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German Pages 152 Year 2007
Farbe – Kommunikation im Raum
Meerwein
Rodeck
Mahnke
Farbe – Kommunikation im Raum
Birkhäuser Basel • Boston • Berlin
Wir danken den Firmen création baumann, Kvadrat, DLW und Ruckstuhl AG für die Bereitstellung von Materialien. Ganz besonders danken wir der Ruckstuhl AG auch für die Unterstützung zur Drucklegung.
Titel der deutschen Originalausgabe: Mensch – Farbe – Raum. Grundlagen der Farbgestaltung in Architektur, Innenarchitektur, Design und Planung Gründliche Neubearbeitung von Text und Bildteil erfolgte durch G. Meerwein und B. Rodeck. Dieses Buch ist auch in englischer Sprache erschienen: Colour – Communication in Architectural Space, ISBN 3-7643-7596-5. Die Durchsicht der Übersetzung ins Englische besorgte F. H. Mahnke. Cover: Nadine Rinderer, Basel. Als Grundlage für die Covergestaltung diente eine Fotografie der Agentur Panama in Stuttgart. Architektur: zipherspaceworks; Farbgestaltung: Stefan Gabel.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts.
Originalausgabe 1998 4., überarbeitete Ausgabe 2007 © 2007 Birkhäuser Verlag AG Basel • Boston • Berlin Postfach 133, CH-4010 Basel, Schweiz Ein Unternehmen von Springer Science+Business Media Gedruckt auf säurefreiem Papier, hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff, TCF Printed in Germany ISBN-10: 3-7643-7595-7 ISBN-13: 978-3-7643-7595-9 987654321 http://www.birkhauser.ch
∞
INHALT
Einleitung
9
6 Licht und Farbe
39
Lichttechnische Grundlagen – Größen und 1 Der Mensch – Zentrum der Gestaltung 2 Die Sinne als Kommunikationsinstrumente
10 13
Einheiten
40
Lampen und ihre Eigenschaften
42
Aspekte visueller Ergonomie
44
Struktur des Auges 3 Farbe – Element der Umwelt Farbe – Kommunikation im Raum
16
Augenmuskeln
17
Blendung und Glanz Leuchtdichteunterschiede und Flächenfarbe
4 Mensch und Farbe
18
Was ist Farbe?
18
Farbensehen
18
Farbwahrnehmung
19
Farberleben/Farbwirkung
19
Farberlebnisraum
20
Biologische Wirkung des Lichts 7 Material und Farbe
50
8 Architektonische Aspekte des Raumes
56
Aspekte der Wahrnehmung
56
Biologische Reaktion auf einen Farbstimulus
Aspekte des Gestaltungsprozesses
56
Kollektives Unbewusstes
Was bedeutet Gestalten?
57
Bewusste Symbolik und Assoziationen
Eigenschaften von Elementen
58
Kulturelle Eigenart
Beziehungen zwischen Elementen
61
Trends, Mode, Stile
Beziehungen zwischen Elementen und dem
Persönliche Faktoren Physiologische und neuropsychologische Aspekte
wahrnehmenden Menschen
62
22
Reizarmut – Reizüberflutung
9 Kommunikation Mensch – Farbe – Raum
63
Optische Muster
Interdisziplinäre Aspekte
Physiologische Wirkungen
Gestaltungsrelevante Bedürfnisse des
Psychologische Aspekte
Menschen
65
Aspekte der Farbwahrnehmung im Raum
68
Synästhesien Symbolik der Farben
32
Aspekte innenarchitektonischer Farbgestaltung
Grundmerkmale der Farbe
33
Bezug der Farbe zum Menschen
Farbkreis und Farbordnungssysteme
33
Physiologische Anforderungen
Wirkung von Farbkontrasten
35
Psychologische Anforderungen
Hell-Dunkel-Kontrast
Bezug der Farbe zur Gebäude- und Raumfunktion
Bunt-Unbunt-Kontrast
Bezug der Farbe zum Raum und seinen
Bunt-Kontrast
Elementen
Gegenfarben-Kontrast
Orientierung
Intensitäts-Kontrast
Umwelt- und gesundheitsverträgliche Materialien
Quantitäts-Kontrast
und Farben
Flimmer-Kontrast
Ästhetische Qualität
Physiologische Kontrastphänomene
63
28 10 Praxis der Farbgestaltung
5 Gestaltungsgrundlagen der Farbe
6
47
37
70 70
Raum als sinnesanregendes Milieu
76
Simultan-Kontrast
Methodik
77
Sukzessiv-Kontrast
Semantisches Differenzial
78
2
INHALT
11 Gestaltungsfelder
83
Anmutung und Visualisierung
Bildungsstätten
83
Farb- und Materialgestaltung wesentlicher
Kindergarten
84
Funktionsbereiche
Schulen
86
Therapeutische Einrichtungen für Langzeit-
Seminarräume/Erwachsenenbildung
90
aufenthalte
124
Personenkreise
90
Psychiatrische Kliniken
125
Kleinkinder
Personenkreise
126
Schüler/Kinder und Jugendliche
Bewohner
Erwachsene in Weiterbildung
Betreuer
Pädagogen
Anmutung und Visualisierung
Anmutung und Visualisierung
92
Farb- und Materialgestaltung wesentlicher Funktionsbereiche Sportstätten
Wellness-Einrichtungen
117
127
Farb- und Materialgestaltung wesentlicher Funktionsbereiche
128
Seniorenheime
130
Anmutung und Visualisierung
133
93 94
Anmutung und Visualisierung, Farb- und Materialgestaltung
116
Farb- und Materialgestaltung wesentlicher 95 95
Funktionsbereiche
133
Alternativkonzepte
135
Häusliche Pflege
135
Hospize
137
Anmutung und Visualisierung, Farb- und Materialgestaltung
97
Anmutung und Visualisierung, Farb- und Arbeitsstätten
97
Umweltpsychologische Aspekte
97
Materialgestaltung
137 137
Büroarbeitsplätze
101
Kinderhospize
Großraumbüros
103
Anmutung und Visualisierung, Farb- und
Einzel- und Kombibüros
103
Materialgestaltung
139 140
Anmutung und Visualisierung, Farb- und Materialgestaltung
105
Restaurants
Bildschirmarbeitsplatz
106
Anmutung und Visualisierung, Farb- und
Gewerbliche Arbeitsplätze
107
Anmutung und Visualisierung in Arbeitsräumen
107
Kompensation und Konsonanz
Materialgestaltung
142
Wohnung/Wohnhaus
145
Anmutung und Visualisierung, Farb- und Materialgestaltung
145
Schlussbemerkung
147
Farbe als Information Sicherheits- und Ordnungsfarben Maschinenfarben Zusammenfassung der wichtigsten Gesichtspunkte guter Arbeitsplatzgestaltung
113
Therapeutische Einrichtungen
115
Anhang
148
Literaturverzeichnis
148
Fotonachweis
151
Therapeutische Einrichtungen für Kurzaufenthalte
116
7
EINLEITUNG
„Farbe – Kommunikation im Raum“ ist die aktualisierte, über-
An dieser Stelle danken wir allen, die uns bei der Arbeit an die-
arbeitete Ausgabe von „Mensch – Farbe – Raum“, welche 1998
sem Buch unterstützt haben:
erstmals erschienen ist. Professor Dr. Renate Gebeßler: sie hat uns mit ihren AufsätDiese revidierte Fassung hebt verstärkt den kommunikativen
zen im Verständnis der großen Gesamtzusammenhänge sehr
Stellenwert der Farbe im Raum hervor. Dabei werden vor al-
bestärkt,
lem physiologische und psychologische Aspekte sowie die Zusammenhänge der visuellen Ergonomie ins Blickfeld gerückt. Farbmoden und Farbtrends sollen ausgeklammert werden, substanzielle Hinweise zur Farbgestaltung in Architektur und Innenarchitektur hingegen stehen im Zentrum dieser Publikation. Ein wichtiger neuer Gesichtspunkt stellt dabei die Bedeutung des Materials in der Farbgestaltung dar. Das Buch soll den Blick für differenzierte architektonische und innenarchitektonische Aufgabenstellungen schärfen; es will ein grundlegendes Wissen über Wesen und Wirkung der Farbe sowie an-
Professor Werner Spillmann für seine kritischen Anmerkungen im Bereich der Farbsysteme, Herrn Dipl. Physiker Ulrich Radzieowski für seine fundierte Beratung zum Thema Licht, Frau Véronique Hilfiker Durand für ihr aufmerksames Lektorat, Frau Muriel Comby für ihre einfühlsame Gestaltung des Layouts, Frau Petra Becker und Frau Solenn Borchers für ihre geduldige Ausarbeitung des grafischen Materials.
gewandte Farbenpsychologie vermitteln. Prägende RaumMilieus der wesentlichen Lebensbereiche des Menschen wer-
Gerhard Meerwein
Bettina Rodeck
Frank Mahnke
den analysiert. In den Kapiteln 1–10 vermittelt „Farbe – Kommunikation im Raum“ allgemein gültiges Wissen als Grundlage für jede Gestaltungsaufgabe mit Farbe; im Kapitel 11 werden Beispiele aus der Praxis beschrieben. Das Buch wendet sich vor allem an Architekten, Innenarchitekten und Farbdesigner sowie auch an Studierende und engagierte Praktiker. Kommunale Baubehörden, Entscheidungsträger, Pädagogen, Psychologen und Mediziner finden hier für ihre Arbeit ebenfalls wertvolle Anregungen.
9
1 DER MENSCH – ZENTRUM DER GESTALTUNG
Der Mensch steht im Zentrum der Gestaltung. Um Umwelt menschengerecht zu gestalten, bedarf es eines ganzheitlichen
Die leibliche Dimension umfasst alle körperlichen Prozesse
Menschenbildes. Es bedarf ebenso der Kenntnis über Entwick-
organischen Zellprozesse
lungs- und Lebensphasen wie über die Lebensbereiche des
biologisch-physiologischen Körperfunktionen und die damit
Menschen einschließlich seiner damit verbundenen Umwelt-
verbundenen chemischen und physikalischen Prozesse.
bedürfnisse. Ein ganzheitliches Menschenbild findet sich in
Diese Dimension ist aktives Zentrum für die Entfaltung physi-
den anthropologischen Grundpositionen der Humanistischen
scher, materieller Handlung. Sie bezieht sich auf die physi-
Psychologie. Danach ist der Mensch ein Leib-Seele-Geist-We-
sche, materielle Wechselwirkung mit der Umwelt.
sen, eng verbunden mit den materiellen und immateriellen Komponenten seiner Lebenswelt. Lebenswelt bedeutet die
Die seelische Dimension umfasst
Gesamtheit der menschlichen Lebensbedingungen. Sie ist
Emotionen, Gefühle und Stimmungen
synonym für Umwelt im Sinne eines ganzheitlichen Lebens-
intellektuelle Begabungen
raumes mit biologischen, physikalischen, physiologischen,
Instinkte, Triebe, Affekte und Gewohnheitsmuster
psychologischen, sozialen und ästhetischen Grundlagen.
soziale Prägungen und erworbene Verhaltensmuster.
Auch Viktor E. Frankl, international bekannter Begründer
Diese Dimension ist Erlebniszentrum für das, was wir körper-
der Existenzanalyse und Logotherapie, betrachtet den Men-
lich und seelisch erleben. Sie bezieht sich auf die seelische,
schen als dreidimensionale Einheit, bestehend aus Leib, See-
qualitative Wechselwirkung mit der Umwelt.
le und Geist. Das bedeutet, dass der Mensch immer ganzheitlich agiert und reagiert. Alle drei Dimensionen Leib, Seele und Geist sind in der Beziehung zwischen Mensch und Umwelt aktiv beteiligt.
Die geistige Dimension umfasst selbstständige und freie Willensentscheidungen sachliche und künstlerische Interessen schöpferisch-visionäre Einstellungen, gerichtet auf die menschliche Entwicklung humanes Verstehen und ethische Kompetenz.
Modulor-Konstruktion, Le Corbusier
10
>
1
DER MENSCH – ZENTRUM DER GESTALTUNG
Diese Dimension ist Zentrum für Erkenntnis, innere Weisheit,
Humane Gestaltung
Humanität und Bewusstheit. Sie bezieht sich auf die geistige,
ist sinnvoll und verantwortlich
sinnfindende und erkenntnisbetonte Wechselwirkung mit der
berücksichtigt emotionale und funktionale Aspekte.
Umwelt. Humane Gestaltung Aufgrund seiner geistigen, spezifisch humanen Dimension ist
ist ein interaktiver Prozess, der Kommunikation, Zusammen-
der Mensch seinem Wesen nach wert- und sinnorientiert. Er ist
arbeit und einen lebendigen Dialog erfordert.
reflektierendes, Stellung nehmendes und entscheidendes Sein, verantwortlicher Mitgestalter seiner Existenz und Um-
Humane Gestaltung
welt. Mit Leib, Seele, Geist und allen Sinnen kommuniziert
ist ein interdisziplinärer Prozess, der humanwissenschaftli-
der Mensch mit der Umwelt. Als Individuum und soziales We-
che, naturwissenschaftliche und gestalterische Disziplinen in-
sen befindet er sich in lebendiger Interaktion mit ihr.
tegriert.
Auf der Grundlage eines ganzheitlichen Menschenbildes klassisch-humanistischer Vorstellungen begreifen wir den
Humane Gestaltung
Menschen als Maß für den ihn umgebenden Raum, seine ar-
hat soziale Qualität
chitektonische und innenarchitektonische Gestaltung mittels
zeigt Einfühlungsvermögen
Form, Material, Licht und Farbe.
fördert Gesundheit und Wohlbefinden.
Im Hinblick auf humane Gestaltung lassen sich folgende Thesen entfalten: Humane Gestaltung bezieht sich auf den ganzen Menschen als Leib-Seele-GeistEinheit dient dem Menschen und seinen Umweltbedürfnissen.
11
Bedeutungsraum
Handlungsraum
Tastsinn
Ich-Sinn
Gedankensinn
Vitalitätssinn Behagenssinn
te
tnis Sin beton te ne
tier
erk
e
Gleichgewichtssinn
anmutungsbetonte Sinne
Hörsinn Proportionssinn
Bewegungssinn
ont
enn
ntie orie
rien
stig
ho
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Gei
blic
rte
Lei
han
Sprachsinn
Seelisch orientierte Wärmesinn
Sehsinn
Geruchssinn
Geschmackssinn Qualitätssinn
>
Anmutungsraum
12
Spektrum der Sinne
2 DIE SINNE ALS KOMMUNIKATIONSINSTRUMENTE
Unsere Sinne sind die Kommunikationsinstrumente, die uns
Vitalitätssinn/Behagenssinn:
die Beziehung zur Umwelt ermöglichen. Sie vermitteln uns In-
Der Vitalitäts- oder Behagenssinn gibt Aufschluss über unse-
formationen und wirken mit bei der Aneignung der Umwelt
re Befindlichkeit und die Qualität unseres Lebensgefühls. Er
durch Sinneseindrücke und Sinneserfahrungen: Wir können
regt sich oft erst dann, wenn im Organismus Symptome von
uns selbst und die Umwelt wahrnehmen, erleben, erkennen,
Unwohlsein wahrnehmbar sind. Ein sensibilisierter Vitalitäts-
beurteilen und gestalten. Jedes Sinnesorgan hat spezifische
sinn führt dazu, dass der Mensch unmittelbar spürt, was sein
Strukturen, welche ihm die Aufnahme spezifischer Sinnesrei-
Wohlbehagen fördert und was nicht.
ze ermöglichen. Der Mensch-Umwelt-Beziehung liegen nach der neueren Sinnesphysiologie und Sinnesphänomenologie
Bewegungssinn:
zwölf Sinne zugrunde. Diese beziehen sich auf drei Raumka-
Der Bewegungssinn lässt uns die Bewegungen des eigenen
tegorien: den Handlungsraum, den Anmutungsraum und den
Leibes empfinden; er wirkt als Kontrollorgan für unsere Bewe-
Bedeutungsraum.
gungen und Bewegungsabläufe sowie für alle Bewegungsarten, -formen und -prozesse in der Umwelt. Er aktiviert den
Zur Aktivität und Bedeutung der einzelnen Sinne:
Willen, aus einer Motivation heraus, ein Ziel zu setzen und dieses in angemessener Bewegungsdynamik zu erreichen.
Die vier leiblich orientierten Sinne – Tastsinn, Vitalitäts-
Bewegung ist Leben, Aktivität, Dynamik, Veränderung. Allen
sinn/Behagenssinn, Bewegungssinn und Gleichgewichtssinn
Bewegungsabläufen liegt ein ständiger Rhythmus von Ge-
– sind willens- und handlungsbetont.
staltung und Wandlung zugrunde, der mit dem Bewegungssinn wahrnehmbar ist.
Tastsinn: Der Tastsinn ist der elementarste Sinn: Durch ihn kommen
Gleichgewichtssinn:
wir leiblich unmittelbar in Kontakt mit der Umwelt – mit an-
Durch den Gleichgewichtssinn ist der Mensch in der Lage, auf-
deren Lebewesen und der Materie von Gegenständen. Beim
recht zu stehen und sich aufrecht zu bewegen. Der Gleichge-
Tasten erleben wir die Grenze und Trennung zwischen dem
wichtssinn ermöglicht, einen unabhängigen, eigenen Stand-
eigenen Leib und der Außenwelt. Diese Erfahrung ist grund-
punkt im Raum zu finden. Er ist grundlegend für unser
legend für das Gewahrwerden und die Gewissheit der eige-
räumliches Orientierungsvermögen. Er sucht nach Balance
nen Existenz.
und Ordnungsstruktur.
13
Die vier seelisch orientierten Sinne – Geruchssinn, Ge-
die Vielfalt sichtbarer Umweltqualitäten. Empfindungen des
schmackssinn/Qualitätssinn, Sehsinn und Wärmesinn – sind
sichtbaren Schönen, Wohltuenden, Harmonischen oder auch
einfühlungs- und anmutungsbetont.
des Hässlichen, Unbehaglichen, Disharmonischen sind Empfindungen des Behagens, die mit der visuellen Wahrnehmung
Geruchssinn:
vernetzt sind.
Der Geruchssinn vermittelt uns Informationen über die Substanzen der Umwelt und das Wesen der Materie. Er gibt Auf-
Wärmesinn:
schluss über feinste Nuancen und Qualitäten der Inhaltsstof-
Mit dem Wärmesinn nehmen wir unsere Körperwärme und
fe. Gerüche beeinflussen unmittelbar die Atmosphäre. Darauf
Temperaturen in der Außenwelt wahr. Mit Empfindungen des
reagiert der Mensch spontan mit Behagen oder Unbehagen,
Wärmesinns verbinden sich eng körperliches und seelisches
Sympathie oder Antipathie.
Erleben – Sympathie und Antipathie, Behagen und Unbehagen. Zu seinem Wohlbefinden benötigt der Mensch einen ihm
Geschmackssinn/Qualitätssinn:
entsprechenden Grad an Wärme. Dieser bezieht sich auf die
Geruchs- und Geschmackssinn sind eng verbunden. Der Ge-
Temperatur, auf die Anmutungsqualität von Räumen, sowie
schmackssinn gibt Aufschluss über die chemische Zusam-
auf soziale Beziehungen. Wärme schafft Nähe, Kälte schafft
mensetzung und Komposition der Geschmacksnuancen wie
Distanz.
auch über die Qualität der Nahrung, die wir aufnehmen. Er aktiviert unsere Wahrnehmung für Echtes und Natürliches sowie
Die vier geistig orientierten Sinne – Hörsinn, Sprachsinn, Ge-
für Unechtes und Künstliches. Im übertragenen Sinne akti-
dankensinn und Ich-Sinn – sind erkenntnisbetont.
viert er unsere Wahrnehmung für Ästhetik, Qualität und Angemessenheit.
Hörsinn/Proportionssinn: Der Hörsinn umfasst all das, was wir an Geräuschen, Tönen
Sehsinn:
und Klängen aufnehmen können. Dem Hörsinn wird vermit-
Von allen Sinnen ermöglicht uns der Sehsinn die umfassend-
telt, was dem Auge verborgen bleibt. Mitunter geben Tonfall
sten Wahrnehmungen. Er wirkt mit den anderen Sinnen unter-
und Klang der Stimme eines Menschen besser Auskunft über
stützend und ergänzend zusammen. Mit dem Sehsinn können
sein Befinden und seine seelische Verfassung als sein Aus-
wir alles Sichtbare wahrnehmen, Formen und Bewegungen vi-
sehen. Auch die inneren Qualitäten von Gegenständen und
suell nachvollziehen, Formen und Materialien visuell abtas-
Beschaffenheit von Materialien werden im Klang hörbar.
ten, Sichtbares ordnen. Der Sehsinn erschließt uns die Welt
Hans-Jürgen Scheurle zufolge kann das Tonempfinden gleich-
des Lichtes und der Farbe bis in die feinsten Nuancen sowie
bedeutend mit dem Empfinden für Proportion verstanden
14
2
DIE SINNE ALS KOMMUNIKATIONSINSTRUMENTE
werden, das auch mit dem Empfinden für Harmonie zu tun
Antipathie. Der Ich-Sinn ist das Sinnesinstrument für die zwi-
hat.
schenmenschliche Begegnung. Seine Betätigung ist von herausragender sozialer Bedeutung. Durch Tätigsein des Ich-
Sprachsinn:
Sinns im Dialog mit dem anderen lassen sich Missverstehen
Nimmt der Hörsinn das akustische und musikalische Element
und Befremden überwinden und Verstehen aufbauen.
der Sprache wahr, vermittelt uns der Sprachsinn die Wahrnehmung vom Wesen der Sprache, ihrer Ausdrucksform und Ge-
Alle Sinne sind miteinander vernetzt, sie arbeiten interaktiv,
staltung, ihrer Klarheit und Prägnanz. Jede Sprache hat ihre
ergänzen sich und unterstützen einander. Auch sind alle Sin-
eigene Architektur und Klangfarbe. Die jeweilige Klangquali-
ne mit Erkenntnisgehalt, Gefühlsgehalt und Behagensempfin-
tät lässt Mentalität und Stimmung mitschwingen und durch
dungen verbunden.
den Sprachsinn erfassen. Auch nonverbale Ausdrucksformen – Gestik und Mimik –, Elemente der Körpersprache sind dem Wahrnehmungsgebiet des Sprachsinns zuzurechnen.
Die Entfaltung und Pflege der Sinne sind grundlegend zur Sensibilisierung und Differenzierung der Wahrnehmung Entdeckung von Neuem
Gedankensinn:
Anregung des Gefühlslebens
Der Gedankensinn bezieht sich auf das Wahrnehmen der ge-
Vertiefung der Erlebnisfähigkeit
danklichen Sprachinhalte, auf die tieferliegende Bedeutung
Stärkung des Urteilsvermögens
des Gesagten, auf das Entdecken hintergründiger oder ver-
Stärkung der Entscheidungskraft
steckter gedanklicher Intentionen und Botschaften. Das
Bewusstheit im Denken, Fühlen und Handeln.
Wahrnehmen von Gedanken erfordert Einfühlsamkeit und Intuition. Gedanken lassen sich auch auf nonverbale Weise
Die Entfaltung und Pflege der Sinne sind ebenso
vernehmen – durch die Sprache des Körpers, durch Gestik und
grundlegend für
Mimik. Mit dem Gedankensinn suchen wir die innere Wahrheit
die Entwicklung der Kreativität
zu ergründen.
eine schöpferische, sinnerfüllte Lebensgestaltung die Bildung unserer Persönlichkeit
Ich-Sinn:
unsere zwischenmenschlichen Beziehungen
Mit dem Ich-Sinn erfasst der Mensch das Ich eines anderen,
die Gestaltung unserer Lebenswelt.
seine Individualität, seinen Wesenskern. Die Tätigkeit des IchSinns erfordert wache Distanz, Abstand vom eigenen Ich zu nehmen, sich zu befreien von Vorurteilen, von Sympathie und
15
3 FARBE – ELEMENT DER UMWELT
Farben sind elementare Bestandteile unserer visuellen Wahr-
lenken die Aufmerksamkeit
nehmung und Umwelterfahrung; sie sind auch Erlebnisin-
tragen zur Ordnung und Unterscheidung bei
halte unserer Umwelt. Wohin wir auch sehen, begegnen und
bezeichnen besondere Funktionen
umgeben uns Farben: Sie begleiten uns in vielfältigen Erschei-
sind geographisches, ethnisches und kulturelles Merkmal
nungsweisen, stets verbunden mit Licht und beeinflusst von
sind Mode- und Stilmerkmal
Licht in der natürlichen und vom Menschen gestalteten Um-
sind persönliches sowie gruppenspezifisches Identitätsmerk-
welt. In der Natur erscheint uns Farbe im Licht des Himmels,
mal
beim Anblick von Gewässern und Landschaften. Wir erblicken
sind Imagefaktor und Statussymbol
sie an Hölzern und Gesteinen, Pflanzen, Früchten und Blüten.
sind Marketingfaktor
Wir begegnen Farben in vielfältigen Kombinationen im Tier-
zeigen stilistische Tendenzen und Designtrends an
reich: an den Häuten, Panzern, Trachten, Gefiedern und Fellen
sind Indikator und Ausdruck des Zeitgeistes, der dem Wandel
der Tiere. Auch die Haut, Augen, Haare und Kleidung der Men-
unterworfen ist
schen haben verschiedene Farben. Die vom Menschen gestal-
beeinflussen entscheidend die Aussage, Wirkung und Akzep-
tete Umwelt ist farbig: Straßen und Geschäfte, Gebäude und
tanz von Gegenständen und Räumen.
Räume. Wir erblicken Farben in aller Vielfalt an den unterschiedlichsten Gegenständen und kulturellen Erzeugnissen.
Farbe ist weitaus mehr als eine ästhetische Aussage: Sie ist
In allen Bereichen sind Farben von wesentlicher Bedeutung.
Teil lebensspendender und lebenserhaltender Vorgänge. Sie
Sie erfüllen zahlreiche unterschiedliche Funktionen. Farben
ist Teil der Bedingungen, unter denen der Mensch lebt und er-
dienen der Information, der Kommunikation und der Gestal-
lebt: Neben anderen Sinneswahrnehmungen orientiert sich
tung. Sie
der Mensch mittels optischer Signale und lernt durch visuelle
16
vermitteln symbolische Botschaften
Botschaften. Somit ist Farbe für die Deutung der Umwelt wie
signalisieren
auch für das Zusammenwirken des Menschen mit der Umwelt
dienen der Tarnung und Abschreckung
von tragender Bedeutung. Das, was uns die Farbigkeit unse-
leisten Orientierungshilfe
rer Umwelt offenbart, das, was uns Farben mitteilen, berührt
3
FARBE – ELEMENT DER UMWELT
immer auch unsere Emotionen. Wir alle werden von Farben beeinflusst und befinden uns in einer lebendigen Beziehung zu ihnen. Farben wirken auf uns ein und sprechen unsere Gefühlswelt an, auch dann, wenn wir sie nicht bewusst wahrnehmen.
FARBE – KOMMUNIKATION IM RAUM Kommunikation erfolgt personal im Austausch von Informationen in zwischenmenschlichen Beziehungen wie auch nicht personal durch Symbolgehalte der Umwelt. Farbe ist ein wesentliches Medium visueller Kommunikation in der Mensch-Umwelt-Beziehung: Sie vermittelt dem Menschen symbolische Botschaften und ästhetisch-atmosphärische Informationen.Wesentliche Aspekte der Farbe in der Architektur beziehen sich auf die Kommunikation zwischen Mensch und Raum und auf die darin stattfindenden Interaktionen. Raum ist Rahmen für soziale Beziehungen und menschliche Aktivitäten. So liegt ein grundlegender Aspekt in der Funktion der Farbe als Kommunikationsfaktor verbunden mit ihrer interaktiven Eigenschaft. „Farbe existiert an sich, sie verbindet die Dinge miteinander und die Dinge mit dem Menschen“ (Pieter Uyttenhoven).
17
4 MENSCH UND FARBE
Um die komplexen Zusammenhänge der Beziehung zwischen
FARBENSEHEN
Mensch und Farbe verstehen zu können, werden zu Beginn des
Farbensehen ist ein Sinneserlebnis, das von folgenden Vo-
folgenden Kapitels die drei Parameter Farbensehen, Farbwahr-
raussetzungen abhängig ist:
nehmung, Farberleben/Farbwirkung detailliert betrachtet.
von der Existenz des Lichtes von der Fähigkeit des Auges, Farbreize aufzunehmen und wei-
WAS IST FARBE?
terzuleiten
Alle Farberscheinungen entstehen aus dem Zusammenwirken
vom Vermögen, die vermittelten Farbreize als visuelle Sinnes-
von sichtbarer Strahlung und Materie. Einer allgemein gülti-
empfindung wahrzunehmen und zu verarbeiten.
gen Definition zufolge ist Farbe die Bezeichnung für eine spezifische visuelle Empfindung, die durch sichtbare Strahlung,
Das Auge ist ein optisches System, das die Aufgabe hat, sicht-
den so genannten Farbreiz, ausgelöst wird. Ein Farbreiz ent-
bare Strahlung auf die Netzhaut zu richten. Auf dieser befin-
steht dann, wenn sich das Licht einer natürlichen oder künst-
den sich die einzelnen Rezeptoren, die Stäbchen und Zapfen,
lichen Lichtquelle an einem Gegenstand oder an Staubteil-
die den physikalischen Reiz entschlüsseln und in eine physio-
chen bricht. Dabei werden die auffallenden Lichtstrahlen je
logische Erregung umwandeln. Während die Stäbchen der
nach der Beschaffenheit der Materie unterschiedlich absor-
Unterscheidung von Hell und Dunkel dienen und nur die Hel-
biert oder reflektiert. Das heißt, es werden aus dem Farbspek-
ligkeitswerte der Farben registrieren, dienen die Zapfen der
trum des Lichts Teile herausgefiltert, während die Reststrah-
Unterscheidung von Farben. Sie reagieren auf die unter-
lung als Farbreiz in unser Auge gelangt. Trifft zum Beispiel das
schiedliche spektrale Zusammensetzung des Lichts. Die
Gesamtlicht auf eine blaue Fläche, so werden alle Spektralan-
Young-Helmholtz-Theorie geht davon aus, dass es bei den
teile des Lichts außer dem blauen absorbiert und lediglich das
farbempfindlichen Zapfen drei verschiedene Typen für kurz-,
Blau reflektiert. Die farbige Erscheinung von Gegenständen
mittel- und langwellige Lichtstrahlen gibt, die blauempfind-
ist aber abhängig von der Lichtart: vom Tageslicht oder von
lich, grünempfindlich und rotempfindlich sind. In der Wissen-
verschiedenen künstlichen Lichtarten. Farben verändern sich
schaft gibt es auch Verfechter der Hering’schen Theorie, die
durch unterschiedliche Lichtqualität.
von vier Rezeptortypen ausgeht, zwei antagonistischen Sys-
Hypophyse
Ganglienzelle Amakrinzelle Bipolarzelle Horizontalzelle
Netzhaut
Stäbchen Zapfen
Licht
Netzhaut
Schnitt durch die Netzhaut
18
>
Sehnerv
4
MENSCH UND FARBE
temen Gelb-Blau und Rot-Grün. Die Rezeptoren der Netzhaut
gleiten die Farbwahrnehmung. Nicht nur die augenblickliche
– Stäbchen und Zapfen – leiten die Erregung über Nervenfa-
visuelle Empfindung ruft einen bestimmten Farbeindruck her-
sern in den Sehnerv und von diesem an das Gehirn weiter, wo
vor, unsere gesamte Erfahrung, das Gedächtnis und das Den-
die Erregung schließlich in bewusstes Sehen umgewandelt
ken beteiligen sich daran.
wird. Durch einen komplexen Vorgang physiologisch-psychologischer Datenverarbeitung wird der von uns aufgenomme-
FARBERLEBEN/FARBWIRKUNG
ne Farbreiz in Farbensehen und Farbwahrnehmen umgesetzt.
Farbe wahrzunehmen bedeutet, sie zu erleben und sich ihrer bewusst zu werden, sie trägt immer auch sinnhafte Bedeutun-
FARBWAHRNEHMUNG
gen. Dabei spielen eine Vielzahl bewusster und unbewusster
Farbensehen ist ein Akt sinnlicher Wahrnehmung. Farbe neh-
Faktoren mit. Jedem objektiven Farbreiz, den wir aus der Au-
men wir hauptsächlich als ein Charakteristikum der uns um-
ßenwelt aufnehmen, entspricht eine subjektive Reaktion in
gebenden Gegenstände wahr. Neben Form, Beschaffenheit
unserer Innenwelt. Das Farberleben und die Reaktion des
der Oberfläche, Geruch und Geschmack ist Farbe eine der Ei-
Menschen auf Farbe sind ebenso vielschichtig wie der Mensch
genschaften, nach denen Objekte bestimmt, beurteilt oder be-
selbst. Farberleben, Farbwirkung und Reaktion des Menschen
wertet werden können. Der Mensch, der eine Farberscheinung
auf Farbe lassen sich daher nicht ohne weiteres verallgemei-
wahrnimmt, hat bereits eine bestimmte Anzahl Erfahrungen
nern. Zunächst ist davon auszugehen, dass wir Farbe subjek-
und Vorstellungen in seinem „genetischen Gedächtnis“ ge-
tiv erleben und damit individuell auf Farbe reagieren. Dabei ist
speichert, die seine Farbwahrnehmung beeinflussen. Die
anzumerken, dass unsere persönlichen Farberlebnisse, Reak-
Farbwahrnehmung wird beispielsweise mit Assoziationen
tionen auf Farbe und Bewertungen der Farbe auch stets einen
und früheren Erlebnissen verbunden, bei denen Farbe eine
Teil des „Kollektiven“ beinhalten, das in unserem „geneti-
Rolle spielte, und sie wirkt nicht zuletzt mit der psycho-physi-
schen Gedächtnis“ gespeichert ist. Die Wirkung der Farbe auf
schen Verfassung des Menschen zum Zeitpunkt der Aufnahme
den Menschen erklärt sich aus dem Zusammenspiel physiolo-
farbiger Reize zusammen. Auch kulturelle und gesellschaftli-
gischer und psychologischer Ereignisse, dem physikalischen
che Faktoren, wie beispielsweise Erziehung und Umwelt, be-
Prozess des Farbensehens und der Datenverarbeitung unse-
Sehfeld des linken Auges
22
Thalamus
Formatio reticularis
Hypothalamus
Hirnanhangdrüse (Hypophyse)
4
MENSCH UND FARBE
mationsmenge, zum Beispiel ein Raumerlebnis, beurteilt wer-
behauptet, Weiß, Grau und Schwarz seien in der Raumge-
den kann. Extreme Reizarmut (Monotonie und sensorischer
staltung neutral. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass auch
Mangel) kann zu einer Unterstimulation führen, während ex-
diese unbunten Farben psycho-physiologische Auswirkungen
treme Reizüberflutung zu einer Überstimulation führen kann.
haben.
Überstimulation kann Veränderungen physischer oder psychischer Art hervorrufen. Im physischen Bereich können Atem-
Optische Muster
und Pulsfrequenz beeinflusst werden, auch Blutdruck und
Um die „Erregbarkeit“ durch Muster zu erforschen, wurde
Muskelspannungen können sich erhöhen. Im psychischen Be-
eine Reihe von Versuchen durchgeführt. Dabei spielen Fak-
reich können Reaktionen unterschiedlichster Art hervorgeru-
toren wie Größe, Farbe, Kontrast und Intensität bei Mustern
fen werden. Studien haben ergeben, dass Personen, die einer
eine Rolle. Berlyne und McDonnell fanden heraus, dass vielfäl-
Unterstimulation ausgesetzt wurden, Anzeichen von Ruhelo-
tige, disharmonische und chaotische Muster einen Anstieg
sigkeit und Reizbarkeit, Konzentrationsschwierigkeiten und
des Erregungsgrades bewirken. Das heißt, dass in der Ge-
Wahrnehmungsstörungen zeigten. Solche Studien wurden
samtwahrnehmung intensiv farbige und grafisch komplexe
zum Beispiel von Rikard Küller (Universität Lund, Schweden)
Muster als Überinformation zu Überstimulation führen kön-
in unterschiedlich farbigen Räumen durchgeführt. Oft wird
nen.
kühl
> leicht
>
schwer
>
25
wahrnehmungen wie Geruch oder Gehör. Wie oft werden wir
Intensität und Helligkeit, beziehungsweise von Buntton und
emotional ergriffen beim Hören von Musik oder der Wahrneh-
Nuance: In der Regel als warm geltende Farbtöne können küh-
mung eines Duftes. Alle menschlichen Wahrnehmungen füh-
ler empfunden werden, so zum Beispiel stark verweißlichtes
ren zu Reaktionen. Farbwahrnehmung spricht die Bereiche
Rot; andererseits können normalerweise als kühl geltende
des Fühlens, Denkens und Wollens an und weckt gleichzeitig
Farbtöne als warm empfunden werden wie zum Beispiel
Erinnerungen. Der Farbpsychologe Faber Birren erklärte, dass
Ultramarin. Der Eindruck von Kühle und Wärme ist ebenso ab-
der gesamte Mensch, sein Leib, seine Seele und sein Geist, ei-
hängig von Oberflächenbeschaffenheiten wie matt, stumpf,
ne koordinierte Einheit darstellt, einen Mikrokosmos, und
glänzend oder brillant. Gewichtsempfindungen sind im We-
dass Farbe all diese Dimensionen durchdringt.
sentlichen vom Grad der Sättigung und vom Grad der Helligkeit abhängig. So können dunkle Farben in Aufhellung leicht
Synästhesien
wirken (helles Violett = Lila); helle Farben hingegen in Verdun-
Synästhesie bedeutet Verknüpfung verschiedener Sinnes-
kelung schwer (dunkles Gelb = Braun). Bei Synästhetikern
empfindungen, auch Erregung eines Sinnes, die sich anderen
kann der Farbreiz über sensorische Kanäle zu deutlich ande-
Sinnen mitteilt (griechisch: synaisthanomai = zugleich wahr-
ren Sinneswahrnehmungen führen, wie Farben hören, fühlen
nehmen). Farben sprechen nicht nur den Sehsinn an, sondern
oder schmecken.
erregen auf Grund ganzheitlicher Verbindungen und Mitempfindungen auch unsere anderen Sinne, wie den Tastsinn, Ge-
Farben werden in der Regel in der oberen Farbkreishälfte als
ruchssinn, Geschmackssinn, Temperatursinn, Hörsinn. So
leichter als in der unteren beurteilt. Bei gleicher Helligkeit und
werden bestimmte Farbnuancen und Farbkombinationen als
Intensität, wie zum Beispiel bei Rot und Grün, wirken warme
hart oder weich, frisch oder muffig, süß oder sauer, warm oder
Farben schwerer. Farben lösen beim Tastsinn sehr unter-
kalt empfunden.Wird ein Rot als schwer und süßlich beschrie-
schiedliche Empfindungen aus. Synästhetische Verknüpfun-
ben, so hat es neben dem Sehsinn drei weitere Sinne mit an-
gen zwischen Farbe und Oberflächenempfindung sind abhän-
gesprochen, den Tastsinn (Gewicht) sowie den Geruchs- und
gig von der Bunttonqualität und ihrer Nuance sowie ihrer
Geschmackssinn. Synästhetische Wirkungen der Farbe lassen
Verschiebung im Bereich der Temperaturempfindung. So hat
sich auf vielfältige Weise zunutze machen. In der Raumgestal-
beispielsweise Tasten auch etwas mit Empfindungen von Tem-
tung können sie die Wahrnehmung von Raumdimensionen
peratur zu tun. Geruch und Geschmack sind Empfindungsbe-
beeinflussen und besondere Belastungen am Arbeitsplatz
reiche, welche die Raumwahrnehmung beeinflussen können.
kompensieren, zum Beispiel am Industrie-Arbeitsplatz. Aus-
Dabei sind die Geruchswahrnehmungen in Verbindung mit
sagekraft und Wirkung einer Farbe sind immer abhängig von
Temperaturwahrnehmungen häufiger vorkommende Kombi-
deren jeweiligem Farbton, verbunden mit dessen Sättigung,
nationen.
26
4
MENSCH UND FARBE
weich / hart
>
frisch / muffig
>
süß / sauer
>
leise / laut
>
27
SYMBOLIK DER FARBEN
emotionalen Symbolebene. Letztere ist auch als psychologi-
Ein Symbol ist ein Sinnbild, das für etwas steht. Es repräsen-
sche Ebene zu bezeichnen. Diese drei Ebenen greifen ineinan-
tiert etwas und deutet etwas an. Es ist Medium, das der Ver-
der, sie haben jedoch ihre eigene Wesentlichkeit und Aussage.
mittlung von Botschaften dient. Vieles kann Symbol sein – ein
Lassen sich gewisse Verallgemeinerungen im Sinne einer „Ob-
Wort, eine Geste, eine Farbe.
jektivierbarkeit“ von Farben treffen und in symbolische Botschaften übertragen, so ist dabei auch immer das individuelle
Wie ist die Symbolik der Farben zu verstehen?
Farberlebnis eines Menschen in Betracht zu ziehen. Wenn-
Es ist davon auszugehen, dass sich die Symbolik der Farben
gleich viele Bedeutungen identisch sind, so gibt es auch kul-
aus dem ursprünglichen Farberleben des Menschen entfaltet
turelle Unterschiede. Grün ist für Wüstenvölker die Farbe des
hat. Für die Entwicklung der Farbsymbolik, ihre Vielseitigkeit
Lebens, sie gilt im Islam als heilige Farbe, als Farbe des Para-
und Mehrdeutigkeit, ist die gesamte Erfahrungsbreite, die der
dieses, als Zeichen aller materiellen und spirituellen Güter. Bei
Mensch im Verlauf seiner Evolution gemacht hat, in Betracht
Urwald- und Dschungelvölkern wird Grün ebenso als lebens-
zu ziehen. Die „Urerfahrungen“ des Menschen mit den Farben
spendend erfahren, gilt zugleich aber auch als „verschlingen-
in der Natur sind als gemeinsame, kollektive Grunderfahrun-
de Übermacht“. Der Symbolgehalt einer bestimmten Farbe
gen, als Urbilder und Archetypen, in unserem „genetischen
kann von Personen, die aus unterschiedlichen Kulturkreisen
Gedächtnis“ gespeichert. Sie wirken in unserem persönlichen
stammen, daher sehr verschieden gedeutet werden.
Erleben der Farbe mit. Die Symbolik der Farben entstand aus
Die symbolische Bedeutung einer Farbe wie auch ihre psy-
der Verallgemeinerung emotionaler Farbwirkungen und der
chische Wirkung sind abhängig von der Nuance eines Bunt-
Überlieferung von Farbbedeutungen. Symbolische und psy-
tons. Bereits relativ geringe Abweichungen können den Sym-
chologische Wirkungen der Farben stehen daher in engem
bolwert und die Wirkung einer Farbe entscheidend ändern.
Zusammenhang. Heimendahl differenziert zwischen der kulti-
Ebenso definiert der Kontext, in dem wir eine Farbe wahrneh-
schen Symbolik, der Brauchtumssymbolik und der ästhetisch-
men, ihre Wirkung und Bedeutungszuschreibung. Eine we-
Bezogene Farbe Universität Cambridge, Mass., MIT State Center: Bibliothek Architektur Frank O. Gehry
34
Farbsystem in Zylinderform (Munsell, RDS, ACC)
>
Farbsystem in Doppelkegelform (Ostwald, NCS, Müller, Ridgeway)
5
GESTALTUNGSGRUNDLAGEN DER FARBE
ße Farbenhersteller bedienen sich eines Farbsystems. Sie ha-
WIRKUNG VON FARBKONTRASTEN
ben häufig ihre Systeme selbst entwickelt oder benutzen fir-
Die Kenntnis der Farbkontraste trägt entscheidend dazu bei,
menneutrale (NCS, RDS, Munsell, Color-Harmony). Aus diesen
Farbwirkungen vorauszusehen und einer Gestaltungsaufgabe
Systemen werden jeweils Farbkollektionen in Farbfächern für
entsprechend anzuwenden. Bei Farbkombinationen sind
die Praxis zusammengestellt. Sie stellen eine Auswahl dar
meist mehrere Kontraste wirksam. Ein Farbkontrast liegt
nach Mode oder Trendkriterien und werden von Zeit zu Zeit
dann vor, wenn zwischen zwei oder mehreren zu vergleichen-
umgestellt. In der Systematisierung der Kennziffern wird
den Farben deutliche Unterschiede feststellbar sind. Kontrast-
meist erkennbar, dass auch weitere Farbtöne möglich sind.
wirkungen bestehen zwischen objektiven Farbeigenschaften,
Das ist für den Gebrauch dieser Hilfsmittel notwendig. Neben
aber auch zwischen subjektiven Farbwirkungen.
diesen Farbkollektionen sollte man auch noch auf die verbreitet verwendete RAL-Karte verweisen. Sie entstand als Sammlung von Einzelfarben aus dem Bedarf von Großabnehmern (Militär, Bahn, Post, Feuerwehr). Sie ist nicht auf der Basis eines systematischen Ordnungsbezuges entwickelt. Dies leistet erst das RAL-Design-System. Farbkollektionen, Farbsammlungen, Farbsysteme können eine erste Entscheidungshilfe für eine Farbauswahl sein. In letzter Konsequenz sollte man sich als Gestalter die individuelle Entwicklung eines Farbtons im Atelier oder mit dem Ma-
Man unterscheidet folgende Kontraste: Hell-Dunkel-Kontrast Bunt-Unbunt-Kontrast Bunt-Kontrast Gegenfarben-Kontrast Intensitäts-Kontrast Quantitäts-Kontrast Flimmer-Kontrast und physiologische Kontrastphänomene wie:
ler vor Ort offen halten, um der industriell publizierten, seriel-
Simultan-Kontrast
len Qualität die Qualität des Originals entgegenzusetzen.
Sukzessiv-Kontrast
W
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Grauleiter
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S
>
Farbtongleiches Dreieck nach Ostwald
35
Hell-Dunkel-Kontrast
der künstlichen Zeichenwelt zum Beispiel bei Piktogrammen
Der Hell-Dunkel-Kontrast zeigt sich in der Verschiedenheit der
eine wichtige Rolle als Signal. Der Bunt-Unbunt-Kontrast ist
Farben bezogen auf deren Helligkeit. Er zeigt sich am ausge-
ein häufig angewandtes Prinzip in der Raumgestaltung. Be-
prägtesten in der Kombination der unbunten Farben Schwarz,
sonders Weiß- und Graunuancen werden dabei als neutralisie-
Weiß, Grau. Hell-Dunkel-Kontraste lassen sich aus Kombina-
rende Elemente in Verbindung mit Bunttönen verwendet.
tionen von bunten Farben entwickeln, aber auch aus Farben eines gleichen Bunttons, jedoch mit unterschiedlichen Hellig-
Bunt-Kontrast
keitswerten. Diesen Kontrast bezeichnen wir als Nuancen-
Der Bunt-Kontrast entsteht aus der Kombination bunter Far-
Kontrast. Helligkeits-Kontraste sind zur räumlichen Differen-
ben. Er ist am deutlichsten erkennbar, wenn drei oder mehre-
zierung sehr gut geeignet. Dabei ist zu berücksichtigen, dass
re rein bunte, hochgesättigte Farben zusammentreffen. Je un-
sowohl sehr starke, als auch sehr schwache Helligkeitsunter-
ähnlicher die Bunttöne sind, desto ausgeprägter und stärker
schiede im direkten Blickfeld bei langandauernder Einwirkung
wirkt er. Eine größtmögliche Unähnlichkeit und damit stark
das Auge anstrengen und ermüden können (laut-leise). Mittle-
ausgeprägte Kontrastwirkung ergibt sich aus Kombinationen,
re Helligkeitsunterschiede wirken angenehm und sind physio-
die im Farbkreis weit auseinander liegen, wie Gelb, Rot und
logisch empfohlen.
Blau. Bunt-Kontraste aus reinen Farben wirken sehr auffällig, lebhaft und kraftvoll. Sie lenken die Aufmerksamkeit auf sich.
Bunt-Unbunt-Kontrast
In den Bereichen der Raumgestaltung, vor allem in Langzeit-
Treffen bunte und unbunte Farben aufeinander, so entsteht ein
Aufenthaltsräumen eignen sich Bunt-Kontraste nur in kleinen
Bunt-Unbunt-Kontrast. Bunte, besonders reine und hochge-
Mengenverhältnissen, zum Beispiel als Akzente. Eine Reiz-
sättigte Farben erzeugen im Zusammenspiel mit unbunten
überflutung durch zu laute Kontrastierung wirkt sich nachtei-
Farben intensive Eindrücke und erregen unwillkürlich Auf-
lig auf den Organismus aus.
merksamkeit. Dabei ist der Grad der Auffälligkeit bei Bunt-Unbunt-Kontrasten abhängig von der Intensität des Bunttons
Gegenfarben-Kontrast
und vom Helligkeits-Kontrast. In einer Farbkombination
Der Gegenfarben-Kontrast zeigt sich in der Beziehung zweier
schwächt Weiß die Leuchtkraft der Farben ab, wohingegen
Farben, die von größtmöglicher Verschiedenheit sind. Jede
Schwarz die Leuchtkraft der Farben steigert. Der Gegensatz
Farbe hat nur eine Gegenfarbe. Diese Beziehung der Gegen-
von Bunttönen hoher Intensität und unbunten Farben spielt in
farben lässt sich am deutlichsten bei den reinen und hochge-
>
Bunt-Kontrast >
Bunt-Unbunt-Kontrast >
Gegenfarben-Kontrast >
Hell-Dunkel-Kontrast
36
5
GESTALTUNGSGRUNDLAGEN DER FARBE
sättigten Farben des Farbkreises erkennen. Sie stehen sich
wirken. Verändert man in einer Farbkombination die Mengen-
diametral gegenüber und ergeben bei der Ausmischung mitei-
verhältnisse, so entstehen im Vergleich untereinander sehr
nander einen neutralen Grauton. Jedes Gegenfarbenpaar hat
verschiedene Farbwirkungen. Der Quantitäts-Kontrast spielt
Besonderheiten. Gelb – Violett zum Beispiel enthält nicht nur
daher auch für die Raumgestaltung eine bedeutende Rolle.
den Gegenfarben-Kontrast, sondern auch den stärksten Hell-
Die Farbproportionen im Raum tragen entscheidend zur
Dunkel-Kontrast, Orange – Blau enthält außerdem den stärks-
Raumanmutung und damit ebenso zur Raumwirkung bei.
ten Kalt-Warm-Kontrast. Der Gegenfarben-Kontrast in abgeschwächten Nuancen eignet sich für eine ausgewogene
Flimmer-Kontrast
Raumgestaltung, er schließt monotone Raumwirkungen und
Werden intensive Farben gleicher Helligkeit beziehungsweise
Farberlebnisse aus.
Dunkelheit angewandt, so entsteht oft ein so genannter Flimmer-Kontrast. Sehen wir lange darauf, breitet sich eine verwir-
Intensitäts-Kontrast
rende Überreizung aus. Der Flimmer-Kontrast lässt sich durch
Als Intensitäts-Kontrast bezeichnet man den Gegensatz un-
Verdunkeln oder Aufhellen einer Farbe ausschalten. Beim
terschiedlicher Farben in verschiedener Sättigung. Er erreicht
Flimmer-Kontrast wird deutlich, dass sinnvolle Kontrastierun-
seine stärkste Wirkung, wenn zwischen großflächig ausge-
gen zwischen Figur und Grund nicht berücksichtigt wurden.
dehnten, trüben Farbtönen eine reine Farbe in kleinerer Men-
Der Flimmer-Kontrast muss im Bereich räumlicher Gestaltung
ge als Akzent auftritt. Diese einzelne Farbe wird zu einem
im Sinne einer Reizüberflutung vermieden werden.
wichtigen Element im Zusammenspiel der Farben und erregt besondere Aufmerksamkeit. Im räumlichen Kontext bietet der Intensitäts-Kontrast ein gutes Instrumentarium für Farbdomi-
PHYSIOLOGISCHE KONTRASTPHÄNOMENE
nante, Farbsubdominante und Farbakzent. Eine besondere Form des Intensitäts-Kontrastes ist der bereits erwähnte Nu-
Simultan-Kontrast
ancen-Kontrast.
Der Simultan-Kontrast zeigt die gleichzeitig-wechselseitige und dauernde Beeinflussung von Farben durch ihr farbiges
Quantitäts-Kontrast
Umfeld. Gleiche Farben erscheinen auf unterschiedlich farbi-
Der Quantitäts-Kontrast bezieht sich auf die Mengenverhält-
gen Grundflächen und in unterschiedlichen Nachbarschaften
nisse oder auch Proportionen der Farben und ihr Zusammen-
jeweils verschieden. Ihre Veränderung resultiert aus Reflexi-
Intensitäts-Kontrast
>
Flimmer-Kontrast
>
Quantitäts-Kontrast
>
Simultan-Kontrast
>
37
on. Die wahrnehmbaren Veränderungen sind nicht wirklich
sieht man die physiologische Gegenfarbe, in diesem Falle ein
vorhanden, sondern sie entstehen als Farbempfindung beim
lichthaftes Grün. Aus dieser natürlichen Veranlagung des Men-
Betrachter. Sie können sowohl den Buntton als auch die Hel-
schen ist zu erkennen, dass alle Farbwahrnehmung relativ ist.
ligkeit und die Sättigung betreffen.
Jede Farbe erscheint subjektiv im Kontext ihrer Umgebungsfarben. In unten stehender Abbildung können Sie selbst tes-
Sukzessiv-Kontrast (Sukzessiv-Effekt)
ten, welches Nachbild Sie auf einen Farbreiz wahrnehmen. Be-
Der Sukzessiv-Kontrast ist die physiologische Voraussetzung
trachten Sie isoliert einen der zentralen Farbtöne, zum
für den Simultan-Kontrast. Prägt sich ein farbiger Reiz länge-
Beispiel Gelb. Decken Sie die anderen Farben ab. Fokussieren
re Zeit ein, so entsteht ein so genanntes farbiges Nachbild in
Sie die Farbfläche und schauen Sie mit gleichem Fokus nach
den Gegenfarben (physiologische Gegenfarben). Dieses Phä-
geraumer Zeit auf die schwarze oder weiße Fläche nebenan.
nomen lässt sich wie folgt demonstrieren: Fixiert man zum
Sie werden in der Regel eine Farberscheinung wahrnehmen,
Beispiel das Zentrum einer roten Fläche so lange, bis das Au-
die zudem abhängig von der Farbe beziehungsweise Hellig-
ge ermüdet ist und schaut daraufhin auf eine weiße Fläche, so
keit der Projektionsfläche erscheint.
>
Farbiges Nachbild auf Schwarz
38
Sukzessiv-Kontrast
Farbreiz
Farbiges Nachbild auf Weiß
6 LICHT UND FARBE
Licht und Farbe sind untrennbare Partner im Wahrnehmungs-
Farbempfindungsqualitäten. Die plastischen Eigenschaften
vorgang. Sie werden zusammen mit der Formwahrnehmung
des Raumes, die Farbtonqualität und der Nuancenklang hän-
zum Gesamtbild.Wie die Farbe und ihre Wirkung auf den Men-
gen ebenfalls davon ab. Im Zuge bewusster ökologischer Pla-
schen, so ist auch das Licht mit vielen Wissenschaften und
nung gewinnt das Tageslicht heute mehr und mehr an Bedeu-
Fachgebieten verknüpft und geht „Wirkungsverbindungen“
tung für die Belichtung von Arbeitsplätzen und Räumen mit
ein. Es greift ein in das Gebiet der Psychologie und Physiolo-
besonderen Dimensionen. Am Arbeitsplatz erhält die biologi-
gie, der Biologie und visuellen Ergonomie, der Medizin und
sche Versorgung des Organismus durch das volle Spektrum
Chemie, der Elektrotechnik und Physik; es formuliert Architek-
des Lichts immer mehr Beachtung. Bei weiten, hohen oder
tur aus und verknüpft sich synästhetisch mit Empfindungen
tiefen Räumen können Umlenk- und Linsensysteme längere
des Schalls und direkt oder indirekt mit jenen des Klimas.
Nutzungszeiten des Tageslichts ermöglichen und den Nut-
Licht kommt zunächst natürlich als Sonnenlicht, aber auch in
zungsausgleich mit künstlichem Licht verringern. Beleuch-
Form vielfältiger künstlicher Leuchtmittel vor. Das natürliche
tungsanlagen mit künstlichem Licht sind nur dann gut, wenn
Tageslicht bildet das gesamte sichtbare Spektrum elektro-
bei der Planung und Ausführung alle Wechselwirkungen be-
magnetischer Strahlung von ungefähr 380 bis 780 Nanometer
rücksichtigt werden. Sehr häufig beschränkt man sich bei der
gleichmäßig ab. Die Qualität der Raumbelichtung hängt vom
Planung jedoch auf rein technische und wirtschaftliche Zu-
Verhältnis der Größe der Lichtöffnung zum Raum, deren Lage
sammenhänge; oft sind solche Anlagen physiologisch und ge-
im Raum, der Lage zur Himmelsrichtung, der Verteilung des
stalterisch dementsprechend fehlerhaft und unbefriedigend.
Lichts im Raum und von den atmosphärischen Bedingungen
Gründe dafür liegen darin, dass
ab. Das Licht stellt die zentrale Qualität der Mensch-Umwelt-
fehlerhaftes Licht nur selten bewusst wahrgenommen wird,
Interaktion dar.Während des Tagesverlaufs ändern sich mit der
Beschwerden sich meistens erst nach längerer Zeit und nur
Lichteinfallsrichtung die Lichtqualität und damit auch die
sehr langsam einstellen,
> V’λ Nacht
Tag Vλ
1,0 0,8 0,6 0,4 0,2 0,0 400 Spektrale Hellempfindlichkeit
UV A/B/VC
500
600
Spektrale Hellempfindlichkeit
700
nm Infrarot
>
Spektrum aus dem Goethehaus in Weimar
39
Klagen oft allgemeiner Art sind und nicht auf das Licht bezo-
LICHTTECHNISCHE GRUNDLAGEN –
gen werden,
GRÖSSEN UND EINHEITEN
Energiesparmaßnahmen bei der Beleuchtung oft Qualitäts-
Zur Beurteilung von künstlichem Licht und bei der Planung
minderungen in den Farb-Wiedergabe-Eigenschaften verursa-
von Beleuchtungsanlagen begegnen wir im Wesentlichen vier
chen.
Begriffen: Lichtstrom (gemessen in Lumen, lm)
In Zukunft wird es immer wichtiger, Licht, Farbe und Material
Lichtstärke (gemessen in Candela, cd)
ausgewogen zu planen. Vor allem in Fällen, in denen
Beleuchtungsstärke (gemessen in Lux, lx) Leuchtdichte (gemessen in Candela pro Meter2, cd/ m2).
die geistige Beanspruchung des arbeitenden Menschen steigt; die Toleranzgrenze gegenüber Störeinflüssen sinkt;
Der Lichtstrom ist die abgegebene physikalische Strahlungs-
die Oberflächenreflexe (Spiegelungen, glänzende Materialien
leistung. Sie wird mit der Helligkeitsempfindlichkeitsverteilung
an Bildschirmen) Störungen in der Wahrnehmungsgenauig-
vλ bewertet. Der Lichtstrom ist ein Maß für die im sichtbaren
keit verursachen;
Strahlungsbereich abgegebene Lichtmenge (sichtbares Licht). Die Lichtstärke ist der abgestrahlte Lichtstrom in eine be-
das Kunstlicht immer noch vorwiegend das Tageslicht ersetzen muss;
stimmte Richtung des Raumes. Eine Lichtstärkeverteilung ist
außerdem in Räumen, die kein oder fast kein Tageslicht haben,
die dreidimensional räumliche Verteilung dieser Lichtstärke. Die Beleuchtungsstärke ist das Maß für den Lichtstrom, der
bei zu kleinen Tageslichtöffnungen und anderem mehr.
auf die Fläche eines Körpers oder Raumes trifft. Die BeleuchDer Architekt, Innenarchitekt und Farbdesigner muss mit dem
tungsstärke ist heute immer noch die Grundlage für die meis-
Lichtplaner nicht nur die technischen und wirtschaftlichen
ten Lichtplanungen, ist jedoch kein Maß für den Helligkeits-
Seiten der Planung lösen, sondern vor allem auch die Zusam-
eindruck.
menhänge von Licht-Mensch-Raum und Licht-Material-Farbe.
Die Leuchtdichte ist die einzige lichttechnische Größe, die ein Maß für den visuellen Helligkeitseindruck einer Fläche darstellt. Die Wirkung und der visuelle Eindruck einer Beleuchtungsanlage können nur durch Beurteilung aller Leuchtdich-
>
40
oben: Lichtstrom unten: Lichtstärke
6
LICHT UND FARBE
ten im Blickfeld erfolgen. Die Leuchtdichte ist das Maß der Re-
In unten stehender Liste sind einige typische Richtwerte von
flexion des auftretenden Lichts, also des reflektierten Lichts
Lichtausbeuten üblicher Lampen aufgeführt.
ins menschliche Auge. Man geht hierbei immer von einem diffusen Reflexionsverhalten aus.
Bedauerlicherweise gerät hinter diesen ingenieurtechnischen
Von diesen vier lichttechnischen Werten ist in der Planungs-
und kaufmännischen Überlegungen die Lichtqualität aus dem
praxis des beratenden Ingenieurs heute immer noch der
Blickfeld. Für die Farb-, Material- und Raumqualität sind die
Lux-Wert, also die Beleuchtungsstärke, der rechnerisch be-
Farb-Wiedergabe-Eigenschaften einer Lichtart wie auch das
deutendste Faktor. In der EN 12464-1/ DIN 5035 sind für ver-
Maß der Leuchtdichte (cd/m2) entscheidend. Nur diese Größe
schiedene Raumnutzungen verbindliche Mittelwerte vorge-
beschreibt den Helligkeitseindruck, sie definiert den Kontrast.
schrieben. In Bezug zur Arbeitsaufgabe sind zwei Bereiche zu
Die Leuchtdichte hat in den Beleuchtungsberechnungen lei-
beachten: die Zone der direkten Sehaufgabe und deren unmit-
der immer noch nicht die Beachtung, die ihr visuell zukommt,
telbare Umgebung. Für diese Bereiche sind Werte der Beleuch-
weil sie schwierig zu messen und zu berechnen ist. Räumlich
tungsstärke (Em) vorgegeben, die immer erreicht werden
entscheidend ist die Spannweite der verschiedenen Leucht-
müssen. Typische Werte von Beleuchtungsstärken liegen im
dichten im Raum zur so genannten Adaptionsleuchtdichte,
Arbeitsbereich zwischen 20 und 5000 Lux. Für Sehaufgaben
womit jene Empfindlichkeit gemeint ist, an die sich das Auge
im Büro (Schreiben, Lesen, Datenverarbeitung) ist eine Be-
als Mittelwert im Gesichtsfeld angepasst hat.
leuchtungsstärke von 500 Lux (0,75 Meter über Boden) festgelegt. Die Lichtausbeute ist ein Maß für die Wirtschaftlichkeit einer Lichtquelle. Die Lichtausbeute gibt an, wie viel Leistung notwendig ist, um eine bestimmte Menge Lichtstrom (sichtbares Licht) zu erzeugen. Sie wird in Lumen pro Watt (lm/W) angegeben. Hohe Lichtausbeuten der Lampen und hohe Wirkungsgrade der Leuchten garantieren kostengünstige Beleuchtungsanlagen meistens auf Kosten der Gestaltung und der visuellen Qualität.
Allgebrauchsglühlampen Halogenlampen Leuchtstofflampen
oben: Beleuchtungsstärke unten: Leuchtdichte
>
10-25 lm/W bis 105 lm/W
Kompaktleuchtstofflampen
50-75 lm/W
Halogen-Metalldampflampen
60-90 lm/W
Natriumdampf-Hochdrucklampen
>
10-15 lm/W
50-130 lm/W
Quecksilberdampf-Hochdrucklampen
60-70 lm/W
Leuchtdioden
15-30 lm/W
Diffuse Reflexion nach Materialbeschaffenheit
41
LAMPEN UND IHRE EIGENSCHAFTEN
Viellinienspektrum der Halogenide ergänzt und aufgefüllt
Die Antwort auf die Frage, was Licht ist, lässt sich technisch
(Halogen-Metalldampflampen).
wie folgt formulieren: „Was wir als künstliches Licht wahrneh-
Licht kann auch Folge von Lumineszenz sein, wenn das ultra-
men, ist das Ergebnis eines physikalischen Prozesses. Ob
violette Licht der Quecksilber-Niederdruckentladung Leucht-
Licht nach der Quantentheorie als Teilchen oder nach der Wel-
stoffe zur Emission von Licht anregt.
lentheorie als elektromagnetische Strahlung betrachtet wird – in jedem Fall geht es von Elektronen aus, die innerhalb einer
Nach diesem Prinzip arbeiten die Leuchtstofflampen. Hier
Lichtquelle angeregt werden.“ (H. J. Hentschel) Im Wesent-
können Lichtfarben von glühlampenähnlichem Warmweiß bis
lichen ist dies auf drei Arten erreichbar:
zu tageslichtähnlichem Kaltweiß hergestellt werden. Glühlampen finden heute immer noch breite Verwen-
Elektronengas in Festkörpern strahlt bei hohen Temperaturen
dung im privaten Wohnbereich. Diese Temperaturstrahler
ein kontinuierliches Spektrum aus. Das beste Beispiel hierfür
sind nicht sehr wirtschaftlich. Daher lösen immer häufiger
ist das Sonnenlicht. Der gleiche Prozess findet in der Glüh-
Kompaktleuchtstofflampen die Glühlampe ab. Allerdings
lampe statt.
ist der Farbwiedergabeindex beider Lampen extrem unter-
Hüllenelektronen in Gasen und Metalldämpfen senden bei
schiedlich.
elektrischer Entladung eine für das Element charakteristi-
nutzen
die
elektrische
sche, meist linienspektrale Strahlung aus. Fügt man diesen
Energie schon besser aus. Sie werden zur Akzentuierung, für
Gasentladungen Halogenide seltener Erden bei, so wird das
repräsentative Beleuchtungen im kommerziellen Bereich und
Linienspektrum zum Beispiel des Quecksilbers durch das
auch zunehmend im privaten Wohnbereich eingesetzt. Mit so
>
42
Halogen-Niedervolt-Glühlampen
oben: Tageslicht unten: Glühlampenlicht
>
oben: Lichtfarbe 11-860 LUMILUX-Tageslicht unten: HQI/D Halogen-Metalldampflampe
6
LICHT UND FARBE
genannten Kaltlichtreflektoren kann die Temperaturstrahlung
penarten mit mäßigen oder eingeschränkten Farbwiederga-
um etwa 66 Prozent reduziert werden. Das erhöht nicht nur die
beeigenschaften wie Quecksilberdampf- und Natriumdampf-
Lebenszeit dieser Lampen (2000 Brennstunden), sondern verän-
Hochdrucklampen werden vor allem bei Außenbeleuchtungen
dert auch die Farbtemperatur. Leuchtstofflampen werden heute
und bei Industrie- und Gewerbebauten eingesetzt. Mit „Licht-
in verschiedenen Leistungen und Durchmessern angeboten und
farbe“ ist die Farbe des „Aussehens“, der Ausstrahlung einer
sind in verschiedenen Weißnuancen erhältlich. Die Lichtfarbe
Lampe gemeint. Bei der Farbplanung sollte man anhand der
wird auch als Farbtemperatur bezeichnet. Sie ist kein Maß für
Spektraldiagramme der Lampenhersteller die Farbtempera-
die Qualität der Farbwiedergabe. Der Einsatz einer bestimmten
tur und den Farbwiedergabeindex prüfen. Die Farb- und Mate-
Lichtfarbe ist abhängig vom persönlichen Geschmack, kulturel-
rialbemusterung für einen Raumentwurf sollte daher unter
len Einflüssen und einem individuellen Farbempfinden und
der entsprechend gewählten Lichtart überprüft und getestet
kann als gestalterisches Element verwendet werden.
werden. Auf dem Markt gibt es drei große Bereiche weißer
Halogen-Metalldampflampen
sind
Quecksilberdampf-
Lichtarten:
Hochdrucklampen mit verbesserter spektraler Zusammen-
Tageslichtweiß (tw, 5400 – 6500 Kelvin)
setzung durch Halogene. Es sind Lichtfarben von Tageslicht-
Neutralweiß (nw, um 4000 Kelvin)
weiß bis Warmweiß realisierbar. Die Lichtausbeute dieser
Warmweiß (ww, 2700 – 3000 Kelvin)
Lampen ist sehr hoch und die Farbwiedergabeeigenschaften sind recht gut. Die Lampen finden Verwendung im Messe- und
Die Farbwiedergabe ist ein Maß, verschiedene Farben zu
Ladenbau, in Verkaufsräumen, Industrie, Ausstellungs- und
erkennen und zu unterscheiden. Sie wird durch den Farb-
Sporthallen (Scheinwerfer und Flutlichtanlagen). Andere Lam-
wiedergabeindex (Ra) beschrieben. Die Anforderungen an die
>
oben: SOX Natriumdampf-Hochdrucklampe unten: Lichtfarbe 31–380 LUMILUX +/ Warmton
43
Sehaufgabe definieren einen entsprechenden Farbwiederga-
ASPEKTE VISUELLER ERGONOMIE
beindex (Mindestanforderungen sind in Normen festgelegt).
Etwa 90% der Sinneseindrücke werden über das Auge aufge-
Die Lampe sollte eine korrekte Farbwahrnehmung (wie beim
nommen. Sehen und Beleuchtung dienen dazu, Informationen
Tageslicht) ermöglichen. Der Farbwiedergabeindex wird mit
zu vermitteln. Die Licht- und Sehbedingungen haben einen
einer Testpalette von acht ungesättigten Tönen, vier gesättig-
entscheidenden Einfluss auf Konzentrationsfähigkeit, Leis-
ten, einem besonderen Blattgrün und einem Hautton geprüft.
tungsfähigkeit, Reaktionsvermögen und allgemeines Wohlbe-
Vergleichslichter sind einmal das Glühlampenlicht und das
finden. Die optimale Funktionsfähigkeit des Auges steht in di-
Licht des blauen Nordhimmels.
rektem Verhältnis zu Licht- und Raumbedingungen. Beide
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass gute Beleuch-
müssen sich den physiologischen Gesetzmäßigkeiten des Au-
tung drei Merkmalsbereiche berücksichtigen muss:
ges anpassen.
Sehleistung (Beleuchtungsniveau, Blendungsbegrenzung); Sehkomfort und Farbwiedergabequalität (harmonische Hel-
Farbergonomie/visuelle Ergonomie
ligkeitsverteilung);
sucht Ausgleich zwischen extremen Wahrnehmungs-
Visuelles Ambiente (Schattigkeit, Lichtfarbe, Lichtrichtung).
zuständen; überwindet Monotonie und Reizüberflutung durch subtile
Aus den Sehaufgaben und den Stimmungserwartungen leiten
Stimulation;
sich die Anforderungen an die Qualität der Beleuchtung ab.
schont Augen und Organismus;
R1
altrosa
R5
türkisblau
R2
senfgelb
R6
himmelblau
R3
gelbgrün
R7
asterviolett
R4
hellgrün
R8
fliederviolett
Testpalette des Farbwiedergabeindexes
Zusätzliche gesättigte Testfarben R9
rot
R12
blau
R10
gelb
R13
hautfarben
R11
grün
R14
blattgrün
45
100
sern der Sehnerven, dann durch die Sehnervkreuzung zu den höheren Sehbahnen bis hinauf zur Sehrinde des Hinterhaupthirns transportiert. Erst dann fängt der Mensch an zu sehen.
90
Augenmuskeln Das Auge hat innere und äußere Muskeln. Die äußeren Muskeln sind für die Augenbewegung verantwortlich. Die inneren Muskeln kontrollieren die Pupillengröße und die Krümmung
80
der Augenlinse (Veränderung der Linsendicke). Durch Veränderung der Linsendicke stellt sich das Auge auf unterschiedliche Sehentfernungen ein, um Gegenstände in verschiedenen Entfernungen auf der Netzhaut scharf abzubilden. Diese
70
Fähigkeit wird als Akkommodation bezeichnet und beteiligt die Ciliarmuskeln. Während dieses Vorganges ändert sich die Stellung der Augenachsen zueinander. Beide Mechanismen erfordern Muskelarbeit. Bei häufiger Akkommodationsänderung besteht die Gefahr, dass die Augenmuskulatur überbe-
60
ansprucht wird. Aber auch eine Arbeit, die eine konstante Entfernung und fixierte Blickrichtung beansprucht, führt zu einer Ermüdung, wie das bei jeder statischen Muskelbelastung der Fall ist. Durch die kleinen Muskeln in der Iris wird die Pupil-
50
lengröße eingestellt, um sich auf sehr unterschiedliche Leuchtdichten einstellen zu können. Diese Eigenschaft wird als Adaption bezeichnet. Dem gesunden Auge bleibt diese Fähigkeit lange erhalten, nimmt aber im hohen Alter deutlich 40
ab. Blendung und Glanz Blendung ist die häufigste Ursache für beleuchtungsbedingte Sehbeschwerden. Alles Licht, das von einer Lichtquelle direkt
30
oder über spiegelnde bzw. glänzende Flächen indirekt ins Auge fällt, bewirkt Blendung. Die Blendlichtquelle erzeugt dann im Glaskörper des Auges Streulicht, das sich wie ein Schleier auf die Netzhaut legt. Reflexblendung wird oft durch Spiege20
10
0 Helligkeitsreflexion in % – Reihe zum Vergleich von Farben > und Materialien
46
6
LICHT UND FARBE
lungen oder Glanz polierter und hochglänzender Flächen oder
BIOLOGISCHE WIRKUNG DES LICHTS
Körper verursacht. Blendempfindlichkeit nimmt mit dem Alter
Ein Großteil unseres Lebens – Wohnen, Lernen, Arbeiten, Re-
stark zu, weil sich der Glaskörper immer mehr trübt und des-
generieren – findet in Gebäuden statt: in künstlich gestalteten
halb mehr Streulicht entsteht. Direktblendung durch zu hohe
Räumen und unter künstlichem Licht. Diese Art der Beleuch-
Leuchtdichten oder falsch positionierte Leuchten beeinträch-
tung ist im Gegensatz zum natürlichen Tageslicht konstant
tigt das Wohlbefinden (psychologische Blendung) und setzt
und verändert sich nicht mit den Tageszeiten und dem Wech-
die Sehleistung herab (physiologische Blendung). Sie muss
sel der Jahreszeiten. Zudem ist die Zusammensetzung des
unbedingt vermieden oder begrenzt werden. Reflexblendun-
künstlichen Lichts nicht identisch mit der des natürlichen
gen sind meist Störungen durch Tageslichtöffnungen oder
Lichts. Obwohl es Lampen mit leistungsfähigen Ausstrahlun-
Leuchten. Sie beeinträchtigen vor allem die Kontraste im Seh-
gen gibt, die reine Sehaufgaben gewährleisten, weisen diese
feld. Häufig lässt sich durch bessere Leuchten und Leuchten-
doch beträchtliche Qualitätslücken in der Farbwiedergabe des
anordnung Reflexblendung vermeiden. Tageslichtöffnungen
gesamten Spektrums auf.
sollten helligkeitsregulierbar sein (zum Beispiel durch die Anbringung von Jalousien).
Tageslicht ist das ausgewogenste weiße Licht, weil Sonnenlicht gleichmäßig jeden Farbtonbereich des Spektrums reflektiert. Dieses Licht hat allerdings nie eine gleich bleibende
Leuchtdichteunterschiede und Flächenfarbe
Eigenfarbe. Es kommt darauf an, wie es in der Erdatmosphäre
Extreme Kontraste zwischen Hell und Dunkel im Raum sind
reflektiert und gebrochen wird. Auf diese Art und Weise ändert
zu vermeiden. Bei Leuchtdichteunterschieden im Gesichtsfeld
sich die Lichtfarbe während des Tages, sie ändert sich auch
ändert sich beim Blickwechsel der Adaptionszustand des Au-
nach geographischer Lage und im Verlauf der Jahreszeiten.
ges. Während dieser Anpassung ist die Sehleistung reduziert.
Während der letzten Jahrzehnte wurde zunehmend deut-
Bei zu hohen Leuchtdichteunterschieden oder Kontrasten im
lich, dass Sonnenlicht eine tiefgreifende Wirkung auf den
Umfeld wird der Muskel der Iris stärker beansprucht, was zu
menschlichen Organismus hat. Rikard Küller formuliert in
Augenermüdung führt. Studien ergaben, dass angemessene
seinem Dokument „Non-visual Effects of Light and Colour“:
Leuchtdichteunterschiede physiologische Ermüdung verhin-
„Grund dafür ist erstens, dass Sonnenstrahlung für die Ent-
dern und (Seh-)Leistungen erhöhen. Ebenso sind auch zu
wicklung des Lebens an sich notwendig ist, dass es eigentlich
schwache Kontraste zu vermeiden, weil diese die dreidimen-
ohne Licht kein Leben gibt. Der zweite Grund ist der, dass die
sionale Wahrnehmungsqualität herabsetzen. Für den Sehkom-
Entwicklung höheren Lebens, vor allem des Menschen, bis
fort in Innenräumen ist also auf eine harmonische Helligkeits-
heute unter dem konstanten Einfluss von Sonnenstrahlung
verteilung zu achten. Sie hängt mit einer guten Lichtrichtung,
geschah, deren Einwirkung auf lebendes Gewebe, von der ein-
Lichtführung und daraus entstehenden Schattigkeit im Raum
zelnen Zelle der Haut bis hin zum angepassten lichtempfind-
zusammen. Nur helle Räume mit ausschließlich diffusem
lichen Auge. Somit sind die Menge, die Qualität, die Verteilung
Licht ohne Schattenbildung wirken monoton. Lichtrichtung,
und die Variation des Lichtes zwischen Tag und Nacht, zwi-
Schattigkeit und Lichtfarbe bestimmen das räumliche Am-
schen Winter und Sommer fest verbunden mit der Entwick-
biente.
lung des Menschen.“
47
Sichtbares Licht sowie das angrenzende Ultraviolett und
Strahlung. Einer davon ist die Synthese von Calciverol oder Vi-
Infrarot sind für die Gesundheit des Menschen erforderlich.
tamin D2, die den Stoffwechsel von Phosphor und Kalzium
Sie wirken auf den menschlichen Organismus durch Strah-
fördert. Untersuchungen deuten auch darauf hin, dass ul-
lung auf die Haut und durch Lichteintritt in das Auge. Die
traviolette Strahlung allgemeine physiologische Wirkungen
Wahrnehmung über das Auge beschränkt sich nicht nur auf
verursacht, wie zum Beispiel einen reduzierten Pulsschlag,
die Funktion des Sehens. Das Licht wird über zwei Nervenbah-
abfallenden Blutdruck, Änderungen in der Hauttemperatur,
nen zum Gehirn geführt, den optischen Anteil der Sehbahn,
Beschleunigen des Stoffwechsels, kürzere Reaktionszeiten
der das Sehen ermöglicht, und den energetischen Anteil der
und Widerstandsfähigkeit gegenüber Infektionen. Die Wärme-
Sehbahn, der die Zirbeldrüse (Epiphyse) und Hirnanhangdrü-
strahlung des Infrarots auf der Haut verursacht Gefäßerweite-
se (Hypophyse) stimuliert. Diese Drüsen regulieren die Pro-
rungen und beeinflusst die Körpertemperatur. Dies wiederum
duktion und Freigabe von Hormonen und somit die Körper-
beeinflusst die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit.
chemie.
Viele Wissenschaftler stellen daher die Frage, ob künstli-
Über diese Funktionswege wirkt das Licht auch auf die cir-
ches Licht, als ein leistungsfähiger optischer Ersatz, auch ein
cardiane Periodik, den biologischen Rhythmus, der sich in ei-
Ersatz für natürliches Licht im physiologischen Sinne sein
nem 24-Stunden-Zyklus wiederholt. Das circardiane System
kann. Diese Frage ist berechtigt, und es sprechen zwei Grün-
ist ein Netzwerk von Körperzellen, Gewebestrukturen und
de dafür.
Flüssigkeiten. Es wird durch das Tageslicht synchronisiert und
Viele der standardisierten Leuchtstofflampen unterschei-
steuert zeitgerecht den 24-Stunden-Zyklus von Tag und Nacht.
den sich erheblich in ihrer spektralen Zusammensetzung vom
Diese „innere Uhr“, die viele komplizierte psychologische und
natürlichen Licht, und nur sehr wenige Lampen beinhalten ein
biochemische Reaktionen auslöst, wird vom Hormon Melato-
ausgewogenes Maß ultravioletter Strahlung.
nin geregelt. Licht drosselt die Produktion von Melatonin, und
Untersuchungen belegen, dass es biologische Auswirkun-
Dunkelheit aktiviert sie. Der gesamte Organismus wird somit
gen hat, wenn der menschliche Organismus ständig dem
müde oder wach, aktiviert oder gedämpft durch das Licht.Ver-
standardisierten Kunstlicht ausgesetzt ist. Wenn Sonnenlicht
schiedene Prozesse, die in der Haut vor sich gehen, sind ab-
als „normal“ bezeichnet wird, so bedeutet das künstliche
hängig von den fotochemischen Wirkungen der ultravioletten
Licht eine Einschränkung.
Optische und energetische Sehbahn nach Hollwich
Optische Sehbahn
Großhirn
Lateraler Kniehöcker Zwischenhirn
Auge
Sehrinde
Kleinhirn Energetische Sehbahn Hypophyse
>
48
Verb. zum Rückenmark
6
LICHT UND FARBE
Hollwich und seine Mitarbeiter fanden heraus, dass Licht
ne ultraviolette Strahlung besitzt. Mehrere Hersteller ver-
hoher Beleuchtungsstärke, dessen spektrale Zusammenset-
markten seitdem „Vollspektrum-Lampen“. Bei manchen fehlt
zung von natürlichem Licht abweicht, bei Versuchspersonen
jedoch der ausgewogene UV-Zusatz. Auch bezüglich visueller
stressgleiche Mengen von ATCH und dem Stresshormon Corti-
Aspekte sind Lampen mit einem hohen Farbwiedergabeindex
sol produzierte. Hollwich leitete unter anderem davon ab, dass
(über 85) zu empfehlen. Hughes und Neer wie auch viele an-
hyperaktives Verhalten von Kindern in der Schule, die fast den
dere Lichtwissenschaftler erklären, dass diese Art von Lam-
ganzen Tag künstlicher Beleuchtung ausgesetzt sind, davon
pen zu einer besseren visuellen Wahrnehmung beitragen. Es
beeinflusst sein könnte. Seine Vermutungen wurden seitdem
stellt sich somit die Frage, ob ein ausgewogener ultravioletter
durch viele andere Studien bestätigt. Mayron und seine Kolle-
Strahlungsanteil angesichts der positiven gesundheitlichen
gen demonstrierten schon 1974, wie Vollspektrumlampen hy-
Wirkung nicht eine Notwendigkeit ist. Besonders bei langen
peraktives Schülerverhalten verringern. Neuere Untersuchun-
Einwirkungszeiten wie bei bettlägerigen Patienten oder an In-
gen, wie zum Beispiel diejenige von G. Grangaard (1993),
nenräume gebundenen Personen (Pflegeheim, Ganztagesun-
erbrachten gleiche Resultate. Einen Hinweis auf Langzeitwir-
terricht) und Menschen mit unzureichender, einseitiger Ernäh-
kung ergaben die Versuche an Matrosen und Offizieren, die auf
rung wurde dieser UV-Mangel festgestellt. Positive Wirkungen
Polaris-U-Booten der USA dienten und während sechs Mona-
von UV-Gaben lassen sich bereits durch Strahlungsmengen
ten kein natürliches Sonnenlicht erblickten. Bei ihnen traten
von 1/10 bis 1/2 einer Tagesmenge erreichen (8 Std./ Tag), wel-
Symptome wie Schlafstörungen, Fettsucht, Schwächung des
che die geringste Wahrnehmung von Hautröte verursachen
Immunsystems, Depressionen, Herz- und Kreislaufschwächun-
würde (Thorington 1973). Somit ist dies nicht vergleichbar mit
gen, Muskel- und Gelenkerkrankungen und anderes mehr auf.
starker UV-Strahlung der Sonne und deren möglichen ge-
Von der Firma Durotest in New Jersey, USA, wurde eine
sundheitsschädigenden Wirkungen, wie vorzeitiges Altern der
Leuchtstoffröhre mit dem Namen Vita-lite entwickelt, die in
Haut, Hautrötung, Hautkrebs, Grauer Star et cetera. Für Säug-
Europa unter der Bezeichnung True-Light bekannt ist. Die
linge wäre zurzeit noch von Beleuchtungen mit UV-Zusatz ab-
Leuchtstoffröhre wird als Vollspektrumlampe bezeichnet, da
zuraten, da weder exakt erforscht ist, wie viel UV-Strahlung
sie mit einem Farbwiedergabeindex von über 90 dem Spek-
ein Neugeborenes gefahrlos über die Augenlinse absorbieren
tralbereich des Sonnenlichts entspricht und eine ausgewoge-
kann, noch welche Menge für die Haut ungefährlich ist.
Zumtobel, Lemgo Architektur Bolles und Wilson
Zumtobel, Raummodulation durch Lichtregie
>
>
49
7 MATERIAL UND FARBE
Neben dem Licht und der architektonischen Form sind Mate-
tion. Sie beeinflussen sich gegenseitig, steigern sich oder
rial und Farbe die entscheidenden visuellen Parameter der
werten sich ab. Alle Elemente einer Wahrnehmung wirken auf-
Raumwahrnehmung und des Raumerlebnisses. Während in
einander ein: Sie werden als eins gesehen. Im besten Falle ist
asiatischen Kulturen seit Jahrhunderten ein hochentwickeltes
ihr Charakter etwas Neues und Anderes als lediglich die Sum-
Materialgefühl in Verbindung mit einem sensiblen Konstrukti-
me von Teilen.Von daher hat ein Material und eine Farbe für ei-
onsverständnis zu beobachten ist, lässt sich in Europa seit
nen Menschen immer erst zusammen eine Aussage. Zur
Beginn des 19. Jahrhunderts eine kontroverse Diskussion um
sprachlichen Genauigkeit ist es empfehlenswert, sich der Ter-
die Einschätzung des Wertes von Material und Farbe in Archi-
minologie von Lászlo Moholy-Nagy zu bedienen. In seinem
tektur und Innenarchitektur verfolgen. Architekten und Desig-
1929 am Bauhaus erschienenen Buch „Von Material zu Archi-
ner wie Jakob Ignatz Hittorff in Frankreich, John Ruskin in
tektur“ differenziert er zwischen Struktur, Textur und Faktur.
England und Gottfried Semper in Deutschland wiesen nach,
Er führt aus:
dass die „weiße“ griechische Klassik ursprünglich stark farbig gefasst war. Dieser „Polychromiestreit“ mit dem Archäologen
Struktur ist die unveränderbare Aufbauart des Materialgefüges,
Joachim Winckelmann führte in der Folge zu den verschie-
zum Beispiel die kristallinische Struktur der Metalle,
densten Strömungen im 19. und 20. Jahrhundert. John Ruskin
die Zellstruktur des Holzes oder die Faserstruktur des
meinte: „Die Materialien können die einzigen Farben in der Ar-
Papiers.
chitektur sein“. Semper sprach von „Material-Farb-Beklei-
Textur
ist die organische Abschlussfläche jeder Struktur, aber
dung“ als wichtigstem Merkmal, dem „Urmotiv“ der Raumge-
auch die Oberfläche von Verarbeitungen. In diese Grup-
staltung. Um 1900 knüpfen hier der Jugendstil und die Neue
pe fällt das Schnittbild und die Fladerung eines Holzes,
Sachlichkeit um den Deutschen Werkbund an. Die abstrakte
die Granulattextur eines Granits, die Bänderung eines
Malerei des 20. Jahrhunderts veränderte zudem das Form-
Marmors, die Gewebetextur eines Stoffes, eines Ge-
und Farbempfinden in der Architektur. Der holländische Neo-
flechtes oder Gespinstes, die Fasertextur einer Spanplatte.
Plastizismus (De Stijl, Piet Mondrian) und die Theorien des Bauhauses fanden im Haus Schröder von Gerrit Rietveld in Ut-
Faktur
ist der wahrnehmbare Niederschlag von Materialbear-
recht ihren klarsten Niederschlag. Zeitgleich entwickelte sich
beitung. Hier gibt es bei den unterschiedlichsten Mate-
aber auch in Russland eine radikale Avantgarde um Künstler
rialien oft abgestufte Arbeitsschritte mit jeweils unter-
und Architekten wie K. Melnikow, El Lissitzki, W. Tatlin und
schiedlichen Fakturen, zum Beispiel:
K. Malewitsch. Der malerischen Auffassung von Raum wie bei De Stijl und Bauhaus stand hier eine skulpturale Auffassung
Stein
Holz
Metall
der Rohes Barcelona-Pavillon und seinem Materialstil deutlich
brechen
sägen
gießen
wird. Wir finden sie auch im „New Bauhaus“ von Chicago un-
spitzen
schruppen
ziehen
ter Walter Gropius und Mies van der Rohe wieder. Beiden Po-
stocken
hobeln
drücken
sitionen begegnen wir heute noch und es ist Ziel dieses Bu-
flammen
sandeln
schmieden
ches, zwischen beiden zu vermitteln. Material und Farbe
scharrieren
bürsten
hämmern
haben dienende Funktion. Sie müssen den Ansprüchen der Er-
grob schleifen
grob oder fein schleifen
biegen
gonomie, der Optik, der Ästhetik und des Gebrauchs genü-
spachteln
Poren füllen
schleifen
gen. Materialien als Farbträger und farbige Anstrichflächen
fein schleifen
mattieren
polieren
sind häufig Elemente ein und derselben Wahrnehmungssitua-
polieren
polieren
von Architektur gegenüber, wie sie beispielsweise in Mies van
50
7
2MATERIAL WEIT HINTEN, UND FARBE HINTER DEN WORTBERGEN
51
2
WEIT HINTEN, HINTER DEN WORTBERGEN
53
54
7
MATERIAL UND FARBE
Ferner können Materialien in ihrer Eigenfarbe verändert
ausgelösten Assoziationen. Zu der Bilderwelt der Materialien
werden. Die Renaissance kannte das Natursteinfärben. Diese
kommt die der Farben hinzu und unterstreicht, schwächt ab
Technik ist des großen, farbigen Marktangebotes wegen heu-
oder stellt eine neue Position daneben – dominant, gleichwer-
te ungebräuchlich. Im Kunststeinbereich werden häufig Binde-
tig, unterordnend oder akzentuierend.
mittel und Zuschlagstoffe gefärbt. Hölzer werden gebeizt, la-
Farben sind in ihrer Wirkung auch abhängig von der Verar-
siert oder unterschiedlich deckend lackiert. Bei Keramik und
beitungstechnik und den Materialuntergründen, auf denen sie
Steinzeugmaterial finden wir Färbungen und Glasuren unter-
aufgetragen werden. Die vielfältigen Aspekte der Beschich-
schiedlicher Oberflächenbeschaffenheit: glatt bis strukturiert
tungstechniken werden hier behandelt. Zu technologischen
und matt bis hochglänzend. Metalle können galvanisch behan-
Fragen gibt es eine Fülle von Fachliteratur.
delt und veredelt, wie zum Beispiel verchromt, vernickelt, ver-
Farben – das sind Anstriche auf Wänden, an Decken und Bo-
messingt oder eloxiert, aber auch emailliert oder mit Expoxyd-
denflächen sowie an Objekten, auf unterschiedlichsten Mate-
harz beschichtet werden. Jede dieser Oberflächen hat eine
rialien wie Holz, Metall, Putz, Mörtel, Mauerwerk, Beton,
ganz andere Anmutungsqualität. Von der Aufgabe und der Ver-
Kunststoff, Glas, Gewebe, Papier.
wendung in der Raumgestaltung hängt es ab, ob ein Material
Saugfähigkeit und Relief der Oberfläche (Textur und Faktur)
sich selbst repräsentiert oder als Akzent in einer Komposition
sind für die Wahrnehmung einer Farbe von Bedeutung. Ähn-
steht, als Dominante in einem Ensemble wirkt oder als Mit-
lich wie bei den Materialien ist der Flächeneindruck in Verbin-
glied in einem „Chor“ klingt, wo es lediglich eine Stimme dar-
dung mit dem Farbton selbst und seiner Position im Farben-
stellt. Materialien können in Textur und Farbe natürlich-cha-
klang der Wert, der Image-Eindruck. Bis vor wenigen Jahren
rakteristisch oder bearbeitet und grundlegend verfremdet
galt lediglich der „makellose“ flächige, opake Anstrich als ar-
werden. Mit seinem jeweils eigenen Charakter und seiner Ei-
chitekturgemäß. Mit steigendem ökologischem Bewusstsein
genfarbe, aber auch mit seiner Textur steht jedes Material für
rücken auch wieder traditionelle Materialien und Verarbei-
ein anderes Image. Dieses Eigen-Image eines Materials, der
tungstechniken in den Vordergrund. In Verbindung mit natür-
„Erscheinungswert“, die „Ästhetik über dem Gebrauchswert“,
lichen Pigmenten und Bindemitteln werden Lasuranstriche
kann durch die jeweilige Bearbeitung verändert werden. Die
„hoffähig“. Alte Wachsspachteltechniken (Enkaustik) und
Ausstrahlung auf den Einzelnen, die atmosphärische Anmu-
Lackspachtelflächen mit interessanten Farbmischungsmög-
tung, Wärme oder Kälte, Behaglichkeit, Wohlhabenheit, Herr-
lichkeiten verschieden farbiger Schichten führen zu rhyth-
schaftlichkeit hängt von der Sozialisation des Einzelnen ab.
misch texturierten schwingenden Oberflächen.
Entsprechend wird das Material zum „Bedeutungsträger“. Das Material wird aber nicht nur einfacher einer Imageaussage gerecht als ein Farbton, sondern es spricht unvermittel-
Die Palette, zwischen Farbflächen und Naturmaterialien, zwischen Farbauftrag und Materialoberfläche Spannungen im Raum aufzubauen, ist breit.
ter synästhetische Empfindungen an. Schmecken, Riechen,
Im Interesse der jeweiligen Raumfunktion und der Atmo-
Hören und Tasten werden als begleitende Empfindungen zum
sphäre, die erzeugt werden soll, ist mit der Fülle der Anmu-
Sehen animiert. Wir begreifen Materialien, wie Kükelhaus
tungsmöglichkeiten diszipliniert umzugehen. Oft wird dem
sagt, ganzheitlich mit allen Sinnen, wir begreifen Raum mit al-
Eigenwert einer Fläche mehr Beachtung durch ein ruhiges
len Sinnen. Material beeinflusst Geschmack, Duft, Akustik und
Umfeld erwiesen. Faktur- und Texturvielfalt werten oft Einzel-
die Erinnerung an Früh-Gefühltes, Begriffenes und die damit
nes ab und sind optisch aufdringlich.
55
8 ARCHITEKTONISCHE ASPEKTE DES RAUMES
ASPEKTE DER WAHRNEHMUNG
das mentale Konzept einer objektiven Welt auf. Mit diesen
Mit sich ändernder Erscheinung der Umwelt ändert sich auch
Synthesestrategien werden auch erlernte Korrekturprozesse
die subjektive Empfindlichkeit. Die Physiologen unterschei-
sichtbar, so genannte Konstanzmechanismen. So nehmen wir
den zwei Modelle der Wahrnehmung, die in der Reaktion auf
in der Regel die Seherfahrung einer Farbe in der veränderten
die Umwelt zusammenwirken: ein Reiz-Antwort-Modell und
Erscheinung durch eine Sonnenbrille nicht wahr.
ein so genanntes Look-up-Modell. Christoph Schierz von der
Jeder Reiz hat eine rationale und eine emotionale Eigen-
ETH Zürich (2005) legt dar: „Beim Reiz-Antwort-System wird
schaft. Farbzusammenstellungen belegen wir mit einer ge-
ein äußerer Reiz über ein Netz ,innerer Schalter’ gesteuert
fühlsbetonten Bedeutung. Wir sprechen von aggressiven oder
oder kontrolliert und führt zu einer Antwort. Bei der Look-up-
beruhigenden, von warmen respektive kalten Farben, von mo-
Wahrnehmung liegen mentale Konzepte möglicher Umwelt-
notonen oder überreizten Ensembles. Formale, dreidimensio-
gestaltungen bereits als ,Seherfahrung’ vor“.
nale Konstrukte werden ebenso als harmonisch oder unhar-
Mentale Konzepte sind im eigenen Kulturkreis erlernte und
monisch bewertet.
im persönlichen Umfeld sowie im Laufe der Evolution und der Entwicklung nach der Geburt erworbene Erfahrungen. Die mentalen Konzepte stellen die Wahrnehmungskonstanz si-
ASPEKTE DES GESTALTUNGSPROZESSES
cher. Die subjektive Welt der mentalen Konzepte beinhaltet
Hugo Kükelhaus sagt: „Das, worauf es ankommt, ist ein Da-
nicht nur das Aussehen (als Mustererkennung), auch eine
zwischen.“ Neben dem Repertoire der farblichen Gestaltungs-
emotionale und affektive Färbung des Wahrgenommenen ist
mittel, wie es bis hierher dargelegt wurde, ist es notwendig,
damit untrennbar verbunden. Auf einer höheren Ebene findet
auch ein Grundrepertoire der architektonischen Gestaltungs-
eine gedankliche Attribuierung statt.
mittel kennen zu lernen und zu berücksichtigen. Zur Beurtei-
In diesem Sinn machen wir uns „ein Bild vom Raum“ als
lung einer räumlichen Vorgabe und deren gestalterischer Qua-
mentales Raumkonzept. Es müssen vor allem die im Kontext
lität, eventueller Probleme, gestalterischer Angebote oder
wichtigen Merkmale und Muster, sowie deren Verknüpfung
Herausforderungen muss man den „Stoff“, aus dem die Räu-
gespeichert sein. Archetypische Muster sind Linien, Kreu-
me sind, kennen. Ein Repertoire besteht immer aus mehreren
zungspunkte,Winkel, Endpunkte von Linien, Kontrast und Far-
Elementen und bestimmten Gesetzmäßigkeiten ihrer Verwen-
be. Mit erlernten Synthesestrategien bauen wir unbewusst
dung. Eine Sprache besteht im Vergleich dazu aus Buchsta-
>
Barcelona-Pavillon, Grundriss Ludwig Mies van der Rohe, räumlich organisierte Form
56
8
ARCHITEKTONISCHE ASPEKTE DES RAUMES
ben, die zu Wörtern gereiht und nach den Gesetzen der Gram-
Versteht man also unter räumlichem Gestalten den Entwurf
matik zu Sätzen gefügt werden können.
einer Wechselbeziehung zwischen dem Menschen und dem
Räumliches Gestalten ist ein Prozess, das heißt ein syste-
Raum, so ist zu unterscheiden zwischen
matischer Aufbau einer Gestalt. „Gestalt“ wird im übergeord-
dem formalen Aspekt des Raumes (dieser betrifft Farbe im
neten Sinn für positives oder negatives Volumen verwendet
Hinblick auf ihren ästhetischen Wert sowie Farb- und Materi-
(Innenraum/ Architekturform). Gestalten bedeutet für uns im-
alwahl)
mer die Umsetzung eines Programms, einer Aufgabenstellung
dem funktionalen Aspekt des Raumes (hier spricht die Far-
in eine räumlich organisierte Form sowie in eine psychisch
be zum Beispiel pädagogische, therapeutische, psychologische, sakrale und andere Gesichtspunkte an).
und physisch wahrnehmbare Form. Ziel des Gestaltungsprozesses muss es sein, die gestalteri-
Die formalen Merkmale definieren den Raum wie er ist, seine
schen Mittel, das Repertoire zur problemgerechten Lösung
architektonische Struktur. Die funktionalen Merkmale definie-
menschlicher Lebensprozesse einzusetzen. Die gesellschaftli-
ren den Raum in Bezug auf die Aufgabe, die er zu erfüllen hat,
che Relevanz, der Wert der Gestaltung, liegt in der Wechselbe-
also seine Leistung und Wirkung.
ziehung zwischen Nutzer und Raum. In dieser Interaktion löst
Wir haben es bei den Merkmalen der architektonischen
die Raumwahrnehmung und das Raumerlebnis „Verhalten“ im
Struktur mit objektiven, quantifizierbaren Faktoren zu tun.
Menschen aus.
Leistung und Wirkung eines Raumes hingegen hängen vorwiegend von subjektiven Zielvorstellungen, persönlichen Er-
WAS BEDEUTET GESTALTEN?
fahrungen und Erwartungen seiner Nutzer ab. Dieser Gestal-
Gestalten ist das Verwirklichen einer geistigen Konzeption, ei-
tungsbereich lässt sich daher schwieriger objektiv planen und
ner Idee. Wenn wir das griechische „eidos“ übersetzen, kom-
darstellen. Die Leistung eines Raumes lässt sich nach Ge-
men wir mit dem Begriff „Bild“ im Sinne von „Ur-Bild“ oder
sichtspunkten der Benutzung beschreiben, wie
„Vor-Bild“, dem Sinn des Wortes schon recht nah. Die Idee im
Organisation von Handlungsabläufen
Sinne des „Inneren Bildes“ von etwas bedarf natürlich der ge-
Zuordnen von Tätigkeiten und Weglängen
eigneten Ausdrucksmittel. Für unsere Ideen bedarf es zeichne-
Bedingungen der Beleuchtung und Belichtung, des Schalls,
rischer, malerischer und modellhafter, räumlicher Darstel-
Barcelona-Pavillon, Innenhof, psychisch-physisch wahrnehmbare Form
des Klimas und so weiter. Die Wirkung eines Raumes, der „Wahrnehmungsraum“, die
lungsmittel während des Planungsvorganges.
>
57
emotionalen Aspekte der Erscheinung, das Milieu, lassen sich
rungen, Loch, Lochreihen und Lochgruppen können in der Ar-
mit Begriffen beschreiben wie
chitektur eine flächengliedernde oder akzentuierende Aufga-
Image
be haben. Eine „punktuelle“ Belegung und Fixierung des Rau-
Identifikationsmöglichkeit
mes hat häufig mit einer „Überhöhung des Raumes“ zu tun.
Originalität
Der Altar im Schnittfeld von Lang- und Querhaus, das Taufbe-
Symbolwert
cken im Baptisterium christlicher Religionen stellen in ihrer
Atmosphären, wie repräsentativ, behaglich, rustikal,
Funktion Überhöhung, Theatralisierung und Mystifizierung
wohnlich, festlich, sakral.
her. Sie werden Herrschaftssymbol. Die Linie ist geometrisch die Verlängerung eines Punktes in
Es besteht die große Gefahr, dass der Planungsteil der archi-
einer Richtung. Lineare Elemente kennen wir als Stützen,
tektonischen Form rational am leichtesten gelingt. Der „Ge-
Pfeiler, Unterzüge, Träger, Balken, Fachwerke, Mauervorlagen
fühlswert“ des Raumes bleibt oft auf der Strecke, da man sich
(Lisenen), Kamine und dergleichen. Diese sind in aller Regel
hier als Planer und Gestalter mit subjektiver Auffassung, so-
konstruktive Bauteile. Gitter, Friese, Fugenbilder, Sockelleis-
zialem Hintergrund, psychologischer Empfindungswelt und
ten, Tür- und Fensterrahmen, Stukkaturen, Maßwerke, Kanne-
physiologischer Struktur von Nutzern zu beschäftigen hat.Wir
lüren stehen oft im Zusammenhang mit Stilmerkmalen einer
wollen hier kurz einen geeigneten Ausschnitt aus dem kom-
bestimmten Epoche und sind meist dekorativ eingesetzte Bau-
plexen Repertoire architektonischer Gestaltungsmittel be-
teile. In der zeitgenössischen Architektur werden konstruktive
leuchten:
Bauteile oftmals dekorativ ausgebildet und räumlich einge-
Eigenschaften von Elementen
setzt. Paul Klee hat in seinem „Pädagogischen Skizzenbuch“
Beziehungen von Elementen
(1925) und seiner Lehre am Bauhaus die Unterscheidung von
Beziehungen zwischen Elementen und dem wahrnehmen-
aktiver, medialer und passiver Linie eingeführt. In seinen Aus-
den Menschen.
führungen entsprechen vor allem „die aktive Linie zwischen Punkten“ und die „mediale Linie“ Situationen im Raum. Die
Als Grundkategorie menschlicher Dimensionswahrnehmung
die Linie zwischen Punkten streckenbeschreibende. Passive
kennen wir Punkt, Linie, Fläche und Körper. Punkt, Punktie-
Linien ergeben Flächeneindrücke und Oberflächentexturen.
Eigenschaften der Dimension. Linie, Fläche, Körper
58
>
mediale Linie hat format- und flächenbeschreibende Funktion,
>
EIGENSCHAFTEN VON ELEMENTEN
Beziehungen von Elementen, Kunstmuseum Stuttgart, Architektur Hascher und Jehle
8
ARCHITEKTONISCHE ASPEKTE DES RAUMES
Die Fläche ist geometrisch das durch sich kreuzende Linien
raumumschließenden Flächen. Innenwandflächen begrenzen
gebildete Feld. Räume werden in aller Regel durch Flächen ge-
Räume. Ihre optischen Eigenschaften Farbe, Textur und Mate-
bildet. Wir erleben sie als Wände, freie Elemente im Raum,
rial, ihre Beziehungen untereinander, Größe, Verteilung, die
Decken, Böden, Scheiben, Platten, abgehängte Flächen, Zwi-
Öffnungen und Durchbrüche bestimmen die Qualität des Rau-
schenebenen, Podeste, Paravents. Flächige Bauteile sind in ih-
mes und die Beziehungen zu anderen Räumen. Wandflächen
rer Wirkung abhängig von ihrer Lage im Gesichtsfeld. Nach
können „nahtlos“ in Boden- oder Deckenflächen übergehen
Francis D. K. Ching sind Umrisse und Randlinien die hervorste-
oder als besondere Flächen betont werden. Sie wirken selbst
chendsten Identifikationsmerkmale von Flächen. Die opti-
oder als neutraler Hintergrund für andere Raumelemente.
schen Besonderheiten einer Fläche, ihrer Farbe, ihrer Textur
Wandflächen sind undurchsichtig oder transparent, Blick-
beeinflussen ihr visuelles Gewicht und geben den Eindruck
punkt oder Lichtquelle. Zum Flächeneindruck einer Innen-
von Stabilität. In der Architektur umgrenzen Flächen dreidi-
wand gehört zum Verständnis ihrer Erscheinung auch ihre Ma-
mensionale Formen und Räume. Die Eigentümlichkeiten einer
terialstärke. Sie wird an Durchbrüchen, Fenstern und Türen
Raumform, die visuellen Qualitäten eines Raumes, werden
deutlich. Wände können einengen und ausweiten – sie ver-
durch die formalen Merkmale der Flächen definiert (Größe,
mitteln „Privatheit“ oder „Öffentlichkeit“. Zu Fußboden und
Proportion, Farbe, Material, Textur) sowie durch die topologi-
Wandflächen hat man physischen Kontakt. Deckenflächen
schen Beziehungen zueinander bestimmt. Grundsätzlich spie-
hingegen erlebt man fast nur visuell, wegen ihrer größeren
len drei Flächenarten bei der Raumbildung eine Rolle – die
Entfernung. Sie sind der Schirm eines architektonischen Rau-
Bodenfläche, die Wandfläche und die Deckenfläche. Die Bo-
mes. Deckenflächen können als Geschossdecke flach oder in
denfläche ist physisch und visuell Fundament baulicher
Korrespondenz zu einer Dachkonstruktion geformt sein. Sie
Formen. Sie sollte sichernd und haltgebend sein, da sie als
können auch in freier Form lose im Raum hängen. Der Körper
Grundlage menschlicher Tätigkeiten innerhalb eines Gebäu-
als Raumelement ist geometrisch in allen Richtungen ähnlich
des gesehen wird. Form, Farbe,Textur und Musterung bestim-
dimensioniert und hat optisch ein klar ablesbares Volumen. Elementen angelehnt sein, aber auch frei im Raum stehen. Die
und Härte regeln die Empfindungen beim Gehen. Die Wandflä-
Möblierung des Raums gehört größtenteils zum Bereich kör-
chen sind die visuell aktivsten der raumbildenden und
perhafter Elemente im Raum, aber auch Bauteile wie Treppen,
Beziehungen zwischen Elementen und dem wahrnehmenden Menschen Kunstmuseum Stuttgart, Architektur Hascher und Jehle
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Körperhafte Elemente können an linearen oder flächigen
grund für andere Raumelemente in Erscheinung tritt. Textur
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men, ob der Boden als sichere Raumgrenze oder als Hinter-
Mediale Linien in der Architektur, La Tourette, Le Corbusier
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Aufzüge in Hallen, freie Kamine, freistehende räumliche Ein-
Relative Maße stehen im Gegensatz dazu. Maß- und Propor-
bauten gehören dazu. Zur räumlichen Beurteilung von Grö-
tionsverzerrungen liegen vor, die keine konkrete Wahrneh-
ßen, Entfernungen und Proportionen bedient sich der Mensch
mung zulassen und in Menge und Größe zum Raum, sowie
gerne der Vergleichsmaßstäbe. Pierre von Meiss verweist auf
zur Länge, Breite und Höhe in schwer oder nicht bewertba-
den Symbolwert des Menschen als Maßstab:„In unserer sub-
rem Bezug stehen.
jektiven Vorstellung von der Ordnung des Universums […] ist unser Körper das wichtigste Bezugselement. Im Vergleich zu
Unabhängig von linearer, flächiger oder körperhafter Dimensio-
ihm bestimmen wir groß und klein, geometrisch und amorph,
nierung gibt es verschiedene Erscheinungsarten von Formen.
hart und weich, eng und weit, stark und schwach usw.“
Zunächst fallen uns einfache Formen auf, die wir als kontinuier-
So wurde in der Geschichte häufig die menschliche Figur als bekanntes Proportionselement zur Bewertung von Raum
lich empfinden. Diese Formen nehmen wir unverkürzt, ganzheitlich wahr:
eingesetzt: Le Corbusier hat dieses Hilfsmittel, den von ihm
gerade Flächen, Platten, Wände, Scheiben, Stützen, Balken
entwickelten Modulor, gerne an seinen Großbauten benutzt.
gebogene oder gekrümmte Elemente wie Kuppeln, Tonnengewölbe, Wellenformen.
In diesem Zusammenhang sollten wir zwei Begriffe getrennt Im Gegensatz dazu betrachten wir diskontinuierliche Formen
betrachten: absolute und relative Maße. Absolute Maße stehen in direktem Bezug zu geeichten Maß-
wie Fachwerk- und Dachkonstruktionen, abgeknickte und ab-
einheiten wie Zentimeter, Meter, Zoll und Inch. Zu solchen
gewinkelte Wände, gotische Gewölberippen; diese sind unter-
absoluten Maßen zählen wir auch bekannte Normmaße und
brochen und werden oft nur ausschnitthaft wahrgenommen.
Maße der Ergonomie wie Tischhöhe, Sitzhöhe, Höhe der
Beide Begriffe – kontinuierlich und diskontinuierlich – charak-
Fensterbrüstung und Türmaße (häufig 76 x 200 oder
terisieren vorrangig Flächen und lineare Bauteile.
88,5 x 200 cm).
Körperhafte Bauteile wie Würfel, Kugel, Zylinder, Pyramide
An diesen „erlernten“ Maßen können wir Beurteilungen und
bezeichnen wir als regelmäßige, geometrisch leicht zu defi-
Vergleiche herstellen, wenn sie nicht perspektivisch verfrem-
nierende Formen. Dazu zählen schlichte Möbelformen und
det sind.
Einbauten. Unregelmäßige Formen sind geometrisch schwer