Farbe - Kommunikation im Raum 9783764383022

A guide to color concepts Colors are an element of both the natural and the man-made environments. They convey message

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German Pages 152 Year 2007

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Table of contents :
Einleitung
1 Der Mensch - Zentrum der Gestaltung
2 Die Sinne als Kommunikationsinstrumente
3 Farbe - Element der Umwelt
Farbe - Kommunikation im Raum
4 Mensch und Farbe
Was ist Farbe?
Farbensehen
Farbwahrnehmung
Farberleben/Farbwirkung
Farberlebnisraum
Physiologische und neuropsychologische Aspekte
Symbolik der Farben
5 Gestaltungsgrundlagen der Farbe
Grundmerkmale der Farbe
Farbkreis und Farbordnungssysteme
Wirkung von Farbkontrasten
Physiologische Kontrastphänomene
6 Licht und Farbe
Lichttechnische Grundlagen - Größen und Einheiten
Lampen und ihre Eigenschaften
Aspekte visueller Ergonomie
Biologische Wirkung des Lichts
7 Material und Farbe
8 Architektonische Aspekte des Raumes
Aspekte der Wahrnehmung
Aspekte des Gestaltungsprozesses
Was bedeutet Gestalten?
Eigenschaften von Elementen
Beziehungen zwischen Elementen
Beziehungen zwischen Elementen und dem wahrnehmenden Menschen
9 Kommunikation Mensch - Farbe - Raum
Interdisziplinäre Aspekte
Gestaltungsrelevante Bedürfnisse des Menschen
Aspekte der Farbwahrnehmung im Raum
10 Praxis der Farbgestaltung
Aspekte innenarchitektonischer Farbgestaltung
Raum als sinnesanregendes Milieu
Methodik
Semantisches Differenzial
11 Gestaltungsfelder
Bildungsstätten
Kindergarten
Schulen
Seminarräume/Erwachsenenbildung
Personenkreise
Anmutung und Visualisierung
Farb- und Materialgestaltung wesentlicher Funktionsbereiche
Sportstätten
Anmutung und Visualisierung, Farb- und Materialgestaltung
Wellness-Einrichtungen
Anmutung und Visualisierung, Farb- und Materialgestaltung
Arbeitsstätten
Umweltpsychologische Aspekte
Büroarbeitsplätze
Großraumbüros
Einzel- und Kombibüros
Anmutung und Visualisierung, Farb- und Materialgestaltung
Bildschirmarbeitsplatz
Gewerbliche Arbeitsplätze
Anmutung und Visualisierung in Arbeitsräumen
Zusammenfassung der wichtigsten Gesichtspunkte guter Arbeitsplatzgestaltung
Therapeutische Einrichtungen
Therapeutische Einrichtungen für Kurzaufenthalte
Anmutung und Visualisierung
Farb- und Materialgestaltung wesentlicher Funktionsbereiche
Therapeutische Einrichtungen für Langzeitaufenthalte
Psychiatrische Kliniken
Personenkreise
Anmutung und Visualisierung
Farb- und Materialgestaltung wesentlicher Funktionsbereiche
Seniorenheime
Anmutung und Visualisierung
Farb- und Materialgestaltung wesentlicher Funktionsbereiche
Alternativkonzepte
Häusliche Pflege
Hospize
Anmutung und Visualisierung, Farb- und Materialgestaltung
Kinderhospize
Anmutung und Visualisierung, Farb- und Materialgestaltung
Restaurants
Anmutung und Visualisierung, Farb- und Materialgestaltung
Wohnung/Wohnhaus
Anmutung und Visualisierung, Farb- und Materialgestaltung
Schlussbemerkung
Anhang
Literaturverzeichnis
Fotonachweis
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Farbe - Kommunikation im Raum
 9783764383022

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Farbe – Kommunikation im Raum

Meerwein

Rodeck

Mahnke

Farbe – Kommunikation im Raum

Birkhäuser Basel • Boston • Berlin

Wir danken den Firmen création baumann, Kvadrat, DLW und Ruckstuhl AG für die Bereitstellung von Materialien. Ganz besonders danken wir der Ruckstuhl AG auch für die Unterstützung zur Drucklegung.

Titel der deutschen Originalausgabe: Mensch – Farbe – Raum. Grundlagen der Farbgestaltung in Architektur, Innenarchitektur, Design und Planung Gründliche Neubearbeitung von Text und Bildteil erfolgte durch G. Meerwein und B. Rodeck. Dieses Buch ist auch in englischer Sprache erschienen: Colour – Communication in Architectural Space, ISBN 3-7643-7596-5. Die Durchsicht der Übersetzung ins Englische besorgte F. H. Mahnke. Cover: Nadine Rinderer, Basel. Als Grundlage für die Covergestaltung diente eine Fotografie der Agentur Panama in Stuttgart. Architektur: zipherspaceworks; Farbgestaltung: Stefan Gabel.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts.

Originalausgabe 1998 4., überarbeitete Ausgabe 2007 © 2007 Birkhäuser Verlag AG Basel • Boston • Berlin Postfach 133, CH-4010 Basel, Schweiz Ein Unternehmen von Springer Science+Business Media Gedruckt auf säurefreiem Papier, hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff, TCF Printed in Germany ISBN-10: 3-7643-7595-7 ISBN-13: 978-3-7643-7595-9 987654321 http://www.birkhauser.ch



INHALT

Einleitung

9

6 Licht und Farbe

39

Lichttechnische Grundlagen – Größen und 1 Der Mensch – Zentrum der Gestaltung 2 Die Sinne als Kommunikationsinstrumente

10 13

Einheiten

40

Lampen und ihre Eigenschaften

42

Aspekte visueller Ergonomie

44

Struktur des Auges 3 Farbe – Element der Umwelt Farbe – Kommunikation im Raum

16

Augenmuskeln

17

Blendung und Glanz Leuchtdichteunterschiede und Flächenfarbe

4 Mensch und Farbe

18

Was ist Farbe?

18

Farbensehen

18

Farbwahrnehmung

19

Farberleben/Farbwirkung

19

Farberlebnisraum

20

Biologische Wirkung des Lichts 7 Material und Farbe

50

8 Architektonische Aspekte des Raumes

56

Aspekte der Wahrnehmung

56

Biologische Reaktion auf einen Farbstimulus

Aspekte des Gestaltungsprozesses

56

Kollektives Unbewusstes

Was bedeutet Gestalten?

57

Bewusste Symbolik und Assoziationen

Eigenschaften von Elementen

58

Kulturelle Eigenart

Beziehungen zwischen Elementen

61

Trends, Mode, Stile

Beziehungen zwischen Elementen und dem

Persönliche Faktoren Physiologische und neuropsychologische Aspekte

wahrnehmenden Menschen

62

22

Reizarmut – Reizüberflutung

9 Kommunikation Mensch – Farbe – Raum

63

Optische Muster

Interdisziplinäre Aspekte

Physiologische Wirkungen

Gestaltungsrelevante Bedürfnisse des

Psychologische Aspekte

Menschen

65

Aspekte der Farbwahrnehmung im Raum

68

Synästhesien Symbolik der Farben

32

Aspekte innenarchitektonischer Farbgestaltung

Grundmerkmale der Farbe

33

Bezug der Farbe zum Menschen

Farbkreis und Farbordnungssysteme

33

Physiologische Anforderungen

Wirkung von Farbkontrasten

35

Psychologische Anforderungen

Hell-Dunkel-Kontrast

Bezug der Farbe zur Gebäude- und Raumfunktion

Bunt-Unbunt-Kontrast

Bezug der Farbe zum Raum und seinen

Bunt-Kontrast

Elementen

Gegenfarben-Kontrast

Orientierung

Intensitäts-Kontrast

Umwelt- und gesundheitsverträgliche Materialien

Quantitäts-Kontrast

und Farben

Flimmer-Kontrast

Ästhetische Qualität

Physiologische Kontrastphänomene

63

28 10 Praxis der Farbgestaltung

5 Gestaltungsgrundlagen der Farbe

6

47

37

70 70

Raum als sinnesanregendes Milieu

76

Simultan-Kontrast

Methodik

77

Sukzessiv-Kontrast

Semantisches Differenzial

78

2

INHALT

11 Gestaltungsfelder

83

Anmutung und Visualisierung

Bildungsstätten

83

Farb- und Materialgestaltung wesentlicher

Kindergarten

84

Funktionsbereiche

Schulen

86

Therapeutische Einrichtungen für Langzeit-

Seminarräume/Erwachsenenbildung

90

aufenthalte

124

Personenkreise

90

Psychiatrische Kliniken

125

Kleinkinder

Personenkreise

126

Schüler/Kinder und Jugendliche

Bewohner

Erwachsene in Weiterbildung

Betreuer

Pädagogen

Anmutung und Visualisierung

Anmutung und Visualisierung

92

Farb- und Materialgestaltung wesentlicher Funktionsbereiche Sportstätten

Wellness-Einrichtungen

117

127

Farb- und Materialgestaltung wesentlicher Funktionsbereiche

128

Seniorenheime

130

Anmutung und Visualisierung

133

93 94

Anmutung und Visualisierung, Farb- und Materialgestaltung

116

Farb- und Materialgestaltung wesentlicher 95 95

Funktionsbereiche

133

Alternativkonzepte

135

Häusliche Pflege

135

Hospize

137

Anmutung und Visualisierung, Farb- und Materialgestaltung

97

Anmutung und Visualisierung, Farb- und Arbeitsstätten

97

Umweltpsychologische Aspekte

97

Materialgestaltung

137 137

Büroarbeitsplätze

101

Kinderhospize

Großraumbüros

103

Anmutung und Visualisierung, Farb- und

Einzel- und Kombibüros

103

Materialgestaltung

139 140

Anmutung und Visualisierung, Farb- und Materialgestaltung

105

Restaurants

Bildschirmarbeitsplatz

106

Anmutung und Visualisierung, Farb- und

Gewerbliche Arbeitsplätze

107

Anmutung und Visualisierung in Arbeitsräumen

107

Kompensation und Konsonanz

Materialgestaltung

142

Wohnung/Wohnhaus

145

Anmutung und Visualisierung, Farb- und Materialgestaltung

145

Schlussbemerkung

147

Farbe als Information Sicherheits- und Ordnungsfarben Maschinenfarben Zusammenfassung der wichtigsten Gesichtspunkte guter Arbeitsplatzgestaltung

113

Therapeutische Einrichtungen

115

Anhang

148

Literaturverzeichnis

148

Fotonachweis

151

Therapeutische Einrichtungen für Kurzaufenthalte

116

7

EINLEITUNG

„Farbe – Kommunikation im Raum“ ist die aktualisierte, über-

An dieser Stelle danken wir allen, die uns bei der Arbeit an die-

arbeitete Ausgabe von „Mensch – Farbe – Raum“, welche 1998

sem Buch unterstützt haben:

erstmals erschienen ist. Professor Dr. Renate Gebeßler: sie hat uns mit ihren AufsätDiese revidierte Fassung hebt verstärkt den kommunikativen

zen im Verständnis der großen Gesamtzusammenhänge sehr

Stellenwert der Farbe im Raum hervor. Dabei werden vor al-

bestärkt,

lem physiologische und psychologische Aspekte sowie die Zusammenhänge der visuellen Ergonomie ins Blickfeld gerückt. Farbmoden und Farbtrends sollen ausgeklammert werden, substanzielle Hinweise zur Farbgestaltung in Architektur und Innenarchitektur hingegen stehen im Zentrum dieser Publikation. Ein wichtiger neuer Gesichtspunkt stellt dabei die Bedeutung des Materials in der Farbgestaltung dar. Das Buch soll den Blick für differenzierte architektonische und innenarchitektonische Aufgabenstellungen schärfen; es will ein grundlegendes Wissen über Wesen und Wirkung der Farbe sowie an-

Professor Werner Spillmann für seine kritischen Anmerkungen im Bereich der Farbsysteme, Herrn Dipl. Physiker Ulrich Radzieowski für seine fundierte Beratung zum Thema Licht, Frau Véronique Hilfiker Durand für ihr aufmerksames Lektorat, Frau Muriel Comby für ihre einfühlsame Gestaltung des Layouts, Frau Petra Becker und Frau Solenn Borchers für ihre geduldige Ausarbeitung des grafischen Materials.

gewandte Farbenpsychologie vermitteln. Prägende RaumMilieus der wesentlichen Lebensbereiche des Menschen wer-

Gerhard Meerwein

Bettina Rodeck

Frank Mahnke

den analysiert. In den Kapiteln 1–10 vermittelt „Farbe – Kommunikation im Raum“ allgemein gültiges Wissen als Grundlage für jede Gestaltungsaufgabe mit Farbe; im Kapitel 11 werden Beispiele aus der Praxis beschrieben. Das Buch wendet sich vor allem an Architekten, Innenarchitekten und Farbdesigner sowie auch an Studierende und engagierte Praktiker. Kommunale Baubehörden, Entscheidungsträger, Pädagogen, Psychologen und Mediziner finden hier für ihre Arbeit ebenfalls wertvolle Anregungen.

9

1 DER MENSCH – ZENTRUM DER GESTALTUNG

Der Mensch steht im Zentrum der Gestaltung. Um Umwelt menschengerecht zu gestalten, bedarf es eines ganzheitlichen

Die leibliche Dimension umfasst alle körperlichen Prozesse

Menschenbildes. Es bedarf ebenso der Kenntnis über Entwick-

organischen Zellprozesse

lungs- und Lebensphasen wie über die Lebensbereiche des

biologisch-physiologischen Körperfunktionen und die damit

Menschen einschließlich seiner damit verbundenen Umwelt-

verbundenen chemischen und physikalischen Prozesse.

bedürfnisse. Ein ganzheitliches Menschenbild findet sich in

Diese Dimension ist aktives Zentrum für die Entfaltung physi-

den anthropologischen Grundpositionen der Humanistischen

scher, materieller Handlung. Sie bezieht sich auf die physi-

Psychologie. Danach ist der Mensch ein Leib-Seele-Geist-We-

sche, materielle Wechselwirkung mit der Umwelt.

sen, eng verbunden mit den materiellen und immateriellen Komponenten seiner Lebenswelt. Lebenswelt bedeutet die

Die seelische Dimension umfasst

Gesamtheit der menschlichen Lebensbedingungen. Sie ist

Emotionen, Gefühle und Stimmungen

synonym für Umwelt im Sinne eines ganzheitlichen Lebens-

intellektuelle Begabungen

raumes mit biologischen, physikalischen, physiologischen,

Instinkte, Triebe, Affekte und Gewohnheitsmuster

psychologischen, sozialen und ästhetischen Grundlagen.

soziale Prägungen und erworbene Verhaltensmuster.

Auch Viktor E. Frankl, international bekannter Begründer

Diese Dimension ist Erlebniszentrum für das, was wir körper-

der Existenzanalyse und Logotherapie, betrachtet den Men-

lich und seelisch erleben. Sie bezieht sich auf die seelische,

schen als dreidimensionale Einheit, bestehend aus Leib, See-

qualitative Wechselwirkung mit der Umwelt.

le und Geist. Das bedeutet, dass der Mensch immer ganzheitlich agiert und reagiert. Alle drei Dimensionen Leib, Seele und Geist sind in der Beziehung zwischen Mensch und Umwelt aktiv beteiligt.

Die geistige Dimension umfasst selbstständige und freie Willensentscheidungen sachliche und künstlerische Interessen schöpferisch-visionäre Einstellungen, gerichtet auf die menschliche Entwicklung humanes Verstehen und ethische Kompetenz.

Modulor-Konstruktion, Le Corbusier

10

>

1

DER MENSCH – ZENTRUM DER GESTALTUNG

Diese Dimension ist Zentrum für Erkenntnis, innere Weisheit,

Humane Gestaltung

Humanität und Bewusstheit. Sie bezieht sich auf die geistige,

ist sinnvoll und verantwortlich

sinnfindende und erkenntnisbetonte Wechselwirkung mit der

berücksichtigt emotionale und funktionale Aspekte.

Umwelt. Humane Gestaltung Aufgrund seiner geistigen, spezifisch humanen Dimension ist

ist ein interaktiver Prozess, der Kommunikation, Zusammen-

der Mensch seinem Wesen nach wert- und sinnorientiert. Er ist

arbeit und einen lebendigen Dialog erfordert.

reflektierendes, Stellung nehmendes und entscheidendes Sein, verantwortlicher Mitgestalter seiner Existenz und Um-

Humane Gestaltung

welt. Mit Leib, Seele, Geist und allen Sinnen kommuniziert

ist ein interdisziplinärer Prozess, der humanwissenschaftli-

der Mensch mit der Umwelt. Als Individuum und soziales We-

che, naturwissenschaftliche und gestalterische Disziplinen in-

sen befindet er sich in lebendiger Interaktion mit ihr.

tegriert.

Auf der Grundlage eines ganzheitlichen Menschenbildes klassisch-humanistischer Vorstellungen begreifen wir den

Humane Gestaltung

Menschen als Maß für den ihn umgebenden Raum, seine ar-

hat soziale Qualität

chitektonische und innenarchitektonische Gestaltung mittels

zeigt Einfühlungsvermögen

Form, Material, Licht und Farbe.

fördert Gesundheit und Wohlbefinden.

Im Hinblick auf humane Gestaltung lassen sich folgende Thesen entfalten: Humane Gestaltung bezieht sich auf den ganzen Menschen als Leib-Seele-GeistEinheit dient dem Menschen und seinen Umweltbedürfnissen.

11

Bedeutungsraum

Handlungsraum

Tastsinn

Ich-Sinn

Gedankensinn

Vitalitätssinn Behagenssinn

te

tnis Sin beton te ne

tier

erk

e

Gleichgewichtssinn

anmutungsbetonte Sinne

Hörsinn Proportionssinn

Bewegungssinn

ont

enn

ntie orie

rien

stig

ho

bet ngs dlu inne S

Gei

blic

rte

Lei

han

Sprachsinn

Seelisch orientierte Wärmesinn

Sehsinn

Geruchssinn

Geschmackssinn Qualitätssinn

>

Anmutungsraum

12

Spektrum der Sinne

2 DIE SINNE ALS KOMMUNIKATIONSINSTRUMENTE

Unsere Sinne sind die Kommunikationsinstrumente, die uns

Vitalitätssinn/Behagenssinn:

die Beziehung zur Umwelt ermöglichen. Sie vermitteln uns In-

Der Vitalitäts- oder Behagenssinn gibt Aufschluss über unse-

formationen und wirken mit bei der Aneignung der Umwelt

re Befindlichkeit und die Qualität unseres Lebensgefühls. Er

durch Sinneseindrücke und Sinneserfahrungen: Wir können

regt sich oft erst dann, wenn im Organismus Symptome von

uns selbst und die Umwelt wahrnehmen, erleben, erkennen,

Unwohlsein wahrnehmbar sind. Ein sensibilisierter Vitalitäts-

beurteilen und gestalten. Jedes Sinnesorgan hat spezifische

sinn führt dazu, dass der Mensch unmittelbar spürt, was sein

Strukturen, welche ihm die Aufnahme spezifischer Sinnesrei-

Wohlbehagen fördert und was nicht.

ze ermöglichen. Der Mensch-Umwelt-Beziehung liegen nach der neueren Sinnesphysiologie und Sinnesphänomenologie

Bewegungssinn:

zwölf Sinne zugrunde. Diese beziehen sich auf drei Raumka-

Der Bewegungssinn lässt uns die Bewegungen des eigenen

tegorien: den Handlungsraum, den Anmutungsraum und den

Leibes empfinden; er wirkt als Kontrollorgan für unsere Bewe-

Bedeutungsraum.

gungen und Bewegungsabläufe sowie für alle Bewegungsarten, -formen und -prozesse in der Umwelt. Er aktiviert den

Zur Aktivität und Bedeutung der einzelnen Sinne:

Willen, aus einer Motivation heraus, ein Ziel zu setzen und dieses in angemessener Bewegungsdynamik zu erreichen.

Die vier leiblich orientierten Sinne – Tastsinn, Vitalitäts-

Bewegung ist Leben, Aktivität, Dynamik, Veränderung. Allen

sinn/Behagenssinn, Bewegungssinn und Gleichgewichtssinn

Bewegungsabläufen liegt ein ständiger Rhythmus von Ge-

– sind willens- und handlungsbetont.

staltung und Wandlung zugrunde, der mit dem Bewegungssinn wahrnehmbar ist.

Tastsinn: Der Tastsinn ist der elementarste Sinn: Durch ihn kommen

Gleichgewichtssinn:

wir leiblich unmittelbar in Kontakt mit der Umwelt – mit an-

Durch den Gleichgewichtssinn ist der Mensch in der Lage, auf-

deren Lebewesen und der Materie von Gegenständen. Beim

recht zu stehen und sich aufrecht zu bewegen. Der Gleichge-

Tasten erleben wir die Grenze und Trennung zwischen dem

wichtssinn ermöglicht, einen unabhängigen, eigenen Stand-

eigenen Leib und der Außenwelt. Diese Erfahrung ist grund-

punkt im Raum zu finden. Er ist grundlegend für unser

legend für das Gewahrwerden und die Gewissheit der eige-

räumliches Orientierungsvermögen. Er sucht nach Balance

nen Existenz.

und Ordnungsstruktur.

13

Die vier seelisch orientierten Sinne – Geruchssinn, Ge-

die Vielfalt sichtbarer Umweltqualitäten. Empfindungen des

schmackssinn/Qualitätssinn, Sehsinn und Wärmesinn – sind

sichtbaren Schönen, Wohltuenden, Harmonischen oder auch

einfühlungs- und anmutungsbetont.

des Hässlichen, Unbehaglichen, Disharmonischen sind Empfindungen des Behagens, die mit der visuellen Wahrnehmung

Geruchssinn:

vernetzt sind.

Der Geruchssinn vermittelt uns Informationen über die Substanzen der Umwelt und das Wesen der Materie. Er gibt Auf-

Wärmesinn:

schluss über feinste Nuancen und Qualitäten der Inhaltsstof-

Mit dem Wärmesinn nehmen wir unsere Körperwärme und

fe. Gerüche beeinflussen unmittelbar die Atmosphäre. Darauf

Temperaturen in der Außenwelt wahr. Mit Empfindungen des

reagiert der Mensch spontan mit Behagen oder Unbehagen,

Wärmesinns verbinden sich eng körperliches und seelisches

Sympathie oder Antipathie.

Erleben – Sympathie und Antipathie, Behagen und Unbehagen. Zu seinem Wohlbefinden benötigt der Mensch einen ihm

Geschmackssinn/Qualitätssinn:

entsprechenden Grad an Wärme. Dieser bezieht sich auf die

Geruchs- und Geschmackssinn sind eng verbunden. Der Ge-

Temperatur, auf die Anmutungsqualität von Räumen, sowie

schmackssinn gibt Aufschluss über die chemische Zusam-

auf soziale Beziehungen. Wärme schafft Nähe, Kälte schafft

mensetzung und Komposition der Geschmacksnuancen wie

Distanz.

auch über die Qualität der Nahrung, die wir aufnehmen. Er aktiviert unsere Wahrnehmung für Echtes und Natürliches sowie

Die vier geistig orientierten Sinne – Hörsinn, Sprachsinn, Ge-

für Unechtes und Künstliches. Im übertragenen Sinne akti-

dankensinn und Ich-Sinn – sind erkenntnisbetont.

viert er unsere Wahrnehmung für Ästhetik, Qualität und Angemessenheit.

Hörsinn/Proportionssinn: Der Hörsinn umfasst all das, was wir an Geräuschen, Tönen

Sehsinn:

und Klängen aufnehmen können. Dem Hörsinn wird vermit-

Von allen Sinnen ermöglicht uns der Sehsinn die umfassend-

telt, was dem Auge verborgen bleibt. Mitunter geben Tonfall

sten Wahrnehmungen. Er wirkt mit den anderen Sinnen unter-

und Klang der Stimme eines Menschen besser Auskunft über

stützend und ergänzend zusammen. Mit dem Sehsinn können

sein Befinden und seine seelische Verfassung als sein Aus-

wir alles Sichtbare wahrnehmen, Formen und Bewegungen vi-

sehen. Auch die inneren Qualitäten von Gegenständen und

suell nachvollziehen, Formen und Materialien visuell abtas-

Beschaffenheit von Materialien werden im Klang hörbar.

ten, Sichtbares ordnen. Der Sehsinn erschließt uns die Welt

Hans-Jürgen Scheurle zufolge kann das Tonempfinden gleich-

des Lichtes und der Farbe bis in die feinsten Nuancen sowie

bedeutend mit dem Empfinden für Proportion verstanden

14

2

DIE SINNE ALS KOMMUNIKATIONSINSTRUMENTE

werden, das auch mit dem Empfinden für Harmonie zu tun

Antipathie. Der Ich-Sinn ist das Sinnesinstrument für die zwi-

hat.

schenmenschliche Begegnung. Seine Betätigung ist von herausragender sozialer Bedeutung. Durch Tätigsein des Ich-

Sprachsinn:

Sinns im Dialog mit dem anderen lassen sich Missverstehen

Nimmt der Hörsinn das akustische und musikalische Element

und Befremden überwinden und Verstehen aufbauen.

der Sprache wahr, vermittelt uns der Sprachsinn die Wahrnehmung vom Wesen der Sprache, ihrer Ausdrucksform und Ge-

Alle Sinne sind miteinander vernetzt, sie arbeiten interaktiv,

staltung, ihrer Klarheit und Prägnanz. Jede Sprache hat ihre

ergänzen sich und unterstützen einander. Auch sind alle Sin-

eigene Architektur und Klangfarbe. Die jeweilige Klangquali-

ne mit Erkenntnisgehalt, Gefühlsgehalt und Behagensempfin-

tät lässt Mentalität und Stimmung mitschwingen und durch

dungen verbunden.

den Sprachsinn erfassen. Auch nonverbale Ausdrucksformen – Gestik und Mimik –, Elemente der Körpersprache sind dem Wahrnehmungsgebiet des Sprachsinns zuzurechnen.

Die Entfaltung und Pflege der Sinne sind grundlegend zur Sensibilisierung und Differenzierung der Wahrnehmung Entdeckung von Neuem

Gedankensinn:

Anregung des Gefühlslebens

Der Gedankensinn bezieht sich auf das Wahrnehmen der ge-

Vertiefung der Erlebnisfähigkeit

danklichen Sprachinhalte, auf die tieferliegende Bedeutung

Stärkung des Urteilsvermögens

des Gesagten, auf das Entdecken hintergründiger oder ver-

Stärkung der Entscheidungskraft

steckter gedanklicher Intentionen und Botschaften. Das

Bewusstheit im Denken, Fühlen und Handeln.

Wahrnehmen von Gedanken erfordert Einfühlsamkeit und Intuition. Gedanken lassen sich auch auf nonverbale Weise

Die Entfaltung und Pflege der Sinne sind ebenso

vernehmen – durch die Sprache des Körpers, durch Gestik und

grundlegend für

Mimik. Mit dem Gedankensinn suchen wir die innere Wahrheit

die Entwicklung der Kreativität

zu ergründen.

eine schöpferische, sinnerfüllte Lebensgestaltung die Bildung unserer Persönlichkeit

Ich-Sinn:

unsere zwischenmenschlichen Beziehungen

Mit dem Ich-Sinn erfasst der Mensch das Ich eines anderen,

die Gestaltung unserer Lebenswelt.

seine Individualität, seinen Wesenskern. Die Tätigkeit des IchSinns erfordert wache Distanz, Abstand vom eigenen Ich zu nehmen, sich zu befreien von Vorurteilen, von Sympathie und

15

3 FARBE – ELEMENT DER UMWELT

Farben sind elementare Bestandteile unserer visuellen Wahr-

lenken die Aufmerksamkeit

nehmung und Umwelterfahrung; sie sind auch Erlebnisin-

tragen zur Ordnung und Unterscheidung bei

halte unserer Umwelt. Wohin wir auch sehen, begegnen und

bezeichnen besondere Funktionen

umgeben uns Farben: Sie begleiten uns in vielfältigen Erschei-

sind geographisches, ethnisches und kulturelles Merkmal

nungsweisen, stets verbunden mit Licht und beeinflusst von

sind Mode- und Stilmerkmal

Licht in der natürlichen und vom Menschen gestalteten Um-

sind persönliches sowie gruppenspezifisches Identitätsmerk-

welt. In der Natur erscheint uns Farbe im Licht des Himmels,

mal

beim Anblick von Gewässern und Landschaften. Wir erblicken

sind Imagefaktor und Statussymbol

sie an Hölzern und Gesteinen, Pflanzen, Früchten und Blüten.

sind Marketingfaktor

Wir begegnen Farben in vielfältigen Kombinationen im Tier-

zeigen stilistische Tendenzen und Designtrends an

reich: an den Häuten, Panzern, Trachten, Gefiedern und Fellen

sind Indikator und Ausdruck des Zeitgeistes, der dem Wandel

der Tiere. Auch die Haut, Augen, Haare und Kleidung der Men-

unterworfen ist

schen haben verschiedene Farben. Die vom Menschen gestal-

beeinflussen entscheidend die Aussage, Wirkung und Akzep-

tete Umwelt ist farbig: Straßen und Geschäfte, Gebäude und

tanz von Gegenständen und Räumen.

Räume. Wir erblicken Farben in aller Vielfalt an den unterschiedlichsten Gegenständen und kulturellen Erzeugnissen.

Farbe ist weitaus mehr als eine ästhetische Aussage: Sie ist

In allen Bereichen sind Farben von wesentlicher Bedeutung.

Teil lebensspendender und lebenserhaltender Vorgänge. Sie

Sie erfüllen zahlreiche unterschiedliche Funktionen. Farben

ist Teil der Bedingungen, unter denen der Mensch lebt und er-

dienen der Information, der Kommunikation und der Gestal-

lebt: Neben anderen Sinneswahrnehmungen orientiert sich

tung. Sie

der Mensch mittels optischer Signale und lernt durch visuelle

16

vermitteln symbolische Botschaften

Botschaften. Somit ist Farbe für die Deutung der Umwelt wie

signalisieren

auch für das Zusammenwirken des Menschen mit der Umwelt

dienen der Tarnung und Abschreckung

von tragender Bedeutung. Das, was uns die Farbigkeit unse-

leisten Orientierungshilfe

rer Umwelt offenbart, das, was uns Farben mitteilen, berührt

3

FARBE – ELEMENT DER UMWELT

immer auch unsere Emotionen. Wir alle werden von Farben beeinflusst und befinden uns in einer lebendigen Beziehung zu ihnen. Farben wirken auf uns ein und sprechen unsere Gefühlswelt an, auch dann, wenn wir sie nicht bewusst wahrnehmen.

FARBE – KOMMUNIKATION IM RAUM Kommunikation erfolgt personal im Austausch von Informationen in zwischenmenschlichen Beziehungen wie auch nicht personal durch Symbolgehalte der Umwelt. Farbe ist ein wesentliches Medium visueller Kommunikation in der Mensch-Umwelt-Beziehung: Sie vermittelt dem Menschen symbolische Botschaften und ästhetisch-atmosphärische Informationen.Wesentliche Aspekte der Farbe in der Architektur beziehen sich auf die Kommunikation zwischen Mensch und Raum und auf die darin stattfindenden Interaktionen. Raum ist Rahmen für soziale Beziehungen und menschliche Aktivitäten. So liegt ein grundlegender Aspekt in der Funktion der Farbe als Kommunikationsfaktor verbunden mit ihrer interaktiven Eigenschaft. „Farbe existiert an sich, sie verbindet die Dinge miteinander und die Dinge mit dem Menschen“ (Pieter Uyttenhoven).

17

4 MENSCH UND FARBE

Um die komplexen Zusammenhänge der Beziehung zwischen

FARBENSEHEN

Mensch und Farbe verstehen zu können, werden zu Beginn des

Farbensehen ist ein Sinneserlebnis, das von folgenden Vo-

folgenden Kapitels die drei Parameter Farbensehen, Farbwahr-

raussetzungen abhängig ist:

nehmung, Farberleben/Farbwirkung detailliert betrachtet.

von der Existenz des Lichtes von der Fähigkeit des Auges, Farbreize aufzunehmen und wei-

WAS IST FARBE?

terzuleiten

Alle Farberscheinungen entstehen aus dem Zusammenwirken

vom Vermögen, die vermittelten Farbreize als visuelle Sinnes-

von sichtbarer Strahlung und Materie. Einer allgemein gülti-

empfindung wahrzunehmen und zu verarbeiten.

gen Definition zufolge ist Farbe die Bezeichnung für eine spezifische visuelle Empfindung, die durch sichtbare Strahlung,

Das Auge ist ein optisches System, das die Aufgabe hat, sicht-

den so genannten Farbreiz, ausgelöst wird. Ein Farbreiz ent-

bare Strahlung auf die Netzhaut zu richten. Auf dieser befin-

steht dann, wenn sich das Licht einer natürlichen oder künst-

den sich die einzelnen Rezeptoren, die Stäbchen und Zapfen,

lichen Lichtquelle an einem Gegenstand oder an Staubteil-

die den physikalischen Reiz entschlüsseln und in eine physio-

chen bricht. Dabei werden die auffallenden Lichtstrahlen je

logische Erregung umwandeln. Während die Stäbchen der

nach der Beschaffenheit der Materie unterschiedlich absor-

Unterscheidung von Hell und Dunkel dienen und nur die Hel-

biert oder reflektiert. Das heißt, es werden aus dem Farbspek-

ligkeitswerte der Farben registrieren, dienen die Zapfen der

trum des Lichts Teile herausgefiltert, während die Reststrah-

Unterscheidung von Farben. Sie reagieren auf die unter-

lung als Farbreiz in unser Auge gelangt. Trifft zum Beispiel das

schiedliche spektrale Zusammensetzung des Lichts. Die

Gesamtlicht auf eine blaue Fläche, so werden alle Spektralan-

Young-Helmholtz-Theorie geht davon aus, dass es bei den

teile des Lichts außer dem blauen absorbiert und lediglich das

farbempfindlichen Zapfen drei verschiedene Typen für kurz-,

Blau reflektiert. Die farbige Erscheinung von Gegenständen

mittel- und langwellige Lichtstrahlen gibt, die blauempfind-

ist aber abhängig von der Lichtart: vom Tageslicht oder von

lich, grünempfindlich und rotempfindlich sind. In der Wissen-

verschiedenen künstlichen Lichtarten. Farben verändern sich

schaft gibt es auch Verfechter der Hering’schen Theorie, die

durch unterschiedliche Lichtqualität.

von vier Rezeptortypen ausgeht, zwei antagonistischen Sys-

Hypophyse

Ganglienzelle Amakrinzelle Bipolarzelle Horizontalzelle

Netzhaut

Stäbchen Zapfen

Licht

Netzhaut

Schnitt durch die Netzhaut

18

>

Sehnerv

4

MENSCH UND FARBE

temen Gelb-Blau und Rot-Grün. Die Rezeptoren der Netzhaut

gleiten die Farbwahrnehmung. Nicht nur die augenblickliche

– Stäbchen und Zapfen – leiten die Erregung über Nervenfa-

visuelle Empfindung ruft einen bestimmten Farbeindruck her-

sern in den Sehnerv und von diesem an das Gehirn weiter, wo

vor, unsere gesamte Erfahrung, das Gedächtnis und das Den-

die Erregung schließlich in bewusstes Sehen umgewandelt

ken beteiligen sich daran.

wird. Durch einen komplexen Vorgang physiologisch-psychologischer Datenverarbeitung wird der von uns aufgenomme-

FARBERLEBEN/FARBWIRKUNG

ne Farbreiz in Farbensehen und Farbwahrnehmen umgesetzt.

Farbe wahrzunehmen bedeutet, sie zu erleben und sich ihrer bewusst zu werden, sie trägt immer auch sinnhafte Bedeutun-

FARBWAHRNEHMUNG

gen. Dabei spielen eine Vielzahl bewusster und unbewusster

Farbensehen ist ein Akt sinnlicher Wahrnehmung. Farbe neh-

Faktoren mit. Jedem objektiven Farbreiz, den wir aus der Au-

men wir hauptsächlich als ein Charakteristikum der uns um-

ßenwelt aufnehmen, entspricht eine subjektive Reaktion in

gebenden Gegenstände wahr. Neben Form, Beschaffenheit

unserer Innenwelt. Das Farberleben und die Reaktion des

der Oberfläche, Geruch und Geschmack ist Farbe eine der Ei-

Menschen auf Farbe sind ebenso vielschichtig wie der Mensch

genschaften, nach denen Objekte bestimmt, beurteilt oder be-

selbst. Farberleben, Farbwirkung und Reaktion des Menschen

wertet werden können. Der Mensch, der eine Farberscheinung

auf Farbe lassen sich daher nicht ohne weiteres verallgemei-

wahrnimmt, hat bereits eine bestimmte Anzahl Erfahrungen

nern. Zunächst ist davon auszugehen, dass wir Farbe subjek-

und Vorstellungen in seinem „genetischen Gedächtnis“ ge-

tiv erleben und damit individuell auf Farbe reagieren. Dabei ist

speichert, die seine Farbwahrnehmung beeinflussen. Die

anzumerken, dass unsere persönlichen Farberlebnisse, Reak-

Farbwahrnehmung wird beispielsweise mit Assoziationen

tionen auf Farbe und Bewertungen der Farbe auch stets einen

und früheren Erlebnissen verbunden, bei denen Farbe eine

Teil des „Kollektiven“ beinhalten, das in unserem „geneti-

Rolle spielte, und sie wirkt nicht zuletzt mit der psycho-physi-

schen Gedächtnis“ gespeichert ist. Die Wirkung der Farbe auf

schen Verfassung des Menschen zum Zeitpunkt der Aufnahme

den Menschen erklärt sich aus dem Zusammenspiel physiolo-

farbiger Reize zusammen. Auch kulturelle und gesellschaftli-

gischer und psychologischer Ereignisse, dem physikalischen

che Faktoren, wie beispielsweise Erziehung und Umwelt, be-

Prozess des Farbensehens und der Datenverarbeitung unse-

Sehfeld des linken Auges




22

Thalamus

Formatio reticularis

Hypothalamus

Hirnanhangdrüse (Hypophyse)

4

MENSCH UND FARBE

mationsmenge, zum Beispiel ein Raumerlebnis, beurteilt wer-

behauptet, Weiß, Grau und Schwarz seien in der Raumge-

den kann. Extreme Reizarmut (Monotonie und sensorischer

staltung neutral. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass auch

Mangel) kann zu einer Unterstimulation führen, während ex-

diese unbunten Farben psycho-physiologische Auswirkungen

treme Reizüberflutung zu einer Überstimulation führen kann.

haben.

Überstimulation kann Veränderungen physischer oder psychischer Art hervorrufen. Im physischen Bereich können Atem-

Optische Muster

und Pulsfrequenz beeinflusst werden, auch Blutdruck und

Um die „Erregbarkeit“ durch Muster zu erforschen, wurde

Muskelspannungen können sich erhöhen. Im psychischen Be-

eine Reihe von Versuchen durchgeführt. Dabei spielen Fak-

reich können Reaktionen unterschiedlichster Art hervorgeru-

toren wie Größe, Farbe, Kontrast und Intensität bei Mustern

fen werden. Studien haben ergeben, dass Personen, die einer

eine Rolle. Berlyne und McDonnell fanden heraus, dass vielfäl-

Unterstimulation ausgesetzt wurden, Anzeichen von Ruhelo-

tige, disharmonische und chaotische Muster einen Anstieg

sigkeit und Reizbarkeit, Konzentrationsschwierigkeiten und

des Erregungsgrades bewirken. Das heißt, dass in der Ge-

Wahrnehmungsstörungen zeigten. Solche Studien wurden

samtwahrnehmung intensiv farbige und grafisch komplexe

zum Beispiel von Rikard Küller (Universität Lund, Schweden)

Muster als Überinformation zu Überstimulation führen kön-

in unterschiedlich farbigen Räumen durchgeführt. Oft wird

nen.




kühl

> leicht

>

schwer

>

25

wahrnehmungen wie Geruch oder Gehör. Wie oft werden wir

Intensität und Helligkeit, beziehungsweise von Buntton und

emotional ergriffen beim Hören von Musik oder der Wahrneh-

Nuance: In der Regel als warm geltende Farbtöne können küh-

mung eines Duftes. Alle menschlichen Wahrnehmungen füh-

ler empfunden werden, so zum Beispiel stark verweißlichtes

ren zu Reaktionen. Farbwahrnehmung spricht die Bereiche

Rot; andererseits können normalerweise als kühl geltende

des Fühlens, Denkens und Wollens an und weckt gleichzeitig

Farbtöne als warm empfunden werden wie zum Beispiel

Erinnerungen. Der Farbpsychologe Faber Birren erklärte, dass

Ultramarin. Der Eindruck von Kühle und Wärme ist ebenso ab-

der gesamte Mensch, sein Leib, seine Seele und sein Geist, ei-

hängig von Oberflächenbeschaffenheiten wie matt, stumpf,

ne koordinierte Einheit darstellt, einen Mikrokosmos, und

glänzend oder brillant. Gewichtsempfindungen sind im We-

dass Farbe all diese Dimensionen durchdringt.

sentlichen vom Grad der Sättigung und vom Grad der Helligkeit abhängig. So können dunkle Farben in Aufhellung leicht

Synästhesien

wirken (helles Violett = Lila); helle Farben hingegen in Verdun-

Synästhesie bedeutet Verknüpfung verschiedener Sinnes-

kelung schwer (dunkles Gelb = Braun). Bei Synästhetikern

empfindungen, auch Erregung eines Sinnes, die sich anderen

kann der Farbreiz über sensorische Kanäle zu deutlich ande-

Sinnen mitteilt (griechisch: synaisthanomai = zugleich wahr-

ren Sinneswahrnehmungen führen, wie Farben hören, fühlen

nehmen). Farben sprechen nicht nur den Sehsinn an, sondern

oder schmecken.

erregen auf Grund ganzheitlicher Verbindungen und Mitempfindungen auch unsere anderen Sinne, wie den Tastsinn, Ge-

Farben werden in der Regel in der oberen Farbkreishälfte als

ruchssinn, Geschmackssinn, Temperatursinn, Hörsinn. So

leichter als in der unteren beurteilt. Bei gleicher Helligkeit und

werden bestimmte Farbnuancen und Farbkombinationen als

Intensität, wie zum Beispiel bei Rot und Grün, wirken warme

hart oder weich, frisch oder muffig, süß oder sauer, warm oder

Farben schwerer. Farben lösen beim Tastsinn sehr unter-

kalt empfunden.Wird ein Rot als schwer und süßlich beschrie-

schiedliche Empfindungen aus. Synästhetische Verknüpfun-

ben, so hat es neben dem Sehsinn drei weitere Sinne mit an-

gen zwischen Farbe und Oberflächenempfindung sind abhän-

gesprochen, den Tastsinn (Gewicht) sowie den Geruchs- und

gig von der Bunttonqualität und ihrer Nuance sowie ihrer

Geschmackssinn. Synästhetische Wirkungen der Farbe lassen

Verschiebung im Bereich der Temperaturempfindung. So hat

sich auf vielfältige Weise zunutze machen. In der Raumgestal-

beispielsweise Tasten auch etwas mit Empfindungen von Tem-

tung können sie die Wahrnehmung von Raumdimensionen

peratur zu tun. Geruch und Geschmack sind Empfindungsbe-

beeinflussen und besondere Belastungen am Arbeitsplatz

reiche, welche die Raumwahrnehmung beeinflussen können.

kompensieren, zum Beispiel am Industrie-Arbeitsplatz. Aus-

Dabei sind die Geruchswahrnehmungen in Verbindung mit

sagekraft und Wirkung einer Farbe sind immer abhängig von

Temperaturwahrnehmungen häufiger vorkommende Kombi-

deren jeweiligem Farbton, verbunden mit dessen Sättigung,

nationen.

26

4

MENSCH UND FARBE

weich / hart

>

frisch / muffig

>

süß / sauer

>

leise / laut

>

27

SYMBOLIK DER FARBEN

emotionalen Symbolebene. Letztere ist auch als psychologi-

Ein Symbol ist ein Sinnbild, das für etwas steht. Es repräsen-

sche Ebene zu bezeichnen. Diese drei Ebenen greifen ineinan-

tiert etwas und deutet etwas an. Es ist Medium, das der Ver-

der, sie haben jedoch ihre eigene Wesentlichkeit und Aussage.

mittlung von Botschaften dient. Vieles kann Symbol sein – ein

Lassen sich gewisse Verallgemeinerungen im Sinne einer „Ob-

Wort, eine Geste, eine Farbe.

jektivierbarkeit“ von Farben treffen und in symbolische Botschaften übertragen, so ist dabei auch immer das individuelle

Wie ist die Symbolik der Farben zu verstehen?

Farberlebnis eines Menschen in Betracht zu ziehen. Wenn-

Es ist davon auszugehen, dass sich die Symbolik der Farben

gleich viele Bedeutungen identisch sind, so gibt es auch kul-

aus dem ursprünglichen Farberleben des Menschen entfaltet

turelle Unterschiede. Grün ist für Wüstenvölker die Farbe des

hat. Für die Entwicklung der Farbsymbolik, ihre Vielseitigkeit

Lebens, sie gilt im Islam als heilige Farbe, als Farbe des Para-

und Mehrdeutigkeit, ist die gesamte Erfahrungsbreite, die der

dieses, als Zeichen aller materiellen und spirituellen Güter. Bei

Mensch im Verlauf seiner Evolution gemacht hat, in Betracht

Urwald- und Dschungelvölkern wird Grün ebenso als lebens-

zu ziehen. Die „Urerfahrungen“ des Menschen mit den Farben

spendend erfahren, gilt zugleich aber auch als „verschlingen-

in der Natur sind als gemeinsame, kollektive Grunderfahrun-

de Übermacht“. Der Symbolgehalt einer bestimmten Farbe

gen, als Urbilder und Archetypen, in unserem „genetischen

kann von Personen, die aus unterschiedlichen Kulturkreisen

Gedächtnis“ gespeichert. Sie wirken in unserem persönlichen

stammen, daher sehr verschieden gedeutet werden.

Erleben der Farbe mit. Die Symbolik der Farben entstand aus

Die symbolische Bedeutung einer Farbe wie auch ihre psy-

der Verallgemeinerung emotionaler Farbwirkungen und der

chische Wirkung sind abhängig von der Nuance eines Bunt-

Überlieferung von Farbbedeutungen. Symbolische und psy-

tons. Bereits relativ geringe Abweichungen können den Sym-

chologische Wirkungen der Farben stehen daher in engem

bolwert und die Wirkung einer Farbe entscheidend ändern.

Zusammenhang. Heimendahl differenziert zwischen der kulti-

Ebenso definiert der Kontext, in dem wir eine Farbe wahrneh-

schen Symbolik, der Brauchtumssymbolik und der ästhetisch-

men, ihre Wirkung und Bedeutungszuschreibung. Eine we-

Bezogene Farbe Universität Cambridge, Mass., MIT State Center: Bibliothek Architektur Frank O. Gehry




34

Farbsystem in Zylinderform (Munsell, RDS, ACC)

>

Farbsystem in Doppelkegelform (Ostwald, NCS, Müller, Ridgeway)

5

GESTALTUNGSGRUNDLAGEN DER FARBE

ße Farbenhersteller bedienen sich eines Farbsystems. Sie ha-

WIRKUNG VON FARBKONTRASTEN

ben häufig ihre Systeme selbst entwickelt oder benutzen fir-

Die Kenntnis der Farbkontraste trägt entscheidend dazu bei,

menneutrale (NCS, RDS, Munsell, Color-Harmony). Aus diesen

Farbwirkungen vorauszusehen und einer Gestaltungsaufgabe

Systemen werden jeweils Farbkollektionen in Farbfächern für

entsprechend anzuwenden. Bei Farbkombinationen sind

die Praxis zusammengestellt. Sie stellen eine Auswahl dar

meist mehrere Kontraste wirksam. Ein Farbkontrast liegt

nach Mode oder Trendkriterien und werden von Zeit zu Zeit

dann vor, wenn zwischen zwei oder mehreren zu vergleichen-

umgestellt. In der Systematisierung der Kennziffern wird

den Farben deutliche Unterschiede feststellbar sind. Kontrast-

meist erkennbar, dass auch weitere Farbtöne möglich sind.

wirkungen bestehen zwischen objektiven Farbeigenschaften,

Das ist für den Gebrauch dieser Hilfsmittel notwendig. Neben

aber auch zwischen subjektiven Farbwirkungen.

diesen Farbkollektionen sollte man auch noch auf die verbreitet verwendete RAL-Karte verweisen. Sie entstand als Sammlung von Einzelfarben aus dem Bedarf von Großabnehmern (Militär, Bahn, Post, Feuerwehr). Sie ist nicht auf der Basis eines systematischen Ordnungsbezuges entwickelt. Dies leistet erst das RAL-Design-System. Farbkollektionen, Farbsammlungen, Farbsysteme können eine erste Entscheidungshilfe für eine Farbauswahl sein. In letzter Konsequenz sollte man sich als Gestalter die individuelle Entwicklung eines Farbtons im Atelier oder mit dem Ma-

Man unterscheidet folgende Kontraste: Hell-Dunkel-Kontrast Bunt-Unbunt-Kontrast Bunt-Kontrast Gegenfarben-Kontrast Intensitäts-Kontrast Quantitäts-Kontrast Flimmer-Kontrast und physiologische Kontrastphänomene wie:

ler vor Ort offen halten, um der industriell publizierten, seriel-

Simultan-Kontrast

len Qualität die Qualität des Originals entgegenzusetzen.

Sukzessiv-Kontrast

W

arz

g

eh

el

ön

e

Tön

e

eT

Grauleiter

hw Sc

ch lei

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V

We

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lei

che

dun

kel

kla

re

S

>

Farbtongleiches Dreieck nach Ostwald

35

Hell-Dunkel-Kontrast

der künstlichen Zeichenwelt zum Beispiel bei Piktogrammen

Der Hell-Dunkel-Kontrast zeigt sich in der Verschiedenheit der

eine wichtige Rolle als Signal. Der Bunt-Unbunt-Kontrast ist

Farben bezogen auf deren Helligkeit. Er zeigt sich am ausge-

ein häufig angewandtes Prinzip in der Raumgestaltung. Be-

prägtesten in der Kombination der unbunten Farben Schwarz,

sonders Weiß- und Graunuancen werden dabei als neutralisie-

Weiß, Grau. Hell-Dunkel-Kontraste lassen sich aus Kombina-

rende Elemente in Verbindung mit Bunttönen verwendet.

tionen von bunten Farben entwickeln, aber auch aus Farben eines gleichen Bunttons, jedoch mit unterschiedlichen Hellig-

Bunt-Kontrast

keitswerten. Diesen Kontrast bezeichnen wir als Nuancen-

Der Bunt-Kontrast entsteht aus der Kombination bunter Far-

Kontrast. Helligkeits-Kontraste sind zur räumlichen Differen-

ben. Er ist am deutlichsten erkennbar, wenn drei oder mehre-

zierung sehr gut geeignet. Dabei ist zu berücksichtigen, dass

re rein bunte, hochgesättigte Farben zusammentreffen. Je un-

sowohl sehr starke, als auch sehr schwache Helligkeitsunter-

ähnlicher die Bunttöne sind, desto ausgeprägter und stärker

schiede im direkten Blickfeld bei langandauernder Einwirkung

wirkt er. Eine größtmögliche Unähnlichkeit und damit stark

das Auge anstrengen und ermüden können (laut-leise). Mittle-

ausgeprägte Kontrastwirkung ergibt sich aus Kombinationen,

re Helligkeitsunterschiede wirken angenehm und sind physio-

die im Farbkreis weit auseinander liegen, wie Gelb, Rot und

logisch empfohlen.

Blau. Bunt-Kontraste aus reinen Farben wirken sehr auffällig, lebhaft und kraftvoll. Sie lenken die Aufmerksamkeit auf sich.

Bunt-Unbunt-Kontrast

In den Bereichen der Raumgestaltung, vor allem in Langzeit-

Treffen bunte und unbunte Farben aufeinander, so entsteht ein

Aufenthaltsräumen eignen sich Bunt-Kontraste nur in kleinen

Bunt-Unbunt-Kontrast. Bunte, besonders reine und hochge-

Mengenverhältnissen, zum Beispiel als Akzente. Eine Reiz-

sättigte Farben erzeugen im Zusammenspiel mit unbunten

überflutung durch zu laute Kontrastierung wirkt sich nachtei-

Farben intensive Eindrücke und erregen unwillkürlich Auf-

lig auf den Organismus aus.

merksamkeit. Dabei ist der Grad der Auffälligkeit bei Bunt-Unbunt-Kontrasten abhängig von der Intensität des Bunttons

Gegenfarben-Kontrast

und vom Helligkeits-Kontrast. In einer Farbkombination

Der Gegenfarben-Kontrast zeigt sich in der Beziehung zweier

schwächt Weiß die Leuchtkraft der Farben ab, wohingegen

Farben, die von größtmöglicher Verschiedenheit sind. Jede

Schwarz die Leuchtkraft der Farben steigert. Der Gegensatz

Farbe hat nur eine Gegenfarbe. Diese Beziehung der Gegen-

von Bunttönen hoher Intensität und unbunten Farben spielt in

farben lässt sich am deutlichsten bei den reinen und hochge-

>

Bunt-Kontrast >

Bunt-Unbunt-Kontrast >

Gegenfarben-Kontrast >

Hell-Dunkel-Kontrast

36

5

GESTALTUNGSGRUNDLAGEN DER FARBE

sättigten Farben des Farbkreises erkennen. Sie stehen sich

wirken. Verändert man in einer Farbkombination die Mengen-

diametral gegenüber und ergeben bei der Ausmischung mitei-

verhältnisse, so entstehen im Vergleich untereinander sehr

nander einen neutralen Grauton. Jedes Gegenfarbenpaar hat

verschiedene Farbwirkungen. Der Quantitäts-Kontrast spielt

Besonderheiten. Gelb – Violett zum Beispiel enthält nicht nur

daher auch für die Raumgestaltung eine bedeutende Rolle.

den Gegenfarben-Kontrast, sondern auch den stärksten Hell-

Die Farbproportionen im Raum tragen entscheidend zur

Dunkel-Kontrast, Orange – Blau enthält außerdem den stärks-

Raumanmutung und damit ebenso zur Raumwirkung bei.

ten Kalt-Warm-Kontrast. Der Gegenfarben-Kontrast in abgeschwächten Nuancen eignet sich für eine ausgewogene

Flimmer-Kontrast

Raumgestaltung, er schließt monotone Raumwirkungen und

Werden intensive Farben gleicher Helligkeit beziehungsweise

Farberlebnisse aus.

Dunkelheit angewandt, so entsteht oft ein so genannter Flimmer-Kontrast. Sehen wir lange darauf, breitet sich eine verwir-

Intensitäts-Kontrast

rende Überreizung aus. Der Flimmer-Kontrast lässt sich durch

Als Intensitäts-Kontrast bezeichnet man den Gegensatz un-

Verdunkeln oder Aufhellen einer Farbe ausschalten. Beim

terschiedlicher Farben in verschiedener Sättigung. Er erreicht

Flimmer-Kontrast wird deutlich, dass sinnvolle Kontrastierun-

seine stärkste Wirkung, wenn zwischen großflächig ausge-

gen zwischen Figur und Grund nicht berücksichtigt wurden.

dehnten, trüben Farbtönen eine reine Farbe in kleinerer Men-

Der Flimmer-Kontrast muss im Bereich räumlicher Gestaltung

ge als Akzent auftritt. Diese einzelne Farbe wird zu einem

im Sinne einer Reizüberflutung vermieden werden.

wichtigen Element im Zusammenspiel der Farben und erregt besondere Aufmerksamkeit. Im räumlichen Kontext bietet der Intensitäts-Kontrast ein gutes Instrumentarium für Farbdomi-

PHYSIOLOGISCHE KONTRASTPHÄNOMENE

nante, Farbsubdominante und Farbakzent. Eine besondere Form des Intensitäts-Kontrastes ist der bereits erwähnte Nu-

Simultan-Kontrast

ancen-Kontrast.

Der Simultan-Kontrast zeigt die gleichzeitig-wechselseitige und dauernde Beeinflussung von Farben durch ihr farbiges

Quantitäts-Kontrast

Umfeld. Gleiche Farben erscheinen auf unterschiedlich farbi-

Der Quantitäts-Kontrast bezieht sich auf die Mengenverhält-

gen Grundflächen und in unterschiedlichen Nachbarschaften

nisse oder auch Proportionen der Farben und ihr Zusammen-

jeweils verschieden. Ihre Veränderung resultiert aus Reflexi-

Intensitäts-Kontrast

>

Flimmer-Kontrast

>

Quantitäts-Kontrast

>

Simultan-Kontrast

>

37

on. Die wahrnehmbaren Veränderungen sind nicht wirklich

sieht man die physiologische Gegenfarbe, in diesem Falle ein

vorhanden, sondern sie entstehen als Farbempfindung beim

lichthaftes Grün. Aus dieser natürlichen Veranlagung des Men-

Betrachter. Sie können sowohl den Buntton als auch die Hel-

schen ist zu erkennen, dass alle Farbwahrnehmung relativ ist.

ligkeit und die Sättigung betreffen.

Jede Farbe erscheint subjektiv im Kontext ihrer Umgebungsfarben. In unten stehender Abbildung können Sie selbst tes-

Sukzessiv-Kontrast (Sukzessiv-Effekt)

ten, welches Nachbild Sie auf einen Farbreiz wahrnehmen. Be-

Der Sukzessiv-Kontrast ist die physiologische Voraussetzung

trachten Sie isoliert einen der zentralen Farbtöne, zum

für den Simultan-Kontrast. Prägt sich ein farbiger Reiz länge-

Beispiel Gelb. Decken Sie die anderen Farben ab. Fokussieren

re Zeit ein, so entsteht ein so genanntes farbiges Nachbild in

Sie die Farbfläche und schauen Sie mit gleichem Fokus nach

den Gegenfarben (physiologische Gegenfarben). Dieses Phä-

geraumer Zeit auf die schwarze oder weiße Fläche nebenan.

nomen lässt sich wie folgt demonstrieren: Fixiert man zum

Sie werden in der Regel eine Farberscheinung wahrnehmen,

Beispiel das Zentrum einer roten Fläche so lange, bis das Au-

die zudem abhängig von der Farbe beziehungsweise Hellig-

ge ermüdet ist und schaut daraufhin auf eine weiße Fläche, so

keit der Projektionsfläche erscheint.

>

Farbiges Nachbild auf Schwarz

38

Sukzessiv-Kontrast

Farbreiz

Farbiges Nachbild auf Weiß

6 LICHT UND FARBE

Licht und Farbe sind untrennbare Partner im Wahrnehmungs-

Farbempfindungsqualitäten. Die plastischen Eigenschaften

vorgang. Sie werden zusammen mit der Formwahrnehmung

des Raumes, die Farbtonqualität und der Nuancenklang hän-

zum Gesamtbild.Wie die Farbe und ihre Wirkung auf den Men-

gen ebenfalls davon ab. Im Zuge bewusster ökologischer Pla-

schen, so ist auch das Licht mit vielen Wissenschaften und

nung gewinnt das Tageslicht heute mehr und mehr an Bedeu-

Fachgebieten verknüpft und geht „Wirkungsverbindungen“

tung für die Belichtung von Arbeitsplätzen und Räumen mit

ein. Es greift ein in das Gebiet der Psychologie und Physiolo-

besonderen Dimensionen. Am Arbeitsplatz erhält die biologi-

gie, der Biologie und visuellen Ergonomie, der Medizin und

sche Versorgung des Organismus durch das volle Spektrum

Chemie, der Elektrotechnik und Physik; es formuliert Architek-

des Lichts immer mehr Beachtung. Bei weiten, hohen oder

tur aus und verknüpft sich synästhetisch mit Empfindungen

tiefen Räumen können Umlenk- und Linsensysteme längere

des Schalls und direkt oder indirekt mit jenen des Klimas.

Nutzungszeiten des Tageslichts ermöglichen und den Nut-

Licht kommt zunächst natürlich als Sonnenlicht, aber auch in

zungsausgleich mit künstlichem Licht verringern. Beleuch-

Form vielfältiger künstlicher Leuchtmittel vor. Das natürliche

tungsanlagen mit künstlichem Licht sind nur dann gut, wenn

Tageslicht bildet das gesamte sichtbare Spektrum elektro-

bei der Planung und Ausführung alle Wechselwirkungen be-

magnetischer Strahlung von ungefähr 380 bis 780 Nanometer

rücksichtigt werden. Sehr häufig beschränkt man sich bei der

gleichmäßig ab. Die Qualität der Raumbelichtung hängt vom

Planung jedoch auf rein technische und wirtschaftliche Zu-

Verhältnis der Größe der Lichtöffnung zum Raum, deren Lage

sammenhänge; oft sind solche Anlagen physiologisch und ge-

im Raum, der Lage zur Himmelsrichtung, der Verteilung des

stalterisch dementsprechend fehlerhaft und unbefriedigend.

Lichts im Raum und von den atmosphärischen Bedingungen

Gründe dafür liegen darin, dass

ab. Das Licht stellt die zentrale Qualität der Mensch-Umwelt-

fehlerhaftes Licht nur selten bewusst wahrgenommen wird,

Interaktion dar.Während des Tagesverlaufs ändern sich mit der

Beschwerden sich meistens erst nach längerer Zeit und nur

Lichteinfallsrichtung die Lichtqualität und damit auch die

sehr langsam einstellen,

> V’λ Nacht

Tag Vλ

1,0 0,8 0,6 0,4 0,2 0,0 400 Spektrale Hellempfindlichkeit

UV A/B/VC

500

600

Spektrale Hellempfindlichkeit

700

nm Infrarot

>

Spektrum aus dem Goethehaus in Weimar

39

Klagen oft allgemeiner Art sind und nicht auf das Licht bezo-

LICHTTECHNISCHE GRUNDLAGEN –

gen werden,

GRÖSSEN UND EINHEITEN

Energiesparmaßnahmen bei der Beleuchtung oft Qualitäts-

Zur Beurteilung von künstlichem Licht und bei der Planung

minderungen in den Farb-Wiedergabe-Eigenschaften verursa-

von Beleuchtungsanlagen begegnen wir im Wesentlichen vier

chen.

Begriffen: Lichtstrom (gemessen in Lumen, lm)

In Zukunft wird es immer wichtiger, Licht, Farbe und Material

Lichtstärke (gemessen in Candela, cd)

ausgewogen zu planen. Vor allem in Fällen, in denen

Beleuchtungsstärke (gemessen in Lux, lx) Leuchtdichte (gemessen in Candela pro Meter2, cd/ m2).

die geistige Beanspruchung des arbeitenden Menschen steigt; die Toleranzgrenze gegenüber Störeinflüssen sinkt;

Der Lichtstrom ist die abgegebene physikalische Strahlungs-

die Oberflächenreflexe (Spiegelungen, glänzende Materialien

leistung. Sie wird mit der Helligkeitsempfindlichkeitsverteilung

an Bildschirmen) Störungen in der Wahrnehmungsgenauig-

vλ bewertet. Der Lichtstrom ist ein Maß für die im sichtbaren

keit verursachen;

Strahlungsbereich abgegebene Lichtmenge (sichtbares Licht). Die Lichtstärke ist der abgestrahlte Lichtstrom in eine be-

das Kunstlicht immer noch vorwiegend das Tageslicht ersetzen muss;

stimmte Richtung des Raumes. Eine Lichtstärkeverteilung ist

außerdem in Räumen, die kein oder fast kein Tageslicht haben,

die dreidimensional räumliche Verteilung dieser Lichtstärke. Die Beleuchtungsstärke ist das Maß für den Lichtstrom, der

bei zu kleinen Tageslichtöffnungen und anderem mehr.

auf die Fläche eines Körpers oder Raumes trifft. Die BeleuchDer Architekt, Innenarchitekt und Farbdesigner muss mit dem

tungsstärke ist heute immer noch die Grundlage für die meis-

Lichtplaner nicht nur die technischen und wirtschaftlichen

ten Lichtplanungen, ist jedoch kein Maß für den Helligkeits-

Seiten der Planung lösen, sondern vor allem auch die Zusam-

eindruck.

menhänge von Licht-Mensch-Raum und Licht-Material-Farbe.

Die Leuchtdichte ist die einzige lichttechnische Größe, die ein Maß für den visuellen Helligkeitseindruck einer Fläche darstellt. Die Wirkung und der visuelle Eindruck einer Beleuchtungsanlage können nur durch Beurteilung aller Leuchtdich-

>

40

oben: Lichtstrom unten: Lichtstärke

6

LICHT UND FARBE

ten im Blickfeld erfolgen. Die Leuchtdichte ist das Maß der Re-

In unten stehender Liste sind einige typische Richtwerte von

flexion des auftretenden Lichts, also des reflektierten Lichts

Lichtausbeuten üblicher Lampen aufgeführt.

ins menschliche Auge. Man geht hierbei immer von einem diffusen Reflexionsverhalten aus.

Bedauerlicherweise gerät hinter diesen ingenieurtechnischen

Von diesen vier lichttechnischen Werten ist in der Planungs-

und kaufmännischen Überlegungen die Lichtqualität aus dem

praxis des beratenden Ingenieurs heute immer noch der

Blickfeld. Für die Farb-, Material- und Raumqualität sind die

Lux-Wert, also die Beleuchtungsstärke, der rechnerisch be-

Farb-Wiedergabe-Eigenschaften einer Lichtart wie auch das

deutendste Faktor. In der EN 12464-1/ DIN 5035 sind für ver-

Maß der Leuchtdichte (cd/m2) entscheidend. Nur diese Größe

schiedene Raumnutzungen verbindliche Mittelwerte vorge-

beschreibt den Helligkeitseindruck, sie definiert den Kontrast.

schrieben. In Bezug zur Arbeitsaufgabe sind zwei Bereiche zu

Die Leuchtdichte hat in den Beleuchtungsberechnungen lei-

beachten: die Zone der direkten Sehaufgabe und deren unmit-

der immer noch nicht die Beachtung, die ihr visuell zukommt,

telbare Umgebung. Für diese Bereiche sind Werte der Beleuch-

weil sie schwierig zu messen und zu berechnen ist. Räumlich

tungsstärke (Em) vorgegeben, die immer erreicht werden

entscheidend ist die Spannweite der verschiedenen Leucht-

müssen. Typische Werte von Beleuchtungsstärken liegen im

dichten im Raum zur so genannten Adaptionsleuchtdichte,

Arbeitsbereich zwischen 20 und 5000 Lux. Für Sehaufgaben

womit jene Empfindlichkeit gemeint ist, an die sich das Auge

im Büro (Schreiben, Lesen, Datenverarbeitung) ist eine Be-

als Mittelwert im Gesichtsfeld angepasst hat.

leuchtungsstärke von 500 Lux (0,75 Meter über Boden) festgelegt. Die Lichtausbeute ist ein Maß für die Wirtschaftlichkeit einer Lichtquelle. Die Lichtausbeute gibt an, wie viel Leistung notwendig ist, um eine bestimmte Menge Lichtstrom (sichtbares Licht) zu erzeugen. Sie wird in Lumen pro Watt (lm/W) angegeben. Hohe Lichtausbeuten der Lampen und hohe Wirkungsgrade der Leuchten garantieren kostengünstige Beleuchtungsanlagen meistens auf Kosten der Gestaltung und der visuellen Qualität.

Allgebrauchsglühlampen Halogenlampen Leuchtstofflampen

oben: Beleuchtungsstärke unten: Leuchtdichte

>

10-25 lm/W bis 105 lm/W

Kompaktleuchtstofflampen

50-75 lm/W

Halogen-Metalldampflampen

60-90 lm/W

Natriumdampf-Hochdrucklampen

>

10-15 lm/W

50-130 lm/W

Quecksilberdampf-Hochdrucklampen

60-70 lm/W

Leuchtdioden

15-30 lm/W

Diffuse Reflexion nach Materialbeschaffenheit

41

LAMPEN UND IHRE EIGENSCHAFTEN

Viellinienspektrum der Halogenide ergänzt und aufgefüllt

Die Antwort auf die Frage, was Licht ist, lässt sich technisch

(Halogen-Metalldampflampen).

wie folgt formulieren: „Was wir als künstliches Licht wahrneh-

Licht kann auch Folge von Lumineszenz sein, wenn das ultra-

men, ist das Ergebnis eines physikalischen Prozesses. Ob

violette Licht der Quecksilber-Niederdruckentladung Leucht-

Licht nach der Quantentheorie als Teilchen oder nach der Wel-

stoffe zur Emission von Licht anregt.

lentheorie als elektromagnetische Strahlung betrachtet wird – in jedem Fall geht es von Elektronen aus, die innerhalb einer

Nach diesem Prinzip arbeiten die Leuchtstofflampen. Hier

Lichtquelle angeregt werden.“ (H. J. Hentschel) Im Wesent-

können Lichtfarben von glühlampenähnlichem Warmweiß bis

lichen ist dies auf drei Arten erreichbar:

zu tageslichtähnlichem Kaltweiß hergestellt werden. Glühlampen finden heute immer noch breite Verwen-

Elektronengas in Festkörpern strahlt bei hohen Temperaturen

dung im privaten Wohnbereich. Diese Temperaturstrahler

ein kontinuierliches Spektrum aus. Das beste Beispiel hierfür

sind nicht sehr wirtschaftlich. Daher lösen immer häufiger

ist das Sonnenlicht. Der gleiche Prozess findet in der Glüh-

Kompaktleuchtstofflampen die Glühlampe ab. Allerdings

lampe statt.

ist der Farbwiedergabeindex beider Lampen extrem unter-

Hüllenelektronen in Gasen und Metalldämpfen senden bei

schiedlich.

elektrischer Entladung eine für das Element charakteristi-

nutzen

die

elektrische

sche, meist linienspektrale Strahlung aus. Fügt man diesen

Energie schon besser aus. Sie werden zur Akzentuierung, für

Gasentladungen Halogenide seltener Erden bei, so wird das

repräsentative Beleuchtungen im kommerziellen Bereich und

Linienspektrum zum Beispiel des Quecksilbers durch das

auch zunehmend im privaten Wohnbereich eingesetzt. Mit so

>

42

Halogen-Niedervolt-Glühlampen

oben: Tageslicht unten: Glühlampenlicht

>

oben: Lichtfarbe 11-860 LUMILUX-Tageslicht unten: HQI/D Halogen-Metalldampflampe

6

LICHT UND FARBE

genannten Kaltlichtreflektoren kann die Temperaturstrahlung

penarten mit mäßigen oder eingeschränkten Farbwiederga-

um etwa 66 Prozent reduziert werden. Das erhöht nicht nur die

beeigenschaften wie Quecksilberdampf- und Natriumdampf-

Lebenszeit dieser Lampen (2000 Brennstunden), sondern verän-

Hochdrucklampen werden vor allem bei Außenbeleuchtungen

dert auch die Farbtemperatur. Leuchtstofflampen werden heute

und bei Industrie- und Gewerbebauten eingesetzt. Mit „Licht-

in verschiedenen Leistungen und Durchmessern angeboten und

farbe“ ist die Farbe des „Aussehens“, der Ausstrahlung einer

sind in verschiedenen Weißnuancen erhältlich. Die Lichtfarbe

Lampe gemeint. Bei der Farbplanung sollte man anhand der

wird auch als Farbtemperatur bezeichnet. Sie ist kein Maß für

Spektraldiagramme der Lampenhersteller die Farbtempera-

die Qualität der Farbwiedergabe. Der Einsatz einer bestimmten

tur und den Farbwiedergabeindex prüfen. Die Farb- und Mate-

Lichtfarbe ist abhängig vom persönlichen Geschmack, kulturel-

rialbemusterung für einen Raumentwurf sollte daher unter

len Einflüssen und einem individuellen Farbempfinden und

der entsprechend gewählten Lichtart überprüft und getestet

kann als gestalterisches Element verwendet werden.

werden. Auf dem Markt gibt es drei große Bereiche weißer

Halogen-Metalldampflampen

sind

Quecksilberdampf-

Lichtarten:

Hochdrucklampen mit verbesserter spektraler Zusammen-

Tageslichtweiß (tw, 5400 – 6500 Kelvin)

setzung durch Halogene. Es sind Lichtfarben von Tageslicht-

Neutralweiß (nw, um 4000 Kelvin)

weiß bis Warmweiß realisierbar. Die Lichtausbeute dieser

Warmweiß (ww, 2700 – 3000 Kelvin)

Lampen ist sehr hoch und die Farbwiedergabeeigenschaften sind recht gut. Die Lampen finden Verwendung im Messe- und

Die Farbwiedergabe ist ein Maß, verschiedene Farben zu

Ladenbau, in Verkaufsräumen, Industrie, Ausstellungs- und

erkennen und zu unterscheiden. Sie wird durch den Farb-

Sporthallen (Scheinwerfer und Flutlichtanlagen). Andere Lam-

wiedergabeindex (Ra) beschrieben. Die Anforderungen an die

>

oben: SOX Natriumdampf-Hochdrucklampe unten: Lichtfarbe 31–380 LUMILUX +/ Warmton

43

Sehaufgabe definieren einen entsprechenden Farbwiederga-

ASPEKTE VISUELLER ERGONOMIE

beindex (Mindestanforderungen sind in Normen festgelegt).

Etwa 90% der Sinneseindrücke werden über das Auge aufge-

Die Lampe sollte eine korrekte Farbwahrnehmung (wie beim

nommen. Sehen und Beleuchtung dienen dazu, Informationen

Tageslicht) ermöglichen. Der Farbwiedergabeindex wird mit

zu vermitteln. Die Licht- und Sehbedingungen haben einen

einer Testpalette von acht ungesättigten Tönen, vier gesättig-

entscheidenden Einfluss auf Konzentrationsfähigkeit, Leis-

ten, einem besonderen Blattgrün und einem Hautton geprüft.

tungsfähigkeit, Reaktionsvermögen und allgemeines Wohlbe-

Vergleichslichter sind einmal das Glühlampenlicht und das

finden. Die optimale Funktionsfähigkeit des Auges steht in di-

Licht des blauen Nordhimmels.

rektem Verhältnis zu Licht- und Raumbedingungen. Beide

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass gute Beleuch-

müssen sich den physiologischen Gesetzmäßigkeiten des Au-

tung drei Merkmalsbereiche berücksichtigen muss:

ges anpassen.

Sehleistung (Beleuchtungsniveau, Blendungsbegrenzung); Sehkomfort und Farbwiedergabequalität (harmonische Hel-

Farbergonomie/visuelle Ergonomie

ligkeitsverteilung);

sucht Ausgleich zwischen extremen Wahrnehmungs-

Visuelles Ambiente (Schattigkeit, Lichtfarbe, Lichtrichtung).

zuständen; überwindet Monotonie und Reizüberflutung durch subtile

Aus den Sehaufgaben und den Stimmungserwartungen leiten

Stimulation;

sich die Anforderungen an die Qualität der Beleuchtung ab.

schont Augen und Organismus;

R1

altrosa

R5

türkisblau

R2

senfgelb

R6

himmelblau

R3

gelbgrün

R7

asterviolett

R4

hellgrün

R8

fliederviolett

Testpalette des Farbwiedergabeindexes

Zusätzliche gesättigte Testfarben R9

rot

R12

blau

R10

gelb

R13

hautfarben

R11

grün

R14

blattgrün




45

100

sern der Sehnerven, dann durch die Sehnervkreuzung zu den höheren Sehbahnen bis hinauf zur Sehrinde des Hinterhaupthirns transportiert. Erst dann fängt der Mensch an zu sehen.

90

Augenmuskeln Das Auge hat innere und äußere Muskeln. Die äußeren Muskeln sind für die Augenbewegung verantwortlich. Die inneren Muskeln kontrollieren die Pupillengröße und die Krümmung

80

der Augenlinse (Veränderung der Linsendicke). Durch Veränderung der Linsendicke stellt sich das Auge auf unterschiedliche Sehentfernungen ein, um Gegenstände in verschiedenen Entfernungen auf der Netzhaut scharf abzubilden. Diese

70

Fähigkeit wird als Akkommodation bezeichnet und beteiligt die Ciliarmuskeln. Während dieses Vorganges ändert sich die Stellung der Augenachsen zueinander. Beide Mechanismen erfordern Muskelarbeit. Bei häufiger Akkommodationsänderung besteht die Gefahr, dass die Augenmuskulatur überbe-

60

ansprucht wird. Aber auch eine Arbeit, die eine konstante Entfernung und fixierte Blickrichtung beansprucht, führt zu einer Ermüdung, wie das bei jeder statischen Muskelbelastung der Fall ist. Durch die kleinen Muskeln in der Iris wird die Pupil-

50

lengröße eingestellt, um sich auf sehr unterschiedliche Leuchtdichten einstellen zu können. Diese Eigenschaft wird als Adaption bezeichnet. Dem gesunden Auge bleibt diese Fähigkeit lange erhalten, nimmt aber im hohen Alter deutlich 40

ab. Blendung und Glanz Blendung ist die häufigste Ursache für beleuchtungsbedingte Sehbeschwerden. Alles Licht, das von einer Lichtquelle direkt

30

oder über spiegelnde bzw. glänzende Flächen indirekt ins Auge fällt, bewirkt Blendung. Die Blendlichtquelle erzeugt dann im Glaskörper des Auges Streulicht, das sich wie ein Schleier auf die Netzhaut legt. Reflexblendung wird oft durch Spiege20

10

0 Helligkeitsreflexion in % – Reihe zum Vergleich von Farben > und Materialien

46

6

LICHT UND FARBE

lungen oder Glanz polierter und hochglänzender Flächen oder

BIOLOGISCHE WIRKUNG DES LICHTS

Körper verursacht. Blendempfindlichkeit nimmt mit dem Alter

Ein Großteil unseres Lebens – Wohnen, Lernen, Arbeiten, Re-

stark zu, weil sich der Glaskörper immer mehr trübt und des-

generieren – findet in Gebäuden statt: in künstlich gestalteten

halb mehr Streulicht entsteht. Direktblendung durch zu hohe

Räumen und unter künstlichem Licht. Diese Art der Beleuch-

Leuchtdichten oder falsch positionierte Leuchten beeinträch-

tung ist im Gegensatz zum natürlichen Tageslicht konstant

tigt das Wohlbefinden (psychologische Blendung) und setzt

und verändert sich nicht mit den Tageszeiten und dem Wech-

die Sehleistung herab (physiologische Blendung). Sie muss

sel der Jahreszeiten. Zudem ist die Zusammensetzung des

unbedingt vermieden oder begrenzt werden. Reflexblendun-

künstlichen Lichts nicht identisch mit der des natürlichen

gen sind meist Störungen durch Tageslichtöffnungen oder

Lichts. Obwohl es Lampen mit leistungsfähigen Ausstrahlun-

Leuchten. Sie beeinträchtigen vor allem die Kontraste im Seh-

gen gibt, die reine Sehaufgaben gewährleisten, weisen diese

feld. Häufig lässt sich durch bessere Leuchten und Leuchten-

doch beträchtliche Qualitätslücken in der Farbwiedergabe des

anordnung Reflexblendung vermeiden. Tageslichtöffnungen

gesamten Spektrums auf.

sollten helligkeitsregulierbar sein (zum Beispiel durch die Anbringung von Jalousien).

Tageslicht ist das ausgewogenste weiße Licht, weil Sonnenlicht gleichmäßig jeden Farbtonbereich des Spektrums reflektiert. Dieses Licht hat allerdings nie eine gleich bleibende

Leuchtdichteunterschiede und Flächenfarbe

Eigenfarbe. Es kommt darauf an, wie es in der Erdatmosphäre

Extreme Kontraste zwischen Hell und Dunkel im Raum sind

reflektiert und gebrochen wird. Auf diese Art und Weise ändert

zu vermeiden. Bei Leuchtdichteunterschieden im Gesichtsfeld

sich die Lichtfarbe während des Tages, sie ändert sich auch

ändert sich beim Blickwechsel der Adaptionszustand des Au-

nach geographischer Lage und im Verlauf der Jahreszeiten.

ges. Während dieser Anpassung ist die Sehleistung reduziert.

Während der letzten Jahrzehnte wurde zunehmend deut-

Bei zu hohen Leuchtdichteunterschieden oder Kontrasten im

lich, dass Sonnenlicht eine tiefgreifende Wirkung auf den

Umfeld wird der Muskel der Iris stärker beansprucht, was zu

menschlichen Organismus hat. Rikard Küller formuliert in

Augenermüdung führt. Studien ergaben, dass angemessene

seinem Dokument „Non-visual Effects of Light and Colour“:

Leuchtdichteunterschiede physiologische Ermüdung verhin-

„Grund dafür ist erstens, dass Sonnenstrahlung für die Ent-

dern und (Seh-)Leistungen erhöhen. Ebenso sind auch zu

wicklung des Lebens an sich notwendig ist, dass es eigentlich

schwache Kontraste zu vermeiden, weil diese die dreidimen-

ohne Licht kein Leben gibt. Der zweite Grund ist der, dass die

sionale Wahrnehmungsqualität herabsetzen. Für den Sehkom-

Entwicklung höheren Lebens, vor allem des Menschen, bis

fort in Innenräumen ist also auf eine harmonische Helligkeits-

heute unter dem konstanten Einfluss von Sonnenstrahlung

verteilung zu achten. Sie hängt mit einer guten Lichtrichtung,

geschah, deren Einwirkung auf lebendes Gewebe, von der ein-

Lichtführung und daraus entstehenden Schattigkeit im Raum

zelnen Zelle der Haut bis hin zum angepassten lichtempfind-

zusammen. Nur helle Räume mit ausschließlich diffusem

lichen Auge. Somit sind die Menge, die Qualität, die Verteilung

Licht ohne Schattenbildung wirken monoton. Lichtrichtung,

und die Variation des Lichtes zwischen Tag und Nacht, zwi-

Schattigkeit und Lichtfarbe bestimmen das räumliche Am-

schen Winter und Sommer fest verbunden mit der Entwick-

biente.

lung des Menschen.“

47

Sichtbares Licht sowie das angrenzende Ultraviolett und

Strahlung. Einer davon ist die Synthese von Calciverol oder Vi-

Infrarot sind für die Gesundheit des Menschen erforderlich.

tamin D2, die den Stoffwechsel von Phosphor und Kalzium

Sie wirken auf den menschlichen Organismus durch Strah-

fördert. Untersuchungen deuten auch darauf hin, dass ul-

lung auf die Haut und durch Lichteintritt in das Auge. Die

traviolette Strahlung allgemeine physiologische Wirkungen

Wahrnehmung über das Auge beschränkt sich nicht nur auf

verursacht, wie zum Beispiel einen reduzierten Pulsschlag,

die Funktion des Sehens. Das Licht wird über zwei Nervenbah-

abfallenden Blutdruck, Änderungen in der Hauttemperatur,

nen zum Gehirn geführt, den optischen Anteil der Sehbahn,

Beschleunigen des Stoffwechsels, kürzere Reaktionszeiten

der das Sehen ermöglicht, und den energetischen Anteil der

und Widerstandsfähigkeit gegenüber Infektionen. Die Wärme-

Sehbahn, der die Zirbeldrüse (Epiphyse) und Hirnanhangdrü-

strahlung des Infrarots auf der Haut verursacht Gefäßerweite-

se (Hypophyse) stimuliert. Diese Drüsen regulieren die Pro-

rungen und beeinflusst die Körpertemperatur. Dies wiederum

duktion und Freigabe von Hormonen und somit die Körper-

beeinflusst die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit.

chemie.

Viele Wissenschaftler stellen daher die Frage, ob künstli-

Über diese Funktionswege wirkt das Licht auch auf die cir-

ches Licht, als ein leistungsfähiger optischer Ersatz, auch ein

cardiane Periodik, den biologischen Rhythmus, der sich in ei-

Ersatz für natürliches Licht im physiologischen Sinne sein

nem 24-Stunden-Zyklus wiederholt. Das circardiane System

kann. Diese Frage ist berechtigt, und es sprechen zwei Grün-

ist ein Netzwerk von Körperzellen, Gewebestrukturen und

de dafür.

Flüssigkeiten. Es wird durch das Tageslicht synchronisiert und

Viele der standardisierten Leuchtstofflampen unterschei-

steuert zeitgerecht den 24-Stunden-Zyklus von Tag und Nacht.

den sich erheblich in ihrer spektralen Zusammensetzung vom

Diese „innere Uhr“, die viele komplizierte psychologische und

natürlichen Licht, und nur sehr wenige Lampen beinhalten ein

biochemische Reaktionen auslöst, wird vom Hormon Melato-

ausgewogenes Maß ultravioletter Strahlung.

nin geregelt. Licht drosselt die Produktion von Melatonin, und

Untersuchungen belegen, dass es biologische Auswirkun-

Dunkelheit aktiviert sie. Der gesamte Organismus wird somit

gen hat, wenn der menschliche Organismus ständig dem

müde oder wach, aktiviert oder gedämpft durch das Licht.Ver-

standardisierten Kunstlicht ausgesetzt ist. Wenn Sonnenlicht

schiedene Prozesse, die in der Haut vor sich gehen, sind ab-

als „normal“ bezeichnet wird, so bedeutet das künstliche

hängig von den fotochemischen Wirkungen der ultravioletten

Licht eine Einschränkung.

Optische und energetische Sehbahn nach Hollwich

Optische Sehbahn

Großhirn

Lateraler Kniehöcker Zwischenhirn

Auge

Sehrinde

Kleinhirn Energetische Sehbahn Hypophyse

>

48

Verb. zum Rückenmark

6

LICHT UND FARBE

Hollwich und seine Mitarbeiter fanden heraus, dass Licht

ne ultraviolette Strahlung besitzt. Mehrere Hersteller ver-

hoher Beleuchtungsstärke, dessen spektrale Zusammenset-

markten seitdem „Vollspektrum-Lampen“. Bei manchen fehlt

zung von natürlichem Licht abweicht, bei Versuchspersonen

jedoch der ausgewogene UV-Zusatz. Auch bezüglich visueller

stressgleiche Mengen von ATCH und dem Stresshormon Corti-

Aspekte sind Lampen mit einem hohen Farbwiedergabeindex

sol produzierte. Hollwich leitete unter anderem davon ab, dass

(über 85) zu empfehlen. Hughes und Neer wie auch viele an-

hyperaktives Verhalten von Kindern in der Schule, die fast den

dere Lichtwissenschaftler erklären, dass diese Art von Lam-

ganzen Tag künstlicher Beleuchtung ausgesetzt sind, davon

pen zu einer besseren visuellen Wahrnehmung beitragen. Es

beeinflusst sein könnte. Seine Vermutungen wurden seitdem

stellt sich somit die Frage, ob ein ausgewogener ultravioletter

durch viele andere Studien bestätigt. Mayron und seine Kolle-

Strahlungsanteil angesichts der positiven gesundheitlichen

gen demonstrierten schon 1974, wie Vollspektrumlampen hy-

Wirkung nicht eine Notwendigkeit ist. Besonders bei langen

peraktives Schülerverhalten verringern. Neuere Untersuchun-

Einwirkungszeiten wie bei bettlägerigen Patienten oder an In-

gen, wie zum Beispiel diejenige von G. Grangaard (1993),

nenräume gebundenen Personen (Pflegeheim, Ganztagesun-

erbrachten gleiche Resultate. Einen Hinweis auf Langzeitwir-

terricht) und Menschen mit unzureichender, einseitiger Ernäh-

kung ergaben die Versuche an Matrosen und Offizieren, die auf

rung wurde dieser UV-Mangel festgestellt. Positive Wirkungen

Polaris-U-Booten der USA dienten und während sechs Mona-

von UV-Gaben lassen sich bereits durch Strahlungsmengen

ten kein natürliches Sonnenlicht erblickten. Bei ihnen traten

von 1/10 bis 1/2 einer Tagesmenge erreichen (8 Std./ Tag), wel-

Symptome wie Schlafstörungen, Fettsucht, Schwächung des

che die geringste Wahrnehmung von Hautröte verursachen

Immunsystems, Depressionen, Herz- und Kreislaufschwächun-

würde (Thorington 1973). Somit ist dies nicht vergleichbar mit

gen, Muskel- und Gelenkerkrankungen und anderes mehr auf.

starker UV-Strahlung der Sonne und deren möglichen ge-

Von der Firma Durotest in New Jersey, USA, wurde eine

sundheitsschädigenden Wirkungen, wie vorzeitiges Altern der

Leuchtstoffröhre mit dem Namen Vita-lite entwickelt, die in

Haut, Hautrötung, Hautkrebs, Grauer Star et cetera. Für Säug-

Europa unter der Bezeichnung True-Light bekannt ist. Die

linge wäre zurzeit noch von Beleuchtungen mit UV-Zusatz ab-

Leuchtstoffröhre wird als Vollspektrumlampe bezeichnet, da

zuraten, da weder exakt erforscht ist, wie viel UV-Strahlung

sie mit einem Farbwiedergabeindex von über 90 dem Spek-

ein Neugeborenes gefahrlos über die Augenlinse absorbieren

tralbereich des Sonnenlichts entspricht und eine ausgewoge-

kann, noch welche Menge für die Haut ungefährlich ist.

Zumtobel, Lemgo Architektur Bolles und Wilson

Zumtobel, Raummodulation durch Lichtregie

>

>

49

7 MATERIAL UND FARBE

Neben dem Licht und der architektonischen Form sind Mate-

tion. Sie beeinflussen sich gegenseitig, steigern sich oder

rial und Farbe die entscheidenden visuellen Parameter der

werten sich ab. Alle Elemente einer Wahrnehmung wirken auf-

Raumwahrnehmung und des Raumerlebnisses. Während in

einander ein: Sie werden als eins gesehen. Im besten Falle ist

asiatischen Kulturen seit Jahrhunderten ein hochentwickeltes

ihr Charakter etwas Neues und Anderes als lediglich die Sum-

Materialgefühl in Verbindung mit einem sensiblen Konstrukti-

me von Teilen.Von daher hat ein Material und eine Farbe für ei-

onsverständnis zu beobachten ist, lässt sich in Europa seit

nen Menschen immer erst zusammen eine Aussage. Zur

Beginn des 19. Jahrhunderts eine kontroverse Diskussion um

sprachlichen Genauigkeit ist es empfehlenswert, sich der Ter-

die Einschätzung des Wertes von Material und Farbe in Archi-

minologie von Lászlo Moholy-Nagy zu bedienen. In seinem

tektur und Innenarchitektur verfolgen. Architekten und Desig-

1929 am Bauhaus erschienenen Buch „Von Material zu Archi-

ner wie Jakob Ignatz Hittorff in Frankreich, John Ruskin in

tektur“ differenziert er zwischen Struktur, Textur und Faktur.

England und Gottfried Semper in Deutschland wiesen nach,

Er führt aus:

dass die „weiße“ griechische Klassik ursprünglich stark farbig gefasst war. Dieser „Polychromiestreit“ mit dem Archäologen

Struktur ist die unveränderbare Aufbauart des Materialgefüges,

Joachim Winckelmann führte in der Folge zu den verschie-

zum Beispiel die kristallinische Struktur der Metalle,

densten Strömungen im 19. und 20. Jahrhundert. John Ruskin

die Zellstruktur des Holzes oder die Faserstruktur des

meinte: „Die Materialien können die einzigen Farben in der Ar-

Papiers.

chitektur sein“. Semper sprach von „Material-Farb-Beklei-

Textur

ist die organische Abschlussfläche jeder Struktur, aber

dung“ als wichtigstem Merkmal, dem „Urmotiv“ der Raumge-

auch die Oberfläche von Verarbeitungen. In diese Grup-

staltung. Um 1900 knüpfen hier der Jugendstil und die Neue

pe fällt das Schnittbild und die Fladerung eines Holzes,

Sachlichkeit um den Deutschen Werkbund an. Die abstrakte

die Granulattextur eines Granits, die Bänderung eines

Malerei des 20. Jahrhunderts veränderte zudem das Form-

Marmors, die Gewebetextur eines Stoffes, eines Ge-

und Farbempfinden in der Architektur. Der holländische Neo-

flechtes oder Gespinstes, die Fasertextur einer Spanplatte.

Plastizismus (De Stijl, Piet Mondrian) und die Theorien des Bauhauses fanden im Haus Schröder von Gerrit Rietveld in Ut-

Faktur

ist der wahrnehmbare Niederschlag von Materialbear-

recht ihren klarsten Niederschlag. Zeitgleich entwickelte sich

beitung. Hier gibt es bei den unterschiedlichsten Mate-

aber auch in Russland eine radikale Avantgarde um Künstler

rialien oft abgestufte Arbeitsschritte mit jeweils unter-

und Architekten wie K. Melnikow, El Lissitzki, W. Tatlin und

schiedlichen Fakturen, zum Beispiel:

K. Malewitsch. Der malerischen Auffassung von Raum wie bei De Stijl und Bauhaus stand hier eine skulpturale Auffassung

Stein

Holz

Metall

der Rohes Barcelona-Pavillon und seinem Materialstil deutlich

brechen

sägen

gießen

wird. Wir finden sie auch im „New Bauhaus“ von Chicago un-

spitzen

schruppen

ziehen

ter Walter Gropius und Mies van der Rohe wieder. Beiden Po-

stocken

hobeln

drücken

sitionen begegnen wir heute noch und es ist Ziel dieses Bu-

flammen

sandeln

schmieden

ches, zwischen beiden zu vermitteln. Material und Farbe

scharrieren

bürsten

hämmern

haben dienende Funktion. Sie müssen den Ansprüchen der Er-

grob schleifen

grob oder fein schleifen

biegen

gonomie, der Optik, der Ästhetik und des Gebrauchs genü-

spachteln

Poren füllen

schleifen

gen. Materialien als Farbträger und farbige Anstrichflächen

fein schleifen

mattieren

polieren

sind häufig Elemente ein und derselben Wahrnehmungssitua-

polieren

polieren

von Architektur gegenüber, wie sie beispielsweise in Mies van

50

7

2MATERIAL WEIT HINTEN, UND FARBE HINTER DEN WORTBERGEN

51

2

WEIT HINTEN, HINTER DEN WORTBERGEN

53

54

7

MATERIAL UND FARBE

Ferner können Materialien in ihrer Eigenfarbe verändert

ausgelösten Assoziationen. Zu der Bilderwelt der Materialien

werden. Die Renaissance kannte das Natursteinfärben. Diese

kommt die der Farben hinzu und unterstreicht, schwächt ab

Technik ist des großen, farbigen Marktangebotes wegen heu-

oder stellt eine neue Position daneben – dominant, gleichwer-

te ungebräuchlich. Im Kunststeinbereich werden häufig Binde-

tig, unterordnend oder akzentuierend.

mittel und Zuschlagstoffe gefärbt. Hölzer werden gebeizt, la-

Farben sind in ihrer Wirkung auch abhängig von der Verar-

siert oder unterschiedlich deckend lackiert. Bei Keramik und

beitungstechnik und den Materialuntergründen, auf denen sie

Steinzeugmaterial finden wir Färbungen und Glasuren unter-

aufgetragen werden. Die vielfältigen Aspekte der Beschich-

schiedlicher Oberflächenbeschaffenheit: glatt bis strukturiert

tungstechniken werden hier behandelt. Zu technologischen

und matt bis hochglänzend. Metalle können galvanisch behan-

Fragen gibt es eine Fülle von Fachliteratur.

delt und veredelt, wie zum Beispiel verchromt, vernickelt, ver-

Farben – das sind Anstriche auf Wänden, an Decken und Bo-

messingt oder eloxiert, aber auch emailliert oder mit Expoxyd-

denflächen sowie an Objekten, auf unterschiedlichsten Mate-

harz beschichtet werden. Jede dieser Oberflächen hat eine

rialien wie Holz, Metall, Putz, Mörtel, Mauerwerk, Beton,

ganz andere Anmutungsqualität. Von der Aufgabe und der Ver-

Kunststoff, Glas, Gewebe, Papier.

wendung in der Raumgestaltung hängt es ab, ob ein Material

Saugfähigkeit und Relief der Oberfläche (Textur und Faktur)

sich selbst repräsentiert oder als Akzent in einer Komposition

sind für die Wahrnehmung einer Farbe von Bedeutung. Ähn-

steht, als Dominante in einem Ensemble wirkt oder als Mit-

lich wie bei den Materialien ist der Flächeneindruck in Verbin-

glied in einem „Chor“ klingt, wo es lediglich eine Stimme dar-

dung mit dem Farbton selbst und seiner Position im Farben-

stellt. Materialien können in Textur und Farbe natürlich-cha-

klang der Wert, der Image-Eindruck. Bis vor wenigen Jahren

rakteristisch oder bearbeitet und grundlegend verfremdet

galt lediglich der „makellose“ flächige, opake Anstrich als ar-

werden. Mit seinem jeweils eigenen Charakter und seiner Ei-

chitekturgemäß. Mit steigendem ökologischem Bewusstsein

genfarbe, aber auch mit seiner Textur steht jedes Material für

rücken auch wieder traditionelle Materialien und Verarbei-

ein anderes Image. Dieses Eigen-Image eines Materials, der

tungstechniken in den Vordergrund. In Verbindung mit natür-

„Erscheinungswert“, die „Ästhetik über dem Gebrauchswert“,

lichen Pigmenten und Bindemitteln werden Lasuranstriche

kann durch die jeweilige Bearbeitung verändert werden. Die

„hoffähig“. Alte Wachsspachteltechniken (Enkaustik) und

Ausstrahlung auf den Einzelnen, die atmosphärische Anmu-

Lackspachtelflächen mit interessanten Farbmischungsmög-

tung, Wärme oder Kälte, Behaglichkeit, Wohlhabenheit, Herr-

lichkeiten verschieden farbiger Schichten führen zu rhyth-

schaftlichkeit hängt von der Sozialisation des Einzelnen ab.

misch texturierten schwingenden Oberflächen.

Entsprechend wird das Material zum „Bedeutungsträger“. Das Material wird aber nicht nur einfacher einer Imageaussage gerecht als ein Farbton, sondern es spricht unvermittel-

Die Palette, zwischen Farbflächen und Naturmaterialien, zwischen Farbauftrag und Materialoberfläche Spannungen im Raum aufzubauen, ist breit.

ter synästhetische Empfindungen an. Schmecken, Riechen,

Im Interesse der jeweiligen Raumfunktion und der Atmo-

Hören und Tasten werden als begleitende Empfindungen zum

sphäre, die erzeugt werden soll, ist mit der Fülle der Anmu-

Sehen animiert. Wir begreifen Materialien, wie Kükelhaus

tungsmöglichkeiten diszipliniert umzugehen. Oft wird dem

sagt, ganzheitlich mit allen Sinnen, wir begreifen Raum mit al-

Eigenwert einer Fläche mehr Beachtung durch ein ruhiges

len Sinnen. Material beeinflusst Geschmack, Duft, Akustik und

Umfeld erwiesen. Faktur- und Texturvielfalt werten oft Einzel-

die Erinnerung an Früh-Gefühltes, Begriffenes und die damit

nes ab und sind optisch aufdringlich.

55

8 ARCHITEKTONISCHE ASPEKTE DES RAUMES

ASPEKTE DER WAHRNEHMUNG

das mentale Konzept einer objektiven Welt auf. Mit diesen

Mit sich ändernder Erscheinung der Umwelt ändert sich auch

Synthesestrategien werden auch erlernte Korrekturprozesse

die subjektive Empfindlichkeit. Die Physiologen unterschei-

sichtbar, so genannte Konstanzmechanismen. So nehmen wir

den zwei Modelle der Wahrnehmung, die in der Reaktion auf

in der Regel die Seherfahrung einer Farbe in der veränderten

die Umwelt zusammenwirken: ein Reiz-Antwort-Modell und

Erscheinung durch eine Sonnenbrille nicht wahr.

ein so genanntes Look-up-Modell. Christoph Schierz von der

Jeder Reiz hat eine rationale und eine emotionale Eigen-

ETH Zürich (2005) legt dar: „Beim Reiz-Antwort-System wird

schaft. Farbzusammenstellungen belegen wir mit einer ge-

ein äußerer Reiz über ein Netz ,innerer Schalter’ gesteuert

fühlsbetonten Bedeutung. Wir sprechen von aggressiven oder

oder kontrolliert und führt zu einer Antwort. Bei der Look-up-

beruhigenden, von warmen respektive kalten Farben, von mo-

Wahrnehmung liegen mentale Konzepte möglicher Umwelt-

notonen oder überreizten Ensembles. Formale, dreidimensio-

gestaltungen bereits als ,Seherfahrung’ vor“.

nale Konstrukte werden ebenso als harmonisch oder unhar-

Mentale Konzepte sind im eigenen Kulturkreis erlernte und

monisch bewertet.

im persönlichen Umfeld sowie im Laufe der Evolution und der Entwicklung nach der Geburt erworbene Erfahrungen. Die mentalen Konzepte stellen die Wahrnehmungskonstanz si-

ASPEKTE DES GESTALTUNGSPROZESSES

cher. Die subjektive Welt der mentalen Konzepte beinhaltet

Hugo Kükelhaus sagt: „Das, worauf es ankommt, ist ein Da-

nicht nur das Aussehen (als Mustererkennung), auch eine

zwischen.“ Neben dem Repertoire der farblichen Gestaltungs-

emotionale und affektive Färbung des Wahrgenommenen ist

mittel, wie es bis hierher dargelegt wurde, ist es notwendig,

damit untrennbar verbunden. Auf einer höheren Ebene findet

auch ein Grundrepertoire der architektonischen Gestaltungs-

eine gedankliche Attribuierung statt.

mittel kennen zu lernen und zu berücksichtigen. Zur Beurtei-

In diesem Sinn machen wir uns „ein Bild vom Raum“ als

lung einer räumlichen Vorgabe und deren gestalterischer Qua-

mentales Raumkonzept. Es müssen vor allem die im Kontext

lität, eventueller Probleme, gestalterischer Angebote oder

wichtigen Merkmale und Muster, sowie deren Verknüpfung

Herausforderungen muss man den „Stoff“, aus dem die Räu-

gespeichert sein. Archetypische Muster sind Linien, Kreu-

me sind, kennen. Ein Repertoire besteht immer aus mehreren

zungspunkte,Winkel, Endpunkte von Linien, Kontrast und Far-

Elementen und bestimmten Gesetzmäßigkeiten ihrer Verwen-

be. Mit erlernten Synthesestrategien bauen wir unbewusst

dung. Eine Sprache besteht im Vergleich dazu aus Buchsta-

>

Barcelona-Pavillon, Grundriss Ludwig Mies van der Rohe, räumlich organisierte Form

56

8

ARCHITEKTONISCHE ASPEKTE DES RAUMES

ben, die zu Wörtern gereiht und nach den Gesetzen der Gram-

Versteht man also unter räumlichem Gestalten den Entwurf

matik zu Sätzen gefügt werden können.

einer Wechselbeziehung zwischen dem Menschen und dem

Räumliches Gestalten ist ein Prozess, das heißt ein syste-

Raum, so ist zu unterscheiden zwischen

matischer Aufbau einer Gestalt. „Gestalt“ wird im übergeord-

dem formalen Aspekt des Raumes (dieser betrifft Farbe im

neten Sinn für positives oder negatives Volumen verwendet

Hinblick auf ihren ästhetischen Wert sowie Farb- und Materi-

(Innenraum/ Architekturform). Gestalten bedeutet für uns im-

alwahl)

mer die Umsetzung eines Programms, einer Aufgabenstellung

dem funktionalen Aspekt des Raumes (hier spricht die Far-

in eine räumlich organisierte Form sowie in eine psychisch

be zum Beispiel pädagogische, therapeutische, psychologische, sakrale und andere Gesichtspunkte an).

und physisch wahrnehmbare Form. Ziel des Gestaltungsprozesses muss es sein, die gestalteri-

Die formalen Merkmale definieren den Raum wie er ist, seine

schen Mittel, das Repertoire zur problemgerechten Lösung

architektonische Struktur. Die funktionalen Merkmale definie-

menschlicher Lebensprozesse einzusetzen. Die gesellschaftli-

ren den Raum in Bezug auf die Aufgabe, die er zu erfüllen hat,

che Relevanz, der Wert der Gestaltung, liegt in der Wechselbe-

also seine Leistung und Wirkung.

ziehung zwischen Nutzer und Raum. In dieser Interaktion löst

Wir haben es bei den Merkmalen der architektonischen

die Raumwahrnehmung und das Raumerlebnis „Verhalten“ im

Struktur mit objektiven, quantifizierbaren Faktoren zu tun.

Menschen aus.

Leistung und Wirkung eines Raumes hingegen hängen vorwiegend von subjektiven Zielvorstellungen, persönlichen Er-

WAS BEDEUTET GESTALTEN?

fahrungen und Erwartungen seiner Nutzer ab. Dieser Gestal-

Gestalten ist das Verwirklichen einer geistigen Konzeption, ei-

tungsbereich lässt sich daher schwieriger objektiv planen und

ner Idee. Wenn wir das griechische „eidos“ übersetzen, kom-

darstellen. Die Leistung eines Raumes lässt sich nach Ge-

men wir mit dem Begriff „Bild“ im Sinne von „Ur-Bild“ oder

sichtspunkten der Benutzung beschreiben, wie

„Vor-Bild“, dem Sinn des Wortes schon recht nah. Die Idee im

Organisation von Handlungsabläufen

Sinne des „Inneren Bildes“ von etwas bedarf natürlich der ge-

Zuordnen von Tätigkeiten und Weglängen

eigneten Ausdrucksmittel. Für unsere Ideen bedarf es zeichne-

Bedingungen der Beleuchtung und Belichtung, des Schalls,

rischer, malerischer und modellhafter, räumlicher Darstel-

Barcelona-Pavillon, Innenhof, psychisch-physisch wahrnehmbare Form

des Klimas und so weiter. Die Wirkung eines Raumes, der „Wahrnehmungsraum“, die

lungsmittel während des Planungsvorganges.

>

57

emotionalen Aspekte der Erscheinung, das Milieu, lassen sich

rungen, Loch, Lochreihen und Lochgruppen können in der Ar-

mit Begriffen beschreiben wie

chitektur eine flächengliedernde oder akzentuierende Aufga-

Image

be haben. Eine „punktuelle“ Belegung und Fixierung des Rau-

Identifikationsmöglichkeit

mes hat häufig mit einer „Überhöhung des Raumes“ zu tun.

Originalität

Der Altar im Schnittfeld von Lang- und Querhaus, das Taufbe-

Symbolwert

cken im Baptisterium christlicher Religionen stellen in ihrer

Atmosphären, wie repräsentativ, behaglich, rustikal,

Funktion Überhöhung, Theatralisierung und Mystifizierung

wohnlich, festlich, sakral.

her. Sie werden Herrschaftssymbol. Die Linie ist geometrisch die Verlängerung eines Punktes in

Es besteht die große Gefahr, dass der Planungsteil der archi-

einer Richtung. Lineare Elemente kennen wir als Stützen,

tektonischen Form rational am leichtesten gelingt. Der „Ge-

Pfeiler, Unterzüge, Träger, Balken, Fachwerke, Mauervorlagen

fühlswert“ des Raumes bleibt oft auf der Strecke, da man sich

(Lisenen), Kamine und dergleichen. Diese sind in aller Regel

hier als Planer und Gestalter mit subjektiver Auffassung, so-

konstruktive Bauteile. Gitter, Friese, Fugenbilder, Sockelleis-

zialem Hintergrund, psychologischer Empfindungswelt und

ten, Tür- und Fensterrahmen, Stukkaturen, Maßwerke, Kanne-

physiologischer Struktur von Nutzern zu beschäftigen hat.Wir

lüren stehen oft im Zusammenhang mit Stilmerkmalen einer

wollen hier kurz einen geeigneten Ausschnitt aus dem kom-

bestimmten Epoche und sind meist dekorativ eingesetzte Bau-

plexen Repertoire architektonischer Gestaltungsmittel be-

teile. In der zeitgenössischen Architektur werden konstruktive

leuchten:

Bauteile oftmals dekorativ ausgebildet und räumlich einge-

Eigenschaften von Elementen

setzt. Paul Klee hat in seinem „Pädagogischen Skizzenbuch“

Beziehungen von Elementen

(1925) und seiner Lehre am Bauhaus die Unterscheidung von

Beziehungen zwischen Elementen und dem wahrnehmen-

aktiver, medialer und passiver Linie eingeführt. In seinen Aus-

den Menschen.

führungen entsprechen vor allem „die aktive Linie zwischen Punkten“ und die „mediale Linie“ Situationen im Raum. Die

Als Grundkategorie menschlicher Dimensionswahrnehmung

die Linie zwischen Punkten streckenbeschreibende. Passive

kennen wir Punkt, Linie, Fläche und Körper. Punkt, Punktie-

Linien ergeben Flächeneindrücke und Oberflächentexturen.

Eigenschaften der Dimension. Linie, Fläche, Körper

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>

mediale Linie hat format- und flächenbeschreibende Funktion,

>

EIGENSCHAFTEN VON ELEMENTEN

Beziehungen von Elementen, Kunstmuseum Stuttgart, Architektur Hascher und Jehle

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ARCHITEKTONISCHE ASPEKTE DES RAUMES

Die Fläche ist geometrisch das durch sich kreuzende Linien

raumumschließenden Flächen. Innenwandflächen begrenzen

gebildete Feld. Räume werden in aller Regel durch Flächen ge-

Räume. Ihre optischen Eigenschaften Farbe, Textur und Mate-

bildet. Wir erleben sie als Wände, freie Elemente im Raum,

rial, ihre Beziehungen untereinander, Größe, Verteilung, die

Decken, Böden, Scheiben, Platten, abgehängte Flächen, Zwi-

Öffnungen und Durchbrüche bestimmen die Qualität des Rau-

schenebenen, Podeste, Paravents. Flächige Bauteile sind in ih-

mes und die Beziehungen zu anderen Räumen. Wandflächen

rer Wirkung abhängig von ihrer Lage im Gesichtsfeld. Nach

können „nahtlos“ in Boden- oder Deckenflächen übergehen

Francis D. K. Ching sind Umrisse und Randlinien die hervorste-

oder als besondere Flächen betont werden. Sie wirken selbst

chendsten Identifikationsmerkmale von Flächen. Die opti-

oder als neutraler Hintergrund für andere Raumelemente.

schen Besonderheiten einer Fläche, ihrer Farbe, ihrer Textur

Wandflächen sind undurchsichtig oder transparent, Blick-

beeinflussen ihr visuelles Gewicht und geben den Eindruck

punkt oder Lichtquelle. Zum Flächeneindruck einer Innen-

von Stabilität. In der Architektur umgrenzen Flächen dreidi-

wand gehört zum Verständnis ihrer Erscheinung auch ihre Ma-

mensionale Formen und Räume. Die Eigentümlichkeiten einer

terialstärke. Sie wird an Durchbrüchen, Fenstern und Türen

Raumform, die visuellen Qualitäten eines Raumes, werden

deutlich. Wände können einengen und ausweiten – sie ver-

durch die formalen Merkmale der Flächen definiert (Größe,

mitteln „Privatheit“ oder „Öffentlichkeit“. Zu Fußboden und

Proportion, Farbe, Material, Textur) sowie durch die topologi-

Wandflächen hat man physischen Kontakt. Deckenflächen

schen Beziehungen zueinander bestimmt. Grundsätzlich spie-

hingegen erlebt man fast nur visuell, wegen ihrer größeren

len drei Flächenarten bei der Raumbildung eine Rolle – die

Entfernung. Sie sind der Schirm eines architektonischen Rau-

Bodenfläche, die Wandfläche und die Deckenfläche. Die Bo-

mes. Deckenflächen können als Geschossdecke flach oder in

denfläche ist physisch und visuell Fundament baulicher

Korrespondenz zu einer Dachkonstruktion geformt sein. Sie

Formen. Sie sollte sichernd und haltgebend sein, da sie als

können auch in freier Form lose im Raum hängen. Der Körper

Grundlage menschlicher Tätigkeiten innerhalb eines Gebäu-

als Raumelement ist geometrisch in allen Richtungen ähnlich

des gesehen wird. Form, Farbe,Textur und Musterung bestim-

dimensioniert und hat optisch ein klar ablesbares Volumen. Elementen angelehnt sein, aber auch frei im Raum stehen. Die

und Härte regeln die Empfindungen beim Gehen. Die Wandflä-

Möblierung des Raums gehört größtenteils zum Bereich kör-

chen sind die visuell aktivsten der raumbildenden und

perhafter Elemente im Raum, aber auch Bauteile wie Treppen,

Beziehungen zwischen Elementen und dem wahrnehmenden Menschen Kunstmuseum Stuttgart, Architektur Hascher und Jehle

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Körperhafte Elemente können an linearen oder flächigen

grund für andere Raumelemente in Erscheinung tritt. Textur

>

men, ob der Boden als sichere Raumgrenze oder als Hinter-

Mediale Linien in der Architektur, La Tourette, Le Corbusier

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Aufzüge in Hallen, freie Kamine, freistehende räumliche Ein-

Relative Maße stehen im Gegensatz dazu. Maß- und Propor-

bauten gehören dazu. Zur räumlichen Beurteilung von Grö-

tionsverzerrungen liegen vor, die keine konkrete Wahrneh-

ßen, Entfernungen und Proportionen bedient sich der Mensch

mung zulassen und in Menge und Größe zum Raum, sowie

gerne der Vergleichsmaßstäbe. Pierre von Meiss verweist auf

zur Länge, Breite und Höhe in schwer oder nicht bewertba-

den Symbolwert des Menschen als Maßstab:„In unserer sub-

rem Bezug stehen.

jektiven Vorstellung von der Ordnung des Universums […] ist unser Körper das wichtigste Bezugselement. Im Vergleich zu

Unabhängig von linearer, flächiger oder körperhafter Dimensio-

ihm bestimmen wir groß und klein, geometrisch und amorph,

nierung gibt es verschiedene Erscheinungsarten von Formen.

hart und weich, eng und weit, stark und schwach usw.“

Zunächst fallen uns einfache Formen auf, die wir als kontinuier-

So wurde in der Geschichte häufig die menschliche Figur als bekanntes Proportionselement zur Bewertung von Raum

lich empfinden. Diese Formen nehmen wir unverkürzt, ganzheitlich wahr:

eingesetzt: Le Corbusier hat dieses Hilfsmittel, den von ihm

gerade Flächen, Platten, Wände, Scheiben, Stützen, Balken

entwickelten Modulor, gerne an seinen Großbauten benutzt.

gebogene oder gekrümmte Elemente wie Kuppeln, Tonnengewölbe, Wellenformen.

In diesem Zusammenhang sollten wir zwei Begriffe getrennt Im Gegensatz dazu betrachten wir diskontinuierliche Formen

betrachten: absolute und relative Maße. Absolute Maße stehen in direktem Bezug zu geeichten Maß-

wie Fachwerk- und Dachkonstruktionen, abgeknickte und ab-

einheiten wie Zentimeter, Meter, Zoll und Inch. Zu solchen

gewinkelte Wände, gotische Gewölberippen; diese sind unter-

absoluten Maßen zählen wir auch bekannte Normmaße und

brochen und werden oft nur ausschnitthaft wahrgenommen.

Maße der Ergonomie wie Tischhöhe, Sitzhöhe, Höhe der

Beide Begriffe – kontinuierlich und diskontinuierlich – charak-

Fensterbrüstung und Türmaße (häufig 76 x 200 oder

terisieren vorrangig Flächen und lineare Bauteile.

88,5 x 200 cm).

Körperhafte Bauteile wie Würfel, Kugel, Zylinder, Pyramide

An diesen „erlernten“ Maßen können wir Beurteilungen und

bezeichnen wir als regelmäßige, geometrisch leicht zu defi-

Vergleiche herstellen, wenn sie nicht perspektivisch verfrem-

nierende Formen. Dazu zählen schlichte Möbelformen und

det sind.

Einbauten. Unregelmäßige Formen sind geometrisch schwer