 Co-Leiter und Dozent am Haus der Farbe in Zürich tätig. Axel Venn Studium Design und freie Komposition an der Folkwangschule für Gestaltung in Essen bei Prof. E. Hitzberger; Professor em. für Farbgestaltung und Trendscouting an der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst, Fakultät Gestaltung, Hildesheim und häufiger Gastredner an zahlreichen Universitäten weltweit; genießt internationales Renommee als Farb-, Marketing- und Ästhetikmentor; u. a. tätig als ständiger Mitarbeiter für Organisationen, Verbände, Industrie- und Handelsunternehmen, Messe- und Beratungsgesellschaften; seine Vorträge, Seminare und diverse publizistischen Arbeiten sind international. Marcella Wenger-Di Gabriele Kunstgewerbeschule und gestalterische Berufslehre in Bern; 1995 –1998 Ausbildung zur Farbgestalterin HF in Zürich; selbstständige Tätigkeit als Gestalterin und Dozentin für Farbgestaltung; seit 2011 Leiterin der Vermittlungswerkstatt am Haus der Farbe – Schule für Handwerk und Gestaltung in Zürich. Stefanie Wettstein Studium der Kunstgeschichte an der Universität Zürich; 1996 Dissertation über Dekorationsmalerei um 1900; 1986 –1999 Mitarbeit im Bauforschungsteam der Firma Fontana & Fontana AG, Werkstätten für Malerei in Jona-Rapperswil; 1993 –1997 Assistentin bei Prof. Werner Oechslin am Institut für Geschichte und Theorie der Architektur an der ETH Zürich; seit 1999 Co-Leiterin am Haus der Farbe – Schule für Handwerk und Gestaltung in Zürich; verschiedene Publikationen zum Thema Farbgestaltung in der Architektur mit Lino Sibillano im Rahmen der Forschungswerkstatt vom Haus der Farbe.
Adlbert, Georg (Hrsg.): Le Corbusier/Pierre Jeanneret. Doppelhaus in der Weissenhofsiedlung Stuttgart. Die Geschichte einer Instandsetzung. In: Wüstenrot Stiftung (Hrsg.): Baudenkmale der Moderne. Stuttgart 2006 Adlbert, Georg: Der Kanzlerbungalow. Erhaltung, Instandsetzung, Neunutzung. Ludwigsburg /Zürich 2010 Aicher, Otl; Kuhn, Robert: Greifen und Griffe. Köln 1987 Albers, Josef: Interaction of Color. Princeton 2009 Arnheim, Rudolf: Anschauliches Denken. Köln 1969 Bastian, Martin: Einfärben von Kunststoffen. Produktanforderungen – Verfahrenstechnik – Prüfmethodik. München 2010 Batchelor, David: Chromophobia. London 2000 Berger, John; Christie, John: I Send you this Cadmium Red. Ein Briefwechsel über Farben. Basel / Bosten /Berlin 2000 Botton, Alain de: Glück und Architektur. Von der Kunst, daheim zu Hause zu sein. Frankfurt am Main 2008 Braum, Michael; Welzbacher, Christian: Nachkriegsmoderne in Deutschland: Eine Epoche weiterdenken. Basel /Boston /Berlin 2009 Breidbach, Olaf; Klinger, Kerrin; Müller, Matthias: Camera Obscura. Die Dunkelkammer in ihrer historischen Entwicklung. Stuttgart 2013 Buether, Axel: Wege zur kreativen Gestaltung. Methoden und Übungen. Leipzig 2013 Burckhardt, Lucius: Warum ist Landschaft schön? Die Spaziergangswissenschaft. Berlin 2006 Burkhard, Berthold (Hrsg.): Scharoun. Haus Schminke. Die Geschichte einer Instandsetzung. In: Wüstenrot Stiftung (Hrsg.): Baudenkmale der Moderne. Stuttgart 2000 Bürkle, Christoph J.; Tropeano, Ruggero: Die RotachHäuser. Ein Prototyp des Neuen Bauens in Zürich. Zürich 1994 Casciato, Maristella; Mornati, Stefania; Poretti, Sergio (Hrsg.): Architettura moderna in Italia: documentazione e conservazione. Primo convegno nazionale. Rom 1999 Černá, Iveta; Hammer Ivo, (Hrsg.): Materiality. Proceedings of the International Symposium on the Preservation of Modern Movement Architecture / Akten des internationalen Symposiums zur Erhaltung der Architektur des Neuen Bauens, Brünn 27.– 29.04.2006, Schriften des Hornemann Instituts, Band 11. Brünn 2008 Cytowic, Richard E.: Farben hören, Töne schmecken. Die bizarre Welt der Sinne. München 1996 Damasio, Antonio R.: Descartes’ Irrtum. Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn. München 1997 Deutsches Farbenzentrum e.V. (Hrsg.): Farbe und Design. Wuppertal 2002 Donauer, Georg, Reusch, Heidrun: Fassadengestaltung mit Farbe: Vom Entwurf bis zur Ausführung. München 2007 Düchting, Hajo: Farbe am Bauhaus. Synthese und Synästhesie. Berlin 1996 Eichinger, Gregor; Tröger, Eberhard: Touch Me! Das Geheimnis der Oberfläche. Zürich 2011 von Foerster, Heinz: Sicht und Einsicht. Versuche zu einer operativen Erkenntnistheorie. Braunschweig 1985 Fonatti, Franco: Elementare Gestaltungsprinzipien in der Architektur. Wien 1982 Frieling, Heinrich: Das Gesetz der Farbe. Göttingen / Zürich / Frankfurt am Main 1980 Frieling, Heinrich: Farbe hilft verkaufen. Farbenlehre und Farbenpsychologie für Handel und Werbung. Göttingen / Zürich /Frankfurt am Main 1980 Frieling, Heinrich: Farbe im Raum. Angewandte Farbenpsychologie. München 1979 Gegenfurtner, Karl R.: Gehirn und Wahrnehmung. Eine Einführung. Frankfurt am Main 2005 von Glasersfeld, Ernst: Wissen, Sprache und
Anhang
Wirklichkeit. Arbeiten zum radikalen Konstruktivismus. Braunschweig 1987 von Goethe, Johann Wolfgang: Zur Farbenlehre. Stuttgart 2003 Gogoll, Lutz: Farbigkeit und Siedlungsarchitektur: Soziale Wirksamkeit von Farbe in der Klassischen Moderne und gegenwärtigen Architektur. Hamburg 2010 Grunwald, Martin; Beyer, Lothar (Hrsg.): Der bewegte Sinn. Grundlagen und Anwendungen zur haptischen Wahrnehmung. Basel 2001 Gundelach, Hansjoachim; Vatsella, Katerina (Hrsg.): Pfirschblüt & Cyberblau. Goethe, Farbe, Raum. Weimar 1999 Hansen, Thorsten u. a.: Memory modulates color appearance. In: Nature Neuroscience, Band 9, Nummer 11, November 2006, S. 1367–1368 Harbusch, Gregor: Architekt Ludwig Leo. Bauen im West-Berlin der 1960er Jahre (Dissertationsprojekt an der ETH Zürich) Haspel, Jörg u. a.: The Soviet Heritage and European Modernism. Heritage at Risk. Special Edition. Berlin 2007 Haupt, Isabel: Farben der Stadt, Architekturfarbigkeit, Stadtbild, Farbidentitäten. Basel 2012 Herman Miller Inc.: The Experience of Color. Zeeland 2001 Hopfner, Karin; Simon-Philipp, Christina; Wolf, Claus: größer höher dichter: Wohnen in Siedlungen der 1960er und 1970er Jahre in der Region Stuttgart. Stuttgart 2012 Huse, Norbert (Hrsg.): Denkmalpflege: deutsche Texte aus drei Jahrhunderten. München 1996 Huse, Norbert (Hrsg.): Mendelsohn. Der Einsteinturm. Die Geschichte einer Instandsetzung. In: Wüstenrot Stiftung (Hrsg.): Baudenkmale der Moderne. Stuttgart 2000 Ineichen, Hannes (Hrsg.): Rudolf + Esther Guyer. Bauten und Projekte 1953 – 2001. Monografien Schweizer Architekten und Architektinnen. Schriftenreihe Band 4, Buch 1. Blauen 2002 Institut für Denkmalpflege an der ETH Zürich (Hrsg.): Mineralfarben. Beiträge zur Geschichte und Restaurierung von Fassadenmalereien und Anstrichen. Zürich 1998 Itten, Johannes: Die Kunst der Farbe. Ravensburg 2000 Jain, Elenor: Hermeneutik des Sehens. Frankfurt am Main 1995 Jarman, Derek: Chroma. Ein Buch der Farben. Berlin 1995 Kalweit, Andreas u. a. (Hrsg.): Handbuch für Technisches Produktdesign. Material und Fertigung, Entscheidungsgrundlagen für Designer und Ingenieure. Berlin 2011 Kamphuijs, Hanneke; Tan, Jeanne: Colour Hunting. How Colour Influences What We Buy, Make and Feel. Amsterdam 2011 Kiese-Himmel, Christiane: Sprachentwicklung und haptische Wahrnehmung. In: Grunwald, Martin; Beyer, Lothar (Hrsg.): Der bewegte Sinn. Grundlagen und Anwendungen zur haptischen Wahrnehmung. Basel 2001, S. 110ff. Kister, Johannes: Körper- und Raumkomposition. Köln 2001 Klotz, Heinrich (Hrsg.): Revision der Moderne. Postmoderne Architektur 1960 –1980. München 1984 Kornerup, Andreas; Wanscher, Johan Henrik: Taschenlexikon der Farben. Zürich u. a. 1981 Kramm, Rüdiger; Dill, Alex: Zum aktuellen Umgang mit den Bauten der Moderne. Frankreich. 4. Karlsruher Tagung und Ausstellung. Karlsruhe 2007 Krampen, Martin; Hörmann, Günter: Die Hochschule für Gestaltung Ulm – Anfänge eines Projektes der radikalen Moderne. Berlin 2003 Kuhnert, Nikolaus; Ngo, Anh-Linh: Architekturgeschichte als Gesellschaftsgeschichte. In: Arch+ 210, 2013, S. 2 – 3 Kuno, Naomi; FORMS Inc.: Colors in Context. Tokio 1999
Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.): Der Sinn der Sinne. Schriftenreihe Forum / Band 8. Göttingen 1998 Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.): Sehsucht. Schriftenreihe Forum/Band 4. Göttingen 1995 Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.): Tasten. Schriftenreihe Forum / Band 7. Göttingen 1996 Küthe, Erich; Venn, Axel: Marketing mit Farben. Köln 1996 Lupfer, Gilbert u. a.: Architektur und Kunst. Das Meisterhaus Kandinsky-Klee in Dessau. Leipzig 2000 Machnow, Harald: Ruess, Wolfgang (Hrsg.): Farbe im Stadtbild. Berlin 1976 Markgraf, Monika u. a.: Denkmalpflege der Moderne. Konzepte für ein junges Architekturerbe. Hrsg. von der Wüstenrot Stiftung. Stuttgart 2011 Markgraf, Monika: Maintenance System for the Bauhaus Buildings in Dessau and Weimar: Conceptual Development of a Methodology. In: Canziani, Andrea (Hrsg.): Conserving Architecture. Planned Conservation of XX Century Architectural Heritage. Mailand 2009, S. 258 – 270 Matthies, Ellen; Baecker, Jochen; Wiesner, Manfred: Erkenntniskonstruktion am Beispiel der Tastwahrnehmung. Braunschweig 1991 Maturana, Humberto: ERKENNEN. Braunschweig 1991 McLachlan, Fiona: Architectural Colour in the Professional Palette. London/New/York 2012 Menrad, Andreas: Die Weißenhof-Siedlung – farbig. Quellen, Befunde und die Revision eines Klischees. In: Deutsche Kunst und Denkmalpflege 01/1986, S. 106 Mühlendyck, Hermann; Rüssmann, Walter: Augenbewegung und visuelle Wahrnehmung. Stuttgart 1990 Muntwyler, Stefan: Farbpigmente. Farbstoffe. Farbgeschichten. Winterthur 2011 Nänni, Jürg: Visuelle Wahrnehmung. Sulgen /Zürich 2008 Nerdinger, Winfrid u. a. (Hrsg.): Bruno Taut 1880 –1938. Architekt zwischen Tradition und Avantgarde. München 2001 Pascha, Khaled Saleh: Gefrorene Musik. Das Verhältnis von Architektur und Musik in der ästhetischen Theorie, Dissertation. Berlin 2004 Piqueras-Fiszman, Betina; Spence, Charles: The Influence of the Color of the Cup on Consumers’ Perception of a Hot Beverage. In: Journal of Sensory Studies, Band 27, Ausgabe 5, Oktober 2012, S. 324 – 331 Pitz, Helge; Brenne, Winfried: Die Farbe im Stadtbild der zwanziger Jahre. In: Deutsche Kunst und Denkmalpflege, 1978, S. 95 –105 Plurale. Zeitschrift für Denkvisionen. Oberflächen. Heft 0, Berlin 2001 Posener, Julius: Vorlesungen zur Geschichte der Neuen Architektur. Aachen 2013 Pursche, Jürgen (Hrsg.): Historische Architekturoberflächen. Kalk, Putz, Farbe. Internationale Fachtagung des Deutschen Nationalkomitees von ICOMOS und des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege, München 20.– 22.11.2002, Hefte des Deutschen Nationalkomitees /ICOMOS 39. München 2004 Rieger, Hans Jörg: Die farbige Stadt: Beiträge zur Geschichte der farbigen Architektur in Deutschland und der Schweiz 1910 –1939. Dissertation an der Zürich Philosophischen Fakultät I, Universität Zürich 1976 Rieke, Timo: Haptic Visuals. Oberfläche und Struktur – Farbe und ihre Beziehung zur Tastwahrnehmung. Frammersbach 2008 Rizzolatti, Giacomo; Sinigaglia, Corrado: Empathie und Spiegelneurone: Die biologische Basis des Mitgefühls. Frankfurt am Main 2008 Rossi, Aldo: Die Architektur der Stadt. Skizze zu einer grundlegenden Theorie des Urbanen. Bauwelt Fundamente, Band 41. Düsseldorf 1973
Roth, Gerhard: Aus Sicht des Gehirns. Frankfurt am Main 2003, S. 87ff. Roth, Gerhard: Fühlen, Denken, Handeln. Wie das Gehirn unser Verhalten steuert. Frankfurt am Main 2003, S. 94ff. Rucki, Isabel; Huber, Dorothee (Hrsg.): Architektenlexikon der Schweiz 19. /20. Jahrhundert. Basel / Boston /Berlin 1995 Rüegg, Arthur (Hrsg.): Le Corbusier. Polychromie architecturale. Farbenklaviaturen von 1931 und 1959. Basel 2006 Rümmler, Rainer Gerhard: Gestaltung von fünf Bahnhöfen der Linie 7. Anreize zur Erarbeitung einer Gestaltung des unverwechselbaren »Ortes U-Bahnhof«. In: Berliner Bauwirtschaft 18 /1984, S. 25 – 29 Hrsg. vom Senator für Bau- und Wohnungswesen Berlin Sacks, Oliver: Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte. Reinbek 2002 Sacks, Oliver: Die Insel der Farbenblinden. Reinbek 1998 Salberg-Steinhardt, Barbara: Bildnerisches Gestalten. Vom Material zum Objekt. München 1979 Schawelka, Karl; Hoormann, Anne (Hrsg.): Who’s afraid of. Zum Stand der Farbforschung. Weimar 1999 Schawelka, Karl: Farbe. Warum wir sie sehen, wie wir sie sehen. Weimar 2007 Scheper, Renate (Hrsg.): Farbenfroh! Colourful! Die Werkstatt für Wandmalerei am Bauhaus. The Wallpainting Workshop at the Bauhaus. Berlin 2005 Scheper, Renate (Hrsg.): Vom Bauhaus geprägt. Hinnerk Scheper. Farbgestalter, Fotograf, Denkmalpfleger. Bramsche 2007 Schmidt, Hartwig: Denkmalpflege und moderne Architektur. Zwischen Pinselrenovierung und Rekonstruktion. In: Restauro 104/2, 1998, S. 114 –119 Schwarz, Andreas: Die Lehren von der Farbenharmonie. Göttingen /Zürich 1999 Seeling, Hartmut: Geschichte der Hochschule für Gestaltung Ulm 1953–1968. Ein Beitrag zur Entwicklung ihres Programms und der Arbeiten im Bereich der Visuellen Kommunikation. Dissertation. Köln 1985 Simmen, Jeannot: Kasimir Malewitsch. Das Schwarze Quadrat. Vom Anti-Bild zur Ikone der Moderne. Hamburg 1998 Sivik, Lars: Studies of Color Meaning. Göteborg 1975 Sölch, Reinhold: Die Evolution der Farben. Ravensburg 1998 Spillmann, Werner (Hrsg.): Farb-Systeme 1611– 2007. Basel 2009 Steinbrenner, Jakob; Glasauer, Stefan (Hrsg.): Farben. Frankfurt am Main 2007 Strauss, Michael: Empfindung, Intention und Zeichen. Typologie des Sinntragens. Freiburg im Breisgau 1984 Stromer, Klaus (Hrsg.): Farbsysteme in Kunst und Wissenschaft. Köln 2003 Thurn, Hans Peter: Farbwirkungen Soziologie der Farbe. Köln 2007 Venn, Axel; Schmitmeier, Herbert; Janina, VennRosky: Farben der Gesundheit. München 2011 Venn, Axel; Venn-Rosky, Janina; Kretschmar-Joehnk, Corinna: Farben der Hotels. München 2013 Venn, Axel: Colour Master. München 2012 Weidenmann, Bernd: Handbuch Kreativität. Stuttgart 2010 Wüstenrot Stiftung und Haus der Geschichte Bonn (Hrsg.): Kanzlerbungalow. München 2009 Zeki, Semir: Glanz und Elend des Gehirns. Neurobiologie im Spiegel von Kunst, Musik und Literatur. München 2010 Zimmer, Renate: Handbuch Sinneswahrnehmung. Grundlagen einer ganzheitlichen Bildung und Erziehung. Freiburg im Breisgau 1995 Zwimpfer, Moritz: 2d. Visuelle Wahrnehmung. Elementare Phänomene der zweidimensionalen Wahrnehmung. Ein Handbuch für Künstler und Gestalter. Zürich 2001
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Anhang
Hersteller und Firmen (Auswahl) Die in der Publikation genannten und in nachfolgenden Listen aufgeführten Hersteller stellen eine Auswahl möglicher Anbieter dar. Sämtliche Angaben gelten ausdrücklich nicht als Empfehlung, sondern sie sind beispielhaft zu verstehen und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die Unternehmen auf Seite 116 sind Hersteller spezifischer Produkte, die sich in der Regel nicht im Baumarkt wiederfinden, die Unternehmen auf Seite 117 umfassen den allgemeinen Standard.
Unternehmen/Institution
Webadresse
Produkt /Dienstleistung
Allgemeine Übersicht Materialfarben / Materialdatenbanken: BASF SE BAYER Materia B.V. Material Archiv Material ConneXion Cologne Materialise Materialsgate Musterkiste Nawaro ® BioEnergy AG raumPROBE OHG Stylepark AG
www.basf.com/group/corporate/designfabrik/de www.sampleexplorer.com www.materia.nl www.materialarchiv.ch www.materialconnexion.com www.materialise.com www.materialsgate.de www.musterkiste.de www.nawaro.com www.raumprobe.de www.stylepark.com/de/material
Beratung Material und Verarbeitung Materialdatenbank Materialdatenbank Materialdatenbank Materialdatenbank Materialdatenbank Materialdatenbank Materialdatenbank nachwachsende Rohstoffe Materialdatenbank Inspiration aus der Designkultur
Anstrichfarben, Lacke und Pigmente: A. Haussmann Theaterbedarf GmbH Beeck’sche Farbwerke Beeck GmbH & Co. KG Berlac AG CLAYTEC e.K Färgbygge Sweden AB Keimfarben GmbH & Co. KG Kreidezeit Naturfarben GmbH Kremer Pigmente GmbH & Co. KG kt.COLOR die Farbmanufaktur Deutschland Merck KGaA Noris Blattgold GmbH SURFACE & MATERIAL e. K. The Little Greene Paint Company Limited
www.ahaussmann.com www.beeck.com www.berlac.ch/en www.claytec.de www.fargbygge.com www.keimfarben.de www.kreidezeit.de/Frameset/index.htm www.kremer-pigmente.de/de www.ktcolor.ch www.merck-performance-materials.com www.noris-blattgold.de www.tafelfarben.de www.littlegreene.eu
Theater- und Effektpigmente Mineralfarben, spezialisiert auf Denkmalschutz elastischer Effektlack (z. B. Skibrillen) farbiger Lehmputz und Lehmfarbe »Slamfärg« Fassadenfarbe trad. schwed. Holzhäuser Erd-, Mineral- und Spinellpigmente hist. Pigmente, farbige Glasmehle, Pflanzenfarben Pigmentfarben, historische Farbpaletten Lacke, Druck, Kunststoffe spezialisiert auf Blattgold und -silberprodukte spezialisiert auf Magnet-, Tafel-, Whiteboardfarbe traditionelle englische Farbtöne
Putze und Baustoffe: Farrow & Ball Fielitz GmbH frescolori.de GmbH handmade S.a.r.l. Josef Grabner Furniere Gmbh Krichex- und Öko-Dekor-Vertriebszentrale G. Miksits Luccon Lichtbeton GmbH Röben Brick-Design Spring Color S.R.L.
www.farrow-ball.com www.fielitz.de www.frescolori.de www.handmade-calcare.com www.praegemassivholzplatten.com www.miksits.at www.luccon.de/de www.brick-design.de www.springcolor.de
Mineralfarben Strukturbleche und Leichtbauelemente Kalkmarmorputze für Wand, Boden, Nassräume farbige Edelkalkputze besondere Holzoberflächen und Massiv- und Althölzer einfärbbarer flüssiger biologischer Baumwollputz lichtdurchlässiger Beton individuelle Ziegel mit strukturierter Oberfläche Stucco Lustro nach italienischer Traditon
Oberflächen und Beläge: acrylic couture GbR Alphenberg Anne Kyyrö Quinn Bolon AB Cocomosaic Danzer Services Schweiz AG Freund GmbH Innofa BV Kvadrat GmbH MIDAS Surfaces GmbH Nya Nordiska Textiles GmbH Offecct PROCÉDÉS CHÉNEL INTERNATIONAL S.A.R.L. Wallenstein-Manufaktur GmbH & Co. KG
www.acrylic-couture.com www.alphenberg.com www.annekyyroquinn.com www.bolon.com/de www.cocomosaic.com www.danzer.com freundgmbh.com/de www.innofa.com/stretchtextiles www.kvadrat.dk www.midassurfaces.de www.nya.com/de/content/nya-walls www.offecct.se/en/products/acoustic-panels www.germany.chenel.com/de www.wallenstein-manufaktur.de
individuelle Acrylglasanfertigungen Fußboden- und Wandfliesen aus Leder handgefertige 3D-Wandoberflächen aus Filz gewebter Vinylbodenbelag Wandbeläge aus Kokosnussfliesen 3D-Holzfurniere Wandoberflächen u. a. aus farbigem Moos, Kork etc. Bezugstoffe aus Wollstrech 3D-System flexibel zusammensetzbarer Textilmodule fugenlose Metalloberflächen und -beschichtungen textile Wandpaneele akkustisch wirksame textile Wandpaneele Decken, Raumteiler, Lichtelemente aus Papier Oberflächenveredelung
Tapeten: Architects Paper A.S. Création Tapeten AG Berlintapete GmbH Vertriebsgesellschaft DEDAR S.p.A. Élitis extratapete GmbH InCréation Movisi GmbH PONGS Textiles GmbH
www.architects-paper.com/technische-tapeten/ www.berlintapete.de www.dedar.com www.elitis.fr www.extratapete.de www.increation-online.com www.movisi.com/de/pages/product_tears_off www.pongs.de/textiles-deco
Sandstein Concept GmbH & Co. KG Stones like Stones GmbH Wall&decò S.r.l. Welter Manufaktur für Wandunikate
www.sandstein-concept.de www.stoneslikestones.de www.wallanddeco.com www.welter-wandunikate.de
LED-, Stein- und Beton-Tapeten, magnetische Tapeten individuell bedruckte Foto- und Designtapeten Stofftapeten und Designstoffe Tapeten verschiedener Materialitätsoptik und -haptik Grafik- und Fototapeten Fototapeten, individuelle Wand- und Deckentapeten modulare Tapeten mit vorgefertigter Perforation digital bedruckbares textiles Wand- und Deckenspannsystem, Stoff- und Metalltapeten Tapeten mit dünner Sandsteinschicht Naturschiefer-, Rost- und Betontapeten (»Roll-Beton«) Vinyltapeten mit großformatigen grafischen Designs handgefertigte Tapeten
Ausgewählte Produkte zum Thema Farbe:
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Anhang
Unternehmen / Institution
Webadresse
Allgemeine Übersicht Farbsysteme: RAL gGmbH Pantone LLC HKS Warenzeichenverband e.V. Munsell Color NCS Colour GmbH
www.ral.de www.pantone.de www.hks-farben.de www.munsell.com www.ncscolour.com/de
Ausgewählte Produkte zum Thema Farbe: Anstrichfarben, Lacke und Pigmente: Akzo Nobel Deco GmbH Alligator Farbwerke GmbH Alpina Farben Vertriebs-GmbH & Co. KG AURO Pflanzenchemie Aktiengesellschaft BASF Coatings AG Biofa-Naturprodukte W. Hahn GmbH Brillux GmbH & Co. KG Caparol Farben Lacke Bautenschutz GmbH Chemische Fabrik Harold Scholz GmbH & Co. KG Dinova GmbH & Co. KG Dracholin GmbH (Farben, Edelputze, WDVS) einzA Lackfarbrik GmbH Europäisches Colour Centrum GmbH G. E. Habich’s Söhne GmbH & Co. KG griwecolor Farben Beschichtungen GmbH Herbol – Akzo Nobel Deco GmbH imparat Farbwerke Iversen & Mähl GmbH & Co. KG IRSA Lackfabrik Irmgard Sallinger GmbH JONAS Farbenwerke GmbH & Co. KG Karl Klenk GmbH & Co. Farben- und Lackfabrik Kremer Pigmente GmbH & Co. KG Livos Pflanzenchemie GmbH & Co. KG Meffert AG Farbwerke ProfiTec Paul Jaeger GmbH & Co. KG Relius Coatings GmbH & Co. KG Schulz GmbH Farben- und Lackfabrik Sigma Coatings Farben- und Lackwerke GmbH Sikkens (Akzo Nobel Deco GmbH) Silinwerk van Baerle & Co. Sto AG Uzin Utz AG Wacker-Chemie GmbH Wema Flüssigtapete Wulff GmbH & Co. KG
www.akzonobel.de www.alligator.de www.alpina-farben.de www.auro.de www.basf-coatings.de www.biofa.de www.brillux.de www.caparol.de www.harold-scholz.de www.dinova.de www.dracholin.de www.einza.com www.ncscolour.com/de www.habich.de www.griwecolor.de www.herbol.de www.imparat.de www.irsa.de www.jonas-farbenwerke.de www.bakolor.de www.kremer-pigmente.de www.livos.de www.profitec.de www.jaegerlacke.de www.relius.de www.schulz-farben.de www.sigmacoatings.de www.sikkens.de www.van-baerle.com www.sto.de www.uzin-utz.com www.wacker.com www.wema-fluessigtapete.de www.wulff-gmbh.de
Putze und Baustoffe: alsecco Bauchemische Produkte GmbH & Co. KG Baumit GmbH cd-color GmbH & Co. KG CLAYTEC e. K. Lehmbaustoffe Daxorol Putz und Farben GmbH FEMA Putz und Farben GmbH Knauf Gips KG quick-mix Gruppe GmbH & Co. KG Resopal GmbH Rigips GmbH Saint-Gobain Weber GmbH Schwarzwälder Edelputzwerk GmbH Schwenk Putztechnik GmbH & Co. KG
www.alsecco.de www.baumit.de www.cd-color.de www.claytec.de www.daxorol-putze.de www.fema.de www.knauf.de www.quick-mix.de www.resopal.de www.rigips.de www.sg-weber.de www.schwepa.com www.schwenk-putztechnik.de
Oberflächen und Beläge: Armstrong DLW GmbH Carpet Concept debolon dessauer bodenbeläge GmbH & Co. KG Forbo Flooring GmbH Tarkett Holding GmbH
www.armstrong.de www.carpet-concept.de www.debolon.de www.forbo-flooring.de www.tarkett.de
Tapeten / Textilien: MARBURGER TAPETENFABRIK Création Baumann AG
www.marburg.com www.creationbaumann.com
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Anhang
Bildnachweis Allen, die durch Überlassung ihrer Bildvorlagen, durch Erteilung von Reproduktionserlaubnis und durch Auskünfte am Zustandekommen des Buchs mitgeholfen haben, sagen die Autoren und der Verlag aufrichtigen Dank. Sämtliche Zeichnungen in diesem Werk sind eigens angefertigt. Nicht nachgewiesene Fotos stammen aus dem Archiv der Architekten oder aus dem Archiv der Zeitschrift Detail. Trotz intensiver Bemühung konnten wir einige Urheber der Fotos und Abbildungen nicht ermitteln, die Urheberrechte sind aber gewahrt. Wir bitten um dementsprechende Nachricht.
Seite 6 Studio Besau-Marguerre Seite 8 http://en.wikipedia.org/wiki/Josef_Albers (Stand Januar 2014) Seite 8 © The Josef and Anni Albers Foundation / VG Bild-Kunst, Bonn 2013 Seite 9 links http: //de.wikipedia.org/wiki/Häuser_ in_L’Estaque (Stand Januar 2014) Seite 9 rechts, 12, 13 Axel Buether, Wuppertal Seite 10 User-Tó campos1/wikipedia Seite 11 oben George Pohl /The Architectural Archives, University of Pennsylvania Seite 11 unten © Roberto Schezen / Esto Seite 14 links Arto Hakola /shutterstock Seite 14 rechts larus/shutterstock Seite15 oben Christian Schittich, München Seite 15 unten chungking /shutterstock Seite16, 17 Thomas Jantscher, Colombier Seite 18 Florian Aicher, Leutkirch Seite 20 www.rawcolor.nl Seite 21 Cornbread Works, Utrecht Seite 22 links Axel Hausberg, Bad Neuenahr Seite 22 rechts DuPont™ Corian ®, Deutschland Seite 23 links, 27 oben Kalweit, Andreas (Hrsg.) u.a.: Handbuch für Technisches Produktdesign. Material und Fertigung, Entscheidungsgrundlagen für Designer und Ingenieure. Springer Verlag, Heidelberg 2012 Seite 23 rechts Firma Leolux Meubelfabriek B. V., Venlo Seite 24 links Wacker Chemie AG Seite 24 rechts Jan Bitter/Stahl-InformationsZentrum Seite 25 links Dürr Systems GmbH Seite 25 rechts Fachzeitschrift HOLZ/HW-Verlag Seite 26 links www.drawin.de/dasat /images/6/ 100446-tampondruck.jpg (Stand Januar 2014) Seite 26 rechts Koelnmesse Seite 27 unten RKW Architektur + Städtebau Seite 28 links LANXESS Deutschland GmbH Seite 28 rechts Colt International GmbH – www.colt-info.de Seite 29 oben links Osram GmbH Seite 29 erstes von oben rechts Studio Frederik Molenschot Seite 29 zweites und drittes von oben rechts Material ConneXion Seite 29 viertes von oben rechts Jan Oelker, Radebeul Seite 29 fünftes von oben rechts http:// www.baunetzwissen.de/imgs/53192727_df3ffebe0b.jpg (Stand Januar 2014) Seite 30 Resopal GmbH Seite 31 oben freshfiber.com Seite 31 Mitte LandPrint.com Seite 31 unten Designstudie der Röben Tonbaustoffe GmbH Seite 32 Studio Olafur Eliasson Seite 33, 34 unten, 35 oben RAL gGmbH Seite 34 oben Axel Venn/RAL gGmbH Seite 35 unten, 36, 37 oben Axel Venn, Berlin Seite 37 unten Arne Jennard /Concept & design: Creneau International, Hotel Interior: Voglauer hotel concept /Radisson Blu Hotel Amsterdam, Shiphol Seite 38, 39 Lino Sibillano, Zürich Seite 40, 41 Marcella Wenger-Di Gabriele, Köniz
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Seite 42 Fabienne Rüedi, Laupen Seite 43 Anne-Lise Coste: »Oh mummy‚ pink blanket«. 1999, Marker auf Papier, 21 ≈ 29,7 cm Seite 44 links Ulrike Morlock-Fien, Karlsruhe Seite 44 rechts Eva Schönbrunner, München Seite 45 links Studio Olafur Eliasson Seite 45 rechts Wolfgang Günzel, Offenbach Seite 46 Timo Rieke, Hildesheim Seite 47 links Masayoshi Hichiwa Seite 47 rechts Gary Andrew Clarke, Manchester Seite 48 oben © Enric Miralles – Benedetta Tagliabue EMBT Seite 49 oben links OMA, Rotterdam Seite 49 oben rechts Christian Richters, Berlin Seite 49 unten links www.rawcolor.nl Seite 49 unten Mitte Studio Besau-Marguerre Seite 49 unten rechts Colour Concept Design Hella Jongerius/© Jongeriuslab Seite 50, 53 nach: Fördergemeinschaft Gutes Licht (FGL) Seite 51 links Peter Bartenbach, Aldrans Seite 51 rechts, 54 oben links, 57 Anke Augsburg, Leipzig Seite 54 oben rechts Uwe Frauendorf, Leipzig Seite 54 unten links Wolfgang Günzel, Offenbach am Main Seite 54 unten rechts Udo Beier, Uhldingen Seite 55 oben LED-ColourLab – Zürcher Hochschule der Künste Seite 55 Abb. 13 a – d nach: NARVA Lichtquellen GmbH + Co. KG, Brand-Erbisdorf Seite 56, 58 rechts, 59 Katia Klose, Leipzig Seite 60, 80 – 83, 85 links, 85 Mitte, 86 rechts, 87 AnneMarie Neser, Berlin Seite 61, 63 – 67 Haus der Farbe, Zürich Seite 62 Christoph Gysin/Denkmalpflege Thurgau Seite 68, 69 J. J. Nobs/Denkmalpflege Thurgau Seite 70 Brigida González, Stuttgart. © FLC / VG BildKunst, Bonn 2013 Seite 72 oben links, oben rechts, 73, 74 unten, 76, 79 Thomas Danzl, Dresden Seite 72 oben rechts © VG Bild-Kunst, Bonn 2013 Seite 72 unten Koch, Carl: Schmückende und gestaltende Farbe. Leipzig / B.G. Teubner / Berlin 1932, Tafel VI Seite 74 oben Doreen Ritzau/Stiftung Bauhaus Dessau. © VG Bild-Kunst, Bonn 2013 Seite 74 unten © VG Bild-Kunst, Bonn 2013 Seite 75 oben Baumanns neue Farbtonkarte. System Prase. Aue in Sachsen 1912 Seite 75 unten Peter Schöne, Halle an der Saale Seite 76 © VG Bild-Kunst, Bonn 2013 Seite 77 oben Wolfgang Thöner, Stiftung Bauhaus Dessau. © VG Bild-Kunst, Bonn 2013 Seite 77 unten Doreen Ritzau, Stiftung Bauhaus Dessau Seite 78 links Rudolf de Sandalo / © strandfilm, Pandora Film Verleih Seite 78 rechts David Zidlicky, Brno. © VG BildKunst, Bonn 2013 Seite 84 Darko Senekovic Seite 85 rechts Ralf Schüler, Berlinische Galerie, 2011 Seite 86 links TU-Pressestelle/Böck Seite 88 © 2006 Mondrian /Holtzman Trust Seite 89 oben links Kim Zwarts, Maastricht. © VG Bild-Kunst, Bonn 2013 Seite 89 oben rechts Adam Mørk, Kopenhagen Seite 89 unten links Brigida González, Stuttgart Seite 90 oben links themodernhouseblog.net / tag/1930s/ (Stand Januar 2014) Seite 90 oben rechts Frank Kaltenbach, München Seite 90 unten links Ludvík Koutný Seite 90 unten rechts Jörn Schiemann/flickr.com Seite 91 oben Axel Buether, Wuppertal Seite 91 unten Zoe Toseland/flickr.com Seite 92 links Zimmermann, Claire: Mies van der Rohe. Köln 2006, S. 43. © VG Bild-Kunst, Bonn 2013 Seite 92 rechts Hélène Binet, London
Seite 93 links Rory Hyde, Melbourne © FLC/ VG Bild-Kunst, Bonn 2013 Seite 93 rechts joe mabel/wikimedia Seite 94, 112, 113 Tim Soar, London Seite 96, 97 Annette Kisling, Berlin Seite 98, 99 Luc Boegly, Paris Seite 100, 101 Mitte Christian Schittich, München Seite 101 oben Iwan Baan, Amsterdam Seite 102, 103 Stefan Müller-Naumann, München Seite 104, 105 oben links Ricardo Loureiro, Porto Seite 105 oben rechts Hisao Suzuki, Barcelona Seite 106, 107 unten links Stephanie Forsythe /molo design Seite 107 oben, 107 unten rechts Frank la Rivière, Tokio Seite 108, 109 unten Sergio Grazia, Paris Seite 109 oben Claudia Fuchs, München Seite 110, 111 Hannes Henz, Zürich
Rubrikeinführende Fotos Seite 6: experimentelle Farb- und Materialstudie, Studio Besau Marguerre Seite 20: Tinctorial Textiles, Raw Color Seite 32: Your rainbow panorama, Installation von Olafur Eliasson, Aarhus (DK) 2011 Seite 60: Häuserzeile Augustinergasse, Zürich Seite 70: Doppelhaus in der Weißenhofsiedlung Stuttgart (D)1927, Le Corbusier und Pierre Jeanneret Seite 94: neues Stadtzentrum Barking (GB) 2010, Allford Hall Monaghan Morris (AHMM)
Anhang
Sachregister 3D-Drucker ∫ 29f. Abschneiden ∫ 26 Absorption ∫ 53 Abstraktionsprinzip ∫ 88 Abstraktionsprozess ∫ 10 Acrylfarben ∫ 24 additive Farbmischung ∫ 33f., 54f. Analyse ∫ 40f. anekdotisch-ikonisches Farbkonzept ∫ 47f. Architekturfarbigkeit ∫ 73 ästhetische Präsentation ∫ 75 ästhetische Prävention ∫ 76 atmosphärisches Prinzip ∫ 92 Bauhauspädagogik ∫ 18 Bedampfen ∫ 26 Beflocken ∫ 26 Beratungs- und Planungsinstrumente ∫ 61, 63 Berufsverbände ∫ 62 Beschichtungen ∫ 23 Blau-Gelb-Kanal ∫ 12 Blickerfassung ∫ 10 Bunt-Unbunt-Kontrast ∫ 45 Buntfarben ∫ 7 Buntheit ∫ 7 Codesystem ∫ 14 Codierung ∫ 8 Colorhunting ∫ 48 Customization ∫ 29
Gestaltungssatzung ∫ 91 Grobkonzept ∫ 42 Grundfarbenprinzip ∫ 12f. Grundfarbsignale ∫ 12 Grundkolorit ∫ 64 handwerkliche Ausführung ∫ 69 Haptik der Farbigkeit ∫ 90 Harmonieprinzip ∫ 91 Hell-Dunkel-Kanal ∫ 12 Hell-Dunkel-Kontrast ∫ 45 Helligkeit ∫ 7 historische Maltechniken ∫ 71 HKS ∫ 36 Hüllprinzip ∫ 90 ICOMOS ∫ 73 Inmold-Decoration ∫ 26 Innen-Außen-Prinzip ∫ 89 Instandsetzung ∫ 74
Darstellungstechniken ∫ 10 dehnbare Lacke ∫ 23 Denkmalpflege ∫ 72f. diskontinuierliches Spektrum ∫ 55, 59 Durchfärben ∫ 27 Eigenfarbe ∫ 16 Eigenwert der Farbe ∫ 72 Einbrennlackieren ∫ 25 Einfärben ∫ 27 elektrostatisches Spritzlackieren Emaillieren ∫ 25 Entwurfswerkzeug ∫ 8, 18 Ergänzungsmaterialien ∫ 74 Etuiprinzip ∫ 91 Experimente ∫ 48
Farbsammlungen ∫ 33ff. Farbstrukturen ∫ 17 Farbsysteme ∫ 33ff. Farbwahrnehmung ∫ 7, 12f., 37 Farbwiedergabe ∫ 52f., 55, 59 Farbwirkung ∫ 47 Fassadengestaltung ∫ 61 Fehlwahrnehmungen ∫ 18 Feinkonzept ∫ 42 Formenlehre ∫ 88 Formprinzip ∫ 90
∫ 25
Farb- und Materialprofil ∫ 63 Farbästhetik ∫ 38 Farbcode ∫ 14, 16 Farbcodierungssystem ∫ 8 Farbelemente ∫ 66 Farbenfarbe ∫ 72 Farbenfundus ∫ 40 Farbenlehre ∫ 88 Farbensprache ∫ 14f., 88 Farbentscheide ∫ 61, 66 Farbepochen ∫ 65 Farbfächer ∫ 34, 36 - Züricher ∫ 64 Farbgestaltung ∫ 8, 14, 88 Farbidentität ∫ 68 farbiges Licht ∫ 54 Farbkarten ∫ 67f. Farbkomposition ∫ 17 Farbkonstanz ∫ 12 Farbkontraste ∫ 45 Farbkonzept ∫ 38, 62 - anekdotisch-ikonisch ∫ 47f. - optisch ∫ 44f. - sensuell-haptisch ∫ 45ff. - systemisch ∫ 48f. Farbkultur ∫ 62, 67, 69 Farbleitsystem ∫ 13 Farbmasterpläne ∫ 48f. Farbmischung, additiv/substraktiv ∫ 33f., 54f. Farbordnungen, systematisch ∫ 39 Farbphilosophie ∫ 33 Farbporträt ∫ 64 Farbraum Land ∫ 67 Farbraum Stadt ∫ 63 Farbrausch ∫ 38f. Farbregister ∫ 35f.
Jugendstil ∫ 72 Kalkfarben ∫ 24 Kalt-Warm-Kontrast ∫ 45 Keramiken ∫ 28 Kolorit ∫ 68 Kommunikation ∫ 13, 41, 43f. - visuell ∫ 9, 18 Komplementärkontrast ∫ 12 Konservierung ∫ 73f., 78 kontinuierliches Spektrum ∫ 55, 59 Kontrast - Kontrastgrenzen ∫ 11 - Hell-Dunkel-Kontrast ∫ 45 - Kalt-Warm-Kontrast ∫ 45 - Komplementärkontrast ∫ 12 - Kontrastprinzip ∫ 12 - Kontrastwirkungen ∫ 10f. Konzeptfindung ∫ 75 Körperfarbe ∫ 7, 52 Kunstharzdispersionsfarben ∫ 24 Kunstlicht ∫ 12, 56 Kunststoffe ∫ 27 Lacke ∫ 23 Lasuren ∫ 24 Leimfarben ∫ 24 Leuchtenpositionen ∫ 57 Leuchtmittel ∫ 58 Lichtbrechung ∫ 53f. Lichtdesign ∫ 50f. Lichterzeugung ∫ 55 Lichtfarbe ∫ 7, 52f. Lichtgestaltung ∫ 51 Lichtkonzept ∫ 56ff. Lichtphänomene ∫ 52f. Lichtplanung ∫ 50f., 56 Lichtrichtung ∫ 54, 58 Lichtschwerpunkte ∫ 57 Lichtszenen ∫ 56, 58 Marketing ∫ 9 Mass Customization ∫ 29 materialästhetische Kohärenz ∫ 76 Materialechtheit ∫ 71 Materialfarbe ∫ 72 Materialfarbigkeit ∫ 88 Materialgerechtigkeit ∫ 71 materialidentische Rekonstruktion ∫ 77 Metalle ∫ 28 Metallfolien ∫ 26 mineralische Werkstoffe ∫ 28
minimalistisches Prinzip ∫ 92 Mischfarben ∫ 12 Moderne ∫ 72f., 76, 88ff. Munsell-Farbsystem ∫ 34f. Nachhaltigkeit ∫ 31 Nachschöpfung ∫ 76 Naturfarbigkeit ∫ 8, 90 NCS (Natural Color System) ∫ 35 Oberflächenfarben ∫ 8, 51, 55 Oberflächengestaltung ∫ 65 Oberflächenqualität ∫ 73 Oberflächenstrukturen ∫ 28 ökologischer Fußabdruck ∫ 23 optisches Farbkonzept ∫ 44f. Orientierung ∫ 7, 9 Ortsbildpflege ∫ 67 Pantone ∫ 36 periphere Wahrnehmung ∫ 10 Pinseln ∫ 25 Planungsgrundlage ∫ 61 polychrome Farbklaviatur ∫ 89 Polychromiestreit ∫ 71 Polyurethanharze ∫ 24 Pulverlacke ∫ 25 Qualitätskriterien ∫ 66 Qualitätssicherung ∫ 63 RAL-Designsystem ∫ 35 Rapid-Prototyping ∫ 29 Raum ∫ 38ff., 46 Raumwahrnehmung ∫ 11 Reflexion ∫ 53 Rekonstruktion 74, 76ff. Reparaturmaterialien ∫ 74 Restaurierung ∫ 72f., 74, 78 Rot-Grün-Kanal ∫ 12 Schlüsselreize ∫ 13 semantisch-semiotische Profile ∫ 37 Sensibilisierung ∫ 61 sensuell-haptisches Farbkonzept ∫ 45ff. Siebdrucken ∫ 25 Silikatfarben ∫ 24 Silikonharzfarben ∫ 24 Silikonharzlacke ∫ 24 Sinnestäuschungen ∫ 10 skulpturales Prinzip ∫ 90 Spektralfarben ∫ 33, 51f. Spektrum ∫ 12, 55, 59 - diskontinuierlich ∫ 55, 59 - kontinuierlich ∫ 55, 59 Spritzlackieren ∫ 25 subtraktive Farbmischung ∫ 33f., 54f. systematische Farbordnungen ∫ 39 systemisches Farbkonzept ∫ 48f. Tageslicht ∫ 12, 56 Tampondrucken ∫ 26 Tapeten ∫ 30 Textilien ∫ 27 Tiefeninformationen ∫ 12 Transmission ∫ 53f. Unbuntfarben ∫ 7 Untersuchung ∫ 75 Verarbeitungsmethoden ∫ 25f. Verputzen ∫ 25 Vintage design ∫ 21 visuelle Gestaltung ∫ 18 visuelle Kommunikation ∫ 9, 18 Wahrnehmung ∫ 8, 10 Wahrnehmungsprozess ∫ 13 Wassertransferdrucken ∫ 26 Wellenlängenbereich ∫ 12 Werbung ∫ 9 Werkstoffe, mineralische ∫ 28 Wirbelsinterverfahren ∫ 25 Züricher Farbfächer
∫ 64
119
Autoren und Verlag danken dem folgenden Unternehmen für die Förderung der Publikation:
RAL gGmbH Sankt Augustin, Deutschland
120
ISBN 978-3-920034-96-6
9 783920 034966